Die Vierzeiler des Omar Chajjâm [Reprint 2019 ed.] 9783111542010, 9783111173849

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Die Vierzeiler des Omar Chajjâm [Reprint 2019 ed.]
 9783111542010, 9783111173849

Table of contents :
I
II
III
IV
DIE VIERZEILER DES 'OMAR CHAJJÄM
ANHANG. ZDMG. BAND 80 HEFT 3 1926 DIE 23 ECHTEN VERSE
ANMERKUNGEN

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DIE VIERZEILER D E S OMAR C H A J J Ä M ÜBERSETZT NACH DER B O D L E Y ' S C H E N H A N D S C H R I F T VON WALTER VON DER PORTEN

1927 L. F R I E D E R I C H S E N & CO.

HAMBURG

I.

I N wildem Ansturm überrannten kurz nach dem Tode Mohammeds die Horden ungezügelter Araberstämme das alte, hochzivilisierte Persien. Mit sich ins Land brachten sie den glühenden Fanatismus der neuen Religion, die noch roh und unbeholfen nach Ausgleichung tastete, und die Feuer des alten Zoroastertums brannten nieder zu Asche. Verbannt und geächtet ward der Wein; die frohen Lieder der persischen Sprache verstummten; kalt wie das Quellwasser, trocken wie der Wüstensand, flach wie die unabsehbaren Ebenen, so mußte der Islam der Wüstenkinder die künstlerischen, heiteren Perser anmuten; und sie schwiegen durch Jahrhunderte hindurch. Langsam aber vollzog sich eine Wandlung. Unter dem Einflüsse von Männern persischen Ursprungs, die jedoch arabisch sprachen, änderte sich allmählich die Religion des Islams, verlor ihre Starrheit und warf sich in das Kampfgewühl des philosophischen Streites. Im Norden zuerst, also dort, wo durch die große Entfernung sich der Einfluß Arabiens am wenigsten fühlbar gemachthatte, tauchte wieder die persische Sprachein Wort und Schrift auf, nicht aber ohne aus dem Arabischen viele Wörter entlehnt zu haben. Die arabische Sprache ist durch ihren ganzen Aufbau dazu geschaffen, die feinsten und spitzfindigsten Schattierungen im Ausdruck zu ermöglichen, undzumalin geistigerFeinfühligkeitläßtsieeinekünstlerischeHandhabung zu, die die persische Sprache erst zu der Vollkommenheit gebracht hat, in der wir sie um das Jahr iooo n. Ch. finden. 3

Schüchtern zuerst lösen die Perser sich los von dem grimmen Islam, der sie fesselt. Im Mystizismus und in der Lyrik suchen sie ihre Zuflucht. Aber bald heben sie sich heraus, lind als ob sie selbst den Jubel empfänden, in ihrer eigenen Sprache wieder singen und dichten zu können, erfüllen sie die Welt mit ihren Liedern, voll schmelzender Melodien und lieblicher Bilder. In bunter Reihe ziehen sie vorüber: Firdausi, der große Epiker, der Persiens alte Geschichte besingt; Häfiz, der größte Lyriker aller Zeiten; Nizämi, der das rührendste Liebeslied der Menschheit gesungen; Sa'di, der Moralist; Dschämi, der Mystiker und cOmar Chajjäm, der große Gelehrte, Astronom, Mathematiker und Dichter. Sein Auge hathinausgespäht in die Welt der Gestirne und die Ordnung der Natur bewundert. Er hat den Vergleich angestellt mit dem Leben der Menschen, nach einem Wege gesucht, Himmel und Menschentum von einem Gesichtswinkel aus zu sehen, und er war stark und wahrheitsliebend genug, sich einzugestehen und der Menschheit zu verkünden: „Ich habe es nicht gekonnt", und er hat ihr zugerufen: „Genieße, wer nicht glauben kann." In unzähligen Versen, in mannigfachsten Bildern ladet er immer wieder seine Mitmenschen ein, sich zu vergegenwärtigen, wie kurz das Leben sei, wieviel Leid es mit sich bringe, doch auch, wie schön die Welt sei. Aber er steht im Kampfe mit dem ihn umgebenden Islam; herausfordernd preist er den Wein; sein Finger weist auf die 4

sich widerstreitenden Lehren; er will von Gebeten und Riten nichts wissen; sein Spott geißelt die Heuchler. Was wißt ihr vom Jenseits? fragt er sie; und sein scharfer Verstand geht weiter, er stellt an den Gott des Islams die Frage: Warum sind Sünde und Gebrechen in der Welt? Der ringende Philosoph ruft aus: „Er soll die Erde und den Himmel neu erbauen, Und zwar sogleich, daß meine Augen es noch schauen, Dann meinen Namen von des Lebens Liste streichen, Wenn nicht, soll er mich schützen vor derNotdurft Grauen." Dieser Vierzeiler entstammt derKalkuttaerHandschrift und zeigt am drastischsten, wie sehr er unter der Erkenntnis der Unzulänglichkeit des Erdgeschehens gelitten hat. Aber sein Humor hilft ihm über schwere Stunden hinweg. Das ist so wenig von anderen beachtet worden, die immer wieder seinen Pessimismus betonen, daß ich besonders hierauf hinweisen möchte und einen nicht in der vorliegenden Handschrift enthaltenen Vers hier wiedergebe: Zu einer Ente sprach ein Fisch erregt: „Weh', wenn der Wind das Flußbett trocken fegt." Sie drauf: „Mag meinethalben Wein drin fließen, Was tut's, wenn wir gebraten und zerlegt." Ebenso der bekannte Vierzeiler, der so häufig zitiert worden ist: 'Omar besucht mit anderen eine alte Madrese; ein Esel weigert sich halsstarrig, in den Hof zu gehen.' Omar tritt zu dem Esel heran und klopft ihm ermutigend auf den Rücken: 5

„Oh du, der sich jetzt unter Esel mengt, Dein Ruf ist jetzt durch andrer Ruf verdrängt, Die Nägel jetzt ein Huf zusammenzwängt, Der Bart dir jetzt als Schwanz vom Rücken hängt." Erklärend fügt er hinzu, daß dies ein alter Esel von Lehrer gewesen sei, der einer Ermutigung bedurft hätte, um in seinen alten Stall wieder hineinzugehen. Man darf jedoch keinesfalls hieraus schließen, daß 'Omar an eine Seelenwanderung im indischen Sinne geglaubt hat. Trotz des Vierzeilers: „ A m Tag, an dem dein Werk steht vor Gericht, Fällt nur dein Wert der Weisheit ins Gewicht. Tu gutes Werk, denn du wirst auferstehn In einer Form, die deinem Werk entspricht" worin er die Vorstellung des Sufi-Glaubens der 7 Sphären wiedergibt und die geistige Auferstehung in einer abstrakten platonischen Formenwelt verkündet, ist es durchaus nicht ausgemacht, daß er selber daran geglaubt hat. Es gibt zu viele Verse, in denen er sich über Glauben an Paradies und Hölle, Gnade undVergebung abweisend und spöttisch äußert, ebenso wie er dies in bezug auf das Kismet tut: „ E s sind Begriffe, die der Mensch erfand." Ihm waren Hypokriten und Pharisäer aufs äußerste zuwider und er ist unermüdlich darin, die Heuchler an den Pranger zu stellen. Ebenso haßt er es, wenn um Dogmen

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kleinlich gestritten wird. Z. B. zankten die Gelehrten seit vielen Jahrhunderten darum, ob der Koran - wie die Welt geschaffen sei oder seit Ur-Ewigkeit bestände. „Laß alten Brauch und mach vom Wort dich frei!" und „Ihr streitet, ob die Welt geschaffen, ob urewig, Und wenn ich geh', was tut's, ob neu die Welt, ob alt." Solange er den Zweck des „Kommens und Gehens" nicht einsehen konnte, hielt er diese Erörterungen für nicht der Mühe wert. Sein Wissen war seiner Zeit weit voraus, und seine philosophischen Verse sind auch heute noch „moderner" Auffassung entsprechend. Er sieht die Unzulänglichkeit des menschlichen Wissens und macht sich über sein eigenes lustig - siehe Nr. 120 - er sieht die Unzulänglichkeit des menschlichen Wesens, seine Vergänglichkeit, und vielleicht gerade durch seinen Humor gelangt er zu seiner „carpe diem"-Philosophie, die er in so vielen Versen besingt. Gewiß hat alles einen pessimistischen Anstrich, aber daß er wirklich Pessimist gewesen sei, kann man wohl kaum behaupten, wie es so oft geschehen ist. Er ist kein Stoiker; er ist Epikuräer. II. ImNachstehenden habe ich versucht, eine (fast)wortgetreue Ubersetzung der BodleyschenHandschrift zu geben; diese ist im Jahre 1461 n.Chr., also etwa 340 Jahre nach dem Tode 7

'Omars, der auf ca. 1123 angesetzt wird, niedergeschrieben worden. c

Omars Vierzeiler sind bereits verschiedentlich ins Deutsche

übertragen worden, bis jetzt aber immer nur in einer Auswahl aus verschiedenen Handschriften; hier dagegen wird zum erstenmal eine ganze Handschrift in der ursprünglichen Reihenfolge wiedergegeben. Uber die Echtheit der Verse ist wiederholt geschrieben worden, zuletzt hat Friedrich Rosen in der Z D M G , Bd. 80, Heft 3 (1926) einen sehr interessanten Aufsatz zu dieser Frage gebracht. Von den Seite 301/02 angeführten 13 Versen (einem „Dschung" (Gedichtsammlung) entstammend, das 1340/41 n.Chr. geschrieben, also etwa 121 Jahreälter als dieBodleysche Handschrift, und daher wichtig für die Beurteilung der Echtheit der 'Omarschen Verse ist) stehen in der Bodleyschen nur drei, nämlich: Rosen

xi 2,

146,

129,

4,

6,

12,

(Die zweite Zeile B 67 ist wie die erste Rosen 5). Von den Seite 290/1 (Christensen-Liste) nur fünf, nämlich: 22, 23, 18, 102, 123, Christensen 3,

1,

4,

6,

9,

wovon aber Nr. 3 wahrscheinlich nicht echt ist (als echt gilt ferner B 19, ein Vers, den Rosen auf Seite 295 aufführt), so 8

daß von den 23 Vierzeilern, die Rosen als echt bezeichnet, in der Oxforder Handschrift nur 8 enthalten sind. Ich füge diese 8 und die 1 j, welche anderen Handschriften entstammen, im ganzen also die 23 echten Verse als Anhang bei. Von den sogenannten Wanderversen sind in der Oxforder Handschrift 16 (J. R . A . S., April 1898), hiervon werden als echt bezeichnet Nr. 19 und Nr. 129, d. h. also, daß andere Dichter diese Verse 'Omar entnommen haben. Es ist aber nun nicht unbedingt gesagt, daß die sämtlichen anderen Vierzeiler nicht von 'Omar stammen, sondern ihm nur nachgedichtet wurden; man müßte die Verse auf den Inhalt prüfen, nachdem man durch Vergleich mit Texten von anderen Dichtern die unechten erst einmal ausgemerzt hat. Hierbei stößt man aber auf große Schwierigkeiten, denn Omar und z. B. auch der blinde arabische Dichter aus Mu'arra, haben aus Furcht vor dem fanatischen Klerus ihre Gedanken, soweit sie dem orthodoxen Glauben zuwiderliefen, zu verbergen versucht, ja oft geradezu das Gegenteil geschrieben von dem, was sie selbst verfochten haben. Nachdem 'Omars Gönner, Malik Schah, gestorben und sein unmündiger Sohn Sandschar an die Regierung gekommen war, mag dies besonders nötig gewesen sein. Wie so häufig in der Geschichte, wird wohl der Klerus Oberwasser bekommen haben. Vielleicht trug zur Verstärkung der Anfeindungen bei, daß'Omar den verhaßten Namen des ersten Nachfolgers Mohammeds

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trug, der den Persern stets als anti-persisch und anti-schiitisch galt. Wenn man also einen Vers wie z. B. Nr. 101 findet: „Gib nicht für kurze Lust die ew'ge Ruh" so kann man wohl sagen, daß dieses ganz un-omarisch ist, und trotzdem ist der Vers vielleicht von ihm.

III. Die Vierzeilerc Omar Chajjäms sind durch die Nachdichtung von FitzGerald (gest. 1883) in England seit vielen Jahrzehnten bekannt geworden. Es gibt kaum einen gebildeten Engländer, der nicht mindestens ein halbes Dutzend der Vierzeiler auswendig kann; ja, sie werden oft zitiert. Es ist jedoch keine wörtliche Ubersetzung der Vierzeiler, die FitzGerald gemacht hat, sondern er hat sich unter den 516 Versen der Kalkuttaer Handschrift solche Vierzeiler ausgesucht, die ihm lagen, er hat, auf ihnen fußend, den Gedanken, der bei'Omar in scharf markierten Pointen zum Ausdruck kommt, ergriffen, die Perlen aus ihrer ursprünglichen Fassung herausgebrochen und in ein dichterisches Geschmeide neu gefaßt. Seine Verse sind höchst dichterisch, einschmeichelnd und in wunderbar tönendem Englisch geschrieben, so daß seine Dichtung beinahe zu einem nationalen Lied geworden ist. E r hat sich unter den vielen Dingen, diec Omar besungen hat, meist nur solche ausgesucht, die die menschliche Vergänglichkeit und Unzulänglichkeit in grellem Lichte zeichnen

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und hat dadurch in England den Eindruck erweckt, als ob dieser Pessimismus allein die 'Omarsehen Verse ausmache. (Wie im Französischen ebenfalls die Prosa-Ubersetzung von Toussaint). cOmars

Verse wollen jedoch noch mehr.

Er zeigt z. B., daß die Natur stärker ist als der menschliche Vorsatz - B. Vers Nr. 13

aber gerade in diesem hat Fitz

Gerald die Pointe nicht erfaßt, wie Sir E . D. Ross richtig auseinandersetzt : Fitz Gerald has not always understood his text, and I do not think, it has even been pointed out that one of his best known quatrains contains a mistranslation which quite distorts the original, for surely: „Now the new year, reviving old desires, The thoughtful soul to solitude retires." (No. 4 first edition) does not make very good sense. What 'Omar said is: Every living heart has yearnings towards the country. (Sahrä). Rückert übersetzt ebenfalls Sahrä als Feld im Gegensatz zu Stadt. (Grammatik 1874, Seite 62.) Gerade dieser Vers ist bezeichnend für 'Omar. Selbst der Einsiedler kann gegen den Frühling nicht ankämpfen; die Natur ist stärker. -

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IV. Es ist der Versuch gemacht worden, in den Vierzeilern mystische Gedanken nachzuweisen, da 'Omar es liebt, die technischen Ausdrücke der Mystiker - Süfis - zu gebrauchen, wie dies z. B. Sa'di in seinen Oden oder Rümi in seinem Masnawl tut. Dies würde aber das Bild, das man sich von 'Omar nach seinen Vierzeilern machen muß, verzerren; und, da der Nachweis auch nicht durchführbar ist, haben die modernen Orientalisten diese Idee verworfen. 'Omars Bilder üben einen großen Zauber aus, und sein geistreicher, klarer Verstand fesselt uns noch heute nach achthundert Jahren. September 1927.

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W . v. d. P.

DIE VIERZEILER DES 'OMAR C H A J J Ä M

I Wenn ich auch Perlen nie in Deinem Dienst gereiht, Auch nie von Sündenstaub mein Angesicht befreit, So hoff' ich doch, daß Du Vergebung mir gewährest, Der eine Einheit niemals einer Zweiheit zeiht.

II Im Gasthaus mit Dir dem Geheimnis nachzugehn, Ist mehr, als ohne Dich vor dem Mihräb zu stehn. Wirst Du, Du erster und Du letzter aller Schöpfung, Für mich einst Feuer oder Gnade ausersehn?!

III Nicht darfst du Männer schelten, die da zechen, Du mußt mit Heuchelei und Falschheit brechen; Willst du nach diesem Leben Ruhe finden, Verwirf die Schwachen nicht ob ihrer Schwächen.

IV Verletze nicht der andern Menschen Seelen, Laß sie am Feuer deines Zorns nicht schwelen; Wenn es nach ew'gem Frieden dich verlangt, Darfst du dich selbst, doch nicht die andern quälen.

V Da niemand uns das Morgen heut' verspricht, Trag jetzt in düstre Herzenskammer Licht, Schenk ein den Wein im Mondenschein! Der Mond Wird oft uns suchen und entdeckt uns nicht.

VI Seht den Koran, als höchstes Wort geschätzt, Ihn lesen heute sie zu allerletzt, Doch liest man überall und jederzeit, Ob in das Glas das rechte Maß geätzt.

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VII So! Wir und Wein und Freunde am zerfallnen Herde! Was tut's, ob Gnade, ob Verdammnis uns einst werde, Des Weines Hefe klebt an Seelen, Bechern, Kleidern, Was kümmert uns noch Feuer, Wasser, Luft und Erde?

VIII In diesem Leben habe Wen'ge gern, Und halte diese Wenigen Dir fern. Glaubst du, du könntest einem ganz vertraun, Prüf' ihn! und du entdeckst der Feindschaft Kern.

IX Wie ich verliebt, der Krug einst klagend sang Und sehnte sich nach der Geliebten bang; Einst war der Henkel, den am Hals du siehst, Sein Arm, der sich um ihren Nacken schlang.

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X Weh' dem, der ohne Leidenschaft geboren, Der nie der Liebe Zauber sich erkoren: Der Tag, der ohne Liebe dir vergeht, Ist ein für allemal für dich verloren.

XI Der Sturm der Jugend schüttelt meine Glieder; Bringt Wein herbei! er bringt des Frohsinns Lieder! Werft mir nicht vor: Süß-saurem sei ich hold, Süß-sauer spiegelt ja mein Leben wider.

XII Du kannst doch heute nicht das Morgen zwingen, Um morgen bangen, kann nur Trübsal bringen; Nur wer umnachtet, läßt den Tag verstreichen; Wer weiß denn, wie das Leben wird verklingen!

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XIII Ringsum die Welt in lenzesfrohem Taumel lacht, Auch den, der weltlos, lockt hinaus des Keimens Macht, Wie Moses Hand treibt weiße Blüten jeder Zweig, Ein jeder Hauch, wie Jesu Atem, ruft: Erwacht!

XIV Die Frucht vom Wahrheitsbaum bleibt dem versagt, Der auf dem Wege zweifelt und verzagt, Wir schlagen schwach nach irgendeinem Aste, Doch heut' wird gestern, wenn der Morgen tagt.

XV Nach Stein und Meißel forscht' ich, seit die Welt entstand, Ob ihn geführt des Himmels, ob der Hölle Hand; „Der Stein und Meißel, Himmel, Hölle" sprach der Meister „Sind wahrlich nur Begriffe, die der Mensch erfand."

XVI Komm und bring Wein! So hell des Lebens Becher klirrt, So voll, wenn, Liebchen, mich dein kleiner Mund umgirrt! Schenk ein den roten Saft, so rot wie deine Wangen! Wie deine Locken ist der Buße Pfad verwirrt.

XVII Im Frühlingshauch die Rose sanft sich neigt, Herzliebchen mir ihr sanftes Lächeln zeigt. Das Gestern, weil vergangen, ist heut' bitter, Nur Heut' ist süß, drum von dem Gestern schweigt!

XVIII Wie wertlos ist's, laß Kiesel in den See ich fliegen, Mich ekelt's, wenn verzückt vorm Feuer Ketzer liegen. Chajjäm! Wer kann, daß er zur Hölle geht, behaupten? Wer ist der Hölle, wer dem Himmel je entstiegen?

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XIX Er nahm die Elemente, und Er formt' den Becher, Daß der zur Scherbe wieder werde, schmerzt den Zecher; Der Hals, der schlanke Fuß! Was Er aus Liebe schuf Mit Künstlerhand, zerstört Er wieder das als Rächer?

XX Wie Wasser in dem Strom, wie Wüstenwind Die Tage spurlos mir vergangen sind. Zwei Tage haben niemals mich gegrämt: Der Tag, der war, und der der Zukunft Kind.

XXI Ich kam zur Welt, mein Kismet war ein harter Pfühl, Muß wider Willen gehn ich, wer fragt, was ich fühl?! Komm, Schenke! gürte deine Lenden, bring mir Wein, Daß ich das Elend dieser Welt hinunterspül!

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XXII Chajjäml Wer an der Weisheit Zelt zu näh'n begehrt, Wird von des Trübsinns Flammengluten schnell verzehrt. Des Schicksals Schere schneidet seines Lebens Stränge, Der Hoffnungshändler schlägt ihn los, weit unterm Wert.

XXIII Was grämst du dich ob deiner Sünden, o Chajjäm? Ob durch dein Grämen jemals dir ein Vorteil kam? Die Gnade ist für keinen, der da sündenlos Die Gnade ist für Sünden: Warum denn dein Gram?

XXIV Die sind in Synagoge, Kloster, Schule, Zelle, Die auf zum Himmel schrein, aus Angst nur vor der Hölle; Wer die Geheimnisse des Einen Gotts erfahren, Sät tauben Samen nicht vor seines Herzens Schwelle.

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XXV Wenn mir im Lenz auf üpp'gen Rasenflächen Ein Weib den Krug voll Wein kredenzt zum Zechen, War' schlechter als ein Hund ich, würd' ich's wagen, Den Namen meines Gottes auszusprechen.

XXVI Die Seele - wisse - muß sich einst vom Körper trennen, Dann wirst du hinter Seinem Schleier Gott erkennen, Trink Wein, denn du weißt nicht, woher du bist gekommen, Und auch das Ziel, wohin du gehst, kannst du nicht nennen.

XXVII Ich schlief, ans Ohr der Weisheit Stimme schlug: „Des Glückes Rose niemals Blüten trug Dem Schläfer. Meide du des Todes Bruder 1 Trink Wein! Du schläfst dereinst noch lang genug."

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XXVIII Mein Innres sprach: „Ich will das Wissen, das nicht trügt, „Bist du's, der über solche Wissenschaft verfügt?" Ich sprach: „das Alif." „Weitren Worts bedarf es nicht, „Denn wo das Eine ist, das Eine sich genügt."

XXIX Kein Mensch den Vorhang lüpft, den das Geheimnis webt, Und niemand weiß, wohin die Weltenordnung strebt. Nur in der Erde Schoß ist sichre Ruhestätte, Und endlos sind die Mären, darum trinkt und lebt!

XXX Enthülle nicht Mysterien den Gemeinen, Dem Narrn mußt das Geheimnis du verneinen; In allem, was du sagst, sei wohl bedacht, Laß nicht dem Volk der Hoffnung Fackel scheinen.

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XXXI Am Urbeginn verzeichnete den Gang des Lebens Die Feder - unbeirrt und achtlos unsres Strebens; Am ersten Tag bestimmte Er der Welt Geschehen, Und unser Leiden, unser Trachten ist vergebens.

XXXII Im Blumenmond, wo sich der Strom am Ufer bricht, Wo Freunde lächeln und des Liebchens Angesicht, Dorthin bringt Wein! Wer mit dem Wein den Morgen grüßt, Der schert sich um Moschee und Synagoge nicht.

XXXIII Des Himmels Gürtel hält den müden Leib umschlossen, Dschihün entstand, wo meine bittren Zähren flössen; Die Hölle ist ein Funke, wildem Gram entlockt, Das Paradies ist kurzer Seelenruh entsprossen.

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XXXIV Sie sagen all', daß Huris Edens Liebreiz mehren, Ich sag': nichts reizt mich mehr, als frohe Becher leeren. Halt dich ans bare Geld und pfeif auf Zukunftszahlung, 'S ist besser, Trommeln aus der Ferne anzuhören.

XXXV Trink Wein! Hinüber schläfst du bald ins Zeitenlose, Kein Freund zur Seite und kein Weib, das dich liebkose; Vertraue keinem Menschen das Geheimnis an: Einmal verdorrt, blüht niemals mehr empor die Rose.

XXXVI Trink Wein! Solch Leben gibt dir Ewigkeit! Dies sind die Früchte aus der Jugendzeit: Der Rosenmond und Wein und Trinkkumpane! Froh ist nur, wer dem Augenblick sich weiht.

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XXXVII Bringt Wein! Dem wunden Herzen tut er wohl, Er ist der Freund, für Balsam das Symbol; Des Trunkes Hefe ist mir viel mehr wert Als Himmels Dom, der wie ein Schädel - hohl.

XXXVIII Ich hör' von links und rechts stets das Geschwätz, Daß ich beim Wein die Religion verletz', Ich lernte doch, daß Wein des Glaubens Feind: „Ich schlürf' sein Blut, so will's doch das Gesetz!"

XXXIX Der Krug ist Schacht, der Wein geschmolzener Rubin, Der Krug ist Körper, und der Wein ist Geist darin; Kristall, aus dem der rote Wein dir lächelnd fließt, Die Träne, ach, mit der mein Herzblut ebbt dahin.

XL Ich weiß es nicht, ob Allah will, daß ich, sein Sohn, Dereinst im Himmel oder in der Hölle wohn'; Gib mir ein Lieb und Wein und Brot auf grünem Rasen: Das ist mir bare Münze, du nimm Himmelslohn.

XLI Stets Gutes, Böses wird in dir entfacht, Dir Glück und Leid vom Schicksal zugedacht. Nicht zürne ew'ger Weisheit: Tausendfach Ist in dir größer deine eigne Macht.

XLII Wem Liebe stets die Lebensblätter wendet, Der hat nicht einen einz'gen Tag verschwendet: Entweder suchst du Gottes Beifall oder Den Weinkrug, der dir Wohlbehagen spendet.

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XLIII Wo eine Rose oder Tulpe sproß, Das rote Blut einst eines Kaisers floß; Wo aus der Erde jetzt ein Veilchen lugt, Ein Grab sich über zartem Mägdlein schloß.

XLIV Sei klug! Das Glück übt oft Verrat am Jetzt: Gib acht, das Schicksal hält das Schwert gewetzt. Legt Glück dir Zuckermandeln in den Mund, So schluck' sie nicht, sie sind mit Gift durchsetzt.

XLV Die grüne Au, ein Krug voll Wein und Liebchens Blick, Sie raubten mir den Ruf, dir Paradieses Glück; Dem ist der Himmel Kismet, jenem ist's die Hölle! Wer kam von Höllen- oder Himmelfahrt zurück?

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XLVI Dein Wangenrot würd' eine Rose schätzen, Dein Antlitz überstrahlt selbst Chinas Götzen, Dein Blick bot Schach dem König: Ritter, Läufer, Turm, Dame, Bauer mußt' er gegensetzen.

XLVII Was gilt mir Balch und was Baghdäd? Mein Sein erlischt. Ob Süßes oder Bittres mir ward aufgetischt, Wie gleich ist's nun; der Krug ist voll, und durch Äonen Scheint noch der Mond, wenn unser Name längst verwischt.

XLVIII Wer seinen süßen Dattelwein genießt, Vor dem Mihräb die ganzen Nächte büßt, Steckt tief im Sumpf, ihm winkt kein trockner Pfad, Gott wacht, der Schlaf die anderen umschließt.



XLIX Verstand tappt suchend nach des Glückes Tor Und hält dir hundertmal am Tage vor: Bedenke stets, du gleichst dem Kraute nicht, Das abgepflückt von neuem blüht empor.

L Die Narren, die am Grübeln, Tüfteln kranken, Vergehn, weil sie um Sein und Nichtsein zanken. Du Narrl sieh, daß den Traubensaft du wählest: Durch dürre Frucht verdorren die Gedanken.

LI Mein Kommen brachte nicht Gewinn den Sphären, Mein Gehen wird nicht Glanz noch Würde mehren, Mit meinen Ohren hört' ich nichts, das könnte Des Gehens und des Kommens Zweck erklären.

LH Auslöschung bringt in Gottes Liebe Wallen Und bringt Vernichtung in des Schicksals Krallen. O holder Schenke, sitz nicht träge da, Bring Wasser, denn ich muß zu Staub zerfallen!

Lni Nichts blieb von unserm Glück uns als der Schein, Der einz'ge alte Freund ist neuer Wein; Den Weinkrug her! Kommt laßt uns fröhlich sein, Bald bleibt mir in der Hand der Krug allein!

LIV Die Feder schrieb, du änderst nichts an ihren Zügen, Die Grübeleien mehren nur das Leid und trügen, Und wenn du Leid dein ganzes Leben auch erduldest, Vermagst du nicht Sekunden ihm hinzuzufügen.

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LV O Herz! Flieh ihn, den eigne Schwäche quält, Der sich durch Insichschaun nach außen stählt, Nimm an des Derwisch Armut teil, vielleicht, Daß dich der Auserwählten Kreis erwählt.

LVI Die Alten gehn, um neu sich zu gestalten, Zu kurzem Glanz! erglühen und erkalten. So lange Gottes Wesenheit besteht, Entstehen Keime in der Erde Spalten.

LYII Die Narren, die das Scheinbild Wahrheit nennen, Behaupten, man muß Geist und Körper trennen: Stülp' ich den roten Tonkrug mir auf's Haupt, Sie würden mich am Kamm als Hahn erkennen!

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LVIII Die Körper, die wir sehn im himmlischen Palast, Sind Rätsel, die zu lösen glaubt nur ein Phantast. Gib achtl Laß dir des Wissens Seile nicht entgleiten, Denn selbst die Lenker manches Mal ein Schwindel faßt.

LIX Ich bin kein Feigling, der sein Nichtsein scheut, Das „dann" vielleicht ist besser, als das „heut"; Dies Leben ward mir einst von Gott verliehn, Ich geb's zurück, wenn es die Zeit gebeut.

LX Geheimnisvoll des Lebens Karawane findet Den Weg; wohl dem, der einer Stunde Glück empfindet. Was sorgst du, Schenke, dich ums Morgen deiner Gäste? Bring den Pokal voll Wein, denn sieh, die Nacht entschwindet.

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LXI Mein Lieb verdreht den Kopf mir leicht jetzt, wo ich alt, Und über mich hat süßer Dattelwein Gewalt! Mein Lieb hat Reue, die Verstand verlangt, zerstört, Mein Kleid, das Langmut wob, dem Lenz Tribut gezahlt.

LXII Hat auch der Wein den Schleier mir zerrissen, Will ich, solang ich atme, Wein nicht missen. Es quält mich, daß die Winzer Wein verkaufen Und doch nichts Besseres zu kaufen wissen.

LXHI Freigebigkeit und Güte zu Beginn, - warum? Ein frohes Leben dann und leichter Sinn, - warum? Jetzt scheint mir Dein Bemühn, mir weh zu tun, Was ist mein Fehl, o Herr, ist's, daß ich bin? - warum?

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LXIV Ich habe stets die hurigleichen Schönen gerne, Ach, säß ich stets bei Traubensaft in der Taberne! Sie sagen: „Möge Allah Einkehr dir gewähren." Er tut es nicht, ich will's auch nicht; bleib sie mir ferne.

LXV Im Gasthaus dient zur Waschung nur der Wein, Bescholtner Ruf wird niemals wieder rein; Trinkt Wein! Zerfetzt für immer ist die Hülle, Enthaltung selbst hüllt uns nicht wieder ein.

LXVI Ein Mann ging auf dem Dache einsam auf und ab, Sein Fuß dem Lehm des Estrichs achtlos Tritte gab; Es raunt der Lehm: „Auch über dich geht einst ein Fuß Hinweg, wenn sich dein Staub mit Erde mischt im Grab."

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Lxvn Das Wetter klärt sich, milde Winde wehen sacht, Die Wolke wusch die Rose zu erneuter Pracht. Die Nachtigall in fast vergeßner Zunge spricht: „Vergilbte Rose, Heilung such' durch Weines Macht."

Lxvni Eh' schicksalsdunkle Schrecken dich umgeben, Bestelle dir den roten Saft der Reben, Du bist kein Goldschatz, du hohlköpf'ger Narr, Den man verscharrt, um später ihn zu heben.

LXEX Labt mich mit Wein, Ihr Freunde, und ich will's euch danken, Noch einmal rötet sich die fahle Wang' des Kranken; Wenn ich verschieden, waschet meinen Leib mit Wein, Und zimmert aus dem Weinfaß meines Sarges Planken!

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LXX O Schah! Das Schicksal dich zum Herrscher schuf, Auf deinem Hengst folgst du des Ruhmes Ruf, Und silbern klingt es, wo den Boden schlägt Des stolzen Hengstes goldbeschlagner Huf.

LXXI Wertlos ist Liebe ohne Herzensblut, Wie Feuer im Verglimmen: ohne Glut, Wer liebt, irrt friedlos, hungernd, Tag und Nacht, Und findet keine Stätte, wo er ruht.

LXXII Der Ewigkeit ward nie die Lösung abgerungen, Kein Fuß ist jemals in die Sphären vorgedrungen. Und seh ich Lehrling oder Meister an, es ist Noch keinem Menschenkind vollkommnes Werk gelungen.

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LXXIII Hemm' deinen Ehrgeiz, such' Zufriedenheit zu finden, Zerreiß die Stricke, die an Gut und Schlecht dich binden, Trink Wein, zerzaus' des Liebchens Locken, allzuschnell Vergehet alles, und die Lebenstage schwinden.

LXXIV Des Himmels Regen hat die Blütenzeit erneut, Als ob ihn selbst des Gartens Blumenduft erfreut; Ich schütte roten Wein in lilienschlanken Kelch, Wie dunkle Wetterwolke Blütenregen streut.

LXXV Ich trinke Wein und mit mir, wer vernünftig, Wie winzig gilt's Ihm, daß wir winzerzünftig, Er wüßt' am Schöpfungstag, ich würde trinken, Tränk' ich jetzt nicht, weiß Er doch nicht, was künftig!

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LXXVI Laß dich von Kummet nicht umgarnen und bezähmen, Laß eitle Sorgen nicht den Tatendrang dir lähmen, Halt dich ans Buch, an Liebchens Mund, an grüne Ufer, Bald wird die Erde dich an ihren Busen nehmen.

LXXVII Komm und trink Wein! Er ist Arznei dem Kranken. Die zweiundsiebzig Sekten laß sich zanken; Der große Alchemist ist Wein, aus ihm Ein Elixir bannt tausend Wahngedanken.

LXXVIII Der Wein ist unerlaubt, doch kommt's drauf an, Wer trinkt, mit wem, und dann wieviel und wann, Wenn diese vier sich recht zusammenfinden, Da trinkt doch wohl ein jeder weise Mann.

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LXXIX Du wirst als Staub im Staub der Erde liegen, Die Erde wird zu Ton, und Ton zu Krügen, Was geht dich Hölle oder Himmel an, Der Aberwitz kann Weise nicht betrügen.

LXXX Der Zephyr will der Welt den Blütenschmuck anlegen, Sie öffnet ihre Augen, wartend auf den Regen, Wie Moses Hand so zeigen Sträucher weiße Kätzchen, Und Jesu Hauch strömt aus dem Erdreich uns entgegen.

LXXXI Ein Tropfen, den der Schenke hier vergießt, Als Balsam in ein brennend Auge fließt, Und, - Allah sei gelobt 1 du mußt bekennen, Daß Wein des Herzens tausend Wunden schließt.

4i

LXXXII Der Morgentau erfrischt der Tulpe Wangen, Das Veilchen läßt betaut das Köpfchen hangen; Am meisten lieb' ich doch die Rosenknospe, Wenn keusch die Blütenblätter sie umfangen.

LXXXIII O Freunde, sitzt beim Wein ihr in den Schenken, Vergeßt mich nicht beim frohen Becherschwenken, Leert eure Gläser, macht die Nagelprobe, Dann werdet sicher ihr des Freunds gedenken.

LXXX1V Ihr Freunde, wenn ihr sitzt im frohen Kreise, Und jeder freut sich an des andern Weise, Und wenn der Magierwein die Runde macht, Des Wandrers denkt mit einem Gruße leise.

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LXXXV Der Wein gilt hundert Herzen, hundert Religionen, Ein Trunk des roten Weins gilt Chinas Kaiserkronen, Nichts gibt es auf der Welt, das sauer ist wie Wein Und doch mit hundert süßen Seelen nicht zu lohnen.

LXXXVI Suchst Gott du, mußt von Weib und Kind du scheiden, Mußt der Verwandten Kreis und Freunde meiden, Besitz ist Hindernis: auf Seinem Pfad Mußt du dich des Besitzes ganz entkleiden.

LXXXVII Füll' das Kristall mit edlem Roten, Bring mir den Freund, der Freude Boten! Nur kurz währt dieser Erdenstaub, Ein Windstoß fegt uns zu den Toten.

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LXXXVIII Ach komm, bring dem bedrückten Herzen Medizin, Bring moschusduft'gen Wein, gefärbt wie ein Rubin; Die Elemente für des Kummers Gegengift Sind roter Wein und eine Lautenspielerin.

LXXXIX Jüngst sah ich einen Töpfer im Bazar, Der unbarmherzig schlug, wie ein Barbar, Den frischen Lehm; der stöhnt geheimnisvoll: „Sei gut zu mir, gleich dir auch ich einst war."

XC Trinkt von dem Wein, vor dem die Ewigkeit versinkt, Der unerschöpflich Jugendfreude spendend winkt, Er brennt wie Feuer, doch des Tages Kümmernis Verwandelt er in Lebenswasser, - darum trinkt!

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XCI Laß alten Brauch und mach' vom Wort dich frei, Gib, was du hast, wie wenig es auch sei, Verleumde nicht und kränke nicht die Menschen, Das sichert dir den Himmel. Wein herbei!

XCH Wein, rot wie Rosen! Rosenwasser quillt - deucht mir, Im Glas, als wenn Rubin es leuchtend füllt - deucht mir, Ja, ein Rubin in Wasser aufgelöst - deucht mir, Im Monde glänzt das Sonnenlicht verhüllt - deucht mir.

XCIII Gelübde tu ich, doch ich halte keines, Daß guter Name Wert hat, ich vernein' es, Werft mir nicht vor, daß wie ein Narr ich handle, Denn liebestrunken bin ich, wie des Weines.

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XCIY Dies ist die Wahrheit und kein eitler Trug: Wir sind nur Schachfiguren, jeden Zug Macht auf des Lebens Schachbrett der Allmächt'ge Und legt uns in den Kasten, wenn's genug.

xcv Das Leben und die Wahrheit sind in stetem Fluß, O Herz, was nützet Sorge dir und was Verdruß. Verzichte, laß dich auf der Zeiten Welle treiben, Denn was die Feder schrieb, ist ewiger Beschluß.

XCVI Noch Noch Noch Noch

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huscht ein Wolkenschatten über Rosen hin, steht nach neuem Weingenuß mir Herz und Sinn, darfst du nicht an süßen Schlummer denken, Lieb, ist es Tag, schnell füll' den Weinkrug, Schaffnerin!

XCVII Gen Himmel schleudert Staub, Verachtung ihm zu zeigen, Trinkt Wein und jubelt laut in schöner Frauen Reigen, Laßt jetzt das Beten, und das Allah! Allah! Rufen Wir gehen all', doch wer kam je vom großen Schweigen?

XCVIII Schenkt ein! schneeweiß bricht neu der Tag herein, Rubinenglut entzündet er im Wein! Zwei Klötze Aloe! Die Laute mach' Aus einem, mit dem andern heize ein!

XCIX Wir taumeln wieder auf verbotnen Wegen, Verzichten auf der fünf Gebete Segen, Und unsre Hälse strecken sich, ja seht, Wie eine Flasche dem Pokal entgegen.

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c Ich fuhr' den Krug zum Mund, et soll mich lehren, Wie dieses Leben länger möchte währen, Und meine Lippen küssend flüstert er: „Trink Wein! Du wirst zur Welt nicht wiederkehren."

CI Ich will dir Rat erteilen, hör' mir zu: Enthüllt vor Gott trotz Heuchelei, stehst du; Das Nachher bleibt, Erscheinung ist ein Hauch, Gib nicht für kurze Lust die ew'ge Ruh.

CII Chajjäm, solang du trunken bist von Wein, sei glücklich Solang im Schöße dir ein Mägdelein, sei glücklich Und da der Dinge Ende ist das Nichts, So bilde, daß du nichts bist, stets dir ein! sei glücklich!

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cm Zur Töpferwerkstatt ging ich in der Abendstunde Die Töpfe teils mit offnem, teils geschloßnem Munde, Und einer schrie mich plötzlich giftgeschwollen an: „Wo ist der Meister, wo der Händler, wo der Kunde?"

CIV O dieser Geist, den sie im reinen Wein erkennen, Löscht Gluten in den Herzen, die zu Asche brennen; Schnell bringt herbei mir zwei, drei Gläser voll mit Wein! Den besten Tropfen wollt ihr übles Wasser nennen?!

CV Wieg meine guten Taten einzeln ab, Und dutzendweise, was Dir Anstoß gab; Laß nicht den Wind der Rache Feuer schüren, Vergib mir, Gott, um des Propheten Grab!

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CVI Der Geist des Weines ist von zarter Art, Die Seele, die im Weinkrug wohnt, ist zart, Nichts Schweres duldet Wein, sei's denn den Krug, Weil hier sich Schwere mit der Zartheit paart.

CVII Wo liegt die Grenze, wo das Ziel der Zeiten? Da Wissen und Erfüllen mir entgleiten, Laßt Frohsinn herrschen! Nichts ersetzt den Wein: Wein löst die Knoten aller Schwierigkeiten.

cvm Der Himmelsdom, das tiefste Rätsel der Natur, Deucht uns wie eine magische Laterne nur; Die Sonne ist die Kerze, und die Welt die Ampel, Und jeder Mensch wie eine Schattenspielfigur.

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CIX Natut läßt sich nicht dingen, ist's nicht so? Und Tat muß Leiden bringen, ist's nicht so? Die Scham ob meiner Tat, die Du gesehn, Wird zum Verzeihn Dich zwingen, ist's nicht so?

CX Laßt mich die Hand nach unverfälschtem Weine strecken, Daß sich die Wangen mit Dschudschubis Färb' bedecken, Laßt mich dem ruhelosen Intellekt den Wein Ins Antlitz schütten, und er wird mich nicht mehr wecken.

CXI Was sollen wir uns täglich sklavisch plagen, Die Ewigkeit zählt nicht nach Lebenstagen, Auch nicht nach Jahren; bringet Wein! wie bald Wird man als Ton uns in die Werkstatt tragen.

CXII In diesem Kloster ist kein langer Aufenthalt, Und ohne Wein und Liebchen ist das Leben kalt; Ihr streitet, ob die Welt geschaffen, ob urewig! Und wenn ich geh', was tut's, ob neu die Welt, ob alt!

CXII1 In Deiner Lieb' duld' Tadel ich zu hundert Malen, Und brech' ich Deinen Bund, so muß ich Strafe zahlen, Doch leichter als die Laune Deiner Grausamkeit Ertrage ich bis an den jüngsten Tag die Qualen.

CXIY Die Welt vergeht, drum, wer sich nicht vergeht: ein Wicht, So mache Lust ich mir und Weingenuß zur Pflicht, Sie sagen stets zu mir: „Mög' Gott dir Einkehr geben!" Er tut es nicht, und wenn Er's tat, so tat ich's nicht.

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cxv Bescheiden ging ich zur Moschee und spielt' den Frommen, Bei Allahl war doch nicht zum Beten hingekommen. Stahl einen Teppich mir, doch alt ist schon der Frevel, Drum hätt' ich gern heut' einen neuen mir genommen.

CXVI Wenn mich des Schicksals hohler Tritt erreicht, Und jede Lebenshoffnung mir entweicht, Nimm meinen Staub und forme den Pokal, Wenn Wein drin blinkt, erwache ich - vielleicht.

CXVII Ich kann nicht Köder von der Falle scheiden, Moschee und Wein! Stets schwank' ich zwischen beiden; Wein, Lieb und ich im Wirtshaus eingepökelt Ist besser, als im Kloster „heil" zu leiden.

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CXVIII Noch einen Schluck des roten Weins, es will schon tagen, Laßt uns am Stein das Glas des guten Rufs zerschlagen, Weist's von der Hand, nach der Erlösung Weg zu fragen, Laßt uns, mit Liebchens Locken spielend, Laute schlagen.

CXIX Für Brot und eine Nische kehrten wir den Rücken Der Welt und ließen uns von Gütern nicht bedrücken, Wir kauften unsre Armut mit dem Blut des Herzens Und fanden durch die Armut Güter, die beglücken.

cxx Ich weiß des Seins und Nichtseins äußres Weben, Ich weiß, was hoch und tief im Innenleben, Doch meiner Weisheit will ich mich nicht brüsten, Denn höchste Weisheit: Sich dem Trunk ergeben.

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CXXI Wir liebten's, jung noch, einem Meister zuzuhören, Der schnelle Fortschritt mußte unsern Sinn betören, Dies war die Rede, die noch heut' der Deutung harrt: Ihr kamt in Wassers Flut und geht mit Windes-Chören.

CXXII An dem, der die Mysterien versteht, Die Freude wie das Leid vorübergeht, An dir liegt's, ob Arznei, ob Schmerz du wählest, Bedenk, daß Gut und Schlecht mit dir verweht.

CXXIII Nimm mit der Süfi Beispiel du vorlieb, Verstoß des Betens und des Fastens Trieb, Befolg' 'Omar Chajjäms weltweisen Rat: Trink Wein, üb' Straßenraub, doch Armen gib!

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CXXIV Der Menschheit Ernte aus dem salz'gen Sumpf Ist Leiden, oder daß der Geist wird stumpf. Ach! glücklich, wer der Erde schnell entflieht, Doch überhaupt nicht kommen, war' Triumph!

CXXV Sollst, Derwisch, auf dem Leib nicht bunte Schleier tragen, Des Schleiers wegen sollst du nicht dem Leib entsagen, Du kannst der Armut Lumpen um die Schultern legen Und bleibst doch wert, die Trommel eines Schahs zu schlagen.

CXXVI Sieh an des Weltenrades bösen Sinn, Leer ist's, die Freunde gingen all' dahin. Leb' für den Augenblick, denk nicht an morgen, Vergiß das Gestern, heute heißt Gewinn.

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CXXVII Genuß von Wein im Kreise schöner Frauen Ist mehr, als geistig blindes Gottvertrauen. Gehn Wein- und Liebestrunkene zur Hölle, Wird niemand eines Himmels Antlitz schauen.

CXXVIII Der Frohsinn soll in Leid sich nicht verzehren, Der Stein der Weisen kann Genuß nicht lehren; Ich finde keinen, der die Zukunft kennt, Drum will ich trinken, lieben und begehren!

CXXIX Das Schicksal ob des reinen Glaubens, den in dir und mir Es haßt, bestimmte uns: er soll vergehn in dir und mir. Sitz nieder auf dem Saatfeld, Freund, gar bald Wird neu aus unserm Staub die Saat erstehn, aus dir und mir.

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cxxx Wen fördert unser Kommen oder unser Gehen? Wer kann den Einschlag in des Lebens Kette sehen? Wie viele hehre Formen brannten schon zu Asche, Und spurlos mußten sie mit ihrem Rauch verwehen!

CXXXI Laß aller Wissenschaften Bücher schließen, 's ist besser so Laß Liebchens Locken durch die Finger fließen, 'sist besser soBevor das Schicksal noch dein Blut verlangt, Laß Rebenblut in deinen Becher gießen, 's ist besser so.

CXXXII Die Diele habe ich mit meinem Bart gefegt, Die Lust und Unlust beider Welten abgelegt, Und wenn mir beide Welten auch zu Füßen fielen, So fändest du mich trunken schlafend, unentwegt.

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CXXXIII Entsage außer'm Wein den Freuden allen, so ist's recht, Wenn Weiber Wein kredenzend trunken lallen, so ist's recht, Ja, lumpen, sumpfen, saufen bis die Pisces Mit einem neuen Mond zusammenfallen, so ist's recht.

CXXXIV Der Himmel ist wie eine umgestülpte Schale, In der gefangen Weisheit und die Ideale; Halt Freundschaft wie Pokal und Krug: Wang' gegen Wang', Verbunden beide mit dem blutigroten Strahle.

cxxxv Der Wind zerzaust der Rose zartes Mieder, Ihr weiht die Nachtigall die Liebeslieder. Ruh' in der Rose Schatten! manche Rosen Schon brach der Sturm, und Staub umfängt sie wieder.

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CXXXVI Wie lang soll ich mich sorgen noch um das, was mein? Wird hierdurch unbekümmerter mein Leben sein? Füll* den Pokal, denn Wissen ward mir nicht gegeben, Ob, wenn ich atme aus, ich wieder atme ein.

CXXXVII Wein' nicht die Augen ob der falschen Welt dir blind, Wühl' nicht den Schmerz um die auf, die im Grabe sind. Dein Herz schenk nur an Blüten- und an Peri-Töchter: TrinkWein! schütt' nicht deinLeben aus wie Spreu vormWind.

CXXXVIII Und bist du sechzig, wird das Leben schal; Nur trunken trägst du dieses Lebens Qual; Bis aus dem Schädel eine Schale wird, Laß nicht den Krug und fülle den Pokal.

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CXXXIX Ein alter Wein gilt mehr als neues Reich, Drum keinen Schritt vom Weg des Weines weich! Der Krug gilt hundert Throne Feridüns, Der Deckel schon kommt Chosraus Krone gleich.

CXL Sie ruhn im Staub, um die sich einst die Welt gedreht, Sie lagen stets im Staub schon vor der Majestät Der eignen Uberhebung; Schenke, glaube mir: Ihr Wort war nichts als leerer Schall, vom Wind verweht.

CXLI Den Weinkrug hast Du mir zerschellt, o Herr! Die Tür des Glaubens mir verstellt, o Herr! Den Wein verschüttet auf die Erde: Wie seltsam lenkst Du diese Welt, o Herr!

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CXLII O Herr, ein Etwas gabst Du jedem niedren Mann, Du legtest Bäder, Mühlbach und Kanäle an. Den Frommen, der die letzte Rinde Brot verspielt, O Allah! führst gewißlich rasch Du himmelan!

CXLIII Nicht können die geheimnisvollen Lehren Spitzfind'ge Philosophen dir erklären, Mach' hier mit Krug und Wein dir einen Himmel, Vielleicht gelangst du einst nicht zu den Sphären!

CXLIV Der Welten-Esse Qualm dich fast erstickt, Wie lang' noch leiden, was das Kismet schickt? Der Vorrat geht dir aus, der Quell versiegt, Wenn Wucherzins das Kapital umstrickt.

6z

CXLV Wirst du, o Seele, dich vom Staub des Leibs befreiet, Kannst du als reiner Geist in Himmelshöhen sein, Am Throne Gottes kannst du weilen: Schande dir, Gehst du mit deinem Leib zum Staub der Erde ein.

CXLVI Mein Glas zerschlug am Stein ich weingelaunt, Und ob des Frevels bin ich jetzt erstaunt. „Ich war wie du, und du wirst sein wie ich." Die Scherbe hat's geheimnisvoll geraunt.

CXLVII Geliebte, halt dich an Pokal und Schale, Und wandre froh im strombenetzten Tale; Grausamer Himmel! Hundertmal schon machtest Aus Menschen neu du Schalen und Pokale.

63

CXLVIII Auf meinem Weg legst Fallen Du an hundert Stellen Und sprichst: „Ein Fehltritt nur, und ich werd' dich schellen" Von Dir ist jedes kleinste Ding der Welt bestimmt, Du ordnest alles an, und mich nennst Du Rebellen!

CXLIX Ein Buch mit Versen und ein wenig Wein, Ein halbes Brot, und dann mit dir allein Zusammen dort in tiefverschwiegner Wildnis Ist besser, als des Landes Schah zu sein.

CL Durchbrich des Kummers graues Einerlei, Herrscht Unrecht auch, des Rechtes Beispiel sei. Da aller Dinge Ende ist das Nichts, So wähne, daß du nichts bist - und sei frei!

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CLI Nach allen Seiten blick' ich. Hell und klar Im Garten rieselt Wasser vom Kausar: Die Wüste wird zum Himmel, Hölle schwindet, Der Himmel lacht aus Liebchens Augenpaar.

CLII Den Lohn empfingst du für dein Sorgen - gestern Vor deinen Wünschen ist geborgen - Gestern. Leb frohl denn ohne daß du dich bemühst, Bestellt geschäftig dir dein Morgen - Gestern.

CLIII Laßt tulpenfarb'gen Wein in eure Gläser gießen, Laßt rotes, reines Blut vom Hals des Kruges fließen, Denn außer meinem Krug, gefüllt mit rotem Wein, Sie keinen einz'gen Freund mir reinen Herzens ließen.

5

CLIV Der Himmel hat mir flüsternd offenbart: „Das Schicksal bleibt mir selber nicht erspart, Ach, läg' in meiner Hand die eig'ne Drehung, Ich hätte vor dem Schwindel mich bewahrt."

CLV Ja, einen Schlauch voll Wein, uns zu beglücken, Ein Weizenbrot und einen Hammelrücken, Und du und ich in stiller Einsamkeit, Wär' Lust, selbst einen Sultan zu entzücken.

CLVI Und trinkst du Rebensaft zwiefacher Art, Bleibst du von jedem Vorurteil bewahrt, Der Weltenformer hat nicht vorbedacht, Daß dir ein Schnurrbart sprießt und mir ein Bart.

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CLVII Ich war' nicht hier, könnt' ich das Schicksal weben, Und ging' jetzt nicht, könnt' ich ihm widerstreben, Ja besser war's, in dieser Welt des Staubes Nicht kommen und nicht gehen und nicht leben.

CLVIII Was Ramadan verbot, Schawwäl soll's geben! Erzähler schrein, ein Wirbel faßt das Leben, Die Träger schultern ihre Kalabassen Und helfen frisch der andern Last zu heben.

ANHANG

• ZDMG. BAND 80 HEFT 3 1926

DIE 23 ECHTEN VERSE

I Um deinetwillen schmückt sich die Natur, Ein Weiser hat dafür Verachtung nur, Wie du, gar viele kamen, viele gingen, Nimm deinen Anteil, eh' du folgst der Spur.

II Dein Leben kannst du mehren nicht und nicht vermindern, Durch Grübeln über mehr und weniger nicht lindern, Wir beide wissen, du kannst nicht wie weiches Wachs Dein Schicksal formen und kannst seinen Lauf nicht hindern.

III Du lieblich Kind, steh auf, der Morgen lacht, Schlürf' sacht den Wein und schlag die Harfe sacht; Der Lebende erweckt die Wahrheit nicht, Und wer gestorben, niemals mehr erwacht.

7i

IV [B. 112]

In diesem Kloster ist kein langer Aufenthalt, Und ohne Wein und Liebchen ist das Leben kalt; Ihr streitet, ob die Welt geschaffen, ob urewig! Und wenn ich geh', was tut's, ob neu die Welt, ob alt!

V Die Wolke wusch der Tulpe Angesicht Zum Neujahrsfest, komm, trink und zaudre nicht, Denn dieses Grün, das heute dein Entzücken, Hervor aus deinem Staube morgen bricht.

VI [B. 146]

Mein Glas zerschlug am Stein ich weingelaunt, Und ob des Frevels bin ich jetzt erstaunt. „Ich war wie du, und du wirst sein wie ich." Die Scherbe hat's geheimnisvoll geraunt.

72

VII

Ein Wassertropfen stürzte in die Meereswogen, Ftn Staubatom ward von dem Sande aufgesogen. Was ist in dieser Welt dein Kommen und dein Gehen? Herbei kam eine Fliege und - ist fortgeflogen.

VIII Chajj am, die Zeit den in Verachtung hält, Der sich den Tag mit Trübsal stets vergällt. Trink deinen Rebensaft bei Harfenklang, Bevor der Krug an einem Stein zerschellt.

IX Hervorbrach aus dem Schlund des Daseins Ozean, Und keiner bohrte je der Tiefe Perle an: Einbildung nur gebiert der Menschen seichtes Wort, Und das, was wirklich ist, kein Mensch verkünden kann.

73

X Steh früher auf, sieh dir, du weiser Mann, Genau das Kind, das diesen Staub fegt, an: Des Parviz Aug' und Kaikubads Gehirn Soll es so sacht nur fegen, wie es kann.

XI [ROSEN]

Von diesem Kreis, in dem wir uns hier drehn, Kann ich nicht Anfangspunkt noch Endpunkt sehn. Und keiner sagt mir, wo wir kamen her, Und keiner weiß, wohin von hier wir gehn.

XII [B. 129]

Das Schicksal ob des reinen Glaubens, den in dir und mir Es haßt, bestimmte uns: er soll vergehn in dir und mir. Sitz nieder auf dem Saatfeld, Freund, gar bald Wird neu aus unserm Staub die Saat erstehn, aus dir und mir.

74

XIII Du stammst von Elementen vier und sieben Sphären, Was kann dich Grübeln über vier und sieben lehren? Trink Wein! ich habe dir's schon hundertmal gekündet: Wenn du einst gehst, wirst du zur Welt nicht wiederkehren.

XIV [CHRISTENSEN i] B. 23

Was grämst du dich ob deiner Sünden, o Chajjäm? Ob durch dein Grämen jemals dir ein Vorteil kam? Die Gnade ist für keinen, der da sündenlos Die Gnade ist für Sünden: Warum denn dein Gram?

XV [CHRISTENSEN 4] B. 18

Wie wertlos ist's, laß Kiesel in den See ich fliegen, Mich ekelt's, wenn verzückt vorm Feuer Ketzer liegen. Chajjäm! Wer kann, daß er zur Hölle geht, behaupten? Wer ist der Hölle, wer dem Himmel je entstiegen?

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XVI [CHRISTENSEN 6] B. 102

Chajjam, solang du trunken bist von Wein, sei glücklich Solang im Schöße dir ein Mägdelein, sei glücklich Und da der Dinge Ende ist das Nichts, So bilde, daß du nichts bist, stets dir ein! sei glücklichI

XVII [CHRISTENSEN 9] B. 123

Nimm mit der Süfi Beispiel du vorlieb, Verstoß des Betens und des Fastens Trieb; Befolg' 'Omar Chajjäms weltweisen Rat: Trink Wein, üb' Straßenraub, doch Armen gib!

XVIII [CHRISTENSEN 10]

Wie lange noch Moschee, Gebet und Fastens Qualen? Berausch' dich in der Schenke, laß die andern zahlen, Chajjam, trink Wein, gar oft wird noch dein Staub geformt Zu Bechern oder Krügen oder auch zu Schalen.

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XIX [RAZI, ZDMG 80, 3 1926 P. 29J.] [ROSEN]

Als du das Leben schufst, schufst du das Sterben, Die eig'nen Werke weihst du dem Verderben. Wenn schlecht dein Werk war, sprich, wen trifft die Schuld? Und war es gut, warum schlägst du's in Scherben?

XX [SHAHRAZURI, ZDMG 80, 3 1926 P. 294]

Am jüngsten Tag weckt uns der Prüfung Horn, Und der geliebte Freund erglüht im Zorn, Doch muß sich alles noch zum Guten kehren, Denn reine Güte ist des Guten Born.

XXI [EBENDA]

Dies ist mein Sterben hier, und dieses ist mein Leben, Zwei kurze Worte werden dir Erklärung geben: Mit Deiner Liebe werde ich im Grab mich betten, Durch Deine Güte aus dem Staub mein Haupt erheben.

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XXII [FIRDUS A T TAWARIK, ZDMG 80, 3 1926 P. 294.]

O Gott! Wie lang soll diese Angst noch währen, Die Niedrigkeit, mein Kummer und Entbehren? So, wie Du aus dem Nichtsein schufst das Sein, So nimm mein Sein mir, Deinem Sein zu Ehren.

XXIII [JUVAINI, ZDMG 80, 3 1926 P. 294] B. 19

Er nahm die Elemente, und Er formt' den Becher, Daß der zur Scherbe wieder werde, schmerzt den Zecher; Der Hals, der schlanke Fuß I Was Er aus Liebe schuf Mit Künstlerhand, zerstört Er wieder das als Rächer?

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ANMERKUNGEN

I Perlen reihen = Verse machen, „der eine Einheit niemals einer Zweiheit zeiht": Es ist nicht nur die Einheit Gottes, auf die er anspielt, sondern auf das Bestreben der Süfis, die Einheit mit Gott durch die Extase zu erlangen, als ob sonst eine Zweiheit existierte. II Mihräb = Die Gebetnische, die stets nach Mecca gewandt gebaut wird. III Dieser Vierzeiler, sowie die beiden ersten sind der eigentlichen Sammlung vorangeschoben und sind von einem Abschreiber hinzugefügt worden, da sie nicht, wie die anderen Verse, alphabetisch eingeordnet sind. In allen solchen Gedichtsammlungen, wie es die vorliegende ist, gibt es keine andere Anordnung als nach dem Endreim. Nr. 4, 5 und 6 reimen auf „ a " , während Nr. 7 auf ,,b" endet usw. Eine inhaltliche Anordnung gibt es im Persischen nicht. VI „ob in das Glas das rechte Maß geätzt": Die Worte der ganzen Zeile sind doppelsinnig, man kann auch übersetzen: ob auf den Rand des Glases ein Koranspruch eingeritzt ist, d. h. ein hübsches Motto steht, das meist ebenso doppelsinnig ist wie diese Zeile. VII „am zerfallnen Herde" so wie wir sagen: mit Gott zerfallen, d. h. durch das verbotene Weintrinken. XIII wegen der zweiten Zeile siehe das Vorwort. Die weiße Hand des Moses bezieht sich auf eine Stelle in der Bibel, die auch im Koran vorkommt, nämlich, daß Moses seine Hand aus dem Busen zieht, und sie schneeweiß ist. Koran VII, 105 und X X X V I , 32 als Zeichen, daß er ein Auserkorener Gottes ist. So ist der Zweig auch im Frühling auserkoren, daß er zu neuem Leben erwacht, und das Zeichen dafür sind die weißen Kätzchen. Das Bild: Jesu Atem: ist dasselbe, es ist dieAuferweckung zu neuem Leben. XIV Der Sinn ist, daß wir in unserem Zweifel uns an etwas anklammern wollen, aber sogar dazu nicht kommen, so daß wir nur einen nutzlosen Schlag führen, was so wenig Wert hat, wie das Heute, das zum Gestern wird, sobald der neue Tag erscheint. 81

XVIII 'Omar wendet sich gegen nutzlose Zeremonien und schneidet hier zuerst das sich noch oft wiederholende Thema an, daß es gar keinen Zweck hat, sich um Himmel und Hölle zu kümmern, denn niemand ist von dort zurückgekommen! XXII Hier liegt ein Wortspiel auf seinen eigenen Namen vor, Chaj j am heißt der Zeltmacher. Die letzte Zeile ist schwer zu erklären. Er meint, wenn er erst tot ist, verliert der Hoffnungshändler, d. h. der ihm vom zukünftigen Leben vorgepredigt hat, jedes Interesse an ihm. XXIV die letzte Zeile: derjenige, der sich in die Wesenheit Gottes vertieft hat, braucht nicht leere Gebete zu haspeln. XXV Wenn ich sündige mit Wein und Weib, dann soll ich wenigstens nicht den Namen Gottes aussprechen und mich schlimmer als ein unreiner Hund benehmen. XXVIII Das Alif, der erste Buchstabe des Alphabets, sein Zahlenwert ist „eins", das heißt also: Das Eine = Gott. In diesem einen Buchstaben ist das Eine und das All ausgedrückt. XXIX Die Maeren . . . Die Fabeln oder die Erfindungen, die ein Mensch dem andern auftischt, darüber kann das ganze Leben verstreichen, und man ist dem Geheimnis nicht näher gekommen ; da ist es schon besser, sich die Zeit mit Weintrinken zu vertreiben. XXX 'Omar macht sich über die lustig, die sich mit Geheimnissen umgeben, als ob dies für niemanden sonst verständlich wäre. XXXIII Dschihün, der Fluß Oxus oder Baktrus. XLVI Chinas Götzen . . . die chinesischen Frauen gelten den Persern für besonders schön. XLVII Balch und Baghdäd, die Städte des Reichtums und der Üppigkeit. LH Die erste Zeile bezieht sich auf die seelische Auslöschung, die zweite auf die körperliche Vernichtung. LVTI So lassen sich die Narren von dem Schein betrügen, daß, wenn ich mir einen roten Tonkrug auf den Scheitel setze, sie glauben, einen Hahn vor sich zu sehen. 82

Hier sind wieder einige ganz vortreffliche Wortspiele, die sich leider nicht wiedergeben lassen. Churüs = Krug und Hahn. farq = trennen, scheiden und Scheitel, Kopf. LXVH in fast vergeßner Zunge, d. h. in pehlevi, der Sprache der Parsen, der Feueranbeter. 'Omar will damit sagen: die Natur hat sich nicht dadurch geändert, daß die Menschen den Wein jetzt verbieten. CIV den besten Tropfen usw. Hier liegt wieder ein Wortspiel vor: sharr ab = übles Wasser; sharäb =• Wein; chair ab = gutes Wasser. CVII die Grenze und das Ziel der Zeiten. Im Arabischen, also auch im Persischen, das ja die meisten seiner philosophischen Ausdrücke aus dem Arabischen übernommen hat, gibt es zwei verschiedene Worte für Ewigkeit, i . azal = ohne Anfang, 2.abad = ohne Ende. Zwischen beiden liegt die Grenze, aber wo sie ist, weiß man nicht, so etwa wie wir sagen, wir leben in der Neuzeit, aber wir können auch nicht sagen, wann sie angefangen hat. Ebensowenig wissen wir, wann das Ziel der Zeiten sich erfüllt d. h. der „gewesenen" Ewigkeit und selbstverständlich der kommenden erst recht nicht. Wissen und Erfüllen klingt an die buddhistische Auffassung an: Nur durch Erkennen ist es möglich, zu erfüllen (und in das Nirwana einzugehen.) 'Omar zieht die carpe-diem-Lebensregel vor, froh sein und im Rausch glauben, daß die Rätsel gelöst werden. CX Dschudschubi = ein syrischer Baum. CXII qadim und muhdis = alt und neu, urewig und geschaffen. Dies ist eine alte islamische Streitfrage. Alles was besteht, muß am Anfang aller Dinge bereits von der Gottheit vorgedacht sein, also auch urewig sein, gleichgültig, ob es in Realität bereits vorhanden ist oder nicht. Der Koran war demnach ebenfalls qadim, wie die Welt. Hierüber spottet 'Omar. CXIII Das Leiden ist hier so arg, daß die Leiden nach dem Tode bis zum Jüngsten Tag auch nicht ärger sein können. CXIV fanä = vergänglich; fan = Vergehen. Ich habe das Wortspiel hier wiedergeben können. 83

CXVII Die zwei letzten Zeilen sind kaum wiederzugeben: 'Omar sagt, es sei besser, wenn Wein, Liebchen und er zu Brei zusammengekocht würden, als daß er im Kloster allein roh, d. h. heil und ganz bliebe. Ich habe eingepökelt gewählt, weil dieses Wort im Sturm in ähnlichem Zusammenhang von Schlegel benutzt wird. CXXXIX Feridün undChosrau sind zwei berühmte persische vorislamische Könige. CLI Kausär, der Fluß des Paradieses. CLVIII Ramadan der Fastenmonat, Schawwäl, der folgende Festmonat.

V E R L A G L. F R I E D E R I C H S E N & CO. IN HAMBURG1927 • G E D R U C K T IN E I N E R A U F L A G E V O N E I N T A U S E N D E X E M P L A R E N IN D E R GARAMOND-ANTIQUA VON DER OFFIZIN P O E S C H E L & T R E P T E IN L E I P Z I G A U F V A N G E L D E R BÜTTEN • DIE EINBÄNDE W U R D E N VON D E N B U C H B I N D E W E R K S T Ä T T E N H Ü B E L & D E N C K IN LEIPZIG HERGESTELLT