Die Wahltarife im SGB V: Verfassungs- und unionsrechtliche Zulässigkeit [1 ed.] 9783428527793, 9783428127795

Der Deutsche Bundestag hat im März 2007 mit Zustimmung des Bundesrates das "Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in

137 79 296KB

German Pages 75 Year 2008

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Wahltarife im SGB V: Verfassungs- und unionsrechtliche Zulässigkeit [1 ed.]
 9783428527793, 9783428127795

Citation preview

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 10

Die Wahltarife im SGB V Verfassungs- und unionsrechtliche Zulässigkeit

Von Peter M. Huber unter Mitwirkung von Stefan Storr

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

PETER M. HUBER / STEFAN STORR

Die Wahltarife im SGB V

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 10 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR), Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Die Wahltarife im SGB V Verfassungs- und unionsrechtliche Zulässigkeit

Von Peter M. Huber unter Mitwirkung von Stefan Storr

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-12779-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) am 1. April 2007 (teilweise) in Kraft getretenen Veränderungen im Gesundheitswesen gehören zu den einschneidendsten und daher auch umstrittensten Reformen der vergangenen Jahrzehnte. Insbesondere nivellieren sie die Unterschiede zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV, was von manchen als Einstieg in die „Verstaatlichung“ des gesamten Gesundheitswesens kritisiert, von anderen als die Etablierung eines regulierten Wettbewerbs gepriesen wird. Aus der mit dieser Reform aufgeworfenen Fülle der Probleme greift die vorliegende Untersuchung die Einführung der Wahltarife nach § 53 SGB V heraus, deren Erbringung in der Tat erstmals einen wirklichen Wettbewerb zwischen beiden Säulen der Krankenversicherung eröffnet und auch eröffnen soll. Ob und inwieweit bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieses Wettbewerbs allerdings den verfassungs- und unionsrechtlichen Anforderungen in ausreichendem Maße entsprochen worden ist, ist fraglich und Gegenstand der folgenden Überlegungen. Die vorliegende Untersuchung geht auf ein Rechtsgutachten zurück, das die Verfasser im Auftrag der Allianz Private Krankenversicherung (APKV) erstattet haben. Herrn Kollegen Sodan sowie dem Verlag Duncker & Humblot sind wir für die Aufnahme in die Schriftenreihe sehr verbunden. München, im Dezember 2007

Prof. Dr. Peter M. Huber Prof. Dr. Stefan Storr

Inhalt A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

I. Versicherungspflicht und Versicherungsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Kein Wettbewerb soweit Versicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2. Möglichkeiten einer freiwilligen Versicherung in der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

3. Das Angebot der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

II. Wettbewerb im Leistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

III. Die Wahltarife und ihr Wettbewerbspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Selbstbehalt, § 53 Abs. 1 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

2. Nichtinanspruchnahme, § 53 Abs. 2 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

3. Besondere Versorgungsformen, § 53 Abs. 3 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

4. Kostenerstattung, § 53 Abs. 4 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

a) Variation des Leistungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

b) Leistungsniveau und Prämienzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

c) Kreis der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

5. Wahltarif „Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen“, § 53 Abs. 5 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

6. Krankengeldversicherung, § 53 Abs. 6 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

7. Prämienzahlung für Leistungsbeschränkung, § 56 Abs. 7 SGB V 2007 . . . . . . .

24

IV. Die Auswirkungen der Wahltarife auf den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

1. Tatsächliches Angebot an Wahltarifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

8

Inhalt 2. Quersubventionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

a) Adressbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

b) Personal- und Sachmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

c) Sonstige Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3. Deckelung gemäß § 53 Abs. 8 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

4. Zur Bedeutung von § 53 Abs. 9 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

C. Verfassungsrechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

I. § 53 SGB V 2007 und die Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Schutzbereich der Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

a) Der enge Ansatz der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

b) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. § 53 SGB V 2007 – Vorschrift „mit berufsregelnder Tendenz“? . . . . . . . . . . . . . .

31

a) Die Auswirkungen der Wahltarife auf die Wettbewerbsstellung der Krankenversicherungen der PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

b) Beurteilung am Maßstab der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

c) Beurteilung am Maßstab eines freiheitlichen Verständnisses der Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

II. Kein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

III. Verstoß gegen die Chancengleichheit von GKV und PKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

1. Beeinträchtigung der Chancengleichheit im Wettbewerb (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Zur Rechtfertigung einer Privilegierung der GKV im Bereich der Wahltarife

39

a) Rechtfertigungsbedürftigkeit der Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

b) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

c) Fehlender sachlicher Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

IV. Rechte der Mitglieder der GKV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

Inhalt

9

D. Unionsrechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

2. „Unternehmen“ im Sinne des unionalen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

a) Wirtschaftliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

b) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

3. Die Rechtsprechung zur Einordnung von Sozialversicherungsträgern . . . . . . . .

46

4. Die unionsrechtliche Einordnung der GKV beim Angebot der Wahltarife . . . .

49

a) Versicherungsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

b) Zurverfügungstellung von Heilbehandlung u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

c) Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts auf die GKV . . . . . . . . . . .

51

d) Veränderungen durch das GKV-WSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

II. Anforderungen des unionalen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

1. Kartellrecht, Art. 81 f., 86 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

a) Vereinbarkeit des GKV-WSG mit dem unionalen Kartellrecht . . . . . . . . . . . .

56

b) Das Angebot von Wahltarifen und das unionale Wettbewerbsrecht . . . . . . . .

56

2. Beihilfenverbot – Art. 87 f. EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

a) Unionsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

b) Finanzierung der GKV aus staatlichen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

c) Kein Ausschluss von Quersubventionierungen durch § 53 Abs. 9 Satz 1 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

III. Keine Rechtfertigung gemäß Art. 86 Abs. 2 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

1. Wahltarife keine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

2. Fehlende Betrauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

IV. Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

10

Inhalt

E. Prozessuale und sonstige Möglichkeiten der Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

I. EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

II. Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

1. Verfassungsbeschwerde gegen § 53 SGB V 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

a) Statthaftigkeit, Subsidiarität und Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

b) Jahresfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

2. Fachgerichtliche Überprüfung der Genehmigung einzelner Wahltarife . . . . . . .

66

F. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

A. Einführung Der Deutsche Bundestag hat im März 2007 mit Zustimmung des Bundesrates das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG)“ beschlossen. Dieses ist vom Bundespräsidenten am 26. März 2007 ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt vom 30. März 2007 verkündet worden.1

1

Mit dem GKV-WSG werden in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstmals sog. Wahltarife eingeführt. Sedes materiae ist insoweit § 53 SGB V 2007 Er sieht verschiedene Wahltarife vor, deren Aufnahme in die Satzungen der Krankenkassen teils obligatorisch, teil fakultativ ist.2

2

In der seit 1. April 2007 geltenden Fassung lautet die Vorschrift:

„§ 53 Wahltarife (1) 1 Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt). 2Die Krankenkasse hat für diese Mitglieder Prämienzahlungen vorzusehen. (2) 1 Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung für Mitglieder, die im Kalenderjahr länger als drei Monate versichert waren, eine Prämienzahlung vorsehen, wenn sie und ihre nach § 10 mitversicherten Angehörigen in diesem Kalenderjahr Leistungen zu Lasten der Krankenkasse nicht in Anspruch genommen haben. 2 Die Prämienzahlung darf ein Zwölftel der jeweils im Kalenderjahr gezahlten Beiträge nicht überschreiten und wird innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Kalenderjahres an das Mitglied gezahlt. 3Die im dritten und vierten Abschnitt genannten Leistungen mit Ausnahme der Leistungen nach § 23 Abs. 2 und den §§ 24 bis 24b sowie Leistungen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bleiben unberücksichtigt. (3) 1 Die Krankenkasse hat in ihrer Satzung zu regeln, dass für Versicherte, die an besonderen Versorgungsformen nach § 63, § 73b, § 73c, § 137 f. oder § 140a teilnehmen, Tarife angeboten werden. 2Für diese Versicherten kann die Krankenkasse eine Prämienzahlung oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen. (4) 1 Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder für sich und ihre nach § 10 mitversicherten Angehörigen Tarife für Kostenerstattung wählen. 2Sie kann die 1 2

BGBl. I 2007, 378 ff. H. Sodan, Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, NJW 2007, 1313 / 1315.

3

12

A. Einführung Höhe der Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. 3§ 13 Abs. 2 Satz 2 bis 4 gilt nicht. (5) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung die Übernahme der Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen regeln, die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 von der Versorgung ausgeschlossen sind, und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. [ab 1. Januar 2009] 1

(6) Die Krankenkasse hat in ihrer Satzung für die in § 44 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie den in § 46 Satz 2 genannten Mitgliedern Tarife anzubieten, die einen Anspruch auf Krankengeld entsprechend § 46 Satz 1 oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen, für die in § 46 Abs. 2 genannten Versicherten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz jedoch spätestens mit Beginn der dritten Woche der Arbeitsunfähigkeit. 2Sie hat hierfür entsprechend der Leistungserweiterung Prämienzahlungen des Mitglieds vorzusehen. [ab 1. Januar 2009]

(7) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung für bestimmte Mitgliedergruppen, für die sie den Umfang der Leistungen nach Vorschriften dieses Buches beschränkt, der Leistungsbeschränkung entsprechende Prämienzahlungen vorsehen. (8) 1Die Mindestbindungsfrist für Wahltarife mit Ausnahme der Tarife nach Absatz 3 beträgt drei Jahre. 2Abweichend von § 175 Abs. 4 kann die Mitgliedschaft frühestens zum Ablauf der dreijährigen Mindestbindungsfrist gekündigt werden. 3Die Satzung hat für Tarife ein Sonderkündigungsrecht in besonderen Härtefällen vorzusehen. 4Die Prämienzahlung an Versicherte darf bis zu 20 vom Hundert, für einen oder mehrere Tarife einschließlich Prämienzahlungen nach § 242 30 vom Hundert der vom Mitglied im Kalenderjahr getragenen Beiträge mit Ausnahme der Beitragszuschüsse nach § 106 des Sechsten Buches sowie § 257 Abs. 1 Satz 1, jedoch nicht mehr als 600 Euro, bei einem oder mehreren Tarifen einschließlich Prämienzahlungen nach § 242 900 Euro jährlich betragen. 5Satz 4 gilt nicht für Versicherte, die Teilkostenerstattung nach § 14 gewählt haben. 6Mitglieder, deren Beiträge vollständig von Dritten getragen werden, können nur Tarife nach Absatz 3 wählen. (9) 1Die Aufwendungen für jeden Wahltarif müssen aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen, die durch diese Maßnahmen erzielt werden, finanziert werden. 2 Die Krankenkassen haben regelmäßig, mindestens alle drei Jahre über diese Einsparungen gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde Rechenschaft abzulegen.“

4

Obligatorisch sind  nach § 53 Abs. 3 SGB V 2007 Wahltarife für besondere Versorgungsformen nach §§ 63, 73b, 137 f. oder 140a SGB V 2007; für diese Versicherten kann die Krankenkasse eine Prämienzahlung oder Zahlungsermäßigungen vorsehen (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V 2007);  nach § 53 Abs. 6 SGB V 2007 ab dem 1. Januar 2009 Tarife, die hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen oder Versicherten ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung sowie den in der Künstlersozialversicherung Versicherten einen Anspruch auf Krankengeld gewähren, für die nach dem KSVG Versicherten spätestens mit Beginn der dritten Woche der Arbeitsunfähigkeit; für diese Leistungserweiterung hat die Krankenkasse Prämienzahlungen des Mitglieds vorzusehen;3 3

H. Sodan, NJW 2007, 1313 / 1315.

A. Einführung

13

Fakultative Wahltarife sind dagegen

5

 Tarife mit Selbstbehalt, bei denen die Mitglieder einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB V 2007); im Gegenzug hat die Krankenkasse für diese Mitglieder Prämienzahlungen vorzusehen (§ 53 Abs. 1 Satz 2 SGB V 2007);  Tarife, die für den Fall der Nichtinanspruchnahme der Krankenkasse durch die Mitglieder und die nach § 10 mitversicherten Angehörigen im Kalenderjahr eine Prämienzahlung vorsehen, die allerdings ein Zwölftel der jeweils gezahlten Beiträge nicht überschreiten darf (§ 53 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V 2007);  Tarife für Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 Satz 1 SGB V 2007), wobei die Krankenkasse die Höhe der Kostenerstattung variieren und dafür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen kann (§ 53 Abs. 4 Satz 2 SGB V 2007);  Tarife, die den gesetzlich vorgeschriebenen Leistungsumfang erweitern, indem sie auch dort nicht enthaltene „Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen“ abdecken; dafür kann sie spezielle Prämienzahlungen der Versicherten vorsehen (§ 53 Abs. 5 SGB V 2007);  Tarife, bei denen die Krankenkasse für bestimmte Mitgliedergruppen den gesetzlich vorgeschriebenen Leistungsumfang begrenzt und der Leistungsbeschränkung entsprechende Prämienzahlungen vorsieht (§ 53 Abs. 7 SGB V 2007).

Die „Wahltarife“ haben ausweislich der Gesetzesbegründung den Zweck, die Wahlfreiheit für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhöhen. Das sei Voraussetzung für mehr Transparenz und Wettbewerb zwischen den Krankenkassen.4 Im Einzelnen heißt es dazu in der Gesetzes- wie in der Ausschussbegründung:  Wahltarif Selbstbehalt (Abs. 1), Gesetzesbegründung: „Die bisherige Regelung zu Selbstbehaltstarifen wird auch für Pflichtversicherte geöffnet und nicht mehr an die Kostenerstattung gekoppelt. Erfahrungen der Krankenkassen haben gezeigt, dass auch im Sachleistungssystem Selbstbehaltstarife realisierbar sind. Der Abrechungszeitraum für Selbstbehaltstarife beträgt 1 Jahr, die Mindestbindungsfrist 3 Jahre“.5  Wahltarif Nichtinanspruchnahme (Abs. 2), Gesetzesbegründung: „Die bisherige Regelung zur Beitragsrückerstattung wird in den Absatz 2 übernommen. Sie wird insoweit redaktionell angepasst, als der Begriff „Beitragsrückerstattung“ nicht mehr verwendet wird. Da die Krankenkassen keine Beiträge mehr erheben, können sie keine Beiträge rückerstatten. Es sind daher jetzt Prämienzahlungen vorgesehen. Die Regelung wird auch für Pflichtversicherte geöffnet.“6  Wahltarif Besondere Versorgungsformen (Abs. 3), Gesetzesbegründung: „Für spezielle Versorgungsformen hat die Krankenkasse spezielle Tarifgestaltungen anzubieten. Dies betrifft Modellvorhaben, die hausarztzentrierte Versorgung, Tarife mit Bindung an bestimmte 4 5 6

BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108. BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108. BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108.

6

14

A. Einführung Leistungserbringer, DMPs und die integrierte Versorgung. Die Krankenkasse kann Prämienzahlungen oder Zahlungsermäßigungen mit dem Tarif verbinden. Prämienberechtigt sind alle Versicherten; zu berücksichtigen ist jedoch die Kappungsgrenze je Mitglied nach Absatz 7.“7

 Wahltarif Kostenerstattung (Abs. 4), Gesetzesbegründung: „Für Kostenerstattung [über den von § 13 erfassten Bereich hinaus]8 kann die Krankenkasse Wahltarife einführen. Die Höhe der Kostenerstattung kann dabei variabel gestaltet werden. Beispielsweise wäre es möglich, dem Versicherten den 2,3-fachen Satz nach GoÄ / GoZ zu erstatten. Für die Mehrkosten, die dies gegenüber Sachleistungen bedeutet, muss die Kasse eine entsprechend kalkulierte Prämienzahlung des Versicherten einfordern. Diese Tarifmöglichkeit stärkt die Wettbewerbsposition der gesetzlichen Krankenkasse gegenüber der privaten Krankenversicherung“.9 Ausschussbegründung zum GKV-WSG: „Im Bereich des § 53 wählen Mitglieder Kostenerstattung, indem sie bei ihrer Krankenkasse einen speziellen Tarif abschließen. Eine zusätzliche Verpflichtung, vor der Inanspruchnahme von Leistungen die Krankenkasse über die Wahl der Kostenerstattung in Kenntnis zu setzen, wie dies in § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB V geregelt ist, wäre nicht sachgerecht; ebensowenig bedarf es einer zusätzlichen Beratung durch die Leistungsträger.“10  Wahltarif Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen (Abs. 5), Ausschussbegründung: „Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Regelversorgung ausgeschlossen. Hierunter fallen viele Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen. Um dem Wunsch vieler Versicherter gerecht zu werden, für Arzneimittel der besonderen Therapierichtung Leistungen der Krankenkassen zu ermöglichen, wird ein spezieller Wahltarif geschaffen. Die Regelung ermöglicht es, Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen im Rahmen des entsprechenden Wahltarifs zu übernehmen. Hierfür sind entsprechende Prämienzahlungen vorzusehen“.11  Wahltarif Krankengeld (Abs. 6), Gesetzesbegründung: „Mitglieder, die keinen Anspruch auf Krankengeld (vgl. § 44 Abs. 2) oder bei Arbeitsunfähigkeit nicht für mindestens 6 Wochen Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts oder auf Zahlung einer die Versicherungspflicht begründenden Sozialleistung haben (z. B. unselbständig Beschäftigte) zahlen Beiträge nach dem ermäßigten Beitragssatz (vgl. § 243). Die Krankenkassen haben ihren Mitgliedern, denen bei Arbeitsunfähigkeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen entgeht (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 2 und 3), Tarife anzubieten, die die Ansprüche auf Krankengeld beinhalten, insbes. im Hinblick auf den Beginn dieser Leistung. Diese Mitglieder entscheiden somit eigenständig über ihre finanzielle Absicherung im Krankheitsfall. Von dieser Regelung profitieren bspw. freiwillig versicherte Selbständige. Viele Selbständige haben kein Interesse an der Leistung Krankengeld, da z. B. ein Betrieb auch bei Arbeitsunfähigkeit des selbständigen Unternehmers als Existenzgrundlage weiter geführt BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108. Anm. d. Verf. 9 BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108. 10 BT.-Drucks. 16 / 4247, S. 35. 11 BT.-Drucks. 16 / 4247, S. 35. 7 8

A. Einführung

15

werden kann. Dementsprechend sah das bisherige Recht Krankengeld nicht als Pflichtleistung der Krankenkasse vor. Die Krankenkasse konnte Selbstständige zu ermäßigten oder erhöhten Beitragssätzen entsprechende Angebote machen, verbunden mit Veränderungen der Beitragshöhe. Durch den Wegfall der Satzungsregelungen in § 44 Abs. 2 wird mit der neu geschaffenen Möglichkeit, über besondere Wahltarife einen individuellen Krankengeldanspruch zu erlangen, den Interessen der Selbständigen Rechnung getragen. Auch andere Personengruppen, wie zum Beispiel kurzzeitig Beschäftigte ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung, können entsprechende Tarife abschließen. Da viele dieser Beschäftigungen kurzfristig angenommen werden, haben die Krankenkassen umfassende Aufklärungsarbeit zu den Zusatztarifen zu leisten. Positiver Nebeneffekt ist der Ausschluss eines Missbrauchspotenzials. Bislang hatte der betroffene Personenkreis einen sofortigen Anspruch auf Krankengeld bei Zahlung des erhöhten Beitragssatzes nach § 242 (alt). Letzterer ist durch die Neuregelung des § 53 entbehrlich. Die nach dem KSVG versicherten selbständigen Künstler und Publizisten konnten nach der bisherigen Rechtslage wählen, ob sie ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit oder von einem früheren Zeitpunkt an Krankengeld beziehen wollen. In letzterem Fall setzte der Krankengeldbezug spätestens ab der 3. Woche der Arbeitsunfähigkeit ein. Die damit verbundene höhere Beitragsbelastung hatten die KSVG Versicherten allein zu tragen und gemäß § 16 Abs. 1 KSVG (alt) an die Künstlersozialkasse abzuführen. Durch die neu geschaffene Wahlmöglichkeit des § 53 wird das bisherige Verfahren ersetzt. Der KSVG Versicherte hat anstelle [statt]12 den sich aus § 242 (alt) ergebenden Erhöhungsbeitrag an die Künstlersozialkasse zu entrichten, künftig eine individuelle Prämie an seine Krankenkasse zu zahlen“.13  Wahltarif Begrenzter Leistungsumfang (Abs. 7): Gesetzesbegründung: „Nach bisheriger Rechtslage konnte die Krankenkasse einen ermäßigten Beitragssatz nicht nur bei verkürztem Krankengeldanspruch, sondern auch dann vorsehen, wenn der Umfang der sonstigen Leistungen beschränkt war. Diese Regelung zielte vor allem auf Mitglieder ab, die Teilkostenerstattung nach § 14 gewählt hatten. Mit der Änderung des § 243 entfällt die Möglichkeit einer Beitragssatzermäßigung. Die Krankenkassen können stattdessen Prämienzahlungen in einem der Leistungsbeschränkung entsprechenden Umfang vorsehen.“14

Die Mindestbindungsfrist beträgt für die Wahltarife grundsätzlich drei Jahre. Zugleich deckeln § 53 Abs. 8 Satz 4 und 5 SGB V 2007 die Prämienzahlung sowohl in prozentualer Hinsicht als auch mit Blick auf die absoluten Obergrenzen von 600,00 A bzw. 900,00 A. § 53 Abs. 9 SGB V 2007 will schließlich Quersubventionierungen durch die Wahltarife ausschließen. Insoweit führen die Begründungen der Bundesregierung und des Ausschusses aus:  Bindung an die Wahltarife, Deckelung etc. (Abs. 8): Gesetzesbegründung: „Die Krankenkasse regelt in ihrer Satzung das Nähere der Tarifgestaltung. Die Mindestbindungsfrist von 3 Jahren ist erforderlich, um missbräuchliche Wechsel zwischen Tarifen je nach Erwartung der Inanspruchnahme von Leistungen zu verhindern. Dies gilt allerdings nicht für Tarife nach Absatz 3, die sich auf besondere Versorgungsformen beziehen (z. B. hausarztzentrier12 13 14

Anm. d. Verf. BT.-Drucks. 16 / 3200, S. 109. BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 109.

7

16

A. Einführung te Versorgung). Hier wird die Mindestbindungszeit auf 1 Jahr in den Regelungen zur Ausgestaltung des Versorgungsangebots festgelegt. Ein Sonderkündigungsrecht für Wahltarife stellt sicher, dass Versicherte in besonderen Härtefällen nicht an diesen Wahltarif gebunden sind. Für die Bindungszeit ist eine Kündigung der Kasse und damit der Kassenwechsel ebenfalls künftig ausgeschlossen. Die Höhe der Prämienzahlung an Versicherte wird begrenzt. Dies ist erforderlich um Missbrauchsmöglichkeiten, z. B. für Versicherte, die nur geringe Beiträge zahlen, zu verhindern. Die Begrenzung bewirkt zugleich, dass Selbstbehalttarife und Tarife, die für Nichtinanspruchnahme von Leistungen Prämienzahlungen vorsehen, nur eingeschränkt möglich sind. Der Selbstbehalt muss damit im angemessenen Verhältnis zur Prämienrückzahlung stehen. Insgesamt wird eine Kappungsgrenze eingeführt, die verhindert, dass Prämienzahlungen in der Kumulation außer Verhältnis zu den gezahlten Beiträgen stehen. Versicherte, deren Beiträge ganz von Dritten getragen werden (z. B. ALG II – Empfänger) können nur Wahltarife zu besonderen Versorgungsformen wählen. Selbstbehalttarife, Beitragsrückerstattungen usw. sind ihnen verschlossen. Angesichts niedriger, in der Regel nicht kostendeckender Beiträge würden Prämienzahlungen für diesen Personenkreis deren Finanzierungsanteil noch weiter absenken. Dies wäre im Vergleich zu Versicherten, die hohe Beiträge zahlen, nicht sachgerecht.“15 Ausschussbegründung: „Versicherte mit Teilkostenerstattung zahlen bislang nach § 243 (alt) nur 30% bis 50% des allgemeinen Beitragssatzes, da die Krankenkasse nur den entsprechenden Anteil an den Krankheitskosten erstattet. Der Rest ist durch die Beihilfe abgedeckt. Diese Regelung wird durch § 53 Abs. 6 [Abs. 7, Anm. d. Verf.] ersetzt, wonach die Krankenkasse Prämienzahlungen an die Versicherten vornehmen kann. Um eine Schlechterstellung der betroffenen Mitglieder gegenüber der geltenden Rechtslage zu vermeiden, ist es erforderlich, die Beschränkung der Prämienzahlung auf 20% bzw. 30% der gezahlten Beiträge insoweit aufzuheben.“16

 Kalkulation (Abs. 9), Gesetzesbegründung: „Wahltarife dürfen nicht zu Quersubventionierungen durch die übrigen Versicherten führen. Daher sind Sicherungsmechanismen zu beachten. Die schon im bisherigen § 65a Abs. 4 bestehenden Regelungen einschließlich einer Berichtspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde werden daher übernommen. Die Anforderung, dass die Aufwendungen für Wahltarife aus Einsparungen und Effizienzsteigerungen finanziert werden müssen, wird stringenter gefasst. Hier wird künftig nicht mehr nur der mittelfristige Zeitraum betrachtet. Die Betrachtung muss vielmehr zeitraumunabhängig erfolgen. Zu beachten ist, dass jeder Wahltarif für sich betrachtet diesen Anforderungen gerecht werden muss“.17 Ausschussbegründung: „Absatz 9 stellt klar, dass sich die auf der Grundlage von § 53 geschaffenen Wahltarife jeweils selbst tragen müssen. Durch die Änderung wird klargestellt, dass Wahltarife, die zusätzliche Leistungen der Krankenkasse beinhalten, nicht nur durch Einsparungen und Effizienzsteigerungen, sondern auch durch zusätzliche Prämienzahlungen finanziert werden“.18

15 16 17 18

BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 109. BT.-Drucks. 16 / 4247, S. 35. BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 109. BT.-Drucks. 16 / 4247, S. 35.

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV Die Einführung der Wahltarife i. S. v. § 53 SGB V 2007 hat erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Privaten Krankenversicherung (PKV). Besonders betroffen davon sind Krankenversicherungen der PKV mit vielen Zusatztarifen.

8

Die Krankenkassen der GKV und die Krankenversicherungen der PKV gehören zwei verschiedenen Systemen an, zwischen denen grundsätzlich kein Wettbewerb besteht. Während das System der GKV auf einer gesetzlichen Versicherungspflicht beruht, das in begrenztem Umfang auch eine freiwillige Versicherung kennt, liegt der PKV seit dem GKV-WSG das Modell eines mit Kontrahierungszwang ausgestatteten Versicherungsvertrages auf privatrechtlicher Grundlage zugrunde (§ 315 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 178a VVG).

9

I. Versicherungspflicht und Versicherungsausschluss 1. Kein Wettbewerb soweit Versicherungspflicht Ein Wettbewerb zwischen GKV und PKV scheidet zunächst aus, soweit eine Versicherungspflicht in der GKV besteht. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, sowie die in Nr. 2 bis Nr. 13 genannten Personengruppen versicherungspflichtig. Voraussetzung ist, dass sie nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind (§ 5 Abs. 5 SGB V) und ihr regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht überschreitet.

10

2. Möglichkeiten einer freiwilligen Versicherung in der GKV Eine Befreiung von der Versicherungspflicht ermöglicht § 8 SGB V. Ziel der Regelung ist, dass bislang privat Versicherte, die einen die Versicherungspflicht auslösenden Tatbestand erfüllen, ihre private Krankenversicherung nicht kurzfristig kündigen oder ruhend stellen müssen.19 19 M. Ulmer, in: Rolfs / Giesen / Kreikebohm / Udsching, Beck’scher Online-Kommentar zum SGB, Stand 1. 6. 2007, § 8 SGB V, Einf.

11

18

12

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV

Das SGB V kennt darüber hinaus die „freiwillige Versicherung“ nach § 9. Um die GKV vor „schlechten“ Risiken zu schützen, stellt das Gesetz insoweit jedoch besondere Voraussetzungen auf. So können nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Personen der Versicherung beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren. Der Beitritt ist der Krankenkasse innerhalb von drei Monaten anzuzeigen (§ 9 Abs. 2 SGB V).

3. Das Angebot der PKV 13

Der Abschluss einer Krankenversicherung in der PKV unterliegt dagegen – vorbehaltlich des in § 315 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 178a VVG geregelten Kontrahierungszwangs – der Privatautonomie. Nach § 178h Abs. 2 VVG besteht ein außerordentliches Kündigungsrecht, wenn der Versicherungsnehmer kraft Gesetzes kranken- oder pflegeversicherungspflichtig wird.

14

Die Krankenversicherungen der PKV bieten eine Fülle von Zusatztarifen zur Ergänzung der GKV an. Dazu gehören namentlich  im Bereich der Kostenerstattung und des Wahltarifs Kostenerstattung (§ 13, 53 Abs. 4 SGB V 2007): ❖

Zusatztarife zur Ergänzung der Kostenerstattung nach § 13 SGB V 2007 und Wahltarife



Zusatztarife für zahnärztliche Behandlung und Zahnprophylaxe

 im Bereich der Zuschüsse zu Kuren nach § 23 Abs. 2 SGB V 2007 ❖

Zusatztarife – Kurkostenzusatzversicherung für ambulante Kuren



Zusatztarife – Kurkostenzusatzversicherung für stationäre Kuren

 im Bereich der Kosten für Haushaltshilfen nach § 38 Abs. 2 und 4 SGB V 2007 ❖

Zusatztarife für Haushaltshilfen

 im Bereich des Wahltarifs nach § 53 Abs. 5 SGB V 2007 ❖

Zusatztarife für ambulante und stationäre Heilbehandlung



Zusatztarife für Zahnbehandlung

 im Bereich des Wahltarifs Krankengeld nach § 53 Abs. 6 SGB V 2007 ❖

unterschiedliche Tarife mit Leistungsbeginn ab 7. Woche



unterschiedliche Tarife mit späterem Leistungsbeginn



Zusatztarife für Selbständige mit Leistungsbeginn bis 7. Woche



Zusatztarife für Selbständige mit Leistungsbeginn ab 7. Woche

II. Wettbewerb im Leistungsbereich

19

 im Bereich der Allgemeinen Krankenhausleistungen ❖

unterschiedliche Zusatztarife

 im Bereich der Zahnbehandlung und des Zahnersatzes ❖

unterschiedliche Zusatztarife.

II. Wettbewerb im Leistungsbereich Vor diesem Hintergrund kommt ein Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV jedenfalls dort in Betracht, wo die Wahl zwischen GKV und PKV im Einzelfall von der Entscheidung der Versicherten abhängt – bei der Befreiung nach § 8 SGB V 2007, bei der freiwilligen Versicherung nach § 9 SGB V 2007 oder bei der Konkurrenz von Zusatztarifen der PKV und Wahltarifen in der GKV.

15

Mit der Einführung von Wahltarifen hat sich der Gesetzgeber gegen einheitliche Pflichttarife entschieden. Die Versicherungspflicht (§§ 5 ff. SGB V 2007) besteht insoweit nur mehr hinsichtlich des „Ob“ der Pflichtversicherung und hinsichtlich der Regelversorgung (§§ 11 ff. SGB V 2007); das schließt private Zusatzversicherungen bei einer Krankenversicherung der PKV jedoch nicht aus. Eine solche Zusatzversicherung kann sich insbesondere für Risiken und Leistungen anbieten, die über den gesetzlichen Leistungskatalog der §§ 11 ff. SGB V 2007 nicht abgedeckt werden oder wenn das Angebot der PKV attraktiver ist als die Wahltarife der GKV.

16

Wo immer die Krankenkassen der GKV somit über die Regelversorgung hinaus besondere – zusätzliche – Leistungen anbieten können (arg. e § 194 Abs. 1 Nr. 3 SGB V), besteht zumindest die Möglichkeit eines Wettbewerbs mit den Krankenversicherungen der PKV:

17

 bei der Teilkostenerstattung für Angestellte der Krankenkassen und ihrer Verbände sowie Beamte, die in einer BKK oder einer Knappschaft tätig sind (§ 14 SGB V),  bei Maßnahmen der Prävention und Selbsthilfe nach §§ 20 ff. SGB V,  bei Zuschüssen zu Kuren nach § 23 Abs. 2 Satz 1 SGB V,  bei der Erstattung von Kosten für eine Haushaltshilfe (§ 38 Abs. 2 und 4 SGB V),  bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern gemäß § 66 SGB V 2007 sowie  bei den hier in Rede stehenden Wahltarifen.

Soweit ein Wahltarif über den gesetzlichen Leistungskatalog hinausgeht und das Risiko auch von der PKV abgedeckt werden kann, liegt ein Wettbewerbsverhältnis mit der GKV vor. Vergleichbares gilt für hinter dem gesetzlichen Leistungskatalog zurückbleibende Wahltarife, die durch eine Krankenversicherung in der PKV

18

20

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV

gleichsam „aufgefüllt“ werden können. Das setzt voraus, dass die Wahltarife der GKV wirtschaftlich attraktiver sind als die Zusatztarife der PKV. 19

Versucht man, die hier in Rede stehenden Wahltarife zu typisieren, so lassen sich zwei Kategorien unterscheiden:  Der ersten Gruppe sind solche Wahltarife zuzuordnen, die den Mitgliedern der GKV Leistungen anbieten, die durch den regulären Leistungskatalog nicht abgedeckt werden. Das betrifft die Wahltarife „Kostenerstattung“ (Abs. 4),20 besondere Therapierichtungen (Abs. 5) und Krankengeld (Abs. 6).  Zur zweiten Gruppe gehören die Wahltarife, die den Leistungskatalog der GKV einschränken und insoweit Raum für den Abschluss einer privaten Zusatzversicherung lassen. Das gilt für die Wahltarife nach Abs. 1 (Selbstbehalt), Abs. 2 (Nichtinanspruchnahme), Abs. 3 (Besondere Versorgungsformen) und Abs. 7 (Begrenzter Leistungsumfang).

III. Die Wahltarife und ihr Wettbewerbspotential 1. Selbstbehalt, § 53 Abs. 1 SGB V 2007 20

Nach § 53 Abs. 1 SGB V 2007 kann die Krankenkasse der GKV in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (sog. Selbstbehalt). Dafür kann die Krankenkasse eine Prämienzahlung vorsehen. Die Regelung gilt für freiwillig Versicherte und seit dem GKV-WSG 2007 auch für Pflichtversicherte.

21

Dieser Wahltarif war – auch in der bisherigen, nur freiwillig Versicherte betreffenden Form – für das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV bereits relevant. Schon die bisher zulässige Kostenerstattung ermöglichte niedrigere und damit attraktivere Beiträge (§ 53 Abs. 1 Satz 2 SGB V a. F.) und war deshalb grundsätzlich geeignet, freiwillig Versicherte von einem Wechsel zu einer Versicherung der PKV abzuhalten. Für die nunmehr vorgesehene Prämienzahlung (§ 53 Abs. 1 Satz 2 SGB V 2007) gilt Vergleichbares.

22

Dagegen dürfte die zum 1. April 2007 erfolgte Ausweitung der Berechtigung auf alle Pflichtversicherten für den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV kaum relevant sein. Deren Versicherungspflicht entfällt durch die Einführung des Selbstbehalts nicht. Nicht ganz ausgeschlossen ist allerdings, dass die Krankenversicherungen der PKV Zusatzversicherungen anbieten, die die durch den Selbstbehalt gelassene Lücke abdecken 20 Das ist freilich nur der Fall, wenn der Wahltarif „Kostenerstattung“ eine Variation der Leistungsstandards der GKV tatsächlich ermöglicht, dazu näher Rdnr. 29 ff.

III. Die Wahltarife und ihr Wettbewerbspotential

21

und insoweit mit den Prämienzahlungen der Krankenkassen der GKV konkurrieren. 2. Nichtinanspruchnahme, § 53 Abs. 2 SGB V 2007 Die in § 53 Abs. 2 SGB V 2007 geregelte Prämienzahlung für die Nichtinanspruchnahme der GKVentspricht der Sache nach der Regelung in § 54 SGB Va. F.21

23

Inwieweit sie einen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV begründen oder auch verzerren kann, ist fraglich. Für die in der GKV Pflichtversicherten kann dies ausgeschlossen werden; denn hier trägt die Prämienzahlung im Ergebnis nur dazu bei, die Beiträge der Versicherten zu senken. Sie eröffnet ihnen jedoch keine Wahlmöglichkeit zwischen GKV und PKV. Dass die Krankenversicherungen der PKV Zusatzversicherungen anbieten werden, die es den Mitgliedern der GKV ermöglichen würden, die für die Nichtinanspruchnahme vorgesehenen Prämienzahlungen zu erhalten, ist wenig wahrscheinlich.

24

Anders liegen die Dinge mit Blick auf die freiwillig Versicherten. Für sie, für die im Übrigen auch die Vorgängerregelung bereits galt, stellt die Prämienzahlung ein wirtschaftliches Pendant zu der in der PKV gängigen Beitragsrückerstattung dar. Vor diesem Hintergrund ist die Wahlleistung nach § 53 Abs. 2 SGB V 2007 grundsätzlich geeignet, freiwillig Versicherte in der GKV von einem Wechsel in die PKV abzuhalten. Sie ist insoweit wettbewerbsrelevant.

25

3. Besondere Versorgungsformen, § 53 Abs. 3 SGB V 2007 Soweit die Krankenkassen der GKV besondere Versorgungsformen anzubieten haben – Modellvorhaben, die hausarztzentrierte Versorgung, Tarife mit der Bindung an bestimmte Leistungserbringer, „Disease Management Programmes“ (DMP) oder eine integrierte Versorgung – und dafür Prämienzahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen können (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V 2007), betrifft dies die Art und Weise der Leistungserbringung, nicht durch eine Krankenversicherung in der PKV substituierbare Leistungen. Insofern spielt der Wahltarif „Besondere Versorgungsformen“ zwar für den Wettbewerb unter den Krankenkassen der GKV eine Rolle, nicht jedoch für den Wettbewerb mit den Krankenversicherungen der PKV.

26

4. Kostenerstattung, § 53 Abs. 4 SGB V 2007 Nach § 53 Abs. 4 SGB V 2007 kann eine Krankenkasse der GKV in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder für sich und ihre mitversicherten Angehörigen Tarife für Kostenerstattung wählen können. Die Krankenkasse kann die Höhe der 21

BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108.

27

22

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV

Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. Auf das Wettbewerbsverhältnis zu den Krankenversicherungen der PKV kann dies Auswirkungen zeitigen, wenn die Krankenkassen der GKV damit auch den Leistungsstandard variieren dürfen (a), und zwar mit Blick auf die Höhe der Kostenerstattung wie der Prämienzahlungen (b). Das gilt für sämtliche Versicherten (c). a) Variation des Leistungsstandards 28

Auswirkung auf das Wettbewerbsverhältnis zu den Krankenversicherungen der PKV hat der „Wahltarif Kostenerstattung“ jedenfalls dann, wenn damit auch eine Variation des Leistungsstandards verbunden ist. Denn dieser ist stets auch potentieller Gegenstand einer in der PKV abzuschließenden Zusatzversicherung. Ob eine solche Variation des Leistungsstandards zulässig ist, ist umstritten.

29

Einerseits bestimmt die auf die Kostenerstattung zugeschnittene Regelung von § 13 Abs. 2 Satz 9 SGB V 2007, dass der Anspruch auf Erstattung höchstens in Höhe der Vergütung besteht, die die Krankenkassen bei Erbringung als Sachleistung zu tragen haben. Auch der Umstand, dass § 53 Abs. 4 Satz 3 SGB V 2007 die Bestimmungen des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 ausdrücklich ausschließt, Satz 9 jedoch nicht erwähnt, kann – e contrario – den Schluss nahe legen, dieser müsse auch auf den Wahltarif Anwendung finden, so dass etwa Chefarztbehandlung und Ein- und Zweibettzimmer als Wahlleistungen unzulässig wären.22

30

Dagegen sprechen freilich nahezu alle Gesichtspunkte einer methodengerechten Interpretation. Unter systematischen Gesichtspunkten spricht schon die vom Gesetz vorgenommene Trennung zwischen der allgemeinen Regelung zur Kostenerstattung in § 13 SGB V 2007 und dem „Wahltarif Kostenerstattung“ in § 53 Abs. 4 SGB V gegen den völligen Gleichlauf beider Regelungen; andernfalls wäre der Wahltarif praktisch überflüssig.23 Dagegen spricht ferner die Möglichkeit der Krankenkassen, die Kostenerstattung zu variieren und hierfür unterschiedlich hohe Prämienzahlungen durch die Versicherten vorzusehen. Ausdrücklich weist die Gesetzesbegründung sogar auf die Möglichkeit hin, eine Erstattung des 2,3-fachen Satzes nach GoÄ / GoZ vorzusehen,24 was dem Leistungssatz der PKV entspricht und über den in § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V 2007 geregelten Leistungsumfang hinausgeht. Auch das Anliegen des GKV-WSG, die GKV gegenüber der PKV attraktiv und wettbewerbsfähig zu machen,25 legt dieses Verständnis nahe. 22 So mit beachtlichen Gründen J. Isensee, Wahltarif „Krankenhauskomfort“, NZS 2007, 449 ff. 23 T. Kingreen, Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Umdr. 34. 24 BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108 f. 25 BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 108 f.

III. Die Wahltarife und ihr Wettbewerbspotential

23

Der in § 53 Abs. 4 Satz 3 SGB V 2007 enthaltene Ausschluss von § 13 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGB V 2007 beschränkt sich insoweit lediglich auf die dort geregelten Verfahrensbestimmungen. Das bestätigt – last not least – auch die Entstehungsgeschichte. Nach Auffassung des Bundesversicherungsamtes darf der „Wahltarif Kostenerstattung“ daher zwar nicht zu Leistungsausweitungen oder -begrenzungen führen, wobei es sich auf die in § 53 Abs. 4 Satz 3 SGB V 2007 enthaltene Verweisung beruft, die lediglich § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 4 SGB V 2007 ausschließe, nicht jedoch § 13 Abs. 1 SGB V 2007. Nach § 13 Abs. 1 SGB V 2007 aber könnten die Versicherten „anstelle“ der Sach- oder Dienstleistung auch Kostenerstattung wählen. Deshalb sollen auch nach Auffassung der Behörde Chefarztbehandlung sowie Ein- und Zwei-Bettzimmer durch den „Wahltarif Kostenerstattung“ abgesichert werden können, weil ärztliche Behandlung und Unterbringung Bestandteile der Krankenhausbehandlung seien.26

31

b) Leistungsniveau und Prämienzahlungen Folgt man der Auffassung, wonach der „Wahltarif Kostenerstattung“ die Krankenkassen der GKV jedenfalls zu einer Variation des Leistungsniveaus ermächtigt, so hat dies notgedrungen auch Auswirkungen auf den Wettbewerb mit den Krankenversicherungen der PKV. Denn soweit die Krankenkassen der GKV und die Krankenversicherungen der PKV Versicherungen anbieten (können), die dieselben Leistungen abdecken, sich hinsichtlich des Leistungsumfangs wie der Prämienzahlungen jedoch unterscheiden, besteht zwischen ihnen Wettbewerb.

32

c) Kreis der Versicherten Der „Wahltarif Kostenerstattung“ steht, anders als früher, nicht nur freiwillig Versicherten offen, sondern – nach Maßgabe der Satzung der jeweiligen Krankenkasse – sämtlichen Mitgliedern der GKV.

33

5. Wahltarif „Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen“, § 53 Abs. 5 SGB V 2007 Soweit die Krankenkassen der GKV in ihrer Satzung auch die Übernahme von Kosten für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen vorsehen können, insbesondere die Übernahme von Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arzeimittel, handelt es sich ebenfalls um eine Leistungsausweitung. Denn solche Arznei26 Generalrundschreiben des Bundesversicherungsamtes vom 13. März 2007 – Umsetzung des GKV-WSG, S. 5.

34

24

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV

mittel sind von der Regelversorgung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V 2007 nicht umfasst. Konsequenterweise verpflichtet das Gesetz die Krankenkassen der GKV deshalb auch zur Erhebung spezieller Prämienzahlungen von den Versicherten, § 53 Abs. 5 SGB V 2007. 35

Es liegt auf der Hand, dass die Krankenkassen der GKV im Hinblick auf diesen Wahltarif in einem Wettbewerbsverhältnis zu den Krankenversicherungen der PKV stehen, weil diese das entsprechende Risiko – etwa für die Erstattung homöopathischer Arzneimittel – durch Zusatzversicherungen abdecken.

6. Krankengeldversicherung, § 53 Abs. 6 SGB V 2007 36

Für hauptberuflich selbständig Erwerbstätige sowie für Arbeitnehmer, die keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitsunfähigkeit haben (§ 44 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB V 2007), sowie für die in § 46 Satz 2 SGB V 2007 genannten Mitglieder (Künstlersozialversicherung) haben die Krankenkassen der GKV ihren Mitgliedern Tarife anzubieten, die einen Anspruch auf Krankengeld entstehen lassen, für die in der Künstlersozialversicherung Versicherten jedenfalls mit Beginn der dritten Woche der Arbeitsunfähigkeit. Entsprechend der Leistungserweiterung haben sie insoweit Prämienzahlungen des Mitglieds vorzusehen, § 53 Abs. 6 Satz 2 SGB V 2007.

37

Dass dieser Wahltarif im Wettbewerb zu den Krankenversicherungen der PKV angeboten wird, liegt auf der Hand. Sämtliche Krankenversicherungen können Kunden anführen, die entsprechende Zusatzversicherungen abgeschlossen haben. Soweit diese Kunden in der GKV versichert sind, besteht Wettbewerb.

7. Prämienzahlung für Leistungsbeschränkung, § 56 Abs. 7 SGB V 2007 38

Soweit die Krankenkassen der GKV für bestimmte Mitgliedergruppen, für die sie den Umfang der Leistungen nach dem SGB V beschränken, Prämienzahlungen vorsehen können, § 53 Abs. 7 SGB V 2007, haben die bislang zur Teilkostenerstattung berechtigten Angestellten der Krankenkassen, Beamten etc. die Möglichkeit, sich auch privat zu versichern. Die Prämienzahlungen stehen insoweit in einem Wettbewerbsverhältnis zu den Krankenversicherungen der PKV.

IV. Die Auswirkungen der Wahltarife auf den Wettbewerb

25

IV. Die Auswirkungen der Wahltarife auf den Wettbewerb 1. Tatsächliches Angebot an Wahltarifen Seit dem Inkrafttreten des GKV-WSG am 1. April 2007 können von den Krankenkassen der GKV Wahltarife beantragt und angeboten werden. Allein bei der AOK Rheinland / Hamburg wurden bis Ende Juli 2007 ca. 3300 Policen ausgestellt; der Wettbewerb funktioniert offensichtlich.27

39

Darüber hinaus sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mittlerweile (Stand Juli 2007) in ganz Deutschland eine Fülle von Wahltarifen beantragt bzw. bereits im Angebot.28

40

2. Quersubventionierung a) Adressbestand In den Krankenkassen der GKV sind ca. 90% der Bevölkerung (pflicht-)versichert. Der damit verbundene zentrale Adressbestand steht den Krankenkassen der GKV auch für den Vertrieb ihrer Zusatzangebote, insbesondere der Wahltarife zur Verfügung.

41

b) Personal- und Sachmittel Ferner können die Krankenkassen der GKV mit dem aus der Regelversorgung vereinnahmten bzw. zugewiesenen Beitragsaufkommen finanzierte Personal- und Sachmittel (Gebäude, EDV-Bestände etc.) auch nutzen, um ihre freiwilligen Angebote auf- und auszubauen, zu bewerben und zu verwalten. Das gilt namentlich für die Wahltarife des § 53 SGB V 2007.

42

Ungeachtet des § 53 Abs. 9 SGB V 2007 haften die Krankenkassen der GKV auch für die Unterfinanzierung ihrer Wahltarife. Schuldnerin der Wahlleistungen bleibt die Krankenkasse als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie hat im Fall der Unterfinanzierung von Wahlleistungen diese aus ihrem Haushalt auszugleichen. Da die Krankenkassen der GKV aus staatlichen Mitteln finanziert werden, stellen entsprechende Haftungsverpflichtungen erhebliche Wettbewerbsvorteile dar.

43

27 Financial Times Deutschland vom 31. Juli 2007: „AOK Rheinland trumpft auf mit Zusatzpolicen“. 28 Übersicht Anhang 1.

26

B. Die Wahltarife im Wettbewerb zwischen GKV und PKV

c) Sonstige Vorteile 44

Diese Privilegierung wird bis auf weiteres noch dadurch verschärft, dass die Krankenkassen der GKV bislang nicht insolvenzfähig sind – sofern das Landesrecht dies bestimmt (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Denn auch die Insolvenzunfähigkeit vermittelt (wirtschaftliche) Stabilität und ist insoweit ein erheblicher Wettbewerbsvorteil.29 Von der Ermächtigung haben eine Vielzahl von Ländern Gebrauch gemacht.30 Für die Zukunft sieht das SGB V 2007 zwar eine allgemeine Insolvenzfähigkeit der Krankenkassen der GKV vor; sie soll jedoch erst zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesundheitsfonds bundesgesetzlich geregelt werden (§ 171b SGB V).

45

Die Krankenkassen der GKV werden schließlich auch steuerlich privilegiert. Die Krankenkassen der GKV (§ 4 Abs. 5 KStG) unterliegen, anders als die Krankenversicherungen der PKV (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 KStG), nicht der Körperschaftssteuer und sind auch von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 15 UStG).

46

Sie unterliegen ungeachtet der Pflichten aus § 261 f. SGB V 2007 keiner der PKV vergleichbaren Rücklagenpflicht (§ 12, 12a VAG – Altersrückstellungen; § 37 VAG – Verlustrücklage) und haben Anspruch auf den sog. Apothekenabschlag (§§ 130, 130a SGB V 2007).

47

Zudem können die Krankenkassen der GKV ihre Forderungen im Wege der Verwaltungsvollstreckung beitreiben (§ 66 SGB X).

3. Deckelung gemäß § 53 Abs. 8 SGB V 2007 48

Nach § 53 Abs. 8 Satz 4 SGB V 2007 darf die Prämienzahlung an Versicherte bis zu 20 vom Hundert betragen, für einen oder mehrere Tarife 30 vom Hundert der im Kalenderjahr getragenen Beiträge, jedoch nicht mehr als 600 A, bei einem oder mehreren Tarifen einschließlich Prämienzahlungen nach § 242 SGB V 900 A jährlich. Auch wenn dadurch ausweislich der Gesetzesbegründung Missbrauchsmöglichkeiten verhindert und der Äquivalenzgrundsatz sichergestellt werden sollen, so ist das Volumen doch groß genug, um – wo dies von der Struktur des Wahltarifs her möglich ist – einen effektiven Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV zu ermöglichen.

29 Das kann auch für die Bedienung von Krediten von Bedeutung sein. Zwar dürfen die Krankenkassen der GKV nach den Regelungen des SGB V keine Darlehen aufnehmen, Gesetzesbegründung zu § 242, BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 165; in der Praxis kommt dies jedoch immer wieder vor; siehe LG Düsseldorf, WM 2006, 2000; S. Schwink, Zur Kreditaufnahme durch eine gesetzliche Krankenkasse, EWiR 2006, 39 f. 30 BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 156.

IV. Die Auswirkungen der Wahltarife auf den Wettbewerb

27

4. Zur Bedeutung von § 53 Abs. 9 SGB V 2007 Dem steht § 53 Abs. 9 Satz 1 SGB V 2007 nicht entgegen. Zwar bestimmt dieser, dass die Auswirkungen für jeden Wahltarif aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen erwirtschaftet werden müssen, die durch diese Maßnahmen erzielt werden. Ausweislich der Ausschussbegründung soll damit klar gestellt werden, dass sich die auf der Grundlage von § 53 SGB V 2007 angebotenen Wahltarife jeweils selbst tragen müssen – durch zusätzliche Beiträge, Einsparungen und Effizienzsteigerungen.31

49

§ 53 Abs. 9 SGB V 2007 schließt es jedoch nicht aus, das aus den Beiträgen zur GKV finanzierte Personal sowie die sächliche und räumliche Infrastruktur auch für die Verwaltung der Wahltarife einzusetzen. Er ordnet namentlich keine Trennung zwischen dem Aufwand für die Regelversorgung und der Verwaltung der Wahltarife an. Ebenso wenig beschränkt er die Haftung der Krankenkassen oder unterwirft sie einer den Krankenversicherungen der PKV vergleichbaren Versicherungsaufsicht bzw. -überwachung (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 81 ff. VAG). Eine § 81d VAG vergleichbare sanktionsbewehrte Verpflichtung, Rückstellungen für erfolgsabhängige Beitragsrückerstattungen vorzunehmen, kennt das SGB V ebenfalls nicht.

50

31

Ausschussbegründung, BT.-Drucks. 16 / 4200, S. 26 f. bzw. 16 / 4247, S. 35.

C. Verfassungsrechtliche Würdigung 51

Die Einführung der Wahltarife und die damit einhergehende Begründung von Wettbewerbsverhältnissen zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV durch das GKV-WSG ist unter dem Blickwinkel des nationalen Verfassungsrechts an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen (I.); Art. 2 Abs. 1 tritt dahinter zurück (II.), nicht jedoch die durch Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG geschützte Chancengleichheit im Wettbewerb (III). Die Mitglieder der GKV werden durch § 53 SGB V 2007 dagegen nicht in ihren Grundrechten betroffen (IV.).

I. § 53 SGB V 2007 und die Wettbewerbsfreiheit 52

In der Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes schützt das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen und Unternehmen.32 Nach mittlerweile herrschender, vom Bundesverfassungsgericht geteilter Auffassung, sichert es damit auch die Wettbewerbsfreiheit grundrechtlich ab33 (1.). Die Einführung der Wahltarife durch § 53 SGB V 2007 verändert zwar die Wettbewerbssituation der Krankenversicherungen der PKV. Sie stellt sich jedoch nicht als Beschränkung bzw. Eingriff in ihre grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit dar (2.). 1. Schutzbereich der Wettbewerbsfreiheit

53

Ungeklärt ist allerdings, wie weit der Schutz der Wettbewerbsfreiheit reicht. Hier zeichnen sich insbesondere zwischen der jüngeren Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts und der überkommenen, in der Lehre nach wie vor herrschenden Auffassung nicht unerhebliche Diskrepanzen ab. BVerfGE 32, 311 / 317; 46, 120 / 137 f.; 105, 252 / 265. BVerfGE 105, 252 / 265, 279; U. Di Fabio, in: Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 116 ff.; H. D. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 12 Rdnr. 15; G. Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band I, 5. Aufl., 2005, Art. 12 Abs. 1 Rdn. 70; U. Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 1997, S. 272; C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Band I, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 146; ebenso, allerdings auch unter diffuser Bezugnahme auch auf Art. 14 Abs. 1 GG R. Scholz, in: Maunz / Dürig, Art. 12 Rdnr. 79 ff., 123 ff.; ders., Zur Wettbewerbsgleichheit von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, 1991, S. 32 f. 32 33

I. § 53 SGB V 2007 und die Wettbewerbsfreiheit

29

a) Der enge Ansatz der Rechtsprechung Die neuere Rechtsprechung des BVerfG neigt zu einer funktionalen Bestimmung des Schutzbereichs der Wettbewerbsfreiheit. Danach sichert sie bzw. Art. 12 Abs. 1 GG, wie es etwa im Glykol-Beschluss heißt, (nur) „die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen“. Wörtlich heißt es insoweit:

54

„Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art. 12 Abs. 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen. Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst dementsprechend nicht einen Schutz vor Einflüssen auf die wettbewerbsbestimmenden Faktoren. Insbesondere umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten ( . . . ). Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch der Umsatz und die Erträge dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen“.34

b) Einwände Diese Schutzbereichsbestimmung erscheint jedoch zu eng und wird von der überwiegenden Auffassung im Schrifttum abgelehnt. Zwar trifft es zu, dass Art. 12 Abs. 1 GG – ebenso wenig wie Art. 2 Abs. 1 GG – „Erfolg im Wettbewerb“ garantiert. Dies hat seinen Grund jedoch in dem Umstand, dass im Wettbewerb – auf der Basis multipolarer Rechtsverhältnisse – grundrechtlich geschützte Interessen unterschiedlicher Teilnehmer zusammentreffen – der Konkurrenten, der Verbraucher etc.35 Da diese – i. d. R. ebenfalls grundrechtlich geschützten – Interessen mit den auf eine Optimierung der eigenen Wettbewerbsposition drängenden Interessen des einzelnen Unternehmers kollidieren, bedarf es eines schonenden Ausgleichs, der einen partikularen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb ausschließt.36

55

Anders als im Unionsrecht (Art. 14 EG) werden der Wettbewerb und seine Funktionsfähigkeit jedoch nicht über Art. 12 GG geschützt. Insbesondere kann dem Grundrecht auch keine institutionelle Garantie des Wettbewerbs und seiner Funktionsbedingungen entnommen werden.37

56

Maßgebliches Schutzgut des Art. 12 GG ist vielmehr die Wettbewerbsfreiheit des Einzelnen.38 Dabei haben die Wettbewerber zwar keinen grundrechtlichen An-

57

34

BVerfGE 105, 252 / 265 – Glykol; H. D. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rdnr.

15. BVerwGE 118, 270 / 276; H. D. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rdnr. 15. BVerfGE 24, 236 / 251; 34, 252 / 256; 116, 135 / 152; H. D. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rdnr. 15. 37 P. M. Huber, Die Informationstätigkeit der öffentlichen Hand – ein grundrechtliches Sonderregime aus Karlsruhe?, JZ 2003, 290 / 292. 35 36

30

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

spruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben;39 die gesetzlichen Rahmenbedingungen eines Marktes sind aber dann am Maßstab des Art. 12 GG zu prüfen, wenn sie die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen begrenzen und berufsregelnde Tendenz besitzen.40 58

Eine ganz andere Frage ist es, ob und inwieweit der Staat lenkend in den Wettbewerb eingreifen darf. Angesichts der dem Grundgesetz zugrunde bzw. voraus liegenden Unterscheidung von Staat und Gesellschaft macht es für die grundrechtliche Beurteilung einen kategorialen Unterschied, ob eine Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse durch das gleichermaßen grundrechtlich geschützte Verhalten privater Konkurrenten erfolgt oder durch eine Intervention des in seinem gesamten Verhalten rechtfertigungspflichtigen Staates.

59

Deshalb muss die Wettbewerbsfreiheit über die berufliche Betätigung hinaus auch die Freiheit vor staatlicher Behinderung oder Verzerrung des Wettbewerbs gewährleisten, im Sinne einer Freiheit, sich ohne staatliche Ingerenz im Wettbewerb durchzusetzen.41 Sie umfasst auch das Interesse, durch die Staatsgewalt nicht mit einem Wettbewerbsnachteil belastet zu werden, der in der verfassungsmäßigen Ordnung nicht begründet ist.42 Im bipolaren Rechtsverhältnis zwischen Bürger und Staat schützt Art. 12 Abs. 1 GG konsequenterweise durchaus davor, dass die Wettbewerbsstellung des Einzelnen durch staatliche Interventionen beeinträchtigt wird.43 Staatliche Interventionen sind grundsätzlich rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Interessen und dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG nicht von vornherein entzogen.44

60

Die Rechtsprechung, die den Schutz der Wettbewerbsfreiheit auf das vollständige Ausschalten privater Konkurrenz reduziert, wird deshalb zu Recht kritisiert, soweit sie dies neuerdings mit der Gleichsetzung von öffentlichen und privaten Einwirkungen auf den Wettbewerb begründet.45 Da der Staat und seine Trabanten 38 P. M. Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, 2004, S. 897 / 913 . 39 BVerfGE 106, 275 / 299 – „Festbetrag“. 40 BVerfGE 106, 275 / 299 – „Festbetrag“. 41 P. M. Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, S. 897 / 916; Th. Puhl, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), 456 / 481. 42 BVerwGE 71, 183 / 190. 43 BVerfGE 86, 28 / 37, ein Grundrechtseingriff liegt vor, wenn „ . . . durch staatliche Maßnahmen der Wettbewerb beeinträchtigt und die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dadurch behindert wird“; P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 322 m. w. N.; H. D. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, 6. Aufl., 2002, Art. 12 Rdnr. 15; U. Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 198 f. 44 BVerfGE 86, 28 / 37. 45 P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 322, W. Löwer, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), S. 416 / 445; J. Suerbaum, Durchbruch oder Pyrrhussieg? – Neues zum Schutz Privater vor der Kommunalwirtschaft, DV 2007, 29 / 48; S. Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 160.

I. § 53 SGB V 2007 und die Wettbewerbsfreiheit

31

nicht Grundrechtsträger, sondern Grundrechtsverpflichtete sind, für sie das Grundrecht der Wettbewerbsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) daher nicht gilt, stellen staatliche Interventionen in den Wettbewerb, etwa das „Hinzutreten des Staates als Konkurrent“, nicht „lediglich eine systemimmanente Verschärfung des marktwirtschaftlichen Konkurrenzdrucks“ dar,46 sondern eine potentielle grundrechtsbeschränkende und rechtfertigungsbedürftige Maßnahme. Ohne die Besinnung auf die Rolle der Grundrechte als im Status negativus angesiedelte Abwehrrechte bliebe jede staatliche Intervention ungebändigt. Die richtige und erlösende Einsicht der jüngeren berufsrechtlichen Rechtsprechung,47 dass der Schutz der Berufsfreiheit nicht durch eine voreilige Beschränkung auf der Schutzbereichsebene relativiert werden darf, weil dies eine Grundrechtsgeltung nach Maßgabe des Gesetzes zur Folge hätte, diese Einsicht gilt auch bei Eingriffen in den Wettbewerb, will man eine Grundrechtsgeltung nach Maßgabe der Erfordernisse von Staatsleitung und Staatsraison vermeiden.

61

2. § 53 SGB V 2007 – Vorschrift „mit berufsregelnder Tendenz“? Um Gesetze mit diffusen Auswirkungen auf die Berufstätigkeit von solchen unterscheiden zu können, die das Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG tatsächlich beeinträchtigen, hat das BVerfG das Kriterium der „objektiv berufsregelnden Tendenz“ entwickelt. Es dient namentlich dazu, die grundrechtliche Zurechnung bestimmter Gesetzesfolgen zu begrenzen und soll verhindern, dass jede staatliche Regelung, die sich auch nur irgendwie ungünstig auf berufliche Aktivitäten auswirkt, am Maßstab des Art. 12 GG gemessen werden muss. Denn dadurch erlangte die Berufsfreiheit einen umfassenden Schutzbereich, ähnlich dem der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG.48 Mit dem Kriterium der „berufsregelnden Tendenz“ sollen namentlich solche Fälle aus dem Schutzbereich des Art. 12 GG ausgeschieden werden, die ihren Grund in allgemeinen, nicht „berufsspezifischen“ Regelungen finden49 und keinen „unmittelbaren Bezug zum Gegenstand haben“.50 Das betrifft z. B. allgemeine Haftungsregeln oder das Schuldrecht des BGB.

62

Das BVerfG greift auf dieses Kriterium nicht nur in ständiger Rechtsprechung zurück;51 es versteht dieses auch restriktiv: So soll z. B. die gesetzliche Ermächtigung der Bundesverbände der Krankenkassen zur Festbetragsfestsetzung (§ 35 SGB

63

So aber BVerwGE 71, 183 / 193. BVerfGE 102, 197 ff. – Spielbanken Baden-Württemberg; BVerwGE 96, 302 ff. – Spielbank Lindau. 48 H. D. Jarass, Kommunale Wirtschaftsunternehmen im Wettbewerb, 2002, S. 18 f. 49 BVerfGE 96, 375 / 397. 50 BVerfGE 13, 181 / 185. 51 Grundlegend: BVerfGE 13, 181 / 185. 46 47

32

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

V) keine berufsregelnde Tendenz besitzen, die Auswirkungen sollen bloßer Reflex der auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelung sein: „Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht deshalb berührt, weil den zur Prüfung gestellten Gesetzesnormen (§§ 35, 36 SGB V) über die faktisch mittelbaren Folgen für Hersteller und Leistungserbringer hinaus eine berufsregelnde Tendenz zukäme. Die Auswirkungen auf deren Berufsausübung sind bloßer Reflex der auf das System der gesetzlichen Krankenversicherung bezogenen Regelung.“52

64

In der Literatur wird diese Argumentationsfigur kritisiert, weil sie nicht aus Art. 12 GG hergeleitet werden kann.53 In der Tat zeigt gerade der Fall der Festbetragsregelung, dass die Feststellung einer „berufsregelnden“ Tendenz in höchstem Maße unpräzise, subjektiv, ja arbiträr ist. Denn die Wirtschaftlichkeitsreserven werden hier nicht unmittelbar durch Festbetragsfestsetzungen ausgeschöpft, sondern dadurch, dass ein Preiswettbewerb unter den Arzneimittelherstellern ausgelöst wird. Die Festsetzung beeinflusst die Preisbildung der Arzneimittelhersteller – und das ist durch die Festbetragsregelung auch ausdrücklich bezweckt. Weil sich die Arzneimittelhersteller von hochpreisigen Medikamenten – so das BVerfG – „veranlasst sehen [sollen], ihre Preise zu senken“, ist sie eine wirtschaftslenkende Regelung par excellence. „Es wird erwartet, daß sich über solche Preissenkungen das gesamte Preisgefüge verändert“.54 Dennoch hat das Gericht der gesetzlichen Regelung die berufsregelnde Tendenz abgesprochen und dies damit begründet, dass sie der vom Gesetzgeber vorgesehene Weg sei, um den Gesetzesadressaten die Beachtung des ihnen rechtlich vorgegebenen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen. Das diene dazu, das Leistungssystem der Krankenversicherung funktionsfähig zu halten. Nachvollziehbar ist das nicht.55 a) Die Auswirkungen der Wahltarife auf die Wettbewerbsstellung der Krankenversicherungen der PKV

65

Wie bereits dargelegt, können die Krankenkassen der GKV auch insoweit als sie mit Krankenversicherungen der PKV im Wettbewerb stehen, auf eine Reihe von Strukturvorteilen zurückgreifen, die ihre Wettbewerbsposition nachhaltig stärken: fehlende Umsatz- und Körperschaftssteuerpflicht, Befugnis zur Verwaltungsvollstreckung u. a. m.

66

Sie können das für die Regelversorgung vereinnahmte bzw. zugewiesene Beitragsaufkommen bis zu einem gewissen Grade auch für das Angebot und die VerBVerfGE 106, 275 / 299 – „Festbetrag“. G. Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdn. 74. 54 BVerfGE 106, 275 / 300 – „Festbetrag“. 55 BVerfGE 106, 275 / 300 – „Festbetrag“; weitere Beispiele für die inkonzise Rechtsprechung des BVerfG bei G. Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdn. 73 f. 52 53

I. § 53 SGB V 2007 und die Wettbewerbsfreiheit

33

waltung der Wahltarife einsetzen und diese so quersubventionieren. Das betrifft die für den Pflichtversicherungsbereich vorgehaltene personelle und sachliche Infrastruktur, für die keine Trennung zwischen dem Aufwand für die Regelversorgung und den Wahltarifen stattfindet; es betrifft die Verwendung des zentralen Adressbestandes sowie die Haftung der Krankenkassen der GKV für eine eventuelle Unterfinanzierung. Gleichzeitig profitieren diese davon, dass sie, anders als die Krankenversicherungen der PKV, keinen der Versicherungsüberwachung vergleichbaren Pflichten unterliegen und im Wesentlichen allein einer Rechtsaufsicht unterworfen sind (§§ 87, 89 SGB IV). Dieser „Quersubventionierung“ steht § 53 Abs. 9 Satz 1 SGB V 2007 nicht entgegen. Zwar will er, dass sich die auf der Grundlage von § 53 SGB V 2007 geschaffenen Wahltarife jeweils selbst tragen – durch zusätzliche Beiträge, Einsparungen und Effizienzsteigerungen.56 Er enthält jedoch keine detaillierte und bereichsspezifische Konkretisierung, die die skizzierten Effekte verhindern könnte.

67

b) Beurteilung am Maßstab der Rechtsprechung An den Kriterien der Rechtsprechung des BVerfG und der restriktiven Handhabung des Merkmals der „objektiv berufsregelnden Tendenz“ gemessen sowie mit Blick auf das in jüngster Zeit dort zugrunde gelegte funktionale Verständnis der Wettbewerbsfreiheit dürfte eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs von Art. 12 Abs. 1 GG bzw. ein Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit ausscheiden.

68

Zunächst liegt die Parallele zur Festbetragsentscheidung auf der Hand: Auch § 53 SGB V 2007 wendet sich an die Krankenkassen der GKV, nicht an die Krankenversicherungen der PKV; auch er bezweckt, die Leistungsfähigkeit der GKV zu stärken, in dem der Wettbewerb verschärft wird, wobei hier in erster Linie der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV gemeint ist. Auswirkungen auf die Krankenversicherungen der PKV sind unter diesem Blickwinkel bloße Reflexe. Gegen eine berufsregelnde Tendenz der Wahltarife spricht auch, dass die Krankenkassen der GKV nicht ermächtigt sind, durch die Einführung von Wahltarifen, Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die Einführung der Wahltarife ist keine Maßnahme der Wirtschaftslenkung.

69

Zudem hat der Erste Senat aus dem funktionalen Verständnis der Wettbewerbsfreiheit den Schluss gezogen, dass der Staat die Wettbewerbsfreiheit nicht beeinträchtige, wenn er mit wettbewerbskonformen Mitteln am Wettbewerb teilnimmt57 und den Wettbewerb als Institution befördert. Er hat insoweit festgestellt, dass marktbezogene Informationen des Staates den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber nicht beeinträchtigten, „sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach

70

56 57

Ausschussbegründung, BT.-Drucks. 16 / 4200, S. 27 bzw. 16 / 4247, S. 35. H. D. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rdnr. 15.

34

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

Maßgabe der rechtlichen Vorgaben“ erfolgt;58 Vergleichbares gilt für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags.59 71

Überträgt man dies auf den hier interessierenden Bereich, so ist die Eröffnung oder Verstärkung des Wettbewerbs zwischen den Krankenversicherungen der PKV und den Krankenkassen der GKV mit Blick auf die Wettbewerbsfreiheit ohne Bedeutung, solange sie nur unter marktkonformen Bedingungen erfolgt.

c) Beurteilung am Maßstab eines freiheitlichen Verständnisses der Wettbewerbsfreiheit 72

Die besseren Argumente sprechen freilich dafür, das Kriterium der „objektiv berufsregelnden Tendenz“ an die Frage der Zurechenbarkeit der Gesetzesfolgen zu knüpfen.60 Das ermöglicht zugleich ein an der Freiheit des Einzelnen vor staatlicher Ingerenz orientiertes Verständnis der Wettbewerbsfreiheit (aa). Zu einem anderen Ergebnis führt dies allerdings nicht (bb).

73

aa) Erkennt man an, dass die durch Art. 12 GG garantierte Wettbewerbsfreiheit das Interesse jedes Berufstätigen schützt, sich frei von staatlicher Ingerenz am Wettbewerb beteiligen und durchsetzen zu können, dann kann es auf die Modalitäten der Beeinträchtigung dieses Rechtes nicht ankommen, dann ist es zweitrangig, ob der Staat imperativ, d. h. unmittelbar und final61 die Grundrechtssphäre seiner Bürger verkürzt oder ob er sich hierfür Dritter bedient und diese so steuert und instrumentalisiert, dass sie gleichsam zum Werkzeug der öffentlichen Hand werden. Entscheidend kann mit Blick auf die in Art. 1 Abs. 3 GG angeordnete umfassende Bindung des Staates an die Grundrechte allein sein, ob die Auswirkungen einer Maßnahme dem Staat zugerechnet werden können, in den Worten des BVerfG, ob die faktischen und mittelbaren Beeinträchtigungen in „Zielsetzung und Wirkungen Eingriffen gleichkommen“.62 Das BVerwG spricht insoweit von einer „grundrechtsspezifischen Maßnahme“63, das BVerfG von einem „funktionalen Äquivalent“ und einer „eingriffsgleichen Wirkung“.64 BVerfGE 105, 252 / 268 – Glykol. BVerfGE 116, 135 / 152. 60 Zu den unterschiedlichen Perspektiven von Gesetzgeber und Betroffenen in diesem Zusammenhang P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 210 ff.; ders. Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 117. 61 BVerfGE 105, 279 / 300; B. Pieroth / B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 22. Aufl., 2006, S. 57; die dort genannten vier Kriterien reduzieren sich bei genauerem Hinsehen freilich auf Finalität und Unmittelbarkeit. Denn „imperatives“ Handeln kann in der Ordnung des Grundgesetzes nur durch Rechtsakt erfolgen und erschöpft sich der Sache nach in der unmittelbaren und zielgerichteten Auferlegung einer Belastung. 62 BVerfGE 116, 202 / 222. 63 BVerwGE 71, 183 / 194 64 BVerfGE 116, 202 / 222. 58 59

I. § 53 SGB V 2007 und die Wettbewerbsfreiheit

35

Auch die Wettbewerbsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG schützt deshalb nicht allein vor klassischen „Eingriffen“ des Staates, sondern vor allen der öffentlichen Hand zurechenbaren Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Interessen.65 Für die Zurechenbarkeit kommt es dabei auf eine Gesamtschau an, die Unmittelbarkeit, Finalität und Schwere der Interessenverkürzung bewerten muss.66 Bei einem negativen Ergebnis fehlt es „an der für die Grundrechtsbindung maßgebenden eingriffsgleichen Wirkung einer staatlichen Maßnahme“, ist die beim Einzelnen eingetretene Beeinträchtigung lediglich mittelbare Folge, bloßer Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten gesetzlichen Regelung.67

74

Ob eine staatliche Intervention in den Wettbewerb Beeinträchtigungs- bzw. Eingriffscharakter besitzt, hängt deshalb entscheidend von der Schwere der (zu erwartenden) Auswirkungen ab. Die Rechtsprechung setzt diese Schwelle sehr hoch an, mit der Folge, dass Art. 12 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht vor dem bloßen Hinzutreten des Staates oder seiner „Trabanten“ im Wettbewerb schützt,68 etwa der Krankenkassen der GKV als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nicht jede „Erschwerung“, sondern erst eine staatliche Monopolisierung69 oder ein „Verdrängungswettbewerb“70 erscheinen vor diesem Hintergrund zurechenbar und besitzen insoweit Grundrechtsrelevanz. Es kommt darauf an, ob private Konkurrenz „unmöglich“ gemacht wird,71 ob der Staat oder seine Trabanten den Wettbewerb erdrosseln, ob er die wirtschaftliche Lage des Unternehmers „in unerträglichem Maße und unzumutbar schädigt“.72

75

bb) Ob sich die obligatorischen und fakultativen Wahltarife nach § 53 SGB V 2007 vor diesem Hintergrund als Begrenzung der bzw. Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit qualifizieren lassen und in diesem Sinne eine „objektiv berufsregelnde Tendenz“ aufweisen, hängt von der Intensität der zu erwartenden Wettbewerbsverzerrungen ab. Diese erreichen – soweit bislang erkennbar – nicht die notwendige Schwelle.

76

65 P. M. Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, S. 897 / 910; St. Storr, Der Staat als Unternehmer, 2001, S. 167 ff. 66 BVerwGE 87, 37 / 44; 90, 112 / 121; P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 226 ff.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 71 ff.; ders., Die Informationstätigkeit der öffentlichen Hand – ein grundrechtliches Sonderregime aus Karlsruhe?, JZ 2003, 290 / 293; P. Lerche, Schutzbereich, Grundrechtsprägung, Grundrechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl., 2000, § 121 Rdnr. 45; D. Murswiek, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1021 / 1023 f.; F. Schoch, Staatliche Informationspolitik und Berufsfreiheit, DVBl. 1991, 667 / 670. 67 BVerfGE 116, 202 / 222. 68 BVerwGE 71, 183 / 193. 69 BVerwGE 17, 306 / 314. 70 RPfVerfGH, NVwZ 2000, 801 / 802. 71 BVerwGE 39, 329 / 337; BVerwG, DÖV 1996, 250. 72 BVerwGE 71, 183 / 191.

36

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

77

Obligatorische Wahltarife werden durch einen staatlichen Rechtsakt – das Gesetz (§ 53 Abs. 3 SGB V 2007, § 53 Abs. 6 SGB V 2007) – eingeführt. Sie beschränken die unternehmerische Freiheit der Krankenversicherungen der PKV zwar möglicherweise nicht final, nehmen sie jedoch als notwendige und sichere Folge des dadurch eröffneten Wettbewerbs in Kauf. Die negativen Auswirkungen auf die Berufsfreiheit der Krankenversicherungen der PKV werden jedoch erst über mehrere Stufen vermittelt. Zunächst müssen die Krankenkassen der GKV ihr Angebot umstellen; dieses muss sodann genehmigt werden, und in einem dritten und schwer prognostizierbaren Schritt müssen sich die Mitglieder der GKV für die neuen Angebote entscheiden.

78

Für die fakultativen Wahltarife gilt Vergleichbares, wobei zurechnungserschwerend noch hinzu kommt, dass das GKV-WSG dieses Angebot nicht verpflichtend vorgibt; freilich eröffnet § 53 SGB V 2007 den Krankenkassen der GKV insoweit auch keine allzu großen Spielräume.73

79

§ 53 SGB V 2007 enthält vor diesem Hintergrund keine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit; er besitzt auch nach der hier vertretenen Auffassung keine „objektiv berufsregelnde Tendenz“. Eine Monopolisierung liegt nicht vor, weil die Krankenversicherungen der PKV weiterhin ihre Zusatztarife anbieten können; Verdrängungstendenzen sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erkennen. Zwar gibt es Anhaltspunkte für eine Akzeptanz der Wahltarife und ein Interesse der Mitglieder der GKV alles „aus einer Hand zu erhalten“.74 Nichts spricht jedoch dafür, dass sie tatsächlich zu einer Verdrängung der Krankenversicherungen der PKV aus dem Markt führen werden. Soweit die Wahltarife der GKV den gesetzlichen Leistungskatalog einschränken, eröffnet dies den Krankenversicherungen der PKV sogar die Möglichkeit, mit neuen Angeboten auf dem Markt zu reüssieren.

80

Einschränkend ist zu berücksichtigen, dass sich die negativen wirtschaftlichen Folgen einzelner Wahltarife für Krankenversicherungen der PKV kumulieren können. Insoweit ist abschließend auf die Frage des sog. „additiven Grundrechtseingriff“ einzugehen.75 Diese Schwelle ist im vorliegenden Zusammenhang jedoch

73 Zum mangelnden Selbststand der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung P. M. Huber, Deutschland in der Föderalismusfalle?, 2003, S. 16; W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union 1995, S. 61 Fn. 100. 74 Financial Times Deutschland vom 31. Juli 2007: AOK Rheinland trumpft auf mit Zusatzpolicen. 75 Dazu BVerfGE 112, 304 / 320 – Observation mit GPS; 114, 196 / 247 – BSSG; P. M. Huber, Selbstverwaltung und Systemgerechtigkeit. Zu den Grenzen einer „Professionalisierung“ der Leitungsstrukturen Kassenärztlicher Vereinigungen, VSSR 2000, 369 / 386 ff.; F. Hufen, Staatsrecht II, Grundrechte, 2007, § 9 Rdnr. 16; G. Kirchhof, Kumulative Belastung durch unterschiedliche staatliche Maßnahmen, NJW 2006, 732; M. Kloepfer, Belastungskumulationen durch Normenüberlagerungen im Abwasserrecht, VerwArch 74 (1983), 201 ff.; J. Lücke, Der additive Grundrechtseingriff sowie das Verbot der übermäßigen Gesamtbelastung des Bürgers, DVBl. 2001, 1469 ff.

II. Kein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG

37

nicht erreicht. Vielmehr gilt auch hier, was der Zweite Senat des BVerfG zum BSSG ausgeführt hat: „Wenn eine Verletzung von Art. 12 GG allein durch wirtschaftliche Belastungen einzelner Berufsgruppen im Zusammenhang mit Maßnahmen der Kostendämpfung zur Sicherung der Beitragsstabilität geltend gemacht wird, lässt sich auch eine Überschreitung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums erst dann feststellen, wenn die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit hinreichend substantiiert ist und belegt werden kann. Solange die Prognosen des Gesetzgebers lediglich durch Vermutungen und Behauptungen der wirtschaftlich Betroffenen in Frage gestellt werden, kann das Bundesverfassungsgericht nicht eingreifen.“76

Vor diesem Hintergrund ist eine Veränderung der Wettbewerbsbedingungen durch den Gesetzgeber des GKV-WSG und die Eröffnung bzw. Intensivierung eines Wettbewerbs zwischen den Krankenversicherungen der PKV und den Krankenkassen der GKV schon keine Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit. Es fehlt daher an einem (potentiellen) Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.

81

II. Kein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG Folgt man der Auffassung der Rechtsprechung und besitzen die Regelungen des § 53 SGB V 2007 keine objektiv berufsregelnde Tendenz, dann ist damit auch der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG ausgeschlossen. Da das Kriterium der objektiv berufsregelnden Tendenz dazu dient, die Zurechenbarkeit von faktischen Auswirkungen eines Gesetzes für den Gesetzgeber zu begrenzen, kann seine Funktion nicht auf den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG begrenzt bleiben. Die Verneinung einer „objektiv berufsregelnden Tendenz“ etwa im Festbetragsurteil bedeutet nicht, dass die mit der Festbetragsregelung bewirkte Preissenkung nicht spezifisch durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interessen der Arzneimittelhersteller etc. beeinträchtigen würde; sie bedeutet vielmehr, dass die sie anordnenden Regelungen des SGB V (§§ 35, 36) nicht am Maßstab der Berufsfreiheit gemessen werden müssen, weil sie in einem normativen Sinne dem Gesetzgeber nicht zurechenbar sind.

82

Insoweit macht es keinen erheblichen Unterschied, durch welches Freiheitsrecht das jeweils betroffene Interesse geschützt wird. Im Verhältnis zu Art. 12 Abs. 1 GG bleibt Art. 2 Abs. 1 GG auch in diesen Fällen daher subsidiäres Auffanggrundrecht.77

83

Selbst wenn man den Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG aber zuließe,78 würde dies angesichts der begrenzten Intensität der Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

84

BVerfGE 114, 196 / 248 – BSSG. BVerfGE 46, 120 / 137 ff.; 53, 1 / 20 f.; Chr. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), GG I, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 55. 78 H. D. Jarass, Kommunale Wirtschaftsunternehmen im Wettbewerb, 2002, S. 19; ders., in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 12 Rndr. 15a. 76 77

38

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

III. Verstoß gegen die Chancengleichheit von GKV und PKV 1. Beeinträchtigung der Chancengleichheit im Wettbewerb (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) 85

Über die Wettbewerbsfreiheit hinaus schützt Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG jedoch auch die Chancengleichheit im beruflichen Wettbewerb.79 Diese wird verletzt, wenn der Staat das Verhalten im Wettbewerb regelt80 und diesen dadurch verfälscht.81 Dafür genügt es, „dass durch staatliche Maßnahmen der Wettbewerb beeinflusst und die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dadurch behindert wird“.82 So liegen die Dinge hier. Die wettbewerbsverzerrenden, weil Quersubventionierungen beinhaltenden Auswirkungen des GKV-WSG stellen insoweit eine Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Chancengleichheit im Wettbewerb dar.83

86

Zwar ist neuerdings auch umstritten, wie die Chancengleichheit im beruflichen Bereich grundrechtsdogmatisch zu verorten ist. Zwei jüngere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen es allerdings ausschließlich um die Verteilung knapper Güter – die Bestellung eines Insolvenzverwalters84 und eine öffentliche Auftragsvergabe unterhalb der sog. Schwellenwerte85 – ging, scheinen insoweit ausschließlich den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG heranziehen zu wollen.

87

Die wohl überwiegende Auffassung geht demgegenüber von einem gleichheitsund freiheitsrechtliche Aspekte kombinierenden Maßstab aus. Danach ergibt sich der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab insoweit aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG.86 Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet im Zusammenwirken mit den Freiheitsrechten aus Art. 12 Abs. 1 GG die Gleichheit im beruflichen und wirtschaftlichen Wettbewerb. Dies kann man auch „Chancengleichheit“ nennen.87 79 P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 532 f.; R. Scholz, Zur Wettbewerbsgleichheit von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, S. 34. 80 BVerfGE 32, 311 / 317; 46, 120 / 137. 81 BSGE 93, 296 Rz. 11. 82 BVerfGE 86, 28 / 37; BSGE 87, 95 / 97. 83 Angedeutet bei T. Kingreen, Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Umdr. S. 44. 84 BVerfGE 116, 1 / 12 f. – Insolvenzverwalter. 85 BVerfGE 116, 135 / 154 – Vergaberecht; früher schon G. Hermes, Gleichheit durch Verfahren bei der staatlichen Auftragsvergabe, JZ 1997, 909 / 912; P. M. Huber, Der Schutz des Bieters im öffentlichen Auftragswesen unterhalb der sog. Schwellenwerte, JZ 2000, 877 / 881; ders., Kampf um den öffentlichen Auftrag, 2002, S. 29; Th. Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456 / 478 ff. 86 Th. Puhl, VVDStRL 60 (2001), 456 / 478 ff. 87 P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 532 f.

III. Verstoß gegen die Chancengleichheit von GKV und PKV

39

Im vorliegenden Zusammenhang verteilt das GKV-WSG freilich nicht ein knappes Gut unter konkurrierende Krankenkassen und -versicherungen; es gestaltet die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs vielmehr so aus, dass die Krankenkassen der GKV über erhebliche strukturelle Vorteile gegenüber den Krankenversicherungen der PKV verfügen. Die darin liegende Beschränkung der wettbewerblichen Chancengleichheit ist nach jeder Auffassung am Maßstab von Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.

88

2. Zur Rechtfertigung einer Privilegierung der GKV im Bereich der Wahltarife a) Rechtfertigungsbedürftigkeit der Privilegierung Begünstigt die öffentliche Hand ihre eigenen gegenüber privaten Unternehmen unmittelbar oder mittelbar, so stellt sich dies als eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG dar. Steuerbefreiungen, bevorzugte Informationszugänge88 sind insoweit ebenso rechtfertigungsbedürftig wie der Einsatz öffentlicher Mittel zur Unterbietung des Marktpreises oder auch eine Quersubventionierung89. Nur eine gleichberechtigte Teilnahme der öffentlichen Hand am wirtschaftlichen Wettbewerb, bei der ihre Strukturvorteile nicht ausgespielt werden können, gerät grundsätzlich nicht mit der Chancengleichheit im Wettbewerb in Konflikt. Sie setzt freilich voraus, dass der Staat besondere Vorkehrungen trifft, um gleiche Wettbewerbsbedingungen auch tatsächlich zu gewährleisten. Wie das Beispiel der Landesbanken und Sparkassen90 zeigt, erfordert dies i. d. R. ein Tätigwerden des Gesetzgebers.91

89

Der Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit privater Konkurrenten bzw. die ihm inhärente Privilegierung der öffentlichen Unternehmenstätigkeit ist jedoch rechtfertigungsfähig, wenn mit ihr ein legitimer Zweck verfolgt wird, die Privilegierung zur Erreichung dieses Zweckes auch geeignet und notwendig ist und auch sonst in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des Zwecks steht. Insoweit folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG und aus Art. 3 Abs. 1 GG eine Rechtfertigungslast für die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand. Sie wiegt umso schwerer, je größer die Sondervorteile sind, die der öffentlichen Hand dabei zugute kommen.

90

Ausnahmen von der strikten Gleichbehandlung öffentlicher und privater Konkurrenten sind etwa insofern möglich, als strukturelle Nachteile, die sich aus der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben der Daseinsvorsorge ergeben, ausgeglichen

91

BVerfGE 64, 229, 238 ff. – Bevorzugung der Sparkassen bei der Grundbucheinsicht. BGH, DVBl. 1977, 177, 178 f. 90 Siehe dazu Kreditinstitute und Finanzdienstleistungen der öffentlichen Hand – Öffentlicher Auftrag und Wettbewerb, Bitburger Gespräche 2002 / I, 2003 m. w. N. 91 P. M. Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, S. 897 / 919 f. 88 89

40

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

werden. Die Bezuschussung oder Quersubventionierung eines kommunalen Verkehrsunternehmens kann so verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, wenn dadurch (unwirtschaftliche) Infrastrukturleistungen erbracht oder z. B. Sondertarife für sozial schwache Bevölkerungsgruppen ermöglicht werden (Studententicket)92. In solchen Kompensationen liegt keine wettbewerbsverzerrende Begünstigung der öffentlichen Hand, die die gleichberechtigte Teilnahme der privaten Konkurrenten am Wettbewerb beeinträchtigen könnte93, sondern ein sachlich begrenzter Nachteilsausgleich. Sollen Ausnahmen von der gebotenen gleichberechtigten Teilnahme der konkurrenzwirtschaftlich tätigen öffentlichen Verwaltung – etwa aus sozialstaatlichen Erwägungen – zugelassen werden, die über diesen Rahmen hinausgehen, so kann dies nur durch oder aufgrund Gesetzes geschehen. 92

Die Krankenkassen der GKV stehen im Bereich der Wahl- und Zusatztarife im Wettbewerb mit den Krankenversicherungen der PKV und genießen in dem geschilderten Umfang eine nicht unerhebliche Privilegierung. § 53 Abs. 9 SGB V 2007 ist zu unbestimmt, um die im Gesamtsystem der GKV angelegten Privilegierungen der Krankenkassen der GKV auch beim Angebot von Wahltarifen auszuschließen. Eine verfassungskonforme Auslegung müsste die Krankenkassen der GKV zwingen, Wahltarife durch Eigengesellschaften anzubieten; das ist vom Gesetzgeber nicht gewollt.

b) Prüfungsmaßstab 93

Beeinträchtigungen der Chancengleichheit im beruflichen Wettbewerb, m. a. W. normativ angeordnete Wettbewerbsverzerrungen, bedürfen aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage94 und müssen durch Unterschiede von hinreichender Art und hinreichendem Gewicht gerechtfertigt sein.95 Das erste ist im vorliegenden Zusammenhang der Fall; ein sachlicher Grund fehlt hingegen.

94

Aus Art. 12 Abs. 1 GG ergeben sich umso höhere Anforderungen an die rechtfertigenden Gründe des Gemeinwohls, je intensiver der Eingriff ausfällt.96 Ebenso folgen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Dif92 Zur unionsrechtlichen Rechtfertigung von staatlichen Leistungen an öffentliche Unternehmen siehe EuGHE 2003, I – 7747 – Altmark Trans, Rz. 87 ff.; früher bereits EuGHE 1985, 531 ff. – ADBHU, Rz. 3, 18; 2001, I – 9067 ff. – Ferring, Rz. 27. 93 OVG Lüneburg, DÖV 1969, 396 ff.; OVG Berlin, OVGE 15, 103 ff. – Unter diesen Voraussetzungen ist auch unter Gleichheitsaspekten gegen eine einseitige Förderung der Staatstheater nichts einzuwenden. 94 P. M. Huber, (Fn. 65), S. 897 / 920. 95 Zur sog. neuen Formel BVerfGE 55, 72 / 88; zur Parallelität der Abwägungen zwischen Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 524 ff. 96 Grundlegend BVerfGE 7, 377 / 400 ff.

III. Verstoß gegen die Chancengleichheit von GKV und PKV

41

ferenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.97 Die Bindung ist dabei umso enger, je personenbezogener die Differenzierung ausfällt und je weniger verhaltensabhängig das in Rede stehende Merkmal ist, m. a. W. je „anstößiger“ die Ungleichbehandlung wirkt.98 Das gilt auch für juristische Personen, soweit sie gemäß Art. 19 Abs. 3 GG Träger von Grundrechten sind. Das BVerfG hat dies wie folgt begründet: „Viele von ihnen bilden Zusammenschlüsse natürlicher Personen. Dieser Umstand verbietet es, eine Ungleichbehandlung juristischer Personen von vornherein als sachverhaltsbezogene zu behandeln. Allerdings ist die individuelle Betroffenheit der hinter den juristischen Personen stehenden natürlichen Personen je nach Rechtsform, Größe, Mitgliederstruktur und Vereinigungszweck unterschiedlich ausgeprägt. Bei Kapitalgesellschaften kann sie von der individuellen Betroffenheit des Gesellschafters einer Ein-Mann-Gesellschaft bis zu der lediglich einen geringen Teil des Vermögens berührenden Betroffenheit des Aktionärs einer Aktiengesellschaft im Streubesitz reichen. Das fällt bei der Maßstabsbildung ins Gewicht. . .“.99

Die Krankenversicherungen der PKV sind heute als Kapitalgesellschaften (AG, GmbH oder VVaG) organisiert. Die Rechtsstellung des einzelnen Aktionärs als natürliche Person wird durch Wettbewerbsnachteile der Kapitalgesellschaft kaum berührt. Insoweit ist ein eher weiter Prüfungsmaßstab anzulegen, die Kontrolle der Wettbewerbsverzerrung auf das Willkürverbot reduziert; Vergleichbares ergibt sich im Hinblick auf das Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG, dessen (geringe) Beeinträchtigungsintensität ebenfalls für eine Evidenzkontrolle100 streitet.

95

c) Fehlender sachlicher Grund Ein sachlicher, durch das Gemeinwohl gerechtfertigter Grund für die Privilegierung der Krankenkassen im Wettbewerb um die Wahltarife ist allerdings nicht ersichtlich. Im Gegenteil: mit § 53 Abs. 9 SGB V 2007 wollte der Gesetzgeber eine wettbewerbsneutrale Ausgestaltung dieses Tätigkeitsbereichs sicherstellen, was ihm – wie dargelegt – nicht gelungen ist. Im Ergebnis ist deshalb von einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Wettbewerber und von einer Verletzung der Chancengleichheit im Wettbewerb zwischen GKV und PKV auszugehen.

BVerfGE 99, 367 / 388. BVerfGE 99, 367 / 388. 99 BVerfGE 99, 367 / 388. 100 Grundlegend insoweit BVerfGE 50, 290 / 332 f. 97 98

96

42

C. Verfassungsrechtliche Würdigung

IV. Rechte der Mitglieder der GKV 97

Die Einführung von Wahltarifen führt in begrenztem Umfang zu einer Entsolidarisierung der Mitglieder der GKV, weil sich etwa die Wahltarife Selbstbehalt (§ 53 Abs. 1 SGB V 2007), Nichtinanspruchnahme (§ 53 Abs. 2 SGB V 2007), begrenzter Leistungsumfang (§ 53 Abs. 7 SGB V 2007) und u. U. auch Kostenerstattung (§ 53 Abs. 4 SGB V 2007) vor allem für junge, gesunde und wohlhabende Mitglieder anbieten.

98

Legt man zugrunde, dass die Pflichtmitgliedschaft in der GKV nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG eine zur verfassungsmäßigen Ordnung i. S. v. Art. 2 Abs. 1 GG gehörende Schrankenziehung darstellt,101 dann stellt eine Rücknahme der mit der Zwangsmitgliedschaft verbundenen Pflichten und die Eröffnung neuer Wahlmöglichkeiten – grundrechtsdogmatisch gesprochen – die Rücknahme einer Grundrechtsschranke dar, auch wenn sie für den Einzelnen wirtschaftlich unattraktiv sein und einen Entsolidarisierungseffekt aufweisen sollte.

99

Die mit der Einführung der Wahltarife verbundene Ermöglichung von Wettbewerb wirkt mit Blick auf die Mitglieder der GKV daher freiheitsfördernd, nicht beschränkend. Sie scheitert deshalb von vornherein nicht an den Grundrechten der Mitglieder der GKV.

101 BVerfGE 29, 221 / 235 f.; 29, 245 / 254; 29, 260 / 267 f.; 102, 68 / 89 f.; 103, 197 / 221 ff.; 103, 271 / 286 ff.; 114, 196 / 248 f.

D. Unionsrechtliche Würdigung Die Sozialpolitik der EU, in Art. 136 ff. EG geregelt, berührt nicht die Befugnis 100 der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen und darf das finanzielle Gleichgewicht dieses Systems nicht beeinträchtigen (Art. 137 Abs. 4 1. Sp EG). Gleichwohl sind die Mitgliedstaaten auch bei der Regelung ihres Sozialrechts an das Unionsrecht gebunden, an die Grundsätze des Binnenmarktes – Marktfreiheit, Marktgleichheit und ein System unverfälschten Wettbewerbs – sowie an das einschlägige Sekundär- und Tertiärrecht. Ausdrücklich heißt es insoweit in der Rs. Watts: „Zwar steht fest, dass das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt und dass in Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden; gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten, insbesondere die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr (vgl. u. a. Urteile Smits und Peerbooms, Randnrn. 44 bis 46, Müller-Fauré und van Riet, Randnr. 100, sowie Inizan, Randnr. 17). Diese Bestimmungen untersagen es den Mitgliedstaaten, ungerechtfertigte Beschränkungen der Ausübung dieser Freiheit im Bereich der Gesundheitsversorgung einzuführen oder beizubehalten.“102

Die Einführung der GKV-Wahltarife kann im Hinblick auf die Niederlassungs- 101 und Dienstleistungsfreiheit ausländischer Krankenversicherungen problematisch sein103 sowie im Hinblick auf das europäische Wettbewerbsrecht. Sie kann namentlich als Wettbewerbsverzerrung qualifiziert werden, wenn das unionale Wettbewerbsrecht auf die Krankenkassen der GKV anwendbar ist (I.) und diese aufgrund ihrer Monopolstellung im Rahmen der Pflichtversicherung Wettbewerbsvorteile gegenüber den Krankenversicherungen der PKV genießen (II.). Darüber hinaus dürften diese Vorteile nicht durch Art. 86 Abs. 2 EG gerechtfertigt sein (III.). Abschließend soll auf die Bedeutung der Grundfreiheiten eingegangen werden (IV.).

102 103

EuGHE 2006, I – 4326 / 4428 – Watts, Rz. 92. H. Sodan, Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform 2007, 2006, S. 65.

44

D. Unionsrechtliche Würdigung

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts 1. Allgemeines 102

Der EG-V garantiert einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Vorschriften dieses Vertrages gewährleistet ist (Art. 14 Abs. 2 EG). Seine Grundpfeiler sind eine offene Marktwirtschaft, d. h. Marktfreiheit und Marktgleichheit sowie ein System unverfälschten Wettbewerbs (Art. 4 Abs. 1 EG).104

103

In diesem Zusammenhang verbietet das unionale Wettbewerbsrecht insbesondere wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Maßnahmen (Art. 81 EG), den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 82 EG) sowie staatliche Beihilfen (Art. 87 f. EG), und zwar auch an öffentliche Unternehmen sowie an Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren (Art. 86 Abs. 1 EG). Soweit diese Vorschriften zur Anwendung gelangen, ist für einen Rückgriff auf die Grundfreiheiten i. d. R. kein Raum.105

104

Von diesen Anforderungen lässt Art. 86 Abs. 2 EG Ausnahmen allerdings dann zu, wenn dies zur Erfüllung von „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ erforderlich ist. Auf „Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ finden sie dagegen keine Anwendung.

105

Vor diesem Hintergrund kommt es zunächst darauf an, ob die gesetzlichen Krankenkassen als „öffentliche Unternehmen“ bzw. als Unternehmen qualifiziert werden müssen, denen der Staat besondere oder ausschließliche Rechte gewährt.

2. „Unternehmen“ im Sinne des unionalen Wettbewerbsrechts 106

Der Begriff des „Unternehmens“ im Sinne von Art. 86 EG ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ein unionsrechtlicher Begriff und funktional zu verstehen. Dabei tendiert der EuGH mit Blick auf das Gebot der praktischen Wirksamkeit (effet utile) zu einem weiten Begriffsverständnis: „Unternehmen“ in diesem Sinne ist jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform, dem Vorliegen oder Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht sowie von der Art ihrer Finanzierung.106 104 E. Grabitz, Über die Verfassung des Binnenmarktes, FS für Steindorff, 1990, S. 1229 / 1233. 105 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 2. Auf., 2002, § 17 Rdnr. 121; ders., Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, S. 897 / 909. 106 EuGHE 1991, I – 1979 – Höfner und Elser, Rz. 21 ff.; 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 22, unter Hinweis auf EuGHE 2000, I – 6451 – Pavlov, Rz. 74; 2002, I – 1577 – Wouters; P. Badura / P. M. Huber, Öffentliches Wirtschaftsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl., 2005, 3. Kap. Rdnr. 82.

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts

45

a) Wirtschaftliche Tätigkeit „Wirtschaftliche Tätigkeit“ i. S. v. Art. 86 EG ist ebenfalls ein unionsrechtlicher 107 Begriff. Darunter wird jede Tätigkeit verstanden, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.107 Die Organisationsform ist insoweit nicht entscheidend. Deshalb kommt es für 108 die Anwendbarkeit der Art. 86 i. V. m. Art. 81 ff. EG auch nicht darauf an, dass die Krankenkassen der GKV nach deutschem Recht der mittelbaren Staatsverwaltung zuzurechnen sind (Art. 87 Abs. 2 GG), dass sie öffentlichrechtlich organisiert sind und hoheitlich tätig werden. Entscheidend ist vielmehr, ob die in Rede stehenden Dienstleistungen auch im Wettbewerb erbracht werden (können). Die EU-Kommission rechnet hierzu ungeachtet ihrer Organisationsform nicht 109 nur die öffentlichen Banken, sondern auch die Rundfunkanstalten.108 Bejaht wurde die „Unternehmenseigenschaft“ vom EuGH auch für die Bundesanstalt für Arbeit, Betriebsrentenfonds und Rettungsdienste bzw. Sanitätsorganisationen, ja selbst für die staatliche italienische Arbeitsverwaltung109. In der Rs. Ambulanz Glöckner hat der EuGH etwa Sanitätstransporte ohne weiteres als wirtschaftliche Tätigkeit eingeordnet: „Im Ausgangsrechtsstreit erbringen die Sanitätsorganisationen Leistungen auf dem Markt für Notfall und Krankentransport. Diese Tätigkeiten wurden nicht immer und werden nicht notwendigerweise von diesen Sanitätsorganisationen oder von den Behörden erbracht. So ergibt sich aus den Akten, dass die Klägerin selbst beide Arten von Leistungen erbrachte. Die Erbringung der Leistung selbst stellt also für die Zwecke der Anwendung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags eine wirtschaftliche Tätigkeit dar“.110

Für die Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts ist letztlich entschei- 110 dend, ob die konkrete Tätigkeit wirtschaftlicher Natur ist.111 b) Dienstleistungen von allgemeinem Interesse Eine Tätigkeit unterliegt allerdings dann nicht den Wettbewerbsregeln des EG-V, 111 wenn es sich um eine Tätigkeit von „allgemeinem Interesse“ handelt und sie nach ihrer Art und ihrem Gegenstand keinen Bezug zum Wirtschaftsleben hat.112 107 EuGHE 2002, I – 691 – CISAL, Rz. 23, unter Hinweis auf EuGHE 1987, 2599 ff. – Kommission / Italien, Rz. 7; 1998, I – 3851 – Kommission / Italien (Zollspediteure), Rz. 36; 2000, I – 6451 – Pavlov, Rz. 75; P. Badura / P. M. Huber, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 82. 108 EU-KOM, GD Wettbewerb, Az. CP 43 / 2003 (Deutschland). 109 EuGHE 1997, I – 7119 – Job Centre. 110 EuGHE 2001, I – 8089 – Ambulanz Glöckner, Rz. 19 f. (Krankentransporte). 111 EuGHE 1999, I – 6125 – Maatschappij Drijvende Bokken, Rz. 61 ff. (Betriebesrentenfonds); 2004, I – 2493 – AOK Bundesverband / Ichtyol. 112 P. Badura / P. M. Huber, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 82.

46

D. Unionsrechtliche Würdigung

112

Die Unterscheidung zwischen Tätigkeiten wirtschaftlicher und solchen nicht wirtschaftlicher Art wird in der Rechtsprechung des EuGH in den Rs. Poucet et Pistre sowie AOK Bundesverband / Ichtyol eher beiläufig eingeführt, jedoch von der EU-Kommission wie von der europarechtlichen Diskussion in den romanischen Ländern als grundlegende Weichenstellung begriffen.113 Keine wirtschaftliche Tätigkeit ist auch die Ausübung hoheitlicher Befugnisse, wie z. B. die Überwachung zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung im Meeresbereich.114

113

Ob eine Tätigkeit wirtschaftlicher oder sozialer Natur ist, muss differenziert beantwortet werden, wobei es auf den Gesamtcharakter ankommt. Hierfür ist entscheidend, ob die in Rede stehende Tätigkeit überwiegend auf solidarischer Grundlage erfolgt oder nach Maßgabe des Kapitalisierungsprinzips, ob sie im Wettbewerb mit Dritten angeboten wird und nach Maßgabe unternehmerischer Entscheidungsbefugnisse.

3. Die Rechtsprechung zur Einordnung von Sozialversicherungsträgern 114

Allerdings ist die Rechtsprechung des EuGH nicht ganz konsistent. Am Anfang steht ein extensives Ausgreifen. So hat der EuGH das Arbeitsvermittlungsmonopol der früheren Bundesanstalt für Arbeit, ein Teil der deutschen Sozialversicherung, ohne viel Federlesens als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert. Wörtlich heißt es in der Rs. Höfner und Elser: „. . . Die Arbeitsvermittlung stellt eine wirtschaftliche Tätigkeit dar. Daß die Vermittlungstätigkeit normalerweise öffentlich-rechtlichen Anstalten übertragen ist, spricht nicht gegen die wirtschaftliche Natur dieser Tätigkeit. Die Arbeitsvermittlung ist nicht immer von öffentlichen Einrichtungen betrieben worden und muss nicht notwendig von solchen Einrichtungen betrieben werden. . .“.115

115

Später hat er seine Rechtsprechung jedoch modifiziert. In der Rs. Poucet et Pistre, in der sich die Kläger des Ausgangsverfahrens gegen die öffentlichrechtliche Zwangsmitgliedschaft in der französischen Sozialversicherung gewandt hatten, verneinte der EuGH eine wirtschaftliche Tätigkeit der Sozialversicherung und damit ihre Einordnung als öffentliches Unternehmen. Zum einen dienten die betreffenden Einrichtungen der Sozialversicherung einem sozialen Zweck, wirkten sie an der Verwaltung der öffentlichen Aufgabe „soziale Sicherheit“ mit; zum zweiten beruhe die von ihnen ausgeübte Tätigkeit auf dem Grundsatz der nationalen Soli113 EuGHE 1993, I- 637 – Poucet et Pistre, Rz. 15, 18; 2004, I – 2493 – AOK Bundesverband / Ichtyol, Rz. 47; EU-Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 21. 05. 2003, KOM (2003) 270 endg., S. 17 f.; Peter M. Huber, L’armonizzazione dei servizi di interesse economico generale in europa ed i suoi limiti, in: Servizi pubblici e appalti, 3 (2005), 85 / 90. 114 EuGHE 1997, I – 1547 – Diego Cali & Figli. 115 EuGHE 1991, I – 2010 – Höfner und Elser, Rz. 21 f.

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts

47

darität, weil die Leistungen von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der eingezahlten Beiträge erbracht würden, und zum dritten werde die Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt.116 Schienen die Sozialversicherungsträger damit zunächst weitgehend außerhalb 116 des unionalen Wettbewerbsrechtes zu stehen, so hat der Gerichtshof den Anwendungsbereich entsprechender Ausnahmen später deutlich enger gefasst. In der Rs. „Fédération française des sociétés d’assurance“ hat er ein freiwilliges Zusatzrentensystem für Landwirte als „Unternehmen“ qualifiziert. Dafür war ausschlaggebend, dass das Zusatzrentensystem im Wettbewerb mit privaten Lebensversicherern stand, die Mitgliedschaft freiwillig war und dass das System nach dem Kapitalisierungsgrundsatz arbeitete, d. h., dass die Höhe der Leistungen von der Höhe der eingezahlten Beiträge abhing.117 Das – wenn auch eingeschränkte – Vorhandensein von Solidaritätselementen stand dem ebenso wenig entgegen wie die fehlende Gewinnerzielungsabsicht: „[18] Die in dem Versicherungssystem enthaltenen Elemente der Solidarität . . . stehen dieser Bewertung nicht entgegen. [19] Der Solidaritätsgrundsatz kommt . . . zunächst darin zum Ausdruck, daß die Beiträge vom Versicherungsrisiko unabhängig sind, daß im Fall des vorzeitigen Versterbens des Versicherten die Mittel der geleisteten Beitragszahlungen im Versicherungssystem verbleiben, daß im Krankheitsfall eine Freistellung von der Beitragszahlung möglich ist und daß die Beitragszahlung . . . vorübergehend ausgesetzt werden kann. Entsprechende Bestimmungen gibt es aber auch bereits in bestimmten Gruppen-Lebensversicherungsverträgen oder sie können in sie aufgenommen werden. Da das Versicherungssystem auf Freiwilligkeit beruht, gilt der Grundsatz der Solidarität jedenfalls nur äußerst begrenzt. Unter diesen Umständen läßt er den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit, die die das Versicherungssystem verwaltende Einrichtung ausübt, nicht entfallen. ... [21] Schließlich entfällt der wirtschaftliche Charakter der Tätigkeit der CCMSA auch nicht allein deshalb, weil sie keine Gewinnerzielungsabsicht hat; aufgrund der in Randnummer 17 genannten Merkmale kann diese Tätigkeit nämlich zu Verhaltensweisen führen, die die Wettbewerbsregeln unterbinden sollen“.118

Auch in den folgenden Rs. „Albany“, „Brentjens“ und „Maatschappij Drijven- 117 de Bokken“, die durch Tarifvertrag eingerichtete und für sämtliche Arbeitnehmer eines Wirtschaftszweiges verbindliche Betriebsrentenfonds in den Niederlanden betrafen, qualifizierte der EuGH sämtliche Betriebsrentenfonds als „Unternehmen“ i. S. v. Art. 86 Abs. 1 EG. Sie arbeiteten nach dem Kapitalisierungsprinzip und konnten die Höhe der Leistungen wie auch der Beiträge selbst bestimmen. Zudem bestand die Möglichkeit, ein Unternehmen von der Mitgliedschaft freizustellen, wenn dieses seinen Arbeitnehmern eine gleichwertige Rentenversicherung an116 117 118

EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 18. EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. 17. EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance.

48

D. Unionsrechtliche Würdigung

bot. Weder der soziale Zweck noch die fehlende Gewinnerzielungsabsicht, weder die Solidarität noch die sonstigen, den Versicherungsnehmer treffenden Belastungen waren hier geeignet, der vom Versicherer ausgeübten Tätigkeit ihren wirtschaftlichen Charakter zu nehmen.119 118

In jüngster Zeit scheint der Gerichtshof dagegen wieder zu einem engeren Anwendungsbereich zu tendieren. In der Rs. „CISAL / INAIL“ vom 22. Januar 2002 betont er wieder den sozialen Zweck der italienischen Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten und verneint deshalb eine wirtschaftliche Tätigkeit. INAIL verfolge einen sozialen Zweck, den Schutz gegen Risiken eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit. Die Versicherung solle allen geschützten Personen Schutz gewähren, unabhängig von einer Pflichtverletzung des Geschädigten oder des Arbeitgebers. Darüber hinaus war entscheidend, dass INAIL den Grundsatz der Solidarität u. a. dadurch umsetzte, dass die gewährten Leistungen nicht unmittelbar von den entrichteten Beiträgen abhängig waren. Schließlich beruhte die Tätigkeit von INAIL auf einer gesetzlichen Übertragung und unterlag staatlicher Aufsicht; insbesondere wurde die Höhe der Leistungen sowie der Beträge letztlich durch den Staat festgesetzt.120

119

Versucht man die Leitgedanken dieser Judikatur mit Blick auf die Tätigkeit der Sozialversicherungen zu ermitteln, so betrachtet der EuGH die auf dem Prinzip der Solidarität aufbauende Sozialversicherung nicht als „marktfähiges Gut“, als eine „res extra commercium“. Sie soll deshalb auch nicht dem unionalen Wettbewerbsrecht unterliegen. Bei der Bestimmung derartiger sozialer Leistungen verfügen die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts über einen weiten Gestaltungsspielraum. Kriterien sind dabei  der obligatorische soziale Schutz im Gegensatz zu einer freiwilligen Versicherung;121 eine Pflichtmitgliedschaft ist für die Umsetzung des „Solidarprinzips“ unerlässlich;122  eine grundsätzlich allgemeine Versicherungspflicht für einen nach objektiven Kriterien abgrenzbaren Personenkreis;123  eine fehlende Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Versicherungsträgern im Gegensatz zur Wahlfreiheit zwischen privaten Versicherern;124 119 EuGHE 1999, I – 5863 – Albany, Rz. 79; 1999, I – 6025 – „Brentjens“, Rz. 79; 1999, I – 6125 – „Maatschappij Drijvende Bokken“, Rz. 69. 120 EuGHE 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 32 ff. 121 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 7, 13; EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. 17; 1999, I – 6125 – Maatschappij Drijvende Bokken, Rz. 68; 2000, I – 6451 – Pavlov, Rz. 112. 122 EuGHE 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 44; ebenso T. Kingreen, Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Hans Böckler – Stiftung, 2007, Umdr. 16. – http: / / www.boeckler.de / pdf_fof / S-2006 – 922 – 4-1.pdf. 123 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 7, 9.

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts

49

 Solidarität unter den Beitragszahlern, Beitragsfreiheit unter einem gewissen Mindesteinkommen, Umverteilung zwischen Wohlhabenden und Bedürftigen o. ä.;125  Unabhängigkeit der Beitragshöhe vom Risiko;126  Freistellung von der Beitragszahlung im Krankheitsfall;127  Höchstgrenzen der Beitragspflicht;128  Abhängigkeit der Beitragshöhe vom Einkommen;129  Abhängigkeit der Beitragspflicht von der Ertragslage des Unternehmens;130  Staatliche Festsetzung der Beiträge und Leistungen;131  Finanzausgleich zwischen den Sozialversicherungsträgern;132  Staatliche Aufsicht über die Sozialversicherungsträger.133

4. Die unionsrechtliche Einordnung der GKV beim Angebot der Wahltarife Die Leistungen der Krankenkassen der GKV sind wirtschaftliche Dienstleistun- 120 gen im Sinne des Unionsrechts. Das gilt zweifelsfrei im Hinblick auf die Versicherungsleistung (a); es gilt aber auch im Hinblick auf Heilbehandlung, Arznei- und Hilfsmittel (b). Auch wenn sie die Rechtsprechung bislang vom Anwendungsbereich des unionalen Wettbewerbsrechts ausgenommen hat (c), so bedarf dies auf der Grundlage des GKV-WSG doch der Revision (d).

124 EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. 17; 2000, I – 6451 – Pavlov, Rz. 115. 125 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 10; 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 42. 126 EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. 18; 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 39. 127 EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. 19. 128 EuGHE 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 39. 129 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 10; 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 39. 130 EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. 19. 131 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 15; 1999, I – 6125 – Maatschappij Drijvende Bokken, Rz. 71; 2000, I – 6451 – Pavlov, Rz. 114; 2002, I – 691 – CISAL / INAIL, Rz. 43. 132 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 12. 133 EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 14.

50

D. Unionsrechtliche Würdigung

a) Versicherungsleistung 121

Begreift man die Gesetzliche Krankenversicherung, wie es der Begriff nahe legt, als die Erbringung einer Versicherungsleistung, dann liegt es nahe, sie als Dienstleistungen zu qualifizieren.

122

Und in der Tat ist die Sozialversicherung – wirtschaftlich und rechtlich gesehen – in erster Linie Versicherung.134 Sie bezieht sich auf den Eintritt eines für den Versicherten ungewissen nachteiligen Ereignisses und soll ihn für diesen Fall durch die Solidargemeinschaft aller Versicherten auffangen. Durch seinen Beitrag gewährleistet dabei jedes Mitglied, dass eintretende Bedarfe bei anderen gedeckt werden (können), verbunden mit der Zusage, dass dies gegebenenfalls auch bei ihm geschehen wird (sog. Risikoausgleich). Wirtschaftlich gesehen bedeutet Versicherung die gegenseitige Deckung eines im Einzelfall zufälligen, in seiner Gesamtheit aber schätzbaren Bedarfs zahlreicher gleichartig bedrohter Güter, rechtlich „eine Gemeinschaft gleichartig Gefährdeter mit selbständigen Rechtsansprüchen auf wechselseitige Bedarfsdeckung“.135

b) Zurverfügungstellung von Heilbehandlung u. a. 123

Der Qualifikation als „wirtschaftliche“ Tätigkeit i. S. v. Art. 86 EG könnte aber entgegenstehen, dass die Krankenkassen der GKV selbst gar keine (Dienst-) Leistungen erbringen, denn es gehört zu den Besonderheiten des deutschen Krankenversicherungsrechts, dass die Mitglieder die Leistungen nach dem Sachleistungsprinzip von ihrer Krankenkasse erhalten. Zwar schließt der Versicherte mit einem Leistungserbringer typischerweise einen Leistungsvertrag, und dieser erbringt die Leistung auch tatsächlich ihm gegenüber (§ 15 SGB V 2007); ein Leistungsverschaffungsanspruch besteht jedoch allein gegenüber der Krankenkasse. Ausdrücklich regelt § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V 2007 insoweit die Verpflichtung der Krankenkassen, „den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung“ zu stellen. Ihrer Leistungsverschaffungspflicht können die Krankenkassen der GKV dabei entweder dadurch nachkommen, dass sie die in Rede stehenden Leistungen selbst erbringen oder auf Vertragsärzte und andere Leistungserbringer zurückgreifen.

124

Nach Art. 50 Abs. 1 Satz 1 EG werden unternehmerische Dienstleistungen in der Regel gegen Entgelt erbracht. Ob ihre Finanzierung durch Gebühren oder Beiträge erfolgt, ist dabei grundsätzlich ohne Belang, hätten es die Mitgliedstaaten andernfalls doch in der Hand, das unionale Wettbewerbsrecht durch die Ausgestaltung der Finanzierungsregelungen zu unterlaufen.136

134 135

H. Bley / R. Kreikebohm / A. Marschner, Sozialrecht, 9. Aufl., 2007, Rdnr. 274. H. Bley / R. Kreikebohm / A. Marschner, Sozialrecht, Rdnr. 276.

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts

51

Das Kriterium der Entgeltlichkeit setzt nicht voraus, dass der Geldfluss in einem 125 bipolaren Rechtverhältnis zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger stattfindet; dies kann vielmehr auch innerhalb multipolarer Rechtsverhältnisse der Fall sein. Nach der Konstruktion des SGB V 2007 besteht eine Zahlungsverpflichtung zwischen dem Mitglied und der Krankenkasse der GKV bzw. dem Gesundheitsfonds (§ 271 SGB V 2007) und zwischen der Krankenkasse und dem Leistungserbringer. Auch wenn die Zahlungsströme dabei mehrere Teilnehmer berühren, so ist doch entscheidend, dass ein Entgelt entrichtet bzw. die Dienstleistung (letztlich) von dem bezahlt wird, dem sie zugute kommt.137 Die Leistungen der Krankenkassen der GKV sind daher Dienstleistungen i. S. v. 126 Art. 86 EG. Selbst die über die Leistungserbringer vermittelten Sachleistungen (§§ 2 Abs. 2, 11 ff. SGB V 2007), etwa in Form von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln gemäß § 23 SGB V 2007, stehen einer Einordnung als „Dienstleistung“ nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und überwiegender Auffassung im Schrifttum wird auch die Abgabe von Waren hierunter gefasst.138 Der Art. 86 EG in gewisser Weise ergänzende Art. 16 EG spricht deshalb auch 127 von „Diensten“ von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, was darauf hindeutet, dass auch die Abgabe von Waren hiervon erfasst werden soll. Die Rechtsprechung des EuGH und die in diesem Zusammenhang besonders wichtige (arg. e Art. 86 Abs. 3 EG) Einschätzung der EU-Kommission bestätigen dies. So hat etwa der EuGH die Elektrizitätsversorgung stets unter die Warenverkehrsfreiheit der Art. 28 ff. EG gefasst, sie gleichwohl als „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ i. S. v. Art. 86 anerkannt.139

c) Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts auf die GKV Die Krankenkassen der GKV und ihre Verbände hat der EuGH nicht unter das 128 unionale Wettbewerbsrecht gefasst, ihre Tätigkeit vielmehr als Dienstleistung von (lediglich) „allgemeinem Interesse“ qualifiziert. In der insoweit maßgeblichen Leitentscheidung AOK Bundesverband / Ichtyol führt der Gerichtshof aus: „Im Bereich der sozialen Sicherheit hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssyste136 A. Heinemann, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996, S. 76; krit. J. Schwarze, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613 / 614. 137 EuGHE 2001, I – 5473 – Smits und Peerbooms, Rz. 57. 138 EuGHE 1994, I – 1477 – Almelo, Rz. 28, 46 f.; 1997, I – 5815 – EdF / GdF, Rz. 57; 2001, I – 2099 – Preußen Elektra, Rz. 69 ff. (Strom); Chr. Koenig / J. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV / EGV, 2003, Art. 86 Rdnr. 4. 139 Mitteilung der EU-Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa vom 20. 09. 2000, KOM (2000), 580 endg., Anhang II, S. 42.

52

D. Unionsrechtliche Würdigung me betraut sind, einen rein sozialen Zweck verfolgen und keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dies ist der Fall bei Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen. Denn ihre auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruhende Tätigkeit wird ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt, und die Leistungen werden von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge erbracht.140

129

Dagegen seien Einrichtungen, die gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit verwalten und nur einen Teil der genannten Merkmale aufweisen, durchaus als Unternehmen anzusehen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.141

130

Die deutsche GKV wirke an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mit. Sie nehme insoweit eine rein soziale Aufgabe wahr, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe und ohne Gewinnerzielung ausgeübt werde: „Besonders hervorzuheben ist, dass die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe sind. Die Krankenkassen haben somit keine Möglichkeit, auf diese Leistungen Einfluss zu nehmen“.142

131

Im Einzelnen verweist der EuGH insoweit auch auf den Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen der GKV als Grundlage ihrer Solidargemeinschaft. Sie konkurrierten vor diesem Hintergrund weder miteinander noch mit den privaten Einrichtungen hinsichtlich der Erbringung der gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen im Bereich der Behandlung oder der Versorgung mit Arzneimitteln, was ihre Hauptaufgabe darstelle.143 Zwar hätten die Krankenkassen der GKVeinen gewissen Spielraum, um Beitragssätze festzulegen und einander einen gewissen Wettbewerb um Mitglieder zu liefern. Dieser Wettbewerb bestehe aber nur zwischen den Einrichtungen der GKV, sei also systemintern und soll die Krankenkassen veranlassen, im Interesse des ordnungsgemäßen Funktionierens des deutschen Systems der sozialen Sicherheit ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit auszuüben, d. h. so effizient und kostengünstig wie möglich. Deshalb ändere dieser Wettbewerb nichts an der nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen.144 In der Rs. FENIN hat er diese Linie erst jüngst wieder bestätigt.145

132

Weil sie m. a. W. eine Pflichtversicherung darstellt, weitgehend durch das SGB V determiniert ist und ohne Gewinnerzielung erfolgt, und weil ihre Finanzierung auf 140 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 47, unter Hinweis auf EuGHE 1993, I – 664 – Poucet et Pistre, Rz. 15 und 18. 141 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 49, unter Hinweis auf EuGHE EuGHE 1995, I – 4013 – Fédération francaise des sociétés d’assurance, Rz. Rz. 22 und EuGHE 1999, I – 5863 – Albany, Rz. 84 ff. 142 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 52. 143 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 53 f. 144 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 56. 145 EuGH, Rs. C – 205 / 03 P, Urt. v. 11. 7. 2006 – FENIN, Rz. 25 f.

I. Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts

53

dem Grundsatz der Solidarität beruht, hat der EuGH die Krankenkassen der deutschen GKV 2004 und 2006 von der Anwendbarkeit des unionalen Wettbewerbsrechts generell ausgenommen.146 Vor diesem Hintergrund hat er namentlich die Festsetzung von Festbeträgen durch die Verbände der Krankenkassen der GKV nicht als wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft, weil sie insoweit nur eine gesetzlich auferlegte Pflicht im Rahmen der Verwaltung des deutschen Gesundheitssystems erfüllten147 und diesen Gedanken auch auf ihre Beschaffungstätigkeit ausgedehnt.

d) Veränderungen durch das GKV-WSG Das GKV-WSG hat die rechtlichen Rahmenbedingungen der Krankenkassen der 133 GKV zwar nicht grundlegend verändert. Nach wie vor besteht grundsätzlich Versicherungspflicht (§ 5 f. SGB V), sind die Leistungen gesetzlich festgelegt (§ 11 ff. SGB V), bestimmt sich die Höhe der Beiträge nach einem einheitlichen, von der Bundesregierung festzulegenden Satz (§ 241 Abs. 1 SGB V 2009). Insoweit sind die Krankenkassen der GKV auch weiterhin nicht als Unternehmen zu qualifizieren.148 Für den vorliegenden Zusammenhang ist jedoch weniger die organisatorische 134 Ausgestaltung der GKV insgesamt entscheidend als die konkrete (wirtschaftliche oder soziale) Tätigkeit. Ausdrücklich betont der EuGH, dass die GKV nicht in jeder Hinsicht als soziale Einrichtung von der Anwendung des unionalen Wettbewerbsrechts auszunehmen sei: „Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Krankenkassen und die sie vertretenden Einheiten, d. h. die Kassenverbände, außerhalb ihrer Aufgaben rein sozialer Art im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit Geschäftstätigkeiten ausüben, die keinen sozialen, sondern einen wirtschaftlichen Zweck haben. In diesem Fall wären die von ihnen zu treffenden Entscheidungen möglicherweise als Beschlüsse von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen anzusehen“.149

Kommt es für die Qualifikation einer Tätigkeit als „unternehmerisch“ somit auf 135 die konkrete Tätigkeit an,150 so ist die Tätigkeit der Krankenkassen der GKV jedenfalls insoweit als unternehmerische Betätigung einzuordnen, soweit sie das GKV-WSG verpflichtet bzw. ermächtigt, im Bereich der Wahltarife mit den Krankenversicherungen der PKV in Wettbewerb zu treten:151 146 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol; P. Badura / P. M. Huber, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 82; EuGH, Rs. C – 205 / 03 P, Urt. v. 11. 7. 2006 – FENIN, Rz. 25 f.; EuG 2003, II – 357 / 372 – FENIN; krit. W. Möschel, Gesetzliche Krankenversicherung und das Kartellrecht, JZ 2007, 601 / 602. 147 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 58 f. 148 W. Frenz, Krankenkassen im Wettbewerbs- und Vergaberecht, NZS 2007, 233 / 234. 149 EuGHE 2004, I – 2493 – AOK–Bundesverband / Ichtyol, Rz. 58. 150 EuGHE 2001, I – 8089 – Ambulanz Glöckner, Rz. 20; 2004, I – 2493 – AOK-Bundesverband, Rz. 58.

54

D. Unionsrechtliche Würdigung

136

aa) Die Inanspruchnahme eines Wahltarifes unterliegt – und das ist der mit Abstand wichtigste Punkt – zunächst der freien Entscheidung der Versicherten; eine Versicherungspflicht besteht nicht. Ein Unternehmen, dessen Kunden Vertragsfreiheit genießen, kann sozialen Ausgleich aber nicht verwirklichen. Schon deshalb ist das Angebot sämtlicher Wahltarife als unternehmerische Tätigkeit zu qualifizieren.

137

bb) Die Einführung der Wahltarife ermöglicht es den Krankenkassen der GKV darüber hinaus in erheblich größerem Umfang als bisher, auf das Leistungsspektrum und durch die Gewährung von Prämien auf die effektiv gezahlten Beiträge Einfluss zu nehmen. Insoweit wenden sie nicht nur das Gesetz an, sondern entscheiden nach eigenem (unternehmerischen) Ermessen. Auch das spricht auf der Grundlage der geschilderten Rechtsprechung für eine unternehmerische Betätigung.

138

cc) Das GKV-WSG ermöglicht bzw. verschärft den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV in Ansehung der Wahltarife.

139

dd) Zugleich bedeutet ihre Einführung und die Gewährung von Prämienzahlungen, dass die auf der Solidarität der Versicherten beruhende GKV ein Stück weit aufgeweicht und durch für die private Versicherungswirtschaft übliche Anreiz- und Lenkungsmechanismen ergänzt wird:  Wenn sich Versicherte in der GKV für einen „Selbstbehalt“ entscheiden (§ 53 Abs. 1 SGB V 2007) und dafür Prämienzahlungen erhalten, wird das Solidarprinzip durch den Grundsatz der Individualadäquanz abgelöst.152 Weil sie typischerweise für gesunde und finanziell besser gestellte Versicherte attraktiv sind, hängt die Inanspruchnahme – wie in der PKV – von der Beitragshöhe ab. Das wird dadurch noch verstärkt, dass Besserverdienende, die höhere Beiträge zahlen, tendenziell auch höhere Prämien erwarten können. Dass die Prämienzahlungen „gedeckelt“ sind (§ 53 Abs. 8 Satz 4 SGB V 2007) ändert daran nichts Grundsätzliches.  Die „Beitragsrückerstattung“ (§ 53 Abs. 2 SGB V 2007) hat eine mit dem Selbstbehalt weitgehend vergleichbare Funktion. Auch sie knüpft an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts an, ist tendenziell nur für junge und gesunde Mitglieder attraktiv und schwächt das Solidarprinzip, in besonderer Weise auch zwischen Alleinstehenden und Familien. Denn Voraussetzung für eine Prämienzahlung ist, dass die nach § 10 SGB V 2007 mitversicherten Familienangehörigen auch keine Leistungen in Anspruch genommen haben.153 151 Siehe etwa Chr. Koenig / C. Engelmann, Das Festbetrags-Urteil des EuGH: Endlich Klarheit über den gemeinschaftsrechtlichen Unternehmensbegriff im Bereich der Sozialversicherung?, EuZW 2004, 682 / 685. 152 T. Kingreen, Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Umdr. S. 30.

II. Anforderungen des unionalen Wettbewerbsrechts

55

 Auch andere Wahltarife können entsolidarisierend wirken – die „Kostenerstattung“ etwa, „Arzneimittel der besonderen Therapierichtung“ oder die Prämienzahlungen für Mitglieder mit begrenztem Leistungsumfang (§ 53 Abs. 7 SGB V 2007).

Ein erhebliches Problem stellt in diesem Zusammenhang auch die zunehmende 140 Staatsfinanzierung der GKV dar (§ 221 Abs. 1 Satz 1 SGB V), weil sie das Solidaritätsprinzip, auf dem sie gründet, ad absurdum führt. Zu Recht stellt Thorsten Kingreen insoweit fest: „Wenn nämlich ein sozialer Ausgleich im Sozialversicherungssystem selbst nicht mehr angestrebt wird, kann dieser durch die Konkurrenz mit privaten Versicherungsunternehmen nicht mehr gefährdet werden. In dem Maße also, in dem nicht mehr einzelne Gruppen von Versicherten, sondern die Gesamtgesellschaft den solidarischen Ausgleich trägt, verliert die gesetzliche Krankenversicherung ihren spezifischen Charakter als binnensolidarische Veranstaltung. . . . Eine solidarische Versicherung, in der die Umverteilungseffekte nicht durch Beiträge einzelner Versicherungsnehmer (nämlich der Besserverdienenden bzw. die Träger besserer Risiken), sondern aus allgemeinen Quellen finanziert werden, kann von einem privatwirtschaftlich handelnden Versicherungsunternehmen ebenso angeboten werden wie von einer gesetzlichen Krankenkasse und müsste daher als wirtschaftliche Betätigung im Sinne von Art. 81 [ff.] EGV eingeordnet werden.“154

Dem ist wenig hinzuzufügen. Es beschreibt die Situation, die das GVK-WSG 141 jedenfalls im Bereich der Wahltarife geschaffen hat.

II. Anforderungen des unionalen Wettbewerbsrechts 1. Kartellrecht, Art. 81 f., 86 EG Ein Verstoß von § 53 SGB V 2007 gegen Art. 10 i. V. m. Art. 86 i. V. m. Art. 81 f. 142 EG lässt sich nicht feststellen. Ein solcher Verstoß des Gesetzgebers des GKVWSG bzw. ein Verstoß einzelner Krankenkassen der GKV gegen Art. 86 Abs. 1 i. V. m. Art. 81 f. EG setzte voraus, dass die Krankenkassen der GKV im Wettbewerb tätig sind, Kartellabsprachen treffen oder eine marktbeherrschende Stellung innehaben und diese missbräuchlich ausnutzen bzw. dass sie der Gesetzgeber dazu anhält. Nichts davon ist der Fall.

153 T. Kingreen, Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Umdr. S. 33. 154 T. Kingreen, Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Umdr. S. 38.

56

D. Unionsrechtliche Würdigung

a) Vereinbarkeit des GKV-WSG mit dem unionalen Kartellrecht 143

Art. 81 f. EG richten sich an die Unternehmen, nicht an den Staat selbst.155 Über Art. 86 Abs. 1 EG können Wettbewerbsverstöße aber dem Mitgliedstaat zugerechnet werden, wenn er hierfür verantwortlich ist. Dementsprechend heißt es etwa in der Entscheidung „Raso“156 zum Verhältnis von Art. 86 und 82 EG: „Zwar ist die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 [Art. 86 Abs. 1 EG] des Vertrages als solche noch nicht mit Artikel 86 [Art. 82 EG] unvereinbar, jedoch verstößt ein Mitgliedstaat gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen durch die bloße Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt oder wenn durch die Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Mißbrauch begeht. . .“.157

b) Das Angebot von Wahltarifen und das unionale Wettbewerbsrecht 144

Die Anwendbarkeit von Art. 81 f. EG setzt zunächst eine Bestimmung des sachlich relevanten Marktes voraus. Nach der Rechtsprechung des EuGH verlangt dies „die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs zwischen den zu ihm gehörenden Erzeugnissen. . . , so daß ein hinreichender Grad von Austauschbarkeit zwischen allen zum gleichen Markt gehörenden Erzeugnissen im Hinblick auf die gleiche Verwendung erforderlich ist“.158

145

Ein solcher Wettbewerb ist ausgeschlossen, soweit die Pflichtversicherung reicht (sog. Friedensgrenze). Etwas anderes muss aber insoweit gelten, als § 53 SGB V 2007 nunmehr das Angebot von Wahltarifen vorsieht. Diese reduzieren zum einen den Umfang der Pflichtversicherung und gestatten es den Krankenversicherungen der PKV entsprechende Zusatzangebote zu machen. Darüber hinaus öffnen sie den bislang der PKV vorbehaltenen Markt für Zusatztarife in dem gesetzlich beschriebenen Umfang auch für die Krankenkassen der GKV. Damit besteht hinsichtlich der meisten Wahltarife ein umfassender Wettbewerb zwischen GKV und PKV.

146

Soweit die Krankenkassen der GKV und die Krankenversicherungen der PKV im Bereich der Wahl- und Zusatztarife auf einem Markt tätig sind, fehlt es aber sowohl an einem abgestimmten Verhalten als auch an einer marktbeherrschenden EuGHE 2004, I – 2493 – AOK Bundesverband / Ichtyol, Rz. 61. EuGHE 1998, I – 533 / 579 – „Raso“; 1998, 3949 / 3995 – „Corsica Ferries France“. 157 Hingegen lässt es der EuGH in der Rs. C-209 / 98, Rdn. 82 – „FFAD“ genügen, dass das eingeräumte Ausschließlichkeitsrecht die betreffenden Unternehmen nicht zu einer missbräuchlichen Ausnutzung ihrer beherrschenden Stellung zwingt. 158 EuGHE 1979, 461 / 516 – Hoffmann-La Roche. 155 156

II. Anforderungen des unionalen Wettbewerbsrechts

57

Stellung der Krankenkassen der GKV. Das GKV-WSG zielt auf Wettbewerb zwischen den einzelnen Krankenkassen der GKV und auf Wettbewerb zwischen der GKV und der PKV. Es ordnet an, dass die Wahltarife von jeder einzelnen Krankenkasse der GKV individuell geplant und angeboten werden sowie, dass sie sich selbst tragen müssen. Das lässt weder für Art. 81 noch für Art. 82 EG Raum.

2. Beihilfenverbot – Art. 87 f. EG Eine Wettbewerbsverzerrung kann sich durch die Wahltarife jedoch einstellen, 147 wenn die Krankenkassen der GKV durch Mittel aus dem Bereich der nicht unter das unionale Wettbewerbsrecht fallenden Pflichtversicherung „quersubventioniert“ werden. a) Unionsrechtliche Anforderungen Nach Art. 87 Abs. 1 EG sind Beihilfen durch staatliche oder aus staatlichen Mit- 148 teln gewährte Vergünstigungen, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, unzulässig, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen in der Lage sind. Für die Anwendbarkeit der Beihilfevorschriften ist nicht entscheidend, ob die Beihilfe unmittelbar vom Staat gewährt wird oder von öffentlichen oder privaten Einrichtungen, die von ihm zur Durchführung der Beihilfengewährung errichtet oder beauftragt werden. Sie müssen jedoch unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und dem Staat zurechenbar sein; entscheidend ist, dass eine Belastung der öffentlichen Haushalte erfolgt.159 Das ist hier zu bejahen.

b) Finanzierung der GKV aus staatlichen Mitteln Die Krankenkassen der GKV werden aus Beiträgen und Mitteln des Bundes fi- 149 nanziert, die mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 aus dem Gesundheitsfonds fließen (§ 220 Abs. 1, § 221 Abs. 1, § 271 SGB V 2007). Zwar sind die Kassen auch weiterhin Einzugstellen für die Beiträge (§ 28i Abs. 1 SGB IV); sie haben diese jedoch nach § 28k Abs. 1 Satz 1 SGB IV an den Gesundheitsfonds weiterzuleiten, der ihnen die Mittel nach Durchführung eines Riskostrukturausgleichs wieder zuweist (§§ 266 Abs. 1 und 2 SGB V 2007). Der Gesundheitsfonds ist ein vom Bundesversicherungsamt verwaltetes Sondervermögen des Bundes (§ 271 SGB V 2007),160 und somit ein staatlicher Haushalt. Zudem fließen in den Jahren 2007 und 2008 jeweils 2,5 Mrd. A aus staatlichen Mitteln in den Gesundheitsfonds, wo159 160

EuGHE 2001, I – Preußen Elektra, Rz. 58; 2002, I – 4397 – Stardust. H. Sodan, NJW 2007, 1313 / 1316.

58

D. Unionsrechtliche Würdigung

bei sich die Leistungen des Bundes in den Folgejahren um jährlich 1,5 Mrd. A erhöhen – bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Mrd. A (§ 221 Abs. 1 Satz 1 SGB V 2007). Finanzzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds werden somit „aus staatlichen Mitteln“ gewährt. Aus dem Gesundheitsfonds gewährte Mittel, die für die Finanzierung der Wahltarife eingesetzt werden, erfüllen daher das Kriterium der „Beihilfe“ nach Art. 87 Abs. 1 EG. 150

Auch die Haftung der Krankenkassen der GKV für eine eventuelle Unterfinanzierung der Wahltarife erfüllt den Beihilfetatbestand. Haftungsverpflichtungen sind Vorteile aus staatlichen Mitteln i. S. v. Art. 87 Abs. 1 EG. Diese Privilegierung wird, wie dargelegt, noch dadurch verschärft, dass die GKV-Kassen insolvenzunfähig sind, wenn das Landesrecht dies bestimmt (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO).161 Auch dies ist ein – wenn auch befristeter – erheblicher Wettbewerbsvorteil.

151

Die Strukturvorteile der GKV – Verfügung über den Adressbestand, Synergieeffekte beim Einsatz von Personal, Nutzung der sächlichen Infrastruktur, steuerliche, sozialrechtliche und verwaltungsmäßige Privilegierung – dürften ebenfalls ausreichen, um den Beihilfecharakter zu bejahen, sofern sie auch dazu verwendet werden, die Wahltarife zu bewerben und zu verwalten. Alle diese Aspekte sind staatlich gewährte Wettbewerbsvorteile, die den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren (können). c) Kein Ausschluss von Quersubventionierungen durch § 53 Abs. 9 Satz 1 SGB V 2007

152

Um derartige Quersubventionierungen zu verhindern, schreibt § 53 Abs. 9 Satz 1 SGB V 2007 allerdings vor, dass die Aufwendungen für jeden Wahltarif aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen, die durch diese Maßnahmen erzielt werden, finanziert werden (müssen). Darüber haben die Krankenkassen der GKV gegenüber der Aufsichtsbehörde mindestens alle drei Jahre Rechenschaft abzulegen (§ 53 Abs. 9 Satz 2 SGB V 2007). Ausdrücklich heißt es in der Begründung deshalb: „Wahltarife dürfen nicht zu Quersubventionierungen durch die übrigen Versicherten führen. Daher sind Sicherungsmaßnahmen zu beachten. Die schon im bisherigen § 65a Abs. 4 bestehenden Regelungen einschließlich einer Berichtspflicht gegenüber der Aufsichtsbehörde werden daher übernommen. Die Anforderung, dass die Aufwendungen für Wahltarife aus Einsparungen und Effizienzsteigerungen finanziert werden müssen, wird stringenter gefasst. Hier wird künftig nicht mehr nur der mittelfristige Zeitraum betrachtet. Die Betrachtung muss vielmehr zeitraumunabhängig erfolgen. Zu beachten ist, dass jeder Wahltarif für sich betrachtet diesen Anforderungen gerecht werden muss“.162

153

Diese gesetzliche Fixierung genügt freilich nicht, um den Anforderungen des Art. 87 Abs. 1 EG zu entsprechen. Denn sie klammert die strukturellen Vorteile 161 162

BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 156. BT.-Drucks. 16 / 3100, S. 109.

III. Keine Rechtfertigung gemäß Art. 86 Abs. 2 EG

59

der Krankenkassen weitgehend aus. Wie etwa „Effizienzsteigerungen“ in der Verwaltung trennscharf auf bestimmte Wahltarife heruntergebrochen werden können, bleibt offen. Anders lägen die Dinge nur, wenn die Krankenkassen der GKV ihre Wahltarife 154 völlig isoliert von der Pflichtversicherung anböten, mit eigens dafür eingestelltem Personal, in eigens dafür angemieteten Räumen und ohne Rückgriff auf die in der Pflichtversicherung angefallenen Datenbestände. Das ist nicht zu erwarten und liefe dem Telos der Wahltarife, die Wettbewerbsfähigkeit der GKV durch eine Öffnung des bislang der PKV vorbehaltenen Marktes zu erhöhen, zuwider. Unabhängig davon blieben auch die Steuervergünstigungen der GKV163 und ihre sonstigen gesetzlichen Vorteile als beihilfenrelevanter Tatbestand von Bedeutung.

III. Keine Rechtfertigung gemäß Art. 86 Abs. 2 EG Nach Art. 86 Abs. 1 EG dürfen die Mitgliedstaaten in Bezug auf Unternehmen, 155 denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, grundsätzlich keine den Wettbewerbsregeln des EG-V widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten. Eine Ausnahme gilt nach Art. 86 Abs. 2 EG allerdings für Unternehmen, die sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauen, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der übertragenen Aufgaben sicherzustellen.164 Das setzt voraus, dass andernfalls die Erfüllung der übertragenen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert würde und dass der Handelsverkehr nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der EU widerspricht (Art. 86 Abs. 2 Satz 2 EG).165 Grundgedanke des Art. 86 Abs. 2 EG ist es, Einschränkungen eines unverfälsch- 156 ten Wettbewerbs dort hinzunehmen, wo i. d. R. sozialpolitische Ziele nur durch staatliche Intervention erreicht werden können.166 Die Wahltarife und die mit ihnen abgedeckten Leistungen sind jedoch weder „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ (1.) noch liegt eine „Betrauung“ vor (2.).

163 Zur Beihilfenqualität von Steuervergünstigungen EuGH, DVBl. 2001, 47 ff. – Kommission / Deutschland, § 52 Abs. 8 EStG 1995, Rz. 26 f.; P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, § 17 Rdnr. 100. 164 EuGHE 1993, I – 2533 – Corbeau, Rz. 12 ff. 165 St. Storr, Zwischen überkommener Daseinsvorsorge und Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – mitgliedstaatliche und europäische Kompetenzen im Recht der öffentlichen Dienste, DÖV 2002, 357 / 359. 166 EuGHE 1991, I – 5889 – Porto di Genova, Rz. 26 f.

60

D. Unionsrechtliche Würdigung

1. Wahltarife keine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 157

„Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ hat der EuGH angenommen, wenn ein Unternehmer eine Dienstleistung im gesamten Zuständigkeitsgebiet für alle Abnehmer oder Verbraucher in den zu jeder Zeit geforderten Mengen zu einheitlichen Tarifen erbringt sowie unter Bedingungen, die nur nach objektiven Kriterien unterschiedlich sein dürfen und die für alle Kunden gleichermaßen gelten.167

158

Auch wenn eine umfassende Definition dieses Begriffs nicht möglich sein dürfte, gibt es – in der Tradition des französischen Service Public – doch eine Reihe von Kriterien, die für diese Dienstleistungen kennzeichnend sind: der Universaldienst, die Kontinuität und Qualität der Dienste, ihre Erschwinglichkeit sowie der Nutzer- und Verbraucherschutz.168

159

Die Wahltarife nach § 53 SGB V 2007 erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Dagegen spricht zunächst, dass nicht alle Personen berechtigt sind, Mitglieder der GKV zu werden:  Zwar erhalten durch die Einführung eines Basistarifs alle Einwohner Deutschlands einen vergleichbaren Krankenversicherungsschutz (§ 178a Abs. 5 und 7 VVG); dieser wird jedoch nicht durch die Krankenkassen der GKV erbracht, sondern teilweise im Wettbewerb zwischen GKV und PKV.  Unabhängig davon sind die Wahltarife darauf angelegt, unterschiedliche und differenzierte Leistungen im Wettbewerb anzubieten. Zwar werden die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichbehandlung – allerdings nur im Hinblick auf die Mitglieder der GKV (!) – insoweit beachtet, als die in Rede stehenden Wahltarife allen Mitgliedern offen stehen. Doch geht es nicht um die Aufrechterhaltung eines spezifischen Versorgungsniveaus.

160

Vor diesem Hintergrund kann es sich bei den hier in Rede stehenden Wahlleistungen nicht um „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ handeln. Mit der Neufassung des § 53 SGB V 2007 verfolgt der Gesetzgeber nämlich nicht das Ziel, die Erbringung bestimmter Dienstleistungen durch staatliche Interventionen sicherzustellen. Vielmehr sollen die Wahlleistungen und Wahltarife, gerade umgekehrt, den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und mit den Krankenversicherungen der PKV ermöglichen und intensivieren.169

EuGHE 1994, I – 1477 – Almelo, Rz. 48; 1997, I – 5813 – EdF / GdF, Rz. 57. EU-Kommission, Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vom 21. 05. 2003, KOM (2003) 270 endg., S. 19 f. 169 BT.-Drucks. 16 / 3100. 167 168

III. Keine Rechtfertigung gemäß Art. 86 Abs. 2 EG

61

2. Fehlende Betrauung Auch fehlt es an einer „Betrauung“. Das Erfordernis der „Betrauung“ soll Trans- 161 parenz im Hinblick auf mögliche Wettbewerbsverzerrungen liefern170 und anderen Marktteilnehmern Orientierung bieten. Dementsprechend heißt es in der Mitteilung der EU-Kommission vom 20. 09. 2000: „Damit die Ausnahme nach Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag auch greifen kann, muss der Versorgungsauftrag in jedem Falle klar definiert und ausdrücklich durch Hoheitsakt (Verträge eingeschlossen) aufgetragen sein. Dies ist aus Gründen der Rechtssicherheit und der Transparenz gegenüber den Bürgern unerlässlich und zudem notwendig, damit die Kommission die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bewerten kann“.171

An anderer Stelle hat die EU-Kommission für einen derartigen Betrauungsakt 162 gefordert, dass daraus die Art und die Dauer der Gemeinwohlverpflichtung hervorgehen müsse, das beauftragte Unternehmen und sein (geographischer) Zuständigkeitsbereich, die Art und die Dauer der dem Unternehmen gewährten ausschließlichen oder besonderen Rechte, die Parameter der Berechnung, die Überwachung und etwaige Änderungen der Ausgleichszahlung sowie Vorkehrungen gegen eine mögliche Überkompensation.172 Eine „Betrauung“ in diesem Sinne fehlt, wenn das in Rede stehende Unterneh- 163 men ohne weiteren hoheitlichen Rechtsakt selbst über das Angebot an Dienstleistungen entscheiden kann. Das gilt namentlich dort, wo der Gesetzgeber es den Krankenkassen der GKV freistellt, ob sie bestimmte Wahltarife anbieten, also bei den nicht obligatorischen Wahltarifen. Ein Genehmigungserfordernis ändert daran nichts,173 solange darin nicht die Verpflichtung enthalten ist, die in Rede stehende Aufgabe im Interesse des Gemeinwohls auch zu erfüllen.174 Auf das Genehmigungserfordernis nach § 53 i.V. m. § 195 Abs. 1 SGB V 2007 164 übertragen bedeutet dies: Auch wenn die Krankenkasse der GKV nach der Genehmigung eines Wahltarifs aufgrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wie aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verpflichtet ist, die in ihrer Satzung vorgesehenen Wahltarife allen Mitgliedern anzubieten, so behält sie bei den nicht obligatorischen Wahltarifen doch die EntscheiEuGHE 1989, 803 – Ahmed Saeed, Rz. 57. Mitteilung der Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa vom 20. 09. 2000, KOM (2000) 580 endg. Rz. 22. 172 Entscheidung der EU-Kommission vom 28. 11. 2005 über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, 2005 / 842 / EG, ABl. EU Nr. L 312 / 67 ff. 173 EuGHE 1983, 483 / 504 – GVL, Rz. 30 f. 174 EuGHE 1989, 803 – Ahmed Saeed, Rz. 55; Art. 4 lit. a Entscheidung der EU-Kommission vom 28. 11. 2005 über die Anwendung von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, 2005 / 842 / EG. 170 171

62

D. Unionsrechtliche Würdigung

dung darüber, ob sie diese anbieten will oder nicht. Die Aufsicht nach § 195 Abs. 1 SGB V 2007 ist insoweit auf eine Rechtsaufsicht beschränkt.

IV. Grundfreiheiten 165

Ohne entscheidende Bedeutung für den vorliegenden Zusammenhang sind dagegen die Dienstleistungs- (Art. 49 EG) und die Niederlassungsfreiheit. Zwar können sich die Krankenversicherungen der PKV wie ausländische Versicherungsunternehmen auf beide Grundfreiheiten berufen;175 doch setzt das Angebot grenzüberschreitende Versicherungsdienstleistungen voraus. Darum geht es im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht.

166

Darüber hinaus können die wettbewerbsrechtlichen Wertungen hinsichtlich der Qualifizierung der Angebote der Krankenkassen der GKV als Dienstleistungen von allgemeinem oder allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht durch einen Rückgriff auf die Grundfreiheiten unterlaufen werden.176

167

Im Übrigen rechtfertigten Art. 55 i.V. m. Art. 46 EG auch eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, wenn dies im öffentlichen Interesse, etwa im Interesse der Funktionsfähigkeit der GKV erforderlich ist.177 In diesem Sinne ermächtigt Art. 54 RiL 92 / 49 / EG178 die Mitgliedstaaten, sog. subsitutiven Krankenversicherungen in der PKV bestimmte Anforderungen im Interesse des Gemeinwohls aufzuerlegen.

175 P. Bach, in Bach / Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., 2002, Einl. Rn. 121; H. Sodan, Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform 2007, S. 65. 176 EuGHE 1997, I – 5815 – Kommission / Frankreich; P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, § 17 Rdnr. 120. 177 Zum Rückgriff auf das Solidarprinzip in diesem Zusammenhang T. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund. Gemeinschaftsrechtliche Einflüsse auf das deutsche Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, S. 445 ff. 178 Richtlinie 92 / 49 / EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinie 73 / 239 / EWG und 88 / 357 / EWG (Dritte Richtlinie Schadensversicherung), ABl. EG 1992 Nr. L 228 / 1.

E. Prozessuale und sonstige Möglichkeiten der Geltendmachung I. EU-Ebene Die Einführung der Wahltarife unter Beibehaltung von Möglichkeiten der Quer- 168 subventionierung stellt einen Verstoß gegen die der Bundesrepublik Deutschland obliegenden Verpflichtungen aus dem EG-V dar (Art. 10 EG). Die EU-Kommission berechtigt dies grundsätzlich zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG. Dessen Einleitung kann durch eine formlose Beschwerde angestoßen werden,179 die jede natürliche und juristische Person erheben kann, auch die APKV. Ein Anspruch auf Durchführung des Vertragsverletzungsverfahrens besteht allerdings nicht.180 Im Rahmen jedes anhängigen Rechtsstreites vor einem deutschen Gericht 169 kommt daneben eine Vorlage an den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 234 EG in Betracht.181 Letztinstanzliche Gerichte sind zur Vorlage verpflichtet (Art. 234 Abs. 3 EG). Willkürliche Missachtungen der Vorlagepflicht verstoßen zugleich gegen die Garantie des gesetzlichen Richters.182 Das BVerfG selbst macht von diesem Instrument allerdings (zu Unrecht) keinen 170 Gebrauch.183

II. Nationale Ebene 1. Verfassungsbeschwerde gegen § 53 SGB V 2007 a) Statthaftigkeit, Subsidiarität und Rechtswegerschöpfung Die Krankenversicherungen der PKV können unmittelbar gegen § 53 SGB V 171 2007 Verfassungsbeschwerde erheben, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V. m. §§ 13 179 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, § 13 Rdnr. 25 f. m. w. N.; siehe auch Beschwerdeformular in ABl. EG 1989 Nr. C 26 / 8; Entschließung des Rates vom 2. 10. 2000 zu Rechten der Fluggäste, ABl. EG 2000 Nr. C 293 / 1; Weißbuch Governance KOM (2001), 428 endg. 180 EuGHE 1989, 291 ff. – Star Fruit Company / Kommission, Rz. 11 ff.; EuGH, NJW 1998, 2809 – Intertronic F. Cornelis GmbH / Kommission. 181 EuGHE 1981, 3045 – Folgia / Novello II, Rz. 14. 182 BVerfGE 75, 223 / 228 ff.; 82, 159 / 196; BVerfG, DÖV 2001, 379 f. 183 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, § 21 Rdnr. 33 ff.

64

E. Prozessuale und sonstige Möglichkeiten der Geltendmachung

Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG. Sie müssen jedoch geltend machen, durch das angegriffene Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar beschwert zu sein. 172

Das Kriterium der Unmittelbarkeit ist eine verfassungsprozessuale Schöpfung des Bundesverfassungsgerichts. Es ist Ausdruck der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und tritt bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetzte an die Stelle des Gebotes der Rechtswegerschöpfung.184 Es hat insbesondere den Zweck, dem BVerfG die Anschauung der Fachgerichte zu vermitteln.185

173

Eine Verfassungsbeschwerde gegen § 53 SGB V 2007 scheitert insoweit an der fehlenden unmittelbaren Betroffenheit bzw. an der Möglichkeit, fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Denn die Rechtsverletzungen der PKV werden zwar durch § 53 SGB V 2007 vorgezeichnet; ihr konkreter Eintritt setzt jedoch nicht nur einen Beschluss der Krankenkasse der GKV und dessen Genehmigung voraus, sondern auch die Entscheidung der Mitglieder / Versicherten zwischen den konkurrierenden Angeboten von GKV und PKV.

174

Nichts anderes gilt mit Blick auf die Rechtswegerschöpfung, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, weil den Krankenversicherungen der PKV die Möglichkeit eröffnet ist, die Genehmigung der Wahltarife vor den Sozialgerichten oder den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzugreifen. Das dürfte angesichts der hohen Anforderungen an die Subsidiarität selbst dann gelten, wenn man den Rechtsweg zu den Sozialgerichten (zu Unrecht) für unzulässig hält.186

175

In besonders gelagerten Fällen hat das BVerfG die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen das Gesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise auch vor dem Erlass eines Vollziehungsaktes bejaht, wenn das Gesetz die Normadressaten zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder zu Dispositionen, die nach dem späteren Gesetzesvollzug nicht mehr korrigiert werden können.187 Das deckt sich mit der Regelung des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, wonach das BVerfG Verfassungsbeschwerden wegen ihrer allgemeinen Bedeutung oder wegen der schweren und unabwendbaren Nachteile auch vor Rechtswegerschöpfung annehmen kann.

176

Mit Blick auf § 53 SGB V 2007 erscheint es zumindest nicht ganz ausgeschlossen, dass eine unmittelbar gegen das Gesetz erhobene Verfassungsbeschwerde diese Hürde nehmen könnte. Die Zulassung der Wahltarife verändert die Wettbewerbsstruktur auf dem entsprechenden Markt irreparabel. Sie zwingt die Krankenversicherungen der PKV zur Aufgabe bisheriger und zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Das kann nicht mehr zurückgedreht werden. Die Chancen auf eine Annahme werden freilich umso höher sein, je plausibler schwere und unabwendbare Nachteile vorgetragen werden können.

184 185 186 187

K. Schlaich / St. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl., 2004 Rdnr. 238. BVerfGE 65, 1 / 38. Siehe insoweit unter E. II. 2. BVerfGE 60, 360 / 372 m. w. N.; 65, 1 / 37.

II. Nationale Ebene

65

b) Jahresfrist Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen § 53 SGB V 2007 sind – vorbehalt- 177 lich der Subsidiaritätsanforderungen – nur innerhalb eines Jahres zulässig, § 93 Abs. 3 BVerfGG, angesichts des Inkrafttretens von § 53 SGB V 2007 am 1. April 2007 (Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG) also bis zum 31. März 2008. Dass § 53 SGB V 2007 teilweise Vorschriften ersetzt, die auch vor dem Inkraft- 178 treten des GKV-WSG gegolten haben, führt nicht zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Zum einen hat das GKV-WSG den Wortlaut der in Rede stehenden Vorschriften verändert. Zum anderen kann selbst für eine in ihrem Wortlaut nicht geänderte Vorschrift die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG erneut zu laufen beginnen, wenn der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift erweitert188 oder anders festlegt und ihr dadurch einen neuen Inhalt gibt.189 Gleiches gilt, wenn die in Rede stehende Vorschrift durch die Änderung sonstiger Bestimmungen einen neuen oder erweiterten Inhalt erhält,190 eine neue belastende Wirkung entfaltet191 oder sich ihr materielles Gewicht verändert.192 Alle diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar sah § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB V a. F. bereits eine Beitragsermäßigung vor, 179 die dem jetzt in § 53 Abs. 1 SGB V 2007 geregelten Selbstbehalt ähnelte. Diese hatte jedoch schon wegen des Beitragseinzugs durch die Krankenkassen der GKV eine andere Struktur und galt zudem nur für in der GKV freiwillig Versicherte. Insoweit hat eine erhebliche Ausweitung des Anwendungsbereichs stattgefunden, die für die Krankenversicherungen der PKV auch ein ganz anderes – größeres – Gewicht besitzt. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sind insoweit kaum vergleichbar. Im Hinblick auf die Prämienzahlung für die Nichtinanspruchnahme der GKV 180 nach § 53 Abs. 2 SGB V 2007 liegt eine vergleichbare Argumentation nahe. Auch insoweit enthielt die in § 54 SGB V a. F. geregelte Beitragsrückzahlung zwar bereits ein für freiwillig Versicherte ansatzweise vergleichbares Institut; das GKVWSG hat auch dieses jedoch nicht nur regelungstechnisch auf eine Prämienzahlung umgestellt, sondern auch seinen Anwendungsbereich um ein Vielfaches erweitert.

188 189 190 191 192

BVerfGE 12, 10 / 24. BVerfGE 74, 69 / 73. BVerfGE 43, 108 / 116. BVerfGE 45, 104 / 119. BVerfGE 79, 1 / 14.

66

E. Prozessuale und sonstige Möglichkeiten der Geltendmachung

2. Fachgerichtliche Überprüfung der Genehmigung einzelner Wahltarife 181

Die Krankenversicherungen der PKV könnten die Genehmigung der Wahltarife nach § 195 SGB V 2007 vor den Sozialgerichten anfechten, wenn sie dadurch beschwert wären, § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 SGG.

182

Das BSG lehnt eine derartige Beschwer für Konkurrentenabwehrklagen193 zugelassener Kassen- bzw. Vertragsärzte seit geraumer Zeit allerdings ab und begründet dies damit, dass die wirtschaftlichen Interessen der Arrivierten nicht schutzwürdig seien, und eine Reduzierung des Einkommens auf die Neuzulassung nicht kausal zurückgeführt werden könne.194 Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, weil Art. 12 Abs. 1 GG in der Tat keinen Schutz vor Konkurrenz gewährt und – wie dargelegt – i. d. R. auch keinen Schutz vor einer marktkonformen Konkurrenz der öffentlichen Hand.195

183

Gleichwohl erscheint eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Genehmigung von Wahltarifen problematisch. Denn der Eintritt der Krankenkassen der GKV in den Wettbewerb mit den Krankenversicherungen der PKV erfolgt nicht marktkonform. Er verletzt deren berufliche Chancengleichheit aus Art. 12 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG196 und – jedenfalls bei einer allfälligen Beteiligung im Genehmigungsverfahren nach Art. 88 Abs. 2 und 3 EG – auch ihre durch Art. 87 f. EG i.V m. VO / EG Nr. 659 / 1999 geschützten Interessen an einem unverfälschten Wettbewerb.197 Vor diesem Hintergrund ist es mit Art. 19 Abs. 4 GG kaum vereinbar,198 wenn Sozialgerichte Anfechtungsklagen gegen die Genehmigung von Wahltarifen durch die Aufsichtsbehörden als unzulässig abweisen.

184

Nicht zu beanstanden ist es dagegen, wenn die ordentlichen Gerichte die Genehmigung der Wahltarife nicht am Maßstab des Wettbewerbsrechts messen und entsprechende Klagen an die Sozialgerichte verweisen. Das entspricht der auch andernorts gefestigten Rechtsprechung. Um das Wettbewerbsrecht nicht zu einer Zum Begriff P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 81 f. BSGE 68, 291 / 293; anders noch BSGE 62, 231 / 232; dazu E. Kreßel / M. Wollenschläger, Leitfaden zum Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl., 1996, § 10 Rdnr. 16. 195 P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 298 ff.; ders., Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, S. 897 / 929 f.; ders., Öffentliche Aufgabenerfüllung bei sich wandelnden Marktbedingungen, in Henneke (Hrsg.), Professorengespräch 2007 des Deutschen Landkreistages, 2007, S. 11 ff. 196 Siehe dazu unter D. III. 197 EuGHE 1993, I – 3203 – Matra / Kommission, Rz. 16 ff.; zur Rügefähigkeit dieser Normen vor nationalen Gerichten EuGHE 1973, 1471 / 1483 – Lorenz / Deutschland; 1979, 595 – Steinike & Weinlig / Deutschland, Rz. 10 ff.; P. M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, S. 386 f. 198 Zur Bedeutung von Art. 19 Abs. 4 GG für den sozialgerichtlichen Rechtsschutz E. Eichenhofer, Sozialrecht, § 11 Rdnr. 255 m. w. N. 193 194

II. Nationale Ebene

67

„Übernorm“ des gesamten Öffentlichen Rechts werden zu lassen,199 sah sich der BGH gezwungen, das UWG grundsätzlich nur für eine Überprüfung der Art und Weise der unternehmerischen Betätigung heranzuziehen, das Markteintrittsrecht hingegen als öffentlichrechtliche Vorfrage zu behandeln.200 In Anlehnung an die sog. Zwei-Stufen-Theorie soll die Entscheidung über das „Ob“ der Wettbewerbsteilnahme danach öffentlichrechtlich zu beurteilen sein, die konkrete Art und Weise der Wettbewerbsteilnahme, das „Wie“, hingegen wettbewerbsrechtlich-privatrechtlich.201 Dogmatisches Scharnier dafür ist die von der Rechtsprechung im Rahmen des 185 § 1 UWG a. F. – heute § 4 Nr. 11 UWG – entwickelte Kategorie des „Vorsprungs durch Rechtsbruch“. Auf ihrer Grundlage hatte die zivilgerichtliche Rechtsprechung lange Zeit zwar auch überprüft, inwieweit die öffentliche Hand überhaupt unternehmerisch tätig werden darf und entsprechenden Unterlassungsklagen stattgegeben.202 Das warf mit Blick auf das kommunale Wirtschaftsrecht jedoch die Frage auf, ob dessen Wertung, die kommunalwirtschaftlichen Grenzen gerade nicht zu subjektivieren, durch einen Rückgriff auf das allgemeinere UWG umgangen werden durfte. In der Entscheidung „Elektroarbeiten“ hat der BGH dies im Jahre 2002 endgültig verneint und Klagen, in denen über das „Ob“ der konkurrenzwirtschaftlichen Betätigung gestritten wird, den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Fiskusabwehransprüche ergäben sich insoweit allenfalls aus dem Kommunalrecht, wobei es keine Rolle spiele, ob die Tätigkeit in privatrechtlicher oder in öffentlichrechtlicher Form erfolge. Dagegen sei der ordentliche Rechtsweg (§ 13 GVG) nur eröffnet, wenn die Art und Weise, also das „Wie“ der wirtschaftlichen Betätigung, Streitgegenstand sei; die Unzulässigkeit eines bestimmten Wettbewerbsverhaltens richte sich nach Zivilrecht.203 Das gilt mutatis mutandis auch hier.204

199 Auf die Grenzen zivilgerichtlicher Rechtsprechungsbefugnis hat schon RGZ 150, 140 ff. hingewiesen. 200 BGHZ 67, 81 / 88. 201 Zur Entwicklung im einzelnen P. M. Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, S. 897 / 926 ff. 202 OLG Hamm, JZ 1998, 576 ff. – Gelsengrün. 203 BGH, JZ 2003, 315 ff.; DÖV 2003, 249 ff. 204 Siehe auch LSG SH, Beschl. v. 26. 9. 2007 – L 5 B 522 / 07 KR ER, allerdings auf das Rechtsverhältnis zwischen zwei Krankenkassen der GKV bezogen.

F. Thesen 1. Die Wahltarife des § 53 SGB V 2007 ermöglichen in ihrem Anwendungsbereich Wettbewerb zwischen den Krankenkassen der GKV und den Krankenversicherungen der PKV. Dieser Wettbewerb hat begonnen. 2. Die mangelnde organisatorische und personelle Trennung von Regelversorgung und Wahltarifen sowie die zahlreichen Strukturvorteile der Krankenkassen der GKV verursachen, soweit sie mit den Krankenversicherungen der PKV konkurrieren, erhebliche Wettbewerbsverzerrungen. 3. Die Wahltarife nach § 53 SGB V lassen sich nicht als Begrenzung der bzw. Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit von Art. 12 Abs. 1 GG qualifizieren. Die wirtschaftlichen Folgen, die sich aus ihrer Zulassung für die Krankenversicherungen der PKV ergeben, erreichen (bislang) nicht die notwendige Intensität. 4. Im Verhältnis zu Art. 12 Abs. 1 GG bleibt Art. 2 Abs. 1 GG auch bei fehlender objektiv berufsregelnder Tendenz subsidiäres Auffanggrundrecht. 5. Das GKV-WSG bewirkt im Bereich Wahltarife eine Ungleichbehandlung der Krankenkassen der GKV und der Krankenversicherungen der PKV. Dies beeinträchtigt die durch Art. 12 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Chancengleichheit im Wettbewerb. Sachliche Gründe für diese Privilegierung sind nicht ersichtlich. § 53 SGB V 2007 ist insoweit verfassungswidrig. 6. § 53 Abs. 9 SGB V 2007 will Wettbewerbsverzerrungen vermeiden. Er lässt die an anderer Stelle geregelten strukturellen Privilegierungen der Krankenkassen der GKV jedoch unberührt und stellt deshalb keine grundrechtskonforme Ausgestaltung der Wahltarife durch die Krankenkassen der GKV sicher. 7. Die mit der Einführung der Wahltarife verbundene Ermöglichung von Wettbewerb wirkt mit Blick auf die Mitglieder der GKV freiheitsfördernd, nicht -beschränkend. Sie scheitert deshalb von vornherein nicht an den Grundrechten der Mitglieder der GKV. 8. Das Angebot von Wahltarifen durch die Krankenkassen der GKV ist als unternehmerische Betätigung i. S. v. Art. 86 Abs. 1 EG einzuordnen. 9. Die durch die Wahltarife ausgelösten Wettbewerbsverzerrungen stellen weder verbotene Absprachen i. S. v. Art. 81 EG noch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i. S. v. Art. 82 EG dar. 10. § 53 SGB V 2007 verstößt in Verbindung mit anderen Bestimmungen des SGB V 2007 jedoch gegen Art. 87 Abs. 1 EG, weil er es gestattet, die staatliche Finanzierung und die Strukturvorteile der GKV auch für das Angebot der Wahltarife zu nutzen. 11. Der in der gesetzlichen Ausgestaltung der Wahltarife liegende Verstoß gegen das Beihilfenregime der Art. 87 f. EG kann im Wege einer Beschwerde bei der

F. Thesen

69

EU-Kommission von jedermann gerügt werden. Ein Anspruch auf Abhilfe besteht nicht. 12. Soweit § 53 SGB V 2007 oder auf seiner Grundlage angebotene Wahltarife vor nationalen Gerichten angegriffen werden, können diese das Verfahren aussetzen und die Frage ihrer Vereinbarkeit dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung (Art. 243 EG) vorlegen. Letztinstanzliche Gerichte sind dazu verpflichtet. 13. Die Genehmigung von Wahltarifen verletzt konkurrierende Krankenversicherungen der PKV in ihrer Wettbewerbsfreiheit und – bei einer Beteiligung im Genehmigungsverfahren – auch in ihren aus Art. 87 EG folgenden Rechten. Dies begründet die Klagebefugnis nach § 54 SGG. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist insoweit ausgeschlossen. 14. Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen § 53 SGB V 2007 scheitert am Grundsatz der Subsidiarität bzw. dem Gebot der Rechtswegerschöpfung, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. 15. Da die Zulassung von Wahltarifen zu irreparablen Verletzungen der konkurrierenden Krankenversicherungen der PKV führt und die Wettbewerbsverhältnisse im Nachhinein nicht mehr geändert werden können, erscheint es wegen der allgemeinen Bedeutung der Verfassungsbeschwerde und wegen der schweren und unabwendbaren Nachteile für die PKV aber denkbar, dass eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise auch vor Erschöpfung des Rechtswegs angenommen wird (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG).

Anhang205 Die neuen Wahltarife (seit 01. 04. 2007)

Kasse

Selbstbehalt

Beitragsrückerstattung

Teilnahmebonus

Variable Kostenerstattung

Ja

Ja

Ja

AOK Baden-Württemberg

Ja

AOK Bayern

Ja

AOK Brandenburg

Ja

AOK Bremen / Bremerhaven

Ja

AOK in Hessen

Ja

AOK in Rheinland-Pfalz

Ja

AOK in Thüringen

Ja

AOK Mecklen.-Vorpommern

Ja

AOK Niedersachsen

Ja

AOK Sachsen

Ja

AOK Sachsen-Anhalt

Ja

AOK Schleswig-Holstein

Ja

AOK Westfalen-Lippe

Ja

BARMER

Ja

Ja

BIG – Die Direktkrankenkasse

Ja

Ja

BKK ESSANELLE

Ja

BKK Gesundheit DAK

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja Ja

HZK – DIE PROFIKRANKENKASSE

Ja

205

Ja

Ja

Ja

GEK

IKK Baden-Württemberg und Hessen

Sonderleistungen

Ja

Angaben bei http: / / www.krankenkasseninfo.de / wahltarife / wahltarife.php.

Ja

Anhang

Kasse

Selbstbehalt

71

Beitragsrückerstattung

Teilnahmebonus

Ja

Ja

Inovita BKK

Ja

KKH – Die Kaufmännische

Ja

Knappschaft

Ja

Ja

MARQUARDT BKK

Ja

Ja

mhplus BKK

Ja

Ja

Ja

neue BKK

Ja

Ja

Ja

NOVITAS Vereinigte BKK

Ja

Ja

Ja

Techniker Krankenkasse

Ja

Ja

Ja

Variable Kostenerstattung

Sonderleistungen

Literaturverzeichnis Bach, Peter / Moser, Hans, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., 2002. Badura, Peter u. a., Kreditinstitute und Finanzdienstleistungen der öffentlichen Hand – Öffentlicher Auftrag und Wettbewerb, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2002 / I, 2003. Badura, Peter / Huber, Peter M., Öffentliches Wirtschaftsrecht, in: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl., 2005. Bley, Helmar / Kreikebohm, Ralf / Marschner, Andreas, Sozialrecht, 9. Aufl., 2007. Eichenhofer, Eberhard, Sozialrecht, 6. Aufl., 2007. Frenz, Walter, Krankenkassen im Wettbewerbs- und Vergaberecht, NZS 2007, 233 ff. Grabitz, Eberhard, Über die Verfassung des Binnenmarktes, FS für Steindorff, 1990, S. 1229 ff. Heinemann, Andreas, Grenzen staatlicher Monopole im EG-Vertrag, 1996. Hermes, Georg, Gleichheit durch Verfahren bei der staatlichen Auftragsvergabe, JZ 1997, 909 ff. Huber, Peter M., Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1997. – Der Schutz des Bieters im öffentlichen Auftragswesen unterhalb der sog. Schwellenwerte, JZ 2000, 877 ff. – Deutschland in der Föderalismusfalle?, 2003. – Die Informationstätigkeit der öffentlichen Hand – ein grundrechtliches Sonderregime aus Karlsruhe?, JZ 2003, 290 ff. – Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand, in: FS Badura, 2004, S. 897 ff. – Kampf um den öffentlichen Auftrag, 2002. – Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991. – L’armonizzazione dei servizi di interesse economico generale in europa ed i suoi limiti, in: Servizi pubblici e appalti, 3 (2005), 85 ff. – Öffentliche Aufgabenerfüllung bei sich wandelnden Marktbedingungen, in: Henneke (Hrsg.), Professorengespräch 2007 des Deutschen Landkreistages, 2007, S. 11 ff. – Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl., 2002. – Selbstverwaltung und Systemgerechtigkeit. Zu den Grenzen einer „Professionalisierung“ der Leitungsstrukturen Kassenärztlicher Vereinigungen, VSSR 2000, 369 ff. Hufen, Friedhelm, Staatsrecht II, Grundrechte, 2007. Isensee, Josef, Wahltarif „Krankenhauskomfort“, NZS 2007, 449 ff. Jarass, Hans Dieter, Kommunale Wirtschaftsunternehmen im Wettbewerb, 2002.

Literaturverzeichnis

73

Jarass, Hans Dieter / Pieroth, Bodo, GG, Kommentar, 9. Aufl., 2007. Kingreen, Torsten, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund. Gemeinschaftsrechtliche Einflüsse auf das deutsche Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003. – Europarechtliche Implikationen des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG), Rechtsgutachten erstattet im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Hans Böckler–Stiftung, 2007, Typoskript. Kirchhof, Gregor, Kumulative Belastung durch unterschiedliche staatliche Maßnahmen, NJW 2006, 732 ff. Kloepfer, Michael, Belastungskumulationen durch Normenüberlagerungen im Abwasserrecht, VerwArch 74 (1983), 201 ff. Kluth, Winfried, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union 1995. Koenig, Christian / Engelmann, Christina, Das Festbetrags-Urteil des EuGH: Endlich Klarheit über den gemeinschaftsrechtlichen Unternehmensbegriff im Bereich der Sozialversicherung?, EuZW 2004, 682 ff. Kreßel, Eckhard / Wollenschläger, Michael, Leitfaden zum Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl., 1996. Lerche, Peter, Schutzbereich, Grundrechtsprägung, Grundrechtseingriff, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR V, 2. Aufl., 2000, § 121. Löwer, Wolfgang, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), S. 416 ff. Lücke, Jörg, Der additive Grundrechtseingriff sowie das Verbot der übermäßigen Gesamtbelastung des Bürgers, DVBl. 2001, 1469 ff. v. Mangoldt, Hermann / Klein, Friedrich / Starck, Christian (Hrsg.) GG, Kommentar, Band I, 5. Aufl., 2005. Maunz, Theodor / Dürig, Günther (Hrsg.) GG, Kommentar, Losebl., Band I (Stand: Juni 2007), Band II (Stand: Juni 2007). Möschel, Werner, Gesetzliche Krankenversicherung und das Kartellrecht, JZ 2007, 601 ff. Murswiek, Dietrich, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1021 ff. Pieroth, Bodo / Schlink, Bernhard, Grundrechte, Staatsrecht II, 22. Aufl., 2006. Puhl, Thomas, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), 456 ff. Rolfs, Christian / Giesen, Richard / Kreikebohm, Ralf / Udsching, Peter, Beck’scher OnlineKommentar zum SGB, Stand 1. 6. 2007. Schlaich, Klaus / Korioth, Stefan, Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl., 2004. Schliesky, Utz, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 1997. Schoch, Friedrich, Staatliche Informationspolitik und Berufsfreiheit, DVBl. 1991, 667 ff. Scholz, Rupert, Zur Wettbewerbsgleichheit von gesetzlicher und privater Krankenversicherung, 1991.

74

Literaturverzeichnis

Schwarze, Jürgen, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613 ff. Schwintek, Sebastian, Zur Kreditaufnahme durch eine gesetzliche Krankenkasse, EWiR 2006, 39 f. Sodan, Helge, Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, NJW 2007, 1313 ff. – Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform 2007, 2006. – Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform 2007, 2. Aufl., 2007. Storr, Stefan, Der Staat als Unternehmer, 2001. – Zwischen überkommener Daseinsvorsorge und Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – mitgliedstaatliche und europäische Kompetenzen im Recht der öffentlichen Dienste, DÖV 2002, 357 ff. Streinz, Rudolf (Hrsg.), EUV / EGV, Kommentar, 2003. Suerbaum, Joachim, Durchbruch oder Pyrrhussieg? – Neues zum Schutz Privater vor der Kommunalwirtschaft, DV 2007, 29 ff.