Die Vermessung der Staatlichkeit: Europäische Union – Bund – Länder – Gemeinden. Symposium zu Ehren von Rolf Grawert anlässlich seines 75. Geburtstages [1 ed.] 9783428540587, 9783428140589

»Die Vermessung der Staatlichkeit« war das Thema eines Symposiums, das anlässlich des 75. Geburtstags von Prof. Dr. Dr.

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Die Vermessung der Staatlichkeit: Europäische Union – Bund – Länder – Gemeinden. Symposium zu Ehren von Rolf Grawert anlässlich seines 75. Geburtstages [1 ed.]
 9783428540587, 9783428140589

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1236

Die Vermessung der Staatlichkeit Europäische Union – Bund– Länder – Gemeinden Symposium zu Ehren von Rolf Grawert anlässlich seines 75. Geburtstages

Herausgegeben von Christoph Brüning und Joachim Suerbaum

Duncker & Humblot · Berlin

Die Vermessung der Staatlichkeit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1236

Die Vermessung der Staatlichkeit Europäische Union – Bund – Länder – Gemeinden Symposium zu Ehren von Rolf Grawert anlässlich seines 75. Geburtstages

Herausgegeben von Christoph Brüning und Joachim Suerbaum

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14058-9 (Print) ISBN 978-3-428-54058-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84058-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort: Rolf Grawert und „Die Vermessung der Staatlichkeit“ I. Am 21. November 2011 vollendete Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Grawert sein 75. Lebensjahr. Dies haben wir gemeinsam mit der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum zum Anlass genommen, ihn mit einem Symposium zu ehren, an dem Freunde und Wegbegleiter, Schüler und Fakultätskollegen des Jubilars teilgenommen haben. Der vorliegende Band gibt die Vorträge des Symposiums wieder, ergänzt um einen der Thematik verbundenen Beitrag Christoph Brünings und ein Schriftenverzeichnis Rolf Grawerts. Der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und Ihrer Dekanin Prof. Dr. Adelheid Puttler danken wir für die Mitveranstaltung des Symposiums zu Ehren von Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Grawert. Herrn Dr. Florian Simon und dem Verlag Duncker & Humblot danken wir für die Unterstützung des Symposiums und die Aufnahme dieses Bandes in ihr Verlagsprogramm, dem Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft e.V. für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung. II. Elemente und Veränderungen von Staatlichkeit bilden einen zentralen Schwerpunkt in dem vielfältigen Œuvre von Rolf Grawert. Methodisch spiegeln die Abhandlungen dabei die breitgefächerten Interessen des Jubilars. So finden sich einerseits Beiträge, die ihre Lösungen strikt normorientiert dogmatisch entwickeln und hierbei – wie ein Rezensent über „Die Kommunen im Länderfinanzausgleich“1 schrieb2 – ein „brillantes Feuerwerk von Argumenten“ abbrennen. Andererseits findet die Interdisziplinarität, die die Zeitschrift DER STAAT durch die Einladung von „Philosophen und Theologen, Juristen und Historikern, Soziologen und Politologen“ zum Diskurs zu fördern sucht,3 auch intrapersonal statt. Verfassungsgeschichtliche und staatstheoretische Erkenntnisse werden dabei vor allem entfaltet, um Veränderungsprozesse im Hinblick auf die Grundbegriffe von Staat, Nation und Souveränität einzuordnen. 1

Grawert, Die Kommunen im Länderfinanzausgleich, 1986. Thieme, AöR 115 (1990), S. 677 (678). 3 Grawert, DER STAAT, Register der Jahrgänge 1 – 35 (1962 – 1996), 1999, Vorwort, S. 5, unter Bezugnahme auf das Geleitwort beim erstmaligen Erscheinen der Zeitschrift, DER STAAT 1 (1962), S. 1 f. 2

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Vorwort

Dem Untertitel des Symposiums entsprechend hat sich Rolf Grawert thematisch mit allen Ebenen der Staatlichkeit beschäftigt. Angesichts der akademischen Linie, in der Rolf Grawert steht und die mit Gönnenwein begann, lag es nahe, dass er sich zunächst dem Kommunalrecht zuwandte. Unter den zahlreichen Beiträgen, die der Stellung der Kommunen gewidmet sind, kann neben der erwähnten, über das Finanzverfassungsrecht weit hinausgreifenden Monographie vor allem das Referat auf der Baseler Staatsrechtslehrertagung 1977 über die „Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart“ genannt werden. Grundfragen der Staatlichkeit von Bund und Ländern behandelt die Habilitationsschrift über „Staat und Staatsangehörigkeit“ aus verfassungsgeschichtlicher Perspektive.4 Dogmatisch fortgeschrieben werden die Überlegungen zu „Staatsvolk und Staatsangehörigkeit“ im gleichnamigen Artikel in den bisherigen drei Auflagen des Staatsrechtshandbuchs.5 Der Staatlichkeit der Länder ist ein inzwischen in dritter Bearbeitung vorliegender Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen gewidmet.6 Besonderes Interesse finden die Schnittstellen im Mehrebenensystem. So behandelt ein früher, gemeinsam mit Böckenförde verfasster Aufsatz „Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung“.7 Sodann werden „Zusammenarbeit und Steuerung im Bundesstaat“8 und die Funktion des Bundesrates als „Klammer zwischen Bund und Ländern“9 beleuchtet. In einem Begleitaufsatz zur Passauer Staatsrechtslehrertagung wird „Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart“ analysiert.10 Nach der Emeritierung entstanden ist der Beitrag über „Wechselwirkungen zwischen Bundes- und Landesgrundrechten“ im Handbuch der Grundrechte.11 Im Hinblick auf das Verhältnis von Bund und Ländern wird der Ausgangspunkt in der Dissertation über Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Wenngleich die Grundfrage, „ob der Vertrag 4 Grawert, Staat und Staatsangehörigkeit. Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Band 17), 1973. 5 Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl., Bd. I, 1987, § 14, 2. Aufl., Bd. I, 1995, § 14; 3. Aufl., Bd. II, 2004, § 16. 6 Grawert, Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. Kommentar, 1. Aufl. 1998; 2. Aufl. 2008; 3. Aufl. 2012. 7 Grawert, DÖV 1971, S. 119 ff. 8 Grawert, DER STAAT 14 (1975), S. 229 ff. 9 Grawert, Das Parlament Nr. 34 – 35 vom 25. 8. 1979, S. 7. 10 Grawert, NJW 1987, S. 2329 ff. 11 Grawert, Wechselwirkungen zwischen Bundes- und Landesgrundrechten, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 81.

Vorwort

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ein bundesstaatsgemäßes Mittel der Zusammenarbeit von Bund und Ländern sei“12, im Detail differenziert beantwortet wird, schließt die Arbeit mit eindeutigem Befund: Verwaltungsabkommen seien „nicht das geeignete Mittel zur Verfassungsanpassung“ und daher nicht in der Lage, die anstehenden Bundesstaatsprobleme zu lösen.13 Dem entspricht es, dass Rolf Grawert bereits in dieser Schrift den „Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung“ formuliert hat,14 nach dem der verfassungsgemäß zuständige Kompetenzträger die ihm zugewiesenen Aufgaben grundsätzlich mit eigenen Mitteln zu erledigen hat. Dieser Grundsatz hat in die Rechtsprechung des BVerfG in der Organleihe-Entscheidung im 63. Band Eingang gefunden, als wörtliches Zitat schulmäßig gekennzeichnet.15 Mittlerweile ist der Grundsatz offenbar derart stark im Karlsruher Verfassungsbewusstsein verankert, dass man in dem Urteil vom 20. Dezember 2007 zu den Arbeitsgemeinschaften nach dem SGB II lediglich ein Selbstzitat unter Hinweis auf den 63. Band findet.16 Zur Renaissance der Staatslehre beigetragen hat der Prozess der Europäisierung und Internationalisierung. Die mit der Gründung der Europäischen Union und der zunächst unter ihrem Dach versammelten Europäischen Gemeinschaften einhergehenden Veränderungen der Staatlichkeit haben den Jubilar zu etlichen Beiträgen inspiriert. Drei Aufsatztitel sprechen für sich: „Der Deutschen supranationaler Nationalstaat“17 (Böckenförde-Festschrift); „Der Nationalstaat auf dem Weg nach Europa“18 ; „Der integrierte Verfassungsstaat“19 (Boldt-Symposium). Weitere Beiträge sind der zentralen Frage gewidmet, wie in supranationalen Zusammenhängen demokratische Legitimation gesichert und wie die Europäische Union zukünftig verfasst werden soll.20

12 Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 295, unter Bezugnahme auf die Einleitung, S. 21 ff. 13 Grawert (FN 12), S. 298. 14 Grawert (FN 12), S. 195. 15 BVerfGE 63, 1 (41). 16 BVerfGE 119, 331 (367). 17 Grawert, Der Deutschen supranationaler Nationalstaat, in: ders./Bernhard Schlink/Rainer Wahl/Joachim Wieland (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 65. Geburtstag, 1995, S. 125 ff. 18 Grawert, Der Nationalstaat auf dem Weg nach Europa, in: Bernd Faulenbach/Karsten Rudolf/Manfred Schlösser, Bochumer Beiträge zur Nationalismusdebatte, 1997, S. 102 ff. 19 Grawert, Der integrierte Verfassungsstaat, in: Roland Lhotta/Janbernd Oebbecke/Werner Reh (Hrsg.), Deutsche und europäische Verfassungsgeschichte: Sozial- und rechtswissenschaftliche Zugänge. Symposium zum 65. Geburtstag von Hans Boldt, 1997, S. 133 ff. 20 Grawert, The Principle of Democracy in the European Union, in: Zarzadzanie i Edukacja, 2000, S. 13 ff.; ders., Wie soll Europa organisiert werden? Zur konstitutionellen „Zukunft Europas“ nach dem Vertrag von Nizza, in: EuR 2003, S. 971 ff.; ders., What shall become of the European Union?, in: Panstwo I Spoleczenstwo 2003, S. 241 ff.

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Vorwort

Bereits dieser kurze Blick auf das Werk des Jubilars belegt, warum die Wahl des Rahmenthemas des Symposiums sich beinahe als Ermessensreduzierung auf Null darstellt. Dem Ermessen der Referenten blieb es dagegen überlassen, wie sie die ihnen zugedachte Ebene konkret ausfüllen. III. Zum guten Schluss: „Die Vermessung der Staatlichkeit“. Viele der Symposiumsteilnehmer, die Herausgeber dieses Bandes eingeschlossen, haben den Staat bereits vermessen. Rolf Grawert war und ist Mitherausgeber der Vierteljahresschrift „DER STAAT“, der Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches Öffentliches Recht, die im Verlag Duncker & Humblot erscheint. Im STAAT rotiert die geschäftsführende Redaktion zwischen den Herausgebern, und so musste auch Rolf Grawert, genauer: mussten die Mitarbeiter des Lehrstuhls, die angenommenen Beiträge nach den strengen Bearbeitungshinweisen des Verlages druckfertig machen. Das geschah in Zeiten, als der Computer zwar schon erfunden war, die meisten Rechtswissenschaftler aber als Arbeitsinstrument noch nicht erreicht hatte. So waren dann Manuskripte zu redigieren, die auf richtigen Schreibmaschinen von den Granden und Nachwuchskünstlern der Rechtswissenschaft, teilweise offenbar eigenhändig, getippt worden waren. Die Korrekturzeichen des Duden wurden der beste Freund eines jeden Mitarbeiters. Wer Stunden zwischen italienischen Staatsrechtlern, etwa mit der Staatstheorie Costantino Mortatis21, oder mit englischen, französischen, polnischen oder sonstigen Sprachen entstammenden Satzteilen zugebracht hatte, weil es beispielsweise um die Entwicklung des australischen Föderalismus22 oder die napoleonische Verwaltungsreform im Rheinland23 ging, der wusste am Ende nicht mehr, ob das Genitiv-s im Deutschen mit Apostroph oder ohne geschrieben wird. Und zu guter Letzt wurde der Staat auch tatsächlich vermessen. Denn jeder Beitrag, der hereinkam, musste ausgezählt werden, um anhand der Zeichenzahl die Länge in der Druckversion abschätzen zu können. Jüngeren Autoren wurde dann ggfs. ein Kürzungsauftrag erteilt; angesehenere Kollegen kamen so durch. Das ganze Ausmaß des Staates wurde aber erst so richtig deutlich, als Rolf Grawert es übernahm, einen Registerband der Jahrgänge 1 – 35, das heißt der Erscheinungsjahre 1962 – 1996, herauszugeben. Unter den Rubriken „Staatslehre, Öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte“ wurden in einem Karteikartensystem die Beiträge und Stichworte geordnet und manchmal auch auf Schreibtisch und Fußboden des Dienstzimmers ausgelegt. Die Welt des Staates lag so ganz kleinteilig und doch wohlgeordnet vor den Augen der Lehrstuhlmitarbeiter. Es nimmt angesichts dieser Bestandsaufnahme nicht wunder, dass sich unter den Abhandlungen auch eine mit 21

Staff, DER STAAT 35 (1996), S. 271 ff. Peter L. Münch, DER STAAT 35 (1996), S. 284 ff. 23 Brand, DER STAAT 35 (1996), S. 614 ff.

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Vorwort

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dem Titel „Von der Vermessung des ,Leviathan‘“24, also des Staatsungetüms, findet, das Thomas Hobbes 1651 in „Matter, Forme and Power of a Commonwealth“ betrachtet hat. Christoph Brüning, Kiel

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Willms, DER STAAT 6 (1967), S. 305 ff.

Joachim Suerbaum, Würzburg

Inhaltsverzeichnis Volker Epping, Hannover Die Europäische Union: Noch internationale Organisation oder schon Staat? Zur Vision der Vereinigten Staaten von Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rainer Wahl, Freiburg i. Br. Die Rechtsbildung in Europa als Entwicklungslabor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Thomas Mann, Göttingen Verordnungsvertretende Landesgesetze – Exempel für den Bedeutungsverlust der Landesparlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolf-Rüdiger Schenke, Mannheim Die Übertragbarkeit der Elfes-Dogmatik auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christoph Brüning, Kiel (Verfassungs-)Rechtliche Maßstäbe an Funktional- und Territorialreformen . . .

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Schriftenverzeichnis von Rolf Grawert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Die Europäische Union: Noch internationale Organisation oder schon Staat? Zur Vision der Vereinigten Staaten von Europa Von Volker Epping, Hannover Dass die EU eine Internationale Organisation ist, dürfte außer Frage stehen. Sie ist eine auf Dauer angelegte Vereinigung von zumindest zwei Völkerrechtssubjekten auf dem Gebiet des Völkerrechts, die mit der selbstständigen Wahrnehmung eigener Aufgaben betraut und zumindest mit einem eigenen handlungsbefugten Organ ausgestattet ist.1 Die 27 EU-Mitgliedstaaten haben sich durchaus auf Dauer durch völkerrechtliche Verträge, die Unionsverträge, zur Erreichung der in Art. 3 EUV niedergelegten Ziele auf den dort genannten Gebieten zusammengeschlossen und hierzu einen sehr handlungsfähigen institutionellen Rahmen zur Erreichung der Ziele geschaffen (Art. 13 EUV). Schaut man sich die Unionsverträge Lissabonner-Prägung an, hat sich die primäre wirtschaftliche Ausrichtung hauptsächlich auf die Errichtung eines Binnenmarktes inzwischen verflüchtigt. Aus der EWG ist die EU, die Union geworden. Sie führt zwar immer noch die Errichtung eines Binnenmarktes in ihrer Zielbeschreibung auf (Art. 3 Abs. 3 EUV), indes als eines von vielen Zielen. Gerade auch durch die Querschnittskompetenzen, die die Mitgliedstaaten der Union übertragen haben, ist die Union nunmehr thematisch umfassend ausgerichtet. Kaum ein denkbarer Bereich wird auf Unionsebene ausgespart, schaut man sich die Tätigkeitsfelder der Union an. Diese sind über die Verträge hinausgehend durchaus auch perspektivisch, wenn man sich z. B. die Arbeiten an einem einheitlichen Zivilrecht vergegenwärtigt. Zudem ist der Union die Überwindung des Souveränitätspanzers der Mitgliedstaaten zugestanden worden. Sieht man ferner, dass die Grenzziehungen zu anderen Verbandseinheiten sich in einem Graubereich befinden bzw. verschwimmen, und zwar dann, wenn sie supranational ausgerichtet sind, könnte sich in der Tat die Frage stellen, ob die Union bereits ein Staat, namentlich ein Bundesstaat ist. Indes hat uns die Diskussion um die Staatssymbolik im Kontext des gescheiterten Verfassungsvertrages die Scheu der Mitgliedsstaaten vor einer ,Verstaatlichung‘ durch die Union mehr als deutlich vor Augen geführt. Gerade die im Verfassungsvertrag angelegte Staatssymbolik, die schon in der Bezeichnung des Vertragsentwurfs des Verfassungskonvents zum Ausdruck kommt, hat nicht nur zum Scheitern des Verfassungsvertrages geführt, sondern auch zur Vermeidung jeglicher Staatssymbolik im geltenden Lissabonner Unionsrecht. Gleichwohl ist die Finalität der 1 Zu den Voraussetzungen einer (zwischenstaatlichen) Internationalen Organisation siehe Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 6 Rn. 2.

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Union, der immer engere Zusammenschluss der Völker Europas, nicht nur in Art. 1 EUV festgeschrieben. Sie wird vielmehr auch von der sog. politischen Elite angestrebt: So hat erst jüngst Ursula von der Leyen die Vision der Vereinigten Staaten von Europa als ihr politisches Ziel wiederholt beschworen.2 Wenn es aber derzeit noch ein Ziel ist, – so die Schlussfolgerung – existieren die Vereinigten Staaten von Europa noch nicht. Aber sind wir etwa schon kurz davor? Dieses Anscheins kann man sich nicht erwehren, wenn man einerseits Äußerungen von Richtern des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts und andererseits die intensive aktuelle Diskussion in der Presse verfolgt. So hat auf die Frage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ob das Grundgesetz eine weitere europäische Integration erlaube, der Präsident des Bundesverfassungsgericht Andreas Voßkuhle hervorgehoben, dass der Rahmen wohl weitgehend ausgeschöpft sei.3 Ist das Thema des Beitrags also doch aktuell? Rolf Grawert, dem dieser Beitrag gewidmet ist, wird dem sicherlich zustimmen, hat er doch in seinem Beitrag Staatsvolk und Staatsangehörigkeit im Handbuch des Staatsrechts zutreffend resümiert, dass die Supranationalisierung in Europa nachhaltig zunehme. Aber – ich zitiere – sie ersetzt nicht die Funktionen des Staates überhaupt. Dieses Resümee aus dem Jahre 2004 hat Rolf Grawert aber explizit mit einem „noch?“ versehen.4 Die Union ersetzte also im Jahre 2004 die Funktionen des Staates nicht, wirklich nicht? Bereits 2004 hatte Rolf Grawert also schon Zweifel an seiner Aussage angemeldet. Wie sieht es nun nach der letzten Integrationsstufe, die wir durch den Vertrag von Lissabon erreicht haben, aus? I. Das Prüfraster: Die Drei-Elemente-Lehre Fußend auf den Fundamenten der Allgemeinen Staatslehre bestimmt sich die Staatseigenschaft eines organisierten Herrschaftsverbandes nach der auf Georg Jellinek zurückgehenden „Drei-Elemente-Lehre“5. Danach ist ein politisch und rechtlich organisierter Gebiets- und Personenverband dann ein Staat, wenn eine – nach außen nur an das Völkerrecht gebundene, nach innen autonome – Gewalt gegeben ist, die einem Volk und einem abgegrenzten Gebiet zugeordnet ist. Staatsgewalt, Staatsvolk und Staatsgebiet stellen somit die drei unabdingbaren Elemente eines Staates dar.6 Die Drei-Elemente-Lehre, die sich auch in der Völkerrechtspraxis durchgesetzt 2 Siehe: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ursula-von-der-leyen-iminterview-es-gibt-kein-zurueck-in-die-kuschelwelt-11495178.html; http://www.spiegel.de/po litik/deutschland/0,1518,782879,00.html. 3 Interview in der FAS vom 25. 09. 2011, Nr. 38, S. 36; siehe auch FAZ, 18. 11. 2011, Nr. 269, S. 7. 4 Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 67. 5 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 394 ff. 6 Grawert (FN 4), § 16 Rn. 4; Epping, in: Ipsen (FN 1), § 5 Rn. 2.

Die EU: Noch internationale Organisation oder schon Staat?

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hat,7 gibt somit das Prüfraster für die Frage vor, ob die Europäische Union als Staat zu qualifizieren ist. 1. Staatsgebiet Das Staatsgebiet beschreibt eine durch Grenzen gekennzeichnete Zusammenfassung von geographischen Räumen unter einer gemeinsamen Rechtsordnung.8 Ein solches Gebiet wird man bezogen auf die Union durchaus ausmachen können: Die Territorien der EU-Mitgliedsstaaten werden unter der Unionsrechtsordnung – Primär- und Sekundärrecht – zusammengefasst. Der in den Unionsverträgen explizit kodifizierte räumliche Geltungsbereich der Verträge belegt dies (s. Art. 52 EUV, Art. 355 AEUV).9 Dem steht auch nicht die vertragliche Garantie der Achtung der territorialen Unversehrtheit der Mitgliedstaaten durch die Union in Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUVentgegen. Zwar soll durch die Norm eine Letztverantwortung der Mitgliedstaaten über ihr Staatsgebiet gegeben werden,10 jedoch sind solche Klauseln auch in Bundesstaaten durchaus üblich, um nationale bzw. regionale Eigenheiten zu bewahren (vgl. etwa Art 29, 118, 118a GG). 2. Staatsvolk So eindeutig der Befund zum Unionsgebiet ist, so eindeutig sind auch die Befunde zum Vorhandensein eines europäischen Staatsvolks im Sinne der Allgemeinen Staatslehre. Ein Staatsvolk ist ein auf Dauer angelegter Verbund von Menschen, über den der Staat die Hoheitsgewalt i.S. von Gebietshoheit und bei Aufenthalt außerhalb des Hoheitsgebietes von Personalhoheit innehat.11 Ein solches lässt sich trotz der bestehenden Unionsbürgerschaft (Art. 9 S. 2, 3 EUV, Art. 20 AEUV) nicht ausmachen,12 jedenfalls noch nicht und dies ohne das zuvor zitierte Grawertsche Fragezeichen. Der EU-Vertrag bezeichnet die Völker der Mitgliedstaaten weder ausdrücklich als ein europäisches Unions- oder Bundesvolk noch fasst er sie unausgesprochen zu einem solchen zusammen. Art. 1 Abs. 2 EUV spricht weiterhin davon, dass der EUV „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“ darstelle. Auch ist die Unionsbürgerschaft (Art. 9 S. 2, 3 EUV, Art. 20 – 25 AEUV) nicht an die Stelle der nationalen Staatsbürgerschaften getreten. Die Unionsbürgerschaft tritt, wie der EUV ausführt, „zur nationalen Staatsangehörigkeit hinzu, 7

Grawert (FN 4), § 16 Rn. 4; Epping, in: Ipsen (FN 1), § 5 Rn. 3. Epping, in: Ipsen (FN 1), § 5 Rn. 4; Grawert (FN 4), § 16 Rn. 20. 9 Siehe eingehend schon Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 1999, S. 104 ff. m.w.N. auch zu den Vertretern, die ohne nähere Begründung ein einheitliches Staatsgebiet jedenfalls seinerzeit noch verneint haben. 10 Steinz, in: ders. EUV/AEUV-Kommentar, 2. Aufl. 2012, Art. 4 EUV, Rn. 17. 11 Epping, in: Ipsen (FN 1), § 5 Rn. 5. 12 A. A. Busse (FN 9), S. 108 f., der insoweit aber allein auf die auf dem Staatsgebiet lebende Bevölkerung abstellt und die Frage der Staatsangehörigkeit der Staatsgewalt zuordnet. 8

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Volker Epping

ohne diese zu ersetzen“ (Art. 9 S. 3 EUV). Die Unionsbürgerschaft ergänzt daher lediglich die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit um einige spezifisch aus der europäischen Integration heraus entwickelte Rechte. Zu nennen sind vor allem das allgemeine Aufenthaltsrecht (Art. 21 Abs. 2 AEUV), das Kommunalwahlrecht (Art. 22 AEUV), das Wahlrecht bei Wahlen zum Europäischen Parlament, der weltweite diplomatische und konsularische Schutz (Art. 23 AEUV), das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament (Art. 24 AEUV) und die Möglichkeit, sich an den Bürgerbeauftragten zu wenden (Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 228 AEUV). Wie die Unionsverträge deutlich machen (siehe Art. 1 Abs. 2 EUV und Art. 25 AEUV), dauert der Prozess der Integration auch bezogen auf ein europäisches Staatsvolk hin weiterhin an. Art. 25 AEUV räumt zwar in begrenztem Maße Ausgestaltungsbefugnisse zur Ergänzung der in Art. 20 Abs. 2 AEUV gewährten Rechte der Union ein. Der abgeleitete Status der Unionsbürgerschaft und die Wahrung der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit bilden aber weiterhin die Grenze für die in Art. 25 Abs. 2 AEUV angelegte Entwicklung der Unionsbürgerrechte und für die Rechtsprechung des EuGH.13 Daher ist es zutreffend, wenn das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil hervorhebt, dass die Bundesrepublik Deutschland auch nach Ratifikation des Vertrags von Lissabon immer noch über ein Staatsvolk verfügt. Wie der Kontext offenbart, geht das Bundesverfassungsgericht insoweit von einer Ausschließlichkeit in dem Sinne aus, dass es bezogen auf einen Herrschaftsverband nur ein die Eigenstaatlichkeit begründendes Staatsvolk gibt: Gäbe es ein Unions(staats)volk, gäbe es kein die Eigenstaatlichkeit Deutschlands begründendes deutsches Staatsvolk. Da es aber auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts noch ein deutsches Staatsvolk gibt, existiert kein Unions(staats)volk. „Die Unionsbürgerschaft ist allein von dem Willen der Mitgliedstaaten abgeleitet und konstituiert kein Unionsvolk, das als sich selbst verfassendes Rechtssubjekt zu eigener Selbstbestimmung berufen wäre. […] Die Unionsbürgerschaft ist in diesem Sinne nichts kulturell oder normativ dem geltenden Vertragsrecht Vorausliegendes, aus dem heraus verfassungsgestaltende Rechtswirkungen entstehen könnten. Die Unionsbürgerschaft bleibt ein abgeleiteter und die mitgliedsstaatliche Staatsangehörigkeit ergänzender Status.“14 Auch weitere Änderungen des Unionsrechts führen – so das Bundesverfassungsgericht – nicht zu einer Überlagerung des primären Staatsangehörigkeitsstatus durch die Unionsbürgerschaft. Vielmehr wird aus dem Gesamtzusammenhang des Vertrages von Lissabon deutlich, dass auch mit der sprachlichen Änderung des Art. 9 S. 3 EUV im Vergleich zu Art. 17 Abs. 1 S. 2 EG, der Verwendung des Unionsbürgerbegriffs im Zusammenhang mit dem Europäischen Parlament (Art. 14 Abs. 2 UA 1 S. 1 EUV) und der vorgesehenen entscheidenden Rolle der Unionsbürger bei der europäischen Bürgerinitiative (Art. 11 Abs. 4 EUV) kein selbstständiges personales Legitimati-

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BVerfGE 123, 267 (405). BVerfGE 123, 267 (404).

Die EU: Noch internationale Organisation oder schon Staat?

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onsobjekt auf europäischer Ebene geschaffen werden soll.15 Das deutsche Staatsvolk bewahrt mithin ebenso wie die Staatsvölker der anderen EU-Mitgliedstaaten so lange seine Existenz, wie die Unionsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten nicht ersetzt oder überlagert.16 Die Staatsvölker der EU-Mitgliedstaaten konstituieren daher weiterhin die EUMitgliedsstaaten als Staaten im Sinne der Drei-Elemente-Lehre. Etwas anderes könnte man erst dann annehmen, wenn sich die Union von ihren völkervertragsrechtlichen Grundlagen lösen würde. Sie würde sich dann nicht mehr auf den vertraglich gebildeten Gesamtwillen ihrer Mitgliedstaaten stützen, sondern auf die verfassungsgebende Gewalt der Unions(staats)bürger. Dazu bedarf es aber ein sich als solches begreifendes europäisches Staatsvolk, das die Union selbst und unmittelbar legitimiert.17 Zwar verstehen sich die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten als „Europäer“, eine kollektive europäische Identität ist indes nicht ansatzweise ausgeprägt,18 wie die Staatsschuldenkrise zeigt. Dieser Befund lässt sich sehr gut exemplifizieren an dem allen Unionsbürgern zugestandenen diplomatischen und konsularischen Schutz in Nicht-EU-Staaten (Art. 23 AEUV). Dieses Recht kommt traditionell dem Staatsbürger gegenüber seinem Staat zu.19 Dieses Recht findet seine Grundlage in dem durch die Staatsangehörigkeit begründeten gegenseitigen Treueverhältnis. Der Staat ist nämlich ein Personalverband, der auf einer persönlichen Grundlage basiert. Dem entsprechend wird die Erstreckung des Heimatrechts auf Handlungen der Staatsangehörigen auch im Ausland seit dem Mittelalter zutreffend mit der Treue der Staatsbürger zum Gesetz ihres Heimatstaates begründet, die ihr Gegenstück in dem Recht des Heimatstaates findet, seine Staatsangehörigen im und gegen den Aufenthaltsstaat zu schützen. Auch wenn insoweit schon auf einen Aspekt der Staatsgewalt angesprochen und damit in gewisser Weise vorgreiflich gearbeitet wird, lässt sich dieser Aspekt auch durch einen Blick auf die Personalhoheit veranschaulichen. Der Staat ist in erster Linie ein Personenverband und basiert insofern auf einer persönlichen „Grundlage“: Er setzt ein grenzüberschreitendes Treueverhältnis zwischen dem Staat und seinem Staatsvolk voraus. Dies drückt sich in der Personalhoheit aus, die anders als die Gebietshoheit allein auf die Beziehung zwischen Staat und Staatsvolk abstellt und nicht an das Staatsterritorium gebunden ist. Die Staatsangehörigkeit bedeutet dabei für die Staatsangehörigen ihre Unterstellung unter die Personalhoheit des Staates. Der Begriff der Personalhoheit bezeichnet dabei eine bestimmte Form der Herrschaftsgewalt, nämlich die rechtliche Befugnis, die unterstehenden natürlichen und juristi15

BVerfGE 123, 267 (405). BVerfGE 123, 267 (405). 17 Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 32 Rn. 111. 18 Eingehend Haltern, Europarecht und das Politische, Tübingen 2005; ders., Der Staat 37 (1998), S. 591 ff.; ders., EuR 46 (2011), S. 512 ff.; auch Hillgruber (FN 17), § 32 Rn. 111. 19 Epping/Gloria, in: Ipsen (FN 1), § 24 Rn. 33. 16

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schen Personen einseitig kraft hoheitlicher Überlegenheit zu verpflichten und zu berechtigen. Auch wenn sich die Staatsangehörigen im Ausland aufhalten, bleiben sie der Personalhoheit ihres Heimatstaates unterworfen. Dies folgt aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, wonach den Staaten hinsichtlich ihrer Staatsvölker die ausschließliche Kompetenz zukommt, im Rahmen ihrer Personalhoheit den Rechtsstatus ihrer natürlichen und juristischen Personen zu bestimmen. Der Heimatstaat kann seine Staatsangehörigen daher auch dazu verpflichten, bestimmte Handlungen zu setzen oder zu unterlassen, die durch die Gesetze des Aufenthaltstaates nicht verboten sind. Bindeglied insoweit ist die Staatsangehörigkeit, die ein rechtliches Band darstellt, das auf einer tatsächlichen sozialen Bindung gründet, räumlich unbeschränkt ist und aus dem sich bestimmte Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat ergeben. Die Staatsangehörigkeit stellt daher eine auf einer Gegenseitigkeitserwartung beruhende Rechte- und Pflichtenbeziehung zwischen dem Staatsbürger und seinem Heimatstaat dar, die schon daraus folgt, dass der Staat, wie erwähnt, ein Personalverband ist und insofern auf einer persönlichen Grundlage basiert, als er ein Treueverhältnis zwischen dem Staat und seinem Staatsvolk voraussetzt. Dem entsprechend wird die Erstreckung des Heimatrechts auf Handlungen der Staatsangehörigen seit dem Mittelalter zutreffend mit der Treue der Staatsbürger zum Gesetz ihres Heimatstaates begründet, die ihr Gegenstück in dem Recht des Heimatstaates findet, seine Staatsangehörigen im und gegen den Aufenthaltsstaat zu schützen (sog. diplomatischer Schutz).20 Ein solches Treueverhältnis besteht aber ersichtlich nicht zwischen der Union und „ihren“ Unionsbürgern. Der diplomatische Schutz wird – wie Art. 23 AEUV belegt – auch weiterhin durch den Mitgliedsstaat wahrgenommen, dessen Staatsangehörigkeit der jeweilige Unionsbürger besitzt. Lediglich dann, wenn der Mitgliedstaat „im Hoheitsgebiet eines dritten Landes […] nicht vertreten wird“, wird der diplomatische und konsularische Schutz durch jeden anderen EU-Mitgliedsstaat wahrgenommen, nicht aber durch die Union. Dies unterstreicht, dass ein gegenseitiges Treueverhältnis zwischen der EU und den Unionsbürgern nicht einmal subsidiär besteht.21 Die Unionsbürgerschaft bleibt daher nicht nur qualitativ hinter der Staatsangehörigkeit zurück, sondern ist ein aliud: Sie baut lediglich auf die Staatsbürgerschaft der Mitgliedstaaten auf (Art. 9 S. 2 EUV, Art. 20 Abs. 1 S. 2); sie tritt „zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht“ (Art. 20 Abs. 1 S. 3 AEUV). Somit verfügt die Europäische Union trotz der den Unionsbürgern durch die Verträge zugestandenen Rechte auch über keine eigenständige Personalhoheit. Diese kommt weiterhin allein den Mitgliedstaaten gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen zu, was auch daran deutlich wird, dass die Regelungen, die festlegen, wer Staatsangehöriger ist, in 27 Staatsangehörigkeitsgesetzen völlig unterschiedlich sind. Dies liegt daran, dass jeder Staat weitgehend frei darüber entscheiden kann, unter welchen Vor20 21

Epping/Gloria, in: Ipsen (FN 1), § 24 Rn. 1. I. E. so schon Busse (FN 9), S. 126.

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aussetzungen er wem seine Staatsangehörigkeit verleiht oder entzieht; Staatsangehörigkeit wird ausschließlich durch nationales, nicht durch Völkerrecht geregelt. Die Unionsverträge haben hieran bislang nicht gerüttelt. Wollten sie dies, würden die Grundfeste der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten erschüttert, wird doch durch das Staatsangehörigkeitsrecht das Legitimationssubjekt des Staates, das Staatsvolk, bestimmt. Dem wiederum steht die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten entgegen, zu der die Union gem. Art. 1 Abs. 2 EUV verpflichtet ist. 3. Staatsgewalt Ebenso wie es der Union an einem Staatsvolk ermangelt, ist auch die für einen Staat konstituierende Staatsgewalt im Sinne der Drei-Elemente-Lehre nicht auszumachen. Die Staatsgewalt beschreibt die Fähigkeit, eine Ordnung auf dem Staatsgebiet zu organisieren (Verfassungsautonomie/innere Souveränität) und nach außen selbstständig und von anderen Staaten rechtlich unabhängig im Rahmen und nach Maßgabe des Völkerrechts zu handeln (äußere Souveränität).22 Dabei ist die äußere Souveränität dadurch gekennzeichnet, dass der Staat allein dem Völkerrecht und keiner anderen Autorität, insbesondere keiner anderen staatlichen Rechtsordnung untersteht, also völkerrechtsunmittelbar ist.23 a) Innere Souveränität Daran gemessen kann der Union weder eine innere noch eine äußere Souveränität, mithin auch keine Staatsgewalt i.S. der Drei-Elemente-Lehre zuerkannt werden. Dies folgt schon aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 EUV). Nach diesem Grundsatz „wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten“ (Art. 5 Abs. 2 S. 2, 3 EUV). Die Union ist mithin nicht frei, ihre innere Rechtsordnung, das heißt namentlich ihre Beziehungen zu den EU-Mitgliedstaaten selbst eigenständig auszugestalten, wie es von dem Element der inneren Souveränität geradezu verlangt wird. Dies zeigt nicht nur, dass die EU-Mitgliedstaaten weiterhin die Herren der Verträge sind, sondern unterstreicht zudem, dass die EU nicht über die sog. Kompetenz-Kompetenz verfügt, die für die Bejahung der inneren Souveränität erforderlich ist.

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Epping, in: Ipsen (FN 1), § 5 Rn. 7. Oeter, Souveränität – ein überholtes Konzept?, in: Hans-Joachim Cremer (Hrsg.), FS Steinberger, 2002, S. 259 (276). 23

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b) Äußere Souveränität Auch bezogen auf die äußere Souveränität zeigen die Voraussetzungen des Vertragsänderungsverfahrens ebenso wie die Austrittsmöglichkeit (s. Art. 48, 50 EUV), dass die Union nicht völkerrechtsunmittelbar ist. Die EU-Mitgliedstaaten als Herren der Verträge bestimmen vielmehr über das „Wohl und Wehe“ der Europäischen Union, wie dies gerade an den aktuellen Staatsschuldenkrisen im Euro-Raum und seinem Management mehr als deutlich wird. Im Zentrum agieren die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, die im Rahmen der Euro-Rettung den Kurs vorgeben. Die EU und ihre Organe stehen, wie die aktuelle Berichterstattung sehr deutlich zeigt, nicht nur bildlich allenfalls im Hintergrund, sondern kommen nicht einmal über die Funktionen des Sekundanten hinaus. Bezogen auf die vielfach beschworenen „Vereinigten Staaten Europas“ wird man daher festzustellen haben, dass diese Form eines Bundesstaates noch keineswegs realisiert ist. Im Bundesstaat besteht nämlich eine einzelstaatliche volle völkerrechtliche Souveränität nicht mehr, sondern nur diejenige des Zentralstaates.24 Das gilt jedenfalls für die äußere Souveränität, während die Verfassung des Zentralstaates, des Bundes, den Mitgliedern eine begrenzte, verfassungsrechtliche Eigenständigkeit belassen kann. Inhaber der letzten Entscheidungskompetenz in der EU sind aber immer noch die Mitgliedstaaten; sie sind die Herren der Verträge. Zwischen den EU-Mitgliedstaaten besteht ein völkerrechtliches, indes (noch) kein staatsrechtliches Band. Man wird daher dem Bundesverfassungsgericht in seinem Befund durchaus zustimmen können, dass „nicht nur aus der Sicht des Grundgesetzes […] es sich bei der Beteiligung Deutschlands an der Europäischen Union […] nicht um die Übertragung eines Bundesstaatsmodells auf die europäische Ebene, sondern um die Erweiterung des verfassungsrechtlichen Föderalmodells um eine überstaatlich kooperative Dimension“ handelt.25 c) Letztentscheidungsrecht im Ausnahmezustand Zu diesem Befund gelangt man auch, wenn man insoweit mit Carl Schmitt in der Frage nach dem ius ad bellum den eigentlichen Test zur Bestimmung der Souveränität sieht. Hierin kommt ein Gedanke zum Ausdruck, den Schmitt auch in anderem Zusammenhang bemüht: Souverän ist, wer über die Letztentscheidung, insbesondere im Ausnahmezustand, verfügt.26 Soweit von den Mitgliedern der Verbindung aus Rechtsgründen, die der gemeinsamen Verfassung zu entnehmen sind, auf das Recht zu eigenständiger Selbstverteidigung verzichtet werde, sei nur der Bund als Rechtssubjekt im Sinne der Souveränität anzusehen.27 24

Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 2004, Rn. 155. BVerfGE 123, 267 (370). 26 C. Schmitt, Politische Theologie, 8. Aufl. 2004, S. 12. 27 C. Schmitt, Verfassungslehre, 9. Aufl. 2003, S. 365. 25

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Auskunftsgebend ist insoweit der Blick in die Bestimmungen über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Eingangsbestimmung des Art. 42 Abs. 2 EUV spricht zunächst davon, dass die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union umfasst. Diese soll – so Art. 42 Abs. 2 S. 2 EUVexplizit – zu einer gemeinsamen Verteidigung führen, sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat. Aber auch in diesem Fall empfiehlt er den Mitgliedstaaten einen Beschluss in diesem Sinne im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zu erlassen. Das bedeutet, dass bei einem entsprechenden Beschluss des Europäischen Rates eine gemeinsame Verteidigung noch nicht begründet ist. Der Ratifikationsvorbehalt zeigt nicht nur, dass die Union den Weg zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik noch nicht gegangen ist, sondern auch, dass sie diesen Weg auch nicht ohne die Mitwirkung aller EU-Mitgliedstaaten gehen kann. Um auf die Schmittsche Eingangsthese zurückzukommen ist Souverän der Letztentscheidung im Ausnahmezustand nicht die Union, sondern weiterhin die Mitgliedstaaten. Unterstrichen wird dieser Befund noch durch den im Rahmen des Lissabon-Vertrages eingeführten Art. 42 Abs. 7 EUV, der die sog. Bündnisklausel enthält. Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gewährung der in ihrer Macht stehenden Unterstützung, wenn das Gebiet eines Mitgliedstaates mit Waffengewalt angegriffen wird. Verpflichtet wird also nicht die Union, sondern allein die Mitgliedstaaten der EU. Auf das Recht zur eigenständigen Selbstverteidigung zugunsten der Union haben die Mitgliedstaaten nicht nur nicht verzichtet, sondern die Union noch nicht einmal einbezogen. Das Bindeglied insoweit ist allein die EU-Mitgliedschaft. Dies unterstreicht nochmals, dass die Europäische Union nicht über die erforderlichen Elemente verfügt, um sie als Staat qualifizieren zu können. Staatsqualität weisen auch nach dem Inkrafttreten der letzten Integrationsstufe, dem Lissabon-Vertrag, weiterhin nur die EU-Mitgliedstaaten auf. d) Geteilte Staatsgewalt bzw. geteilte Souveränität? Vor dem Hintergrund der Europäisierung der Rechtsordnung fragt sich gleichwohl, ob der erarbeitete Befund zur Staatsgewalt noch realitätsnah ist. Ist nicht das tradierte Modell des Staates im Bereich der Europäischen Union durch ein Modell der Souveränitätsteilung – in Deutschland verfassungsrechtlich vermittelt über Art. 23, 24 GG – abgelöst worden?28 Sind mittlerweile nicht eine solche Fülle an Hoheitsrechten auf die Union übertragen worden, dass möglicherweise die Staatsgewalt bzw. die Souveränität der Mitgliedstaaten fraglich geworden ist?29 Die Union setzt in dem mittlerweile thematisch sehr breiten Feld der übertragenen Kompetenzen im Wege der Verordnungsgebung Recht, welches in allen seinen Teilen verbindlich 28 So z. B. Zippelius/Württenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008, § 1 Rn. 49; Schuppert, Staatswissenschaft, 2003, S. 172 ff. 29 Doehring (FN 24), Rn. 273, 275.

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ist und unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gilt (Art. 288 UAbs. 2 AEUV). In weiten Bereichen des nationalen Rechts muss daher den Vorgaben des Unionsrechts Rechnung getragen werden. Den Mitgliedstaaten der Union kommt die Aufgabe des Vollzugs der auf unionaler Ebene getroffenen politischen Entscheidungen und rechtlichen Regelungen zu. Die Staatsgewalt bzw. die Souveränität ist daher geteilt in dem Sinne, dass sie zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten aufgeteilt ist (s. Art. 23 GG). Der Nationalstaat alter Prägung ist damit nicht mehr allein Voraussetzung und Gegenstand der Verfassung. Ein Ende der Staatlichkeit oder ein vollständiger Verlust staatlicher Souveränität geht damit allerdings nicht einher. Ein Kern nationaler Souveränität beleibt jedenfalls erhalten, solange ein Rückzug des Nationalstaates aus der Union rechtlich noch möglich ist.30 Dieser letzte Schutzwall der Souveränität findet sich auf unionsrechtlicher Ebene nunmehr in dem in Art. 50 EUV explizit kodifizierten Austrittsrecht. Durch dieses wird gerade jedem Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestanden, aus der Union auszutreten. Unter dieser Prämisse hat der erarbeitete Befund durchaus – und hier greife ich gerne auf das Grawertsche Zitat zurück – „noch“ Bestand. II. Zur Option der Vereinigten Staaten von Europa Nachdem auf der Grundlage der Drei-Elemente-Lehre herausgearbeitet wurde, dass die Union kein Staat ist, auch kein Bundesstaat, stellt sich die Frage, ob denn der Weg zu einem Europäischen Bundesstaat („Vereinigte Staaten von Europa“) bzw. zu einem Staat unter Aufgabe der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten gangbar ist. Aus dem äußeren Selbstbestimmungsrecht heraus, das den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten zukommt,31 ist diese Option völkerrechtlich durchaus darstellbar. Die Frage ist aber, wie sich dies bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich realisieren lässt. Geht dies – wie bei allen Verträgen vorher auch – durch einen neuen Unionsvertrag? Hierfür spricht einerseits die bereits mit dem Maastricht-Vertrag 1994 vorgenommene Übertragung der Währungshoheit auf die EU. Hierbei muss man wissen, dass die Währungshoheit immer zu den elementaren Bestandteilen staatlicher Souveränität gezählt wurde. Die Übertragung weiterer elementarer Bestandteile staatlicher Souveränität bis hin zur Einbindung Deutschlands in einen Bundesstaat im Wege der Vertragsänderung schien daher aufgezeigt, zumal im Kontext des Vertrages von Maastricht die Europäische Integration mit der Implementierung des Art. 23 GG n.F. auf neue verfassungsrechtliche „Füße“ gesetzt wurde: Der zuvor einschlägige Art. 24 Abs. 1 GG wurde vor dem Hintergrund der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht vom 7. Februar 1992 gerade mit Blick auf die vereinbarte Währungsunion als nicht mehr hinreichend tragfähige verfassungsrechtliche Grundlage für die Union angesehen. Durch Art. 23 GG sollte die europäische Integration nicht nur in ihrem damaligen Stand, sondern gerade auch in der 30 Zippelius/Württenberger (FN 28), § 1 Rn. 55, 53; Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof (FN 17), § 17 Rn. 34. 31 Heintze, in: Ipsen (FN 1) § 29 Rn. 3.

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Möglichkeit einer weiteren „Entwicklung“ verfassungsrechtlich abgesichert werden32 : „Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG enthält zunächst die Staatszielbestimmung eines vereinten Europas, zu dessen Verwirklichung die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mitwirkt, und ist damit Ausdruck der Integrationsoffenheit des Gesamtstaates und seiner Glieder. Die Vorschrift eröffnet den bereits durch die Präambel gewiesenen Weg zur politischen Einigung Europas und sichert jeden Schritt der Bundesrepublik Deutschland auf diesem Weg verfassungsrechtlich ab.“33 Gerade im Kontext des schon seit jeher in der Präambel angelegten Ziels eines vereinten Europas liegt die Finalität des durch Art. 23 GG flankierten europäischen Integrationsprozesses im Sinne eines europäischen Bundesstaates nahe und wird verfassungsrechtlich akzeptiert. In seinem Lissabon-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht der Übertragung weiterer elementarer Bestandteile staatlicher Souveränität bis hin zur Einbindung Deutschlands in einen Bundesstaat im Wege der Vertragsänderung indes einen sprichwörtlichen „Riegel“ vorgeschoben, der keineswegs erst bei einem Aufgehen in einen europäischen Bundesstaat greift. Dass der „Riegel“ beim Aufgehen Deutschlands in einen europäischen Bundesstaat greifen musste, lässt sich normativ bereits mit dem Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG und des Art. 24 Abs. 1 GG begründen, die nur die Übertragung einzelner Hoheitsrechte erlauben, m.a.W. eine umfassende Übertragung der Hoheitsrechte Deutschlands, d. h. die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit, ausschließen.34 Zwingend ist der Schluss aber keineswegs. Gleichwohl steht die weitreichende Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unter der Bedingung, dass dabei die souveräne Verfassungsstaatlichkeit auf der Grundlage eines Integrationsprogramms nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und unter Achtung der verfassungsrechtlichen Identität als Mitgliedsstaaten gewahrt bleibt. Unbeantwortet ist dabei freilich die Frage, ab wann man von solch einer umfassenden Übertragung der Hoheitsrechte Deutschlands sprechen kann: Ab wann also verliert Deutschland seine Eigenstaatlichkeit? Das Bundesverfassungsgericht differenziert in seinem Lissabon-Urteil sehr konzis zwischen dem verfassungsändernden Gesetzgeber – Bundestag und Bundesrat – und dem Verfassungsgeber, dem Volk: Welche Regelungsbefugnis ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber zugestanden, welche Regelungsbefugnis dem Verfassungsgeber? Kann also der verfassungsändernde Gesetzgeber den Weg in die Vereinigten Staaten von Europa beschreiten oder nur der Verfassungsgeber? Ansatzpunkt bildet insoweit Art. 79 Abs. 3 GG, mit dem der Verfassungsgeber 1949 „jeden künf-

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Siehe nur Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 6. Aufl 2010, Art. 23 Rn. 1 m.w.N. 33 BT-Drs. 12/6000, S. 20. 34 So etwa Classen (FN 32), Art. 23 Rn. 3, 10, 19; Art. 24 Rn. 9; Hillgruber (FN 17), § 32 Rn. 107 f. m.w.N.

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tigen politischen Entwicklungen eine unübersteigbare Grenze“35 setzte: Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche insbesondere die in Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig. „Mit der sog. Ewigkeitsgarantie“ – so das Bundesverfassungsgericht – „wird die Verfügung über die Identität der freiheitlichen Verfassungsordnung selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber aus der Hand genommen. Das Grundgesetz setzt damit die souveräne Staatlichkeit Deutschlands nicht nur voraus, sondern garantiert sie auch. […] Die Verletzung der in Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Verfassungsidentität ist aus der Sicht des Demokratieprinzips ein Übergriff in die verfassungsgebende Gewalt des Volkes. Die verfassungsgebende Gewalt hat insofern den Vertretern und Organen des Volkes kein Mandat erteilt, über die Verfassungsidentität zu verfügen.“36 Abstützen ließe sich dieser Ansatz mit einen Verweis auf die Begrifflichkeit „Bundesstaat“ und „Staatsgewalt“ in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, die die Staatlichkeit des Gemeinwesens voraussetzten.37 Das Bundesverfassungsgericht indes folgert dies allein aus dem demokratischen Prinzip: „Das jedem Bürger zustehende Recht auf gleiche Teilhabe an der demokratischen Selbstbestimmung (demokratisches Teilhaberecht) kann auch dadurch verletzt werden, dass die Organisation der Staatsgewalt so verändert wird, dass der Wille des Volkes sich nicht mehr wirksam i.S. des Art. 20 II GG bilden kann und die Bürger nicht mit Mehrheitswillen herrschen können.“38 Dies kann dann der Fall sein, wenn die Rechte des Bundestages wesentlich geschmälert werden und damit ein Substanzverlust demokratischer Gestaltungsmacht für das Verfassungsorgan eintritt, das unmittelbar nach den Grundsätzen freier und gleicher Wahl zu Stande gekommen ist. „Das Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, ist der elementare Bestandteil des Demokratieprinzips.“39 Er ist in der Menschenwürde verankert und gehört zu den durch Art. 20 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG als unveränderbar festgelegten Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts.40 Daher ist es durchaus konsequent, wenn das Bundesverfassungsgericht mit aller Deutlichkeit auch die handelnden Staatsorgane konkret in die Pflicht nimmt: „Das Grundgesetz ermächtigt die für Deutschland handelnden Organe nicht, durch einen Eintritt in einen Bundesstaat das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes in Gestalt der völkerrechtlichen Souveränität Deutschlands aufzugeben. Dieser Schritt ist wegen der mit ihm verbundenen unwiderruflichen Souveränitätsübertragung auf ein neues Legitimationssubjekt allein dem unmittelbar erklärten Willen des deutschen Volkes vorbehalten.“41 35

BVerfGE 123, 267 (343). BVerfGE 123, 267 (343 f.). 37 Sachs, in: ders., GG, 6. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 7. 38 BVerfGE 123, 267 (341). 39 BVerfGE 123, 267 (341). 40 BVerfGE 123, 267 (341). 41 BVerfGE 123, 267 (347 f.). 36

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Wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in einem Interview in der Frankfurter Allgemein Zeitung vom 25. September 2011 ausgeführt hat, rückt der Zeitpunkt für eine Volksabstimmung immer näher. Auf die Frage, ob das Grundgesetz eine weitere europäische Integration erlaube, stellt Andreas Voßkuhle fest, dass der Rahmen wohl weitgehend ausgeschöpft sei. Für eine Abgabe weiterer Kernkompetenzen an die Union dürfte nach seiner Auffassung nicht mehr viel Spielraum bestehen. „Wollte man diese Grenze überschreiten, was politisch ja durchaus richtig und gewollt sein kann, müsste Deutschland sich eine neue Verfassung geben. Dafür wäre ein Volksentscheid nötig; denn: „Ohne das Volk geht es nicht!“42 Auch andere Richter des Zweiten Senats haben sich in diese Richtung eingelassen.43 Damit hat das Bundesverfassungsgericht weitere Integrationsschritte untersagt, wenn dem Bundestag kein „ausreichender Raum zur politischen Gestaltung“ mehr bleibt. „Zu den wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören unter anderem die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, Einnahmen und Ausgaben einschließlich der Kreditaufnahme sowie die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Eingriffstatbestände, vor allem bei intensiven Grundrechtseingriffen wie dem Freiheitsentzug in der Strafrechtspflege oder bei Unterbringungsmaßnahmen“, aber „auch kulturelle Fragen wie die Verfügung über die Sprache, die Gestaltung der Familien und Bildungsverhältnisse, die Ordnung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit oder der Umgang mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis.“44 Ist mit dieser Benennung konkreter Staatsaufgaben aber wirklich die Grenze zur Aufgabe der Eigenstaatlichkeit markiert? Exemplarisch hierfür sei der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt angeführt, den das Bundesverfassungsgericht der nicht übertragbaren Verfassungsidentität zuordnet. Dies bedeutet, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt auch nicht durch ein ordentliches Vertragsänderungsverfahren übertragbar ist: „Die Bundesrepublik Deutschland dürfte sich von Verfassungs wegen nicht an einer solchen Vertragsänderung beteiligen“ – so das Bundesverfassungsgericht. Ebenso kann der Vorbehalt nicht durch sekundärrechtlich begründete Handlungspflichten umgangen werden. So wäre der deutsche Vertreter im Rat gehalten, „von Verfassungs wegen verpflichtet, jeder Beschlussvorlage die Zustimmung zu verweigern, die den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes verletzen oder umgehen würde.“45 Dies bedeutet zweierlei: Zum einen, dass auch bei der Übertragung einiger Kernkompetenzen, wie z. B. der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt, die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland noch keineswegs beseitigt ist, wir mithin noch keinen Bundesstaat à la „Vereinigte Staaten von Europa“ hätten. Zum anderen ist bereits bei einer solchen Übertragung einer durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernkompe42 Interview in der FAS vom 25. 09. 2011, Nr. 38, S. 36; siehe auch FAZ, 18. 11. 2011, Nr. 269, S. 7. 43 FAZ vom 24. 10. 2011, Nr. 247, S. 10. 44 BVerfGE 123, 267 (358). 45 BVerfGE 123, 267 (425).

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tenz nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts das Volk gefragt. D.h. bereits unterhalb einer europäischen Staatsgründung und vor der Aufgabe der deutschen Eigenstaatlichkeit sind mit diesem bundesverfassungsgerichtlichen Diktum weitere Integrationsschritte nicht mehr möglich.46 Das Grundgesetz selbst sieht die Anrufung des Verfassungsgebers, d. h. des Volkes, durchaus vor, wie Art. 146 GG offenbart: Danach verliert das Grundgesetz „seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Gleichwohl ergeben sich insoweit Fragen zum Anwendungsbereich: Ist mit Art. 146 GG nicht eine eigene neue Verfassung für Deutschland intendiert? Erfasst Art. 146 GG auch die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit durch Beschluss einer Europäischen Verfassung? Freilich ist auch der Verfassungsgeber nicht an Art. 146 GG gebunden. Man könnte hier weiter fragen, ob das Volk auch in direkter Abstimmung gefragt ist. Auch das derzeitige Grundgesetz ist nicht im Wege einer Volksabstimmung, sei es 1949, sei es bei der Wiedervereinigung 1990 in Kraft gesetzt worden. Gleichwohl spricht das Grundgesetz in seiner Präambel davon, dass sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben habe. Wäre daher nicht auch eine verfassungsgebende Versammlung möglich?47 Da letztlich der sukzessive Übergang von nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unentziehbaren Kompetenzen in Rede steht, wäre es ebenso möglich, so jedenfalls Verfassungsrichter Peter Michael Huber, das Grundgesetz nur in einigen wenigen Sätzen zu ändern. Doch auch er geht wie sein Präsident Voßkuhle davon aus, dass die neue Verfassung per Volksabstimmung beschlossen werden müsste. Trotz der autoritativen Feststellung des Bundesverfassungsgerichts wird man die Frage stellen müssen, ob der im Lissabon-Urteil eingeschlagene Weg wirklich so von der Verfassung vorgegeben ist. Art. 23 Abs. 1 GG, der die Verwirklichung der Europäischen Union zum Ziel hat, hätte jedenfalls bis zum finalen Akt, der Aufgabe der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in Form der Begründung der Kompetenz-Kompetenz für die Europäische Union als Grundlage weiterer Integrationsschritte dienen können. Insofern sind die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten, unter dem bisherigen Grundgesetz nicht übertragbaren Kernkompetenzen hier und da durchaus „gegriffen“. Dies auch dann, wenn man zugesteht, dass der Verlust der Staatlichkeit auch ein schleichender sein kann, mithin sich nicht in einem finalen Akt vollziehen muss. Aber immerhin hat sich das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil auf das Vorbringen der Beschwerdeführer hin um eine Umschreibung dessen bemüht, was die Essentialia sein sollen.48 Es verwundert daher nicht, dass dieses Bemühen, d. h. die vorgenommene Präzisierung, als der schwächste

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Ruffert, NJW 2009, S. 2867 (2868). Hefty, FAZ v. 24. 10. 2011, Nr. 247, S. 10. 48 Streinz, in: Sachs (FN 37), Art. 23 Rn. 94 Fn. 220. 47

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Teil der Lissabon-Entscheidung gilt.49 Abgesehen hiervon fragt sich, ob Art. 79 Abs. 3 GG, der sich auch und gerade in der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG widerspiegelt, im Sinne der Absicherung auch der Eigenstaatlichkeit verstanden werden muss. Schützt Art. 79 Abs. 3 GG nicht vielmehr lediglich bestimmte Staatsstrukturprinzipien? Werden also nicht über die durch Art. 79 Abs. 3 GG bewirkte Absicherung unaufgebbarer deutscher Standards entsprechende vergleichbare Standards für die europäische Verfassungsordnung garantiert, freilich durch die Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes?50 Für dieses Verständnis streitet sicherlich die Staatsstruktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. III. Resümee Trotz der mit dem Lissabon-Vertrag weiter vorangeschrittenen Europäisierung der nationalen Rechtsordnungen wird man weiterhin an dem Gesamtbefund von Rolf Grawert aus dem Jahre 2004 festhalten können: Die zunehmende europäische Integration hat nicht zur Ersetzung der Funktionen der Mitgliedstaaten und deren Staatlichkeit zugunsten der Union geführt; jedenfalls „noch“ nicht! Dieser auf dem Boden der Allgemeinen Staatslehre fußende Befund offenbart aber zugleich das eigentliche Problem auf dem Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa, das weniger ein rechtliches ist: Erforderlich ist ein sich als solches begreifendes europäisches Staatsvolk, das die Union selbst und unmittelbar legitimiert.51 Dass wir ein solches nicht haben, spiegelt sich auch in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts wieder. Dieses hatte schon in seiner Maastricht-Entscheidung im Jahre 1993 ausgeführt, dass die von den Unionsbürgern ausgehende Einflussnahme in eine demokratische Legitimation der europäischen Institutionen münden könne.52 Soweit sind wir aber noch nicht: Auch derzeit erfolgt die demokratische Legitimation immer noch durch die Rückkoppelung des Handelns der Unionsorgane an die Parlamente der Mitgliedstaaten, auch wenn nach Lissabon durchaus verstärkt demokratische Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament schon vermittelt wird.53 Soweit sind wir – wie oben bereits angedeutet – erst dann, wenn die Unionsbürger sich nicht mehr in erster Linie als Staatsbürger ihres jeweiligen Mitgliedsstaates sehen, sondern primär als Unionsbürger. Dies bringt Karl Doehring treffend auf den Punkt, wenn er hervorhebt, „die Opferbereitschaft und die Bereitschaft zur Pflichterfüllung, deren eine soziale Gemeinschaft unabdingbar bedarf, sind in einer nur noch auf Sachlichkeit angelegten internationalen Organisation schwerer erhältlich als in einer an patriotisches Empfinden gebundenen staatli49

Vgl. nur Möllers, FAZ v. 20. 10. 2011, Nr. 244, S. 6; Herdegen, Europarecht, 13. Aufl. 2011, § 10 Rn. 26 f.; Ruffert (FN 46), S. 2868. 50 Herdegen (FN 49), § 10 Rn. 27; in diese Richtung tendenziell gehend auch Ruffert (FN 46), S. 2868. 51 Hillgruber (FN 17), § 32 Rn. 111. 52 BVerfGE 89, 155 (184 f.). 53 Siehe BVerfGE 89, 155 (185 f.).

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chen Gemeinschaft. Wenn man daher – und das ist eine politische und keine rechtswissenschaftliche Entscheidung – den Nationalstaat zugunsten einer supranationalen Einheit aufgeben will, sollte dafür gesorgt sein, dass letztere doch etwas davon übernimmt, was der Staat dem Staatsbürger als Vaterland bedeutete. […] Wer den souveränen Nationalstaat abschaffen möchte, sollte nicht Steine statt Brot liefern. Der offenbar vorhandene Wunsch des Menschen nach einer gewissen Geborgenheit in einer homogenen Gemeinschaft ist empirisch nachweisbar, und es ist allemal gefährlich – und nicht nur für die Naturwissenschaften –, natürliche Gegebenheiten zu übersehen.“54

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Doehring (FN 24), Rn. 275.

Die Rechtsbildung in Europa als Entwicklungslabor Von Rainer Wahl, Freiburg i. Br. Rolf Grawert hat sein Zentrum im Staatsrecht, so hat es in Bochum bei der feierlichen Verabschiedung am 6. Februar 2002 geheißen, es wurde sogar noch etwas schmissiger ausgedrückt: „Dauerbrenner Staatsrecht“. Aber wenn ich mit der Autorität dessen, der Rolf Grawert schon in Heidelberg, dann in Bielefeld begleitet und dort Tür an Tür mit ihm gesessen und auch seine weiteren Arbeiten verfolgt hat, sagen darf: Der Blick auf das Schriftenverzeichnis zeigt, dass diese Einschätzung nicht vollständig ist. Rolf Grawert hat ab 1995 eine ganze Serie von Aufsätzen zu europarechtlichen Themen und zwar zu sehr gewichtigen und grundsätzlichen Themen verfasst.1 Darin zeigt sich seine ausgeprägte Sensibilität für die vielfältigen und immensen Auswirkungen der europäischen Integration für das Recht und die Staatstheorie (bzw. richtiger: Theorie der politischen Gemeinschaften). Wer, wie Rolf Grawert, in den späten fünfziger Jahren studiert hat, in den sechziger Jahren promoviert wurde und in seinem wissenschaftlichen Werk das deutsche Öffentliche Recht in seiner Breite und Tiefe bearbeitet hat, der hat mindestens zwei Groß-Entwicklungen miterlebt und aktiv beobachtet. Zum einen die Entfaltung des Verfassungsstaats und des Verfassungsrechts des Grundgesetzes sowie – verbunden damit – die Überformung des gesamten Gesetzesrechts durch das Verfassungsrecht (Konstitutionalisierung), zum anderen die europäische Integration und ihren Niederschlag im Recht (Europäisierung im weitesten Sinne). Die Juristen dieser Generation waren also Beobachter von zwei Fundamentalvorgängen im Recht. Im Weiteren greife ich diese beiden großen Entwicklungslinien des staatlichen und des europäischen Rechts auf und behandele die wechselseitige Durchdringung von Unionsrecht (Europarecht) und dem Recht der Mitgliedstaaten.

1 Grawert, Der Deutschen supranationaler Nationalstaat, in: ders. (Hrsg.), FS Böckenförde, 1995, S. 125 – 143; ders., Der Nationalstaat auf dem Weg nach Europa, in: Faulenbach/Rudolf/Schlösser (Hrsg.), Bochumer Beiträge zur Nationalismusdebatte, 1997, S. 102 – 113; ders., Der integrierte Verfassungsstaat, in: Roland Lhotta, Symposium Boldt, 1997, S. 133 – 145; ders., Nationale und europäische Identität, in: FS Waldenberg, Krakau 2000, S. 109 – 115; ders., Die demokratische Gesellschaft der Union: Zur Sozialdimension der europäischen Grundfreiheiten und Grundrechten, in: Appel/Hermes (Hrsg.), 2008, S. 11 – 46, zugleich in: Der Staat 46 (2007), S. 33 – 60; ders., The Principle of Democracy in the European Union, in: Warschau 2000, S. 13 – 43; ders., EuR 2003, S. 971 – 991.

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Das Verhältnis zwischen dem Recht der EWG/EG/EU und den Staaten hat verschiedene Entwicklungsphasen und noch mehr Deutungsversuche durchlaufen. So wie die neue supranationale Einheit ihren Namen mehrfach gewechselt hat, so hat sich die Wahrnehmung des Rechts in Europa und des Verhältnisses zwischen EU und mitgliedstaatlichem Recht mehrfach verändert. Das Recht der supranationalen Einheit, zunächst als eher sektorales (Wirtschafts)Recht verstanden, wandelte sich im Bewusstsein von Rechtspraxis und Wissenschaft zu einer eigenständigen Rechtsordnung, zum Unionsrecht mit breitem Geltungsbereich. Nicht minder auffällig hat sich die Charakterisierung des Rechts der Staaten verändert: Galt es jahrhundertelang als autonomes, in sich stehendes Recht, so wird es in der Gegenwart als mitgliedsstaatliches Recht wahrgenommen. Die folgenden Überlegungen sind auf der Suche nach einem angemessenen Konzept für den gegenwärtigen Stand des Verhältnisses von supranationalem und staatlichem Recht. Beachtliches Material dazu liefern die Entwicklungsgeschichte der EU sowie die Entwicklungsstadien des Verhältnisses von staatlichem und Gemeinschafts- bzw Unionsrecht. Es wird sich dabei zeigen, dass sowohl in der EU wie auch in den Mitgliedstaaten das Recht plural (geworden) ist, weil es sich aus mehreren Quellen speist. Pluralität der Rechtsquellen und des Rechts wird sich deshalb als eine Leitlinie erweisen. I. Entwicklungsphasen im Verhältnis von mitgliedstaatlichem und europäischem Recht 1. Die erste Phase: keine Kenntnisnahme von der realen Situation Das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht hat – was oft noch immer nicht ausreichend realisiert wird – bereits eine eindrucksvolle und lange Entwicklungsgeschichte. Vom Grundgesetz und dem deutschen Verfassungsrecht weiß man und bestaunt es angemessen, dass es schon mehr als 6 Jahrzehnte Geltung hat. Aber die 53 Jahre Geschichte des europäischen Rechts sind kaum kürzer. Und ist das Nebeneinander, später das Ineinander von staatlichem und europäischem Recht nicht ein Charakteristikum beinahe während der gesamten Dauer des Rechts der Bundesrepublik? Die erste Phase, von 1958 bis in die achziger Jahre, ist von einer Ungleichzeitigkeit zwischen dem realen Wachstum des Gemeinschaftsrechts und der zurückgebliebenen Wahrnehmung gekennzeichnet. Das Recht der neuen supranationalen Gemeinschaft wurde als Inseln im großen Ozean des staatlichen Rechts gesehen2 und dem Gemeinschaftsrecht ein fragmentarischer und punktueller Charakter sowie eine pointillistische Manier attestiert und dies dem systematisch angelegten nationa2 Rittner, JZ 1995, S. 849 (851). Das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und deutschem Recht wurde damals als eine Art Täter-Opfer-Beziehung verstanden, so Basedow, AcP 200 (2000), S. 445 ff.

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len Recht entgegengesetzt.3 Diese Ungleichzeitigkeit zwischen der realen und der bemerkten Bedeutung des Gemeinschaftsrechts ist jüngst von Anna Katharina Mangold detailliert und unter Einbeziehung von empirischen Analysen aufgezeigt worden.4 Bis in die 1980er Jahre kam das Gemeinschaftsrecht in der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis auf leisen Sohlen daher, es wurde wenig beachtet. Kein Wunder, dass es auch in den universitären Lehrplänen derjenigen, die Ende der 50er Jahre oder Anfang der 60er Jahre studiert haben, kaum vorkam.5 Das Europarecht war für sie, war für die Generation von Rolf Grawert und von mir keine relevante Größe, weder für die Examensvorbereitung, noch für den allgemeinen rechtswissenschaftlichen Bildungshorizont. Ein rechtswissenschaftliches Studium im substantiellen und anspruchsvollen Sinne war damals denkbar und wurde auch praktiziert allein im Hinblick auf das nationalstaatliche Recht. Die in den Universitäten erwünschten Grundlagen(bezüge) richteten sich auf rechtsphilosophischen, staatsphilosophischen und historischen „Umwelten“, manchmal auch auf die Vergleichung mit anderen, ebenfalls nationalen Rechtsordnungen. Wenn man sich damals nicht früh als Spezialist verstand, konnte man das Europarecht, ähnlich wie auch das Völkerrecht, beiseite lassen und weitgehend ausklammern. Für eine der Kernmaterien des Öffentlichen Rechts, für das Verwaltungsrecht gibt es ein geradezu klassisches Zitat von Ulrich Scheuner: „Das Verwaltungsrecht gehört zu denjenigen Rechtsmaterien, in denen die nationale Eigenart eines Volkes und Staates sich am stärksten ausprägt. Es weist daher verhältnismäßig wenig Verflechtungen auf.“6 Hinter diesem Diktum kann man die damalige Grundeinstellung erkennen: Das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird – natürlich – wirtschaftsnahe Rechtsgebiete, an der Spitze das Zollrecht, dann auch Teile des Gesellschaftsrechts erfassen, aber der Kern des Öffentlichen Rechts, etwa das Polizeirecht bleibt ausgenommen und damit Domäne der einzelnen Staaten. War das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens wenig bekannt, so hat es gerade in diesen Jahren für seine Bedeutung wahre Quantensprünge gemacht und seine großen und grundlegenden Weichenstel3

Kötz, RabelsZ 50 (1986), S. 1 (5); ähnlich Ulmer, JZ 1992, S. 1 (6): „unvermeidlich fragmentarischer Charakter“. 4 Mangold, Gemeinschaftsrecht und deutsches Recht, 2011. Es handelt sich um eine konsequente entwicklungsgeschichtliche Betrachtung des Gemeinschafts- und Unionsrechts, die gerade durch diesen methodischen Ansatz die für die Entstehung des europäischen Rechts maßgeblichen Kräfte sowie das Verlaufsmuster und die Folgen der Europäisierung aufzuzeigen vermag. 5 Mangold (FN 4), Dritter Teil (169-299): Analyse der Zeitschriften (S. 171 ff.), der Inhalte der rechtswissenschaftlichen Befassung mit dem Gemeinschaftsrecht (S. 187 ff.), Wahrnehmungsphasen in der Rechtswissenschaft (S. 231 ff.) und Europäisierung der Juristenausbildung (S. 254 ff.). 6 Scheuner, DÖV 1963, S. 714 ff. Dazu und zur gleichgerichteten Auffassung des bekannten französischen Verwaltungsrechtlers Jean Rivero, v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 1.

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lungen erlebt. Die wahrhaft epochemachenden großen Entscheidungen van Gend & Loos und Costa v. ENEL erweckten damals keineswegs die Aufmerksamkeit, die man ex post erwarten würde.7 Als später dann die Aufmerksamkeit gegenüber dem europäischen Recht gewachsen war, waren die Weichenstellungen längst geschehen und zur ständigen Praxis des EuGH geworden.8 Vielleicht klärt der Umstand, dass diese beiden großen Entscheidungen zum Zeitpunkt des Erlasses praktisch keine Beachtung auf sich gezogen hatten, dass sie reibungslos geltendes Recht wurden und der eigentlich naheliegende Protest der Mitgliedsstaaten ausblieb. Dabei handelte es sich um eine enorme Rechtsfortbildung, die eigentlich eine Rechtsumbildung, recht besehen sogar eine Art zweiter rechtlicher Gründungsakt der EWG war.9 Die Zeiten für einen so weitreichenden gerichtlichen Aktivismus dürften auch für den EuGH vorbei sein, denn die großen Weichenstellungen bedürfen eines besonderen zeitlichen und politischen Umfelds, sie sind nicht am laufenden Band möglich. In der kleinen Liste der epochemachenden richterrechtlichen Weichenstellungen in verschiedenen Rechtsordnungen, die angeführt wird von Marbury v. Madison10 und die ihre Fortsetzung im Lüth-Urteil11 und dann eben in van Gend & Loos bzw. Costa v. ENEL findet12 –, in dieser kleinen Liste gebührt den richterrecht7 Urt. v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62 – van Gend & Loos, Slg. 1963, 1; Urt. v. 14. 07. 1964, Rs. 6/64 – Flaminio Costa v E.N.E.L., Slg. 1964, 1253. – Ausführlich zur grundlegenden Bedeutung, zum historischen Kontext und zu den Konsequenzen Mangold (FN. 4), S. 118 ff., und dies, Costa v ENEL (1964): On the Importance of Contemporary Legal History, in: Augusti/Domeier/v. Graevenitz/Prutsch (Hrsg.), Inter-Trans-Supra? Legal Relations and Power Structures in History (Jahrbuch junge Rechtsgeschichte), 2011, S. 220 – 234. 8 Die grundlegenden Weichenstellungen des europäischen Rechts sind so praktisch außerhalb der Aufmerksamkeit des deutschen Öffentlichen Rechts geblieben, vgl. Mangold (FN. 4), S. 197. 9 Aus den zahlreichen Kommentaren zur grundlegenden Bedeutung des Urteils hier nur Weiler, The Community System: the Dual Character of Supranationalism, Yearbook of European Law 1 (1981), S. 267 (273), zit. bei Mangold (FN. 4), S. 118: erst die beiden Urteile (mit dem Vorrang und der unmittelbaren Anwendung) heben das Gemeinschaftsrecht in die Supranationalität. 10 Entscheidung 5 U. S. (1 Cranch) S. 137 (1803). – Aus der Fülle der Literatur: Brugger, JuS 2003, S. 320 ff.; Hoffmann-Riem, JZ 2003, S. 268 ff.; Kahn, The reign of law: Marbury v. Madison and the construction of America, Yale: Yale University Press, 2002; Nelson, Marbury v. Madison: the origins and legacy of judicial review, Kansas: Univ. Pr. of Kansas, 2000. 11 BVerfGE 7, 198. Die Zahl der die Sonderstellung diese Urteils hervorhebenden Stellungnahmen ist Legion: Casper hat das Lüth-Urteil in seiner Festrede zum 50- jährigen Jubiläum des BVerfG dasjenige Buch genannt, das er auf die berühmte Insel mitnehmen würde, in: Die Karlsruher Republik, ZRP 2002, 214 (215). Nach Hennis, JZ 1999, S. 485 (492), ist es das Lüth- Urteil, das das Gericht zu dem gemacht hat, was es geworden ist; vgl. auch Wahl, Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte im internationalen Vergleich, in: HGR I, § 19 Rn. 2, 16 (Weichenstellung und Begründung eines eigenen Entwicklungspfades). An grundsätzlicher Kritik hat es nicht gefehlt, zuletzt von Jestaedt und Lepsius, in: Jestaedt/ Lepsius/Möllers/Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 79 (137 ff.), 161 (186 – 194). 12 Es wäre reizvoll, die einzelnen Rechtsordnungen auf Weichen stellende Urteile dieser Dimension zu durchforsten und die Entscheidungen und vor allem ihr Umfeld zu analysieren. Was sind die Bedingungen für solche exzeptionellen Entscheidungen? Sie lassen sich wohl

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lichen Weichenstellungen des EuGH eine Spitzenstellung, was die materiell-inhaltliche Innovation und, noch wichtiger, die kompetenzielle Selbstermächtigung und den Terraingewinn betrifft.13 Der kursorische Blick auf diese erste Phase wäre unvollständig, wenn nicht das Beispiel für eine gegenläufige Einwirkung in einem zentralen Rechtsproblem ausdrücklich erwähnt würde. Angesichts des Fehlens von Grundrechten im Text der damaligen Verträge und im Richterrecht des EuGH hat das BVerfG den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und das Monopol des EuGH für die Kontrolle von Gemeinschaftsrecht suspendiert und zwar zugunsten einer Prüfung durch ein nationales Verfassungsgericht.14 Die, wenn man so will, Lektion hat gewirkt, langsam entwickelte der EuGH in seinem Richterrecht Gemeinschaftsgrundrechte, so dass das BVerfG in einer weiteren Entscheidung15 die Erfüllung des Solange-Vorbehalts attestierten und sich dann aus der Grundrechtsprüfung von Gemeinschaftsrecht im wesentlichen – mit den bekannten Ausnahmen – zurückziehen konnte.16 Das BVerfG hat damit der Sache nach eine Reservefunktion und -zuständigkeit der nationalen Grundrechte reklamiert und damit im Recht in Europa die Basisgewährleistung für Grundrechte gesichert und eine Art acquis constitutionelle national postuliert. Man kann diese Entscheidung auch so lesen: Der Vorrang des Gemeinschaftsrecht wird nicht bestritten, nur wird der Zeitpunkt seines Wirksamwerdens hinausgezögert, bis das für erforderlich gehaltene oder übliche inhaltliche Niveau auch auf der oberen Ebene erreicht ist. Die dafür gefundene Solange-Figur ist eine sehr gelungene Rechtsfigur; sie ist imstande, den unterschiedlichen Entwicklungsstand von zwei Rechtsebenen zu synchronisieren und nicht das Ob, sondern das Wann einer Geltung und eines Vorrangs zu bestimmen. Zugleich ist die Solange-Formel für die Staaten auch ein potentiell in Zukunft verwendbares Instrument, mit dem sie – in Umkehrung der sonst üblichen rechtlichen Einflussrichtung – von der sich entwickelnden Gemeinschaft die Einhaltung von Standards fordern kann, die sich in der langen Tradition der Staaten ergeben haben.

nicht nur aus einem binnenjuristischen Kontext erklären, und solch weitreichende Weichenstellungen sind nicht immer möglich. Auf Lüth und Costa v ENEL sind keine vergleichbaren Türöffner gefolgt. 13 Der Schritt vom völkerrechtlichen zu einem supranationalen Verständnis der EWG betont die Einheit, welche die einzelnen Bürgerinnen und Bürger politisch direkt anspricht. Das Verständnis der Rechtsordnung als supranational erscheint vermutlich in der ex post-Perspektive naheliegend, es war aber seinerzeit nicht alternativlos, und was der EuGH in Form von Richterrecht „interpretierte“, war im Ergebnis eine immense Kompetenzerweiterung für die EWG und das Gericht selbst. 14 BVerfGE 37, 271 – Solange I. 15 BVerfGE 73, 339 (376) – Solange II. 16 BVerfGE 89, 155 ff. – Maastricht; BVerfGE 123, 267 (268) LS 4 , 253 ff. – Lissabon.

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2. Europäisierung als Begriff und Leitverständnis seit den 80er Jahren Eine andere Wahrnehmung und eine gesteigerte Aufmerksamkeit spiegeln sich in den 80er Jahren in dem neuen Begriff der Europäisierung.17 Die rasche Karriere dieses Begriffs beweist eine Bewusstseinsveränderung, nämlich die, dass das Gemeinschaftsrecht im Alltagserleben von Rechtswissenschaft und Praxis des Rechts „ernst genommen“ und zugleich die Existenz eines eigenständigen Gemeinschaftsrechts endgültig zur Kenntnis genommen wurde, das auch in das Verwaltungs- und Verfassungsrecht einwirkt und zwar mit Vorranganspruch. „Europäisierung“ wurde zum einen als Generalbegriff für den gesamten Entwicklungsprozess verwendet, für einen Fundamentalprozess.18 „Europäisierung“ tauchte zum anderen vor allem bei den einzelnen Rechtsgebieten auf: Europäisierung war ubiquitär und damit auch alltäglich geworden: Europäisierung des Umweltrechts, des Abfallrechts, des Verwaltungsverfahrensrechts, des Verwaltungsprozesses usw. Nach einer Weile fand es schon gar keine größere Aufmerksamkeit mehr, wenn weitere Gebiete unter diesem „Ehrentitel“ behandelt wurden, Europäisierung ist zu einem Normaltitel nahezu jeden Rechtsgebietes geworden. Dem sehr geläufig gewordenen Begriff der Europäisierung liegt ein spezifisches Denken zugrunde. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht das als isoliert und trotz aller Einwirkungen getrennt gedachte deutsche bzw. mitgliedsstaatliche Recht. Das Europäisierungsdenken ist um Veränderungen und Einwirkungen zentriert. Es sieht aber diese Veränderungen typischerweise nur von der Seite des staatlichen Rechts aus, also aus einer Perspektive, die man als Betroffenheitsperspektive bezeichnen kann.19 Beim Europäisierungsansatz interessiert weniger das europäische Recht (im Sinne des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts), als vielmehr das zu europaisierende bzw. das europäisierte deutsche Recht.20 17 Zur Europäisierung als Fundamentalvorgang Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 94 ff., 101 ff.; ders., Europäisierung: Die miteinander verbundenen Entwicklungen von Rechtsordnungen als ganzen, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 869 (870): „markiert eine Schwelle der Wahrnehmung und zwar des systematischen Charakters des Vorgangs“. – Früh Rengeling (Hrsg.), Europäisierung des Rechts 1996; grundlegend von Danwitz (FN 6), insb. Teil 3 und 4; Ruffert, Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: von Bogdandy/Cassese/Huber (Hrsg.), Ius Publicum Europaeum, Band V, 2011, § 95; Mangold (FN 4), S. 21 ff., 31 ff. (Grundlagen der Europäisierung), S. 301 ff. (Die Europäisierung der drei Gewalten). 18 Dazu Wahl, Herausforderungen (FN 17), S. 94 ff. – Ähnlich die Charakterisierung von Battis, DÖV 2001, S. 988 ff., der damit eine der berühmtesten Formeln der Entwicklung des Öffentlichen Rechts nach 1949 variierte, nämlich die Formel vom Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht (Fritz Werner). 19 Die Opfermetapher bei Basedow (FN 2). 20 Die Unterscheidung zwischen dem europäischen Recht und dem europäisierten mitgliedsstaatlichen Recht ist grundlegend. Sie führt auch zu zwei Arten von Periodizierung: den Entwicklungsphasen des Gemeinschafts-/Unionsrechts einerseits und den Phasen der Euro-

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Der Gebrauch des Begriffs „Europäisierung“ geht meist über bloße Beschreibung hinaus, der Begriff trägt durchaus wertende Akzente mit sich. In einer defensiven Sicht verbindet sich die bloße Beschreibung mit der Sorge um den (Weiter)Bestand des staatlichen Rechts, um die Erhaltung seiner in einer langen Entwicklung gewachsenen Systematik21 und um seine weitestgehende Autonomie. Die Formel könnte lauten: Einwirkungen ja, aber nur in einer für das staatliche Recht quantitativ und qualitativ kompatiblen und verträglichen Weise (mitgliedstaaten-verträgliche Einwirkungen). In einer anderen, positiven und entwicklungsoffeneren Variante umgreift das Europäisierungskonzept alle Veränderungen im Recht, die durch die Grundsatzentscheidung für die europäische Integration bewirkt sind, die also das ursprüngliche autonome staatliche Recht in eine Gemengelage mit dem – vorrangigen – europäischen Recht bringt.22 In beiden Varianten ist Bezugspunkt jedoch das (mitglied)staatliche Recht. Konsequenterweise kommt bei diesem Verständnis das europäische Recht erst ins Blickfeld, wenn es als verabschiedete Richtlinie23 vorliegt und sich kraft des Vorrangs und kraft der Umsetzungsverpflichtung auf das mitgliedsstaatliche Recht auswirkt. Aus dem Gesamtvorgang von Entstehung und Wirkung des Unionsrecht gerät also nur die zweite Hälfte der Wirkungen ins Blickfeld (dazu unten). Als Wendepunkt im Bewusstwerden von der Europäisierung kann im Öffentlichen Recht die Umsetzungsdiskussion zur UVP-Richtlinie24 gelten. Hier kam nicht die eine oder andere Vorschrift zum deutschen Recht hinzu, hier wurde nicht nur ein Standard des Umweltrechts verändert, etwa der Wert über die erlaubten Emissionen des einen oder andern Stoffes, sondern es handelte sich um grundlegende, weil päisierung bzw. ihrer Wahrnehmung andererseits. Zur Periodizierung des europäischen (Verwaltungs)Rechts Schmidt-Aßmann, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts: Einleitende Problemsskizze, in: ders./Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 9 (10 ff.); zur Periodizierung der Europäisierung und ihrer Wahrnehmung Mangold (FN 4), S. 232 ff. , 236 ff. 21 Die Systemfrage (für das mitgliedsstaatliche Recht) ist nicht nur im Zusammenhang mit der im Text erwähnten Defensivhaltung zu stellen, sie bleibt auch im Rahmen des unter IV. und V. erörterten Konzepts des föderal gegliederten europäischen Rechtsraums wichtig, weil das Recht in diesem Rechtsraum auch von den Leistungen und der Qualität der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen lebt. – Zur bisherigen Diskussion insb. Danwitz (FN 6); vgl. auch Wahl, Europäisierung (FN 17), S. 869 ff., 874, 882, 883 (die Systemfrage für das mitgliedsstaatliche Recht). 22 Ähnlich Lepsius, Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode? Oder: Die zwei Phasen der Europäisierung des Verwaltungsrechts, in: Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/ Reimer (Hrsg.), Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase. Systembildung – Disziplinierung – Internationalisierung, 2011, S. 179 (190 ff.), der eine zeitliche Reihenfolge in der Wahrnehmung der Europäisierung von der systembewahrenden Skepsis (1. Phase) zur systemöffnenden Neugier (2. Phase) sieht. 23 Was für Richtlinien immer gilt, trifft auch auf Verordnungen zu, die in Einzelheiten noch ergänzungsbedürftig sind. 24 Richtlinie 85/337/EWG des Rats der Europäischen Gemeinschaften vom 27. 06. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L, S. 40), sog. UVP-RL.

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systembezogene Änderungen des deutschen Umweltrechts.25 Die UVP-Richtlinie verfolgte ein weitreichendes Konzept für eine ausgeweitete Öffentlichkeitsbeteilung und eine gesamthafte Betrachtung der Umweltauswirkungen. Bei der Umsetzung ging es also nicht nur um die anpassende Übernahme von einzelnen Regelungen, sondern um Änderungen des systematischen Gefüges. Strukturen des deutschen Rechts mussten geändert werden – es war schnell klar, dass dies Auswirkungen und Fernwirkungen auf weitere Gebiete haben würde26 und dass es nicht nur punktuelle inselförmige Neuerungen zu übernehmen galt, sondern einen Systemansatz, der fortwährend Neues hervorbringen musste und dies auch tat.27 In der Debatte um die Umweltverträglichkeitsprüfung erlebte das deutsche Öffentliche Recht eine „unsanfte Erweckung aus dem Dornröschenschlaf“.28 Die UVP-Richtlinie wurde anfangs stark kritisiert und sogar mit Empörung bedacht, das Gemeinschaftsrecht als Angriff auf das doch wohldurchdachte und traditionsreiche staatliche Recht verstanden. Dies alles war verständlich, aber fruchtlos. Am Umweltverträglichkeitsthema war zu lernen, dass das Gemeinschaftsrecht auch die Strukturen des staatlichen Rechts verändern kann (und dies bei 27 unterschiedlichen Rechtsordnungen zwangsläufig auch tut), dass das europäische Recht das mitgliedstaatliche Recht regelmäßig mit anderen Systembausteinen, neuen Rechtsgedanken und Rechtsfiguren konfrontiert. Am Exempel der UVP-Richtlinie wurde der Unterschied zwischen punktuellen Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts einerseits und systemischen Auswirkungen andererseits deutlich. II. Was fehlt beim Europäisierungsparadigma? So viel der Begriff der Europäisierung zur realistischen Wahrnehmung der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts beigetragen hat, so hat er doch auch seine Schwächen und Verengungen. Es kann nicht überraschen, dass die neuere Literatur auf diese mit Erweiterungen29 und Vertiefungen reagiert hat. Jüngst hat Oliver Lep-

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Mangold (FN 4), S. 236 f. (mit Nachweisen in FN 22). Anschaulich dargestellt von Mangold (FN 4), S. 237: aus Anlass der Umsetzung der UVP-Richtlinie waren „viele voraussetzungsvolle Grundsätze des Gemeinschaftsrechts aufzuarbeiten“, z. B. die Rechtsnatur von Richtlinien, deren unmittelbare Anwendbarkeit, generell das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu staatlichem Recht. 27 Wahl, Das deutsche Genehmigungs- und Umweltrecht unter Anpassungsdruck, in: Dolde (Hrsg.) Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 237 ff. 28 Formulierung Mangold (FN 4), S. 237. 29 Wahl, Europäisierung (FN 17), S. 869 (Abschnittsüberschrift: „Notwendigkeit der Erweiterung des Begriffsverständnisses“), und Mangold (FN 4), S. 21 ff.: Europäisierung nicht nur bloße Veränderung von Normtexten, sondern die faktische Veränderung der Staatsgewalt; Europäisierung nicht nur bloßer Wandel einzelner Rechtsgebiete, sondern Wandel der gesamten Rechtsordnung; Europäisierung nicht nur einseitiger Vorgang, sondern wechselseitige Beeinflussung. 26

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sius von den „zwei Phasen der Europäisierung“ gesprochen.30 Er geht unter dem Stichwort der Neuorientierung Veränderungen nach, die die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft vollziehen müsse, wenn sie die Prozesse der Europäisierung erfolgversprechend verarbeiten wolle. In der anregenden und weiterführenden Heidelberger Publikation „Das Europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase“31 werden gleichermaßen Entwicklungslinien des Europäischen Verwaltungsrechts wie auch Grundprobleme der Europäisierung behandelt.32 Dieser zweifache Blick sowohl auf das europäische wie auf das europäisierte mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht ist ein unerlässlicher und richtiger Schritt, weil er den komplexen Gesamtvorgang von seinen beiden zusammengehörenden Seiten her, wenn auch noch in getrennter Analyse, betrachtet. Die folgenden Überlegungen schließen sich dem an. Sie wollen aber in einem weiteren Schritt das Ganze des Rechts in Europa, das aus EU-Recht und europäisiertem mitgliedstaatlichem Recht besteht, in den Mittelpunkt stellen (dazu unten III. bis V.). Dieser Ansatz will die Selbstbezogenheit der nationalen (Europäisierungs-)Diskussion auf das mitgliedsstaatliche Recht ebenso überwinden wie die nicht minder ausgeprägte Selbstbezogenheit einer Europarechtswissenschaft, die beim Stichwort: Recht in Europa nur an das Recht der EU (und der EMRK) denkt. Zunächst aber interessieren die Verengungen der ursprünglichen Europäisierungsdiskussion. 1. Zeitliche Verengung Eine (prinzipielle) Verengung ist schon im Grundverständnis des Europäisierungskonzepts enthalten. Wie erwähnt, bildet sein Zentrum das grundsätzlich als getrennt und in sich stehend gedachte deutsche Recht. Dieses unterliegt „Einwirkungen“ durch (Verordnungen oder) Richtlinien, die es in der Umsetzungsphase zu verarbeiten, nicht selten zu minimieren gilt, damit das eigenständige deutsche Recht nicht zu sehr betroffen wird. Außerdem – und dies ist hier wichtig – versteht man das Produkt der Umsetzung als deutsches Recht, das sich von anderem, autonom vom deutschen Gesetzgeber erlassenen Recht nicht unterscheide. Richtig ist daran natürlich, dass durch die Umsetzung ein deutsches Gesetz, verabschiedet von Bundestag und Bundesrat, entsteht, publiziert wird dieses Gesetz zudem im deutschen Gesetzblatt. Allerdings gibt es Besonderheiten beim umgesetzten Recht, es ist ein

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Lepsius (FN 22), S. 190 ff. – Ähnlich spricht Hermes, Europäisierung und Internationalisierung des Verwaltungsverfahrens, in: Appel/Hermes/Schönberger (Hrsg.), FS Wahl, 2011, S. 689 (701) von einer früheren „ersten Welle der Beschäftigung mit der Europäisierung des Verwaltungsrechts“, die heute nicht mehr nachgezeichnet werden müsse. 31 Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (FN 22). 32 Einerseits Mager, Entwicklungslinien des Europäischen Verwaltungsrechts (S. 11 ff.), andererseits Kahl, Die Europäisierung des Verwaltungsrechts als Herausforderung an Systembildung und Kodifikationsidee (S. 39 ff.); Lepsius/Ruffert, Hat die Europäisierung Methode? (FN 22), S. 179 ff.; 205 ff.; Schmidt-Aßmann, Perspektiven der Europäisierung des Verwaltungsrechts, S. 263 ff.

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eigenständiger Typus des staatlichen Rechts.33 Es ist nämlich auch nach der Umsetzung noch an das Unionsrecht „angeseilt“ und rechtlich von diesem abhängig: Es muss im Sinne des EU-Rechts, also europarechtskonform, ausgelegt werden. Wenn der EuGH die Ursprungs-Richtlinie auslegt, etwa in einem Fall aus dem niederländischen oder polnischen Recht, dann ist diese Auslegung auch für die Anwendung des deutschen Rechts vorbildlich und verbindlich. Änderte der EuGH später ausdrücklich die Auslegung der Richtlinie, dann wäre dies selbstverständlich für die deutsche Rechtspraxis ebenso verbindlich. Die inhaltliche Abhängigkeit des mitgliedstaatlichen Rechts von der Richtlinie endet nicht mit ihrer Umsetzung. 2. Sachlich-inhaltliche Verengung Die Kennzeichnung des Gesamtvorgangs der Europäisierung als Fundamentalvorgang erhält noch mehr Berechtigung, erweitert man die Perspektive. Dabei ist die Grundvorstellung des Einwirkens und Veränderns noch einmal grundsätzlich auszuweiten. Das, was von der Ebene der EU auf das staatliche Recht einwirkt, sind nicht nur einzelne Rechtsvorschriften oder Rechtsinstitute, sondern es ist weit mehr, nämlich alles, was eine Rechtsordnung ausmacht. Auf der Ebene der EU ist längst mehr als eine Riesenansammlung von vielen Rechtsregeln entstanden. Stattdessen finden wir eine vollständige Rechtsordnung, die alle Dimensionen einer Rechtsordnung ausgebildet hat, namentlich ein eigenes Methodenverständnis,34 eigene Interpretationsweisen usw. – dies alles in potentiell eigenständiger, vom jeweiligen mitgliedsstaatlichen Recht35 abweichender Ausprägung.36 Und deshalb wirkt alles, was Recht ist, auch auf das mitgliedsstaatliche Recht ein und kann dort seinerseits alle Dimensionen des Rechts verändernd beeinflussen, in sehr unterschiedlicher Weise, teils in „harter“, teils in „weicher“ Weise. Man kann dies als Europäisierung jenseits oder außerhalb des Vorrangs kennzeichnen.37 Die hier einschlägigen Wechselwirkungen beziehen sich auf die Methoden und Auslegungsgrundsätze, auf die Gewichtsverteilung von Dogmatik, Systematik, Methodik und „Theorie“. Nicht 33 Wahl, Europäisierung (FN 17), S. 888 f.; Funke, Umsetzungsrecht, Zum Verhältnis von internationaler Sekundärrechtssetzung und deutscher Gesetzgebungsgewalt, 2010; Mangold (FN 4), S. 457 ff. 34 Das Thema wird ausführlicher erörtert von Lepsius/Ruffert, Hat die Europäisierung des Verwaltungsrechts Methode?, in: Axer/Grzeszick/Kahl/Mager/Reimer (FN 22), S. 179 ff., 205 ff., 205 ff. (208 f.). 35 Und in einem geringeren Umfang auch bei der EMRK. 36 Es ist nicht so, dass sich mitgliedsstaatliches und europäisches Recht nur im Inhalt der Vorschriften unterscheiden oder unterscheiden können. Auch in den Grundlagen des Rechts, in der Art, wie interpretiert, wie methodisch vorgegangen wird – in all diesen Hinsichten ist mit eigenständigen Ausprägungen auf der EU-Ebene zu rechnen. Mit anderen Worten: Die Grundlagen des Rechts sind nicht, weil sie Grundlagen sind, allgemein, sondern auch sie können sich unterscheiden. 37 Wahl, Europeanisation beyond Supremacy, in: Wouters/Nollkaemper/de Wet (Hrsg.), The Europeanisation of International Law. The Status of International Law in the EU and the Member States, The Hague 2008, S. 17 ff., und ders. (FN 17), S. 885.

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nur in den Inhalten, sondern auch in der Herangehensweise an das Recht findet wechselseitiges Kennenlernen, Dialog und Austausch, auch Kritik statt.38 Ein Fall aus der Gerichtspraxis mag dies verdeutlichen. In einem Fall musste das BVerwG eine Kollision zwischen zwei gleichermaßen einschlägigen EU-Richtlinien auflösen, eine übliche Aufgabe für Richter. Das BVerfG39 rügte: Das BVerwG habe über die Normenkollision nach Grundsätzen entschieden, die es dem deutschen Recht entnommen habe (also nach Priorität und Spezialität). Richtigerweise wäre das BVerwG verpflichtet gewesen, nach Kollisionsregeln im europäischen Recht Ausschau zu halten und eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Die These der Entscheidung ist klar: Auch elementare Auslegungsgrundsätze können im Unionsrecht anders verstanden werden als im deutschen, mit einer solchen Diskrepanz ist immer zu rechnen.40 In diesem Verständnis des Zusammen- und Aufeinandereinwirkens von zwei Rechtsordnungen als Ganzen ist der Horizont des Europäisierungskonzepts in Wahrheit schon überschritten. Deshalb hatte die jüngere Literatur auch schon Erweiterungen an ihm vorgenommen und gewissermaßen ein Europäisierungskonzept im weitesten Sinne vertreten.41 Letztlich sind aber noch weitergehende Schritte zu einem angemessenen Verständnis der Entwicklung notwendig. Die oben angestellte Analyse verweist nämlich auf das Bestehen von zwei Rechtsordnungen und auf ihr wechselseitiges Verhältnis. Dafür habe ich Begriffe wie „Begegnung zweier Rechtsordnungen“ oder „Ko-Evolution zweier Rechtsordnungen“ vorgeschlagen.42 Der Blick löst sich und muss sich lösen von der Beobachtung nur einer Rechtsordnung, im Beispiel der deutschen Rechtsordnung, die von der Union her gewissen Einflüssen unterliegt. Fundamental ist, dass von einem wechselseitigen Verhältnis ausgegangen wird, dass die Entstehungsprozesse des Unionsrechts aus den nationalen Rechten heraus als wichtige und, wie sich sogleich zeigen wird, zentrale Analysefelder erkannt werden. Eine explizite Weiterentwicklung sowohl im Begrifflichen wie im Konzeptionellen hat jüngst Arnim von Bogdandy mit der These vorgenommen: „Die Phase der schlichten Europäisierung der nationalen Rechtsordnungen ist inso-

38 Ein Aufsatz oder vielmehr Aufschrei wie derjenige von Hailbronner, NJW 2004, S. 2185 ff. zeigt, dass mehr noch als die Ergebnisse der Judikatur des EuGH die von ihm praktizierte Auslegungsmethode irritiert – in dieser Kritik zeigt sich die Bedeutung der Methodik. 39 BVerfG (Kammer) v. 9. 1. 2001, Az.: 1 BvR 1036/99 (abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de, dann Entscheidungen und Datum). 40 Wahl, Europäisierung (FN 17), S. 890 ff. – Zur Pluralität der Methodenverständnisse im horizontalen Vergleich zwischen den einzelnen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen Ruffert (FN 32), S. 208 f. 41 Dazu die Nachweise oben FN 29 und 30. 42 Wahl, Europäisierung (FN 17), S. 889.

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weit beendet, dass sie zu einem neuen Zustand geführt hat, den der Begriff des europäischen Rechtsraums anschaulich beschreibt.“43 Darauf ist zurückzukommen. 3. Die überragende Bedeutung der Rechtsbildungsprozesse im Unionsrecht Eine vertiefende Betrachtung bedarf des eben gebrauchten Ausdrucks von den Wechselbeziehungen zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht. Ist diese Redensart berechtigt? Selbstverständlich ist, dass die vertikale Richtung von der Union zu den Mitgliedsstaaten von klaren rechtlichen Einwirkungen, vom berühmten Vorrang des Unionsrechts beherrscht wird. Gibt es Vergleichbares auch in der Gegenrichtung? Das Denken in der Europäisierung von nationalen Rechtsgebieten tendiert zur Konzentration auf die vertikal-absteigende Richtung vom Gemeinschaftsrecht hin zum mitgliedsstaatlichen Recht. Selten wird die erste Hälfte des Gesamtprozesses, nämlich die Einflüsse einzelner mitgliedstaatlicher Institute und Prinzipien auf das Gemeinschaftsrecht bedacht und mehr als nur verbal einbezogen.44 Es liegt auf der Hand, dass das Gemeinschaftsrecht einen beträchtlichen Teil seiner Quellen in den mitgliedstaatlichen Rechten hat, und dass demzufolge die Rechtsentstehung in der EU zu einem großen Teil45 auch ein Wettbewerb zwischen den verschiedenen einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen darüber ist, welche sich im endgültigen EU-Recht mehr als andere verwirklicht oder wiederfindet. Wer die Rolle des mitgliedstaatlichen Rechts im größeren europäischen Zusammenhang bestimmen will, muss sich auf diesen Teil der Rechtsentstehung und Rechtsbildung konzentrieren. Hier werden die Weichen gestellt, nicht erst bei der Umsetzung.46 Es ist aber für die vorherrschende Europäisierungsdiskussion typisch, dass sie mit diesen Prozessen der aufsteigenden Linie, mit diesen Einflüssen aus dem mitgliedsstaatlichen Recht in

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V. Bogdandy, JZ 2011, S. 1 (2). Das Zitat geht weiter: „Wenngleich die europäische Überformung in aller Regel nicht kodifikatorisch, sondern ,pointillistisch‘ erfolgt, so ist doch in einer Reihe von Rechtsgebieten die gemeinsame europäische Rechtschicht inzwischen breiter als in den Vereinigten Staaten. Diese neue Qualität zeigt anschaulich der Singular Rechtsraum.“ Vgl. auch ders., Das deutsche öffentliche Recht im europäischen Rechtsraum. Überlegungen zur disziplinären Fortentwicklung, in: FS Wahl (FN 30), S. 651 ff. 44 Dass diese aufsteigende Einflussrichtung vergleichsweise wenig und dann nur ausschnittsweise analysiert wird, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich die Bildung des Gemeinschaftsrechts aus zahlreichen Einflüssen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht in den Bahnen des Rechts, sondern denen der Rechtspolitik vollzieht. Zudem ist zwischen der Rechtssetzung und dem Richterrecht zu unterscheiden. Eine wichtige Studie ist Neidhardt, Nationale Rechtsinstitute als Bausteine europäischen Verwaltungsrechts: Rezeption und Wandel zwischen Konvergenz und Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2007. 45 Selbstverständlich gibt es auch einen wachsenden Anteil von genuin europäischen Rechtsgedanken, -instituten und -figuren. 46 So schon Wahl (FN 27), S. 253 f.

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das werdende Unionsrecht hinein wenig anfangen kann – und dass sie, dies ist folgenreich, deshalb zu wenig Einfluss auf die Rechtspolitik im Vorfeld nimmt. Dieses charakteristische Desinteresse an der Rechtsbildung, die als bloße VorfeldProzesse (miss)verstanden werden, ist aus einem positivistischen Verständnis von Recht an sich verständlich. In dieser Perspektive sind die Felder der Rechtspolitik, in denen das neue Recht noch nicht vorhanden, sondern erst im Werden ist, uninteressant, es wirkt ja noch nicht das eine (positive) Recht auf das andere (positive) Recht ein. Aber die Ausklammerung der Rechtsentstehungsprozesse in der aufsteigenden Linie ist kontraproduktiv, mehr noch, sie ist kurzsichtig und schädlich. Was nützt es, nach der Verabschiedung einer Richtlinie zu kritisieren, dass sie in die gewachsene Systematik des deutschen Rechts eingreife, wenn man sich vorher nicht an den rechtspolitischen Diskussionen beteiligt und für eine andere Gestaltung argumentiert hat? Die Interessenverbände sind in Brüssel, im Umfeld der Kommission und des Europäischen Parlaments, durchaus aktiv. Was weithin fehlt, ist die Beteiligung der nationalen Politik und der Rechtswissenschaft. Letztere müsste die in den nationalen Gesetzgebungsprozessen so ausgiebig vorgelegten rechtspolitischen Beiträge auf die erste Phase der unionalen Rechtssetzung vorverlagern.47 In der Umsetzungsphase gibt es zwar einige Spielräume zu alternativer Konkretisierung. Entscheidend aber ist, dass die Umsetzung durch den Vorrang des Unionsrechts beherrscht ist. Ausgedehnte nationale Diskussionen über die Ziele der schon erlassenen Richtlinie sind nutz- und zwecklos. Wenn in der nationalen Umsetzungsdiskussion so getan wird, als ob Wesentliches noch zu entscheiden wäre, so ist dies eine Illusion, eine Als-Ob-Diskussion. Keine noch so intensive und gehaltvolle Diskussion im Mitgliedstaat kann an der verabschiedeten Richtlinie etwas ändern. Dieser Versuch ist vergebliche Liebesmühe, die Würfel sind gefallen. Wer mit gestalten will, muss früher aufstehen sowohl in der Rechtspolitik als auch in der Rechtswissenschaft. Das Gebot der Stunde für die Wissenschaft vom Öffentlichen Recht48 ist nichts mehr und nichts weniger als ein grundsätzliches Umschalten von der vorherrschenden Defensivhaltung auf den Willen zur Mitgestaltung in der Rechtspolitik.49 Die Fixierung auf die Europäisierungsthematik befördert eine Verhaltensweise der Defensive oder Passivität. Man wartet, bis von der EU eine „Einwirkung“ kommt, und ver47 Wird die Forderung nach rechtspolitischer Aktivität erhoben, so erwartet die Rechtswissenschaft nichts Neues oder Umstürzendes: Der Blick auf die (Zeitschriften) Literatur zeigt, dass fast jede Gesetzesänderung von einer beachtlichen Zahl von Aufsätzen begleitet wird, in denen zum Teil die rechtspolitischen Ziele, zum größeren Teil die Stimmigkeit innerhalb der vorhandenen Dogmatik diskutiert wird. Dass ausdrücklich geäußerte dogmatische Selbstverständnis der deutschen Rechtswissenschaftler hindert in praxi nicht an ausgeprägter rechtspolitischer Diskussion. 48 „Wissenschaft vom Öffentlichen Recht“ umfasst auch hier den immer schon praktizierten rechtspolitischen Anteil (s. FN 47). 49 Das umfassende Postulat eines Gestaltungsprinzips bei v. Bogdandy, in: FS Wahl (FN 43), S. 660: Das Gestaltungsprinzip „verlangt, die mitgliedsstaatliche Rechtsordnung stets auch aus einer Perspektive der Gestaltung des europäischen Rechtsraums zu konzipieren“.

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sucht dann, sie zu verarbeiten bzw. die Richtlinie in der Umsetzung zu minimieren oder gar entgleisen zu lassen. Außerdem entzieht sich dieses Europäisierungsdenken, das immer nur auf die eine staatliche Rechtsordnung schaut, wo es doch in der Realität 27 solcher mitgliedsstaatlicher Rechtsordnungen gibt, der eigentlichen Herausforderung, nämlich das Verhältnis zwischen den Rechtsordnungen der Staaten und der EU im Grundsatz zu bestimmen und über die bloße Beschreibung als eines Neben- und Ineinanders hinauszugelangen. Statt passiven Abwartens ist eine aktive, vorausschauende Haltung notwendig, die das Fundamentalphänomen der Verflechtung zwischen EU und nationalem Recht an der Wurzel packt, dort wo die Verflechtung gesteuert wird, nämlich bei der Rechtsbildung in der Union. Brüssel und Straßburg sind die Hauptzentren der Rechtsbildung, nicht Berlin, und deshalb ist die Weichen stellende Phase natürlich nicht erst die Umsetzungsphase. Die Mitgestaltung bei der Entstehung des Unionsrechts ist die Stunde der rechtspolitisch engagierten Juristinnen und Juristen – zumindest müsste sie es sein. Defizitär ist dabei, um es zu wiederholen, die Rolle der genuin (rechts)politisch handelnden Politik in den Parteien – sie schaltet sich meist erst nach der Verabschiedung von Richtlinien und damit viel zu spät ein. Defizitär ist auch der Anteil der Rechtswissenschaft an den Prozessen der europäischen Rechtsentstehung. Wen der Inhalt und die Qualität des deutschen Rechts interessiert, darf im europäisierten Bereich nicht erst in der zweiten Phase des zweistufigen Gesamt-Entstehungsprozesses einsteigen. Man muss sich in diesem Zusammenhang nur vor Augen führen, dass kein Mitgliedstaat der EU es jemals vermocht hätte, eine verabschiedete Richtlinie bei der Umsetzung auszuhebeln oder sich ihrem Vorrang zu entziehen. Immer dann, wenn das Verhältnis vorrangiger Richtlinien zum nachrangigen Umsetzungsgesetz auf den Tisch des EuGH kam, haben die Mitgliedsstaaten „verloren“. III. Das missglückte Beispiel einer unwilligen Umsetzung: Die Verbandsklage vor dem EuGH Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass eine nationale Defensivhaltung gegenüber europäischem Richtlinienrecht ohne Erfolg bleiben würde, so hätte dies in den letzten Jahren die Thematik der Verbandsklage gezeigt, bei dem die deutsche Defensivhaltung zu einem Desaster vor dem EuGH geführt hat. Das Beispiel der in Deutschland höchst unwillkommenen, im Unionsrecht und in der Aarhus-Konvention aber fest verankerten Verbandsklage50 zeigt die Erfolglosigkeit nationaler Defensivhaltung in geradezu klassischer Weise: Die lange und leidvolle Entstehungsgeschichte des sog. Rechtsbehelfesgesetzes51 liest sich wie die Chronik einer angekündigten Niederlage vor dem EuGH, die dann auch mit dem Trianel-Urteil vom 50 Grundsätzlich zur Verbandsklage die frühe klassische Darstellung von Rehbinder/Burgbacher/Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, 1972; Koch, NwVZ 2007, S. 369 ff. 51 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG) v. 7. 12. 2006 (BGBl. I, S. 2816).

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12. Juni 2011 kam.52 Während der völkerrechtliche Vertrag und die europäischen Richtlinien einen „weiten Zugang zu den Gerichten“ verlangten, gab der deutsche Gesetzgeber zwar eine Verbandsklage, höhlte sie aber inhaltlich weitgehend aus. Bekannt ist, dass das deutsche Prozessrecht und das deutsche Umweltrecht jahrzehntelang eine äußerst abwehrende, nur widerwillig einige wenige Anwendungsfälle hinnehmende Einstellung gegenüber der Verbandsklage gehabt haben.53 Für diese Haltung war eine Allianz von dogmatischen Übersteigerungen54 und der ganz realen und intensiven Interessendurchsetzung etwa durch die deutsche Industrie, die sich immer vehement gegen die Verbandklage einsetzte, verantwortlich. Diese Linie setzte sich dann überraschenderweise auch noch fort, nachdem in jahrelangen Verhandlungen auf völkerrechtlicher Ebene die sog. Aarhus-Konvention verabschiedet war. Sie hatte u. a. das explizite Ziel, die Verbandsklage in Umweltangelegenheiten zu verstärken. Als völkerrechtliche und dann ins europäische Recht wörtlich übernommene Regelung war diese Konvention im Ziel eines möglichst breiten Zugangs zu den Gerichten eindeutig. Sie überließ aber bei der Durchführung den Vertragsstaaten, dieses klare Ziel auf einem ihrem jeweiligen dogmatischen Ansatz gemäßen Weg zu erreichen. Insofern gab es bei der Konvention und der entsprechenden Richtlinie Flexibilität, aber doch nur für den Weg, nicht im Grundsatz. Als man in Deutschland noch diskutierte, ob man die Konvention ratifizieren sollte, hatte die EU längst die Konvention gezeichnet, so dass jetzt der innereuropäische Gesetzgebungsmechanismus griff. Die EU erließ eine Richtlinie; an sie war Deutschland natürlich gebunden; so hat man denn auch selbst die Konvention ratifiziert. Der nächste Schritt war jetzt, umfangreich die Vorteile und Nachteile der Verbandsklage zu diskutieren – mit dem zu erwartenden binnendeutschen Ergebnis, dass die Vorbehalte gegen die Verbandsklage aufrechterhalten blieben. Ohne die Einzelheiten ausbreiten zu können, das ganze mündete in eine Gesetzgebung, über die man nur erstaunt sein konnte, denn es konnte eigentlich kein Zweifel bestehen, dass diese Vorschriften vor dem EuGH55 keinen Bestand haben würden. Der gesamte Vorgang der unwilligen und dabei fehlerhaften Umgehung ist ein Desaster und absolut schädlich, weil er in das so schwierige und sensible Feld der Zulassung von Großvorhaben eine bedeutende rechtliche Unsicherheit hineingetragen 52 Trianel Kohlekraftwerk GmbH: EuGH, NVwZ 2011, S. 801 ff. (mit Anm. Schlacke); weitere Anm. von Gärditz, DVBl. 2011, S. 757 ff., und Appel, NuR 2011, S. 423 ff. 53 Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), Rechtschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, 2005. Ausführliche Analyse und umfassende Literaturnachweise bei Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 161 – 232; Wahl, Klagebefugnis und Kontrolldichte, in: Kluth/Rennert (Hrsg.) Entwicklungen im Verwaltungsprozessrecht, 2008, S. 53 (63 ff.). Grundsätzlich zur Verbandsklage Rehbinder/Burgbacher/Knieper (FN 50); Koch (FN 50), S. 369 ff. 54 Die Garantie für den individuellen Rechtsschutz in Art. 19 IV GG wurde tendenziell in eine Ausschließlichkeit, sozusagen ein Monopol für den individuellen Rechtschutz umgedeutet. 55 Nachw. in FN 52.

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hat.56 Jetzt, nach dem Urteil des EuGH, ist bei den Gesetzesvorbeitungsorganen in Berlin guter Rat über das weitere Vorgehen teuer.57 Die Trianel-Entscheidung ist ein Exempel über die Nutzlosigkeit aller Überlegungen nach Erlass der Vorschriften und die geringe Bedeutung der Diskussionen in der Umsetzungsphase. Bleibt die große Frage, wie anders verfahren und vor allem gedacht werden müsste. Zur Abkürzung sei auf schon früher Gesagtes verwiesen.58 Wenn ein Rechtsgedanke oder ein Institut wie die Verbandsklage jahrelang die Rechtspolitik der EU bestimmt hat, wenn die EU auf die Verbandsklage nicht aus einem sporadischen Einfall gesetzt hat, sondern ihre Anwendung in einer hineichend oft verlautbarten Strategie angekündigt hat, dann macht es keinen Sinn, im deutschen Recht so zu tun, als ob es diese Strategie nicht gäbe und die deutsche Rechtsordnung die Verbandsklage weiterhin nur am Rande und nur für wenige Ausnahmefälle anerkennen könnte. Angesichts der verlautbarten generellen Strategie der EU muss das deutsche Recht darauf reagieren, und das Institut der Verbandsklage als ein in einem bestimmten Anwendungsbereich normales Regelungsinstitut aufnehmen. Im Weiteren geht es nicht darum, ob die deutsche Rechtswissenschaft und die deutsche Rechtspraxis die Verbandsklage gnädig akzeptieren wollen oder nicht. Sie ist längst (durch die AarhusKonvention und die entsprechenden EU-Richtlinien) im europäischen Recht akzeptiert und damit zugleich zum geltenden deutschen Recht geworden. Notwendig ist eine Erweiterung der deutschen Dogmatik zur Klagebefugnis und Kontrolldichte, in der neben der breiten Säule des individuellen Rechtschutzes eine zweite, zwar schmalere, aber ebenso reguläre Säule der Verbandsklage steht. Zu lesen ist derzeit aber Gegenteiliges, dass nämlich durch das Trianel-Urteil eine „Schieflage zwischen Verbandsklagerecht und Individualrechtschutz“ entstanden sei.59 IV. Die europäische Rechtsbildung als Laboratorium und als multilaterale Veranstaltung 1. Der multilaterale Charakter der europäischen Rechtsbildung Wer die Rechtsbildung und -entstehung in der EU als die entscheidende Schlüsselstelle ansehen will, die sie ist, muss sich auf einen Perspektivenwandel einstellen. 56 Man mag sich in manchem Rechtsgebieten der Methode trial and error bedienen und nach einem festgestellten Fehler das Recht oder die Praxis ändern: Diese Methode bei (Infrastruktur)Vorhaben anzuwenden, ist allerdings mehr als fahrlässig, weil man riskiert, dass sehr wichtige Vorhaben um Jahre zurückgeworfen werden. Bezogen auf die Verbandsklage und die davor liegende Verbandsbeteiligung: Was wiegt der Aufwand für verstärkte naturschutzrechtliche Untersuchungen gegen den hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand einer verlorenen Klage? 57 Berkemann, DVBl. 2011, S. 1253. 58 Wahl (FN 27), S. 237 (251 ff.). 59 So Leidinger, NVwZ 2011, S. 1345 ff. (der Autor ist Leiter Energierechtliche Grundsatzfragen/Kernenergierecht bei RWE-Power AG und Honorarprofessor an der Universität Bochum).

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Die europäische Rechtspolitik ist entscheidend für bedeutsame Teile des Rechts in Europa. Sie ist ein großes Rechtslaboratorium, in dem regelmäßig Neues entsteht (jedenfalls für eine oder mehrere der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen), und die europäische Rechtspolitik ist das maßgebende Rechtslaboratorium, in dem aus unterschiedlichen rechtspolitischen Vorstellungen der verschiedenen Mitgliedsstaaten positive Rechtsfiguren und -vorschriften ausformuliert werden.60 Verändert und ausgeweitet hat sich der Raum der Rechtspolitik. Der Such- und Denkraum der Rechtsentwicklung hat sich jetzt auf alle mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen (und auf die genuin europäischen Rechtsvorstellungen) erweitert. Mit einem neuen Zentrum oder einer neuen Mitte für die Bildung des Rechts ist zu rechnen. Insofern geht es bei dem postulierten Perspektivenwechsel nicht nur um eine einfache Verlagerung in der Zeitachse. In Frage steht nicht nur das Vorziehen einer bisher in der Umsetzungsphase zu spät geführten Diskussion nach vorne zur Entstehung des Rechts hin. Es handelt sich offensichtlich um eine ganz andere und qualitativ viel anspruchsvollere Debatte. Was häufig übersehen wird: Im Mittelpunkt steht nämlich überhaupt nicht nur ein bilaterales Verhältnis zwischen dem EU-Recht und (etwa) dem deutschen Recht, auf das die gesamte Europäisierungsdiskussion das Problemfeld verengte, sondern um das weitaus komplexere multilaterale Feld von 27 mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen (und zusätzlichen eigenständigen Impulsen aus dem Unionsrecht). Es geht um die Rechtsbildung im Horizont der verschiedenen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen, im Maximalfall im Horizont von 27 Rechtsordnungen, und den eigenständigen Rechtsideen und -instituten des unionalen Rechts. In diesem Rechtsbildungs-Laboratorium erfolgreich zu sein, verlangt viel mehr, als in den Gleisen und Selbstverständlichkeiten der deutschen Rechtsordnung zu argumentieren.61 Überhaupt kann die erforderliche Umorientierung nicht weitreichend genug verstanden werden. Die Rechtsbildung im europäischen Raum ins Blickfeld zu nehmen, heißt nicht nur, einen beträchtlich ausgeweiteten Raum der Rechtsgeltung zu betreten, sondern dieser Schritt vom nationalen zum supranationalen Recht verändert in vielem, wenn nicht in allem das gesamte Umfeld, in dem das Recht steht.62 Für deutsche Juristinnen und Juristen, seien sie Rechtswissenschaftler oder Rechtspraktiker der verschiedenen Berufe, ist es normal und selbstverständlich, dass sie sich an Diskussionen über das künftige Recht beteiligen, dass sie auch an den formellen Prozessen der Gesetzesvorbereitung in den Ministerien und der Gesetzesberatung in den Parlamentsausschüssen beteiligt sind. Mögen sich deutsche Rechts60 Ein Laboratorium sind die europäischen Rechtsbildungsprozesse auch deshalb, weil sich in einem Laboratorium das Ergebnis, der output, regelmäßig (stark) von den verschiedenen inputs unterscheidet: Dass in das Laboratorium deutsches Recht ebenso wie englisches oder spanisches Recht eingeht und eingehen kann, heißt natürlich nicht, dass am Ende eine Regelung herauskommt, die fast vollständig einem dieser Rechte entspricht. 61 Dazu jetzt grundsätzlich Jestaedt, JZ 2011, S. 1. 62 Zu dem hier verwendeten Konzept von law and context, Wahl, Die Rolle staatlicher Verfassungen angesichts der Europäisierung und der Internationalisierung, in: Vesting/Korioth (Hrsg.), Der Eigenwert des Verfassungsrechts, 2011, S. 355 (362 ff.).

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wissenschaftler und Praktiker in ihrem offiziellen Selbstverständnis vorwiegend als Dogmatiker und Interpreten des geltenden Rechts sehen – in der Rechtspraxis wirken alle mehr oder weniger auch an rechtspolitischen Diskursen und Prozessen mit.63 Dies gilt auch und gerade für die deutsche Rechtswissenschaft. Was sich insoweit in der deutschen Rechtsordnung und Gesetzgebungspraxis eingeübt und in einem aktiven Rollenprofil niedergeschlagen hat, ist jedoch nicht selbstverständlich und nicht alternativenlos. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass es die Rollenprofile und die wahrnehmbare Mitwirkung z. B. von Professor(inn)en in anderen europäischen Ländern nicht gibt. Und noch größer ist die Vermutung, dass die Gesetzesvorbereitungsprozesse in der EU in der engeren Brüsseler Praxis ganz anders strukturiert sind. Für die europäische Rechtspolitik stellt sich deshalb die Vorfrage, ob Rechtswissenschaftler(inn)en der einzelnen Mitgliedsstaaten überhaupt in nennenswerter Weise tatsächlich in die Gesetzesvorbereitung (i.w.S.) einbezogen sind und ob es Chancen der Änderung gibt. Es zeigt sich, dass das Denken in der europäischen Perspektive einerseits notwendig ist und Anpassungsleistungen der nationalen Juristinnen und Juristen in den verschiedenen Berufsrollen erfordert, dass aber andererseits solche Einstellungsänderungen nicht ausreichen, sondern dass strukturelle Eigenarten der europäischen Ebene zu beachten sind. Im Weiteren soll die für notwendig gehaltene Perspektivenänderung ein Stück weiter verfolgt werden. 2. Die Entwicklungspfade der verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen als Leitmotive im vielstimmigen Konzert Für eine aufgeklärte Diskussion kann es im europäischen Laboratorium nicht um eine Rundum-Verteidigung oder Rundum-Werbung für ein einzelnes mitgliedsstaatliches Recht gehen. In den europäischen Rechtsbildungsprozessen müssen die Juristinnen und Juristen, die in den Mitgliedsstaaten bisher national gedacht haben, außerdem verstehen, warum in den anderen Mitgliedsstaaten aus deren jeweiligen Tradition heraus anders argumentiert wird. Zudem müssen sie gelernt haben, in diesem vielstimmigen Konzert von unterschiedlichen Vor-Verständnissen mitzureden und den eigenen Entwicklungspfad des deutschen Rechts mit in das Gespräch zu bringen. Die erfolgversprechende Fragestellung ist dann nicht mehr, wie das vorhandene deutsche Recht vor Einwirkungen bewahrt werden kann, sondern geboten ist eine wesentlich neue Haltung, nämlich die, sich auf die gänzlich andere Fragestellung einzustellen, welche Teile des deutschen Rechts für einen Transfer auf die größere eu-

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Das vorherrschende dogmatische Denken macht sich für die deutsche Rechtswissenschaft in dieser rechtspolitischen Rolle darin bemerkbar, dass sie ihre Argumente für die Rechtspolitik aus der Dogmatik des bisherigen Rechts und dessen behaupteten Schwächen und Defiziten bezieht. Die sozusagen „freie“ rechtspolitische Argumentation, die im künftigen Recht politisch gesetzte Ziele verankern will, tritt demgegenüber in der Tat zurück.

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ropäische Ebene überhaupt geeignet erscheinen.64 Da es Eins-zu-Eins-Übernahmen normalerweise nicht geben wird, können die Regelungen eines Mitgliedsstaates nicht als solche, sondern meist nur in einer abstrakteren Form berücksichtigt werden, vorausgesetzt sie haben eine Eignung zum Transfer.65 Das mitgliedsstaatliche Recht muss sich also auf Transfergeeignetheit, „Allgemeinverträglichkeit“ und Kompatibilität mit den Vorstellungen anderer Rechtsordnungen befragen lassen. Und vor allem gilt: Was aus den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen kommt und kommen kann, sind Angebote zur Berücksichtigung des eigenen Rechts, nicht mehr. Um dabei erfolgversprechend argumentieren zu können, reicht es nicht, die bisherigen Traditionslinien des deutschen Rechts penibel herauszuarbeiten und zu erwarten, dass die anderen Mitgliedsstaaten dann gar nicht anders können, als diesen Vorstellungen zu folgen. Stattdessen müssen Rechtspraxis und Rechtswissenschaft ein Grundverständnis für das Recht aus den anderen großen Rechtsordnungen haben, vor allem aber müssen sie eine hochentwickelte Neugier für die anderen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen ausbilden. Wofür hier plädiert wird und was an Umstellung gefordert ist, kann man auch als Wandel von einem binnenorientierten Denken zu einem komplexeren Binnen- und Außenorientierung kombinierenden Sicht fassen. Das Mitwirken am europäischen Rechtsbildungslaboratorium ist so ein besonders auffälliges Beispiel für die schon früher geforderte Wendung von der Binnen- zur Außenorientierung (bzw. zur Kombination beider Sichtweisen).66 Dabei liegt es auf der Hand, dass keine Juristin, kein Jurist das Recht von 26 anderen Mitgliedsstaaten und dasjenige der EU überblicken kann. Jenseits solcher von vornherein utopischen Erwartungen geht es bei dieser Neugier um etwas Spezifisches, nämlich um ein Grundverständnis davon, was man den speziellen Entwicklungspfad der jeweiligen Rechtsordnung nennen kann.67 Dieser Grundgedanke bedarf noch der näheren Konkretisierung. In diesem Dialog zwischen und im Wettbe64

Diese Fragestellung zu Recht bei Gärditz, Europäisches Planungsrecht: Grundstrukturen eines Referenzgebietes des europäischen Verwaltungsrechts, 2009, insb. S. 123 ff. Die Studie beschäftigt sich mit dem europäischen Planungsrecht, das folgerichtig auch zunächst ausführlich dargestellt wird. Erst daraufhin folgen Überlegungen zur Europäisierung des deutschen Planungsrechts, um dann danach zu fragen, welche Teile oder Institute des deutschen Planungsrechts Chancen für eine Verallgemeinerung oder einen Transfer in das europäische Recht haben. Diese Fragestellung wird diejenige der Zukunft sein. 65 v. Bogdandy , JZ 2011 (FN 43), S. 4 plädiert in diesem Zusammenhang methodisch für die Prüfung, ob eine dogmatische Figur oder eine Rechtsfortbildung auf weitere Konstellationen passt und auch dort plausible, überzeugende Ergebnisse erbringt; er schließt daran die These an, dass der europäische Rechtsraum heute bei der dogmatischen Durchdringung und Fortbildung mitgliedsstaatlichen Rechts einen maßgeblichen Kontext der Verallgemeinerung bilden sollte. – Zur Transfergeeignetheit Gärditz (FN 64), S. 71 f. mit konkreten Beispielen (planerisches Abwägungsgebot) und S. 123 f. (dezentrale Planung und Vorbild der Planung im Bundesstaat für dezentrale, verbundförmige Planung). 66 Wahl, Der Staat, 38 (1999), S. 496 (496) (These), S. 513 ff. und ders., Herausforderungen (FN 17), S. 101 – 103. 67 Zum Konzept des Entwicklungspfades Wahl, Herausforderungen (FN 17), S. 13 f., 33, und ders., HGR I (FN 11), § 19 Rn. 16.

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werb unter den einzelnen Rechtsordnungen geht es nicht in erster Linie um den Vergleich der Fülle der einzelnen Rechtsvorschriften oder der einzelnen Rechtsinstitute der 27 Mitgliedsstaaten – wer sollte sie überblicken und wer sollte mit dem reichen inhaltlichen Regelungsbestand vertraut sein. Stattdessen werden in den rechtspolitischen Auseinandersetzungen mehr als alles andere die „Essentials“ des jeweiligen Rechts angeführt. Man beruft sich auf die Traditionen, die Bewährtheit von Regelungsmustern, auf Grundsätze, Entwicklungslinien, kurz auf das, was das jeweilige staatliche Recht zu dem gemacht hat, was es ist. Dies ist mit dem Leitbegriff des Entwicklungspfads gemeint. Wer damit im Wettbewerb der Rechtsordnungen argumentiert, will damit zum Ausdruck bringen, dass man zum Zwecke der Vereinheitlichung in der EU vieles vom positiven Recht des jeweiligen Staates aufgeben kann, dass es aber bei gewissen Grundlinien und durch lange Entwicklungen bestärkten Rechtsgrundsätzen anders aussieht, dass dort jedenfalls ein berechtigter Widerstand geleistet wird. Das Konzept des Entwicklungspfades lässt sich am einfachsten daran verdeutlichen, was ein ausländischer Beobachter und Dialogpartner über das deutsche Recht wissen sollte, damit die Argumente deutscher Juristen wenn nicht (schon) überzeugend, so doch verständlich werden. Wesentliche Elemente des Entwicklungspfades des deutschen Rechts mindestens seit 1949 sind: die große Verrechtlichung, die Expansion des Verfassungsverständnisses, die gleichzeitige Expansion des Grundrechtsverständnisses, das folgenreiche Verständnis des Verwaltungsrechts als konkretisiertes Verfassungsrecht, ein stark rechtschutzorientiertes Denken, eine Phobie gegenüber dem Ermessen.68 Alle diese Elemente sind Ausdruck eines Verrechtlichungsprogramms, sie sind im Zeichen eines großen Bedeutungszuwachses der Verfassung entstanden. Ausländische Beobachter(innen) können daraus auch entnehmen und verstehen, warum im deutschen Recht ein Anspruch des einzelnen auf eine Genehmigung bestehen muss, warum unbestimmte Begriffe grundsätzlich gerichtlich überprüfbar sein müssen. In dieser Fokussierung auf den Entwicklungspfad und die grundlegenden Gedanken einer Rechtsordnung müssten umgekehrt deutsche Juristinnen und Juristen, um bei der europäischen Rechtsbildung erfolgversprechend mitreden zu können, über andere Rechtsordnungen informiert sein, also z. B. über die (immer noch vorhandene) Relevanz des alten Grundsatzes der Parlamentssouveränität im Vereinigten Königreich oder in Frankreich. Nicht zu verkennen ist, dass die Arbeit in dem hier so bezeichneten Laboratorium ausgesprochene Schwierigkeiten mit sich bringt und neuartige Herausforderungen stellt. Es ist ein durchaus schwieriges und ungewohntes Terrain.69 Sicher ist aber: 68 Wahl (FN 66), S. 495 (496 ff.), und ausführlich ders., Herausforderungen (FN 17), S. 16 ff., 31 ff. 69 Eine veränderte Rolle der Rechtswissenschaft und beträchtliche Anpassungszwänge sieht Lepsius (FN 22), S. 201 ff., dessen durchgängig skeptische Überlegungen enden: „Kurzum: Die Beschäftigung mit der Methode bei der Europäisierung des Verwaltungsrechts löst weitere Fragen aus, nämlich solche, die die Zukunftsfähigkeit der deutschen Rechtswissenschaft in einer europäischen Demokratie betreffen.“ Man geht nicht fehl in der Vermutung,

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Diese Rechtsbildungsprozesse finden in einem Laboratorium statt, in dem Ideen aus den verschiedenen Mitgliedsstaaten70 eingebracht werden. Jede nationale Rechtswissenschaft und -praxis, die am Ende nicht von der fertigen Richtlinie überrascht werden will, muss an dieser Stelle rechtspolitisch mitdiskutieren. Wenn die neue Richtlinie zu Systembrüchen im eigenen Recht führen kann, dann müssen dieser Einwand und andere Folgenbetrachtungen frühzeitig in die europäischen Prozesse eingebracht werden – oder man wird von vornherein erfolglos bleiben. V. Der europäische Rechtsraum als zentrales Konzept Fehlt noch der letzte und wichtigste Schritt, der von der Beschreibung zur Theorie. Will man der Rechtsbildung den ihr zukommenden zentralen Platz innerhalb des Rechtsdiskurses zuweisen, dann hat dies notwendigerweise auch theoretische Voraussetzungen. 1. Der europäische Rechtsraum = Recht in Europa Wie schon erwähnt, beruht das Europäisierungsdenken auf seinem ausschließlichen Blick vom staatlichen Recht aus auf die europäische Ebene. Das gleiche, aber mit umgekehrtem Vorzeichen, gilt für die primäre Perspektive der traditionellen Europarechtswissenschaft. Verkennt erstere die Bedeutung des Unionsrechts, so nimmt die letztere die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen ungenügend oder gar nicht wahr.71 Vollständig ist nur eine beide Blickrichtungen verbindende Sicht; ihr zentraler Begriff ist das Recht in Europa; dieses ist terminologisch und konzeptionell vom europäischen Recht i.S. des EU-Rechts und natürlich auch von den europäisierten mitgliedsstaatlichen Rechten zu unterscheiden. Die kombinierende Sicht auf das Recht in Europa bewährt sich gerade beim Thema der Rechtsbildung, weil sie die Bedeutung des mitgliedsstaatlichen Rechts zu erfassen und abzubilden geeignet ist. Das Recht der Mitgliedsstaaten, das sonst fast ausschließlich als Adressat und Störquelle von gebotenen Umsetzungen wahrgenommen wird, wird hier nämlich als die eine Hälfte des Rechts in Europa sichtbar, nämlich als Quelle neuen Rechts,

dass man den gleichen Satz auch für die anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen schreiben könnte. 70 In der Praxis ist sicherlich die mitgliedsstaatliche Rechtsordnung „privilegiert“, aus welcher der für die Vorbereitung der Rechtssetzung federführende Referent stammt. 71 Für den größeren Teil des Europarechts interessieren die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen fast ausschließlich im Rahmen der Umsetzung des Unionsrechts. Sie werden dort als (potentielle) „Störer“, nämlich als Verursacher von Umsetzungsdefiziten und als potentielle Verletzer des Vorrangs wahrgenommen. Für diese Perspektive gibt es gewiss immer wieder Gründe und Anlässe, eine sozusagen misstrauische Grundhaltung gegenüber der Umsetzungspraxis der Mitgliedsstaaten ist aber nicht gerechtfertigt.

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als Impulsgeber der Rechtspolitik und in einer konstruktiven Funktion als Speicher für die Erfahrungen aus einem langen Umgang mit dem Recht und seinen Figuren.72 Die bisherigen Überlegungen treffen sich mit und sind wesentlich bestärkt durch das jüngst von Arnim von Bogdandy vorgeschlagene Konzept des europäischen Rechtsraums.73 Ich übernehme diesen Begriff, werde ihn aber zu dem des pluralen, föderal strukturierten europäischen Rechtsraum weiterführen.74 Gegen den neuen Begriff des europäischen Rechtsraums könnte man zunächst einwenden, dass aus dem europäischen Primärrecht eine Reihe von (allzu) wohlklingenden Proklamationen von „Räumen“ bekannt sind. An Selbstbezeichnungen der EU findet man „den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen“ (Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 Abs. 1 AEUV), einen „Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft“ (Art. 8 Abs. 1 EUV) und den „Raum der Forschung“ (Art. 179 Abs. 1 AEUV). Gegenüber diesen zum Teil eher politisch-programmatischen Proklamationen ist hervorzuheben, dass v. Bogdandy den neuen Begriff des europäischen Rechtsraums von Anfang an als einen theoretischen und konzeptionellen versteht. Der „europäische Rechtsraum“ ist dabei in ein umfassendes theoretisches Konzept über das neue „Ganze, welches das Bisherige, die einzelnen Nationalstaaten transzendiert“, einbezogen. Das Ganze ist ausdrücklich als „Kombination von Staatlichem und Suprastaatlichem“ verstanden.75 Vom europäischen Rechtsraum ist die Rede, weil sich das neue Verständnis in eine Reihe von grundlegenden Veränderungen einpasst und das Recht gerade diese Veränderungen widerspiegeln will: „Entsprechend (der neuen politischen und rechtlichen Einheit) mutieren der einsilbige Staat zum Mitgliedsstaat,76 die Staatsverwaltung zum Glied einer Verbundverwaltung, die staatliche Rechtsordnung zur Teilrechtsordnung.77 Die Dogmatik des deutschen Rechts als einer Teilrechtsordnung dieses Rechtsraums ist notwendigerweise im größeren Kontext neu auszurichten“.78

Diese Sicht stellt die grundlegenden Veränderungen der Position der Staaten und ihrer staatlichen Rechtsordnungen in den Mittelpunkt. Sie ist dadurch zu ergänzen, dass das „europäische Recht“ im Sinne des Unionsrechts den europäischen Rechtsraum nicht allein ausmacht oder ausfüllt, sondern dass dieser europäische Rechtsraum ein pluraler, weil föderal strukturierter europäischer Rechtsraum ist. Als sol72 Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass es bei der europäischen Rechtsbildung selbstverständlich auch einen wachsenden Anteil von genuin europäischen Rechtsgedanken gibt. 73 v. Bogdandy (FN 43), S. 2; ders., in: FS Wahl (FN 43), S. 651 ff. 74 Dazu unten V. 75 v. Bogdandy (FN 43), S. 2. 76 Verweis auf Frankenberg, Staatstechnik, 2010, S. 61 ff.; Wahl, Europäisierung (FN 17), S. 877. – Vgl. auch ders. (FN 17), S. 94 f., und ders., Verfassungsdenken jenseits des Staates, in: Appel/Hermes (FN 1), S. 135 (137 f.). 77 Mit Verweis auf Schönberger, VRÜ 43 (2010), S. 6. 78 v. Bogdandy (FN 43), 4.

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cher ist er eine Gesamtkonstellation aus zwei Rechtsordnungen, genauer: aus 27 + 1 Rechtordnungen (dazu siehe unten VI. 3.). Die ausdrückliche Begriffbildung „europäischer Rechtsraum“ ist angezeigt und begründet, und zwar gerade wegen des Signalcharakters und des bewußtseinsbildenden sowie symbolischen Gehalts. Zu Recht verknüpft v. Bogdandy sein Konzept des europäischen Rechtsraums mit den erwähnten Groß-Entwicklungen. Die Formel spiegelt so diese grundlegenden Entwicklungen im Bereich des Rechts wider. Durch den Integrationsprozess ist jede mitgliedsstaatliche Rechtsordnung unvollständig geworden, sie ist zusammen mit dem EU-Recht in eine Konstellation von zwei miteinander verbundenen Rechtsordnungen eingetreten.79 Deshalb haben sich auch die Prozesse der Rechtsbildung und Erzeugung auf zwei Rechtsordnungen aufgespalten. Wegen des angewachsenen Bestands von Recht auf der EU-Ebene sind, wie oben im Einzelnen ausgeführt, die rechtspolitischen Prozesse der Bildung des EU-Rechts zu einem hochbedeutsamen Bezugsfeld für alle mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen und für die dortige Rechtspraxis und Rechtswissenschaft geworden.80 Es liegt in der Konsequenz dieser Entwicklung, dass sich wesentliche Teile der auf die Rechtssetzungsprozesse bezogenen Aufmerksamkeit vom staatlich-nationalen zum europäischen Rechtsraum verschoben haben. Diese Veränderung gilt sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht. So wie in der Phase der Europäisierungs-Diskussion die gewachsene Bedeutung des Gemeinschaftsrechts wahrgenommen wurde (wenn auch nur in der Einwirkung auf das staatliche Recht), so ist in der Gegenwart – nach weiterem Wachstum des Unionsrechts – die Bedeutungsverschiebung vom staatlichen zum europäischen Rechtsraum auch in konzeptioneller Hinsicht nachzuvollziehen und abzubilden. 2. Mitgliedsstaatliche Rechtsordnungen als Teilordnungen? Einer näheren Betrachtung bedarf die Qualifizierung der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen als Teilrechtsordnungen. Richtig ist daran sicherlich, dass die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen unvollständig geworden sind, so dass das Recht in den Staaten zusammengesetzt und insgesamt pluraler Herkunft ist. Die Umbenennung, mehr noch: die Um-Interpretation einer ursprünglich als ein Ganzes verstandenen staatlichen Rechtsordnung vom Ganzen zu einer Teilrechtsordnung signalisiert, dass eine ehemals autonom gewesene Rechtsordnung nunmehr in größere rechtliche Zusammenhänge integriert ist und deshalb nur in der inneren Verbundenheit mit dem EU-Recht angemessen verstanden werden kann. Insofern erscheint der Begriff der Teilrechtsordnung passend. 79

s. oben FN 13. Jedenfalls: Im existierenden Wettbewerb der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen untereinander beim Entstehen des EU-Rechts werden diejenigen Rechtsordnungen im Vorteil sein, deren Rechtswissenschaft und Rechtspraxis sich auf diese Verlagerung am besten einstellen. 80

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Andererseits impliziert die „Teilrechtsordnung“ für viele ein Denken in den Kategorien des Ganzen und der Teile. In die Richtung dieses Vorverständnisses mag auch deuten, dass das EU-Recht als das Recht der größeren Einheit und als Recht des Vorrangs in einer quasi natürlichen superioren Rolle wahrgenommen wird. Damit ist aber das grundsätzliche Verhältnis zwischen den Rechtsordnungen der Union und der Staaten zu sehr vereinfacht und zu sehr zu Gunsten des EU-Rechts verschoben. Dabei wird verkannt, dass das EU-Recht deshalb nicht als das Ganze verstanden werden kann, weil es selbst gleichfalls unvollständig und sogar noch mehr von einer Vollrechtsordnung entfernt ist als die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen. Im direkten Vergleich zwischen den beiden gleichermaßen unvollständigen Rechtsordnungen ist das staatliche Recht immer noch umfassender und das potentiell für alles zuständige Recht, insofern als es auch Auffang-Rechtsordnung ist. In der Tat kann nicht übersehen werden, dass sich die strukturbildenden Teile einer Rechtsordnung in den zentralen großen Grund-Kodifikationen (BGB, ZPO, StGB, VwGO, VwVfG) bzw. im case law in den systembildenden Entscheidungsketten finden. In diesen Kern-Bereichen, in denen eine Rechtsordnung geprägt und die Fülle der Einzelvorschriften auf gemeinsame Grundlinien ausgerichtet wird, ist das mitgliedsstaatliche Recht weiterhin stark präsent und nicht so rasch ablösbar. Angesichts dieses Befunds erscheint mir ihre Bewertung als Teilrechtsordnungen, wenn sie denn mehr als eine formale Kennzeichnung sein soll, als verfrüht und als zeitlicher Vorgriff. Wer die entgegengesetzte Wertung vornimmt, sollte der Klarheit halber explizit sagen, was dann das Ganze ist. Im abschließenden Teil wird dargelegt, dass dies nicht etwa die EU-Rechtsordnung, sondern der föderal strukturierte europäische Rechtsraum ist. VI. Der plurale, föderal strukturierte europäische Rechtsraum Die zuletzt angestellten Überlegungen müssen ihren Niederschlag auch im theoretischen Konzept finden. Ist die Anerkennung des Leitbegriffs des europäischen Rechtsraums der gegenwärtigen Phase angemessen und zu dessen Charakterisierung erforderlich, so gilt es auch, den ebenso wichtigen Schritt zur inneren Beschreibung dieses Rechtsraums als pluralem, föderal strukturiertem Raum zu gehen. Diese nähere Charakterisierung des europäischen Rechtsraums als eines föderal strukturierten erscheint mir so wichtig, dass sie sich auch im Begrifflichen ausdrücken sollte: Explizit soll damit gesagt sein, dass das EU-Recht nicht das einzige und nicht das allein zählende Recht in diesem Rechtsraum ist und dass auch das EU-Recht – und nicht nur das mitgliedsstaatliche Recht – strukturell unvollständig ist. Die strukturelle Unvollständigkeit des EU-Rechts war in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der EWG und der EG nicht zweifelhaft, sie ist auch heute trotz des enormen Wachstums des Unionsrechts nicht zu bezweifeln. Ein Recht wie dasjenige der EU, welches seine Durchsetzung nicht selbst regelt, sondern diese – zu Recht – dem mitgliedsstaatlichen Verwaltungssprozess-, Verwaltungsgerichts- und Vollstreckungsrecht überlässt, ist aus Sachgründen ein durch und durch ergänzungsbedürftiges Recht.

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Es steht inhaltlich nicht für sich und kann auch nicht für sich stehen. Offensichtlich verweist auch das Rechtsetzungsinstrument der Richtlinie als Regeltyp auf das Vorhandensein und die Bedeutsamkeit des staatlichen Rechts.81 Demgemäß wird der europäische Rechtsraum geographisch durch die Gebiete der Mitgliedsstaaten gebildet. Juristisch hat er einen doppelten Inhalt. Bildhaft kann man den europäischen Rechtsraum als bunten Teppich beschreiben, der aus einer einheitlichen Grundfarbe und 27 verschiedenen Zusatzfarben besteht. Gerade auch für die hier hervorgehobene europäische Rechtsbildung und -entstehung gilt: Es ist nicht sichtbar, wie auf der Ebene der europäischen Rechtsbildung für den großen Raum und für die Vielfalt der Menschen und der rechtlichen Traditionen das dafür passende Recht wesentlich allein im organisatorisch-institutionellen Rahmen der EU entwickelt werden könnte. Das Konzept des europäischen Rechtsraums, sofern es die Dominanz des EU-Rechts oder seine Selbstgenügsamkeit in den Prozessen in Brüssel und Straßburg implizieren sollte, geriete in eine Schieflage. Damit würde der europäische Anteil am europäischen Rechtsraum überbewertet. Am Laboratorium der europäischen Rechtsbildung interessiert nicht nur sein „output“ in Form von Verordnungen und Richtlinien, sondern zuallererst die reichhaltigen „inputs“ und die Prozesse der Verarbeitung. Das Laboratorium bedarf, wenn es qualitätvolles Recht erzeugen will, der kontinuierlichen Zufuhr an Ideen und auch der Zufuhr an Wissen über im Rechtsleben bewährten Regelungen. Die (rechts)politischen Prozesse in den europäischen Institutionen müssen aufnahmewillig und -bereit sein für die Impulse aus der aufsteigenden Richtung der Rechtsbildung. Außerdem müssen sie in der absteigenden Richtung, in der Umsetzungsrichtung, Raum für Konkretisierungen und (Mikro)Alternativen bieten. Nicht alles, was im europäischen Rechtsraum zu regeln ist, muss oder darf nach dem Muster der wirtschaftlichen Integration, nämlich möglichst einheitlich oder mit einem maximalen Grad an Einheitlichkeit geregelt werden. Das wirtschaftliche System und das wirtschaftliche Denken tendieren zu einer extremen Empfindlichkeit gegenüber Unterschieden jeglicher Art – in der EU hat sich dieses Denken in den Kategorien eines „unverfälschten Marktes“ und perfektionierten Wettbewerbs besonders rein und absorbierend auswirken können. Dem ist entgegenzuhalten, dass es in anderen Teilen des gesellschaftlichen Ganzen eine deutliche Bereitschaft und Forderungen gibt, mehr Unterschiedlichkeit zuzulassen und das Einheitlichkeitspostulat zu relativieren. Alles, was zur Kultur gehört oder Berührung mit ihr hat, muss der Vielfalt Rechnung tragen.82 Wenn in Bundesstaaten der Durch-Vereinheitlichung 81 Der dezentrale Vollzug, der in vielen Bereichen zum europäischen Verwaltungsverbund führt, ist ein weiteres Strukturprinzip, das das Miteinander der beiden Ebenen zum Ausdruck bringt, und zwar in einem anderen Gewichtsverhältnis und in anderen Formen als in den bekannten Bundesstaaten. 82 Jede kulturelle Veranstaltung kostet Geld, also gibt es eine Überschneidungszone zwischen dem Kulturellen und dem Wirtschaftlichen. Allein deswegen dürfen aber die einzelnen kulturellen Veranstaltungstypen nicht dem Vereinheitlichungspostulat des wirtschaftlichen Imperativs unterworfen werden.

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von Rechtsgebieten deutliche Grenzen gesetzt sind, so ist nicht einzusehen, dass der Nicht-Bundesstaat EU insofern zentralistischer und vereinheitlichender vorgehen sollte. Fazit: Der Begriff des europäischen Rechtsraums ist gerade auch in seiner Signal- und Symbolwirkung passend. Für seine Fort- und Weiterbildung zum Begriff des „pluralen, föderal strukturierten europäischen Rechtsraums“ gilt das gleiche. VII. Schluss Im Begriff des pluralen, föderal strukturierten europäischen Rechtsraums spiegelt sich eine theoretisch wichtige Entscheidung, nämlich die für das Denken in einer Gesamtkonstellation von EU und Mitgliedsstaaten. Denkt man an „Europa“ oder an den europäischen Rechtsraum, dann ist es eine Verkürzung, wollte man nur an die Union als die große Einheit denken. Europa ist mehr, nämlich die Gesamtkonstellation aus der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten.83 Richtig ist, dass diese Gesamtkonstellation keine eigenen Organe und keine eigenen Rechtsvorschriften hat,84 aber für die (Rechts)Wissenschaft und ihre Beobachterrolle ist das Ganze aus unionsrechtlichem und mitgliedsstaatlichem Recht ein genuin bedeutsamer und unerlässlicher Forschungsgegenstand. Diese Perspektive ist fruchtbar, nicht zuletzt deshalb, weil sie den Blick sowohl für die EU als auch für die Mitgliedsstaaten auf die pluralen bzw. doppelten Quellen des Rechts, sowohl in der EU als auch in den Mitgliedsstaaten, lenkt. Formelhaft können die Ergebnisse zusammengefasst werden: (1) Das Recht in Deutschland ist nicht nur deutsches Recht, sondern in Deutschland als einem Mitgliedsstaat der EU gibt es eine Pluralität von Recht. Es gilt in jedem Mitgliedschaftsstaat Recht aus staatlichen und europäischen Quellen. (2) Das Recht in Europa ist nicht nur das Gemeinschafts- oder Unionsrecht, sondern dieses ist strukturell ergänzungsbedürftig und vielfach abhängig vom mitgliedsstaatlichen Recht. Das EU-Recht wirkt immer nur in Verbindung mit einem mitgliedsstaatlichen Recht. (3) Der europäische Rechtsraum bzw. der föderale europäische Rechtsraum ist europäisch in seiner Abgrenzung (Geltungsbereich). Er ist der Raum wichtiger Rechtsbildungen. Er ist darin aber zugleich föderal und plural strukturiert, weil bedeutsame Anteile des EU-Rechts von den mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen gespeist wer83 Erst mit Blick auf die Gesamtkonstellation lässt sich die für die Rechtssetzung zentrale Vorfrage diskutieren, ob Rechtsvorschriften der beabsichtigten Art eher auf der unionalen oder auf der mitgliedsstaatlichen Ebene geregelt werden sollten. Alle diese „Subsidiaritätsüberlegungen“ und alle Vorsicht gegenüber der Gefahr über-vereinheitlichender Regelungen haben hier ihren Platz. 84 Auch in der Bundesstaatstheorie wurde es immer wieder als Bedürfnis empfunden, neben dem Bund und den Ländern einen Begriff für das Ganze zu kreieren. Der dreigliedrige Bundesstaatsbegriff war der Versuch einer Antwort darauf. Was im Kontext der Dogmatik folgenlos geblieben ist, gilt noch lange nicht für ein wissenschaftlich-theoretisches Konzept, welches das Ganze einer föderal gegliederten Einheit in den Blick nimmt.

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den. Und er ist föderal auch darin, dass sich mitgliedstaatliches und unionales Recht ergänzen. (4) Will die Rechtswissenschaft im föderalen europäischen Rechtsraum der geschilderten Pluralität des Rechts gerecht werden, so darf sie sich nicht als Lobbyistin ihres eigenen (mitgliedsstaatlichen) Rechts verstehen; ebenso wenig aber darf sie die Rolle einer Lobbyistin des EU-Rechts einnehmen. Sie muss stattdessen Beobachterin und Analystin der beiden Rechtsordnungen und ihres Zusammenwirkens sein.

Verordnungsvertretende Landesgesetze – Exempel für den Bedeutungsverlust der Landesparlamente Von Thomas Mann, Göttingen Bereits im Jahr 1987 hat Rolf Grawert festgestellt, dass den Landesparlamenten „nicht viele Möglichkeiten zur Politikgestaltung“ bleiben.1 Er hat das seinerzeit vor allem auf seine These bezogen, das wirkliche Verfassungsleben finde außerhalb der Landesverfassung statt, weil diese nicht zur Kenntnis nehme, „dass die Verantwortungsprozesse sich einerseits in Parteigremien verlagern oder sich in offiziellen Verwaltungsgemeinschaften verflüchtigen“.2 Diese Bewertung hat bis heute nicht an Aktualität verloren. Im Gegenteil, die zwischenzeitlich unternommenen Versuche, den Landtagen neue Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu erschließen, sind weitgehend erfolglos geblieben. Die nachfolgenden Betrachtungen sollen einem prominenten Beispiel dieser Versuche gelten, dem sog. „verordnungsvertretenden Gesetz“ nach Art. 80 Abs. 4 GG. Dabei soll einleitend kurz in Erinnerung gerufen werden, warum die Landesparlamente gegenüber dem Bundestag und gegenüber den Landesregierungen ins Hintertreffen geraten sind (dazu I.) sowie welche Kompensationsidee hinter Art. 80 Abs. 4 GG steht (dazu II.). Im Hauptteil der Überlegungen werden dann eine Reihe von Fragen zu diskutieren sein, die mit der Ermöglichung solcher verordnungsvertretender Landesgesetze verbunden sind (dazu III. und IV.), bevor am Ende eine abschließende Bewertung getroffen werden kann (dazu V.). I. Vom Bedeutungsverlust der Landesparlamente 1. Bedeutungsverlust im Verhältnis zum Bundestag Es kann als bekannte Tatsache vorausgesetzt werden, dass die föderale Verfassungskonzeption der Bundesrepublik mit Blick auf die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten nur unvollkommen verwirklicht ist. Die Generalzuweisung des Art. 30 GG und ihre Konkretisierung in Art. 70 GG etablieren ein Regel-Ausnahme-Verhältnis, das in der jahrzehntelangen Verfassungspraxis die als Ausnahme kon-

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Grawert, NJW 1987, S. 2329 (2333). Grawert (FN 1), S. 2333.

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zipierte Bundeskompetenz zur Regel gemacht hat.3 Insbesondere die früher zurückhaltende Kontrolle der sog. „Bedürfnisklausel“4 durch das Bundesverfassungsgericht hat zu einer extensiven Inanspruchnahme konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeiten durch den Bund geführt, welche die den Landtagen prinzipiell offen stehenden Kompetenztitel weitgehend erschöpft5 und die Aktionsfelder der Landesparlamente im Grunde auf die Bereiche Kultur und Schule, Rundfunk, Gefahrenabwehr, Kommunalrecht und Verwaltungsverfahren6 zurückgedrängt hat. Das alles ist hinlänglich bekannt und unter dem Stichwort der Tendenz zum unitarischen Bundesstaat7 auch schon ausgiebig diskutiert worden. Mein Eindruck ist, dass auch die im Zuge der Föderalismusreform vorgenommenen Änderungen in Art. 72 GG und die inzwischen seit etwa zehn Jahren deutlich strengere Erforderlichkeitsprüfung durch das BVerfG8 das Gesamtbild noch nicht wesentlich verändert haben. Die gelebte Verfassungspraxis hat jedenfalls insgesamt zu einem auffallenden Ungleichgewicht zwischen Bundes- und Landesgesetzgebung geführt, was abgesehen von föderalen Erwägungen auch demokratietheoretisch ein unglücklicher Zustand ist, denn den Landesparlamenten als unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebern müssen genügend substantiell eigene Wirkungsbereiche verbleiben.9 Jede Verringerung der Länderkompetenzen in Fragen der Gesetzgebung schränkt die politische Teilhabe des Landesvolkes durch Wahlen ein, baut demokratische Substanz in den Bundesländern ab und kann so letztlich die Demokratie im Bundesstaat schwächen.

3 Vgl. statt vieler Iltgen, in: Merten (Hrsg.), Die Stellung der Landesparlamente aus deutscher, österreichischer und spanischer Sicht, S. 45 (46); Sommermann, Jura 1995, S. 393 (394); abschwächend Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 17 Rn. 48: Art. 70 GG lege nur ein „Verteilungsprinzip“ fest und wolle keine „präjudizierende Sachentscheidung“ zugunsten der Länder treffen. 4 Art. 72 Abs. 2 GG a.F. Die „Bedürfnisklausel“ wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994 (BGBl. I, S. 3146) zu einer „Erforderlichkeitsklausel“ umgestaltet und seitdem durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. 08. 2006 (BGBl. I, S. 2034) geändert. 5 Helms, Das verordnungsvertretende Gesetz – eine Stärkung der Landesparlamente?, 2008, S. 23 – 27; s.a. Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BRDrs. 360/92, S. 10; Rudolf, in: Merten (Hrsg.), (FN 3), S. 55 (59). 6 Vgl. Aufzählung bei Maurer (FN 3), § 17 Rn. 48b. 7 Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, S. 14 – 25. 8 Vgl. BVerfGE 112, 226 (243 ff.) – Studiengebühren; BVerfGE 111, 226 (252 ff.) – Juniorprofessur; BVerfGE 106, 62 (135 ff.) – Altenpflegehelfer. 9 Vgl. BVerfGE 87, 181 (196 f.); 89, 155 (186); Depenheuer, ZG 2005, S. 83 (84); Dreier, in: ders., GG II, 2. Aufl. 2006, Art. 79 Abs. 3 Rn. 48; Pieroth, in: Jarass/ders., GG, 11. Aufl. 2011, Art. 79 Rn. 8.

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2. Bedeutungsverlust im Verhältnis zu den Landesregierungen Darüber hinaus hat sich aber auch das Kräfteverhältnis zwischen den Landesregierungen und den Landesparlamenten zu deren Nachteil verschoben. Dieser Bedeutungsverlust hat gleich mehrere Gründe: – An der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes sowie in Angelegenheiten der Europäischen Union dürfen über den Bundesrat ausschließlich die Landesregierungen mitwirken,10 während die Volksvertretungen in den Ländern die Entscheidungen ihrer Bundesratsmitglieder nicht steuern können.11 Diese Konstellation ist zweifelsohne vom Grundgesetz so gewollt, doch verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen Landesregierung und Landtag in dem Maße, in dem der Bund konkurrierende Gesetzgebungsagenden für sich reklamiert. Der eingangs geschilderte Prozess eines Bedeutungsverlustes der Landesparlamente im Verhältnis zum Bundestag infolge einer Extensivierung von Bundes-Gesetzgebungszuständigkeiten wird somit zwangsläufig auch von einem Bedeutungszuwachs der Landesregierungen über deren Mitwirkung im Bundesrat flankiert. – Eine Kompetenzzunahme zu Gunsten der Landesregierungen lässt sich aber nicht allein durch die Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung beobachten, sondern auch durch ihre „Kontaktprivilegien“ im kooperativen Föderalismus.12 Die von Verfassungs wegen nicht vorgesehenen Arbeitsgruppen zwischen verschiedenen Ländern (wie z. B. die Innenministerkonferenz oder die KMK) oder Bund und Ländern sind ein ausschließliches Betätigungsfeld der Exekutive. Den faktisch zurückgedrängten Volksvertretungen der Länder kommt kein Einfluss auf entsprechende Gremienentscheidungen zu. Diese können jedoch durchaus sehr weitreichend sein – man denke etwa an die zahlreichen Beschlüsse der KMK zum Themenfeld Bologna und Akkreditierung von Studiengängen.13 Auch in Angelegenheiten der Europäischen Union kann von einem Kontaktprivileg der Landesregierungen gesprochen werden. Vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union unterrichtet die Bundesregierung nur den Bundestag und den Bundesrat (Art. 23 Abs. 2 GG) und auch nur dieser, nicht die Landtage, erhält Gelegenheit zur Stellungnahme (Art. 23 Abs. 3 GG). Dies gilt selbst dann, wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder und damit 10 Vgl. Art. 50, 51 Abs. 1 GG; speziell zu Angelegenheiten der Europäischen Union s. Art. 23 Abs. 1 S. 2, Abs. 1a-2, Abs. 4-6 GG, Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I, S. 313); Art. 52 Abs. 3a GG. 11 Stüber, Jura 2002, S. 749 (749). 12 Martin, ZParl. 1984, S. 278 (281); allg. zum kooperativen Föderalismus: Bauer, DÖV 2002, S. 837 (840 f.). 13 Einen vorzüglichen Überblick über die Dynamik der durch Beschlüsse von KMK und HRK vorangetriebenen Entwicklung im Rechtsfeld Bologna/Akkreditierung bietet Immer, Rechtsprobleme der Akkreditierung von Studiengängen, 2012, S. 20 ff., 36 ff.

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die den Landtagen zugewiesenen Reservatbereiche betroffen sind (Art. 23 Abs. 5 S. 2, Abs. 6 GG). Etwaige landesverfassungsrechtlich normierte Unterrichtungs-14 und Stellungnahmerechte15 zu Gunsten der Landtage vermögen deren Interessen nicht effektiv zu sichern, weil sie den Landtag äußerst mediatisiert und ohne eigene Entscheidungsbefugnis einbinden.16 Auch die neue europäische Subsidiaritätsklage steht schließlich nur Bundestag und Bundesrat, nicht aber den Landtagen zu.17 3. Katalysatorfunktion des Europäischen Rechts Somit wird deutlich, dass der Bedeutungsverlust der Landtage durch die fortschreitende europäische Integration noch einmal befördert wird.18 Die Europäische Union nimmt keine Rücksicht auf den innerstaatlichen Aufbau ihrer Mitgliedstaaten. Ihre Rechtsakte können daher ebenfalls den Kompetenzbereich der Landtage auszehren – sei es, weil eine EU-Verordnung innerstaatlich dem Kompetenzbereich der Länder zuzuordnen wäre und somit Anwendungsvorrang vor thematisch einschlägigem Landesrecht genießt, sei es, weil eine Richtlinie das umzusetzende Regelungsziel verbindlich vorschreibt und damit den demokratisch-politischen Entscheidungsspielraum des Landesparlaments in einem der wenigen ihm verbliebenen Kompetenzfelder einengt. Der vielfach beschworene „kompetitive Föderalismus“ wird sich auf diesen Feldern jedenfalls nicht mehr entfalten können. Ein nur schwacher Trost ist es, wenn im prozeduralen Regelwerk der europäischen Gesetzgebung die Landesparlamente mit etwa identischer Mitgliederzahl wie die Landesregierungen im europäischen Ausschuss der Regionen vertreten sind,19 denn dieser Ausschuss ist nur beratend tätig20 und kann den vorgelagerten Bedeutungsverlust nicht kompensieren. 14 Vgl. z. B. Art. 50 Verf. Berlin; Art. 94 Verf. Brandenburg; Art. 25 Abs. 1 S. 2 Verf. Niedersachsen; Art. 89b Abs. 1 Nr. 7 Verf. Rheinland-Pfalz; Art. 22 Abs. 1 Verf. SchleswigHolstein. 15 Vgl. Art. 34a Verf. Baden-Württemberg. 16 So auch Helms (FN 5), S. 36. 17 Vgl. Art. 23 Abs. 1a GG, § 12 Integrationsverantwortungsgesetz v. 22. 09. 2009 (BGBl. I, S. 3022). 18 In diesem Sinne auch Maurer (FN 3), § 4 Rn. 31. 19 Eine aktuelle Mitgliederliste findet sich unter: http://cor.europa.eu/en/about/Pages/ members.aspx (zuletzt abgerufen am 30. 04. 2012). 20 Zu Aufgaben und Zusammensetzung s. Art. 300, 305 – 307 AEUV: Der Ausschuss der Regionen ist vor dem Beschluss bestimmter europäischer Maßnahmen im sog. ordentlichen Gesetzgebungsverfahren anzuhören (vgl. z. B. Art. 91, 100 Abs. 2, 148 Abs. 2, 149 Abs. 2, 153 Abs. 3 S. 2, 164, 165 Abs. 4, 166 Abs. 4, 167 Abs. 5, 168 Abs. 4, 5, 172 S. 1, 175 UAbs. 3 AEUV), ihm sind Berichte zu erstatten (vgl. Art. 175 UAbs. 2 AEUV) und er ist vor dem EuGH klageberechtigt (vgl. Art. 263 UAbs. 3 AEUV hinsichtlich der Nichtigkeitsklage). Siehe zusammenfassend Henneke, Kommunale Spitzenverbände im europäisierten Bundesstaat, in: Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, 3. Aufl. 2007, § 35 Rn. 47 ff.

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II. Die Kompensationsidee des Art. 80 Abs. 4 GG All diese Entwicklungen sind längst bekannt, weshalb es hier mit dem vorangegangenen kursorischen Überblick über die Fakten sein Bewenden haben soll. Das zentrale Augenmerk wird demgegenüber nun einer Verfassungsbestimmung gelten, die 1994 angesichts der geschilderten Entwicklung in das Grundgesetz eingefügt wurde, um den Landesparlamenten neue Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten zu erschließen.21 Die Rede ist von Art. 80 Abs. 4 GG, einer Vorschrift, die vielleicht im Kreise der Verfassungsrechtler bekannt ist, aber bei den „normalen“ Juristen, insbesondere bei Examenskandidaten, nur ein Achselzucken auslöst. Überraschenderweise gilt das aber auch gleichermaßen für die Parlamentarier in den Landtagen,22 die es doch eigentlich besonders angehen müsste. Immerhin räumt Art. 80 Abs. 4 GG den Ländern23 immer dann, wenn die Landesregierungen durch Bundesgesetz ermächtigt werden, Verordnungen zu erlassen, die Befugnis ein, eine Regelung auch durch Gesetz treffen zu können. Diese Vorschrift wurde auf ausdrücklichen Wunsch der Landtagspräsidenten ins Grundgesetz eingefügt24 und soll nach der Gesetzesbegründung „die Handlungsmöglichkeiten der Länderparlamente stärken“25 und dadurch eine Kompensation für ihren Bedeutungsverlust bieten. Insoweit sollen nicht nur die Volksvertretungen der Länder gegenüber ihren Landesregierungen aufgewertet, sondern auch die Landesverfassungsautonomie gegenüber dem Bund gestärkt werden.26 III. Grundeinsichten zur Auslegung des Art. 80 Abs. 4 GG Bereits der Verfassungswortlaut lässt einige Grundeinsichten erkennen, die für die praktische Relevanz dieser Norm bedeutsam sein können.

21 Eingefügt durch Art. 1 Nr. 10 des 42. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I, S. 3146). 22 So das Ergebnis einer Fragebogenaktion von Helms (FN 5), S. 108 (120 f., 151). 23 Der Umstand, dass Art. 80 Abs. 4 GG von einer Ermächtigung der „Länder“ statt der „Landesparlamente“ spricht, wird als Respektbezeugung gegenüber der Verfassungsautonomie der Länder gedeutet, vgl. Nierhaus, in: Macke, Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, 1998, S. 223 (225); ders., in: Dolzer u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar GG, Art. 80 (1998) Rn. 823; Maurer, Das verordnungsvertretende Gesetz, in: Josef Isensee/ Helmut Lecheler (Hrsg.), FS Leisner, 1999, S. 583 (587). 24 Zur Entstehungsgeschichte s. Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 7; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II, 6. Aufl. 2010, Art. 80 Rn. 6; s.a. Jutzi, Gesetzgebungskompetenz der Landesparlamente nach Art. 80 Abs. 4 GG, ZG 1999, S. 239; ausführlich Helms (FN 5), S. 39 – 50. 25 Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP, BT-Drs. 12/ 6633, S. 11; ähnlich bereits der Bericht der gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrs.12/6000, S. 38. 26 Nachweise bei Mann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 80 Rn. 51 f.

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1. Keine Beschränkung auf Parlamentsgesetzgebung Art. 80 Abs. 4 GG spricht nur von einer „Regelung … durch Gesetz“, nicht von einem Parlamentsgesetz. Ist in den Landesverfassungen also die Möglichkeit der Volksgesetzgebung vorgesehen, so ist auch diese nach Maßgabe des Art. 80 Abs. 4 GG verordnungsvertretend zulässig.27 Dieser Aspekt soll hier nur erwähnt werden; der Themenstellung geschuldet gilt der Fokus nachfolgend allein den Parlamentsgesetzen. 2. Keine „Parlamentsverordnungen“, sondern „verordnungsvertretende Gesetze“ Die Landesparlamente dürfen immer dann, wenn die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt werden, an Stelle der Verordnung ein Gesetz erlassen. Hierbei handelt es sich um vollwertige Gesetze im formellen und materiellen Sinn, die nach den landesverfassungsrechtlichen Verfahrensvorschriften über formelle Gesetze zustande kommen28 und rangmäßig den Verordnungen vorgehen.29 Auch wenn sich die Gelegenheit zum Tätigwerden des Parlaments aus einer Verordnungsermächtigung ableitet, können die Volksvertretungen doch immer nur durch Gesetz handeln und keine Art „Parlamentsverordnungen“ niederen Ranges erlassen.30 Zur Kennzeichnung ihrer besonderen Herkunft und in Anlehnung an die Kategorie der „gesetzesvertretenden Verordnung“31 ist daher die Bezeichnung „verordnungsvertretende Gesetze“32 gebräuchlich geworden. 3. Verfassungsunmittelbare Ermächtigung Für die inhaltliche Reichweite der Vorschrift ergibt eine grammatikalische Auslegung des Art. 80 Abs. 4 GG zunächst, dass die Landesparlamente bereits verfassungsrechtlich zur Normgebung im delegierten Bereich berufen sind. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass eine zusätzliche einfachgesetzliche, unmittelbar an die Landtage gerichtete Ermächtigung durch den Bundesgesetzgeber nicht nur nicht er27 Wallrabenstein, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 80 Rn. 65; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 118; a.A. Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 868, demzufolge Volksgesetzgebung nur im Bereich originärer Landesgesetzgebung zulässig sei. 28 Jutzi (FN 24), S. 239 (242); Wagner/Brocker, NVwZ 1997, S. 759 (760); Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 112 f. 29 A.A. Schütz, NVwZ 1996, S. 37 (38) und OVG Schleswig, NordÖR 2000, S. 25, wonach verordnungsvertretende Gesetze Verordnungsrang haben sollen. 30 BVerfGE 22, 330 (346): „Die vom Gesetzgeber erlassenen Normen sind Gesetze. Ihm ist es verwehrt, Verordnungen zu erlassen“; Maurer (FN 23), S. 583 (587). 31 Siehe dazu nur Mann, in: Sachs (Hrsg.) (FN 26), Art. 119 Rn. 1. 32 Zur Terminologie vgl. Uhle, in: BeckOK-GG, Art. 80 Rn. 45; Wagner/Brocker (FN 28), S. 759 ff.; Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 50 ff.; Haratsch, in: Sodan (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 2011, Art. 80 Rn. 34.

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forderlich, sondern bestenfalls deklaratorisch sein kann. Sollten einfachgesetzlich allein die Landesparlamente ermächtigt werden, wäre ein solches Bundesgesetz sogar unzulässig,33 denn die Entscheidung darüber, ob eine Regelung durch Verordnung der Landesregierung oder durch ein verordnungsvertretendes Gesetz getroffen wird, obliegt gemäß Art. 80 Abs. 4 GG allein der Verfassungsautonomie des Landes. Wie seine Verordnungsermächtigung ausgefüllt wird, kann der Bundesgesetzgeber also nicht beeinflussen, eine Verpflichtung zur Wahl eines Parlamentsgesetzes darf er nicht aussprechen.34 4. Keine Befassungspflicht Innerhalb der Verfassungsräume der Länder korrespondiert mit dem Zugriffsrecht der Volksvertretungen grundsätzlich keine Zugriffspflicht und noch nicht einmal eine Befassungspflicht.35 Ob und inwieweit die Landesparlamente von ihrem Recht Gebrauch machen, obliegt grundsätzlich allein ihrer politischen Beurteilung und Gestaltungsfreiheit.36 Ausnahmsweise bestehende Handlungspflichten – z. B. dann, wenn das ermächtigende Gesetz einen expliziten Auftrag enthält oder eine Regelung zur Umsetzung von EU-Richtlinien erforderlich ist37 – treffen nur die Landesregierung als Erstdelegatar. Die Landtage sind auch in solchen Fällen nicht verpflichtet, das Ruder an sich zu reißen. 5. Rückwirkung der Ersetzungsbefugnis in Art. 80 Abs. 4 GG? Besteht ein solcher Wille, stellt sich die Frage, ob die Landesparlamente auch aufgrund von Ermächtigungen tätig werden können, die bereits vor dem Inkrafttreten des Art. 80 Abs. 4 GG erlassen worden sind. Zwar knüpft das Grundgesetz den Erlass verordnungsvertretender Gesetze an die Voraussetzung, dass die Landesregierungen zu Rechtsverordnungen „ermächtigt werden“, was als Erfordernis „neuer“ Ermächtigungen gedeutet werden könnte. Jedoch verbietet der auf einen Handlungszuwachs der Landesparlamente zielende Normzweck eine solch restriktive Auslegung. Damit ist den Landesparlamenten der Zugriff auf alle – auch vor 1994 – vom Bundesgesetzgeber geschaffenen Ermächtigungen zu Gunsten der Landesregierungen38 eröffnet.39 33

Ramsauer, in: AK-GG II, Okt. 2001, Art. 80 Rn. 89. Helms (FN 5), S. 53 f. 35 Vgl. Dette/Burfeind, ZG 1998, S. 257 (268); Helms (FN 5), S. 74. 36 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 115. 37 Zu den ausnahmsweise bestehenden Verpflichtungen zum Verordnungserlass s. Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 53. 38 Landesparlamente können Angaben hinsichtlich „alter“ Ermächtigungen aus Materialien des Bundesrates oder aus der beim BMJ geführten Sammlung sämtlicher bisher erteilter bundesrechtlicher Verordnungsermächtigungen beziehen, vgl. Bericht der Konferenz der Landtagsdirektoren vom 2. Juni 1997, abgedruckt u. a. in LT-Drs. Thüringen 2/2137, S. 6 f. 39 Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 57; im Ergebnis ebenso Brenner, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (FN 24) Art. 80 Rn. 119; Dette/Burfeind (FN 35), S. 257 (258 f.). 34

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IV. Folgeprobleme Aufbauend auf diesen verfassungsrechtlichen Grundeinsichten stellen sich für den praktischen Vollzug des Art. 80 Abs. 4 GG aber noch weitere Folgefragen, die in ihrer Gesamtheit aufzeigen, dass die Konstruktion eines verordnungsvertretenden Gesetzes dogmatisch nicht voll durchdacht ist. 1. Rang des verordnungsvertretenden Gesetzes Obwohl die verordnungsvertretenden Gesetze nicht im Rang von Rechtsverordnungen stehen,40 wird man die grundgesetzlichen Vorgaben für delegierte Rechtssetzung entsprechend anzuwenden haben. Auch die verordnungsvertretenden Landesgesetze müssen sich also an den Rahmen der bundesgesetzlichen Ermächtigung halten.41 Für die als Delegationsfilter fungierenden Vorgaben über Inhalt, Zweck und Ausmaß der abgeleiteten Rechtssetzung (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) folgt bereits aus dem Wortsinn des Art. 80 Abs. 4 GG, dass auch die Landesparlamente an diese Bestimmtheitstrias gebunden sind: Ein verordnungsvertretendes Gesetz ist nämlich nur zulässig, „soweit Landesregierungen ermächtigt werden“.42 Es entsteht somit eine verfassungsrechtliche Chimäre: Wir haben es in diesem Bereich mit einem unmittelbar demokratisch legitimierten Landesparlament zu tun, das in der Betätigung seines Willens an die inhaltlichen Vorgaben eines anderen (Bundes-)Parlaments gebunden ist. Die in diesem Sinne unselbständig bleibenden verordnungsvertretenden Gesetze müssen daher auch aus Gründen der Rechtsklarheit dem Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG genügen.43 Diese fehlende umfassende Gestaltungsmacht zeigt, dass die Landesparlamente hier gerade nicht im Bereich ihrer eigenen, originären Legislativfunktion handeln, sondern im Zuständigkeitsbereich des Bundes.44 In verwaltungsrechtlicher Terminologie würde man cum grano salis sagen, die Einschaltung der Landesparlamente entspricht nicht der selbständigen Stellung eines Beliehenen, sondern sie werden nur gleichsam als Erfüllungsgehilfe oder Verwaltungshelfer in die Rechtsetzung eingeschaltet. Der Landtag wird somit zum „Legislativhelfer“ des Bundes.

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Siehe oben III. 2. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 114 f., 118. 42 Ebenso Haratsch, in: Sodan (FN 32), Art. 80 Rn. 34; Helms (FN 5), S. 58; Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Rn. 836; Ramsauer, in: AK-GG II (FN 33), Art. 80 Rn. 89. 43 Wallrabenstein, in: v. Münch/Kunig (FN 27), Art. 80 Rn. 65; Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 65; Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 64; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 119; Helms (FN 5), S. 59 ff., 147 f.; Maurer (FN 23), S. 583 (590); Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 842; a. A. Jutzi (FN 24), S. 239 (244); Ramsauer, in: AK-GG II (FN 33), Art. 80 Rn. 97. 44 Vgl. Schütz (FN 29), S. 37 (38). 41

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2. Bindung an die Landesverfassung Aber selbst wenn die Volksvertretungen der Länder an die Vorgaben der ermächtigenden Bundesgesetze gebunden sind, bleiben sie Landesorgane und als solche weiterhin auch an ihre jeweilige Landesverfassung gebunden.45 Das verordnungsvertretende Gesetz muss als reguläres, formelles Landesgesetz vor allem die Maßgaben der Landesverfassung zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens einhalten.46 Jedoch entsprechen derartige Gesetze nicht dem Leitbild des Parlamentsgesetzes als Ergebnis eines umfassenden politischen Diskurses, in dessen Gestaltung das Parlament – abgesehen von verfassungsrechtlichen Bindungen – inhaltlich frei ist.47 Einige Autoren wollen die verordnungsvertretenden Gesetze deshalb als „förmliches Landesgesetz sui generis“ erfasst sehen,48 was bereits auf ein weiteres, gleich noch näher zu beleuchtendes Problemfeld hindeutet, nämlich auf die Konsequenzen für den Rechtsschutz. 3. Koordinierungsfragen Vorab soll der Blick aber noch auf einige Koordinierungsfragen fallen, die durch die Konstruktion verordnungsvertretender Gesetze entstehen. Es sind dies die Fragestellungen: Wer darf zuerst rechtsetzend tätig werden – die Landesregierung oder der Landtag? Müssen sie sich abstimmen? Dürfen sie bereits getroffene Regelungen des jeweils anderen Delegatars ändern? a) Zugriffspriorität Weichenstellend für die Beantwortung dieser Fragen sind die Überlegungen zur Reihenfolge der Rechtsetzungstätigkeit von Landesregierung und Landesparlament. Um die sich aus Art. 28 Abs. 1 GG ergebende Verfassungshoheit der Länder zu wahren, konnte der verfassungsändernde Gesetzgeber und kann der einfache Bundesgesetzgeber hierüber keine verbindliche Bestimmung treffen.49 Sowohl der Wortsinn des Art. 80 Abs. 4 GG („auch durch Gesetz“) als auch die Zusammenschau von Art. 80 Abs. 1 und 4 GG legen aber nahe, dass hier eine konkurrierende, gleichrangige Rechtssetzungszuständigkeit der Volksvertretungen und der Exekutive beab-

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Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 118; ebenso wohl Maurer (FN 3), § 17 Rn. 148. 46 Vgl. Uhle (FN 32), Art. 80 Rn. 45; Haratsch, in: Sodan (FN 32), Art. 80 Rn. 34; Jutzi (FN 24), S. 239 (242). 47 Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 840. 48 Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 66 (mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Rechtsnatur von „verordnungsändernden Gesetzen“); Nierhaus, in: Macke (FN 23), S. 223 (231); ders., in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 840 f.; undeutlich Löwer, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 86. 49 Helms (FN 5), S. 61; Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 824.

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sichtigt gewesen ist.50 Soweit ersichtlich, gibt es auch keine landesverfassungsrechtlichen Regelungen für eine Zugriffspriorität einer der beiden Landesorgane.51 Für die Volksvertretung besteht nicht einmal eine Pflicht, sich mit der bundesgesetzlichen Ermächtigung überhaupt zu befassen.52 Deshalb muss die Landesregierung auch nicht warten, bis das Parlament sich gegen den Erlass eines verordnungsvertretenden Gesetzes entschieden hat, sondern sie kann sogleich eine Rechtsverordnung erlassen.53 Umgekehrt kann auch das Parlament sogleich aufgrund der Verordnungsermächtigung tätig werden, ohne auf ein Handeln der Landesregierung warten zu müssen. b) Informationsfluss Voraussetzung einer solchen Gesetzesinitiative ist aber eine rechtzeitige Kenntnis der Volksvertreter von einer entsprechenden konkreten Zugriffsmöglichkeit.54 Da sich die Abgeordneten die Kenntnis über neue bundesrechtliche Verordnungsermächtigungen zugunsten ihrer Landesregierung regelmäßig nicht mit zumutbarem Aufwand selbst verschaffen können, sind sie auf eine entsprechende Unterrichtung durch die Landesregierungen angewiesen.55 Deren frühzeitigen Informationsvorsprung über geplante bundesgesetzliche Ermächtigungen und deren Hintergründe durch ihre Mitwirkung im Bundesrat vermag auch ein forschender Blick der Landtagsabgeordneten ins Bundesgesetzblatt nicht auszugleichen. Da aber weder Art. 80 Abs. 4 GG explizite Informationsrechte und -pflichten hinsichtlich neuer Verordnungsermächtigungen vorsieht, noch die Landesverfassungen solche kennen, muss eine anderweitige Herleitung bemüht werden. Diese könnte etwa in den landesverfassungsrechtlichen Artikeln über das Zitierrecht des Parlaments56 oder aber in den Bestimmungen über die Pflicht der Exekutive gesucht werden, nach denen die Volksvertretung über die Vorbereitung von Rechtsverordnungen zu informieren ist.57 Beides sichert dem Landesparlament aber keine umfassende, 50 Dette/Burfeind (FN 35), S. 257 (258 f., 266); Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 58; Ramsauer, in: AK-GG II (FN 33), Art. 80 Rn. 95. 51 Für deren Ermöglichung de constitutione ferenda Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 824. 52 Siehe unter III. 4. 53 Helms (FN 5), S. 63, 73; Dette/Burfeind (FN 35), S. 257 (266); nach Eilbedürftigkeit des Verordnungserlasses differenzierend: Nierhaus, in: Macke (FN 23), S. 223 (228 f.). 54 Diese Problematik übersieht Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2005, Art. 80 Rn. 128 ff. 55 Das gilt zumindest für neu erteilte oder inhaltlich veränderte Ermächtigungen, Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 52. 56 Vgl. etwa Art. 23 Abs. 1 Verf. Niedersachsen; Art. 45 Abs. 2 Verf. Nordrhein-Westfalen; Art. 89 Abs. 1 Verf. Rheinland-Pfalz. 57 Entsprechende landesverfassungsrechtliche Informationsverpflichtungen der Regierungen finden sich in Art. 94 Abs. 1 S. 1 Verf. Brandenburg; Art. 39 Abs. 1 S. 1 u. 2 Verf. Mecklenburg-Vorpommern; Art. 25 Abs. 1 S. 1 u. 2 Verf. Niedersachsen; Art. 89 b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Verf. Rheinland-Pfalz (konkretisiert durch § 65 GO LT Rheinland-Pfalz und Ziff.

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fremdinitiierte und frühzeitige Kenntnisnahme.58 Die Verfassungspraxis in den Ländern behilft sich daher teilweise mit informalen Verständigungen.59 Wirkungsvoller ist es, wenn man im Wege der teleologischen Interpretation ein entsprechendes Informationsrecht der Volksvertretungen und eine dahingehende Informationspflicht der Exekutive sogar Art. 80 Abs. 4 GG selbst entnehmen kann: Weil diese Vorschrift die Handlungsmöglichkeiten der Landesparlamente gerade auch gegenüber ihren Landesregierungen stärken soll, muss ihr unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verfassungsorgantreue60 ein Recht der Landtage entnommen werden, von den Landesregierungen unverzüglich über diejenigen bundesrechtlichen Verordnungsermächtigungen informiert zu werden, die zum Erlass verordnungsvertretender Gesetze befähigen.61 Die Landesregierung hingegen erfährt von einem geplanten Zugriff des Parlaments bereits deshalb frühzeitig, weil hierfür – wie gezeigt – ein normales Gesetzgebungsverfahren erforderlich ist, es also zunächst einmal einer öffentlich erkennbaren Gesetzesinitiative bedarf.62

IV.2. der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung gemäß Artikel 89 b der Landesverfassung über die Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung vom 4. Februar 2010, GVBl. S. 23); Art. 62 Abs. 1 S. 1 u. 2 Verf. Sachsen-Anhalt; Art. 22 Abs. 1 S. 1 u. 2 Verf. Schleswig-Holstein; Art. 67 Abs. 4 Verf. Thüringen. 58 Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 53 f.: Das Zitierungsrecht besteht nur für einzelne Fälle und noch dazu auf Eigeninitiative des Parlaments. Die Informationspflichten zum beabsichtigten Verordnungserlass existieren nicht in allen Bundesländern, sind teilweise beschränkt und führen nicht notwendigerweise zu einer (frühzeitigen) Kenntnisnahmemöglichkeit der Parlamentarier. 59 So haben die Präsidenten der deutschen Landesparlamente auf ihrer Konferenz am 2. Juni 1997 beschlossen, den Landtagen zu empfehlen, mit ihrer Landesregierung in geeigneter Form folgende Verständigung herbeizuführen: „Die Landesregierung unterrichtet den Landtag unverzüglich über die Existenz und den Inhalt von Ermächtigungen im Sinne von Art. 80 Abs. 4 GG, die zukünftig erteilt, inhaltlich verändert oder aufgehoben werden“ (Beschluss abgedruckt u. a. in LT-Drs. Thüringen 2/2137, S. 4 = unter III.). Eine derartige „Verständigung“ wurde z. B. zwischen dem Präsidenten des Landtages und dem Ministerpräsidenten des Landes Thüringen in Bezug auf Ermächtigungen, die zukünftig erteilt oder zukünftig inhaltlich verändert werden, verabredet (Vgl. LT-Drs. Thüringen 2/2961 vom 16. 6. 1998). Somit bliebe es jedem Landesparlament selbst überlassen, welche Informationsmodalitäten es sich sichern will, vgl. auch Helms (FN 5), S. 67. 60 Dazu grundlegend W.-R. Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, passim. 61 Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 55; Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 866; a. A. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 117: Informationsobliegenheit der Landesparlamente. 62 In Rheinland-Pfalz bestimmt Ziff. IV.3. der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung gem. Artikel 89 b Abs. 3 der Landesverfassung über die Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung vom 4. Februar 2010 (GVBl. S. 23), dass auch der Landtag die Landesregierung sobald als möglich unterrichtet, wenn er die Absicht hat, von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 80 Abs. 4 GG Gebrauch zu machen.

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c) Gesetzesinitiativberechtigung Dieser Aspekt führt zu einer weiteren Besonderheit: Gesetzesinitiativen können nach allen Landesverfassungen nicht nur aus der Mitte der Volksvertretung stammen, bzw. in einigen Ländern auch von einzelnen Abgeordneten,63 sondern eben auch von der Landesregierung. Mag es nach dem Normzweck des Art. 80 Abs. 4 GG auch intendiert gewesen sein, dass die verordnungsvertretenden Gesetze ihren Ausgangspunkt bei einer Initiative aus der Mitte der Volksvertretung nehmen,64 so ist es doch nicht ausgeschlossen, dass das verordnungsvertretende Gesetz auf einen Gesetzesvorschlag der Landesregierung zurückgeht. Die Landesregierung hat es damit gleichsam in der Hand, ob sie aufgrund der Ermächtigung eine Verordnung selbst erlässt oder den Landtag damit im Wege einer Gesetzesinitiative befasst; in diesem Sinne steht ihr gewissermaßen eine Art selektierende Kompetenz-Kompetenz zu. Die Landtage wären in diesem Falle gleich doppelt in ihrer Eigenständigkeit betroffen: Zum einen ist ihr Tätigwerden von einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung des Bundestages abhängig und inhaltlich determiniert, zum anderen würde ihr Tätigwerden durch einen Initiativakt der Landesregierung inhaltlich zumindest vorgeprägt. Ein solcher Zustand ist dem Zweck des Art. 80 Abs. 4 GG, der doch gerade das Ziel verfolgt, die Landesparlamente im Verhältnis zu den Landesregierungen aufzuwerten, mehr als abträglich. Pointiert könnte man sogar die These aufstellen, dass unter diesem Blickwinkel Art. 80 Abs. 4 GG den Landesregierungen dient, weil er ihren Handlungsspielraum erweitert.65 d) Aufhebungs- und Änderungsbefugnis Nach dem Wortlaut des Art. 80 Abs. 4 GG ungeklärt ist des Weiteren die Frage nach der wechselseitigen Befugnis von Landtag und Landesregierung, die vom jeweils anderen Organ getroffene Regelung aufzuheben oder zu ändern. Die Antwort hierauf muss die allgemeine Rechtsquellenlehre geben. aa) Änderungs- und Aufhebungsbefugnis der Landesregierung? Danach ist die Grundfrage, ob die Landesregierung ein verordnungsvertretendes Gesetz ändern oder aufheben kann, leicht zu beantworten. Es besteht zwar eine Gleichrangigkeit der Zugriffsrechte auf die zu regelnde Materie, aber im Konfliktfall genießt die Gesetzesregelung Priorität: Die auf bundesgesetzlicher Rechtsgrundlage erlassenen Rechtsverordnungen sind nicht etwa Teile des nach Art. 31 GG vorrangigen Bundesrechts, sondern Rechtsverordnungen des Landesrechts; damit stehen sie nicht nur dem gesamten Bundesrecht, sondern auch dem förmlichen Gesetzesrecht 63

Art. 59 Abs. 1 Verf. Baden-Württemberg; Art. 98 Verf. Saarland; Art. 37 Abs. 1 Verf. Schleswig-Holstein. Zu den Motiven eines Initiativrechts einzelner Abgeordneter vgl. Gröpl, in: Wendt/Rixecker, Verfassung des Saarlandes, 2009, Art. 98 Rn. 7. 64 Vgl. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 116. 65 In diesem Sinne Helms (FN 5), S. 121 f.

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des Landes im Rang nach.66 Wenn die Volksvertretung ihre Befugnis zum Erlass eines verordnungsvertretenden Gesetzes wahrnimmt, verdrängt dies eine mögliche Rechtsverordnung der Landesregierung.67 Eine Folgefrage ist, ab wann diese Sperrwirkung für exekutives Handeln nach dem Prinzip vom Vorrang des Gesetzes eintritt. Richtigerweise ist auf den Gesetzesbeschluss des Landtags, nicht schon auf eine Gesetzesinitiative abzustellen.68 Auch eine Änderung dieser Gesetze durch Verordnungen der Landesregierung ist nach dem deutschen Verständnis vom Vorrang des Gesetzes ausgeschlossen: Anders als etwa in Spanien oder Italien sind gesetzesvertretende Verordnungen der Exekutive, die auf einem unabgeleiteten Verordnungsrecht der Exekutive beruhen und wegen ihres Gesetzesrangs den Parlamentsgesetzen ebenbürtig sind („decreto ley“),69 nach deutschem Verfassungsrecht unzulässig.70 Das Grundgesetz kennt nur eine Ausnahme, nämlich in der Übergangsregelung des Art. 119 S. 1 GG.71 Im Allgemeinen sind daher auch „gesetzesändernde“ Verordnungen, die formell-gesetzliche Inhalte abweichend oder neu regeln, unzulässig, soweit sie sich eine (formelle) Gesetzeskraft anmaßen.72 Anders verhält es sich, wenn die gesetzesverdrängende Wirkung auf einem ausdrücklich zugunsten von Rechtsverordnungen reduzierten – subsidiären – Geltungsanspruch der formellen Gesetze beruht und von einem sachlichen Grund gedeckt ist.73 So ist es im Bereich der verordnungsvertretenden Gesetze nach Art. 80 Abs. 4 GG aber gerade nicht, denn das würde den Sinn der Vorschrift konterkarieren. bb) Änderungs- und Aufhebungsbefugnis des Landtags Auch der umgekehrte Fall, also die Aufhebung oder Änderung einer Rechtsverordnung der Landesregierung durch ein verordnungsvertretendes Gesetz, scheint auf 66 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 32; Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 52; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 58. 67 Vgl. statt vieler nur Maurer (FN 23), S. 583 (588), auch zur Folgefrage, wie bei einer vom Landtag nur teilweise ausgeschöpften Regelungskompetenz zu verfahren ist (S. 590 f.). 68 Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 58; a. A. Helms (FN 5), S. 64 f., 148; Ramsauer, in: AK-GG II (FN 33), Art. 80 Rn. 95. 69 Zum spanischen Recht s. Volmich, Gesetz- und Verordnungsgebung auf der zentralstaatlichen Ebene Spaniens, 2000, S. 74 ff.; Theml, Das Rechtsstaatsprinzip und die Übertragung legislativer Befugnisse auf die Exekutive in Spanien, 1999, S. 22 ff. 70 Vgl. statt vieler nur Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 19; Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 10. 71 Zu vergleichbaren Konstellationen in Art. 127, 132 Abs. 4 und 115 k GG, bei denen es sich jedoch um abgeleitetes, nicht originäres Verordnungsrecht der Exekutive handelt, vgl. Ossenbühl (FN 66), § 103 Rn. 26. 72 Vgl. Lepa, AöR 105 (1980), S. 337 (352); Ramsauer, in: AK-GG II (FN 33), Art. 80 Rn. 41. 73 BVerfGE 8, 155 (170 f.); Reimer, in: Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2006, § 9 Rn. 80; Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 11; zur Untergruppe sog. „experimenteller Rechtsverordnungen“ siehe Lindner, DÖV 2007, S. 1003 ff.

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den ersten Blick normenhierarchisch unproblematisch zu sein. Bei näherem Hinsehen wird man jedoch differenzieren74 müssen: (1) Ersetzung und Aufhebung von Rechtsverordnungen Aus Gründen des Gesetzesvorrangs innerhalb des Landesrechts kann das Parlament, auch nachdem die Landesregierung ihre Verordnungsbefugnis ausgenutzt hat, durch Erlass eines verordnungsvertretenden Gesetzes die bestehende Rechtsverordnung vollständig ersetzen.75 Problematischer ist hingegen ein bloß negatorischer Akt, also die schlichte und ersatzlose Aufhebung der Verordnung durch den Landtag. Eine solche ist bereits der Sache nach unzulässig, wenn die gesetzliche Ermächtigung den Erlass einer Regelung verpflichtend vorsieht, etwa weil ansonsten das Bundesgesetz nicht vollzugstauglich wäre.76 Darüber hinaus dürfte eine bloße Aufhebung der Verordnung durch den Landtag aber auch aus generellen Erwägungen unzulässig sein, weil Art. 80 Abs. 4 GG dem Landtag eine zusätzliche Handlungsoption eröffnet, indem er eine Regelung „auch durch Gesetz“ ermöglicht. Damit ist eine andere Form abstrakt-genereller Rechtsetzung gemeint, nicht aber die bloße Kassation vorhandener Verordnungen. (2) Änderung von Rechtsverordnungen Noch problematischer ist der Fall, dass die Legislative eine Rechtsverordnung im förmlichen Gesetzgebungsverfahren nur teilweise ändert, indem sie den Text der Verordnung umformuliert oder ergänzt.77 Im Gegensatz zu der ersatzlosen Kassation einer Verordnung ist eine solche Änderung der Verordnungen als ein „wesensgleiches Minus“ zur eigenen Vollregelung durch verordnungsvertretendes Gesetz als zulässig anzusehen. Denn es besteht sachlich kein Unterschied zu der daneben denkbaren Variante, dass der Landtag ein verordnungsvertretendes Gesetz erlässt, mit dem er seine Änderungswünsche formuliert, ansonsten aber nur wortlautidentisch die Paragraphen der Verordnung wiederholt. Ist eine Änderung der Landesverordnung durch verordnungsvertretendes Gesetz aber möglich, so entstehen die gleichen Problemstellungen, wie sie allgemein aus dem Verhältnis von Verordnungsbefugnis und Änderungsgesetzen bekannt sind.78 Insbesondere muss die Frage gestellt werden, welchen Rechtscharakter eine durch Gesetz teilweise geänderte Verordnung besitzt. Weil die richtige Antwort auf diese Frage umstritten gewesen ist – neben Verordnungsrang und Gesetzesrang 74

Ohne jegliche Differenzierung: Wagner/Brocker (FN 28), S. 759 (759). Vgl. statt vieler nur Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 59. 76 Dette/Burfeind (FN 35), S. 257 (259 f.); Helms (FN 5), S. 62. 77 Konkrete Beispiele für die teilweise Änderung des Verordnungstextes durch die Legislative bei Mann, DÖV 1999, S. 228 (231). 78 Vgl. zusammenfassend und jeweils m.w.N. Wallrabenstein, in: von Münch/Kunig (FN 27), Art. 80 Rn. 26; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 114; Mann, in: Sachs, GG (FN 26), Art. 80 Rn. 9. 75

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wurde auch eine Mischlösung vertreten, nach der nur die geänderten Bestimmungen Gesetzesrang beanspruchen konnten – behalf sich die legislatorische Praxis mit sog. „Entsteinerungsklauseln“, nach denen durch Gesetz eine „Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang“ angeordnet wurde, die den Verordnungsgeber wieder in die Lage versetzte, auch die vom Gesetzgeber geänderten Vorschriften in Zukunft wieder durch Verordnungen ändern zu dürfen.79 Nachdem das Bundesverwaltungsgericht die durch Gesetz geänderten Teile einer Rechtsverordnung mit Entsteinerungsklausel als „formelles Gesetz mit minderem Rang“ angesehen und hiergegen ein verwaltungsgerichtliches Normenkontrollverfahren als zulässig erachtet hatte,80 hielt es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2005 aus Gründen der Rechtsklarheit für geboten, solchen Gebilden einen einheitlichen Rang zuzuweisen und – allerdings ohne nähere Begründung – insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren.81 Den vorerwähnten „Entsteinerungsklauseln“ komme daher nur deklaratorische Bedeutung zu.82 Übertragen auf die Konstellation des Art. 80 Abs. 4 GG könnten die Landesparlamente Rechtsverordnungen der Landesregierungen also ändern, wenn dabei das von der Landesverfassung vorgesehene Gesetzgebungsverfahren beachtet wird und die Modifikation die Grenzen der bundesrechtlichen Ermächtigung (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) sowie das Zitiergebot (Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG)83 einhält. Hierdurch würde unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Verordnungsrang der Gesamtregelung nicht berührt. In Abweichung von dieser allgemeinen Problematik verordnungsändernder Gesetze sind mit Blick auf verordnungsvertretende Gesetze allerdings zwei Gesichtspunkte zur Klarstellung festzuhalten: – Dass ein Landesgesetzgeber eine auf bundesrechtlicher Ermächtigung ergangene Rechtsverordnung überhaupt ändern kann, ist eine Folge des Art. 80 Abs. 4 GG. Ohne diese Regelung würde er sich ansonsten eine Normsetzungsbefugnis in einer Materie anmaßen, die ihm kompetenzrechtlich gar nicht zur Regelung offen steht. Alleine der Vorrang des Landesgesetzes vor dem der Landesverordnung vermag einen solchen Zugriff nicht zu rechtfertigen. 79

Zur Problematik der Entsteinerungsklauseln Uhle, DÖV 2001, S. 241 (243 ff.) m.w.N. BVerwGE 117, 313 (317 f.). 81 BVerfGE 114, 196 (235 ff.); 114, 303 (311 f.); ebenso zuvor H. Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 663. 82 BVerfGE 114, 196 (238 ff., 240). Kritisch zur höchstrichterlichen, eine „Parlamentsverordnung“ einführenden Rechtsprechung: Osterloh/Gerhardt (abw. Meinung), BVerfGE 114, 196 (250 ff.); Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 47 – 51; Brosius-Gersdorf, ZG 2001, S. 305 (310 – 319); Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/ders. (FN 9), Art. 80 Rn. 14; zustimmend hingegen Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (FN 54), Art. 80 Rn. 20; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 25 f. 83 Die Einhaltung des Zitiergebots wird vom BVerfG zur verfassungskonformen Änderung einer Rechtsverordnung im formellen Gesetzgebungsverfahren nicht vorausgesetzt. Dies rügen Osterloh/Gerhardt in ihrem Sondervotum zu Recht als inkonsequent, BVerfGE 114, 196 (257). 80

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– Eine gesetzliche Entsteinerungsklausel in dem Sinne, dass sie die Landesregierung ermächtigt, die vom Landtag durch Gesetz geänderten Vorschriften erneut durch Verordnung zu ändern, könnte der Landtag gar nicht wirksam normieren. Denn sie betrifft nicht nur die Rangfrage, sondern beinhaltet auch eine erneute materielle Freigabe zur Setzung abstrakt-generellen Rechts. Diese erneute materielle Ermächtigung kann aber nur der ursprünglich delegierende Gesetzgeber treffen. Das ist in den Fällen des Art. 80 Abs. 4 GG aber der Bundestag, und nicht der Landtag. 4. Subdelegation Grundgesetzlich nicht geregelt ist die Möglichkeit der Subdelegation durch verordnungsvertretende Gesetze. Für eine analoge Anwendung des Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG, der für den Normalfall eine Weiterübertragung der Ermächtigung durch Rechtsverordnung vorsieht, falls dies im ermächtigenden Bundesgesetz zugelassen ist, besteht kein Raum, denn es fehlt insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke: Art. 80 Abs. 4 GG sollte den Landesparlamenten zusätzliche Handlungsräume eröffnen, indem ihnen Verordnungsagenden zur Regelung durch Gesetz zugewiesen worden sind. Eine Subdelegation mit einer dadurch entstehenden dreistufigen Kaskade aus ermächtigendem Bundesgesetz, dem die Ermächtigung übertragenden verordnungsvertretenden Landesgesetz und einer letztlich ausführenden Landesrechtsverordnung würde diesem Zweck zuwider laufen.84 Sofern eine Subdelegation sachlich angezeigt ist – in Betracht kommen etwa öffentlich-rechtliche Körperschaften beruflicher und wirtschaftlicher Selbstverwaltung – ist dafür eine Verordnung der Landesregierung der richtige Weg. 5. Rechtsschutz Als letzter Komplex sollen abschließend die Rechtsschutzfragen beleuchtet werden, die entstehen, wenn der Landtag von der Möglichkeit zum Erlass eines verordnungsvertretenden Gesetzes Gebrauch macht. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die bereits mehrfach angesprochene Einsicht, dass verordnungsvertretende Gesetze nach Art. 80 Abs. 4 GG grundsätzlich als vollwertige Parlamentsgesetze zu qualifizieren sind. Hierdurch kommt es in denjenigen Ländern zu Rechtsschutzeinbußen der Bürger, die einerseits kraft Landesrechts gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO für „unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschriften“ ein Normenkontrollverfahren vor dem OVG eingeführt haben, aber andererseits ein Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen Gesetze vor dem Landesver-

84 Im Ergebnis ebenso Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 844; offen gelassen bei Schütz (FN 29), S. 37 (38); Bauer, in: Dreier (FN 9), Art. 80 Rn. 65; Helms (FN 5), S. 64; a.A. (Subdelegation zulässig) Maurer (FN 23), S. 583 (590 f.).

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fassungsgericht nicht kennen.85 Dies sind Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In diesen Ländern wäre gegen eine Verordnung der Landesregierung die Möglichkeit einer prinzipalen Normenkontrolle eröffnet, doch gibt es im dortigen Landesrecht keinen entsprechenden Rechtsbehelf der Bürger, mit dem man ein verordnungsvertretendes Gesetz angreifen könnte.86 Insoweit bleiben Betroffene darauf verwiesen, einen behördlichen Ausführungsakt, der auf einem verordnungsvertretenden Gesetz beruht, gerichtlich überprüfen zu lassen. Die daneben bestehende Möglichkeit, sich gegebenenfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG gegen ein verordnungsvertretendes Gesetz zu wehren, ist kein vollwertiger Ersatz für eine fehlende verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle, da anders als vor dem OVG dort nur die Rüge der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten zulässig ist.87 Darüber hinaus kann ein Fachgericht im Rahmen normaler verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten entscheidungsrelevante Rechtsverordnungen selbst auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen und verneinendenfalls als verfassungswidrig außer Betracht lassen (Inzidentprüfung).88 Demgegenüber muss es verordnungsvertretende Gesetze, die es für verfassungswidrig hält, wie alle anderen Landesgesetze auch, gem. Art. 100 Abs. 1 GG einer konkreten Normenkontrolle zuführen,89 was für den klagenden Bürger den Nachteil einer Verzögerung seines Rechtsschutzes mit sich bringt.90

V. Fazit Betrachtet man zusammenfassend die Vielzahl der Folgeprobleme, die mit der Einführung der verordnungsvertretenden Gesetze einhergehen, so verwundert es nicht, dass diese Rechtsquellenkategorie auch mit Erreichen ihrer „Volljährigkeit“ nach nunmehr 18 Jahren noch keine Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit erlangt hat. Es dürfte klar geworden sein, dass damit das Regelungsziel des verfassungsändernden Gesetzgebers, den Landesparlamenten ein größeres Gewicht zu verleihen, deutlich verfehlt wurde. Davon zeugt ihr geringer Bekanntheitsgrad unter den Parlamentariern91 ebenso wie ihre mangels praktischer Anschauung92 selten gewor85 Mann, in: Sachs (FN 26), Art. 80 Rn. 62 f.; Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 122. Vgl. auch die Reformüberlegungen de lege ferenda bei Helms (FN 5), S. 85 ff. 86 Auch eine analoge Anwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den „Hamburger Bebauungsplangesetzen“ (BVerfGE 70, 35 ff.) ist abzulehnen, vgl. ausführlich Helms (FN 5), S. 95 ff. 87 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (FN 24), Art. 80 Rn. 123. 88 Allg. Auffassung, vgl. statt vieler Ossenbühl (FN 66), § 103 Rn. 84. 89 Wallrabenstein, in: v. Münch/Kunig (FN 27), Art. 80 Rn. 65. 90 Ausnahmen vom Verwerfungsmonopol des BVerfG in den Fällen verordnungsvertretender Gesetze befürworten Schütz (FN 29), S. 37 (38 ff.) und Nierhaus, in: Dolzer u. a. (Hrsg.) (FN 23), Art. 80 Rn. 875, 894 f., 916 f. Ablehnend Sommermann, JZ 1997, S. 434 (440). 91 Vgl. Helms (FN 5), S. 108.

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dene Thematisierung in der Rechtswissenschaft. Selbstverständlich nehmen sich die Grundgesetzkommentierungen dieser Vorschrift an, doch lassen sich innerhalb der Kommentierungen der Landesverfassungen nur wenige finden, die im Rahmen der Bearbeitung von Vorschriften über die Verordnungsgebung den Sonderfall eines alternativen verordnungsvertretenden Gesetzes kraft Bundesrechts zumindest kurz erwähnen.93 Im Grunde leidet die Konstruktion bereits an einem Geburtsfehler, denn die Vorstellung, den Landesparlamenten Gestaltungsspielraum zu verleihen, indem man sie befähigt, verordnungsvertretende Gesetze zu erlassen, verkennt bereits das Wesen der Verordnungsgebung. Das beginnt damit, dass im Falle einer verordnungsvertretenden Gesetzgebung durch einen parlamentarischen Gesetzgeber alle Vorteile verloren gehen, die man der exekutiven Normsetzung gemeinhin zuschreibt – Flexibilität, Praktikabilität und beschleunigte Novellierungsintervalle.94 Das Missverständnis geht aber noch tiefer: Die Delegation von Rechtsetzungsgewalt auf die Exekutive hat den Sinn, den parlamentarischen Gesetzgeber zu entlasten.95 In einem industrialisierten und pluralisierten Gemeinwesen besteht Bedarf nach der Normierung technischer Details und ephemeren Regelungen ohne oder mit nur geringem politischen Entscheidungsgehalt, deren flächendeckende Thematisierung eine Volksvertretung zeitlich und strukturell überfordern würde.96 Aus diesem Grund sind es in qualitativer Hinsicht regelmäßig normative Angelegenheiten von minderer Wichtigkeit, die an den Verordnungsgeber delegiert werden. Das ist die konsequente Kehrseite der zum Parlamentsvorbehalt verdichteten Wesentlichkeitstheorie, die dem Gesetzgeber ein Delegationsverbot für die wesentlichen Entscheidungen auferlegt.97 Die Verleihung eines alternativen Zugriffsrechts auf einzelne Materien der Verordnungsgebung, und zwar nach Maßgabe der bundesgesetzlichen Vorbestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß, ist mit keinerlei politischer Gestaltungsmacht verbunden. Sie führt vor diesem Hintergrund nicht zu einer Aufwertung, sondern zu einer Diskreditierung der Volksvertretungen der Länder.

92 Der soweit ersichtlich einzige (und unnötige) Anwendungsfall war das saarländische Gesetz zur Übertragung von Aufgaben für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vom 11. 11. 1998, Saarl. ABl. 1998, S. 1259 – heute in dieser Form nicht mehr in Kraft. 93 Vgl. Mann, in: Löwer/Tettinger, Kommentar zur Verfassung des Landes NRW, 2002, Art. 70 Rn. 32; Hagebölling, Niedersächsische Verfassung, 2. Aufl. 2011, Art. 43 Anm. 1. 94 Differenzierende Betrachtung bei Helms (FN 5), S. 150. 95 So bereits Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S. 111. Ausführlich zur Entlastungsfunktion und weiteren grundlegenden Funktionen von Rechtsverordnungen (am Beispiel des Umweltrechts) Saurer, Die Funktionen der Rechtsverordnung, 2005, S. 63 ff. 96 Ossenbühl (FN 66), § 103 Rn. 2 f. 97 Vgl. nur Ossenbühl (FN 66), § 101 Rn. 49; aus der Rechtsprechung siehe z. B. BVerfGE 49, 89 (126 f.); 83, 130 (142); 123, 39 (78).

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Die Vorschrift wird – diese Prognose erscheint alles andere als gewagt – auch in Zukunft keine nennenswerte Bedeutung erlangen. Es sollte daher nun der Zeitpunkt gekommen sein, das Scheitern dieses Reformversuchs einzugestehen und diese „Irregulare im Rechtsquellensystem“98 wieder aus dem Grundgesetz zu streichen.

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Begriff nach Ossenbühl (FN 66), § 103 Rn. 33.

Die Übertragbarkeit der Elfes-Dogmatik auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Von Wolf-Rüdiger Schenke, Mannheim I. Einführung in die Problematik 1. Die Elfes-Rechtsprechung Zu den Bereichen des öffentlichen Rechts, denen das besondere Interesse Rolf Grawerts gilt, gehört zweifellos das Kommunalrecht. Zu diesem äußerte er sich in seinem viel beachteten Vortrag „Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart“.1 Allerdings konnten sowohl er wie auch sein Korreferent Willi Blümel2 im Rahmen ihrer zeitlich begrenzten Vorträge naturgemäß nicht zu allen Fragen Stellung nehmen, die die Rechtsstellung der Gemeinden und hier insbesondere auch die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung betrafen. So ging Rolf Grawert in seinem Vortrag nicht näher auf die Frage ein, ob das kommunale Selbstverwaltungsrecht – in Entsprechung zur Elfes-Dogmatik – vor jedem rechtswidrigen Eingriff schützt. Immerhin lässt sich aus einer Fußnote der veröffentlichten Fassung seines Vortrags – wenn auch nur mit etwas Phantasie – ableiten, dass er dazu tendierte, bei Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts Abwehrrechte der Gemeinde in Entsprechung zu der Dogmatik grundrechtlicher Abwehrrechte des Bürgers zu verneinen.3 Seit der Elfes-Entscheidung des BVerfG4 geht dieses in Übereinstimmung mit der heute ganz h. M. davon aus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit stets mit deren Verletzung verbunden ist. Das gilt auch dann, wenn die verletzte Norm selbst keine subjektiven Rechte des Betroffenen begründet und nur objektiv-rechtliche Bedeutung besitzt. Diese Rechtsprechung ist in der Folgezeit auch auf besondere Freiheitsgrundrechte ausgedehnt worden.5 Damit führt hier ebenfalls ein – aus welchen Gründen auch immer – rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts zu einer Grundrechtsverletzung. Zu klären ist im Folgenden, ob und inwieweit die Elfes-Dogmatik einer Übertragung auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht 1

Grawert, VVDStRL Bd. 36, S. 277 ff. Blümel, VVDStRL Bd. 36, S. 171 ff. 3 Grawert (FN 1), S. 279. 4 BVerfGE 6, 32 ff. 5 So z. B. auf Art. 14 GG, vgl. BVerfGE 24, 367 (400). 2

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des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zugänglich ist und damit jeder rechtswidrige Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht zu dessen Verletzung führt. 2. Meinungsüberblick Die Frage, ob die Elfes-Rechtsprechung auf die durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützte kommunale Selbstverwaltungsgarantie übertragbar ist, wird unterschiedlich beantwortet. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts6 hatte die Frage zunächst offen gelassen. Allerdings schienen seine Äußerungen in der Folgezeit jedenfalls prima facie darauf zu deuten, dass es eine solche Übertragbarkeit ablehne.7 In der Entscheidung vom 16. 3. 20068, betreffend die Planfeststellung für den Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld, führte das BVerwG dann jedoch aus, dass lärmbetroffene Gemeinden im Umfeld eines geplanten internationalen Verkehrsflughafens mit der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses eine umfassende (objektiv-rechtliche) Überprüfung der landesplanerischen Standortentscheidung und der luftverkehrsrechtlichen Planrechtfertigung beanspruchen können. Als Begründung hierfür wies das BVerwG „ergänzend“ darauf hin, dass „Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG den Gemeinden das Recht gewährleistet, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ,im Rahmen der Gesetze‘ in eigener Verantwortung zu regeln“.9 Das Bundesverfassungsgericht bejahte schon zu Beginn seiner Rechtsprechung einen Verstoß gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht nur dann, wenn die verletzten Vorschriften das Bild des Selbstverwaltungsrechts mit zu prägen geeignet seien.10 Das wurde z. B. bei der Verletzung von Gesetzgebungskompetenzregelungen angenommen11, ferner bei Verstößen gegen die Kompetenzregelungen der Art. 83 ff. GG12, gegen das Bundesstaatsprinzip13, gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG14, gegen das Demokratieprinzip15, das Verhältnismäßigkeitsprinzip16 und das aus dem Rechtstaatssprinzip abzuleitende Willkürverbot.17 In seiner Hartz IV-Entscheidung verneinte das BVerfG zwar eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts bezüglich eines Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht eines Landkreises bzw. einer kreisfrei6

BVerwG, NVwZ 1992, S. 787 (788); NVwZ-RR 1998, S. 289 (290). BVerwG, NVwZ 2001, S. 1160 (1161); 2003, S. 207 (209); 2004, S.1229. 8 BVerwG, NVwZ 2006, S. 1055 ff. 9 BVerwG, NVwZ 2005, S. 1055 (1056). 10 BVerfGE 1, 167 (181); NJW 1952, S. 537; 1981, S. 1659 = BVerfGE 56, 298 (310); NVwZ 1986, S. 269 = BVerfGE 71, 25 (37); NVwZ 1995, S. 667 = BVerfGE 91, 228 (242); NVwZ 2008, S. 183 (184) = BVerfGE 119, 331 (357). 11 BVerfG 56, 298 (310); 112, 216 (221). 12 BVerfG NVwZ 2008, S. 183 (184 ff.). 13 BVerfGE 56, 298 (311). 14 BVerfGE 26, 228 (240); 56, 298 (319 ff.). 15 BVerfGE 91, 228 (244). 16 BVerfGE 26, 228 (241); 56, 298 (313 f.). 17 BVerfGE 1, 167 (181); 26, 228 (242 ff.); 56, 298 (313 f.); 91, 228 (242). 7

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en Stadt, der unter Verstoß gegen Art. 84 GG erfolgte.18 Gleichzeitig bejahte es jedoch einen verfassungswidrigen Eingriff in deren Organisationshoheit wegen einer mit den Art. 83 ff. GG unvereinbaren Mischverwaltung.19 Dieser Verstoß verletze die Landkreise und kreisfreien Städte in ihrem durch Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG begründeten Selbstverwaltungsrecht. Befürwortet wurde durch das BVerfG ferner die Prüfung eines das Gewerbesteueraufkommen betreffenden Gesetzes, weil das Gewerbesteueraufkommen gem. Art. 106 Abs. 6 S. 1 GG allein den Gemeinden zusteht.20 Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sind die Meinungen geteilt. Während hier überwiegend eine Anknüpfung an die Dogmatik der Elfes-Rechtsprechung verneint wird21, wird sie von anderen Autoren bejaht.22 II. Die Übertragbarkeit der Elfes-Dogmatik auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Eine Stellungnahme zu der hier bestehenden Kontroverse setzt zunächst voraus, dass man sich über die Rechtsnatur der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Klarheit verschafft. Qualifizierte man das kommunale Selbstverwaltungsrecht in Anlehnung an die Weimarer Reichsverfassung nur als eine institutionelle Garantie und leugnete gleichzeitig dessen subjektiven Rechtscharakter, so bildete dies in der Tat ein gewichtiges Indiz, das gegen eine Anknüpfung an die Dogmatik der Elfes-Rechtsprechung spräche.23 So ist es denn gewiss kein Zufall, dass die vom BVerfG schon ganz zu Beginn seiner Rechtsprechung befürwortete Beschränkung des Prüfungs18

BVerfG, NVwZ 2008, S. 183 (184 ff.). BVerfG, NVwZ 2008, S. 185. 20 BVerfGE 112, 216 (221 ff.). 21 Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 91, Rn. 63; Bethge, Die Grenzen grundrechtlicher Subjektivierung objektiven Verfassungsrechts, in: Otto Depenheuer/Markus Heintzen/ Matthias Jestaedt, FS Isensee, 2007, S. 616 f.; Burmeister, JA 1980, S. 17 (22 ff.); Löwer, Zuständigkeit und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 78; von Schwanenpflug/Strohmayr, NVwZ 2006, S. 395 (397); dahin in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung tendierend VGH München, BayVBl 1995, S. 50; NVwZ-RR 2006, S. 433; OVG Saarlouis, DÖV 1987, S. 496. 22 Alexander/Martin, NVwZ 1992, S. 950 (952); Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im öffentlichen Recht, 1995, S. 541 f.; Ehlers, NWVBl 1990, S. 44 (45); Funk-Draschka, Die gerichtliche Überprüfbarkeit von Planfeststellungsbeschlüssen, 1993, S. 89 ff; Hoppe, DVBl. 1995, S. 179 (185 f.); Hug, Gemeindenachbarklagen im öffentlichen Baurecht, 2008, S. 453 ff.; Kirchberg/Boll/Schütz, NVwZ 2002, S. 550 (554); Kopp/ Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 18. Aufl. 2012, § 42 Rn. 138; Krebs, DVBl. 1982, S. 1044 (1046); Kühling, Fachplanungsrecht, 1988, Rn. 467; Nickel/Kopf, UPR 2003, S. 22 (24); Schenke, NVwZ 1990, S. 925 (927); in der Rechtsprechung VGH Kassel, NVwZ 1989, S. 484 (486). 23 Darauf, dass die Ablehnung der Übertragung der Elfes-Rechtsprechung auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wesentlich darauf beruht, dass das BVerfG davon ausgeht, dass Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG lediglich eine institutionelle Garantie und kein subjektives Recht beinhalte, weisen Knemeyer/Wehr, VerwArch. 92 (2001), S. 317 (343) hin. 19

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maßstabs einer kommunalen Verfassungsbeschwerde mit einem gleichzeitigen Verständnis des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG einherging, das sich noch ganz an der institutionellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung durch Art. 127 WRV orientierte. In derselben Entscheidung, in der es sich für die Beschränkung des Prüfungsmaßstabs aussprach, führte es jedenfalls aus, die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG unterscheide sich von Art. 127 WRV „nur dadurch, daß sie den Begriff der Selbstverwaltung in ihrem ersten Satz umschreibt und das Prinzip der Allzuständigkeit in diese Umschreibung aufnimmt“.24 Diese ausdrückliche Anlehnung an Art. 127 WRV findet sich zwar in späteren Entscheidungen des BVerfG nicht mehr und dürfte auch mit der weiteren Entfaltung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in seiner späteren Judikatur nur schwerlich in Einklang zu bringen sein, in der das BVerfG wiederholt von durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG begründeten Rechten der Gemeinden sprach.25 An der Beschränkung des Prüfungsmaßstabs, die es aus dem institutionellen Charakter des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ableitete, hält das BVerfG aber bis heute fest. Das muss bei Anerkennung von durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG begründeten subjektiven Rechten der Gemeinde (s. dazu unten II. 1.) zwangsläufig die Frage aufwerfen, ob nicht auch die Rechtsprechung des BVerfG zum Umfang des Schutzes des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und die damit verzahnte Bestimmung des Prüfungsmaßstabs bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde neu zu überdenken sind und einer Revision bedürfen. 1. Die Begründung subjektiver Rechte durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Die Deutung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie lediglich als institutionelle Garantie ist heute nicht mehr haltbar. Sie wird deshalb im rechtswissenschaftlichen Schrifttum26 zu Recht ganz überwiegend abgelehnt. Zwar handelt es sich bei der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie sicher nicht um ein Grundrecht. Das 24

BVerfGE 1, 167 (175). BVerfGE 107, 107 (1, 11); im selben Sinn BVerwG, NVwZ 1999, S. 520; BVerfGE 91, 228 (236); 103, 332 (358). 26 Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1305); Hellermann, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz, 2009, Art. 28 Rn. 37; Knemeyer/Wehr (FN 23), S. 317 (340); Maurer, DVBl. 1995, S. 1037 (1041 ff.); Kloepfer, Verfassungsrecht Bd. I, 2011, § 9 Rn. 296; Nierhaus, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 28 Rn. 39 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 11. Aufl. 2011, Rn. 11; in der Rspr. geht er von durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG begründeten Abwehrrechten z. B. BVerwG, NVwZ 2000, S. 675 f. aus; a. A. aber Burmeister (FN 21), S. 24 („Gemeinden nicht die Inhaberschaft bestimmter Funktionen ,als Recht‘ durch Art. 28 Abs. 2 GG garantiert“); Löwer, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz Bd. II, 5. Aufl. 2001, Art. 28 Rn. 39; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 12. Aufl. 2010, § 14 Rn. 3 und Waechter, DV 29 (1996), S. 47 (70), der von der „Wehrfähigkeit der zugewiesenen Kompetenzen“ spricht. Nach Magen, in: Umbach/Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2005, § 91 Rn. 13 soll Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG „kein subjektives Recht im Vollsinn“ sein. 25

Übertragbarkeit der Elfes-Dogmatik auf die Selbstverwaltungsgarantie

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wird bereits an ihrer systematischen Stellung deutlich. Allein hieraus folgt jedoch noch nicht, dass es sich bei ihr um kein subjektives Recht handelt.27 Dies zeigt sich schon daran, dass verfassungsrechtlich begründete subjektive Rechte sich nicht nur im Grundrechtskatalog, sondern auch außerhalb desselben finden. So können sich auch politische Parteien, deren Rechtsstellung wesentlich durch Art. 21 GG konstituiert wird, auf subjektive Rechte berufen.28 Für eine subjektive Rechtsqualität gerade des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG spricht schon dessen Wortlaut, wenn hier von der Gewährleistung des Rechts der Gemeinde gesprochen wird. Wie sich auch aus der Entstehungsgeschichte belegen lässt, wurde diese Formulierung ganz bewusst gewählt.29 Sie sollte deutlich machen, dass den Gemeinden auch ein verfassungsrechtlich garantiertes subjektives Recht eingeräumt wird. Ihre Bestätigung findet diese Subjektivierung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie durch den 1969 in das Grundgesetz eingefügten Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG. Er etablierte die vorher nur im einfachen Gesetzesrecht verankerte kommunale Verfassungsbeschwerde nunmehr auf der Verfassungsebene. Zugleich konstituierte er hier eine Rechtsmacht, die den Gemeinden zur Verteidigung ihrer Rechtsstellung gegenüber normativen Rechtsverletzungen dient. Auch hieran wird eine deutliche Verstärkung der Rechtsstellung der Gemeinden gegenüber dem ihnen durch Art. 127 WRV zuerkannten Rechtsstatus evident30, die für die Bejahung von durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG konstituierten subjektiven Rechten spricht. Demgegenüber erscheint es wenig sinnvoll, durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG begründete subjektive Rechte der Gemeinde zu leugnen und stattdessen von Kompetenzen zu sprechen, die „wie subjektive Rechte gedacht werden“31, oder nur vom Vorliegen „wehrfähiger Kompetenzen“32 auszugehen, obwohl diese der Sache nach genauso wie subjektive Rechte behandelt werden und deren Charakteristika, nämlich eine Rechtsmacht zur Verteidigung rechtlich geschützter Interessen33, aufweisen. Bei diesem gekünstelten Dualismus wirkt offensichtlich die überholte, auf Otto Mayer34 zurückgehende Vorstellung nach, derzufolge dem Staat bzw. Hoheitsträgern allgemein

27 Nicht überzeugend ist es deshalb, wenn z. B. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 56 die (zu verneinende) Frage nach der Grundrechtsqualität des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG mit jener nach der Begründung subjektiver Rechte durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vermengt. 28 Maurer (FN 26), S. 1041. 29 Während der Vorsitzende des Zuständigkeitsausschusses von Mangoldt zunächst vorgeschlagen hatte, von einem Grundsatz der Selbstverwaltung zu sprechen, plädierte der Abgeordnete Suhr dafür, statt von einem Grundsatz von einem Recht zu sprechen (vgl. JöR n. F. Bd. I, S. 254). 30 Vgl. hierzu auch Maurer (FN 26), S. 1041. 31 So Löwer, in: v. Münch/Kunig (FN 26), Art. 28 Rn. 39. 32 So Waechter (FN 26), S. 70. 33 So die heute herrschende Kombinationstheorie, dazu näher Schenke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4, 2009, Rn. 403 ff. 34 So noch Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht Bd. I, 3. Aufl. 1924, S. 107 f.

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keine subjektiven Rechte zustünden.35 Subjektive Rechte des Staates schienen diesem deshalb ausgeschlossen, weil das subjektive Recht immer etwas Begrenztes sei, während beim Staat das „dahinter stehende Unbegrenzte“ durchschlage. Für diese auf der positivistischen Vorstellung einer rechtlich unbegrenzten Souveränität des Staates beruhende Auffassung ist aber in der grundgesetzlich geprägten Verfassungslandschaft kein Raum mehr. In ihr erscheint es im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Staat und Bürger nur konsequent, eine dem Staat verliehene Rechtsmacht in Bezug auf staatliche (öffentliche) Interessen ebenfalls als subjektives Recht zu begreifen. Auch das Argument, mit dem Rechtsinstitut des subjektiven Rechts verbänden sich Freiheit und Belieben des Rechtsinhabers, vermag die Verneinung subjektiver Rechte des Staates nicht zu legitimieren, da es auf einem einseitig zivilistisch geprägten Begriffsverständnis beruht und schon von daher auf subjektive öffentliche Rechte und damit auch auf staatliche subjektive Rechte nicht übertragbar ist. Ohnehin ist sogar im Zivilrecht eine solche liberalistische Vorstellung des subjektiven Rechts längst überwunden. Selbst wenn man die Vorstellung subjektiver Rechte des Staates nach wie vor als der Rechtsmacht des Staates nicht angemessen ablehnt, rechtfertigt dies aber jedenfalls nicht die Ablehnung subjektiver Rechte der Gemeinden, obwohl diese übergeordneten Hoheitsträgern genauso gewaltunterworfen sind wie Bürger. Bei Gemeinden besteht damit ein ähnlich ausgeprägtes Schutzbedürfnis wie bei privaten Inhabern subjektiver Rechte. Dem Rechnung tragend, kommen denn auch diejenigen, die subjektive Rechte der Gemeinden ablehnen, bezeichnenderweise nicht umhin, die „Wehrfähigkeit“ der Kompetenzen der Gemeinden anzuerkennen und diese „wie subjektive Rechte zu denken“. Damit reduziert sich aber der Unterschied zu den Befürwortern subjektiver Rechte der Gemeinden auf eine rein terminologische Differenz. Im Ergebnis ist deshalb zu Recht davon auszugehen, dass sich Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht in einer institutionellen Garantie erschöpft, sondern auch subjektive Rechte begründet. Institutionelle Garantie und subjektive Rechte bilden bei Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG keine Gegensätze, sondern ergänzen sich gegenseitig. Art. 28 Abs. 2 GG enthält demgemäß nicht nur eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie, welche die Existenz von Gemeinden sichert, und eine sogenannte objektive Rechtsinstitutionsgarantie, welche diesen das Recht zur Selbstverwaltung garantiert, d. h. einen Aufgabenbereich, der eigenverantwortlich wahrgenommen werden kann.36 Diese objektiv-rechtlichen Garantien gehen vielmehr mit einer subjektiven Rechtsstellungs-

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Ganz deutlich bei Pietzner/Ronellenfitsch (FN 26), § 14 Rn. 3. Kritisch gegenüber der Verneinung subjektiver Rechte des Staates eingehend Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 233 f; ders., Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2012, Rn. 387 ff.; ebenso Bauer, DVBl. 1986, S. 208 ff.; Scherzberg, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, § 11 Rn. 25. 36 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (FN 26), Art. 28 Rn. 11.

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garantie einher.37 Sie räumt den einzelnen Gemeinden das Recht ein, die Einhaltung dieser objektiv-rechtlichen Garantien zu fordern. Ohne die Anerkennung der objektiv-rechtlichen Garantien fehlte der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie das erforderliche Substrat. Aber auch in umgekehrter Richtung wäre ohne die Subjektivierung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG mit den ihr immanenten Verteidigungsmöglichkeiten die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nur unvollkommen geschützt. Sie drohte damit ihre Effektivität einzubüßen. Institutionelle Garantie und subjektives Recht gehen damit in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG eine enge symbiotische Verbindung ein. Teilweise geht das neuere rechtswissenschaftliche Schrifttum sogar so weit, die institutionelle Garantie als unter der Herrschaft des GG überflüssig und funktionslos anzusehen und die Betonung ganz auf die subjektive Rechtsqualität der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu legen.38 Unabhängig davon, ob man dem folgen will – was schon vom Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG her als nicht unproblematisch erscheint –, steht eines fest: Die institutionelle Garantie, die Carl Schmitt39 unter der Weimarer Reichsverfassung dazu diente, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und ihr insbesondere einen Schutz gegenüber einem unbegrenzten Zugriff des einfachen Gesetzgebers zu sichern, darf heute nicht dazu benutzt werden, sie gegen die subjektive Rechtsqualität der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie auszuspielen. Das liefe auf eine Pervertierung der Zielsetzung hinaus, die mit der Rechtsfigur der institutionellen Garantie der Selbstverwaltung verfolgt wurde. 2. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht als absolutes Recht Das durch die kommunale Selbstverwaltung garantierte subjektive Recht der Gemeinden verpflichtet alle Träger von Hoheitsgewalt40, also nicht nur den Bund und die Länder, sondern auch alle anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts. So schützt es z. B. vor einer Nachbargemeinde41, einem Landkreis oder einem Regionalverband. Es wirkt insofern absolut. Auch hier ist die Ähnlichkeit mit den Freiheitsgrundrechten auffällig. Diese sind ebenfalls absolute subjektive Rechte und schützen vor ihrer rechtswidrigen Schmälerung durch andere Träger öffentlicher Ge37 Ehlers (FN 26), S. 1305; Hellermann, in: Epping/Hillgruber (FN 26), Art. 28 Rn. 37; Nierhaus, in: Sachs (FN 26), Art. 28 Rn. 45; Pieroth, in: Jarass/Pieroth (FN 26), Art. 28 Rn. 11. 38 So Maurer (FN 26), S. 1042. 39 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 170 f.; ders., Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts Bd. II, 1932, S. 572 (595); ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, 1931, wieder abgedruckt in ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 140 ff. 40 Vgl. z. B. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl. 2011, Rn. 46. 41 Vgl. auch Hug (FN 22), S. 461 f.

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walt. Dass durch die Freiheitsgrundrechte wie auch durch Art. 28 Abs. 2 GG nur die Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet werden, steht der Bejahung absoluter Rechte in beiden Fällen nicht im Wege.42 Ebenso wie bei anderen absoluten subjektiven Rechten des öffentlichen Rechts und des Privatrechts führt die Gefährdung bzw. Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zu heute allgemein anerkannten Abwehrrechten in Gestalt von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen.43 Diesen kommt ihrerseits als Hilfsrechten allerdings nur ein relativer Charakter zu. 3. Der verfassungsgeprägte Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Das kommunale Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG schützt auch einen bereits durch die Verfassung vorgegebenen Bestand von gemeindlichen Aufgaben und weist diese den Kommunen zur Selbstverwaltung zu. Diese Aufgaben werden von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zwar wenig präzise mit „allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ beschrieben, was zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten bei der Konkretisierung dieses Begriffs führt. Das gilt selbst noch nach dem in der Rastede-Entscheidung des BVerfG unternommenen Definitionsversuch. Danach sind unter Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft diejenigen Bedürfnisse und Interessen zu verstehen, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solche gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“.44 Jenseits aller Fragen, die auch dieser Konkretisierungsversuch noch aufwirft, kann aber jedenfalls als gesichert gelten, dass es bestimmte Bereiche des gemeindlichen Handelns gibt, die dem Selbstverwaltungsrecht schon kraft Verfassungsrechts unterfallen. Insoweit ist der Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG in gewissem Umfang bereits durch die Verfassung vorgegeben. Darunter fallen die Planungshoheit der Gemeinden, ihre Finanz- und Organisationshoheit sowie die gemeindliche Daseinsvorsorge, aber auch andere Bereiche mit einem besonderen örtlichen Bezug, für welche der Gesetzgeber bisher noch keine anderweitigen Zuständigkeitsregelungen getroffen hat. 4. Die Bedeutung des Ausgestaltungs- und Eingriffsvorbehalts des Gesetzgebers Der den Gemeinden durch das Grundgesetz zugewiesene Tätigkeitsbereich besteht zwar nur im Rahmen der Gesetze. Er ist insoweit – ähnlich wie dies häufig 42 s. auch Schenke (FN 35), Rn. 386. Auch der Annahme absoluter Privatrechte steht bezeichnenderweise nicht entgegen, dass diese unmittelbar nur vor Privaten, nicht hingegen vor Hoheitsträgern schützen. 43 Vgl. z. B. Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (FN 40), Art. 28 Rn. 45. 44 BVerfGE 79, 127 (151 f.); 110, 370 (400); NVwZ 2006, S. 595 (596); ebenso NWVerfGH, DVBl. 2001, S. 1595 (1597).

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auch für die Freiheitsgrundrechte, z. B. Art. 14 GG, zutrifft – einem (allerdings nicht unbeschränkten) Ausgestaltungs- und Eingriffsvorbehalt des Gesetzgebers unterworfen. Dieser Ausgestaltungs- und Eingriffsvorbehalt steht aber – wie alles gesetzliche Handeln – unter dem Vorbehalt der Verfassungsmäßigkeit. Verstöße gegen die Verfassung können sich dabei nicht nur aus einer unmittelbaren Verletzung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ergeben, sondern auch aus der Verletzung sonstigen Verfassungsrechts, so etwa aus der Verletzung verfassungsgesetzlicher Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, aus der Verletzung der Vorschriften der Art. 76 f. GG über das Gesetzgebungsverfahren, aus dem Gleichheitssatz usw. Solche verfassungswidrigen Normen sind grundsätzlich nichtig bzw. zumindest korrekturbedürftig. Sie vermögen deshalb das kommunale Selbstverwaltungsrecht nicht auszugestalten bzw. einzuschränken. Sie lassen damit einen unmittelbaren, nicht durch das Gesetzesrecht gebrochenen Zugriff auf die (auch) subjektiv-rechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsgarantie zu. In dieser Hinsicht besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützten kommunalen Selbstverwaltungsrecht und dem durch Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG garantierten Selbstverwaltungsrecht von Gemeindeverbänden. Während Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG den Gemeinden einen bestimmten Aufgabenbereich bereits kraft Verfassungsrechts zuweist, ist das den Gemeindeverbänden durch Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG eingeräumte Selbstverwaltungsrecht in vollem Umfang gesetzesakzessorisch.45 Von daher liegt es auf der Hand, dass ein verfassungswidriges Gesetz, das den Gemeindeverbänden bestimmte Aufgaben als Selbstverwaltungsaufgaben zuweist und damit diese erst konstituieren soll, nicht zugleich eine Verletzung des Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG beinhalten kann. Entsprechendes gilt für die Zuweisung solcher Aufgaben an kreisfreie Gemeinden. Diese Aufgaben betreffen jedenfalls nach der Entscheidung des Gesetzgebers gerade keine Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Sie unterfallen folglich nicht dem Schutz des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und sind deshalb für die Bestimmung des Schutzgehalts des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ohne Bedeutung. Für den verfassungsunmittelbar begründeten Aufgabenbereich der Gemeinde trifft dies hingegen nicht zu. Dessen Schutzsubstrat wird – ebenso wie das der Freiheitsgrundrechte – nicht erst durch den Gesetzgeber konstituiert. Durch die Anerkennung diesbezüglicher subjektiver Rechte räumt die Verfassung den Gemeinden zugleich die Rechtsmacht ein, dieses Substrat gegen hoheitliche Eingriffe zu verteidigen. Etwas anderes würde allerdings dann gelten, wenn man der verfassungstheoretischen Neukonzeption des Selbstverwaltungsrechts folgte, wie sie von Burmeister46 entwickelt wurde. Nach ihr weist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie – trotz 45

Deutlich ausgesprochen durch BVerfG, NVwZ 2008, S. 183 (184) = 119, 331 (352 f.): „Anders als bei den Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) beschreibt die Verfassung die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantwortet dies dem Gesetzgeber“ (unter Hinweis u. a. auf BVerfGE 79, 127 (150); 83, 363 (383)). 46 Burmeister, Verfassungstheoretische Konzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, S. 1977.

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des in eine andere Richtung deutenden Wortlauts des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG – den Gemeinden keinen gegenständlich umschriebenen Aufgabenbereich zu und beinhaltet auch keine subjektiven Rechte. Eine Anknüpfung an die Dogmatik der ElfesRechtsprechung schied damit – wie Burmeister47 im Übrigen selbst gesehen und betont hatte – von vorneherein aus. Der Ansatz Burmeisters läuft jedoch auf eine inhaltliche Verkürzung und Deformation des kommunalen Selbstverwaltungsrechts hinaus. Er wird deshalb heute zu Recht von der ganz h. M. abgelehnt.48 Trotzdem dürfte zu vermuten sein, dass die Ablehnung einer Anknüpfung an die Elfes-Dogmatik jedenfalls durch die Burmeistersche Neukonzeption des kommunalen Selbstverwaltungsrechts mitbegünstigt wurde. 5. Der Schutz vor verfassungswidrigen Gesetzen als gemeinsame Konsequenz des absoluten Rechtscharakters der Freiheitsgrundrechte und des kommunalen Selbstverwaltungsrechts Die oben aufgezeigten mannigfachen strukturellen Gemeinsamkeiten, die zwischen dem allgemeinen und besonderen Freiheitsgrundrechten einerseits, der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG andererseits bestehen, legen es nahe, an die Elfes-Rechtsprechung anzuknüpfen. Die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung schützt damit ebenso wie die Freiheitsgrundrechte vor jedem rechtswidrigen Eingriff. Der tiefere Grund für die insoweit gebotene Gleichbehandlung erschließt sich dabei daraus, dass sowohl das kommunale Selbstverwaltungsrecht wie auch die Freiheitsgrundrechte absolute Rechte darstellen.49 Diesen aber ist es wesenseigen, dass sie ihr Schutzobjekt vor jedem rechtswidrigen Eingriff schützen. Das gilt sowohl für absolute subjektive Privatrechte wie auch für absolute subjektive öffentliche Rechte. Deren Schutz setzt deshalb nicht voraus, dass der Eingriff in ihren Schutzbereich unter Verletzung einer Rechtsnorm erfolgte, die zusätzlich dem Schutz des Inhabers des betroffenen absoluten Rechts dient. Der Schutz ergibt sich vielmehr bereits unmittelbar aus dem absoluten Recht, das dem Rechtsinhaber grundsätzlich eine Verteidigung gegenüber rechtswidrigen Eingriffen garantiert. Weshalb für das in der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie angelegte subjektive absolute Recht etwas anderes gelten und dieses damit gewissermaßen relativiert werden soll, ist nicht einzusehen. Das gilt umso mehr, als der rechtsgutbezogene absolute Schutz der Gemeinde in verwandtem Zusammenhang heute auch schon von der h. M. anerkannt wird. So bejaht diese einen Schutz der Gemeinde

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Burmeister (FN 21), S. 23 f. Kritisch zur Konzeption Burmeisters und den von ihm gezogenen prozessualen Konsequenzen z. B. schon Sachs, BayVBl. 1982, S. 37 ff. 49 Darauf heben auch Kühling (FN 22), Rn. 467 sowie Alexander/Martin (FN 22), S. 950 (952) als Begründung für die Anknüpfung an die Elfes-Rechtsprechung ab. 48

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auch gegenüber faktischen Beeinträchtigungen des Selbstverwaltungsrechts50 – und dies, obschon es diesem Schutz an der zusätzlichen Schubkraft fehlt, welche die Grundrechte durch den Topos einer ihnen zugrunde liegenden Wertordnung erfahren. Die Ansicht Bethges51, auf den sich das BVerfG in seiner Hartz IV-Entscheidung als Beleg für die von ihm behauptete Unübertragbarkeit der Elfes-Rechtsprechung beruft, überzeugt demgegenüber nicht. Bethge ist der Auffassung, das dogmatische Konzept der Elfes-Entscheidung beruhe lediglich darauf, dass es bei ihr um den Schutz der personalen Freiheit gehe. Deshalb verbiete sich eine Übertragung dieser Judikatur auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Diese Vorschrift beinhalte nämlich nur eine kompetenzrechtliche Verteilungsgarantie. Bei dieser Argumentation verkennt Bethge jedoch, dass sich der eigentliche dogmatische Ansatzpunkt der Elfes-Rechtsprechung nicht aus den spezifischen Rechtsgütern ergibt, die den Freiheitsgrundrechten zugrundeliegen, sondern daraus, dass es sich bei diesen um absolute Rechte handelt.52 Bezüglich solcher absoluter Rechte ist es in unserer Rechtsordnung sowohl im Privatrecht wie auch im öffentlichen Recht sonst allgemein anerkannt, dass sie vor jedem rechtswidrigen Eingriff schützen. Das gilt unabhängig davon, welches Rechtsgut sie schützen. Ein solches absolutes subjektives Recht (und nicht nur eine Kompetenznorm) wird aber auch durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG begründet. Dies anzuerkennen, kommt bezeichnenderweise auch Bethge nicht umhin. So weist er an anderer Stelle zu Recht darauf hin, dass der fehlende Grundrechtsbezug des Art. 28 Abs. 2 GG nicht den Ausschluss jeglicher subjektiver Rechtspostion der Gemeinden bedeutet53 und die in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG enthaltene kompetenzrechtliche Verteilungsgarantie eine gleichzeitige Bejahung subjektiver Rechte der Gemeinde nicht ausschließt.54 Nicht überzeugend ist es dann freilich, wenn er bei der Diskussion der Frage, ob die Elfes-Rechtsprechung auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht anwendbar ist, nur noch auf die dem Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG immanente Kompetenzverteilungsgarantie abstellt und die ihm gleichzeitig immanente subjektive Rechtsnatur in diesem Zusammenhang „unterschlägt“. Wenn die kommunale Selbstverwaltung nur aufgrund eines gültigen und damit prinzipiell verfassungsmäßigen Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss der einzelnen Gemeinde aber auch das Recht eingeräumt werden, sich darauf zu berufen, dass ein Gesetz wegen seiner fehlenden Verfassungsmäßigkeit ihr Selbstverwaltungsrecht nicht zu beschränken vermag. Da verfassungswidrige Gesetze prinzipiell nichtig sind, liegt es hier sogar besonders nahe, der betroffenen Gemeinde das Recht einzuräumen, das Fortbestehen ihres ungeschmälerten Selbstverwaltungsrechts geltend zu machen. 50 BVerwGE 87, 332 (391); BVerwG, NVwZ 2000, S. 675; Dürr, in: Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2010, § 74 Rn. 118. 51 Bethge (FN 21), S. 613 (620). 52 s. Schenke (FN 35), Rn. 385. 53 Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (FN 21), § 91 Rn. 14. 54 Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (FN 21), § 91 Rn. 15.

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6. Keine Umgehung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Nicht zu überzeugen vermag der Versuch, den Schutz des Selbstverwaltungsrechts vor verfassungswidrigen gesetzlichen Eingriffen mit dem Argument zu verneinen, in seiner Konsequenz ergäbe sich eine Verwischung der Grenzen zwischen einem objektiven Normenkontrollverfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und der nur dem Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechts dienenden kommunalen Verfassungsbeschwerde des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG.55 Diese im Prozessrecht ansetzende, aktionenrechtlich anmutende Argumentation ist schon im Ausgangspunkt problematisch. Sie verkennt, dass über den Inhalt des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nur das materielle Recht, nicht aber das Verfassungsprozessrecht entscheiden kann. Letzterem kommt im Verhältnis zum materiellen Recht nur eine dienende Funktion zu. Überdies ist ein Rechtsschutz gegenüber verfassungswidrigen gesetzlichen Einschränkungen des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden ohnehin nicht nur über die kommunale Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG und entsprechende landesverfassungsgerichtliche Rechtsbehelfe möglich. Unbestreitbar statthaft ist vielmehr auch eine verwaltungsgerichtliche Klage auf Feststellung des Fortbestehens der im Selbstverwaltungsrecht enthaltenen Befugnis, die ein verfassungswidriges und damit grundsätzlich nichtiges Gesetz vergeblich versucht aufzuheben oder zu beschneiden. Geht hier das Verwaltungsgericht davon aus, dass das Gesetz – aus welchen Gründen auch immer – gegen die Verfassung verstößt, hat es das Gesetz dem zuständigen Verfassungsgericht gem. Art. 100 GG vorzulegen. Dieses entscheidet dann über die Verfassungswidrigkeit. Bei einer vom Verfassungsgericht festgestellten Verfassungswidrigkeit des Gesetzes hat das zur Konsequenz, dass das Verwaltungsgericht nunmehr das ungeschmälerte Fortbestehen der zunächst strittigen Befugnis festzustellen hat, die aus dem Selbstverwaltungsrecht abzuleiten ist. Vor allem wird aber bei der Behauptung, die Übertragung der Elfes-Rechtsprechung auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verwische die Grenzen zu einer objektiv-rechtlichen Normenkontrolle, verkannt, dass es sich bei einer kommunalen Verfassungsbeschwerde, die darauf gestützt wird, dass der Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht unter Verletzung objektiven Verfassungsrechts erfolgte, nicht um ein objektives Normenkontrollverfahren handelt. Vielmehr dient die kommunale Verfassungsbeschwerde auch bei einer solchen Konstellation dem Schutz eines subjektiven Rechts, nämlich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Dieses Selbstverwaltungsrecht wird ja bereits dann verletzt, wenn das beschränkende Gesetz – aus welchen Gründen auch immer – verfassungswidrig ist. Die Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit objektivem Verfassungsrecht ist bei einem Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht – anders als bei einem Verfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG – folglich lediglich von mittelbarer, vorfrageweiser Bedeutung 55 So aber schon BVerfGE 1, 267 (281); ebenso Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge (FN 21), § 90 Rn. 64.

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für die kommunale Verfassungsbeschwerde, weil ein verfassungswidriges Gesetz eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach sich zieht. Dabei steht diese Kontrolle anhand sonstiger Verfassungsbestimmungen keineswegs im Belieben des BVerfG.56 Vielmehr ist dieses zu einer diesbezüglichen Überprüfung verpflichtet, wenn sich hieraus eine (mittelbare) Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ergeben kann. Umgekehrt ist dem BVerfG eine Überprüfung untersagt, wenn das Gesetz nicht in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde eingreift. Damit ergibt sich bei einer Kommunalverfassungsbeschwerde eine vergleichbare Situation wie bei einer Individualverfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, die sich unmittelbar oder mittelbar gegen ein Gesetz richtet, das in ein Freiheitsgrundrecht eingreift. Hier hat das BVerfG im Rahmen der Verfassungsbeschwerde ebenfalls – diesmal nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG – darüber zu befinden, ob das freiheitsbeschränkende Gesetz möglicherweise wegen Verletzung objektiven Verfassungsrechts verfassungswidrig ist und deshalb zugleich eine Verletzung eines Freiheitsgrundrechts zur Folge hat.57 Hierin liegt aber nach heute ganz h. M. keine Umgehung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG58 – und dies, obwohl die Freiheitsgrundrechte einen wesentlich umfangreicheren Schutzbereich als das kommunale Selbstverwaltungsrecht aufweisen und damit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in ungleich größerem Umfang eine mittelbare Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit nur objektivem Verfassungsrecht zulässt als eine kommunale Verfassungsbeschwerde.59 Eine Umgehung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG durch Zulassung einer kommunalen Verfassungsbeschwerde läge lediglich dann vor, wenn das verfassungswidrige Gesetz nicht in den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG eingriffe und es dennoch zum zulässigen Gegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde gemacht werden könnte. Das trifft aber gerade nicht zu. Eine kommunale Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Gesetz wendet, das nicht in den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG eingreift, hätte keinen Erfolg. Sie wäre sogar bereits unzulässig. Auch verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz schiede hier mangels rechtlicher Betroffenheit der Gemeinden aus.

56 Nicht überzeugend daher die Behauptung Bethges (ders, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge (FN 21), § 90 Rn. 63) und des BVerfG (BVerfG, NVwZ 2008, S. 183 (185)), wonach bei Zugrundelegung der im Text vertretenen Ansicht das BVerfG die Begründetheitsprüfung beliebig auf andere Verfassungsbestimmungen ausweiten könne. 57 Schenke (FN 35), Rn. 1080 m. w. N. 58 Das konzediert insoweit auch Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge (FN 21), § 91 Rn. 64. 59 Die sich auf der Basis der Elfes-Rechtsprechung ergebenden objektiv-rechtlichen Auswirkungen der Kommunalverfassungsbeschwerde sind damit – worauf auch Detterbeck (FN 22), S. 540 hinweist – weit limitierter als die einer Individualverfassungsbeschwerde.

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7. Die bundesverfassungsgerichtliche Limitierung des Selbstverwaltungsrechts Nicht gefolgt werden kann auch der Rechtsprechung des BVerfG, nach der ein unmittelbarer Verstoß gegen verfassungsgesetzliche Bestimmungen außerhalb des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nur dann zu einer Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts führen soll, wenn diese Bestimmungen deren Bild mit zu prägen geeignet seien. Das treffe insbesondere bei verfassungsgesetzlichen Kompetenznormen wie den Art. 70 ff. GG, Art. 84 GG und Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, aber auch bei Verletzungen des Rechtsstaats-, des Demokratie- und des Bundesstaatsprinzips sowie des Art. 106 Abs. 6 GG zu. Das mag hinsichtlich einzelner Normen wie etwa Art. 106 Abs. 6 GG einleuchten. Reduziert man den Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG auf seinen institutionell-rechtlichen Gehalt, wie dies vom BVerfG bei der Begründung seiner einschlägigen Rechtsprechung befürwortet wurde (s. oben II. 1.), so ist diese Ausdehnung des Prüfungsumfangs, die im Rahmen einer Kommunalverfassungsbeschwerde befürwortet wird, aber sicher nicht in vollem Umfang erklärlich und beruht auf einer Überdehnung des in Anlehnung an Art. 127 WRV bestimmten institutionellen Gehalts des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . Damit zusammenhängend bleibt unsicher, wie die Fälle abzugrenzen sind, bei denen von einer solchen Prägungswirkung anderer verfassungsrechtlicher Normen auszugehen ist. Stellt man hingegen auf die Rechtsnatur des kommunalen Selbstverwaltungsrechts als subjektives Recht ab und leitet daraus die Übertragbarkeit der Elfes-Rechtsprechung ab, bereitet es keinerlei Schwierigkeiten, die Ausdehnung des Prüfungsumfangs zu begründen. Sie ist sogar zwingend geboten. Problematisch werden dann allerdings die vom BVerfG nach wie vor befürworteten Beschränkungen seiner Prüfungsbefugnis bei Eingriffen in das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Jedenfalls ist nicht einzusehen, weshalb nur in den vom BVerfG angenommenen Fällen der Verstoß gegen objektives Verfassungsrecht eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach sich ziehen soll. Für die vom BVerfG getroffene Differenzierung danach, ob verfassungsgesetzliche Normen das Bild der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie in besonderer Weise prägen oder nicht, fehlt es auf der Basis der Elfes-Rechtsprechung an jeder normativen Verankerung. Vielmehr müssen auf der Grundlage des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG alle die kommunale Selbstverwaltung beschränkenden Normen uneingeschränkt verfassungsmäßig sein. Damit zusammenhängend entfallen dann auch die sich auf der Basis der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ergebenden Abgrenzungsprobleme, was unter dem Aspekt der Rechtssicherheit nur zu begrüßen ist. In Anknüpfung an die vom BVerfG benutzte Metapher, aber inhaltlich von ihr abweichend, ist damit festzuhalten, dass das Bild der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dadurch geprägt wird, dass ein Eingriff in deren Schutzbereich nur aufgrund eines verfassungsmäßigen rechtswirksamen Gesetzes erfolgen darf. Nur diese Auffassung steht im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, nach dem das kommunale Selbstverwaltungsrecht „im Rahmen der Geset-

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ze“ gewährleistet wird. An dieser Formulierung kommen bezeichnenderweise selbst Anhänger der bundesverfassungsgerichtlichen Konzeption nicht gänzlich vorbei. So spricht etwa Löwer60 von dem „den Gemeinden zustehenden Anspruch, nur gesetzesförmig in ihrem Selbstverwaltungsrecht beeinträchtigt zu werden“, geht dann aber unverständlicherweise und rechtslogisch widersprüchlich davon aus, dass eine Verletzung dieses von ihm angenommenen Anspruchs keineswegs immer eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts nach sich ziehe. 8. Keine Differenzierung zwischen Parlamentsgesetzen und untergesetzlichen Rechtsnormen Für die Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch rechtswidrige Normen kann es auch keine Rolle spielen, ob es sich um parlamentarische Gesetze oder um untergesetzliche Rechtsnormen handelt. Beide genügen im Fall ihrer Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit nicht dem in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG statuierten gesetzlichen Schranken- und Eingriffsvorbehalt. Das gilt auch für eine untergesetzliche Norm, die sich auf keine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen kann bzw. den Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung überschreitet. Das wird im Ergebnis zutreffend auch vom BVerfG anerkannt.61 Es hat in Konsequenz der entsprechend anwendbaren Elfes-Rechtsprechung aber auch allgemein dort zu gelten, wo die untergesetzliche Rechtsnorm gegen sonstiges Recht verstößt. Aus der Rechtsprechung des NWVerfGH, das sich mit einem solchen Fall zu beschäftigen hatte, ergibt sich nichts Abweichendes. Dabei ging es um die Überprüfung einer Landschaftsschutzverordnung, bei der der NWVerfGH62 sich darauf beschränkte, das Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigung für die Verordnung zu überprüfen, nicht aber mögliche sonstige Verstöße der Verordnung gegen einfachgesetzliche Bestimmungen untersuchte. Zwar ging der NWVerfGH hier davon aus, dass er aus funktionell-rechtlichen Gründen an der Feststellung eines solchen Verstoßes grundsätzlich gehindert sei. Er nahm aber gleichzeitig an, dass diese Beschränkung seiner Prüfungsbefugnis, die sich aus der besonderen Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit ergäbe, nichts daran ändere, dass eine rechtswidrige untergesetzliche Norm, die in das landesverfassungsgesetzlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht eingreift, zu dessen Verletzung führe. Der NWVerfGH glaubte, damit eine prozessrechtliche Parallele zur Elfes-Rechtsprechung ziehen zu können. Diese verneint bei bestimmten, durch einen rechtswidrigen Eingriff in Freiheitsgrundrechte begründeten, nur mittelbaren Grundrechtsverletzungen eine verfassungsgerichtliche Prüfungsbefugnis, da das Bundesverfassungsgericht sonst zu einer Superrevisionsinstanz würde. Dabei übersah der NWVerfGH freilich, dass diese Beschränkungen der verfassungsgerichtlichen Prü60

Löwer (FN 21), § 70 Rn. 78. BVerfGE 26, 228 (240); 56, 298 (319 ff.). 62 NWVerfGH, OVGE 39, 303 ff. = NWVBl. 1988, S. 12.

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fungsbefugnis nach Ansicht des BVerfG nur bei mittelbaren Grundrechtsverletzungen durch Einzelakte der Verwaltung oder durch gerichtliche Entscheidungen Platz greifen.63 Sie gelten hingegen nicht bei normativen Rechtsverletzungen.64 Bei letzteren droht nämlich keine Denaturierung verfassungsgerichtlicher Rechtsbehelfe zu einer Superrevisionsinstanz. Unabhängig davon, ob man dem NWVerfGH in diesem Punkt zu folgen bereit ist65, bleibt aber in unserem Zusammenhang auf jeden Fall festzuhalten – und das ist entscheidend – , dass auch nach seiner Auffassung die von ihm befürworteten funktionell-rechtlichen Beschränkungen seiner Prüfungsbefugnis nichts am Vorliegen einer materiell-rechtlichen Verletzung subjektiver Rechte der Gemeinde ändern. Zu beachten bleibt freilich, dass rechtswidrige untergesetzliche Rechtsnormen in Anknüpfung an die Elfes-Rechtsprechung nur dann das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht zu verletzen vermögen, wenn dessen Schutzbereich nicht bereits durch (rechtswirksame) höherrangige gesetzliche Regelungen eingeschränkt wird. Besondere Relevanz erlangt dies im Bereich des Planungsrechts. Darauf wird im Folgenden in Verbindung mit Planfeststellungsbeschlüssen, bei denen sich diese Problematik in ganz spezifischer Weise stellt und mit denen sich die Rechtsprechung des BVerwG wiederholt beschäftigt hat, noch näher einzugehen sein. 9. Rechtswidrige Verwaltungseingriffe in das kommunale Selbstverwaltungsrecht Geht man davon aus, dass rechtswidrige Eingriffe in das kommunale Selbstverwaltungsrecht – unabhängig davon, woraus sich die Rechtswidrigkeit ergibt – stets zu einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts führen, so liegt es auf der Hand, dass dies auch dort zu gelten hat, wo der rechtswidrige Eingriff nicht durch eine Norm, sondern durch ein Verwaltungshandeln (z. B. durch einen Verwaltungsakt) erfolgt, für das keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht oder das aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist. Freilich kommt bei Verwaltungseingriffen dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass der Schutzbereich des Selbstverwaltungsrechts nicht nur durch die Verfassung bestimmt wird, sondern auch durch die das Selbstverwaltungsrecht inhaltlich näher ausgestaltenden und möglicherweise auch inhaltlich begrenzenden gesetzli63

Vgl. hierzu schon BVerfGE 1, 418 (420); 11, 343 (349); 15, 219 (221); 34, 384 (397); Papier, „Spezifisches Verfassungsrecht“ und „einfaches Recht“ als Argumentationsformel des Bundesverfassungsgerichts, in: Christian Starck (Hrsg.), FG aus Anlaß des 25-jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts Bd. I, 1976, S. 432, 436 ff.; Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987, S. 29 ff. 64 s. hierzu BVerfGE 7, 111 (118 f.); 9, 3 (12); 19, 248 f.; 45, 400 (413); 53, 366 (390); Ehlers (FN 22), S. 45; Schenke (FN 63), S. 58 ff.; Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde gegen richterliche Entscheidungen, S. 181 ff. Näher Schenke, Bergbau contra Oberflächeneigentum und kommunale Selbstverwaltung, 1994, S. 103 ff. 65 Kritisch insoweit auch Ehlers (FN 22), S. 45.

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chen Regelungen. Fehlt es wegen einer gesetzlichen Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts bereits an einem Eingriff, so scheidet eine Anknüpfung an die Elfes-Rechtsprechung von vorneherein aus. Selbst dann, wenn ein solcher Eingriff zu bejahen ist, kann die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts einem Rückgriff auf die Elfes-Rechtsprechung entgegenstehen. Die sich insoweit stellenden Probleme lassen sich insbesondere am Beispiel der staatlichen Fachplanung und deren Verhältnis zur gemeindlichen Planungshoheit als einem zentralen Bestandteil des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts demonstrieren. Die Frage, ob ein Eingriff in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht vorliegt und damit eine umfassende Überprüfung des Eingriffsakts auf dessen Rechtmäßigkeit geboten ist, hat hier die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt. So hatte sich das BVerwG wiederholt damit zu befassen, ob es im Rahmen einer Anfechtungsklage, mit welcher die Gemeinde die Verletzung ihrer Planungshoheit durch einen Planfeststellungsbeschluss geltend machte, auch zu überprüfen hat, ob jener den Belangen des Umwelt- und Naturschutzes, sonstigen öffentlichen Belangen und Belangen Dritter (z. B. den Belangen der Gemeindeeinwohner) in rechtlich ausreichender Weise Rechnung trägt.66 Das wurde in einer Reihe von Entscheidungen verneint und führte oftmals zur Annahme, die Elfes-Rechtsprechung sei auch nach Ansicht des BVerwG nicht auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht übertragbar. Bei näherem Hinsehen zeigt sich freilich, dass diese Annahme nicht gerechtfertigt ist. In Wahrheit fehlte es in diesen Fällen vielfach bereits an einem Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht, so dass sich bereits deswegen eine Anknüpfung an die Elfes-Rechtsprechung verbot. So lehnte es das BVerwG67 deshalb zu Recht ab, gemeindlichen Einwänden gegen Fachplanung nachzugehen, die darauf gestützt wurden, dass Belange des Natur- und Landschafts- wie auch des Umweltschutzes ihrer Einwohner nicht in ausreichender Weise berücksichtigt worden seien. In den entschiedenen Fällen mangelte es bei näherem Hinsehen meist bereits an einem Eingriff in die kommunale Planungshoheit als Voraussetzung für eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts. Ein solcher Eingriff liegt erst dann vor, wenn bereits konkrete planerische Absichten einer Gemeinde bestehen, die sich zumindest im Entwurf eines Bebauungsplans niedergeschlagen haben und deren Verwirklichung durch den Planfeststellungsbeschluss beeinträchtigt wird.68 Gleiches gilt in dem nur selten gegebenen Fall, bei dem ein Planfeststellungsbeschluss zukünftige gemeindliche Planungen für große Teile des Gemeindegebiets unmöglich macht oder jedenfalls erheblich erschwert. Selbst wenn ein Planfeststellungsbeschluss bereits konkretisierte gemeindliche Planungen beeinträchtigt, bedeutet dies noch nicht, dass dieser damit immer umfas66

BVerwG, NVwZ 1992, S. 787 (788); 1997, S. 169; 2000, S. 560 (562); 2001, S. 1160 (1161); 2003, S. 208 (209); 2004, S. 1229. 67 BVerwG, NVwZ 1997, S. 169; 2000, S. 560 (562); DÖV 2001, S. 692 (693); s. hierzu auch Hug (FN 22), S. 443 ff. 68 BVerwG, NVwZ 1997, S. 169 (170).

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send auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist. Soweit die Gemeinde nämlich nicht (wie es bei Raumordnungs- und Landesplanungsgesetzen häufig zutrifft)69 unmittelbarer Adressat solcher Planungsakte ist und dadurch zu einer bestimmten Ausübung ihrer Planungshoheit verpflichtet wird, sondern lediglich drittbetroffen ist, schreiben die Fachplanungsgesetze in der Regel nur eine Berücksichtigung gemeindlicher Belange vor, neben denen die Belange anderer Personen sowie sonstige öffentliche Belange in die fachplanerischen Abwägung miteinzubeziehen sind. Solche Vorschriften sind so zu interpretieren, dass die Gemeinde hier nur die Berücksichtigung ihrer spezifischen Belange verlangen kann und sich nicht zum Sachwalter der Belange Dritter oder allgemeiner öffentlicher Belange aufzuschwingen vermag, die aus eben diesem Grund in den einschlägigen planungsrechtlichen Normen gesondert aufgeführt werden. Mit dieser gesetzgeberischen Entscheidung erfolgt eine spezialgesetzliche Ausformung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und der hierin eingeschlossenen gemeindlichen Planungshoheit, durch die ein Rückgriff auf die allgemeine Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich ausgeschlossen wird. Insoweit gilt ähnliches wie bei eigentumsrechtlich geschützten Belangen Privater, die durch einen Planfeststellungsbeschluss betroffen werden. Diesbezüglich ist ein unmittelbarer Rückgriff auf das Eigentumsgrundrecht bei Normen, die nur die Sozialbindung des Eigentums konkretisieren, ebenfalls ausgeschlossen und kommt deshalb die Elfes-Rechtsprechung gleichermaßen nicht zum Tragen.70 Nur bei besonders schwerwiegenden entschädigungspflichtigen Beeinträchtigungen des Eigentums, insbesondere bei Enteignungen, hat in Konsequenz der Elfes-Entscheidung eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung des Planfeststellungsbeschlusses zu erfolgen.71 Bei einer gesetzlichen Ausformung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts räumt Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dem Gesetzgeber sogar noch einen größeren Spielraum ein als bei einer Ausgestaltung des Eigentums- und Freiheitschutzes, ohne dass hierdurch jedoch die subjektive Rechtsqualität des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden prinzipiell in Frage gestellt wird. Zu beachten ist überdies, dass, soweit planungsrechtliche Normen trotz ihrer Rechtswidrigkeit ausnahmsweise rechtswirksam sind (s. hierzu z. B. § 12 ROG), die auf ihrer Grundlage erlassenen Verwaltungsakte auch unter dem Aspekt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht zu beanstanden sind. Der Schutz vor rechtswidrigen hoheitlichen Eingriffen in das kommunale Selbstverwaltungsrecht erfolgt bei Verwaltungshandeln – anders als bei normativen Rechtsverletzungen – nicht (auch) durch die Verfassungsgerichte, sondern ausschließlich durch die Verwaltungsgerichte. Diesen kommt damit – in Erfüllung

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s. dazu BVerwG, NVwZ 2006, S. 1055 (1056). s. dazu Baumeister, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsakts, 2006, S. 210 ff.; Hug (FN 22), S. 461 ff. 71 Dazu auch Hug (FN 22), S. 446 m.w.N. 70

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des Rechtsschutzauftrags des Art. 19 Abs. 4 GG72 – die Funktion eines Hüters des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zu. III. Resümee Die hier vertretene Anknüpfung an die Dogmatik der Elfes-Rechtsprechung scheint mir weit stimmiger als der Ansatz der Gegenauffassung. Sie führt darüber hinaus zu einer Aufwertung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und nimmt dessen Charakter als (auch) absolutes Recht ernst. Die Deutung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG lediglich als institutionelle Garantie, die der Rechtsprechung des BVerfG zum Prüfungsmaßstab einer kommunalen Verfassungsbeschwerde zugrunde liegt und die insoweit noch der Weimarer Reichsverfassung verhaftet ist, wird damit endgültig verabschiedet. Auf diesem Weg wird der durch das Grundgesetz vorgegebenen neuen Weichenstellung in der gebotenen Weise Rechnung getragen. Die sich in Konsequenz der Elfes-Rechtsprechung ergebende Ausdehnung der Rechtmäßigkeitskontrolle staatlicher Hoheitsakte, die in das kommunale Selbstverwaltungsrecht eingreifen, effektuiert zugleich das Prinzip der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns durch Stärkung der Gerichte und der Verwaltung. Sie stärkt – hiermit Hand in Hand gehend – sowohl die klassische Gewaltenteilung wie auch die vertikale Gewaltenteilung im Gemeinde-Staat-Verhältnis. Die Ausdehnung des Kontrollumfangs fügt sich zugleich nahtlos in eine dem Unionsrecht zu entnehmende Tendenz zur Ausdehnung der objektivrechtlichen Kontrolle staatlichen Handelns ein.

72 Dazu, dass Art. 19 Abs. 4 GG nach richtiger, wenn auch umstrittener Ansicht auch die Gemeinden schützt, s. Bethge, AöR 104 (1979), S. 265 (296); Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 123; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Peter Badura/ Horst Dreier, FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht Bd. II, 2001, S. 467 (485); Schenke (FN 33), Rn. 83 m. w. N.; a. A. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Drittbearbeitung), Art. 19 Abs. 4 Rn. 43.

(Verfassungs-)Rechtliche Maßstäbe an Funktional- und Territorialreformen Von Christoph Brüning, Kiel* I. Problemeinführung Am 26. 2. 2010 setzte das LVerfG SH mit seinem ersten Urteil seit Errichtung des Gerichts knapp zwei Jahre zuvor gleich einen Paukenschlag. Ein zweiter folgte mit dem zweiten Urteil ein halbes Jahr später und bescherte dem Wahlvolk im nördlichsten Bundesland eine vorgezogene Landtagswahl. Mit seiner Entscheidung aus Februar 2010 stellt das LVerfG SH fest, dass die geltende Amtsordnung mittlerweile insoweit verfassungswidrig sei, als sie die Möglichkeit eröffne, dass sich Ämter infolge zunehmender Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben durch die Gemeinden zu Gemeindeverbänden entwickelten, ohne dass die für diesen Fall von Art. 2 Abs. 2 u. Art. 3 Abs. 1 LVerf SH vorgesehene unmittelbare Wahl der Mitglieder des Amtsausschusses erfolge.1 Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AmtsO ist die vollständige Verlagerung bestimmter Aufgaben von der Gemeinde auf das Amt zulässig, wodurch auch die politischen Entscheidungen und damit die Verantwortung für das Ob und Wie der Wahrnehmung dieser Aufgaben von der Gemeindevertretung auf den Amtsausschuss übertragen werden. Dem Amtsausschuss gehören gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 AmtsO die Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinden an. Zum Hintergrund des Urteils ist zu bemerken: Schleswig-Holstein hat mit seinen gut 2,8 Millionen Einwohnern zurzeit 1.116 Gemeinden. Bis auf die 4 kreisfreien Städte, nämlich Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster, sind diese Gemeinden auf 11 Kreise verteilt. Naturgemäß ist die Mehrzahl der kreisangehörigen Gemeinden in Schleswig-Holstein recht klein – in über 900 von ihnen leben weniger als 2.000 Einwohner, in der kleinsten Gemeinde Deutschlands, Wiedenborstel, weniger als 10 Einwohner. Da der überwiegende politische Wille traditionell dahin geht, die kleinteilige Gemeindestruktur in ihrer politischen und identifikationsstiftenden *

Um Fußnoten ergänztes Manuskript des Vortrags vom 20. April 2012 auf der 18. Fachtagung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam zum Thema „Starke Kommunen in leistungsfähigen Ländern“. Der Autor ist Fellow dieses Instituts. Meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Stefanie Schöwe danke ich für umfangreiche Recherche- und Vorarbeiten. Der Beitrag ist meinem akademischen Lehrer Rolf Grawert zu dessen 75. Geburtstag zugeeignet. Rolf Grawert hat eine besondere Beziehung zur Universität Potsdam und ist bis heute Mitglied des Kuratoriums des Kommunalwissenschaftlichen Instituts. 1 LVerfG SH, NordÖR 2010, S. 155 ff.

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Funktion unangetastet zu lassen, bedarf es anderer Modelle, um die kommunale Selbstverwaltung lebensfähig zu halten. In Schleswig-Holstein ist deshalb zwischen Gemeinde- und Kreisebene eine zusätzliche Verwaltungsebene eingezogen worden: Derzeit erledigen 85 Ämter die Verwaltung jeweils mehrerer kleinerer Gemeinden, 2 Ämter agieren sogar kreisübergreifend: das Amt Großer Plöner See und das Amt Itzstedt; nur 80 Gemeinden sind amtsfrei. Die Ämter sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und „dienen der Stärkung der Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 u. 2 AmtsO). In seinem Urteil hat das Landesverfassungsgericht Vorgaben für die Sicherung der demokratischen Legitimation bei der Wahrnehmung übertragener Aufgaben durch die Ämter gemacht, über deren Umsetzung viel diskutiert wurde.2 Zum einen wurde vom schleswig-holsteinischen Städte- und Gemeindetag das „Katalogmodell“ vorgeschlagen, welches eine qualitative und quantitative Begrenzung der auf die Ämter übertragenen Aufgaben durch einen „Auswahl“- oder „Negativkatalog“ beinhaltet.3 Zum anderen wurde vom schleswig-holsteinischen Innenministerium die Zweckverbandslösung entwickelt, welche die Streichung des § 5 Abs. 1 AmtsO und gleichzeitig die Zulassung von Zweckverbänden innerhalb eines Amtes vorsieht.4 Auch eine Kombination aus Aufgabenbegrenzung und „Zweckverbandslösung“ wurde im Wege der Modifizierung beider Modelle als denkbar angesehen.5 Ein anderer Vorschlag zielte auf die Anpassung der Verwaltungsstrukturen an die gewandelten Herausforderungen basierend auf einem modernen Zweckverbands- und Verwaltungskooperationsrecht.6 Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ist kurz vor der Landtagswahl am 6. 5. 2012 abgeschlossen worden;7 anderenfalls wären alle Entwürfe der sachlichen Diskontinuität anheimgefallen. Ungeachtet der damit erfolgten oberflächlichen Reparatur der teilweisen Verfassungswidrigkeit der AmtsO hat das besagte Urteil des LVerfG SH auch Diskussionen über eine grundlegende Verwaltungsstruktur- und/ oder Gebietsreform im kommunalen Bereich angeregt.8 Um den wachsenden und/ oder veränderten Anforderungen der Verwaltungen auf Landes- und Kommunalebene gerecht zu werden9, aber auch vor dem Hintergrund überschuldeter öffentlicher 2

Schulz, NordÖR 2011, S. 311 (311). Bülow, Die Gemeinde SH 2010, S. 184 ff. 4 Schlie, Die Gemeinde SH 2011, S. 30 ff. 5 Schulz (FN 2), S. 314 ff. 6 Schulz (FN 2), S. 316 ff. 7 Zum aktuellen Stand der Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften in Schleswig-Holstein siehe LT-Drucks. 17/2368, S. 5 ff. 8 Vom Landesrechnungshof Schleswig-Holstein wurde eine Veränderung der Verwaltungsstrukturen im kommunalen Bereich einschließlich der Gemeindegrößen und -gebiete favorisiert, NordÖR 2011, S. 327, sowie Kommunalbericht des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein 2011, S. 95 ff.; zum sog. „Ämter zu Kreisen“-Modell siehe Schliesky, in: ders./Schulz (Hrsg.), Die Erneuerung des arbeitenden Staates 2012 i.E. 9 Hill, NordÖR 2011, S. 469 ff., zur Entwicklungsperspektive der Selbstverwaltung. 3

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Haushalte gab und gibt es in etlichen Ländern mehr oder weniger konkrete Reformüberlegungen. II. Reformdimensionen Wie die sog. Verwaltungsstrukturreformgesetze Schleswig-Holsteins aus 2006 zeigen, beansprucht der Gesetzgeber bisweilen ausdrücklich mehr, als er inhaltlich hält. Deshalb ist für die Bestimmung des rechtlichen Rahmens eine Differenzierung nach Instrumenten angezeigt. Unter „Verwaltungsreformen“ versteht man allgemein die geplanten Veränderungen von organisatorischen, rechtlichen, personellen und fiskalischen Strukturen der Verwaltung.10 In Bezug auf eine Reform der Landesund Kommunalverwaltung lassen sich abstrakt die Kategorien der Verwaltungsstruktur-, Funktional- und Gebietsreform unterscheiden.11 1. Gebietsreform Die (zumeist kommunale) Gebietsreform als „klassisches“ Instrument der Verwaltungsreform beinhaltet in der Regel die Vergrößerung des Verwaltungsbezirkes durch die Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten.12 Denklogisch gehen damit die Auflösung von Gemeinden und die Veränderung des territorialen Zuschnitts des Gemeindegebiets einher.13 Im Rahmen von Neugliederungsmaßnahmen kann es zu „Rück(neu)gliederungen“ oder „Mehrfachneugliederungen“14 kommen, sofern der Normgeber die vorangegangene Organisationsmaßnahme als Fehlentscheidung betrachtet oder eine Neuregeleung zweckmäßig oder auf Grund veränderter Verhältnisse notwendig erscheint.15 Eine Rückneugliederung liegt vor, wenn der Gesetzgeber in „noch fortbestehendem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer früheren umfassenden Neugliederung“ und ohne deren Leitvorstellungen aufzugeben den ursprünglichen Gebietszuschnitt oder Gemeindebestand wiederherstellt, um die vorherige Entscheidung zu korrigieren.16 Eine Mehrfachneugliederung bezeichnet den Fall einer

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Bogumil/Jann, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland, 2009, S. 219. Diese Kategorisierung findet sich auch bei Ruge, in: Nolte/Schliesky (Hrsg.), Verwaltungsmodernisierung durch Funktional- und Strukturreform, Entbürokratisierung und EGovernment, 2007, S. 69 f. 12 Schliesky, NordÖR 2012, 57 (58); zur Gebietsreform im Einzelnen siehe Rothe, Kreisgebietsreform und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen, 2004; Werner, Verfassungsrechtliche Voraussetzungen und Grenzen kommunaler Gebietsreformen in den neuen Bundesländern unter besonderer Berücksichtigung des Landes Brandenburg, 2002. 13 Wallerath, DÖV 2011, S. 289 (298). 14 Zur Terminologie der Begriffe BVerfGE 86, 90 (109 f.). 15 Scheer, SächsVBl. 1993, S. 126 (132). 16 Schliesky/Schwind, PdK, Band B 1, § 14 (Stand: Mai 2004) Rn. 128. 11

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erneuten Gebietsreform aufgrund eines veränderten Leitbildes oder einer neuen Gestaltung des Gemeindezuschnitts.17 2. Funktionalreform Unter Funktionalreform oder auch „Aufgabenverteilungsreform“18 versteht man Maßnahmen, um die als notwendig erkannten Verwaltungsaufgaben bestimmten Verwaltungsträgern und deren unterschiedlichen Organen und Behörden bzw. Einrichtungen optimal zuzuordnen (Trägerwahl).19 Es geht also um die Veränderung der Zuständigkeiten im Sinne einer Aufgabenverlagerung bzw. -übertragung innerhalb der Verwaltungsebenen in den Ländern.20 Notwendigerweise setzt eine Funktionalreform eine vorangegangene Aufgabenkritik voraus.21 Wenngleich Gebiets- und Funktionalreform voneinander abzugrenzen sind, besteht ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Reforminstrumenten in dem Sinne, dass viele Gemeinden und einige Kreise zu klein sind, um die Aufgaben ihrer Verwaltungsstufe zu erfüllen und insoweit die Gebietsreform Voraussetzung für eine Funktionalreform ist.22 Das lässt sich an den derzeitigen Beratungen in Schleswig-Holstein nachvollziehen: Wenn Gemeinden rechtstatsächlich viele oder alle Aufgaben – wohin auch immer – übertragen müssen, weil sie zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung außerstande sind, hilft das rechtliche Verbot oder die Beschränkung der Delegationsmöglichkeit wenig. Denn eine Gemeinde, der die kritische Selbstverwaltungsmasse fehlt, ist eben zu klein für die Angelegenheiten ihrer örtlichen Gemeinschaft. Auch ein (erweitertes) Verwaltungskooperationsrecht greift zu kurz. Die Antwort muss dann Gebietsreform lauten. 3. Verwaltungsstrukturreform Eine Verwaltungsstrukturreform zielt darauf ab, den überkommenen Verwaltungsaufbau im Land regelmäßig unter Einbeziehung der kommunalen Ebene zu ändern, zu optimieren und effizienter zu gestalten. Sie beinhaltet – je nach Schwerpunktsetzung des betreffenden Landes – die Konzentration und Straffung der unmittelbaren staatlichen Verwaltung, etwa mittels Abbau von Doppelstrukturen aus Sonderbehörden und Mittelinstanz, Kommunalisierungen, Privatisierungen oder Ab-

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Scheer (FN 15), S. 132; Schliesky/Schwind (FN 16), § 14 (Stand: Mai 2004) Rn. 128. Püttner, Verwaltungslehre, 2007, § 6 Rn. 19. 19 Bericht der schleswig-holsteinischen Enquete-Kommission zur Verbesserung der Effizienz der öffentlichen Verwaltung, LT-Drucks. 13/2270, S. 38; Schliesky, VerwArch. 98 (2008), S. 313 (334). 20 Püttner (FN 18), § 6 Rn. 18. 21 Schliesky (FN 19), S. 334 f.; vgl. Hesse, NdsVBl. 2007, S. 145 (148). 22 Püttner (FN 18), § 6 Rn. 21. 18

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schaffung einer Ebene.23 Eine Verwaltungsstrukturreform schließt sich zumeist an eine vorangegangene Gebiets- und/oder Funktionalreform an und steht in engem Zusammenhang dazu.24 Neben diesen eher klassischen Instrumenten einer Verwaltungsreform gibt es in der Modernisierungspraxis der Verwaltung noch weitere Ansätze wie New Public Management/Neues Steuerungsmodell, Prozessoptimierung, Bürokratieabbau, eGovernment, stärkere Verzahnung von Politik und Verwaltung oder Mittelkürzungen.25 Insgesamt ist es schwierig, die einzelnen Maßnahmen genau voneinander abzugrenzen, da die einzelnen eingesetzten bzw. umgesetzten Instrumente der Verwaltungsreformen in ihrem Aufgabeninhalt von einer gewissen Homogenität gekennzeichnet sind.26 III. Anwendungsfälle und Gründe In den alten Bundesländern vollzogen sich Gebiets- und Funktionalreformen auf kommunaler Ebene in den 1970er Jahren und in den neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung.27 Mittlerweile sind jedoch viele Länder in eine neue Reformphase eingetreten. Dazu zählen erneut Brandenburg28, Mecklenburg-Vorpommern29, Sachsen-Anhalt30, Sachsen31 und Thüringen32 sowie Baden-Württemberg33, Niedersachsen34, Nordrhein-Westfalen35, Rheinland-Pfalz36 und natürlich auch SchleswigHolstein37. Die Ziele und Gründe für die Reformen sind vielfältig. Ein Hauptmotiv

23 Bogumil/Jann (FN 10), S. 252 f. Zur Kommunalisierung siehe Kremer, VerwArch. 102 (2011), S. 242 ff.; Henkel, Die Kommunalisierung von Staatsaufgaben, 2010; zur Verwaltungsstrukturreform siehe Burgi/Palmen (Hrsg.), Symposium. Die Verwaltungsstrukturreform in Nordrhein-Westfalen, 2008. 24 Vgl. Schliesky (FN 19) S. 335. 25 Schliesky (FN 12), S. 59 ff.; Schliesky (FN 19), S. 335 ff. 26 Schliesky (FN 19), S. 333. 27 Wallerath (FN 13),S . 289 ff.: „Daueraufgabe“; zu der neuen Reformphase siehe Ruge, ZG 2006, S. 129 ff.; zur kommunalen Gebietsreform in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung siehe Knemeyer, LKV 1992, S. 177 ff. 28 Vgl. Grünewald, Weißbuch zur kommunalen Gebietsreform in Brandenburg, 2005. 29 GVBl. MV 2010, Nr. 13, S. 366. 30 Vgl. Höppner, LKV 2001, S. 2 ff. 31 SächsGVBl. 2008, S. 138. 32 Vgl. König, LKV 2010, S. 289 ff.; zur thüringischen Behördenstrukturreform Behnisch, ThürVBl. 2009, S. 145 ff. 33 Vgl. Reiners, VBlBW. 2008, S. 281 ff. 34 Vgl. Reiners, VerwArch. 2009, S. 261 ff. 35 Zur dortigen Verwaltungsstrukturreform Palmen/Schönenbroicher, NVwZ 2008, S. 1173 ff. 36 GVBl. RP 2010, S. 272; siehe auch Wallerath (FN 13), S. 294 f. 37 LT-Drucks. 17/2368, S. 5 ff.

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für die Verwaltungsreformen der Länder ist dabei der flächenübergreifende Zwang zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.38 Gründe für das Vorhaben einer Gebietsreform sind etwa das Bestreben, die Organisation der Kreise an die Erfordernisse der Raumplanung anzupassen, Einheitlichkeit in den Größen der Kreise zu schaffen sowie Ersparnisse bei Personalkosten und Sachausgaben zu erreichen.39 Ferner wird insgesamt die Schaffung leistungsfähiger Verwaltungseinheiten angestrebt40 ebenso wie die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.41 Anlass für die Gebietsreformen der 1970er Jahre in den „alten“ Bundesländern und der 1990er Jahre in den „neuen“ Ländern waren nicht zuletzt auch die demografischen Veränderungen auf Gemeindeebene42 sowie ferner Bemühungen um die Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung.43 Bei der zunächst gescheiterten Gebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern rückte auch die tatsächliche Gewährleistung der bürgerschaftlich-demokratischen Mitwirkung in den Fokus.44 Ein Motiv für eine Funktionalreform im Anschluss an eine vorangegangene Gebietsreform kann dann bestehen, wenn vor der Gebietsreform aufgrund der Verwaltungsschwäche der Kleingemeinden oder Kleinkreise Aufgaben zum Nachteil aller unteren Verwaltungseinheiten nach oben verlagert wurden oder wenn insgesamt aus fachbezogenem Anlass zu viele Aufgaben auf eine obere Verwaltungsebene verteilt wurden. In diesem Fall mangelt es an einer ausgewogenen Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungsebenen, so dass eine Verletzung des Universalitätsprinzips der Gemeinden möglich erscheint.45 Hier kann eine Reform der Aufgabenverteilung Abhilfe schaffen. Ein Grund für die Verwaltungsstrukturreformen ist die Verkleinerung des staatlichen Verwaltungsapparates und die Stärkung des Prinzips der ortsnahen und bürgerschaftlichen Verwaltungskultur sowie die Anpassung der Kosten des staatlichen Verwaltungsapparats an die Einnahmesituation.46 Die Stärkung bürgerschaftlicher Beteiligung an kommunaler Selbstverwaltung ist zudem ein Ziel von Verwaltungsstruk38

Bogumil/Jann (FN 10), S. 253; Höppner (FN 30), S. 2. Kirchhof, Thesen zur Planung einer Kreisreform in Schleswig-Holstein, in: Landesregierung Schleswig-Holstein (Hrsg.), Gutachten zur Verwaltungsstruktur- und Funktionalreform in Schleswig-Holstein, 2008, S. 575 (577). 40 Püttner (FN 18), § 8 Rn. 19. 41 Knemeyer (FN 27), S. 177. 42 Scheer (FN 15), S. 126, wo nach Scheer in den neuen Bundesländern in 80 % aller Gemeinden teils weniger als 2000 Einwohner lebten. 43 Bogumil/Jann (FN 10), S. 220, 223 ff. 44 Dombert, Auf dem Weg zu bürgerschaftlich-demokratischer Mitwirkung – Parlamentarische Strukturen für den Kreistag in: Büchner/Franzke/Nierhaus (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Anforderungen an Kreisgebietsreformen, 2008, S. 33. Grundlegend LVerfG MV, NordÖR 2007, S. 353 ff.; dazu Erbguth, DÖV 2008, S. 152 ff.; Henneke, Der Landkreis 2011, S. 385 ff.; Mehde, NordÖR 2007, S. 331 ff. 45 Püttner (FN 18), § 6 Rn. 23. 46 Palmen/Schönenbroicher (FN 35), S. 1174. 39

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turreformen.47 Zweck einer Verwaltungsstrukturreform kann ferner die Kongruenz von Administrations- und Lebensraum sein, um eine ortsnahe und bürgerschaftliche Verwaltungsstruktur zu schaffen sowie im Interesse der Bürgernähe weitere Aufgaben auf die untere kommunale Ebene zu verlagern.48 Als weitere Ziele einer Verwaltungsstrukturreform werden schließlich die Stärkung der Verwaltungs- und Leistungskraft der Städte, Gemeinde und Ämter sowie die Gewährleistung der sachgerechten, effizienten und von hoher Qualität gekennzeichneten Aufgabenerfüllung der übertragenen Aufgabe durch Einsatz moderner technischer Verwaltungsmittel und Einsatz qualifizierten und spezialisierten Personals angeführt.49 IV. Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen Die Organisation der öffentlichen Verwaltung ist im Verfassungsrecht nur rudimentär geregelt: Die föderale Zuständigkeitsverteilung findet sich in Art. 30, 83 ff. GG. Für die Landesverwaltung gilt allgemein Art. 45 LVerf SH und für die kommunale Selbstverwaltung insbesondere die Garantie aus Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 46 – 49 LVerf SH. Das Verfassungsrecht entfaltet gegenüber dem Recht der innerstaatlichen Organisation daher eine stärkere Steuerungskraft, wenn Träger der kommunalen Selbstverwaltung betroffen werden.50 Das lässt sich an drei grundlegenden verfassungsrechtlichen Determinanten für Organisationsentscheidungen dokumentieren. Im Recht von der Organisation findet sich die Forderung nach rechtsstaatlicher Verantwortungsklarheit und Effektivität mit dem Gebot demokratischer Legitimation zusammen.51 Dieses zuvörderst zu beachtende Gebot demokratischer Legitimation ergibt sich allgemein aus Art. 20 Abs. 2 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und wird auf der kommunalen Ebene zusätzlich durch die politische Funktion der Selbstverwaltung als Modus bürgerschaftlicher Teilhabe an der Staatsgewalt hervorgehoben.52 Neben und über die demokratische Legitimation der Volksvertreter auch auf Gemeinde- und Kreisebene hinaus tritt das Erfordernis, der bürgerschaftlichen Mitwirkung an der kommunalen Verwaltung Raum geben zu müssen, das aus Art. 28 Abs. 2 GG erwächst.53

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Wilhelm, LKV 2001, S. 11 (12). Wilhelm (FN 47), S. 12. 49 Wilhelm (FN 47), S. 12. 50 Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Kommentar, Band II, 2006, Art. 28 Rn. 122 u. 178. 51 Vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2006, 5/1 u. VI/18; auch ders., in: Schmidt-Aßmann/Hoffman-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9, (38 ff.). 52 Vgl. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 678. 53 Dreier, in: ders. (FN 50), Art. 28 Rn. 86. 48

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Hinzu kommt der Grundsatz der funktionsgerechten Organisationsstruktur. Er wurzelt im Rechtsstaatsprinzip54 und zielt innerhalb der Exekutive auf eine erfolgversprechende Zuordnung der verschiedenen Organisationstypen und -formen der pluralen Verwaltungsorganisation zu den Verwaltungsaufgaben.55 Das Funktionengliederungsprinzip bringt damit Funktion und Organisations- bzw. Organstruktur, Verwaltungsaufgabe und Ausgestaltung der Verwaltungsorganisation in einen rechtlichen Zusammenhang.56 Dabei hat der Gesetzgeber Aufgabenbestand, -entzug oder -zuweisung unter Beachtung der Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG zu regeln. Ergänzt und vertieft wird das verfassungsrechtliche Gebot, eine rationale Zuordnung von Organisationen zu Aufgaben vorzunehmen, durch das in Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Gebot der Wirtschaftlichkeit. Begrifflich ist Effektivität als Maß für die Erreichung des durch die Gesetze vorgegebenen, im Prozess der Rechtsanwendung näher konkretisierten Ziels zu verstehen. Demgegenüber bildet Effizienz eine Größe für die Wirtschaftlichkeit.57 Wirtschaftlichkeit ist immer in Bezug auf die Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben, in Bezug auf den Erfolg für die Erfüllung bestimmter öffentlicher Interessen zu sehen. Welche öffentlichen Interessen der Verwaltung aufgegeben sind, bestimmt der Gesetzgeber oder eben der Selbstverwaltungsträger. Wirtschaftlichkeit hat im Verhältnis zur Gesetzmäßigkeit eine dienende Funktion.58 Die Wirtschaftlichkeit und die bürgerschaftlich-demokratische kommunale Selbstverwaltung stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander. Ökonomische Erwägungen, wonach eine zentralistisch organisierte Verwaltung rationeller und billiger arbeitet, treten grundsätzlich hinter den Gesichtspunkt der Teilnahme der örtlichen Bevölkerung an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben zurück.59 Das schließt gesetzgeberische Reformanliegen zur Steigerung oder Erhaltung der Leistungsfähigkeit kommunaler Verwaltungen nicht aus, fordert aber die eingehende Berücksichtigung der Besonderheiten der Selbstverwaltung.60

54 Krebs, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 1988, § 69 Rn. 77; Di Fabio, VerwArch. 81 (1990), S. 193 (210 f.). 55 Burgi, VVDStRL 62 (2003), S. 405 (430 f.); Schmidt-Aßmann (FN 51), 5/15: „Gleichwohl ist über die Wirksamkeitsbedingungen des Organisationsrechts ohne Aufgabenanalyse nicht sinnvoll zu diskutieren“. 56 Krebs (FN 54), § 69 Rn. 77. 57 Hoffmann-Riem, DÖV 1997, 433 (437); Gaentzsch, DÖV 1998, S. 952 (954); Achterberg, JA 1982, S. 237 (239); Schwarze, DÖV 1980, S. 581 (583). 58 Vgl. Püttner (FN 18), § 14 Rn. 3. 59 BVerfGE 79, 127 (153). 60 I.d.S. LVerfG MV, NordÖR 2007, S. 353 (355).

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V. Ausgestaltung und Konsequenzen Die Ausgestaltung dieses Rechtsrahmens ist maßgeblich geprägt von der einschlägigen Rechtsprechung, vor allem der Landesverfassungsgerichte.61 Seit der Wiedervereinigung Deutschlands sind praktisch nur Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte in den „neuen“ Ländern ergangen, dort aber zahlreich und flächendeckend. Auch das BVerfG hat einige Pflöcke eingeschlagen.62 1. Aufgabenverlagerungen Art. 45 Abs. 2 LVerfG SH belegt die Befugnis des Landesgesetzgebers, „die Organisation der Verwaltung sowie die Zuständigkeiten und das Verfahren“ zu bestimmen. Als Konkretisierung des Grundsatzes der aufgabenadäquaten Organisation garantiert Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG für die Gemeinden das Recht, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ eigenverantwortlich zu regeln. Darüber geht die Landesverfassung SH sogar noch hinaus, indem sie den Gemeinden „alle öffentlichen Aufgaben“ zuweist, vorbehaltlich anderer gesetzlicher Bestimmung. Hinter dieser umfassenden Kommunalisierung der öffentlichen Aufgaben steht das monistische Aufgabenverständnis, wie es auch in anderen Landesverfassungen niedergelegt ist. Nach § 22 Abs. 1 LVwG SH soll bei der Übertragung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung „der Träger nach dem Grundsatz einer zweckmäßigen, wirtschaftlichen und ortsnahen Verwaltung bestimmt werden“. Zudem kommt in § 26 Abs. 2 LVwG SH der Subsidiaritätsgrundsatz zum Ausdruck: „Untere Landesbehörden sollen nur für sachlich zuständig erklärt werden, wenn einer Übertragung der Aufgaben auf Gemeinden, Kreise oder Ämter wichtige Gründe entgegenstehen.“ Insofern werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben mustergültig umgesetzt. Daraus erwachsen insbesondere Konsequenzen für Funktional- bzw. Zuständigkeitsreformen.63 Auszugehen ist von der bekannten Begriffsbestimmung der örtlichen Angelegenheiten64, die dem Gesetzgeber indes einen erheblichen Einschätzungsspielraum belässt.65 Für die Aufgabenabgrenzung zwischen Gemeinden und

61 Vgl. ausführlich Bull, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Funktional-, Struktur- und möglichen Kreisgebietsreform in Schleswig-Holstein in: Landesregierung Schleswig-Holstein (FN 39), S. 1 (11 ff.); eine Zusammenfassung der Rechtsprechung der Staats- und Verfassungsgerichte findet sich bei Scheer (FN 15), S. 126 ff. 62 Siehe auch BVerfGE 50, 50 ff.; BVerfGE 86, 90 ff.; BVerfGE 107, 1 ff. 63 Vgl. Bull (FN 61), S. 38 ff.; BVerfGE 79, 127 (148 ff.); 107, 1 (13 ff.). 64 BVerfGE 79, 127 (151 f.); siehe auch BVerfGE 8, 122 (134); 50, 195 (201); 52, 95 (120) sowie 110, 370 (400). 65 Siehe etwa BVerfGE 110, 370 (400 f.).

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Kreisen hat der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber das Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden zu beachten.66 Für die Kreise fehlt es an belastbaren Aufgabenumschreibungen.67 Die den Kreisen zugeordneten Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben sind originär gemeindliche Aufgaben, die von den kreisangehörigen Gemeinden nicht (oder nicht von allen) wahrgenommen werden können.68 Demgegenüber betrifft die sog. Hochzonung69 von Aufgaben zu den Kreisen eine echte Aufgabenverschiebung. Damit wird der verfassungsrechtlichen Vorgabe aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG genügt, dass die Kreise zwar keine Aufgabenallkompetenz, wohl aber die Garantie haben, dass ihnen überhaupt Angelegenheiten zur selbständigen Wahrnehmung zugewiesen werden. Immerhin ist teilweise von den Verfassungsgerichten der Länder zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung das Prinzip der dezentral-kommunalen Aufgabenverteilung für lokale Angelegenheiten entwickelt worden, welches Vorrang vor zentraler, staatlich determinierter Aufgabenerfüllung besitzt.70 2. Gebietsänderungen Einschneidender als Funktionalreformen sind – oder werden jedenfalls meistens so empfunden – Zugriffe auf den Bestand oder den Verwaltungsraum kommunaler Gebietskörperschaften. Wohl weil die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung materieller Anforderungen durch die gesetzgeberische Organisationsentscheidung eingeschränkt ist, sind verstärkt prozedurale Vorgaben entwickelt worden. a) Formelle Anforderungen Dem Gesetzgeber obliegen Sachverhaltsermittlungs-, Darlegungs- und Begründungspflichten.71 Sie sind den allgemeinen Grundsätzen zu entnehmen72 und bilden 66 BVerfGE 79, 127 (150); zur Funktionsordnung des Kommunalbereiches nach der Rastede-Entscheidung siehe Schmidt-Jortzig, DÖV 1993, S. 973 ff. 67 Vgl. aber Henneke, Der Landkreis 2004, S. 244 (247 ff.). 68 Siehe zur Zulässigkeit interkommunaler Rechtsdienstleistungen Hegerbekermeier, KommJur 2011, S. 401 ff. 69 Vgl. BVerfGE 79, 127 (148). 70 Vgl. SächsVerfGH, DVBl. 2001, S. 294 (295); Kirchhof (FN 39), S. 575 (576). 71 BVerfGE 50, 50 (51); 86, 90 (109); 79, 311 (344); BlnVerfGH, LKV 2004, S. 76 ff. Instruktiv Bull (FN 61), S. 73 ff.; Ewer, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Funkional-, Struktur- und Kreisgebietsreform, in: Landesregierung Schleswig-Holstein (FN 39), S. 127 (213 ff.). 72 Vgl. NdsStGH, NVwZ 1998, S. 1288 (1290 f.); BlnVerfGH, LKV 2004, S. 76 (78); Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, in: Rolf Stödter/ Werner Thieme (Hrsg.), FS für Hans Peter Ipsen, 1977, S. 173 ff.; Mengel, Die verfahrensmäßigen Pflichten des Gesetzgebers und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle, ZG 5 (1990), S. 193 ff.; differenzierend Schulze-Fielitz, NVwZ 1983, S. 709 (711); strikt ablehnend Gusy,

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das Korrelat zum Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers.73 Dem BVerfG zufolge trifft den Gesetzgeber vor Verabschiedung eines Gesetzes, insbesondere im Falle einer Gebietsreform, verfahrensrechtlich die Pflicht, alle für seine Entscheidung erheblichen Tatsachen sorgfältig – vollständig und zutreffend – zu ermitteln.74 Dem Gesetzgeber obliegt es demnach, unabhängig vom Inhalt der Reform, das Tatsachenmaterial zusammenzustellen, welches für die Einschätzung der mit dem Gesetz zu regelnden Lage erforderlich ist, um eine ausreichende Informationsgrundlage für eine fundierte Einschätzung der zu regelnden Situation vornehmen sowie eine Prognose bezüglich der künftigen Entwicklung nach Verabschiedung des Gesetzes anstellen zu können.75 Neben der Sachverhaltsermittlung bedarf es im Vorfeld einer Gebietsreform einer Defizitanalyse, wenngleich dieses Erfordernis teilweise bestritten wird.76 Ungeachtet dessen ist es rechtstatsächlich der „sicherste Weg“, um Schwachstellen des neuen Gebietsreformsystems zu eruieren. Rechtsdogmatisch hätte ein Unterlassen einer konkreten Defizitanalyse die Verletzung des auch den Kreisen zustehenden Rechts auf kommunale Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG zur Folge.77 Wichtig im Rahmen einer Defizitanalyse ist, dass sie im Vorfeld einer Kreisgebietsreform allein hinsichtlich der Aufgabenerfüllung der Kreise zu erfolgen hat und nur die aus der Verwaltungsstruktur der Kreise resultierenden Defizite bei der Aufgabenerfüllung der Analyse unterliegen und anhand konkreter Tatsachen zu benennen sind. In diesem Sinne ist eine Gebietsreform nur dann gerechtfertigt, sofern die Kreise die ihnen obliegenden Selbstverwaltungsaufgaben nicht mehr angemessen wahrnehmen können.78 Einer Gebietsreform muss ferner eine förmliche Anhörung der Beteiligten vorausgehen.79 Als Rechtsgrundlagen für das Anhörungsgebot werden dabei das den Kommunen zustehende Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG sowie das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip herangezogen.80 Zweck des AnhöZRP 1985, S. 291 (298); ebenfalls kritisch Knemeyer (FN 27), S. 182, der die Rspr. des BVerfG als „Floskel“ bezeichnet. 73 BVerfGE 79, 311 (344); zu den Unwägbarkeiten „eines noch deutlicher als gestuft wahrnehmbaren Reformvorhabens“ Bogumil/Ebinger, in: Büchner/Franzke/Nierhaus (FN 44), S. 13 (15 ff.). 74 BVerfGE 50, 50 (51); 86, 90 (109). 75 Ewer (FN 71), S. 213 f. 76 Bull, NordÖR 2005, S. 498; ders. (FN 61), S. 74 f., der die gesetzgeberische Verpflichtung zur Defizitanalyse schon aus Rechtsgründen unter Hinweis auf LVerfG MV, NordÖR 2007, S. 353 (357) u. NdsStGH, NdsStGHE 2, S. 1 (5 u. 153) ablehnt. 77 Ewer (FN 71), S. 214. 78 Ewer (FN 71), S. 215 f.; in diesem Sinne auch Dombert, Verfassungsrechtliche Anforderungen an Gebietsreformen auf Gemeinde-, Ämter- und Kreisebene, in: Meyer/Wallerath (Hrsg.), Gemeinden und Kreise in der Region, 2003, S. 47 (53 f.). 79 BVerfGE 50, 50 (50 f.); 86, 90 (107); dazu Bull (FN 61), S. 79 ff. 80 BVerfGE 50, 195 (202); BVerfG, NVwZ 2003, S. 850 (854); Rothe (FN 12), S. 106 f.

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rungsgebotes ist es zum einen, dem Gesetzgeber umfassende Kenntnis von allen erheblichen Umständen, insbesondere ein exaktes Bild der Interessen der jeweils betroffenen Gebietskörperschaft, zu vermitteln, um eine Entscheidungsgrundlage zu erhalten, welche eine sachgerechte Entscheidung des Gesetzgebers ermöglicht.81 Deutlich wird daraus der enge Zusammenhang zwischen dem Anhörungsgebot und der ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung.82 Zum anderen soll verhindert werden, dass die Gebietskörperschaften Objekt bloßer Fremdbestimmung werden.83 Eine ordnungsgemäße Anhörung vor einer Territorialreform setzt laut BVerfG voraus, dass die betroffene Gemeinde von Art und Umfang sowie den wesentlichen Grundlagen des Gesetzesvorhabens so rechtzeitig Kenntnis erhält, dass sie ihre Einwendungen als amtliche Stellungnahme vortragen kann.84 Die Kenntniserlangung fordert kein Wissen aller Einzelheiten des Reformvorhabens, wohl aber Informationen über den wesentlichen Inhalt der Neugliederung und der dafür gegebenen Begründung.85 Die sich an die Anhörung anschließenden Stellungnahmen der betroffenen Kommunen müssen in der Abwägung der für und gegen die Neugliederungsmaßnahme sprechenden Gründe berücksichtigen werden.86 Ggf. bedarf es einer erneuten Anhörung, sofern sich die beabsichtigte Neugliederungsmaßnahme nach erfolgter Anhörung wesentlich verändert und die Anhörungsberechtigten von der Änderung unmittelbar betroffen sind.87 Unzulänglichkeiten in der Erfüllung prozeduraler Pflichten bilden für sich grundsätzlich keinen Nichtigkeitsgrund.88 Anders ist es aber, wenn und weil – wie vorliegend – das Ergebnis des Abwägungsprozesses nur eingeschränkt verfassungsgerichtlich überprüft wird. Dann sind die formellen Erfordernisse ihrerseits in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren voll justiziabel, weil sie verfahrensrechtliche Sicherungsinstrumente des Selbstverwaltungsrechts der betroffenen Gebietskörperschaft darstellen.89 Zwar ist es in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Gesetzgeber seine Reform reformieren kann, jedoch unterliegen derartige „Reformen der Reform“ besonderen verfahrensrechtlichen Anforderungen.90 81

BbgVerfG, LKV 1995, S. 37; Scheer (FN 15), S. 127 ff. m.w.N. Ewer (FN 71), S. 218. 83 BVerfGE 50, 195 (202). 84 BVerfG, NVwZ 2003, S. 850. 85 vgl. BVerfGE 50, 195 (203). 86 BVerfGE 86, 90 (108). 87 BVerfGE 50, 195 (203); Scheer (FN 15), S. 129. 88 Bull (FN 61), S. 73 f. 89 Ewer (FN 71), S. 230; auch Rothe (FN 12), S. 110. 90 BVerfGE 86, 90 (110); SaarlVerfGH, NVwZ 1986, S. 1008 (1009); siehe v. a. Rothe (FN 12), S. 152 ff., der eine detaillierte Darstellung der gesonderten Anforderungen erbringt, sowie Ewer (FN 71), S. 218 ff. und Schliesky/Schwind (FN 16), § 14 (Stand: Mai 2004), Rn. 128 ff.; vgl. auch VerfGH NW, StuGR 1975, S. 367 ff. (insbesondere zur Anhörung und Anhörungsverfahren); dazu Stüer, DVBl. 1977, S. 1 (6 m.w.N.). 82

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b) Materielle Anforderungen Einen verfassungsrechtlich zwingenden Gebietszuschnitt gibt es nicht91 – wäre das anders, müsste die tatsächliche Lage in Schleswig-Holstein angesichts der Bandbreite vorhandener Gemeindetypen wohl partiell als verfassungswidrig angesehen werden. Schon deshalb bilden die Gebote der funktionsgerechten und effizienten Verwaltungsorganisation sowie der demokratischen Legitimation nur Entscheidungsdirektiven für den Zuschnitt kommunaler Gebietskörperschaften, deren jeweils individuell-konkreter Bestand und Raum gerade nicht von Verfassungs wegen geschützt sind.92 aa) Bindung an das Gemeinwohl Die Rechtsprechung des BVerfG93 und der Landesverfassungsgerichte94 stellt einhellig fest, dass die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Veränderungen des Gebietsbestandes einzelner Gemeinden bzw. Kreise nicht entgegensteht und dass Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammenschlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebietsänderungen den verfassungsrechtlichen Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung grundsätzlich nicht beeinträchtigen. Bestands- und Gebietsänderungen müssen aber in materieller Hinsicht durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein. Als wesentliche Gemeinwohlgesichtspunkte bei Entscheidungen über die Organisation der öffentlichen Verwaltung kommen die Leistungsfähigkeit der Verwaltung im Interesse der Einwohner, die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, die Beteiligung der Bürger und Bürgernähe sowie unter Umständen Identifikation und Akzeptanz in Frage.95 Das öffentliche Wohl ist umfassend; es schließt sowohl staatliche als auch kommunale Belange ein und ist insoweit wechselbezüglich.96 Bei kommunalen Neugliederungen ist eine gründliche Abwägung aller Neugliederungsziele mit den dadurch prognostisch erreichbaren Vorteilen gegen die damit verbundenen Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Gemeinde bzw. Kreise gefordert. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, sämtliche Belange mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen, um so zu einem sorgfältig austarierten Ergebnis zu gelangen, welches insbesondere die verfassungsrechtlich gewährleisteten Positionen der Gemeinde bzw. Kreise hinreichend berücksichtigt.97 Entscheidend ist, dass untersucht wird, welche kommunalen, privaten und staatlichen Belange von einer Veränderung der Gebietsstrukturen überhaupt betrof91

Dazu Bull (FN 61), S. 56 ff.; Ewer (FN 71), S. 188 ff. Dreier, in: ders. (FN 50), Art. 28 Rn. 101. 93 BVerfGE 50, 50 (50); BVerfGE 50, 195 (201); BVerfGE 86, 90 (107). 94 Beispielhaft ThürVerfGH, NVwZ-RR 1999, S. 55 (56). 95 Zu den zu den „relevanten Gemeinwohlaspekten“ ausführlich Bull (FN 61), S. 83 ff.; Ewer (FN 71), S. 233 ff.; Scheer (FN 15), S. 132. 96 LVerfG MV, NordÖR 2007, S. 353 (355). 97 Ewer (FN 71), S. 235 f.; siehe auch LVerfG MV, NordÖR 2007, S. 353 (357 ff.). 92

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fen werden und wie intensiv in die einzelnen Rechtspositionen eingegriffen wird. Dabei müssen die Gründe des öffentlichen Wohls, die den Eingriff des Gesetzgebers in den Bestand der betroffenen Kreise rechtfertigen sollen, umso gewichtiger sein, je schwerwiegender der Demokratieverlust und andere mit dem Eingriff verbundene Nachteile für die Selbstverwaltung und die Bevölkerung im Einzelfall sind.98 Bei der danach gebotenen Abwägungsentscheidung – nicht beim Abwägungsvorgang – kommt dem Gesetzgeber grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum zu.99 Als etwaige Abwägungsfehler kommen ein Abwägungsausfall, ein Abwägungsdefizit, eine Abwägungsfehleinschätzung sowie eine Abwägungsdisproportionalität in Betracht.100 Das Verfassungsgericht „hat insbesondere nachzuprüfen, ob der Gesetzgeber den für seine Maßnahmen erheblichen Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und dem Gesetz zugrunde gelegt hat, ob er alle Gemeinwohlgründe sowie die Vor- und Nachteile der gesetzlichen Regelung umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen hat und ob der gesetzgeberische Eingriff geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist und die Gebote der Sach- und Systemgerechtigkeit beachtet“.101 bb) Verhältnismäßigkeit und Willkürfreiheit Im Anwendungsbereich der Selbstverwaltungsgarantie sind Veränderungen kommunaler Gebiete und Zuständigkeiten rechtfertigungsbedürftige Eingriffe. Die aus der Grundrechtsdogmatik entlehnte Schranke der Verhältnismäßigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen wird daher auf die wehrfähige Rechtsposition der Selbstverwaltungsträger übertragen.102 Der mit der Gebietsreform verbundene Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht von Gemeinden und Kreisen muss demnach zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.103 Die Verhältnismäßigkeit fügt sich allerdings nicht bruchlos in die Prüfung ein, wenn (zuvor) be-

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NdsStGH, NdsStGHE 2, 1 (152). Siehe BVerfGE 50, 50 (51); 86, 90 (108 ff.); 107, 1 (24); auch SächsVerfGH, LVerfGE 5, 311 (320). 100 Ewer (FN 71), S. 241. 101 BVerfGE 50, 50 (51); Das vom Thüringer Verfassungsgerichtshof entwickelte DreiStufen-Modell zur Verfassungsmäßigkeit von Neugliederungsmaßnahmen befasst sich auf allen Stufen mit der Gemeinwohlkonkretisierung durch den Gesetzgeber, welcher jeweils eine adäquate verfassungsgerichtliche Überprüfung zuzuordnen ist; vgl. ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, S. 639 ff.; fortgeführt von ThürVerfGH, NVwZ-RR 1999, S. 55 ff.; LKV 2000, S. 31 ff.; ausführlich zum Drei-Stufen-Modell Gebhardt, Das kommunale Selbstverwaltungsrecht, 2007, S. 77 ff. Letztlich prüft auch das LVerfG MV materiell, obwohl es den Ausführungen die Überschrift „Entscheidungsprozess“ gibt, so Bull, in: Büchner/Franzke/Nierhaus (FN 44), S. 23 (24), und Hubert Meyer, ebd., S. 49 (60). 102 Dreier, in: ders. (FN 50), Art. 28 Rn. 128 f.; Ehlers, DVBl. 2000, S. 1301 (1307 f.). 103 Ausführlich Rothe (FN 12), S. 116 ff. 99

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reits die Abwägung auf Fehler untersucht worden ist.104 Insoweit können Redundanzen verhindert werden, wenn die Elemente der Verhältnismäßigkeit als Anwendungsfälle der Abwägungsdirektiven begriffen werden.105 Fehlerhaft ist das Abwägungsergebnis dann, „wenn der Eingriff in den Bestand einer Gemeinde offenbar ungeeignet oder unnötig ist, um die damit verfolgten Ziele zu erreichen, oder wenn er zu ihnen deutlich außer Verhältnis steht. Nur in diesen Grenzen kann die Abwägung des Gesetzgebers, d. h. die Bevorzugung bestimmter Belange, die Hintanstellung anderer und die Auswahl zwischen verschiedenen Lösungsalternativen, überprüft werden; sie vorzunehmen ist Sache des Gesetzgebers, der hierfür die politische Verantwortung trägt“.106 Um eine Willkürkontrolle zu ermöglichen, verlangen manche Landesverfassungsgerichte, dass der Gesetzgeber sein Konzept „systemgerecht“ bzw. „folgerichtig“ umsetzt.107 Dadurch darf aber die gesetzgeberische Gestaltungsmacht, Ziele einer Reform festzulegen, die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen und insoweit Wertungen und Prognosen vorzunehmen, nicht konterkariert werden.108 Das bedeutet, dass ein Mangel an Systemgerechtigkeit oder Folgerichtigkeit nur dann einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz bilden kann, wenn das Gesetz eindeutig auf ein solches System oder ein als verbindlich akzeptiertes Konzept gestützt worden ist.109 Fehlt eine geschlossene Konzeption, führt das für sich genommen noch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. Das Verfassungsgericht kann dann nur prüfen, ob einzelne Bestimmungen des Gesetzes gegen den Gleichheitssatz verstoßen, weil sie gleiche Sachverhalte ungleich regeln.110 Vereinzelt urteilten die Landesverfassungsgerichte, dass Neugliederungen nur auf Grundlage eines „Konzepts“, „Leitbildes“ oder „Systems“ durchgeführt werden dürften.111 Die Pflicht des Gesetzgebers zur vorherigen Festlegung eines Reformplans ist allerdings insoweit widersprüchlich, als die Abwägung ein schrittweises Vorgehen einschließlich der Erwägung von Alternativen erfordert. Im Übrigen wäre durch ein von der Landesregierung festgelegtes Konzept die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers erheblich eingeschränkt. Ferner scheitert eine isolierte rechtliche Betrachtung eines „Reformkonzeptes“ schon daran, dass das Verfassungsrecht keine Vorgaben darüber enthält, in welcher Form ein derartiges Konzept ausgestaltet

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Gebhardt (FN 101), S. 71; exemplarisch ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, S. 639 (645). I.d.S. BVerfGE 86, 90 (108 f.); Ewer (FN 71), S. 243 ff.; Werner (FN 12), S. 214 ff. 106 So ThürVerfGH, U. v. 01.03.2001 – 20/00 – Rn. 96. 107 Vgl. NdsStGH, NdsStGHE 2, 1 (154); ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, S. 639 (642); SächsVerfGH, SächsVBl. 1999, S. 79 (81); BbgVerfG, LKV 1995, S. 37 (39); vorsichtiger VerfG LSA, LKV 1995, S. 75. 108 Bull (FN 61), S. 55 f. 109 LVerfG MV, NordÖR 2001, S. 537 (546). 110 Scheer (FN 15), S. 131; Bull (FN 61), S. 77 ff. 111 ThürVfGH, NVwZ-RR 1997, S. 639 (644 f.). 105

112

Christoph Brüning

sein müsste.112 Schließlich ist zu betonen, dass die Motive, Erwägungen, Prognosen, Wertungen und Akzentuierungen des Gesetzgebers nicht zur Disposition der Verfassungsgerichte stehen.113 cc) Demokratische und mitgliedschaftliche Legitimation Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verankert das demokratische Prinzip auf Gemeinde- und Kreisebene. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Wahlen zu kommunalen Volksvertretungen nicht auf körperschaftliche Legitimation abzielen.114 Gleichwohl ist mit der Demokratisierung der kommunalen Selbstverwaltung keine Verabschiedung der mitgliedschaftlich-partizipatorischen Komponente der Selbstverwaltung verbunden.115 Denn sie ist als Bestandteil der Selbstverwaltungsgarantie gleichrangig in Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet.116 Wenn die Organisationsentscheidung des Landesgesetzgebers einen Selbstverwaltungsträger statuiert und formiert, für den bürgerschaftliche Mitwirkung an der Wahrnehmung der ihm obliegenden örtlichen Angelegenheiten konstitutiv ist, muss sie folglich beiden verfassungskräftigen Anforderungen genügen. Einerseits müssen Gebiet, Verwaltungsraum, Aufgabenbestand und Entscheidungsstruktur so zugeschnitten sein, dass sie überschaubar, die zugrundeliegenden Interessen und ihre Träger greifbar und die Entscheidungsfolgen fühlbar sind.117 Deshalb ist es konsequent, die Möglichkeiten zur Verwirklichung der Partizipation vor Ort zum materiellen Maßstab für kommunale Territorial- und Funktionalreformen zu erheben. Andererseits vollzieht sich bürgerschaftliche Mitwirkung in erster Linie über die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts zu Kommunalvertretungen.118 Insoweit folgt aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung die Pflicht zu einer Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung, welche Freiheitsräume für die ehrenamtliche, bürgerschaftlich-demokratische Entscheidungsfindung in persönlicher Kenntnis örtlicher und regionaler Besonderheiten innerhalb der Körperschaft sichert.119 112

Bull (FN 61), S. 77 ff. mit weiteren Argumenten. Geiger, Gegenwartsprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit aus deutscher Sicht, in: Berberich/Holl/Maaß (Hrsg.), Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, 1979, S. 131 (142). 114 BVerfGE 83, 37 (55); 60 (75). 115 Henneke, Der Landkreis 2012, S. 74 (80). 116 Vgl. BVerfGE 11, 266 (275 f.); 79, 127 (150 f.). 117 Schmidt-Aßmann, in: Henneke/Meyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung zwischen Bewahrung, Entwicklung und Bewährung, 2006, S. 59 (73), unter Bezugnahme auf Meyer, LKV 2005, S. 233 (237); auch schon von Unruh, Verfassung und Auftrag des Kreises im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1967, S. 15 ff. u. 24 f. 118 LVerfG MV, NordÖR 2011, S. 537 (543). 119 Ausführlich unter Würdigung der Kreisgröße im Hinblick auf die ehrenamtliche Tätigkeit im Kreistag LVerfG MV, NordÖR 2007, S. 353 (360 ff.) und neuerlich NordÖR 2011, S. 537 (543 ff.), z. B.: „Die Kreistagsmitglieder können sich auch über die Verhältnisse in entfernteren Bereichen des jeweiligen Kreises zumutbar eigene Kenntnis verschaffen.“ 113

Rechtliche Maßstäbe an Funktional- und Territorialreformen

113

VI. Fazit Im Jahr 1994 hat das VerfG LSA eine Individualverfassungsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, die sich gegen das seinerzeitige Gesetz zur Kreisgebietsreform mit der Rüge wandte, eine Anhörung der Bürger habe nicht stattgefunden.120 Zwei Jahre später meinte der Thüringer VerfGH, die Anhörung der Bürger der betroffenen Gemeinde zähle nicht zum hier allein maßgeblichen, als gemeindeutscher Verfassungsgrundsatz verbürgten Mindestinhalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. „Aus der Sicht des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG kann die Zustimmung oder Ablehnung einer Eingemeindung durch die Bürger der betroffenen Gemeinde daher lediglich einen Gesichtspunkt bei der gesetzgeberischen Abwägung bilden, ob die Eingemeindung auf Gründe des öffentlichen Wohls gestützt werden kann; nicht aber handelt es sich um eine selbständige, regelmäßig zu prüfende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer Eingemeindung durch Gesetz.“121 Ob die Frage nach einer Mitwirkung der Ortsbevölkerung im Gesetzgebungsverfahren – sei es unmittelbar oder mittelbar – heute genauso zu beantworten ist, soll an anderer Stelle weiterverfolgt werden. Einfach fällt die Antwort dort, wo die Landesverfassung klare Vorgaben macht; schwieriger wird es ohne ausdrückliche Regelung, zumal das LVerfG Brandenburg unter Bezug auf das BVerfG vor knapp zehn Jahren betont hat: „Kommunale Selbstverwaltung bedeutet nicht zuletzt auch Mitwirkung und Beteiligung an der Meinungsbildung ,vor Ort‘ sowie ,Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten …. mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren‘ (BVerfGE 11, 266, 275 f.). Das Unterbleiben der in Art. 98 Abs. 2 Satz 3 LV eigens angeordneten ,Anhörung der Bevölkerung‘ vor einer Änderung des Gemeindegebietes ist deshalb gegebenenfalls ein Verstoß gegen die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Ausgestaltung durch die Landesverfassung.“122

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VerfG LSA, B. v. 31. 05. 1994 – LVG 8/94 –. ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, S. 639 (640). 122 BbgVerfG, LKV 2004, S. 317 (318). 121

Schriftenverzeichnis von Rolf Grawert I. Monographien 1. Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland. Eine kritische Untersuchung der gegenwärtigen Staatspraxis mit einer Zusammenstellung der zwischen Bund und Ländern abgeschlossenen Abkommen, Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 57, Heidelberg 1967, zugleich Dissertation, Universität Heidelberg, Juristische Fakultät, 1967. 2. Staat und Staatsangehörigkeit. Verfassungsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Staatsangehörigkeit, Schriften zur Verfassungsgeschichte, Band 17, Berlin 1973, zugleich Habilitation, Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaften, 1972. 3. Die Kommunen im Länderfinanzausgleich, Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 556, Berlin 1989. 4. Sozialstaat und soziale Grundrechte, Schriften des Vereins für Rechtsprechungslehre (Griechenland), Athen/Komotini 1997. 5. Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. Kommentar, 3. Auflage, Wiesbaden 2012; 2. Auflage, Wiesbaden 2008; 1. Auflage Wiesbaden 1998.

II. Aufsätze und Abhandlungen 6. Finanzreform und Bundesstaatsreform, in: DER STAAT, Band 7 (1968), S. 63 – 83. 7. Normenkontrolle im Wahlprüfungsverfahren, in: DÖV 1968, S. 748 – 756. 8. Rechtsfragen der Neuordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen (zusammen mit Ernst-Wolfgang Böckenförde und Adalbert Podlech), in: Böckenförde/Grawert/Podlech, Rechtsgutachten zur Neuordnung von Grundschule und Hauptschule, Strukturförderung im Bildungswesen des Landes Nordrhein-Westfalen: Eine Schriftenreihe des Kultusministeriums, Düsseldorf 1969, S. 5 – 109. 9. Sonderverordnungen zur Regelung besonderer Gewaltverhältnisse (zusammen mit ErnstWolfgang Böckenförde), in: AöR, Band 95 (1970), S. 1 – 37. 10. Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung (zusammen mit Ernst-Wolfgang Böckenförde), in: DÖV 1971, S. 119 – 127. 11. Rechtsfragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Gemeinden, in: DVBl. 1971, S. 484 – 488. 12. Historische Entwicklungslinien des neuzeitlichen Gesetzesrechts, in: DER STAAT, Band 11 (1972), S. 1 – 25; Wiederabdruck in: Reinhart Koselleck (Hrsg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Stuttgart 1977, S. 218 – 240. 13. Bericht über die Jahrestagung 1972 der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, in: AöR, Band 98 (1973), S. 103 – 114.

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14. Die Staatsangehörigkeit der Berliner, in: DER STAAT, Band 12 (1973), S. 289 – 312. 15. Zum Begriff des Gesetzes, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band II, Stuttgart 1975, S. 863 – 922. 16. Zusammenarbeit und Steuerung im Bundesstaat, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229 – 252. 17. Gemeinden und Kreise vor den öffentlichen Aufgaben der Gegenwart, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Band 36 (1978), S. 277 – 336. 18. Mutamenti strutturali del federalismo nella RFT (übersetzt von Nania und Ridola), in: Diritto e Societa 1978, S. 7 – 49. 19. Staatsamt und Volksvertretung. Institutionelle Gegenkräfte im politischen Ordnungssystem Lorenz von Steins, in: Roman Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, Berlin 1978, S. 245 – 271. 20. Bundesrat – Klammer zwischen Bund und Ländern, in: Das Parlament Nr. 34 – 35 vom 25. 8. 1979, S. 7; Wiederabdruck in: 30 Jahre Bundesrat 1949 – 1979, Bonn 1979, S. 42 – 46. 21. Zur Verfassungsreform, in: DER STAAT, Band 18 (1979), S. 229 – 258. 22. Die Konstruktion eines Misstrauensvotums. Übungsarbeit mit Lösung, in: Jura 1980, S. 601 – 609. 23. Wahlrechtsgrundsätze für Hochschulwahlen, in: Wissenschaftsrecht, Band 14 (1981), S. 193 – 215. 24. Widerruf und Erstattung im Recht der Zuwendungen – Die haushaltsrechtlichen Änderungen des Verwaltungsverfahrens, in: DVBl. 1981, S. 1029 – 1037. 25. Gesetz und Gesetzgebung im modernen Staat, in: Jura 1982, S. 247 – 255 und S. 300 – 309. 26. Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: Joseph Listl/Herbert Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung. Festschrift für Johannes Broermann, Berlin 1982, S. 457 – 490. 27. Der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation und die Problematik seiner Restauration in den Jahren 1814/15, zugleich Rezensionsabhandlung zum gleichnamigen Werk von Gero Walter, Heidelberg/Karlsruhe 1980, in: AöR, Band 107 (1982), S. 637 – 640. 28. Grenzen und Alternativen des gerichtlichen Rechtsschutzes in Verwaltungsstreitsachen. Rechtsvergleichender Bericht: Bundesrepublik Deutschland – Italien, in: DVBl. 1983, S. 973 – 982. 29. Ideengeschichtlicher Rückblick auf Evolutionskonzepte der Rechtsentwicklung, zugleich Besprechung von: Peter Stein, Legal Evolution. The Story of an Idea, 1980; Sinowi Michailowitsch Tschernilowski, Allgemeine Staats- und Rechtsgeschichte. Von der Entstehung des Staates bis zum Kapitalismus (übersetzt von Bernd Funck und Alfred Reißner), Bereich Staats- und Rechtsgeschichte der Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.), wissenschaftliche Bearbeitung von Horst Schröder, Berlin (Ost) 1980, in: DER STAAT, Band 22 (1983), S. 63 – 82. 30. Kommunale Finanzhoheit und Steuerhoheit, in: Albert von Mutius (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft. Festgabe zum 70. Geburtstag von Georg Christoph von Unruh, Heidelberg 1983, S. 587 – 606.

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31. Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit, zugleich Besprechung von: Ulrich Stump, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 – 1914. Verfassung – Verfahren – Zuständigkeit, Berlin 1980, in: Die Verwaltung, Band 16 (1983), S. 66 – 80. 32. Gesetzgebung im Wirkungszusammenhang konstitutioneller Regierung (Vortrag vor der Vereinigung für Verfassungsgeschichte), in: Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung, DER STAAT, Beiheft 7, 1984, S. 113 – 160. 33. Limiti e alternative della tutela giurisdizionale nelle controversie amministrative (übersetzt von Giuseppe Sanviti), in: Rivista trimestrale di diritto pubblico 1984, S. 136 – 158. 34. Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft, in: Politik und Kultur, Band 11 (1984), S. 21 – 45, zugleich in: DER STAAT, Band 23 (1984), S. 179 – 204. 35. Verwaltungsrechtsschutz in der Weimarer Republik, in: Hans-Uwe Erichsen/Werner Hoppe/Albert von Mutius (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift für Christian-Friedrich Menger zum 70. Geburtstag, Köln/Berlin/Bonn/München 1985, S. 35 – 55. 36. Rundfunkordnung für das Land Nordrhein-Westfalen im Spiegel der Verfassungsrechtsprechung, in: Archiv für Presserecht 1986, S. 277 – 286. 37. Verfassungsfrage und Gesetzgebung in Preußen. Ein Vergleich der vormärzlichen Staatspraxis mit Hegels rechtsphilosophischem Konzept, in: Hans-Christian Lucas/Otto Pöggeler (Hrsg.), Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte, Stuttgart/Bad Cannstatt 1986, S. 257 – 309. 38. Der Zusammenbruch des Staates und das Schicksal seiner Beamtenschaft im Spiegel der Nachkriegsjudikatur, in: Friedrich Gerhard Schwegmann (Hrsg.), Die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nach 1945. Geburtsfehler oder Stützpfeiler der Demokratiebegründung in Westdeutschland?, Düsseldorf 1986, S. 25 – 46. 39. Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung, in: JuS 1986, S. 753 – 758. 40. Medienfreiheit im Kommunikationssystem der Bundesrepublik Deutschland, gebundener Privatdruck für die Juristische Fakultät der Jagiellonen-Universität Krakau, 71 Seiten, 1986. 41. Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, in: NJW 1987, S. 2329 – 2338. 42. Die nationalsozialistische Herrschaft, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 1. Auflage, Heidelberg 1987, § 4, S. 143 – 172; Wiederabdruck in: 2. Auflage 1995, § 4, S. 143 – 172; Überarbeitung in: 3. Auflage 2003, Band I: Historische Grundlagen, § 6, S. 235 – 265. 43. Das Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, zugleich Besprechung von: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/ Wien, Band I (1985) und Band II (1986), in: DER STAAT, Band 26 (1987), S. 432 – 447. 44. Die Entfaltung des Rechts aus dem Geist der Geschichte. Perspektiven bei Hegel und Savigny, in: Rechtstheorie, Band 18 (1987), S. 437 – 461. 45. Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 1. Auflage, Heidelberg 1987, § 14, S. 663 – 690; Wiederabdruck in: 2. Auflage 1995, § 14, S. 663 – 690; Überarbeitung in: 3. Auflage 2004, Band II: Verfassungsstaat, § 16, S. 107 – 141. 46. Volksbegehren vor dem Verfassungsgerichtshof, in: NWVBl. 1987, S. 2 – 7.

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47. Z Problematyki Zgodnosci Orzecznictwa Sadowego z Konstytucja (Zur Problematik der Vereinbarkeit von Rechtsprechung und Verfassung, übersetzt von Jolanta Koprucka-Purol und Zbigniew Maciag), in: Przeglad Zachodni, Krakau 1987, S. 57 – 75. 48. Probleme des Rechts auf Asyl, in: Der Rotarier 1987, S. 277 – 278. 49. Forschungsvorhaben am Menschen, in: Der Rotarier 1988, S. 490 – 493. 50. Der württembergische Verfassungsstreit 1815 – 1819, in: Christoph Jamme/Otto Pöggeler (Hrsg.), „O Fürstin der Heimath! Glückliches Stutgard“, Stuttgart 1988, S. 126 – 158. 51. Gesetzliche Regelungen zur Versorgungssicherung und Energieeinsparung, in: Festschrift für Fritz Fabricius. Bochumer Beiträge zum Berg- und Energierecht, Band 7, Stuttgart 1989, S. 335 – 355. 52. Prawne i etycznych granice eksperymentow biologicznych (Rechtliche und ehtische Grenzen biologischer Experimente, übersetzt von Zbigniew Maciag), in: Konstytuja w spoteczemstwie. Festschrift für Professor Wotold Zakrzewski, Krakau 1989, S. 67 – 80. 53. Reich und Republik – Die Form des Staates von Weimar. Ein Rückblick auf die Verfassungsberatungen im Jahre 1919, in: DER STAAT, Band 28 (1989), S. 481 – 504. 54. Stein, Lorenz von, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, Band V (1989), S. 279 – 281. 55. Die Ordnung des Gerichtsvollzieheramtes vor dem Grundgesetz, in: Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung 1989, S. 97 – 127. 56. Verfassung, in: Klaus Chmielewicz/Peter Eichhorn (Hrsg.), Handwörterbuch der öffentlichen Betriebswirtschaft, Stuttgart 1989, Sp. 1560 – 1571. 57. Zwielichtige Geschäfte. Die öffentlich-rechtliche Aufsichtsarbeit in der ersten juristischen Staatsprüfung, in: NWVBl. 1989, S. 71 und S. 103 – 105. 58. Zum Verbot von Parteienwerbung durch ein Zweites Gesetz zur Änderung des Rundfunkgesetzes für das Land NRW – Rechtsgutachtliche Stellungnahme, in: Landtag Nordrhein-Westfalen. Hauptausschuss, 74. Sitzung vom 22. 1. 1990, Ausschussprotokoll 10/1441, S. 14 – 21. 59. Kostspieliger Denkmalschutz. Öffentlich-rechtliche Klausur in der ersten juristischen Staatsprüfung (zusammen mit Michael Gehlert und Joachim Suerbaum), in: NWVBl. 1991, S. 104 – 107. 60. Gesetzgebung zwischen Politik und Bürokratie, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, Band 6 (1991), S. 97 – 116. 61. Rechtseinheit in Deutschland, in: DER STAAT, Band 30 (1991), S. 209 – 230. 62. Juristische Bildung in der Bundesrepublik Deutschland: Das System. Die Probleme. Die Perspektiven (in russischer Übersetzung), in: Sowjetckoje Rocydarctwo Prawo (Sowjetischer Staat und das Recht), Moskau 1991, S. 95 – 112. 63. Bilanz einer Abwicklung und Neugründung: Die Juristische Fakultät Potsdam, in: Die Mitbestimmung, November 1991, S. 53 – 55. 64. Die Staatswissenschaft des Rotteck-Welcker’schen „Staats-Lexikon“, in: DER STAAT, Band 31 (1992), S. 114 – 128. 65. Hochschulentwicklung im west-ost-deutschen Spagat, in: RUBIN 1992, S. 1. 66. Finanzielle Autonomie der örtlichen Verwaltungsorgane in der BRD (in russischer Übersetzung), in: Staat und Recht, hrsg. von der Russischen Akademie der Wissenschaften – Institut für Staat und Recht, Moskau 1992, S. 96 – 107.

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67. Recht, positives; Rechtspositivismus, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band VIII, 1992, Sp. 233 – 241. 68. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Zur Organisation von Verwaltungsträgern zwischen Staat und Kommune, in: Texte aus dem Landeshaus 48: 1. Erbdrostenhofgespräch – Entstehung und Geschichte der Landschaftsverbände, Münster 1993, S. 11 – 29. 69. Das Kommunalwissenschaftliche Institut in Potsdam, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Verfassung und Verwaltung. Festschrift für Kurt G. A. Jeserich zum 90. Geburtstag, Köln/Weimar/ Wien 1994, S. 49 – 59. 70. Der Deutschen supranationaler Nationalstaat, in: Rolf Grawert/Bernhard Schlink/Rainer Wahl/Joachim Wieland (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 65. Geburtstag, Berlin 1995, S. 125 – 143. 71. Rechtsstrukturen der Public-Private-Partnership, in: Studia z Prawa Gospodarczego i Handlowego. Festschrift für Professor St. Wlodyka, Krakau 1996, S. 161 – 183. 72. Der Nationalstaat auf dem Weg nach Europa, in: Bernd Faulenbach/Karsten Rudolf/ Manfred Schlösser, Bochumer Beiträge zur Nationalismusdebatte, Essen 1997, S. 102 – 113. 73. Der integrierte Verfassungsstaat, in: Roland Lhotta/Janbernd Oebbecke/Werner Reh (Hrsg.), Deutsche und europäische Verfassungsgeschichte: Sozial- und rechtswissenschaftliche Zugänge. Symposium zum 65. Geburtstag von Hans Boldt, Baden-Baden 1997, S. 133 – 145. 74. „Kreis-Hotel-GmbH“. Öffentlich-rechtliche Klausur in der ersten juristischen Staatsprüfung, in: NWVBl. 1997, S. 235 – 238. 75. Vorwort zu: Andreas Dimitropoulos. Die Institutionelle Anwendung der Grundrechte, Athen/Komotini 1997, S. 9 – 11. 76. Mitwirkungsverbote in kommunalen Zweckverbänden und Gesellschaften, in: NWVBl. 1998, S. 209 – 215. 77. Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in: Klaus Grupp/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Planung – Recht – Rechtsschutz. Festschrift für Willi Blümel zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, S. 119 – 138. 78. Gesellschaftswandel und Staatsreform in Deutschland, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 333 – 357. 79. Grußwort zur Ehrenpromotion von Ernst-Wolfgang Böckenförde am 12. Mai 1999, in: Ruhr-Universität Bochum, Pressestelle (Hrsg.), Universitätsreden Nr. 9, S. 51 – 53. 80. Die Veräußerung kommunaler Vermögensgegenstände, in: NWVBl. 1999, S. 285 – 292. 81. Die Bedeutung sozialer Grundrechte für die Sozialordnung, in: Ruhr-Universität Bochum, Pressestelle (Hrsg.), Symposium zum 80. Geburtstag von Professor Dr. Fritz Fabricius am 18. Mai 1999, Universitätsreden Nr. 15, S. 13 – 22. 82. Parlamentarismus in Europa – Entwicklungslinien und Systemstrukturen, in: Das Griechische Parlament (Hrsg.), Internationale Wissenschaftliche Konferenz: 150 Jahre griechischen parlamentarischen Lebens 1844 – 1994, Institut für Verfassungsforschung, Band 12, Athen 2000, S. 391 – 400. 83. Francisco de Vitoria. Naturrecht – Herrschaftsordnung – Völkerrecht, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 110 – 125. 84. Nationale und europäische Identität, in: Mysl polityczna od historii do wspólczesnosci. Festschrift für Professor M. Waldenberg, Krakau 2000, S. 109 – 115.

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85. Fünfzig Jahre Grundgesetz, in: Studentische Arbeitsgemeinschaft 50 Jahre BRD (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland – Eine Erfolgsgeschichte? (Politikwissenschaft, Band 65), Münster/Hamburg/London 2000, S. 9 – 14. 86. The Principle of Democracy in the European Union, in: Zarzadzanie i Edukacja, Warschau 2000, S. 13 – 43. 87. Demokratische Regierungssysteme: Qualitätsanforderungen an die Regierungssysteme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: Dietrich Murswiek/Ulrich Storost/Heinrich A. Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag, Berlin 2000, S. 95 – 121. 88. Kommunale Wirtschaftsbetätigung im System eines unverfälschten Wettbewerbs, in: Christoph Reichard (Hrsg.), Kommunen am Markt, Schriftenreihe des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Band 8, Berlin 2001, S. 9 – 44. 89. Deutsche und Ausländer. Das Staatsangehörigkeits-, Ausländer- und Asylrecht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band II: Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts, Tübingen 2001, S. 319 – 357. 90. Funktionen der Landesverfassung NRW im gesamtstaatlichen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland, in: Präsident des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen. Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, Stuttgart/München/ Hannover/Berlin/Weimar/Dresden 2002, S. 153 – 180. 91. „Volksbildung“. Zum Konzept einer nationalökonomischen Einwanderungspolitik, in: DER STAAT, Band 41 (2002), S. 163 – 181. 92. Wie soll Europa organisiert werden? Zur konstitutionellen „Zukunft Europas“ nach dem Vertrag von Nizza, in: EuR 2003, S. 971 – 991. 93. What shall become of the European Union? In: Panstwo I Spoleczenstwo 2003, S. 241 – 256. 94. Vergangenheitsbewältigung. Bemerkungen zu neueren Geschichten über Staat und Verfassung, Rechtstheorien und Rechtswissenschaften, zugleich Besprechung von: Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997; Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999; Robert Schelp, Das Allgemeine Staatsrecht – Staatsrecht der Aufklärung. Eine Untersuchung zu Inhalt, Anspruch und Geltung des natürlichen Staatsrechts im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2001; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, München 1999, in: DER STAAT, Band 42 (2003), S. 437 – 458. 95. Menschenrechte und Staatsräson, in: Michael Brenner/Peter M. Huber/Markus Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, Tübingen 2004, S. 115 – 143. 96. Staatswissenschaft in Deutschland – Erkenntnisziele, Systemkonzepte, Entwicklungsperspektiven, in: Nikolaos Alivizatos (Hrsg.), Essays in Honour of Georgios I. Kassimatis, Athen/Brüssel/Berlin 2004, S. 104 – 120. 97. Deutsche und Polen im Dialog, in: Rotary Magazin 2004, Heft 6, S. 5. 98. Gemeinwohl. Ein Literaturbericht, in: DER STAAT, Band 43 (2004), S. 434 – 449.

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99. Die Rahmengesetzgebung des Bundes, in: Walter Krebs (Hrsg.), Liber Amicorum HansUwe Erichsen. Zum 70. Geburtstag am 15. Oktober 2004, Köln 2004, S. 19 – 45. 100. Free Movement of workers: Changing the European Society, in: Managerial Law, Vol. 47 (2005), Iss. 6, S. 69 – 81. 101. Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 75. Geburtstag, in: AöR, Band 130 (2005), S. 345 – 349. 102. Die Verfassung der Republik Polen im Spiegel der deutschen Literatur, in: Zbiniew Maciag (Hrsg.), Stasowanie Konstytucji RP z 1997 Roku – Doswiadczenia i Perspektywy (Anwendung der Verfassung der Republik Polen aus dem Jahre 1997 – Erfahrungen und Perspektiven), Krakau 2006, S. 157 – 307. 103. Die demokratische Gesellschaft der Union. Zur Sozialdimension der europäischen Grundfreiheiten und Grundrechte, in: Ivo Appel/Georg Hermes (Hrsg.), Mensch – Staat – Umwelt (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Band 48), Festschrift für Rainer Wahl zum 70. Geburtstag, Berlin 2008, S. 11 – 46, zugleich in: DER STAAT, Band 46 (2007), S. 33 – 60. 104. Zur Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern, zugleich Besprechung von: Julia Wuttke, Die Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern in Deutschland und Frankreich, Köln/Berlin/München 2005, in: DER STAAT, Band 46 (2007), S. 573 – 588. 105. Wechselwirkungen zwischen Bundes- und Landesgrundrechten, in: Detlef Merten/ Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band III: Grundrechte in Deutschland – Allgemeine Lehren II, Heidelberg/München/Landsberg/Frechen/Hamburg 2009, § 81, S. 1033 – 1095. 106. The Constitution of Liberty: The normative and dogmatic connections of principles of liberty, fundamental freedoms and human rights within the Union, in: Zbigniew Maciag (Hrsg.), European Constitution and National Constitutions, Krakau 2009, S. 189 – 202. 107. Ustawa Zasadnicza w swietle ujetych w niej praw zasadniczych (The Basic Law in the Light of Fundamental Rights contained therein, ins Polnische übersetzt von Pawel Sarnecki), in: Przeglad Sejmowy (Sejm-Review) 2009, S. 33 – 44. 108. Das Grundgesetz im Lichte seiner Grundrechte. Eine judikative Entwicklungsgeschichte, in: DER STAAT, Band 49 (2010), S. 507 – 542. 109. Die Republik des Saint-Just, in: Ivo Appel/Georg Hermes/Christoph Schönberger (Hrsg.), Öffentliches Recht im offenen Staat. Festschrift für Rainer Wahl zum 70. Geburtstag, Berlin 2011, S. 75 – 98. 110. Jurisprudenz in Potsdam – eine Gründungsgeschichte. Essay, in: studere. Rechtszeitschrift der Universität Potsdam 2011, S. 8 – 14. 111. Legitimität der Wettbewerbswirtschaft, in: DER STAAT, Band 50 (2011), S. 227 – 250. 112. Homogenität, Identität, Souveränität. Positionen jurisdiktioneller Begriffsdogmatik, in: DER STAAT, Band 51 (2012), S. 189 – 213.

III. Rezensionen 113. Annali della Fondazione Italiana per la storia ammistrativa I, 1964, in: DER STAAT, Band 6 (1967), S. 537.

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114. Struktur der deutschen Verwaltung. Föderalismus und Probleme der Zentralisation und Dezentralisation. Vorträge und Diskussionsbeiträge der gemeinsamen Tagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer mit der École Nationale d’Administration Paris vom 28. bis 30. April 1966 in Speyer, in: DER STAAT, Band 7 (1968), S. 271. 115. Leonhard Froese/Werner Krawietz (Bearbeiter), Deutsche Schulgesetzgebung, Band I: Brandenburg, Preußen und Deutsches Reich bis 1945, in: DER STAAT, Band 8 (1969), S. 543. 116. Otto Brunner, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Auflage, in: DER STAAT, Band 9 (1970), S. 140. 117. Georg-Christoph von Unruh, Subjektiver Rechtsschutz und politische Freiheit in der vorkonstitutionellen Staatslehre Deutschlands, in: DER STAAT, Band 9 (1970), S. 431. 118. Helmut Kramer, Fraktionsbildungen in den süddeutschen Volksvertretungen 1819 – 1849, Berlin 1968, in: AöR, Band 96 (1971), S. 314 – 315. 119. Dieter von Stephanitz, Exakte Wissenschaft und Recht. Der Einfluß von Naturwissenschaft und Mathematik auf Rechtsdenken und Rechtswissenschaft in zweieinhalb Jahrtausenden. Ein historischer Grundriß, Berlin 1970, in: DER STAAT, Band 11 (1972), S. 245 – 246. 120. Otto Kimminich, Einführung in das öffentliche Recht. Methodik, Allgemeine Staatslehre, Sozialwissenschaftliche Grundlagen, Freiburg 1972, in: NJW 1974, S. 1993 – 1994. 121. Dieter Mahncke, Berlin im geteilten Deutschland, München 1973, in: Die Verwaltung, Band 7 (1974), S. 391 – 392. 122. Eberhard Schmitt, Repräsentation und Revolution. Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien Régime in Frankreich (1760 – 1789), München 1969, in: DER STAAT, Band 13 (1974), S. 445 – 446. 123. Heinz-Peter Rill, Gliedstaatsverträge. Eine Untersuchung nach österreichischem und deutschem Recht, Wien/New York 1972, in: AöR, Band 100 (1975), S. 324 – 327. 124. Ernst Bayer, Die Bestandskraft von Verträgen zwischen Bund und Ländern, Berlin 1971, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 125. Henner Ehringhaus, Der kooperative Föderalismus der Vereinigten Staaten von Amerika, Frankfurt a. M. 1971, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 126. Gunter Kisker, Kooperation im Bundesstaat, Tübingen 1971, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 127. Siegfried Marnitz, Die Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91a GG als Versuch einer verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der bundesstaatlichen Kooperation, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 128. Hans Niemeier, Bund und Gemeinden. Aktuelle Organisations-, Finanz- und Verfassungsprobleme, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 129. Werner Thieme, Föderalismus im Wandel. Analyse und Prognose des Verhältnisses von Bund und Land Nordrhein-Westfalen von 1949 – 1975, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 130. Burkhard Tiemann, Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern in verfassungsrechtlicher Sicht, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 229. 131. Armin Wolf, Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten in Europa. Sonderdruck aus: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschich-

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te, 1. Band: Mittelalter (1100 – 1500). Die gelehrten Rechte und die Gesetzgebung, München 1973, S. 515 – 800, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 273 – 275. 132. Günter Breunig, Staatsangehörigkeit und Entkolonisierung, Berlin 1974, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 302. 133. Susanne Tiemann, Die staatsrechtliche Stellung der Finanzkontrolle des Bundes, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 302. 134. Walter Bückmann, Verfassungsfragen bei den Reformen im örtlichen Bereich, in: DER STAAT, Band 14 (1975), S. 303. 135. Michael Fischer u. a. (Hrsg.), Dimensionen des Rechts. Gedächtnisschrift für René Marcic, Band I und II, Berlin 1974, in: AöR, Band 101 (1976), S. 128 – 129. 136. Stephan Skalweit, Der „moderne Staat“. Ein historischer Begriff und seine Problematik, in: DER STAAT, Band 16 (1977), S. 150. 137. Jürgen Sandweg, Rationales Naturrecht als revolutionäre Praxis. Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789, Historische Forschungen, Band 6, Berlin 1972, in: DER STAAT, Band 16 (1977), S. 266 – 268. 138. Christian-Friedrich Menger, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Eine Einführung in die Grundlagen, Karlsruhe 1975, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Band 6 (1979), S. 109. 139. Wilhelm Brauneder/Friedrich Lachmeyer, Österreichische Verfassungsgeschichte. Eine Einführung in Entwicklung und Strukturen, Wien 1976, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Band 6 (1979), S. 110. 140. Joachim Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, München 1977, in: NJW 1979, S. 258 – 259. 141. Ernst Portner, Die Verfassungspolitik der Liberalen – 1919. Ein Beitrag zur Deutung der Weimarer Reichsverfassung, Bonner Historische Forschungen, Band 39 (1973), in: AöR, Band 104 (1979), S. 314 – 317. 142. Edzard Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit. Staatliche Organisationsgewalt und körperschaftliche Selbstverwaltung, Göttingen 1971, in: NJW 1980, S. 1039. 143. Erhard Denninger/Marlis Dürkop/Wolfgang Hofmann-Riem/Ulrich Klug/Adalbert Podlech/Helmut Rittstieg/Hans-Peter Schneider/Manfred Seebode, Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder, Neuwied/Darmstadt 1979, in: DER STAAT, Band 19 (1980), S. 159 – 160. 144. Karl Otmar Freiherr von Aretin (Hrsg.), Bismarcks Außenpolitik und der Berliner Kongress, Wiesbaden 1978, in: DER STAAT, Band 19 (1980), S. 482. 145. Rüdiger Schütz, Preußen und die Rheinlande. Studien zur preußischen Integrationspolitik im Vormärz, Wiesbaden 1979, in: DER STAAT, Band 19 (1980), S. 632 – 633. 146. Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit (Hrsg.), Presserecht und Pressefreiheit. Festschrift für Martin Löffler zum 75. Geburtstag, München 1980, in: DER STAAT, Band 19 (1980), S. 638 – 639. 147. Wolfgang Schreiber (Hrsg.), Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 2. Auflage, Band I: Kommentar zum Bundeswahlgesetz von Wolfgang Schreiber, Band II: Vorbereitung und Durchführung der Wahl. Arbeitsanleitung von Johann Hahlen, Köln 1980, in: DER STAAT, Band 21 (1982), S. 286 – 287.

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148. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin (Hrsg.), Fachreferat Rechtswissenschaft (Bearbeiter), Verzeichnis rechtswissenschaftlicher Zeitschriften und Serien in ausgewählten Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West), Berlin/ München 1978, in: DER STAAT, Band 21 (1982), S. 480. 149. Peter Stein, Legal Evolution. The Story of an Idea, in: DER STAAT, Band 22 (1983), S. 63. 150. Ulrich Stump, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875 – 1914. Verfassung – Verfahren ¢ Zuständigkeit, in: Die Verwaltung, Band 16 (1983), S. 66 – 80. 151. Stefan Breuer/Hubert Treiber (Hrsg.), Entstehung und Strukturwandel des Staates, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 1984, S. 323 – 325. 152. Ulrich Häfelin/Walter Haller/Georg Müller/Dietrich Schindler (Hrsg.), Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Nef, Zürich 1981, in: DER STAAT, Band 23 (1984), S. 157 – 158. 153. Bernd-Christian Funk, Das System der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Lichte der Verfassungsrechtsprechung, Wien 1980, in: DER STAAT, Band 23 (1984), S. 158 – 159. 154. Peter Pernthaler, Das Forderungsprogramm der österreichischen Bundesländer, Wien 1980, in: DER STAAT, Band 23 (1984), S. 158 – 159. 155. Hans-Gerhard Husung, Protest und Repression im Vormärz. Norddeutschland zwischen Restauration und Revolution, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 54, Göttingen 1983, in: DER STAAT, Band 23 (1984), S. 640. 156. Alf Lüdtke, „Gemeinwohl“, Polizei und „Festungspraxis“. Staatliche Gewaltsamkeit und innere Verwaltung in Preußen (1815 – 1850), Göttingen 1982, in: Die Verwaltung, Band 17 (1984), S. 400 – 403. 157. Edzard Schmidt-Jortzig/Alexander Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, Köln 1982, in: NVwZ 1984, S. 163. 158. Herbert Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848, Düsseldorf 1984, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1985, S. 104 – 108. 159. Siegfried Jutzi, Landesverfassungsrecht und Bundesrecht. Kollisionslagen und Geltungsprobleme, exemplifiziert an sozialen und wirtschaftlichen Bestimmungen des Landesverfassungsrechts, Berlin 1982, in: DER STAAT, Band 24 (1985), S. 135 – 137. 160. Herbert Zemen, Evolution des Rechts. Eine Vorstudie zu den Evolutionsprinzipien des Rechts auf anthropologischer Grundlage, Wien/New York 1983, in: DER STAAT, Band 24 (1985), S. 290 – 293. 161. Reiner Schulze, Policey und Gesetzgebungslehre im 18. Jahrhundert, Berlin 1982, in: DER STAAT, Band 24 (1985), S. 323 – 324. 162. Bodo Börner/Hermann Jahrreiß/Klaus Stern (Hrsg.), Einigkeit und Recht und Freiheit. Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag, Köln/Berlin/Bonn/München 1984, in: DER STAAT, Band 24 (1985), S. 642. 163. Probleme des Föderalismus. Deutsch-Jugoslawisches Symposium Belgrad 1984, Tübingen 1985, in: DER STAAT, Band 25 (1986), S. 155. 164. Bruno Rieder, Die Entscheidung über Krieg und Frieden nach deutschem Verfassungsrecht, Berlin/München 1984, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1986, S. 69 – 71.

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165. Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, Band I (1985) und Band II (1986), in: DER STAAT, Band 26 (1987), S. 432. 166. Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1984, in: DER STAAT, Band 26 (1987), S. 463 – 465. 167. Peter Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, Wien/New York 1986, in: DER STAAT, Band 26 (1987), S. 587 – 591. 168. Ulrich Matz, Aktuelle Herausforderungen der repräsentativen Demokratie (Sonderheft der Zeitschrift für Politik), Köln/Berlin/Bonn/München 1985, in: DER STAAT, Band 26 (1987), S. 631 – 632. 169. Andreas Hillgruber, Alliierte Pläne für eine „Neutralisierung“ Deutschlands 1945 – 1955, Opladen 1987, in: DER STAAT, Band 27 (1988), S. 157. 170. Heinz Schäfer (Hrsg.), Gesetzgebung und Rechtskultur. Internationales Symposium Salzburg 1986, in: DER STAAT, Band 27 (1988), S. 478. 171. Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, Band III (1987), in: DER STAAT, Band 27 (1988), S. 625 – 627. 172. Clemens Amelunxen (Hrsg.), Rudolf Amelunxen zum 100. Geburtstag – Portrait eines Demokraten. Vierzig Jahre Dienst am sozialen Rechtsstaat, Berlin/New York 1988, in: NWVBl. 1989, S. 258. 173. Otto Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Auflage, Baden-Baden 1987, in: AöR, Band 114 (1989), S. 337 – 338. 174. Heinzgeorg Neumann, Die vorläufige niedersächsische Verfassung. Handkommentar, 2. Auflage, Stuttgart/München/Hannover 1987, in: DER STAAT, Band 28 (1989), S. 160. 175. Jürgen Hartmann, Staatszeremoniell, Köln/Berlin/München 1988, in: DER STAAT, Band 28 (1989), S. 314. 176. Alfred Hartlieb von Wallthor, Auftakt zum Vormärz in Preußen. Die preußische Verfassungsfrage auf dem 3. Westfälischen Provinziallandtag von 1830/31, Münster 1988, in: DER STAAT, Band 28 (1989), S. 319. 177. Peter Pernthaler, Kompetenzverteilung in der Krise. Voraussetzungen und Grenzen der Kompetenzinterpretation in Österreich, Wien 1989, in: DER STAAT, Band 29 (1990), S. 157 – 158. 178. Dieter Suhr, Gleiche Freiheit. Allgemeine Grundlagen und Reziprozitätsdefizite in der Geldwirtschaft, Augsburg 1988, in: DER STAAT, Band 29 (1990), S. 316 – 317. 179. Anton Georg Maurer, Die staatsangehörigkeitsrechtlichen Beziehungen geteilter Staaten, dargestellt am Beispiel von Irland, Nordirland und Großbritannien, Berlin 1988, in: DER STAAT, Band 29 (1990), S. 474 – 475. 180. Peter Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, Berlin 1988, in: NWVBl. 1991, S. 35 – 36. 181. Karl Thedieck, Deutsche Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern. Genese und Grundlagen der Staatsangehörigkeit in deutschlandrechtlicher Perspektive, Berlin 1989, in: DER STAAT, Band 30 (1991), S. 148 – 151. 182. Walter Haller/Alfred Kölz/Georg Müller/Daniel Thürer (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Häfelin zum 65. Geburtstag, in: DER STAAT, Band 30 (1991), S. 158.

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183. Robert Walter/Rudolf Thienel, Parlament und Bundesverfassung. Der Beitrag des Parlaments zur Entstehung und Entwicklung des Bundes-Verfassungsgesetzes, Wien 1990, in: DER STAAT, Band 30 (1991), S. 320. 184. Adolf Süsterhenn, Schriften zum Natur-, Staats- und Verfassungsrecht, hrsg. von Peter Bucher, Mainz 1991, in: DER STAAT, Band 31 (1992), S. 155 – 156. 185. Rudolf Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Band I: Historische Entwicklung und völkerrechtliche Grundlagen, Band II: Verfassungsrechtliche Grundlagen und materielles Staatsbürgerschaftsrecht, Wien 1989, in: DER STAAT, Band 31 (1992), S. 316 – 317. 186. Gerhard A. Ritter/Merith Niehuss, Wahlen in Deutschland 1946 – 1991, München 1991, in: DER STAAT, Band 31 (1992), S. 317 – 318. 187. Georg Wannagat (Hrsg.), Kassel als Stadt der Juristen (Juristinnen) und der Gerichte in ihrer tausendjährigen Geschichte, Köln 1990, in: DER STAAT, Band 31 (1992), S. 318 – 319. 188. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, München, Band I (1988) und Band II (1992), in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 307 – 312. 189. Hermann Lübbe, Abschied vom Superstaat. Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben, Berlin 1994, in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 323. 190. Hans-Werner Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, München 1993, in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 325 – 326. 191. Akten und Briefe aus den Anfängen der kurhessischen Verfassungszeit 1830 – 1837, hrsg. und eingel. von Hellmut Seier, bearb. von Ewald Grothe und Hellmut Seier, Marburg 1992, in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 326 – 327. 192. École Pratique des Hautes Études/Institut Français des Sciences Administratives (ed.), L’Administration de la France sous la Révolution, Genève 1992, in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 327. 193. Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, Band III (1987), Band IV (1988), Band V (1989), Band VI (1992), Band VII (1993), in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 469 – 474. 194. Hiram Caton, The Politics of Progress. The Origins and Development of the Commercial Republic 1600 – 1835, Gainville/Florida 1988, in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 491 – 492. 195. Anton Schindling, Die Anfänge des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Ständevertretung und Staatskunst nach dem Westfälischen Frieden, Mainz 1991, in: DER STAAT, Band 33 (1994), S. 643 – 644. 196. Birgit von Bülow, Die Staatrechtslehre der Nachkriegszeit (1945 – 1952), Berlin 1996, in: DER STAAT, Band 35 (1996), S. 649 – 650. 197. Uwe Keßler, Zur Geschichte des Managements bei Krupp. Von den Unternehmensanfängen bis zur Auflösung der Fried. Krupp AG (1811 – 1943), Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, hrsg. von Hans Pohl, Beiheft 87, Stuttgart 1995, in: DER STAAT, Band 35 (1996), S. 652. 198. Carsten Fricke, Zur Kritik an der Staats- und Verfassungsgerichtsbarkeit im verfassungsstaatlichen Deutschland, in: NWVBl. 1997, S. 39 – 40. 199. Jörn Ipsen/Hans-Werner Rengeling/Jörg Manfred Mössner/Albrecht Weber (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel. Wiedervereinigung Deutschlands. Deutschland in der Europäischen Union. Verfassungsstaat und Föderalismus. Zum 180-jährigen Bestehen der Carl Hey-

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manns Verlag KG, Köln/Berlin/Bonn/München 1995, in: DER STAAT, Band 36 (1997), S. 314 – 317. 200. Heiderose Kilper/Roland Lhotta, Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1996, in: DER STAAT, Band 36 (1997), S. 318. 201. Herbert Schambeck, Das österreichische Regierungssystem. Ein Verfassungsvergleich, Opladen 1995, in: DER STAAT, Band 36 (1997), S. 483 – 484. 202. Marc Reichel, Das demokratische Offenheitsprinzip und seine Anwendung im Recht der politischen Parteien, Berlin 1996, in: DER STAAT, Band 36 (1997), S. 644 – 645. 203. Yves-Marie Bercé/Elena Fasano Guarini (Hrsg.), Complots et conjurations dans l’Europe moderne. Actes du colloque international organisé par l’École française de Rome, l’Institut de Recherches sur les Civilisations de l’Occident Moderne de l’Université de Paris-Sorbonne et le Dipartimento di storia moderna e contemporanea dell’Università degli studi di Pisa 1993, Rom 1996, in: DER STAAT, Band 37 (1998), S. 151. 204. Walter Haller/Alfred Kölz, Allgemeines Staatsrecht – Ein Grundriss, in : DER STAAT, Band 37 (1998), S. 151 – 152. 205. Julius Kirshner (Hrsg.), The Origins of the State in Italy 1300 – 1600, Chicago/London 1996, in: DER STAAT, Band 37 (1998), S. 480 – 481. 206. Paul-Ludwig Weinacht (Hrsg.), Concordia discors – Europas prekäre Eintracht. Studien zur europäischen Staatenwelt, zur historischen Verfassung Deutschlands und zur Europäischen Union, Baden-Baden 1996, in: DER STAAT, Band 37 (1998), S. 651. 207. Ulrich Bornhardt, Die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ 1948 – 1971, Frankfurt a. M. 1997, in: DER STAAT, Band 37 (1998), S. 656 – 657. 208. Bernhard Stüer, Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen in Fällen, in: NWVBl. 1998, S. 376. 209. Roland Axtmann, Liberal democracy into the twenty-first century. Globalization, integration and the nation-state, Manchester/New York 1996, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 128. 210. Giuseppe Duso/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 129. 211. Friedrich Christoph Dahlmann, Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, hrsg. von Wilhelm Bleek, Frankfurt a. M./Leipzig 1997 [Erstveröffentlichung Göttingen 1835], in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 132 – 133. 212. Zbigniew Maciag, Die Ausgestaltung der Grundsätze des demokratischen und sozialen Rechtsstaats in Deutschland (bis 1949), Biatystok 1998, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 324 – 325. 213. Oliver Beaud, Le sang contaminé. Essai critique sur la criminalisation de la responsabilité des gouvernants, Paris 1999, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 327 – 328. 214. Fritz Hartung, Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart, Göttingen/Zürich 1998, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 331. 215. Wolfgang Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 1997, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 623 – 624. 216. Heiner Timmermann (Hrsg.), Entwicklungen der Nationalbewegungen in Europa 1850 – 1914, Berlin 1998, in: DER STAAT, Band 38 (1999), S. 637 – 638.

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217. Hannes Wimmer, Evolution der Politik. Von der Stammesgesellschaft zur modernen Demokratie, Wien 1996, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 303 – 307. 218. Andrea Feth, Hilde Benjamin. Eine Biographie, Berlin 1997, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 314 – 317. 219. Marianne Brentzel, Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902 – 1989, Berlin 1997, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 314 – 317. 220. Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat. Die Entstehung des Grundgesetzes, Göttingen 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 321 – 322. 221. Karlheinz Niclauß, Der Weg zum Grundgesetz. Demokratiegründung in Westdeutschland 1945 – 1949, Paderborn 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 321 – 322. 222. Wolfram Hertel, Supranationalität als Verfassungsprinzip. Normativität und Legitimation als Elemente des Europäischen Verfassungsrechts, Berlin 1999, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 455 – 456. 223. Karl Acham/Knut Wolfgang Nörr/Bertram Schefold (Hrsg.), Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste. Kontinuität und Diskontinuität in den Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften zwischen den 20er und 50er Jahren, Stuttgart 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 464 – 465. 224. Pasquale Pasquino, Sieyès et l’Invention de la Constitution en France, Paris 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 465. 225. Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, Baden-Baden 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 466 – 467. 226. Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht. Untersuchungen zur Bundesstaatstheorie unter dem Grundgesetz, Tübingen 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 611 – 615. 227. Wolfgang Burgdorf, Reichskonstitution und Nation. Verfassungsreformprojekte für das Heilige Römische Reich deutscher Nation im politischen Schrifttum von 1648 bis 1806, Mainz 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 619 – 620. 228. Barbara Dölemeyer/Diethelm Klippel (Hrsg.), Gesetz und Gesetzgebung im Europa der Frühen Neuzeit, Berlin 1998, in: DER STAAT, Band 39 (2000), S. 634. 229. Ernst Holthöfer, Ein deutscher Weg zu moderner und rechtsstaatlicher Gerichtsverfassung. Das Beispiel Württemberg, Stuttgart 1997, in: DER STAAT, Band 40 (2001), S. 161. 230. Katarina Barley, Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, Berlin 1999, in: DER STAAT, Band 40 (2001), S. 162. 231. Birgit Aschmann/Michael Salwski (Hrsg.), Das Bild „des Anderen“. Politische Wahrnehmung im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2000, in: DER STAAT, Band 41 (2002), S. 161. 232. Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949 – 1970, München 2004, in: DER STAAT, Band 44 (2005), S. 151 – 153. 233. Fabian Wittreck (Hrsg.), Weimarer Landesverfassungen. Die Verfassungsurkunden der deutschen Freistaaten 1918 – 1933, Tübingen 2004, in: DER STAAT, Band 44 (2005), S. 311 – 312. 234. Ingo von Münch, Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Berlin 2007, in: DER STAAT, Band 48 (2009), S. 159 – 162.

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IV. Herausgeberschaften 235. Instrumente der sozialen Sicherung und der Währungssicherung in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien, DER STAAT, Beiheft 5, 1981. 236. Der Journalist in der Verfassungsordnung. Die Privatfunkordnung (zusammen mit Christian Tomuschat), Schriften zu Kommunikationsfragen, Band 12, Berlin 1989. 237. DER STAAT. Register der Jahrgänge 1 – 35 (1962 – 1996). DER STAAT, Beiheft 13, 1999.