Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ [1 ed.] 9783428491506, 9783428091508

Die Freizügigkeit zivilrechtlicher Entscheidungen, d. h. ihre Vollstreckung über die Staatsgrenzen hinweg, wird durch da

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Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ [1 ed.]
 9783428491506, 9783428091508

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Schriften zum Prozessrecht Band 137

Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ Von

Axel Keßler

Duncker & Humblot · Berlin

AXEL KESSLER

Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ

Schriften zum Prozessrecht Band 137

Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ

Von Axel Keßler

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Keßler, Axel: Die Vollstreckbarkeit und ihr Beweis gem. Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ / von Axel Keßler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Prozessrecht ; Bd. 137) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-428-09150-7

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-09150-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Wintersemester 1996/97 als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung konnte noch die bis Februar 1997 veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt werden. Die Arbeit geht zurück auf eine Anregung meines verehrten Doktorvaters, Herrn Prof. Dr. Rolf Stürner, der die Arbeit kritisch und engagiert betreute. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Dieter Leipold für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Notar Dr. Wolfsteiner für Hinweise, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Dem Graduiertenkolleg "Internationalisierung des Privatrechts" der AlbertLudwigs-Universität Freiburg danke ich für die freundliche Aufnahme und die Gewährung eines großzügigen Stipendiums und von Reisekostenzuschüssen. Schließlich danke ich Susanne und meinen Eltern für ihre Mithilfe bei der Korrektur der Arbeit. Freiburg/München, im Oktober 1997 Axel Keßler

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung

19

2. Kapitel Grundlagen

22

A.

Definition der Vollstreckbarkeit

22

B.

Abgrenzung des Erkenntnis- vom Zwangsvollstreckungsverfahren

27

C.

Bedeutung des nationalen Vollstreckungszulassungsverfahrens I. Abgrenzung nach Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ II. Abgrenzung nach dem Charakter der Vollstreckungszulassung

31 32 34

D.

„Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Zwangsvollstreckung bzw. Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat?

39

I.

Einstellung der Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat

39

II.

Eröffnung des Konkurses im Urteilsstaat

44

1.

Lösungen in Rechtsprechung und Literatur

44

2.

Eigener Lösungsvorschlag

46

3.

Folgen für die Vollstreckbarerklärung

47

E.

Beweiserleichterung

48

I.

Grundsatz des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ und § 6 Abs. 1 AVAG

48

II.

Die Beweiserleichterung des § 6 Abs. 2 AVAG

52

1.

Die verpflichtende Anhörung des Schuldners nach § 6 Abs. 2 AVAG

52

2.

Die Vereinbarkeit mit Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ

55

3.

Die Vereinbarkeit mit Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ

57

4.

Die Vereinbarkeit mit Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ

57

5.

Die Anhörung des Schuldners außerhalb von § 6 Abs. 2 AVAG . 58

8

nsverzeichnis

III.

Anwendbarkeit der in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ genannten Alternativen für den Nachweis der Vollstreckbarkeit

60

1.

Fristbestimmung

63

2.

Gleichwertige Urkunden

66

3.

Die Befreiung von der Urkunden vorläge

66

3. Kapitel Rahmenbedingungen

69

A.

Frankreich

69

B.

England

70

C.

Schweiz

71

D.

Österreich

73

4. Kapitel Die allgemeinen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen A.

Deutschland

76

I.

Bedeutung der Vollstreckungsklausel in der Zwangsvollstreckung . . . 76

II.

Die Vollstreckungsklausel als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ?

78

Die Vollstreckungsklausel als Beweis der Vollstreckbarkeit nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ?

81

III.

B.

76

Frankreich I.

II.

83

Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung (conditions de forme)

83

1.

Die Vollstreckungstitel

83

2.

Die Vollstreckungsklausel

86

a)

Die Vollstreckungsklausel in der Zwangsvollstreckung

86

b)

Die Vollstreckungsklausel als Vollstreckbarkeitsvoraussetzung

90

Die allgemeinen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen 1.

91

Die materiellrechtlichen Voraussetzungen (conditions de fond) . . 91 a)

Unbedingter Bestand (créance certaine)

92

nsverzeichnis

b)

In Geld ausgedrückte oder meßbare Forderung (liquidité) . . . 94

c)

Fälligkeit (exigibilité)

d)

Nachweis dieser materiellrechtlichen Voraussetzungen gem. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ

2. III.

IV.

C.

9

95 98

Die Zahlungsaufforderung (commandement)

99

Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen für Urteile

100

1.

Rechtskraft

100

2.

Vorläufige Vollstreckbarkeit

106

3. Zustellung Zusammenfassende Beurteilung der Bedeutung der Vollstreckungsklausel für den Nachweis der Vollstreckbarkeit

109 110

England

113

I.

Die Vollstreckungstitel

113

II.

Der writ of execution

114

III.

Das certificate under section 12 Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982

116

1.

Rechtsgrundlagen

116

2.

Historische Vorläufer der Regelung

117

3. 4.

Die Erteilung und der Inhalt der Bescheinigung County Court Entscheidungen und Magistrates* Courts Unterhaltsbeschlüsse

118

„Entry"

120

5. IV.

119

Die einzelnen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen für Urteile

122

1.

Die Rechtsmittel

122

2.

Die Einstellung der Vollstreckung (Stay of execution)

124

a)

Stay of execution pending appeal

125

b)

Stay of execution by writ of fieri facias

127

c)

Auswirkungen des stay of execution auf die Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ

128

3.

Fälligkeit

129

4.

Vollstreckungsgenehmigung (leave to issue execution)

130

a)

Zeitablauf (limitation period)

131

b)

Bedingte Entscheidungen (conditional orders)

132

c)

Erteilung der Vollstreckungsgenehmigung

133

10

nsverzeichnis

d)

D.

Die Vollstreckungsgenehmigung als Vollstreckbarkeitsvoraussetzung i.S.v. Art. 31 EuGVÜ?

Schweiz

135

I.

Die Vollstreckung von auf Geldleistung gerichteteten Titeln

135

1.

Der Zahlungsbefehl

135

a)

Der Zahlungsbefehl als Vollstreckungstitel

135

b)

Qualifikation als Entscheidung i.S.v. Art. 25 EuGVÜ

137

2.

Die Rechtsöffnung

139

a)

Die definitive Rechtsöffnung (Art. 80 f. SchKG)

141

aa)

144

b)

Das gerichtliche Urteil

bb) Der gerichtliche Vergleich

146

cc)

147

Die gerichtliche Schuldanerkennung

Die provisorische Rechtsöffnung

147

aa)

149

Abgrenzung nach Art. 16 Nr. 5 LugÜ

bb) Folgerungen II. E.

134

153

Die Vollstreckung von nicht auf Geldleistung gerichteten Titeln . . . . 156

Österreich

158

I.

158

Die Exekutionsbewilligung 1.

Bedeutung der Exekutionsbewilligung im nationalen Zwangsvollstreckungsverfahren 158

2.

Die Exekutionsbewilligung als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ?

161

Die Exekutionsbewilligung als Beweis der Vollstreckbarkeit nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ?

162

3.

II.

Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen und ihr Beweis gem. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ

165

1.

Rechtskraft und Ablauf der Leistungsfrist

165

a)

Rechtskraft

165

b)

Leistungsfrist

168

aa)

168

Bedeutung

bb) Beginn der Leistungsfrist 2.

c) Bedeutung der Vollstreckbarkeitsbestätigung Weitere inhaltliche Erfordernisse, die an den Vollstreckungstitel gestellt werden

170 171 175

III.

nsverzeichnis

11

a)

Bestimmtheit (§ 7 Abs. 1 EO)

175

b)

Bedingungen

176

c)

Fälligkeit (§ 7 Abs. 2 EO)

176

Folgerungen für die Notwendigkeit der Vorlage der Exekutionsbewilligung

5. Kapitel Besondere Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen A.

B.

179

Vollstreckbarkeit für und gegen Rechtsnachfolger

179

I.

Allgemeines

179

II.

Frankreich

181

III.

England

184

IV.

Schweiz

188

V.

Österreich

190

Zug um Zug-Vollstreckung

193

I.

Allgemeines

193

1.

Historische Entwicklung

193

2.

Ermittlung der Vollstreckbarkeit von Zug um Zug-Urteilen . . . . 194

3.

Vollstreckbarkeit deutscher Zug um Zug-Urteile

195

II.

Frankreich

195

III.

England

197

IV.

Schweiz

200

1.

Nicht auf Geldleistung gerichtete Zug um Zug-Urteile

201

2.

Auf Geldleistung gerichtete Zug um Zug-Urteile

203

V.

Österreich

204

6. Kapitel Einstweiliger Rechtsschutz A.

178

210

Frankreich

210

I.

Sicherungsmaßnahmen („mesures conservatoires")

210

II.

Einstweilige Maßnahmen

212

12

nsverzeichnis

Β.

England

216

C.

Schweiz

220

I.

Der Arrest (Art. 271-281 SchKG)

221

II.

Einstweilige Verfügungen (vorsorgliche Maßnahmen)

223

D.

Österreich

225

I.

Sicherungsmaßnahmen

225

II.

Einstweilige Verfügungen

227

1.

Sicherheitsleistung

229

2.

Befreiungsbetrag (Abstandsbetrag und Lösungssumme)

230

3.

Geltungsdauer (Verfügungsfrist)

230

4.

Rechtfertigungsfrist

231

5.

Vollzugsfrist

232

7. Kapitel Schluß

233

A.

Zusammenfassung

233

B.

Ausblick

236

Literaturverzeichnis

238

Abkürzungsverzeichnis aA.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

ABGB

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch

Abs.

Absatz

AGGVÜ

Gesetz zur Ausführung des EuGVÜ

All.E.R.

All England Law Reports

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

AusfG

Ausführungsgesetz

AußStrG

Außerstreitgesetz

AVAG

Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungsund Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz)

AWD

Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters

betr.

betreffend

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGE

Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts, amtliche Sammlung

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BJM

Basler Juristische Mitteilungen

BlgNR

Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates

BISchK

Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs

BN

Der Bernische Notar

BT-Drucks.

Drucksachen des Bundestages

14

Abkürzungs Verzeichnis

Bull. civ.

Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, Chambres civiles

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

c.

contre

c. civ.

Code civil

C.A.

Court of Appeal

C.C.R.

County Court Rules 1981

CA

Cour d'appel

Cass. civ.

Cour de cassation, Chambre civile

Cass. req.

Cour de cassation, Chambre des requêtes (vor 1938)

Ch.

Law Reports, Chancery, seit 1891

Ch.D.

Law Reports, Chancery Division, 1876-1890

D.

Dalloz

d.h.

das heißt

DA Vorm

Der Amtsvormund

ders.

derselbe

DGVZ

Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung

Diss.

Dissertation

DNotZ

Deutsche Notar Zeitschrift

DS

Dalloz-Sirey

East.

East's Reports, King's Bench, 1800-1812

EO

Exekutionsordnung

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGVÜ

Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EvBl

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (ab 1946 abgedruckt in der ÖJZ)

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f.

folgende(r/s)

Fase.

Fascicule

ff.

fortfolgende

Fn.

Fußnote

Abkürzungsverzeichnis

FS

Festschrift

Gaz. Pal.

Gazette du Palais

15

gem.

gemäß

GeO

Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz

GG

Grundgesetz

GP

Gesetzgebungsperiode

Green Book

siehe Literaturverzeichnis unter Thompson, The County Court Practice

Hdb.

Handbuch

Hrsg.

Herausgeber

HS

Halbsatz

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

insb.

insbesondere

IPRax

Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts

IPRG

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht

IPRspr.

Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts

JB1

Juristische Blätter

J.-Cl. civ.

Juris-Classeur Civil

J.-Cl. int.

Juris-Classeur de droit international

J.-Cl. proc.

Juris-Classeur de procédure civil

J.C.P.

Jurisclasseur périodique (Semaine juridique); éd. A = Avoués; éd. G = Générale

JN

Jurisdiktionsnorm

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

K.B.

Law Reports, Kings Bench, 1901-1952

KO KTS

Konkursordnung Zeitschrift für Insolvenzrecht (Konkurs, Treuhand, Sanierung)

Lfg.

Lieferung

LG

Landgericht

Lloyd's Rep.

Lloyd's Reports

16

LugÜ

Abkürzungsverzeichnis

Luganer Übereinkommen, Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

m.E.

meines Erachtens

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenzeitschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungsreport

n.c.pr.c.

Nouveau Code de procédure civile

Nr.

Nummer

NZ

Österreichische Notariatszeitung

öBGBl.

österreichisches Bundesgesetzblatt

ÖJZ

Österreichische Juristenzeitung

öRPflG

österreichisches Rechtspflegergesetz

ÖS

österreichische Schilling

öStPO

österreichische Strafprozeßordnung

öZPO

österreichische Zivilprozeßordnung

OLG

Oberlandesgericht

OR

Obligationenrecht

Ord.

Order

Q.B.

Law Reports, Queens Bench 1891-1901 und seit 1952

Q.B.D.

Law Reports, Queens Bench Division

r.

rule

R.S.C.

Rules of the Supreme Court 1965

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RdW

Österreichisches Recht der Wirtschaft

reg.

regulation

RegE-InsO

Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf einer Insolvenzordnung

Rép. civ. et com.

Répertoire Dalloz de procédure civile et commercial

Rép. int.

Répertoire Dalloz de droit international

Rép. proc.

Répertoire Dalloz de procédure civile

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Abkürzungsverzeichnis

17

Rev. crit. dr. int. privé

Revue critique de droit international privé (ab 1979 ohne Bandzählung)

Rev. dr. int. privé

Revue de droit international privé et de droit pénal international (seit 1934: Revue critique de droit international privé)

Rev. trim. dr. civ.

Revue trimestrielle de droit civil

Rev. trim. dr. eur.

Revue trimestrielle de droit européen

Riv. dir. int. priv. proc.

Rivista di diritto internazionale privato e processuale

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

Rn.

Randnummer

Rpfleger

Der Deutsche Rechtspfleger

Rs.

Rechtssache

Rz.

Randziffer

S.

Satz oder Seite

Sch. & Lef.

Schoales and Lefroy's Reports, Chancery, 1802-1806

SchKG

Schuldbetreibung und Konkurs

sect.

section

Sirey

Sirey, Recueil général des lois et arrêts

SJ

La Semaine Judiciaire (Schweiz)

SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung

Slg.

Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften

sog.

sogenannte(r/s)

StPO

Strafprozeßordnung

SZ

Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen

SZIER

Schweizer Zeitschrift für internationales und europäisches Recht

u.a.

und andere, unter anderem

v.

versus

vgl.

vergleiche

W.L.R.

Weekly Law Reports, seit 1953

White Book

siehe Literaturverzeichnis unter Jacob, The Supreme Court Practice

ZBJV

Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins

ZfRV

Zeitschrift für Rechtsvergleichung

2 Keßler

18

Abkürzungsverzeichnis

ZGB

Zivilgesetzbuch

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

zit.

zitiert

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZR

Blätter für Zürcherische Rechtsprechung

ZSR

Zeitschrift für schweizerisches Recht

zugl.

zugleich

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozeß

1. Kapitel

Einführung Die zunehmend engeren Verflechtungen im internationalen Personen- und Güterverkehr steigern die Bedeutung des internationalen Zivilprozeßrechts beträchtlich. Mit dem Europäischen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (EuGVÜ) kamen die EWG-Staaten dem Auftrag des Art. 220 EGV nach, die „Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen" zu vereinfachen. Die besonderen Kennzeichen des EuGVÜ sind die einheitliche Zuständigkeitsordnung und das stark vereinfachte und beschleunigte Verfahren zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen. Die Art. 31 ff. EuGVÜ enthalten Regeln über das Verfahren der Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat. Ergänzend sind Art. 25 EuGVÜ über den Begriff der „Entscheidung" und Art. 1 und 54 EuGVÜ über den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich heranzuziehen. Die eigenständige Regelung der Vollstreckbarerklärung im EuGVÜ verdrängt die einschlägigen Bestimmungen des autonomen staatlichen Rechts. Die Vollstreckbarerklärung ist der staatliche Hoheitsakt, durch den einem ausländischen Vollstreckungstitel die VollstreckungsWirkung im Inland verliehen wird 1 . In Anlehnung an die französische Terminologie wird auch von dem Exequaturverfahren gesprochen. In Deutschland besteht das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ in der Erteilung der Vollstreckungsklausel. Das Übereinkommen regelt also die Phase der Zulassung der Zwangsvollstrekkung, nicht hingegen die der Durchführung der Zwangsvollstreckung.

1

2*

Wolff Rn. 9; Zöller/Geimer § 722 Rn. 3.

20

1. Kap.: Einführung

Die Vollstreckbarerklärung setzt voraus, daß die Entscheidung2 des Urteilsstaates anerkannt wird (Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ) und daß die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar (Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ) und zugestellt worden ist. Ferner ist erforderlich, daß der Antragsteller die notwendigen Urkunden beibringt (Art. 33 Abs. 3 i.V.m. Art. 46 ff. EuGVÜ). So muß die Partei, welche die Zwangsvollstreckung betreiben will, die Urkunden vorlegen, aus denen sich ergibt, daß die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar ist (Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ). Die vorzulegenden Urkunden sind „les clés qui permettront de faire jouer le mécanisme conventionnel."3 Unter Urteilsstaat - auch Ursprungsstaat oder Erststaat genannt - ist der Staat zu verstehen, in welchem das Urteil gefällt worden ist. Der Vollstreckungsstaat - auch Zweitstaat genannt - ist der Staat, in welchem die Zwangsvollstreckung stattfinden soll. Aufgabe dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, welche Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit bestehen und welche Urkunden zum Beweis der Vollstreckbarkeit erforderlich und geeignet sind. Nach einer abstrakten Untersuchung der Vollstreckbarkeit werden die konkreten Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit und ihres Beweises für die Länder Frankreich, England, Schweiz und Österreich dargestellt. Was unter Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ zu verstehen ist und welche Stufen der Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat für die Erfüllung der Voraussetzung der Vollstreckbarkeit zu beschreiten sind, ist in Rechtsprechung und Literatur weitgehend ungeklärt. So ist vor allem zu untersuchen, ob die einzelnen nationalen Vollstreckungsklauseln und Vollstreckungsbewilligungen Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit sind. Welche Urkunden für den Vollstreckbarkeitsnachweis vorliegen müssen, ist nicht in Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ geregelt. Zum Teil sind neben der gemäß Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ vorzulegenden Ausfertigung der Entscheidung keine weiteren Nachweise der Vollstreckbarkeit erforderlich; dies ist dann der Fall, wenn aus dem Urteil selbst hervorgeht, daß es vollstreckbar ist. Die Vorlage einer besonderen Urkunde ist also nicht immer Voraussetzung. Ferner kann sich die Vollstreckbarkeit aus den Gesetzen des Urteilsstaates ergeben. Der Exequaturrichter, der das Prozeßrecht des Urteilsstaates kennt,

2

Vgl. Art. 25 EuGVÜ.

λ

Droz Nr. 593.

1. Kap.: Einführung

kann dadurch von der Vorlage von Urkunden absehen, wenn er z.B. weiß, daß bestimmte Urteile ohne besonderen Ausspruch sofort vollstreckbar sind. Teilweise ergibt sich die Vollstreckbarkeit nur aus der Vorlage bestimmter Urkunden. In diesem Fall ist es wichtig, daß der Exequaturrichter darauf besteht, daß die Urkunden dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung beigefügt werden. Ohne Urkundennachweis bestünde die Gefahr, daß im Vollstreckungsstaat eine Entscheidung für vollstreckbar erklärt werden könnte, die im Urteilsstaat noch nicht vollstreckbar ist. Die Vollstreckbarkeit und ihr Nachweis sind für den Bereich des insoweit identischen Luganer Übereinkommens vom 16. 9. 1988 (LugÜ) in gleicher Weise wie nach dem EuGVÜ zu beurteilen. Im Verhältnis von Deutschland zu Frankreich und England ist das EuGVÜ maßgebend4. Im Verhältnis zu Österreich und der Schweiz ist das LugÜ anzuwenden. Das EuGVÜ und das LugÜ ersetzen die zwischen den Vertragsstaaten geschlossenen bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen, soweit der Anwendungsbereich des EuGVÜ bzw. LugÜ eröffnet ist 5 . Die Untersuchungen zur Vollstreckbarkeit und deren Beweis können auch auf das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen von 1973 übertragen werden, da in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2, 2. HS dieses Übereinkommens ein Vollstreckbarkeitsnachweis für vorläufig vollstreckbare Unterhaltstitel verlangt wird 6 .

4

Vgl. Art. 54 b Abs. 1 LugÜ.

5

Vgl. Art. 55, 56 Abs. 1 EuGVÜ bzw. LugÜ.

6

Vgl. Bülow/Böckstiegel/Baumann Art. 17 Unterhaltsvollstreckungsabkommen (1973) Anm. II 2.

2. Kapitel

Grundlagen Α. Definition der Vollstreckbarkeit Die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Urteilsstaates ist außer in Art. 31 EuGVÜ auch in mehreren bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen ausdrücklich geregelt 1. Diese Voraussetzung gilt allgemein im Recht der Vollstreckbarerklärung von ausländischen Vollstreckungstiteln 2 . Im deutschen autonomen Recht der Exequaturerteilung wird das Erfordernis der Vollstreckbarkeit nicht ausdrücklich in den §§ 722, 723 ZPO genannt, sondern es wird nur der Eintritt der formellen Rechtskraft verlangt. Dennoch gilt die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit auch hier als allgemeine Voraussetzung der Exequaturerteilung 3 und soll von der in § 723 Abs. 2 ZPO ausdrücklich erhobenen Voraussetzung, daß die Rechtskraft der Entscheidung eingetreten ist, miteingeschlossen sein4. Jedoch muß die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit auch im autonomen deutschen Recht der Exequaturerteilung selbständig geprüft werden, da die Möglichkeit besteht, daß ein Urteil trotz seiner Rechtskraft nach

1 Vgl. Art. 6 Abs. 1 deutsch-belgisches Abkommen vom 30. 6. 1958; Art. V (2) (b) deutschbritisches Abkommen vom 14. 7. 1960; Art. 6 deutsch-griechischer Vertrag vom 4. 11. 1961; Art. 6 deutsch-italienisches Abkommen 9. 3. 1936; Art. 6 Abs. 1 deutsch-niederländischer Vertrag vom 30. 8. 1962; Art. 5 Abs. 1 deutsch-österreichischer Vertrag vom 6. 6. 1959; vgl. auch Jellinek S. 205 f.; Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723. 2 Jellinek S. 206; Fragistas Riv. dir. int. priv. proc. 1968, 745 (764); Droz Nr. 548; Geimer NJW 1965, 1413 (1414); Geimer/Schütze, Band 1, § 191 II 5; Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 (671 f.); Wolff Rn. 26, 37; Gothot/Holleaux Nr. 346. 3 Geimer, IZPR, Rn. 3115; Rosenberg/Gaul/Schilken § 12 II 2; vgl. auch Stein/Jonas/Münzberg § 722 Rn. 8. 4 In der deutschen Kommentierung wird die Rechtskraft meist als ein die Vollstreckbarkeit einschließendes Erfordernis angesehen, vgl. Stein/Jonas/Münzberg § 723 Rn. 8; MünchKomm-ZPO/ Gottwald § 723 Rn. 2; Baumbach/Hartmann § 723 Rn. 4; vgl. auch Riezler S. 567 (Fn. 10) und Geimer S. 37, die von endgültiger Vollstreckbarkeit sprechen. Zum Teil wird aber in der Kommentierung zu § 723 ZPO - m.E. konsequent - neben dem Nachweis der formellen Rechtskraft auch der Beweis der Vollstreckbarkeit verlangt, vgl. Zöller/Geimer § 723 Rn. 2.

A. Definition der Vollstreckbarkeit

23

dem Recht des Urteilsstaates nicht vollstreckbar ist, etwa wenn die Vollstreckbarkeit durch Zeitablauf entfallen ist 5 . Das gleiche gilt für das autonome Recht anderer Rechtsordnungen. Dort wird die Vollstreckbarkeit zum Teil ausdrücklich oder auch ohne ausdrückliche Regelung im Gesetzestext gefordert 6. Auch soweit die Anerkennung einer Entscheidung ipso iure erfolgt, gibt es soweit ersichtlich - keinen Staat, der die Vollstreckungswirkung einer ausländischen Entscheidung in das Inland ipso iure erstreckt. Generell wird ein ausländischer Titel im Inland erst aufgrund eines besonderen inländischen Hoheitsakts, die Exequaturerteilung zur Vollstreckung zugelassen7. Die Zwangsvollstreckung erfolgt im Vollstreckungsstaat erst aufgrund eines eigenen inländischen Hoheitsakts. Gleichwohl ist es nicht einzusehen, warum eine ausländische Entscheidung Grundlage einer inländischen Zwangsvollstreckung sein soll, wenn die Entscheidung nach ihrem eigenen Recht nicht vollstreckbar ist 8 . Dahinter steht der einfache Gedanke, daß eine Entscheidung im Ausland nicht mehr Wirkung haben kann, als sie im Urteilsstaat besitzt. Es soll durch die Vollstreckbarerklärung ein weiterer Prozeß erspart werden, aber keine weitergehende Wirkung der Entscheidung ausgelöst werden 9. Würde man die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit nicht erheben, könnte der internationale Entscheidungseinklang erheblich gestört werden; es könnte z.B.

5

In bezug auf Staatsverträge Jellinek 205 f.; vgl. auch Wolff Rn. 153.

6

Vgl. Droz Rn. 548 Fn. 1; zum französischen Recht vgl. Cass.civ., 23. Juli 1832, S. 1832. 1. 664; Glasson/Tissier/Morel, Band 4, Nr. 1015bis; Francescakis/Lucas, Rép. int., Nr. 197; Watt, J.Cl. int., Fase. 584-7, Nr. 51; zum englischen Recht vgl. sect. 2 (1) (b) Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933; zum schweizerischen Recht vgl. z.B. Art. 507 Abs. 2 lit. a ZPO Waadt: „si le jugement est exécutoire selon le droit du pays où il a été rendu;" zum österreichischen Recht vgl. Holzhammer S. 101. 7 Niboyet, Band VI/2, Nr. 2105; Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723; Geimer/Schütze, Band 1, § 191 II; Gottwald IPRax 1991, 285; auch Watté Nr. 164 zum belgisch-französischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen. Art. 31 EuGVÜ nimmt keine Stellung zu den Theorien, ob in dem Vollstreckungsstaat das in dem Urteilsstaat ergangene Urteil oder ob die Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel (Vollstreckbarerklärung) den Vollstreckungstitel bildet; vgl. Jenard-Bericht (zu Artikel 31) S. 92. K Wolff Rn. 26; Droz Rn. 548 spricht davon, daß sich die Regel als „logiquement" erforderlich erweist. v Niboyet, Band VI/2, Nr. 1974; Fragistas Riv. dir. int. priv. proc. 1968, 745 (764); Droz Nr. 548; Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723; Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 (671 f.); Bellet Rev. trim. dr. eur. 11 (1975) 32 (39); North/Fawcett S. 365 ff.; Kaye S. 1429; so ausdrücklich § 84 b EO.

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2. Kap.: Grundlagen

der Fall eintreten, daß der Schuldner versucht, im Urteilsstaat die Herausgabe des in der in einem anderen Staat betriebenen Zwangsvollstreckung Erlangten mit der Argumentation zu verlangen, der Gläubiger habe aus einem nicht vollstreckbaren Titel die Zwangsvollstreckung betrieben 10. Diese allgemein vertretene Ansicht entspricht der Vertragspraxis; so heißt es z.B. in dem Bericht der Unterhändler 11 zum deutsch-belgischen Anerkennungsund Vollstreckungsabkommen: ,JEs versteht sich von selbst, daß es unmöglich ist, Entscheidungen, die im Gebiete des Urteilsstaates selbst keine Vollstrekkungswirkungen besitzen, in einem anderen Staate zur Vollstreckung zuzulassen." Was unter Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ zu verstehen ist, ist in diesem Übereinkommen selbst nicht definiert. Nach dem erläuternden Bericht der Verfasser zum EuGVÜ (Jenard-Bericht) muß in jedem Fall eine „Vollstreckungswirkung" nach dem Recht des Urteilsstaates gegeben sein; denn ein ausländisches Urteil kann nicht mit Rechtswirkungen ausgestattet werden, die es im eigenen Land nicht besitzt. Danach ist eine Entscheidung dann vollstreckbar, wenn aus ihr die Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat betrieben werden kann 12 . Zu prüfen ist, ob diese Auslegung des Begriffs Vollstreckbarkeit mit dem Verständnis der Einzelstaaten übereinstimmt. In Art. 31 EuGVÜ wird in den jeweiligen Fassungen gefordert, daß die Entscheidung „vollstreckbar" bzw. „exécutoire" (so in der französischsprachigen Fassung) oder „enforceable" (so in der englischsprachigen Fassung) ist. Nach deutschem Recht ist ein Vollstreckungstitel dann „vollstreckbar", wenn er vollstreckungsreif ist, d.h. wenn die Zwangsvollstreckung - auch mit Zwang durchgeführt werden darf 13 . In Frankreich versteht man unter einem vollstreckbaren Titel einen solchen, der den Gebrauch erlaubter Zwangsmittel bei der Ausführung der Vollstreckung

10

Wolff Rn. 26 (auch Fn. 92); Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723.

11

BT-Drucks. III/919, 24 (36).

12

Jenard-Bericht (vor Art. 31) S. 91.

13

Baur/Stürner Rn. 13.1, 17.1 f.; Rosenberg/Gaul/Schilken § 10 I 1, 16 IV 2; ebenso nach österreichischem Verständnis, vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1548: „Die Vollstreckbarkeit ist eine Entscheidungswirkung ... Sie bewirkt, daß der Berechtigte die zwangsweise Durchsetzung (...) des Leistungsbefehls gegen den Leistungsverpflichteten durch gerichtliche Vollzugsorgane verlangen kann."

A. Definition der Vollstreckbarkeit

25

gestattet14. Entsprechend wird im Grand Larousse 15 „force exécutoire" wie folgt definiert: „qualité d'un acte émanant du législateur ou du juge, et qui justifie l'usage de la force publique pour assurer l'exécution de ses prescriptions". In England ist ein Vollstreckungstitel dann vollstreckbar, wenn die „condition[s] precedent to the issue of a writ of execution upon i t " 1 6 gegeben sind, d.h. bei Vorliegen der Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit kann der Vollstreckungsbefehl an das Vollstreckungsorgan zugestellt werden, das die Zwangsvollstreckung - auch mit Zwang gegen den Schuldner - vornehmen muß 17 . Die Auslegung des Begriffs Vollstreckbarkeit in dem Jenard-Bericht stimmt also mit dem Verständnis der Einzelstaaten überein, die unter einer „vollstreckbaren Entscheidung" bzw. einer „décision exécutoire" oder „enforceable judgment" ebenfalls eine Entscheidung verstehen, die den Gläubiger berechtigt, die zwangsweise Verwirklichung des in der Entscheidung festgestellten Anspruchs von den dazu berufenen staatlichen Vollstreckungsorganen zu verlangen. Darin stimmen auch die Kommentierungen zu Art. 31 EuGVÜ überein 18. Allerdings ist zu beachten, daß die einzelnen Vertragsstaaten kein gemeinsames Zwangsvollstreckungsrecht haben, sondern unterschiedliche Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung kennen. Die Verfahrensvorschriften der Vertragsstaaten stimmen also in der Frage, wann eine Entscheidung vollstreckbar ist, nicht überein. Im Gegensatz zu anderen Bestimmungen des EuGVÜ brauchen hier aber nicht gemeinsame Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit durch Auslegung gewonnen werden 19. Art. 31 EuGVÜ und der hiermit im Zusammenhang stehende Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ verweisen ausdrücklich bzgl. des Vorliegens der Vollstreckbarkeit auf das Recht des Urteilsstaates. So lautet Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ: „Die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat

14

Couchez, Nr. 405.

15

Vgl. Grand Larousse encyclopédique, Band 4, Stichwort „exécutoire".

16

Halsbury, Band 17, Stichwort „Execution", Nr. 406.

17

Vgl. Halsbury, Band 17, Stichwort „Execution", Nr. 428; Black/Black S. 46.

18

Vgl. Wolff Rn. 26; Geimer/Schütze, Band 1, § 157 IV 2 b und § 191 I I 1.

19

Vgl. z.B. EuGH, Urteil ν. 7. 6. 1984, Rs. 129/83, Zelger/Salintri, Slg. 1984, 2397 (2407 f.); dort wird der Begriff der Rechtshängigkeit von Klagen „als Obersatz" autonom umschrieben (Nr. 14), aber die Subsumtion soll - aufgrund einer rechtsvergleichenden Betrachtung - nach nationalem Recht erfolgen.

26

2. Kap.: Grundlagen

vollstreckbar sind". In Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ heißt es: „die Urkunden, aus denen sich ergibt, daß die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaates vollstreckbar ist". Ob die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung also in dem Sinn vorliegt, daß der Gläubiger aus ihr die Zwangsvollstreckung betreiben kann, bestimmt sich somit nach dem Recht des Urteilsstaates 20. Der Verweis auf das nationale Recht ist in diesem Bereich notwendig, da das Übereinkommen nicht die Vereinheitlichung der Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen zum Gegenstand hat. Neben der Voraussetzung, daß die Entscheidung vollstreckbar ist, werden von Art. 31 EuGVÜ keine weiteren Voraussetzungen an die Entscheidung gestellt. Es wird z.B. nicht verlangt, daß die Entscheidung rechtskräftig oder in sonstiger Weise endgültig 21 sein muß. Das EuGVÜ läßt die vorläufige Vollstreckbarkeit genügen und unterscheidet sich hierbei von vielen bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen und auch von autonomen Rechten. Verbietet aber der Urteilsstaat die vorläufige Vollstreckung einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung, so scheidet auch eine Vollstreckbarerklärung in den anderen Vertragsstaaten aus22. Die Vollstreckbarkeit ist weiterhin nicht anzunehmen, wenn die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates ursprünglich vollstreckbar war, dort aber inzwischen seine Vollstreckbarkeit durch Zeitablauf, Verjährung des titulierten Anspruchs oder infolge gesetzlicher Bestimmung verloren hat 23 . Es mangelt dann am Erfordernis der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ.

20 Anders noch CA Paris, 15. Juni 1912, Rev. dr. int. privé 9 (1913) 471 (472). Einen Mittelweg befürwortet Niboyet, Band VI/2, Nr. 1974, der neben dem Recht des Urteilsstaates auch das Recht des Vollstreckungsstaates befragen will. 21 Zum Begriff „finality" North/Fawcett S. 365 ff.; O'Malley/Layton Rn. 25.20, 25.24 m.w.N.; diese Voraussetzung ist vorgesehen in Art. I Abs. 3 deutsch-britisches Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen, vgl. auch Geimer/Schütze, Band 2, S. 363. 22 Jenard-Bericht (vor Art. 31) S. 91; Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 31 EuGVÜ Anm. II 1; Kropholler Art. 31 Rn. 10; Kaye S. 1429; O'Malley/Layton Rn. 28.05 (Fn. 19); vgl. auch Geimer, IZPR, Rn. 3116. 23

Droz Rn. 548; Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 31 EuGVÜ Anm. II 1 ; Gothot/Holleaux Nr. 358; Kropholler Art. 31 Rn. 10; MünchKomm-ZPO/Gottwald Art. 31 EuGVÜ Rn. 6; vgl. zur Veijährung der Urteile nach dem Recht des Urteilsstaates Chambéry, 12. Februar 1869, S. 1870. 2. 9 und Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723; vgl. zur Vollziehungsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO OLG Hamm RIW 1985, 973 (975).

Β. Abgrenzung des Erkenntnis- vom Zwangsvollstreckungsverfahren

27

Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen der Vollstreckbarkeit des Vollstrekkungstitels nach dem Recht des Urteilsstaates ist der Zeitpunkt, in welchem das Gericht des Vollstreckungsstaates (Exequaturgericht) über die Vollstreckbarerklärung entscheidet24.

B. Abgrenzung des Erkenntnis- vom Zwangsvollstreckungsverfahren Nach der gerade herausgearbeiteten Definition ist eine Entscheidung dann vollstreckbar, wenn sie den Gläubiger berechtigt, die zwangsweise Verwirklichung des in der Entscheidung festgestellten Anspruchs von den dazu berufenen staatlichen Vollstreckungsorganen zu verlangen. Die Definition der Vollstreckbarkeit läßt jedoch offen, welche inländischen Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sein müssen, wenn die Zwangsvollstrekkung nicht im Inland, sondern eine Vollstreckbarerklärung angestrebt wird. Einer Vollstreckbarerklärung liegt der Tatbestand zugrunde, daß eine Entscheidung in einem Vertragsstaat ergangen ist und in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden soll. Die Voraussetzung der „Vollstreckbarkeit" der Entscheidung muß nach Art. 31 und 47 Nr. 1 EuGVÜ nach dem Recht des Urteilsstaates vorliegen. Die eigentliche Zwangsvollstreckung, d.h. vor allem das Zwangsvollstrekkungsverfahren folgt hingengen dem Recht des Vollstreckungsstaates. Die Zwangsvollstreckung ist in besonderem Maße Ausfluß hoheitlicher Gewalt und als solche nur innerhalb des eigenen Staatsgebietes zulässig. Es ist daher allgemeine Meinung und ständige Vertragspraxis in Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen, daß jeder Staat die Zwangsvollstreckung nach seinen Gesetzen regelt 25 .

24 Franchi Riv. dir. int. priv. proc. 1976, 712 (729 f.); Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 31 EuGVÜ Anm. II 1; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 47 EuGVÜ Anm. II; O'Malley/Layton Rn. 28.05. 25 Vgl. ausdrücklich Art. 6 Abs. 2 deutsch-schweizerisches Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen; Art. 6 deutsch-österreichisches Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen; Riezler S. 655; Niederländer RabelsZ 20 (1955) 1 (49); Niboyet, Band VI/2, Nr. 1974; Geimer/Schütze, Band 1, § 150 X X X I V 1; Zöller/Geimer Art. 31 EuGVÜ Rn. 6; Schütze, IZPR, S. 191; Schack Rn. 957; Schlosser, EuGVÜ, Art. 16 Rn. 24; Gottwald IPRax 1991, 285; OLG Hamm RIW 1985, 973 (975).

28

2. Kap.: Grundlagen

Nach der oben herausgearbeiteten Definition der Vollstreckbarkeit ist eine Entscheidung dann vollstreckbar, wenn der Gläubiger berechtigt ist, die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Dies bedeutet aber nicht, daß auch alle Voraussetzungen des Zwangsvollstreckungsverfahrens in dem Sinne, daß der Gläubiger bzw. das staatliche Vollstreckungsorgan sofort zur tatsächlichen Vollstreckung übergehen kann, gegeben sein müssen26. Auf deren Vorliegen kann es deshalb nicht ankommen, weil der Gläubiger keine Vollstreckung im Urteilsstaat will. Außerdem werden die Durchführung der Zwangsvollstreckung und damit die Voraussetzungen des Zwangsvollstreckungsverfahrens nach allgemeinen Grundsätzen von der lex fori des Vollstreckungsstaates bestimmt. Die Voraussetzungen des Zwangsvollstreckungs Verfahrens nach der lex fori des Vollstreckungsstaates müssen daher nach dieser Rechtsordnung vorliegen. Bei der Beurteilung der Vollstreckbarkeit muß daher abgegrenzt werden zwischen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen, die den Vollstreckungstitel betreffen und solchen VollstreckbarkeitsVoraussetzungen, die dem Vollstreckungsverfahren zuzurechnen sind 27 . Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen, die das Vollstreckungsverfahren betreffen, müssen nicht vorliegen, denn die Zwangsvollstreckung soll in einem anderen Staat erfolgen. So ist z.B. der Antrag des Gläubigers auf Vornahme der Zwangsvollstreckung eine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung; der Antrag kann aber keine Voraussetzung der Vollstreckbarkeit sein, denn die Zwangsvollstreckung soll gerade in einem anderen Staat erfolgen. Daraus folgt, daß für die Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ nicht gefordert werden kann, daß die Voraussetzungen des Zwangsvollstreckungsverfahrens vorliegen müssen. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung der Art. 31 und Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ, daß die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Urteilsstaates vorliegen muß, hat eine Qualifikation bzw. Abgrenzung der Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen nach

26 In die gleiche Richtung Cass. req., 16 März 1932, Sirey 1933. 1. 337 (338): „que, s'il peut être nécessaire que le créancier accomplisse encore dans l'Inde certains actes de procédure avant d'exécuter le jugement, ces actes ne sont que des formalités préliminaires aux voies d'exécution qui ne sont pas nécessaires pour que la décision ait force exécutoire"; diese Rechtsprechung unterstützend Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 (672). 27

Diese Differenzierung wurde von Wolfsteiner Rn. 82.3, für die Vollstreckung von Urkunden nach dem EuGVÜ getroffen; dieser Ansatz fand in der sonstigen Literatur bislang keine Berücksichtigung.

Β. Abgrenzung des Erkenntnis- vom Zwangsvollstreckungsverfahren

29

dem jeweiligen Recht des Urteilsstaates zu erfolgen 28. Danach ist zu klären, ob bestimmte Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung den Titel betreffen und damit Erfordernisse der Vollstreckbarkeit sind, die auch nachgewiesen werden müssen oder ob die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung das Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen und damit weder vorliegen noch bewiesen werden müssen, da sie für die Vollstreckbarkeit irrelevant sind. Lassen sich bestimmte Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung mit Eindeutigkeit weder dem Titel- bzw. Erkenntnis- noch dem Zwangsvollstreckungsverfahren zuordnen, ergeben sich besondere Probleme der Qualifikation. Dies betrifft vor allem die die Zwangsvollstreckung vorbereitenden Verfahren. Probleme der Qualifikation und des Nachweises der Vollstreckbarkeit liegen weiter dann vor, wenn die Entscheidung über das Vorliegen einer Voraussetzung, die eigentlich den Vollstreckungstitel betrifft, aus Gründen der Praktikabilität - im Zwangsvollstreckungsrecht des Urteilsstaates - erst im Vollstreckungsverfahren erfolgt 29 . So wird etwa im deutschen Recht bei der Vollstreckung einer Entscheidung, die nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist, erst im Vollstreckungsverfahren gemäß § 751 Abs. 2 ZPO von den Zwangsvollstreckungsorganen überprüft, ob die Sicherheit geleistet worden ist. Entsprechend verhält es sich, wenn der im Urteil zugesprochene Anspruch von dem Eintritt eines Kalendertages abhängig ist 30 . Der Eintritt des Kalendertages ist eine Vollstreckbarkeitsvoraussetzung, die den Vollstreckungstitel betrifft; ob diese Voraussetzung eingetreten ist, wird aber der Prüfung im Vollstreckungsverfahren zugewiesen. Die Differenzierung zwischen VollstreckbarkeitsVoraussetzungen, die der Ebene des Vollstreckungstitels, also dem Erkenntnis verfahren, zuzurechnen sind und solchen, die das Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen, liegt auch dem EuGVÜ zugrunde. Anders als die bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen enthält das EuGVÜ in Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ eine Zuständigkeitsregelung für die Zwangsvollstreckung. Danach sind „für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats [ausschließlich zuständig], in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist."

28

Wolfsteiner Rn. 82.3.

29

Wolfsteiner Rn. 82.3 erachtet dies lediglich als Problem der Qualifikation.

30

Vgl. § 751 Abs. 1 ZPO.

30

2. Kap.: Grundlagen

Für die Abgrenzung zwischen dem Erkenntnis- und dem Zwangsvollstrekkungsverfahren könnte damit an Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ angeknüpft werden. Was unter dem in Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ verwendeten Begriff „Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben" zu verstehen ist, bzw. was mit der im Jenard-Bericht 31 zu diesem Punkt verwendeten Umschreibung „Verfahren, die sich aus der Inanspruchnahme von Zwangsmitteln ... ergeben" gemeint ist, kann in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten nicht immer einheitlich beurteilt werden. So kann z.B. in einem Vertragsstaat ein gerichtliches Verfahren als Zwangsvollstreckung qualifiziert werden, während in einem anderen Vertragsstaat dasselbe Verfahren als Erkenntnisverfahren eingeordnet wird 32 . Somit ist hier einer vertragsautonomen Auslegung der Begriffe „Zwangsvollstreckung" und „Erkenntnisverfahren" der Vorzug zu geben33. Es ist also das Erkenntnis- von dem Zwangsvollstreckungsverfahren abzugrenzen 34 . Nach einer zutreffenden Formulierung von Guldener 35 unterscheiden sich Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren durch ihre Zielsetzung: „Ziel des Erkenntnisverfahrens (Zivilprozeß im engeren Sinne) ist es, die Rechtsgewißheit im Einzelfall herzustellen; Ziel des Vollstreckungsverfahrens ist die zwangsweise Verwirklichung des rechtsgemäßen Zustandes." Ein Verfahren ist also dem Vollstreckungstitel, d.h. der Ebene des Erkenntnisverfahrens, zuzurechnen, wenn es um die Erkenntnis des Rechts und um Streitentscheidung geht. Dem Vollstreckungsverfahren ist ein Verfahren zuordnen, wenn es um die Durchsetzung und Verwirklichung des gerichtlich festgestellten oder förmlich dokumentierten Gläubigerrechts geht36.

31

(Zu Art. 16) S. 81.

32

Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 16 EuGVÜ Anm. III; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Band 1, § 91 V I 1 und 6; vgl. das bekannte Beispiel der „astreinte", welches nach französischer Ansicht systematisch zum Erkenntnisverfahren gehört. 33 Kropholler Art. 16 Rn. 9; Geimer/Schütze, Band 1, § 91 V I 1; Stoffel, FS Vogel, S. 357 (362); Geimer, IZPR, Rn. 1222; a.A. Jeantet Cahiers de droit européen 1972, 375 (402 f.); Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 16 EuGVÜ Anm. III. 34

Geimer, IZPR, Rn. 1222.

35

Güldener ZSR 74 (1955) 19 (20).

36

Vgl. auch Baur/Stürner Rn. 1.1 f.; Rosenberg/Gaul/Schilken § 1 I und § 5 I 3 c.

C. Bedeutung des nationalen Vollstreckungszulassungsverfahrens

31

C. Bedeutung des nationalen Vollstreckungszulassungsverfahrens Bei der Abgrenzung zwischen den Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen, die den Vollstreckungstitel betreffen und solchen, die sich auf das Zwangsvollstrekkungsverfahren beziehen, ergibt sich ein Problem, welches sich dem deutschen Juristen erst bei genauer Hinsicht offenbart. Im deutschen Rechtssystem kann der Gläubiger einer titulierten Forderung mit einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils ohne weiteres in das Vermögen des Schuldners vollstrecken. Er muß kein besonderes Verfahren der Zulassung der Zwangsvollstreckung beantragen. In einigen uns benachbarten Rechtsordnungen muß jedoch vor der Vornahme konkreter Vollstreckungshandlungen ein besonderes „Vollstreckungszulassungsverfahren" durchlaufen werden. So ist zur Zwangsvollstreckung aus schweizerischen Vollstreckungstiteln, selbst wenn es sich um eine formell rechtskräftige Entscheidung handelt, ein besonderes Zulassungsverfahren - das Einleitungs- und Rechtsöffnungsverfahren - erforderlich. Ohne dem erfolgreichen Durchlaufen dieses Verfahrens kann der Gläubiger nicht in das Vermögen des Schuldners vollstrecken. Das gleiche gilt für österreichische Vollstreckungstitel; dort muß vor einer Zwangsvollstreckung das Exekutionsbewilligungsverfahren vorausgehen 37. Das französische Recht gleicht hingegen dem deutschen Recht 38 . Hier muß gefragt werden, ob das Verfahren der Rechtsöffnung oder der Exekutionsbewilligung Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen i.S.v. Art. 31 EuGVÜ sind. Bei Bejahung dieser Frage müßten diese Verfahren beschritten werden, bevor die Vollstreckbarerklärung nach Art. 31 EuGVÜ in einem der anderen EuGVÜ-Vertragsstaaten beantragt werden kann. Aber auch im deutschen Rechtssystem muß der Gläubiger für die Zwangsvollstreckung eine vollstreckbare Ausfertigung, d.h. eine mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des Vollstreckungstitels, vorweisen. Dabei stellt

" Vgl. Wolff Rn. 27; allerdings sind dort die Ausführungen zum deutsch-österreichischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen insoweit nicht zutreffend, vgl. unten 4. Kap. Β. I. 3. ,K Ebenso in Frankreich, vgl. Glasson/Tissier/Morel, Band 4, Nr. 998: „En droit français, celui qui est muni d'un titre exécutoire est fondé à poursuivre directement l'exécution en s'adressant à l'huissier".

32

2. Kap.: Grundlagen

sich ebenfalls die Frage, ob die Vollstreckungsklausel eine Vollstreckbarkeitsvoraussetzung i.S.v. Art. 31 EuGVÜ ist. Die Vorlage einer solchen Vollstreckungszulassung hätte unter Umständen den Vorteil, daß sie dem Exequaturgericht die Nachprüfung ersparen würde, ob alle Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Gegen eine solche Vorlagepflicht spricht aber, daß eventuell schon der Vollstreckungstitel selbst - für welchen die Vollstreckungszulassung beantragt wird dazu befähigt, die zwangsweise Durchsetzung des Anspruchs von staatlicher Seite zu verlangen 39. Im folgenden sollen Abgrenzungskriterien aufgeführt werden, mittels derer bestimmt werden kann, ob diese Vollstreckungszulassungsverfahren Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen i.S.v. Art. 31 EuGVÜ sind. Bei Bejahung dieser Frage müßten diese Verfahren vor der Vollstreckbarerklärung des Vollstreckungstitels im EuGVÜ-Ausland durchlaufen und auch gemäß Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ bewiesen werden.

I. Abgrenzung nach Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ Ein mögliches Kriterium für die Einordnung des Vollstreckungszulassungsverfahrens als Vollstreckbarkeitsvoraussetzung i.S.v. Art. 31 EuGVÜ oder als bloße Verfahrensvoraussetzung des nationalen Zwangsvollstreckungsverfahrens stellt Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ dar. Wenn das Vollstreckungszulassungsverfahren ein Verfahren ist, welches die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand hat, dann ist damit nach der oben herausgearbeiteten, allgemeinen Abgrenzung festgestellt, daß dieses Vollstreckungszulassungsverfahren eine Vollstreckbarkeitsvoraussetzung ist, die das Zwangsvollstreckungsverfahren betrifft. Mit der direkten Anwendung von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ, dem die Differenzierung zwischen Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren zugrunde liegt, wird über die allgemeine Abgrenzung hinausgegangen; denn die Zuständigkeitsregelung von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ stellt fest, daß der Urteilsstaat für die

39 So die Argumentation von Wolff Rn. 28, allerdings bzgl. eines Falles, der wohl der Fallgruppe ,Doppelexequatur" zuzurechnen ist.

C. Bedeutung des nationalen Vollstreckungszulassungserfahrens

33

Erteilung der Vollstreckungszulassung nicht mehr zuständig ist, weil die Zwangsvollstreckung in einem anderen Vertragsstaat erfolgen soll. Dabei spielt es für die Regelung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ keine Rolle, daß die Zwangsvollstreckung in dem betreffenden Vertragsstaat noch nicht begonnen hat. Es genügt, wie der Wortlaut der Vorschrift deutlich macht, daß die Zwangsvollstreckung dort „durchgeführt werden soll" 40 . Die Abgrenzung gemäß Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ hätte also den Vorteil, daß bei einer Qualifizierung eines solchen Vollstreckungszulassungsverfahrens als Verfahren i.S.v. Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ festgestellt wäre, daß dieses Verfahren weder eine Vollstreckbarkeitsvoraussetzung ist noch als Vollstreckbarkeitsnachweis i.S.v. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ dienen kann. Im Urteilsstaat wäre für dieses Verfahren keine Zuständigkeit gegeben. Wenn für das vorliegende Problem die Zuständigkeitsregelung des Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ weiterhelfen soll, dann ist Voraussetzung, daß die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Zuständigkeitsregelung vorliegen. Es ist unter zwei Gesichtspunkten zu prüfen, ob ein Verfahren unter diese Zuständigkeitsregelung fällt. Zum einen muß dieses Zulassungsverfahren ein „Verfahren" i.S.v. Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ sein, zum anderen müßte es „die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand" haben. Zu der Frage, welche „Verfahren" unter Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ fallen, hat der EuGH 41 entschieden, daß Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ im Lichte der Systematik des Übereinkommens auszulegen ist. Der EuGH bevorzugt auch hier eine vertragsautonome Auslegung. Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ muß daher als Zuständigkeitsregelung im Zusammenhang mit den übrigen Vorschriften des 2. Titels des EuGVÜ betrachtet werden. Die anderen Zuständigkeitsregelungen gehen davon aus, daß eine Person, der „Beklagte", verklagt bzw. die Zuständigkeit für „Klagen" geregelt wird (so insbesondere auch Art. 16 Nr. 1-4 EuGVÜ) 42 . Allerdings weicht der Wortlaut von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ insofern ab, als er nicht von „Klagen" spricht, sondern von „Verfahren". Somit ist es nicht erforderlich, daß es sich um

40

Vgl. auch Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 16 EuGVÜ Anm. IV 5.

41

EuGH, Urteil v. 4. 7. 1985, Rs. 220/84, AS-Autoteile Service/Malhé, Slg. 1985, 2267 (2277).

42

Treibmann S. 115 f.; Geimer IPRax 1986, 208 (209).

3 Keßler

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2. Kap.: Grundlagen

Klagen im „technischen Sinne" 43 handelt. Es darf sich auf der anderen Seite aber auch nicht um einseitige Anordnungen des Gerichts handeln, denn das Übereinkommen regelt nicht die Zuständigkeit für Vollstreckungsanordnungen. Es muß sich also im Rahmen von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ um klageähnliche, kontradiktorisch angelegte Verfahren handeln44. Des weiteren ist erforderlich, daß es um ein Verfahren geht, welches unmittelbar die Zwangsvollstreckung betrifft. Wie bei der allgemeinen Abgrenzung ist auch hier zu fragen, ob ein Verfahren wesensmäßig ein Vollstreckungsverfahren bildet, dessen Ziel die „zwangsweise Verwirklichung des rechtsgemäßen Zustandes" ist, oder ob das Verfahren noch die Herstellung der „Rechtsgewißheit im Einzelfair betrifft und damit ein Erkenntnisverfahren darstellt 45. Für jedes Zulassungsverfahren muß also getrennt geprüft werden, ob es unter die Regelung von Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ fällt. Festzuhalten ist, daß im Falle einer Zuordnung des Zulassungsverfahrens unter Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ, dieses nicht als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit eingeordnet werden kann. Die Gerichte des Urteilsstaates wären für dieses Verfahren nicht mehr zuständig, weil die Vollstreckung gerade in einem anderen Vertragsstaat erfolgen soll.

I I . Abgrenzung nach dem Charakter der Vollstreckungszulassung Ein besonderes Verfahren der Vollstreckungszulassung ist nicht allen Prozeßordnungen bekannt. In einigen EuGVÜ-Vertragsstaaten wird aber für die Durchführung der Zwangsvollstreckung eine besondere „Vollstreckungsbescheinigung4' gefordert. So muß für die Zwangsvollstreckung teilweise eine vollstreckbare Ausfertigung vorliegen, d.h. die Ausfertigung des Titels muß mit einer Vollstreckungsklausel versehen sein. Die Vollstreckungsklausel ist in diesen Fällen eine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung. Für diese Vollstreckungsbescheinigungen bzw. Vollstreckungsklauseln ist zu prüfen, mit welchem Abgrenzungskriterium eine Zuordnung zu den Vollstreck-

43 Geimer/Schütze, Band 1, § 91 V I 3; ebenso Schlosser, EuGVÜ, Art. 16 Rn. 25; a.A. Heß, Rpfleger 1996, 89 (91). 44

Geimer/Schütze, Band 1, § 29 XII; Geimer IPRax 1986, 208 (209); a.A. Heß, Rpfleger 1996, 89 (91). 45

Güldener ZSR 74 (1955) 19 (20); Stoffel, FS Vogel, S. 357 (371).

C. Bedeutung des nationalen Vollstreckungszulassungsverfahrens

35

barkeitsvoraussetzungen i.S.v. Art. 31 EuGVÜ oder zu dem Vollstreckungsverfahren erfolgen kann. Ergänzend ist anzumerken, daß es nach Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ keiner Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung bedarf. Danach ist lediglich eine „Ausfertigung der Entscheidung" vorzulegen 46. Im französischen Vertragstext wird eine „expédition de la décision", im englischen Vertragstext eine „copy of the judgment" gefordert. Diese Ausfertigung muß „die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen" erfüllen 47 . Anstelle von Beweiskraft ist in den fremdsprachigen Vertragstexten verständlicher die Rede von „authenticité" (im französischen Vertragstext) bzw. „authenticity" (im englischen Vertragstext) oder schlicht „echtheid" (so die niederländische Fassung)48. Es bestimmt das innerstaatliche Recht des Gerichts, welches die Entscheidung erlassen hat („locus regit actum"), welche Voraussetzungen eine Ausfertigung erfüllen muß, um den Exequaturrichter im Vollstreckungsstaat von der Beweiskraft der Entscheidung zu überzeugen 49. Nach deutschem Recht ist die Ausfertigung die amtliche Abschrift - insbesondere Fotokopie - der bei den Akten verbleibenden Urschrift, die sie im Rechtsverkehr ersetzen soll. Die gerichtliche Ausfertigung trägt einen vom Urkundsbeamten unterschriebenen, mit dem Gerichtssiegel versehenen Ausfertigungsvermerk 50. Es wird also nach Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ keine vollstreckbare Ausfertigung verlangt. Ob die Vollstreckungsklausel eine Vollstreckbarkeitsvoraussetzung i.S.v. Art. 31 EuGVÜ ist, bleibt danach offen. Es stellt sich die Frage, ob sich eine Zuordnung der Vollstreckungsbescheinigung zu den Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen i.S.v. Art. 31 EuGVÜ mit Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ begründen läßt. Dafür müßte die Erteilung der Vollstrekkungsbescheinigung ein kontradiktorisches Verfahren sein. Bei Fehlen dieser Voraussetzung kann eine Abgrenzung mit Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ nicht erreicht werden. Dann wäre aber nur festgestellt, daß keine ausschließliche Zuständig-

46

So Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ; vgl. auch § 3 Abs. 4 AVAG.

47

Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ.

4K

Vgl. Kropholler Art. 46 Rn. 1.

49

Jenard-Bericht (zu Art. 46 ff.) S. 97; Jeantet Cahiers de droit européen 1972, 375 (417); Weser Nr. 290bis; Kropholler Art. 46 Rn. 1; vgl. auch Niboyet, Band VI/2, Nr. 2023. 50

Vgl. §§ 170, 317 Abs. 2 ZPO; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 46 EuGVÜ Anm. II 1 a; Kropholler Art. 46 Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 75 I 1 a; Baumbach/Hartmann § 170 Rn. 5; Schlosser, EuGVÜ, Art. 46 Rn. 1.

3*

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2. Kap.: Grundlagen

keit für die Erteilung der Vollstreckungsbescheinigung für den Vollstreckungsstaat besteht. So könnte die Vollstreckungsbescheinigung dennoch als eine Voraussetzung des ZwangsvollstreckungsVerfahrens einzuordnen sein. In diesem Fall wäre die Vollstreckungsbescheinigung keine Voraussetzung der Vollstreckbarkeit, könnte aber eventuell als Nachweis bzw. Bestätigung der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ dienen. Voraussetzung dafür wäre allerdings, daß die Vollstreckungsbescheinigung diesen Nachweis überhaupt erbringt. Darüber hinaus erscheint auch eine Zuordnung der Vollstreckungsbescheinigung - nach der allgemeinen Abgrenzung - zu dem Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren nicht immer durchführbar und kann nicht überzeugend vertreten werden, wenn die Erteilung der Vollstreckungsbescheinigung gerade zwischen dem Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren steht. Die Zuordnung der Vollstreckungsbescheinigung zur Gruppe der Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen i.S.v. Art. 31 EuGVÜ bzw. zum Zwangsvollstreckungsverfahren muß also, wenn man durch Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ keine Abgrenzung erzielen kann, mit Hilfe genereller Überlegungen begründet werden. Dabei ist in der Literatur noch nicht geklärt, wann es im Urteilsstaat noch „einer förmlichen Vollstreckbarerklärung in einem besonderen Exequaturverfahren" oder einer „besonderen vollstreckbaren Ausfertigung" bedarf 51, wenn die Entscheidung im Ausland vollstreckt werden soll. Nach Gottwald 52 ist dieses „Prinzip der Doppelexequatur" schwerfällig und zumindest unter vertraglich verbundenen Staaten nicht zwingend; es soll vielmehr die Vorlage eines authentischen Titels genügen. Nach dieser Auffassung „erscheint eine kostenträchtige Erfüllung inländischer Vollstreckungsvoraussetzungen entbehrlich zu sein, wenn nur eine Auslandsvollstreckung angestrebt wird." Der Begriff „Doppelexequatur" muß hier in dem Sinn verstanden werden, daß z.B. für eine deutsche Entscheidung zuerst die deutsche Vollstreckungsklausel erteilt wird und anschließend, nach der Vollstreckbarerklärung im Vollstrekkungsstaat, für die gleiche Entscheidung z.B. die französische Vollstreckungsklausel.

51 So Gottwald IPRax 1991, 285 (286); vgl. auch Padis Gaz. Pal. 1974. 1. Doctrine 278 (Nr. 60), der ohne weitere Begründung ausführt: „le créancier communautaire obtiendra successivement un double titre aves deux formules exécutoires". 52

IPRax 1991, 285 (286).

C. Bedeutung des nationalen Vollstreckungszulassungsverfahrens

37

Dieses Prinzip der Doppelexequatur wirkt sich sehr selten noch bei der Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen aus. Dabei wird vereinzelt gefragt, ob man den Begriff „vollstreckbar" im Sinne einer „abstrakten Vollstreckungsfähigkeit" auslegen muß oder im Sinne einer „konkreten Vollstreckungsfähigkeit" 53 . Die Literatur 54 fordert in diesen Fällen einhellig für die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs in dem jeweils anderen Staat das Vorliegen der Vollstreckbarerklärung im Urteilsstaat, d.h. für deutsche Schiedssprüche die deutsche Vollstreckungsklausel. Dieser einheitliche Standpunkt erkläret sich daraus, daß die erläuternden Materialien zu den Verträgen ausdrücklich das Vorliegen der Vollstreckbarerklärung im Urteilsstaat verlangen 55. Diese Ansicht bietet damit für die hier vorzunehmende Abgrenzung keine Hilfe. Hervorzuheben ist aber die Feststellung, daß das Prinzip der Doppelexequatur bei Schiedssprüchen die Ausnahme darstellt. Eine Abgrenzung, ob das im Urteilsstaat vorgesehene Vollstreckungszulassungsverfahren eine Voraussetzung der Vollstreckbarkeit ist, mit der Konsequenz, daß dieses Verfahren in jedem Fall vor dem Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 31 ff. EuGVÜ stattzufinden hat, muß an die jeweilige Bedeutung der Vollstreckungsbescheinigung anknüpfen. So soll die deutsche Vollstreckungsklausel den Vollstreckungsorganen, insbesondere dem Gerichtsvollzieher, die Prüfung abnehmen, ob ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel vorliegt. Dabei enthält die Vollstreckungsklausel die „Eingriffsermächtigung" für das Vollstreckungsorgan 56. Bei einer Zwangsvollstreckung im Ausland ist hingegen die entsprechende ausländische Vollstreckungsbescheinigung (Vollstreckungsklausel, Exekutionsbewilligung bzw. writ of execution) die Eingriffsermächtigung für das Voll-

53 Schwab/Walter Kap. 59 Rn. 10, 19 zu Art. V I (2) 2 deutsch-amerikanischer Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 29. 10. 1956 und Art. 13 Abs. 1 deutsch-belgischer Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag; vgl. auch Gottwald IPRax 1991, 285 (286). 54

Schwab/Walter Kap. 59 Rn. 10, 19; Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 109, 111 ohne nähere Begründung. 55 Vgl. zum deutsch-belgischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag den Bericht der Unterhändler zu Art. 13, BT-Drucks. III/919, 24 (37): „Es ist deshalb erforderlich, daß sie [die Schiedssprüche! zuvor in dem Heimatstaat für vollstreckbar erklärt worden sind." Ebenso die Denkschrift zu Art. 13, BT-Drucks. III/919, 14 (20). 56 Vgl. Henckel S. 238; Gaul Rpfleger 79 (1971) 81 (90); Baur/Stürner Rn. 17.1 f.; Rosenberg/ Gaul/Schilken § 10 II 1 a; vgl. unten 4. Kap. Α. I.

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2. Kap.: Grundlagen

streckungsorgan. Grundlage des inländischen Zwangsvollstreckungsverfahrens kann niemals eine ausländische Vollstreckungsbescheinigung sein. Insoweit erscheint die Vollstreckungsbescheinigung lediglich als VollstreckbarkeitsVoraussetzung, die das Vollstreckungsverfahren betrifft. Anders ist es jedoch, wenn die Vollstreckungsbescheinigung nicht nur feststellenden Charakter, sondern rechtsgestaltende Wirkung hat. Eine solche rechtsgestaltende Wirkung kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Gläubiger erst mit Erlangung der Vollstreckungsbescheinigung berechtigt ist, die zwangsweise Verwirklichung des in der Entscheidung festgestellten Anspruchs von den dazu berufenen staatlichen Vollstreckungsorganen zu verlangen. Dann muß die Vollstreckungsbescheinigung im Urteilsstaat erteilt werden, bevor man den Vollstreckungstitel als vollstreckbar i.S.v. Art. 31 EuGVÜ ansehen kann 57 . Damit würde man der Gefahr entgegentreten, daß der Schuldner nach der in einem anderen Vertragsstaat stattfindenden Zwangsvollstreckung nun im Urteilsstaat vom Gläubiger beanspruchen kann, das Erlangte wieder herauszugeben, weil der Vollstreckungstitel noch nicht die Grundlage einer Zwangsvollstreckung bilden konnte58. Darüber hinaus müssen bei einer Abgrenzung auch die Rechte des Schuldners beachtet werden. Es könnte nämlich der Fall sein, daß in dem Verfahren zur Erlangung der Vollstreckungsbescheinigung Einreden des Schuldners berücksichtigt werden, die im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem EuGVÜ nicht mehr geltend gemacht werden können. Daher sind die Verfahren zur Erteilung der Vollstreckungsbescheinigung bzw. die Vollstreckungszulassungsverfahren im Urteilsstaat nur dann nicht als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit zu fordern, wenn diese Verfahren lediglich feststellende Wirkung im Urteilsstaat haben, z.B. um den Vollstreckungsorganen die Arbeit zu erleichtern oder um den Einsatz hoheitlicher Gewalt zur Verwirklichung der im Titel festgestellten Rechte zu ermöglichen. Auf der anderen Seite sind diese Verfahren vor der Exequaturerteilung zu durchlaufen, wenn sie im Urteilsstaat rechtsgestaltende Wirkung haben.

57

Vgl. Wolff Rn. 28.

58

Wolff Rn. 28.

D. „Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Vollstreckung?

39

D. „Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Zwangsvollstreckung bzw. Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat? Die Vollstreckbarerklärung nach Art. 31 EuGVÜ setzt - wie schon mehrfach erwähnt - voraus, daß der Vollstreckungstitel, dessen Zulassung zur Zwangsvollstreckung in dem Zweitstaat begehrt wird, nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar ist. Hier soll die Frage geklärt werden, ob diese Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung auch dann gegeben ist, wenn die Zwangsvollstreckung des Vollstreckungstitels im Urteilsstaat eingestellt oder wegen Konkurseröffnung unzulässig ist.

I. Einstellung der Zwangsvollstreckung im Urteilsstaat Ein bisher kaum beachtetes Problem ist, welchen Einfluß eine (einstweilige) Einstellung der Zwangsvollstreckung auf die Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ hat 59 . Einige Beispiele - zum Teil aus dem deutschen Recht - sollen die Problematik verdeutlichen. Nachdem in Deutschland ein Urteil ergangen ist, wird hier aus diesem vollstreckt. Das Verfahren wird aber aus Gründen des Schuldnerschutzes gemäß § 765 a ZPO durch das Vollstreckungsgericht eingestellt. Ist dieses Urteil noch vollstreckbar i.S.v. Art. 31 EuGVÜ? Was gilt, wenn die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner für ein Jahr eingestellt wird, weil sich dieser in dieser Zeit im Militärdienst befindet? Ein Urteil wird für vorläufig vollstreckbar erklärt. Bevor oder während der Gläubiger die Zwangsvollstreckung betreibt, legt der Schuldner Berufung oder Einspruch ein und erhebt den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangs-

59 Wolff Rn. 36, greift einige Formen der Einstellung der Zwangsvollstreckung in Anlehnung an § 10 Abs. 3 deutsch-belgisches Anerkennungs- und Voll-streckungsabkommen auf, welche sich auf die Fälle der Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit der inzwischen geänderten §§ 712, 713 Abs. 2 ZPO bezogen haben, vgl. dazu den Bericht der Unterhändler zu Art. 10, BT-Drucks. III/919, 24 (36); Geimer/Schütze, Band 2, S. 30.

40

2. Kap.: Grundlagen

Vollstreckung gemäß § 719 Abs. 1 i.V.m. § 707 Abs. 1 ZPO. Das Gericht ordnet daraufhin die Einstellung der Zwangsvollstreckung an. Eine Zwangsvollstreckung aus diesen Entscheidungen kann im Urteilsstaat nicht mehr betrieben werden. Eine Entscheidung kann in dem Verfahren nach Art. 31 ff. EuGVÜ nur dann für vollstreckbar erklärt werden kann, wenn diese zum Zeitpunkt 60 der Vollstreckbarerklärung nach dem Recht des Urteilsstaates „vollstreckbar" i.S.v. Art. 31 EuGVÜ ist. Fraglich ist damit, ob aufgrund der Verneinung der Zwangsvollstreckungsmöglichkeit nach autonomem Recht die „Vollstreckbarkeit" i.S.v. Art. 31 EuGVÜ ebenfalls abgelehnt werden muß oder ob hier andere Wertungen die Annahme der Vollstreckbarkeit zulassen. Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ als Regelung der internationalen Zuständigkeit für Verfahren, die die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, kann nicht zur Lösung des Problems beitragen. Eine Anordnung im Urteilsstaat, die über die Einstellung der Zwangsvollstreckung verfügt, kann zwar im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt werden, wenn die Anordnung unter Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ fällt, weil die internationale Zuständigkeit nur für den Vollstreckungsstaat gegeben ist. Wenn aber die Betreibung der Zwangsvollstreckung zuerst im Urteilsstaat versucht worden ist, dann lag die internationale Zuständigkeit bei dem Urteilsstaat, weil dieser gleichzeitig auch Vollstreckungsstaat war. Damit kann aber die Anerkennung der Entscheidung über die Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht verweigert werden. Die Problemstellung wird - soweit ersichtlich - nur in der französischen Literatur 61 , berührt. So stellt der französische Prozeßrechtler Bellet 62 in bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit nach Art. 31 EuGVÜ die Behauptung und Frage auf: „L'impossibilité de fait d'exécuter n'équivaut pas au caractère non exécutoire, mais quid? par exemple d'un moratoire dans le pays d'origine?" Hiermit wird in der französischen Literatur vor allem folgendes Problem angesprochen, welches das höchste französische Gericht in den 70er Jahren mehrmals beschäftigte: Algerischen Unfallopfer war vor algerischen Gerichten Schadensersatz zugesprochen worden. Sie versuchten vergeblich, diese Urteile in Algerien gegen den Versicherer, eine französische Gesellschaft, zu vollstrecken,

60 Franchi Riv. dir. int. priv. proc. 1976, 712 (729 f.); Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 31 EuGVÜ Anm. II 1; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 47 EuGVÜ Anm. II; Ο' M al ley/Lay ton Rn. 28.05. 61

Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723; Bellet Rev. trim. dr. eur. 11 (1975) 32 (39).

62

Bellet Rev. trim. dr. eur. 11 (1975) 32 (39).

D. „Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Vollstreckung?

41

weil der Staat Algerien durch staatliche Monopolisierung - aufgrund gesetzlicher Grundlage - die Vollstreckung in das Vermögen der Versicherungen verhinderte. Daraufhin versuchten die algerischen Unfallopfer, die Entscheidungen in Frankreich nach dem französisch-algerischen Anerkennungs- und Vollstrekkungsvertrag 63 für vollstreckbar erklären zu lassen. Dies verweigerten zunächst die französischen Gerichte mit der Begründung, die Entscheidungen seien im Urteilsstaat nicht vollstreckbar 64; aufgrund der algerischen Regelung bestehe „ein Hindernis des Zwangsvollstreckungsverfahrens". Diese Rechtsprechung wurde von der Literatur 65 kritisiert, weil die tatsächliche Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Zwangsvollstreckung als maßgebendes Kriterium herangezogen wurde und nicht der Charakter der Vollstreckbarkeit im Sinne des Prozeßrechts. Die französische höchstrichterliche Rechtsprechung änderte sich 197466, als die algerischen Behörden die Zwangsvollstreckung von algerischen Urteilen gegen die Versicherungsgesellschaften in Algerien verweigerten. Hier bestand keine gesetzliche Grundlage für die Verweigerung, sondern es bestand nach Ansicht der französischen Rechtsprechung ein „bloßes tatsächliches Hindernis" der Zwangsvollstreckung. Daher sei die „Vollstreckbarkeit" im Sinne des französisch-algerischen Übereinkommens anzunehmen, obwohl keine tatsächliche Möglichkeit der Vollstreckung im Urteilsstaat gegeben sei. Seitdem wird in der französischen Literatur angenommen, daß die Existenz von - die Vollstreckung hindernden - Tatsachen, gleichgültig ob diese tatsächlicher oder rechtlicher Natur sind, der Annahme der Vollstreckbarkeit im Sinne

63 Vom 27. 8. 1964; der Art. 1 c dieses Übereinkommens entspricht Art. 31 EuGVÜ, vgl. auch Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 (671). 64

Vgl. Cass.civ., 7. Dezemder 1971, 2 Urteile, J.C.P. 1972, éd. G, II. 17068, es würde ein „obstacle à l'exécution" bestehen; ebenso Paris, 10 Juli 1974, J.C.P. 1975, éd. G, IV. 71. 65 Vgl. die Urteilsanmerkung von P.L., J.C.P. 1972, éd. G, II. 17068; Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 (672 f.). 66 Cass, civ., 20. November 1974, Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 668 (670): „obstacle de fait"; vgl. dazu die Urteilsanmerkung Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 ff.; ebenso CA Paris, 30. Januar 1975, Gaz. Pal. 1975. 1. Jurisprudence 378 (379); Paris, 24. November 1977, Rev. crit. dr. int. privé 1980, 337 (339). In der Entscheidung Paris, 9. Februar 1978, Gaz. Pal. 1978. 2. Sommaires 307 wird gesagt, daß im Falle des Vorliegens der algerischen Vollstreckungsklausel die „Vollstreckbarkeit" angenommen werden kann.

42

2. Kap.: Grundlagen

von Art. 31 EuGVÜ und der internationalen Vollstreckungsabkommen nicht entgegensteht67. Die dargestellte Entwicklung in Frankreich ist zu begrüßen. Eine nicht vorhandene tatsächliche Möglichkeit der Vollstreckung, die sich vielleicht erst im Zwangsvollstreckungsverfahren zeigt, oder ein Verbot der Zwangsvollstreckung können die Annahme der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ nicht hindern. Die Annahme der Vollstreckbarkeit richtet sich nach rechtlichen Normen und nicht nach tatsächlichen Gegebenheiten68. Inwieweit rechtliche Hindernisse der Zwangsvollstreckung der Annahme der Vollstreckbarkeit entgegenstehen oder nicht, muß aus einer Auslegung des Begriffs „Vollstreckbarkeit" gewonnen werden. Im folgenden soll daher - ausgehend von der Einstellung der Zwangsvollstreckung - versucht werden, eine Abgrenzung zu finden. Man könnte eine Entscheidung trotz einer angeordneten Einstellung der Zwangsvollstreckung als vollstreckbar ansehen, wenn man die Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung als negative Voraussetzung des Zwangsvollstreckungsverfahrens einordnet. So wie die Vollstreckungs-Voraussetzungen, die das Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen, für die Annahme der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ nicht vorzuliegen brauchen, müssen auch die vom Urteilsstaat aufgebauten Hindernisse des Zwangsvollstreckungsverfahrens „nicht aus dem Weg geräumt werden". Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob jede Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung außerhalb des Vollstreckungsstaates Wirkung erzeugt. Es ist allgemein anerkannt, daß bei einer Zwangsvollstreckung die jeweiligen Pfändungsgrenzen des Rechts des Vollstreckungsstaates maßgebend sind 69 . Es soll die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates entscheiden, ob bestimmte Sachen, Forderungen und sonstige Rechte aus staatspolitischen, wirtschaftlichen, sozialen oder Pietätsgründen der Pfändung nicht unterliegen 70.

67

Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723.

6X

So auch Couchez Rev. crit. dr. int. privé 1980, 341 (342).

69

Vgl. Riezler S. 662; Niboyet, Band VI/2, Nr. 1974; Schack Rn. 961; Niederländer RabelsZ 20 (1955) 1 (49); ebenso nach französischer Auffassung, vgl. Holleaux/Foyer/de Geouffre de la Pradelle, Nr. 930; vgl. Gemeinsamer Bericht der Unterhändler zum deutsch-niederländischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag, BT-Drucks. IV/2351, 13 (39). 70

Riezler S. 662; Niederländer RabelsZ 20 (1955) 1 (49).

D. „Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Vollstreckung?

43

Es kann aber keine andere Beurteilung erfolgen, wenn diese Grenzen nicht durch den Gesetzgeber, sondern im Einzelfall durch den Richter gezogen werden. Ordnet der Richter also die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen Überschreitung einer Vollstreckungsgrenze an, so ist diese Einstellung nur für den Vollstreckungsstaat maßgebend. Eine vom Richter gezogene Vollstrekkungsgrenze beschränkt sich demnach auf das Zwangsvollstreckungsverfahren im Vollstreckungsstaat. Eine solche Einstellungsanordnung betrifft also nicht den Vollstreckungstitel und hat damit keine Auswirkungen auf die Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ 71 . Jedoch ist nicht jede Anordnung der Einstellung der Zwangsvollstreckung eine im Einzelfall gezogene Vollstreckungsgrenze. Es kann sich auch um eine Einstellung der Zwangsvollstreckung handeln, die nicht wegen der Überschreitung von Vollstreckungsgrenzen gewährt wird, sondern weil z.B. ein Rechtsmittel gegen das vollstreckbare Urteil eingelegt wurde. So kann im deutschen Recht gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO die Einstellung der Zwangsvollstrekkung angeordnet werden, weil Berufung oder Einspruch gegen das vorläufig vollstreckbare Urteil eingelegt wurde. Hier liegt in der Einstellung der Zwangsvollstreckung keine Konkretisierung der nur für das Gebiet des Vollstreckungsstaates geltenden Vollstreckungsgrenzen 72. Auswirkungen auf die „Vollstreckbarkeit" i.S.v. Art. 31 EuGVÜ haben derartige Einstellungen der Zwangsvollstreckung wiederum nur dann, wenn sie den Vollstreckungstitel und nicht das Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen. Es ist also darauf abzustellen, ob das Verfahren der Einstellung der Zwangsvollstreckung noch zu dem Bereich des Erkenntnisverfahrens zählt oder schon auf der Ebene des Zwangsvollstreckungsverfahrens anzusiedeln ist. Für diese Abgrenzung können wiederum die für Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ gefundenen Konkretisierungen helfen. Es ist also zu untersuchen, ob die Ebene der Rechtsfindung abgeschlossen und die Zwangsvollstreckung grundsätzlich eröffnet ist; dann würde die Einstellung der Zwangsvollstreckung lediglich das Vollstreckungsverfahren betreffen und hätte keine Auswirkung auf die Vollstreckbarkeit nach Art. 31 EuGVÜ. Wenn hingegen das Rechtsfindungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, dann würde die Einstellung der Zwangsvollstreckung den Vollstreckungstitel betreffen mit der Folge, daß die Vollstreckbarkeit nach Art. 31 EuGVÜ nicht anzunehmen wäre.

71

Gleiches Ergebnis Schlosser, EuGVÜ, Art. 25 Rn. 5.

72

Ähnlich Schlosser, EuGVÜ, Art. 25 Rn. 5.

44

2. Kap.: Grundlagen

II. Eröffnung des Konkurses im Urteilsstaat Die Eröffnung des gerichtlichen Konkursverfahrens über das Vermögen des Schuldners verhindert nach dem Recht der einzelnen Staaten die Singularzwangsvollstreckung. In bezug auf die Vollstreckbarerklärung kann dabei folgendes Problem auftreten: der Gläubiger hat in Frankreich gegen den Schuldner ein gerichtliches Urteil erwirkt, welches inzwischen in Rechtskraft erwachsen ist. Bevor der Gläubiger sein Urteil in einem anderen EuGVÜ-Staat für vollstreckbar erklären läßt, wird im Urteilsstaat Frankreich das Konkursverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Bei einem nun folgenden Antrag des Gläubigers auf Vollstreckbarerklärung des gerichtlichen Urteils im EuGVÜ-Ausland stellt sich die Frage, ob dieses Urteil noch vollstreckbar i.S.v. Art. 31 EuGVÜ ist.

1. Lösungen in Rechtsprechung und Literatur Soweit sich die deutsche Literatur 73 zu diesem Problem äußert, ist sie der Auffassung, daß die Konkurseröffnung im Urteilsstaat die Vollstreckbarerklärung nicht hindert, da die Wirkungen des ausländischen Konkurses im Inland, auch nach der grundsätzlichen Änderung der Rechtsprechung des BGH 7 4 im Jahre 1985, nicht zu beachten sind. Damit wird von der Vollstreckbarkeit des Titels gemäß Art. 31 EuGVÜ trotz der Eröffnung eines ausländischen Konkurses ausgegangen, da man denknotwendig keine Vollstreckbarerklärung befürworten kann, wenn man nicht von der Vollstreckbarkeit des Titels ausgeht. Der Begründung muß aber m.E. entgegengehalten werden, daß sich die Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ gerade nach dem Recht des Urteilsstaates richtet und nicht nach den Wirkungen des ausländischen Konkurses im Vollstreckungsstaat.

73 Rosenberg/Gaul/Schilken § 12 II 2; Geimer/Schütze, Band 1, § 150 X V I I I ; Geimer, IZPR, Rn. 3117; Zöller/Geimer § 722 Rn. 4, dort wird allerdings auf die Entscheidung des OLG Saarbrücken NJW-RR 94, 636 ff. verwiesen; dabei wird jedoch übersehen, daß es sich in diesem Fall nicht um einen Auslandskonkurs, d.h. um eine Konkurseröffnung im Urteilsstaat, sondern um eine Konkurseröffnung im Vollstreckungsstaat, d.h. in Deutschland handelt. Die Vollstreckbarkeit der Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates i.S.v. Art. 31 EuGVÜ stand also außer Frage. 74

Vgl. BGHZ 95, 256 ff.

D. „Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Vollstreckung?

45

Die Annahme der Vollstreckbarkeit wurde von Geimer 75 schon früher ausdrücklich vertreten mit der Begründung, daß Vollstreckbarkeit nicht heißen muß, daß im Zeitpunkt der Vollstreckbarerklärung die Singularzwangsvollstreckung im Urteilsstaat noch zulässig sein muß. Damit ist aber nicht beantwortet, ob die Singularzwangsvollstreckung im Urteilsstaat überhaupt nicht zulässig sein muß, was zu weit gehen würde in Anbetracht des Wortlauts von Art. 31 EuGVÜ und des Normzwecks. Seine Begründung kann folglich nicht zur Lösung des Problems - Vollstreckbarkeit trotz Konkurseröffnung im Urteilsstaat - beitragen. In der französischen Literatur wird von Batiffol/Lagarde 76 ausdrücklich vertreten, daß die Existenz eines Vollstreckungshindernisses im Urteilsstaat, sei es auch ein Hindernis rechtlicher Natur, wie der Konkurs, dem ausländischen Urteil nicht den Charakter der Vollstreckbarkeit entziehe. Die Vollstreckbarkeit sei vielmehr aufgrund des Prozeßrechts gegeben. Dem Urteil könne also das Exequatur erteilt werden. Soweit sich in der deutschen Rechtsprechung das Problem der Konkurseröffnung über das Vermögen des Vollstreckungsschuldners gestellt hat, wurde die Vollstreckbarerklärung bejaht77 oder nur kurz bemerkt, die „Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung des [Vollstreckungstitels, hier:] Vergleichs wären allerdings an sich gegeben."78 Meist wird wohl stillschweigend von der Vollstreckbarkeit des Vollstrekkungstitels ausgegangen, denn soweit die Vollstreckbarerklärung verneint wird, geschieht dies aus anderen Gründen. Zum Teil wird eine Versagung der Vollstreckbarerklärung wegen des allgemein geltenden Universalitätsprinzips, wonach die Konkurseröffnung im Ausland auch das inländische Vermögen des Schuldners erfaßt 79, befürwortet. Zum Teil wird von der Lehre auch angenommen, daß der Gemeinschuldner die Prozeßführungsbefugnis für Passivprozesse verliert 80 .

75

In: Geimer/Schütze, Band 1, § 150 XVIII.

76

Band 2, Nr. 723: „L'existence dans ce pays [d'origine] d'obstacles à l'exécution du jugement, qu'ils soient de fait (...) ou de droit (faillite, moratoire, ...), ne retire pas au jugement étranger le caractère exécutoire qu'il tient de la loi processuelle étrangère et ne fait pas obstacle à son exequatur en France." Ebenso Watt, J.-Cl. int., Fase. 584-7, Nr. 53. 77

LG Frankfurt NJW 1980, 1235 (1235 f.).

78

OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1407.

79

OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1407.

80

Kuhn/Uhlenbruck §§ 237, 238 Rn. 83; a.A. Kilger/Schmidt § 237 Anm. 7.

2. Kap.: Grundlagen

46

2. Eigener Lösungsvorschlag Eine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung ist, daß kein Konkursverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet ist. Um feststellen zu können, ob der Vollstreckungstitel dennoch als vollstreckbar i.S.v. Art. 31 EuGVÜ anzusehen ist, muß danach abgegrenzt werden, ob die Eröffnung des Konkursverfahrens eine negative Vollstreckbarkeitsvoraussetzung ist, die den Vollstreckungstitel betrifft oder das Zwangsvollstreckungsverfahren. Der Vollstreckungstitel erfüllt alle Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen und kann auch rechtskräftig sein, aber dennoch wird die Durchführung der Singularzwangsvollstreckung allgemein und unabhängig von dem Vollstreckungstitel versagt. Dieses allgemeine Verbot besteht solange, wie der Konkurs über das Vermögen des Schuldners besteht. Sobald der Konkurs aufgehoben wird, kann auch das Zwangsvollstreckungsverfahren durchgeführt werden. Das dem Konkursverfahren nach der lex concursus innewohnende Verbot der Singularzwangsvollstreckung ist also nur ein „temporäres Vollstreckungsverbot" 81, welches das Zwangsvollstreckungsverfahren betrifft. Die Eröffnung des Konkurses hindert also nur die Durchführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens und stellt keine negative Voraussetzung der Vollstreckbarkeit i.S.v. Art. 31 EuGVÜ dar. Diese Ansicht wird auch dadurch bestätigt, daß für einen deutschen Vollstrekkungstitel die deutsche Vollstreckungsklausel erteilt werden kann, obwohl der Konkurs über das Vermögen des Schuldners in Deutschland eröffnet worden ist 82 . Die deutsche Vollstreckungsklausel gilt aber allgemein als Bestätigung der Vollstreckbarkeit 83. Die Konkurseröffnung hindert also nur das Zwangsvollstreckungsverfahren, nicht aber die Vollstreckbarkeit des Titels 84 . Damit ist festgestellt, daß das NichtVorliegen der Konkurseröffnung lediglich eine negative Voraussetzung des Zwangsvollstreckungsverfahrens ist und nicht die Vollstreckbarkeit des Titels betrifft. Ein Vollstreckungstitel ist also

81

Vgl. Zöller/Geimer § 722 Rn. 4.

82

Kuhn/Uhlenbruck § 14 Rn. 3; Hess § 14 Rn. 8; Gottwald/Gerhardt, Insolvenzrecht, § 34 Rn. 7. Von der französischen Rechtsprechung wird ebenfalls trotz einer im Inland bestehenden Aussetzung der Zwangsvollstreckung die Vollstreckungsklausel für ein ausländisches Urteil erteilt. Die Vollstreckung darf gleichwohl nicht erfolgen, vgl. CA Paris, 8. Januar 1971, Gaz. Pal. 1971. 1. Jurisprudence 300 (301); Cass.civ., 3. Juni 1975, J.C.P. 1975, éd. G, IV. 240. 83

Vgl. nur Baur/Stürner Rn. 17.1; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 16 I.

84

So auch Zöller/Geimer § 722 Rn. 4.

D. „Vollstreckbarkeit" trotz Einstellung der Vollstreckung?

47

trotz Konkurseröffnung über das Vermögen des Schuldners vollstreckbar i.S.v. Art. 31 EuGVÜ. Einer anderen Ansicht würde im Verhältnis zu einigen EuGVÜ-Staaten das System der Wirkungen eines ausländischen Konkurses entgegenstehen, weil mit der Verneinung der Vollstreckbarkeit nach Art. 31 EuGVÜ dem ausländischen Konkursverfahren vorab Anerkennung verschafft wird. So entfaltet z.B. nach französischem Recht ein im Ausland eröffnetes Konkursverfahren - bis auf einige beschränkte Wirkungen - nur durch ein französisches Exequatururteil die vollen Wirkungen 85 . Würde man ohne ein solches Exequatururteil die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung nach Art. 31 EuGVÜ wegen der Eröffnung des Konkurses im Urteilsstaat verneinen, so würde man diesem Prinzip widersprechen 86.

3. Folgen für die Vollstreckbarerklärung Offen bleibt mit der Feststellung, daß die Vollstreckbarkeit trotz Eröffnung des Konkursverfahrens im Urteilsstaat anzunehmen ist, die weitergehende Frage, ob in einem solchen Fall dem Vollstreckungstitel das Exequatur nach den Art. 31 ff. EuGVÜ erteilt werden kann. Soweit es das Recht des Konkursstatuts vorsieht, könnte man an eine Unterbrechung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens denken87 oder auch die passive Prozeßführungsbefugnis des Schuldners 88 für das Vollstreckbarerklärungsverfahren verneinen. Man könnte auch ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckbarerklärung annehmen, wenn der Gläubiger nach dem Recht des Konkursstatuts einen etwaigen Vollstreckungserlös an den ausländischen Kon-

85 Vgl. Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 745; Loussouarn/Bredin Nr. 688 ff.; Riesenfeld, FS Kegel, S. 433 (444 ff.) zum Exequaturverfahren im französischen und italienischen Recht; Summ S. 42 f., 187 ff.; vgl. zum schweizerischen förmlichen Exequaturverfahren Art. 167 IPRG.

Vgl. Bischoff Rev. crit. dr. int. privé 64 (1975) 670 (676); in die gleiche Richtung auch LG Frankfurt NJW 1980, 1235 (1235 f.). 87 Vgl. für die Unterbrechung einer Klage im Erkenntnisverfahren OLG München ZIP 1996, 385 f. m.w.N.; § 391 RegE-InsO hat ausdrücklich die Unterbrechung inländischer Rechtsstreitigkeiten durch ein ausländisches Insolvenzverfahren vorgesehen; vgl. auch Aderhold S. 249 f.; Summ S. 49 ff.; dagegen Geimer/Schütze, Band 2, S. 219; Geimer JZ 1977, 213 (215); vgl. auch Prütting ZIP 1996, 1277 (1282) hinsichtlich Art. 15 des künftigen Europäischen Konkursübereinkommens. 88 Vgl. allgemein zum Verlust der Prozeßführungsbefugnis OLG Hamm NJW 1977, 504; Kuhn/ Uhlenbrock §§ 237, 238 Rn. 83 m.w.N.; vgl. auch Aderhold S. 249 ff.; Summ S. 49, 56.

48

2. Kap.: Grundlagen

kursverwalter abliefern muß 89 . Weiterhin könnte man in enger Auslegung von § 237 KO annehmen, daß der Gläubiger nicht legitimiert ist, sich einen - erst durch die Vollstreckbarerklärung - „im Inland vollstreckbaren Titel zu verschaffen" 90. Die Befürworter 91 einer Vollstreckbarerklärung berufen sich darauf, daß der ausländische Titel ein bestehender Titel i.S.v. § 237 KO ist, auch wenn er im Inland erst nach Vollstreckbarerklärung durchsetzbar ist. Nach dieser Ansicht kann nach der Vollstreckbarerklärung die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden.

E. Beweiserleichterung I. Grundsatz des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ und § 6 Abs. 1 A V A G Dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Vollstreckungstitels müssen gemäß Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ die in den Artikeln 46, 47 EuGVÜ aufgeführten Urkunden beigefügt werden. Gem. Art. 47 Nr. 1, 1. HS EuGVÜ muß der Nachweis der Vollstreckbarkeit durch Urkunden erfolgen. Da in Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ keine Einschränkung auf besonders qualifizierte Urkunden gemacht wird, genügen auch Privaturkunden 92. Öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden sind demnach nicht erforderlich, obgleich in den meisten Fällen der Beweis durch öffentliche Urkunden geführt wird, da z.B. ein eventuell erforderlicher Beweis des Rechtskrafteintritts in der Regel durch öffentliche Urkunden geführt werden wird. § 6 Abs. 1 A V A G enthält für diesen Nachweis eine ergänzende Regelung für den Fall, daß in dem Vollstreckungstitel eine dem Gläubiger obliegende Sicherheitsleistung angeordnet ist, daß die Zwangsvollstreckung von dem Ablauf einer Frist oder dem Eintritt einer anderen Tatsache - z.B. bei einer im Titel ausgesprochenen Zug um Zug-Verpflichtung - abhängt. Ob die Vollstreck-

89

Zu der Herausgabe des Vollstreckungserlöses Kuhn/Uhlenbruck §§ 237, 238 Rn. 86; Kilger/ Schmidt § 237 Anm. 7; auch Rosenberg/Gaul/Schilken § 12 II 2. 90

Vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1407; zustimmend Kuhn/Uhlenbruck §§ 237, 238 Rn. 83.

91

Geimer, IZPR, Rn. 3118; a.A. ausdrücklich OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1407: „Ausländische Titel stellen grundsätzlich keinen im Inland zur Vollstreckung geeigneten Titel dar." 92 Vgl. Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 47 EuGVÜ Anm. I I 1 ; MünchKomm-ZPO/Gottwald Art. 47 EuGVÜ Rn. 2; Schlosser, EuGVÜ, Art. 47 Rn. 1 ; ebenso Amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt § 6 AVAG), BT-Drucks. VI/3426, 9 (13); Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (20).

E. Beweiserleichterung

49

barkeit durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung wirksam beschränkt ist und die Bedingungen für die Annahme der Vollstreckbarkeit gegebenenfalls erfüllt sind, beurteilt sich nach dem Recht des Staates, in dem der Titel errichtet worden ist (§ 6 Abs. 1 S. 1 AVAG). Das gleiche gilt für die Frage, ob der Vollstreckungstitel für oder gegen einen Rechtsnachfolger der in dem Titel bezeichneten Partei vollstreckt werden darf. Diese Regelung ergibt sich aber auch schon aus den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Zivilprozeßrechts, wonach sich die Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Urteilsstaates richtet 93 . Außerdem bestimmt schon Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ, daß die Vollstreckbarerklärung eines Vollstreckungstitels in einem anderen Land voraussetzt, daß die Entscheidung im Urteilsstaat selbst vollstreckbar ist 94 ; diese Voraussetzung wird auch in § 3 Abs. 1 A V A G aufgeführt. Damit beinhaltet § 6 Abs. 1 S. 1 A V A G lediglich eine klarstellende 95 und konkretisierende Wiederholung von Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ. Für den Nachweis der besonderen in § 6 Abs. 1 S. 1 A V A G aufgeführten Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen genügen ebenfalls Privaturkunden (§ 6 Abs. 1 S. 2, 1. HS AVAG) 9 6 . Eine andere Auffassung will hingegen öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden als Nachweis verlangen, wenn dies im nationalen Recht - wie im deutschen Recht nach §§ 726 ff. ZPO - für das Klauselerteilungs- oder Bewilligungsverfahren vorgesehen ist 97 . Zum Teil wird diese Auffassung - bezogen auf die Vollstreckung von öffentlichen Urkunden nach Art. 50 Abs. 1, 31 ff. EuGVÜ - aus Art. 50 Abs. 2 EuGVÜ abgeleitet98. Für den Nachweis der Voll-

93 Batiffol/Lagarde, Band 2, Nr. 723; ebenso Amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt § 6 AVAG), BT-Drucks. VI/3426, 9 (13). 94 Ebenso Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ; vgl. auch Art. 50 Abs. 1,51 EuGVÜ für die öffentlichen Urkunden und Prozeßvergleiche. 95

Vgl. den Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (20).

96

So ausdrücklich der Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (20): „Anders als nach §§ 726, 727 ZPO braucht der Nachweis nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt zu werden; es reichen Urkunden anderer Art - z.B. Privaturkunden - aus." Vgl. auch Wolf NJW 1973, 397 (398); Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 31 EuGVÜ Anm. III 2; Bülow/ Böckstiegel/Schlafen Art. 47 EuGVÜ Anm. II 1, Art. 48 EuGVÜ Anm. 3; Wolff Rn. 289; anders Arnold A W D 1972, 389 (391); Wieczorek/Schütze $ 722, D i a l , die von einem Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden sprechen. 97 So Stein/Jonas/Münzberg Anhang zu § 723 Rn. 306, Fn. 17; Wolfsteiner Rn. 82.14; generell von öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden ausgehend, Arnold A W D 1972, 389 (391); Wieczorek/Schütze § 722, D i a l . 98

Wolfsteiner Rn. 82.14.

4 Keßler

50

2. Kap.: Grundlagen

streckbarkeitsvoraussetzungen von Urteilen müßte nach dieser Auffassung gem. Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ das gleiche gelten. Folglich müßten auch die Urkunden, die die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen beweisen, die Voraussetzungen für ihre Beweiskraft erfüllen, die in dem Urteils- bzw. Errichtungsstaat erforderlich sind. Der Vollstreckungsstaat soll nach dieser Ansicht für die Erteilung der Vollstreckungsklausel keine geringeren Anforderungen als der Urteils- bzw. Errichtungsstaat stellen dürfen. Die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen von deutschen Urteilen müßten also mit öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden gem. §§ 726 ff. ZPO bewiesen werden. Das Abkommen und das Ausführungsgesetz bestimmen nach dieser Auffassung nur die an den Nachweis zu stellenden Mindestanforderungen, wenn sich die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen im Urteils- bzw. Errichtungsstaat mit noch geringeren Beweisanforderungen nachweisen lassen. Dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen. Die nach dem Grundsatz „locus regit actum" 99 in Art. 46 Nr. 1 und Art. 50 Abs. 2 EuGVÜ aufgestellte Forderung an die Beweiskraft der Ausfertigung der Entscheidung bzw. an die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde, stellt eine Sonderregelung gerade für die Ausfertigungen der Entscheidungen bzw. für die öffentlichen Urkunden dar. Sie kann nicht auf die nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ vorzulegenden Urkunden, die die Vollstreckbarkeit beweisen sollen, übertragen werden. Daß sich die jeweils national geltende Beweisanforderung nur auf die in Art. 46 Nr. 1 und 50 Abs. 2 EuGVÜ genannten Urkunden bezieht und keine Erstreckung dieser Sonderregelungen auf die nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderlichen Urkunden gewollt ist, läßt sich auch daraus ersehen, daß Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ eine erhöhte Beweisanforderung an die in dieser Vorschrift genannten Urkunden erfordert, hingegen in Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ - über die Pflicht zur Urkunden vorläge hinaus - keine zusätzliche Beweisanforderung getroffen wurde. Jede Vorschrift - Art. 46 Nr. 1, 46 Nr. 2, 47 Nr. 1 EuGVÜ - regelt also selbst, wie der Beweis zu erbringen ist. Als weiteres Argument gegen die Auffassung kann auch § 4 S. 2 des Ausführungsgesetzes zum deutsch-niederländischen Anerkennungs- und Vollstrekkungsvertrag 1(M) herangezogen werden. Danach ist der Nachweis „durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden zu führen". Dieses Ausführungs-

99 Jenard-Bericht (zu Art. 46 ff.) S. 97; Jeantet Cahiers de droit européen 1972, 375 (417); Weser Nr. 290bis; Kropholler Art. 46 Rn. 1; vgl. auch Niboyet, Band VI/2, Nr. 2023. 100

Vom 15. 1. 1965, BGBl. I 1965, 17.

E. Beweiserleichterung

51

gesetz diente mit dem deutsch-niederländischen Anerkennungs- und Vollstrekkungsvertrag dem EuGVÜ zum Vorbild 101 . Wenn dann gleichwohl das Erfordernis des qualifizierten Nachweises nicht in das EuGVÜ übernommen wurde, so kann daraus nur der Schluß gezogen werden, daß der Nachweis der Vollstreckbarkeit durch einfache Urkunden erfolgen kann. Zum anderen bietet auch § 6 Abs. 1 A V A G selbst keinen Anlaß, öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden zu fordern. Der Wortlaut verwendet nur den Begriff Urkunden ohne Einschränkung. Eine andere Auslegung von § 6 Abs. 1 A V A G wäre darüber hinaus unzulässig, da bei einer Auslegung des nationalen A V A G immer das EuGVÜ zu beachten; denn das A V A G ist dem EuGVÜ in jeder Hinsicht nachrangig 102. Daraus folgt, daß die Bestimmungen des A V A G den vorgehenden Normen des EuGVÜ nicht widersprechen dürfen. In Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ ist aber ausdrücklich von Urkunden die Rede, ohne daß eine Einschränkung auf öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden besteht, wie dies einzelne Vertragsstaaten in ihren Prozeßordnungen vorsehen 103 . Für den Nachweis des Eintritts der besonderen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen und des Eintritts der Rechtsnachfolge genügen demnach auch nach § 6 Abs. 1 A V A G Privaturkunden 1(W. Die Erweiterung der Beweismöglichkeit im EuGVÜ auf Privaturkunden im Vergleich zu den Anforderungen bilateraler Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen ist auch sachlich gerechtfertigt. Es soll dem ausländischen Gläubiger ermöglicht werden, einen Nachweis im Sinne des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ im vereinfachten Verfahren zur Vollstreckbarerklärung z.B. auch dann zu führen, wenn etwa eine zu beweisende Tatsache nach dem Recht des Urteilsstaates nicht in einer öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunde niedergelegt ist 105 . Daraus darf aber aus den oben genannten Gründen nicht geschlossen

101

Vgl. (deutsche) Denkschrift zum EuGVÜ, BT-Drucks. IV/1973, 44 (49 f.).

102

Vgl. Pirrung DGVZ 1983, 178 (179); Kropholler Art. 31 Rn. 7; Schack Rn. 78; Schlosser, EuGVÜ, Einl. Rn. 20; vgl. auch EuGH, Urteil v. 13. 11. 1979, Rs. 25/79, Sanicentral/René Collin, Slg. 1979, 3423 (3429, Nr. 5), dort wird der Vorrang der Vorschriften des Übereinkommens zu den an sich innerstaatlich anwendbaren Vorschriften betont. 103

So auch Wolf NJW 1973, 397 (398).

104

Ebenso Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (20); Wolf NJW 1973, 397 (398); Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 31 EuGVÜ Anm. III 2; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 47 EuGVÜ Anm. II 1, Art. 48 EuGVÜ Anm. 3; Wolff Rn. 289. 105 Amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt § 6 AVAG), BT-Drucks. VI/3426, 9 (13); Wolf NJW 1973, 397 (398).

4*

52

2. Kap.: Grundlagen

werden, daß, wenn der Urteilsstaat einen Nachweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden verlangt, der Vollstreckungsstaat für die Vollstreckbarerklärung auch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden verlangen muß. Bei der Prüfung der Beweiskraft privater Urkunden hat das Gericht die allgemeinen Grundsätze des autonomen Rechts anzuwenden106.

I I . Die Beweiserleichterung des § 6 Abs. 2 AVAG 1. Die verpflichtende Anhörung des Schuldners nach § 6 Abs. 2 AVAG Als Nachweis der Vollstreckbarkeit gem. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ kommen nur Urkunden in Betracht. Der Gläubiger kann jedoch in die mißliche Lage kommen, den Nachweis der Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit des Titels nicht durch Urkunden führen zu können. Somit ist zu untersuchen, ob auch andere Beweismittel - z.B. Zeugen - für den Nachweis der Vollstreckbarkeit zugelassen sind. In den deutschen Ausführungsgesetzen zu den bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen sind für den Nachweis der besonderen Voraussetzungen, von denen die Vollstreckbarkeit des Titels abhängt, auch andere Beweismittel als öffentliche und öffentlich beglaubigte Urkunden zugelassen. Allerdings kann für die Verfahren, in denen der Nachweis mit anderen Beweismitteln als mit öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden geführt werden soll, nicht die Form des Beschlußverfahrens gewählt werden, sondern es ist die mündliche Verhandlung bzw. die Anhörung des Schuldners vorgeschrieben 107. Hier kommt die verfassungsrechtlich gesicherte Komponente der Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Tragen. Der gerichtliche Beschluß über die Zulassung der Zwangsvollstreckung im Vollstreckungsstaat ist ein selbständiger Richterspruch, in dem über andere Tatund Rechtsfragen als im Erkenntnisverfahren zu entscheiden ist, so daß nach Art. 103 Abs. 1 GG Anspruch auf rechtliches Gehör besteht. Bei der näheren

106

Vgl. Amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt § 6 AVAG), BT-Drucks. VI/3426, 9 (13); Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 3. 107

Vgl. § 4 S. 3 Ausführungsgesetz zum deutsch-österreichischen Anerkennungs- und Vollstrekkungsvertrag (vom 8. 3. 1960; BGBl. I 1960, 169); § 4 S. 3 Ausführungsgesetz zum deutschniederländischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag (a.a.O.).

E. Beweiserleichterung

53

Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs müssen aber auch die sich aus der einzelnen Verfahrensart ergebenden Gegeninteressen berücksichtigt werden 108 . Eine nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs im Rechtsmittelverfahren genügt den aus Art. 103 Abs. 1 GG resultierenden verfahrensrechtlichen Anforderungen, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Maßnahme vereiteln würde, weil der Überraschungseffekt verloren ginge 1()9 . So wird denn auch ganz allgemein die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des einseitigen - dem EuGVÜ zu Grunde liegenden - Klauselerteilungsverfahrens, in welchem die Vollstreckbarkeit mit Urkunden bewiesen werden muß, bejaht. Es war geboten, in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren die „Freizügigkeit der Schuldtitel" zwischen den Vertragsstaaten der (damaligen) Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herzustellen 110. Hingegen soll die Zulassung der Vernehmung von Parteien und Zeugen sowie die Erhebung anderer Beweise im Vollstreckbarerklärungsverfahren die Beteiligung des Schuldners erforderlich machen111. Diese Unterscheidung der Beweismittel und die daraus resultierenden Folgen für die Notwendigkeit einer Anhörung findet sich auch z.T. in den rein nationalen Klauselerteilungs- oder Bewilligungsverfahren wieder; so wird z.B. für die deutsche Klauselerteilung nur dann eine obligatorische Anhörung vorgeschrieben (§ 731 ZPO), wenn der Gläubiger den Nachweis der besonderen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen nicht durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden führen kann 112 . Der Grund für die Differenzierung nach der Art des Beweises liegt wohl in der im Vergleich zur Urkundenvorlage geringeren Zuverlässigkeit der anderen Beweismittel sowie der erhöhten Gefahr, daß der Schuldner durch Partei- oder Zeugenaussagen „mit neuen rechtlichen Gesichtspunkten überfahren" 113 werden kann, ohne selbst Einwendungen erheben zu können. Somit ist festzuhalten, daß bei einer Zulassung von weiteren Beweismitteln die Pflicht zur Anhörung des Schuldners aus Art. 103 Abs. 1 GG hervorgeht.

1()K

BVerfGE 9, 89 (95).

109

BVerfGE 9, 89 (97 ff.); 18, 399 (404); 57, 346 (358 f.).

110 Ausführlich Arnold A W D 1972, 389 (390 f.); Kropholler Art. 34 Rn. 1; Wolff Rn. 295; Schütze, IZPR, S. 171; OLG Bremen IPRspr. 1977 Nr. 152. 111

Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (20); Wolf NJW 1973, 397 (Fn. 25); Wolff Rn. 290. 112

Ebenso in Österreich, vgl. 10 EO.

113

Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Grundgesetz, Art. 103 Rn. 70, 140.

54

2. Kap.: Grundlagen

Im EuGVÜ wurde jedoch gerade als Neuerung gegenüber den bisherigen bilateralen Vollstreckungsverträgen das einseitige Exequaturverfahren eingeführt. Dadurch sollte eine Vereinfachung und Beschleunigung gegenüber dem „klassischen Exequaturverfahren" 114, welches auf ein normales Klageverfahren hinausläuft, erreicht werden. Diesen Schritt von einem besonderen förmlichen kontradiktorischen Verfahren in den bilateralen Anerkennungs- und Vollstrekkungsverträgen zu einem einseitigen, schnellen Verfahren ging bereits der deutsch-niederländische Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag 115. Das EuGVÜ sichert die Einseitigkeit des Verfahrens gem. Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ dadurch, daß der Schuldner in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit erhält, eine Erklärung abzugeben. Damit bestanden für das Ausführungsgesetz zum EuGVÜ zwei Möglichkeiten für den Fall, daß der Vollstreckbarkeitsnachweis nicht durch Urkunden geführt werden konnte. Entweder muß der Antrag auf Vollstreckbarerklärung wegen fehlenden Nachweises abgewiesen werden oder es werden weitere Beweismittel zugelassen und dem Schuldner dann die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Ausführungsgesetz hat sich in § 6 Abs. 2 A V A G für die zweite Möglichkeit entschieden. Wenn der Gläubiger den Nachweis der in § 6 Abs. 1 S. 1 A V A G genannten besonderen Voraussetzungen nicht mit Urkunden führen kann, dann soll sein Antrag nicht abgewiesen werden, sondern er soll diesen Nachweis mit den allgemein zulässigen Beweismitteln erbringen dürfen. So kommt die Vernehmung von Parteien, Zeugen oder die Erhebung anderer Beweise in Betracht. Allerdings ist dann die Beteiligung des Schuldners notwendig 1 1 6 . In diesem Fall kann der Vorsitzende sogar eine mündliche Verhandlung anordnen, vgl. § 6 Abs. 2 S. 3 AVAG 1 1 7 .

114

Arnold A W D 1972, 389 (390).

115

Vgl. Gemeinsamer Bericht der Unterhändler, BT- Drucks. IV/2351, 13 (33). Vorbild für ein solches Verfahren findet man im internationalen Rechtsverkehr für Entscheidungen außerdeutscher Rheinschiffahrtsgerichte, vgl. Art. 40 Abs. 1 der Mannheimer revidierten Rheinschiffahrtsakte vom 17. 10. 1868 in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. 9. 1952, BGBl. I 1952, 641 (646). 116

Amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt § 6 AVAG), BT-Drucks. VI/3426, 9 (14); Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (20); Wolf NJW 1973, 397 (Fn. 25); Wolff Rn. 290. 117 In dieser mündlichen Verhandlung besteht nach § 5 Abs. 2 A V A G kein Anwaltszwang, vgl. Regierungsentwurf zu § 6 AVAG, BT-Drucks. 11/351, 15 (21); Wolf NJW 1973, 397 (Fn. 26).

E. Beweiserleichterung

55

2. Die Vereinbarkeit mit Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ Damit ist die Vereinbarkeit des § 6 Abs. 2 A V A G mit dem EuGVÜ, insbesondere mit Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ zu prüfen. Es geht dabei nicht um den Streit, ob das autonome Exequaturrecht von dem Recht der multilateralen Staatsverträge verdrängt wird 1 1 8 , da die Vollstreckbarerklärung jedenfalls nach dem EuGVÜ erfolgen soll. Es geht vielmehr darum, ob § 6 Abs. 2 A V A G mit dem EuGVÜ im Einklang steht. In Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ ist bestimmt, daß der Schuldner in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit erhält, eine Erklärung abzugeben. Wenn man das Postulat der in Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ verbürgten Einseitigkeit ausnahmslos gelten lassen will, wäre § 6 Abs. 2 A V A G nicht anwendbar. Der EuGH hat bisher über die Auslegung von Art. 34 EuGVÜ bzgl. der Einseitigkeit des Verfahrens nicht entschieden. Eine Entscheidung durch den EuGH könnte zur Folge haben, daß eine Bestimmung des A V A G nicht mehr anwendbar ist 119 . Die amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt § 6 A V A G ) 1 2 0 sieht (freilich) keinen Widerspruch zu Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ, wohingegen in der amtlichen Begründung zu § 5 AGGVÜ (jetzt § 5 A V A G ) 1 2 1 davon ausgegangen wird: „Der Schuldner darf also zu einer mündlichen Erörterung nicht hinzugezogen werden, selbst wenn der Antragsteller mit dieser Teilnahme einverstanden wäre (vgl. Bericht, ... S. 93)." Diese widersprüchlichen Stellungnahmen tragen nicht zur Klärung des Problems bei. Bei näherer Untersuchung des als Beleg angegebenen Jenard-Berichts 122 ist festzustellen, daß nach den dortigen Ausführungen dem Gericht keine Befugnis zustehen soll, „den Schuldner zur Stellungnahme aufzufordern." Weiter heißt es in dem Bericht, eine Anhörung des Schuldners würde das Prinzip der Einseitigkeit des Verfahrens durchbrechen; „das Überraschungsmoment [würde abgeschwächt werden], das dem Verfahren auf Zulassung der Zwangsvollstreckung innewohnen muß, wenn man dem Beklagten die Möglichkeit nehmen will, sein Vermögen der Zwangsvollstreckung zu entziehen."

118

Vgl. dazu Geimer, IZPR, Rn. 2766; Schack Rn. 807 ff.

1,9

Pirrung DGVZ 1973, 178 (Fn. 18) hält diesen Fall gerade für § 6 Abs. 2 A V A G denkbar.

120

BT-Drucks. VI/3426, 9 (13 f.).

121

BT-Drucks. VI/3426, 9 (13).

122

Jenard-Bericht (zu Art. 34) S. 93.

56

2. Kap.: Grundlagen

Wenn damit eine Befugnis des Gerichts, von Amts wegen die Anhörung des Schuldners anzuordnen, abgelehnt wird, bleibt doch offen, ob eine Anhörung auf Antrag des Gläubigers erfolgen darf. Nach der im Schlosser-Bericht 123 vertretenen Auffassung ist eine Benachrichtigung allerdings nicht generell verboten, „doch auf seltene Ausnahmefälle beschränkt". Es ist an Anträge auf Vollstreckbarerklärung zu denken, die erst längere Zeit nach Erlaß des Urteils gestellt werden. Jedoch darf das Gericht „Eingaben des Schuldners, ob aufgrund oder ohne seine Benachrichtigung ... ohnehin nicht berücksichtigen." Daher hielt es der Gesetzgeber des Vereinigten Königreichs für nicht erforderlich, eine gesetzliche Regelung über eine etwaige Benachrichtigung des Schuldners zu treffen 124 . Verbleiben auch unter Berücksichtigung der historischen Auslegung anhand der Berichte Zweifel über die Vereinbarkeit einer Anhörung des Schuldners aufgrund eines Antrags des Gläubigers mit Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ, so ist diese Frage im Wege der teleologischen Auslegung zu klären. Ziel von § 6 Abs. 2 A V A G ist es, die nichturkundlichen Beweisangebote des Gläubigers, der einen ausländischen Titel vollstrecken will, zu verwerten. Anderenfalls müßte der Antrag des Gläubigers abgewiesen werden, da er den Nachweis durch Urkunden nicht führen kann 125 . Es tritt also an Stelle der Abweisung des Antrags ein Verfahren, in welchem der Schuldner beteiligt wird und der Nachweis, daß der Titel im Urteilsstaat vollstreckbar ist, erleichtert wird. Die Regelung in § 6 Abs. 2 AVAG fördert damit das Ziel des Übereinkommens, verfahrensrechtliche Hindernisse bei der Vollstreckung ausländischer Urteile abzubauen126. Der Zweck, den Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ verfolgt, dem Gläubiger den Überraschungseffekt zu wahren und dem Schuldner die Möglichkeit zu erschweren, sein Vermögen der Zwangsvollstreckung zu entziehen, kann zwar von § 6 Abs. 2 A V A G vereitelt werden. Jedoch ist das Verfahren nach § 6 Abs. 2 A V A G mit Anhörung des Schuldners nur auf Antrag des Gläubigers

m

Rn. 219.

124

Vgl. Kaye S. 1671 Fn. 93: „R.S.C. Order 71, Part III makes no provision for such notification." Vgl. auch Briggs Kap. 7.2.3 mit Fn. 94; Collins S. 119; anders für die Anträge auf Registrierung außerhalb des EuGVÜ, siehe R.S.C. Ord. 71, r. 2 (2). 125 Amtliche Begründung zu § 6 AGGVÜ (jetzt 8 6 AVAG), BT-Drucks. VI/3426, 9 (14); Pirrung D G V Z 1973, 178 (Fn. 30); Wolf NJW 1973, 397 (399). 126

Jenard-Bericht (vor Art. 31) S. 90.

E. Beweiserleichterung

57

möglich. Dieser würde mit einem solchen Antrag auf die seine Interessen schützende Norm verzichten. Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ stellt eine „reine Schutznorm" für den Gläubiger dar 127 , die verzichtbar ist. Im übrigen spricht als weiteres Argument für die Zulässigkeit von § 6 Abs. 2 AVAG, daß der Grundsatz der Einseitigkeit des Verfahrens kein das ganze Vollstreckbarerklärungsverfahren beherrschender Verfahrensgrundsatz ist, denn das Verfahren auf Erteilung der Vollstreckungsklausel ist nur vorläufig nicht kontradiktorisch (vgl. Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ) 1 2 8 . Daher wird auch in der deutschen Literatur ganz allgemein angenommen, daß § 6 Abs. 2 A V A G im Einklang mit Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ steht 129 .

3. Die Vereinbarkeit mit Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ § 6 Abs. 2 A V A G weicht ferner von Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ ab; nach dieser Vorschrift ist der Nachweis der Vollstreckbarkeit mit Urkunden zu erbringen. Bei der Anwendung von § 6 Abs. 2 A V A G sind aber auch andere Beweismittel zulässig. Indessen fördert diese Vorschrift das Ziel des EuGVÜ, verfahrensrechtliche Hindernisse bei der Vollstreckung zu vermeiden, indem auch andere Beweismittel zugelassen werden. Interessen des Urteilsstaates werden nicht verletzt, wenn seine Urteile im Ausland unter erleichterten Bedingungen anerkannt und vollstreckt werden 130 . Es handelt sich also auch in dieser Hinsicht um eine zulässige, einseitige Erleichterung der Beweisführung in Deutschland.

4. Die Vereinbarkeit mit Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ In Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ ist zwar eine Befreiung von der Urkunden vorläge in bestimmten Fällen vorgesehen, nicht jedoch für den Fall des Art. 47 Nr. 1

127 Schütze, FS Bülow, S. 211 (211); Geimer/Schütze, Band 1, § 159 I vor 1; vgl. auch Geimer JZ 1977, 213 (215). 128 Vgl. EuGH, Urteil v. 21. 5. 1980, Rs. 125/79, Denilauer/Couchet Frères, Slg. 1980, 1553 (1569). 129

Pirrung DGVZ 1973, 178 (Fn. 30); Wolf NJW 1973, 397 (398 f.); Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 34 EuGVÜ Anm. I 3; Geimer/Schütze, Band 1, § 159 I vor 1 ; Kropholler Art. 34 Rn. 2; Wolff Rn. 290; Schütze, IZPR, S. 171; Baur/Stürner Rn. 55.12; MünchKomm-ZPO/Gottwald Art. 34 EuGVÜ Rn. 2. 130

Schack Rn. 808.

58

2. Kap.: Grundlagen

EuGVÜ. Die in § 6 Abs. 2 A V A G genannten Möglichkeiten, daß der Beweis der Vollstreckbarkeit auch mit anderen Beweismitteln als mit Urkunden geführt werden kann, müssen aber als Befreiung von dem Urkundenbeweis i.S.v. Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ angesehen werden, auch wenn in § 6 Abs. 2 A V A G keine gänzliche Befreiung von dem Beweis vorgesehen ist, sondern nur eine Befreiung von dem Urkundenbeweis 131. Damit ist § 6 Abs. 2 A V A G mit Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ nur dann vereinbar, wenn man - mit der unter III. vertretenen Ansicht - davon ausgeht, daß Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ keine abschließende Regelung hinsichtlich der Befreiung von dem Urkundenbeweis enthält.

5. Die Anhörung des Schuldners außerhalb von § 6 Abs. 2 AVAG Eine mit der Zulässigkeit von § 6 Abs. 2 AVAG eng zusammenhängende gleichwohl umstrittenere - Frage ist, ob der Richter im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf Antrag bzw. mit Zustimmung des Antragstellers den Schuldner zur mündlichen Erörterung laden kann, wenn der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 A V A G nicht eröffnet ist, d.h. wenn es sich nicht um den Nachweis der besonderen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 1 A V A G handelt 132 . Sie ist für alle EuGVÜ-Staaten gleichermaßen von Bedeutung, da in keinem der Vertragsstaaten positivrechtlich geregelt. Der Gläubiger könnte ein Interesse an einer Beteiligung des Schuldners haben, wenn er den Nachweis der Vollstreckbarkeit nicht mit Urkunden erbringen kann oder wenn mit einem Rechtsbehelf nach Art. 36 Abs. 1 EuGVÜ zu rechnen ist. Es scheint, daß die Zulässigkeit der Anhörung des Schuldners auf Antrag bzw. mit Zustimmung des Gläubigers folgerichtig in der gleichen Weise beantwortet werden muß, wie die Vereinbarkeit des § 6 Abs. 2 A V A G mit dem EuGVÜ. An die Stelle der Abweisung des Antrags tritt im Interesse des Gläubigers und entsprechend dem Ziel des Übereinkommens zur Vereinfachung und Beschleunigung des Vollstreckbarerklärungs-verfahrens ein Verfahren, in dem der Nachweis der Vollstreckbarkeit mit allen in der jeweiligen Prozeßordnung vorgesehenen Beweismitteln geführt werden kann.

131 132

Ebenso Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 4.

Diese Frage bejahend Geimer JZ 1977, 213 (215); Schütze, FS Bülow, S. 211 (211); Geimer/ Schütze, Band 1, § 159 I vor 1; Baur/Stürner Rn. 55.12; Schlosser, EuGVÜ, Art. 34 Rn. 1.

E. Beweiserleichterung

59

Bei der Frage, ob eine Anhörung des Schuldners auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 6 Abs. 2 A V A G zulässig ist, fällt auf, daß die Schuldneranhörung in § 6 Abs. 2 A V A G nur in bestimmten Fällen möglich ist, während es hier um die generelle Möglichkeit der Schuldneranhörung im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf Antrag des Gläubigers geht. Es besteht die Gefahr, daß der in Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ verbürgte Grundsatz der Einseitigkeit durch Anträge des Gläubigers, auf die auch das Gericht hinwirken kann, ausgehöhlt werden kann. Es soll aber verhindert werden, daß es zu einer „systematischen Umwandlung des einseitigen Verfahrens in ein kontradiktorisches" Verfahren kommt 133 . Daher will eine Literaturmeinung die generelle Befugnis des Gerichts zur Anhörung des Schuldners auf Antrag des Gläubigers ablehnen134. Für diese Meinung spricht auch der Schlosser-Bericht 135, der eine Benachrichtigung des Schuldners nicht kategorisch ablehnt, aber auf seltene Ausnahmefälle beschränken will. Dieser Ansicht ist m.E. aus zwei Gründen zu widerprechen. Erstens steht die Einseitigkeit des Verfahrens im Interesse des Gläubigers, da Zweck von Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ ist, daß der Schuldner keine Möglichkeit haben soll, sein Vermögen der Zwangsvollstreckung zu entziehen. Der Gläubiger kann folglich auf diesen Schutz verzichten, indem er die Schuldneranhörung beantragt. Dies kann auch der einzige Weg sein, den ausländischen Titel im vereinfachten Verfahren für vollstreckbar erklären zu lassen. Damit wird man dem Ziel des EuGVÜ, verfahrensrechtliche Hindernisse bei der Vollstreckung von ausländischen Titeln abzubauen, voll gerecht 136. Zweitens ist es fraglich, ob man zwischen der Zulässigkeit von § 6 Abs. 2 A V A G und der generellen Befugnis zur Anhörung des Schuldners auf Antrag des Gläubigers einen Unterschied machen kann, nur weil § 6 Abs. 2 A V A G auf „bestimmte Ausnahmefälle" begrenzt ist. Diese Ausnahmen bilden die Hauptanwendung für Sachverhalte, bei denen der Gläubiger die Vollstreckbarkeit nicht mit Urkunden beweisen kann, wie z.B. den Nachweis des Bedingungseintritts. Von besonders gelagerten Fällen abgesehen wird der Nachweis der Vollstreckbarkeit immer durch Urkunden erbracht werden. Somit kann man nicht von

133

Jenard-Bericht (zu Art. 34) S. 93.

134

So Bülow/Böckstiegel/Müller Art. 34 EuGVÜ Anm. I 2.

135

Rn. 219, allerdings wird an gleicher Stelle davon ausgegangen, daß das Gericht Eingaben des Schuldners ohnehin nicht berücksichtigen darf; anders nun Schlosser, EuGVÜ, Art. 34 Rn. 1. 136 Vgl. Geimer JZ 1977, 213 (215); Schütze, FS Bülow, S. 211 (211); Geimer/Schütze, Band 1, § 159 I vor 1 und I 1.

60

2. Kap.: Grundlagen

einer Gefahr der Aushöhlung des Grundsatzes der Einseitigkeit sprechen, wenn man dem Gericht generell und nicht nur für den ausdrücklichen Regelungsbereich des § 6 Abs. 2 A V A G die Befugnis zur Anhörung des Schuldners auf Antrag des Gläubigers zuspricht. Aus den genannten Gründen kann man damit bei dem § 6 Abs. 2 A V A G vergleichbaren Sachverhalten die Befugnis des Gerichts zur Anhörung des Schuldners auf Antrag des Gläubigers annehmen. Zu dieser Anhörung wird man keine besondere Rechtsgrundlage für das Gericht fordern müssen. Im deutschen Vollstreckbarerklärungsverfahren kann auch § 6 Abs. 2 S. 2 A V A G analog herangezogen werden 137 . Festzuhalten ist, daß das Gericht auf Antrag des Gläubigers den Schuldner zu einer Anhörung oder zu einem Erörterungstermin laden kann; eine mündliche Verhandlung ist in diesem Verfahrensstadium ausgeschlossen138. Sie ist nur gemäß § 6 Abs. 2 S. 3 A V A G möglich, da nur hier die mündliche Verhandlung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird 1 3 9 .

I I I . Anwendbarkeit der in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ genannten Alternativen für den Nachweis der Vollstreckbarkeit Dem Exequaturrichter stehen bei Fehlen der in den Art. 46 Nr. 2 und Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ angeführten Urkunden über die ordnungsgemäße Zustellung des den Prozeß im Urteilsstaat einleitenden Schriftstücks bzw. über den Nachweis, daß der Antragsteller im Urteilsstaat das Armenrecht genießt, folgende Alternativen zur Verfügung: Das Gericht kann entweder eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Urkunden vorzulegen sind, oder sich mit gleichwertigen Urkunden begnügen oder

137

MünchKomm-ZPO/Gottwald Art. 34 EuGVÜ Rn. 2; vgl. auch Baur/Stürner Rn. 55.12.

138

Vgl. Schütze, FS Bülow S. 211 (215); allgemein Rosenberg/Schwab/Gottwald § 82 I.

139 Eine zwingende mündliche Verhandlung ist im vergleichbaren Fall in § 3 Ausführungsverordnung zum deutsch- italienischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen (vom 18. 5. 1937; RGBl. II 1937, 143; idF vom 12. 9. 1950; BGBl. I 1950, 455, 533) und zum deutsch-schweizerischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen (vom 23. 8. 1930; RGBl. 1930 II 1209) vorgesehen, ebenso in § 4 S. 3 Ausführungsgesetz zum deutsch-österreichischen Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag (vom 8. 3. 1960; BGBl. I 1960, 169).

E. Beweiserleichterung

61

den Antragsteller von der Vorlage der Urkunden befreien, wenn es eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält. Hier ist zu untersuchen, ob die in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ angeführten Alternativen auch im Rahmen von Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ anwendbar sind. Von besonderer praktischer Relevanz gestaltet sich die Frage, ob das Gericht den Antrag auf Vollstreckbarerklärung abweisen muß, wenn der Antragsteller nicht alle erforderlichen Urkunden für den Vollstreckbarkeitsnachweis schon im Antrag erbringt oder ob das Gericht eine Frist zur Urkundenvorlage setzen bzw. von einer Urkunden vorläge befreien kann. Das Übereinkommen enthält insoweit keine ausdrückliche Regelung. Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ verpflichtet das mit dem Antrag befaßte Gericht, die Entscheidung „unverzüglich" zu treffen. Im Gegensatz dazu ist in Art. 17 Abs. 2 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen von 1973 ausdrücklich vorgesehen, daß das Gericht bei unvollständiger Urkunden vorläge eine Frist für die Vorlegung aller erforderlichen Urkunden setzt. Die in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ aufgeführten Alternativen können nur in ihrem genau festgelegten Anwendungsbereich zum Tragen kommen. Angesichts der klaren Beschränkung des Wortlautes in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ auf Art. 46 Nr. 2 und 47 Nr. 2 EuGVÜ, darf die Vorschrift nicht erweiternd ausgelegt werden 140 . Jedoch wird schon im Jenard-Bericht 141 für den Fall, daß der Antragsteller die in Art. 47 EuGVÜ vorgeschriebenen Urkunden nicht beifügt, ausgeführt, „nach Ansicht des Ausschusses [ist] der Antrag nicht ohne weiteres abzulehnen, sondern das Gericht kann die Entscheidung aussetzen und dem Antragsteller eine Frist setzen." Aus Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ kann somit nach der Auffassung der Verfasser des Übereinkommens nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß bei Fehlen oder Unvollständigkeit der nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderlichen Urkunden der Antrag zwingend als unzulässig abzuweisen sei 142 . Daher wird vertreten, daß die in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ aufgeführten Alternativen, wenngleich nicht

140

Geimer/Schütze, Band 1, § 159 III 4 a.

141

Jenard-Bericht (zu Art. 33) S. 93.

142 Dieser Auslegung widerspricht jedoch Droz Rn. 604: "A contrario, la disposition a pour effet de rendre irrecevable toute requête qui ne serait pas accompagnée des pièces prévues aux articles 46, n° 1 et 47, n° 1."

62

2. Kap.: Grundlagen

in Anwendung dieser Vorschrift, auch im Rahmen von Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ zur Verfügung stehen143. Diese Auffassung ist aus drei Gründen zutreffend. Erstens ist die Regelung in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ nicht abschließend; es ist davon auszugehen, daß Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ die Fragen der Fristbestimmung, die Vorlage gleichwertiger Urkunden und die Befreiung von der Urkundenvorlage für den Fall des Vollstreckbarkeitsnachweises nicht geregelt hat. Art. 48 Abs. 1 stellt vielmehr eine Sondervorschrift dar, deren Bedeutung auf den von ihr geregelten Bereich beschränkt ist 144 . Zweitens könnte man zwar aus dem Wortlaut von Art. 33 Abs. 3 EuGVÜ und aus den Art. 46, 47 EuGVÜ entnehmen, daß die Vorlage der Urkunden im Antrag auf Vollstreckbarerklärung zwingend ist, was bei Nichtbefolgung zu sofortiger Abweisung führen könnte. Jedoch zeigt Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ, daß diese Annahme nicht zutreffend ist, sondern eine Lockerung des Beweiserfordernisses durchaus möglich ist 145 . Drittens dienen die in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ aufgezählten Alternativen der Erleichterung der Vollstreckung, einem Hauptziel des Übereinkommens 146. Auch bzgl. des Nachweises der Vollstreckbarkeit besteht das Bedürfnis der in Art. 48 EuGVÜ genannten Alternativen. Dazu folgendes Beispiel: Lehnt das Exequaturgericht den Antrag des Gläubigers auf Vollstreckbarerklärung sofort ab, weil die notwendigen Urkunden nicht vorgelegen haben, dann müßte nach der Rechtsprechung des EuGH bei Anfechtung des Beschlusses durch Be-

143

OLG Frankfurt IPRspr. 1988 Nr. 198; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 1 und 2; Geimer/Schütze, Band 1, § 159 III 4 a; Wolff Rn. 287; O'Malley/Layton Rn. 29.22; Stein/ Jonas/Münzberg Anhang zu § 723 Rn. 306 Fn. 17; Schlosser, EuGVÜ, Art. 49 Rn. 1; vgl. auch EuGH, Urteil v. 14. 3. 1996, Rs. 275/94, Roger van der Linden/Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, Slg. 1996, 1393 (1413); a.A. OLG Frankfurt RIW/AWD 1978, 620 (621); Droz Rn. 604; Kaye S. 1600 mit Fn. 60 zur gegenteiligen deutschen Auffassung; Collins S. 117; a.A. wohl auch Weser Rn. 291. 144 EuGH, Urteil v. 14. 3. 1996, Rs. 275/94, Roger van der Linden/Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, Slg. 1996, 1393 (1413); OLG Frankfurt IPRspr. 1988 Nr. 198; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 1 und 2; Geimer/Schütze, Band 1, § 159 III 4 a; Wolff Rn. 287; O'Malley/Layton Rn. 29.23. 145

So O'Malley/Layton Rn. 29.23.

146

Vgl. den Fall BGHZ 65, 291 (296); Wolff Rn. 287; O'Malley/Layton Rn. 29.23.

E. Beweiserleichterung

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schwerde des Gläubigers ein kontradiktorisches Beschwerdeverfahren erfolgen 147 . Setzt das Exequaturgericht dem Gläubiger hingegen eine Frist zur Urkundenvorlage, so könnte das einseitige Verfahren auch im Interesse der Prozeßökonomie und der Effektivität des Rechtsschutzes unmittelbar fortgesetzt werden. Das Übereinkommen regelt nur Teilbereiche des Prozeßrechts, soweit dies für eine gleichmäßige Anwendung des Übereinkommens erforderlich ist. Soweit das EuGVÜ keine Regelungen enthält, kommen also subsidiär die Ausführungsgesetze und die Vorschriften des autonomen Verfahrensrechts zur Anwendung 148 . Würde man der gegenteiligen Meinung von Droz 149 folgen, dann könnte es Fälle geben, in denen nach autonomem Recht ein Exequatururteil ergehen könnte, da dort keine Beweisbeschränkungen gegeben sind, während nach dem EuGVÜ keine Vollstreckbarerklärung erfolgen könnte 150 . Festzuhalten ist, daß die in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ aufgeführten Alternativen grundsätzlich auch bei Fehlen oder Unvollständigkeit des Vollstreckbarkeitsnachweises zur Anwendung kommen können.

1. Fristbestimmung Der - in der Praxis wichtigen - Fristsetzung, innerhalb derer die Urkunden vorzulegen sind, steht damit nichts entgegen151. Allerdings kommt eine direkte oder analoge Anwendung von Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ aus den genannten Gründen nicht in Betracht. Die Befugnis zur Fristsetzung für die Vorlage des Vollstreckbarkeitsnachweises nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erfordert eine Rechts-

147 EuGH, Urteil v. 12. 7. 1984, Rs. 178/83, Firma P./Firma K., Slg. 1984, 3033 (3042); eine bessere Lösung bietet Stürner IPRax 1985, 254 (255 f.), der in einem solchen Fall für eine Zurückverweisung zum neuen einseitigen Verfahren erster Instanz plädiert; dem zustimmend Geimer, IZPR, Rn. 3143. 148 Vgl. Generalanwalt Fennelly zu EuGH, Urteil v. 14. 3. 1996, Rs. 275/94, Roger van der Linden/Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, Slg. 1996, 1393 (1401); Wolff Rn. 287. 149

Étude, Rn. 604; dieser Meinung hat sich Kaye S. 1600 mit Fn. 60, angeschlossen.

150

Geimer/Schütze, Band 1, § 159 III 4 a; innerhalb des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Art. 31 ff. EuGVÜ ist wegen des abschließenden Charakters des Übereinkommmens eine Berufung auf das autonome Recht, soweit das EuGVÜ Regelungen vorsieht, nicht möglich. 151

Vgl. implizit EuGH, Urteil v. 12. 7. 1984, Rs. Firma PVFirma K., Slg. 1984, 3033 (3042), da es sich in diesem Verfahren auch um die nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ vorzulegenden Urkunden handelte.

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2. Kap.: Grundlagen

grundlage in einem Ausführungsgesetz oder im autonomen Verfahrensrecht des Vollstreckungsstaates 152. So hat z.B. der niederländische Gesetzgeber in Art. 2 Abs. 3 niederländisches Ausführungsgesetz zum EWG-Übereinkommen 153 ausdrücklich bestimmt, daß „unbeschadet der Bestimmungen des Art. 48 Abs. I " 1 5 4 bei Unvollständigkeit der Antragsunterlagen dem Antragsteller Gelegenheit zur Ergänzung gegeben wird. Das - im übrigen so ausführliche - deutsche Ausführungsgesetz sieht keine ausdrückliche Bestimmung vor. Im Vereinigten Königreich werden eine Fristsetzung zur Urkunden vorläge und Beweiserleichterungen ausdrücklich auf die in Art. 48 Abs. 1 erwähnten, nach Art. 46 Nr. 2 und 47 Nr. 2 EuGVÜ beizubringenden Urkunden beschränkt 155. Auch in dem dänischen Ausführungsgesetz ist eine Fristsetzung ausdrücklich nur für die nach Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ beizubringenden Urkunden erwähnt 156 . Eine dem niederländischen Ausführungsgesetz entsprechende Regelung ist jedoch im deutschen Ausführungsgesetz nicht erforderlich, weil schon die §§ 139, 142 ZPO eine hinreichende Ermächtigung für den deutschen Exequaturrichter darstellen 157. Um den Sachvortrag des Antragstellers aufzuklären und das Verfahren zu beschleunigen, kann das Gericht „selbst die Initiative ergreifen" 1 5 8 und von Amts wegen die Vorlage von Urkunden anordnen. Hierdurch

152 Vgl. Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 2; Geimer/Schütze, Internationale Urteils-anerkennung, Band 1, § 159 III 4 a; O'Malley/Layton Rn. 29.23; Stein/Jonas/Münzberg Anhang zu § 723 Rn. 47 Fn. 77 bezeichnet dies als h.M.; anders MünchKomm-ZPO/Gottwald Art. 48 EuGVÜ Rn. 2, der insoweit Art. 48 EuGVÜ analog anwenden will, aber wohl wegen eigener Bedenken auch den Weg über das autonome Prozeßrecht erwähnt; noch anders das OLG Stuttgart IPRspr. 1980 Nr. 163, welches aus Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ direkt die Befugnis zur Fristsetzung (im Fall bzgl. der nach Art. 47 Nr. 1,2 HS erforderlichen Zustellung) entnimmt. 153 Vom 4. 5. 1972 (Staatsblaad 1972, 420), geändert am 14. 9. 1978 (Staatsblaad 1978, 468), abgedruckt bei Bülow/Böckstiegel unter 605/53 ff. 154

„3. Onverminderd het bepaalde bij artikel 48".

155

Vgl. R.S.C. Order 71, r. 28 (2): „Where the party making the application does not produce the documents referred to in paragraphs (l)(a)(ii) and (iii) of this rule, the court may ..."; dabei wird auf das „document which establishes that the party in default was served" und das „document showing that the party ... is in receipt of legal aid" Bezug genommen. 156 Vgl. § 5 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 dänisches Ausführungsgesetz vom 4. 6. 1986 (Lovtidende 1986 A, Nr. 325) nach einer deutschen Übersetzung in IPRax 1987, 261 f. 157 Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 1 und 2; Wolff Rn. 287; Kropholler Art. 48 Rn. 1; OLG Frankfurt IPRspr. 1988 Nr. 198. 158

Stein/Jonas/Leipold § 142 Rn. 1; Baumbach/Hartmann § 142 Rn. 4.

E. Beweiserleichterung

65

wird kein weitergehender Sachverhalt ausgeforscht, sondern es soll ein streitiger Sachverhalt dadurch bewiesen werden. Wenn also der Vollstreckbarkeitsnachweis mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung nicht vollständig vom Antragsteller erbracht wurde, kann und sollte das Gericht gemäß §§ 139, 142 ZPO den Antragsteller von Amts wegen auf diesen Mangel hinweisen und ihn auffordern, die Unterlagen seines Antrags zu vervollständigen 159. Dabei kann das Gericht gemäß §§ 142, 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Urkunden vorzulegen sind. Die Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung nach Art. 34 Abs. 1 EuGVÜ könnte dieser Auslegung entgegenstehen. Eine schnelle Entscheidung steht aber nur im Interesse des Antragstellers. Für diesen ist die Fristsetzung von Vorteil, da anderenfalls sein Antrag abgewiesen werden würde; die Interessen des Schuldners werden hingegen durch eine Fristsetzung nicht berührt. Allerdings muß das Gericht bei einer Fristsetzung ein eventuell bestehendes Interesse des Gläubigers an einer Abweisung des Antrags beachten. Wenn er die vom Gericht geforderten Urkunden nicht vorweisen kann und das Gericht auch nicht von einer Urkundenvorlage absieht, dann könnte der Gläubiger Interesse an einer schnellen Entscheidung des Gerichts erster Instanz haben, um zügig eine Entscheidung des Rechtsbehelfsgerichts herbeizuführen 160. Wenn der Antragsteller dieser Aufforderung zur Urkundenvorlegung nicht nachkommt, kann das Gericht den Antrag als derzeit unzulässig abweisen. Die fehlenden Urkunden können in diesem Fall noch im Rechtsbehelfsverfahren nachgereicht werden 161 . Die Wiederholung eines - lediglich wegen fehlender Urkunden als derzeit unzulässig - zurückgewiesenen Antrags auf Vollstreckbar-

159 Vgl. BGHZ 65, 291 (294 ff.) für den parallel liegenden Fall des fehlenden Zustellungsnachweises nach Art. 47 Nr. 1, 2. HS EuGVÜ; dort wurde der Beschluß des Oberlandesgerichts wegen Verletzung der §§ 432, 139 ZPO aufgehoben. 160

Geimer/Schütze, Band 1, § 159 III 4 b.

161

EuGH, Urteil v. 14. 3. 1996, Rs. 275/94, Roger van der Linden/Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik, Slg. 1996, 1393 (1413); OLG Köln IPRspr. 1976 Nr. 164; OLG Stuttgart, Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht, Serie D, I-47-B 2; OLG Köln IPRspr. 1989 Nr. 213; OLG Köln RIW 1990, 229; OLG Koblenz EuZW 1991, 157 (158); in diesen Entscheidungen ging es um den erst im Beschwerdeverfahren erbrachten Zustellungsnachweis nach Art. 47 Nr. 1, 2. HS EuGVÜ; Vgl. auch Kropholler Art. 33 Rn. 9, Art. 48 Rn. 1; O'Malley/Layton Rn. 29.28. 5 Keßler

66

2. Kap.: Grundlagen

erklärung nach dem EuGVÜ ist unter vollständiger Urkundenvorlage jederzeit zulässig 162 .

2. Gleichwertige Urkunden In Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ wird an Stelle der Vorlage der in Art. 46 Nr. 2 und Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ angeführten Urkunden vorgesehen, daß sich das Gericht mit gleichwertigen anderen Urkunden begnügen kann. Dadurch soll erreicht werden, daß ein übertriebener Formalismus ausgeschlossen wird 1 6 3 und auch andere als die in Art. 46 Nr. 2 und Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ angeführten Urkunden zum Beweis zugelassen werden 164 . Die Anwendung dieser Alternative für den Beweis der Vollstreckbarkeit nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ würde keine Erleichterung bedeuten, denn in Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ ist von keinen speziellen Urkunden die Rede, sondern nur von Urkunden ganz allgemein 165 . Urkunden werden aber ebenfalls in der hier zur Frage stehenden Alternative des Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ verlangt 166 .

3. Die Befreiung von der Urkundenvorlage Das Gericht kann weiterhin gemäß Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ „von der Vorlage der Urkunden befreien, wenn es eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält." Diese Alternative besteht vor allem dann, wenn die nachzuweisenden Tatsachen dem Gericht offenkundig sind oder wenn es die nachzuweisenden

162

OLG Stuttgart IPRspr. 1980 Nr. 163; OLG Frankfurt IPRspr. 1988 Nr. 198; Droz Rn. 604; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 2; Kropholler Art. 33 Rn. 9; Wolff Rn. 287. 163

Jenard-Bericht (zu Art. 48) S. 98.

,ft 4

Vgl. OLG Frankfurt RIW/AWD 1978, 620 (621), dort wurde für den nach Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ geforderten Beweis der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ein Schreiben des Schuldners - das von dem Antragsteller vorgelegt worden war - für ausreichend erachtet, aus dem hervorging, daß der Schuldner spätestens 20 Tage vor dem Termin die Ladung erhalten hatte. 165 166

Ebenso Schlosser, EuGVÜ, Art. 48 Rn. 4.

So wurde es als gleichwertige Urkunde für den Nachweis des Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ angesehen, daß die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Urteilstatbestand festgestellt worden ist, LG Karlsruhe RIW/AWD 1985, 898 (899); unzutreffend Landgericht München I, Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht, Serie D, I-46-B 1, welches den ,,mittelbare[n] Urkundenbeweis der Zustellung" nicht genügen ließ.

E. Beweiserleichterung

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Tatsachen durch andere Beweismittel für hinreichend geklärt hält 167 . Wenngleich sich diese Vorschrift nur auf die in Art. 46 Nr. 2 und Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ angeführten Urkunden bezieht, darf wiederum nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß bei Fehlen der nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderlichen Urkunden der Antrag auf Vollstreckbarerklärung als unzulässig abzuweisen ist, wenn die Vollstreckbarkeit nach dem Urteilsstaat für das Exequaturgericht keiner Klärung bedarf 168. Davon geht auch der deutsche Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 S. 2 A V A G aus, wenn er auf den Nachweis von Urkunden unter der Voraussetzung verzichtet, „daß die Tatsachen bei dem Gericht offenkundig sind." Der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 1 S. 2 A V A G ist jedoch sehr klein, da sich die Vollstreckbarkeit wohl entweder aus der Entscheidung oder aus dem Gesetz ergibt, und dann ist der Vollstreckbarkeitsnachweis urkundlich erbracht, oder es ist die Vorlage von selbständigen Urkunden erforderlich, die die Vollstreckbarkeit beweisen. Zu der Alternative der Befreiung von der Urkundenvorlage ist auch § 6 Abs. 2 A V A G zu zählen. Nach dieser Vorschrift sind alle Beweismittel zulässig und nicht nur der Urkundenbeweis 169. An dieser Stelle ist anzumerken, daß durch die in Art. 48 Abs. 1 EuGVÜ genannten Möglichkeiten - insbesondere aufgrund der Möglichkeit der Befreiung von der Urkundenvorlage - nicht auf die Prüfung der Vollstreckbarkeit verzichtet werden darf. Es handelt sich nur um eine Erleichterung der Beweisführung für den Gläubiger. Nach Geimer/Schütze 170 soll der Schuldner auf die Vorlage von Urkunden, die die Vollstreckbarkeit beweisen sollen, verzichten können. Dieser Meinung ist m.E. zu widersprechen. Es steht nicht nur im Interesse des Schuldners, daß nach dem Recht des Urteilsstaates nur „wirklich vollstreckbare" Titel im Vollstreckungsstaat für vollstreckbar erklärt werden. Wenn der Schuldner aber auf die Urkundenvorlage verzichten könnte, würde eine gerichtliche Prüfung der

167 Jenard-Bericht (zu Art. 48) S. 98; Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 4; vgl. hinsichtlich des Beweises der Zustellung nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ den Fall des OLG Hamburg RIW 1995, 680; dort wurde aus der Mitteilung, daß ein Rechtsmittel eingelegt worden sei, geschlossen, daß eine Zustellung stattgefunden habe. m

5*

Ebenso Schlosser, EuGVÜ, Art. 48 Rn. 5.

169

Siehe auch Bülow/Böckstiegel/Schlafen Art. 48 EuGVÜ Anm. 4 a.E.

170

Band I, § 159 III 4 a und b; ebenso O'Malley/Layton Rn. 29.23.

68

2. Kap.: Grundlagen

Vollstreckbarkeit entfallen, da dem Gericht die dafür erforderlichen Unterlagen fehlen. Ohne eine solche Prüfung würde sich die Wahrscheinlichkeit einer unrichtigen Vollstreckbarerklärung erhöhen, was zu umständlichen Rückabwicklungen führen könnte. Auch der Jenard-Bericht 171 bestätigt diese Ansicht, da Vorkehrungen im EuGVÜ getroffen wurden, die eine Vollstreckbarerklärung von noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen vermeiden können, weil eine etwaige Rückabwicklung Probleme bereiten würde. Darüber hinaus fehlt es - von Ausnahmen abgesehen - an der Möglichkeit des Schuldners, einen solchen Verzicht auszusprechen, denn das Vollstreckbarerklärungsverfahren ist ein in der Regel einseitiges Verfahren. Eine solche Möglichkeit besteht somit erst in dem Rechtsbehelfsverfahren.

171

Jenard-Bericht (zu Art. 30) S. 90, (zu Art. 39) S. 95.

3. Kapitel

Rahmenbedingungen Α. Frankreich Die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung finden sich in dem XV. Titel „L'exécution du jugement" des Ersten Buches des Nouveau Code de procédure civile. Die darin genannten Voraussetzungen betreffen nicht nur die Urteilsvollstreckung, wie es der Titel vermuten läßt, sondern auch die Vollstreckung anderer Titel. Weitere Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung finden sich vor allem in dem Gesetz Nr. 91-650 vom 9. Juli 1991 und dem Dekret Nr. 92-755 vom 31. Juli 1992, mit denen die Reform des gesamten Mobiliarzwangsvollstreckungsrechts von 1991/92 abgeschlossen wurde. Ein wichtiger Teil der Reform des Zwangsvollstreckungsrechts von 1991/92 bestand in der Stärkung des Vollstreckungstitels im Zwangsvollstreckungsverfahren. Wenn bisher die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen weitgehend auch ohne Vollstreckungstitel eingeleitet werden konnten (ζ. B. die saisie-arrêt) und der Gläubiger trotz bestehenden rechtskräftigen Urteils über den materiellrechtlichen Anspruch ein weiteres Überprüfungsverfahren einleiten mußte, so soll nunmehr eine deutlichere Differenzierung zwischen den mesures exécutoires und den mesures conservatoires erfolgen 1. Zwangs Vollstreckungsmaßnahmen lassen sich in die mesures exécutoires , das sind Maßnahmen, die zur Befriedigung des Anspruchs des Gläubigers führen, und in mesures conservatoires , die lediglich der Sicherung einer gefährdeten Anspruchserfüllung dienen, einteilen2. Jede mesure exécutoire setzt voraus, daß der Gläubiger über einen Vollstrekkungstitel verfügt (Art. 2 Gesetz Nr. 91-650 vom 9. Juli 1991). Das Gesetz Nr. 91-650 vom 9. Juli 1991 und das Dekret Nr. 92-755 vom 31. Juli 1992 sind am 1. 1. 1993 in Kraft getreten. Während man ursprünglich

1 Vgl. Perrot, J.-Cl. proc., Fase. 2010, Nr. 22; Vincent/Prévault, Voies d'exécution et procédures de distribution, Nr. 69; Traichel S. 6 f. 2

Recq/Wilske RIW 1993, 809 (809 f.); auf die mesures conservatoires wird im Kapitel 6 (Einstweiliger Rechtsschutz) eingegangen.

70

3. Kap.: Rahmenbedingungen

beabsichtigte, das neue Zwangsvollstreckungsrecht in den Nouveau Code de procédure civile einzufügen, will man nun nach Abschluß des gesamten Reformvorhabens das ganze Zwangsvollstreckungsrecht in einem eigenen Gesetzeswerk zusammenfassen. Die Bezeichnung steht noch nicht fest, wird aber wohl „Code des procédures civiles d'exécution " lauten3.

Β. England Im Zentrum des englischen Gerichtsaufbaus steht der Supreme Court of Judicature als Zentralgericht für England und Wales. Er hat seinen Sitz in den Royal Courts of Justice in London {Strand). Der Supreme Court ist die Zusammenfassung des High Court (Zivilsachen), des Crown Court (Strafsachen) und des Court of Appeal. Die Integration der drei Gerichte ermöglicht die Bildung einer Gesamtgeschäftsstelle für alle Obergerichte, das Central Office in London. Über dem Supreme Court steht das House of Lords. Unter dem Supreme Court stehen die sog. Inferior Courts, nämlich die County Courts, zuständig für zivilrechliche Streitigkeiten mit geringerem Streitwert und die Magistrates' Courts, die vor allem für Strafsachen zuständig sind, aber für das EuGVÜ insofern von Interesse sind, als sie auch über Unterhaltsklagen entscheiden. Daneben gibt es noch weitere Gerichte für besondere Angelegenheiten. Der High Court ist die Zusammenfassung der historischen englischen Obergerichte erster Instanz; daher rühren auch die Namen der drei Abteilungen her: die Queens Bench Division, die Chancery Division und die Family Division\ Das Zwangsvollstreckungsrecht für das High Court-Verfahren ist in den Order 45-52 der Rules of the Supreme Court 1965 (R.S.C.) zusammengefaßt. Für das County Court-Verfahren wird die Zwangsvollstreckung in dem County Courts Act 1984 und in den County Court Rules 1981 (C.C.R.) geregelt. Grundsätzlich vollstreckt jedes Gericht seine eigenen Urteile und Beschlüsse. Eine High Court-Entscheidung kann aber auch von den County Courts vollstreckt werden 5, was sogar erforderlich ist, wenn der Gläubiger Lohn pfänden

3

Perrot, J.-Cl. proc., Fase. 2010, Nr. 7; ausführlich zur Reform in rechtsvergleichender Hinsicht Traichel S. 7. 4

Vgl. dazu die einführende deutsche Literatur, vor allem Bunge S. 27 ff.; Henrich S. 7 ff.

5

Sect. 40 County Courts Act 1984 (geändert durch den Courts and Legal Services Act 1990).

C. Schweiz

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will (