Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung [1 ed.] 9783428482092, 9783428082094

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Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung [1 ed.]
 9783428482092, 9783428082094

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UWE BACHNICK

Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 45

Die Verfassungsreformvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung

Von

Uwe Bachnick

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Bachnick, Uwe: Die Verfassungsrefonnvorstellungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich und ihre Verwirklichung / von Uwe Bachnick. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zur Verfassungsgeschichte ; Bd. 45) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08209-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-08209-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm fur Bibliotheken

"Das System des Pluralismus' und der Polykratie, in dem eine unübersehbare Vielheit offener und getarnter Machtträger selbständige politische Gewalt für sich in Anspruch nehmen, muß ausgerottet werden." E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 1939, S. 160

Vorwort Verfassungsrecht ist nur zu einem gewissen Teil politisch, größtenteils indes "technisch". Auch insofern gilt, was über die Verwaltung einmal gesagt worden ist: die Regierungen kommen und gehen, die Behörden bleiben bestehen. Wenige Normen nur entscheiden letztlich über die Gesamtstruktur des Staates; wenige dürre, aber inhaltsschwere Worte geben einer Nation ihr staatsrechtliches Gepräge. Für den Unkundigen ist es oft schwer, die Bedeutung dieser Worte zu ermessen, sie in der Vielzahl "technischer" Verfassungsnormen zu erkennen. So kommt es nicht selten vor, daß einer Verfassung oder auch einer anderen Kodifikation ein falscher Stempel aufgedrückt wird und daher Fehleinschätzungen entstehen. Vor solchen Fehleinschätzungen ist man gerade auch in bezug auf den Staatsaufbau des sogenannten Dritten Reiches nicht gefeit. Wichtige, weitreichende Verfassungs gesetze waren 1933 in der Lage, mit ihren wenigen Paragraphen und Artikeln die Struktur der Weimarer Republik aus den Angeln zu heben und an deren Stelle eine menschenverachtende Diktatur zu setzen. Dabei darf man allerdings nicht außer acht lassen, daß den Nationalsozialisten das Gelingen ihres (angeblich) mit legalen Mitteln durchgeführten Staatsstreiches durch eine allgemeine demokratiefeindliche Grundstimmung in der Bevölkerung erleichtert wurde. Zu betonen ist somit, daß ein Staatsgefüge nur so lange stabil bleiben kann, wie es in der Bevölkerung allgemein anerkannt ist und sich keine scheinbar bessere Alternative findet. Unter Berücksichtigung dessen drängt sich einem die weitere Erkenntnis auf, daß Verfassungsentwicklung ein politischer Vorgang ist. Der Satz, daß Geschichtsschreibung und Verfassungsinterpretation ebenso "staatstragend" seien wie der Juristenstand schlechthin, findet seine Grundlage in dem Glauben, die Juristen seien ja an das Recht gebunden, könnten also, selbst wenn sie wollten, eine Kodifikation nicht sinnentstellen, und die Historiker sähen alles von der Warte des momentan vorherrschenden politischen Systems aus. Der Satz ist indes unzutreffend, insbesondere im Hinblick auf die Spätzeit der Weimarer Republik. Damals waren viele Historiker und Juristen eben nicht "staatstragend", sondern bekämpften das angeblich durch Verrat am deutschen Volk entstandene demokratische System, das als ein Diktat von Versailles empfunden wurde. Zu dem Schluß, Richter sprächen Recht nach dem gegenwärtigen politischen System und Historiker urteilten auf der Basis der gerade herrschenden politischen Vorstellungen, kann man nur unter Nichtberücksichtigung der vielschichtigen deutschen

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Vorwort

Vergangenheit kommen: denn heute ist es ja glücklicherweise so, daß sich Richter nach dem Geist der Gesetze richten und normative Grundgedanken nicht in ihr Gegenteil verkehren. Anders, und das soll an dieser Stelle nochmals betont werden, war die Situation in Deutschland nach 1918. In der Bevölkerung herrschte eine breite monarchistische und konservative Grundströmung, die, noch geprägt von den Erziehungsidealen des Kaiserreichs, den Übergang zur Demokratie nicht akzeptieren wollte. Das neue Verfassungssystem konnte sich also im Gedankengut der Deutschen nicht dauerhaft durchsetzen, es galt als "westlich" und von oben oktroyiert. So ist es nicht erstaunlich, daß auch Justiz und Rechtslehre vielfach den Geist der Gesetze nicht erfaßten oder ihn bewußt in sein Gegenteil verkehrten; die Weimarer Demokratie hatte angesichts einer Fülle äußerer und innerer Krisen, die eine ruhige Entwicklung und den Aufbau eines neuen Staatsverständnisses in der deutschen Bevölkerung unmöglich machten, letztlich keine Zeit und keine Möglichkeit, ihre Vorzüge zu beweisen. Fehlte aber eine allgemeine Akzeptanz für die Weimarer demokratische Reichsverfassung, so war es nur konsequent, daß die Demokratie 1933 zerbrach. Was danach kam, erscheint den meisten Deutschen heute allerdings als furchtbarer Alptraum. Hieraus ergeben sich zwei historische Lehren: Die eine ist, wie bereits angerissen, die, daß ein politisches System so "gut" (auch das ist natürlich eine Wertung vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters) sein kann wie es will, es aber dann scheitern wird, wenn es vom Volk nicht oder nicht mehr akzeptiert wird. Die andere ist die, daß politische Bewegungen, die vorgeben, einer vorherrschenden Stimmung in der Bevölkerung zum Durchbruch verhelfen zu wollen, erst einmal an der Macht, unberechenbar werden und sich vom Volkswillen abkoppeln können. Populistischen Reden und Forderungen gegenüber muß also ein erhebliches Maß an Skepsis entgegengebracht werden, zumal wenn sie (wie im Falle des Nationalsozialismus' ) im Widerspruch zu anderen programmatischen Festlegungen der jeweiligen Gruppierung stehen. Letztlich gefragt ist der mündige Bürger, der die Gefahren eines Verfassungsbruches und die Tragweite der diesem Zweck dienenden Kodifikationen bzw. sonstigen Maßnahmen erkennt und der abwägen kann, ob dasjenige, was an die Stelle des bisherigen treten soll, vor den übernormativen Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens bestehen kann. Damit ist viel verlangt, mehr vielleicht, als viele Menschen leisten können oder wollen. Hier bedarf es altruistischer Vordenker und Mahner, Menschen, die nicht opportunistisch ihre Fahne nach dem Wind hängen und die durch rechtzeitiges Hintreten vor die Öffentlichkeit das Bewußtsein der Bevölkerung schärfen. Leute, die den Menschen die Folgen gedankenlosen Tuns vor Augen führen eben. Gemessen an diesem Maßstab kann unser heutiges Verfassungssystem trotz aller Risse und Verwerfungen als gefestigt angesehen werden. Die Demokratie

Vorwort

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wird als bisher bestes aller bekannten Staatskonzeptionen vom überwältigenden Teil unserer Bevölkerung akzeptiert, radikalen Strömungen - auch denen, die mit nationalsozialistischen Grundkonzepten an die Öffentlichkeit treten - wird konsequent begegnet, und es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die sich nicht scheuen, uns an die Vorzüge des herrschenden Systems zu erinnern. Die neu aufgekommene nationalsozialistische Bewegung erscheint auf dieser Basis für den Fortbestand der zweiten deutschen Demokratie nicht wirklich gefährlich. Sie ist mehr eine Jugendbewegung, in die 16- bis 21jährige eintreten, weil sie ihnen eingeimpfte Tabus durchbrechen wollen. Gefährlich ist indes die um sich greifende Politikverdrossenheit, die ihrerseits zum Antriebsmotor eines neuen Faschismus' werden und aus der bisherigen Jugend- und Protest- eine Volksbewegung machen kann. Es besteht nämlich die Gefahr, daß aufgrund der Politikverdrossenheit das demokratische System selbst in Verruf gerät und nicht mehr allgemein akzeptiert wird. Was sich hieraus künftig einmal entwickeln kann, ist vorstehend bereits aufgezeigt worden. Allen politisch Verantwortlichen muß deshalb vor Augen geführt werden, welche Auswirkungen ihr Handeln haben kann, und ihnen muß bewußt gemacht werden, daß menschliche Eitelkeiten und Schwächen gerade in der Politik verheerende Folgen haben können. Ihr oberstes Ziel muß es ferner sein, aus dem Wissen um die historischen Zusammenhänge heraus ihr Bewußtsein zu schärfen und sich allen Anfeindungen der Demokratie entschlossen entgegenzustellen. Den geistigen Grundstock hierzu legen zu helfen, soll diese Arbeit unter anderem dienen. Besonderen Dank schulde ich in diesem Zusammenhang Herrn Universitätsprofessor Dr. Friedrich Ebel von der Freien Universität Berlin, der mir bei der Abfassung meiner hiermit vorgelegten Dissertation jede nur erdenkliche Förderung zuteil hat werden lassen sowie meinen Eltern, ohne deren vielfältige Unterstützung die Abfassung der Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Berlin, im Januar 1994

Uwe Bachnick

Inhaltsverzeichnis A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau des Deutschen Reiches zwischen

1933 und 1945 ......................................................................

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I. Die nationalsozialistische Staatsideologie ...................................

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11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen ... 1. Maßnahmen zur Machtergreifung der NSDAP in den Ländern .....

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a) Die Ausgangssituation in Preußen .................................. b) Notverordnung über den Reichskommissar für das Land Preußen vom 31. 1. 1933 ..... ..... ... .... ... ........ ............. ..... ... .....

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c) Notverordnung zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen vom 6. 2. 1933 .......................................... d) Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat .................. 2. Die Ausschaltung des Parlaments vom Gesetzgebungsverfahren ....

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3. Die veränderte Stellung der Reichsregierung im nationalsozialistischen Staat ................................................................ 4. Der "Einbau" der NSDAP in den Staatsapparat.......................

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5. Gleichschaltung der Länder und Schaffung einer "Reichs mittelinstanz" .................................................................... a) Das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich ...................................................;....... ... ..... b) Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich .......... c) Gesetz über den Neuaufbau des Reiches und Erste Verordnung über den Reichsneuaufbau ........................................... d) Neuordnung der Stellung der Reichsstatthalter und Oberpräsidenten; die neue "Reichsmittelinstanz" ................................. e) Ämt~rvie~falt. und. Kompetenzwirrwarr: Reichssonderverwaltungen 1m Emhe1tsre1ch .................................................. f) Die Überleitung der Länderbeamten in ein unmittelbares Dienstverhältnis zum Reich ................................................. 6. Der Rechtszustand in den Landkreisen ................................. 7. Das Kommunalrecht im Nationalsozialismus.......................... 8. Der territoriale und verwaltungsmäßige Aufbau der eingegliederten österreichischen, sudetendeutschen und polnischen Gebiete .........

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a) Der Rechtszustand im ehemaligen Österreich ..................... b) Verfassung und Verwaltung des Sudetengaues ....................

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c) Die Rechtslage in den eingegliederten polnischen Gebieten ..... d) Die Befugnisse der Kreise nach Ostmark- und Sudetengaugesetz

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Inhaltsverzeichnis 9. Änderungen der Verfassungsstrukturen während des 2. Weltkrieges 10. Territorialreformmaßnahmen ............................................ 11. Zusammenfassung ........................................................

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich- I Länder-Verhältnisses ............

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I. Reformvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933 .....

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1. Glums Vorschläge zur Änderung des organisatorischen Teils der Reichsverfassung ......................................................... 2. Die Gedankengänge Wilhelm Zachers .................. . .............. a) Verhältnis Partei - Staat ............................................. b) Rechtsnachfolge des Führers ........................................ c) Reichsaufbau und Verhältnis der Länder zum Reich ............. d) Bewertung der Reformvorstellungen Zachers ...................... 3. Die Verfassungskonzeption Tatarin-Tamheydens .....................

a) Der Vorschlag zur Neugliederung des Reichs ..................... b) Verhältnis des Reichs zu den Ländern nach Tatarin-Tamheydens Planung ................................................................ c) Tatarin-Tamheydens Planungen bezüglich Stellung und Struktur der obersten Reichsorgane ........................................... d) Zusammenfassende Würdigung ..................................... 4. Köttgens Reichsreformvorschläge ....................................... a) Die Vorschläge im einzelnen ................... . ........ . ........... b) Bewertung der Vorschläge Köttgens ..... . .......................... 5. Reichsreformvorstellungen Kurt Wittens ............................... a) Die Pläne Wittens im einzelnen ..................................... b) Würdigung der Reformvorstellungen Wittens .....................

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11. Reichsreformplanungen innerhalb der NSDAP ............................. 1. Die Konzeption Hoffmanns ............................................. a) Hoffmanns Neugliederungsplan für das Reich............ . .. . ..... b) Hoffmanns Verwaltungsreformkonzeption ......................... 2. Adolf Wagners Vorstellungen über Neugliederung und Neuaufbau des Reiches ................................................................ a) Die Konzeption Wagners bezüglich des Verhältnisses der Länder (Gaue) zum Reich .................................................... b) Wagners Vorstellungen über die territoriale Neugliederung des Reiches .................................................................

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III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden ...... 1. Das Reichsinnenministerium und seine mit der Reichsreform befaßten Beamten ................................................................... 2. Nicolais Vorstellungen über den zukünftigen "nationalsozialistischen Rechtsstaat" ............................................................... a) Die Stellung der Partei im Staate; ein "Deutscher Orden" ....... b) Territorialreformvorschläge Nicolais ................................

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Inhaltsverzeichnis c) Verhältnis der Länder zum Reich nach Nicolais Konzeption aa) Selbstverwaltung der Länder ................................... bb) Aufgabenverteilung zwischen Reich und Ländern ........... cc) Staatsaufsicht über die Länder und Stellung der Statthalter .... dd) Neustrukturierung von Volksvertretungen in Reich, Ländern und anderen Verwaltungskörpern .............................. d) Aufbau und Stellung der Reichsregierung ......................... e) Vorstellungen Nicolais über das Gesetzgebungsverfahren im nationalsozialistischen Staat ............................................... aa) Der Ablauf der Gesetzgebung nach dem Verfassungsentwurf Nicolais ........................................................... bb) Würdigung der Vorschläge Nicolais ........................... f) Spätere Änderungen der Verfassungsreformvorschläge Nicolais . . . 3. Territorialreformplanungen der Reichs- und Länderbehörden ....... a) Planungen des Reichsinnenministeriums ........................... aa) Erste Arbeitspapiere zur Reichsneugliederung ................ bb) Die Denkschrift zur Durchführung des Neuaufbaues des Reiches ....................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Referentenentwurf 11 für eine Reichsneugliederung vom 27.4. 1934 ....................................................... dd) Die Auseinandersetzungen mit der Parteizentrale in der Neugliederungsfrage ................................................. ee) Der Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches ........................................................... ff) Der (erste) Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 13. 11. 1934 ........................... gg) Der zweite Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 23. 4. 1935 ............................ hh) Neue Anläufe zur Verwirklichung der Gebietsreform; der Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltung im Reich .......................................................... ii) Der Entwurf eines "Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung" ................................. . b) Gebietsreformvorstellungen von seiten der Reichsstatthalter und Länderministerien .................................................... . aa) Die Gliederungskonzeption der Anhaltinischen Staatsregierung sowie des Reichsstatthalters in Braunschweig und Anhalt bb) Die Konzeption des Reichsstatthalters in Baden für eine territoriale Neuordnung im südwestdeutschen Raum............. cc) Der Reichsneugliederungsplan des württembergischen Reichsstatthalters Murr .......................................... dd) Görings Neugliederungsvorstellungen, insbesondere in bezug auf Ostpreußen ................................................... 4. Behördliche Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne zur Lösung des Reich- I Länder-Problems ........................................... a) Die nationalsozialistische Staatsauffassung als Ausgangspunkt für auftretende Dissonanzen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die problematische Stellung der Reichsstatthalter ........ . .. bb) Die Forderung nach einheitlicher Verwaltungsführung ......

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Inhaltsverzeichnis

14

cc) Dezentralisation und "Selbstverwaltung" ......................

187

dd) Die Stellung der NSDAP und die nationalsozialistische Ideologie ...............................................................

189

ee) Die verwaltungs mäßige Untergliederung des Reichs als ungelöstes Problem der nationalsozialistischen Staatsauffassung

190

ff) Zusammenfassung ...............................................

192

b) Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne der Reichsregierung, insbesondere des Reichsinnenministeriums ........................

193

aa) Erste vorbereitende Planungen zur Durchführung der Reichsreform ....... ..... ............... ....... ........... ............. ...

193

(1) Die Festlegung der strukturellen Grundsätze der Reform

193

(2) Der Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung ...................................

196

(3) Die Denkschrift über den Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat .............................

198

(4) Der Generalplan für das Vorgehen in der Reichsreform

200

(5) Das Diskussionsverbot über die Reichsreformfrage .....

201

bb) Vorentwürfe des Gesetzes über den Neuautbau des Reiches

203

(I) Der Entwurf eines Gesetzes über den Neuautbau des

Reiches .......................................................

203

(2) Der Entwurf eines Gesetzes über die Reichsreform .....

206

(3) Der Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Reichsreform ... ....... ........... ... .... ... ..... ........ ..... ... ....

206

(4) Der Abänderungsentwurf Nicolais ........................

209

(5) Letzte Formulierungsarbeiten ..............................

210

cc) Die weitere Gesetzgebungsarbeit bis zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Neuautbau der Reichsverwaltung ........

211

(I) Die Denkschrift "Merksätze über die Reichsreform" ...

211

(2) Die Denkschrift "Verhältnis von Partei und Staat" ......

211

(3) Die: De,~kschrift "Durchführung des Neuautbaus des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 (4)

M~dicu~: Denkschrift über die "Neuorganisation des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

dd) Der Entwurf eines Gesetzes über den Neuautbau der Reichsverwaltung vom 20. Juli 1934 ..................................

214

ee) Weitere Bemühungen um die Schaffung einer reichseinheitlichen Verwaltungsmittelinstanz; Vorarbeiten zum (2.) Reichsstatthaltergesetz und zur zweiten Reichsneuautbauverordnung ...........................................................

222

(I) Die Ministerialbesprechung vom August 1934 ..........

222

(2) Erste Rückschläge im Vorfeld der Reichsstatthaltergesetzentwurfsplanungen ..........................................

223

(3) Die Regelungen des Erstentwurfs eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches ................................

223

Inhaltsverzeichnis (4) Die Gesetzentwürfe des Reichsinnenministers vom 7. November 1934 .................... ....... ..... ... ....... (5) Der Gesetzentwurf vom 5. Dezember 1934 .............. (6) Die Gesetzentwürfe vom 29. 12. 1934 und vom Januar 1935 .... ... ..... ............. ... ........ ....... ... ..... .... ... ff) Pläne zur Abänderung des Reichsstatthaltergesetzes ......... (1) Der Entwurf einer Ersten Durchführungsverordnung zum Reichsstatthaltergesetz vom Juni 1935 .................... (2) Der Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Reichsstatthaltergesetz vom November 1937 ......................... gg) Die Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Behördenaufbaus im Reich ................................................ (1) Allgemeine Grundsätze der Reform; Ansätze zur Lösung der Problematik in Denkschriften und Vermerken aus dem Reichsinnenministerium .............................. (a) Die Denkschrift über die Neuordnung der Mittelinstanz im Reich vom 19. 3. 1935 ................... (b) Vorschlag für eine Gliederung der Landesregierung in "Ämter" .............................................. (c) Vermerk über die "Neuordnung der Mittelinstanz" vom 3. 4. 1935 ......................................... (2) Der Entwurf einer Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 8. 4. 1935 .... .......... ..... ....... (3) Der Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Landesregierungen der außerpreußischen Länder vom 9.4. 1935 . ... ........ .... ... ... ... ... ......... ... ... ......... (4) Der weitere Fortgang der Reform......................... hh) Reformkontinuität zu Beginn des zweiten Weltkrieges...... ii) Verwaltungsreformplanungen während des 2. Weltkrieges. (1) Der Entwurf eines zweiten Führererlasses über die Vereinfachung der Verwaltung ................................ (2) Pläne für eine Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen bzw. Stillegung von Verwaltungsbehörden im 2. Weltkrieg ....... ..................... ... ... .... ..... ... ............ (3) Die Ankündigung der Einstellung weiterer Reformplanungen .................................................... c) Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne der Länderregierungen und Reichsstatthalter .................................................. aa) Die R.~~ormvorstellungen des Preußischen Ministerpräsidenten Gonng ........................................................ bb) Die Reichsreformvorstellungen der thüringischen Landesregierung bzw. des Reichsstatthalters in Thüringen.......... cc) Altreichsbezogene Reichsreformvorstellungen des Reichskommissars für die Saarrückgliederung und späteren Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Bürckel ...................................... 5. Planungen für eine Gesetzgebungsreform im Altreich ................ IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen für Österreich, das Sudetenland und die eingegliederten polnischen Gebiete ...........................

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Inhaltsverzeichnis

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1. Die Friktionen beim Einbau Österreichs in das Deutsche Reich a) Territorialreformplanungen bezogen auf Österreich ............... b) Die Organisationsreformüberlegungen für Österreich............. aa) Der Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung und vorläufige Verwaltung des Landes Österreich.................... bb) Der Entwurf Bürckels für ein Gesetz über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung vom Juli 1938 .......................................................... cc) Der Entwurf des Reichsinnenministeriums zu einem Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in Österreich vom August 1938 ....... ............ ... ............ ........... ... ....... ........ dd) Der Entwurf eines Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 12. 10. 1938 ............................. 2. Der geplante Fortgang der Reform in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland .................................................

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C. Kreisreformplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung.....................

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I. Einführung; das ungelöste Problem der Kreisverfassung ..................

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11. Kreisreformvorstellungen in Literatur und kommunalen Interessenverbänden ............... ..... ............ .......................................... 1. Die Reformüberlegungen Schönes ...................................... 2. Die Kreisreformvorstellungen Jeserichs und des Deutschen Gemeindetages ............................................................... III.

~eisreformüberl~gungen der obersten Reichsbehörden und der ParteileItung ........................................................................... 1. Der Kreisordnungsentwurf vom 10.4. 1937 ..... .......... ............ 2. Der Fortgang der gesamtreichsbezogenen Kreisreformplanung ...... 3. Planungen zur Neuorganisation der Landkreisverwaltung in der Ostmark I im Sudetenland .................................................... a) Der Entwurf Bürckels für ein Gesetz über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung .............. b) Der Entwurf des Reichsinnenministeriums für ein Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in Österreich vom August 1938 ......... c) Der Entwurf zu einem Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 12. 10. 1938 ................................... 4. Der verwirklichte Rechtszustand in den Landkreisen der Ostmark I im Sudetenland ........................................................... 5. Tendenzen zur Schaffung einer Einheitskreisverwaltung in den Ostgauen ....................................................................... 6. Die lothringische Kreisordnung von 1941 .............................

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D. Nationalsozialistische Gemeindereformplanungen ...............................

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I. Ausgangslage und Einsetzen der Reformüberlegungen 1933 .............

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11. Kommunalreforrnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden ...... 1. Die Haltung Jeserichs und des Deutschen Gemeindetages zur Kommunalreform .................................................................. 2. Die Gemeindeverfassungskonzeption des Magdeburger Oberbürgermeisters Markmann .......................................................

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Inhaltsverzeichnis 3. 4. 5. 6.

Herrfahrdts Kommunalreformüberlegungen ............................ Die Gemeindereformvorstellungen Carl Goerdelers .................. Köttgens Vorschläge zur Neuordnung der Kommunalverwaltung... Gemeindereformüberlegungen Karl Fiehlers ...........................

III. Innenministerielle und parteiamtliche Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts ....................................................... I. Erste vorbereitende Pläne der Reichsinnenverwaltung ................ 2. Die Auswirkungen des Preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes ... 3. Der Gemeindeordnungsentwurf Carl Goerdelers ...................... 4. Der Gemeindeordnungsentwurf Fiehlers ............................... 5. Der erste Ministerialentwurf zur Deutschen Gemeindeordnung vom März 1934 ...................................... :.......................... 6. Regierungs- und partei amtliche Reaktionen auf den ersten Ministerialentwurf ................................................................. a) Das Meinungsbild in Ländern und Reichsministerien ............ b) Stellungnahmen der NSDAP-Leitung ............................... 7. Der weitere Fortgang der Reform bis Juni 1934 ...................... 8. Der zweite reichsinnenministerielle Gemeindeordnungsentwurf von Mitte Juni 1934 ........................................................... 9. Der Ministerentwurf vom Juli 1934 .................................... 10. Der parteiamtliche Gemeindeordnungsentwurf vom August 1934 11. Die Suche nach einem Komprorniß zwischen dritter Ministerial- und partei amtlicher Fassung der Gemeindeordnung; der "AkademieEntwurf' ................................................................... 12. Der Ministerialentwurf vom 6. Dezember 1934 und die Einigung in der Frage der NSDAP-Beteiligung an der Kommunalverwaltung ... 13. Letzte Vorarbeiten -an der Deutschen Gemeindeordnung.............

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E. Zusammenfassende Würdigung ....................................................

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I. Die unterschiedlichen Positionen von NSDAP und Reichsinnenverwaltung in ihrer Bewertung; das Scheitern der Reform ............................. I. Die Haltung des Reichsinnenministeriums ............................. 2. Die Konzeption der NSDAP-Spitze ................................. .. .

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11. Die Gründe für den Mißerfolg der Reichsreform ..........................

377

Epilog: Zum Hitlerverständnis in seiner historischen Bewertung ..............

386

Literaturverzeichnis ..................................................................

389

2 Bachnick

A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1945 Der Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler - 30. Januar 1933 - sollte als eines der folgenschwersten Daten in die deutsche Geschichte eingehen, nicht nur im allgemeinpolitischen Sinn, sondern auch bezogen auf den Verfassungsbau des Reiches. I Die Konsequenzen dieser Machtergreifung waren den wenigsten Deutschen zur damaligen Zeit bewußt, denn Hitlers Regierungsgewalt schien aufgrund der Einbindung der Nationalsozialisten in eine Koalition mit den Deutschnationalen unter der Kontrolle im wesentlichen staatstragender Kräfte zu stehen. 2 So hegten viele die Hoffnung, eine Einbindung der NSDAP in die Regierungsverantwortung würde deren radikale Grundpositionen neutralisieren, und Hitler würde in der Regierungsverantwortung vor die Notwendigkeit pragmatischer Entscheidungen gestellt werden. Das Gegenteil war jedoch der Fall: Man kann davon sprechen, daß die eigentliche Machtergreifung mit Hitlers Regierungsantriu erst begann und einschneidende Strukturveränderungen für den Staat mit sich brachte. Ein planmäßiger Verfassungsumbau erfolgte indes nicht. Hitler ließ sich augenscheinlich von den Erfordernissen des Augenblicks leiten, ohne nach einem bestimmten System zu handeln. Dies läßt die gesamte Reichsreform als seltsam unfertig, als konturloses Stückwerk 3 erscheinen. Und in der Tat entsprach es Hitlers Vorstellungen, sich möglichst wenig an Gesetz und Recht binden zu lassen. Wie anders wäre sonst seine augenscheinliche Vorliebe für das englische Rechtssystem 4 zu verstehen. I Zur Machtergreifung siehe insbesondere: Broszat, Martin u. a. (Hrsg.), Deutschlands Weg in die Diktatur, Berlin 1983; Litl, Rudolf/Oberreuter, Heinrich, Machtverfall und Machtergreifung, München 1983; Möller, Horst, Das Ende der Weimarer Demokratie und die nationalsozialistische Revolution, in: Broszat I Möller, Das 3. Reich, S. 7 ff. 2 Außer Hitler gehörten mit Wilhelm Frick (Reichsinnenminister) und Hermann Göring (Reichsminister ohne Geschäftsbereich, später Reichsminister für Luftfahrt) nur noch zwei andere Nationalsozialisten der Regierung an: vgl. Hildebrand, Klaus, das 3. Reich, in: Bleichen / Gall / Jacobs (Hrsg.), Oldenbourg - Grundriß der Geschichte, Band 17,3. Auflage 1987, S. I; Morsey, Rudolf: Die verfassungspolitische Entwicklung, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 696 f. 3 Zutreffend Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich / Pohl/ von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungs geschichte, Band 4, 1985, S. 733. 4 Hitler pflegte in gelegentlichen Gesprächen den Verzicht der Engländer auf eine geschriebene Verfassung als nachahmenswertes Vorbild hinzustellen. Seiner - unzutreffenen - Meinung nach gründete sich der Verfassungszustand Englands auf absichtsvolle Überlegungen gerissener Politiker; er sei ein kluger Kunstgriff, um jederzeit beliebig nach den Erfordernissen des Augenblicks verfahren zu können. Dieses "Recht zur Will-

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsautbau zwischen 1933 und 1945

Daher sind Hitlers mehrfache Beteuerungen, am Ende der Rechtsreform werde ein nationalsozialistisches Verfassungswerk stehen S, als nicht ernst gemeinte Täuschungsmanöver zu bewerten. 6 Gestützt wird diese Annahme im übrigen dadurch, daß Hitler bereits 1935 eine weitere Diskussion der künftigen Organisationsformen des Reiches ausdrücklich verbieten ließ. 7

I. Die nationalsozialistische Staatsideologie Der "Führer und Reichskanzler"8 hat sich zu keiner Zeit intensiv mit Verfassungsreformplänen befaßt. Nur verstreut finden sich in seinen sowie in partei amtlichen Schriften der Zeit vor 1933 Hinweise auf die vorgesehene Umgestaltung des Reichsaufbaues. 9 Zunächst sei an dieser Stelle Hitlers Dogmenschrift "Mein Kampf' erwähnt. Bereits aus diesem Werk ergibt sich die ganze Radikalität des mit der Machtergreifung verbundenen Wertewandels. Hitler greift darin Parteiendemokratie und kür" - so berichtet der ehemalige (von 1926 - 28) Hamburger Gauleiter Albert Krebs (in: Diehl-Thiele, Partei und Staat im 3. Reich, 1969, S. 128) - gefiel ihm, und er machte aus seinem Willen zur Nachahmung keinen Hehl. 5 Hitler hat derartige Ankündigungen in seiner ersten Regierungserklärung vom 23.3.1933 und nochmals in der Rede vom 30. I. 1937 gemacht (Texte bei F. A. Six, Dokumente der Deutschen Politik, Band 1 (Die national-sozialistische Revolution 1933), 1939, S.91; vgl. i.ü. Schom, Gesetzgebung des Nationalsozialismus als Mittel der Machtpolitik, 1964, S. 41). 6 Zutreffend haben auch Forsthoff(Das neue Gesicht der Verwaltung und der Verwaltungswissenschaft, in Deutsches Recht 1935, S. 33 f.) und W. Best (Rechtsbegriff und Verfassung, in: Deutsches Recht 1939, S. 1203) ausgehend von der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre darauf hingewiesen, daß der Begriff der Verfassung als einer rechtlichen Wirklichkeit im völkischen Führerstaat gegenstandslos, die Verfassungsfrage also erledigt sei. 7 Hinweise auf von Hitler angeordnete Diskussionsverbote in Reichsreformfragen lassen sich den Akten des Bundesarchivs zahlreiche entnehmen; vgl. z. B.: Runderlaß der RuPrMdI vom 27. 12.35 (bezieht sich auf einen nicht veröffentlichten Runderlaß des RuPr MdI vom 14.3.1935), Rede des Reichsinnenstaatssekretärs Stuckart vor den Mitgliedern der Akademie für Deutsches Recht vom 14.5.36 (abgedruckt in: Deutsches Nachrichtenbüro, 3. Jahrgang, Nr. 631); Schreiben des Leiters der NSDAP-Parteikanzlei Bormann an den Reichsminister und Chef der Reichskanzler Lammers vom 15.11. 1941 betreffend die Erörterung von Fragen der gebietl. Reichsreform; in BA, Akte R 43 IV 494 a, BI. 158 ff. 8 Offizielle Bezeichnung Hitlers nach der Vereinigung des Reichspräsidenten - mit dem Reichskanzleramt durch das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom I. 8.1934, RGBI 1934, Teil I, S. 747; vgl. den Erlaß Hitlers vom 2.8.1934 zum Vollzug dieses Gesetzes vom 1.8.34 (RGB 1934, I, S. 751); 1942 wurde der Amtstitel Hitiers in "Der Führer" abgeändert (entsprechender unveröffentlichter Runderlaß des Reichsinnenministeriums abgedruckt in: Das nationalsozialistische Rathaus, 10. Jahrgang 1942, S. 15). 9 Dazu: Rebentisch, in Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 733; Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1960, S. 584.

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Rechtsstaat frontal an, indem er konstatiert, die (nationalsozialistische) Weltanschauung könne sich mit der Rolle einer Partei neben anderen nicht begnügen, sondern fordere gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung; sie könne also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustands nicht dulden. 10 Weiter führt Hitler aus, es gebe (im nationalsozialistischen Staat) keine Majoritätsentscheidungen, sondern nur "verantwortliche Personen". Diese müßten Autorität nach unten besitzen, aber nach oben "verantwortlich sein". II Parlamente an sich seien notwendig, jedoch nur als Beratungskörper: Sie sollten dem jeweiligen Führer zur Seite stehen und von ihm in die Arbeit eingewiesen werden. Ausleseorgan für die Mitglieder der Parlamente müsse schließlich ein Senat sein. 12 Was die künftige Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen des NS-Reiches anbelangt, problematisiert Hitler in seinem Werk die Frage nach der Bundes- oder Einheitsstaatlichkeit. 13 Klare Direktiven diesbezüglich vermeidet er jedoch. Es heißt im weiteren lediglich zum einen, daß von den Einzelstaaten - den Ländern - an Kompetenzen nur dasjenige auf das Reich übergeleitet werden dürfe, 14 was das Reich unbedingt brauche; 15 "wahnwitzige Formen der Verreichlichung" von Verwaltungsbehörden seien zu vermeiden. 16 Andererseits proklamiert Hitler ein "kraftvolles, nationales Reich"; eine machtpolitische Souveränität und Staatshoheit könne keinem Einzelstaat des Reiches mehr zugebilligt werden. 17 Hitler entwirft danach das System eines Einheitsstaates, innerhalb dessen den einzelnen Gliedern eine gewisse verwaltungsrechtliche Selbständigkeit eingeräumt werden soll. Die Länder sollen jeder Staatshoheit entkleidet werden, aber als Verwaltungsbezirke des Reiches erhalten bleiben. Inwieweit ihnen die selbständige Ausführung von Hoheitsaufgaben, das heißt Selbstverwaltung, zugebilligt wurde, ist allerdings offen. Wenn bereits hiernach klar gewesen sein mußte, daß das bundesstaatliche Weimarer Verfassungssystem im Falle der Regierungsübernahme Hitlers nicht würde fortbestehen können, so wird dieser Eindruck noch durch den Inhalt des 1920 beschlossenen Parteiprogramms der NSDAP untermauert. 18 Dort heißt es in Punkt 25: " ... fordern wir: Die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Mein Kampf, 52. Auflage (1933), S. 506. S.501. 12 S. 502. 13 S. 633 ff. 14 Gemeint ist damit, daß die bisherigen landeseigenen Hoheitsaufgaben direkte Reichsaufgaben werden sollten. 15 Hitler, S. 636. 16 Hitler, S.637. 10

II

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Hitler, Hitler, Hitler, Hitler,

Hitler, S. 645.

Das Programm ist am 25.2.1920 im Rahmen einer Parteiversammlung im Löwenbräuhaus-Festsaal in München "in einer gewaltigen Massenversammlung" beschlossen worden; abgedruckt bei Feder, Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen, hier 71. -79. Auflage, 1932. 18

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Reiches. Unbedingte Autorität des politischen Zentralparlaments über das gesamte Reich und seine Organisation." Für die Nationalsozialisten war danach die erste und dringlichste Aufgabe einer Reichsreform, die "unbedingte Autorität der Reichsgewalt über das gesamte Reichsgebiet herzustellen und ein für allemal unerschütterlich fest zu gründen." 19 Die "Ausmerzung der kleinstaatlichen Eigenbrötlerei" erschien ihnen als eine "zwingende Notwendigkeit", 20 für eine Eigenstaatlichkeit der Länder war nach ihrer Weltanschauung kein Platz mehr. Der Umstand, daß in dem Partei programm von den Aufgaben eines ,,zentralparlamentes" die Rede ist, darf dabei nicht zu der Annahme einer geplanten Aufrechterhaltung des Reichstags in seiner durch die Weimarer Verfassung gegebenen Form verleiten. In den einschlägigen Kommentierungen des NSDAPProgramms heißt es dazu nämlich, es sei nicht an ein Parlament in dem alten Sinne einer "Abstimmungsmaschine" gedacht, sondern an einen Rat von Männern, die dem "Führer" - Hitler - zur Seite stehen, sein wie das Vertrauen des Volkes besitzen, aber auch die Entscheidungen des "Führers" dem Volk verständlich vermitteln. 21 Es wird also Hitlers Gedanke des Parlaments als einer den Führer beratenden Körperschaft aufgenommen und vertieft. Für eine Verwirklichung dieser Vorgaben war im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung augenscheinlich kein Raum, so daß die Gefahren der Machtergreifung jedem politisch interessierten Bürger deutlich erkennbar sein mußten. 22 Gleichwohl war die Brutalität und Unbeirrbarkeit, mit der Hitler nach der Regierungsübernahme den Umbau des vorgefundenen Verfassungssystems betrieb, für viele Deutsche überraschend. Von einer Einbindung Hitlers in eine von parteilosen Technokraten und DNVP-Angehörigen geführte Regierung konnte schon bald keine Rede mehr sein. Die ideologischen Grundgedanken, anhand derer die Neuordnung des Reichsaufbaus nach 1933 durchgeführt wurde, sind durch die Stichworte Führerprinzip, Einheit der Verwaltung und Volksgemeinschaft zu bestimmen. 23 19 Vgl. Fabricius, Geschichte und Programm der NSDAP, in: Die Verwaltungsakademie, 2. Auflage, 1939, Band I, Gruppe I, Beitrag 6, S. 124. 20 So Fabricius, S. 124. 21 Vgl. Fabricius, S. 124. 22 Hinzu kommt noch, daß Hitler 1930 im Rahmen einer Zeugenvernehmung vor dem Reichsgericht im sogenannten Reichswehr-Prozeß nur versichert hatte, die Staatsgewalt mit legalen Mitteln zu erobern - sog. Legalitätseid -, nicht aber auch, nach der Machtergreifung das Weimarer Verfassungssystem unangetastet zu lassen (vgl. das Zitat in: Bracher, Karl Dietrich, Die deutsche Diktatur-Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Verlag Kiepenheuer und Witsch, 6. Auflage, 1980, S. 211). 23 Zur nationalsozialistischen Ideologie siehe insbesondere: a) zeitgenössische Betrachtungen: Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2.A., 1939, S. 157 ff., 163 ff.; Dietrich, Der Nationalsozialismus als Weltanschauung und Staatsgedanke, in: Verwaltungsakademie, 2. Auflage, 1939, Band I, Gruppe 1, Beitr. 2; Feder, Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen, 1932; Hitler, Mein Kampf, insbesondere S. 501 ff.; b) Instruktive Darstellungen aus der Zeit nach 1945 bei Meinck

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Den Ausgangspunkt bildet das Prinzip der Volks- 24 oder Kampfgemeinschaft. 25 Es besagt, daß das Volk eine "universale, allumfassende und alldurchdringende Erscheinung" ist.2 6 Eine Abtrennung des Individuums von der Volksgesamtheit, wie von der liberalistischen Staatsidee vertreten, soll gerade vermieden werden. Der Staat als Volksstaat hat demzufolge die Aufgabe, den überindividuellen, objektiven Volkswillen zu verwirklichen, ohne auf die Interessen des einzelnen bzw. eine - subjektive - irregeleitete Volksstimmung 27 Rücksicht zu nehmen: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. 28 Vorbedingung des Bestehens einer Volksgemeinschaft ist weiterhin die Artgleichheit. 29 Nur zwischen "Volksgenossen" also: Deutschstämmigen - kann nach nationalsozialistischer Sichtweise ein die Gemeinschaft zusammenhaltendes Band objektiv gleicher Interessen bestehen, weil den Völkern unterschiedliche Empfindungen immanent sein sollen. Mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft verknüpft der Nationalsozialismus den Führergrundsatz. Wegen der Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit eigenwüchsigen Lebens 30 könnten, so hieß es, die Volksgenossen nicht zueinander finden, subjektive Stimmungen überdeckten den wahren Volks willen und machten ihn unkenntlich. In dem Gang der Geschäfte gehe dem Volk der Blick für seine eigentliche Bestimmung verloren, es sei als große Masse nicht fähig, seinen objektiven Willen zu artikulieren. Der wahre Wille des Volkes könne danach nicht durch parlamentarische Wahlen und Abstimmungen - d. h.: Gemeinschaftsakte - gefunden werden. 3l Vielmehr bedürfe es eines "Führers", durch den der Wille des Volkes rein und unverfälscht hervorgehoben wird. Der "Führer" ist dem Nationalsozialismus zufolge Träger des völkischen Willens, er bildet in sich den wahrhaften Willen des Volkes. Deshalb soll es ihm möglich sein, im Namen des wahrhaften Volkswillens sich gegen die subjektiven Meinungen und Überzeugungen einzelner Volksglieder zu wenden. 32 Im Führerin: Hirsch / Majer / Meinck; Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus, 1984, S. 141 ff. (Führerprinzip), S. 236 ff. (Volksgemeinschaft), S. 275 ff. (Einheit von Partei und Staat; Bearbeiterin: Majer); Bracher, Grundlagen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, in: Jeserich / Pohl / von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 653 ff.). 24 So Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 158 ff. 25 So Bracher, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, S. 693.

Huber, S. 158. Huber, S. 196. 28 Vgl. insoweit Pfundtner, Die Quellen der geltenden Verfassung, in: Akten des BA, R 18/5434, Blatt 79 ff., 81; Fabricius, Geschichte und Programm der NSDAP, in: Die Verwaltungsakadernie, 2. Aufl. 1939, Band I, Gruppe I, Beitrag 6, S. 122; Wilhelm Frick, Neubau des Reiches, in: Deutsche Verwaltung 1936, S. 364 ff., 365. 29 Dazu earl Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 3. Auflage, 1933, 32 ff., 41 f. 30 Schmitt, S. 33. 31 Vgl. statt aller insoweit nur: Heinrich Lange, Vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat, 26

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in: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 1934, Heft 114, S. 37 ff. 32 Siehe Herbert Krüger, Führer und Führung, Breslau, 1934, S. 23 ff.

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willen, so argumentierte man, verkörpere sich kein persönlicher Einzelwille, sondern der Gesamtwille der Volksgemeinschaft, 33 die auf diese Weise zur Gefolgschaft des "Führers" werde. Das "Führer"-Gefolgschaftsverhältnis wird vom Nationalsozialismus mystisch-irrational verstanden. Nicht rational wie eine technische Apparatur, nicht selbsttätig wie ein harmonischer Organismus sollte sich danach das "völkische" Leben entfalten,34 vielmehr würde der "Führer" die Volksgemeinschaft zum Kampf um die Verwirklichung seiner Ideen mitreißen, hieß es. 35 Emotionale Verbundenheit zwischen "Führer" und Volk galt als das Kennzeichen des "Führerstaates". Aus ihr ergaben sich nach der nationalsozialistischen Ideologie auch die (übergesetzlichen) Bindungen des Führerturns. "Führung" bedeutete danach zwar einerseits unbedingte Autorität nach unten (gegenüber dem Volk),36 andererseits aber auch Verantwortung und Treue gegenüber der "Gefolgschaft"Y Ein diese Bindung mißachtender "Führer" würde zum Diktator werden,38 stellte man fest. Einschränkend betonten die NS-Ideologen allerdings, daß ein den wahren Volks willen achtender (echter) "Führer" sich stets seiner Verantwortung und Treue gegenüber dem Volk bewußt sein werde. Führer- und Volksgemeinschaftsgedanke prägen auch die nationalsozialistische Staatstheorie. 39 Sie basiert auf dem Grundgedanken, daß dem Staat ein Zweck nicht zukommt: Der Staat rechtfertige sich, wurde argumentiert, weder aus sich selbst, noch sei er auf einen contract social zwischen Volk und Herrscher gegründet. 40 Der Staat sei allein "Mittel". Er diene dazu, den objektiven Volkswillen hervortreten zu lassen und zu verwirklichen. Da aber der "wahre Volkswille" eine "Blutsgemeinschaft" der Bevölkerung voraussetze, müsse letztlich vordringliche Aufgabe des Staates die "Erhaltung und Reinhaltung der Rasse" sein, aus der sich die Nation gebildet habe. 41 Diese Aufgabe müsse den Staatsorganen zufallen, denn der Staat sei selbst nicht handlungsfähig. Sie falle in erster Linie dem Reichsführer selbst zu, der 33 E. R. Huber, Verfassungsrecht, S. 196. 34 Ausdruck von E. R. Huber, Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, in: Der deutsche Staat der Gegenwart, Heft 16, Hamburg 1935, S. 81 ff. 35 Vgl. Frick, Probleme des neuen Verwaltungsrechts, in: Der Gemeindetag 1936, S. 717 ff. 36 So bereits Ritler, Mein Kampf, 52. Auflage, 1933, S. 501. 37 Huber, Verfassungsrecht, S. 198. 38 Heinrich Lange, Vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat, S. 37. 39 Zum ganzen C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. II ff.; auch Huber, Verfassungsrecht, S. 157 ff., 194 ff., 230 ff.; Hirsch/ Majer / Meinck, Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus, 1984, S. 141 ff., S. 275 ff. m. w.N.; Eberhard Laux, Führung und Verwaltung in der Rechtslehre des Nationalsozialismus, in: D. Rebentisch / K. Teppe (Hrsg.), Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers, 1986, S. 40 ff. 40 Vgl. Hitler, Mein Kampf, S. 431; HitIer kritisiert insbesondere die "hündische Verehrung der sogenannten Staatsautorität" in der Weimarer Republik, Mein Kampf, S.426). 41 Siehe Hitler, Mein Kampf, S. 446.

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in sich als Träger des objektiven Volkswillens alle öffentliche Gewalt vereinige. Nach nationalsozialistischer Staatsauffassung ist die "Führergewalt" "nach unten" umfassend und total (autoritär),42 sie umfaßt daher die im liberalistischen Staat getrennten Bereiche der Gesetzgebung, Gesetzesausführung und Gerichtsbarkeit. Gewaltenteilung existiert im Führerstaat nicht mehr, an ihre Stelle tritt die Einheit der "Führergewalt".43 Da die "Führergewalt" nach nationalsozialistischer Lehre umfassend und unbeschränkbar ist, kann sie auch nicht an die Mitwirkung anderer Staatsorgane gebunden werden. Hieraus folgt die Notwendigkeit, dem Parlament die Gesetzgebungsgewalt abzuerkennen und es auf bloß repräsentative Funktionen - etwa die Beratung des "Führers" - zu beschränken. Soweit das Parlament gleichwohl noch Gesetze beschließt, kann entsprechend nationalsozialistischer Weltanschauung darin kein Akt kollektiver Selbstbestimmung gesehen werden, sondern nur eine Dokumentation der Übereinstimmung zwischen "Führer" und Volk: 44 Das Parlament entscheidet nicht, es nimmt den "Führerwillen" als Gesetz entgegen. Sollte sich das Parlament einmal dem "Führerwillen" versagen, kann dies auf die Wirksamkeit des betroffenen Führerakts keine Auswirkungen haben: Allein der Führer bestimmt, was Recht ist. Im Widerspruch zur "Führergewalt" steht auch die Aufrechterhaltung originäreigener Hoheitsrechte unterstaatlicher Körperschaften: Denn dem "Führer" liegt alle Staatsgewalt ob. Mit der Führerallgewalt nicht vereinbar ist schließlich jede Art der Festlegung von "Führer"rechten und -pflichten in einer Verfassung. Da der "Führer" über dem Gesetz steht, ja, das Gesetz ist, ist er - konsequent gedacht - an das geschriebene Recht nicht gebunden; 45 auch Verfassungsrecht kann seine Macht nicht begrenzen. 46 42 Zurückgehend auf Hitter, Mein Kampf, S. 501. 43 Dazu Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 230 ff., insbesondere

S. 231; W. Stuckart, Der nationalsozialistische Führerstaat im Verhältnis zur Demokratie, Diktatur und Selbstverwaltung, in Deutsches Recht (DR) 1936, S. 342. 44 Zutreffend Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S.208; Fritz Poetzsch-HeJfter, Vom Deutschen Staatsleben, Jahrbuch des öffentlichen Rechts (JhböR), Band 22, 1935, S. 77 f. 45 Deshalb bedarf es für den nationalsozialistischen "völkischen Führerstaat" auch keiner geschriebenen Verfassung: Zutreffend Forsthoff, Das neue Gesicht der Verwaltung und der Verwaltungswissenschaft, DR 1935, S. 33 f., und W. Best, Rechtsbegriff und Verfassung, in DR 1939, 1203. 46 Instruktiv insofern Johannes Hecket, Die Führerrede und das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom 30.1.1937, in Dt. Verwaltungsblätter 1937, S. 61 ff. Darin heißt es u.a.: ,,1. Die Amtsgewalt des Führers ist keine Kompetenz. Nicht den Führer macht das Amt, sondern der Führer gestaltet das Amt nach seiner Mission. Er hat alle Kompetenzen, deren er bedarf, um das Volk nach dem Ziel zu führen, welches ihm von der Vorsehung gesteckt ist ... Die Amtsgewalt des Führers kennt keine Zuständigkeitslücken.... 3. Die Amtsgewalt des Führers ist über aller Kompetenz. Daher verdrängt sie, wenn die Aufgabe der Führung es erheischt, ohne weiteres alle Zuständigkeiten der rechtstechnischen Ämterordnung." (Allerdings schränkt Heckel ein, für den normalen Verlauf des

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Von der nationalsozialistischen Rechtslehre ungelöst blieb die Frage, ob und inwieweit das Führerprinzip in die staatliche Bürokratie Eingang finden sollte. 47 Es herrschten insoweit durchaus unterschiedliche Ansichten, denen ein konträres Verständnis des Begriffs "Führung" (nur personell oder auch institutionell) zugrunde lag. 48 Forsthoff49 und Höhn 50 traten für eine strikte ideologische Trennung zwischen "Führung" und Verwaltung ("Bürokratie") ein. Kennzeichen der "Führungsordnung", so wurde argumentiert, sei die Lebendigkeit des überlegenen Führerwillens, während die Bürokratie strenger Gesetzlichkeit unterstehe. Funktion der gesetzesgebundenen Verwaltung könne nur die Regelung der alltäglichen Geschäfte sein; die "Führung" stehe hingegen über dem Alltäglichen und lasse alle Regelhaftigkeit hinter sich (!). 51 Indem die Vertreter dieser Ansicht den Begriff der "Führung" auf den Bereich der nationalsozialistischen Partei begrenzten, 52 lehnten sie zugleich mittelbar (zwischen den Zeilen) eine engere Verschmelzung von Partei- und Staatsapparat ab: Die "Einheit zwischen Partei und Staat" sollte allein durch die Person des "Führers", nicht aber auch innerhalb der einzelnen Verwaltungsstufen, hergestellt werden. 53 Demgegenüber verfocht Huber die Forderung nach uneingeschränkter Umsetzung des "Führerprinzips" auch innerhalb der Verwaltung. Das "Führerturn" bestimmt ihm zufolge Gestalt und Geist der gesamten völkischen Verfassung; Gemeinlebens - wenn kein Staatsnotstand herrscht - sei der Führer genau wie jeder andere an die bestehende Rechtsordnung gebunden, [der Verfasser]) ... 5. Die Amtsgewalt des Führers ist total. Sie erstreckt sich auf alle Gebiete des weltlichen Gemeinlebens. Ihr gegenüber gibt es ... keine Autonomie.". 47 Dazu auch Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, in: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 1611 (Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus), 1970, S. 67; E. Laux (in: Rebentisch / Teppe, Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers, 1986, S. 33 ff., 42 ff.). 48 Nachweise bei E. Laux (in: Rebentisch / Teppe, Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers, 1986, S. 33 ff., 51). Die personelle Sichtweise des Führerprinzips bei Höhn ergibt sich etwa aus folgenden Sätzen: ,,1. Adolf Hitler ist der Führer der Bewegung und als solcher Reichskanzler. Als Führer der Bewegung führt er eine Gemeinschaft. 2. Adolf Hitler ist der Führer des Volkes, er ist derjenige, der richtungsgebend voranschreitet. ... 3. Adolf Hitler ist der Leiter des Staates ... Staat ist vielmehr nur der Behörden- und Beamtenapparat. Innerhalb des Apparates wird nicht geführt, sondern befohlen und gehorcht (Höhn, Die Wandlung im staatsrechtlichen Denken, in: Der Staat der Gegenwart, Hamburg 1934, S. 34/35.). 49 Ernst Forsthoff, Führung und Bürokratie; Einige grundSätzliche Erwägungen, in: Deutsches Adelsblatt 1935, S. 1339 f. 50 Vgl. Reinhard Höhn, Die Wandlung im staatsrechtlichen Denken, in: Der deutsche Staat der Gegenwart, Heft 5, Hamburg 1934, S. 36: "Es ist ... wichtig, daß man sich darüber klar ist, daß innerhalb des Staates als Apparat nicht geführt wird, daß hier noch das alte Über- und Unterordnungsverhältnis gilt.". 51 Forsthoff, S. 1340. 52 Forsthoff, S. 1340. 53 Dahinter stand eine tiefe Abneigung gegen die vom Staat-Untertanen-Verhältnis "alter Art" bestimmten, zudem in ihrer Handlungsweise noch individualistisch-"rechtsstaatlich" geprägte Bürokratie; zutreffend Laux, S. 52.

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deswegen sei es möglich, "unser ganzes Verfassungsleben mit wirklichen Unterführern zu durchsetzen und so auch im Staat eine lebendige Führungsordnung zu schaffen".54 Folgte man den Gedankengängen Hubers, konnte ein stärkerer Einbau der Partei in den Staatsapparat stattfinden (etwa durch Personalunionen zwischen Gauleiter- und Verwaltungsführerämtern), was verfassungstheoretisch einer Stärkung der Bürokratie bedeutet hätte (denn als Beamte wären die Hoheitsträger der Partei ja letztlich der Weisungsgewalt eines Reichsministeriums unterworfen gewesen). 55 Einen Anhaltspunkt für die Ansicht Hitlers in dieser Frage ergibt sich aus dessen grundlegender Schrift "Mein Kampf'. Wenn er dort die Stellung des "Führers" durch den Antagonismus Autorität nach unten, aber Verantwortung nach oben kennzeichnete, 56 ließ er augenscheinlich die Möglichkeit einer Verwaltungszentralisation auch innerhalb des Behördenaufbaues zu. Das Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. 3. 1934 57 klärte dann auch die Problematik vorläufig in der Weise, daß es die Behördenleiter zu "berufenen Führern" im Sinne der nationalsozialistischen Lehre machte. Die konsequente Verwirklichung des Führerprinzips im Reichsaufbau der Zeit nach 1933 mußte nach allem unübersehbare Folgen haben. Es war eindeutig, daß von Adolf Hitler als "Führer und Reichskanzler" sämtliche Hoheitsgewalt ausgehen würde. Als "Führer" konnte er nicht an das geschriebene Recht gebunden sein und mußte jederzeit die Möglichkeit haben, neues Recht zu setzen. 58 Die Form dieser Rechtsetzung war dabei belanglos: Machtsprüche, Führererlasse, Verordnungen des "Führers" oder Reichsgesetze konnten als Dokumente des "Führer"willens nur die gleiche Qualität besitzen. Wenn der "Führer"wille unbeschränkbar sein sollte,59 mußten Reichstag und Reichsregierung ihre Entschei54 Huber, Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 82. 55 Das ist auch der Grund dafür, warum die Reichsinnenverwaltung Hubers Thesen nachhaltig unterstützte. Frick machte 1936 auf Bedenken dagegen aufmerksam, die Verwaltungspraxis vom Führergedanken abzukoppeln (Frick, Freiheit und Bindung der Selbstverwaltung, Der Gemeindetag 1936, S. 653 ff., S. 718.) Der Staatssekretär im RMdI Pfundtner sprach die Haltung seines Ministeriums schließlich ganz deutlich aus: "Sie (die Verwaltung) zum technischen Vollzug zu erniedrigen, hieße sie mit dem Führerprinzip unvereinbar zu erklären." (Das Führerprinzip in der Verwaltung, in: Völkischer Betrachter vom 10.5. 1939). 56 Siehe bereits oben, Fußnote 42. 57 RGBI 1934, Teil I, S. 220, 300. 58 E. Laux (in Rebentisch / Teppe, Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers, S. 33 ff., 44) kommt daher richtigerweise zu den Schluß, daß der Nationalsozialismus seiner ganzen Struktur nach "rechtsfeindlich" war. 59 Bemerkenswert offen insofern Huber, Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 83 f.: Der Führer schafft aus der naturhaften Einheit des Volkes das politische Volk und den völkischen Staat. Aus dieser Leistung erwächst dem Führer die Totalität der staatlichen Gewalt. "Alle Staatsfunktionen sind in ihm vereinigt. Er ist Täger der Regierungsgewalt, ... er ist Träger der auswärtigen Gewalt ... , er ist Inhaber der Gesetzgebungsgewalt, ... er steht an der Spitze der gesamten inneren Exekutivgewalt ... , er ist

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dungsbefugnisse verlieren. Dem Reichstag konnte nur noch die Position eines die "Einheit von Führer und Gefolgschaft offenbarenden" Akklamationsorgans verbleiben. Die Reichsregierung war von einem pluralistischen Gremium zu einem "Führerrat" mit nur noch beratenden Funktionen umzubauen. Ein echter "Führer" konnte nämlich nicht länger auf die Festlegung der Richtlinien der Politik beschränkt bleiben, sondern mußte Weisungsbefugnisse gegenüber seinen Ministern erlangen. Notwendige Folge des Führerprinzips mußte auch eine umfassende Zentralisierung des Verwaltungsaufbaus sein. Den Ländern konnte deshalb eine selbständige, nicht von "Führer" und Reich abgeleitete, Hoheitsgewalt nicht länger zugebilligt werden. Weiterhin war die Schaffung eines durchgängigen Weisungsweges von der Reichsspitze bis in die untersten Verwaltungsebenen erforderlich, um zu erreichen, daß der "Führer"wille allzeit befolgt werden würde. Soweit auch innerhalb der Verwaltungsbehörden das Führerprinzip verwirklicht werden sollte, mußten darüber hinaus den Behördenleitern umfassende Befehlsgewalten zugestanden werden; konsequenterweise konnte dies nur durch eine Zusammenfassung sämtlicher Verwaltungszweige auf Länder-, Kreis- und Gemeindeebene in der Hand eines "Unterführers" erfolgen. Der "Unterführer" hätte dann gegenüber seinen nachgeordneten Behörden autoritär agieren können, wäre seinerseits aber der Reichszentrale "verantwortlich" (d.h. weisungsabhängig) gewesen. Das Bestehenbleiben unmittelbar zum Reich ressortierender, der Verwaltung des "Unterführers" nicht eingegliederter sog. Sonderverwaltungen mußte dem Führerprinzip demzufolge zuwiderlaufen: Die "Einheit der Verwaltung" in den Staatsinstanzen wäre auf diese Weise nicht erreicht worden. Der nationalsozialistische Grundgedanke der Volksgemeinschaft mußte schließlich für den Staatsaufbau des Reiches die Konsequenz haben, die Verwaltung möglichst volksnah zu führen. 60 Solches konnte effektiv nur durch weitgehende Dezentralisation von Verwaltungsaufgaben geschehen. Hieraus resultierte ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip des Volksstaates und dem Führerprinzip, dem ja die Forderung nach einer möglichst zentralen Aufgabenerledigung immanent war. Verwaltungsdezentralisation mußte im NS-Staat daher stets unter dem Vorbehalt gleichzeitiger Sicherstellung des Einklangs zwischen Reichs- und untergeordneten Verwaltungsgliederungen stehen. Inwieweit der Staatsaufbau des Deutschen Reiches den soeben skizzierten Grundzügen der nationalsozialistischen Staatsideologie entsprach oder jedenfalls oberster Gerichtsherr." Siehe auch W. Frick. Der Führer als Schöpfer Großdeutschlands - Innere Ordnung, äußere Stärke, in: DV 1939, S.228: "Der Wille des Führers ist oberstes Gesetz, ist das Recht des nationalsozialistischen Staates", H. Lammers. Zum 30. Januar 1943, in: RVerwBl 1943, S.43: "Der Führer Adolf Hitler als Träger der höchsten Souveränität des Großdeutschen Reiches ist alleiniger Ursprung allen Rechts .... 60 Zutreffend Pfundtner. Die Quellen der geltenden Verfassung, Belegexemplar in Akten des BA, R 18/5434, BI. 79 ff., 81.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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entsprechen sollte, wird nachfolgend zu untersuchen sein. - Dabei soll zunächst der schließlich verwirklichte Rechtszustand kurz umrissen werden.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen Die nationalsozialistische Reichsrefonn läßt sich in drei Phasen einteilen: a) Die Phase der Stabilisierung der Macht (1933) b) Die Phase des vorläufigen Aufbaues des nationalsozialistischen Staates (193439) c) Die Phase späterer - vor allem kriegsbedingter - Änderungen dieses Systems (nach 1939).

Zur unter a) genannten Phase: Die zuerst genannte Phase ist durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten in denjenigen deutschen Ländern geprägt, in denen die NSDAP bis dahin noch keine Regierungsgewalt errungen hatte.

1. Maßnahmen zur Machtergreifung der NSDAP in den Ländern

a) Die Ausgangssituation in Preußen Hitler mußte insbesondere daran gelegen sein, Preußen möglichst rasch "gleichzuschalten"61, um den für die Reichsverwaltung wichtigen preußischen Verwaltungsapparat unter seine Kontrolle zu bekommen. Dabei kam ihm zugute, daß die dortigen Regierungsverhältnisse schon seit 1932 relativ verworren gewesen waren. Auslöser für die Regierungskrise in Preußen ist die von Papen inszenierte Notverordnung vom 20. 7.1932 gewesen, 62 durch die die Regierung Braun / Severing amtsenthoben wurde. 63 An ihrer Stelle war damals der Reichskanzler selbst zum Reichskommissar für das Land Preußen eingesetzt worden, dessen Befugnisse sich aus derselben Verordnung ergaben. Die Notverordnung hatte von Papen 61 Der Begriff "Gleichschaltung", von Reichsjustizminister Gürtner geprägt, entstammt der Terminologie des Nationalsozialismus: Er bezeichnet die erzwungene ideologische und organisatorische Ausrichtung aller politisch-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Organisationen und Institutionen auf die in einem totalitären Staat herrschende Partei. 62 Verordnung betreffend die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen vom 20.7.32; RGBI 1932, Teil I, S. 377. 63 Zu diesem sog. Preußenschlag siehe noch: Schulze, Hagen: Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt (1977); Rudolf Echterhölter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 16 II, S. 71 ff.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

dem Reichspräsidenten unter dem fadenscheinigen Vorwand abgerungen, auf die preußische Regierung sei in Anbetracht der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten kein Verlaß mehr, da sie nicht energisch genug gegen die Kommunisten vorgehe. Eine gegen diesen "Staatsstreich"64 gerichtete Verfassungsklage des Landes Preußen wurde durch den Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich mit Urteil vom 25. Okt. 1932 65 im wesentlichen abgewiesen; der Notverordnung wurde gerichtlicherseits nur insofern Rechtswirksamkeit abgesprochen, als der bisherigen Regierung die Vertretung Preußens im Reichstag, im Reichsrat oder sonst gegenüber dem Reich und anderen Ländern entzogen worden war. b) Notverordnung über den Reichskommissar für das Land Preußen vom 31.1.1933

Die trotz des Urteils noch fortbestehenden kompetenzrechtlichen Unsicherheiten in Preußen veranlaßten Hitler dazu, sofort nach seiner Ernennung zum Reichskanzler das Gesetz des Handeins an sich zu reißen. Durch Notverordnung vom 31. Januar 1933 66 ließ er festlegen, daß die dem Reichskanzler in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für das Land Preußen zustehenden Befugnisse dem Stellvertreter des Reichskanzlers (also: von Papen) übertragen wurden. Damit war Preußen zunächst als selbständiges Machtzentrum ausgestaltet. c) Notverordnung zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen vom 6.2.1933

Eine Möglichkeit, noch stärkeren Einfluß auf die Verwaltungsführung in Preußen ausüben zu können, ergab sich für Hitler schon bald. Als der Preußische Landtag einen Antrag auf Selbstauflösung am 4.2. 1933 ablehnte und am sei ben Tag das aus dem noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Braun, dem Staatsratspräsidenten Adenauer und dem (nationalsozialistischen) Landtagspräsidenten Kerrl bestehende Dreimännerkollegium mit Mehrheit die - von Hitler in der Erwartung eines bei Neuwahlen höheren Stimmenanteils der NSDAP gewünschte - Landtagsauflösung ebenfalls ablehnte, wurden die Voraussetzungen dafür durch Erlaß einer Notverordnung 67 geschaffen. Daneben - quasi durch die Hintertür - übertrug die Verordnung aber noch die nach dem Staatsgerichtshofsurteil von 1932 der preußischen Staatsregierung 64 Zutreffend R. Morsey, Die verfassungspolitische Entwicklung, in: Jeserich / Pohl / von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 697. 65 Abgedruckt in RGZ 138, Anhang S. 1. 66 67

RGBI. 1933, Teil I, S. 33. RGBI. 933, Teil I, S. 43.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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verbliebenen Befugnisse "bis auf weiteres" dem Reichskommissar für das Land Preußen, ohne daß hierfür eine nur halbwegs tragfähige staatspolitische Notwendigkeit bestanden hätte. 68 In dem erwähnten Dreimännergrernium ergab sich nunmehr eine Mehrheit für die Auflösung des Landtages. 69

d) Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat Auch auf Reichsebene versprach sich Hitler von Parlamentsneuwahlen eine Verbesserung seiner Position. Tatsächlich erreichte er beim Reichspräsidenten am 1. Februar 1933 die Auflösung des Reichstags; 70 zur Begründung dieses aufgrund in Wahrheit nicht gegebener verfassungsrechtlicher Voraussetzungen sehr fragwürdigen Aktes wurde auf die vorgebliche "Unmöglichkeit der Bildung einer arbeitsfähigen (Reichstags-)Mehrheit" hingewiesen. 71 Wenige Tage vor der auf den 5. März 1933 festgesetzten Reichstagswahl wurde das Reichstagsgebäude Opfer eines Brandanschlages; ohne auf die - nach wie vor umstrittene 72 - Täterschaftsfrage eingehen zu wollen, kann jedenfalls 68 Diese Befugnisse (insbesondere das Recht der Vertretung des preußischen Staates im Reichsrat) standen nämlich in keinerlei Verbindung zu dem angeblichen Normzweck der Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse innerhalb Preußens. 69 Vgl. insofern R. Morsey, Der Beginn der Gleichschaltung in Preußen - Adenauers Haltung in der Sitzung des "Dreimännerkollegiums" am 6. Februar 1933, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ), Band 11 (1963), S. 85 ff.; A. Köttgen, Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Preußen, in: JöR, Band 22 (1935), S. 284. 70 Verordnung des Reichspräsidenten betreffend die Auflösung des Reichstages vom 1.2.1933, in: RGBI. 1933 I, S. 45. 71 Siehe ebda. 72 Siehe W. Hofer u.a. (Hrsg.), Der Reichstagsbrand. Eine wissenschaftliche Dokumentation, Bd. 1, Berlin 1972, die sich mit der von D. Tobias (Der Reichstagsbrand: Legende und Wirklichkeit, Rastatt 1962) und H. Mommsen (Der Reichstagsbrand und seine Folgen, in: VjHZG 3 [1964], S. 351 ff.) vertretenen These von der Alleintäterschaft van der Lubbes kritisch auseinandersetzte; ders., Der Reichstagsbrand, Bd. 2, 1978. Vgl. auch W. Hofer / ehr. Graf, Neue Quellen zum Reichstagsbrand, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 27 (1976), S. 65 ff., und: Der Reichstagsbrand. Die Provokation des 20. Jahrhunderts. Forschungsergebnis, Internationales Komitee Luxemburg, München 1978. Zu der positiven Rezension dieses Buches und des zweiten Bandes der Dokumentation, die die Alleintäterschaftsthese angesichts des gegenwärtigen Erkenntnisstandes nicht überzeugend erscheinen lassen, durch W. Schwarz in der Süddeutschen Zeitung vom 2.5.1979 hat H. Mommsen ebd. am 23./24.5.1979 im Sinne seiner Auffassung Stellung genommen, ohne selbstverständlich die reichhaltigen und minutiösen Befunde von Dokumentenbänden mit einem Zeitungsartikel entkräften zu können. Siehe auch ders., Historisches Himmelfahrtskommando, in: Die Zeit, vom 21. 9.1979, S. 23 f., und ders., Ansichten zum Reichstagsbrand, in: Die Zeit, vom 28.9.1979, S. 50. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die vierteilige Serie von K.-H. Janßen, Kabalen um den Reichtstagsbrand, Teil I-IV, in: Die Zeit vom 14.9.1979, vom 21.9.1979, vom 28.9.1979 und vom 5.10.1979. Alles in allem neigt die einschlägige Forschung zu der Einschätzung, daß der Brand von nationalsozialistischer Seite aus

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

konstatiert werden, daß Hitler diesen Vorgang für seine Zwecke weidlich ausnutzte. Schon am folgenden Tag, dem 28. Februar 1933, erließ auf sein Geheiß der Reichspräsident die Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat,73 deren § 2 dem Reich zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem Land gestattete, die Rechte der obersten Landesbehörde "vorübergehend wahrzunehmen"; alsdann hatten die Landesbehörden den Anordnungen der Reichsregierung Folge zu leisten (§ 3). Die Notverordnung stellte einen wichtigen Schritt in Richtung Diktatur dar. Indem sie die Art. 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Weimarer Verfassung 74 außer Kraft setzte (§ 1), bot sie die Basis für eine verfassungsrechtlich unbeschränkte Verhängung von "Schutzhaft" gegen mißliebige Bürger. Überhaupt waren nunmehr alle Schranken für die persönliche Freiheit des einzelnen einengende Staatsrnaßnahmen weggefallen. Damit war die Reichsverfassung in wesentlichen Bereichen - insbesondere was ihren Grundrechtsteil betrifft - ausgeschaltet worden. 75 Daß die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Art. 48 11 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) bei Erlaß der Notverordnung vom 28.2.1933 beachtet worden sind, ist zumindest zweifelhaft. Schom 76 hat zurecht darauf hingewiesen, daß von einer allgemeinpolitischen Lage, in der "die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Deutschen Reich erheblich gestört oder gefährdet" war, nicht ohne weiteres gesprochen werden konnte. Bezeichnend war überdies, daß Art. 48 WRV auch eine nur teilweise Außerkraftsetzung von Grundrechten (nicht) zugelassen hätte, das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Notverordnungserlaß aber nach damaliger Rechtsprechung keiner gerichtlichen Nachprüfung unterlag. 77 geplant und verwirklicht worden ist. Vgl. beispielsweise die zusammenfassende Beurteilung des Sachverhalts bei G. Craig, Germany 1866- 1945, Oxford 1978, S. 573 f. Durchgehend wird von der Geschichtswissenschaft in diesem Zusammenhang betont, daß die Frage nach der Reichstagsbrandtäterschaft an sich nicht überschätzt werden darf, da sie erst durch ihre folgenreichen politischen Konsequenzen (und durch die viel zu weit gezogenen historiographischen Schlußfolgerungen) ihre politische (und wissenschaftliche) Bedeutung erlangte. Vgl. dazu K. Hildebrand, Nationalsozialismus ohne Hitler? Das Dritte Reich als Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft, in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 31 (1980), S. 293. 73 RGBI. 1933, Teil I, S. 83. 74 Die genannten Normen betrafen die persönliche Freiheit des einzelnen, das Recht der freien Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, das Versammlungs- und Vereinsrecht sowie die - nur unter besonderen Voraussetzungen zulässige - Anordnung von Beschlagnahmen und Hausdurchsuchungen. 75 So spricht denn L. Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, in: Festschrift für E. Fraenkel, 1973, S. 204, auch nur davon, daß die Verordnung vom 28.2.1933 die "magna charta und EinbruchsteIle für das außemormative Handeln der Führergewalt im Normensystem des Staates" war. 76 Scham, Die Gesetzgebung als Mittel der Machtpolitik, 1964, S. 27. 77 Zutreffend Scham, S. 28.

H. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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Jedenfalls machte Hitler von der in § 2 der Verordnung enthaltenen Befugnis reichlichen Gebrauch. Die "öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende" Situationen wurden in denja mehrheitlich noch nicht nationalsozialistisch regierten außerpreußischen Staaten 78 maßgeblich von den "Schlägertrupps" 79 seiner eigenen Partei - SA und SS - herbeigeführt. 80 Sie boten dem Reichskanzler dann hinreichenden Anlaß, um dort Reichskommissare einzusetzen; diese waren in fast allen Fällen altgediente NSDAP-Funktionäre. 81

2. Die Ausschaltung des Parlaments vom Gesetzgebungsverfahren

Die Reichtagswahl vom 5. März 1933 zeitigte nicht das von Hitler angestrebte Ergebnis: Seine Regierungskoalition hatte weder eine verfassungsverändernde noch überhaupt eine absolute Mehrheit der Abgeordnetenmandate erreicht. 82 Deshalb mußte er das Ziel, die verfassungsrechtlichen Bedingungen seines Amtes aufzuweichen und alle Macht im Staate an sich zu reißen, auf anderem Wege weiterverfolgen. Von dem Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten wollte er dieses Mal keinen Gebrauch machen, weil sich ein erneutes Übergehen des Parlamentes als Gesetzgebungsorgan kaum hätte begründen lassen. So konnte er nur versuchen, andere im Reichstag vertretene Parteien dazu zu bewegen, einer Selbstausschaltung der Legislative zuzustimmen. Dabei ging der Reichskanzler zweigleisig vor: Die Abgeordneten der Linksparteien KPD und SPD, von denen er wußte, daß sie der Selbstausschaltung nie zustimmen würden, setzte er mit legalen und unfairen Mitteln immer stärker unter Druck, um sie möglichst an der Ausübung ihres Mandats zu hindern. Dies geschah in der Weise, daß den 81 KPD-Angeordneten der Zutritt zum Parlament verwehrt bzw. sie in Schutzhaft genommen wurden. Auch Abgeordnete der SPD wurden aufgrund der Verordnung vom 28.2.1933 verhaftet; andere zwang man, sich wegen fortdauernder, lebensgefährlicher Bedrohungen aus Deutschland abzusetzen. 83 Mit den Parlamentariern der Mittelparteien Zentrum und Bayerische Volkspartei trat Hitler demgegenüber in Verhandlungen über ein Gesetz ein, durch das 78 Es handelte sich um Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen, SchaumburgLippe, Hamburg, Lübeck und Bremen. 79 Ausdruck von Hildebrand, Das 3. Reich, S. 4. 80 Dazu siehe Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich/ Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 746. 81 Zu den Einzelheiten der Machtergreifung der NSDAP in den außerpreußischen Ländern instruktiv M. Broszat, Der Staat Hitlers, 3. Aufl, 1973, S. 130 ff. 82 Die NSDAP hatte in dieser Wahl 288, die mit ihr koalitionsmäßig verbündete DNVP 52 der insgesamt 688 Sitze gewonnen. So standen den 340 Abgeordneten der Regierungsparteien 348 Abgeordnete der Opposition gegenüber. 83 Nachweise bei Mathias-Morsey, Das Ende der Parteien 1933, S. 166.

3 Bachnick

A. Der Verfassungs- und Verwaltungs aufbau zwischen 1933 und 1945

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weitere Grundrechte ausgeschaltet und die Reichsgesetzgebung "vorübergehend" auf die Exekutive übergeleitet werden sollte. Er griff zu Versprechungen und Irreführungen, ja zu Lügen, indem er ihnen vorgaukelte, daß das "Ermächtigungsgesetz" ihnen die Möglichkeit einer ruhigen Entwicklung und einer sich daraus anbahnenden Verständigung biete. Denn er hatte bereits als nächsten Schritt die Ausschaltung aller politischen Parteien geplant. 84 Hitlers Bemühungen sollten sich auszahlen. Das von ihm eingebrachte Gesetz "zur Behebung der Not von Volk und Reich"85 wurde mit den Stimmen von Zentrum und Volkspartei am 24. März 1933 angenommen. Nur die SPD-Fraktion stimmte dagegen. Die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit konnte allerdings nur mit Hilfe eines Geschäftsordnungstricks erreicht werden: Es sollte (ausnahmsweise) eine Mehrheit von 2/3 der im Parlament anwesenden Parlamentarier ausreichen. 86 Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 gab Hitler die Mittel in die Hand, dauerhaft Politik am Reichstag vorbei zu betreiben. Voll wirksame Reichsgesetze konnten nämlich künftig außer im parlamentarischen (rechtsförrnigen) Verfahren, wie es die Reichsverfassung vorsah, auch durch Beschluß der Reichsregierung "erlassen" werden. Diese Ermächtigung bezog sich darüber hinaus sogar auf verfassungsändernde Gesetze und Haushaltsgesetze. Hieran zeigt sich die Tragweite des Ermächtigungsgesetzes: Es brach mit dem demokratischen Grundsatz der Gewaltenteilung 8? und schloß das Volk dauerhaft von der Mitbestimmung in Staatsangelegenheiten aus. Zwar sicherte das Gesetz Reichstag und Reichsrat ihre Existenz als Staatsorgane ausdrücklich zu. 88 Damit war aber noch nichts über die wirkliche Machtposition dieser Institutionen in der Zukunft ausgesagt. Tatsächlich verlief die Entwicklung so, daß die Zahl der Reichstagssitzungen nach 1933 immer mehr abnahm. Auch wurde nur eine ganz geringe Anzahl von Gesetzen dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt. Durch den Verzicht auf das traditionelle Budgetbewilligungsrecht hatte sich der Reichstag selbst um jede Einflußnahme auf Hitlers Regierung gebracht. Überhaupt wandelte sich unter dem Nationalsozialismus mit der Zeit das Verständnis über die Funktion einer "Volksvertretung". Sie galt nicht mehr als Kontrollinstitution des Volkes über die Regierung, sondern als Organ des "Führerwillens". Weil im Nationalsozialismus ein Gegensatz zwischen "Führung" und Volk nicht mehr bestehe, der "FühDazu siehe sogleich, vor 3. 85 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24.3.33; RBGI. 1933, Teil I, S. 141. 86 Diese Entscheidung lief natürlich dem geitenden Recht zuwider, denn das Parlament durfte auch in Verfassungsfragen wie der hiesigen nur mit der nach der Reichsverfassung notwendigen Mehrheit von 2/3 aller dem Reichstag angehörenden Abgeordneten entscheiden. 8? Zutreffend Schom, S. 43: Das Ermächtigungsgesetz "schaltete praktisch die Legislative aus und übertrug sie auf die Exekutive". 88 Vgl. Art. 11 des "Ermächtigungsgesetzes". 84

Ir. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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rer" vielmehr den wahren Willen des Volkes in sich berge, diene der Reichstag nur noch dazu, die Übereinstimmung von "Führerwillen" und Volksstimmung nach außen hin sichtbar werden zu lassen, hieß es. 89 Das Parlament degenerierte also zum bloßen Befehls- und Akklamationsorgan. 90 Die gleiche Funktion - Dokumentation der Einheit von "Führer" und "Gefolgschaft" - besaßen auch die Reichstagswahlen, die nach 1933 abgehalten wurden. 91 Ein Mehrparteiensystem existierte im Zeitpunkt dieser Wahlen schon nicht mehr: Nachdem bereits am 23.6.1933 durch Polizei und SA die Parteibüros von Hitlers Koalitionspartner DNVP geschlossen worden waren 92 und sich Zentrum (5.7.1933), DVP und Bayerische Volkspartei (4.7.1933) "freiwillig" aufgelöst hatten, ordnete Frick am 7.7.1933 die Auflösung der "volks- und staatsfeindlichen" SPD an. 93 Einen Abschluß dieser Entwicklung brachte das "Gesetz gegen die Neubildung von Parteien" vom 14.7.1933,94 das die NSDAP zur einzigen Partei Deutschlands erklärte. Im weiteren Verlauf der verfassungspolitischen Entwicklung setzte sich Hitler auch über die wenigen, im Ermächtigungsgesetz noch enthaltenen Schranken exekutiver Allgewalt 95 hinweg. Mit Gesetz vom 14. Februar 1934 96 wurde der Reichsrat als Staatsorgan aufgehoben, ein offener Bruch der bestehenden und gültigen gesetzlichen Regelungen. 97 Der durch das Ermächtigungsgesetz geschaffene Rechtszustand blieb während der gesamten Zeit nationalsozialistischer Herrschaft erhalten. Obwohl in seiner Geltungsdauer zunächst auf vier Jahre begrenzt, wurde das Gesetz - wie von Hitler von Anfang an geplant - 1937 98 und dann

89 Insoweit L. Gruchmann, Die "Reichsregierung" im Führerstaat, in: Klassenjustiz und Pluralismus, Festschrift für Ernst Fraenkel, 1973, S. 187 ff., 188. 90 Ausdruck von Scham, S.45. 91 Reichstagsneuwahlen fanden noch 1936 (siehe Verordnung des Führers über die Auflösung und Neuwahl des Reichstages vom 7.3.1936, RGB!. 1936, Teil I, S. 133) und 1938 (vg!. Verordnung des Führers vom 18.3.1938, in RGB!. 1938, Teil I, S. 257) statt. 92 Am 29.6.1933 trat Hugenberg aus der Regierung aus, die im Laufe der Zeit sukzessive mit nationalsozialistischen Parteiangehörigen "aufgefüllt" wurde. 93 Siehe insoweit Verordnung des Reichsinnenministers vom 7.7.1933, in: RGB!. 1933, Teil I, S. 462. 94 Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14.7.1933, RGB!. 1933, Teil I, S.479. 95 Das Ermächtigungsgesetz hatte in seinem Art. 2 die Existenz von Reichspräsident, Reichstag und Reichsrat garantiert. 96 Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats vom 14.2. 1934, RGB!. 1934, Teil I, S.89. 97 Die Aufhebung des Reichsrats wurde allerdings in der nationalsozialistischen Rechtslehre nicht als Verfassungsbruch verstanden. Dem Führer sollte nämlich die Macht zustehen, jederzeit und ohne Rücksicht auf bestehende Normen neues Recht zu setzen. Er sollte an geschriebenes Recht, also auch an die Verfassung, nicht gebunden sein. 98 Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich von 30.1.1937, RGB!. 1937, Teil I, S. 105. 3*

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

noch einmal 1939 99 verlängert: So unterlag das Reich von 1933 - 1945 einem permanenten Ausnahmezustand. 100, 101

3. Die veränderte Stellung der Reichsregierung im nationalsozialistischen Staat

Nicht nur der Reichstag, sondern auch andere Verfassungsorgane mußten während des Nationalsozialismus' grundlegende Strukturveränderungen durchmachen. Dies gilt insbesondere für die nach der Weimarer Reichsverfassung als kollegiales Gremium ausgestaltete Reichsregierung. 102 Die formelle Verfassungslage im Augenblick von Hitlers Machtübernahme war dadurch gekennzeichnet, daß der Reichskanzler lediglich die Richtlinien der Politik bestimmte, während Gesetzentwürfe sowie Meinungsverschiedenheiten über Fragen, die den Geschäftsbereich mehrerer Reichsminister berührten, der Reichsregierung insgesamt zur Beratung und Beschlußfassung unterbreitet wurden. 103 Dabei faßte die Reichsregierung ihre Beschlüsse 104 mit Stimmenmehrheit, nur bei Stimmengleichheit sollte die Stimme des Reichskanzlers entscheiden. 105 Es bedarf keiner langen Begründung dafür, warum Hitler eine solche Stellung als "primus inter pares" unter den Reichsministern nicht akzeptieren konnte: Sie hätte diametral dem Führerprinzip widersprochen, wonach alle Staatsgewalt in der Hand einer Person zusammenlaufen muß. Hitler beließ es aus Gründen der Rücksichtnahme auf die der DNVP angehörenden Reichsminister in der Anfangszeit seiner Herrschaft gleichwohl bei der überkommenen Verfassungsregelung. 106 Relativ bald setzte allerdings ein Umschwung ein. Triumphierend trug Goebbels bereits am 22. April 1933 in sein Tagebuch ein: "Im Kabinett ist die Autorität des Führers ganz durchgesetzt. Abgestimmt wird nicht mehr. Der Führer entscheidet." 107 Die Ressortminister 99 Gesetz zur Verlängerung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 30. l. 1939, RGB!. 1939, Teil I, S. 95. 100 Ausdruck von Schom, S. 42. 101 Die Wirkung des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich läßt sich nach allem überhaupt nicht mit derjenigen früherer "Ermächtigungsgesetze", z. B. vom 24.l.1923, vom 13.10.1923 und vom 8. l2. 1923, vergleichen, denn es setzte erstmals wesentliche Teile der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft und höhlte so die Verfassung in ihrer Grundstruktur aus. 102 Zum Ganzen instruktiv L. Gruchmann, Die "Reichsregierung" im Führerstaat, S. 187 ff. 103 Art. 57 WRV, § 18 der Geschäftsordnung der Reichsregierung. 104 Also etwa: Beschluß über die Einbringung eines Gesetzentwurfes in den Reichstag. 105 Art. 58 WRV. 106 Vgl. insofern Gruchmann, in: Festschrift für Fraenkel, S. 189/190. 107 J. Goebbels, Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern, München 1934, S. 302.

lI. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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hatten demzufolge spätestens seit April 1933 keine Entscheidungsbefugnisse mehr, sondern waren zu ausführenden Organen des "Führerwillens" degradiert. 108 Aber auch als beratende Instanz verlor das Kabinett zunehmend an Bedeutung. Die Zahl der Kabinettssitzungen nahm von 72 im Jahre 1933 über 19 im Jahre 1934 und 12 im Jahre 1935 auf ganze 6 1936 ab; die letzte Sitzung fand am 5. Februar 1938 statt. 109 Ursache hierfür war eine Änderung der Arbeitsweise der Reichsregierung, die etwa im Frühjahr 1933 einsetzte, und die in einer aufgrund des Ermächtigungsgesetzes ergangenen Änderungsverordnung zur Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien 110 ihren Ausdruck gefunden hat. Neben die kabinettliehe Beratung und Abstimmung der Gesetzentwürfe trat damals als völlig gleichberechtigtes Normalverfahren die Möglichkeit, die Zustimmung der Ressortminister auf dem Umlaufwege einzuholen. Dieses Verfahren entband Hitler davon, an unter Umständen langwierigen ministeriellen Gesetzesberatungen teilnehmen zu müssen. Stattdessen konnte er sich, seinen Vorstellungen entsprechend, auf die gestaltende Einwirkung bei "politisch bedeutsamen" Rechtsetzungsakten beschränken. 111 Der zunehmende Fortfall von Kabinettsitzungen und Hitlers Desinteresse an den Einzelfragen der Gesetzgebungsarbeit führten ihrerseits eine gewisse Verselbständigung der Reichsressorts herbei: Sie unterstanden zwar nominell der uneingeschränkten Befehlsgewalt des Führers, besaßen aber innerhalb ihres fachlichen Bereichs einen unbegrenzteren Wirkungsraum nach "unten" als je zuvor. 112. 113

Praktiziert wurde das Umlaufverfahren vor allem zur Abstimmung von Regierungsgesetzentwürfen zwischen den Reichsministerien. Die Gesetzentwürfe wurden zu diesem Zweck vom federführenden Ministerium im Benehmen mit anderen "beteiligten" Reichsressorts, deren fachliche Zuständigkeit durch die Materie berührt wurde, ausgearbeitet und dem Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, zugeleitet. Sofern sich die beteiligten Ministerien über den Inhalt der geplanten Regelungen nicht hatten einigen können, war dies sowie waren die Gründe der Differenzen dem Chef der Reichskanzlei ebenfalls mitzuteilen. Lammers lud in letzterem Fall zu ministeriellen Besprechungen ein, um die Unstimmigkeiten zu überwinden. Falls eine Einigung über die zu treffenden Maßnahmen auch dort nicht zustande kam, unterbreitete Lammers die Sache Hitler zur Entscheidung. Gruchmann, S. 191, spricht zutreffend von einem "Führerrat". Siehe Gruchmann, S. 192. 110 Erste Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien, Besonderer Teil (GGO II), in: RMinBl. 1933, S. 386. 111 Nachweise bei Gruchmann, S. 199. 112 Richtig erkannt von Diehl-Thiele, Partei und Staat im 3. Reich, 1969, S. 21. 113 Das ist es, was Gruchmann meint, wenn er davon spricht, daß "die Reichsregierung als ... Träger politischer Entscheidungsgewalt zu bestehen aufhörte und in eine Polykratie vertikal nebeneinander stehender Fachressorts zerfiel" (Gruchmann, S. 193). 108

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Gleiches tat er dann, wenn zwar zwischen den "beteiligten" Ressorts Übereinstimmung geherrscht hatte, aber ein nicht beteiligt gewesenes Fachministerium nach Übersendung des betreffenden Gesetzentwurfes zur Stellungnahme Bedenken 114 gegen die vorgesehenen Regelungen erhoben hatte, die in einer anschließend erfolgenden Ministerbesprechung nicht hatten ausgeräumt werden können. Durch den Führererlaß über die Änderung der Geschäftsordnung der Reichsregierung vom 20. März 1935 115 wurde das Umlaufverfahren weiter vereinfacht. Fortan mußte nicht mehr für sämtliche Gesetzentwürde die Zustimmung aller Reichsminister eingeholt werden. Es genügte vielmehr die Zustimmung des Reichsfinanzministers, des Reichsinnenministers und des zuständigen Fachministers, es sei denn, daß der Chef der Reichskanzlei oder der "Stellvertreter des Führers" 116 Einspruch erhoben. Kennzeichnend für die Stellung der Reichsminister unter Hitler waren auch die Regelungen des am 16. Oktober 1934 erlassenen Gesetzes über den Eid der Reichsminister und der Mitglieder der Landesregierungen. 117 Während die Minister bis dahin noch - wie in der Weimarer Zeit - auf die Wahrung von " Verfassung und Gesetzen" vereidigt worden waren, mußten sie ab dem 16. Oktober 1934 beeiden, "dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam" zu sein. Damit trugen sie unmittelbar dem Führer gegenüber die Verantwortung für die getreuliche Erfüllung ihnen gegebener Weisungen. Erst bei Berücksichtigung dieser Tatsache läßt sich die Bedeutung des Ermächtigungsgesetzes vom 24.3.1933 voll erfassen: Hitler konnte nunmehr jederzeit "Recht" setzen, ohne an die Weimarer Verfassung oder den Rat seiner Fachminister gebunden zu sein (sofern er nur die Kompetenzverteilung zwischen Reich und Ländern beachtete 118 und Reichstag beziehungsweise Reichsrat als Institutionen unangetastet ließ). Seiner rechtsetzenden Willkür standen also schon damals Tür und Tor offen.

Zur oben unter b) bezeichneten Phase: In einer zweiten Phase der verfassungsrechtlichen Umgestaltung des Reiches im nationalsozialistischen Sinne wurden das Verhältnis der Partei zum Staat, das, wie noch zu zeigen ist, vielfältigen Spannungen ausgesetzt war, geregelt sowie der einheitsstaatliche Verwaltungsaufbau unter wesentlicher Zurückdrängung der Befugnisse der Länder realisiert.

Technischer Begriff nach der GGO Reichsministerien hierfür: "Widerspruch.". In: RMBI. 1935, S. 423. 116 Zu diesem Amt siehe sogleich unter A II 4. 117 RGBI. 1934, Teil I, S. 973. 118 Denn die Hoheitsrechte der Länder waren in jenem Zeitpunkt noch nicht auf das Reich übergeleitet worden. 114 115

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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4. Der "Einbau" der NSDAP in den Staatsapparat

Nach der Machtübernahme Hitlers waren Stellung und künftiger Aufgabenkreis der NSDAP zunächst völlig unklar. Hatte es bis zum 30. Januar 1933 immer geheißen, die Partei werde "an die Stelle des Staates treten", das heißt die staatlichen Kompetenzen übernehmen, 119.120 so war davon jetzt keine Rede mehr. Praktikabilitätsgründe waren für diesen Meinungsumschwung ausschlaggebend: Eine Zerschlagung des Staatsapparates war gar nicht machbar, ohne daß das gesamte Befehlssystem, dessen sich Hitler zur Konsolidierung seiner Macht weiterhin bedienen mußte, zusammengebrochen wäre. So gab der "Führer" die Parole von dem Abschluß der nationalsozialistischen Revolution aus. 121 Damit verfolgte er vor allem anderen die Taktik, das politische Establishment und die Beamtenschaft zu beruhigen, und einen - damals noch denkbaren öffentlichen Aufruhr zu verhindern. 122 Die Unklarheit über Bedeutung und Funktion der Partei führte in der Folgezeit zu insgesamt unbefriedigenden und recht hilflosen Deutungen der "Dreigliederung der politischen Einheit" 123 von Staat, Partei und Volk in der juristischen und philosophischen Literatur. Man versuchte, die sich anbahnenden Kompetenzkonflikte zwischen Verwaltungsbehörden und Parteidienststellen durch Harmonisierung aufzulösen. Einen Ansatz für diese Harmonisierung lieferte Hitler selber, indem er auf dem NSDAP-Parteitag vom September 1933 der "Bewegung" die Aufgaben zuwies, bei der Bevölkerung das Verständnis für die notwendigen politischen Maßnahmen zu wecken und darüber zu wachen, daß dem Führerprinzip allgemeine Geltung verschafft werde. Der Partei sollte Hitler zufolge darüber hinaus die Funktion zufallen, mittels einer "durch den lebendigen Kampf bedingten Auslese das politisch fähigste Menschenmaterial in Deutschland" zu finden, elitäre Schulung für die Führungshierarchie zu betreiben, als "politische Ausleseorganisation" zu dienen. 124 119 Dann hätten die Parteiorganisationsstrukturen zu einem Verwaltungsapparat umgebaut und der "alte" Staatsaufbau zerstört werden müssen! 120 Dazu, daß entsprechende Vorstellungen vorgeherrscht hatten, siehe nur Hitler, Mein Kampf, S. 503. 121 Schon am 5. Juli verkündete Hitler den Reichsstatthaltem: "Wir müssen jetzt die letzten Reste der Demokratie beseitigen." Ausbau der Alleinherrschaft und Überleitung der Revolution sollten die nächste Phase bestimmen (vgl. Völkischer Beobachter vom 6. Juli 1933, Berliner Ausgabe, S. 2). 122 Näheres bei Bracher, Die deutsche Diktatur, Köln / Bonn, 1973, S. 250 f. 123 Vgl. den Titel von earl Schmitts Schrift Staat, Bewegung, Volk. - Die Dreigliederung der politischen Einheit, 1933, und daselbst, S. 21. 124 Eröffnungsproklamation Hitlers zum Reichsparteitag der NSDAP am 1. 9. 1933; abgedruckt in: Der Kongreß des Sieges, Dresden, 1934, S. 8 ff.; siehe auch Schlußansprache Hitlers auf demselben Parteitag: "Partei aufgabe ist ... 2. Die Erziehung des ganzen Volkes im Sinne dieser (nationalsozialistischen) Lehre, 3. Die Abstellung der Erzogenen an den Staat zu seiner Führung und als seine Gefolgschaft" (abgedruckt in Völkischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe NI. 261 vom 18.9.1935).

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Eine deutliche Zuständigkeitsabgrenzung war damit zwar nicht geschaffen worden. Doch konnte man den Worten des "Führers" immerhin entnehmen, daß dieser Behördenapparat und Parteigliederung nebeneinander bestehen lassen wollte. . Infolgedessen kam es alsbald zu einer verstärkten Distanzierung der Partei vom Staatsapparat. Die NSDAP-Führung trachtete nicht mehr in erster Linie danach, den Staat als solchen zu bekämpfen, 125 sondern versuchte, der Bewegung Hoheitsaufgaben zu sichern, die sie eigenverantwortlich erfüllen konnte. So realisierte sich immer stärker ein doppelstufiger Staatsaufbau, der durch eine weitgehende Trennung beider Gliederungszweige gekennzeichnet war: Partei und Staat waren nicht vereinheitlicht, sondern standen - nur in ihrer Spitze durch Adolf Hitler als "Führer" verbunden - mehr oder weniger isoliert nebeneinander. 126 Diese Trennung wurde durch Hitler nach Kräften gefördert, denn sie half ihm, die Staatsgeschäfte unangefochten in seinem Sinn zu betreiben. Der NSDAP sollte dabei eine Kontrollfunktion zukommen: Sie sollte sicherstellen, daß die Verwaltungsführung den Grundsätzen der Bewegung entsprach. 127 Zu den Hoheitsaufgaben, die der NSDAP im Laufe der Zeit zuwuchsen, gehörten vor allem Teile der Polizeigewalt. In der SS wurde ein eigener Exekutivapparat der Partei geschaffen, der durch die Verschmelzung von SS und staatlicher Polizei unter dem "Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei" Himmler 128 sogar auf die staatlichen Verwaltungs strukturen übergriff: 129 Als "Chef der Deutschen Polizei" war Himmler nämlich nur scheinbar Untergebener des Reichsinnenministers. Auch hier steckten die Feinheiten im Detail. Wegen des Protests des Reichsinnenministers war der neue Polizeichef nicht nur die Person Heinrich Himmler, die gleichzeitig die Parteigliederung SS befehligte. Himmler hatte vielmehr in seiner Eigenschaft als Reichsführer SS das Amt des Polizeichefs inne - und war insofern unmittelbar Hitler unterstellt. Mit der soeben dargestellten Aufteilung der Polizeigewalt in einen staatlichen und einen parteiamtlichen Bereich wollte Hitler vor allem freie Hand für die Durchführung von mit den Gesetzen nicht in Einklang stehenden Maßnahmen gewinnen: Unliebsame Kritiker des Führerregimes etwa konnten nicht ohne 125 Wenngleich es auch in der Folgezeit aus den Reihen der Reichsministerien noch Klagen darüber gab, die Partei sehe im Staat ihren primären Feind. Vgl. dazu Referentenaufzeichnung des Reichsinnenministeriums "Verhältnis von Partei und Staat" (1934), Bundesarchiv, Akte R 18/5441. 126 Dieses Phänomen bezeichnet Ernst Fraenkel als "Doppelstaat", vgl. E. Fraenkel, Der Doppelstaat, 1941, deutsch 1968. 127 Zutreffend Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, S. 205. 128 Zutreffend Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, S. 205. 129 Zur Verreichlichung der Polizei im NS-Staat instruktiv Echterhälter, Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 16 II, S. 68 ff.; W. Best, Die Geheime Staatspolizei, in: DR 1936, S. 125.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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weiteres aufgrund polizeilicher Maßnahmen "verschwinden", wenn man den "Rechtsstaat" nicht auch nach außen sichtbar aufgeben wollte. Seine Absichten legte Hitler auf dem Parteitag 1935 allerdings in bemerkenswerter Klarheit offen. Am 11. September erklärte er: 130 "Dort, wo sich die formale Bürokratie des Staates ungeeignet erweisen sollte, ein Problem zu lösen, wird die deutsche Nation ihre lebendigere Organisation ansetzen, um ihren Lebensnotwendigkeiten zum Druchbruch zu verhelfen ... was staatlich

gelöst werden kann, wird staatlich gelöst. Was der Staat seinem ganzen Wesen nach eben nicht zu lösen in der Lage ist, wird durch die Bewegung gelöst. Denn

auch der Staat ist nur eine der Organisationsformen des völkischen Lebens ... "

Damit meinte er, daß die "Bewegung" immer dann eingesetzt werden sollte, wenn radikal und unerbittlich gehandelt werden mußte, wenn also der Wille der Führung bestehende Gesetze verletzte und die staatlichen Behörden als Instrumente versagten. Als Beispiel für eine derartige Situation in der Verfassungswirklichkeit kann der Röhm-Putsch angeführt werden. 131 Die weitgehend selbständige Stellung der NSDAP neben dem Staatsapparat illustrierte auch das sog. Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1.12.1933,132 mit dem erstmals das Verhältnis der im NS-Staat nebeneinanderstehenden Machtapparate normativ geregelt werden sollte. Das Gesetz schrieb - verwaltungsrechtlich unsinnig 133 - der Partei die Stellung einer "öffentlichrechtlichen Körperschaft" zu, ohne den Aufgabenkreis dieser Körperschaft auch nur einigermaßen umfassend zu regeln. 134 Weiterhin unterstellte es die Mitglieder von NSDAP und SA für den Fall der Verletzung der ihnen obliegenden erhöhten Pflichten gegenüber Führer, Volk und Staat einer besonderen Partei- beziehungsweise SA-Gerichtsbarkeit, erkannte also die prinzipielle Eigenständigkeit der NSDAP gegenüber dem Staat an. Bedeutsam war darüber hinaus auch die in § 2 des Gesetzes getroffene Regelung, wonach der Stellvertreter des Führers 135 (Rudolf Hess) und der Chef des Stabes der SA 136 Mitglieder der Reichsregierung wurden. Als solchen mußten 130 Proklamation Hitlers auf dem NSDAP-Parteitag am 11.9.1935; in: Völkischer Beobachter, Münchener Ausgabe vom 12.9.1935, S. 2. 131 Dazu zutreffend und mwN Gruchmann, S. 204. 132 RGBI. 1933, Teil I, S. 1016. 133 Weil politisch und rechtlich bedeutsame Folgen mit diesem Status nicht verbunden waren (vgl. Gruchmann, S. 218, dort FN 59). 134 Bracher, Die deutsche Diktatur - Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln / Berlin 1973, weist denn auch richtigerweise darauf hin, das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat habe eine korrekte Klärung der Kompetenzverhältnisse staatlicher und parteibezogener Institutionen nicht herbeigeführt. 135 1933 geschaffene Amtsbezeichnung, als Hitler die Leitungsarbeit der NSDAP HeB übertrug (21.4.1933); hierzu Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich/ Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 737 ff. 136 Nach dem Röhm-Putsch am 30.6.1934 entfiel die Mitgliedschaft des SA-Chefs in der Reichsregierung.

A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

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ihnen sämtliche fertig ausgearbeiteten Gesetzesentwürfe zur Kenntnis gebracht werden. 137 Damit war eine Art Aufsicht der Partei über die Gesetzgebungsarbeit der Reichsregierung installiert worden, die es der P.O.138 im Zweifel ermöglicht hätte, ihre Vorstellungen direkt bei Hitler vorzubringen. Weil die Gesetzgebungsvorhaben im Umlaufverfahren abgestimmt wurden, 139 konnte sich der Stellvertreter des Führers (StdF) allerdings nicht direkt gegen die Bürokratie durchsetzen, so daß seine damaligen Eingriffsbefugnisse als insgesamt noch nicht sehr wirkungsvoll bezeichnet werden können: Nur Hitler hatte die Macht, den Reichsministerien den Parteistandpunkt aufzuoktroyieren. Hinzu kommt, daß auch die Reichsministerien in gewissem Umfang Kontrolle über die NSDAP ausübten: Dies geschah vor allem in bezug auf die Reichsstatthalter, alte Parteigenossen, die aber aufgrund des Gesetzes vom 7.4. 1933 140als unter Dienstaufsicht stehende Koordinationsorgane der Landesverwaltung eingerichtet wurden. Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat zementierte folglich vor allem die Trennung beziehungsweise gegenseitige Überwachung von Staatsund Parteiapparat. 141 Von einer Einheit bei der Institutionen kann demzufolge nur insoweit gesprochen werden, als Hitler Partei- und Staatsspitze in seiner Person vereinte, und der Staatsapparat Schritt für Schritt von NSDAP-Parteigängem unterwandert wurde: Fast sämtliche Stellen des höheren Beamtendienstes, darunter selbstverständlich die Reichsministerposten, waren mit Nationalsozialisten besetzt. Im übrigen waren die nach dem Gesetz vom 7.4. 1933 142 auf Länderebene eingesetzten Reichsstatthalter im Nebenamt meist gleichzeitig Parteigauleiter, so daß sich insoweit ein System von Personalunionen ausbildete. Eine beachtliche Änderung der soeben dargelegten Kontrollbefugnisse des StdF über die Reichsgesetzgebung brachte der Führererlaß vom 27. Juli 1934 143 mit sich. Dieser Hitler von Heß abgerungene Rechtsakt legte fest, daß dem Führerstellvertreter "sämtliche gesetzgeberischen Arbeiten und Verwaltungsentwürfe (bereits) in dem Zeitpunkt zuzuleiten" seien, "in dem sie die sonst beteiligten Reichsminister erhalten"; Heß erlangte also die Stellung eines bei jedem Gesetzesvorhaben förmlich beteiligten Reichsministers mit der Folge, daß ihm künftig schon Referentenentwürfe zwecks gegenseitiger Abstimmung zugeleitet 137 138 139 140

Vgl. § 38 der Gemeinschaftlichen Geschäftsordnung der Reichsministerien. Abkürzung für Politische Organisation. Damit gemeint ist die NSDAP. Siehe insoweit bereits vom A 11 3. Dazu siehe sogleich unter A 11 5. 141 Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, S. 138, spricht denn auch in Fußnote 8 davon, daß das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat eher den Titel "Gesetz zur Sicherung des Dualismus von Partei und Staat" verdient hätte. 142 Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 7.4. 1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 153 f.; dazu im einzelnen ebenfalls unter A 11 5. 143 Führererlaß vom 27.7 1934, unveröffentlicht, Abschrift in: Bundesarchiv (BA), Akte R 43 11/694.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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werden mußten. Er wurde somit bereits in einem Zeitpunkt beteiligt, in dem die Entwürfe noch eine interne Angelegenheit der jeweiligen Ressortministerien waren. Die "Bewegung" erhielt auf diese Weise deutlichere Einwirkungsmöglichkeiten auf den Gang der Gesetzgebung als bisher, ohne allerdings ihren Rechtsstandpunkt unabhängig von Hitlers Unterstützung durchsetzen zu können. Vom Führererlaß nicht beantwortet wurde die Frage, ob und in welcher Weise HeB bei dem Erlaß von Durchführungsverordnungen beziehungsweise Ausführungsbestimmungen zu beteiligten war. Im Zweifel mußte wegen der Atypik derartiger Mitwirkungsrechte von einer Nichtbeteiligung ausgegangen werden. Klarheit schuf die ergänzende Anordnung Hitlers vom 6. April 1935,144 der zufolge eine Beteiligung (nur) insofern zu erfolgen hatte, als die betreffenden Regelungen im Reichsgesetzblatt veröffentlicht werden sollten. Der Eindruck, daß die EinfluBnahmemöglichkeiten der Parteileitung auf die Staatsverwaltung im Laufe der Zeit insgesamt relativ bedeutend geworden sind, wird durch parteibezogene Mitwirkungsrechte im Beamtenrecht noch verstärkt. Nach dem Führererlaß vom 24.9.1935 145 . 146 hatte der Führerstellvertreter zur Ernennung und Beförderung aller Beamten des höheren Dienstes seine Stellungnahme abzugeben. 147. 148 Beamte, die Hoheitsträger der Partei oder Führer in ihren Gliederungen vom Standartenführer an aufwärts waren, durften seit 1937 nur mit Heß' Zustimmung versetzt werden. 149 Das Problem doppelter Weisungsunterworfenheit beamteter Partei mitglieder wurde im Deutschen Beamtengesetz (DBG) im Gegensatz zu den sonst relativ weitgehenden Parteibefugnissen auf dem Gebiet der "Menschenführung" allerdings eindeutig zugunsten des Staates gelöst. Die Beamten waren nur ihrem Dienstherren gegenüber zu Gehorsam und Verschwiegenheit verpflichtet. 150 Andererseits bestätigte die Durchführungsverordnung zum DBG 151 noch einmal die im Führererlaß vom 24.9. 1935 getroffene Regelung, wonach letztlich 144 In: Generalakten des Reichsjustizministeriums, BA, Akte R 22/12. 145 Führererlaß über die Beteiligung des Stellvertreters des Führers bei der Ernennung

von Beamten vom 24. September 1935, in: RGB!. 1935, Teil I, S. 1203. 146 Siehe noch den inhaltlich entsprechenden Führererlaß vom 10.7. 1937 über die Ernennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses, RGB!. 1937, Teil I, S. 769. 147 Bei Beamten des gehobenen, mittleren und einfachen Dienstes war hingegen die Stellungnahme des jeweiligen Gauleiters einzuholen. 148 Vgl. auch Mommsen, Beamtenturn im 3. Reich, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Nr. 13, Stuttgart 1967. 149 Gemäß § 35 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) vom 26.1.1937, RGB!. 1937, Teil I, S. 39 ff. 150 §§ 7, 8 DBG. 151 Verordnung zur Durchführung des Deutschen Beamtengesetzes vom 29.6.1937 (RGB!. 1937, Teil I, S. 669).

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

die Partei über die weltanschauliche Unbedenklichkeit der Beamtenanwärter zu entscheiden hatte. 152 In der Verordnung über die Vorbildung und die Laufbahn der Deutschen Beamten vom 28. 2. 1939 153 wurde sogar festgelegt, daß die Bewerber der Partei oder einer ihrer Gliederungen angehören oder angehört haben mußten. Die behandelten Rechtsetzungen belegen, wie unklar das Verhältnis der parteiamtlichen zu den staatlichen Gliederungen auf Reichsebene letztlich geblieben war. Eine Ausfüllung der meist generalklauselartig gehaltenen Normen blieb der Rechtswirklichkeit vorbehalten, wodurch sich das Darwinsche Prinzip des "survival of the fittest" verwirklichen sollte. Dabei war die ohnehin nicht an das geschriebene Recht gebundene "Bewegung" im Vorteil, zumal sich Ansätze zu einer Bevormundung des Staates durch die Partei bereits dem geltenden Recht entnehmen ließen. Eine Klärung führte auch nicht der Führererlaß über die Rechtsstellung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 12.12.1942 154 herbei, der das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat ersetzte. Dort hieß es lapidar, daß sich Rechte und Pflichten der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei aus den vom "Führer" gestellten Aufgaben und der dadurch bedingten organisatorischen Stellung ergäben. Weiterhin bestimmte der Erlaß, daß die Partei nach Maßgabe der für den Staat geltenden Vorschriften am Rechtsverkehr teilnehme, soweit nicht für sie eine Sonderregelung bestehe oder geschaffen werde. Ihre Stellung als außerhalb rechtsstaatlicher Bindungen stehende Organisation behielt sie demnach bei. Zieht man die verfassungsrechtliche Position der ja überwiegend gleichzeitig mit hohen Partei ämtern betraut gewesenen Reichsstatthalter 155 für eine Bewertung des Parteieinflusses auf das Reich mit heran, gilt folgendes: In ihrem Parteiamt waren die Statthalter keinerlei Einflußnahme des Staats - auch nicht des StdF - ausgesetzt, sondern als außerstaatliche Instrumente der Führergewalt ausschließlich Hitler unterstellt. 156 Dieser direkte Draht zum Führer konnte nur von 152 Zu § 25 DBG (der die Beamtenernennung davon abhängig macht, daß der Bewerber die Gewähr für ein jederzeitiges fÜckhaltloses Eintreten für den nationalsozialistische Staat bietet) heißt es in der DVO nämlich, daß die von dieser Nonn verlangte Entscheidung nach Anhörung der durch Anordnung des Führerstellvertreters mit der Ausstellung von politischen Begutachtungen beauftragten Hoheitsträgers der NSDAP von den zuständigen Parteidienststellen getroffen werde. 153 Verordnung über die Vorbildung und Laufbahn der Deutschen Beamten vom 28.2.1939, RGBI. 1939, Teil I, S. 371. 154 Führererlaß über die Rechtsstellung der NSDAP vom 12. 12. 1942, RGBI. 1942, Teil I, S. 733. 155 Nach Benz. Partei und Staat im 3. Reich, in Broszat / Möller, Das 3. Reich, S. 69, amtierten von insgesamt 30 Partei gau leitern der NSDAP im Reichsgebiet sechs gleichzeitig als Oberpräsidenten preußischer Provinzen, 10 waren Reichsstatthalter, 2 (Goebbels und Bernhard Rust) waren Reichsminister. 156 Zutreffend Gruchmann. S. 207.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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Vorteil sein, wenn man bedenkt, daß die Reichsminister generell nur über den Chef der Reichskanzlei Zugang zur Machtzentrale hatten. Im übrigen muß man berücksichtigen, daß sich die Statthalter auch in ihrem Staatsamt in erster Linie als Parteiangehörige fühlten, eine Identifikation mit dem Beamtenapparat also kaum stattfand. Die Reichsstatthalter in den 1939 neu geschaffenen Gauen Danzig-Westpreußen und Posen 157 erhielten darüber hinaus die von Hitler erteilten "Sonderermächtigungen" zur weitgehend selbständigen Erledigung zugewiesen und waren deshalb im wesentlichen unabhängig von den obersten Reichsbehörden. 158 Der Parteieinfluß auf den Staat war daher nach allem wohl stärker als umgekehrt die Einflußnahmemöglichkeiten der Verwaltung auf die "Bewegung".159 Bislang nicht behandelt worden ist die Frage nach Art und Umfang des Einbaues der NSDAP in die Kreis- und Gemeindeverwaltung des Deutschen Reiches. Hiervon soll nunmehr die Rede sein. Die Vollendung der Machtergreifung bot vielen Parteifunktionären Gelegenheit, Staatsämter zu übernehmen, denn zuvor waren vielerorts nichtnationalsozialistische Landräte und Bürgermeister aus ihren Amtsstuben verjagt worden. 160 Beliebt wurden diese Posten vor allem wegen ihres Versorgungscharakters, denn sie sicherten den Lebensunterhalt ihres Amtsinhabers weitgehend ab. 161 Bald stellten sich jedoch Probleme ein: Den "alten Kämpfern" der NSDAP fehlte es häufig an Erfahrung und Intellekt, um einen Verwaltungsapparat leiten zu können. 162 Konnte somit in der ersten Zeit nach 1933 von einer Institutionalisierung der Partei im Staatsapparat der Kreis- und der Kommunalinstanz gesprochen werden, so änderte sich dies relativ kurzfristig. Laut einer Parteistatistik waren am 1. Januar 1935 im gesamten Reichsgebiet von den 51671 Bürgermeistern nur 187 zugleich Kreisleiter und 3963 zugleich Ortsgruppen- bzw. Stützpunktleiter der NSDAP; 163 von insgesamt 827 Kreisleitern der NSDAP hatten am selben Stichtag lediglich 69 zugleich Landratsposten und 187 Oberbürgermeister- bzw. Bürger157 Siehe hierzu im einzelnen unter A 11 5. 158 Vgl. Gruchmann, S.209 m. W.N. 159 Wenn Benz in Broszat / Möller, Das 3. Reich, S. 70, zu dem Ergebnis kommt, daß die mit Staatsämtern versorgten Parteigauleiter insgesamt wenig Einflußnahmemöglichkeiten besaßen, mag dies nach dem formellen Verfassungszustand stimmen. Benz berücksichtigt aber nicht die Verfassungswirklichkeit. 160 v. Mutius, Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: Jeserich / Pohl / von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4 , S. 1055 ff., 1066. 161 Vgl. Diehl-Thiele, Partei und Staat im 3. Reich, S. 176. 162 Dies räumten führende Parteifunktionäre selbst ein: Siehe Brief des thüringischen Gauleiters und Reichsstatthalters Fritz Sauekel an den Reichsinnenminister vom 9.4.1934; Abschrift in: Bundesarchiv, Akte NS 22/vorl. 618. 163 Vgl. "Parteistatistik" , München 1935; diesbezüglich abgedruckt bei Diehl-Thiele, S.140.

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meisterstellen inne: 164 Anders als auf Länderebene 165 kam es in Kreisen und Gemeinden demzufolge nicht durchgängig oder nur vorübergehend zu Personalunionen in Staats- und Partei amt. Im Gegenteil nahm die Zahl der Personalunionen nach 1935 noch weiter ab. Der "Führer"stellvertreter befahl sogar am 19.2.1937 die generelle Aufhebung aller zwischen Kreisleitung und Landrats-, Oberbürgermeister- und Bürgermeisteramt bestehenden Ämterverbindungen bis zum 1. Oktober des gleichen Jahres. 166 Reichsinnenministerium wie auch Parteileitung 167 achteten nun gemeinsam darauf, daß die wegen der "außerordentlichen Machtbefugnis der Vereinigung des politischen Amtes und der kommunalen Spitze" 168als gefährlich geltenden Ämterkonzentrationen in den unteren Verwaltungsinstanzen aufhörten. 169 Während in der Kreisinstanz bis 1945 keine umfassende normative Festlegung der Eingriffsbefugnisse der Partei auf die Staatsverwaltung erfolgte, läßt sich bezogen auf die Kommunen eine solche innerhalb der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) vom 30. Januar 1935 170 finden. Nach der DGO wurde der Parteieinfluß über einen sog. Beauftragten der NSDAP 171 sichergestellt, der als eine außerhalb der Gemeindeverwaltung stehende Kontrollinstanz ausgebildet wurde. Dem Beauftragten der NSDAP stand ein Zustimmungsrecht zur gemeindlichen Hauptsatzung (einer Art Gemeindeverfassung) sowie das Recht zu, Ehrenbürgerrechte zu verleihen. 172 Wirkungsvoll waren daneben die Einflußnahmemöglichkeiten der Partei auf die Besetzung der Posten von Bürgermeistern, Gemeinderäten und Beigeordneten. 173 Das Verfahren für 164

"Parteistatistik", München 1935; diesbezüglich abgedruckt bei Diehl-Thiele,

S.174.

Siehe soeben: Personalunion in bezug auf das Reichsstatthalteramt. Anordnung Nr. 69/37 des Stellvertreters des Führers vom 19.2. 1937, in: Bundesarchiv, Akte NS 25/417; zu diesem Themenkomplex auch Mommsen, Beamtenturn im 3. Reich, 1966, S. 108 ff., 123 ff. 167 Beweggrund für die Zustimmung der Parteileitung zu diesem Verbot dürfte vor allem gewesen sein, daß sich ihre in die Personalunionen gesetzte Erwartungen nicht erfüllt hatten. Viele nationalsozialistische Bürgermeister hatten sich nämlich zunehmend von der NSDAP emanzipiert und ein politisches Gegengewicht entwickelt (Nachweise bei D. Rebentisch, Die politische Stellung der Oberbürgermeister 1933-45, in: Hans Schwabe (Hrsg.), Oberbürgermeister, 1981, S. 143 ff.) Es war also durchaus nicht sicher, daß Personalunionen stets den gewünschten Parteieinfluß auf die Verwaltung herbeiführten. 168 Vgl. Die nationalsozialistische Gemeinde, Folge 14 vom 15.7.1934, S. 351. 169 Der nationalsozialistische Oberbürgermeister von Halle, Weidemann, sprach ausdrücklich davon, daß "in den Gemeinden die Einheit von Partei und Staat nicht mehr buchstäblich durch Personalunion verwirklicht werden kann, sondern zu einem Einklang von Partei und Staat werden muß;" Weidemann, in: Der Gemeindetag 1935, Heft 9 vom 165

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1.5.1935, S. 268. 170 RGBI. 1935, Teil I, S. 49 ff. 171 Vgl. § 611 DGO. 172 § 33 I DGO.

H. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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die Berufung der leitenden hauptamtlichen Gemeindebeamten kennzeichnen folgende Stichworte: 174 öffentliche Stellenausschreibung, 175 Weiterleitung der Bewerbungen an den Parteibeauftragten, nichtöffentliche Sitzung des Parteibeauftragten mit den Gemeinderäten, Vorschlag von bis zu drei Bewerbern, Berufung durch die Aufsichtsbehörde aufgrund der Vorschläge des Parteibeauftragten 176 und schließlich formelle Ernennung durch die Gemeinde; bei Ablehnung des oder der Bewerber wurde das Verfahren wiederholt; führte es zu dem gleichen Ergebnis, entschied die Aufsichtsbehörde (in der Regel der Landrat); 177 welche von mehreren Bewerbern als Kandidaten auf die Vorschlagsliste gesetzt wurden, richtete sich vor allem nach ihrer "nationalen Zuverlässigkeit", 178 hierüber zu befinden war vornehmlich Aufgabe der Partei. 179 Bei der Auswahl der kommunalen Leitungsbeamten sprach die NSDAP folglich ein gewichtiges Wort mit: Sie konnte ihr genehme Kandidaten auf die der Aufsichtsbehörde zuzusendenden Vorschlagsliste setzen, war also im Regelfall in der Lage, eine Kandidatenvorauswahl zu treffen. 180 Nur im Fall zweimaliger Ablehnung der Vorschlagsliste ging das Elektionsrecht auf die Kommunalaufsichtsbehörde über. Aber auch dies reichte der Partei nicht aus. Deshalb griffen die NSDAPBeauftragten zu dem Mittel, den Aufsichtsbehörden jeweils nur einen Kandidaten vorzuschlagen, wodurch die Entscheidung der staatlichen Instanzen präjudiziert war. 181 Eine auf Druck des Reichsinnenministers noch 1935 vom Stellvertreter des Führers erlassene Anweisung, die drei Kandidaten umfassende Vorschläge verbindlich vorschrieb, 182 wurde nach scharfem Widerspruch in der Partei wieder Zu deren Funktion nach der DGO siehe unten A H 7. Siehe im einzelnen § 41 DGO. 175 Sie war nur für hauptamtliche Stellen grundSätzlich vorgeschrieben, konnte aber auch insoweit im Ausnahmefall entfallen. 176 Die Entscheidung wurde mit zunehmender Größe und Bedeutung der Gemeinde auf höherer Ebene gefällt: Bei Bürgermeistern, Ersten Beigeordneten und Stadtkämmerern von Stadtkreisen über 100 000 Einwohner lag sie beim RMdI, bei den anderen Beigeordneten in diesen Städten sowie den Bürgermeistern und Beigeordneten in den übrigen Stadtkreisen beim Reichsstatthalter, sonst in der Hand der übrigen Aufsichtsbehörden. 177 Vgl. im einzelnen die Regelungen des § 33 der 1. DVO zur DGO vom 22.3.1935 (RGBI. 1935, Teil I, S. 393). 178 So § 51 12 DGO. 179 Die Art und Weise, in der die "nationale Zuverlässigkeit" ennittelt wurde, war dabei innerhalb der regionalen Parteigliederungen unterschiedlich. In Sachsen wurde z.B. ein Bewerber grundsätzlich nur dann akzeptiert, wenn er eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung des (Partei-)Amtes für Kommunalpolitik beibrachte: BA, Akte NS 25/85. 180 Zutreffend Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, 1970, S. 262. 181 Nachweise bei Matzerath, S. 264. 182 Anweisung Nr. 2 (des Stellvertreters des Führers) an die Beauftragten der NSDAP in der Gemeinde; siehe Nationalsozialistische Gemeinde, 3. Jahrgang 1935, S. 474. 173

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aufgehoben; 183 die NSDAP-Beauftragten argumentierten dahingehend, daß die Aufsichtsbehörden im Fall bestehender Auswahlmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten letztlich allein über die Person des Gemeindeleiters entscheiden könnten. Dem stehe jedoch entgegen, daß die Aufgaben der "Menschenführung" 184 allein von der Partei wahrzunehmen seien. Folge der fortdauernden Parteidominanz im Besetzungsverfahren der BürgermeistersteIlen konnte im Einzelfall - je nach Durchsetzungsvermögen des schließlich ernannten Bewerbers - eine latente persönliche Abhängigkeit des "Gemeindeleiters" von den örtlichen NSDAP-Dienststellen werden. Nach dem Gesetzeswortlaut der DGO allerdings sollte der Bürgermeister - erst einmal ernannt - die tägliche Verwaltungsarbeit "in voller Verantwortung" führen, 185 Gesetzeszweck war also gerade die Verhinderung derartiger Einflußnahmen. Doch auch insoweit sah die Verfassungswirklichkeit anders aus. 186 Nachzutragen bleibt noch, daß als "Beauftragte der NSDAP" hauptsächlich Kreisleiter eingesetzt wurden, 187 fast nie demgegenüber Ortsgruppenleiter. Dies hängt augenscheinlich mit den vorherrschenden parteiamtlichen Bedenken gegen eine Personalunion innerhalb der Gemeindeebene zusammen. Somit ist zu konstatieren, daß die Partei in den Gemeinden ebenfalls recht starke politische Gestaltungsmöglichkeiten besaß, wenn vielleicht nicht in der Theorie, so jedenfalls aber in der Praxis des Verfassungslebens.

s. Gleichschaltung der Länder und Schaffung einer "Reichsmittelinstanz" Auf Hitlers von Anfang an verfolgtem Weg der Machtkonzentrierung bildete bereits das "Ermächtigungsgesetz" vom 24.3.1933 eine wichtige Wegmarke. Es hatte Hitler Mittel zu einem umfassenden Umbau des Rechtssystems in die Hände gegeben, indem es die Weimarer Reichsverfassung in wesentlichen Bereichen suspendiert hatte. Nur Reichstag, Reichsrat und Reichspräsidium waren als oberste Staatsorgane danach noch in ihrer Existenz geschützt worden.

183 Anordnung Nr. 54/36 des Führerstellvertreters vom 26.3.1936; in: Nationalsozialistische Gemeinde, 4. Jahrgang 1936, S. 272. Es waren nunmehr nur noch bis zu drei Bewerber vorzuschlagen, bei hauptamtlichen Bürgermeisterstellen "nach Möglichkeit" drei, bei ehrenamtlichen ,je nach Vorhandensein" ein bis drei Bewerber. 184 Damit waren alle die Auswahl und Überwachung sowie personelle "Führung" von Beamten betreffenden Befugnisse gemeint. 185 Siehe § 32 I DGO. 186 Nachweis bei Matzerath, S. 229 ff., insgesondere S. 247 ff. 187 Dazu Diehl-Thiele, 180; v. Mutius in Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 1071.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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a) Das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der liinder mit dem Reich

So machte der Reichskanzler schon am 31. März 1933 von der in Art. 11 des Ermächtigungsgesetzes enthaltenen Befugnis, bei der Beschlußfassung von Gesetzen von der Reichsverfassung abzuweichen, Gebrauch, als er das "Vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" 188 verkündete. Das Gesetz vom 31.3.1933 griff nämlich erheblich in die vorhandene Struktur der Länder ein, da es u. a. die Länderregierungen - in Angleichung an den auf Reichsebene vorhandenen Rechtszustand - für befugt erklärte, ohne Parlamentsbeteiligung Landesgesetze zu erlassen (§ 1). Damit war zugleich das bislang zwingende Budgetbewilligungsrecht der Landtage entfallen. Darüber hinaus befreite das Gesetz die Landesregierungen von ihrer Verfassungsbindung, wenngleich der Fortbestand der Landtage garantiert wurde (§ 2). Allerdings soliten gern. § 4 die Volksvertretungen der Länder mit Ausnahme des erst am 5. März 1933 gewählten preußischen Landtags aufgelöst und auf der Grundlage der Stimmenzahlen, die bei der letzten Reichstagswahl innerhalb eines jeden Landes auf die Wahlvorschläge entfallen waren, neu zusammengesetzt werden. An eine Neuzuteilung der Sitze von KDP und SPD 189 war nicht mehr gedacht. Obwohl aufgrund einer Verwaltungsanweisung Fricks die Neustrukturierung der Landesparlamente unterblieb, 190 war damit nicht etwa einem neuen "Länderpartikularismus" Vorschub geleistet worden, denn die Landtage besaßen nach dem 31. 3.1933 keinerlei Reservatsrechte mehr. b) Gesetz zur Gleichschaltung der liinder mit dem Reich

Das Reichsgesetz vom 7.4.1933 zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich 191 (2. Gleichschaltungsgesetz) bedeutete einen ersten Schritt zur Beschränkung der Länderhoheitsrechte und zur stärkeren Anbindung der Länder an das Reich. Durch dieses Gesetz wurde die Bestellung von Reichsstatthaltern in allen außerpreußischen Ländern geregelt (in Preußen war der Reichskanzler selbst Reichsstatthalter, konnte aber - was er auch alsbald tat - diese Rechte auf die Landesregierung, welche inzwischen von Göring geführt worden war, übertragen), §§ 1, 8. Die Reichsstatthalter traten an die Stelle der bisherigen Reichskommissare und waren sämtlich alte Parteifunktionäre. Ihre Stellung entsprach der einer Kontrollinstanz über die Landesregierung, in die laufende Verwaltung auf Landesebene waren die Reichsstatthalter demzufolge nicht eingebunden. RGBI. 1933, Teil I, S. 153 f. Zwar regelte § 4 des Gesetzes nur den Ausschluß der KPD-Stimmen, für die SPDStimmen griff aber das Gesetz vom 7.7.1933 (RGBI.1933, I, S.471; siehe oben 2.) ein, das die Partei verbot. 190 Vgl. A. Köttgen. Die Entwicklung des öffentlichen Rechts in Preußen, in Jahrbücher für öffentliches Recht, Band 22, 1935, S. 284. 191 RGBI. 1933, Teil I, S. 173. 188 189

4 Bachnick

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Zu den den Reichsstatthaltern nach dem 2. Gleichschaltungsgesetz zustehenden Befugnissen gehörten die Ernennung und Entlassung des Vorsitzenden der Landesregierung bzw. auf dessen Vorschlag der übrigen Mitglieder der Landesregierung, die Auflösung des Landtags einschließlich der Anordnung der Neuwahl sowie auf Vorschlag der Landesregierung die Ernennung und Entlassung der unmittelbaren Staatsbeamten und Richter der Länder, soweit sie bisher durch die Landesregierung erfolgt war (§ 1). Daneben besaßen die Reichsstatthalter, die vom Reichspräsidenten auf Vorschlag des Reichskanzlers ernannt und entlassen wurden, die Aufgabe, für die Beachtung der Leitlinien der Reichspolitik im Land zu sorgen, § 1 I. Es war desweiteren die ausdrückliche personelle Trennung des Reichsstatthalteramtes von der Landesregierung geregelt (§ 2). Von einer Übernahme der Verwaltungskompetenzen auf Länderebene durch die Statthalter konnte zum damaligen Zeitpunkt also noch nicht gesprochen werden. Immerhin waren die Reichsstatthalter aber befugt, an den Sitzungen der Landesregierung teilzunehmen und dort jederzeit den Vorsitz zu übernehmen: Damit konnten sie die Instruktionen der Landesregierung für ihre Vertretung im Reichsrat maßgeblich beeinflussen und also die Entschließungen des Reichsrats im Sinne der Reichspolitik ausrichten. 192 Der seit dem 7.4. 1933 bestehende Rechtszustand läßt sich so charakterisieren, daß das Reich einen entscheidenden Einfluß auf die Staatsführung der Länder erlangt hatte. Es konnte über den Reichsstatthalter die Führung der Landespolitik beeinflussen. Die Landeshoheit blieb als solche zwar vorläufig noch erhalten, 193 d. h. die Länder besaßen nach wie vor originär eigene Hoheitsbefugnisse. 194 Jedoch hatten die Landesregierungen wichtige Zuständigkeiten an die Reichsstatthalter abgeben müssen (etwa Ernennung und Entlassung der unmittelbaren Staatsbeamten der Länder), so daß man in der Tat davon sprechen kann, daß die Länder in völlige Abhängigkeit zum Reich traten. 195 Wenn auch der Weimarer Bundesstaat schon seit den Gleichschaltungsgesetzen von März / April 1933 nicht mehr existierte, so war damit doch erst der erste Zutreffend Schom, S. 55. Zutreffend Stuckart / Schiedermair, Der neue Reichsaufbau, in: Neugestaltung von Recht und Wirtschaft, Heft 13.1, 19. Aufl., 1944, S. 20; vgl. auch Krüger, Die Verfassung der nationalsozialistischen Revolution, 2. Aufl., 1933, Dresden, S. 42 ff. 194 Wegen dieses Umstandes ist auch die in der damaligen Zeit umstrittene Frage, ob die deutschen Länder schon aufgrund der beiden Gleichschaltungsgesetzte von 1933 ihrer Eigenstaatlichkeit verlustig gegangen sind, zu verneinen. Die Länder waren wie bis dahin Träger aller einen Staat kennzeichnenden Funktionen (Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt). Für "Entstaatlichung" z.B. C. Schmitt, Reichsstatthaltergesetz, S. 11. Koellreutter, Nationale Revolution und Reichsreform, S. 11, ders., Deutsches Verfassungsrecht, S. 107; Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reichs, S. 326. Dagegen: Krüger, Die Verfassung der nationalsozialistischen Revolution, 2. Aufl. 1933, S. 45 ff., 46; Nicolai, Der Neuaufbau des Reichs nach dem Reichsreformgesetz vom 30.1.34 (Recht der nationalsozialistischen Revolution, Band 9), S. 46/47; Molls, Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, S. 117 f. 195 Vgl. Schom, S. 55. 192 193

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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Schritt zu einer viel weitergehenden Zentralisierung getan worden. Hitler hatte dies bereits auf dem NSDAP-Reichsparteitag von 1933 angekündigt: 196 "Weder Preußen, noch Bayern, noch irgendein anderes Land" sollten noch ,,Pfeiler des heutigen Reiches" sein, sondern nur "das deutsche Volk und die nationalsozialistische Bewegung". Er wolle, so sagte er damals, nicht der Konservator der Länder der Vergangenheit, sondern ihr Liquidator zugunsten des Reiches der Zukunft sein. Nichts geringeres als die Existenz der Länder selbst stand somit in Frage. c) Gesetz über den Neuaujbau des Reiches und Erste Verordnung über den Reichsneuaujbau

Mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. 1. 1934,197 ergänzt durch die Erste Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 2.2.1934,198 wurde der Pfad der Unitarisierung zügig weiterbeschritten. Nach § 1 des aus Gründen der formellen Legitimität 199 Reichstag und Reichsrat zur Verabschiedung vorgelegten 200 Reichsneuaufbaugesetzes gingen alle Hoheitsrechte der Länder auf das Reich über. Hiervon betroffen waren vor allem die Selbstverwaltungsaufgaben, aber auch die Personal- bzw. Organisationshoheit der Länder über ihre Beamten und Verwaltungsbehörden. 201 Den Länderbehörden wurden diese Rechte allerdings durch § 1 der Ersten Neuaufbauverordnung zur Ausübung "im Auftrage und Namen des Reiches" zurückübertragen, solange und soweit das Reich sie nicht - durch entsprechende reichsrechtliche Regelung - in eigene unmittelbare Reichsverwaltung übernahm. In der Sache erledigten also die Länderbehörden die ihnen bis dahin zugestandenen Hoheitsaufgaben auch weiterhin, doch war erstens das Reich befugt, Aufgaben der Länderverwaltung auf reichseigene Fachbehörden überzuleiten und waren zweitens die bisher landeseigenen Hoheitsrechte nunmehr vom Reich abgeleitet. 202 Die Länder waren insoweit ihrer staatlichen Funktionen entkleidet worden, 196 Eröffnungsproklamation Hitlers vom I. September 1933, abgedruckt in: Paul Meier-Benneckenstein (Hrsg.), Dokumente der Deutschen Politik, Band I: Die nationalso-

zialistische Revolution 1933, Berlin 1939, S.91. 197 RGBI. 1934, Teil I, S. 75. 198 RGBI. 1934, Teil I, S. 81. 199 Daraus machte man schon damals keinen Hehl: Vgl. E.R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Auflage 1939, S. 49. 200 Da am 30. I. 1934 - nach Auflösung der übrigen Parteien - nur noch NSDAPAbgeordnete dem Reichstag angehörten, wurde das Gesetz "einmütig", vgl. den Gesetzesvorspruch!, d. h. einstimmig, verabschiedet; siehe Bracher / Sauer / Schutz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1960, S. 598. 201 A. Köttgen, Vom Deutschen Staatsleben, Jahrbuch des öffentlichen Rechts, NF. Band 26, S. 100. 202 So auch F.A. Medicus, Reichsverwaltung und Landesverwaltung, S. 5; Stuckart / Schiederrnair, S. 49. Anmerkung: Streng genommen paßt auch der Begriff "abgeleiteter" Hoheitsrechte 4*

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsautbau zwischen 1933 und 1945

ihnen fehlte jegliche originäre Herrschaftsgewalt. Sie stellten nur noch "Verwaltungsbezirke" des Reiches 203 dar. Aus den Länderbehörden waren demzufolge Organe der Reichsverwaltung geworden. 204 Allerdings verblieben den Ländern auch nach dem Reichsneuautbaugesetz die nicht hoheitsrechtlichen Befugnisse. Die Länder waren also weiterhin Träger eigenen Vermögens und eigener Unternehmungen. 205 Sie blieben daher als juristische Personen ohne Selbstverwaltungsrechte bestehen. 206 Darüber hinaus oblag den Ländern wie bis dahin die Besoldung der Landesbeamten. Heftig umstritten und von Begriffsverwirrung und Ungenauigkeiten geprägt war in der rechtswissenschafltichen Literatur der NS-Zeit die Frage, ob hinsichtlich der den Länderbehörden zurückübertragenen ehemaligen Hoheitsrechten der Länder "Auftragsverwaltung" vorliege oder nicht. Schon die 1. NeuaufbauVO nährte diese Verwirrung, indem nach deren § 1 den Länderbehörden die Wahrnehmung der auf das Reich übergegangenen Hoheitsrechte zur Ausführung "im Auftrage und Namen des Reiches" übertragen wurde. Hierauf aufbauend sprach Holtz 207 davon, daß das äußere Bild der Aufgabenerledigung der Länderbehörden für das Reich dem einer typischen Auftragsverwaltung, wie sie ... schon lange bestand, entspreche. Ernig 208 und Nicolai 209 waren der Meinung, die Länderjustizverwaltungen hätten die Rechtspflege als "Auftragssache" bzw. als "Auftragsverwaltung" bis zur endgültigen Übernahme durch das Reich weitergeführt. nicht, denn er impliziert, daß die betreffenden Rechte auf die Länder als juristische Personen zurückübertragen wurden; das war aber nicht der Fall, die Hoheitsrechte waren nur noch Reichsrechte. 203 Becker, Die Rechtsstellung der deutschen Länder in der Gegenwart, in: Zeitschrift f. d. ges. StW, Band 97, (1937), S. 462 ff.; Nicolai, Neubau des Reichs ... , S. 48; Frick, Nr.75 des Völkischen Beobachters, Süddeutsche Ausgabe 1935; derselbe, Deutsche Verwaltung, 1937, S. 161; Dennewitz, Verwaltung und Verwaltungsrecht (Wien 1944), S. 56; Hoegner, Lehrbuch des Bayer. Staatsrechts, 1949, S. 17; v. Mangoldt, Grundsätzliches zum Neuautbau einer deutschen Staats-Gewalt, Gesetz-und-Recht-Verlag, Hamburg 1947; Kollmann, Zur Frage der Staatsaufsicht über Körperschaften des öffentlichen Rechts (Bay VBI 1957, S. 107); zu eng Zink, S. 101. 204 So auch Zink, in: "Die Rechtsstellung und Rechtsnatur der deutschen Länder in der Zeit von 1933-1945", Dissertation Erlangen / Nürnberg 1961, S.75 und Entwurf des Reichsinnenministeriums zu einer amtlichen Begründung des Gesetzes zur Überführung der Landesbeamten in den Reichsdienst vom 29.12.1936; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1310, BI. 11 ff., 11. 205 Zink, S. 95; Molls, Auftragsverwaltung in Reich und Ländern, S. 130; vgl. auch Köttgen, Vom deutschen Staatsleben, Jahrbuch d. öffentlichen Rechts, NF. Band 26, S.99. 206 Zink, S. 109; K. Riedl, Die neue Stellung der Länder ... , DVBI. 1935, S. 468. 207 Holtz, Die Rechtsnatur der deutschen Länder, DVerw 1934, S. 195/96. 208 Emig: Der Neuautbau des Reichs, DVBI. 82 (1934), S. 305 ff., 315/316.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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Nach Markmann 210 waren die Aufgaben der Länder "Auftragsangelegenheiten"; Tatarin-Tranheyden 2ll sprach davon, daß es sich hierbei um"Auftragsangelegenheiten" handelt, bei deren Erfüllung die Länder der "Dienstaufsicht" des Reiches unterstünden. Entgegen diesen Autoren kann jedoch von einer Auftragsverwaltung im klassischen Sinn nicht ausgegangen werden. Typisch hierfür wäre das bloße Bestehen von Fachaufsichtsrechten des Reiches gegenüber den die Reichsaufgaben "auftragsweise" ausführenden "Länderbehörden" gewesen. Die obersten Reichsbehörden besaßen aber gegenüber den Behörden der Länder über die Fachaufsicht hinaus volle Dienstaufsicht und uneingeschränkte Weisungsbefugnisse. 212 Dies folgt zwar noch nicht zwingend aus § 4 der Ersten NeuautbauVO, der nicht ausdrücklich dem Reich auch die personelle Dienstaufsicht über die "Länderbehörden" überträgt; diese Norm ist ihrem Aufbau nach auf die Fachaufsicht, d. h. auf die Weisungsgewalt des Reiches in fachlichen Angelegenheiten, zugeschnitten, die sie den jeweils zuständigen Reichsfachministern zuerkennt. Doch unterstanden nach Art. 2 11 des Reichsneuautbaugesetzes die Landesregierungen der Reichsregierung, was zur Folge hatte, daß die Reichsregierung nicht nur gegenüber den Landesministern selbst Maßnahmen der Dienstaufsicht (etwa Versetzungen, Gehaltskürzungen) ergreifen, sondern diese auch zu entsprechenden Maßnahmen gegenüber der ihnen nachgeordneten Behörden bzw. Beamten anweisen konnte. 213 Das Unterstellungsverhältnis der Länder unter das Reich war damit unbeschränkt, es urnfaßte die volle fachliche wie dienstrechtliche Aufsicht über die "Länderbehörden",214 eine Selbstverwaltung der Länder bestand nicht mehr. Somit fehlte den Länderbehörden jene Selbständigkeit im Rahmen der Entscheidungsfindung, wie sie für die Auftragsverwaltung typisch ist: Der Verwaltungsträger trifft bei Bestehen von Auftragsverwaltung die sachliche Entscheidung grundsätzlich selbst. 215 Sie kann ihm nicht im Vorfeld der Entscheidung von oben aufgenötigt werden. 216 Da das Reich aber unbeschränkte Anweisungsgewalt besaß, konnte es sehr wohl im Einzelfall die fachliche Entscheidung an sich ziehen. 209 Nicolai, Neuaufbau des Reichs nach dem Reichsrefonngesetz vom 30. 1.34, S. 55 - erschienen in der Schriftenreihe "Das Recht der nationalen Revolution", Heft 9, Heymanns-Verlag, Berlin 1934. 210 Markmann, Staat und Gemeinde, S. 4. 211 Tatarin-Tamheyden, Werdendes Staatsrecht, S. 45,47. 212 Zutreffend Molls, S. 130; Nicolai, Neuaufbau des Reiches nach dem Reichsrefonngesetz ... , S. 64; Stuckart / Schiedermair, S. 77. 213 Zutreffend Nicolai, Neuaufbau des Reiches nach dem Reichsrefonngesetz vom

30. 1.34, S. 64.

214 So auch Zink, S. 134.

215 216

Zink, S. 78. Molls, S. 131.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Die aus § 4 der Ersten Neuaufbau va folgende fachliche Dienstaufsicht bestand nicht nur gegenüber den Landesregierungen, sondern gegenüber allen Landesbehörden; die Reichsregierung konnte danach sogar unter Umgehung des zuständigen Landesministers jeder mittleren und unteren Landesbehörde über deren Leiter fachliche Anweisungen geben. 217 Unbeschadet der unbeschränkten Anweisungsgewalt des Reiches über die "Länderbehörden" konnten auch deren Leiter aufgrund ihrer Stellung als Dienstvorgesetzte allen nachgeordneten Beamten fachliche und personelle Weisungen erteilen. Insoweit übten die Leiter der Länderbehörden aber nur abgeleitete Hoheitsbefugnisse des Reiches aus, und ihre Weisungen konnten von den obersten Reichsbehörden jederzeit abgeändert oder aufgehoben werden. Zu der Problematik, ob sich die Aufgabenerledigung nach § 1 Reichsneuaufbauverordnung als mittelbare oder als unmittelbare Reichsverwaltung klassifizieren läßt, kann angesichts der Atypik des damaligen Rechtszustandes nur schwer Stellung bezogen werden. Für die Entscheidungsfindung ausschlaggebend ist, ob die Landesbeamten nur noch das Reich oder neben diesem auch noch das Land zum Dienstherren hatten. 218 Gegen die Annahme fortbestehender Dienstherreneigenschaft der Länder läßt sich anführen, daß mit allen anderen Hoheitsrechten auch die Länderpersonalhoheit auf das Reich übergegangen und nur den Landesbehörden (also nicht den Ländern) ausführungshalber rückübertragen worden war. Sofern man also überhaupt annimmt, daß den Ländern noch Hoheitsrechte im Bereich der Personalverwaltung zustanden, waren diese Rechte aber jedenfalls vom Reich abgeleitet. Andererseits blieben die Länder als juristische Personen bestehen. Sie waren überdies wie bisher befugt, Beamte einzustellen oder zu entlassen, wenn auch nur im Einvernehmen mit dem Reich. 219 Von letztlich entscheidender Bedeutung ist, daß eine förmliche Überleitung und Eingliederung der Länderbeamten in die Reichsbeamtenschaft entsprechend § 22 des Gesetzes vom 30.6.1933 220 1934 noch nicht stattfand. Neben dem Reich besaßen also auch noch die Länder Dienstherrenfähigkeit, die Länderbeamten waren demzufolge mittelbare Reichsbeamte. Ihre bisherigen Selbstverwaltungsaufgaben führten die Länder folglich in mittelbarer Reichsverwaltung aus. 221 Molls, S. 129. Vgl. W. Wiese, Beamtenrecht (Lehrbuch), Handbuch des öffentlichen Dienstes, Band II, Teil 1, 3. Aufl., 1988, S. 59 f. 219 Vgl. Nicolai, Neuautbau des Reiches, S. 64. 217

218

220 Gemeint ist das "Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts" vom 30.6.1933; RGBl. 1933, Teil I, S. 433. 221 Für mittelbare Reichsverwaltung auch Zink, S. 44; Nicolai, Neuaufbau des Reiches, S. 53;H. Frank, Deutsches Verwaltungsrecht, 1937, S. XVI.

II. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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Weitere bedeutsame Änderungen in bezug auf das Verhältnis der Länder zum Reich enthielten Art. 3 des Reichsneuaufbaugesetzes, der auch die Reichsstatthalter der vollen Dienstaufsicht des Reichsinnenministeriums unterstellte - wobei allerdings die Befugnisse der Reichsstatthalter gegenüber dem Gesetz vom 7.4.1933 grundsätzlich unverändert blieben -, § 3 I der Ersten Neuaufbauverordnung, demzufolge Landesgesetze (genau genommen handelt es sich wegen des Übergangs sämtlicher Hoheitsrechte der Länder auf das Reich um in ihrem örtlichen Geltungsbereich beschränkte Reichsgesetze)222 von der Landesregierung nur noch mit Zustimmung des zuständigen Reichsfachministers erlassen werden durften, und § 5 der Ersten NeuautbauVO, der dem Reich ein weiteres Stück Ausübung von Personalhoheit über die "Länderbeamten" übertrug, indem er die Versetzung von Landesbeamten zum Reich und umgekehrt zuließ. (Demgegenüber blieben die Landesbehördenleiter zuständig zur Umsetzung von Landesbeamten innerhalb der jeweiligen Behörde, auch die V ersetzung von einer Landesin eine andere Landesbehörde blieb den obersten Länderbehörden "im Auftrag nach Weisung des Reichs" zugewiesen. Aufgrund ihrer uneingeschränkten Anweisungsgewalt konnten aber die obersten Reichsbehörden die einzelnen Landesbehördenleiter auch zu derartigen Maßnahmen anweisen, soweit sie sich in den internen Geschäftsgang einschalten wollten.) Schließlich wurden durch Art. I des Reichsneuautbaugesetzes die Volksvertretungen der Länder (Landtage) aufgelöst und damit der Übergang vom parlamentarischen zum autoritären führerstaatlichen Verfassungssystem auch fonnal vollzogen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß das Reich durch das Gesetz vom 30. 1. 1934 verfassungsrechtlich vollständig umgebaut worden ist: Die letzten Reste der Länderstaatlichkeit wurden beseitigt, insbesondere die körperschaftliche Selbstverwaltung. 223 Somit war das Reich auch fonnal zum Einheitsstaat geworden. Daß es gleichwohl noch dezentralistische Züge trug, lag vor allem an dem (vorläufigen?) Unterlassen der fönnlichen Verschmelzung von Reichsund Landesbehörden. Außerdem standen ja den Ländern auch noch einige wenn auch vom Reich abgeleitete - Hoheitsrechte zu.

222 Im Anschluß an Stuckart-Schiedermair, Neues Staatsrecht I, Der Reichsaufbau (Neugestaltung von Recht und Wirtschaft, Heft 131), S. 51. 223 Mit dem heutigen Verständnis von Selbstverwaltung nicht in Einklang gebracht werden kann die Ansicht Nicolais (in: Der Neuaufbau des Reichs nach dem ReichsreformG vom 30.1. 34, S. 47 f., 74), von Scheurls (in: DRZ 1934, Band 28, S.166), Krügers (in: Fischers Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1934 (Band 70), S. 305) und Koellreutters (in: Deutsches Verfassungsrecht, 1936, S. 118), daß die Länder nach dem Reichsneuaufbaugesetz noch "Selbstverwaltungskörperschaften" waren. Zink (S. 115 ff., 135) hat dies überzeugend begründet. Vor allem steht einer Klassifizierung der Länder als Selbstverwaltungsträger der Umstand entgegen, daß sämtliche vormaligen Selbstverwaltungsaufgaben durch das Gesetz vom 30. 1. 1934 auf das Reich übergegangen waren.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Gerade die mit dem Reichsreformgesetz vom 30. Januar 1934 verbundene Zentralisierung rief in der Folgezeit allerdings den Widerstand der von Hitler eingesetzten Reichsstatthalter hervor. Ihrem Selbstverständnis als Vertreter des "Führers" in der Landschaft widersprach es, fachlich und dienstrechtlich den Reichsministern unterstellt zu werden (vgl. Art. 3 RNeuaufbauG). In einem gewissen Umfang Argumentationshilfe geben konnte den Statthaltern dabei das Zweite Gleichschaltungsgesetz vom 7. April 1933, nach dessen § 1 I sie auf Vorschlag des Reichskanzlers ernannt wurden und dann "für die Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik" zu sorgen hatten. Der Reichsinnenminister berief sich hingegen - wohl zutreffend - auf die sachlich vorrangige und von Hitler einstweilen ausdrücklich gebilligte Regelung des Art. 3 RNeuaufbauG und erhielt dabei Schützenhilfe von earl Schmitt, dessen am 1.2. 1934 das Unterstellungsverhältnis der Reichsstatthalter unter die Reichsminister betonender Artikel über das Reichsneuaufbaugesetz dann auch schärfsten Protest bei den "Landesfürsten" hervorrief. Einigen gerade in Berlin weilenden Statthaltern gelang es, damit bei Hitler Gehör zu finden. Auf Hitlers Geheiß erschien deshalb schon am 2. Februar 1934 eine "Gegendarstellung" Rosenbergs 224 im "Völkischen Beobachter", in der zum einen auf die Doppelnatur der Reichsstatthalter, Parteigauleiter und Inhaber eines Staatsamtes hingewiesen und die parteiamtliche Stellung hervorgehoben wurde. Es wurde weiter klargestellt, daß die Reichsstatthalter in ihrer Eigenschaft als Gauleiter "selbstverständlich keinem Minister" unterständen. Zum anderen verlangte Rosenberg, den Dienstverkehr zwischen Reichs- und Landesministern durch die Hände der Statthalter zu leiten. Die Reichsinnenverwaltung beharrte gleichwohl auf ihrem Standpunkt. Helmut Nicolai, damals federführender Beamter in der Verfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums, kündigte überdies an, daß die Frage, ob die Reichsregierung der Landesregierung im ganzen vorgesetzt sei oder ob der einzelne Reichsminister den ihm jeweils nachgeordneten Landesministern direkt Anweisungen geben dürfe, durch eine Ausführungsverordnung in der Weise geregelt werde, daß "der einzelne Fachminister des Landes dem einzelnen Fachminister des Reiches im Rahmen der gegebenen Zuständigkeiten Folge zu leisten hat." 225 Hiergegen setzte sich der hessische Gauleiter Sprenger in einem Schreiben an Hitler vom 2.3.1934 226 zur Wehr. Er wies auf die Möglichkeit einander widersprechender Weisungen von Reichsstatthaltern und Reichsministern an die Landesregierungen hin und stellte dann fest: Wenn der Reichsstatthalter nicht als politische Instanz ausgeschaltet werden solle, dann dürfe er nicht den Reichsministern unterordnet sein. 224 Vgl. "Völkischer Beobachter", Berliner Ausgabe vom 2. 2. 1934; Alfred Rosenberg war der, in späteren Jahren allerdings relativ bedeutungslose, Chefideologe der NSDAP. 225 Nicolai, Zum Gesetz über den Neuaufbau des Reiches; in: DJZ 1934, Heft 4, Sp. 233 ff., Sp. 236; die entsprechende Verordnung ist nie erlassen worden. 226 Schreiben Sprengers an Hitler vom 2.3.1934; Abschrift in: BA, Akte R 43 11/495.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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Der "Führer und Reichskanzler" beantwortete diesen Brief zwar nicht. Da er andererseits auch nicht den Standpunkt der Innenverwaltung unterstützte, gab er den Reichsstatthaltern Auftrieb, die alsbald Weisungen der Reichsministerien ignorierten. Statthalter und Gauleiter Loeper (Braunschweig und Anhalt) bohrte in seinem Schreiben vom 9. April 1934 227 weiter, um eine Revision des Art. 3 ReichsneuaufbauG zu erreichen. Darin führte er aus, seine Stellung erscheine ihm zur Zeit unklar. Er käme oft in die Lage, nicht zu wissen, ob er selbständig im Sinne des "Führers" handeln könne oder lediglich ausführendes Organ des Reichsinnenministers sei. Ein Weisungsrecht des Reichsinnenministers sei aber mit der Tatsache, daß die Reichsstatthalter auch gehaltlich den Reichsministern gleichgestellt seien, nicht in Einklang zu bringen. Dementsprechend forderte auch der thüringische Statthalter Sauckel, daß bei Divergenzen zwischen Anordnungen der Innenverwaltung und solchen der Reichsstatthalter der "Führer" die letzte Entscheidung zu treffen habe. 228 Als Hitler auch hierauf nicht reagierte, insbesondere dem Reichsinnenministerium nicht die nötige Hilfe zur Durchsetzung seiner Position zusagte, richtete Frick am 4. Juni 1934 eine Art Bittbrief an den Chef der Reichskanzlei 229, in dem er noch einmal darauf hinwies, daß es, "wenn an dem Gedanken einer zentralen und einheitlichen Führung des Reiches ... festgehalten werden soll", nicht möglich sei, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Reichsfachministern und den Statthaltern dem Führer zur Entscheidung zu unterbreiten. Das am 27. Juni 1934 abgesandte Antwortschreiben 230 wird dem Reichsinnenminister sicher kaum gefallen haben, denn Lammers 231 schrieb, der Führer billige (nur) grundsätzlich die Argumentation Fricks. Eine Ausnahme - also: Notwendigkeit einer Entscheidung Hitlers - müsse demgegenüber für die Fälle gelten, in denen es sich um "Fragen von politischer Bedeutung" handele. Hitler hatte also die von ihm selbst gebilligte Regelung des Art. 3 ReichsneuaufbauG wieder, zugunsten der Reichsstatthalter, relativiert. So nimmt es nicht Wunder, daß diese in der Verfassungswirklichkeit einen von der Reichszentrale weitgehend selbständigen Machtapparat aufbauen konnten. Von einer Weisungsunterworfenheit unter das Reichsinnenministerium war jedenfalls nun keine Rede mehr. Das Reich hatte demnach einen weit weniger zentralistischen Charakter, als dies der erste Blick auf die erlassenen Gesetze Glauben macht. 227 Schreiben des Gauleiters und Reichsstatthalters Loeper an Hitler vom 9.4.1934, in: BA, Akte R 43 II/1376, BI. 124 f. 228 Schreiben des thüringischen Reichsstatthalters Sauckel an den Chef der Reichskanzlei vom 7.5.1934, in: BA, Akte R 43 II/1372. 229 Schreiben Reichsinnenministers Frick an den Chef der Reichskanzlei vom 4.6.1934, in: BA, Akte R 43 II/495, BI. 205. 230 Schreiben des Chefs der Reichskanzlei an Frick vom 27.6. 1934; in: BA, Akte R 4311/495, BI. 208. 231 Lammers war Chef der Reichskanzlei, bis 1939 als Staatssekretär, seitdem in der Stellung eines Reichsministers.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

d) Neuordnung der Stellung der Reichsstatthalter und Oberpräsidenten; die neue "Reichsmittelinstanz" Schon bald nach der Reform des Reich-Länder-Verhältnisses trat ein neues Organisationsproblem auf, das alsbaldiger Regelung harrte. Da sich der Reichsinnenminister gegen die Reichsstatthalter nicht letztlich hatte durchsetzen können, das Weisungsverhältnis zwischen obersten Reichs- und Landesbehörden vielmehr unklar geblieben war, 232 kam es in der Folgezeit zu der Ausbildung eines Ressortpartikularismus, der die allgemeine innere Landes- und Kreisverwaltung sprengte. Die Reichsfachbehörden trachteten danach, sich einen eigenen, weisungsrechtlich unkomplizierten Verwaltungsunterbau zu schaffen. Wollte man den unerwünschten, weil die "landschaftlichen Eigenarten" nicht berücksichtigen Partikularismus der Reichsbehörden zum Stillstand bringen,233 mußte der Verwaltungsapparat der Länder reichseinheitlich neu strukturiert werden. Zweifelhaft war dabei zunächst, auf der Ebene welcher Gliederung die zentrale Reichsmittelinstanz in Preußen geschaffen werden sollte. Einigkeit herrschte nur insoweit, daß es angesichts der territorialen Größe Preußens ungünstig sei, die dortige Landesregierung zu einer Reichsmittelinstanz auszubauen; sonst wäre das erhebliche Ungleichgewicht zwischen der preußischen Verwaltung einerseits und den Verwaltungen der übrigen deutschen Länder andererseits aufrecht erhalten worden. Ob indes die preußischen Provinzial- oder noch andere Behörden zur Mittelinstanz der Reichsverwaltung mutieren sollten, blieb lange Zeit unklar. 234 Leichte Platzvorteile verschafften sich schließlich die Oberpräsidenten. Die preußischen Landesministerien mit ihrem großen Verwaltungsaufbau wurden dennoch nicht aufgelöst; sie wurden den Reichszentralverwaltungen (Reichsministerien) an- bzw. eingegliedert. Diese Eingliederung lief in zwei Phasen ab; 235 in der ersten Phase wurden bis Juni 1934 die preußischen Ministerien durch Personalunion im Ministeramt mit den entsprechenden Reichsministerien verbunden. In einer zweiten Phase wurde im Herbst 1934 Realunion hergestellt, also die preußischen Verwaltungen in die Reichsfachbehörden integriert. 236 Le232 Hitlers "Entscheidung" vom 27. Juni 1934 warf nämlich mehr Fragen auf, als sie löste (etwa: Wann liegt eine "Angelegenheit von politischer Bedeutung" vor?). 233 Dabei hatte die insofern federführende Reichsinnenverwaltung vielfache Widerstände der übrigen Reichsressorts zu überwinden. Vgl. nur die Staatssekretärsbesprechungen betreffend das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 20.9.1938, in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/1353a, BI. 261 ff. 234 Dazu vgl. Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, S. 210 ff. 235 Zur Verreichlichung der preußischen Landesministerien siehe insbesondere Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1960, S. 601 ff.; Rebentisch, in: Jeserich/ Pahl/v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 742. 236 Vgl. die entsprechenden Erlasse der zuständigen Reichsminister; für die Justizverwaltung, z. B. Erlaß des Reichsministers der Justiz vom 16.10. 1934 (in: Deutsche Justiz 1934, S. 1295); für die Innenverwaltung Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innem vom 25.10.1934 (in: Reichsministerialblatt, Band 62, Nr. 42, vom

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diglich das preußische Finanzministerium 237 und die Verwaltung des preußischen Ministerpräsidenten ("Staatsministerium") wurden von der Eingliederung in die Reichszentralverwaltung ausgenommen. Um die Bedeutung des Umbaues der Oberpräsidialverwaltung richtig einschätzen zu können, bedarf es zunächst einer, hier kurz gehaltenen,238 Darstellung der 1934 bestehenden preußischen Verwaltungsorganisation. Diese war in der Mittelstufe durch einen Dualismus von Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten gekennzeichnet. 239 Während das Schwergewicht der täglichen Verwaltungsarbeit in den Händen der Regierungspräsidenten lag 240 - es hätte also an sich nahe gelegen, in deren Hand eine zentrale Mittelinstanz zu schaffen 241 - sollten die Oberpräsidenten als Verbindungsorgan zwischen Staatsregierung und Regierungspräsidium fungieren und dabei im wesentlichen die Ausführung der politischen Vorgaben der Regierung überwachen. Ähnlich den Reichsstatthaltem im nationalsozialistischen Deutschland waren sie also in erster Linie als "Staatskommissare"242 ausgebildet worden. 243 Im Laufe der Zeit waren ihnen allerdings auch 26. 10. 1934, S. 681); die Zuständigkeit der Reichsminister ergab sich aus Art. 2 I NeuaufbauG, der dem Reich auch die Organisationsgewalt über die Länderbehörden übertrug, sowie aus Art. 5 des gleichen Gesetzes. 237 Pläne zur Schaffung eines Reichsschatzministeriums, in das wesentliche Teile der preußischen Finanzverwaltung eingegliedert werden sollten, scheiterten am hartnäckigen Widerstand des preußischen Finanzministers Popitz. Die Planungen gingen offenbar von Reichsfinanzminister Graf Schwerin von Krosigk aus und zielten darauf ab, einen finanziellen Gegenspieler des Reichsinnenministeriums in jedem Stadium der Reichsrefonn zu schaffen. Sie stießen deshalb auch in der Reichsinnenverwaltung auf Ablehnung (vgl. undatierte Referentendenkschrift von etwa August 1934 bei einer Aktenvorlage von Medicus,: in: Bundesarchiv Akte R 18/5440, BI. 237 ff., 241). 238 Ausführlich von Unruh, Der preußische Oberpräsident - Entstehung, Stellung und Wandel eines Staatsamtes, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945, Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1981, auch in: Franz (Hrsg.), Deutsche Führungsgeschichten in der Neuzeit, Band 15, 1985, S. 17 ff. 239 Die Oberpräsidenten waren Chefs der Provinzialverwaltung, die Regierungspräsidenten standen den eine Stufe tiefer angesiedelten Regierungsbezirken vor. 240 U. a. folgende Staatsaufgaben waren den Regierungspräsidenten zugewiesen (1933): Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Hoheitsverwaltung, Kommunalaufsicht und Gemeindeprüfungsamt, Polizei, Gendarmerie), Schulwesen, Reichsverteidigung, Gesundheitswesen, Veterinärwesen, Bauwesen, Gewerbe und Gewerbeaufsicht, Handel und Preisüberwachung, Arbeitsbeschaffung, Sozialpolitik, Jugendpflege, Arbeitslosenfürsorge, Katastersachen, Wegeangelegenheiten, Verkehrssachen, Landwirtschaft und Siedlungswesen, Kirchen- und Schulsachen, Denkmalspflege. 241 Warum es gleichwohl zu einem Ausbau der Oberpräsidialbehörde kam, liegt an folgendem: 1934 entstand das Problem, daß die Regierungspräsidenten direkte Weisungen des Reichsinnenministers erhielten, die Oberpräsidenten / Gauleiter aber in den Angelegenheiten der Regierungspräsidenten mehr mitreden wollten (Diehl-Thiele, S. 70). Um einen offenen Konflikt mit der Partei zu verhindern, der letztlich nur zu einer Lahmlegung der preußischen Provinzialverwaltung führen konnte, gestand Frick den Oberpräsidenten weitere Hoheitsbefugnisse zu. 242 Zutreffend von Unruh, S. 28 und vorher. 243 Als solche waren die Oberpräsidenten auch nicht Dienstvorgesetzte der Regierungspräsidenten!

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bestimmte Verwaltungsaufgaben übertragen worden,244 so daß es in der Praxis häufig zu Kompetenzproblemen zwischen Regierungs- und Oberpräsidien gekommen war. 245 Der Ausbau der preußischen Provinzialbehörden zu Reichsmittelinstanzen hätte demnach bei einer Zusammenfassung von Ober- und Regierungspräsidenten ansetzen müssen. Bedenkt man dies, besaßen die mit der 2. Verordnung über den Neuaufbau des Reichs vom 27. November 1934 246 getroffenen Regelungen nur den Charakter von Stückwerk. Durch § 1 dieser Verordnung wurden die Oberpräsidenten lediglich zu Vertretern der Reichsregierung bestellt und kamen in ein unmittelbares Dienstverhältnis zum Reich. Dadurch wurde immerhin die bislang fehlende unmittelbare Verbindung zwischen der Reichsregierung und den Provinzialbehörden hergestellt. In bezug auf die Einwirkungsrechte der Oberpräsidenten auf die Behörden der Provinzialinstanz lassen sich keine wesentlichen Befugniserweiterungen feststellen. Den Oberpräsidenten wurden entsprechend ihrer bisherigen Stellung als politische Kommissare die Rechte zuerkannt, von sämtlichen Behörden in allen Fragen unterrichtet zu werden, sie auf die in politischer Hinsicht (politische Zielvorstellungen der Reichsregierung) erforderlichen Maßnahmen aufmerksam zu machen und ihnen (nur) bei Gefahr im Verzug - d.h. wenn ein Fall des Staatsnotstandes vorlag, der ein rechtzeitiges Eingreifen der obersten Reichsbehörden unmöglich machte 247 - einstweilige (fachliche oder personelle) Anweisungen zu erteilen. Neu hieran war lediglich, daß den Oberpräsidenten ihre Aufsichtsrechte auch gegenüber den außerhalb der Provinzialverwaltung stehenden Behörden, z. B. den sogenannten Reichssonderbehörden, zustehen sollten. 248 In der Sache blieb aber die Befehlsgewalt der Oberpräsidenten gering, weil sie fachbezogene oder personelle Weisungen nur im Ausnahmefall erteilen konnten; mitnichten waren sie also Dienstvorgesetzte der Regierungspräsidenten. Die Oberpräsidenten unterstanden ihrerseits der fachlichen Weisungsbefugnis der jeweils zuständigen Reichsminister (§ 3 der VO), die die bei Gefahr im 244 Vor allem bereits aufgrund des Preußischen Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30.7.1883 (Gesetzsammlung für die Preußischen Staaten, 1883, S. 195) und des Preußischen Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom I. 8.1883 (Gesetz-Sammlung, S. 237). Dazu siehe von Unruh, S. 27. Verwaltungsaufgaben der Oberpräsidenten waren vor allem (Stand 1933): Verwaltung des Provinzialverbandes / Landschaft, Aufsicht über Rentenbank / ständische Verbände, Eichungsdirektoren, Aufsicht über öffentliche Lebens- und Feuerversicherungsanstalten, Landwirtschafts-, Handwerks-, Ärzte- und Apothekenkammern. 245

Von Unruh, S. 28.

246 RGBI. 1934, Teil I, S. 1190. 247 So unter Hinweis, daß die Regelung des Reichsstatthaltergesetzes vom 30. 1. 1935 derjenigen der Verordnung vom 27. 11. 1934 entspreche, Vermerk über "die staatsrechtlichen Grundgesetze des 30.1.1935" aus dem RMdI; BA, Akte R 18/5442, BI. 173 ff, 179. 248 Zutreffend Stuckart / Schiedermair, Neues Staatsrecht I, Der Reichsaufbau (Neugestaltung von Recht und Wirtschaft, Heft 131), S. 64.

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Verzug ergangenen Anweisungen wieder aufheben konnten. Sie unterlagen außerdem der Dienstaufsicht des Reichsinnenministeriums (§ 3). Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Regelungen der Zweiten Reichsneuaufbauverordnung in erster Linie die preußischen Provinzen "gleichzuschalten",sie insbesondere stärker in den Reichsaufbau zu integrieren, geholfen haben dürften. Mit den unmittelbar vom Reich - vor allem dem "Führer" - abhängigen "neuen" Oberpräsidenten war ein Instrument der ideologischen Überwachung der Provinzialverwaltung geschaffen worden. Daneben waren allerdings Ansätze für einen Ausbau der Oberpräsidialbehörde zur Reichsmittelinstanz 249 erkennbar (insbesondere: Weisungsrecht bei Gefahr im Verzug). Über die tatsächliche Stellung der Oberpräsidenten in der Verfassungswirklichkeit ist damit noch nichts ausgesagt. Diese unterlag offenbar Schwankungen. 250 Zunächst kam es überwiegend zu Personalunionen zwischen Parteigauleitung und Oberpräsidentenamt. 251 Der NSDAP gelang es auf diese Weise, im preußischen Staatsapparat Fuß zu fassen. Nach 1936 gelangten die Oberpräsidenten in das von Beginn an problematische Spannungsfeld zwischen Partei und Staat. 252 Je stärker die Position der Gauleiter / Oberpräsidenten wurde,253 umso mehr drängten Frick und vor allem der preußische Finanzminister Popitz darauf, Verwaltungsaufgaben der Oberpräsidenten auf die Regierungspräsidenten zu übertragen. 254 Die Oberpräsidenten ihrerseits nahmen die Unterstellung unter die Weisungsgewalt der obersten Reichsbehörden vielerorts nicht mehr hin, weil so etwas ihrer Vorstellung von "politischer Führung" widersprach. 255 249 So auch Pfundtner, Der Einheitsgedanke im deutschen Recht, Vortrag vor der Akademie für Deutsches Recht; abgedruckt in BA, Aktenbestand R 18/5435, Blatt 109 ff., 113. 250 Ausführlich Karl Teppe, Die preußischen Oberpräsidenten 1933-1945,in: K. Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945, S. 219 ff. 251 VgI. Rebentisch, S.744. 252 Zu diesen Spannungsverhältnissen siehe bereits oben A 11 4. 253 In der Sache ging es damals um ..die verfluchte direkte Berichterstattung des Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Inneren" (Ausdruck von Gauleiter Reichsstatthalter Greiser, vgI. BA, Akte R 18/5313, BI. 321 ff., 323): Während die Innenverwaltung sich vehement für die Beibehaltung bzw. weitere Ausübung des Berichterstattungsrechts einsetzte (siehe Rundschreiben des RMdI vom 4.6. 1940, Abschrift in BA, R 43 II/583, BI. 103. Darin wurde ..angeordnet": ..Es ist den Regierungspräsidenten freigestellt, in wichtigen Angelegenheiten unmittelbar an die zuständige Oberste Reichsbehörde, insbesondere an mich, zu berichten. In diesem Fall ist gleichzeitig dem zuständigen Oberpräsidenten Abschrift des Berichts zuzuleiten".), unterbanden die Oberpräsidenten bzw. Reichsstatthalter dieses Recht weitgehend - so Reichsstatthalter Greiser von Posen 1 Warthe1and, der am 4. 7. 1940 in einem eigenmächtigen Erlaß den Regierungspräsidenten seines Territoriums verbot, dienstlich direkt mit dem Innenministerium zu verkehren; Hinweis hierauf in Schreiben Fricks an die Regierungspräsidenten in Posen, Hohensa1za und Litzmannstadt vom 25.10.1941 (Bundesarchiv, Akte R 43 II/583, BI. 115). 254 Instruktiv insoweit Akte R 43 11/583 des Bundesarchivs.

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Während des Krieges verschärften sich diese Gegensätze. Jetzt kamen Bestrebungen auf, die Institution der Regierungspräsidenten gänzlich abzuschaffen (und damit erstmals eine wirkliche Mittelinstanz der Staatsverwaltung zu realisieren). Im Mai 1943 gestattete Hitler denn auch für den neu entstandenen Reichsgau Danzig-Westpreußen "versuchsweise" die Zusammenlegung des Regierungspräsidiums mit der Oberpräsidialbehörde. 256 Eine solche Maßnahme mußte gerade zur damaligen Zeit das Selbstbewußtsein der Oberpräsidenten nur noch weiter stärken. Von einem ,,kraftvollen, zentralistischen" deutschen Einheitsstaat mit stringenten Befehlswegen von oben nach unten konnte in der Praxis jetzt also erst recht keine Rede sein. Auch in den außerpreußischen Ländern blieb das Verhältnis der Reichsstatthalter zum Reich - schon wegen der ungelösten Problematik der insofern bestehenden Reichsaufsicht - weiterhin klärungsbedürftig. Hinzu kam, daß sich, bedingt durch Kompetenzquerelen, ein Dualismus zwischen Landesregierung und Statthaltern herauszubilden begann. 257 Solange die Reichsstatthalter, deren Machtbasis das Gauleiteramt bildete, nicht zwischen Reichs- und Landesregierung, sondern mehr "seitwärts" daneben standen, hatten sie die vom Reichsinnenministerium als zu groß empfundene Neigung, unbefugt in den Gang der Länderverwaltung einzugreifen. 258 Aus all diesen Gründen und wegen des bestehenden Ressortpartikularismus 259 sah sich die mit der Reichsreform betraute Reichsinnenverwaltung veranlaßt, eine grundsätzliche Neuorganisation der Mittelinstanz in Angriff zu nehmen. 260 Erklärtes Ziel dieses Umbaues war es, die Reichsstatthalter von einer politischen zu einer Verwaltungsinstanz zu machen, sie also von ihrer Kommissariatsstellung zu entbinden und in die Verwaltung zu integrieren. 261 Das gesteckte Ziel konnte dauerhaft nur erreicht werden, wenn die Statthalter mit der Führung der Landesregierung betraut wurden. Sie wären dann zwar von der Reichsregierung voll weisungsabhängig gewesen, hätten aber auf die Landesverwaltung einen stärkeren Einfluß als bis dahin ausüben können. 255 Gleiches galt auch für die Reichsstatthalter: Gauleiter-Reichsstatthalter Greiser (Posen) formulierte in einem Brief an den Reichsinnenminister einmal ganz drastisch: "Alles, was von einem Reichsministerium zu einem meiner Regierungspräsidenten oder umgekehrt gelangen soll, hat den Weg über mich oder meine Behörde zu nehmen ... Daß ich mit dieser Auffassung von den Altreichsverhältnissen abweiche, ist mir sehr wohl bewußt." (Schreiben vom 11.6.1941; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/583, BI. 108 f., 108 R.). 256 Nachweise bei Rebentisch, in: Jeserich / Pohl/ von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 745. 257 Lies insoweit: Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, S. 70 f. 258 Zutreffend Diehl-Thiele, S.70. 259 Dazu siehe bereits A 11 5 d am Anfang. 260 Eine Neuregelung der Reichsstatthalterbefugnisse war Ende 1934 allerdings auch deswegen nötig geworden, weil sich viele von ihnen inzwischen erledigt hatten (vgl. das Gesetz vom 7.4.1933, dort § 1; s.o. A 11 5 c»: So etwa das Recht zur Auflösung der Landtage durch deren Abschaffung. 261 So ausdrücklich der Entwurf zur Begründung des Reichsstatthaltergesetzes; Durchschlag in: Bundesarchiv Akte R 18/5442, BI. 253 ff.

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Trotz aller sachlichen Notwendigkeiten konnte sich die Reichsinnenverwaltung aber nur teilweise durchsetzen. Das schließlich am 30. 1. 1935 erlassene Reichsstatthaltergesetz 262 hatte, bezogen auf die Vereinheitlichung der Landesverwaltung, Kompromißcharakter. Einerseits räumte es den Reichsstatthaltern erstmals direkte Einflußmöglichkeiten auf die Verwaltungstätigkeit der Länderbehörden ein. Andererseits blieb der gesetzlich nicht zwingend vorgeschriebene Einbau der Statthalter in die allgemeine Verwaltung die Ausnahme. Eine Tendenz, die Reichsstatthalter in die Mittelstufe der Reichsverwaltung einzubauen, war gleichwohl deutlich erkennbar. 263 Das Reichsstatthaltergesetz erklärte in § I I die Reichsstatthalter zu ständigen Vertretern der Reichsregierung in den Ländern (was ihre Stellung als außerhalb der eigentlichen Verwaltung stehende bloße Kontrollorgane des Reiches nochmals unterstreicht). Ihnen wurde durch § 111 die allgemeine Aufgabe zugewiesen, für die Beachtung der vom ,,Führer" aufgestellten Richtlinien der Politik zu sorgen. (Auch insofern änderte das Reichsstatthaltergesetz noch nicht die seit 1933 bestehende Rechtslage, vgl. § 1 I 2 des 2. Gleichschaltungsgesetzes vom 7.4.1933); die Statthalter waren also nach wie vor in erster Linie Koordinierungsstelle für die Reichsverwaltung auf Länderebene. Darüber hinausgehend wurde den Reichsstatthaltern allerdings in § 2 Reichsstatthaltergesetz erstmals ein Einwirkungsrecht auf sämtliche Verwaltungsbehörden der Länderinstanz zuerkannt; es bestand daher auch gegenüber den dortigen Reichssonderbehörden. 264 Inhaltlich entsprach das Einwirkungsrecht demjenigen der preußischen Oberpräsidenten, 265 beinhaltete somit die Befugnisse, unterrichtet zu werden, auf die politisch maßgebenden Gesichtspunkte hinzuweisen und bei Gefahr im Verzug (Staatsnotstand) einstweilige, von den Reichsministerien aufhebbare Anweisungen zu geben. Demnach besaßen die Statthalter zwar noch keine unbeschränkte Weisungsgewalt gegenüber den Verwaltungsbehörden in den Ländern; der Grundstein für einen zukünftigen Ausbau ihres Amtes zu einer Mittelinstanz der Reichsverwaltung war jedoch schon gelegt worden. Einen wichtigen Ansatzpunkt für die weitere Fortführung der Reichsreform hätte auch § 4 Reichsstatthaltergesetz bilden können, der dem "Führer" das Recht verlieh, die Reichsstatthalter mit der Leitung der Landesregierung zu beauftragen. Soweit Hitler von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht hätte, wären die Reichsstatthalter endgültig in den Verwaltungsaufbau des Reiches integriert worden und zu echten 266 "Führern" regionaler Zentralbehörden aufgestiegen. Eine RGBI. 1935, Teil I, S. 65 f. Von den Reichsstatthaltern als zentraler Reichsmittelinstanz konnte jedoch solange nicht gesprochen werden, wie sie nicht mit der Leitung der Landesregierung betraut waren: Zutreffend insofern Stuckart / Schiedermair, Neues Staatsrecht I, Der Reichsaufbau (Neugestaltung von Recht und Wirtschaft, Heft 131), S. 70. 264 Vgl. Stuckart / Schiedermair, S. 70. 265 Dazu siehe soeben. 266 d. h. dem nationalsozialistischen Idealbild entsprechenden. 262 263

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Verpflichtung zur Beauftragung der Statthalter mit der Führung der Landesregierung enthielt das Gesetz aber nicht - die Beauftragung war vielmehr in das Ennessen Hitlers gestellt. Den Reichsstatthaltern wurde daneben wie bisher das Recht der Ausfertigung und Verkündung von "Landes"gesetzen sowie ein Vorschlagsrecht bei der Ernennung des Vorsitzenden und der Mitglieder der Landesregierung zugestanden, § 5 des Gesetzes. Für das Land Preußen lagen die Rechte des Reichsstatthalters bei dem "Führer und Reichskanzler" selbst, der ihre Ausübung aber dem Preußischen Ministerpräsidenten übertragen hatte. Die Stellung der Reichsstatthalter gegenüber dem Reich wurde durch das Reichsstatthaltergesetz von 1935 im wesentlichen unberührt gelassen: Sie wurden vom "Führer" ernannt und konnten von ihm auch jederzeit entlassen werden, § 9 I Reichsstatthaltergesetz. Unabhängig davon unterstanden sie der fachlichen Anweisungsbefugnis der Reichsfachminister und der personellen Dienstaufsicht des Reichsinnenministers, § 3. Das Gesetz hielt also an der schon längere Zeit fragwürdig gewordenen Weisungshoheit der Reichsminister über die Statthalter fest. Bedenkt man weiterhin, daß sich die Reichsregierung auch den Landesregierungen und ihren nachgeordneten Behörden gegenüber umfassende Eingriffsbefugnisse vorbehalten hatte, kann der 1935 realisierte Verwaltungsaufbau nur als nach den fönnlichen Gesetzen strikt zentralistisch bezeichnet werden. Bedeutsam ist auch die Regelung des § 9 11 Reichsstatthaltergesetz: Wenn danach dem "Führer" vorbehalten war, den Amtsbezirk des Reichsstatthalters zu bestimmen, lag hierin zunächst die Ennächtigung, für mehrere deutsche Länder einen Reichsstatthalter zu ernennen (insbesondere hinsichtlich der deutschen Kleinländer bedeutsam). Mittelbar hätte man aus dieser Nonn aber auch die Befugnis entnehmen können, die Territorialgliederung des Reiches zu verändern: Vielleicht ein Anhaltspunkt für damals bestehende Planungen zu einer Gebietsrefonn auf Länderebene. Eine Änderung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand im Sinne einer zentralistischen Straffung der Verwaltung enthielten auch die §§ 5 und 7 des Reichsstatthaltergesetzes. Danach wurde den Reichsstatthaltern das Recht der Ernennung und Entlassung der "Länder"-Minister und der Beamten der Länderbehörden entzogen und direkt auf den "Führer" und die Reichsregierung übertragen. Diese Personalhoheitsrechte wurden also wieder zentral vom Reich ausgeübt. Die Stellung der Reichsstatthalter wurde hierdurch gegenüber dem früheren Rechtszustand fonnal geschwächt; sie waren noch davon entfernt, wirklich zentrale Mittelbehörden des Reiches zu sein.

In der Verfassungswirklichkeit hingegen sah alles anders aus. Das Reichsstatthaltergesetz trug nicht zur Lösung der zuvor vorhandenen verfassungspolitischen Probleme bei, sondern perpetuierte sie stattdessen. Theoretisch sollte es den strikt

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unitaristischen Charakter des Reiches, d. h. den Vorrang der obersten Reichsbehörden gegenüber Landesregierung und Statthalter, festschreiben, es war also immens etatistisch. In der Praxis aber gaben sich die Reichsstatthalter mit einer Unterwerfung unter die Reichsbehörden auch weiterhin nicht zufrieden. Im Laufe des Krieges kam es sogar in den damals neu errichteten polnischen Gauen zu einer offenen Mißachtung von Weisungen der Reichsinnenverwaltung, ohne daß jene sich letztlich durchzusetzen vermochte. 267 Die Statthalter konnten sich dabei, wie schon seit dem Reichsneuaufbaugesetz, auf angebliche oder wirkliche Unklarheiten der Gesetzesfassung berufen, denn das Reichsstatthaltergesetz hatte nicht nur die die Dienstaufsicht über die Statthalter betreffende Regelung aus dem Reichsneuaufbaugesetz übernommen, sondern die Reichsstatthalter ebenso wie dieses zur Überwachung der vom" Führer" aufgestellten Richtlinien der Politik ermächtigt. 268 Hitler trug zu der nötig gewordenen endgültigen Kompetenzabklärung zwischen Reichsverwaltung und NSDAP ebensowenig bei, wie zu der Beendigung des unglücklichen Nebeneinanders von Reichsstatthaltern und Ministerpräsidenten in den Ländern mit "doppelter Führungsspitze". Er vermied es, zugunsten einer der jeweils rivalisierenden Instanzen zu intervenieren. Im Gegenteil spielte er sie gegeneinander aus, indem er etwa zwar die Reichsstatthalter in Hessen und Sachsen, 269 nicht aber diejenigen von Baden, Württemberg und Thüringen 270 aufgrund von Art. 3 Reichsstatthaltergesetz zu Führern der Landesregierung ernannte. Deutliche Zeichen im Hinblick auf einen Fortgang der Reichsreform setzte er damit nicht. Das Reich blieb daher weit davon entfernt, ein echtes "Einheitsreich" zu sein.

e) Ämtervieljalt und Kompetenzwirrwarr: Reichssonderverwaltungen im Einheitsreich Entgegen allen Versuchen des Reichsinnenministeriums, den Ressortpartikularismus zu bekämpfen und die Reichsverwaltung zu vereinheitlichen, fand seit Dazu siehe bereits oben (A 11 5 d), Fußnote 255 und Diehl-Thiele, S. 122 ff. § 1 11 Reichsstatthaltergesetz. 269 Der Reichsstatthalter Mutschmann wurde im November 1934 zum sächsischen Ministerpräsidenten ernannt, der hessische Reichsstatthalter 1936 zum Regierungschef Hessens. So konnte wenigstens in diesen Staaten der beständige Dualismus von Statthaltern und Ministerpräsidenten beendet werden, während er sich in den übrigen Ländern eher noch verstärkte (zum ganzen Diehl-Thiele, S. 71 f.; Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1960, S. 607). 270 Von Frick am 2.5.1935 Hitler vorgelegte Beauftragungsurkunden unterzeichnete dieser zwar zunächst, bat dann aber Lammers (den Leiter der Reichskanzlei), sie vorläufig noch nicht abzusenden (vgl. Vermerk aus der Abteilung I des Reichsinnenministriums für Staatssekretär Pfundtner (ohne Datum, ca. Ende Oktober 1938), in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 399 ff., 403; auch: Schreiben Frick an Lammers vom 15.6.1935, in: BA, Akte R 43 II/496, Blatt 121. 267 268

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1933 fast schon eine Atomisierung der Organisations strukturen im Reich statt. Immer mehr Aufgabenbereiche wurden aus den Reichsfachbehörden beziehungsweise der allgemeinen inneren Verwaltung herausgelöst und verselbständigt. Derart neugebildete Ämter dienten altgedienten Parteigenossen als Pfründen. 271 Unterschieden werden kann diesbezüglich zwischen (berufs-)ständischen Körperschaften, halbstaatlich-parteimäßigen Organisationen sowie besonderen, der allgemeinen Verwaltung ausgegliederten (staatlichen) Fachbehörden, denen allesamt Hoheitsaufgaben zugewiesen wurden. An berufsständischen Organisationen während der nationalsozialistischen Herrschaft sind u. a. zu nennen Reichsnährstand, 272 Deutsche Arbeitsfront, NSKK (N ationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps), Nationalsozialistischer Deutscher Rechtswahrerbund, Kreishandwerkerschaften, Handwerksinnungen 273 und Akademie für Deutsches Recht. 274 Als halbstaatlich-parteizugeordnete Körperschaften haben z.B. Hitlerjugend (HJ)275 und Bund deutscher Mädel (BDM) zu gelten. Vor allem im staatlichen Bereich kam es jedoch zur Ausbildung einer Vielzahl von "Sonderbehörden". Die Zunahme an Reichsfachverwaltungen ist nur zum 271 Zum ganzen siehe insbesondere M. Broszat / H. Möller, Das Dritte Reich - Herrschaftsstruktur und Geschichte, 1983, S. 75 ff.; Überblick über die gebildeten Sonderverwaltungen bei Rahn, Staatsrecht und Verwaltungsaufbau, 1943, S. 93. 272 Diese Organisation war das Ergebnis der Gleichschaltung aller landwirtschaftlichen Interessenverbände und Berufsorganisationen mit Vollmachten im Bereich der Absatzregelung und Preisfestsetzung; vgl. im einzelnen Broszat / Möller, S. 76 f. Bezüglich des Reichsnährstands sind insbesondere folgende Kodifikationen von Bedeutung: Gesetz über die Zuständigkeit des Reichs für die Regelung des ständischen Aufbaus der Landwirtschaft vom 15.7.1933 (RGBI. I S.495); Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse vom 13.9.1933 (RGBI. I S. 626); Erste Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes vom 8.12.1933 (RBGL. I S. 1060); vgl. hierzu auch Saure, S. 20 ff., und Haushofer, Reichsnährstand, Sp. 668 ff. 273 Die bedeutsamsten Rechtsänderungen im Bereich der handwerklichen Selbstverwaltungsträger ergeben sich aus folgenden Normierungen: Gesetz über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 29.11.1933 (RGBI. I S. 1015); Erste Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 15.6.1934 (RGBI. I S. 493); Verordnung zur Anderung und Ergänzung von Vorschriften über den Aufbau des Deutschen Handwerks und den Gewerbekammertag vom 9. 11. 1934 (RGBI. I S. 1106); Zweite Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 18.1.1935 (RGBI. I S. 14); Dritte Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks vom 18.1.1935 (RGBI. I S. 15); Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet des Handwerksrechts vom 17.10.1939 (RGBI. I S. 2046). 274 Siehe insoweit die instruktive Auflistung bei Medicus, Franz Albrecht, Reichsverwaltung und Landesverwaltung, S. 12. 275 Bei der HJ handelte es sich ursprünglich um eine Nachwuchsformation der NSDAP. Sie wurde dann aber in eine auch staatliche Organisation paramilitärischen Charakters umstrukturiert. Ihrer Kompetenz oblag die gesamte "körperlich, geistige und sittliche Erziehung der Jugend" außerhalb von Schule und Elternhaus. Ab 1939 bestand Eintrittszwang in die Hitlerjugend (vgl. Broszat / Möller, S. 76).

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Teil darauf zurückzuführen, daß bisherige Zweige der Länderverwaltung verreichlicht wurden (wie Polizei,276 Kultur und Justiz). Darüber hinaus beschnitt man nämlich auch die Kompetenzen bestehender Reichsbehörden, um damit neugeschaffene Institutionen auszustatten (Beispiel hierfür: das Reichsforstamt, dessen Chef Hermann Göring je nach Sachlage den Titel "Reichsforstmeister" oder "Reichsjägermeister" führte und der ausdrücklich in dieser Eigenschaft einem Reichsminister gleichgestellt war).277 Weiteres Beispiel: das Reichsluftfahrtministerium und die Verwaltung des Beauftragten für den Vierjahresplan (beide ebenfalls mit Göring als Leiter). Die Verreichlichung von Landesbehörden lief in der Regel nach einem immer gleichen Schema ab. Exemplarisch sei dies für die Justizverwaltung aufgezeigt. Mit dem Reichsneuaufbaugesetz vom 30.1.1934 war die Justizhoheit auf das Reich übergegangen, zur Ausführung den Ländern aber noch zurückübertragen worden. Das Erste Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16.2.1934 278 bestimmte, daß die Gerichte nunmehr Recht ,,im Namen des Deutschen Volkes" zu sprechen hatten. Auf diese Weise wurde nach außen hin deutlich, daß die Rechtsprechung eine Reichsaufgabe geworden war. Im Zweiten Rechtspflegeüberleitungsgesetz vom 5. 12. 1934 279 war festgelegt, daß die Zuständigkeiten der bisherigen obersten Landesjustizbehörden nunmehr dem Reichsjustizminister zustünden. Bereits im Oktober des gleichen Jahres hatte die Zusammenlegung des Preußischen mit dem Reichsjustizministerium stattgefunden. 280 Die in dem Gesetz vom 5.12.1934 zugelassene Anwendung von §§ 23 und 30 des Reichsgesetzes vom 30.6. 1933 281 bedeutete, daß ab sofort Beamte der Landesjustizverwaltungen in die Reichsjustizverwaltung versetzt werden konnten. Abgeschlossen wurde der Verreichlichungsprozeß mit dem Dritten Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 24. 1. 1935,282 das die Länderjustizverwaltungen zu unmittelbaren Reichsbehörden und die Beamten dieser Behörden zu unmittelbaren Reichsbeamten erklärte. Im Bereich der Kulturverwaltung, bis dahin eine Domäne der Länder, schuf sich Josef Goebbels unter gleichzeitiger Inanspruchnahme kulturpolitischer Kompetenzen der Reichsinnenverwaltung mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda 1933 eine Zentralstelle zur Medienbeeinflussung. Hinzuweisen ist schließlich noch auf die Sonderstellung des Reichsarbeitsdienstes (RAD).283 Zunächst in die NSDAP eingegliedert, wurde er mit Einführung 276 Dazu siehe bereits oben A II 4 (Partei und Staat). Broszat / Möller, S. 75 m. w. N. 278 RGBI. 1934, Teil I, S. 91. 279 RGBI. 1934, Teil I, S. 1214. 280 Dazu s.o. A II 5d), Fußnote 255. 281 Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamtenrechts vom 30.6.1933, RGBI. 1933, Teil I, S. 433. 282 RGBI. 1935, Teil I, S. 68. 277

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

der Arbeitsdienstpflicht 1935 selbständig und ressortierte dann zum Reichsinnenministerium, blieb allerdings im wesentlichen weisungsunabhängig. f) Die Überleitung der liinderbeamten in ein unmittelbares Dienstverhältnis zum Reich

Ihren normativen Abschluß fanden die Zentralisierungsbemühungen der Reichsministerien in dem ,Gesetz über die Vereinheitlichung im Behördenaufbau vom 5. Juli 1939. 284 Das Gesetz regelte die künftige Stellung der bislang auch noch zu den Ländern ressortierenden "Landesbeamten". § 1 erklärte alle Behörden der Länder zugleich zu Behörden des Reiches. Nach oben Gesagtem 285 bedeutete dies noch keine Neuregelung gegenüber dem bis dahin im Altreich 286 bestehenden Rechtszustand, der dadurch gekennzeichnet war, daß die Beamten auf Landesebene sowohl das jeweilige Land, als auch das Reich zum Dienstherm hatten. 287 Aus § 1 des Behördenaufbauvereinheitlicbungsgesetzes konnte man folglich noch nicht schliessen, daß die "Landesbeamten" (an sich: mittelbare Reichsbeamten) in ein ausschließliches Dienstverhältnis zum Reich treten sollten.

Klarheit brachte insoweit § 5 I des Gesetzes, dem zufolge die Landesbeamten unmittelbare Reichsbeamte wurden. Einziger Dienstherr dieser Beamten;war also fortan das Reich. 288 Die Ausführung von Staatsaufgaben durch die Länder stellte sich nunmehr als Form unmittelbarer Reichsverwaltung 289 dar. Allerdings blieben die den Länderbehörden seit dem Reichsneuaufbaugesetz zugewiesenen Hoheitsrechte ihrem Umfang nach fast unangetastet. Auch im Bereich der Personalhoheit bzw. der fachlichen und personellen Weisungsrechte der Behördenleiter trat grundsätzlich keine Änderung ein: 290 Nach wie vor also waren die Leiter der ehemaligen Länderbehörden berechtigt, ihre nachgeordneten Beamten innerhalb des Landes umzusetzen bzw. mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen (etwa Versetzung in eine niedrigere Stellung) zu überziehen. Die Reichsminister wiederum konnten ihrerseits wie bis dahin die Leiter der ehemaligen Vgl. Broszatl Möller, S.77. RGBI. 1939, Teil I, S. 1197 f. 285 S.O. All 5 c). 286 Das ist das Deutsche Reich in seinen Grenzen vom 31. 12. 1937. 287 Siehe insoweit Reichsneuaufbaugesetz vom 30.1.1934 und Erste Reichsneuaufbauverordnung vom 2.2. 1934. 288 So ausdrücklich auch der - nur deklaratorische - § 6 11 1 des Gesetzes vom 5.7.1939. 289 Zu diesem Begriff oben A 11 5 c). 290 Solches war vom Gesetzgeber auch beabsichtigt; vgl. die amtliche Begründung zu dem Gesetz vom 5.7.39, Kopie im Aktenbestand des Bundesarchivs R 18/5437, Blatt 227 ff., Blatt 229. 283

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11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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Länderbehörden mit fachlichen und personellen Weisungen - auch in Hinblick auf deren nachgeordnete Beamte - versehen (vgl. Art. 2 11 RNeuaufbauG, i.V.m. § 4 der Ersten NeuaufbauVO) und deren Weisungen aufheben. Dies folgt aus der Regelung der § 6 I, 11 2 des Gesetzes vom 5.7.1939. Wenn § 6 11 3 des Gesetzes vom Bestehenbleiben der landesbehördlichen Befugnis zur Versetzung der "Landesbeamten" innerhalb des Landes spricht, ist dies daher in der Weise zu verstehen, daß die Landesbehörden ihre Entscheidung nur vorbehaltlich entgegenstehender Anweisungen des Reiches treffen konnten. Auch § 6 11 2 dieses Gesetzes enthielt eine ungenaue Formulierung, wenn diese Norm die "obersten Landesbehörden" (= Landesministerien) als "oberste Dienstbehörden" derjenigen Beamten, für die im Landeshaushalt Mittel ausgebracht werden, bezeichnete. Oberste Dienstbehörde eines Beamten ist die oberste Behörde seines unmittelbaren Dienstherren, wie schon § 2 IV des Deutschen Beamtengesetzes vom 27.1.1937 formulierte. 291 Unmittelbarer Dienstherr aller Landesbeamten war aber, zumal eine Selbstverwaltung der Länder nicht mehr existierte, das Reich (und nicht mehr das Land): Das stellt § 6 11 1 des Gesetzes vom 5.7.1939 ausdrücklich fest. Daher konnten die Ministerien der Länder gar nicht oberste Dienstbehörde von "Landesbeamten" sein. § 6 11 1 des vorbezeichneten Gesetzes steht im übrigen in Widerspruch zu dessen § 1: War nämlich das Reich einziger Dienstherr aller Beamten auf Länderebene, konnte es fortan gar keine unmittelbar den Ländern zugeordneten Behörden mehr geben. Alle bisherigen Landesbehörden waren zu unmittelbaren Reichsbehörden geworden, ein Dualismus von Landes- und Reichsbehördenturn war nach der Verfassungslage nicht mehr denkbar. Mit der daher äußerst mißverständlichen Formulierung des § 1 konnte an sich nur gemeint gewesen sein, daß die "Länderbehörden" weiter in der "Reichsmittelinstanz" eingerichtet bleiben sollten. Eine sachliche Neuregelung enthielt § 6 III des Gesetzes, der für das Reich die Befugnis begründete, "Landesbeamte" auch von einem in ein anderes Land zu versetzen. Zugunsten des Reiches sind also Zuständigkeiten geschaffen worden, die die Länder gegenüber ihren nachgeordneten Beamten aus der Natur ihres Herrschaftsbereiches heraus nie besessen hatten. Dahinter stand die Forderung nach reichsweiter Einsetzbarkeit aller Beamten. Trotz Begründung eines unmittelbaren Dienstverhältnisses zum Reich (Art. 5 I des Gesetzes) änderte sich die besoldungsrechtliche Stellung der "Länderbeamten" nicht: Wie § 3 des Gesetzes vom 5.7.1939 ausdrücklich festgelegt, wurden sie weiterhin von den Ländern (als juristischen Personen mit eigenem Vermögen) unterhalten; dies ließ jedoch ihre Stellung als unmittelbare Reichsbeamte unberührt, denn zwar ist die Ausübung des Besoldungsrechtes durch den Dienstherm bei unmittelbarer Reichsverwaltung üblich, aber nicht zwingende begriffliche Notwendigkeit. 291

RGBI. 1937, Teil I, S. 41 ff.

A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

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Bedeutsam im Hinblick auf die weitere Stoßrichtung der Reichsreform war die Regelung des § 2 I des Gesetzes vom 5.7.1939, wonach neu entstandene Reichsaufgaben in der Mittel- und Unterstufe der Verwaltung bereits bestehender Behörden übertragen werden sollten, also die weitere Schaffung von Reichssonderverwaltungen vermieden werden sollte. Die Verfassungswirklichkeit sah allerdings anders aus ... 292 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Gesetz vom 5.7.1939 den Verfassungsautbau des Reiches nur unwesentlich abgeändert hat. Zink ist daher zuzustimmen, wenn dieser meint,293 das Gesetz habe mehr den Charakter einer Rechtsbestätigung bzw. Rechtsbereinigung gehabt, ohne wesentlich neues Recht zu setzen. 6. Der Rechtszustand in den Landkreisen

Die Verwaltungsführung in den Landkreisen des Deutschen Reiches befand sich bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung in einer schweren strukturellen Krise. Insbesondere im Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben hatten sich die Kreise schwer verschuldet, was vor allem auf die damals herrschende außergewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist. Von den etwa 6 Millionen Arbeitslosen bezogen 3,6 Millionen Leistungen der Bezirksfürsorgeverbände, die weitgehend von den Landkreisen unterhalten wurden. 294 Wiederholt mußten die Landkreise deswegen Kassenkredite vom Staat anfordern, um Fürsorgeausgaben, Gehälter und Löhne zahlen zu können. 295 Um die Fortführung der vielfach auseinanderzubrechen drohenden Verwaltung zu sichern, mußten allein in Preußen über 600 Staatskommissare eingesetzt werden, die vielfach sogar die Funktion kommunaler Vertretungskörperschaften übernahmen. 296 Diese Zustände wurden von der NSDAP scharf kritisiert, ohne daß die nationalsozialistische Bewegung 1933 einen Weg aus der Krise anbieten konnte. Nach der Machtergreifung kam es zwar relativ rasch zu einer Auswechslung unbequemen oder verbotenen Parteien angehörender Landräte durch NSDAP-Parteigänger. Personalunionen in den Ämtern von Kreisleiter (Parteiamt) und Landrat (Staatsamt) waren aber eher die Ausnahme; 1937 wurden sie vom Stellvertreter des Führers sogar verboten. 297 292 Hierzu siehe bereits oben A 11 5 e).

Zink, S. 76. leserich, Die Landkreise zwischen 1933 und 1945, in: Der Kreis im Wandel der Zeiten, Kommunalwissenschaftliche Schriften des Deutschen Landkreistages, Band 5, S.89. 295 Vgl. Elsaß, Franz: Städte, Werke, Steuern, 1931, S. 4 ff. 296 leserich, Landkreise zwischen 1933 und 1945, S: 89. 297 Dazu siehe oben A 11 4; vgl. Anordnung Nr. 69/37 des Stellvertreters des Führers vom 19.2.1937, in: BA, Akte NS 25/417. 293

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Der verfassungsrechtliche Zustand in den Landkreisen erfuhr nach 1933 insofern eine Angleichung an denjenigen des Reiches, als überall die (als Abstimmungsorgane dem "Gefolgschaftsgedanken" widersprechenden) Kreistage aufgelöst und ihre Funktionen entweder den Kreisausschüssen oder den Landräten übertragen wurden. 298 In Preußen etwa verlief die Entwicklung zweistufig: Zunächst wurden durch Gesetz vom 17.7. 1933 299 "sämtliche Zuständigkeiten der Kreistage" den Kreisausschüssen 300 zugewiesen. Die Kreistage blieben formell bestehen, was jedoch lediglich als Zwischenlösung gedacht war. Aufgrund des Preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes vom 15.12.1933 301 wurden dann die Kreisausschüsse als Beschlußbehörden beseitigt und damit ihrer Mitwirkungsrechte bei Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung (Kommunalaufsicht und polizeiliche Funktionen) beraubt. Ihren Aufgabenbereich übernahm der Landrat, der dadurch entsprechend der nationalsozialistischen Staatsdoktrin immer mehr zum "Führer" der Verwaltung in der Kreisinstanz aufstieg. Zu einer reichseinheitlichen Neuregelung der Landkreisverfassung ist es dagegen nicht gekommen. Die Verwaltungstätigkeit der Kreise richtete sich also auch ab 1933 grundsätzlich nach Landesrecht. Reichsweite Regelungen, bezogen auf die Kreisinstanz, fanden sich sehr verstreut lediglich in dem Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. 3. 1933,302 der Verordnung zur Sicherung der Staatsführung vom 7.6. 1933,303 dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14.7.1933,304 der Durchführungsverordnung zur Deutschen Gemeindeordnung vom 22.3.1935 305 und der Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 28. 1. 1938. 306 In der Verfassungswirklichkeit des Nationalsozialismus mußten die Landkreise einen starken Bedeutungsverlust hinnehmen. Nicht nur, daß ihnen eine Reihe von Zuständigkeiten aufgrund der Schaffung immer neuer Reichssonderbehörden verloren gingen. 307 Auch innerhalb der den Landräten verbleibenden Kompetenzbereiche trat eine deutliche Zentralisierung ein, d. h. die eigentliche Entscheidungsbefugnis wurde auf übergeordnete Instanzen verlagert. 308 298 Jeserich, Landkreise 1933-1945, S. 92. 299 PrOs 1933, S. 257 ff. 300 Zum ganzen vgl. A. von Mutius, Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: Jeserich/ Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 1073. 301 PrGS 1933, S. 427 ff. 302 RGBl. 1933, Teil I, S. 153 f. 303 RGBI. 1933, Teil I, S. 462 f. 304 RGBI. 1933, Teil I, S. 479. 305 RGBI. 1935, Teil I, S. 393. 306 RGBI. 1938, Teil I, S. 1657 f. 307 Als Beispiele seien genannt: Die Schaffung besonderer Gesundheitsämter und Straßenbaubehörden, eigener Forstverwaltungs-, Veterinär- und Landesplanungsämter. Antriebsmotor für die immer stärkere Zentralisierung von Verwaltungsaufgaben war der seit 1934 einsetzende Ressortpartikularismus der Reichsressorts, s. o. A II 5. 308 Dazu siehe Diehl-Thiele, S. 173 ff.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Hinzu kamen Übergriffe der NSDAP-Kreisleiter auf die Verwaltungsführung, 309 was bereits im Juli 1934 von dem Magdeburger Regierungspräsidenten heftig beklagt wurde. 310 Es gebe schon jetzt, so schrieb der Regierungspräsident, Schwierigkeiten, geeignete vorgebildete Beamte zu finden, die bereit seien, frei werdende Landratsämter zu übernehmen. Viele Beamte scheuten sich nämlich vor der Annahme einer Landratsstelle, weil die Landräte Weisungen nicht nur vom Regierungspräsidenten, sondern auch vom Kreisleiter erhielten. Der Bericht endete mit dem Hinweis, daß vor allem diejenigen Beamten, die Mitglieder der NSDAP seien, aufgrund ihrer Doppelstellung in schwerste Konflikte geraten könnten. Das Neben- und Gegeneinander von Kreisleitern und Landräten verstärkte sich nach Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung (1935) noch. Es ging jetzt in erster Linie um die Ernennung der Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister in den Gemeinden, für die der Kreisleiter als kommunaler "Beauftragter der NSDAP" ein Vorschlagsrecht, der Landrat als "Aufsichtsbehörde"311 jedoch letztlich das Auswahlrecht besaß. 312 Aufgrund der Ausübung verschiedenster Formen psychischen Drucks auf den Landrat konnten sich die Kreisleiter gleichwohl häufig durchsetzen. Die seit 1939 vom Reichsinnenministerium ausgehenden Versuche, den Landräten den Rücken zu stärken bzw. den Parteieinfluß auf die Landkreisverwaltung zurückzudrängen, schlugen mehr oder weniger fehl. Zwar betonte die "Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen" vom 28.12.1939 313 noch einmal die Alleinzuständigkeit der Landräte für hoheitliche Verwaltungsaufgaben; der Landrat wurde als die ,,in allen Fragen ... zusammenfassende maßgebliche Stelle bezeichnet (während der Kreisleiter lediglich berechtigt sein sollte, dem Landrat "Anregungen zu behördlichen Vorhaben und Maßnahmen" zu geben und ihm vom Standpunkt der Menschenführung aus auf maßgebliche Gesichtspunkte aufmerksam zu machen). Und zwar stellte die zweite Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen vom 24.6.19413 14 klar, daß der Landrat der politische Beamte seines Verwaltungsbezirks sei, den "die in Frage kommenden Dienststellen" zu unterstützen hatten. Doch änderte sich an den in den Kreisen herrschenden Zuständen nichts. Noch im Januar 1943 forderte nämlich der Verfasser einer Denkschrift aus der Reichsinnenverwaltung, den "in 309 Was den Drang der Reichsministerien nach Zentralisierung der Entscheidungsbefugnisse noch verstärkte! 310 Schreiben des Regierungspräsidenten von Magdeburg an den Preußischen Ministerpräsidenten; Abschrift in BA, Akte R 43 11/1263. 311 V gl. § 33 der 1. DVO zur DGO vorn 22.3. 1935 (RGBI. 1935, Teil I, S. 393); siehe schon Fußnote 179. 312 Dazu vgl. auch oben A 11 4. 313 RGBI. 1940, Teil I, S. 45 f. 314 Unveröffentlicht; Abschrift in BA, Akte R 43 111703a, BI. 37 f.

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Frage kommenden Persönlichkeiten im Sektor der Partei unter Hinweis auf den Ernst der Lage" zu befehlen, sich entsprechend der Anordnung ... vom 28.12.1939 ... strikt daran zu halten, nur die ihnen übertragenen Aufgaben zu erledigen. 315 Die Kreisleiter der NSDAP müßten sich künftig ,jeglichen Eingriffes in die laufende Verwaltungsführung enthalten". 316 Anders als im Altreich erfolgte für die seit 1938 neu gebildeten österreichischen, sudetendeutschen und auf ehemals polnischem Boden belegenen "Reichsgaue" eine wenn auch nur rudimentäre Neustrukturierung der Landkreisinstanz. Entsprechende Regelungen lassen sich im Ostmark- 317 bzw. Sudetengaugesetz 318 finden; sie sollen aber wegen des dazu notwendigen Vorverständnisses erst später erläutert werden. 319

7. Das Kommunalrecht im Nationalsozialismus Ähnlich den Landkreisen befanden sich auch die Gemeinden am Ende der Weimarer Republik in einer schweren Krise. War ihnen durch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 noch Se1bstverwaltung 320 garantiert 321 und eine Verpflichtung, die Wahlen zu den Gemeindevertretungen nach demokratischen Grundsätzen 322 durchzuführen, auferlegt worden, 323 so galten sie jetzt bei bekannten Verfassungstheoretikern als "pluralistische Sprengkörper im Gefüge des Staates",324 deren Eigenleben zugunsten zentralistischer Strukturen beendet werden müßte.32~

315 Denkschrift "Durchführung des Führererlasses vom 13.1. 1943 (ohne Verfasserangabe); in: Bundesarchiv, Akte R 18/5452, BI. 19 ff. 316 Auch im Jahre 1944 kam es noch zu Klagen über Einflußnahmen der NSDAP auf die Verwaltungsarbeit der Kreise. V g1. dazu den Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Kaltenbrunner, an den Reichsinnenminister vom 26.8.1944 (in: BA, Akte R 18/1263). Kaltenbrunner stellt darin fest, daß es von seiten der Partei zu 1. Einzeleinwirkungen auf Verwaltungsentscheidungen, stellenweise zum politischen Druck gesteigert, 2. Übernahme von Verwaltungsaufgaben ... " komme. Darüber hinaus seien eigene Verwaltungsapparate der Partei gebildet worden, z. B. "politische Staffeln". 317 Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark - Ostmarkgesetz - vom 14.4.1939; RGB1. 1939, Teil I, S. 777 ff. 318 Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Reichsgau Sudetenland - Sudetengaugesetz - vom 14.4.1939; RGB1. 1939, Teil I, S. 780 ff. 319 Siehe sogleich unter A 11 8. 320 Darunter ist die eigenverantwortliche, nur durch eine Rechtsaufsicht des Staates eingeschränkte, Erledigung von Verwaltungsaufgaben zu verstehen. 321 Zur Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung vgl. Art. 127 WRV. 322 Das sind Allgemeinheit, Gleichheit, Unmittelbarkeit und Nichtöffentlichkeit der Wahl sowie Wahlberechtigung aller "reichsdeutschen" Männer und Frauen. 323 Siehe Art. 17 11 WRV. 324 So Köttgen, Arnold, Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung (1931), S. 17. 325 Vg1. insbesondere Forsthoff, Ernst, Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat (1932); Schmitt, earl, Der Hüter der Verfassung (1931).

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Als Ursachen für diese negativen Einschätzungen lassen sich die seit 1930 immer offener zutage tretende Ablehnung des Parteienpluralismus und die weitgehende Lähmung der Kommunalverwaltung aufgrund fehlender Direktiven von Exekutive und Legislative anführen. Aber die Krise der Kommunen war nicht nur eine Krise ihres äußeren Erscheinungsbildes - das zugegebenermaßen vielerorts von Parteienstreits in Gemeinderäten und Korruption geprägt war _326 sondern auch eine Strukturkrise. Infolge der schon im Weimarer ,,zwischenreich" 327 einsetzenden Bestrebungen zur Schaffung eines Einheitsstaates waren bedeutsame Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden auf das Reich bzw. die Länder übergeleitet worden, so daß die Gemeinden mehr oder weniger zu bloßen Vollzugsorganen höherer Körperschaften degenerierten. Ihr eigener Wirkungskreis schrumpfte immer weiter, ohne daß dieses Defizit durch eine Vermehrung der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises 328 ausgeglichen wurde. Darüber hinaus bewirkten rascher Bevölkerungszuwachs, Ausweitung des Bereichs der Daseinsvorsorge und Massenarbeitslosigkeit eine zunehmende Zerrüttung der kommunalen Finanzen. 329 Dies wiederum hatte eine noch stärkere Abhängigkeit der Gemeinden von Reich und Ländern als den Geldgebern für Überbrückungskredite zur Folge. Trotz der vielfältigen Probleme auf kommunaler Ebene hatte sich die "Führerbewegung" vor 1933 zunächst relativ wenig mit der Gemeindereformfrage beschäftigt. Ihre Position hatte im wesentlichen in einer Negation der bestehenden Verhältnisse bestanden. 330 Man wollte Obstruktionspolitik 331 betreiben, und zwar durch kompromißloses Eintreten gegen vermeintliche oder wirkliche Mißstände, durch Eklats und durch Propaganda. 332 326 Dazu siehe Christian-Friedrich Menger, Die Entwicklung der Selbstverwaltung im Verfassungsstaat der Neuzeit, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, Festschrift für von Unruh, 1983, S. 35; v. Mutius, Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 1055 ff., 1060. 327 Bezeichnung des Nationalsozialismus für die Weimarer Republik. 328 Als "eigenen Wirkungskreis" der Gemeinden bezeichnet man die Selbstverwaltungstätigkeit, als "übertragenen Wirkungskreis" den Bereich der gemeindlichen, auftragsweisen Ausführung von Staatsaufgaben. Für beide Wirkungskreise hatte Art. 127 WRV eine Institutsgarantie ausgesprochen. Siehe im einzelnen Jellinek, Walter, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1931, S. 539 ff.; auch Peters, Hans, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 307 ff. 329 Dazu von Menger, S. 35; auch Hansmeyer, Karl-Heinrich (Hrsg.), Kommunale Finanzpolitik in der Weimarer Republik, 1973; Menges, Reichsreform und Finanzpolitik, 1971; D. Rebentisch, Die Selbstverwaltung in Weimarer Zeit, in: Püttner (Hrsg.), Handwörterbuch für Kommunalwissenschaft und Praxis, Band I, 2. Aufl., 1981, S. 91 f.; Ribbegge, Die Systemfunktion der Gemeinden - Zur deutschen Kommunalgeschichte seit 1918, in: Frey (Hrsg.), Kommunale Demokratie, Bonn 1976, S. 44 f. 330 Nachweise bei Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 42 ff. 331 Vgl. Lippert, Julius, Im Strom der Zeit, 2. Aufl. 1942, S. 174 f. 332 Siehe Lippert, S. 163 ff.

II. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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Erst nach 1927 war es zu einer Aufwertung der Kommunalpolitik seitens der Partei gekommen, die sich organisatorisch in der Bildung eines Referates für kommunal politische Fragen unter der Leitung Karl Fiehlers 333 niedergeschlagen hatte. Sich die Diskussion um die "Krise der Selbstverwaltung" propagandistisch geschickt zunutze machend, hatte sich die NSDAP in der Folgezeit zur Hüterin gemeindlicher Selbstverwaltungsrechte gegenüber staatlichen Bedrohungen aufgespielt, obwohl sie das Führerprinzip - dessen Kennzeichen ja die unbedingte "Verantwortlichkeit" des "Führers" "nach oben" ist - auch in den Kommunen realisieren wollte. 334 Die Machtübernahme der NSDAP in den Gemeinden lief nach einem ähnlichen Schema ab wie diejenige in den Kreisen. 335 Mittels Drohungen, Einschüchterungen, Verdächtigungen und Verleumdungen, Pressekampagnen, körperlichen Mißhandlungen und "Schutzhaft" wurden viele Bürgermeister dazu gebracht, sich beurlauben oder pensionieren zu lassen. In Preußen entstand auf Görings Veranlassung eine "Sonderabteilung Daluege" im Innenministerium, deren "Untersuchungen" regelmäßig Vorwürfe vermeintlicher finanzieller Unkorrektheiten nach sich zogen, woraufhin weitere Gemeindeleiter aus dem Dienst entfernt wurden. Es kam folglich zu einem umfassenden Personalrevirement in den Gemeinden, wobei allerdings Personalunionen hinsichtlich der Leitungsfunktionen von Partei und Staat 336 eher die Ausnahme waren. 337 Jedoch wurden die vakanten (Ober-) Bürgermeisterstellen in der Regel mit NSDAP-Parteifunktionären besetzt. 338 Scheinbar rechtsstaatliche Verhältnisse herrschten allein noch in Preußen, wo am 12. März 1933 letztmals Kommunalwahlen stattfanden, zu einem Zeitpunkt also, da eine Auflösung der Parteien noch nicht stattgefunden hatte. Trotz ihres enormen propagandistischen Aufwands gelang es der NSDAP an jenem Wahltage in den meisten preußischen Gemeinden nicht, die absolute Mehrheit der Stimmen zu erringen. 339 Außerhalb Preußens gab es - mit Ausnahme von Braunschweig 340 - keine Wahlen zu den gemeindlichen Vertretungskörperschaften mehr. Hier griffen unmittelbar die Regelungen des Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich,341 wonach sämtliche kommunalen Vertretungskörperschaften aufzu333 Vgl.Schön. Waldemar. 10 Jahre nationalsozialistische Kommunalpolitik, in: Die Nationalsozialistische Gemeinde 1937, S. 507 ff. 334 v. Mutius. in: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Band 4, S. 1060 m. w.N. 335 Dazu siehe bereits oben A 11 6. 336 D.h. Ortsgruppenleiter und Bürgenneister. 337 Genaue Zahlen bei Matzerath. Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 79. 338 v. Mutius. in: Deutsche Verwaltungs geschichte, Band 4, S. 1062. 339 Wahlergebnisauflistung bei Matzerath. S. 64 ff. 340 Dort fanden Kommunalwahlen zusammen mit der Reichstagswahl am 5.3.1933 statt. 341 RGBI. 1933, Teil I, S. 153 ff.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsautbau zwischen 1933 und 1945

lösen, die Zahl der Mandate zu verringern und die verbleibenden Sitze den Parteien nach dem Verhältnis der bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 in dem Gebiet der betreffenden Gemeinden für sie abgegebenen Stimmen neu zuzuteilen waren. Aber auch diese Maßnahmen brachte den Nationalsozialisten in den Gemeinderäten vielerorts nicht die anvisierte Mehrheit. Deshalb war es für sie besonders wichtig, die gemeindliche Exekutivgewalt in ihre Hände zu bekommen und dazu in der oben 342 dargestellten Weise zu verfahren. Die Übernahme der Macht in den Gemeinderäten glückte der "Bewegung" erst, nachdem die übrigen Parteien verboten worden waren oder sich "freiwillig" aufgelöst hatten. Damals, im Sommer 1933, waren jedoch bereits wesentliche Hoheitsrechte der kommunalen Vertretungskörperschaften auf die Bürgermeister übergeleitet worden, so daß dieser späte Sieg nicht mehr ins Gewicht fiel. Am eindrucksvollsten dokumentiert wird die im Laufe des Jahres 1933 stattgefundene "Nazifizierung" der Gemeinden durch die Gleichschaltung ihrer Interessenvertretungen. Der am 22.5.1933 gebildete - allerdings erst durch Gesetz vom 15.12.1933 343 formal legalisierte - Deutsche Gemeindetag (DGT) schloß alle bis dahin existierenden (sechs) kommunalen Spitzenverbände 344 zu einer den nationalsozialistischen Prinzipien faktisch verpflichteten Einheitsorganisation zusammen. 345 Noch im "alten, liberalistischen Staatsdenken" verhaftete Bürgermeister konnten auf diese Weise verbandsintern kontrolliert und nationalsozialistisch ausgerichtet, Konflikte zwischen Staat und Gemeinden bereits auf unterer Ebene (zugunsten des ersteren) entschieden werden. 346 Ihr sinnfälliges Ende fand die kommunale "Nazifizierung" in dem Aufhören der Terroraktionen von SA und SS gegen Gemeindeorgane, 347 in der Aufhebung ortsweise eingerichtet gewesener "Sonderkommissariate" der Partei 348 und in der Auflösung der "Sonderabteilung Daluege".349 Nun ging es nicht mehr in erster 342 Siehe vorstehend. 343 Gesetz über den Deutschen Gemeindetag vom 15.12.1933; RGBI. 1933, Teil I, S. 1065 f. 344 Darunter den Deutschen Städtetag. 345 Vorsitzender dieser Organisation war nicht von ungefähr der damalige Leiter der kommunalpolitischen Abteilung der NSDAP und Münchner Oberbürgermeister Fiehler; die Führung der laufenden Geschäfte oblag indes dem altgedienten Kommunalbeamten Kurt Jeserich. 346 Zur Vorgeschichte der Bildung des Deutschen Gemeindetages vgl. leserich, Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: leserich/ Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 487 ff., 519 ff. 347 Das Preußische Innenministerium untersagte diese Terrorakte sogar förmlich: vgl. unveröffentlichten Runderlaß vom 30.5.1933, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 52.

348 Dazu Matzerath, S. 83. 349 Siehe Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland, 2. Aufl., Köln, Opladen 1962, S. 475 ff.

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Linie darum, die Gemeinden der Reichspolitik "gleichzuschalten", sondern darum, die kommunalen Organisations strukturen dem nationalsozialistischen Weltbild entsprechend umzugestalten. Vorreiter in dieser Richtung war die Preußische Staatsregierung unter Göring als Vorsitzendem. Für Preußen hatte sich ein Bedürfnis zur Neuregelung des Kommunalverfassungsrechts vor allem daraus ergeben, daß es immer wieder zu Übergriffen von Parteigrößen auf die Verwaltungsführung der Gemeinden gekommen war. So hatte etwa der Gauleiter in Pommern, Karpenstein, den Bürgermeisteranwärtern seines Bezirks eine vorgedruckte Erklärung zur Unterschrift vorlegen lassen, in der diese sich verpflichten sollten, etwaige Anweisungen der pommerschen NSDAP-Gauführung genau zu beachten. 350 Göring, insofern ganz Interessenvertreter des Staates, trachtete danach, eine derartige Untergrabung der Behördenautorität für alle Zukunft unmöglich zu machen. Er beauftragte deshalb seine Innenverwaltung mit der Ausarbeitung entsprechender Gesetzentwürfe. 351 Das Ergebnis war ein strikt zentralistisches und obrigkeitlich ausgerichtetes Preußisches Gemeindeverfassungsgesetz, das - entgegen anderslautender Bitten der eine Vorwegnahme der reichseinheitlichen Kommunalreform befürchtenden Reichsinnenverwaltung 352 - bereits am 15. Dezember 1933 in Kraft gesetzt wurde. 353 Wesentliche normative Regelungen des Gesetzes betrafen die Befugnisse der Gemeinderäte, die Stellung der Bürgermeister und die Aufsichtsrechte des Staats über die gemeindliche Verwaltungstätigkeit. Entsprechend nationalsozialistischen Vorstellungen wurden die Gemeinderäte von der politischen Willensbildung nahezu vollständig ausgeschlossen und zu in nicht öffentlichen Sitzungen tagenden Beratungsorganen des Gemeindeleiters umgewandelt. Alle Entscheidungsgewalt lag stattdessen beim Bürgermeister / Gemeindevorsteher als dem "Unterführer" auf kommunaler Ebene. Er war weder an Weisungen aus der Partei, noch an Zustimmungsakte des Gemeinderats gebunden, auch nicht in Haushaltsfragen.Der nach unten weitgehend unabhängigen Stellung des Bürgermeisters 354 entsprach seine absolute Weisungsunterworfenheit Abschrift in Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77 /I. Die Beauftragung erfolgte am 26.10.1933; vgl. Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 90, Sitzungsprotokolle 1933. 352 In einem Rundschreiben hatte Reichsinnenminister Frick bereits am 28. 10. 1933 die Länder ersucht, "von einer landesrechtlichen Neuregelung des Gemeindeverfassungsrechts abzusehen, bis die Richtlinien des Reichs für die Neugestaltung des Gemeinderechts feststehen" (Abschrift in Bundesarchiv, Akte R 18/5436). 353 Gesetzestext in: Preußische Gesetzessammlung 1933, S. 427 ff. 354 Insofern bedeutete das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz auch eine Abkehr von der damals in Preußen herrschenden Magistratsverfassung (bei der die Verwaltung mit Ausnahme der laufenden in der Hand eines Kollegialorgans - des Magistrats, gebildet aus dem / den Bürgermeistern und mehreren Ratsherrn / Stadträten mit Fachkompetenzen -liegt) und den Übergang zur Bürgermeisterverfassung (nach der die Verwaltung zentral von einem Bürgermeister geleitet wird); zutreffend von Mutius, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 1068. 350 351

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unter die preußischen Landes- bzw. Reichsbehörden: Im Rahmen der auftragsweisen Ausführung von Staatsaufgaben bestand fortan Dienst-, bezüglich der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben Fachaufsicht. 355 Die Position der NSDAP war demgegenüber denkbar schwach ausgebildet: Einflußnahmemöglichkeiten auf die Verwaltungsführung bestanden allein über den Gemeinderat, dem die örtlichen Leiter von Partei, SA und SS Kraft ihres Amtes angehörten (während die übrigen Gemeinderatsmitglieder von der Aufsichtsbehörde auf Vorschlag des Parteigauleiters für sechs Jahre ernannt wurden - Abkehr vom Volkswahlprinzip). Da dem Gemeinderat, wie dargestellt, jedoch keinerlei Entscheidungsbefugnisse zustanden, blieben die Parteigrößen von der örtlichen Verwaltung weitgehend ausgeschlossen. Angesichts dieser Tatsache nimmt es nicht wunder, daß sich aus der NSDAP heftigste Proteste gegen das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz regten. In einem Brief vom 9. April 1934 an den Reichsinnenrninister 356 konstatierte etwa der thüringische Gauleiter und Reichsstatthalter Sauckel, daß unter den alten Nationalsozialisten in Gemeinden und Kreisen Erbitterung und Empörung gegen die Verwaltung vorherrschten. Daß das Gesetz (vom 15.12.1933) den Ortsgruppenleiter (der Partei) praktisch dem Gemeindevorsteher unterstelle, werde von diesen als unverständlich, ja niederschmetternd empfunden, heißt es dort weiter. Die preußische Kommunalverfassung sollte angeblich die NSDAP zu einem einflußlosen Verein degradiert und die oft sehr jungen politischen SA- und SSFührer in den Gemeinden noch zusätzlich dadurch schikaniert haben, daß sie als Mindesteintrittsalter für den Gemeinderat 25 Lebensjahre festgelegt hatte. 357 Daß die Einwände aus der Partei letztlich fruchteten, zeigen die Bestimmungen der am 30. Januar 1935 in Kraft getretenen Deutschen Gemeindeordnung. 358 (Sie löste in Preußen das Gemeindeverfassungsgesetz vom 15.12.1933 ab!) Man hatte 355 Wenn nämlich § 59 Gemeindeverfassungsgesetz festlegte: "Die Aufsichtsbehörde hat [im Rahmen ihrer Aufsicht über die gemeindliche Selbstverwaltung] sicherzustellen, daß die Gemeinde im Einklang mit den Zielen der Staatsführung gesetzmäßig, wirtschaftlich, sparsam und sauber verwaltet wird ... " (entsprechende Formulierungen auch in § 63 ff. bezüglich der Aufsichtsmittel der Beanstandung, des Anordnungsrechts und der Entsendung eines Beauftragten), dann war damit ausgedrückt, daß sich die Aufsicht auf alle freiem Gemeindeermessen unterliegenden Maßnahmen erstrecken, also auch eine allgemeine Zweckmäßigkeitsprüfung beinhalten sollte. Wo die Aufsichtsbehörde aber Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit von Maßnahmen untergeordneter Körperschaften nachprüfen darf, da besteht nach heutiger Diktion Fachaufsicht. (Zutreffend bereits für die damalige Rechtslage - Hellner, Alfred: Die Gestaltung der Aufsicht des Staates über die Gemeinden durch die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935, S. 12). 356 Brief Sauekels an den Reichsinnenminister vom 9.4.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/568. 357 Das ergab sich allerdings nicht allein aus dem Preußischen Gemeindeverfassungsgesetz, sondern aus § 3 I der ersten Durchführungsverordnung zum Gemeindeverfassungsgesetz (vom 20.12.1933; in: PrGG 1933, S. 497 ff.) i. V.m. § 40 I Gemeindeverfassungsgesetz. 358 Noch einmal: RGBI. 1935, Teil I, S. 49 ff.

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die Institution eines "Beauftragten der NSDAP" geschaffen, dem die Aufstellung der Bürgermeisterkandidaten zukam, 359 der der gemeindlichen Hauptsatzung (Gemeindeverfassung) zuzustimmen hatte, 360 Ehrenbürgerrechte verleihen konnte 361 und "im Benehmen mit dem Bürgermeister" die Gemeinderäte berief. 362 Damit war die Partei in die Gemeindeverwaltung zwar nicht integriert worden, sie hatte aber doch gewisse Hoheitsbefugnisse übertragen erhalten. Die Deutsche Gemeindeordnung besaß folglich keinen so zentralistisch-etatistischen Charakter wie das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz. Besondere Bedeutung erlangten auch die sich auf das Reich-Länder-Verhältnis beziehenden Regelungen der DGO. Die Gemeinden wurden zunächst als Gebietskörperschaften klassifiziert, die sich "unter eigener Verantwortung verwalten" (§ 1 11 DGO); damit war nach herkömmlichem Gesetzesverständnis ausgesagt, daß ihnen Hoheitsaufgaben zur Selbstverwaltung übertragen werden sollten. 363 Was den Umfang der gemeindlichen Selbstverwaltung anbelangt, legte § 2 11 DGO eine Allzuständigkeit für jene Aufgaben des örtlichen Bereichs fest, die nicht ausdrücklich anderen Stellen zugewiesen waren. Neben die hier als der "Selbstverwaltung" zugehörig bezeichneten Hoheitsbefugnisse trat die Ausführung staatlicher Aufgaben; 364 der für die Gemeindeverwaltung typische Dualismus zwischen übertragenem und eigenem Wirkungskreis blieb also ansatzweise erhalten. Gleichwohl bestanden in der Sache erhebliche Unterschiede gegenüber dem althergebrachten Verfassungszustand. Den Ansatzpunkt hierfür bildete das veränderte Verständnis von der Herleitung der Selbstverwaltungsbefugnisse. Während die kommunale Selbstverwaltungstätigkeit im liberalistischen Staat - sowohl in der Weimarer Republik als auch im heutigen Deutschland - als den Gemeinden ureigene, vorstaatliche Aufgabe verstanden wird, galt sie im Nationalsozialismus als Ausfluß der Reichsgewalt; die gemeindlichen Hoheitsbefugnisse waren demzufolge lediglich vom Reich abgeleitet, dieses blieb wie seit 1934 ein Einheitsstaat. Den Bereich der den Gemeinden "zur Erfüllung nach Anweisung" 365 übertragenen Aufgaben gestaltete die Gemeindeordnung äußerst rudimentär. Nähere Regelungen, insbesondere was die Aufsichtsrechte des Reiches betraf, fehlten weitgehend. Daraus entnahm die Praxis, daß insoweit die für das Verhältnis des Staates zu den Ländern geltenden Normen entsprechende Anwendung finden mußten. 366 Vgl. § 41 DGO. § 33 I Nr 1 DGO. 361 § 33 I NT. 2 DGO. 362 § 51 I DGO. 363 Der Begriff "Selbstverwaltung" wird von der DGO allerdings - aus guten Gründen, wie sich zeigen wird - an keiner Stelle ausdrücklich benutzt. 364 § 2 III DGO. 365 § 2 III 1 DGO. 366 Sie konnte sich dabei auf Nr. 3 der Ausführungsanweisung zu § 106 DGO stützen, die folgendermaßen lautete:. 359

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Somit war klar, welche Kontrollbefugnisse den obersten Reichsbehörden bei der gemeindlichen Ausführung von Staatsaufgaben zur Verfügung standen: Die Möglichkeiten, unbeschränkt fachliche bzw. personelle Weisungen an die Exponenten der Kommunalverwaltungen zu erteilen, und durch Ausführungsanweisungen vorzuschreiben, wie die entsprechenden Gesetze anzuwenden seien. Man muß dementsprechend von einer Dienstaufsicht der Reichsministerien über die Kommunalbehörden im Bereich der übertragenen Aufgaben sprechen. 367 Wenn davon abweichend in der Literatur der damaligen Zeit von ,,Fachaufsicht" die Rede ist,368 so dokumentiert dies nur einen schleichenden Begriffswandel. Anders als nach heutigem und auch früherem Verständnis 369 war mit "Fachaufsicht" nämlich augenscheinlich nicht gemeint, daß von Seiten des Reichs nur eine Rechtrnäßigkeits- und Zweckmäßigkeitskontrolle gemeindlicher Rechtsakte stattfinden sollte. Die Kommunalbehörden galten vielmehr als nachgeordnete Dienststellen der Reichsministerien, 370 waren also deren Dienstbefehlen uneingeschränkt unterworfen. 371 Bestätigt sich hierin noch der grundsätzlich unitarische Charakter des nationalsozialistischen Deutschlands, so können doch auch Dezentralisierungse1emente der DGO entnommen werden. Als Beispiel sei die Staatsaufsicht über die gemeindliche Selbstverwaltung angeführt; ihre Ausgestaltung hält allerdings einem Vergleich mit heutigen Verhältnissen kaum Stand. Bereits § 1 11 3 DGO bestimmte, daß das selbstverwaltende Wirken der Gemeinden unter dem Vorbehalt des Einklangs mit den Gesetzen und den Zielen der Staatsführung stehe. 372 § 10 S. 2 3. Die Vorschriften der §§ 106 ff. DGO regeln ausschließlich die sogenannte Kommunalaufsicht. Hinsichtlich der Aufsicht über die gemeindlichen Aujtragsangelegenheiten (Fachaufsicht) und der für einzelne Gebiete (z. B. Gemeindeforsten, Wegewesen) bestehenden Sonderaufsicht bewendet es bei den bestehenden Vorschriften. Den Fachaufsichts-

behörden und den Sonderaufsichtsbehörden stehen jedoch, worauf ausdrücklich hingewiesen wird, die Aufsichtsmittel der §§ 108 ff. DGO nicht zur Verfügung (vgl. auch AusfAnw. zu § 114). 367 So auch zutreffenderweise bereits A. Länn. Das Verhältnis von Staat und Gemeinde, insbesondere die Grenzen der Staatsaufsicht nach der Deutschen Gemeindeordnung, Diss. Halle-Wittenberg 1939; S. 38; Dieckmann. Die Selbstverwaltung im neuen Staat, Berlin 1933, S. 22. 368 Vgl. Kerrl/Weidemann. Komm. zur DGO, 2. Aufl., 1937, S. 655 f.; Suren/ Loschelder. Komm. zur DGO, 2. Aufl., 1940, Band 2, S. 415 u.a. 369 Dazu siehe etwa: Rudolf, Walter: Verwaltungsorganisation, in: Hans-Uwe Erichsen/Wolfgang Martens. Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., 1992, § 56 IV 2 RZ.48. 370 Siehe Suren / Losehelder. Komm. zur Deutschen Gemeindeordnung, 2. Aufl. 1940, Band 2, S.409; auch A. Hellner. Die Gestaltung der Aufsicht des Staates über die Gemeinden durch die deutsche Gemeindeordnung vom 30. Jan. 1935, S. 7. 371 Losehelder (in Suren/ Losehelder. S. 415) und A. Stratmann. Die Staatsaufsicht über die Gemeinden nach der Deutschen Gemeindeordnung, Berlin 1937, S.52/53, sehen denn auch den Unterschied von Dienst- und Fachaufsicht einzig und allein darin, daß sich erstere unmittelbar gegen den einzelnen Amtsträger, letztere hingegen nur gegen die Gemeinde als solche richtet; vom Umfang her sei aber auch die Fachaufsicht unbeschränkt; a. A. Länn. S. 39.

H. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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DGO relativierte diese Aussage jedoch insoweit, als bei der Handhabung der Aufsicht die "Entschlußkraft und Verantwortungsfreudigkeit" der Gemeindeverwaltung nicht beeinträchtigt werden sollte. Demnach war zum einen zwar eine Verstärkung der Kommunalaufsicht gegenüber dem vor 1933 bestehenden Rechtszustand 373 erfolgt, andererseits aber konnte aus der normativen Beschränkung der Staatskontrolle (Überprüfung nur bezüglich Rechtmäßigkeit und Vereinbarkeit mit den Staatszielen) entnommen werden, daß den Gemeinden in bestimmtem Rahmen weiterhin eigenverantwortliche Verwaltungstätigkeit erlaubt sein würde. Über die Reichweite der Kommunalaufsicht im einzelnen bestand allerdings nach Erlaß der Gemeindeordnung weitgehend Unklarheit. Dies lag daran, daß § 106 DGO eine ganze Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe enthielt, die der Ausfüllung harrten: Wie umfassend hatte die Kontrolle der Vereinbarkeit mit den Staatszielen zu sein, welche Maßnahmen würden die Entschlußkraft und Verantwortungs freudigkeit der Gemeinde in gesetzwidriger Weise beeinträchtigen? Gewisse Anhaltspunkte für die Vorstellungen des Gesetzgebers zu diesen Fragen ließen sich aus der Amtlichen Begründung zur DG0374 und der Ausführungsanweisung des Reichsinnenministers zu § 106 DG0375 entnehmen. In ersterer hieß es, sichergestellt werden müsse, daß ein Kampf, ja ein gegensätzliches Verhalten in grundsätzlichen Zielen der Staatsführung ... völlig ausgeschlossen sei. Damit sollte aber keineswegs das berechtigte Eigenleben der Gemeindern eingeschnürt oder durch die staatliche Bürokratie gelähmt werden, weshalb die Aufsichtsbehörden die freie Entfaltung der Entschlußkraft und Verantwortungsfreudigkeit der Kommunen zu fördern verpflichtet sein sollten. Die Ausführungsanweisung stellte fest, daß es dem Willen des Gesetzes nicht entspräche, wenn die Aufsichtsbehörden versuchten, aufgrund der ihnen gegebenen Befugnisse in alle Einzelheiten der Gemeindeverwaltung hineinzuregieren. Eine derartige Handhabung der Aufsicht verkenne, daß die DGO die Erledigung der Selbstverwaltungsangelegenheiten den Gemeinden prinzipiell selbst überlasse. Die Aufsichtsbehörden hätten lediglich zu überwachen, daß die Betätigung der Gemeinden sich stets in den Grenzen der reichsrechtlichen, landesrechtlichen und ortsrechtlichen Vorschriften halte sowie - Überwachung des Einklangs mit den Zielen der Staatsführung! - "die großen, grundsätzlichen politischen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte" beachte, "von denen die nationalsozialistische Staatsführung alle Zweige des öffentlichen Lebens geleitet zu wissen wünscht". 376 372

So auch § 106 S. 1 DGO.

373 Der zumeist durch eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle gemeindlicher Maßnah-

men durch die Aufsichtsbehörde gekennzeichnet war (sog. Rechtsaufsicht); vgl. Gönnenwein, Gemeinderecht § 6, S. 22. 374 Abgedruckt bei Suren/ Losehelder, Band 2, S. 407 f. 375 Abgedruckt bei Suren / Losehelder, Band 2, S. 405 f. 376 Ausführungsanweisung zu § 106 DGO, NT. 2 b bb; abgedruckt bei Suren / Losehelder, S.406. 6 Bachnick

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Sichergestellt werden sollte somit vor allem der Gleichklang von Kommunalverwaltung und Reichsfachbehörden; "selbständig" waren die Gemeindebehörden nur noch insoweit, als sie die staatlichen Vorgaben einhielten. Weil ihre Entschlußfreudigkeit und Entscheidungsgewalt aber in dieser Weise begrenzt wurden, konnten die Gemeinden statt als Selbstverwaltungsträger viel eher als untergeordnete Reichsverwaltungsinstanzen bezeichnet werden. Der Begriff der "grundsätzlichen Ziele der Staatsführung" war so unbestimmt, daß er der Reichsinnenverwaltung praktisch für jeden denkbaren Fall eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Kommunalverwaltung gestattete. Daß es sich bei der Ausführung gemeindeeigener Aufgaben nach der Deutschen Gemeindeordnung um keine Selbstverwaltung im überkommenen Wortsinne handelte, zeigt auch ein Blick auf die damals sehr umstrittene Frage, ob dem Staat eine Zweckmäßigkeitskontrolle kommunaler Ermessensakte zukomme. Aus der Amtlichen Begründung zur DGO ließ sich insoweit entnehmen, daß an eine die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Gemeindeverwaltung einschließende Überwachung, an eine echte Fachaufsicht entsprechend heutigem Verständnis also, nicht gedacht war. 377 Der Gesetzgeber wollte hinter den staatlichen Einflußnahmemöglichkeiten, wie sie das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz vorgesehen hatte, zurückbleiben. Gleichzeitig wurde in der Amtlichen Begründung aber betont, daß die schwerwiegende Verletzung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Sauberkeit der Verwaltung einen Verstoß gegen die Ziele der Staatsführung bedeute. 378 Damit war eine im atypischen Einzelfall erfolgende Nachprüfung kommunalen Ermessens zumindest offengelassen worden. Demgegenüber hieß es in der Ausführungsanweisung zu § 106 DGO, dem Gesetzeswillen würden Eingriffe in das den Kommunen zustehende Behördenermessen nicht entsprechen; reine Ermessungsfragen müßten der gemeindlichen Selbstverwaltung vorbehalten bleiben. 379 Konnte folglich in den ersten Monaten nach Inkrafttreten der Gemeindeordnung eine einheitliche Haltung der Reichsministerien zu der hier interessierenden ·Frage nicht festgestellt werden, so lichtete sich der Nebel etwas, als Suren und Loschelder, beides Referenten in der kommunalpolitischen Abteilung des Reichsinnenministeriums, 380 ihren DGO-Kommentar veröffentlichten. Darin stellten sie fest, daß die Aufsichtsbehörden im Rahmen ihrer Befugnis zur Rechtmäßigkeitsüberprüfung kommunaler Entscheidungen Ermessensakte im Hinblick auf be377 Siehe Amtliche Begründung zur DGO, abgedruckt bei Suren/ Losehelder, hier S. 407: " ... will der neue Staat keineswegs das berechtigte Eigenleben der Gemeinden einschnüren oder durch die staatliche Bürokratie die gemeindliche Selbstverwaltung lähmen.". 378 Amtliche Begründung zur DGO, abgedruckt insofern bei Kerrt / Weidemann, Kommentar zur DGO, 1937, hier: S. 657. 379 Ausführungsanweisung des Reichsministers zu § 106 DGO, abgedruckt insofern bei Kerrl/ Weidemann, Kommentar zur DGO, 1937, hier: S. 658. 380 Vgl. Vorspruch zum Kommentar Fußnote 5.

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stimmte Ennessensfehler (Ennessensmißbrauch, Ennessensüberschreitung) zu kontrollieren hätten. Im Falle eines Ennessensfehlers seien sie berechtigt, Mittel der Staatsaufsicht einzusetzen, um den bestehenden Widerspruch mit dem geltenden Recht zu beseitigen. 381 Eine allgemeine Zweckmäßigkeitskontrolle gemeindlicher Hoheitsakte sollte also offenbar nicht stattfinden, Fachaufsicht entsprechend heutigem Verständnis nicht verwirklicht werden (wenn auch Suren / Loschelder hervorheben, daß schwerwiegende Verstöße gegen die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Aufsichtsrnaßnahmen begründen könnten). 382 Während sich eine Anzahl von Autoren der Ansicht Suren / Loschelders anschloß,383 differenzierten andere weiter: Nur im Falle der Ennessensüberschreitung liege ein zu Aufsichtsmitteln berechtigender Gesetzesverstoß der Kommune vor. 384 Wieder andere lehnten sogar generell eine Überprüfung gemeindlicher Maßnahmen im Hinblick auf Ennessensfehler ab. 385 Markull schließlich trat der Ansicht Suren / Loschelders grundsätzlich bei, betonte aber, daß Staatsaufsichtsmaßnahmen nicht schon wegen vorgeblicher erheblicher Verstöße gegen die Wirtschaftlichkeit bzw. Sparsamkeit gemeindlicher Verwaltungsführung ergriffen werden dürften. 386 Danach ergibt sich hinsichtlich des Umfangs der Staatsaufsicht im "eigenen Wirkungskreis" der Gemeinden folgendes Bild: Die Einwirkungsmöglichkeiten des Reiches waren gegenüber dem Rechtszustand der Weimarer Republik in einem erheblichen Maße vergrößert worden. Immerhin erstreckte sich die Kontrolle auch auf die Vereinbarkeit gemeindlicher Maßnahmen mit den "Zielen der Staatsführung". Letzteres war ein generalklauselartiger Begriff, der staatliche Korrektunnaßnahmen zu jeder Zeit rechtfertigen konnte. Angesichts der Tatsache, daß die einschlägigen Kommentierungen zur Deutschen Gemeindeordnung einer generellen Zweckmäßigkeitsüberprüfung von Gemeindeakten ablehnend gegenüberstanden, ist allerdings zu vennuten, daß keine echte Fachaufsicht statt381 Suren/Loschelder, Kommentar zur DGO, I. Auf!. 1935, S. 281 f; aufrechterhalten in der 2. Auf!, dort Band 2, S. 428 ff 382 Suren/ Losehelder, 2. Auf!., Band 2, S. 427. 383 Kiefer / Schmid, Kommentar zur DGO, 1935, S. 578 ff; Kurt Münch,Besprechung von Johannes Weidemanns Buch "Die Aufsicht des Staates über die Gemeinden", in: Zeitschrift für die gesamte Staatsrechtswissenschaft 1937, Band 97, S. 752 ff; Köttgen, Gemeinde und Staat, RVerwBI. 1939, S. 141. 384 So Weidemann, Die Aufsicht des Staates über die Gemeinden, insbesondere S. 30 ff., 41 ff; Goerdeler, Die Staatsaufsicht nach der Deutschen Gemeindeordnung, in: Reich und Land (RuLd.) 1935, S. 293. 385 So wohl von Köhler, Grundlehren des Deutschen Verwaltungsrechts, Stuttgart / Berlin 1935, S. 133; Nowack, Selbstverwaltung und Auftragsangelegenheiten nach der Deutschen Gemeindeordnung, Dissertation Köln 1936, S. 17 ff., 18. 386 Markull, Fritz, Zur Durchführung der Deutschen Gemeindeordnung; in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Band 25, S. 66 ff., 133. 6*

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finden sollte. Gleichwohl konnte wegen der doch umfassenden aufsichtsbehördlichen Kontrollrechte von einer eigenverantwortlichen Verwaltungstätigkeit der Kommunen keine Rede mehr sein. Selbstverwaltung setzt begriffsnotwendig ein gewisses Maß an Unabhängigkeit von Staat und staatsnahen Institutionen VOfaus. 387 Worin diese Unabhängigkeit der Gemeinden nach 1935 noch bestanden haben soll, ist kaum erkennbar. 388 389 Den Hintergrund der Kontroverse um die Reichweite der aufsichtsbehördlichen Ermessensnachprüfung bildeten interessanterweise Spannungen zwischen Reichsinnenverwaltung und NSDAP-Spitze. Der Partei leitung zuzurechnende Autoren stellten häufig die (angeblich) weitgehend eigenständige Stellung der Gemeinden als Selbstverwaltungskörper heraus; dementsprechend lehnten sie tendenziell Aufsichtsbefugnisse, die nicht eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage hatten - wie in der Zweckmäßigkeitskontrollfrage - ab. 390 Auf der anderen Seite waren Autoren aus der Reichsinnenverwaltung eher bereit, die Aufsichtsbefugnisse über den Gesetzeswortlaut hinaus zu erweitern, 391 um so eine straffe, Zutreffend R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 174. Des Bedeutungswandels des Begriffes "Selbstverwaltung" waren sich die meisten Autoren der damaligen Zeit wohl bewußt. Im Gegenteil empfanden sie die Abkehr von dem früheren Verständnis der Selbstverwaltung (= durch weitgehende exekutive Selbständigkeit und direkte Bürgerbeteiligung gekennzeichnete staatliche Organisationfonn - dazu Hendler, S. 174) als Befreiung von liberalistischer Begrifflichkeit. Unter Selbstverwaltung wurde nunmehr die im Rahmen der Gesetze erfolgende Verrichtung staatlicher Funktionen, die weder solche der Rechtsprechung, noch solche der Rechtsetzung sind, durch dem Staat untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkungskreises selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts" verstanden, vgl. W. Schrader, Der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung, Dissertation, Göttingen 1934, S.76. F. Voigt (Die Selbstverwaltung als Rechtsbegriff und juristische Erscheinung, Leipziger rechtswissenschaftlicher Studien, Heft 110, 1938, S. 224, auch S. 250) reichte es für "echte Selbstverwaltung" sogar aus, daß die Verwaltung auf dem politischen Leben einer in die Gesamtheit eingegliederten engeren Gemeinschaft fußt und von dieser Gemeinschaft getragen ist - was immer das bedeuten sollte. 389 Zu Unrecht berief sich die DGO (siehe Vorspruch zu derselben, RGBI. 1935, Teil I, S. 49) auf die Selbstverwaltungsprinzipien des Freiherrn von und zum Stein. Entgegen euphemistischen Äußerungen der Gesetzesverfasser, man habe die wahre Selbstverwaltung verwirklicht, so Frick, Eckpfeiler des Reichsneubaus, in: VB, Nr. 30, vom 30.1.1935, wurden Steins Ideen nicht berücksichtigt. Dies zeigt sich insbesondere in der Abschaffung der Kommunalwahlen (die zu den Essentialia der Städteordnung von 1808 gehörten; Nachweis bei Menger, in: Festschrift für von Unruh, S. 27). 390 Vgl. insoweit Weidemann (Oberbürgenneister von München und Vertretung des Leiters im Hauptamt für Kommunalpolitik der Reichsleitung der NSDAP) in seiner Kommentierung des § 106 DGO bei Kerrl/ Weidemann, DGO-Kommentar, 1937, S. 668 ff, 673: Nur im Falle von Ennessensüberschreitung, nicht jedoch bei Ennessensfehlgebrauch sollen aufsichtsbehördliche Maßnahmen gegen gemeindliche Selbstverwaltungsmaßnahmen zulässig sein. 391 So etwa Suren (Leiter der Kommunalabteilung im Reichsinnenministerium) und Loschelder (Generalreferent in der Kommunalabteilung des Reichsinnenministeriums): Aufsichtsbehördliche Eingriffsbefugnis schon dann, wenn Selbstverwaltungsmaßnahme "schwerwiegend" gegen die Prinzipien der Wirtschaftlicheit von Sauberkeit der Verwaltung verstößt. 387 388

II. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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von Partei einflüssen mehr oder weniger abgeschottete Verwaltungsführung in den Gemeinden sicherzustellen. So offenbart sich auch hier wieder der schon festgestellte Dualismus zwischen Partei und Staat im Dritten Reich: Die NSDAP bemühte sich um eine zumindest verdeckte Mitwirkung an der kommunalen Verwaltungstätigkeit, 392 die Reichsministerien versuchten, durch weitgehende Straffung der Organisations strukturen bestehende Einwirkungsmöglichkeiten der Partei zu minimieren. Ähnlich dem Begriff "Selbstverwaltung"393 war spätestens 1935 auch der terminus technicus "Aufsicht" fragwürdig geworden, vor allem wegen der durch die DGO dem Staat eingeräumten enormen Kontrollbefugnisse über die Kommunalverwaltung. Es verwundert deshalb nicht, wenn insbesondere Claß, 394 Ipsen, 395 Köttgen 396 und Carl Schmitt 397 einer Abkehr von der überkommenen Begrifflichkeit das Wort redeten. 398 Schmitt setzte sich für den Begriff ,,Führung" zur Charakterisierung der bestehenden Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Gemeinde ein. Diese waren für ihn durch Überwachung, aber auch gegenseitigen Schutz und gegenseitige Fürsorge gekennzeichnet. Freilich ließ er für bestimmte Bereiche, etwa hinsichtlich der "Kommunalaufsicht", noch die überkommene Terminologie gelten, nicht ohne sie jedoch ihres normativistischen Charakters zu entkleiden. Ipsen ging über Schmitt insoweit hinaus, als er die Staatsaufsicht generell als Führungsinstrument bezeichnete und ihre rechtliche Begrenzung schlechterdings ablehnte. Auch für Köttgen war zweifelhaft, ob angesichts der neuen Verfassungslage das Verhältnis von Staat und Gemeinde in Zukunft allein durch die Kategorie der Aufsicht erschöpfend gedeutet werden konnte. Anders als Ipsen und Schmitt wollte er den Begriff "Aufsicht" aber nicht ersetzen. Er stellte vielmehr "Aufsicht" und "Führung" nebeneinander, um beide voneinander abzugrenzen. Mit dem von ClaB entwickelten terminus technicus ,,Lenkung" war im wesentlichen dasselbe wie mit Schmitts Begriff der "Führung" gemeint. Nötig sei, so behauptete ClaB insoweit, nicht nur eine nachträgliche Kontrolle gemeindlicher Rechtsakte, 399 sondern gerade auch die dauernde positive Einwirkung auf die 392 Dazu schon s.o., A II 4. am Ende (psychologische Einflußnahme auf die ja meist der Partei angehörenden Oberbürgenneister und Bürgenneister). 393 Dazu siehe oben, Fußnote 391. 394 H. Claß, Die gelenkte Selbstverwaltung, 1941, insb. S. 60 f. 395 H. P. Ipsen, Über Selbstverwaltung, Aufsicht, Führung, in: Jahrbuch für KommunaIwissenschaft, 4. Jahrgang 1937, S. 1-17. 396 A. Köttgen, Gemeinde und Staat, Aufsicht und Führung, in: RVerwBl. 1939,

S. 141 ff.

397 C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 37 f. 398 Während hinsichtlich des Begriffes Selbstverwaltung nur ein innerer Bedeutungswandel stattgefunden hatte (dazu Fußnote 388).

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Kommunalverwaltung schon im Vorfeld der Entscheidungsfindung, etwa durch Förderung, Ansporn, Hilfe oder Betreuung. 400 Lenkung beinhaltete also mehr, als durch den Ausdruck "Aufsicht" ausgesagt werde. Die neuen Begrifflichkeiten konnten sich in der Verwaltungspraxis nicht durchsetzen. Wie sich bereits in der Deutschen Gemeindeordnung gezeigt hatte, wurden die tradierten termini weitgehend beibehalten. Viele Vertreter der Lehre sprachen ebenfalls noch von "Aufsicht" statt "Führung" oder ,Lenkung", ohne damit aber etwas anderes als Claß, Köttgen oder Schmitt zu meinen. 401 Eines war nämlich weitgehend unumstritten: Daß die "Aufsicht" über die Kommunen durch ein "Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, Schutzes und Fürsorge" geprägt sein müsse. Es gehe nicht darum, den Willen des mächtigeren Hoheitsträgers durchzusetzen, sondern bei der kontrollierten Behörde ein Verständnis für die Richtigkeit der jeweiligen staatlichen Eingriffsmaßnahmen zu wecken, hieß es. Die Realität sah allerdings häufig anders aus, wie noch zu zeigen sein wird. 402 Ging auch die Staatsaufsicht in kommunalen "Selbstverwaltungs"angelegenheiten über das im demokratischen Weimarer Rechtsstaat gekannte Maß deutlich hinaus, so kann dies von den in der DGO vorgesehenen Aufsichtsmitteln grundsätzlich nicht gesagt werden. 403 Ganz ähnlich modernen Kommunalverfassungsgesetzen sah die nationalsozialistische Gemeindeordnung eine unbeschränkte Unterrichtungspflicht der Kommunen (§ 108 DGO) sowie aufsichtsbehördliche Aufhebungs- (§ 109 DGO), Anordnungs- (§ 110 DGO) und Selbsteintrittsrechte (§ 111 DGO) vor. § 112 DGO ermächtigte die Kontrollbehörden zur kommissarischen Organwaltung - unter Voraussetzungen, die heutigem Kommunalrechtsverständnis entsprechen. 404 Eine bedeutsame Abweichung gegenüber dem vor 1933 (und heute wieder) hersehenden Rechtszustand bedeutete jedoch die Vielzahl der in der DGO vorgesehenen staatlichen Genehmigungsvorbehalte für gemeindliche Normsetzungen und Einzelakte. 405 Sie führte in der Verfassungswirklichkeit 399 400

401

Wie sie für Selbstverwaltung an sich typisch ist.

elaß, S. 61.

Z. B. Hellner, S. 1 ff; Suren / Losehelder, S. 408 ff. und Kerrl / Weidemann,

S.661 ff.

Siehe sogleich. Umfassende Darstellung aus damaliger Sichtweise bei Hellner, Gestaltung der Aufsicht des Staats über die Gemeinden nach der Deutschen Gemeindeordnung vom 30.1.1935, S. 27 ff. 404 Schon Hellner, S.40, betonte nämlich den Ausnahmecharakter des § 112 DGO, indem er schrieb: "Die Bestellung eines Beauftragten soll ... grundsätzlich auf die Zeit beschränkt bleiben, während der sie unumgänglich ist." An anderer Stelle heißt es bei ihm: "Die Anwendung dieses Zwangsmittels setzt also, ... im besonderen voraus, daß die Aufsichtsbehörde alle ihr nach dem Gesetz zur Verfügung stehenden Befugnisse erschöpft hat oder nach pflichtmäßiger Prüfung nicht für ausreichend erachtet, um das (gesetzeswidrige) Verhalten der Gemeinde zu beseitigen.". 405 Eine Zusammenstellung der Genehmigungsvorbehalte findet sich bei Suren / Losehelder, 2. Aufl., Band 1, S. 164 f. Sie ist nachfolgend wiedergegeben: "Staatliche Genehmigungsvorbehalte für gemeindliche Hoheitsakte: ... 402 403

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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immer mehr eine Knebelung der Kommunalverwaltung herbei. Als sich die Eingriffe der Partei in die Verwaltungsführung auf Gemeindeebene verstärkten, 406 2. Genehmigungspjlichtige oder anzeigepjlichtige Entschließungen des Bürgermeisters. Genehmigungspflichtig sind nach dem Gesetz folgende Entschließungen des Bürgermeisters: a) Hauptsatzung (§ 3 Abs. 2), b) Satzung über Anschluß- und Benutzungszwang (§ 18), c) Verleihung des Bürgerrechts (§ 19 Abs. 3), d) Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Ausländer (§ 21 Abs. 1 Satz 2), e) Aberkennung des Ehrenbürgerrechts (§ 21 Abs. 2), f) Aberkennung einer Ehrenbezeichnung (§ 28), g) Unentgeltliche Veräußerung von Vermögensgegenständen, Verkauf oder Tausch von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, Veräußerung oder wesentliche Veränderung von Sachen mit besonderem wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert (§ 62 Abs. 2), h) Umwandlung des Stiftungszwecks und Aufhebung von Stiftungen (§ 66 Abs. 2), i) Aufnahme von Darlehen und Kassenkrediten durch Gesellschaften, an denen Gemeinden oder Gemeindeverbände mit mehr als 75 v. H. beteiligt sind (§ 71), k) Umwandlung eines Eigenbetriebes in ein rechtlich selbständiges Unternehmen (§ 75), I) Festsetzung des Gesamtbetrages von Darlehen im Rahmen der Haushaltssatzungen oder Nachtragshaushaltssatzungen (§§ 76, 88), m) Aufnahme von Darlehen, Übernahme von Bürgschaften, Verpflichtung aus Gewährverträgen und Bestellung anderer Sicherheiten zugunsten des Gläubigers eines Dritten; Rechtsgeschäfte, die solchen Rechtsgeschäften wirtschaftlich gleichkommen (§ 78), n) Bestellung besonderer Sicherheiten für einen Gläubiger der Gemeinde (§ 79), 0) Höchstbetrag der Kassenkredite (§ 81), p) Höhe der Steuersätze, Höchstbetrag der Kassenkredite, Darlehensbetrag im außerordentlichen Haushaltsplan als Teile der Haushaltssatzung (§ 86), q) Übertragung und Entziehung der Leitung des Rechnungsprüfungsamtes (§ 101 Abs.2). Der Aufsichtsbehörde müssen nach dem Gesetz angezeigt werden die Absicht von Verhandlungen über Änderung des Gemeindegebiets (§ 14 Abs. 1) und die Absicht der Errichtung oder wesentlichen Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen (§ 68). An die Stelle im Gesetz vorgesehener Genehmigungspflichten ist unter gewissen Voraussetzungen bei Stadtkreisen überhaupt nach §§ 5, 7 der Zweiten DurchfVO. vom 25. März 1936 (RGB!. I S. 272) und bei Stadtkreisen mit mehr als 100000 Einwohnern nach der Vierten DurchfVO vom 20. August 1937 (RGB!. I S. 911) eine Anzeigepflicht für Entschließungen getreten, die nach § 62 Abs. 2 Nm. 1 und 2, § 75, § 76, § 81 und 86 Abs. 1 Nm. 2 und 3 DGO. der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen. Vg!. auch § 32 Erste DVO. 3. Fälle erforderlicher Zulassung durch die Aufsichtsbehärde. Einer Zulassung durch auf Aufsichtsbehörde bedarf es, wenn a) in Stadtkreisen von § 40 Satz 1 abgewichen werden soll, b) Beamte, Angestellte und Arbeiter im Sinne des § 42 Abs. 1 Ziff. 1-4 zu ehrenamtlichen Beigeordneten berufen werden sollen, c) in Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern Bürgermeister und Beigeordnete nahe verwandt oder verschwägert sind (§ 43), d) Beamte, Angestellte und Arbeiter der Gemeinde und Beamte der Aufsichtsbehörde als Gemeinderäte berufen werden sollen (§ 51 Abs. 2), e) ein hauptamtlicher Kassenverwalter bestellt ist, aber die Kassen nicht in seiner Hand vereinigt werden (§ 94 Abs. 2)." 406 Dazu siehe noch ausführlich unten, in diesem Abschnitt.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

sahen die Reichsministerien in den Genehmigungsvorbehalten sowie in der Unterrichtungspflicht nach § 108 DGO Mittel, die Kommunalorgane enger an sich zu binden. Das bedingte, daß sich die Referenten der Reichsfachbehörden schließlich unmittelbar mit den entsprechenden Sachbearbeitern in den Gemeinden in Verbindung setzten und mit ihnen ohne Kenntnis des Oberbürgermeisters verhandelten. 407 Demgegenüber wurden Bitten führender Kommunalpolitiker, entsprechend der Vorgaben der Gemeindeordnung bestehende Genehmigungsvorbehalte in bloße Anzeigepflichten umzuwandeln,408 meist abgelehnt. 409 Die weitgehend vom Staat abhängige Stellung der Gemeinden wird noch dadurch verdeutlicht, daß § 113 DGO das bis dahin übliche Verwaltungsstreitverfahren gegen aufsichtsbehördliche Kontrollakte abschaffte. Die Kommunen konnten also künftig keinen justizförmigen Rechtsschutz gegen Aufsichtsrnaßnahmen mehr geltend machen. An dessen Stelle trat ein Verwaltungsverfahren: 410 Es war gestattet, Beschwerde bei der nächsthöheren Aufsichtsbehörde einzulegen; der Beschwerde kam aufschiebende Wirkung zu, es sei denn, der Suspensiv effekt war aus Gründen des öffentlichen Wohls von der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen worden. 411 Weil die Entscheidung der Beschwerdebehörde für nicht anfechtbar erklärt wurde, 412 entstanden den Kommunen weitere Nachteile. An der negativen Einschätzung der von § 113 DGO getroffenen Regelungen vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Beschwerdeentscheidung nicht der Rechtskraft fähig war, die betroffene Gemeinde ein bereits abgeschlossenes Verfahren folglich jederzeit erneut einleiten konnte: 413 denn es war im Regelfall nicht damit zu rechnen, daß die Beschwerdebehörde von ihrer früheren Entscheidung abwiche. 407 Entsprechende Klagen auf einer Tagung des Kriegsgrerniums der Oberbürgermeister in München. Daraufhin konzipierte die Kommunalabteilung des RMdI einen Entwurf, der die Einhaltung des Dienstweges vorschrieb und insbesondere Privat-Dienstschreiben an einzelne Dienststellen untersagte. BA, R 18/1256; unterzeichnetes Konzept eines Erlasses an die Obersten Reichsbehörden vom 7.12.1943. 408 In dieser Sache wurde etwa Goerdeler im Frühjahr 1936 im Reichsrninisterium vorstellig (vgl. entsprechende Vorlage für Frick vom 12.5.1935; in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 320, Nr. 595, BI. 43-47). 409 Ausnahmeweise wurden 1937 allerdings die Städte über 100 000 Einwohner, deren Rücklagen und Schuldenwirtschaft als geordnet galt, widerruflich in bestimmten Punkten von der Genehrnigungspflicht befreit. An deren Stelle trat seitdem eine Anzeigepflicht. Dies war das Verdienst Goerdelers, der gedroht hatte, als Leipziger Oberbürgermeister zurückzutreten, wenn das Ministerium sich seiner Auffassung von Selbstverwaltung nicht wenigstens in diesem entscheidenden Punkt anschließen könne (Rep. 320/595; darüber hinaus Schreiben des RuPrMdJ an den Führerstellvertreter vom 5.2.1937, in: Bundesarchiv, Akte NS 25/131,BI. 204). Bereits 1935 waren in zwei unbedeutenden Fällen die Genehrnigungs- durch Anzeigepflichten ersetzt worden, vgl. § 32 der 1. DVO zur Deutschen Gemeindeordnung vom 22.3.1935 (RGBI. 1935, Teil I, S. 398). 410 Ausführlich dargestellt bei Hellner, S. 41 ff. 411 Vgl. § 113 11 lOGO. 412 § 113 I 2 a.E. DGO. 413 Diesen Aspekt betont vor allem Hellner, S. 42/43.

H. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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Wenn bislang von der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Verhältnisses Reich - Gemeinde die Rede gewesen ist, dann hatte dies zuallererst Auswirkungen auf die Position der Bürgermeister. Die Bürgermeister waren von der DGO als Gemeindeleiter konzipiert worden, "führten" also die Verwaltung der Kommunalinstanz "in voller und ausschließlicher Verantwortung"414 - unter dem Vorbehalt entgegenstehender Anordnungen der Aufsichtsbehörden freilich. Ihre insbesondere von den Ortsgliederungen der NSDAP formell unabhängige Position zeigt sich daran, daß sie Dienstvorgesetzte aller Gemeindebeamten waren und deshalb den Gang der Verwaltungsgeschäfte ohne Rücksichtnahme auf die Partei bestimmen konnten. Außerdem konnten sie sich gegenüber den nicht länger gewählten, sondern von den NSDAP-Beauftragten ernannten Gemeinderäten stets durchsetzen, da deren Aufgabenkreis sich in einer Beratungstätigkeit erschöpfte. 415 Abgesehen davon war nur in bestimmten, enumerativ aufgelisteten Fällen die Anhörung der Gemeinderäte überhaupt zwingend vorgeschrieben, § 55 DGO. Den Bürgermeistern wurden schließlich Beigeordnete an die Seite gestellt, die als Ressortleiter in der Gemeindeverwaltung fungierten (§ 34). Die Berufung der Beigeordneten erfolgte nach den gleichen Grundsätzen wie die der Bürgermeister. Als Ergebnis der vorstehenden Untersuchung kann festgehalten werden, daß die Stellung der Bürgermeister innerhalb der Gemeinden nach der förmlichen Verfassungslage eine sehr starke war. Nach "oben" hin wurde sie allerdings durch weitreichende Aufsichtsrechte der Reichsbehörden eingeschränkt. Die NSDAP blieb hingegen von der Verwaltungsführung weitgehend ausgeschlossen, ihre Befugnisse bezogen sich hauptsächlich auf den Bereich der "Menschenführung", d.h. auf die Auswahl und Ernennung von Gemeindeorganen. Wenige mit heutigen Kommunalverfassungsvorstellungen im Einklang stehende Regelungsbereiche der DG0416 können nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Gesetz von seiner Grundstruktur her nationalsozialistischem Gedankengut entsprang. 417 Es gestaltete Städte und Landgemeinden auf der Basis von Führer414 § 32 I DGO. 415 § 48 I 2 DGO. 416 Sie betrafen vor allem das Gemeindefinanz- und -wirtschaftswesen,§§ 60 ff. DGO. 417 Durchaus auch jetzt bestehen noch Differenzen in der Frage, wie die DGO aus heutiger Sicht zu bewerten sei. Eine Mindermeinung, die bis in die 60er Jahre hinein häufig vertreten wurde, hielt die Gemeindeordnung, abgesehen von einigen politischen Bestimmungen "für ein im Grunde nicht nationalsozialistisches Gesetz" (u. a. Hans Peters, Lehrbuch der Verwaltung, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1949, S.284; Ernst Althaus, Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände in den vormals preußischen Ländern, Herford und Köln 1957, S. 3; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl. 1966, Band 1, (Allgemeiner Teil), S. 493 ff.; leserich, Die Landkreise zwischen 1933 und 1945, in: Der Kreis im Wandel der Zeiten, Band 5 der Kommunalwissenschaftlichen Schriften des Deutschen Landkreistages. S. 99); die heute herrschende Meinung hält jedoch die DGO für ein Kind des Nationalsozialismus (z. B.: Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 15 f.; Gönnenwein, Duo, Gemeinderecht, Tübingen 1963, S. 62; Chr.-Fr. Menger, Die Entwicklung der Selbstverwaltung im Verfassungsstaat der Neuzeit: in: von Mutius, Albert (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsautbau zwischen 1933 und 1945

grundsatz und Prinzip der Einheit der Verwaltung grundlegend um und zerstörte bestehende Reste kommunaler Selbstverwaltung. 418 Unhaltbar ist deshalb im positiven Sinn gemeinte Feststellung Forsthoffs, die DGO sei ein Markstein in der neueren Geschichte des Kommunalrechts gewesen; 419 umso mehr, wenn man berücksichtigt, daß nach 1933 ein erheblicher Funktionswandel des Gesetzesbegriffes stattgefunden hatte: 420 Das Gesetz war zur technischen Norm herabgesunken,421 die aus organisatorischer oder legalistischer 422 Zweckmäßigkeit unentbehrlich schien, aber jederzeit - auch über ihren Wortlaut hinaus - im nationalsozialistischen Sinn uminterpretiert werden durfte. 423 Den Behörden, vor allem jedoch dem "Führer", stand es also frei, sich über das von der DGO geschaffene Recht hinwegzusetzen und die gemeindlichen Rechte weiter einzuschränken. 424 Unter diesen Umständen davon auszugehen, die Gemeindeordnung von 1935 habe den kommunalen Gebietskörperschaften die Entscheidungsfreiheit belassen, ihre eigenen Angelegenheiten selbstverantwortlich erledigen zu können,425 ist schlichtweg falsch. Mit der DGO war erstmals ein einheitliches Kommunalrecht für ganz Deutschland geschaffen worden. Die Kommunalrechtsentwicklung im Nationalsozialismus hatte damit jedoch noch kein Ende, sondern nur einen vorläufigen Abschluß gefunden. Bereits das "Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin" vom 1. Dezember 1936 426 enthielt deutliche Abweichungen von den verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Gemeindeordnung, insbesondere, indem dem Parteigauleiter (dies war Goebbe1s, also offenbar eine lex Goebbels) auf verschiedenen Gebieten Mitspracherechte eingeräumt wurden. Einige gemeindeverfassungsrechtliche Besonderheiten bestanden auch in Hamburg, nachdem 1937 das "Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Hansestadt Hamburg" erlassen worden war. 427 Das Gesetz ließ zwar die Anwendung der Deutschen Gemeindeordnung für die Hansestadt ausdrücklich zu, machIndustriegesellschaft, Festschrift zum 70. Geburtstag von Georg-Christian von Unruh, Heidelberg 1983, S. 35). 418 Dies übersehen die Autoren, welche der Auffassung sind, das Prinzip kommunaler Selbstverwaltung sei im Nationalsozialismus nicht verloren gegangen (z.B. Jeserich). 419 E. Forsthojf, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., München u. Berlin 1973, Band 1, (Allgemeiner Teil), S. 528. 420 Dazu instruktiv Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 162 ff. 421 Begriff von Matzerath, S. 162. 422 So Otto Koellreutter, Deutsches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. Berlin 1938, S.26; Th. Maunz, Verwaltung, Hamburg 1937, S. 40. 423 Dazu eingehend R.Höhn, Das Gesetz als Akt der Führung, in: Deutsches Recht, 4. Jahrgang, 1934, S. 433 ff. 424 Siehe insoweit auch oben A II 3. 425 So Jeserich, Landkreise zwischen 1933 und 1945, S. 99. 426 RGBI. 1936, Teil I, S. 957. 427 RGBI. 1937, Teil I, S. 1327.

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te aber von diesem Grundsatz etliche Ausnahmen. Hamburg wurde als "staatlicher Verwaltungsbezirk und Selbstverwaltungskörperschaft" 428 bezeichnet; der Reichsstatthalter leitete beide Verwaltungszweige (Führerprinzip). Zum Beauftragten der NSDAP bestimmte das "Groß-Hamburg-Gesetz" den Partei gauleiter der Stadt, der aber mit dem Reichsstatthalter identisch war. Als Folge davon stieg der Parteieinfluß auf die Kommunalverwaltung Hamburgs stark an - die Reichsstatthalter verstanden sich nämlich, wie bereits oben gesehen,429 in erster Linie als Exponenten der NSDAP. Das anfangs reichseinheitliche Kommunalrecht mußte also im Laufe der Jahre entscheidende Durchbrechungen hinnehmen. Jene Durchbrechungen hatten ihren eigentlichen Grund in dem nach wie vor sehr problematischen Verhältnis von Partei und Staat. Wie wenig die NSDAP mit der ihr von der Deutschen Gemeindeordnung zugewiesenen Position zufrieden war, zeigen die vielen Anwürfe aus Parteidienststellen gegen die Reichsinnenverwaltung. Ministerialdirektor Sommer aus dem Stab des Führerstellvertreters etwa machte der Kommunalabteilung des Innenministeriums den Vorwurf, daß sie "trotz der großen Fürsorge für die Selbstverwaltung furchtbar schwerfällig" und engherzig sei. Alles Große werde in Berlin gemacht und recht viel Kleines; von Selbstverwaltung und Selbstverantwortung bleibe nicht viel übrig. 430 Die Partei verfocht dabei die Strategie, Selbstverantwortlichkeit und Eigenständigkeit der Kommunen hervorzuheben und die Einflüsse der Reichsministerien auf die gemeindliche Verwaltungsführung nicht zu groß werden zu lassen. Offenbar war es ihr in der Zwischenzeit gelungen, die Verwaltungstätigkeit der Gemeinden mehr oder weniger kontinuierlich mitzusteuem, so daß jede Erweiterung kommunaler Selbstverwaltung auch eine Zunahme des NSDAP-Einflusses bewirken mußte. Anders wäre auch nicht erklärbar, warum seit ungefähr 1936 eine deutliche Verschärfung der Kommunalaufsicht stattfand. Dementsprechend wurden die Aufsichtsbefugnisse des Reichs nun extensiver interpretiert. Daß an die Stelle des Mißtrauens und der Bevormundung der Staatsorgane untereinander der Geist des Vertrauens getreten sei, wie Frick es einmal formuliert hatte,431 war nur noch ein schöner Traum. Suren, Leiter der Kommunalabteilung des Reichsinnenministeriums, drohte 1937 nämlich: "Wer ... glaubt, sich der Staatsführung entziehen zu können, um seine eigenen Wege zu gehen, der muß gewiß sein, daß die Staatsaufsicht sich 428 Selbstverwaltung ist insoweit in dem Sinne der Deutschen Gemeindeordnung zu verstehen!. 429 S.o. A 11 5. 430 Ausführungen Sommers bei einer Aussprache zwischen dem kommunalpolitischen Hauptamt und dem Stab des Stellvertreters des Führers am 2.7. 1940; festgehalten in: Bundesarchiv, Akte NS 25/101, Bl. 229. 431 VBA (Vertrauliche Berichtsauszüge), 11. Sendung 1937 vom 1.2.1937, S. 11.

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auch durch theoretische Erwägungen über überholte Schranken zwischen Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nicht davon abhalten lassen wird, den Zustand herzustellen, der allein dem Wohl der Gesamtheit entspricht."432 An den hehren Grundsätzen - Betonung von Dezentralisation, Ächtung der Zentralisation wurde, ungeachtet der Verfassungs wirklichkeit, wenigstens offiziell trotzdem festgehalten. 433 In der Sache aber zog die Innenverwaltung immer mehr die Daumenschrauben an. Schon 1936 erlegte man den Gemeinden auf, die Aufsichtsbehörden nicht nur in solchen Fällen zu informieren, in denen eine Unterrichtungspflicht nach § 108 DGO bestand, sondern darüber hinaus "in allen Fragen, die für die Entwick1ung der gemeindlichen Selbstverwaltung insgesamt von Wichtigkeit sind". 434 Die Unterrichtung sollte so rechtzeitig erfolgen, daß auf die beabsichtigte Maßnahme noch im Beratungswege Einfluß genommen werden könne. Wie sehr die Lage zwischen Partei und Reichsinnenverwaltung zwischenzeitlich gespannt war, ließ sich einer Rede Fricks auf der Sondertagung des Hauptamtes für Kommunalpolitik in Nürnberg am 25. September 1936 entnehmen, 435 in der es heißt, jeder Einheit der Verwaltungs führung in der Gemeinde würde das Grab bereitet, wenn örtliche Parteistellen berufen wären, in die Angelegenheiten der Gemeinden korrigierend einzugreifen. Dem setzte die NSDAP, deren Gauamt für Kommunalpolitik Schwaben sich bereits über die Versuche einer Erweiterung aufsichtsbehördlicher Befugnisse beschwert hatte,436 entgegen, daß es das selbstverständliche Recht der Partei sei, die Verwirklichung ihrer Grundsät ze und Forderungen bis hinunter in die Gemeinden zu überwachen. 437 Neben die stärkere Prononcierung staatlicher Aufsichtsrechte in Kommunalangelegenheiten trat von Seiten des Innenministeriums eine forcierte Verreichlichung bis dahin gemeindlicher Verwaltungsaufgaben. Ob im Sozialbereich, in der Versorgungswirtschaft, im Kultur-, Bau-, Fremdenverkehrs- und Verkehrswesen, überall entstanden Reichssonderbehörden 438 oder wurden Kompetenzen von kreisangehörigen Gemeinden auf die Landkreise verlagert. 439 Während des Zweiten Weltkrieges perpetuierte diese Entwicklung so weit, daß man getrost von 432 Bericht der Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 502 vom 26.10.1937. 433 W. Stuckart, Großstadt, ländliche Gemeinde und Staatsaufsicht, in: Deutsche Verwaltung 1938, S. 6 ff, S. 7. 434 Runderlaß des RuPrMdI vom 13.11.1936 (RMBI. i. V. 1936, S. 1526). 435 Bericht in "Frankfurter Zeitung" vom 26.9.1936 (Nr. 493/494), S. 3. 436 Niederschrift in Bundesarchiv, Akte NS 25/85. 437 Kurt Müller, Einmischung denkbar unerwünscht! Ein Wort an die "Frankfurter Zeitung", in: Nationalsozialistische Gemeinde, 4. Jahrgang 1936, S. 626 f. 438 Dazu Broszat, Martin, Der Staat Hitlers, München 1969, S. 438 ff. 439 Z. B. im Baupolizei-, Paß- und Sichtvermerkswesen, sowie die Festsetzung der Polizeistunde, die Genehmigung von Tanzlustbarkeiten; Nachweise bei von Mutius, in: Jeserich/ Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 1075 m. w.N.

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einer ersten echten Existenzkrise der Gemeinden 440 sprechen kann; trotzdem ging der Staatsneuaufbau 1945 von diesen kleinsten Gliedern Deutschlands aus - eine überwältigende Leistung aller Kommunalbeamten.

8. Der territoriale und verwaltungsmäßige Aufbau der eingegliederten österreichischen, sudetendeutschen und polnischen Gebiete

Anders als im Altreich fand in den seit 1938 eingegliederten österreichischen, sudetendeutschen und polnischen Territorien eine umfassende Neustrukturierung des Verwaltungs aufbaues statt, die ihren Grund vor allem darin hatte, daß jene Gebiete zumeist willkürlich und ohne Rücksicht auf bestehende Verwaltungsgrenzen aus den betroffenen Staaten herausgeschnitten worden waren. Doch verlief der Neuaufbau nicht kontinuierlich, wie die Entwicklung zeigt. a) Der Rechtszustand im ehemaligen Österreich

Zu dem "Anschluß" Österreichs hatte Hitler sich nicht erst aufgrund außergewöhnlich günstiger außenpolitischer Konstellationen im Frühjahr 1938 441 entschlossen. "Anschlußplanungen" lassen sich vielmehr bis in das Jahr 1934 zurückverfolgen. 442 Nachdem Hitlers Versuch, Österreich durch eine Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschlands Einflußsphäre zuzuordnen, im Juli 1934 gescheitert war, suchte der "Führer" und Reichskanzler die Eingliederung Österreichs ins Reich auf evolutionärem Wege, d.h. mit diplomatischen Mitteln, zu erreichen. Zugute kam ihm dabei die geopolitische Lage des einzugliedernden Staates zwischen den beiden faschistischen Mächten Deutschland und Italien, die es erlaubte, wenn auch versteckt, politischen Druck auf die Donaurepublik auszuüben. Besonders eklatant offenbarte sich diese Taktik bei den Verhandlungen im Vorfeld des Berchtesgadener Abkommens Anfang 1938. 443 Seitdem intensivierte Hitler - unterstützt durch die österreichischen Nationalsozialisten - den Druck auf die Wiener Regierung in einem so starken Maße, daß sich der damalige österreichische Bundeskanzler Schuschnigg nicht anders zu helfen wußte, als für Einer Krise, die den Zuständen vor 1933 nicht vergleichbar war! Diplomatische Kontakte hatten damals eine eher geringe Bereitschaft der Westmächte ergeben, im Angriffsfalle Österreich militärisch beizustehen (vgl. Botz, S. 36 ff.). 442 Zum ganzen, D. Wagner/Go Tomkowitz, Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Der Anschluß Österreichs 1938, München 1968; G. Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1976, S. 23 ff. 443 Vgl. die Einschätzu~g Schuschniggs (damals österreichischer Bundeskanzler), Im Kampf gegen Hitler. Die Uberwindung der Anschlußidee, Wien 1968, S. 224. 440 441

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den 13. März 1938 eine Volksabstimmung über die "Heimkehr" seines Landes "ins Reich" anzukündigen. Auf die mit einer demokratischen Volksabstimmung verbundenen Unwägbarkeiten konnte Hitler sich jedoch nicht einlassen. Der "Führer" gab das Signal zum "Anschluß". Schuschniggs Bombe zerplatzte also in seinen eigenen Händen: 444 Der Bundeskanzler wurde aufgrund des imaginären Drucks der Straße am 11. März 1938 zum Rücktritt gezwungen. Seine Nachfolge trat Seyß-Inquart an, dessen nationalsozialistische Regierung die Grenzen zu Deutschland öffnen ließ. Als am Morgen des 12. März der Einmarsch deutscher Truppen nach Österreich begann, war sich Hitler über die Form der Verschmelzung des hinzugewonnenen Gebiets mit dem Reich noch nicht im klaren. Er mußte zunächst vorsichtig taktieren, um nicht doch einen zwar unwahrscheinlichen, aber gleichwohl nicht völlig ausgeschlossenen Angriff Frankreichs oder Großbritanniens zu riskieren. Deshalb rechtfertigte er auch den Einmarsch in der Öffentlichkeit damit, seine Truppen seien von der österreichischen Regierung zur inneren Befriedung des Landes angefordert worden. 445 Bis zu seiner Ankunft in Linz am Abend des gleichen Tages stand Hitler auch einem "absoluten und direkten und totalen Anschluß", wie er insbesondere von Göring gefordert wurde,446 eher reserviert gegenüber. 447 Aus diesem Grunde hatte er dem Reichsinnenminister den Auftrag erteilt, Überlegungen für eine Personalunion in den Staatspräsidentenämtem Deutschlands und Österreichs anzustellen. 448 Daß der "Führer" sich mit einer derartigen Machtstellung innerhalb seines annektierten Heimatlandes nicht auf Dauer zufriedengeben wollte, war den Beamten der Verfassungsabteilung des Innenministeriums von Anfang an klar, bestanden doch Planungen für eine etappenweise Angleichung Österreichs an Deutschland: 449 In einer ersten Phase sollte Hitler in seiner Person als gemeinsamer "Führer" und Kanzler beider Länder (Personalunion!) fungieren; dann sollte in einer Übergangsperiode die Eigenstaatlichkeit Österreichs abgebaut werden und schließlich die volle Eingliederung in das Deutsche Reich erfolgen. 450

444 Entsprechende Warnung Mussolinis vom März 1938; erstmals zitiert bei Welchert. Hans-Heinrich. Österreichs Weg ins Reich 1917 -1938, Hamburg 1938, S. 262. 445 Vgl. die Proklamation Hitlers vom 12.3.1938; in: Six. F. A. (Hrsg.) Dokumente der deutschen Politik, Band 611, S. 135 ff. 446 Vgl. diesbezüglich: Aussage Görings vor dem Nürnberger Gerichtshof, in: IMG (Internationaler Militärgerichtshof)-Akten (Nürnberger Prozesse), Band 9, S. 504 f.; Band 15, S. 333. 447 Diesbezügliche Aussage Görings vor dem Nürnberger Gerichtshof; !MG-Akten, Band 9, S. 505. 448 Dazu Botz, S. 32 m.w.N. 449 Vgl. hierzu: Bericht Papens an Neurath vom 8.9. 1937, in: The National Archives of the United States, Washington, Akte T 120, R 1036, 409172 ff. 450 Zitiert nach Meissner, Ouo: Staatssekretär unter Ebert, Hindenburg, Hitler; Hamburg 1950, 3. Aufl., S. 453.

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Weil die außenpolitische Lage nach dem Einmarsch jedoch weitgehend ruhig geblieben war,451 gab Hitler seine anfängliche Zurückhaltung in der "Anschluß"frage bald auf. Als Staatssekretär Stuckart vom Reichsinnenministerium am Vormittag des 13. März den auf der Personalunionslösung aufbauenden Gesetzentwurf vorstellen wollte, war von einer völkerrechtlichen Selbständigkeit des künftigen Österreichs bereits keine Rede mehr. An jenem Tag wurden bedeutsame Entscheidungen für die Zukunft des "befreiten" Landes getroffen. Das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich 452 erklärte Österreich lapidar zu einem Land des Deutschen Reiches. Es enthielt weiterhin die Bestimmung, daß das in Österreich geltende Recht bis auf weiteres in Kraft bleiben und die Einführung deutschen Rechts durch den "Führer und Reichskanzler" oder den Reichsinnenminister erfolgen sollte. Seine hauptsächliche Wirkung bestand indes darin, daß Österreich die Stellung als selbständiges Völkerrechtssubjekt 453 verlor. Ebenfalls am 13. März kündigte Hitler eine Volksabstimmung über den "Anschluß" für einen Zeitpunkt innerhalb der nächsten vier Wochen an 454 und ernannte - eine, wie sich herausstellen sollte, folgenschwere Maßnahme - Josef Bürkkel 455 zum "kommissarischen Leiter der NSDAP in Österreich". Bürckel betraute er auch mit der Vorbereitung der Volksabstimmung. Der kommissarische Partei führer riß sofort die eigentlichen Machtbefugnisse in seinem "Kronland" an sich und beanspruchte für seine Person die Befugnis, das gesamte staatliche und politische Handeln und damit auch alle verwaltungsmäßigen Maßnahmen einheitlich auf die Volksabstimmung auszurichten. 456 Aufgrund seines Durchsetzungsvermögens gelang es ihm, den an sich mit der Verwaltungsführung beauftragten Reichsstatthalter Seyß-Inquart 457 mehr oder weniger auszuschalten. Bürckels für Österreich bestimmende Stellung fand schließlich ihre formale Ausgestaltung in dem Führererlaß vom 23.4.1938, der ihn zum Reichskommissar machte. 458 451 Vgl. Eichstädt, Ulrich: Von DolIfuß zu Hitler. Geschichte des Anschlusses Österreichs 1933 - 38, 1955, S. 426, 429. 452 RGBI. 1938, Teil I, S. 237. 453 Selbständige Völkerrechtssubjekte sind diejenigen natürlichen undjuristishen Personen, auf die die allgemeinen Völkerrechtsregeln unmittelbar Anwendung finden, denen daraus also unmittelbar Rechte und / oder Pflichten erwachsen. (Beispiele: Sämtliche Staaten, der Vatikan, der Malteserritterorden). 454 Dieser war bis dahin Reichskommissar für die Wiedereingliederung des Saarlandes in das Deutsche Reich und Gauleiter der Region Saarpfalz gewesen. 455 Dazu Botz, S. 3l. 456 Zitiert nach D. Rebentisch, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 753 f. 457 Siehe insoweit Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Ernennung des Reichsstatthalters in Österreich vom 15.3. 1938, RGBI. 1938, Teil I, S. 248. 458 Dazu siehe sogleich in diesem Abschnitt.

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Die Eingliederung Österreichs ins Reich nahm ihren Fortgang, als mit Führererlassen vom 15.3.1938 bzw. 17.3.1938 459 unter anderem das Reichsneuaufbaugesetz, die Erste Reichsneuautbauverordnung und das Reichsstatthaltergesetz dort eingeführt wurden. Österreich wurde also entstaatlicht und zu einem Verwaltungsbezirk des Reiches herabgestuft. 460 Sämtliche Hoheitsrechte des Bundesstaates und der österreichischen Bundesländer gingen auf das Reich über, wurden jedoch "den Landesbehörden" zur Ausführung im Namen des Reiches zurückübertragen. Das Reich erlangte darüber hinaus unbeschränkte fachliche und dienstrechtliche Aufsichtsrechte über die österreichischen Behörden. Die Rechtsetzungsgewalt war fortan an die Zustimmung der obersten Reichsbehörden geknüpft (jedenfalls theoretisch 461), sämtliche Verwaltungstätigkeit nur noch mittelbare Reichsverwaltung. So eindeutig, wie es im ersten Augenblick scheint, waren die hier behandelten Regelungen aber denn doch nicht. Bestimmte Besonderheiten des österreichischen Verfassungsrechts können vielmehr die Schlußfolgerung, Österreich sei ab dem 17. März ein deutsches Land wie jedes andere gewesen,462 in Zweifel ziehen. Vor allem ist zu bedenken, daß Neuaufbaugesetz und Erste Neuaufbauordnung nicht für einen Subföderalismus, 463 wie er in Österreich in Gestalt von Bundesund Länderverwaltung bestand, konzipiert waren und deshalb indifferenziert von "Ländern" und "Landesbehörden" sprachen. Zweifelhaft blieb danach die Rückübertragungsbestimmung des § 1 Erste Neuaufbauverordnung: Leitete sie das gesamte bis dahin in Österreich vorhanden gewesene Gesetzgebungsrecht auf die ehemalige österreichische Bundesregierung über? Oder behielten die Behörden der österreichischen Länder insoweit ihre originäre Zuständigkeit? Die Verwaltungspraxis entschied sich im ersteren Sinne mit der Folge, daß der nunmehrigen "österreichischen Landesregierung" Kompetenzen zuwuchsen, die sie vordem nie besessen hatte. Hieraus konnte gleichzeitig tendenziell entnommen werden, daß im Zuge der künftigen Eingliederung die förderative Struktur Österreichs abgebaut werden sollte. 459 Erster Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Einführung deutscher Reichsgesetze in Österreich vom 15.3.1938, RGBI. 1938, Teil I, S. 247 f.; Zweiter Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Einführung deutscher Gesetze in Österreich vom 17.3.1938, RGBI., Teil I, S. 255. 460 Zutreffend Egbert Mannlicher, Ein Volk - ein Recht, in: Deutsche Verwaltung 1938 (Ausgabe B), S. 8. 461 Berücksichtigt werden muß auch insofern die ungewöhnliche Stellung Bürckels, der wegen seines direkten Zugangs zu Hitler die Reichsministerien mehr als einmal ausbooten konnte (vgl. Botz, Gerhard, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1976, S. 69, 73 ff.). 462 Vgl. auch Spanner, Die Eingliederung der Ostmark ins Reich, Hamburg 1942, S.12; Pfeifer, Die Ostmark - Eingliederung und Neugestaltung, Wien 1941, S. 80; SeyßInquart, Die Rückgliederung der Ostmark, in: Die Verwaltungsakademie, 2. Aufl., 1939, Band 1, Gruppe 2, Beitrag 19, S. 9. 463 Begriff von Botz, S. 65.

II. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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Abweichungen von dem in den übrigen deutschen Ländern herrschenden Rechtszustand ergeben sich auch bezogen auf das Gesetzgebungsverfahren. Insoweit blieb nämlich Gesetzgebung aufgrund österreichischen Rechts weiter möglich, weil das Wiedervereinigungsgesetz vom 13.3. 1938 die Anwendung bisherigen österreichischen Bundesrechts zugelassen 464 und Art. III Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung vom 30.4.1934 465 der Bundesregierung Gesetzgebungshoheit eingeräumt hatte. Tatsächlich erging noch nach dem Anschluß die Mehrzahl österreichischer Gesetze aufgrund Art. III des Bundesverfassungsgesetzes, 466 was vom Reichsinnenministerium zunächst zwar akzeptiert, später aber als "unerwünschter Zustand" bekämpft wurde. 467 Nach Einholung der Zustimmung Bürckels, der seinerseits den Führerstellvertreter beteiligt hatte,468 erließ man daher am 30. April 1938 eine "Verordnung über das Gesetzgebungsrecht im Lande Österreich",469 die das spezifisch österreichische Gesetzgebungsverfahren beseitigte. Die herausragende Stellung Bürckels im Verwaltungsaufbau des einzugliedernden Staates basierte auf seiner direkten Verbindung zu Hitler, als dessen Vertrauensmann in der Ostmark er galt. Der Führererlaß vom 23. April 1938,470 vierzehn Tage nach dem in Hitlers Sinne ausgegangenen Plebiszit erlassen, war entsprechend auf die Person Bürkkels zugeschnitten. Der bisherige ostmärkische NSDAP-Leiter wurde zum "Reichskomrnissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" bestellt, und war insoweit ein oberstes Landesorgan. Als Reichskomrnissar sollte Bürckel "für den politischen Einbau und die Durchführung der staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiedereingliederung" Österreichs in das Reich sorgen. Zu diesem Zweck hatte er die Befugnis, sämtlichen Reichs- und Landesbehörden auf österreichisehern Territorium Weisungen (vor allem solche fachlicher Art) zu erteilen. 471 Dazu bereits oben in diesem Abschnitt. 465 BGBI. (Österreich), Teil I, Nr. 255/1934. 466 Dazu Botz, S. 66 f. 467 Nachweise bei Botz, S. 69. Das Zitat lautet in seiner gesamten Länge: "Es ist ein unerträglicher Zustand, die gesamte Rechtsetzung des Reichsstatthalters in Österreich auf eine österreichische Rechtsnonn zu stützen.". Die Reichsinnenverwaltung störte also insbesondere, daß sich die österreichische Landesregierung bei dem Erlaß "örtlich begrenzter Reichsgesetze" auf eine Nicht-Reichsnonn stützen konnte. 468 Siehe insoweit Schreiben des Reichsinnenministeriums an Reg.-Rat Klas beim Reichsbeauftragten in Österreich vom 28.4.1938, S. 2, in: Österreichisches Staatsarchiv, Abt. Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien, RK, Ordner 47. 469 RGBI. 1938, Teil I, S. 455. 470 Erlaß des Führers über die Bestellung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 23.4.1938, in: RGBI. 1938, Teil I, S.407. 471 Art. 4 des hier behandelten Erlasses. 464

7 Bachnick

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Sein Weisungsrecht sollte sich ferner auch auf die Parteidienststellen beziehen. Durch jene Maßnahme konnte das Reichsinnenministerium allerdings kaum Einfluß auf die NSDAP gewinnen, weil Bürckel in der Praxis mehr als Parteiführer denn als Verwaltungsbeamter dachte und handelte. Bürckels von der Bürokratie weitgehend unabhängige Position wird zudem dadurch illustriert, daß er den Reichsministerien formal gleichgesetzt war: Er unterstand einzig und allein dem "Führer", (nur) dessen Weisungen er zu erfüllen hatte. 472 Die normativ abgesicherte Machtfülle Bürckels bedingte es, daß der von Hitler bestellte Reichsstatthalter für Österreich 473 Seyß-Inquart kaum politisches Eigengewicht entwickeln konnte, obwohl ihm in Weiterentwicklung des Rechtszustandes im Altreich die Leitung der Landesregierung anvertraut worden war. 474 Zu einer Behördenpolykratie in Form getrennter Statthalterverwaltung und Landesregierung kam es deshalb immerhin nicht. Anders als Bürckel war Seyß-Inquart voll in die Verwaltungsstruktur des Reiches integriert: Entsprechend der Rechtslage im übrigen Deutschland unterstellte man ihn in dienstrechtlicher und fachlicher Hinsicht den obersten Reichsbehörden. Obwohl anfangs Anzeichen dafür bestanden hatten, daß im Zuge der Eingliederung die förderative Struktur Österreichs beseitigt werden sollte, fand in der Folgezeit im Gegenteil ein Abbau der Landeszuständigkeiten zugunsten der bisherigen Bundesstaaten statt. Grundlage hierfür war Hitlers Entscheidung vom 25. April 1938, die österreichische Landesregierung zu liquidieren,475 womit er die Reichsinnenverwaltung durchaus überrascht hatte. 476 Das Votum gegen die Landesregierung (also gegen Seyß-Inquart und gegen straffe, zentralistische Befehlsstrukturen zwischen Reich und Ostmark) maßgeblich beeinflußt haben dürfte wiederum Bürckel, der zu starke Eingriffe der Reichsfachbehörden in seinen Machtbereich fürchten mußte. Seitdem schritt die Reform zügig voran. Als erstes grundlegendes Gesetz insoweit hat das Gesetz über Gebietsveränderungen im Lande Österreich vom 1.10.1938 477 zu gelten, durch das der territoriale Aufbau des Landes teilweise neu geordnet wurde. Das Gesetz hatte u. a. die Auflösung des bisherigen österreichischen Bundeslandes Burgenland unter gleichzeitiger Aufteilung auf die Bundesländer Niederösterreich und Steiermark und die gebietliehe Vergrößerung der Stadt Wien zum Inhalt. 478 Eine grundsätzliche UmstruktuArt. 3 des hier behandelten Erlasses. Welch eine Behördeninflation! 474 Vgl. dazu den Führererlaß über die österreichische Landesregierung vom 15.3.1938, RGBI. 1938, Teil I, S. 249. 475 Siehe insoweit Sündermann, Die Grenzen fallen, 3. Aufl., 1939, S. 129. 476 Vgl. Vermerk Staatssekretär Stuckarts über ein Gespräch mit dem Chef der Reichskanzlei, Lammers, vom 27.4.1938, in dem Stuckart die Frage aufwarf: "Soll die österreichische Landesregierung auf Dauer bestehen bleiben ... oder soll sie allmählich abgebaut werden?" (Bundesarchiv, Akte R 18/5384, BI. 193 ff.) Der Innenverwaltung war damals die Entscheidung Hitlers also noch gar nicht bekannt! 477 RGBI. 1938, Teil I, S. 1333 f. 472

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11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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rierung der fortbestehenden Bundesländer in neue Verwaltungseinheiten, etwa Reichsgaue nach dem Vorbild der Territorialreformgesetzentwürfe des Altreiches, erfolgte jedoch noch nicht. Das Reformwerk wurde abgeschlossen mit dem Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 14.4. 1939. 479 , 480 Es hatte die vollkommene territoriale und verwaltungsmäßige Neugliederung des nunmehr endgültig mit dem Begriff "Ostmark" bezeichneten österreichischen Gebietes 481 zum Gegenstand. In territorialer Hinsicht erfolgte die Bildung von sieben, ihrem gebietlichen Umfang nach den bis dahin noch bestehenden Bundesländern sowie den Parteigauen entsprechenden Reichsgauen (Wien, Kärnten, Niederdonau, Oberdonau, Salzburg, Steiermark und Tirol); das bisherige Land Vorarlberg war für eine spätere Vereinigung mit Bayern vorgesehen und erhielt daher nicht den Rechtsstatus eines Reichsgaues, blieb aber zunächst als selbständige Verwaltungseinheit bestehen. 482.483 Was den Verwaltungsaufbau der Reichsgaue anbelangte, stellte das Gesetz zunächst fest, daß diese staatliche Verwaltungsbezirke und "Selbstverwaltungskörperschaften" seien. 484 Damit war zum einen ausgesagt, daß die Gaue weiterhin entstaatlicht blieben, ihnen also keine originär eigenen Hoheitsrechte zustanden. Zum anderen ließ sich dieser Formulierung aber auch entnehmen, daß den Reichsgauen Hoheitsaufgaben zur in gewissem Rahmen eigenverantwortlichen Erfüllung übertragen werden sollten. Demzufolge fand eine spürbare Dezentralisierung der Verwaltung statt, denn im Bereich der gauinternen Ausführung "eigener Verwaltungsaufgaben" besaß das Reich keine unumschränkte Aufsichtsgewalt, wie noch zu zeigen ist. 485 Die Verwaltungsaufgaben im Reichsgau gliederten sich dem Ostmarkgesetz nach in solche der Reichssonderverwaltung, der allgemeinen Reichs- und der Selbstverwaltung. V gl. § 1 Nr. 2 und 4 des Gesetzes. RGBI. 1939, Teil I, S. 777 ff. 480 Zur Bewertung dieses Gesetzes instruktiv Rotz. Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1976, S. 108 ff. 481 Ab 1942 änderte man auf Ritlers Geheiß die Bezeichnungen erneut. Die Begriffe "Österreich" und "Ostmark" wurden eliminiert, da sie der Staatsführung zu sehr mit historischen Reminiszenzen verknüpft erschienen. An deren Stelle trat die Bezeichnung "Alpen- und Donaureichsgaue" (vgI. Bundesarchiv, Akte R 43 11/1359, BI. 23 ff, 37 f.). 482 § 1 11 des Ostmark gesetzes. 483 Allerdings wurde es - provisorisch, wie man glaubte - später durch den Gau Tirol mit verwaltet; vgI. Nr. 2 des Runderlasses des Reichsinnenministers vom 7.3.1940 an die Landeshauptmänner der Ostmark, abgedruckt bei H. Pfeifer, Die Ostmark, 1941, S. 592 ff.; auch § 1 I der l. DVO zum Ostmarkgesetz, abgedruckt bei Pfeifer, S. 534 f. 484 § 2 des Ostmarkgesetzes. 485 Siehe sogleich in diesem Abschnitt. 478 479

7*

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

An die Spitze der allgemeinen Reichsverwaltung 486 und der Selbstverwaltung im Reichsgau traten Reichsstatthalter. In ihrer Hand wurden zentrale Gaubehörden der allgemeinen Reichs- und der Selbstverwaltung gebildet, in die die bisher selbständigen Fachverwaltungen der Bundesländer als Unterabteilungen eingegliedert wurden. Es erfolgte jedoch eine organisatorische Trennung der Reichsverwaltungs- von der Selbstverwaltungsbehörde. 487 Als obersten Leitern dieser Behörden stand den Reichsstatthaltern die unbeschränkte fachliche und dienstrechtliche Aufsicht über alle nachgeordneten Beamten zu; dies folgt zum Teil auch aus § 3 11 des Ostmarkgesetzes. Wie sich aus der Tatsache, daß die Reichsstatthalter im Bereich der Reichs- und der Selbstverwaltung je einen Vertreter (Regierungspräsident bzw. Gauhauptmann) erhielten,488 ergibt, sollten sie aber nicht mit den Angelegenheiten der laufenden Verwaltung befaßt werden, sondern vor allem die politischen Vorgaben treffen. Dies entsprach ihrer Konzeption als "Unterführer" auf der Ebene der Reichsgaue. Im Hinblick auf die Verwaltungszweige, die im Altreich durch Reichssonderbehörden ausgeführt wurden, ist zu unterscheiden: Die Verwaltungsbehörden der Reichsjustiz-, Reichsfinanz-, Reichspost- und Reichsbahnverwaltung blieben gemäß § 411 des Ostmarkgesetzes als von der Gauzentralbehörde des Reichsstatthalters organisatorisch getrennte Reichsbehörden bestehen; die übrigen Reichssonderbehörden wurden auf Gauebene "dem Reichsstatthalter angegliedert". Der Begriff der "Angliederung" ist dabei nicht mit Eingliederung gleichzusetzen. Die angegliederten Reichssonderbehörden wurden nämlich nicht zu bloßen Unterabteilungen der Gauzentralbehörde der allgemeinen Reichsverwaltung umgeformt; sie blieben vielmehr als eigenständige Behörden bestehen, doch trat der Reichsstatthalter als Leiter an ihre Spitze, wurde aber seinerseits in allen laufenden Angelegenheiten von dem bisherigen Behördenleiter als seinem Stellvertreter vertreten. 489 Die dem Reichsstatthalter nicht angegliederten Reichssonderbehörden wurden demgegenüber von ihren bisherigen Leitern weitergeführt. Allerdings besaß der Reichsstatthalter diesen Behörden gegenüber die gleiche unbeschränkte fachliche und dienstrechtliche Weisungsbefugnis wie gegenüber den ihm angegliederten, § 3 11 Ostmarkgesetz. 490 486 Daß die Reichsstatthalter nicht auch die Spitze aller Reichssonderbehörden auf Gauebene bildeten, folgt aus § 4 III Ostmarkgesetz; dazu siehe sogleich. 487 Dies ergibt sich aus §§ 4 I, 6 I, 7 des Ostmarkgesetzes i. V.m. der Verordnung über die Verwaltung der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften vorn 25.11. 1939 (s. u.). 488 § 7 Ostmarkgesetz. 489 Vgl. Frick, Entwicklung und Aufbau der öffentlichen Verwaltung in der Ostmark und in den sudetendeutschen Gebieten; RVerwBI. 1939, S. 470; Ehrensberger. Der Auf-

bau der Verwaltung nach dem Ostmarkgesetz und dem Sudetengaugesetz. RVerwBI. 1939, S. 341 ff., 342; Pfeifer. Die Ostmark, Anmerkung 6 zu § 4 OstmarkG, S.537.

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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Von Bedeutung ist weiterhin, daß dem Reichsstatthalter in § 5 Ostmarkgesetz die Befugnis eingeräumt war, mit Zustimmung der beteiligten Reichsfachminister im Verordnungswege Recht zu setzen; dies entspricht weitgehend der Regelung für die Länder im Altreich, vgl. § 3 der Ersten Reichsneuaufbauverordnung. Bezüglich der Aufsichtsrechte der obersten Reichsbehörden über die Verwaltung im Reichsgau gilt, daß die Reichsbehörden im Bereich der allgemeinen Reichs- und der angegliederten Reichssonderverwaltung volle fachliche und dienstrechtliche Weisungsgewalt gegenüber den Reichsstatthaltern besaßen; als Dienstvorgesetzte der Reichsstatthalter waren sie auch befugt, deren Weisungen an nachgeordnete Beamte aufzuheben. 491 Was die nicht angegliederten Sonderbehörden anbelangt, waren auch direkte Weisungen an die jeweiligen Behördenleiter auf Gauebene unter Umgehung des Reichsstatthalters möglich. Der Umfang der Reichsaufsicht im Bereich der Selbstverwaltung wird im Ostmarkgesetz hingegen nicht explizit geregelt. 492 Anhaltspunkte ergeben sich insoweit jedoch aus § 3 II der 1. Durchführungsverordnung zum Ostmarkgesetz. 493 Darin heißt es: "In Angelegenheiten von finanzieller Bedeutung führt der Reichsminister des Innern die Aufsicht über den Reichsgau als Selbstverwaltungskörperschaft im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Finanzen. Die Vorschriften über die Fachaufsicht bleiben unberührt." Das entscheidende Problem ist, was unter dem Begriff "Fachaufsicht" zu verstehen ist. Klar scheint diesbezüglich nur zu sein, daß die obersten Reichsfachbehörden neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit gaubehördlicher (Ermessens-)Entscheidungen sollten überprüfen können dürfen. (Das wäre immerhin schon mehr, als die Deutsche Gemeindeordnung auf Kommunalebene zuließ.) Bedenkt man allerdings, daß sich der Begriff der "Fachaufsicht" nach 1933 zumindest in den Augen einiger Rechtsgelehrter gewandelt hatte,494 kann hieraus sogar eine noch größere Erweiterung der Reichsaufsichtsbefugnisse im Bereich der Gause1bstverwaltung gefolgert werden: Die Reichsministerien hätten dann auch dienstrechtliche Weisungen erteilen können mit der einzigen Einschränkung, daß diese Weisungen nicht an den einzelnen betroffenen Beamten, sondern nur an den Leiter der Gauverwaltung zu richten gewesen wären! Ohne sich auf einen der beiden Standpunkte festzulegen, konnte man schließlich immer noch § 106 der Deutschen Gemeindeordnung heranziehen, wonach eine bis fast zur Fachaufsicht "erweiterte Rechtsaufsicht" bestanden hätte. Die 490 Anders als im Altreich waren die Einwirkungsmöglichkeiten der Reichsstatthalter auf die Behörden der Reichsverwaltung also nicht auf ein allgemeines Informationssowie ein Anordnungsrecht (nur) bei Gefahr im Verzug beschränkt (zutreffend Pfeifer,

S.531).

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§§ 3 H, 4 I OstmarkG. Vgl. § 6 I OstmarkG: " ... unter der Aufsicht des Reichsinnenministers ... ". RGBI. 1939, Teil I, S. 995. Dazu siehe vom A II 7.

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsautbau zwischen 1933 und 1945

Deutsche Gemeindeordnung war nämlich über § 8 der 1. Durchführungsverordnung auf das Ostmarkgesetz ergänzend anwendbar. Was das Ostmarkgesetz als "Gauselbstverwaltung" apostrophierte, trug seinen Namen daher zu Unrecht. Es handelte sich lediglich um eine regional dezentralisierte Form (unmittelbarer) Reichsverwaltung. Von den weiteren Regelungen des Ostmarkgesetzes besaßen noch die folgenden eine gewisse Bedeutung: In Übereinstimmung mit dem von der DGO auf Gemeindeebene verwirklichten Rechtszustand war die Bildung sogenannter Gauräte als mit beratenden Funktionen ausgestatteter Volksvertretungen vorgesehen. 495 § 13 11 des Ostmarkgesetzes, wonach alle Beamten des Reichsgaues - jedenfalls im "übertragenen Wirkungskreis" - die Stellung unmittelbarer Reichsbeamter hatten, bedeutete eine beachtliche Veränderung gegenüber dem damals noch im Altreich bestehenden Rechtszustand. Im Vorgriff auf die Regelung in dem Gesetz über die Vereinheitlichung im Behördenautbau brachte man also alle bisherigen "Landesbeamten" in ein direktes und ausschließliches Dienstverhältnis zum Reich. Da Dienstherr dieser Beamten allein das Reich war, handelte es sich um unmittelbare Reichsverwaltung.

Was schließlich die innere Untergliederung der Reichsgaue anbelangte, waren nur Kreise und Gemeinden, wegen der geringen territorialen Größe der Ostmarkgaue aber keine Regierungsbezirke 496 vorgesehen. Das Ostmarkgesetz stellte, wenn man all diese Regelungen berücksichtigt, eines der im Hinblick auf die Reichsreform bedeutensten Gesetze der nationalsozialistischen Zeit überhaupt dar. Erstmals wurde ein relativ geschlossenes Verwaltungssystem in der Mittelinstanz verwirklicht, insbesondere das Nebeneinander von Landesregierung und Reichsstatthalter beseitigt 497 und der Reichsstatthalter in den Exekutivautbau voll integriert. Zwar erhielt der Statthalter eine "unterführerähnliche" Position; er stand aber verfassungstheoretisch unter weitgehender Kontrolle der Reichsregierung. Danach blieb es bei dem insgesamt straff zentralistischen Reichsautbau, von einer Vielfalt der Gauglieder konnte keine Rede sein - wenn nicht die Reichsstatthalter sich contra lege mehr Selbständigkeit erkämpften. Die in dem Ostmarkgesetz noch offengelassene Frage nach dem Umfang der "Gauselbstverwaltung" wurde durch die Erste Verordnung über Aufgaben der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften vom 17.7. 1939 498 einer endgülSiehe § 6 IV Ostmarkgesetz. Vgl. dazu Ministerialrat Ehrensberger, Der Autbau der Verwaltung nach dem Ostmarkgesetz und dem Sudetengesetz, RVerwBI. 1939, S. 341 ff., 343. 497 Dazu siehe schon oben A 11 5 d). 498 RGBI. 1939, Teil I, S. 1269 f. 495

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11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

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tigen Regelung zugeführt. Danach übten die Reichsgaue als "Selbstverwaltungskörperschaften" relativ umfangreiche Befugnisse auf den Gebieten des Finanzund Haushaltswesens, der Kulturpflege (Denkmalspflege, Museumspflege, Heimatschutz, Büchereiwesen, Archivpflege, Förderung von Kunst und Wissenschaft), des Gesundheitswesens (Bekämpfung von Volkskrankheiten, Förderung des Sportwesens), der öffentlichen Fürsorge und Jugendwohlfahrt, der Wirtschaft und Ernährung (Förderung von Handel, Wirtschaft und Gewerbe, der Landwirtschaft, Energieversorgung), des Straßen- und Bauwesens (Errichtung und Unterhaltung gaueigener Gebäude, Unterhaltung und Ausbau der Landstraßen I. Ordnung) sowie des Planungswesens aus. 499 Bedeutsam für den Verwaltungsaufbau der Reichsgaue in der Ostmark war ferner die Verordnung über die Verwaltung der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften vom 25. 11. 1939. 500 Sie regelte die Rechtsstellung der Beamten der Selbstverwaltungsbehörden in den Reichsgauen. So sollten diese Beamten mit Genehmigung des Reichsinnenministeriums als Beamte des Reichsgaues eingestellt werden können 501 - ein Zeichen dafür, daß eine organisatorische Trennung von Reichs- und "Gauselbstverwaltung" in verschiedene Behörden geplant war. Mutmaßungen über eine Stärkung eigenverantwortlicher Verwaltungs tätigkeit auf Gauebene wurden jedoch rasch enttäuscht. Der Runderlaß des Reichsinnenministers vom 7. März 1940 502 stellte schon bald klar: 503 "Nach § 1 der Verordnung über die Verwaltung der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften werden die Geschäfte des Reichsgaues als Selbstverwaltungskörperschaft grundsätzlich von unmittelbaren Reichsbeamten und Angestellten des Reichsgaues wahrgenommen. Es ist nicht in Aussicht genommen, von dieser grundsätzlichen Regelung für die Reichsgaue der Ostmark gemäß § 1 Abs. 3 der Verordnung in größerem Umfange Abweichungen zuzulassen. Es werden demnach im Rahmen des allgemeinen Stellenplans der Behörde des Reichsstatthalters auch für die Erledigung der Aufgaben der Gauselbstverwaltung die erforderlichen Beamten und Angestellten bereitgestellt werden." Die Reichsinnenverwaltung boykottierte also auch hier sämtliche Versuche, wirkliche Verwaltungsdezentralisation durchzuführen. Vermutlich war diese Haltung nicht nur kriegsbedingt: Die negativen Erfahrungen mit Bürckel als Reichskommissar, ab 1940 als Reichsstatthalter von Wien, mögen ebenfalls dazu beigetragen haben. Vgl. § 1 11 der Verordnung. RGBl. 1939, Teil I, S. 2373 f. 501 § 1 III der Verordnung vom 25.11.1939. 502 Runderlaß des Reichsministers des Innem an die Landeshauptmänner der Ostmark; abgedruckt bei Pfeifer, S. 592 ff. 503 Nr. 2 c des genannten Runderlasses. 499

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So kam es, daß nur die jeweiligen Gauhauptleute als Beamte des Reichsgaues eingestellt wurden; 504 im übrigen führten unmittelbare Reichsbeamte auch die "Selbstverwaltungsaufgaben" der Gaue aus. Dies hatte mit Selbstverwaltung nichts mehr zu tun. Das gilt umso mehr, wenn man die Regelungen des Führererlasses vom 28.8.1938 in die Bewertung mit einbezieht. Dazu siehe aber unter 9. Zu der im Ostmarkgesetz geregelten Einrichtung von Reichsgauen ist es nicht, wie anfangs beabsichtigt,505 bis zum 30. September 1939 gekommen. Aufgrund einsetzender Kriegshandlungen, vor allem aber wegen interner Querelen, 506 mußte die vorgesehene Frist verlängert werden. 507 Erst mit dem 1. April 1940 traten die Bestimmungen des Ostmarkgesetzes tatsächlich in Kraft 508 : zu spät, um noch den ganz großen Schub in der Reichsreformfrage bewirken zu können. 509

b) Verfassung und Verwaltung des Sudetengaues Der Rechtszustand in den sudetendeutschen Gebieten war im Zeitpunkt ihres Anschlusses von dem weitgehenden Fehlen von Mittel- und Oberinstanzen der Verwaltung geprägt, weil diese sich zumeist in den nicht eingegliederten tschechoslowakischen Landesteilen befunden hatten. 510 Hieraus sind auch die gegenüber Österreich andersartigen vorläufigen Organisationsmaßnahmen zu erklären. 511 Nachdem die Zivilverwaltung hier nach dem Einmarsch 512 zunächst von dem Oberbefehlshaber des Heeres übernommen worden war, ihre praktische Aus504 Entsprechend § 2 der Verordnung vom 25. 11. 1939. 505 Siehe § 14 Ostmarkgesetz. 506 Dazu siehe Rebentisch, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungs geschichte, Band IV, S. 754; zum ganzen aus zeitgenössischer Sicht Wemer Hoche, Die verwaltungsrechtlichen Bedeutung des 1.4.1940 für die Ostmark, in: RVerwBI. 1940, S. 178 ff. 507 Erstmalige Fristverlängerung "auf unbestimmte Zeit" (!) durch die Verordnung zur Ergänzung des Ostmarkgesetzes vom 9.9. 1939 (abgedruckt bei Pfeifer, S. 547); durch § 1 der 10. DVO zum Ostmarkgesetz vom 27.3.1940 wurde schließlich der 1.4. 1940 als der Termin festgesetzt, bis zu welchem die Einrichtung der Ostmarkgaue vollendet sein mußte (abgedruckt bei Pfeifer, S. 582). 508 Zum gleichen Termin wurde Bürckel seines Amtes als Reichskommissar für die Wiedereingliederung Österreichs enthoben und zum Reichsstatthalter in Wien ernannt (Führererlaß vom 15.3.1940, abgedruckt bei Pfeifer, S. 550). 509 Obwohl Frick in den Regelungen des Ostmarkgesetzes wichtige Bausteine für den künftigen endgültigen Neubau des Deutschen Reiches zu erkennen glaubte (Frick, Entwicklung und Aufbau der öffentlichen Verwaltung in der Ostmark und in den sudetendeutschen Gebieten, in: RVerwB1.1939, S. 465 ff., 466). 510 Vgl. H. Frick, Entwicklung und Aufbau der öffentlichen Verwaltung in der Ostmark und in den sudetendeutschen Gebieten, in: RVerwBI. 1939, S. 465 ff., 468. 511 Instruktive Darstellung bei Frick, Entwicklung und Aufbau ... , S. 468. 512 Auch im Falle des Sudetenlandes hatte Hitler nicht direkt den Weg des "kalten Anschlusses" (will sagen: Kriegshandlungen) gewählt. Der Einmarsch der deutschen

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übung allerdings bei den eingesetzten Chefs der Zivilverwaltung gelegen hatte, 513 trat mit dem Führererlaß vom 1. 10. 1938 514 ein "Reichskomrnissar für die sudetendeutschen Gebiete" an die Spitze der Verwaltung. 515 Die Rechtsstellung dieses Reichskommisars entsprach im wesentlichen derjenigen des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs; Abweichungen folgten jedoch daraus, daß im Sudetengebiet keine einem Reichsstatthalter unterstehende Landesregierung existierte. So trat hier der Reichskommissar selbst an die Spitze der Regierung und aller Behörden, wie sich aus der Regelung des § 2 11 1 des Erlasses ergibt. Im Hinblick auf den übrigen vorläufigen Verwaltungsaufbau ist zwischen den Bereichen der allgemeinen Reichs- und der Reichssonderverwaltung zu unterscheiden. Die Verwaltungszweige der allgemeinen Verwaltung wurden einer neuen Zentralbehörde des Reichskommissars als Unterabteilungen angegliedert, wie sich aus § 4 der Zweiten Verordnung zum Führererlaß über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete ergab. 516 Demgegenüber wurden die Verwaltungszweige der Reichssonderverwaltung nicht voll in die Verwaltung des Reichskommissars integriert; hier erfolgte die Bildung selbständiger Behörden, die aber zu dem Reichskommissar über Beauftragte in eine Verbindung traten. 517 Für die Finanz- und die Justizverwaltung kam es zu diesen Beauftragungen allerdings nicht mehr. § 2 11 2 des Führererlasses vom 1. 10. 1938 gestattete dem Reichsinnenminister nämlich, die Verwaltungszweige der Reichssonderverwaltung im Sudetenland den entsprechenden Reichsoberbehörden zu unterstellen, was auf dem Gebiet des Finanz- und Justizwesens durch die Verordnungen vom 12. 10. und 14. 10. 1938 auch erfolgte. 518 Gemäß § 4 des Führererlasses vom 1.10.1938 war der Reichskommissar weiterhin - wie in Österreich - befugt, allen Dienststellen des Staates und der Partei, also auch den Sonderbehörden, Weisungen zu erteilen; andererseits unterstand er selbst dem Führer (nicht den Reichsministerien!). Seine Aufgabe bestand Truppen erfolgte vielmehr auf der Grundlage der in der Münchener Konferenz am 29.9.1938 getroffenen Entscheidungen (siehe dazu aus zeitgenössischer Sicht Karl Gottjried Hugelmann, Die Eingliederung des Sudentenlandes, in: Huber (Hrsg.), Idee und Ordnung des Dritten Reiches, 2 Bände, Hamburg 1940; aus heutiger Sicht Erdmann, in: Gebhard, Handbuch der dt. Geschichte, Bd. 4/2, 9. Auf]. 1976, S. 479 f.). 513 Die Phase der Militärverwaltung dauerte allerdings offiziell bis zum 20.10.1938; vgI. Rebentisch, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 755 m. W.N. 514 Erlaß des "Führers und Reichskanzlers" über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete vom 1. 10. 1938, RGBI. 1938, Teil I, S. 1331 f. 515 § 2 I des Führererlasses. 516 Zweite Verordnung zum Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete vom 8.10.1938, RGBI. 1938, Teil I, S. 1348. 517 Vgl. § 4 H der soeben genannten Verordnung. 518 Siehe hierzu einen Vermerk aus der Reichsinnenverwaltung von Ende Oktober 1939 über die Justizverwaltung in den Reichsgauen Danzig und Posen; in: Bundesarchiv, Akte R 43 H/646a, BI. 52 ff., 52/53.

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zunächst darin, für den politischen, staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau der sudetendeutschen Gebiete zu sorgen,519 was den vorläufigen Charakter dieser Regelungen noch unterstreicht. Demnach ist im Sudetenland bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt und in einem sehr weitgehenden Rahmen die "Einheit der Verwaltung" unter einem mit umfassenden Eingriffsbefugnissen ausgestatteten "Unterführer" (dem Reichskommissar) verwirklicht worden; ein Dualismus zwischen Landesregierung und Reichskommissar wurde von Anfang an vermieden. Die Stellung des Reichskommissars für die sudetendeutschen Gebiete war danach sogar noch stärker als diejenige des Reichskommissars für Österreich oder der späteren Reichsstatthalter in den neu geschaffenen Reichsgauen, denn dort war es zu einer deutlicheren gliederungsmäßigen Ausgrenzung der Reichssonderbehörden aus der Zentralbehörde des Gauführers gekommen. Festzuhalten bleibt allerdings, daß der Führererlaß vom 1.10.1938 und die Verordnung vom 8.10. des gleichen Jahres den Weg zum künftigen Verwaltungsaufbau im Sudetengebiet gewiesen haben, wie er dann durch das Sudetengaugesetz vom 14.1.1939 realisiert wurde. Mit nur wenigen Umstrukturierungsmaßnahmen konnte nach diesem Gesetz aus der Verwaltung des Reichskommissars die neue Zentralbehörde des Reichsstatthalters geschaffen werden, eines so umfassenden organisatorischen Umbaues wie in Österreich bedurfte es also nicht mehr. Die territoriale Gliederung des Sudetengebietes erfolgte durch das Gesetz über die Gliederung der sudetendeutschen Gebiete vom 25.3.1939 520 und wurde im Sudetengaugesetz bestätigt. Man bildete einen das sudetendeutsche Kernland umfassenden Reichsgau "Sudetenland", der außer in Kreise und Gemeinden auch in (drei) Regierungsbezirke unterteilt war. Hierin lag eine bedeutsame Abweichung gegenüber dem realisierten Rechtszustand in den österreichisehen Reichsgauen. Begründet wurde die Schaffung der Regierungsbezirke mit der Weitläufigkeit des Gaugebietes. Was den Verwaltungsaufbau des Reichsgaues Sudetenland nach dem Sudetengaugesetz vom 14.1.1939 521 angeht, so besteht weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Ostmarkgesetzes. 522 Insbesondere trat an die Stelle des bisherigen Reichskommissars ein Reichsstatthalter, der allerdings den bestehenden Verwaltungsaufbau der Kommissariatsbehörde übernehmen konnte. Gegenüber dem vorherigen Rechtszustand neu war vor allem die Schaffung von "Selbstverwaltung" auf Gauebene. Aber auch sie verdiente ihren Namen nicht, weil die § 3 S. 2 des Führererlasses vom 1.10.1938. Gesetz über die Gliederung der sudetendeutschen Gebiete vom 25.3.1939, RGBI. 1939, Teil I, S. 745 f. 521 Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Reichsgau Sudetenland (Sudetengaugesetz) vom 14.4.1939, RGBI. 1939, Teil I, S. 780 ff. 522 Insofern sei auf die obigen Ausführungen verwiesen. 519

520

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreformmaßnahmen

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für die Ostmark insofern getroffenen ergänzenden Regelungen 523 im Sudetenland entsprechende Anwendung fanden. Wie nach dem Ostmarkgesetz unterstand die Selbstverwaltungskörperschaft unmittelbar dem Reichsstatthalter. Die Rechtsstellung der Sonderbehörden auf Gauebene wurde ebenfalls im Sinne einer "Angliederung" bzw. organisatorischen Trennung von der Zentralbehörde des Reichsstatthalters verändert; auf diese Weise mußten etwa die Bahn- und Postverwaltung verselbständigt und in eine Beziehung zum Reich gebracht werden. Allerdings bestand nach wie vor volle Weisungs gewalt des Reichsstatthalters - unter Vorbehalt anderslautender Weisungen der obersten Reichsbehörden - gegenüber allen Behörden der Reichssonderverwaltung. In den Regierungsbezirken bildeten nach der Regelung des § 7 des Sudetengaugesetzes Regierungspräsidenten die Spitze der Verwaltung. 524 Die Verwaltungsbehörden der Regierungspräsidenten waren dem Reichsstatthalter unmittelbar nachgeordnet, so daß dieser sie mit fachlichen und personalrechtlichen Weisungen versehen konnte. Ihnen waren jedoch allein staatliche, nicht auch "Selbstverwaltungsaufgaben" zur Ausführung zugewiesen. 525 Tendenziell bedeutete die Schaffung von Regierungsbezirken im Reichsgau Sudetenland eine gewisse Dezentralisation der Verwaltung; sie brachte auch eine deutliche Entlastung der Gauzentralbehörde mit sich, so daß sich der Reichsstatthalter im wesentlichen auf politische Vorgaben an die nachgeordneten Beamten beschränken konnte. Weiterhin galten die Regelungen der Ersten Verordnung über Aufgaben der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften vom 17.7.1939 und der Verordnung über die Verwaltung der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften vom 25.11.1939 526 auch im sudetendeutschen Gebiet. Bezüglich der Bewertung des Sudetengaugesetzes gilt das zum Ostmarkgesetz Gesagte entsprechend. c) Die Rechtslage in den eingegliederten polnischen Gebieten

Die militärische Zerschlagung Polens brachte erhebliche territoriale und verwaltungsorganisatorische Veränderungen. 527 Im Unterschied zu den ins Reich 523 Insbesondere die Durchführungsverordnungen für das Ostmarkgesetz. Insoweit existierten jeweils fast wortgleiche Durchführungsverordnungen zum Sudetengesetz. 524 Der Begriff des Regierungspräsidenten ist sonach im Sudetengaugesetz doppelt besetzt: Zum einen heißt der Stellvertreter des Reichsstatthalters in den Angelegenheiten der staatlichen Verwaltung seiner Gauzentralbehörde so, zum anderen tragen die Leiter der Behörden in den Regierungsbezirken diesen Titel; vgl. § 6 Sudetengaugesetz. 525 Zutreffend Holtz, Der Verwaltungsaufbau in den neuen Reichsgauen, RVerwBI. 1939, S. 549 ff., 549. 526 Dazu s. o. A 11 8 a). 527 Zutreffend Rebentisch, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 756.

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eingegliederten österreichischen bzw. sudetendeutschen Gebieten war der deutsche Bevölkerungsanteil Polens sehr gering. Das galt auch für die 1918/19 von Deutschland abgetrennten Territorien, vielleicht mit Ausnahme Ost-Oberschlesiens. Der Ansatz zur Schaffung unmittelbar reichszugehöriger Gaue aus ehemals polnischen Gebieten mußte deshalb ein ganz anderer sein als in Österreich oder im Sudetenland. Es galt zuallererst, das Bevölkerungsproblem im Sinne einer Eindeutschung zu lösen, das heißt Volksdeutsche nach dorthin umzusiedeln. Hitler schwebte zur Neuordnung der ethnischen Verhältnisse ein "harter Volkstumskampf' vor, den gewinnen zu können er nur glaubte, wenn zumindest für die erste Zeit eine besonders scharfe Zusammenfassung der Verwaltung realisiert würde. 528 Ihren Ausdruck fand diese Haltung in dem Führererlaß über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8.10.1939. 529 Es kam hiernach gar nicht erst zu der Einsetzung von Reichskommissaren, sondern sofort zu einer endgültigen Regelung des Verwaltungsaufbaues. In territorialer Hinsicht wurden zwei Reichsgaue, Danzig-Westpreußen und Posen (ab 1940: Wartheland) , 530 gebildet,S31 die ihrerseits wieder in Regierungsbezirke, Kreise und Gemeinden untergliedert waren (wie im Sudetenland). S32 Was den Verwaltungsaufbau der Reichsgaue betraf, galt gemäß § 3 I des hier behandelten Führererlasses grundsätzlich das Sudetengaugesetz. Vor allem traten also Reichsstatthalter an die Spitze der Verwaltung, wurde (nach dem formalen Verfassungsrecht nur scheinbare) Selbstverwaltung verwirklicht und wurden die Gaubeamten in ein unmittelbares Dienstverhältnis zum Reich übergeleitet Gedenfalls soweit sie in der staatlichen Verwaltung tätig waren). Der Reichsstatthalter besaß weiterhin volle fachliche und dienstrechtliche Aufsicht über die ihm nachgeordneten Beamten der neu gebildeten Gauzentralbehörde, was schon aus dem Umstand folgte, daß er Leiter dieser Behörde war; er unterstand seinerseits in Angelegenheiten der Reichsverwaltung - verfassungstheoretisch! - der fachlichen Aufsicht der Reichsfachministerien und der Dienstaufsicht des Reichsinnenministers, welcher deshalb auch Weisungen des Reichsstatthalters aufheben konnte. Der Befehlsweg lief stets über den Reichsstatthalter, direkte Anweisungen Rebentisch, S. 757 m. W.N. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8.10.1939, RGBI. 1939, Teil I, S. 204 f. 530 Vgl. den Zweiten Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Änderung des Erlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 29.1.1940, RGBI. 1940, Teil I, S.251. 531 Vorentwurf bezüglich weiterer Ausgestaltung der Territorialgliederung in Gestalt eines "Gesetzes über die Heimkehr der entrissenen Ostgebiete in das Deutsche Reich" vom 7.10.1939 in: Bundesarchiv, Akte R 18/5401, BI. 42 ff. 532 Zu den der Ostgaugliederung zugrundeliegenden Erwägungen instruktiv "Vorschlag zur territorialen Begrenzung von Westpreußen" aus dem Reichsinnenministerium (ohne Datum, etwa Anfang Oktober 1939), in: Bundesarchiv, Akte R 18/5401, BI. 31 ff.). 528

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an die nachgeordneten Beamten waren also von Seiten der Reichsministerien nicht möglich. Abweichungen von dem Rechtszustand im Sudetenland ergaben sich aber hinsichtlich der Reichssonderverwaltung. Nach § 3 11 des Führererlasses vom 8. 10. 1939 waren dem Reichsstatthalter "sämtliche Verwaltungszweige zugewiesen". Danach übte er auch jene Verwaltungsaufgaben aus, die im Altreich in Reichssonderverwaltung erledigt wurden. 533 Wie aber bereits nach der ähnlichen Regelung in dem Führererlaß über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete (dort § 211 2) wurde der Reichsinnenminister ermächtigt, den Übergang einzelner Verwaltungszweige auf die im Altreich bestehenden Sonderverwaltungen anzuordnen; es war also zumindest ein Weg offengehalten, auch in den Gauen DanzigWestpreußen und Posen von der Gauzentralbehörde getrennte Sonderbehörden zu errichten. Über die Art und Weise der Unterstellung der Reichssonderbehörden unter die Reichsstatthalter in den besetzten polnischen Gebieten herrschten offenbar Meinungsverschiedenheiten. Es ging um die Frage, ob die betreffenden, im Altreich als Sonderbehörden bestehenden Dienststellen der Zentralbehörde des Reichsstatthalters echt einzugliedern seien (so daß sie bloße Unterabteilungen dieser Behörde gebildet hätten) oder als von der Gauzentralbehörde organisatorisch getrennte eigenständige Behörden bestehen blieben und nur der umfassenden (aus § 2 11 Sudetengesetz folgenden) Weisungsgewalt der Reichsstatthalter unterstanden. 534 Der Reichsinnenminister sprach sich für die erstere Auslegung aus, bat aber um die Herbeiführung einer Entscheidung Hitlers. 535 Eine endgültige Lösung dieses Problems erfolgte durch die Zweite Verordnung zur Durchführung des Führererlasses über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 2. 11. 1939. 536 Einige der im Altreichgebiet vorhandenen Sonderverwaltungen wurden danach in die Behörde des Reichsstatthalters (als bloße Abteilungen) eingegliedert, § 1 der Durchführungsverordnung (z. B. das Polizeiwesen, die Reichsforstverwaltung), für einige erfolgte die Bearbeitung ihrer Aufgaben beim Reichsstatthalter durch die Leiter der Sonderbehörden, es kam also insoweit zu einer "Angliederung" nach dem Vorbild des Sudetengaugesetzes, § 5 der Durchführungsverordnung (Justiz- und Finanzverwaltung), und schließ533 Diese Regelung ist, wie sich einem Schreiben des Reichsinnenministers an die Reichsstatthalter in Danzig und Posen vom 16. 11. 1939 entnehmen läßt (in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 519), getroffen worden,um "für die Dauer des Aufbaues" die einheitliche und straffe Führung der gesamten Verwaltung unbedingt sicherzustellen. 534 Instruktiv insoweit Schnellbrief des Reichsinnenministers Frick an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 26.10.1939; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/646 a, BI. 60 ff., 60. 535 Schnellbrief Fricks an Lammers vom 26.10.1939; BI. 61. 536 "Zweite Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete" vom 2.11.1939, RGBI. 1939, Teil I, S. 2133 f.

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lieh wurden für einige (selbständig bleibende, d.h. der Gauzentralbehärde weder ein- noch angegliederte) Sonderbehörden bei der Verwaltungsbehörde des Reichsstatthalters nach dem Vorbild der Zweiten Verordnung zu dem Führererlaß über die Verwaltung der sudetendeutschen Gebiete "Beauftragte" bestellt, § 4 der Durchführungsverordnung (Reichspost und Reichsbahn). 537 Gegenüber sämtlichen Reichssonderverwaltungen besaß der Reichsstatthalter allerdings dieselben (nur durch entgegenstehende Weisungen der obersten Reichsbehörden beschränkten) fachlichen und personalrechtlichen Weisungsrechte entsprechend § 2 11 des Sudetengaugesetzes. Von Bedeutung ist die Durchführungsverordnung vom 2. 11. 1939 aber noch in anderer Hinsicht: Sie legte fest, daß die Aufgaben der staatlichen und der Gauselbstverwaltung "bis auf weiteres" in derselben Abteilung bearbeitet wurden. Eine organisatorische Trennung von Selbst- und Staatsverwaltung in verschiedene Behörden erfolgte hier also zunächst nicht, sämtliche Verwaltungsbeamte des Gaues blieben demnach vorerst unmittelbare Reichsbeamte. Mit Durchführungsverordnung vom 29.5.1940 538 wurde allerdings der Geltungsbereich der Verordnung über die Verwaltung der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften auf die Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland erstreckt mit der Folge, daß nunmehr auch diese Gaue im Bereich der Gauselbstverwaltung theoretisch hätten eigene Beamte besitzen können. Überdies regelte § 2 der Durchführungsverordnung vom 29.5.1940 die organisatorische Trennung von Staats- und Gauselbstverwaltung in verschiedene Abteilungen der Gauzentralbehörde. Der Verwaltungsaufbau der beiden Reichsgaue in den besetzten Ostgebieten verwirklicht den Führergedanken sowie den Grundsatz der Einheit der Verwaltung von allen bislang behandelten Modellen am konsequentesten. Zwar waren auch dort noch nicht sämtliche Reichssonderbehörden in die Gauzentralbehörde des Reichsstatthalters voll integriert, aber doch in ein sehr enges Verhältnis zu ihr gebracht. Hierin zeigt sich eine Weiterentwicklung gegenüber dem Zustand in den Ostmarkgauen und im Sudetenland, wo die Eingliederung noch nicht so weitgehend durchgeführt worden war. Etwa erfolgte dort eine "Angliederung" der Sonderbehörden der Finanz- und der Justizverwaltung noch nicht, während sie in Danzig-Westpreußen und Wartheland schon realisiert wurde. Zeigt sich somit bereits nach dem formellen Verfassungsrecht eine Tendenz zur Stärkung der Position der Reichsstatthalter innerhalb ihrer neugeschaffenen Gaue - während sie den Reichsministerien noch unterstellt bleiben -, so wird 537 Vgl. dazu auch Schreiben des Reichsinnenministers an die Reichsstatthalter in Danzig und Posen, Forster und Greiser, vom 16.11.1939 (Entwurf); in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 519 ff., BI. 521. 538 Dritte Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete, RGBI. 1940, Teil I, S. 832.

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dies durch die Verfassungswirklichkeit bestätigt. 539 Die Reichsstatthalter fühlten sich als Vertreter unmittelbar der "Führer"interessen im Gau und nahmen entgegen der tatsächlichen Gesetzeslage die Weisungsgewalt der Reichsfachbehörden einfach nicht mehr hin. Versuche des Reichsinnenministeriums, das geschriebene Recht im Wartheland und in Danzig-Westpreußen durchzusetzen, schlugen fehl. Im Gegenteil ließen die "Unterführer in den Gauen" ihrerseits bereits die Fühlungnahme der Innenverwaltung mit nachgeordneten Reichsbehörden nicht mehr zu. Hitler indes tat nichts, um diese chaotischen, eindeutig separatistischen Zustände zu beenden. d) Die Befugnisse der Kreise 540 nach Ostmark- und Sudetengaugesetz

Nur in den Ostmarkgauen, im Sudetenland und in den Gauen der besetzten polnischen Gebiete sind während der nationalsozialistischen Herrschaft Umgestaltungsmaßnahmen der Kreisverwaltung erfolgt. Sie basieren auf entsprechenden Regelungen des Ostmark- und des Sudetengaugesetzes. Da diese weitgehend gleichartig sind - Abweichungen ergeben sich allein daraus, daß nach dem Sudetengaugesetz mit den Regierungspräsidenten eine zusätzliche Verwaltungsinstanz besteht, soll allein der Rechtszustand nach dem Ostmarkgesetz 541 dargestellt werden. Nach § 911 des Ostmarkgesetzes besaßen die Landkreise in den neu eingegliederten Gebieten den Charakter von staatlichen Verwaltungsbezirken und "Selbstverwaltungskörperschaften". Sie führten danach sowohl staatliche Hoheitsaufgaben nach Weisung des Reiches als auch ihnen formal als eigene übertragene Aufgaben aus. Über den Umfang der den Landkreisen gewährten Selbstverwaltung finden sich in dem Gesetz ebensowenig Anhaltspunkte wie für die innere Behördenorganisation; es hätte insofern noch weiterer Regelungen, etwa im Verordnungswege, bedurft. Die Spitze der Landkreisverwaltungen bildete gemäß § 9 III der Landrat; bei ihm sollten staatliche und Selbstverwaltung zusammenlaufen. Die Stadtkreise, allein als Selbstverwaltungskörperschaften ausgestattet, wurden demgegenüber von einem Oberbürgermeister geleitet. Danach kam es in der Hand der Landräte zu der Realisierung einer zentralen Kreisbehörde; allerdings blieb offen, ob Selbst- und Staatsverwaltung in unterschiedlichen, nur in der Person des Leiters Dazu siehe schon oben A 11 5 d). Was die Stellung der Gemeinden in Ostmark, Sudetengau und den ehemals polnischen Gauen anbelangt, so galt insofern die Deutsche Gemeindeordnung (vgl. Verordnung vom 15.9.1938, in: RGBI. 1938, I, S. 1167 - Einführung in Österreich - bzw. Verordnung vom 20.11. 1938, RGBI. 1938, Teil I, S. 1614- Einführung im Sudetenland). Es sei deshalb auf die Ausführungen zu oben A 11 7. verwiesen. 541 Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark, RGBI. 1939, Teil I, 539

540

S. 777 ff.

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verknüpften, Behörden oder durch die Beamten der staatlichen Verwaltung im Kreis mit erledigt werden sollten. Die staatliche Verwaltung auf Kreisebene war weiterhin in allgemeine Staatsund Reichssonderverwaltung unterteilt. Während die Aufgaben der allgemeinen Staatsverwaltung in der Zentralbehörde des Landrats ausgeübt wurden, blieben die Zweige der Reichssonderverwaltung dieser Behörde verschlossen. Es fand also in den Kreisen, anders als in den Reichsgauen, weder eine An- noch eine Eingliederung der Reichssonderbehörden statt, die, organisatorisch selbständig, direkt der Aufsicht des Reichsstatthalters bzw. der obersten Reichsbehörden unterstanden. Eine Regelung, durch die den Landräten Weisungsgewalt über die Reichssonderverwaltungen auf Kreisebene eingeräumt worden wäre, fehlt nämlich im Ostmarkgesetz, mit der Folge, daß deren Stellung schwächer gewesen ist als die der Reichsstatthalter. Von einer Einheit der Verwaltung in den Kreisen konnte nach dieser Regelung noch keine Rede sein, zumal der Reichsinnenminister nicht verpflichtet war, Befugnisse bisheriger Sonderbehörden auf den Landrat zu übertragen, § 10 11 Ostmarkgesetz. Was die Aufsichtsbefugnisse des Landrats über Selbst- und allgemeine Staatsverwaltung im Kreis anbelangt, trifft das Ostmarkgegesetz hierüber keine ausdrückliche Regelung. Aus der Tatsache, daß der Landrat Leiter der diesbezüglichen Kreisbehörden gewesen ist, folgt aber, daß insofern Dienstaufsicht bestand. Die Staatsaufsicht im Bereich der staatlichen Verwaltung blieb ebenso ungeregelt. Es kann zwar aus der Struktur des Gesetzes entnommen werden, daß Reichsstatthaltern und obersten Reichsbehörden als Aufsichtsorganen fachliche und personelle Weisungsgewalt zustehen sollte; dies hätte aber allein nicht ausgereicht, eine entsprechende Befugnis zu begründen. Ob die Regelung des § 2 11 des Ostmarkgesetzes die Aufsicht der Reichsstatthalter in diesem Sinne festlegen wollte, erscheint zweifelhaft, denn sie befindet sich in einem anderen Gliederungsabschnitt, wenngleich allerdings von einem Weisungsrecht gegenüber "öffentlich-rechtlichen Körperschaften innerhalb des Reichsgaues" die Rede ist. In bezug auf die Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten konnte das Schweigen des Gesetzgebers unter Umständen wenigstens in der Weise verstanden werden, daß entsprechend den für die Gauebene geltenden Regelungen zumindest Recht- und (gegebenenfalls) Zweckmäßigkeitskontrolle stattfinden sollte. 542 Zu Aufsichtsbehörden wurden durch § 12 IV des Ostmarkgesetzes hingegen ausdrücklich Reichsstatthalter und Reichsminister erklärt. Weiterhin war in § 12 des Ostmarkgesetzes die Bildung von Kreisräten als den Landrat beratenden Organen vorgesehen, wobei deren Anrufung allerdings in das Ermessen der Landräte gestellt war. 542

Dazu siehe bereits oben A II 8 a).

11. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsreforrnmaßnahmen

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Abgeleitete Rechtsetzungshoheit stand den Landkreisen nach Maßgabe des § 12 III zu. Das Verhältnis von Partei und Staat blieb unnonniert. Zusammenfassend fällt auf, daß die gaugesetzlichen Regelungen über den Verwaltungsaufbau der Landkreise im Gegensatz zur Bedeutung der Kreisverwaltung nur von rudimentärem Umfang waren. Wichtige Fragen blieben entweder völlig offen oder wenigstens zweifelhaft. Die Durchsetzung der nationalsozialistischen Verfassungs prinzipien auf Kreisebene erfolgte nur ansatzweise, vor allem, was den Ausbau der Stellung der Landräte zu "Unterführem" anbelangt. Auch blieb die verwirrende Vielfalt unterschiedlicher Behörden in den Kreisen erhalten; der Rechtszustand nach Inkrafttreten des Ostmarkgesetzes unterschied sich also nur geringfügig von dem früheren. Von einer echten Reform kann danach auch in den Kreisen der Ostmark, des Sudetenlandes und der Ostgaue nicht gesprochen werden, lediglich von einer Vorbereitung derselben - wenn entsprechende weitergehende Planungen existierten ... 9. Änderungen der Verfassungsstrukturen während des 2. Weltkrieges

Für die weitere Rechtsentwicklung im Reich während des 2. Weltkrieges bedeutsam waren noch folgende Nonnierungen: Durch den Führererlaß vom 28. 8. 1939 543 wurden den obersten Reichsbehörden die ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften des öffentlichen Rechts unmittelbar unterstellt. Dies bedeutet, daß dem Reich in allen Angelegenheiten, die bislang Reichsgauen, Landkreisen oder Kommunen zur formal eigenverantwortlichen Erledigung übertragen worden waren, nunmehr volle Fach- und Dienstaufsicht zustand. 544 Der Führererlaß vom 28. August hatte deshalb erhebliche Auswirkungen auf die Verfassungsstruktur des Reichs. In den Reichsgauen der Ostmark, des Sudetenlandes und der ehemals polnischen Gebiete konnte sich eine von der Reichsverwaltung abgrenzbare Selbstverwaltungstätigkeit nicht entwickeln. Wenn es dort doch gewisse Selbständigkeitsbestrebungen innerhalb des Behördenapparates gab, dann resultierten sie vor allem aus dem Separationsstreben der Reichsstatthalter. Nach dem geltenden Recht hingegen sollte die Verwaltung künftig straff zentralistisch geführt werden: Die Reichsministerien sollten sich in allen Fragen der Staatspolitik bis in die kleinsten Verwaltungsgliederungen hinunter durchsetzen können. 543 Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.8. 1939, RGBI. 1939, Teil I, S. 1535 ff. 544 Vgl. dazu Kreißl, Aktuelle Fragen der Selbstverwaltung; Vortrag, gehalten bei der Tagung der preußischen Regierungspräsidenten am 6.1.1944; in: Bundesarchiv, Akte R 43 111703 a, BI. 254 ff., 254.

8 Bachnick

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Bei diesen Vorgaben mußte auch die kommunale "Selbstverwaltung" noch mehr Schaden nehmen. Jedenfalls theoretisch hätte sich das Reich ständig in die Gemeindeverwaltung einmischen dürfen,ohne daß den Kommunen eigene Verwaltungsspielräume geblieben wären. Daß der genannte Führerlaß durch Runderlaß des Reichsinnenministers vom 12.2. 1940 545 abgemildert wurde - insbesondere hieß es nun, daß die Aufsichtsbehörden von ihrer Weisungsbefugnis nur beschränkt und nur dann Gebrauch zu machen hätten, "wenn dringender Anlaß hierfür vorliegt" - ändert an dieser Einschätzung im Grunde nichts: Denn wann ein "dringender Anlaß" zum Eingriff bestand, das entschieden die Aufsichtsbehörden immer noch selbst. Deshalb war es häufig nur eine Machtfrage, ob sich das Reich tatsächlich bis in den hintersten Winkel seines Herrschaftsgebietes Gehör verschaffen konnte. Der schon in dem Runderlaß vom 12.2. 1940 erkennbare Ansatz zu neuerlichen Dezentralisationsbemühungen setzte sich in der Folgezeit fort. So ordnete Nr. I, Abs. 3, S. 2 des Führererlasses über die weitere Vereinfachung der Verwaltung vom 25.1.1942 546 an, daß höhere Dienststellen nicht Aufgaben erledigen dürften,die von nachgeordneten Dienststellen erledigt werden könnten. Nach Nr. lAbs. 4 sollte sich die Zuständigkeit der Reichsminister "mehr als bisher" auf die Lenkung der Verwaltung beschränken (ein Zeichen dafür, wie die Gau- und Kommunalbeamten, vor allem aber die Reichsstatthalter bei Hitler Klage über die Verwaltungszentralisation geführt haben mögen! Der "Führer" kritisierte die Verwaltungsführung der obersten Reichsbehörden also ganz unverblümt!); Einzelfallentscheidungen sollten von ihnen demnach grundsätzlich nicht mehr getroffen werden. Wenn auch auf der Grundlage des Führererlasses eine gewisse Verwaltungsdezentralisation stattfand, so blieb es jedoch bei der grundsätzlichen Unterstellung der "Selbstverwaltungskörper" unter die Organe der allgemeinen Staatsverwaltung. Eigenständige Entscheidungskompetenzen bestanden nun selbst formal nicht mehr. Obwohl von ihrer Konzeption her ursprünglich kriegs bedingt, 547 hätten die Führererlasse vom 28. 8.1939 und 25. 1. 1942 gleichwohl Zeichen einer gewollten Entwicklung sein können. Immerhin hatten bereits die Deutsche Gemeindeordnung und die Erste Durchführungsverordnung zum Ostmarkgesetz nur noch sehr eingeschränkt eigenverantwortliche Verwaltungstätigkeit in der Reichsmittelsowie -unterinstanz zugelassen. Es war daher nur konsequent, mit der begrifflichen Unterscheidung zwischen allgemeiner Reichsverwaltung und SelbstverwalRMBliV. 1940, S. 289. Unveröffentlicht; Entwurf in schließlich in Kraft getretener Form im Bundesarchiv, Akte R 43 II1706, BI. 49 ff. 547 Siehe z.B. den Einleitungssatz des Führererlasses vom 28.8.1939; RGBI. 1939, Teil I, S. 1535. 545

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tung zu brechen und die Staatsaufsicht für beide Bereiche zu vereinheitlichen. Dementsprechend interpretierte Maunz den Führererlaß vom 28.8. 1939 548 als eine Art neues Reichsgrundgesetz, stieß damit aber auf weitgehende Ablehnung von seiten der Partei 549 und der Reichsinnenverwaltung. 550 Falls die Beteuerungen des Reichsinnenministeriums in der Selbstverwaltungsfrage nicht nur Lippenbekenntnisse waren (dem Ziel, dies herauszufinden, soll die vorliegende Arbeit unter anderem dienen), mußten äußere Einflüsse die Staatsbürokratie zur Flucht in die Zentralisierung getrieben haben. Vielleicht gab der Dualismus mit der Partei bzw. den Reichsstatthaltern hierfür den Ausschlag. Der Vollständigkeit halber genannt werden muß noch die zweite Verordnung über die Vereinfachung der Verwaltung vom 6. November 1939,551 die in Ergänzung zu Nr. IV Abs. 2 des Führererlasses vom 28. August festlegte, daß Stadtund Kreisverwaltungsgerichte aufgehoben wurden. An ihre Stelle traten die unteren Verwaltungsbehörden. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen behördliche Maßnahmen war also durch ein verwaltungsinternes Beschwerdeverfahren ersetzt worden. 552 Weitere organisatorische Umgestaltungen des Verfassungsaufbaus des Reiches erfolgten unter nationalsozialistischer Herrschaft nicht mehr.

10. Territorialrefonnmaßnahmen Zwischen 1933 und 1945 ist es nur zu ganz wenigen, meist planlos gebliebenen Veränderungen der Territorialstruktur Deutschlands gekommen. 548 Vgl. Theodor Maunz. Körperschaft und Weisung im neuen Gemeinderecht, in: Deutsche Verwaltung, 17. Jahrgang 1940, S. 177 ff. Maunz sprach davon, daß bereits seit 1935 das Freisein von staatlichen Befehlen nicht mehr als wesentlich für die Selbstverwaltung angesehen worden war. Die Verbindbarkeit einer Eigenverantwortung der Gemeinde und einer Weisungsgewalt des Staates würden im Gegenteil gerade im Interesse der Selbstverwaltung begrüßt. Die gemeindlichen Entscheidungen sollten nicht nur hinsichtlich der Rechtmäßigkeit, sondern auch hinsichtlich der Zweckmäßigkeit potentiell und letztlich in die Hand des Staates gelegt sein. Die neue Entwicklung war für Maunz dadurch gekennzeichnet, daß es nunmehr im Grunde nur noch Auftragsverwaltung gab, daß die Gemeinde auf den Status einer "rechtsfähigen Verwaltungseinheit" als "unterste Stufe ... in einem dezentralisiert aufgebauten Verwaltungssystem hinabsank. ". 549 Nicht von ungefähr lehnte sich die NSDAP gegen alle Versuche auf, die Reichsverwaltung weiter zu zentralisieren, besaß sie doch gerade in den Gauen, Kreisen und Gemeinden eine stärkere Stellung als auf Reichsebene. Weidemann (stellvertretender Leiter des NSDAP-Hauptamtes für Kommunalpolitik) erwog sogar, einen Gegenartikel zu schreiben (Bundesarchiv, Akte NS 25/619). 550 Das Reichsinnenministerium bezeichnete die Ansicht Maunz' als "glatten Unsinn" (siehe Bundesarchiv, Akte NS 25/619). 551 RGBI. 1939, Teil I, S. 2168 f. 552 So im Grundsatz schon der Führererlaß vom 28.8.1939.

8*

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A. Der Verfassungs- und Verwaltungsaufbau zwischen 1933 und 1945

Auf Länderebene wurden lediglich die beiden Mecklenburg vereinigt,553 die freie Stadt Lübeck aufgehoben (Eingliederung nach Preußen),554 die bisherigen oldenburgischen Landkreise Eutin und Birkenfeld im Austausch gegen etliche an Groß-Hamburg 555 gegangene Gemeinden in den preußischen Staat integriert sowie ein Reichsland Saarland aus den zum Reich zurückgekehrten ehemals preußischen und bayerischen Gebieten an der Saar geschaffen. 556 Auch in den preußischen Provinzen fanden nur unwesentliche Gebietsveränderungen statt, die sämtlich nicht im Zusammenhang mit einer planmäßigen Reichsreform standen: so die Aufgliederung der bisherigen Provinzen Hessen-Nassau und Sachsen in je zwei neue (Kurhessen und Nassau einerseits, 557 Magdeburg und Halle-Merseburg andererseits). 558.559 Zwischen der preußischen Provinz Sachsen und dem Land Braunschweig wurde darüber hinaus aus wirtschaftlichen Gründen im Bereich der H.-GöringWerke Salzgitter ein Gebietsaustausch durchgeführt. 560 Demgegenüber blieben so unbedeutende "Zwergländer" wie Lippe und Schaumburg-Lippe oder Braunschweig bestehen. 561

553 Reichsgesetz vom 15.12.1933, RGB!. 1933, Teil I, S. 1065. 554 § 6 des Gesetzes über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen vom 26.1.1937, in: RGB!. 1937, Teil I, S. 91 ff. 555 Siehe auch insoweit das Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen vom 26.1.1937, RGB!. 1937, Teil I, S. 91 ff. 556 Gesetz über die vorläufige Verwaltung des Saarlandes vom 30.1.1935, RGB!. 1935, Teil I, S. 66 ff. 557 Führererlaß vom 1.4.1944, RGB!. 1944, Teil I, S.109 f. 558 Führererlaß vom 1.4.1944, RGB!. 1944, Teil I, S. 110 f. 559 In Wahrheit ging es bei der Aufteilung der Provinzen Hessen-Nassau und Sachsen darum, bei der "Verteilung" staatlicher Hoheitsbefugnise bislang leer ausgegangenen Parteigauleitem Oberpräsidentenposten zu verschaffen (siehe diesbezüglich Schreiben des Leiters der NSDAP-Parteikanzlei Bormann an Reichsinnenminister Frick und Reichsminister Lammers vom 2.1.1943: " ... Die preußischen Provinzen Sachsen und HessenNassau sind die einzigen, in denen das Amt des Oberpräsidenten nicht durch Personalunion mit dem eines Gauleiters verbunden ist ... Eine endgültige Lösung ist ... nur durch Abberufung der jetzigen Oberpräsidenten, Teilung der beiden Provinzen entsprechend den Parteigrenzen und Bestellung der Gauleiter zu Oberpräsidenten zu finden." - abgedruckt bei Diehl- Thiele, S. 131. Die Neugliederung erfolgte im übrigen nach dem Vorbild bestehender Parteigaugrenzen in diesem Raum (Indiz für generelle Tendenz der Ausrichtung der Reichs- an die Parteigaue; siehe bereits die Neugliederung der "Ostmark" oben A II 8 a». Interessant ist, daß Hitler den Gliederungsvorschlag zunächst ablehnte (bezüglich Hessens am 19.4.1943, hinsichtlich Sachsens am 10.5.1943). Aus welchen Gründen er sich später umstimmen ließ, ist nicht bekannt. 560 Austausch des preußischen Goslar (an Braunschweig) gegen den braunschweigisehen Landkreis Holzminden; VO über Gebietsvereinigungen ... im Bereich der H.Göring-Werke Salzgitter vom 25.6.1941, RGB!. 1941, S. 357. 561 Zum ganzen vg!. G. W. Sante, Geschichte der deutschen Länder, Band 2, S. 925; Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 348.

II. Die verwirklichten Verfassungs- und Verwaltungsrefonnmaßnahmen

117

11. Zusammenfassung Insgesamt läßt sich feststellen, daß der verwirklichte Reichsaufbau formal starke zentralistische Strukturen aufwies. Es bestanden im Bereich der allgemeinen Reichs- und der Reichssonderverwaltung durchgängig unbeschränkte Anweisungsrechte von der Zentralinstanz bis hinunter zu den Verwaltungsbehörden in der Unterstufe. Sämtliche Verwaltungszweige liefen an der Spitze bei den Reichsministerien und bei dem Führer zusammen. Bis in die Einzelheiten konnten die obersten Reichsbehörden theoretisch auf Verwaltungsentscheidungen Einfluß nehmen - auch dort, wo an sich "Selbstverwaltung" herrschte. Selbstverwaltung im eigentlichen Sinn war abgeschafft und reichs weit nicht wieder eingeführt worden. Dieser zentralistische Aufbau ist während des Krieges aufrechterhalten bzw. noch verstärkt worden; insofern zu erwähnen ist vor allem der Führererlaß vom 28.8. 1938, der die "Selbstverwaltungskörper" endgültig der Dienstgewalt der Reichsinnenverwaltung unterstellte. Trotz alledem bestanden aber durchaus auch dezentralistische Tendenzen. Im Altreich blieben die Länderbehörden als Organe der Länder konzipiert. 562 Die Länder hatten nach wie vor die in ihren Bezirken arbeitenden Beamten zu besolden, sie waren zur Haushaltsführung berechtigt und besaßen Verfügungsgewalt über ihr bisheriges Vermögen. Der Verwaltungs aufbau innerhalb der Länder wurde außerdem unangetastet gelassen. Die neu geschaffenen Reichsgaue sowie die Kommunen konnten schließlich (in der Verwaltungspraxis) begrenzt selbständig handeln (solange nicht das Reich von seinen Weisungsrechten Gebrauch machte). So kann das "Dritte Reich" verfassungstheoretisch als dezentralistischer Einheitsstaat mit jedoch schon sehr starken unitarischen Elementen bezeichnet werden. Es bleibt zu untersuchen, ob ein derartiger Staatsaufbau auch den ursprünglichen Planungen der mit der Reichsreform befaßten Behörden und der NSDAP entsprach.

562

Eine Vereinheitlichung der Behördenstrukturen erfolgte also nicht!

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-I Länder- Verhältnisses I. Reformvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933 Für den modemen pluralistischen Rechtsstaat kennzeichnend ist die Meinungsvielfalt. Sie äußert sich typischerweise darin, daß Fragen von politischer Bedeutung lebhaft und kontrovers diskutiert werden. Das geschieht insbesondere dann, wenn es in der Sache um so wichtige Dinge wie die Staatsorganisation geht. Anders hingegen im totalitären Staat: Hier werden die Organisationskriterien vorgegeben, die Diskussion kann sich nur noch an Detailproblemen entzünden. Bedenkt man dies, so nimmt es nicht wunder, wenn man feststellt, daß die Reichsrefonnvorstellungen der Literatur einheitlichen Grundsätzen folgten. Es ging darum, den Staat dem nationalsozialistischen Weltbild entsprechend umzubauen. Führerprinzip und "Volksstaats"gedanke mußten ihre staatsorganisationsrechtliche Einkleidung erfahren. In welcher Weise jenes geschehen sollte, war 1933 indes noch relativ unklar und daher umstritten. Erst als Hitler 1934 mit dem Reichsneuaufbaugesetz die Richtung des Neuaufbaues vorgegeben hatte, richtete sich das Schrifttum hiernach aus; die Refonndiskussion erlahmte mehr und mehr. Immerhin waren aber zu dieser Zeit die wichtigsten Strukturelemente des nationalsozialistischen Staates bereits ausgearbeitet worden: I Das Führerprinzip sollte seine Ausfonnung finden a) auf Reichsebene in einer Unterstellung der Reichsbehörden unter die direkte Weisungsgewalt des ,,Führers" (der also als Reichskanzler nicht bloß "primus inter pares" unter den Reichsministern bleiben sollte) b) in den Ländern / "Reichsgauen" durch Zentralisierung der Verwaltung in Händen charismatischer "Unterführer", die allerdings dem Reich (ob - nur - dem "Führer" oder - auch - den Reichsministern, war allerdings offen) für die Ausführung übertragener Aufgaben "voll verantwortlich"2 sein sollten. c) in den Verwaltungsgliederungen unterhalb der Länder ebenfalls durch straffe Konzentration der Zuständigkeiten auf vom Reich abhängige "Führer" (Bürgenneister bzw. Landräte) I

2

Dazu sogleich in diesem Abschnitt. So bereits A. Hitler, Mein Kampf, S. 501.

I. Refonnvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

d)

119

In allen Gebietskörperschaften durch Ausschaltung pluralistisch gebildeter Gremien (Gemeinderat, Kreistag, Landesparlament) sowie Ersetzung von Wahlen durch obrigkeitsstaatliche Ernennungen.

Der Volksstaatgedanke fand in der Weise Berücksichtigung, daß eine unlösbare, schicksalhafte Verbindung zwischen Volk und "Führer" angenommen wurde, aufgrund dessen der "Führer" stets im Interesse des Volkes handeln werde. Im übrigen sollte der Volkswille über die Parteiorganisation zu den Ohren des "Führers" herangetragen werden; "Volksvertretungen", so sie denn noch existieren, durften nur noch Beratungstätigkeit ausüben. Ihr Zweck lag darin, den örtlichen Unterführer bei seiner Sachentscheidungsfindung zu unterstützen, ihn daher gegebenenfalls auf übersehene Gesichtspunkte aufmerksam zu machen. Viele Einzelfragen blieben gleichwohl offen (etwa diejenige nach Umfang der bzw. Berechtigung zur Weisungserteilung an die "Unterführer"), 3 und hier traten durchaus erhebliche Differenzen in den Reformkonzepten auf. Sie sollen nachfolgend aufgezeigt werden.

1. Glums Vorschläge zur Änderung des organisatorischen Teils der Reichsverfassung

Noch im Rahmen dieser Arbeit zu behandeln sind die Vorstellungen des Berliner Staatsrechtlers Friedrich Glum,4 die dieser im Jahre 1932 schriftlich niedergelegt hatte. 5 Sie waren zwar weniger nationalsozialistisch denn konservativ-zentralistisch und fußten auf dem Weimarer Staatsaufbau. Doch ungeachtet dessen bot Glum sich nach der Machtergreifung an, die Reichsministerien in staatsrechtlichen Fragen zu beraten. Dabei verwies er gerade auf seine Vorschläge aus dem Jahre 1932,6 sah diese also nach wie vor als geeignete Basis für die nötige Strukturreform an. Im einzelnen ging Glum von folgenden Überlegungen aus. Unter Beibehaltung der bundesstaatlichen Verfassung wollte er den Dualismus Preußens mit dem 3 Dazu siehe bereits oben A II 4., 5. 4 Glum, geb. am 9.5.1891, gest. am 14.7.1974, wurde 1920 Regierungsassessor in der Kommunalabteilung des preußischen Innenministeriums, im Nebenamt Generalsekretär der Kaiser-Wilhe1m-Gesellschaft, habilitierte 1923 und wurde 1930 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der FriedrichWilhelm-Universität Berlin berufen. Auf Betreiben der Nationalsozialisten schied er 1937 aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aus. Nach Kriegsende war er als Lehrbeauftragter der Münchener Universität tätig. 5 In: Deutsche Juristenzeitung (DJZ) 1932, Sp. 1309 ff. 6 Schreiben dieses Inhalts durch Glum an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, Lammers, vom 31.1.1933; in: Akten des Bundesarchivs, Aktenbestand R 43 II/493, BI. 11 - Antwortschreiben vom 9.3.33, wonach der Herr Staatssekretär vom Inhalt des Artikels "mit großem Interesse Kenntnis genommen" hat und bei Gelegenheit auf das Anerbieten Glums zurückkommen wird; vgl. ebenda, BI. 12.

120

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Reich 7 dadurch beenden, daß Preußen unmittelbar im Reich aufging, d. h. zu einem Reichsland ohne vom Reich unabhängige Hoheitsgewalt umgestaltet werden würde. Die kleinen deutschen Länder sollten ganz verschwinden, die Befugnisse der bestehen bleibenden Länder demgegenüber verstärkt werden. Außerdem sollte Glum zufolge in denjenigen Bereichen, wo Zentralisierung nicht geboten sei, eine möglichst weitreichende regionale Selbstverwaltung mit nur beschränkten Kontrollrechten des Reiches geschaffen werden. Die Länder hätten somit eine Reihe eigener Hoheitsaufgaben auszuführen gehabt, sie wären als "Staaten" erhalten geblieben. Die Rechte der süddeutschen Länder Baden, Württemberg, Bayern und Sachsen sollten um ein frühzeitiges Beteilungsrecht bei Reichsgesetzgebungsvorhaben mit Auswirkungen auf die Landesverwaltung erweitert werden. Zu diesem Zweck hätten die Länder nach Glu~s Planung Vertreter in die Reichsregierung entsenden dürfen. Sofern ein Gesetzgebungsvorhaben den süddeutschen Raum nicht beträfe, sollten die Reichsminister dagegen ohne Beteiligung der Ländervertreter als sogenanntes "Reichsministerium" entscheiden dürfen. Als Korrelat zu dieser Form der Beteiligung der Länderregierungen an der Reichsgesetzgebung sah Glum eine Umgestaltung des Reichsrats von einem bloßen Repräsentationsorgan der Länderinteressen zu einer alle staatstragenden Kräfte einschließenden Instanz vor. Mitglieder des Reichsrates sollten neben Abgesandten der Landtage nämlich auch Vertreter kirchlicher, wissenschaftlicher, berufsständischer und künstlerischer Institutionen sein. Damit wurde eine Zurückdrängung des Einflusses der Parteien auf die Gesetzgebung bezweckt, als deren Personifizierung ja die Ländergesandten gelten mußten. Weiter schlug Glum eine Verstärkung der Stellung des Reichspräsidenten vor, die sich insbesondere in der Zuerkennung von Legislativbefugnissen geäußert hätte. Für ein wirksames Zustandekommen von Gesetzen sollte es deswegen ausreichen, wenn - bei divergierenden Beschlüssen der beiden Parlamentskammern - der Reichspräsident dem entsprechenden Beschluß einer der beiden Kammern zustimmte. Der Entwurf von Glum trug dem nationalsozialistischen Weltbild nicht Rechnung; insbesondere das Führerprinzip wird noch nicht berücksichtigt. Auch geht Glum vom Fortbestand des Weimarer bundesstaatlichen Verfassungssystems aus, eine Vorstellung, die nach den bis April 1933 vorgenommenen, die Reichsverfassung von 1919 in wesentlichen Teilen außer Kraft setzenden Reichsreformmaß7 Gemeint war vor allem die Problematik, daß Preußen einen gewaltigen Exekutivapparat besaß, während das Reich auf die bloße Richtlinienvorgabe beschränkt war und grundsätzlich keine eigenen Exekutivbefugnisse hatte (dazu siehe bereits oben A II 5 d) zur Verreichlichung der preußischen Ministerialbürokratie; das Reich galt bis dahin als "Dame ohne Unterleib").

1. Refonnvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

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nahmen als nicht haltbar und überlebt erscheinen mußte. Preußen wird bei Glum zwar mit dem Reich "gleichgeschaltet", die Eigenstaatlichkeit (und damit der von der nationalsozialistischen Weltanschauung bekämpfte "Separatismus") der Länder wird aber betont oder sogar noch erweitert. Daher hatte dieser Vorschlag keine Chance auf Realisierung.

2. Die Gedankengänge Wilhelm Zachers

Mit Schreiben vom 15. Dezember 1933 legte der Amtsgerichtsrat und stellvertretende Landrat Dr. Wilhelm Zacher, nach eigenen Angaben ein "altmärkischer Bauernsohn" , dem "Führer und Reichskanzler" die Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes vor; dieser Entwurf enthält allerdings nur allgemeine, grundsätzliche Regelungen über den geplanten Staatsaufbau. 8

a) Verhältnis Partei - Staat Unter I, Grundsätze der Bewegung, heißt es darin unter anderem, daß der "Führer" die unbeschränkbar ausschließliche Autorität für die Bewegung sei (offenbar geht Zacher ebenfalls vom Führerprinzip aus); weiterhin wird an dieser Stelle das Prinzip der Personalunion von Parteileitung und Reichsführung ausdrücklich festgeschrieben; der "Parteiführer" sollte zugleich Kanzler des Reiches sein (so auch in der Verfassungswirklichkeit der damaligen Zeit, jedoch fehlte es insoweit an einer normativen Regelung).

b) Rechtsnachfolge des "Führers" Der Entwurf trifft außerdem eine Regelung zur Frage der Rechtsnachfolge des "Führers". Zacher sieht diesbezüglich keine Wahl vor, sondern allein die Bestimmung durch den alten "Führer". Der "Führer" habe einen Stellvertreter (im Bereich der Parteileitung) zu ernennen, der im Augenblick des Todes des "Führers" zum neuen "Führer" der Bewegung werde, heißt es in Zachers Entwurf. 9 Da aber der "Führer" zugleich Reichskanzler ist, wie der Entwurf ausspricht, muß sich Zacher demnach vorgestellt haben, daß auch das Amt des Reichskanzlers mit dem Tod des alten "Führers" auf den bisherigen "Führer"stellvertreter übergehen sollte. Das Kanzlereinsetzungsverfahren nach der Weimarer Verfassung wäre also außer Kraft getreten.

8

9

In: Akten des Bundesarchivs; Aktenbestand R 43 11/493, BI. 33 - 38. R 43 11/493, BI. 34.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

c) Reichsaufbau und Verhältnis der Länder zum Reich Unter 11 listet der Verfassungsentwurf Zachers die "Grundsätze des Reiches" auf. In der Vorrede zu Art. lIegt Zacher die Grundsätze der Beziehungen zwischen Bewegung und Staat fest. Danach sollte es die höchste Aufgabe des Reiches sein, die Bewegung zu verwirklichen; Staatsautorität bestünde nur, wenn das Reich überall die Grundsätze der Bewegung befolge. 10 Ganz offensichtlich will Zacher damit das grundsätzliche Primat der Partei über den Staat festschreiben (während in der Verfassungswirklichkeit die Partei nur bestimmte Einflußmöglichkeiten auf den Behördenapparat gewinnen konnte). Das macht ihn zum Vertreter typischer Parteiinteressen gegenüber dem Staat. Was die territoriale Gliederung angeht, so schlägt Zacher die Einteilung des Reiches in 37 Gaue vor ll , die die zuvor abgeschafften Länder ersetzen sollten. Die gewählte hohe Anzahl von Reichsgauen - deren Bezeichnung und gebietliche Abgrenzung der Verfassungsentwurf nicht nennt - läßt den Schluß zu, daß es sich um relativ kleine Gebilde gehandelt haben muß; ihre Größe dürfte unter derjenigen der preußischen Provinzen gelegen haben, eventuell hätten sie annähernd den NS-Parteigauen entsprochen. Der Entwurf stellt das Verhältnis der neuen Reichsgaue zum Reich in wesentlichen Teilbereichen ähnlich dem realisierten Verfassungszustand im Altreich dar. Wenn es darin heißt, es gebe keine Staaten mehr, nur noch das Reich, folgt daraus, daß Zacher die Überleitung sämtlicher Hoheitsrechte der Länder auf das Reich vorgesehen hatte, wodurch diese ihre bis dahin noch bestehen gebliebene Staatsstruktur verloren hätten. Der Verfassungsentwurf enthält jedoch keine Regelung, wonach den Ländern ihre bisherigen Hoheitsrechte zur Ausübung zurückübertragen werden oder diese einen Bereich eigenverantwortlicher (Selbst-) Verwaltung besitzen sollten; die Eingliederung der Gaue in den staatlichen Verwaltungsaufbau wäre danach vollkommen gewesen; die Gaue wären offenbar nur interne Verwaltungsgliederungen gewesen, die noch nicht einmal den Status juristischer Personen gehabt hätten. Jede Form der Verwaltung wäre unmittelbare, direkt vom Reich ausgehende, Reichverwaltung gewesen; das Reich wäre hierdurch zum bedingungslos zentralistischen Einheitsstaat geworden. Der Entwurf Zachers ist insoweit noch konsequenter und weiterreichender als die spätere Verfassungsreform im Altreich, nach der die Länder ihren Status als juristische Personen mit teilweise vom Staat abgeleiteten Rechten behalten konnten. 10 II

R 43 11/493, BI. 34. II Art. 4 des Entwurfes; R 43 11/493, BI. 36.

1. Reformvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

123

Weiterhin sollten nach 11 Art. 4 des Verfassungsentwurfs den Reichsgauen Reichsstatthalter vorstehen, die (wie ab 1934 im Reich) von Reichsoberhaupt und Reichskanzler ernannt werden. Aus 11 Art. 4 des Zacherschen Entwurfs, der bestimmt 12, daß die Parteigauleiter der NSDAP zu Reichsstatthaltern ernannt werden müssen und daß kein Parteigauleiter ohne Reichsstatthalterposition bleiben sollte, ergibt sich inzidentiell erneut, daß Zacher eine stärkere Eingliederung der Partei in den Staats aufbau erstrebte. Im Hinblick auf die Stellung der obersten Reichsbehörden enthält der Verfassungsentwurf Zachers folgende Regelung: Die Reichsspitze sollten das Reichsoberhaupt und der Kanzler bilden, 11 Art. 1 des Entwurfes. Beide sollten höchste Autorität im Reich besitzen (doppelte Staatsspitze widerspricht eigentlich dem nationalsozialistischen Führerprinzip!). Der Entwurf sieht vor, daß die Ämter von Reichsoberhaupt und Kanzler vereinigt werden könnten. Das Amt des Reichsoberhauptes ist also in Zachers Entwurf offenbar nur im Hinblick auf die bestehende Reichspräsidentenschaft Hindenburgs vorgesehen gewesen; nach dessen Ableben sollte es wohl mit demjenigen des Kanzlers (A. Hitler) zusammengelegt werden - wie dies im Reich durch das Reichsgesetz vom 1.8. 1934 13 tatsächlich auch erfolgte. Beiden Reichsspitzen sollte das Recht der Ernennung der Beamten zustehen; sie sollten zu Volksbefragungen ermächtigt sein (letzteres Recht hatte schon nach der Weimarer Verfassung bestanden!), 11 Art. l. Über die Besetzung des Reichsoberhauptamtes sollte durch direkte Volkswahl (wie nach Weimarer Verfassungsrecht) entschieden werden. Damit gesteht Zacher der Bevölkerung relativ weitgehende Mitbestimmungsrechte zu, deren Vereinbarkeit mit den nationalsozialistischen Staatsorganisationsgrundsätzen allerdings überaus zweifelhaft gewesen wäre. Immerhin galt die Partei als diejenige Organisation, deren Aufgabe die Erziehung des Volkes ist und aus der heraus schicksalhaft der jeweilige "geborene Führer" kommt. Wenn also die Fähigkeit zur "Führung" quasi gottgegeben, ja angeboren ist, darf der "Führer" nicht durch irgendwelche Formalakte an der Machtausübung gehindert werden. Eine Volkswahl entsprechend demokratischem Verständnis würde aber die Gefahr in sich bergen, daß das Volk - weil es nicht immer seine wirklichen Interessen erkennt 14 - nicht den geborenen "Führer", sondern einen anderen, ungeeigneten Kandidaten erwählte, und deshalb eine Kluft zwischen Vgl. die vorige Fußnote. RGBI. 1934, Teil I, S. 747. 14 So ausdrücklich Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 202, Dort u. a.: " ... Frage ist die, ob der Führer an das Ergebnis der Volksentscheidung gebunden ist. ... Er kann die letzte politische Entscheidung nicht abgeben ... Der eigentliche Willensträger des Volkes ... bleibt der Führer selbst. Auch wenn sich das abstimmende Volk gegen ihn wendet, ist er es, der die objektive Sendung des Volkes verkörpert." 12

13

124

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

"Führerturn" und "Gefolgschaft" entstünde. Einzig und allein die Akklamation des geborenen "Führers" vor dem Volk als Mitwirkungshandlung konnte danach noch mit dem Ausschließlichkeitsgedanken des Führerprinzips vereinbar sein. Zachers Planung zufolge sollte der Reichspräsident weiterhin die Befugnis besitzen, auf Vorschlag des Reichskanzlers die Reichsminister - vorgesehen waren nur noch elf Ministerien - zu ernennen. 15 Vorgesehen war insofern, nur noch führende Parteipersönlichkeiten bzw. die "Führer" der berufsständischen Organisationen des Reiches mit diesen Ämtern zu betrauen. Das hätte zumindest im Hinblick auf die berufsständischen Organisationen, die ja zum Teil als Sonderbehörden Reichsverwaltungaufgaben in unmittelbarer Reichsverwaltung ausübten, die Folge gehabt, daß sie den allgemeinen Reichsbehörden personell angegliedert worden wären: Das Wirrwarr der Verwaltungszuständigkeiten wäre also entflochten und die Reichsverwaltung vereinfacht worden. 11 Art. 3 des Verfassungsentwurfes wies das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht Reichskanzler und Reichsministern zu. 16 Danach hätten - anders als nach dem tatsächlichen Rechtszustand im Altreich 17 - die Behörden der Reichsgaue keine (auch nicht eine vom Altreich abgeleitete) Rechtssetzungsgewalt mehr innegehabt; eine folgerichtige Regelung, da die Reichsgaue nicht mehr juristische Personen darstellen sollten. Auf der Ebene des Reiches sollte weiterhin ein sog. "Hoher Rat" gebildet werden, von dessen 90 Mitgliedern 53 in geheimer und direkter Wahl vom Volk gewählt werden sollten. Dem Rat sollten ferner die 37 Reichsstatthalter kraft ihres Amtes angehören. Die Legislaturperiode des Rates sollte sieben Jahre betragen. 18 Aufgabe des Hohen Rates wäre - in Anlehnung an den abzuschaffenden Reichstag - die Mitwirkung bei der Rechtsetzung im Reich gewesen: Sämtliche Gesetzentwürfe der Regierung sollten zunächst dem Präsidenten des Hohen Rats zur Entscheidung darüber vorgelegt werden, ob der Hohe Rat ihn zum Gegenstand seiner Beratung macht; bejahendenfalls sollte der Hohe Rat durch die Abgabe von Ratschlüssen die Regierung bei der Gesetzgebung unterstützen. Die Funktionen des Rates waren danach nur beratender, nicht bindender Natur.

d) Bewertung der Reformvorstellungen Zachers Zusammenfassend läßt sich der Verfassungsentwurf Zachers als sehr zentralistisch, aber mit beachtlichen Einwirkungsrechten des Volkes auf die Staatsfüh15

16

17 18

II Art. 2 des Verfassungsentwurfs; R 43 II/493, BI. 35. R 43 II/493, BI. 35/36. Vgl. § 3 der I. ReichsneuaufbauVO. II Art. 3 des Verfassungsentwurfs, R 43 II/493, BI. 35/36.

I. Reformvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

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rung bezeichnen. Die Reichsgaue hätten nach dieser Konzeption noch nicht einmal die Rechtstellung juristischer Personen besessen, alle Verwaltung wäre unmittelbare Reichsverwaltung gewesen. Hieraus ergibt sich, daß Zacher eine noch weitergehende Zentralisierung des Verwaltungsaufbaus bei den obersten Reichsbehörden (vor allem: beim ,,Führer") vorschwebte, als sie im Reich schließlich verwirklicht wurde. Umgekehrt läßt Zacher aber dem Volk direkte Mitwirkungsmöglichkeiten im Reichsgefüge: Er lehnt Volkswahlen nicht grundsätzlich ab, sondern befürwortet gerade die direkte Wahl des Reichsoberhauptes und des "Legislativ"organs Hoher Rat. Darüber hinaus macht er sich zum Anwalt der Parteiinteressen gegenüber dem Staat und will vor allem eine stärkere Durchdringung der Bürokratie mit Parteigängern erreicht wissen. Sein Konzept geht diesbezüglich vom Personalunionsgedanken aus: Jedem Gauleiter sein Reichsstatthalteramt! Damit verbunden sein mußte eine Angleichung der Verwaltungs- an die Parteigaugrenzen, die "Bewegung" hätte also einmal mehr das Beispiel für den Staatsaufbau abgegeben. Hierin dürften auch die Gründe für das Scheitern der Planung liegen: Die Reichsbehörden werden wegen der insofern bereits bestehenden Friktionen nicht bereit gewesen sein, Maßnahmen zu treffen, die neben umfangreichen technischen Problemen (Neubestimmung der Verwaltungsgrenzen, ungeklärte Detailfragen wie Weisungsbefugnisse gegenüber Reichsstatthaltern) auch noch einen stärkeren Einbau der Partei in den Staat mit sich gebracht hätten.

3. Die Verfassungskonzeption Tatarin-Tarnheydens Eine weitere umfassende Verfassungskonzeption für den nationalsozialistischen Staat wurde von Edgar Tatarin-Tamheyden 19 1934 vorgelegt. 20 Sie baut in wesentlichen Teilen auf den damals bereits realisiert gewesenen Reformgesetzen auf. a) Der VorschLag zur Neugliederung des Reichs Tatarin-Tamheyden geht wie die bereits behandelten Verfassungskonzeptionen auch von der Notwendigkeit einer Neugliederung des Reichsgebietes aus. Dabei hält er bezüglich der künftigen größeren deutschen Länder eine vierstufige Ge19 Tatarin-Tamheyden (geb. 4.2.1882 in Riga), ein Schüler Rudolf Stammlers, war nach seiner Ordination 1922 ordentlicher Universitätsprofessor für öffentliches Recht an der Universität Rostock. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen in der Zeit zwischen 1926 und 1936. 1945 wegen Verbindungen zur NSDAP zwangsemeritiert, danach Rückzug in das Privatleben. 20 Tatarin-Tarnheyden, Werdendes Staatsrecht, C. Heymanns Verlag, Berlin 1934.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

bietsgliederung für angemessen, bestehend aus Gemeinden, Kreisen, Gauen und Land. 21 Im Gegensatz zu Zacher verwendet Tatarin-Tarnheyden den Begriff der Gaue nicht für die künftigen Nachfolgekörperschaften der Länder, sondern als Bezeichnung für die zwischen Kreisen und Ländern geplante Verwaltungsinstanz. Derartige Zwischengliederungen erscheinen ihm notwendig, weil seine Territorialreformplanung mit vierzehn neuen Ländern auskommt, diese aber seiner Meinung nach zu groß sind, um eine reibungslose Verwaltungsarbeit auf der Kreisebene sicherstellen (kontrollieren) zu können. Auch unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsentlastung der Landesbehörden sei die Einrichtung von "Regierungsbezirken" sinnvoll, führt er weiter aus. Damit gibt sich Tatarin-Tarnheyden als Anhänger eines dezentralistischen Staatsmodells zu erkennen: Möglichst viele Staatsaufgaben sollten auf den unteren Verwaltungsstufen erledigt werden, die obersten Verwaltungsbehörden sollten lediglich die allgemeine Aufsicht ausüben. Tatarin-Tarnheyden läßt für die Reichsneugliederung mehrere Ansatzpunkte zu: Die Neugliederung könne anhand der Reichstagswahlkreise (Anlage zum Reichswahlgesetz vom 27.4.1920) und insbesondere auch anhand der Gaueinteilung der NSDAP oder der Gebietsabgrenzungen der der Treuhänder der Arbeit 22 erfolgen. Tatarin favorisiert jedoch eine sich anhand der Stammesgrenzen der alten deutschen Stämme orientierende Neugliederung: 23 Die historischen Bezüge dürften nicht mißachtet werden, denn innerhalb der Bevölkerung der Stämme habe sich auch ein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das noch spürbar sei. Hierauf aufbauend schlägt Tatarin-Tarnheyden (in Anlehnung an entsprechende Überlegungen Helmut Nicolais, 24 wie er selbst schreibt)25, die Bildung folgender vierzehn neuen Länder vor: 1. Preußen (nur Ostpreußen); 2. Pommern (anders als Nicolai ohne Mecklenburg und Vorpommern);

3. Mecklenburg-Lübeck (einschließlich Vorpommern); 4. Brandenburg;

21 Werdendes Staatsrecht, S. 64. 22 Durchführungsverordnung zum Gesetz über Treuhänder der Arbeit vom 13.6.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 368. 23 Werdendes Staatsrecht, S. 52. 24 Dazu unter B III 2 b). Nicolai war ab März 1933 zunächst als Regierungspräsident in Magdeburg tätig, ehe er als Referent in die Verfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums berufen wurde. Seine Vorstellungen werden daher in Zusammenhang mit denen der Verwaltungsbehörden erörtert. 25 Werdendes Staatsrecht, S. 53.

I. Reformvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

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5. Schlesien; 6. Schleswig-Holstein (einschließlich Hamburgs; Nicolai gliederte demgegenüber Schleswig und Holstein Niedersachsen an); 7. Niedersachsen (ohne Schleswig-Holstein, aber einschließlich Bremens, Braunschweigs und Oldenburgs); 8. Westfalen (eventuell einschließlich des Niederrheingebietes, aber auch Gründung eines separierten Rheinlands möglich); 9. Thüringen (einschließlich Sachsens); 10./11. Franken (eventuell Aufgliederung in Rheinfranken und Hessen - Mainfranken - letzteres war von Nicolai vorgesehen!); 12. Schwaben/ Alemannien; 13. Bayern (mit Anwartschaft auf die alten bayerischen Stammesgebiete in Tirol!); 14. Österreichische Länder (entweder zusammengefaßt oder jedes bisherige Bundesland als neues Land des Reiches).

b) Verhältnis des Reichs zu den Ländern nach Tatarin-Tarnheydens Planung Das Verhältnis der neuen Länder zum Reich wird von Tatarin-Tarnheyden relativ dezentralistisch geregelt. Zwar geht auch Tatarin davon aus, daß die Hoheitsgewalt der Länder zunächst beseitigt werden müsse, die Länder also als Staaten abzuschaffen seien. Andererseits will er den Ländern aber Staatsaufgaben zur "eigenverantwortlichen" Erledigung rückübertragen. 26 Diese "Selbstverwaltung" sollte neben die Ausführung staatlicher Hoheitsaufgaben auf Länderebene treten. Die hiermit aufgeworfene Frage, ob echte, heutigem Verständnis entsprechende Selbstverwaltung vorgesehen war, ist nicht leicht zu beantworten. Gegen Selbstverwaltung im klassischen Verständnis spricht, daß sich die Aufsicht in "Selbstverwaltungsange1egenheiten" auf die Kontrolle der "Sparsamkeit, Lauterkeit und der politischen Zweckmäßigkeit im Sinne des totalen Staates" erstrecken sollte. 27 Damit war wortreich umschrieben worden, was heutzutage die Fachaufsicht ausmacht: Volle Rechtmäßigkeits- und Zweckmäßigkeitsüberprüfung durch die Aufsichtbehörden. Demgegenüber knüpft Tatarin die Ausübung der Aufsichtsbefugnisse an einen entsprechenden Antrag des jeweiligen "Führerrats" (das waren bei ihm die Nachfolgeorgane der früheren Landtage) oder einer Mindestzahl betroffener Bürger. 28 26 27 28

Werdendes Staatsrecht, S. 60. Werdendes Staatsrecht, S. 66. Werdendes Staatsrecht, S. 66.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Die Aufsichtsinstanz sollte folglich nicht aus eigener Machtvollkommenheit heraus tätig werden können. Das hätte eine erhebliche Zuständigkeitsbegrenzung für die Aufsichtsorgane bedeutet. Eigenverantwortung bei der Aufgabenerfüllung wäre den Ländern daher in gewissem Umfang erhalten geblieben. Von echter Selbstverwaltung zu sprechen, scheint nach allem jedoch dem tatsächlichen Inhalt der von Tatarin-Tarnheyden beabsichtigten Regelung nicht gerecht zu werden. Dennoch kann die Verfassungskonzeption Tatarins aber jedenfalls als im Ansatz dezentralistisch bezeichnet werden. Sie weicht erheblich von dem schließlich im Altreich verwirklichten Rechtszustand ab, wonach das Reich hinsichtlich sämtlicher Verwaltungsaufgaben eine fonnal unbegrenzte Dienstaufsicht besaß. Hingegen sollte Tatarin-Tarnheyden zufolge Dienstaufsicht des Reiches lediglich in bezug auf die den Ländern "auftragsweise" übertragenen Angelegenheiten bestehen. 29 Hervorzuheben sind noch folgende Überlegungen Tatarin-Tarnheydens: Die Verwaltungstätigkeit der Länder sollte unter der Leitung eines vom Reichs"führer" zu ernennenden Reichsstatthalters stehen, in dessen Hand Selbstverwaltung und Reichsverwaltung zusammengefaßt worden wären. 30 Den bereits erwähnten "Führerräten" , weIche außer in den Ländern auch in Gemeinden, Kreisen und Gauen gebildet werden sollten, 31 hätte als Aufgabe die Beratung des Reichsstatthalters beziehungsweise des jeweiligen Verwaltungs"führers" oblegen. 32 Entsprechend dem Grundsatz, in den unteren Verwaltungsstufen Volkswahl zuzulassen, sie aber auf den höheren Ebenen durch Ernennungen zu ersetzen, sollten die Mitglieder der "Führerräte" der Länder vom "Führer" aufgrund von Vorschlägen der Räte der unmittelbar nachgeordneten Verbände (Gaue oder Kreise) ernannt werden. 33 Auch die "Führerräte" der Gaue und Kreise sollten auf diese Weise besetzt werden. Lediglich die "Führerräte" der Gemeinden hätten nach Tatarin-Tamheydens Vorstellungen vom Volk direkt gewählt werden können. Tatarin strebte im übrigen eine Vereinheitlichung und Angleichung der Verwaltungs strukturen von Ländern, Gauen, Kreisen und Gemeinden an: Gaue, Kreise und Gemeinden sollten nach dem Muster der neuen Länder aufgebaut werden, insbesondere was die zentrale innerkörperschaftliche Verwaltungslenkung anbelangte. 34 Auf diese Weise suchte unser Autor dem Führergrundsatz ein unverwechselbares staatsrechtliches Erscheinungsbild zu geben.

29

30

31 32

33 34

Werdendes Werdendes Werdendes Werdendes Werdendes Werdendes

Staatsrecht, Staatsrecht, Staatsrecht, Staatsrecht, Staatsrecht, Staatsrecht,

S. 65. S. 65. S. 63/68. S. 63. S. 64. S. 68.

I. Refonnvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

129

c) Tatarin-Tarnheydens Planungen bezüglich Stellung und Struktur der obersten Reichsorgane Gerade auch der Aufbau der Reichsspitze hatte Tatarin-Tarnheyden zufolge rein autoritär zu sein; dem sollte allerdings eine dualistische Reichsspitze mit einem Staatsoberhaupt als Repräsentationsorgan und einem regierenden Staatsmann (Kanzler) nicht widersprechen. 35 Im Hinblick auf die Frage der "Führer"nachfolge schlägt Tatarin vor, einen mit den bewährtesten Parteimitgliedern besetzten sogenannten Großen Rat oder Reichsrat zu bilden, dem als oberstem Wächter über die Einhaltung der Ziele der Bewegung im Staat die Berufung des Führernachfolgers obliegen sollte. 36 Der Große Rat sollte bei der Wahl eines ,,Führer"nachfolgers aber seinerseits an einen etwaigen Nachfolgevorschlag des alten "Führers" gebunden sein (Designationsrecht), es sei denn, die "tatsächlichen Umstände hätten sich seitdem verändert".37 Als weitere Aufgaben des Großen Rates wurden genannt die Absetzung eines unfähigen Reichsführers 38 sowie die Überprüfung von Reichsgesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Bewegung hin. Dabei sollte dem Großen Rat gegenüber verfassungsändernden Gesetzen ein Zustimmungsrecht zufallen, gegenüber sonstigen Gesetzen hingegen lediglich ein suspensives Vetorecht. 39 Bedenkt man, daß der "Große Rat" zwar ein Staatsorgan gewesen wäre, seiner ganzen Konstruktion nach jedoch vor allem Parteiinteressen dienen mußte (immerhin sollten ihmja die bewährtesten NSDAP-Mitglieder angehören), so enthüllt sich einem der parteifreundliche Charakter jener Regelungen. Letztlich wurde der NSDAP die oberste Entscheidungsgewalt in allen Staatsfragen eingeräumt. Sie wäre in der Lage gewesen, die Verwaltung zu beaufsichtigen und selbst die Gesetzgebung zu kontrollieren. Daneben hätte sie sogar über das Wohl und Wehe des Reichsführers zu befinden gehabt, eine Konzeption, deren Vereinbarkeit mit dem Führergrundsatz nicht ohne weiteres feststeht. Je mehr der Führergedanke auf Hitler personifiziert und konzentriert wurde, Hitler also als Inkarnation des Rechts im "Führerstaat" galt, desto mehr mußte die Unhaltbarkeit von Tatarins Thesen offenbar werden. Tatarin ging von einem Verfassungsstaat aus, der auch den "Führer" an das Gesetz band, das heißt von einem nationalsozialistischen "Rechtsstaat". Dies hätte eine Abkehr von Hitlers absolutistischer Herrschaft bedeutet, wofür der "Führer" aber kaum zu gewinnen war, wie noch zu zeigen sein wird. 4O Schließlich setzte sich Tatarin-Tarnheyden mit seiner Planung in 35 36 37 38 39 40

Werdendes Staatsrecht, Werdendes Staatsrecht, Werdendes Staatsrecht, Werdendes Staatsrecht, Werdendes Staatsrecht, Siehe unten E 11.

9 Bachnick

S. 71/72. S. 76. S. 77. S. 77. S. 78.

130

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Gegensatz zur Reichsinnenverwaltung, die von einem Primat der NSDAP über den Staat nichts wissen wollte. 41 Zu klären bleibt am Ende noch, wie Tatarin-Tarnheyden sich die künftige Reichsgesetzgebung vorstellte. Sie sollte maßgeblich in der Hand der Reichsregierung beziehungsweise des einzelnen Reichsministers liegen. Der Reichstag sollte zwar als beratendes Organ fortbestehen 42 (insofern befindet sich Tatarin-Tamheyden im Einklang mit der damals herrschenden, auf Hitlers "Mein Kampf' zurückzuführenden Meinung), seine Beteiligung bei den Gesetzgebungsvorhaben jedoch in das Ermessen der Reichsregierung gestellt sein. Auch eine Volkswahl der Reichstagsmitglieder ist bei Tatarin nicht mehr vorgesehen: Stattdessen hätte eine Ernennung durch den Reichsführer erfolgen sollen, wobei den Führerräten der Länder ein Vorschlagsrecht zugekommen wäre. 43 Daneben sind die bereits skizzierten Befugnisse des Großen Rates im Rahmen der Gesetzgebung zu berücksichtigen.

d) Zusammenfassende Würdigung Im Falle der Verwirklichung von Tatarins Verfassungskonzepten hätte das Reich die Konturen eines dezentralistischen Einheitsstaates mit umfangreichen Kontrollrechten der Partei, aber nur geringen Mitwirkungsbefugnissen des Gesamtvolkes gewonnen. 44 Auffällig ist die gegenüber dem tatsächlichen Rechtszustand starke Betonung (beschränkt) eigenverantwortlicher Verwaltungstätigkeit der mittleren und unteren Verwaltungsglieder, die relativ schwach ausgeprägte Stellung des Reichs"führers" und der Reichsministerien sowie die deutliche Betonung der Parteibefugnisse. Anders als in der Verfassungswirklichkeit geschehen erstrebte Tatarin-Tamheyden eine wirkliche "Einheit von Partei und Staat", das heißt einen Einbau der Bewegung in die Staatsstrukturen. Damit verbunden sein mußte eine vor allem formale Erweiterung der Parteibefugnisse: Formal deswegen, weil in der Praxis die NSDAP für sich mehr oder weniger die gleichen Rechte (contra lege) in Anspruch nahm, wie sie Tatarin ihr kraft geschriebenen Rechts zugestehen wollte. Tatarin-Tamheydens Konstruktion ist die einer künftigen nationalsozialistischen Verfassung, deren Verwirklichung insbesondere eine Bindung Hitlers nach sich gezogen hätte. Ob Hitler sich aber überhaupt normativ binden lassen wollte, war die große Frage. Dazu näher unten E I. Werdendes Staatsrecht, S. 78. 43 Werdendes Staatsrecht, S. 79. 44 Dieser Einschätzung entgegen steht auch nicht der Umstand, daß Tatarin-Tamheyden Volksbefragungen zulassen wollte (Werdendes Staatsrecht, S. 79), denn die Durchführung derartiger Volksbefragungen sollte seiner Ansicht nach in das Ermessen der Reichsregierung gestellt werden! 41

42

I. Refonnvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

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Bemerkenswert ist noch, daß Tatarin Volkswahlen nicht schlechterdings ablehnend gegenüberstand. Die Meinungsbildung lief in der Folgezeit aber gerade in die umgekehrte Richtung, so daß sich die Chancen für ein Aufgreifen seiner Reformpläne zunehmend verschlechterten. Am Ende ging die Verfassungsentwicklung über Tatarin-Tamheydens Vorschläge hinweg. 4. Köttgens Reichsreformvorschläge

a) Die Vorschläge im einzelnen Auch der Greifswalder Professor Amold Köttgen 45 hat sich - allerdings nur rudimentär - zu der Frage der Reichsreform geäußert. 46 Er befaßte sich intensiv mit der künftigen territorialen Gliederung des Reiches. Ohne im einzelnen einen Neugliederungsplan zu entwerfen, sprach er sich jedenfalls grundsätzlich dafür aus, die Gliederung in Anlehnung an die preußischen Provinzen vorzunehmen. 47 (Damit brachte er sich in Gegensatz zu der NSDAP-freundlichen Ansicht Zachers, die die Parteigaue als Ausgangspunkte für eine Gebietsreform verstanden wissen wollte.) Bauprinzip für die kommenden Reichsgaue 48 müsse sein, diese nach Größe und Bevölkerungszahl gleichgewichtig zu gestalten,49 meinte er. Köttgen befürwortete desweiteren Selbstverwaltung auf Gauebene. 50 Nach seinem Verständnis besaß die Selbstverwaltung als landschaftsgebundene Verwaltungsfoim "volle Daseinsberechtigung". 51 Die nähere Ausgestaltung der Selbstverwaltung ließ er hingegen offen, so daß nicht gesagt werden kann, ob er mit diesem Begriff das meinte, was wir heute darunter verstehen. b) Bewertung der Vorstellungen Köttgens

Wenn auch die Ausführungen Köttgens zu der künftigen Reichsreform kein geschlossenes Bild ergeben, so muß doch konstatiert werden, daß sein Plan ansatzweise auf der Linie dessen Tatarin-Tamheydens liegt. Die Forderung nach 45 Köttgen, geb. am 22.9.1902, gest. am 10.2.1967, war von 1930 bis 1945 ordentlicher Universitätsprofessor der Rechtswissenschaften an der Universität Greifswald, von 1950 bis 1952 Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft Speyer, ab 1952 ordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Göttingen. 46 Köttgen, Die deutsche Gauselbstverwaltung, in: Deutsche Verwaltung, 1939, S.193f.

47 Köttgen, in: Deutsche Verwaltung, 1939, S. 193. 48 Wobei Köttgen die Reichsgaue anders als Tatarin-Tarnheyden als Rechtsnachfolger der bisherigen Länder ansieht (in: Deutsche Verwaltung, 1939, S. 194). Als Zwischenglieder zwischen Reich und Ortsgemeinde plante er offenbar nur Kreis und Gau. 49 Deutsche Verwaltung, 1939, S. 202. 50 Deutsche Verwaltung, 1939, S. 196. 51 Deutsche Verwaltung, 1939, S. 197. 9*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

"Selbstverwaltung" - egal welchen Inhalts - war offenbar zum common sense in der Verfassungsdiskussion geworden. Das mag damit zusammenhängen, daß die Gleichschaltung der Universitäten zur Zeit der Entstehung von Köttgens Aufsatz 1939 schon längst vollzogen und die Lehre seitdem zum Sprachrohr staatlicher Dienststellen herabgesunken war. 52 Wie anders ist zu erklären, daß auch Köttgen für einen dezentralisierten Einheitsstaat eintrat und sich gegen die Neugliederung des Reiches auf der Basis der Parteigaue aussprach?53 5. Reichsreformvorstellungen Kurt Wittens

a) Die Pläne Wittens im einzelnen Witten 54 entwirft in seiner grundlegenden Schrift zum Verwaltungsaufbau des Reiches 55 ein Konzept zur Neustrukturierung der Verwaltung ih den künftigen Reichsgauen (die nach seiner Auffassung die Rechtsnachfolge der Länder antreten sollten). Als Verwaltungsebenen unterhalb der Gaustufe sieht Wittens Entwurf Regierungsbezirke vor, deren Behörden von Regierungspräsidenten geleitet werden sollten. 56 Die Regierungsbezirke sollten Zwischenstufen zwischen der Reichsgauund der Kreisverwaltung bilden; in ihnen sollte der Schwerpunkt der überörtlichen Verwaltung im Reichsgau liegen. Die übergeordneten Behörden der Reichsgaustufe, unter der Leitung eines Reichsstatthalters stehend, würden auf diese Weise in der täglichen Verwaltungsarbeit entlastet, meinte Witten. Nur noch die Ausführung derjenigen Aufgaben war ihnen demzufolge gestattet, die einer gaueinheitlichen Regelung bedurften, während sie im übrigen auf die Aufsicht über die Verwaltung der Regierungspräsidenten beschränkt wurden. 57 Die grundsätzliche Befreiung der Behörde des Reichsstatthalters von der täglichen Verwaltungsarbeit hatte nach Wittens Konzeption den Zweck, dem Reichsstatthalter die Ausübung seines Rechts der politischen Führung des Reichsgaues zu ermöglichen. Witten schlug weiterhin zur Sicherstellung der Einheit der Reichsverwaltung in Reich und Gaue eine Dienstaufsicht des Reichs über die Gaubehörden, verbunden mit einem fachlichen Anweisungsrecht, vor. 58 52 Näheres bei Michael Slol/eis, Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre, in Jeserich / Pohl / von Unruh , Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 708 ff. m.w.N. 53 Zu der Kontroverse um die Neugliederungsprinzipien siehe noch unten B III 3. 54 Witten, Kurt; Dr. jur., war 1940 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Seminar für öffentliches Recht und Staatslehre der Hansischen Universität Hamburg. Ab 1.9.1941 Anstellung als Regierungsassessor beim Regierungspräsidenten Schleswig. 55 Kurt Witten, Völkisch-politische Dezentralisation und Reichsgliederung, 1940. 56 Dezentralisation und Reichsgliederung, S. 134. 57 Dezentralisation und Reichsgliederung, S. 134.

I. Refonnvorstellungen in der juristischen Literatur der Zeit ab 1933

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Auf der Stufe der Reichsgaue sollte ihm zufolge einerseits Reichsverwaltung, zum anderen aber auch Selbstverwaltung erfolgen; den Reichsgauen sollten also formal eigene Hoheitsrechte zugewiesen werden. Dabei trat er dafür ein, Selbstverwaltungs- und Reichsverwaltungsaufgaben nicht durch verschiedene, organisatorisch getrennte Behörden dieser Verwaltungszweige herbeizuführen: Jeder Beamte sollte sowohl staatliche, als auch Selbstverwaltungsangelegenheiten erledigen können müssen. S9 Durch diese Maßnahme sollte die Einheit der Verwaltung innerhalb der Reichsgaue verwirklicht, mit der Behörde des Reichsstatthalters also eine zentrale staatliche Verwaltungsinstanz geschaffen werden. Dem gleichen Zweck sollte die von Witten geforderte grundsätzliche Angliederung der Reichssonderbehörden der Gauebene an die vom Reichsstatthalter geführte Gauzentralbehörde dienen. 60 Die Zersplitterung der Reichsverwaltung in viele verschiedene Sonderverwaltungen sei ein Ergebnis des Gegeneinanders von Reich und Ländern im Weimarer ,,zwischenreich" gewesen, nach der Gleichschaltung der Länderverwaltung 1934 aber seien die für das Fortbestehen der Reichssonderverwaltungen sprechenden Gründe grundsätzlich entfallen, behauptete unser Autor. Allerdings gebe es, so führt Witten weiter aus, Sonderverwaltungen, die als solche gerechtfertigt seien und daher nicht der allgemeinen Staatsverwaltung angegliedert werden, sondern nur einem bedingten Einfluß der Reichsstatthalter unterliegen sollten; dies seien das Auswärtige Amt, die Polizei verwaltung, die Justizverwaltung, die Wehrmacht sowie das Post- und Eisenbahnwesen. 61 Hingegen müßten der allgemeinen Staatsverwaltung zugewiesen sein das Gesundheitsund Sportwesen, das Schul- und Hochschulwesen sowie die Propagandaverwaltung. 62 In dem Bereich derjenigen Verwaltungszweige, die danach der allgemeinen Reichsverwaltung im Reichsgau - und damit dem Reichsstatthalter - angegliedert seien, folgert Witten schließlich, müsse der Befehlsweg der die fachliche und personelle Dienstaufsicht ausübenden obersten Reichsbehörden stets über den Reichsstatthalter gehen, 63 das heißt, direkte Anweisungen der obersten Reichsbehörden an die dem Reichsstatthalter unterstellten Beamten sollten unwirksam sein.

S8 59 60 61

62

63

Dezentralisation Dezentralisation Dezentralisation Dezentralisation Dezentralisation Dezentralisation

und und und und und und

Reichsgliederung, Reichsgliederung, Reichsgliederung, Reichsgliederung, Reichsgliederung, Reichsgliederung,

S. S. S. S. S. S.

135. 129. 130. 131/132. 133. 135.

134

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

b) Würdigung der Reformvorstellungen Wittens Witten ist - wie die übrigen dargestellten Autoren - als Verfechter eines dezentralistischen Einheitsstaates 64 zu bezeichnen; für ihn ist die Schaffung von "Selbstverwaltung" auf der Ebene der Reichsgaue ebenso selbstverständlich wie die in Angelegenheiten der Reichsverwaltung erfolgende unbedingte Unterstellung des Reichsstatthalters unter die Dienstaufsicht der obersten Reichsbehörden. Doch wissen wir auch bei ihm nicht, was er eigentlich unter Selbstverwaltung verstand. Insbesondere fehlt es an einer Regelung der Reichsaufsicht in Selbstverwaltungsfragen. Des Autors Forderung, die Reichssonderbehörden der Gauzentralbehörde anzugliedern, geht weit über die Reformvorstellungen anderer hinaus. Indem er die Einheit der Verwaltung in der Gauinstanz propagiert, nutzt er bewußt oder unbewußt Parteiinteressen, weil die Gauführer sich regelmäßig stärker der NSDAPSpitze als den Reichsministerien hingezogen fühlten. Gleichzeitig hätte die Verwirklichung der Konzeption Wittens den Reichsgauen eine selbstbewußtere Stellung dem Reich gegenüber verschafft, als dies nach dem tatsächlichen Rechtszustand ab 1934 der Fall war: denn eine regional dezentralisierte Erledigung von formell eigenen Hoheitsaufgaben war in der Reichsneuaufbauverordnung nicht vorgesehen.

11. Reichsreformplanungen innerhalb der NSDAP Zur Zeit der Regierungsübernahme Adolf Hitlers hatte die seit jeher polikratisch strukturierte NSDAp65 noch kein eigenes Konzept in der Reichsreformfrage entwickelt. 66 Man beließ es vor 1933 im wesentlichen bei einer Kritik bestehender Zustände und der Forderung nach Zentralisierung der Exekutivbefugnisse. So blieb es allein Adolf Hitler vorbehalten, den Staatsumbau nach Maßgabe der Notwendigkeiten des Augenblicks durchzuführen. Als die Spannungen zwischen Verwaltungsapparat und Parteidienststellen zunahmen, wurde zur Koordination von NSDAP-Leitung und Staatsführung aus dem am 24. März 1933 gebildeten Berliner "Verbindungsstab der NSDAP" und dem Münchner Stab des "Stellvertreters des Führers" eine Art Parteiministerium mit sowohl staatlichen als auch parteiorganisationsrechtlichen Befugnissen geschaffen. 67 Zu dessen Aufgaben gehörte auch die Sicherstellung des Einflusses 64 Als dieser bezeichnet Witten sich auch selbst; Dezentralisation und Reichsgliederung, S. 136. 65 Dazu Rebentisch, Innere Verwaltung; in Jeserich I Pohll von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, hier S. 737. 66 Siehe Bracher I Sauer I Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1960, S. 584 ffi. w.N.

11. Reichsrefonnplanungen innerhalb der NSDAP

135

der "Bewegung" auf die Verwaltungsführung, mithin die Überwachung des Staates. 68 Überhaupt bestand von seiten der NSDAP ein erhebliches Mißtrauen gegen die Ministerialbürokratie, was in der Folgezeit dazu führte, daß die Parteiführung in Konkurrenz zur Reichsinnenverwaltung selbst Überlegungen zur Reichsreform anstellen ließ. Damit betraut (Mai 1934) wurde die unter der Leitung des früheren thüringischen Ministerialrats Walter Sommer stehende "staatsrechtliche" Abteilung in der Münchner NSDAP-Spitze. Die Tätigkeit jener Abteilung mündete etwa Mitte bis Ende 1934 in eine eigene relativ geschlossene Reformkonzeption, deren Inhalt verschiedenen Äußerungen des insofern zuständigen Referatsleiters Adolf Wagner zu entnehmen ist. Daneben befaßten sich führende Organe der Partei-Unterorganisationen SA und SS mit der Frage nach der künftigen Gestaltung des Reichs, wie eine elaborierte Denkschrift des SA-Obergruppenführers Hans Georg Hoffmann beweist. Ob sich in diesen archivalisch erfaßten Schriften die Planungen der NSDAPLeitungskader erschöpften, kann nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden. Die Quellenlage ist, was die Tätigkeit des Stabes Sommer anbelangt, eher schlecht, so daß möglicherweise bestehende weitere Reforrnkonzepte unter Umständen dem Reißwolf zum Opfer gefallen sind. Gegen eine Unvollständigkeit der erhalten gebliebenen Akten spricht allerdings, daß die Partei im Laufe der Verfassungsentwicklung eher dazu überging, auf Kabinettsvorlagen der Reichsinnenverwaltung mit Gegenvorstellungen zu reagieren, als eigene Reformgesetzentwürfe auszuarbeiten. 69 Dabei zeigte sich die "P.O."70 meist so flexibel, daß hinter ihren Forderungen im konkreten Fall keine feststehende Reichsreformkonzeption mehr vermutet werden kann. Es ging der NSDAP jetzt vor allem darum, den Einfluß ihrer Interessenvertreter auf die Exekutive zu stärken; auf welchem Wege dies geschah, schien belanglos zu sein. Dennoch ist nicht auszuschliessen, daß man an einem Gesamtprojekt "Reichsreform" festhielt. Deswegen sollen die Vorschläge Hoffmanns und A. Wagners nachstehend einer intensiveren Betrachtung unterzogen werden.

67 Es handelt sich um den neuen, reichsbezogenen Stab "Der Stellvertreter des Führers" unter Rudolf Hess. 68 Im einzelnen siehe Rebentisch, Innere Verwaltung, S. 739. 69 Diese Gegenvorstellungen werden nicht im hiesigen Rahmen erörtert, sondern jeweils im Zusammenhang mit den entsprechenden Gesetzentwürfen des Reichsinnenministeriums (siehe unten B III, IV (Ostmark), C (Kreisrefonnpläne) und D (Gemeinderefonnpläne). 70 Abkürzung für "Politische Organisation" = NSDAP.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses 1. Die Konzeption Hoffmanns

Die ohne ein Entstehungsdatum überlieferte, aber wohl 71 in der zweiten Jahreshälfte 1933 verfaßte Denkschrift Hoffmanns 72 enthält ein Programm zur territorialen Neugliederung des Reiches (nachfolgend a» und zur Durchführung einer Verwaltungsreform auf Reichs- und Länderebene (nachfolgend b». Bei der Durchführung der Reform ist nach Hoffmann von im wesentlichen folgenden Grundsätzen auszugehen: Schaffung einer straffen einheitlichen Reichsgewalt (das entsprach früheren Forderungen,73 hätte aber ansatzweise zur Stärkung der Reichsbürokratie führen können!); keine Beeinträchtigung der laufenden Verwaltung infolge des erforderlichen Umbaus des Reichs zu einem Einheitsstaat; zunächst Beschränkung der Reform auf die Durchsetzung der wesentlichsten Forderungen; Rücksichtnahme auf die historischen Bezüge, die Reichsverteidigung und die außenpolitischen Möglichkeiten (vor allem in bezug auf den Anschluß nicht reichszugehöriger deutscher Gebiete); Abschaffung der Reichsstatthalter (in der nach dem Gesetz vom 7.4. 1933 konzipierten Form), deren Aufgaben infolge des zunehmenden Umbaues des Reichs überflüssig geworden sind; territoriale Neugliederung des Reiches unter möglichster Anlehnung an bestehende Verwaltungsgrenzen, um so den Übergang zu einem Einheitsstaat reibungslos und schnell zu vollziehen. 74 (Letzteres ist an sich erstaunlich, weil der NSDAP natürgemäß - schon um alle Gauleiter mit Reichsstatthalter- und Oberpräsidentenposten zu versorgen - an einer Angleichung der Verwaltungsgrenzen an die Parteigaugrenzen gelegen sein mußte, welche sich aber in den wenigsten Fällen mit staatlichen Grenzen deckten.)

a) Hoffmanns Neugliederungsplan für das Reich Hoffmann entwirft unter Berücksichtigung der von ihm aufgestellten allgemeinen Grundsätze einen Plan für die territoriale Neugliederung des Reichs. Er geht also davon aus, die Länder in ihrem bisherigen Bestand aufzulösen und an deren Stelle neue Verwaltungsglieder zu setzen. 75 71 Dem verfassungsrechtlichen Istzustand, von dem Hoffmann ausgeht, nach zu urteilen. 72 "Denkschrift über die Reichsreform", in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 199 ff. 73 Nachweise bei Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, 1985, S. 732 ff., auch S. 746. Siehe ferner v. Mutius, Albert: Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: Jeserich / Pohl / v. Unruh, S. 1056 f. (aus dem Blickwinkel des Gemeinderechts). 74 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 203-205. 75 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 202: " ... muß auf eine Beseitigung der deutschen EinzeUänder ... mit tunlichster Beschleunigung hingewirkt werden.".

11. Reichsreformplanungen innerhalb der NSDAP

137

Danach sollten folgende neunzehn neue Provinzen als Rechtsnachfolger der Länder geschaffen werden: 76 1. Pommern; 2. Ostpreußen; 3. Brandenburg; 4. Grenzmark Posen-Westpreußen (gebietliche Gliederung dieser vier vorstehenden Provinzen sollte dabei der der bis dahin bestanden habenden preußischen Provinzen gleichen Namens entsprechen); 5. Schlesien (bestehend aus preußischen Provinzen Ober- und Niederschlesien); 6. Meck1enburg (einschließlich der als Land aufzulösenden Stadt Lübeck); 7. Schleswig-Holstein (einschließlich der Stadt Hamburg-Altona und der oldenburgischen Landesteile in Holstein); 8. Niedersachsen (gebildet aus der preußischen Provinz Hannover, den bisherigen Ländern Oldenburg und Braunschweig sowie der Stadt Bremen); 9. Mittelsachsen (preußische Regierungsbezirke Magdeburg und Merseburg sowie bisheriges Land Anhalt); 10. Obersachsen (entspricht dem bisherigen Freistaat Sachsen); 11. Thüringen (einschließlich des damals preußischen Regierungsbezirks Erfurt); 12. Westfalen (preußische Provinz Westfalen einschließlich der bisherigen Länder Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold); 13. Niederrhein (bestehend aus den bisherigen preußischen Regierungsbezirken Köln, Düsseldorf und Aachen der wegen ihrer Größe aufzuteilenden preußischen Provinz Rheinland); 14. Rheinfranken (bestehend aus den preußischen Regierungsbezirken Koblenz

und Trier der Rheinprovinz, dem Regierungsbezirk Wiesbaden der preußischen Provinz Hessen-Nassau, den bislang Hessen-Darmstädtischen Provinzen Rheinhessen und Starkenburg sowie einigen bislang badischen Amtsbezirken);

15. Hessen (bestehend aus dem preußischen Regierungsbezirk Kassel, dem bis-

herigen Land Waldeck und der Hessen-Darmstädtischen Provinz Oberhessen);

16. Ostfranken (bestehend aus den bisherigen bayerischen Regierungsbezirken Oberfranken, Mittelfranken und Unterfranken); 17. Bayern (bestehend aus den übrigen rechtsrheinischen Regierungsbezirken des bisherigen Freistaates Bayern); 76

Bundesarchiv, R 18/5439, BI. 205-207.

138

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

18. Schwaben (bestehend aus dem Land Württemberg sowie Hohenzollern); 19. Alemannien (bestehend aus dem verbliebenen Teil des bisherigen Landes Baden). Der Territorialgliederungsvorschlag Hoffmanns geht mithin von einer recht hohen Anzahl demzufolge recht kleiner "Reichsprovinzen" aus, wobei allerdings zum Teil erhebliche Schwankungen hinsichtlich deren Größe auftreten; so stellten Pommern, Schlesien, Brandenburg und auch Niedersachsen recht große, Hessen und vor allem Alemannien aber sehr kleine Gebiete dar. Das Fortbestehen des mittleren und südlichen Badens als Reichsprovinz Alemannien rechtfertigt Hoffmann mit lokalpolitischen Erwägungen: 77 Die Bewohner dieser Gebiete fühlten sich nicht als Württemberger, der Ausdruck "Schwob" gelte dort als Schimpfwort (!). Die Konzeption Hoffmanns steht, indem sie an der Grenze Frankreichs zu Deutschland zwei Provinzen schaffen will (Rheinfranken und Alemannien), auch in einem gewissen Widerstreit mit seiner eigenen Forderung, die Verwaltung dort zusammenzufassen, um im Verteidigungsfall die Aufgaben zentral koordinieren zu können: 78 Gerade ein kleines, geographisch abgeschlossenes Gebiet wie die vorgesehene Reichsprovinz ,,Alemannien" wäre in einem solchen Falle doch relativ leicht aus dem Reichsverband herauszubrechen gewesen. - Von einer Anlehnung der Reichsgaue an die bestehenden Partei gau grenzen kann Hoffmanns Gliederungsprinzipien entsprechend schließlich keine Rede sein.

b) Hoffmanns Vnwaltungsrejormkonzeption

In bezug auf die Verwaltungsreform geht Hoffmann zunächst von der "Beseitigung" der Selbständigkeit der Länder aus, die in nächster Zukunft vollzogen werden müsse. 79 Er strebte damit offenbar - wie dies durch das Reichsneuaufbaugesetz von 1934 auch realisiert wurde - die Liquidierung der Länder als Staaten und deren Umwandlung in staatliche Verwaltungsbezirke an: Nur noch das Reich sollte originäre Hoheitsgewalt besitzen, nicht aber mehr die Länder (Provinzen). Die bisherigen Länderbehörden sollten aber - wie Hoffmann ausdrücklich betont - jedenfalls bis auf weiteres fortbestehen und noch Verwaltungstätigkeit ausüben, und zwar als Zweigstellen der jeweiligen Reichsministerien, nicht mehr unter eigener Verantwortung. 80 Wie auch später durch die Erste Neuaufbauverordnung verwirklicht, sollten also wenigstens in einer Übergangszeit keine neuen Reichsbehörden auf der Mittel- und Unterstufe der Verwaltung gebildet werden, sondern es sollten die bisherigen Länderbehörden den nötigen Verwaltungsunterbau für 77 78

79 80

Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv,

R R R R

18/5439, 18/5439, 18/5439, 18/5439,

BI. 207. BI. 203-205. BI. 201-203. BI. 207/208.

11. Reichsrefonnplanungen innerhalb der NSDAP

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die Reichsverwaltung bilden. (Auch insofern wäre daher zunächst fonnell weiter von mittelbarer Reichsverwaltung durch die Provinzen auszugehen gewesen). Ob Hoffmann neben der den Länder-(Provinzial-)behörden zugesprochenen Befugnis zur "auftragsweisen" Ausführung von Reichsaufgaben noch Selbstverwaltung zulassen wollte, ist nicht ganz eindeutig. Anhaltspunkt für Selbstverwaltung ist, daß er den Reichsministerien das Recht zuerkennen will, den bisherigen Landesbehörden "jederzeit Gebiete zur selbständigen Erledigung" zu überweisen. 81 Doch ist dieser Satz nicht so eindeutig wie es scheint. Hoffmann spricht im Anschluß nämlich davon, daß sich diese Übertragung vor allem auf die laufenden Geschäfte, soweit sie (nicht?) von grundsätzlicher Wichtigkeit seien, und auf beamtenrechtliche Fragen beziehen müßte. Hoffmann könnte also auch gemeint haben, daß zwar alle Verwaltung im Reich Reichsverwaltung (keine Selbstverwaltung der Provinzen!) sein sollte, daß die oberen Reichsbehörden als Zentral stellen sich aber grundsätzlich auf die politische Aufsicht über die Verwaltung beschränken sollten, während die laufende Verwaltungsarbeit dezentral von den nachgeordneten Behörden auf der Länderebene erledigt werden sollte. Soweit nach Hoffmann "beamtenrechtliche Fragen" 82 den bisherigen Länderbehörden vorbehalten werden sollten, könnte dies bedeuten, daß das Reich grundsätzlich zwar ein volles fachliches, aber kein personelles Anweisungsrecht gegenüber den nachgeordneten Beamten der Länderbehörden besitzen sollte. Eine Dienstaufsicht im engeren Sinn hätte danach nicht bestanden. Vielmehr wäre die Personalhoheit über die Beamten weiterhin von den Ländern bzw. Provinzen als vom Reich abgeleitetes Recht selbst ausgeübt worden. Der Verfasser neigt der zuletzt dargestellten Interpretation von Hoffmanns Denkschrift zu: Hoffmann will, indem er dem Reieh die Befugnis zuerkennt, den Länderbehörden "Gebiete" zur eigenständigen Erledigung zu übertragen, offenbar nur noch einmal verdeutlichen, daß die Länderbehörden Reichsaufgaben im Namen des Reichs auszuführen haben. Die Selbständigkeit der Länderbehörden soll sich nur auf die Entscheidungsfindung beziehen. Die Ausführung der Gesetze im Einzelfall sollte mithin grundsätzlich nicht beim Reich in der Zentralinstanz erfolgen. Hätte Hoffmann nämlich echte Selbstverwaltung der Provinzen gewollt, hätte er wenigstens andeutungsweise die Bereiche dargestellt, in denen Selbstverwaltung erfolgen sollte. "Beamtenrechtliche Fragen" und die "laufenden Geschäfte" sind aber keine ressortspezifischen Verwaltungsaufgaben, die horizontal dezentralisiert werden könnten. Eine solche Dezentralisation wäre nur hinsichtlich von 81

82

Bundesarchiv, R 18/5439, BI. 208. Bundesarchiv, R 18/5439, BI. 208.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Teilgebieten der ressortmäßigen Zuständigkeiten (z.B. im Bereich des Bildungswesens: Hochschulwesen) möglich. Bei Zugrundelegung dieser Interpretation der Hoffmannsehen Denkschrift zeigt sich, daß Hoffmanns Reformvorstellungen im wesentlichen mit dem im Reich 1934 verwirklichten Rechtszustand übereinstimmen. Beachtliche Abweichungen sind jedoch in bezug auf die Aufsichtsrechte des Reichs über die Provinzialbehörden und die Personalhoheit festzustellen. Der Hoffmannsehe Entwurf will offenbar die personelle Eigenhoheit der Länderbehörden im wesentlichen aufrechterhalten, das Reich also auf eine fachliche Anweisungsbefugnis beschränken, und ist daher in dieser Beziehung dezentralistischer als das Reichsneuaufbaugesetz und die Erste Neuaufbauordnung von 1934. Bemerkenswert ist, daß Hoffmann keine Realisierung von "Selbstverwaltung" (welcher Art auch immer) fordert, wo diese doch den Reichsstatthaltern als den Vertretern der Parteiinteressen auf Landesebene zugute gekommen wäre. Entweder hatte der Wandel des Selbstverwaltungsbegriffes zu diesem frühen Zeitpunkt gerade erst eingesetzt, so daß man mit Selbstverwaltung auf Partei seite noch immer eine nicht hinnehmbare bloße Rechtmäßigkeitskontrolle verband, oder die NSDAP akzeptierte damals einen strikt zentralistischen Staatsaufbau. Über die Verwaltungsspitze in den neuen Provinzen hat Hoffmann nur wenige Angaben gemacht. Seiner Denkschrift ist einzig herauslesbar, daß offenbar die kollegial aufgebaute Landesregierung mit dem Ministerpräsidenten als Leiter durch einen "Statthalter" ersetzt werden sollte; 83 dieser Statthalter wäre als Verwaltungsinstanz in den Behördenaufbau integriert worden und hätte - als oberster Behördenleiter - völlig neue, z.T. auch weitergehende Funktionen gehabt als die Reichsstatthalter nach dem Zweiten Gleichschaltungsgesetz vom 7.4.1933. Zu der keineswegs unbedeutenden Problematik, ob die Statthalter auch 84 den Reichsfachverwaltungen dienstrechtlich unterstellt werden sollten oder nicht, findet sich bei Hoffmann dagegen keine Stellungnahme. Man könnte höchstens aus der Tatsache der von ihm verlangten Integration der Statthalter in die "Landesverwaltung" folgern, daß er eine derartige Unterstellung akzeptiert hätte. Das allerdings hätte die Position der Reichsstatthalter in dem bald einsetzenden Auslegungsstreit um Art. 3 des Reichsneuaufbaugesetzes konterkariert, zumal die Statthalter eine nur fachliche Weisungsgebundenheit, wie sie Hoffmann vorschwebte, ebenfalls ablehnten. Unabhängig davon ist jedoch zu konstatieren, daß Hoffmanns Reichsreformvorstellungen auf einen dezentralisierten Einheitsstaat hinausgelaufen wären: Einheitsstaat deswegen, weil alle Staatsgewalt auf das Reich hätte zurückgeführt werden können; dezentral aus dem Grunde, weil der Schwerpunkt aller Verwaltungstätigkeit in Ländern, Kreisen und Gemeinden liegen sollte. 83 84

Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 205. D.h.: nicht allein dem "Führer".

11. Reichsrefonnplanungen innerhalb der NSDAP

141

2. Adolf Wagners Vorstellungen über Neugliederung und Neuautbau des Reiches Besonders aufschlußreich im Hinblick auf die parteioffizielle Linie in der Reichsreformfrage sind die Monographien Adolf Wagners als des beim insoweit zuständigen Stab des Führerstellvertreters maßgeblichen Mannes. Aus ihnen läßt sich entnehmen, daß die Vorstellungen der Parteiführung anfangs offenbar dahin gingen, die Reichsreform möglichst rasch und durchgreifend durchzuführen, während innerhalb der Verwaltung, insbesondere aber von Hitler selbst, ein längerdauernder Wandlungsprozeß einkalkuliert wurde. In einem Schreiben an Reichsinnenminister Frick vom 23.6.1934 beklagte Wagner nämlich den schleppenden Fortgang der Reform: 85 Die NSDAP verstünde nicht, so hieß es dort, warum die Reichsreform in Preußen erst nach zehn Jahren durchgeführt sein solle. 86 Er frage sich, ob noch zehn Jahre lang das Nebeneinander von Reichsstatthaltern, Reichssonderbehörden, Länderministern und Ministerpräsidenten bestehen bleiben solle. 87 Dahinter stand natürlich die Sorge, die Reichsstatthalter könnten von allen wichtigen Machtpositionen abgeschnitten werden und den Parteieinfluß auf den Staat nicht länger sicherstellen helfen.

a) Die Konzeption Wagners bezüglich des Verhältnisses der Länder (Gaue) zum Reich Wagners Konzeption über das künftige Verhältnis der Länder (Gaue) zum Reich 88 geht von den bis 1934 verwirklichten Reformmaßnahmen (Reichsneuaufbaugesetz, Erste Reichsneuaufbauverordnung) aus. Die Länder als Staaten sind liquidiert, die noch bestehen gebliebenen Länderverwaltungsbehörden bloße Au-

85

In: Akten des Bundesarchivs, Akte R 4311/495, BI. 213-218.

Akten des Bundesarchivs, Akte R 43 11/495, BI. 214, 215; bezieht sich auf eine Rede Görings vor dem Preußischen Staatsrat vom 18.6.1934, in dem dieser zur Reichsrefonn erklärt hatte, Hitler habe ihm "die Aufgabe gestellt, innerhalb eines Jahrzehnts die Angleichung der preußischen Ministerien an die des Reiches durchzuführen und Preußen in die Reichsgaue aufzuteilen, die von ihm selbst bestimmt werden." (Text der Rede: Gritzbach: Hennann Göring, Reden und Aufsätze, S. 100-120). 87 Sinnentsprechende Zusammenfassung von A. Wagners Argumentation; vg1. Akten des Bundesarchivs R 43 11/495, BI. 215. 88 Maßgebend sind insoweit folgende Schriften A. Wagners:. a) Schreiben an den Reichsinnenminister Frick vom 23.6.1934, in: Akten des Bundesarchivs, Akte R 43 11/495, BI. 213-218;. b) Schreiben Wagners an Frick vom 24.6.1934, einen Plan zum ,,Neuaufbau des Reiches" enthaltend; Akten des Bundesarchivs, R 43 11/495, BI. 219-223; c) Denkschrift "Der Neuaufbau des Reiches", dem Reichsinnenministerium am 6.2.1935 zugegangen; Akten des Bundesarchivs, NS 6/773, BI. 3 ff. -50. 86

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

ßendienststellen des Reiches,89 und sämtliche Hoheitsrechte der Länder sind auf das Reich übergegangen. Hierauf aufbauend forderte Wagner die Abschaffung des Nebeneinanders von Reichsstatthaltern, Ministerpräsidenten und Landesministern. 90 Die an die Stelle der bisherigen deutschen Länder tretenden Reichsgaue sollten stattdessen zentral von einem "Gaugrafen" geleitet werden. 91 Wagner trat demzufolge für eine klare Verwirklichung des Führerprinzips in den Reichsgauen und eine Zentralisierung der Verwaltung in der Person des Gaugrafen ein. Das erscheint nicht ungewöhnlich, wurde doch mit dem Reichsstatthaltergesetz von 1935 ähnliches erstrebt. 92 Im Gegensatz zu den Reichsministerien, die sich von der Behördenkonzentration vor allem eine Unterwerfung der Reichsstatthalter unter die Kontrollgewalt des Reiches versprachen, ging es unserem Autor aber um einen Ausbau des Parteieinflusses auf die Staatsverwaltung. Dabei kam seinen Intentionen die grundsätzlich NSDAP-freundliche Grundhaltung der Statthalter entgegen. Die Neuordnung der Länder sollten Wagner zufolge 93 unter Berücksichtigung folgender Leitsätze erfolgen: (1) Der Instanzenzug müsse kurz sein, und zwar so, daß sowohl der politische

Wille von oben nach unten, als auch die Kenntnis von den Ergebnissen dieses politischen Willens von unten nach oben schnellstmöglich wirksam werde.

(2) "Klarheit und Durchsichtigkeit" des inneren Staatsapparates müssen gewähr-

leistet werden.

(3) Die Einheit von Partei und Staat müsse so fundamentiert werden, daß der

Partei für alle Zeiten die politische Führung im Staat, d. h. die Legislative, und der Staatsverwaltung die Durchführung des politischen Willens der Partei, d. h. die Exekutive, übertragen wird.

Hier zeigt sich, worauf Wagner eigentlich hinaus wollte. Er beabsichtigte, ein Primat der Partei über den Staat festzuschreiben. Dementsprechend nahm er für die NSDAP die Befugnis in Anspruch, jederzeit über die Konformität staatlichen Handeins mit den ,,zielen der Bewegung" zu wachen. Die Partei sollte in den Staat integriert, parallele Organisationsstrukturen von NSDAP und Reich also vermieden werden. Statt einer Trennung strebt Wagner eine Verschmelzung beider Machtzentren an, was bei ihm auch darin seinen Ausdruck fand, daß er 89 Schreiben an Frick vom 23.6.1934; Bundesarchiv, Akte 4311/495, BI. 213,215. Ebenda. 91 Denkschrift "Der Neuaufbau des Reichs", Akten des Bundesarchivs, NS 6/773, BI. 22. 92 Dazu s. o. A II 5 d). 93 Denkschrift "Der Neuaufbau des Reichs"; Bundesarchiv, NS 6/773, BI. 22. 90

Ir. Reichsrefonnplanungen innerhalb der NSDAP

143

forderte, den "Gaugrafen" in ihrem Herrschaftsbereich die Leitung von Staatsund Parteiapparat zu übertragen. Ob die Verwaltungsaufgaben des Staates auf der Ebene der Reichsgaue nach Wagners Konzeption im Wege der Reichs- oder der (eingeschränkten) "Selbstverwaltung" (oder in beiden Arten der Verwaltung, aufgeteilt nach Aufgabenbereichen) ausgeführt werden sollten, läßt sich nicht eindeutig beurteilen. Dafür, daß Wagner für ausschließliche Reichsverwaltung eintrat, spricht, daß er fordert, die bisherigen (Länder-)Ministerien zu AußendienststeIlen des Reiches umzugestalten. 94.95 Wenn er an anderer Stelle ausführt, die verwaltungsmäßige Aufgabenverteilung sollte, angefangen bei den bisherigen Landesregierungen, möglichst weit nach unten verlagert werden,96 so daß die Aufgabe der Reichsbehörden es "fast ausschließlich" wäre, zu "führen", d. h. zu regieren und in die Zukunft zu denken, 97 kann dies noch nicht für eine von ihm beabsichtigte "Selbstverwaltung" ins Feld geführt werden: Hieraus ergibt sich nur, daß Wagner zumindest für eine weitgehende Dezentralisierung der laufenden Verwaltungsangelegenheiten auf die unteren Verwaltungsinstanzen eintrat (wie auch Hoffmann, s.o.). Daß Wagner neben oder anstelle der reinen Reichs- auch "Selbstverwaltung" in Gemeinden, Kreisen und Reichsgauen schaffen wollte, könnte allerdings daraus zu entnehmen sein, daß ihm zufolge die Kreise den "Gemeinden Mindestaufgaben zu übertragen" hätten und "das, was die Kreise für die Gemeinden darzustellen haben", die Gaue für die Kreise darstellen sollten, woraus sich im ganzen gesehen ergäbe, daß im Reich . . . verwaltungsmäßig nur das anfallen würde, was an aussonderungsnotwendigen Aufgaben der Gaue übrigbliebe. 98 Wenn nämlich Aufgaben auf nachgeordnete Verwaltungsinstanzen übertragen werden sollten, heißt das offenbar, daß diese den Gauen als eigene übertragen und demzufolge in einer Art Selbstverwaltung ausgeführt werden sollten; gestützt wird diese Interpretation dadurch, daß nach Wagners Konzeption die von den Kreisen auf die Gemeinden zu übertragenden "Mindestaufgaben" von den Gemeinden "als Selbstverwaltungskörpern" erfüllt werden sollten 99 und der Verwaltungsaufbau der übrigen Verwaltungsinstanzen offenbar nach einem ähnlichen Muster erfolgen sollte. 100 94 Schreiben Wagners an Frick vom 23.6.1934, in: Akten des Bundesarchivs, R 43 11/495, BI. 215; als "nachgeordnete" Behörden hätten die bisherigen Länderbehörden wohl der vollen Dienstaufsicht des Reiches unterstanden. 95 Wenn damit zugleich gemeint sein sollte, daß auch im Bereich einer vorgeblichen Gauselbstverwaltung die handelnden Beamten unmittelbare Reichsbeamte bleiben sollten, hätte die Selbstverwaltung diesen Namen nicht verdient (siehe bereits oben A 11 7.). 96 Schreiben an Frick vom 24.6. 1934; Akten des Bundesarchivs, R 43 11/495, BI. 217. 97 Schreiben an Frick vom 24.6.1934; Akten des Bundesarchivs, R 43 H/495, BI. 223. 98 Schreiben an Frick vom 24.6. 1934, Bundesarchiv, R 43 11/495, BI. 220, 222. 99 Schreiben Wagners an Frick vom 24.6.1934; in: Akten des Bundesarchivs, R 43 11/495, BI. 221.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-fLänder-Verhältnisses

Unabhängig davon, welche dieser Konzeptionen Wagner tatsächlich verfolgte, läßt sich jedenfalls feststellen, daß ihm eine weitgehende Dezentralisierung der Staatsaufgaben auf die unteren Verwaltungsinstanzen und damit die Stärkung der von der Partei maßgeblich beeinflußten örtlichen Verwaltung vorschwebte. Auch im Falle echter Selbstverwaltung auf der Stufe der Reichsgaue wäre das Reich jedoch kein Bundesstaat geworden, sondern ein Einheitsstaat geblieben, weil die den Gauen als eigene Aufgaben zustehenden Rechte ihnen nicht originär ("vorstaatlich") zugeordnet gewesen wären, sondern nur aufgrund Übertragung durch das Reich. Wagner trat weiterhin für eine Verringerung der Zahl der Reichssonderverwaltungen und für deren Eingliederung in die allgemeine, vom"Gaugrafen" geführte, Reichsverwaltung ein, kritisierte er doch, daß im nationalsozialistisch regierten Reich mehr Ministerien vorhanden seien, als es je im parlamentarischen Staat gegeben habe. 101 Bei Verwirklichung dieses Grundsatzes wäre es zu der Schaffung einer zentralen Mittelinstanz der Reichsverwaltung in Händen des "Gaugrafen" gekommen. Bemerkenswert ist Wagners Konzeption schließlich auch deshalb, weil er sich dafür ausspricht, die "politische Führung" der Gemeinden den Ortsgruppenleitern der NSDAP zu übertragen. 102 Damit soll offenbar ausgedrückt werden, daß die "Einheit von Partei und Staat" auch in den Gemeinden im Wege einer Personalunion von Partei- und Staatsamt sichergestellt werden sollte (eine Grundhaltung, die, wie wir gesehen haben, von seiten der Partei zeitweilig vertreten, später jedoch aufgegeben wurde).103 Auf diese Weise hätte die NSDAP womöglich einen noch größeren Einfluß auf die kommunale Verwaltungsarbeit gewinnen können. Sicher aber wäre man auf dem Weg zu einer Verschmelzung von Partei und Staat weiter vorangekommen. Nebulös gibt sich Wagner schließlich in der Frage nach den Aufsichtsbefugnissen des Reichs über die Gaugrafen: Während hinsichtlich deren Umfangs wohl davon auszugehen ist, daß (jedenfalls bezüglich der Reichsverwaltung) volle Dienstaufsicht des Reiches bestehen sollte, 104 bleibt unklar, ob die Aufsichtsrechte unmittelbar dem ,,Führer" oder - wie nach dem Reichsneuaufbaugesetz - dem Reichsinnenminister zustehen sollten. Daß Wagner in dieser Frage nicht ausdrücklich Stellung bezog, erstaunt um so mehr, als die Reichsstatthalter sich damals gegen eine Weisungsgebundenheit an den Reichsinnenminister, wie sie in Art. 3 des Reichsneuaufbaugesetzes ausgesprochen war, heftig wehrten. Sie 100 Was sich daraus entnehmen ließe, daß nach Wagner "das, was die Kreise für die Gemeinden darzustellen haben" (nämlich Verwaltungsinstanzen, die den Gemeinden als Selbstverwaltungskörpem Mindestaufgaben zu übertragen haben), die Gaue für die Kreise darstellen sollten usw. 101 Schreiben an Frick vom 24.6. 1934; Akten des Bundesarchivs, R 43 Hf 495, BI. 214. 102 Schreiben an Frick vom 24.6.1934; Akten des Bundesarchivs, R 43 Hf 495, BI. 222. 103 Siehe oben A H 6., 7. 104 Siehe eingangs des Abschnitts B H 2 a).

H. Reichsrefonnplanungen innerhalb der NSDAP

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forderten stattdessen eine unmittelbare Unterstellung unter die Aufsicht Hitlers und beriefen sich insofern zum Teil auch auf das Primat, das die Partei gegenüber dem Staat besitzen müßte. 105 Trotz aller Mehrdeutigkeiten des Wagnerschen Entwurfes läßt sich am Ende festhalten, daß auch er das Reich zu einem dezentralistischen Einheitsstaat umgestaltet hätte. Wichtig ist jedoch die Erkenntnis, daß Wagner sich zur Untennauerung seiner Vorschläge zwar auf dieselben, damals allgemein bekannten Prinzipien der nationalsozialistischen Staatsideologie berief wie etwa die Reichsbürokratie und daß sich seine Forderungen zwar weitgehend mit denen anderer Autoren deckten, daß er aber etwas ganz anderes zu erreichen suchte: nämlich die Festschreibung einer Parteiallgewalt, und gerade nicht die Beschränkung der Parteiorganisation auf außerstaatliche Ziele. Hieraus wird ersichtlich, daß es vor allem eine Macht- und keine Rechtsfrage war, ob die NSDAP dem Staat befahl oder umgekehrt.

b) Wagners Vorstellungen über die territoriale Neugliederung des Reiches Als neben der Neuordnung der Verwaltung in Reich und Ländern weitere Aufgabe der nationalsozialistischen Reichsrefonn sah Wagner die territoriale Neugliederung des Reiches an. Ziel der Territorialrefonn, so führte unser Autor weiter aus, müsse es sein, das Reich so in Gaue einzuteilen, daß es gegen Angriffe von außen immun werde und daß stammesmäßige, wirtschaftliche und konfessionelle Sonderinteressen nie mehr eine Gefahr für den Reichsbestand begründen könnten. 106 Hervorzuheben ist danach, daß Wagner offenbar historische ("stammesmäßige") und wirtschaftliche Belange im Rahmen der künftigen Neugliederung nicht berücksichtigen will (anders als beispielsweise Hoffmann in bezug auf die von ihm vorgeschlagenen Reichsprovinz Alemannien!) Weiterhin betont Wagner, daß es im Rahmen der Neugliederung auch nicht auf die Zahl der Einwohner in den künftigen Reichsgauen oder deren wirtschaftliche Kraft ankomme; wesentlich sei allein, daß die Reichsgaue die gleiche territoriale Größe besäßen. Denn zur Zeit dünn besiedelte Gebiete könnten durch gezielt herbeigeführten Wirtschaftsaufschwung bevölkert und in ihrer Wirtschaftskraft gestärkt werden, die Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft unterlägen also Schwankungen. 107 Auch, so heißt es bei Wagner, müsse die Größe der künftigen Reichsgaue (als Rechtsnachfolger der dementsprechend aufzulösenden Länder) danach bemessen werden, daß der "Gaugraf' das Gebiet persönlich übersehen könne. Verwaltungsmäßige Untergliederungen der Gaue nach Art der Regierungspräsidien (also der 105 106 107

Dazu siehe bereits vorn A H 5 c). Der Neuaufbau des Reiches, Bundesarchiv, Akte NS 6/773, Blatt 4. Der Neuaufbau des Reiches, Bundesarchiv, NS6/773, BI. 20.

10 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

preußischen Regierungsbezirke) sollten aus diesem Grunde vermieden werden. 108 Wagner plädiert demnach für relativ kleine Reichsgaue, deren Verwaltung in der Hand der Behörde des Gaugrafen zentral geleitet werden kann, ohne daß es einer Zwischeninstanz zwischen Reichsgau und Kreis bedarf; dabei sollten die Gaue offenbar auch so geschnitten sein, daß der verwaltungsmässige Arbeitsanfall noch allein durch die zentrale Gaubehörde bewältigt werden konnte. Schließlich plädiert Wagner dafür, die Grenzen der Parteigaue und der Wehrkreise den künftigen Verwaltungsgrenzen anzupassen 109 (gemeint ist wohl eher: Die Reichsgaugliederung sollte sich nach der neuen Parteigaugliederung ausrichten). Der von ihm vorgelegte Neugliederungsplan hätte also die Grundlage für eine Angleichung aller bestehenden Territorialstrukturen im Reich bilden können. In Verfolg der von ihm aufgestellten Gliederungsprinzipien tritt Wagner für die Schaffung von insgesamt 24 Reichsgauen, davon drei Stadtgauen ein; die Ausarbeitung oblag insoweit im wesentlichen den Münchner Professoren Kar! Haushofer und von Müller. 110 Es sollte sich um folgende Gaue handeln: 1. Preußen (Ostpreußen umfassend);

.2. Pommern (ohne Vorpommern, aber einschließlich der Uckermark); 3. Mecklenburg (einschließlich Vorpommern); 4. Nordmark (Schleswig-Holstein, Cuxhaven und das Alte Land umfassend); 5. Stadtgau Hamburg; 6. Friesland (einschließlich Oldenburgs und Bremens); 7. Westfalen (rheinübergreifend, d.h. einschließlich Kleve und Jülich); 8. Niederrhein (ebenfalls beidseitig des Rheins, etwa im Gebiet Düsseldorf bis zum Ahrtal); 9. Rheinfranken (rheinübergreifend vom Ahrtal bis Mainz); 10. Rheinpfalz (einschließlich des Saarlandes und Teilen Nordbadens); 11. Oberrhein (badisches Restgebiet mit Ausnahme Teilen Südbadens); 12. Schwaben (Teile Südbadens und Württemberg sowie Hohenzollern);

Der Neuaufbau des Reiches, Bundesarchiv, NS6/773, BI. 22. Der Neuaufbau des Reiches, Bundesarchiv, NS6/773, BI. 32, 46. 110 Dies folgt aus einem Schreiben Haushofers an Staatsrat Kollmann mit der Bitte um umgehenden Vortrag beim Reichsinnenminister, in dem Hoffmann von einem abweichenden Gliederungsplan des Reichsinnenministeriums und davon spricht, er habe "im Auftrage des Herrn Ministers" - Wagner war gleichzeitig Bayerischer Innenminister "Wagner gemeinsam mit Professor von Müller selbst einen Reichsneugliederungsentwurf erarbeitet"; in: Akten des Bundesarchivs, Akte NS 6/773, BI. 50. 108

109

11. Reichsrefonnplanungen innerhalb der NSDAP

147

13. München; 14. Hochbayern (bestehend aus Oberbayern und Bayerisch-Schwaben); 15. Waldbayern (Oberpfalz, Teile Mittelfrankens und Niederbayern umfassend); 16. Obersachsen (den Freistaat Sachsen einschließlich der Lausitz umfassend); 17. Schlesien (ohne die Lausitz); 18. Oderland (bestehend aus dem Gebiet der Grenzmark Posen-Westpreußen, der Neumark sowie der übrigen östlich Berlin gelegenen Gebiete der Mark Brandenburg) 19. Stadtgau Berlin; 20. Brandenburg (die Altmark, Prignitz, die westlich Berlins gelegenen übrigen Teile der Mark Brandenburg sowie Teile Anhalts umfassend); 21. Niedersachsen (aus den östlichen und südlichen Teilen der preußischen Provinz Hannover bestehend); 22. Hessen (Provinz Hessen-Nassau und Teile des Freistaats Hessen umfassend); 23. Thüringen (einschließlich Teilen Anhalts und dem preußischen Regierungsbezirk Erfurt); 24. Main-Franken (bestehend aus den bayerischen Regierungsbezirken Oberund Unterfranken sowie Teilen Mittelfrankens). Der Wagnersche Gliederungsplan unterscheidet sich in wesentlichen Teilen von den in der juristischen Literatur vorgestellten Plänen; zum einen durch die größere Anzahl von zu errichtenden Reichsgauen (und damit verbunden deren geringere territoriale Größe), zum anderen durch die territoriale Vernetzung bislang nicht zusammengehörender Gebiete zum Zwecke deren Unlösbarmachung vom Reichsverband (besonders im Rheingebiet und in Norddeutschland) und weiterhin durch die mehr oder weniger durchgehende Nichtberücksichtigung bisheriger Verwaltungs- und Volkstumsgrenzen. Dies hängt damit zusammen, daß die Gliederungsentwürfe der juristischen Literatur im wesentlichen die Beibehaltung stammesmäßiger (Tatarin-Tarnheyden) bzw. verwaltungsmäßiger Grenzen (Hoffmann) bezweckten, während Wagner unter Berücksichtigung strategischer und geographischer Erwägungen die Parteigaue zum Hauptrnaßstab der Neugliederung machen wollte. Der Gliederungsplan Wagners war radikaler und wäre verwaltungstechnisch daher mit erheblich größeren Schwierigkeiten zu verwirklichen gewesen als die Pläne der Rechtsgelehrten. Anders als diese knüpft Wagners Entwurf - aus der Überlegung heraus, die Reichsgaue aus dem Reichsverband nicht herauslösbar zu machen - auch nicht an vorhandene natürliche Grenzen (Flüsse, Gebirge) an; jenes wird insbesondere im Rheinland erkennbar, wo sämtliche geplanten Reichsgaue sowohl rechts-, als auch linksrheinisches Gebiet besitzen (um Frankreich die Verwirklichung seiner "Rheingrenze" unmöglich zu machen). 10*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

111. AItreichsbezogene Reformvorstellungen der VerwaItungsbehörden 1. Das Reichsinnenministerium und seine mit der Reichsreform befaßten Beamten Will man sich intensiver mit den Reichsreformvorstellungen der Reichsinnenverwaltung während der Zeit des Nationalsozialismus befassen, so muß man sein Augenmerk zuallererst auf die insofern handelnden Beamten richten. In diesem Rahmen an vorderster Stelle zu nennen ist Hans Frick, ein alter Kampfgefahrte Hitlers aus bayerischen Tagen,lll der bereits dem ersten Kabinett des Führers angehörte und sein Amt erst 1943 an Himmler abgab; er vertauschte es damals mit dem eines Reichsprotektors für Böhmen und Mähren. Frick war - jedenfalls in den ersten Jahren nach der Machtergreifung - einer der wichtigsten Vertrauten Hitlers, dem der Reichskanzler mehr als einmal Gehör schenkte. Andererseits bestanden erhebliche charakterliche Unterschiede zwischen beiden Persönlichkeiten: Der "Führer" ein machtbesessener, kompromißloser, egoistischer Revolutionär, Frick ein ausgleichender, ruhiger, gewissenhafter Beamter. Fricks etatistischbürokratische Grundhaltung sollte sich nach 1933 an vielen Stellen wiederfinden, vor allem jedoch darin, daß er den Führerstaat zum "Rechtsstaat" ausbauen wollte, also auf eine normative Regelung des bestehenden und künftigen Rechtszustandes hinwirkte. 112 Nach diesen Kriterien suchte sich der Reichsinnenminister auch seine nachgeordneten Beamten aus. Besonderes Interesse sei hierbei den Angehörigen der Verfassungsabteilung der Reichsinnenverwaltung gewidmet. Die Abteilung I, zuständig für Fragen der Politik, Polizei, für Verfassungs- und Verwaltungsfragen und für das Beamtenrecht, 113 wurde zwischen 1933 und 1943 geleitet von Hans Pfundtner, einem am 1. März 1932 in die NSDAP eingetretenen Ostpreußen, der die Verwaltung von der Pike auf gelernt hatte: 1917 Regierungsrat im Reichsamt des Innern, 1919 vortragender Rat beim Reichswirtschaftsministerium, seit 1925 außerdem Rechtsanwalt. Dieser Beamte war von Grund auf geprägt von dem klassischen Behördenideal: der Suche nach Rechtsnormen, der Anwendung geschriebenen Rechts. 114 Gleiche Geisteshaltung darf Hans-Heinrich Lammers, gebürtigem Oberschlesier, 1912 Landgerichtsrat in Beuthen, seit 1922 Ministerialrat im Reichsinnenministerium und zuständig für Verfassungs fragen, attestiert werden. Ihn konnte Frick jedoch nicht "übernehmen." Zwar war seine Geisteshaltung "einwandfrei" - schon in der Weimarer Zeit stellte man ihn wegen nationalkonservativer OpposiEr war an dem Aufstand 1923 in München beteiligt!. Zutreffend Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, S. 741; weitere Belege nachfolgend unter B III, 3 und 4. 113 Vgl. Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, S. 742. 114 Vgl. Rebentisch, S. 734, FN. 3. 111

112

UI. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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tionshaltung politisch kalt -, doch hatte Hitler mit ihm Größeres vor. Da sich der Reichskanzler nur mit grundsätzlichen Fragen des Staatsautbaues befassen wollte, überließ er die Koordination der laufenden Verwaltungsarbeit seiner Reichskanzlei, 115 zu deren Chef er Lammers erkor. Hitlers Wertschätzung für Lammers' Arbeit drückte sich U.a. darin aus, daß er ihn 1937 vom Staatssekretär in den Stand eines Reichsministers erhob. 116 Über Lammers lief auch der Kontakt Fricks zu Hitler, beide Beamten ergänzten sich. Franz-Albrecht Medicus, zunächst Oberregierungsrat, nach der Machtübernahme dann Ministerialrat im Reichsinnenministerium, war hingegen ein Nationalsozialist der nachwachsenden Generation. Überhaupt ist an der Personalpolitk des Reichsinnenministers bemerkenswert, daß immer wieder qualifizierten jüngeren Beamten der Vorzug vor altgedienten Laufbahnbeamten gegeben wurde. Dies rief zwar mancherorts Unruhe hervor, doch konnte Frick mit seiner Politik sicherstellen, von hochmotivierten, treuen Kräften umgeben zu sein. Erhebliche ministerielle Unterstützung erfuhr auch Wilhelm Stuckart, Jahrgang 1902, also zur Zeit der Machtergreifung erst 31 Jahre alt, der 1932 in die NSDAP eingetreten war und im März 1935 zum Staatssekretär in der Innenverwaltung aufstieg. Als unmittelbar Pfundtner, dem leitenden Staatssekretär, nachgeordnetem Beamten oblag ihm in den späteren, nicht mehr so euphorischen Jahren die Hauptarbeit der Verfassungsreform." 7 In seiner Position löste Stuckart zuständigkeitsmäßig Helmut Nicolai ab, die treibende Kraft der nationalsozialistischen Verfassungs- und Verwaltungsreform schlechthin. Nicolai," 8 1895 geboren, kann als nationalsozialistischer (was eine große Seltenheit war) preußischer Verwaltungsbeamter" 9 bezeichnet werden. Seine Prägung durch die preußische Exekutive zeigte sich u. a. darin, daß er nach seiner Promotion 1920 als Regierungsassessor in Wittenberg, Münster und OppeIn tätig war, ehe er (erst) im Mai 1931 wegen Betätigung für die NSDAP suspendiert wurde. Danach eröffneten sich ihm neue Tätigkeitsfelder durch die Übernahme von Leitungsfunktionen in der innenpolitischen Abteilung der NSDAP. Sein politischer Aufstieg begann mit der Ernennung zum (anfangs kommissarischen) Regierungspräsidenten in Magdeburg (April 1933); zuvor war er bereits Landtagsabgeordneter der NSDAP gewesen. Nicolais lebhafte schrift115 Zur Reichskanzlei siehe z. B. Rebentisch, S. 734; Bracher I Sauer I Schulz, Nationalsozialistische Machtergreifung, S. 582 ff. 116 Zur Biographie Lammers', vgl. Rebentisch, S. 734, FN 5. 117 Zum Lebenslauf Stuckarts siehe bei Rebentisch, S. 742, FN. 26. 118 Ausführlich über Nicolai Bracher I Sauer I Schutz, insbesondere S. 593 ff. 119 Nicht in dem Sinne allerdings, daß er Preußen als Staat eng verbunden war (sondern er schätzte nur den preußischen Behördenapparat). Im Gegenteil schien ihm das Land Preußen als Überbleibsel der Vergangenheit, das im Zuge der Refonn beseitigt werden mußte. An seine Stelle sollten eine Reihe kleinerer Gebilde treten - dazu sogleich B III 3.; zum Verhältnis Nicolais zum preußischen Staat instruktiv Schulz in Bracher I Sauer I Schutz, S. 594.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

stellerische Tätigkeit dürfte seine Berufung in die Reichsinnenverwaltung 120 maßgeblich beeinflußt haben. Aus ihr konnte Frick entnehmen, in Nicolai einen Bruder im Geiste zu haben. Die Beförderung erfolgte zu einer Zeit,121 als sich deutliche Widerstände in der Partei gegen den Regierungspräsidenten von Magdeburg regten: Der Reichsstatthalter in Braunschweig und Anhalt sowie Parteigauleiter von Magdeburg-Dessau Loeper beschwerte sich beispielsweise in einem Schreiben an den preußischen Innenstaatssekretär Grauert vom 29.9.1933 darüber, daß Nicolai "mehr Verwaltungsjurist als Nationalsozialist" sei und "daher der Bewegung etwas verständnislos" gegenüberstünde. 122 Vielleicht zeichneten diese Differenzen mit der Parteiführung Nicolai in den Augen des Reichsinnenministers aus. Der junge Jurist hatte als einer der ersten auf das nach der Machtübernahme ungeklärte Verhältnis zwischen NSDAP und Verwaltung aufmerksam gemacht: Von Anfang an zielten seine Vorschläge auf eine strikte Abgrenzung der Aufgabenbereiche beider. Dabei gab sich Nicolai als Verteidiger von Behördeninteressen zu erkennen. So schrieb er am 7.4. 1933 an Frick: ,,Eine geordnete Verwaltung läßt sich ohne die ausreichende Zahl von Fachbeamten an leitenden Stellen nicht aufrechterhalten, und die Partei wird nur geschwächt, wenn ihr die besten Kräfte durch Staatsstellen entzogen werden, an denen ihre eigentlichen Fähigkeiten nicht zur Geltung kommen können und dürfen." 123 Nach Nicolai war für die NSDAP nur Platz außerhalb der Staatsverwaltung, dringlichstes Gebot schien für ihn die Freihaltung der Bürokratie von Parteieinfluß. Die alte Beamtenschaft fühle sich durch die Hineinnahme nicht vorgebildeter Nationalsozialisten naturgemäß vor den Kopf gestoßen, konstatierte er. 124 Man dürfe etwa Reichswehroffizieren nicht zumuten, SA-Führer zu Majoren und Obersten zu ernennen. Als wichtigste Aufgabe in der Machtergreifungsphase bezeichnete er es, die wirtschaftliche Lebensgrundlage der bis dahin ehrenamtlich tätig gewesenen Parteifunktionäre von Staats wegen zu sichern, 125 der Partei also eine verfassungsrechtliche Bestimmung zu geben. Mit dieser Grundhaltung zeichnete sich der Magdeburger Regierungspräsident zwar für die Reichsinnenverwaltung aus, blieb aber in der NSDAP ein Außensei120 Dort war er Ministerialdirektor (mit allerdings denselben Befugnissen wie sein späterer Nachfolger Staatssekretär Stuckart). 121 Oktober 1933. 122 Schreiben Loepers an Staatssekretär Grauert vom 29.9.1933; Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77, Nr. 2, fol. 100; zu den Spannungen zwischen Nicolai und Loeper siehe auch Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77, Nr. 4, fol. 84 ff. (Schreiben Loepers an Grauert vom 6.7.1933 - fol. 84 -, Schreiben Loepers an Grauert vom 27.6.1933 - fol. 85 -). 123 Schreiben Nicolais an Frick vom 7.4.1933, Abschrift für denPreußischen Innenstaatssekretär Grauert erhalten in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77, Nr. 31. 124 Schreiben Nicolais an Staatssekretär Grauert vom 19.5.1933; in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77, Nr. 31. 125 Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep.77 Nr. 31.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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ter. In der nationalsozialistischen Landtagsfraktion schon betätigte er sich als Verbindungsmann zur preußischen Verwaltung und Beamtenschaft, und zwar in einer bei der Partei Argwohn erregenden Weise. 126 Nur aufgrund persönlicher Intervention des Brandenburger Gauleiters Kube konnte er - trotz Bedenken hinsichtlich seiner politischen Zuverlässigkeit - zum politischen Beamten aufsteigen. 127 Ansatzpunkt für die Parteikritik war seine Haltung zum Staat. Im Gegensatz zu führenden Exponenten der NSDAP-Leitung trat Nicolai für eine konsequente Scheidung zwischen Partei und Verwaltungsapparat ein, um eine einheitliche, von zuverlässigen Berufsbeamten beherrschte Behördenorganisation mit klar abgegrenzten Befugnissen unter zentraler Leitung zu schaffen. 128

2. Nicolais Vorstellungen über den zukünftigen "nationalsozialistischen Rechtsstaat" Das wird am deutlichsten in seiner im Sommer 1933 veröffentlichten, die verfassungsrechtliche Diskussion der kommenden Jahre weithin beherrschenden Schrift "Grundlagen der kommenden Verfassung". 129 In ihr entwirft Nicolai das komplexe Bild eines straff organisierten "völkischen Rechtsstaats". 130

a) Die Stellung der Partei im Staate; ein "Deutscher Orden" Ausführlich befaßt er sich mit der zukünftigen Rolle der Partei. Er begreift die "PO" als "Keimzelle des neuen Staats" und will sie institutionalisieren; allerdings nicht in der Weise, daß NSDAP und Staat miteinander verschränkt, sondern in der Weise, daß beiden Mächten klar abgrenzbare Aufgabenbereiche zugewiesen werden. Die NSDAP soll dabei eine Organisationsform der politischen Elite im NS-Staat werden, ein "deutscher Orden". 131 Ihre Struktur als Partei erscheint nach Überwindung der Demokratie obsolet. Nicolai rechtfertigt die faktische Trennung von Verwaltungs- und Parteiarbeit damit, daß es einer Organi sation bedürfe, die überwache, daß der Staat die nationalsozialistische Weltan126

Siehe Schulz, in: Bracher / Sauer / Schulz, Nationalsozialistische Machtergreifung,

S.593.

127 Vgl. Schreiben Kubes an den Preußischen Ministerpräsidenten Göring und an Staatssekretär Grauert vom 12.4.1933; in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77, Nr. 2, fol. 62; Schreiben Kubes an Göring vom 1.4.1933; Geheimes Preußisches Staatsarchiv, Rep. 77, Nr. 2, fol. 104. 128 Zutreffend Schulz, S. 595. 129 Helmut Nicolai, Grundlagen der kommenden Verfasung, Hobbing Verlag, Berlin, 1933. 130 Schulz (in Bracher / Sauer / Schulz, S. 595) spricht zurecht vom "bürokratischen Verwaltungsstaat" , wie sich gleich zeigen wird. 131 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 24.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

schauung beachte und nicht zum "unpolitischen" Bürokratismus zurückkehre 132 - eine doch recht scheinheilige Argumentation, wenn man Nicolais eigentliche Absichten (straffgegliederter nationalsozialistischer Beamtenstaat) kennt. Als einzige Querverbindung zwischen den beiden Antipoden nationalsozialistischer Herrschaft sieht Nicolai einen sogenannten Senat vor. Dieser soll etwa 60 Mitglieder haben und sich aus dem "Deutschen Orden" rekrutieren; das Ernennungsrecht für die Senatsmitglieder weist unser Autor dem "Reichsführer" zu, als Ausdruck des Führerprinzips. 133 Dem Senat obliegt die Aufgabe, über die Einhaltung der nationalsozialistischen Weltanschauung zu wachen. Insofern soll er auch oberstes Gericht im Reich sein. Um ihrer Überwachungsaufgabe konsequent nachkommen zu können, sollen die Senatoren vor Absetzung - auch durch den "Führer" - dauerhaft geschützt sein. 134 Umgekehrt wird es den Senatoren gestattet, einen "unfähigen Führer" abzusetzen! Schon hierin zeigt sich die bürokratisch-etatistische, ja sogar fast liberalistische Grundlegung der Weltanschauung Nicolais. Er stattet die obersten Verfassungsorgane mit gegenseitigen Kontroll- und Überwachungsrechten - checks and balances eben - aus, läßt also die letztlich unumschränkte Universalherrschaft eines "Einzelführers" nicht zu: Der Konflikt mit Hitlers Auffassung vom "totalen Staat" war vorprogrammiert. 135 Die Konstruktion, den Senat (- Domäne der Partei -) zum obersten (überwachenden) Verfassungsorgan zu machen, stand durchaus nicht im Widerspruch zu der Intention, die Verwaltung von Parteieinflüssen mehr oder weniger frei zu halten: Das oberste Verfassungsorgan hätte nämlich schon rein vom Tatsächlichen her gar nicht alle Einzelheiten der Verwaltungsführung nachprüfen können. Indem Nicolai schließlich dem Senat die weitere Befugnis zuerkennen will, nach Ablösung oder Tod des ,,Führers" seinen Nachfolger zu wählen 136 - also Mehrheitsentscheidungen erlaubte - bringt er sich erneut in Gegensatz zur grundsätzlichen nationalsozialistischen Vorstellungen. I37 Allerdings erkennt er die Möglichkeit, daß der (alte) "Führer" schon zu Lebzeiten einen Nachfolger vorschlagen 138 kann, als legitim an.

Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 24. Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 28. 134 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 30. 135 Wenn auch im Sommer 1933 noch nicht klar war, daß Hitler tatsächlich auf eine Alleinherrschaft zusteuern wollte! 136 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 28. I37 Dazu siehe oben A I. 138 Aber eben nicht mehr, also kein Designationsrecht (Unterschied zu Tatarin-Tamheyden). 132 133

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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b) Territorialreformvorschläge Nicolais Nicolai stellt im weiteren die Grundprinzipien für eine künftige Territorialreform des Reiches auf: 139 Es bestehe die Notwendigkeit einer Neugliederung des Reiches nach völkischen (volksstammlichen) Gesichtspunkten, um den Widerspruch zwischen Gliederung und völkischem Zusammengehörigkeitsgefühl aufzuheben. Hierauf aufbauend sieht Nicolai die Schaffung von folgenden insgesamt 14 "neuen Ländern" vor: 140 1. Preußen (nur Ostpreußen), 2. Pommern (mit Mecklenburg), 3. Brandenburg (mit Berlin, Altmark, Land Anhalt), 4. Sachsen-Thüringen (einschließlich der Regierungsbezirke Merseburg und Erfurt), 5. Schlesien, 6. Niedersachsen (wie heute, jedoch einschließlich Schleswigs und Holsteins), 7 . Westfalen, 8. Rheinland (nördlicher Teil der preußischen Rheinprovinz), 9. Rheinfranken (Saargebiet, südliches Hessen, Pfalz, Nordwürttemberg, Nordbaden), 10. Hessen (entspricht der preußischen Provinz Hessen-Nassau), 11. Main-Franken (umfaßt die bayerischen Regierungsbezirke Ober-, Mittelund Unterfranken), 12. Schwaben (Südwürttemberg und Südbaden, Hohenzollern), 13. Bayern (Regierungsbezirke Ober- und Niederbayern, Oberpfalz sowie die österreichischen Bundesländer Tirol und Salzburg), 14. Österreich (Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Burgenland, Steiermark und Kärnten umfassend). Bemerkenswert an diesem Gliederungsvorschlag ist vor allem die wie selbstverständlich erfolgende Einbeziehung Österreichs in den künftigen Reichsaufbau. Es war im Nationalsozialismus scheinbar von Anfang an klar, daß Österreich wieder ein Teil des Reiches werden sollte. Anders als nach dem schließlich verwirklichten Rechtszustand wollte Nicolai aber die "Ostmark" nicht in kleine Einzelgaue mit der Größe der österreichischen Bundesländer zerschlagen.

139 140

Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 35 f. Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 40.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Nach oben Gesagtem konsequent ist weiterhin die von unserem Autor vorgesehene Zerschlagung Preußens. Nicolai war ein Beamter mit preußischer Geisteshaltung, aber kein Preußenverehrer. c) Verhältnis der Länder zum Reich nach Nicolais Konzeption

Interessant sind auch der von Nicolai entworfene innere Staatsaufbau und die Vorstellungen des Autors über die Beziehungen des Reiches zu den neuen Ländern. Nicolai betont, das künftige Reich könne kein Bundesstaat mehr, sondern müsse ein dezentralistischer Einheitsstaat sein. 141 Damit deutet er an, daß den Ländern ihre bis dahin noch bestanden habende Eigenstaatlichkeit genommen werden soll. Alle Länderhoheitsrechte werden auf das Reich übergeleitet und den Ländern, die nach seiner Vorstellung die Masse staatlicher Verwaltungsarbeit erledigen sollten, 142 anschließend zur Ausübung zurückübertragen. Unser Autor nimmt damit die - von ihm maßgebend initiierten! - Regelungen des Neuaufbaugesetzes und der ersten Neuaufbauverordnung vorweg. aa) Selbstverwaltung der Länder Daneben betont Nicolai aber auch, daß den Ländern ein Höchstmaß an "Selbstverwaltungs"rechten von Reichs wegen zugestanden werden soll. 143 Die Länder werden somit von ihm als regional dezentralisierte, relativ eigenständige Gebietskörperschaften konzipiert. Über Inhalt und Reichweite dieser "Selbstverwaltung" ist damit jedoch noch nichts ausgesagt. Aus der Tatsache, daß Nicolai den Begriff der "Selbstverwaltung der Länder" 144 gebraucht, ist allerdings zu entnehmen, daß er etwas grundsätzlich anderes anstrebte, als seit 1934 im (Alt-)Reich geschaffen wurde. bb) Aufgabenverteilung zwischen Reich und Ländern Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Reich und Ländern soll nach Nicolai dem Grundsatz folgen, daß das Reich (bei allerdings bestehender Übertragungsmöglichkeit auf die Länder) die gesamte Gesetzgebungsgewalt in Händen hält, während den Ländern das Schwergewicht des Vollzuges der Reichsgesetze zufallt. 145 141 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 38; auch: Nicolai, Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild, S. 55. 142 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 44. 143 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 41. 144 Der den Rechtszustand im Reich ja seit 1933 gerade nicht mehr kennzeichnete! 145 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 43/44.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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ce) Staatsaufsicht über die Länder und Stellung der Statthalter Hinsichtlich der Aufsichtsrechte des Reiches über die Länderverwaltung ist dabei zwischen der Aufsicht in Reichsverwaltungs- und in Selbstverwaltungsangelegenheiten zu unterscheiden. Hiervon zu trennen sind diejenigen Aufgaben, die das Reich mit eigenen Behörden erledigt. 146 In bezug auf die Staatsaufsicht in Reichsverwaltungsdingen ist Nicolais Verfassungsentwurf nicht eindeutig. Es wäre sowohl reine Auftragsverwaltung für das Reich bei lediglich fachlichem, aber nicht dienstlichem (personellen) Weisungsrecht der Reichsorgane, 147 als auch volle Fach- und Dienstaufsicht über die Landesbehörden denkbar. Dafür, daß Nicolai in diesem Zusammenhang von reiner Auftragsverwaltung ausgegangen ist, spricht, daß er die von den Ländern auszuführenden Reichsaufgaben als "Auftragssachen des Reiches" 148 bezeichnet. Auch heißt es in seiner Schrift, daß die Landesministerien ("Landesämter") die Sachen des Reichs "im Auftrage zusammen mit den selbst für nötig gehaltenen Sachen" zu bearbeiten hätten. 149 Wenn Nicolai allerdings als insofern einschlägige künftige Verfassungsnonn fonnuliert: "Die Aufsicht über die Verwaltung der Länder steht dem Reichsführer zu, der allgemeine und besondere Anweisungen erteilen darf, denen die Länder nachzukommen verpflichtet sind", 150 läßt dies auch die Annahme einer vollen fachlichen und personellen Weisungsgewalt des Reiches über die Landesbehörden zu. Überdies hat Nicolai schon in bezug auf das Reichsneuaufbaugesetz vom 30.1.1934 von Auftragsverwaltung gesprochen, 151 während nach diesem Gesetz volle, auch personelle, Weisungsgewalt des Reiches über die Länderbehörden bestand. Letzte Klarheit bringt in diesem Zusammenhang auch nicht ein Blick auf die von Nicolai vorgesehene Stellung der Reichsstatthalter. Bei diesen soll, wie er fonnuliert, die gesamte Verwaltung (des Landes) zusammenlaufen. 152 Sie sollen als Vertrauensleute des "Reichsführers" praktisch sicherstellen, daß die vom Reich aufgestellten Richtlinien der Politik im Lande eingehalten werden. Ihnen 146 Solche sah Nicolais Entwurf im Bereich des Post-, Eisenbahn-, Wasserstraßen-, Kriegswesens und der auswärtigen Angelegenheiten vor; vgl. Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 44/45. 147 Im Falle von Auftragsverwaltung besteht nach dem klassischen Staatsaufbau nur Fachaufsicht der Aufsichtskörperschaft; diese kann dann keine personellen Weisungen an die nachgeordneten Behörden erlassen. 148 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 53. 149 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 51. 150 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 53. 151 Siehe oben A 11 5 c). 152 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 52.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

wird insofern eine politische Aufsicht über die Länderbehörden zugestanden, die aber im Einzelfall das Recht umfaßt, "nötigenfalls Anweisungen" 153 zu geben. Entsprechend einer vorgeschlagenen Verfassungsformulierung sollten die Länder sogar dem Statthalter "unterstehen". 154 Danach will Nicolai die Reichsstatthalter offenbar zu Leitern zentraler Landesbehörden machen, die zwar als solche grundsätzlich unbeschränkte fachliche und personelle Anweisungsrechte gegenüber allen nachgeordneten Beamten besitzen, aber die laufende Verwaltungsarbeit ihren Vertretern, den bisherigen Behördenleitern, überlassen. Nicolai verfolgt somit das Ziel der Schaffung einer einheitlichen Verwaltungsmittelinstanz auf Länderebene; hierzu ist es im Altreich am Ende nur dort gekommen, wo Hitler die Reichsstatthalter mit der Führung der Landesregierung beauftragte. 155 Nach Nicolais Entwurf sollten weiterhin die Statthalter, denen im übrigen das Recht der Anstellung sämtlicher Länderbeamten zustehen sollte, 156 vom "Führer" ernannt und entlassen 157 werden. Nicht eindeutig äußert sich Nicolai indes zu den Aufsichtsrechten des Reiches über die "Landesführer". Er nennt die Statthalter lediglich die "nächsten Gehilfen und Vertrauensleute des Reichsführers in den Ländern". 158 Hieraus ergibt sich aber noch nicht, ob sie als unmittelbare Reichsbeamte der Dienstaufsicht des "Führers" unterstellt sein, oder als mittelbare Reichsbeamte nur einer beschränkten personellen Weisungsgewalt des Reiches (Entlassungsrecht, aber beispielsweise kein Recht zu bestimmten disziplinarrechtlichen Maßnahmen wie Rügen oder Gehaltskürzungen) unterliegen sollten. Für letzteres spricht sogar,daß nach Nicolais Vorstellungen die Statthalter nicht nur den "Führer" in den Ländern, sondern auch die Länder gegenüber dem "Führer" vertreten und insofern eine "selbstsichere Stellung 159" besitzen sollten, welche bei Dienstaufsicht (also voller fachlicher und personeller Anweisungsgewalt) des Reiches über sie gerade nicht bestanden hätte. Ohne volle personelle Anweisungsgewalt des Reiches wiederum müßten die Statthalter nicht unbedingt als "nächste Gehilfen und Vertrauensleute des Führers in den Ländern" gelten. Nur, wenn man danach von voller sachlicher und personeller Weisungsgewalt des Reiches über die Statthalter als den obersten Verwaltungsorganen in den Ländern ausgeht, würde dies die Annahme, Nicolai habe dem Reich volle DienstGrundlagen der kommenden Verfassung, S. 52. Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 53. 155 Vgl. § 4 Reichsstatthaltergesetz vom 30.1.1935. 156 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 54. 157 Letzteres aber nur bei Zustimmung des "Senates"; Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 52. 158 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 52. 159 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 52. 153

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III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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aufsicht über die Beamten der Landesverwaltung zugestehen wollen, entscheidend stützen, weil es naheliegt, dieselben Aufsichtsrechte, die gegenüber dem Behördenleiter bestehen, dem Reich auch gegenüber den nachgeordneten Beamten zuzugestehen. Hätte Nicolai dem Reich auf dem Gebiet der "auftragsweisen" Aufgabenerledigung nur eine Fachaufsicht zuerkennen wollen, würde dies seinerseits den grundsätzlich dezentralistischen Charakter seines Konzepts unterstreichen: Das Reich sollte offenbar ein straff durchorganisierter Staat mit eindeutigen Befugnisabgrenzungen werden, aber kein zentralistischer (unitarischer) Einheitsstaat. Entgegen der tatsächlichen Rechtsentwicklung wären damit die regionalen Besonderheiten der Reichsglieder stärker berücksichtigt worden. Ein Manko der Reformschrift Nicolais ist, daß sie keine Regelung über die Intensität der Reichsaufsicht im Bereich der "Länder"selbstverwaltung trifft. Aus unserem Vorwissen heraus 160 läßt sich nur vermuten, daß zumindest eine auf Ermessensgesichtspunkte "erweiterte" Rechtsaufsicht geplant gewesen sein könnte. Hierfür finden sich aber in den "Grundlagen der kommunalen Verfassung" keine weiteren Anhaltspunkte. Es kann folglich nur gesagt werden, daß Nicolai das Deutsche Reich dezentralisieren, 161 162 nicht aber, daß er echte Selbstverwaltung schaffen wollte. dd) Neustrukturierung von Volksvertretungen in Reich, Ländern und anderen Verwaltungskörpern Bedeutsam sind daneben die Vorschläge Nicolais zur Reorganisation der Volksvertretungen in den einzelnen Verwaltungsbereichen. Diesbezüglich geht Nicolai von dem Grundsatz aus, daß das Gesamtvolk durch den "Deutschen Orden" vertreten wird 163 und es daher einer direkten Volkswahl zu den neuen Volksvertretungen grundsätzlich nicht bedarf. Direkte Volkswahl von Vertretungsorganen der "Volksgenossen" solle es nur bezüglich kleiner Körperschaften geben, da in diesem überschaubaren Bereich die Wähler wirklich selbst ermessen könnten, welcher der Kandidaten nach seinen Fähigkeiten am ehesten die an ihn gestellten Erwartungen als Volksvertreter erfüllen könne, 164 meint unser Autor. Siehe oben A II 7. Aber als Einheitsstaat erhalten wollte! 162 Das Reich wäre auch bei Realisierung echter Selbstverwaltung ein Einheitsstaat geblieben. Denn da Nicolai vorschwebte, alle bisherigen Hoheitsrechte der Länder zunächst auf das Reich überzuleiten, hätten die Länder keine originär ("vorstaatlich") eigenen Befugnisse mehr besessen; das Bestehen vorstaatlich eigener Hoheitsbefugnisse ist aber für die Staatsqualität von Teilstaaten, und damit für einen Bundesstaat schlechthin, notwendige Voraussetzung. 163 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 60. 164 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 64. 160 161

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Danach sollten allein die Abgeordneten der Gemeindevertretungen im Wege von Volkswahlen bestimmt werden - wobei, wie zu vermuten ist, aber lediglich eine Einheitsliste der NSDAP oder eine Liste "ordensnahestehender" Persönlichkeiten (Persönlichkeitswahl) existiert hätte. Auf Kreis-, Provinz-, Landes- und Reichsebene (wobei Nicolai den Begriff "Provinz" mit dem neuen des "Reichsgaues" gleichsetzt) sollte die Besetzung der Volksvertretungen hingegen den nächstniedrigeren Vertretungskörpern obliegen: Es sollte etwa der Kreistag als Vertretungskörper des Kreises ein festgelegtes Kontingent von Vertretern in die Reichsgauvertretung entsenden und jede Reichsgauvertretung wiederum ein bestimmtes Kontingent ihrer Mitglieder als Vertreter in den Landtag usw. 165 Den auf diese Weise besetzten Vertretungskörperschaften weist N icolai Beteiligungsrechte vor allem im Bereich der Gesetzgebung ZU. I66 Dabei müsse der Prinzipiengegensatz Führerstaat (alle Rechtssetzungsgewalt beim "Führer") geschichtliche Tradition (Deutschrechtlicher Ordnung widerspricht eine auf absolutem Gehorsam gegründete Autokratie) in der Weise gelöst werden, daß den Vertretungskörpern eine nur beratende Funktion gegenüber dem "Führer" zukomme. 167 Die Vertretungskörper müßten zwar bei jedem Rechtsetzungsverfahren beteiligt werden, an ihren Rat sei der "Führer" aber nicht gebunden; allerdings müsse er seine Abweichung von dem ihm erteilten Rat begründen. 168 So werde der "Führer" zu vermeiden suchen, einen seinen Vorstellungen nicht entsprechenden Rat zu erhalten und daher aktiv an den Beratungen in der Volksvertretung teilnehmen, um mit seinen Argumenten zu überzeugen. Nicolai will demnach offenkundig vermeiden, daß der "Führer" das Beratungsrecht der Vertretungsorgane nicht ernst nimmt. Er will eine Führerallmacht verhindern, einen "Rechtsstaat schaffen". Das mußte Hitlers Staatsverständnis diametral entgegenlaufen. Allerdings wäre der "Führer" auch nach Nicolais Verfassungskonzeption befugt gewesen, den Reichstag jederzeit zu vertagen oder aufzulösen. 169

d) Aufbau und Stellung der Reichsregierung Die Reichsregierung sollte nach Nicolais Vorstellungen so aufgebaut werden, daß der "Reichsführer" die Befugnis zur Ernennung und Entlassung der Minister erhielt, die Minister aber ihre Verwaltungsbehörden (statt Ministerien hier als "Reichsämter" bezeichnet) mit alleiniger persönlicher Verantwortung leiteten. 170 165

166 167 168 169 170

Grundlagen Grundlagen Grundlagen Grundlagen Grundlagen Grundlagen

der kommenden der kommenden der kommenden der kommenden der kommenden der kommenden

Verfassung, Verfassung, Verfassung, Verfassung, Verfassung, Verfassung,

S. 64, 65. S. 66 ff. S. 68. S. 70. S. 71. S. 76.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Die Minister hätten daher die Verfügungen und Anordnungen des "Reichsführers" gegenzeichnen müssen, bevor diese Wirksamkeit erlangten. 171 Denn nur durch die Gegenzeichnung übernimmt der Minister die volle persönliche Verantwortung für diese Erlasse. Sofern der Minister aber die Gegenzeichnung verweigerte, sollte es dem "Reichsführer", der die Gesamtpolitik zu verantworten gehabt hätte, freistehen, ihn zu entlassen. 172 Damit wäre der Rechtszustand im Reich erheblich im Sinne einer kollektiven Staatsführung verändert worden. Von einer uneingeschränkten Monokratie Hitlers hätte nämlich dort keine Rede mehr sein können, wo der "Führer" an eine Gegenzeichnung als Wirksamkeitsvoraussetzung für seine Rechtsakte gebunden gewesen wäre. Das ihm von Nicolai zuerkannte Entlassungsrecht, bezogen auf die Reichsminister, hätte Hitler außerdem solange nichts genutzt, wie kein Minister zur Übernahme der Verantwortung für die geplante Maßnahme bereit gewesen wäre. Wie hätte sich unter diesen Voraussetzungen jemals eine Auffassung herausbilden können, wonach bereits der Wille des "Führers" Gesetz sei? 173

e) Vorstellungen Nicolais über das GesetzgebungsveJfahren im nationalsozialistischen Staat Schließlich sind noch Nicolais Vorstellungen über die Gesetzgebung im nationalsozialistischen Staat von Bedeutung, und zwar insbesondere wegen ihrer Diskrepanz gegenüber dem verwirklichten Rechtszustand. Nicolai betont hierbei, daß es eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens bedürfe; anderenfalls gäbe es keine Unterschiede zwischen privaten Willensäußerungen, Verordnungen und Erlassen des "Führers"; der völkische Staat müsse im Gegensatz hierzu aber ein Verfassungsstaat sein. 174 Das ist die Kernaussage von Nicolai: Er will keinen auf die Person eines charismatischen Einzelführers ausgerichteten "Maßnahmenstaat" , sondern einen "Normenstaat" . 175

Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 78. Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 78. 173 SO Z. B. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 1940, S. 196 ff. ("Führer" als alleiniger Träger des allgemeinen Volkswillens: S. 196: "Der im Führer gebildete Wille ist kein persönlicher Einzelwille, sondern der Gesamtwille einer Gemeinschaft ... Der Führer entfaltet zum bewußten Entschluß, was als Wesenskern in der Gemeinschaft des Volkes lebendig enthalten ist. S. 197: "Im Führer treten die Wesensgesetze des Volkes in Erscheinung."), S. 208 f.: Im Reichstag "verdichtet sich das ständige Vertrauen des Volkes zur Führung zu einer sichtbaren Akklamation.". 174 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 80. 175 Begriffspaar von Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, deutschsprachige Ausgabe von 1973, S. 199 f. 171

172

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

aa) Der Ablauf der Gesetzgebung nach dem Verfassungsentwurf Nicolais Das Gesetzesinitiativrecht sollte Nicolai zufolge dem Reichstag (durch Antrag von mindestens einem Viertel aller Mitglieder, einen "Rat" zu erteilen) 176 und der Reichsregierung I77 zustehen. Das weitere Gesetzgebungsverfahren sollte so ablaufen: 178 Gesetzesentwürfe der Reichsministerien sollten der Unterschrift (und damit Verantwortungsübernahme ) des verantwortlichen Reichsministers oder des Reichskanzlers sowie des Reichs"führers" bedürfen. Mit diesen Unterschriften ausgestattet, sollten sie dem Reichstag zugeleitet werden, der über sie beraten sollte. Dabei sollten drei Entwurfs lesungen stattfinden, wobei die zweite schon einen Tag nach der ersten, die dritte drei Tage nach der zweiten stattfinden können sollte, um das Gesetzgebungsverfahren nicht unnötig zu verzögern. An den Lesungen sollte auch ein Regierungsvertreter teilzunehmen haben, um die Motive der Regierung zu verdeutlichen und Fragen aus dem Plenum zu beantworten. Nach Ende der dritten Lesung sollte der Reichstag seinen Rat an die Regierung erteilen; erforderlich sollte insofern eine Mehrheitsentscheidung sein. Nach der Raterteilung sollte es dem Reichsführer obliegen bleiben, ob er dem Rat folgte oder nicht; er sollte die Befugnis besitzen, den Gesetzentwurf nachträglich zu ändern oder unverändert zu lassen. Der geänderte oder unverändert gelassene Gesetzentwurf sollte dann der erneuten Unterzeichnung durch den "Führer" sowie der erneuten Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Fachminister bedürfen, um in Kraft treten zu können. bb) Würdigung der Vorschläge Nicolais In bezug auf die Regelungen über das Gesetzgebungsverfahren weicht der Verfassungsentwurf Nicolais stark von der Verfassungswirklichkeit ab. Weder läßt der Magdeburger Regierungspräsident eine sogenannte Regierungsgesetzgebung zu, noch hält er eine ausdrückliche Zustimmung des Reichstags zu Parlamentsgesetzen für erforderlich. Die Gefahr, daß der Reichstag zu einem bloßen Akklamationsorgan des Reichsführers sinken könnte, wäre ansatzweise natürlich auch bei Nicolai gegeben gewesen. Hierauf ist der Entwurf jedoch gerade nicht angelegt: Die Vertretungskörperschaft der Reichsbevölkerung soll vielmehr an der Rechtsetzung aktiv, wenn auch nur beratend, teilnehmen. Nicolai befürwortet demnach keine reine "Exekutivgesetzgebung".179 Seine Intention ist es offenbar, 176 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 83. I77 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 81. 178 Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 81-83. 179 Wenn denn so etwas möglich ist; nach klassischem Verständnis ist der Begriff Gesetzgebung nämlich untrennbar mit der Legislative verbunden.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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die Gesetzgebungsbefugnisse weit zu streuen, horizontal zu dezentralisieren. Somit zeigt sich einmal mehr: Der Verfasser der "Grundlagen der kommenden Verfassung" ist kein Zentral ist, sondern möchte lediglich eine eindeutige Abgrenzung der Rechte und Pflichten aller Verfassungsorgane erreichen.

j) Spätere Änderungen der Verjassungsrejormvorschläge Nicolais In seiner späteren Denkschrift "Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild" 180 vom November 1933 wiederholt Nicolai im wesentlichen seine soeben geschilderten Vorstellungen über einen nationalsozialistischen deutschen Verfassungsstaat. Änderungen ergaben sich nur in folgenden Punkten: Nicolai, inzwischen im Reichsinnenministerium tätig, kündigte die Schaffung eines aus 60 Mitgliedern bestehenden Senats an, dem neben der - gegenüber dem Erstentwurf Nicolais gleichgebliebenen - Aufgabe der Sicherstellung der Kontinuität nationalsozialistischer Herrschaft unabhängig von der Person einzelner die zusätzliche Aufgabe zugewiesen werden sollte, den ,,Führer" zu beraten. 181 Wie schon nach dem ursprünglichen Entwurf sollte dieser Senat aus führenden Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Bewegung bestehen, die vom "Führer" in dieses Amt berufen werden sollten. Soweit der Senat beratende Funktionen ausüben sollte, hätte er danach die Aufgaben der von Nicolai geplanten künftigen Volksvertretung auf Reichsebene besessen; für den Reichstag bestand daneben kein Raum mehr. 182 Der Senat sollte darüber hinaus wie ursprünglich geplant als elitäres, die Interessen der Partei gegenüber dem Staat wahrendes oberstes Reichsorgan höchste Kontrollrechte über die übrigen Reichsorgane besitzen. Aufgrund dieser Befugnisse hätte die Beratungsfunktion des Senats eine ganz neue Bedeutung erhalten: Es wäre dem "Führer" kaum möglich gewesen, den Rat des Senats unbeachtet zu lassen. Weiterhin sollten in den Ländern an die Stelle der abgeschafften Landtage sogenannte "Führerräte" treten, deren Aufgaben sich mit denjenigen des Senats auf Reichsebene decken sollten. 183 Nicolai paßte sich also den geänderten tatsächlichen Verhältnissen an: Kein Reichstag mehr, weil dessen Bedeutung auf ein Minimum geschrumpft war, generell keine Volksvertretungen mehr, weil sich zwischenzeitlich das Verfahren der Regierungsgesetzgebung voll entwickelt hatte. "Neugestaltung von Recht und Wirtschaft", Heft 1; Schaeffer-Verlag, Leipzig. Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild, S. 30. 182 So kündigte Nicolai denn auch bereits an, die "gänzliche Aufhebung des Reichstages" stehe unmittelbar bevor (sie erfolgte jedoch nie): Staat im nationalsozialistischen Weltbild, S. 30. 183 Staat im nationalsozialistischen Weltbild, S. 31. 180 181

11 Bachnick

162

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Ob bei dem nunmehrigen Ministerialrat wirklich ein Wandel der Verfassungsreformvorstellungen stattgefunden hatte, läßt sich hingegen nur schwer abschätzen. Tatsache ist jedoch, daß die Realisierung der in seiner hier behandelten Denkschrift vorgeschlagenen Maßnahmen eine gewisse Verschiebung der Machtbefugnisse zugunsten der Partei herbeigeführt hätte, weil diese die allerdings recht schwachen Befugnisse der Volksvertretung übernommen hätte. Auch wäre es zu einer weit geringeren horizontalen Dezentralisation der Staatsaufgaben gekommen. Dennoch: Das Reich hätte den Charakter eines dezentralen Einheitsstaates besessen, und die Kompetenzen von NSDAP und Staat wären positivrechtlich normiert gewesen. Zu Zuständigkeitskonflikten hätte es dann nicht mehr kommen können.

3. Territorialreformplanungen der Reichs- und Länderbehörden

Schon relativ kurze Zeit nach der Machtergreifung erfolgte von Seiten der Verwaltungsbehörden des Reichs, der Reichsstatthaltereien und der Länderministerien eine intensive Auseinandersetzung mit Neugliederungsfragen. Es ging darum, den jahrhundertelang gewachsenen, aber den Anforderungen eines Einheitsstaates scheinbar nicht gerecht werdenden Territorialaufbau Deutschlands zu reformieren. Überhaupt und vor allem sollte sichergestellt werden, daß die Länder nie wieder in eine machtmäßige Konkurrenz zum Reich treten würden. Einigkeit bestand auch insoweit, als das alte Preußen zerschlagen und in mehrere neue Einzelländer aufgeteilt werden sollte, herrschte doch die Befürchtung vor, ein gebietlich unangetastet gelassenes, sich über ganz Norddeutschland hinwegziehendes Land Preußen würde die anderen Territorien mit beherrschen und der Reichszentrale gefahriich werden. Hinsichtlich der Gliederungsprinzipien für den somit als notwendig erachteten strukturellen Reichsneuaufbau bestanden allerdings interessenbedingt zum Teil erhebliche Differenzen. Noch nicht einmal innerhalb des Reichsinnenministeriums war man sich über das zu verfolgende Reformkonzept jederzeit einig, wozu möglicherweise die Spannungen mit der NSDAP beigetragen haben. 184 Insgesamt beherrschte also Konfusion die Szene; darüber konnten auch nicht nach außen hin forsch vorgetragene Stellungnahmen einzelner Beamter hinwegtäuschen. Deshalb verwundert es nicht, wenn entgegen allen Ansätzen am Ende überhaupt keine Reichsneugliederung stattfand.

184

Dazu schon oben A 11; siehe auch B III 3 d) dd) sowie E (Zusammenfassung).

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

163

a) Planungen des Reichsinnenministeriums aa) Erste Arbeitspapiere zur Reichsneugliederung Konkrete Fonnen nahmen die Territorialrefonnplanungen der Reichsinnenverwaltung an mit einem am 15.9.1933 verfaßten Arbeitspapier der Abteilung 1. 185 Darin wurde erstmals der Begriff "Gau" als Bezeichnung für die künftigen Gebietsgliederungen des Reiches erwähnt. 186 Offenbar hatte sich dieser recht frühzeitig gegen den überkommenen Namen "Länder" 187 durchsetzen können. Dem Arbeitspapier zufolge sollte bei der Neuverteilung ausgegangen werden von wirtschaftlichen, landschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten, außerdem sollte sich die künftige Grenzführung möglichst an bestehende Landes- oder Provinzgrenzen anlehnen. 188 Die Verwaltung setzte also zunächst andere Refonnschwerpunkte als später Wagner und Haushofer, die Exponenten der NSDAPAuffassung: Den Parteigauen war keine Vorbildfunktion für die zu schaffenden Reichsgaue zugedacht. Ziel der Territorialrefonn sollte es weiterhin sein, bevölkerungsmäßig möglichst gleichstarke Reichsglieder zu schaffen; Abweichungen von etwa einer Million Menschen nach oben oder unten wurden jedoch als noch akzeptabel bezeichnet. 189 Hierauf aufbauend gelangte der Entwurfsverfasser zu einem ersten, rohen 190 Neugliederungsentwurf, der vor allem für den niederrheinisch-westfälischen, den mittelrheinischen und den niedersächsischen Raum noch mehrere Alternativvorschläge enthielt. Als feststehende Gaubezirke wurden genannt: 191 Ostpreußen, Schlesien, Brandenburg-Berlin, Pommern-Mecklenburg (Pommern und Mecklenburg sollten also zu einem einzigen, gebietlich sehr großen Gau zusammengefaßt werden; dies geschieht offenbar zu dem Zweck, die Einwohnerzahl der Gaue einander anzugleichen - schließlich waren die mecklenburgischen und pommersehen Gebiete damals sehr dünn besiedelt), Sachsen (bestehend aus dem Freistaat Sachsen, dem südlichen Teil der Provinz Brandenburg sowie Anhalt), Thüringen (nebst dem südwestlichen Teil der preußischen Provinz Sachsen), Bayern-Süd, Bayern-Nord (bestehend aus den drei fränkischen Regierungsbezirken Bayerns) sowie Rheinschwaben (bestehend aus Württemberg und Teilen Badens). Hinsicht185

In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 341 ff.

Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 341. Den übrigens Nicolai noch im Sommer 1933 in seiner Schrift "Grundlagen der kommunalen Verfassung" erwähnte hatte. 188 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 341. 189 Ebenda. 190 Wie in dem Papier ausdrücklich betont wird: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 341. 191 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 343, 345. 186 187

11*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

lieh der übrigen Gebiete des Reichs wurden folgende Lösungsmöglichkeiten zur Disposition gestellt: 192 (1) Im niedersächsischen Raum:

a) entweder: Schaffung eines Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck und Teile von Mecklenburg, Brandenburg und Hannover umfassenden Gaues "Niedersachsen-Elbe" und eines Oldenburg, den größten Teil der Provinz Hannover sowie Braunschweig, Lippe und Teile von Westfalen umfassenden Gaues "Niedersachsen-Weser" b) oder: Schaffung eines Schleswig-Holstein, Bremen, Oldenburg und den Nordteil der preußischen Provinz Hannover umfassenden Reichsgaues "Nordmark" und eines den Südteil der Provinz Hannover sowie Braunschweig umfassenden Reichsgaues "Hannover". (2) Im rheinisch-westHHischen Raum: a) entweder: Bildung eines die im wesentlichen gesamte Rheinprovinz umfassenden Reichsgaues "Rheinland" . eines weite Gebiete der preußischen Provinz Westfalen umfassenden Reichsgaues " Westfalen" und eines den Hessen-Darmstädtischen Regierungsbezirk Oberhessen, Teile der Rheinprovinz und der Provinz Westfalens sowie den preußischen Regierungsbezirk Kassel umfassenden Reichsgaues "Hessen" b) oder: Bildung eines den südlichen Teil der Rheinprovinz, das bisherige Land Hessen(-Darmstadt) sowie die Provinz Hessen-Nassau (ohne den Regierungsbezirk Kassel) umfassenden Gaues "Mittelrhein " und eines das östliche Westfalen und den Nordteil der Rheinprovinz umfassenden weiteren, nicht benannten Reichsgaues. Entsprechend seiner Zielsetzung berücksichtigte der Gliederungsentwurf vom 15. September 1933 demnach grundsätzlich bestehende Verwaltungsgrenzen, wenngleich dies nicht immer auf der Länder- bzw. Provinzialebene, sondern teilweise erst bei den Regierungsbezirken geschah. Etwas anderes gilt allerdings für die im niedersächsischen Raum vorgesehene Gebietseinteilung. Der Grund dafür dürfte in dem Bemühen gelegen haben, die Einwohnerzahlen der künftigen Reichsgaue einander anzunähern. Die damalige Provinz Schleswig-Holstein hätte nämlich als Reichsgau eine im Vergleich zu den übrigen Gauen zu kleine, zusammen mit Hannover aber eine zu große Bevölkerung gehabt. Die Alternativregelungen für den rheinisch-westfälischen Bereich basieren schließlich auf zwei unterschiedlichen Gliederungsprinzipien: Während der Alternativentwurf (a) offenbar die bereits bestehenden Grenzen der Verwaltungsbezirke im wesentlichen beibehält und daher vor allem auf historische Gegebenheiten 192

Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 347 ff.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Rücksicht nimmt, hätte die Verwirklichung des Vorschlages (b) zu einem völligen Umbau der bis dahin bestanden habenden Territorialstrukturen geführt. Dieser Vorschlag ähnelt dem - allerdings erst später ausgearbeiteten - Entwurf Adolf Wagners und Haushofers, orientiert sich insbesondere nicht an natürlichen Grenzen und "vernetzt" das Rheinland mit den umliegenden rechtsrheinischen Gebieten. Ob dahinter dieselben Überlegungen stehen wie die dem Wagnersehen Entwurf zugrundeliegenden, läßt sich nicht feststellen. Allerdings wäre bei Verwirklichung des Alternativvorschlags (a) das fragliche Gebiet bevölkerungsmäßig besser aufgeteilt worden; nach dem Alternativvorschlag (b) hätte der das östliche Westfalen und den Nordteil der Rheinprovinz umfassende Gau 9,8 Millionen Einwohner gehabt gegenüber im Durchschnitt von etwa 5 Millionen Einwohnern der übrigen Gaue. Der Entwurf ähnelte, insbesondere was die Gliederung des ost- und norddeutschen Raumes anging, in groben Zügen dem Nicolaischen und Tatarin-Tamheydensehen Gliederungsplan. Aber auch hinsichtlich der territorialen Größe der einzelnen Gaue bestanden zu diesen Autoren Ähnlichkeiten, während Haushofer und AdolfWagner von kleineren Verwaltungseinheiten ausgingen. Eine Regelung darüber, ob die gebietlich größeren Gaue in Regierungsbezirke untergliedert werden sollten, enthält das Arbeitspapier nicht. bb) Die Denkschrift zur Durchführung des Neuaufbaues des Reiches Nach Ausarbeitung des ersten Arbeitspapiers zur Territorialreformfrage stockten die Planungen über einen längeren Zeitraum hinweg. Das hängt wohl damit zusammen, daß die vorläufige Neuordnung der Verwaltungsstrukturen zwischen Reich und Ländern, die schließlich ihren Ausdruck in dem Reichsneuaufbaugesetz finden sollte, größere Wichtigkeit besaß und daher vorrangig behandelt wurde. Erst eine Denkschrift des Ministerialrats Medicus von etwa Frühjahr 1934 193 greift die Gliederungsproblematik wieder auf. Auffallig ist die darin auszumachende Kehrtwendung bezüglich der Gliederungsprinzipien. Nunmehr sollten nämlich die NSDAP-Parteigaue Vorbild für die Gaueinteilung des Reiches abgeben. Unterhalb der Reichsgaustufe waren überdies entsprechend preußischem Vorbild generell Regierungsbezirke vorgesehen, die in den Ländern, in denen sie bislang nicht existiert hatten, durch Zusammenlegen kleinerer Verwaltungseinheiten gebildet werden sollten. Auf diese Weise wäre der Behördenaufbau der neuen Gaue einander angeglichen worden. Ob es sich bei der Haltung Medicus' zur künftigen Gaugliederung um eine Privatmeinung oder um die inzwischen vorherrschende Auffassung der Reichsin193 Denkschrift "Durchführung des Neuaufbaus der Reiches", Verfasser: vennutlich Medicus, von dem die handschriftlichen Korrekturen auf dem Schriftstück stammen; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 191 ff.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

nenverwaltung handelte, ist nur schwer abzuschätzen. Im ersteren Fall würden Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten innerhalb des Innenministeriums, im zweiten Fall offenbar ein Zurückweichen vor NSDAP-Interessen zu konstatieren sein. Falls sich die Vorstellungen des Innenministerinms tatsächlich gewandelt hätten, könnte dies mit den damals bestehenden Streitigkeiten über die Stellung der Reichsstatthalter zusammenhängen. Vielleicht wollte sich Frick durch ein Nachgeben in anderen Bereichen das placet der Partei zur ministeriellen Weisungsgebundenheit der Statthalter erkaufen. cc) Der Referentenentwurf 11 für eine Reichsneugliederung vom 27.4.1934 Bereits mit dem Referentenentwurf 11 194 für eine Reichsneugliederung 195 fand die Innenverwaltung aber wieder zurück in altes Fahrwasser, denn dieser Planung lagen neben stammesmäßig-volklichen eindeutig landschaftliche und kulturelle Erwägungen zugrunde, wie sich anhand der vorgesehenen Länder Ostfalen und Engem beweisen läßt. 196 Auch hielt man an dem Grundsatz fest (oder ging wieder dazu über), die Neugliederung möglichst unter Beachtung vorhandener Verwaltungsgrenzen durchzuführen. Zwar blieben bestehende Landesgrenzen häufig unbeachtet,197 doch trachtete man offensichtlich danach, wenigstens die Regierungsbezirke geschlossen in neue Gliederungen überzuleiten. Es waren folgende "neue Länder" 198 vorgesehen: 1. Preußen (bisherige Provinz Ostpreußen);

2. Schlesien (bisherige Provinzen Ober- und Niederschlesien, ferner die sächsische Oberlausitz); 3. Brandenburg (bisherige Provinz Brandenburg ohne Ost- und Westprignitz, Prenzlau und Amswalde, dazu aber die angrenzenden Kreise Schwerin und Meseritz der Provinz Grenzmark sowie der Mecklenburgische Kreis Strelitz); 4. Pommern (bisherige Provinz Pommern, dazu die angrenzenden Kreise Deutsch-Krone, Flatow, Netze-Kreis, Schlochau, Schneidemühl der Grenz-

194 Ein ,,Referentenentwurf I" läßt sich in den Akten nicht auffinden. Entweder ist er verschollen oder es handelt sich insofern um das Arbeitspapier vom 15.9.1933. 195 in: Bundesarchiv, Akte R 18/5447, BI. 31 ff.; Verfasser: Regierungsrat Dr. Crämer (RMdI). 196 Das künftige Land Ostfalen sollte nämlich die alten ostfälischen Stammesgebiete umfassen (Bundesarchiv, Akte R 18/5447, BI. 35) - wie übrigens auch Westfalen hinsichtlich der westfälischen Stammesgebiete (a.a.O., BI. 33). Außerdem sollte der alte Stammesname ,,Engem" der dynastischen Bezeichnung "Hannover" vorgezogen werden (Bundesarchiv, R 18/5447, BI. 33). 197 Deshalb hat Schulz (in: Bracher / Sauer / Schulz, S. 608) teilweise recht, wenn er davon spricht, daß "fast alle Länder . . . unter größerer oder geringerer Veränderung bestehender politischer Grenzen gebildet werden" sollten. 198 Hier also wieder die Altbezeichnung; von "Gauen" ist in dem Referentenentwurf nicht die Rede.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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mark, ferner der größte Teil Mecklenburgs, nämlich soweit er nördlich des Höhenrückens und der Seenplatte liegt); 5. Friesland (einheitliches Küstenland auf der Basis der Linie Lübeck-HamburgBremen-Emden: bisherige Provinz Schieswig-Hoistein, Regierungsbezirk Stade, Regierungsbezirk Aurich, der größte Teil Oldenburgs, die drei Hansestädte); 6. Ostfalen (Regierungsbezirk Magdeburg, erweitert im Norden um die brandenburgische Ost- und Westprignitz und die mecklenburgischen Kreise Ludwigslust, Parchim und Waren, im Süden erweitert um den nördlichen Teil des Regierungsbezirks Merseburg; Halle, Wittenberg, Bitterfeld, Mansfeld sowie durch Anhalt); 7. Engem (Regierungsbezirke Hannover, Hildesheim - ohne Münden -, Lüneburg - ohne Dannenberg [zu Ostfalen] und Harburg -, im Westen der bislang westfälische Regierungsbezirk Minden, soweit er östlich des Teutoburger Waldes liegt, sowie die Länder Lippe, Schaumburg-Lippe und Braunschweig); 8. Westfalen (Regierungsbezirke Münster, Osnabrück, Minden - soweit westlich des Teutoburger Waldes -, die bisher oldenburgischen Kreise Cloppenburg und Vechta, die bisher zur Rheinprovinz gehörende Stadt Essen); 9. Sachsen (bisheriges Land Sachsen ohne den Anteil an der Oberlausitz, dazu der größte Teil der Gebiete südlich des Fläming, nämlich der östliche Teil des Regierungsbezirks Merseburg, der thüringische Kreis Altenburg); 10. Thüringen (bisheriges Land Thüringen ohne die Kreise Altenburg und Sonneberg, Regierungsbezirk Erfurt der preußischen Provinz Sachsen, westlicher Teil des preußischen Regierungsbezirks Merseburg); 11. Hessen (bisherige Provinz Hessen-Nassau, ferner die bislang Hessen-Darmstädtische Provinz Oberhessen, dazu der bislang preußische Kreis Minden sowie das zu Hessen-Darmstadt gehörige Siegerland); 12. Rheinland (bisherige Provinz Rheinland ohne Essen und die südlich des Hunsrücks gelegenen Kreise, jedoch vermehrt um vier Kreise rechtsrheinisch von Koblenz); 13. Pfalz (nördliches Oberrheinbecken, das nördliche Baden, Wiesbaden, der bayerische Regierungsbezirk Pfalz, das Saargebiet); 14. Schwaben (das bisherige Württemberg ohne neun nördliche Oberämter, Südbaden, Hohenzollern, der bayerische Regierungsbezirk Schwaben); 15. Franken (die bisherigen bayerischen Regierungsbezirke Ober-, Unter- und Mittelfranken, die bislang württembergischen nördlichen Oberämter); 16. Bayern (die bisherigen Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz).

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Gegenüber dem Arbeitspapier vom 15. September 1933 ergeben sich somit doch einige beachtliche Änderungen bzw. Präzisierungen: In bezug auf die strittig gewesene Gliederung im niedersächsischen Raum folgt der hiesige Entwurf wohl dem Alternativvorschlag (b) im Arbeitspapier vom 15.9. 1933, nämlich der Schaffung einer Nordmark ohne Teile von Mecklenburg und Brandenburg. Im mitteldeutschen Gebiet ist die Errichtung von mehr Ländern als nach dem Erstentwurf vorgesehen: nämlich diejenige Ostfalens, Engerns und Sachsens neben Thüringen und Brandenburg (während nach dem Entwurf vom 15.9.1933 nur die Länder Niedersachsen-Weser bzw. Hannover und Sachsen neben Thüringen und Brandenburg geschaffen werden sollten). Die Entwicklung war also in Richtung auf eine stärkere Gliederung dieses Raumes unter Verselbständigung des sächsischanhaltinischen Gebiets gegangen. Interessant ist auch die nunmehr vorgesehene Gliederung im südwestdeutschen Raum. Hier folgt der Neugliederungsplan beiden Alternativvorschlägen des Entwurfes vom 15.9.1933 nicht, sondern schafft aus Teilen Hessens, der preußischen Rheinprovinz, der Pfalz und Badens ein neues, weiteres Land (Pfalz). Er ähnelt insofern stark dem Nicolaischen Entwurf, in dem die Bildung eines Gaues Rheinfranken mit vergleichbarem Gebietsumfang vorgesehen war. Dies ist nicht verwunderlich, war Nicolai doch inzwischen 199 an maßgebender Stelle des Reichsinnenministeriums mit der Reichsreform befaßt und hatte diesbezüglich offenbar seine Ansichten durchsetzen können. Auch in bezug auf die Gliederung der nord- und ostdeutschen Gebiete (mit Ausnahme Niedersachsens) bestehen einige wichtige Gemeinsamkeiten des hiesigen Entwurfs mit demjenigen Nicolais, z. B. was die Schaffung eines einheitlichen Landes Mecklenburg-Pommern angeht. Andererseits haben sich die Vorstellungen Nicolais über die Gliederung des mitteldeutschen Raumes offenbar nicht durchzusetzen vermocht; Weder sollte nach dem regierungsamtlichen Entwurf Brandenburg um die anhaltinischen Gebiete vergrößert, noch Sachsen und Thüringen zu einem Land (Gau) zusammengeschlossen werden. Abgesehen von den bereits dargestellten stammesmäßigen bzw. landschaftlichen dürften vor allem strategische Erwägungen bei dem Entwurf vom 27. April 1934 eine Rolle gespielt haben: So etwa im Hinblick auf die Gliederung des Rheinlandes, das zwar, anders als nach dem etwas späteren parteiamtlichen Entwurf Wagners, nicht horizontal zerschnitten werden, dessen Untrennbarkeit vom Reich aber dadurch sichergestellt werden sollte, daß rechtsrheinische Gebiete angegliedert wurden. Dabei stellte man anscheinend in Teilbereichen auch stammesmäßig-historische Überlegungen hintan: Ein Zeichen dafür, daß dem Verfasser des Referentenentwurfs die Sicherung der staatlichen Einheit Deutschlands wichtiger war als stammesmäßige Interessen - allerdings nur dort, wo,wie im Rheinland, die künftige Zugehörigkeit bestimmter Regionen zum Reich gefährdet erschien. 199

Seit dem 15.10.1933.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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dd) Die Auseinandersetzungen mit der Parteizentrale in der Neugliederungsfrage Der Referentenentwurf Crämers war erst wenige Wochen alt, ein einheitliches Meinungsbild über die künftige Gaugliederung hatte sich im Reichsinnenministerium noch nicht herausgebildet, da schaltete sich die NSDAP in die Reformdiskussion ein. Wesentliche Impulse insoweit gingen von dem im Mai 1934 gebildeten 200 Referat Adolf Wagners bei der NSDAP-Zentrale in München aus. Frick hätte sich nun beeilen müssen, wollte er seine Vorstellungen zur Gebietsreform beim Führer durchsetzen. Im Gegenteil verkannte er aber anfangs die wirklichen Machtverhältnisse, denn er konstatierte, die territoriale Neuordnung werde allein im Reichsinnenministerium gemacht. In diesem Rahmen könne man sodann Vorschläge entgegennehmen, prüfen und sich Brauchbares aneignen, stellte Frick lapidar fest. 201 Den Vorstellungen Adolf Wagners kam vor allem deshalb ein besonderes Gewicht zu, weil es dem nebenamtlichen bayerischen Innenminister gelungen war, eine Reihe illustrer Persönlichkeiten in seinen Stab zu berufen. Genannt werden können an dieser Stelle der Geopolitiker General Karl Haushofer und der Historiker Karl Alexander von Müller, beides altgediente Nationalsozialisten. Haushofer hatte bereits zur lahresmitte 1934 in Wagners Auftrag eine Denkschrift über die geopolitischen Aspekte der Neugliederung erstellt, 202 aus der die Forderung entnommen werden konnte, "wehrpolitische" und "außenpolitische" Aspekte müßten bei der Reform eine entscheidende Rolle spielen. Haushofer wollte "Kemgaue" im Reichsinnem und "Abwehrgaue mit Hinterlandtiefe" in den Grenzgebieten schaffen. Gerade von den Abwehrgauen sollte ein Stabilisierungseffekt für die Reichsgrenze ausgehen; sie sollten gleichzeitig "attraktiv" sein, um benachbarte Territorien fremder Länder aus deren Staats verband herauslösen zu helfen. Auf Haushofers Überlegungen baute auch der Gebietsreformplan Wagners auf, welcher dem Reichsinnenministerium am l. 10. 1934 zuging 203 und dort wegen seines eklatanten Widerspruches zu den innerministeriellen Neugliederungsvorstellungen 204 wenig Begeisterung ausgelöst haben mag. 200 Entsprechender Vennerk im "Völkischen Beobachter" vom 14.5.1934; Ausriß im Bundesarchiv, Akte R 18/375, Bi. 4. 201 Vgi. handschriftliche Notiz Fricks vom 10.10.1934 zu einem Bericht von Oberregierungsrat Crämer vom 5.10.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/375, Bi. 44 ff., 45 R. 202 In Bundesarchiv, Akte NS6/773, Bi. 54 ff. 203 Untcr diesem Datum von Wagner Frick zugesandtes Kartenmaterial in: Bundesarchiv, Akte R 18/375, Bi. 39 ff. Die dazugehörige Denkschrift "Der Neuaufbau des Reiches" (von Wagner unter maßgeblicher Mitwirkung der Professoren Haushofer und Müller erstellt) ging im Reichsinnenministerium hingegen erst am 6.2.1935 ein (vgi. Bundesarchiv, Akte NS6/773, BI. 3 ff.). 204 Dazu vgl. soeben B III 3 a) cc) und B II 2 b).

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Welche grundsätzlichen Strukturunterschiede zwischen den Territorialreformkonzepten von NSDAP und Innenverwaltung bestanden, war Wilhelm Frick jedoch schon vorher klar geworden. In einem Aktenvermerk für den Innenminister vom 8. Juni 1934 sprach nämlich Helmut Nicolai von "weitgehenden Differenzen",205 und Ministerialrat Medicus stellte am 14. Juni 1934, sichtlich erleichtert, fest, offenbar habe die Parteizentrale noch kein festes Bild vom organisatorischen Neuaufbau. 206 Die Reaktion der obersten mit Verfassungsreformfragen befaßten Behörde auf die an sie herangetragenen immer neuen Vorschläge des Stabes Wagner 207 läßt sich als hinhaltend charakterisieren. Frick spielte erkennbar auf Zeit, wollte er sich doch von der NSDAP die Gebietsreform nicht aufzwingen lassen. Wagner wurde nicht in alle Gedankengänge der Verfassungsabteilung eingeweiht und man schob Kartenmaterial vor, um nicht materiell-rechtliche Fragen erörtern zu müssen. 208 Eine Denkschrift der Parteizentrale zur Problematik der "Verwaltungszentralisation"209 wanderte sogar mehr oder weniger ungelesen und ohne jede Reaktion in die Schreibtischschubladen. Ob sich die Hinhaltetaktik des Reichsinnenministeriums als Fehler herausstellen würde, stand damals noch nicht fest. Der unter Nicolais Leitung stehenden Verfassungs abteilung blieb aber wohl gar nichts anderes übrig, als in der geschehenen Art und Weise zu handeln, denn die Arbeiten an einem Neugliederungsgesetzentwurf steckten, wie wir bereits sahen, im Juni 1934 noch in den Kinderschuhen. Es kann daher nur Zweckoptimismus sein, wenn Herrnann Göring, der eher auf Seiten Fricks stehende preußische Ministerpräsident, zur gleichen Zeit festzustellen glaubte, die Schaffung von gebietsmäßig bestehenden Provinzen entsprechenden Reichsgauen in der "Kurrnark"21O, in Ostpreußen, in Schlesien und in Pommern sei "im wesentlichen" sicher. 2lI Jedenfalls aber faßte die Reichsinnenbehörde aufgrund geringer werdender Entscheidungsspielräume nunmehr den Entschluß, die Gaureforrn forciert zu 205 Aktenvermerk Nicolais für Frick über ein Telefongespräch mit dem bayerischen Ministerialdirektor Freiherr von Imhoff, in: Bundesarchiv, Akte R 18/375, BI. 5 f. 206 Siehe Bericht Medicus' für Frick vom 14.6.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/ 375, BI. 24 ff. 207 Siehe Bericht Medicus' für Frick vom 14.6.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/ 375, BI. 24 ff. 208 Vgl. handschriftliche Bemerkung Fricks auf dem Aktenvermerk Nicolais vom 8.6.1934, wonach nur "eine unverbindliche Information" (Wagners) möglich sei. Frick vermerkt ferner (für eine Beratung mit Wagner), in Frage komme "in erster Linie das historische Kartenmaterial von Krämer (gemeint: Crämer); Bundesarchiv, Akte R 18/ 375, BI. 5 ff., 6. 209 Angeführt im Bericht Medicus' vom 14.6.1934; Bundesarchiv, Akte R 18/375, BI. 24 ff., 25 R. 210 Das ist die Mark Brandenburg. 211 Vgl. Görings Rede vor dem Preußischen Staatsrat vom 18.6.1934, in: F. A. Six (Hrsg.), Dokumente der deutschen Politik, Band 2, S. 168 ff., 173.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Ende zu führen. Es galt, die Zustimmung des "Führers" zu den eigenen Plänen einzuholen, denn man bemerkte Heß' und Wagners Absicht, die ihnen vorschwebende Neugliederung im Alleingang durchzudrücken. 212 ee) Der Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches So entstand der Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches, 213 dessen Regelungen, wie einem Anschreiben Nicolais entnommen werden kann, 214 im Ministerium zuvor eingehend beraten worden waren. Für Nicolai schienen die Planungen so weit fortgeschritten, daß er dem Entwurf Kabinettsreife bescheinigte: Die Territorialreform trat in ihre Endphase sein. Entsprechend Art. 1 I a des Gesetzentwurfes sollte sich das Reichsgebiet (insofern wie nach dem Referentenentwurf [Dr. CrämersD in zunächst 16 Reichsgaue 215 gliedern, deren territoriale Ausgestaltung bis auf wenige marginale Abweichungen 216 derjenigen nach Crämers Referentenentwurf entsprochen hätte. Insbesondere waren wie in jenem Referentenentwurf die Eingliederung des größten Teils Mecklenburgs nach Pommern und die Schaffung eines Reichsgaues Pfalz vorgesehen. Neben diese Reichsgaue, von denen das im Crämerschen Entwurf als "Friesland" bezeichnete Territorium nunmehr den Namen "Nordmark" tragen sollte, sollten allerdings - in Abweichung zu dem Referentenentwurf vom 27.4.1934 - noch drei "Reichsstädte", Berlin, Hamburg und Bremen, treten, 217. 218 deren Stellung allerdings derjenigen der Reichsgaue entsprechen sollte. 219 Im übrigen werden die Reichsgaue in diesem Gesetzentwurf als Rechtsnachfolger der in ihnen aufgehenden preußischen und hessischen Provinzen sowie der bayerischen Regierungsbezirke bezeichnet; 220 bedeutsam ist auch, daß nach Art. 2 11 des Gesetzentwurfes die neu geschaffenen Reichsgaue zugleich Parteigaue der NSDAP darstellen sollten, womit zwar einerseits die Einheit von Partei und 212 Siehe insoweit Bericht Crämers für Frick vom 5.10.1934 über ein Gespräch mit Wagner, in: Bundesarchiv, Akte R 18/375, BI. 44 f. 213 "Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches" vom 8.10.1934, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 403 ff. 214 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 399. 215 Jetzt tritt also wieder die Bezeichnung "Reichsgau" an die Stelle des Begriffs "Land", wie er im Crämerschen Referentenentwurf gebraucht wurde (vgI. oben B III 3 a) dd». 216 VgI. dazu Anhang des o.g. Gesetzentwurfes; Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 427 ff. 217 VgI. Art. 1 I b des Gesetzentwurfes. 218 Ein Zeichen dafür, daß die Vorarbeiten zum Groß-Hamburg-Gesetz und zum Gesetz über Verfassung und Verwaltung der Reichshauptstadt Berlin einsetzten! 219 Art. 1 III des Entwurfes. 220 Art. 3 des Entwurfes.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Staat auf der Gauebene verstärkt worden wäre, zugleich aber auch der Staat in Befugnisse der Partei übergegriffen hätte, 221 was von dieser kaum akzeptiert worden wäre. Aus der dem Gesetzentwurf beigefügten amtlichen Begründung 222 geht hervor, nach welchen Gesichtspunkten die Territorialneugliederung im Reichsinnenministerium angeblich vorgenommen wurde: Es sollten sowohl stammesmäßige als auch geographische, politische und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt worden sein. 223 Diese Aussage hatte jedoch in erster Linie eine Befriedungsfunktion: Man wollte glaubhaft machen, daß die Vorstellungen Haushofers und Wagners Eingang in die offiziellen Planungen gefunden hatten, insbesondere was die Neugliederungsprinzipien anbelangte. In Wahrheit ließ sich die Innenverwaltung weiterhin allein von stammesmäßig-historischen Erwägungen leiten, denn es waren inhaltlich keine Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf vom April 1934 zu bemerken. Ein Schlaglicht auf die Prioritäten des Ministeriums Frick im Oktober 1934 wirft schließlich der ebenfalls in der amtlichen Begründung enthaltende Satz: 224 "Den Vorrang hat unzweifelhaft die Neugliederung vor dem Neubau der Verwaltung ... ". Es galt, durch eigene Aktivitäten der Partei und ihren Gebietsreformplanungen zuvor zu kommen, um bei Hitler diesbezüglich einen besseren Stand zu gewinnen. Obwohl Nicolai den Gesetzentwurf vom 8. Oktober 1934 für kabinettsreif befunden hatte, zeigen die folgenden Aktivitäten, daß dem nicht so war. Plötzlich ergaben sich innerhalb des Ministeriums Meinungsverschiedenheiten über Zeitpunkt und Inhalt der Reform. 225 Einige der mit dem Reichsneuaufbau befaßten Beamten traten, offenbar aufgrund früherer Andeutungen Hitlers, für eine gewisse Verschiebung aller Gliederungsmaßnahmen ein bzw. wollten vorerst nur bestimmte vorbereitende Maßnahmen verwirklicht sehen. Andere, unter ihnen Nicolai, drangen auf eine rasche Realisierung der gebietlichen Neueinteilung des Reichs. Am Ende erhielt die Gruppe der "Bremser" Oberwasser, 226 und Nicolai bekam die Anweisung, dementsprechende Regelungen auszuarbeiten. 227

Indem er eigenmächtig deren territoriale Gliederung verändert hätte. In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 417 ff. 223 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 419. 224 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 417. 225 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 425 . 226 Ob eine Entscheidung Hitlers hierfür ausschlaggebend gewesen ist, ließ sich den Akten nicht entnehmen. 227 Vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 462. 221

222

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungs behörden

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ff) Der (erste) Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 13.11.1934 Sein Entwurf eines "Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches"228 basierte denn auch auf dem Grundgedanken, die Gebietsreform in zwei Phasen ablaufen zu lassen (daher die Bezeichnung als "Erstes Gesetz"): Zuerst sollten lediglich die norddeutschen Klein- und Mittelstaaten Preußen einverleibt werden, während die übrigen Länder weiterbestehen sollten. Für später war eine umfassende territoriale Neuordnung geplant, wobei innerer Aufbau und Struktur der zu schaffenden Gaue ansatzweise alten preußischen Vorbildern entsprochen hätten. Mit dem Ersten Neugliederungsgesetz wollte man die erste Phase der Territorialreform in Angriff nehmen. Vorgesehen war deshalb die Integration Mecklenburgs, Oldenburgs, Braunschweigs, Anhalts, der beiden Lippe sowie Lübecks in den preußischen Staat, wobei Mecklenburg und Schleswig-Holstein offenbar im Vorgriff auf einen später zu errichtenden Reichsgau gleichen Gebietsumfangs eine neue Provinz "Nordmark" bilden sollten. 229 Die Länder Oldenburg, Braunschweig, Lippe und Schaumburg-Lippe hätten dem Entwurf zufolge mit der preußischen Provinz Hannover vereinigt werden sollen, Oldenburg und Braunschweig daneben einen preußischen Regierungsbezirk gebildet. Die beiden Lippe wären innerhalb des Regierungsbezirkes Hannover in mehrere Landkreise aufgeteilt worden. 230 Bezogen auf das Land Anhalt war eine Angliederung an die Provinz Sachsen und den Regierungsbezirk Magdeburg beabsichtigt. 231 Von enormer Auswirkung wäre daneben noch Artikel VI § 11 gewesen, welcher regelte, daß die Reichsstatthaltereien in den in Preußen aufgehenden Ländern mit dem Tage der Vereinigung erlöschen sollten. Schon allein dieser Umstand mußte lebhaftesten Widerstand in Kreisen der Partei und der ihr ergebenen Statthalter hervorrufen, bedeutete er doch nichts anderes als einen Affront gegen die Machtinteressen der "Bewegung". 232 Die NSDAP war indes auch sonst nicht untätig geblieben. Anders als das Reichsinnenministerium, das sich von seinen ursprünglichen Territorialreformplänen immer deutlicher zurückzog, drängten Wagner und Heß auf eine kurzfristige Entscheidung des "Führers" über die künftige Gaugliederung. 233 Das Referat 228 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 462. 229 Art. I § 1 I, 11 des Gesetzentwurfes. 230 Art. I § 2 I - IV des Gesetzentwurfes. 231 Art. I § 3 des Gesetzentwurfes. 232 Beachte insoweit die Beschwerden Loepers (unten B 11 4 a». 233 Entsprechende Forderungen der Partei lassen sich dem Bericht Crämers für Frick vom 5.10.1934 über ein Gespräch mit Wagner entnehmen; Bundesarchiv, Akte R 18/ 375, BI. 44 f., 45.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Reichsrefonn beim "Stellvertreter des Führers" schien zur bestimmenden Kraft in der Neugliederungsfrage zu werden. Offensiv traten deren Repräsentanten mit ihren Vorschlägen an die Öffentlichkeit, welche dort einen gewaltigen Widerhall fanden. 234 Wilhelm Frick mußte sich also nach neuen Verbündeten umsehen, wenn er der Propagandamaschinerie der Partei nicht unterliegen wollte. Nur so ist zu erklären, warum der Reichsinnenminister am 15. November 1934 vor Reichswehroffizieren einen Vortrag in besagter Angelegenheit hielt, der später überdies veröffentlicht wurde! 235 Frick machte in Gegenwart der Offiziere nochmals deutlich, daß es zu einer Gebietsrefonn kommen werde, in deren Rahmen ca. 20 Reichsgaue mit Reichsstatthaltern an der Spitze geschaffen werden würden. Die Gaugrenzen sollten, wie bis dahin geplant, nach geographischen, volklichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt werden, jedoch - und dies war neu und offenbarte Entgegenkommen gegenüber der Anneeführung - unter weitergehender Anlehnung an die Wehrkreiseinteilung des Reiches! 236 Derartige Verlautbarungen machten das jetzt aufkommende Durcheinander von Refonnüberlegungen nur noch größer. Mehr als einen Achtungserfolg konnte die Reichsinnenverwaltung mit ihrer Fühlungsaufnahme zur Annee deshalb nicht verbuchen. Als alles nichts mehr half und die Partei zur unkalkulierbaren Gefahr zu werden schien, zog Frick schließlich die Notbremse: Er erreichte ein (neuerliches) Verbot jeglicher öffentlicher Diskussion der Reichsrefonnfrage durch Hitler. 237 Damit war zwar zugleich Fricks eigenen Interessen geschadet, doch hatte wenigstens ein Erfolg der Gaurefonnpläne Adolf Wagners verhindert werden können. Trotz aller Friktionen blieb im Reichsinnenministerium auch nach 1934 der Glaube an eine zeitlich versetzt in zwei getrennten Abschnitten zu realisierende Territorialrefonn ungebrochen, wie die weiteren Kodifikationsbemühungen zeigen. gg) Der zweite Entwurf eines ,,Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches" vom 23. April 1935 Der vom 23. April 1935 datierte zweite Entwurf des Ersten Neugliederungsgesetzes 238 weist gegenüber dem Vorentwurf vom November 1934 nur geringfügige 234 Siehe etwa die Reaktionen auf das Referat Wagners bei der Gauleitertagung im Oktober 1934 in Dresden; ausführliche Pressemitteilung im "Völkischen Beobachter", Berliner Ausgabe, Nr. 279 vom 6.10.1934. 235 Frick, Der Neubau des Dritten Reiches, earl Heymanns Verlag, Berlin 1935. 236 Frick, Der Neubau des Reiches, S. 36 ff., 40. 237 Siehe die vervielfältigte Abschrift eines entsprechenden Rundschreibens des Reichs- und Preußischen Innenministers an die Reichsminister, Länderregierungen usw. vom 9.4.1935; in: Bundesarchiv, Akte R 21; siehe auch Schreiben von Lammers an den Reichsinnenminister vom 25.6.1935 in Bundesarchiv, Akte R 43 II/496, BI. 129.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Änderungen auf; mit Hilfe dieser Modifikationen sollte anscheinend die Gebietsstruktur vervollkommnet werden. So war nunmehr geplant, Rostock anstelle von Schwerin zum Sitz des vorgesehenen Mecklenburger Regierungsbezirkes zu machen,239 das bisherige Land 01denburg mit dem Regierungsbezirk Aurich zu einem neuen Regierungsbezirk Oldenburg zusammenzufassen 240 und das Land Braunschweig mit dem preußischen Regierungsbezirk Hildesheim zu einem neuen Regierungsbezirk Braunschweig zu vereinigen. 241 Die sehr problematische Regelung, wonach die Reichsstatthalterämter in den mit Preußen verschmolzenen Ländern erlöschen sollten, wurde beibehalten. 242 Widerstand hiergegen wäre sicher gewesen. hh) Neue Anläufe zur Verwirklichung der Gebietsreform; der Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltung im Reich Gründe der Rücksichtnahme Hitlers auf altgediente Parteikader werden dazu beigetragen haben, daß das ,,Erste Gesetz über die Neugliederung des Reiches" auch in seiner leicht abgeänderten Fassung nie in Kraft getreten ist. Vom gleichen Schicksal ereilt wurde übrigens ein von Ministerialrat Medicus am 22. September 1935 vorgelegter Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltung im Reich, 243 durch das wenigstens die Vielzahl preußischer (u. a. im UntereIbegebiet), mecklenburgischer (u.a. Rossow und Netzeband)244 und oldenburgischer Enklaven beseitigt sowie die Länder Anhalt, Lippe, Schaumburg-Lippe und Lübeck mit Preußen vereinigt werden sollten. 245 Frick stand somit Ende 1935 mit leeren Händen da, 246 obwohl die Gebietsreform wegen zunehmender Separierungstendenzen von Reichsfachverwaltungen und Statthalterbehörden nötiger denn je geworden war. 238 Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 23.4.1935; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 127 ff. 239 Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 127 (Art. I § 1 11 des Gesetzentwurfs). 240 Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 129 (Art. I § 2 11 des Gesetzentwurfs). 241 Art. I § 2 III des Gesetzentwurfes; vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 129. 242 Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 139/141. 243 In: Bundesarchiv, Akte R 18/373, BI. 182 ff. 244 Gebietsbereinigung insofern später teilweise erfolgt durch § 9 des sog. GroßHarnburg-Gesetzes vom 26. 1. 1937 (RGBI. Teil I, BI. 91 ff.). 245 Der Entwurf stieß angesichts der "bekannten Stellungnahme des "Führers" bereits bei Frick auf Skepsis, wie Staatssekretär Pfundtner in einem Vermerk vom 29.10.1935 konstatierte (in: Bundesarchiv, Akte R 18/373, BI. 139 f.). 246 Hinweise hierauf auch in einem Vermerk von Ministerialrat Medicus vom 15.11.1935 (in: Bundesarchiv, Akte R 18/373, BI. 179): Medicus schreibt darin, daß nach einer neuesten Weisung des Herrn Ministers (Frick), die offenbar auf einen Vortrag beim "Führer" zurückgehe, zur Zeit von der Weiterführungjeglicher territorialer Reformmaßnahmen abgesehen werden soll.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Belege für das immer schnellere Zerfasern der allgemeinen Reichsverwaltung lassen sich viele finden. Etwa in einer Denkschrift Wilhelm Stuckarts, des zwischenzeitlich zum Nachfolger des geschaßten Helmut Nicolai berufenen neuen Innenstaatssekretärs, vom April 1936. 247 Stuckart konstatiert darin ein "Stocken der Reichsreform", welches die Fachressorts veranlasse, auf eigene Faust Umbauten und Veränderungen vorzunehmen. Dadurch entstünde aber eine unüberschaubare Vielheit divergierender Verwaltungsgliederungen, so daß es zwangsläufig zu einer Atomisierung der Behördenstrukturen kommen müsse, wenn nicht bald eine "grundsätzliche Entscheidung über die zukünftige räumliche Gestaltung der Gaue und Regierungsbezirke" erfolge. Alle Versuche, dem "Führer" eine Entscheidung über die Gaueinteilung des Reiches abzuringen, blieben indes vergebens. ii) Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung Dem Schicksal, Hitlers Ablehnung zu verfallen, entging der als "letzter Versuch" anzusehende Gesetzentwurf vom 1. Januar 1937 248 folglich ebensowenig wie die früheren Planungen. Abgesehen vom anderslautenden Titel basieren seine Regelungen eindeutig auf den am 13.11.1934, am 23.4.1935 und am 22.9.1935 gemachten Vorschlägen. Die andersartige Bezeichnung des Gesetzes und das Fehlen von Hinweisen auf eine kommende Reichsgaubildung machen jedoch bereits deutlich, daß 1937 an eine wirkliche, grundlegende Territorialreform nicht mehr gedacht werden konnte. Folgende Abweichungen gegenüber den Vorentwürfen vom 13. 11. 1934 und 23.4.1935 sind feststellbar: (l) Mecklenburg sollte nicht mehr nach Preußen eingegliedert werden, sondern

selbständig bleiben.

(2) Von der Schaffung einer Provinz "Nordmark" wurde abgesehen (logische

Folge der Nichteingliederung Mecklenburgs).249

Anders als nach dem Entwurf vom 22.9. 1935 war ferner keine Gebietsenklavenbereinigung mehr vorgesehen. Bis 1937 waren also die geplanten Territorialre247 "Vorläufige Stellungnahme zu der Denkschrift des Reichsstatthalters in Thüringen" vom 1.4.1936, Verfasser: Wilhelm Stuckart; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 7. 248 Entwurf eines ,,zweiten* Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung" vom 1.1.1937; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5443, BI. 113 ff. * Das in diesem Rahmen nicht interessierende Erste Gesetz zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung ist am 27.2. 1934 erlassen worden (RGBI. 1934, Teil I, S.130). 249 Eine Regelung bezüglich der Bildung der Provinz Nordmark fehlt in dem Entwurf nämlich, vgI. Bundesarchiv, Akte R 18/5443, BI. 133 ff.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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formmaßnahmen zahlenmäßig und inhaltlich weiter minimiert worden. Es konnte - wie ansatzweise schon Ende 1935 - einzig und allein noch darum gehen, den "Zwergstaaten" Braunschweig, Anhalt, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und Lübeck den Todesstoß zu versetzen. Selbst hierzu konnte man sich letztlich aber doch wieder nicht entschließen. Denkbar ist, daß der "Führer" aufgrund weiterer Proteste der für die aufzulösenden Länder bestellten Reichsstatthalter 250 insoweit ein Machtwort gesprochen hat, denn 1941 zerstreute der Parteigauleiter von Südhannover-Braunschweig die Befürchtungen des braunschweigischen Ministerpräsidenten Klagges um sein Amt mit folgenden Worten: "Das Land Preußen bleibt nach der ausdrücklichen Entscheidung des "Führers" ebenso wie das Land Braunschweig bis zur Reichsreform im wesentlichen unberührt."251

b) GebietsreJormvorsteliungen von seiten der Reichsstatthalter und Länderministerien aa) Die Gliederungskonzeption der Anhaltinischen Staatsregierung sowie des Reichsstatthalters in Braunschweig und Anhalt Wie soeben schon angedeutet, mußten die auf eine ersatzlose Aufhebung bestehender Statthaltereien hinauslaufenden Reformpläne Nicolais und der Reichsinnenverwaltung bei den hiervon betroffenen Personen ein starkes (negatives) Echo hervorrufen. Das galt insbesondere für Nicolais Konzeption, die seit ihrer Veröffentlichung im Sommer 1933 weite Verbreitung gefunden hatte. Als einer der verbittertsten Kritiker des damaligen Innenstaatssekretärs entpuppte sich einmal mehr der Reichsstatthalter in Braunschweig und Anhalt, Loeper. Loeper protestierte, in echter Territorialfürstenmanier, vor allem gegen die von Nicolai vorgeschlagene Vernichtung des "tausendjährigen Anhalt";252 kein Wunder, wollte er doch eine Schwächung der eigenen Machtposition auf keinen Fall hinnehmen. Im gleichen Zusammenhang schlug Loeper - zunächst recht nebulös - vor, das Reich in eine größere Anzahl kleiner Gebiete mit jeweils etwa drei Millionen Einwohnern (anstelle von etwa fünf Millionen pro Gau nach dem Arbeitspapier des Reichsinnenministeriums von September 1933) einzuteilen. 250 Dazu siehe sogleich B III 4. 251 Schreiben des Parteigauleiters von Südhannover-Braunschweig an den braunschweigischen Ministerpräsidenten Klagges vom 11. 2. 1941, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1365 b, BI. 30. 252 Brief Loepers an Staatssekretär Lammers (Reichskanzlei) vom 23.11.1933; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/495, BI. 17. 12 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Er präzisierte seinen Gliederungsvorschlag dann aber in dem Anschreiben zu einem der Reichsregierung übersandten Reformpapier der Anhaltinischen Staatsregierung. 253 Diesem Anschreiben zufolge sollte sich die Gaueinteilung des Reiches an die vorhandenen Parteigaue anlehnen. Loeper verfocht also in der Territorialreformfrage uneingeschränkt NSDAPInteressen: Jedem Parteigewaltigen ein Staatsamt, jeder Gauleiter ein Reichsstatthalter! 254 Der vorstehend erwähnten Denkschrift der Anhaltinischen Staatsregierung 255 kommt vor allem deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil ihre Verfasser ein mehr oder weniger geschlossenes Gliederungsgesamtkonzept entwickelten. Das Konzept dürfte allerdings maßgeblich von Loeper, dem wohl eigentlichen Urheber der Schrift, beeinflußt worden sein. So heißt es nämlich gleich zu Beginn im Hinblick auf die bei der Reform zu berücksichtigenden Grundsätze, es müßten Eingriffe in "altüberkommene, tief im Volks willen verwurzelte Einrichtungen und Zusammenhänge" vermieden werden. Die dem Nationalsozialismus immanente Ehrfurcht vor der Geschichte verbiete es, historische Gebilde, die sich über ein Jahrtausend lang als Träger des deutschen Geistes- und Wirtschaftslebens bewährt hätten, ohne zwingende Gründe, lediglich um irgendwelcher doktrinärer Anschauungen willen, zu zerpflücken. 256 Das Land Anhalt sollte demnach erhalten bleiben oder wenigstens als ganzes in einem neuen, größeren Reichsgau aufgehen. 257 Auf diese Weise hätte Loeper seine territoriale Bastion halten können. Die Forderung nach umfassender gebietlicher Neugliederung des Reiches ist somit im Zusammenhang mit dem Machtstreben der "Landesfürsten" zu sehen: Die Reichsstatthalter in den deutschen Zwergstaaten propagierten eine zügige Realisierung der gebietlichen Neueinteilung des Reiches insbesondere deswegen, weil sie befürchten mußten, im Falle einer zwei stufigen Gaureform, wie sie der Reichsinnenverwaltung vorschwebte, ihre Ämter zu verlieren. Anknüpfend an ihre Ausgangsposition tritt die Anhaltinische Staatsregierung im folgenden dafür ein, die preußischen Provinzen bzw. Regierungsbezirke unversehrt bestehen zu lassen, sie demnach nicht zu zerschlagen. 258 253 Brief Loepers an Lammers vom 5.12.1933; in: Akten des Bundesarchivs, R 43 II/495, BI. 49 f. 254 In der Verfassungswirklichkeit existierten damals noch mehr ParteigauleitersteIlen als Reichsstatthalterposten, nicht alle Gauleiter waren also gleichzeitig Reichsstatthalter. 255 Denkschrift der Anhaltinischen Staatsregierung über die Reichsreform und die Gliederung der Länder, in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 28 ff. 256 Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 29. 257 Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 30. 258 Dies ist offenbar auf Nicolai gemünzt, der die ,,restlose Zerschlagung" der Provinz Sachsen und ihre Aufteilung in zwei Hälften, nach Thüringen oder den Freistaat Sachsen

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Als Gliederungsprinzipien werden genannt: 1. die Berücksichtigung von Stammeseigentümlichkeiten sowie der geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge; 2. die verwaltungstechnische Zweckmäßigkeit der Einzelrnaßnahmen. Insofern ergaben sich daher Abweichungen von der parteioffiziellen Position Adolf Wagners und Karl Haushofers. 259 Die Anhaltinische Staatsregierung geht weiter davon aus, daß Größe und Anzahl der künftigen "Reichsländer" (gemeint sind damit die Reichsgaue, also die Rechtsnachfolger der bisherigen Länder) davon abhingen, wie man die Aufgaben zwischen Ländern und Reich aufteile: 260 Behielten die Länder die gesamte Verwaltung und Justiz (nach dem Rechtszustand von 1933), während das Reich für sich die gesamte Gesetzgebungs- und Verordnungsgewalt in Anspruch nähme, könnten die Gaue jede beliebige Größe haben; es könnten auch weniger, aber größere Reichsländer (etwa 12-15) geschaffen werden. Würde man hingegen auch die Verwaltung in oberster Instanz dem Reich zuweisen, sollten, um eine effektive, übersichtliche Verwaltung auf Länderebene zu schaffen, kleinere Reichsländer mit je etwa zwei bis dreieinhalb Millionen Einwohnern geschaffen werden. Diese zweite Lösung wird von der Anhaltinischen Regierung für sachdienlich erachtet; sie stünde allerdings im Gegensatz zu der veröffentlichten Gliederungsplanung Nicolais. Im Vergleich mit den Gliederungsvorschlägen des Reichsinnenministeriums ist festzustellen, daß die dort vorgesehenen Gaue im Durchschnitt mehr Einwohner besessen hätten (wenn man von dem Gliederungsplan nach dem Referentenentwurf 11 vom 27.4.1934 ausgeht). Hierauf aufbauend schlägt die Anhaltinische Staatsregierung für den mitteldeutschen Raum die Bildung folgender Reichsgaue vor: 261 Falls weniger, aber größere "Reichs länder" geschaffen werden sollten, sollte das Gebiet in die drei Verwaltungskörper Obersachsen (das bisherige Land Sachsen umfassend), Thüringen (das bisherige Land Thüringen und die preußischen Regierungsbezirke Kassel und Erfurt sowie die hessische Provinz Oberhessen umfassend) sowie ein ein drittes, und zwar die preußische Provinz Sachsen (mit Ausnahme des Regierungsbezirks Erfurt) und die bisherigen Länder Anhalt und Braunschweig umfassendes Reichsland, gegliedert werden. Wollte man hingegen mehr, dafür aber kleinere "Reichs länder" schaffen, sollten die Regierungsbezirke Magdeburg und Merseburg der preußischen Provinz Sachsen mit dem bisherigen Land Anhalt zusammengeschlossen werden. einerseits und nach der Provinz Brandenburg andererseits (Ausdrücke von Loeper in einem Schreiben an Lammers vom 23. 11. 1933; Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 17) verlangt hatte. 259 Siehe oben B II 2 b). 260 Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 32 f. 261 Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 35 f. 12*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Beide vorgeschlagenen Regelungen stehen zwar im Gegensatz zu den Gliederungsplanungen Nicolais, denn dieser hatte, wie auch das Arbeitspapier des Reichsinnenministeriums vom 15.9.1933, in der Tat eine ,,zerschlagung" des Anhaltinischen-Sächsischen Raumes zugunsten Sachsens, Thüringens und Brandenburgs vorgesehen. Interessanterweise lief aber die weitere Gliederungsplanung auf der Ebene des Reichsinnenministeriums in die Richtung der Vorstellungen der Anhaltinischen Staatsregierung: So war im Referentenentwurf 11 über die Neugliederung des Reichs und im ersten Entwurf des Reichsneugliederungsgesetzes die Bildung eines Landes Ostfalen vorgesehen, das die preußischen Regierungsbezirke Magdeburg und Merseburg (letzteren nur zum Teil) sowie das bisherige Land Anhalt umfassen sollte und neben die Länder Sachsen und Thüringen getreten wäre. Damit dürfte die Intervention der Anhaltinischen Regierung, wenngleich aus lokal politischen Gründen erfolgt, maßgeblich zu der Änderung der Gliederungsmaßnahmen des Reichsinnenministeriums für diesen Raum beigetragen haben. bb) Die Konzeption des Reichsstatthalters in Baden für eine territoriale Neuordnung im südwestdeutschen Raum Auch die Vorstellungen des Reichsstatthalters in Baden, Robert Wagner,262 zur territorialen Neugliederung im südwestdeutschen Raum 263 sind Ausdruck individuellen Machtstrebens. Wagner tritt nämlich für die Schaffung eines das bisherige Land Baden sowie die Pfalz und das Saargebiet umfassenden Reichsgaues, einer wie er schreibt, "südwestdeutschen Grenzmark" ein. 264 Überdies wollte er die Möglichkeit offengehalten wissen, der Grenzmark weitere, vor allem württembergische Gebiete anzugliedern. Dabei erschien es ihm jedoch wichtig zu betonen, nicht Stuttgart, sondern Karlsruhe müsse die Hauptstadt des Gaues sein. 265 Es ist somit ganz klar, was der badische Statthalter vor allem bezweckte: eine Erweiterung seines Herrschaftsbereiches. Daß sich Wagner umgekehrt allerdings Sorgen um sein Amt und folglich um seine "Hausmacht" machen mußte, zeigen die Planungen der Reichsinnenverwaltung. Nach dem Arbeitspapier vom 15.9.1933 war eine Vereinigung von Baden 262 Nicht zu verwechseln mit Adolf Wagner, dem bayerischen Innenminister und Leiter des Referats Reichsreform in der Münchener Parteizentrale. 263 In: Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 110 ff. 264 Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 112, 113; Wagner begründet dies damit, daß es gerade an der Grenze zu Frankreich einer einheitlichen Gliederung des Reichsgebietes bedürfe, um eine einheitliche Bearbeitung aller für das Grenzgebiet bedeutsamen politischen, kulturellen und militärischen Fragen zu erreichen (BI. 112) und das betreffende Gebiet auch wirtschaftlich eine Einheit darstelle. 265 Bundesarchiv, Akte R 43 11/495, BI. 113.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungs behörden

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und Württemberg zum Gau "Rheinschwaben" vorgesehen, und der Referentenentwurf 11 hatte für Südwestdeutschland die Bildung einerseits eines aus Nordbaden, der Pfalz und dem Saarland bestehenden sowie andererseits eines sich aus Südbaden und Württemberg-Schwaben zusammensetzenden Reichsgaues zum Gegenstand. Der Reichsstatthalter von Baden hätte in beiden Fällen nicht sicher sein können, seine "althergebrachte" Stellung behaupten zu können. Dementsprechend wendet sich Wagner in seinem Schreiben gegen eine Zerschlagung Badens. Insbesondere die Angliederung dessen Südteils an Württemberg-Schwaben (Wagner nimmt also erkennbar auf den Referentenentwurf 11 Bezug) würde seiner Meinung nach außer acht lassen, daß zwischen jenen Gebieten kaum wirtschaftliche Beziehungen vorhanden seien und der Sperriegel des Schwarzwaldes die Entwicklung solcher auch gar nicht zuließe. 266 Die hiernach zu konstatierenden Versuche von Reichsstatthaltern, aktiv Einfluß auf die Neugliederungsbemühungen der Innenverwaltung zu nehmen, sind Indizien einer Territorialisierung der Befehlsstrukturen. Immer öfter redeten die Territorialfürsten in Fricks Geschäftsbereich hinein. 267 Ansätze für ein Nebenund Durcheinanderregieren fanden sich überall, sei es innerhalb der Reichsfachverwaltungen, sei es zwischen Reichs- und "Landes" -Verwaltung; und dies, obwohl Deutschland ein Einheitsstaat mit starren Weisungsverhältnissen von oben nach unten sein sollte. Die Statthalter machten Druck, denn sie wollten nicht im Gefolge der Reichsreform ausgeschaltet und kaltgestellt werden. Sobald sie von ihnen gefahrlichen Überlegungen des Reichsinnenministeriums erfuhren, opponierten sie energisch. Es war einzig und allein eine Machtfrage, wer sich am Ende durchsetzte. Die Macht jedes einzelnen aber hing von Hitler ab .... cc) Der Reichsneugliederungsplan des württembergischen Reichsstatthalters Murr Mit seinen Gebietsreformvorschlägen mußte sich Robert Wagner in einen fast schon zwangsläufigen Gegensatz zu dem Reichsstatthalter für Württemberg Murr hineinmanövrieren. Gerade Murr war ebenfalls nicht gewillt, seine territoriale Basis aufzugeben. Wenn er deshalb vorschlug, in Südwestdeutschland einen Reichsgau "Neckar", bestehend aus Baden, Württemberg und einem Teil Bayerisch-Schwabens einzurichten, 268 dann bestimmt nicht, um dem badischen Gauleiter das Reichsstatthalteramt zu überlassen. Man kann daraus die Schwierigkeiten ersehen, mit denen Nicolai und seine Beamten zu kämpfen hatten: Einerseits Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 115. Dazu siehe noch unter B III 4. 268 Murr, Denkschrift zur Gaueinteilung des Deutschen Reiches vom 29. 12.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/496, BI. 70 ff., hier S. 116. 266 267

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhä1tnisses

hatten sie, vermutlich weil Hitler ihnen nicht genügend Hilfe zukommen ließ, auf die Vorstellungen der Reichsstatthalter Rücksicht zu nehmen, andererseits war aber eine Verwirklichung aller von außen kommender Pläne schon rein tatsächlich unmöglich. Über die auf Machterhaltung und -ausbau gerichteten Interessen Murrs kann auch nicht hinwegtäuschen, daß der württembergische Statthalter relativ bescheiden ausführte, Württemberg allein besitze an sich schon typische Strukturen eines künftigen Reichsgaues; falls man hingegen eine weitergehende Umgestaltung durchzuführen wünsche, erscheine eine Vereinigung Württembergs mit Baden (in den bisherigen Grenzen) sachgerecht. 269 Denn entscheidend ist, daß Murr in seinem Gliederungsplan, dem Kernstück der Denkschrift, von einer Zusammenlegung beider Länder ausgeht. Im einzelnen sollten Murr zufolge unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, topographischer und bevölkerungsmäßiger Aspekte (z.T. Abweichungen gegenüber Adolf Wagner!) die nachstehend genannten Reichsgaue geschaffen werden: 270 (1) Neckar; (2) Bayern (die bisherigen bayerischen Regierungsbezirke Ober- und Niederbayern umfassend); (3) Main (die bisher bayerischen Regierungsbezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken sowie die Oberpfalz umfassend); (4) Rhein (das südliche Rheinland, die Pfalz, die südlichen Regierungsbezirke Hessens und Teile der preußischen Provinz Hessen-Nassau umfassend); (5) Ruhr (das nördliche Rheinland sowie die westlichen Gebiete der preußischen Provinz Westfalen umfassend); (6) Weser (den westlichen Teil der preußischen Provinz Hannover, Bremen und das Land Oldenburg umfassend); (7) Niedereibe (Schleswig-Holstein, den nördlichen Teil der Provinz Hannover - Altes Land, Lüneburg -, Hamburg, Lübeck und das westliche Mecklenburg umfassend); (8) Mitteleibe (das mittlere Elbe- und Wesergebiet, d.h. den südlichen Teil der preußischen Provinz Hannover, den östlichen Teil der Provinz Westfalen, den preußischen Regierungsbezirk Magdeburg der Provinz Sachsen und das Land Braunschweig umfasend);

269 270

Bundesarchiv, Akte R 43 11/496, BI. 73.

Murr, Denkschrift, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/496, BI. 70, 116 ff. (Anlage

10 zur Denkschrift).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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(9) Werra (das Land Thüringen, den nördlichen Teil der Provinz Hessen-Nassau sowie des Hessen-Darmstädtischen Regierungsbezirk Oberhessen umfassend); (10) Sachsen (das Land Sachsen und den östlichen Teil der preußischen Provinz Sachsen umfassend); (11) Schlesien (den preußischen Regierungsbezirk Oberschlesien sowie Teile des Regierungsbezirks Niederschlesien der Provinz Schlesien umfassend); (12) Ostmark (den südlichen Teil Pommerns, die Grenzmark Posen-Westpreußen, die Neumark und Teile der Uckermark sowie das Oderbruch umfassend); (13) Pommern (den nördlichen Teil Pommerns sowie das östliche Mecklenburg umfassend); (14) Brandenburg (die Kurmark mit Ausnahme von Teilen der Uckermark, die östliche Prignitz sowie die nördliche Lausitz umfassend); (15) Ostpreußen. Der Gliederungsentwurf ~urrs stimmt in Teilen mit Planungen des Reichsinnenministeriums überein, weicht aber auch zum Teil deutlich davon ab. Ähnlich dem Vorschlag Adolf Wagners erfolgt bei Murr im Rheinland eine weitreichende Vernetzung der linksrheinischen mit den rechtsrheinischen Gebieten (weiter als nach derjenigen, wie sie im Referentenentwurf 11 des Reichsinnenministeriums vorgesehen war); eine tendenziell horizontale Gliederung Westdeutschlands also. Der Rhein sollte ganz offensichtlich kein Grenzfluß werden. In bezug auf die Gliederung im norddeutsch-niedersächsischen Gebiet fällt auf, daß die von Murr vorgeschlagenen Gaue Niedereibe und Pommern im wesentlichen den im Reichsinnenministerium geplanten Gauen Nordmark (Friesland) und Pommern entsprechen. Erhebliche Abweichungen gegenüber der reichsamtlich vorgesehenen Regelung weist aber Murrs Gliederung des mitteldeutschen Gebietes auf. Anders als dort (und im übrigen auch als nach der von der Anhaltinischen Regierung vorgeschlagenen Regelung) bildet Murr keinen ostfälischen Gau, sondern teilt die preußische Provinz Sachsen in die Gaue Mitteleibe, Werra und Sachsen auf (insofern Parallele zu dem im Arbeitspapier des Reichsinnenministeriums enthaltenen Gliederungsplan); auch sollte kein die größten Teile der preußischen Provinz Hannover umfassender Gau "Engern" entstehen, sondern dieses Gebiet in die Gaue Weser, Mitteleibe und Niedereibe aufgeteilt werden. Zusammenfassend ist festzustellen, daß Murr einen radikalen Umbau bestehender Verwaltungsstrukturen vorhatte. Dies gibt seinem Werk einen wahrhaft revolutionären Charakter. Von besonderer Bedeutung ist ferner, daß der württembergische Statthalter historische Gegebenheiten weitgehend unbeachtet ließ und sich

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

damit in unauflösliche Gegensätze zum Reichsinnenministerium brachte, dessen Planungen ja gerade auf derartigen Überlegungen beruhten. Dies rechtfertigt es, von einem Dualismus zwischen Innenverwaltung und "Landesfürsten" nicht nur bezogen auf das zukünftige Entfallen von Reichsstatthalterämtem, sondern auch bezüglich der bei der Territorialreform anzuwendenden Gliederungsprinzipien zu sprechen. dd) Görings Neugliederungsvorstellungen, insbesondere in bezug auf Ostpreußen Lange nachdem die Gebietsreform gescheitert oder besser offiziell zurückgestellt 271 worden war, nachdem der Gauleiter von Südhannover-Braunschweig demzufolge Entwarnung in der Frage der Auflösung des Landes Braunschweig geben konnte, wagte der preußische Ministerpräsident Göring noch einmal einen Vorstoß zur Lösung der Neugliederungsproblematik. Die wahren Hintergründe hierfür sind unbekannt; sie lassen sich den noch vorhandenen Akten nicht entnehmen. Es kann aber soviel gesagt werden, daß Göring den Reichsministerien grundsätzlich wohlwollend gegenüberstand. Immerhin war er ja auch Reichsminister 272 und kannte die in der Verwaltung auftretenden Schwierigkeiten. Da Göring im Laufe der Jahre eine unüberschaubare Zahl von Staatsämtern auf sich vereinigen konnte und lange Zeit273 als Hitlers Kronprinz galt, brauchte er überdies weniger strikt auf die Erhaltung seiner Macht bedacht zu sein als andere. Dem preußischen Ministerpräsidenten war, als er am 19.2.1941 bei Hitler vorsprach, wohlbekannt, daß der "Führer" unterdessen alle Reformmaßnahmen auf die Zeit nach Kriegsende verschoben hatte. 274 Dennoch regte er die sofortige Einrichtung eines Reichsgaues Ostpreußen im Vorgriff auf die Neugliederung an. 275 Die Reaktion, die daraufhin erfolgte, ist symptomatisch für das Verhältnis der Behördenchefs zu ihrem obersten "Führer". Zunächst wurde Zustimmung signalisiert, Hitler wünschte ausdrücklich, daß entsprechende Maßnahmen "umgehend Dazu siehe sogleich noch unter B III 3 b) dd). Für Luftfahrt. 273 Bis etwa 1941, als Bonnann Leiter der Parteikanzlei (Partei kanzlei hieß nach Heß' Englandflug 1941 die Verwaltung des Führerstellvertreters; siehe im einzelnen dazu Rebentisch in Jeserich / Pohl/ von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 762 f.) wurde und wesentliche Staatsbefugnisse an sich riß. 274 Zu Hitlers Moratorium in Reichsrefonnfragen siehe das Schreiben des Parteigauleiters Südhannover-Braunschweig an Ministerpräsident Klagges vom 11. 2. 1941; Bundesarchiv, R 43 11/1365 b, BI. 30. 275 Vgl. Schreiben des Reichsleiters der NSDAP Bonnann an Reichsminister Lammers vom 22.2.1941; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/1365 b, BI. 1 f. 271

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III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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durchgeführt" würden. 276 Später muß aber ein Sinneswandel eingetreten sein, denn zu der Errichtung eines Reichsgaues in Ostpreußen kam es am Ende doch nicht. Hitlers persönliche Herrschaft zeichnete sich also durch ein Wechselspiel von Zusagen und Absagen, durch eine Unterstützung mal dieser, mal jener der vielen sich rivalisierend gegenüberstehenden Gruppierungen aus. Was an einem Tag zugesagt wurde, wurde am nächsten verweigert. Hierauf muß letztlich auch das Scheitern der Territorialreform zurückgeführt werden: Weil Hitler sich für keine der vielen vorgeschlagenen Neugliederungsmaßnahmen entscheiden konnte (oder wollte), blieb es bei wenigen unbedeutenden Aktionen in dieser Richtung. Das Neben- bzw. Gegeneinander von Reichsstatthaltern, sonstigen Parteigauleitern und Reichsministerien wurde dadurch aber nicht aufgehoben, sondern perpetuiert. 4. Behördliche Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne zur Lösung des Reich-/Länder-Problems Die Neuordnung des Verhältnisses des Reiches zu den Ländern bzw. künftigen Reichsgauen war neben der Territorialreform eine der Hauptstoßrichtungen nationalsozialistischer Reichsreformbestrebungen. 277 Hier ging es darum, die Leitbilder der nationalsozialistischen Weltanschauung einem ebenso demokratisch wie bürokratisch-funktionellen Staatsapparat aufzuoktroyieren. Während aber die Strukturprinzipien für den Umbau des vorgefundenen Behördenapparates weitgehend unumstritten waren, differierten die Vorschläge über deren verwaltungstechnische Realisierung zum Teil ganz erheblich.

a) Die nationalsozialistische StaatsauJtassung als Ausgangspunkt für auftretende Dissonanzen Ihren tieferen Grund hatten die Differenzen in der Unbestimmtheit der nationalsozialistischen Ideologie. Selbstverständlich ging das Reichsinnenministerium, das in erster Linie mit der Reform befaßt war, wie alle anderen Behörden und Parteidienststellen auch von den Prämissen Führerstaat, Einheitsstaat und Volksstaat 278 aus. 279, 280 Unstreitig war, daß der "Führer" nach unten autoritär, nach 276 Siehe insoweit das Schreiben Bonnanns an Lammers vom 22.2. 1941; Bundesarchiv, Akte R 43 11/1365 b, BI. 1. 277 Zum ganzen siehe insbesondere Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, 1969; Bracher / Sauer / Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, 1962; leserich / Pohl / von Unruh (Hrsg.), Deutsche VerwaItungsgeschichte, 1985, Band IV, insbesondere S. 732 ff. 278 Zum Begriff "Volksstaat" noch instruktiv Pfundtner, Die Quellen der geltenden Verfassung, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5434, BI. 79 ff., 81.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

oben hingegen "verantwortlich" handeln können sollte. 281 Welche Befugnisse ihm jedoch im einzelnen zustehen sollten, war damit ebensowenig klar wie die künftige Stellung der übrigen Verfassungsorgane. Der Teufel steckte, wie immer, im Detail, und hier gerieten Innenverwaltung und Parteiführung 282 aneinander. Beide Kontrahenten konnten sich insoweit auf dieselben ideologischen Grundprinzipien stützen, wie die folgenden Beispiele zeigen. aa) Die problematische Stellung der Reichsstatthalter Bestand zunächst weitgehende Einigkeit darüber, in der Person des "Führers" eine zentrale Leitungsinstanz zu schaffen und den Ländern ihre eigenständige Hoheitsgewalt zu entziehen - nur so war nämlich sichergestellt, daß sich der Wille des "Führers" bis in die untersten Verwaltungsgliederungen durchsetzen würde, so ergaben sich bereits entgegengesetzte Positionen hinsichtlich der Fragen, a) ob die Reichsstatthalter oder die Ministerpräsidenten die Verwaltung in der Mittelinstanz führen sollten, 283 b) ob die Reichsstatthalter der sachlichen und personellen Weisungsgewalt allein des "Führers" oder zusätzlich auch derjenigen des Reichsinnenministeriums unterstellt werden sollten 284 und c) welches Verhältnis die Partei zum Staat generell einnehmen sollte. 285 Dem Führerprinzip konform liefen formal alle hierzu vertretenen Auffassungen. Man konnte ebensogut sagen, die Ministerpräsidenten müßten an die Spitze der "Landes"verwaltung treten wie umgekehrt behaupten, den Statthaltern müsse diese Position zukommen. Fehlsam gewesen wäre weder die Meinung, die Reichsstatthalter als Leiter künftiger Reichsmittelbehörden dürften lediglich der Dienstaufsicht Hitlers unterliegen, noch die Ansicht, es bedürfe insoweit einer dienst279 Vgl. Frick, Vortrag vom 15.11.1934 über den "Neuaufbau des Dritten Reiches", C. Heymanns Verlag, Berlin 1935. 280 Zur nationalsozialistischen Staatsideologie siehe bereits oben A I. 281 Dieser Gedanke geht unmittelbar auf Hitler zurück, dazu oben A I. 282 Zu den Verfassungsreformprinzipien der NSDAP-Führung siehe oben B 11. 283 Dazu siehe bereits oben A 11 5 d). 284 Siehe oben A 11 5 c); für Dienstaufsicht allein des "Führers" vor allem die Reichsstatthalter; dagegen das Reichsinnenministerium; vgl. Frick, Der staats- und verwaltungsrechtliche Neuaufbau des nationalsozialistischen Staates (Vortrag, gehalten am 27. 1. 1938 vor der Verwaltungsakadernie Königsberg), Belegexemplar in: Bundesarchiv, Akte R 18/5435, BI. 319 ff., 333; zum ganzen auch Ehrensberger, Die neuen Reichsgaue, in: Deutsche Verwaltung 1939, S. 258 ff., 259 (gilt auch für das Altreich). 285 Hier trat die Reichsinnenverwaltung, wie wir bereits oben B 11 2 sahen, jedenfalls anfangs für eine unbedingte Scheidung beider Institutionen ein, während die NSDAP ebenfalls zumindest zunächst - die Parteiorganisation an die Stelle des alten Staates setzen wollte.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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rechtlichen Unterordnung unter die Reichsminister: Denn wie man es auch drehte und wendete, in beiden Fällen wären "nach oben verantwortliche, nach unten autoritäre" Führungsorgane ausgebildet worden. In gleicher Weise offen war die Ausgestaltung der Leitungsfunktionen auf Kreis- und Gemeindeebene, und dementsprechend setzte auch dort ein Kampf um Macht und Einfluß ein. 286 bb) Die Forderung nach einheitlicher Verwaltungsführung Was die weithin verlangte Zusammenfassung regionaler Verwaltungsaufgaben in Händen des jeweiligen Unterführers anbelangte, herrschte Streit über die im Reichsinnenministerium noch vorgesehene Aufrechterhaltung bestimmter Reichssonderverwaltungen; desweiteren blieben die nationalsozialistischen Herrschaftsträger darüber uneins, ob die obersten Reichsorgane sämtliche ihnen nachgeordneten Beamten direkt mit Weisungen versehen dürften oder der Weisungsweg immer über den Leiter der insoweit mitbetroffenen Behörde zu laufen habe. 287 Vom Grundsatz der Einheit der Verwaltung in der Mittel- und Unterinstanz her war jedenfalls, bezogen auf die Weisungsfrage, alles möglich, ging es dabei doch nicht um eine Perpetuierung des Behördenwirrwarrs schlechthin. cc) Dezentralisation und "Selbstverwaltung" Auch die Realisierung des Volksstaatgedankens und der darauf beruhenden Forderung nach Verwaltungsdezentralisation führte in der Praxis zu erheblichen Problemen: Nicht nur wegen des bestehenden Spannungsverhältnisses zum Führerprinzip,288 sondern vor allem wegen auftretender Meinungsverschiedenheiten über Art und Inhalt einer denkbaren Verlagerung von Exekutivaufgaben auf Länder, Kreise und Gemeinden. Dezentralisation konnte sowohl Neuinstallierung einer Art von örtlicher "Selbstverwaltung" (d. h. Übertragung von Hoheitsrechten zur mehr oder weniger eigenverantwortlichen Erledigung) als auch bloße Verlagerung erstinstanzlicher Entscheidungsbefugnisse von höheren auf untere Behörden bedeuten. Tendenziell läßt sich die Haltung der Reichsregierung dahingehend charakterisieren, daß sie - zumindest 1935 - "Selbstverwaltung" positiv gegenüberstand. 289 286 Siehe oben A 11 7. 287 In ersterem Sinn zeitweise die Reichsinnenverwaltung, im zweiten insbesondere die Reichsstatthalter, die eine Verringerung ihres Einflußbereiches nicht hinnehmen wollten. Siehe oben A 11 5 c), 5 d), 8 a). 288 Vgl. oben A I. 289 Zur grundsätzlich ebenfalls positiven Haltung der Parteiführung bezüglich Selbstverwaltung siehe ansatzweise bereits oben A II 7 und 8 a); die Divergenzen zwischen

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Dies beweist eine von der Verfassungs abteilung des Reichsinnenministeriums verfaßte Denkschrift "zur Frage der Gauselbstverwaltung im Rahmen der Reichsreform" . 290 In ihr werden erstmals diejenigen Gebiete aufgezählt, auf denen "Selbstverwaltung" verwirklicht werden könnte, nämlich (1) im Bereich des Straßenwesens der Bau und die Unterhaltung von (neu zu

klassifizierenden) Straßen minderer Bedeutung, etwa von örtlichen Straßen,291

(2) der Bereich der Volksfürsorge, 292

(3) der Bereich der Kulturpflege, vor allem die Denkmalspflege, der Naturschutz,

die Heimatpflege, das Volksbildungswesen, die Museen und die Förderung der Wissenschaft. 293

Die grundsätzlich positive Einstellung der Reichsinnenverwaltung zur Schaffung von Selbstverwaltung äußert sich demnach darin, Vorüberlegungen über künftige Selbstverwaltungsaufgaben anzustellen. Es dürften somit im Jahre 1935 konkrete Pläne zur Wiedereinführung einer Form relativ selbständiger Exekutivtätigkeit in Ländern, Kreisen und Gemeinden bestanden haben, die aber nicht verwirklicht worden sind. Man darf sich aber, was die Intensität jener Selbstverwaltung betrifft, keinen allzu großen Illusionen hingeben. Zwar enthält die Denkschrift keine Angaben über die im Bereich der Selbstverwaltung in Aussicht genommene Reichsaufsicht, angesichts eines seit Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung spürbaren Trends zur Verschärfung staatlicher Kontrollbefugnisse 294 kann aber wohl davon ausgegangen werden, daß keine bloße Rechtsmäßigkeitskontrolle stattfinden sollte. Hinzu kommt, daß nur relativ unbedeutende Sachfragen regional verselbständigt erledigt worden wären, wenngleich diese als solche für Selbstverwaltung auch im demokratischen Staat typisch sind (z. B. Kulturpflege, Straßenwesen). Insbesondere fehlt es an einer kommunalen bzw. regionalen Eigenzuständigkeit im Bereich der Polizei. Offenbar waren insoweit die Pfründen schon verteilt (namentlich zugunsten der Partei; Chef der - zentralisierten - Deutschen Polizei war ja SS-Chef Himmler),295 ein Spielraum für Dezentralisierung folglich nicht Innenverwaltung und NSDAP bezogen sich, wie noch zu zeigen ist, insbesondere auf den Umfang der Selbstverwaltungstätigkeit und bestanden vor allem nach 1935, als die Partei auf Kreis- bzw. kommunaler Ebene neue Herrschaftsbastionen aufbaute. 290 Denkschrift ,,zur Frage der GauselbstverwaItung im Rahmen der Reichsreform" vom 26.6.1935, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5438, BI. 149 ff. 291 Denkschrift ,,zur Frage der Gauselbstverwaltung"; Bundesarchiv, Akte R 18/ 5438, BI. 153, 155. 292 Bundesarchiv, Akte R 18/5438, BI. 157. 293 Bundesarchiv, Akte R 18/5438, BI. 161. 294 Dazu siehe ausführlich schon oben A 11 7., 8 a).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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mehr vorhanden. Von der Statuierung einer Allzuständigkeit für nicht reichswichtige Angelegenheiten des örtlichen Bereichs blieb man jedenfalls weit entfernt. Immerhin jedoch war nach der Denkschrift vorgesehen, Reichs- und Selbstverwaltungsaufgaben in getrennten Behörden zu erledigen. 296 Dies hätte die reale Möglichkeit eröffnet, eigene Beamte für die jeweiligen Selbstverwaltungskörperschaften anzustellen, wodurch denkbare mittelbare Einflußnahmen des Reiches auf die Selbstverwaltungsorgane minimiert worden wären. Offen gelassen wurde dagegen die Lösung des sich im Anschluß an Vorstehendes ergebenden Strukturproblems, ob die Leitung von Selbstverwaltungsbehörde und staatlicher Verwaltungsbehörde in der Hand einer Person zusammengefaßt oder beide Funktionen voneinander getrennt werden sollten. 297 Diesbezüglich fehle Entscheidungsreife, argumentierte der Denkschriftverfasser, zumal die Reichsstatthalter noch nicht zu Reichsmittelinstanzen der staatlichen Verwaltung ausgebaut seien. 298 dd) Die Stellung der NSDAP und die nationalsozialistische Ideologie Ein neuerliches Beispiel dafür, daß zwar nicht die Reichsreformprinzipien strittig waren, wohl aber deren Realisierung im Einzelfall, gibt die Kontroverse um den Einbau der NSDAP in den Staat ab. 299 Führende Kräfte der Partei traten insoweit für eine Übertragung von NSDAPStrukturen auf den Staat, ja sogar für eine Ersetzung des altüberlieferten Staates durch die Partei ein. In der Reichsinnenverwaltung setzte man sich demgegenüber für eine weitgehende organisatorische Trennung beider Institutionen ein; 300 gewisse gegenseitige Verbindungen sollten allein über Personalunionen hergestellt werden. Während Frick und seine nachgeordneten Beamten kurz nach der Machtübernahme aber noch verlangten, die Partei von jeglicher Verwaltungstätigkeit fernzuhalten, ging es später nur noch darum, die Zuständigkeitsbereiche von NSDAP und Reichsministerien exakt voneinander zu scheiden und auf diese Weise Kompetenzkonflikte zu verhindern. Im Laufe der Jahre mußten die Reichsministerien somit ihre Forderungen deutlich zurückschrauben. Siehe oben A II 4. Eine durchaus nicht selbstverständliche Haltung im nationalsozialistischen Deutschland, siehe dazu das Ostmarkgesetz, oben A II 8 a). 297 Das war einer der Streitpunkte damals; siehe noch weiter unter 4 b). 298 Denkschrift "Zur Frage der Gauselbstverwaltung ... ", Bundesarchiv, Akte R 18/ 5439, BI. 165. 299 Dazu vergleiche oben A II 4., 7 und weiter B III 1., 2. 300 Der Partei war dabei die Rolle der Hüterin der nationalsozialistischen Werte und der Vertreterin der Volksinteressen gegenüber dem Staat zugewiesen (oben A II 4. sowie auch Denkschrift des Anhaltinischen Staatsministers "Der Einbau der Partei in den Staat" vom 10.9. 1934; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/ 497, BI. 18ff., 24, 25). 295

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Daher muß betont werden, daß die Verfassungswirklichkeit am Ende der nationalsozialistischen Herrschaft eher durch ein unnormiertes Nebeneinander von Staat und Partei gekennzeichnet war als durch eine saubere Aufteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen. 301 ee) Die verwaltungsmäßige Untergliederung des Reichs als ungelöstes Problem der nationalsozialistischen Staatsauffassung Die nationalsozialistischen Verfassungsreformprinzipien konnten schließlich keine Auskunft darüber geben, wie das Reich unterhalb von Ländern bzw. Gauen gegliedert werden sollte. Für die Entscheidung der Frage, ob neben Kreisen und Gemeinden zusätzlich Regierungsbezirke zu schaffen seien, waren dementsprechend vor allem bürokratisch-technische Überlegungen ausschlaggebend. Insoweit haben die Vorstellungen des Reichsinnenministeriums mehrfach Wandlungen durchgemacht. Insgesamt wurden drei Varianten diskutiert: 302 Nach der ersten sollte das Reich unterhalb der Länder / Reichsgaue nur in Kreise und Gemeinden untergliedert und sollten bei dem Reichsstatthalter als Spitze der Mittelinstanz der Reichsverwaltung sowohl die staatliche als auch die geplante Gauselbstverwaltung zusammenlaufen. Der Reichsstatthalter wäre dabei als Leiter dieser Zentralbehörde in den allgemeinen Verwaltungsaufbau integriert worden. Nach der zweiten Variante sollte sich das Reich unterhalb der Ebene der Reichsgaue noch in Regierungsbezirke mit Regierungspräsidenten an der Spitze und erst darunter in Kreise und Gemeinden gliedern. Den Regierungspräsidien war danach die Stellung künftiger Reichsmittelbehörden zugedacht, während die Reichsstatthalter bzw. Gauführer lediglich (politische) Aufsichtsrechte über die Regierungspräsidien besitzen sollten, ohne mit der laufenden Verwaltungsarbeit befaßt zu sein. Die dritte Variante sah vor, das Reich unterhalb der Reichsgaue nur in Großkreise und Gemeinden (unter Verzicht auf die Einrichtung von Regierungsbezirken) zu untergliedern, den Schwerpunkt der Verwaltung in den Reichsgauen aber auf die in den Großkreisen zu bildenden Verwaltungsbehörden zu verlagern. Den beiden letztgenannten Vorschlägen wäre ein stärkerer Dezentralisierungseffekt der Reichsverwaltung immanent gewesen als im Falle der Verwaltungskonzentration auf der Reichsgauebene, worauf die Kritiker der ersten Variante zurecht hinweisen. Siehe oben A 11 4., 5 d), 7. Vergleiche die instruktive Darstellung bei Frick, Probleme des neuen Verwaltungsrechts (Auszug aus einem Vortrag vor der Akademie für Deutsches Recht in München am 23.10.1936) in: Der Gemeindetag 1936, S. 717 ff., 719 f. = Deutsche Verwaltung 1936, S. 329 ff., 335. 301

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III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungs behörden

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Im Reichsinnenministerium wurde in bezug auf das Altreich zunächst offenbar die erste Variante bevorzugt: Dies ergibt sich aus dem Regelungsinhalt des 1934 geplanten Verwaltungsneuaufbaugesetzes. 303 Nach dessen § 11 sollten die Reichsgaue (nur) in Kreise und darunter Gemeinden untergliedert werden; § 8 des Gesetzentwurfes hatte weiterhin eine enge Verbindung zwischen dem Reichsstatthalter als Leiter der staatlichen Verwaltung und der Gauselbstverwaltung (in Form der Personalunion in den Leitungsfunktionen beider Verwaltungen oder eines umfassenden Aufsichtsrechts des Reichsstatthalters über die Gauselbstverwaltung) vorgesehen. Im Jahre 1936 trat der Reichsinnenminister, wie einem Vortrag vor der Akademie für Deutsches Recht zu entnehmen ist, für die Bildung von Regierungsbezirken als weiteren Untergliederungen der allgemeinen Reichsverwaltung und bloße politische Aufsicht durch die Reichsstatthalter ein. 304 Zur Begründung führte er an, die von Großkreisen ausgehende Lösung sei einerseits unerprobt, während sich das System der Regierungspräsidien als Untergliederung der Provinzen bewährt habe. Gegen die die Verwaltung in Händen der Reichsstatthalter zusammenfassende Lösung spreche schließlich, daß der Reichsstatthalter seiner lebenswichtigen Aufgabe als politischer Repräsentant des "Führers" im Gau wegen Arbeitsüberlastung nicht mehr nachkommen werde könne, wenn ihm gleichzeitig die Leitung einer umfassenden Gauverwaltungsbehörde übertragen werde. 305 In die gleiche Richtung zielt eine Denkschrift aus dem Reichsinnenministerium von etwa Mitte bis Ende 1937. 306 Ausgangspunkt der dortigen Überlegungen ist die Tatsache,daß wahrscheinlich Reichsgaue von je fünf Millionen Einwohnern und mehr geschaffen werden würden, da eine Untergliederung des Reiches in ca. 35 kleine Gaue großen tatsächlichen Schwierigkeiten, insbesondere im Hinblick auf deren landsmannschaftliche Zusammengehörigkeit, begegnen würde. 303 Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau der Reichsverwaltung vom 20.7. 1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 85 ff.; zu diesem Gesetz noch ausführlich unten B III 4 b) dd). 304 Frick, Probleme des neuen Verwaltungsrechts (Vortrag, gehalten vor der Akademie für Deutsches Recht in München am 23.10.1936; in: Der Gemeindetag 1936, S. 717 ff., 719/720). 305 Fricks Argumentation erscheint insofern nicht ganz stichhaltig: Die Arbeitsbelastung des Reichsstatthalters würde nämlich bereits dadurch verringert werden können, daß die tägliche Verwaltungsarbeit in der zentralen Gaubehörde von einem Stellvertreter des Reichsstatthalters geleitet und der Reichsstatthalter als oberster Behördenleiter nur zur Entscheidung bedeutsamer Fragen herangezogen werden würde - so hatte dies eine der Fassungen des Verwaltungsneuaufbaugesetzes auch vorgesehen! Es entsteht der Eindruck, daß Frick die ihm unbotmäßig zu werden drohenden Reichsstatthalter durch Entzug von Hoheitsaufgaben schwächen wollte, also in erster Linie politische Erwägungen für den Meinungsumschwung verantwortlich gewesen sind! 306 Denkschrift ,,zur Unentbehrlichkeit der Regierungspräsidenten", in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 417 ff., insbesondere BI. 417 -419.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-fLänder-Verhältnisses

Die Bildung zentraler Verwaltungsbehörden in so großen Reichsgauen würde, so heißt es dort weiter, es zwangsläufig mit sich bringen, daß deren Leiter keinen Überblick über die tägliche Verwaltungsarbeit seiner Behörde besitze; er müsse auf die Ordnungsmäßigkeit der Arbeit seiner Mitarbeiter vertrauen. Damit sei notwendigerweise eine größere Selbständigkeit der nachgeordneten Beamten ("Referentenwirtschaft") verbunden; die Verwaltungsbehörde werde also nicht einheitlich geführt, sondern drohe im Gegenteil in selbständige Einzelbehörden auseinanderzubrechen. Deshalb müsse die Verwaltungstätigkeit dezentralisiert und die Gaue in Regierungsbezirke aufgeteilt werden. Trotz des hiernach im Reichsinnenministerium bestehenden Meinungsbildes ist es jedoch nicht zu entsprechenden Reformgesetzentwürfen gekommen. Erst mit dem Wiederaufleben der Reichsreformdiskussion im Zuge der Besetzung Österreichs und des Sudetenlandes kam die Gliederungsdiskussion wieder in Gang; insbesondere war fraglich, ob der zukünftige Sudetengau in Regierungsbezirke untergliedert werden sollte. Dabei schälte sich die Ansicht heraus, daß eine Untergliederung der Reichsgaue auch in Regierungsbezirke nur dort vorgenommen werden sollte, wo die Reichsgaue gebietsmäßig sehr groß oder ungünstig geschnitten (wie das Sudetenland) wären, im übrigen es aber unterhalb der Reichsgaue nur Kreise und Gemeinden geben sollte. Von einer generellen Untergliederung der Reichsgaue in Regierungsbezirke aus Gründen der Arbeitsentlastung der Reichsstatthalter und der damit verbundenen Dezentralisierung der Verwaltung war nun keine Rede mehr! 307 Dementsprechend trat auch Reichsinnenminister Frick dafür ein, die gebietsmäßig kleinen Reichsgaue auf dem Gebiet der Ostmark nicht in Regierungsbezirke zu untergliedern. 308 Eine entsprechende Regelung erfolgte dann im Ostmarkgesetz. ff) Zusammenfassung Wir sehen also, daß die nationalsozialistische Reichsreform vielfältigen Strömungen ausgesetzt war, deren Intensität und Wirkung im voraus kaum eingeschätzt werden konnte. Der am Ende im Altreich verwirklichte Rechtszustand scheint ein Zufallsprodukt zu sein; die nationalsozialistische Staatstheorie hätte jedenfalls noch ganz andere Maßnahmen legitimiert. Die Reform ist das Ergebnis eines immerwährenden zähen Kampfes unterschiedlicher Interessengruppen, die in fast darwinistischer Manier mit dem Gesetz und ohne es ihre Macht zu sichern bzw. vergrößern versuchten. 307 Vennerk aus der Verwaltung des Staatsministers und Chefs der Reichskanzlei über eine Besprechung im Reichsinnenministerium am 15.9.1938; in: Bundesarchiv, Akte 43 Hf 1353 a, Bi. 174 ff., 175. 308 Frick, Über grundSätzliche Verwaltungsfragen, in: Deutsche Verwaltung, 1939, S. 33 ff., 34.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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b) Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne der Reichsregierung, insbesondere des Reichsinnenministeriums aa) Erste vorbereitende Planungen zur Durchführung der Reichsreform Die Machtübernahme im Januar 1933 traf die Nationalsozialisten durchaus unerwartet, wenn man von den zuvor angestellten Reichsreformüberlegungen ausgeht. Mehr als einige vage zentralistische Ansätze waren nicht erkennbar geworden. 309 Erst nachdem die Führungsspitze des Reichsinnenministeriums weitgehend ausgewechselt worden war und NSDAP-Angehörige die freigewordenen Stellen übernommen hatten, liefen erste konkrete Planungen zur umfassenden Umgestaltung des Reichsaufbaus an. Die neuen Herren in der Reichsinnenverwaltung hielten zu jener Zeit engen Kontakt zu Hitler, dessen anfangs sehr wenige Äußerungen zum Thema aufmerksam registriert und entsprechend ausgewertet wurden. (1) Die Festlegung der strukturellen Grundsätze der Reform

Das Schwergewicht der Reformarbeit lag von Anfang an darin, der Partei eine ihrer faktischen Bedeutung entsprechende Aufgabe innerhalb des neu aufzubauenden Staatswesens einzuräumen. Desweiteren ging es darum, die Länder gleichzuschalten und als Mittelinstanzen der Reichsverwaltung auszugestalten. Auf jeden Fall sollte ein Dualismus von Reichsfachbehörden und Landesministerium für alle Zukunft ausgeschlossen werden. Insofern konnte man sich auf den Reichskanzler stützen, der bereits in einer Ministerbesprechung am 29. März 1933 eine grundlegende Reform des Reich-/ Länder-Verhältnisses angemahnt hatte. 310 Die praktische Ausführung von Hitlers Vorgaben war indes von mancherlei Unklarheiten und Irritationen geprägt. Weil der "Führer" sich häufig nur ganz allgemein zu Verfassungsreformfragen äußerte, konnte es vorkommen, daß Gesetzentwürfe der Innenverwaltung zurückgewiesen wurden. Umgekehrt bestanden für Frick und seine Beamten auch recht erhebliche Gestaltungsspielräume, die zwecks Durchsetzung des eigenen Standpunktes mehr als einmal genutzt wurden. Als Beispiel hierfür sei das energische Einschreiten gegen Parteiübergriffe in die regionale und kommunale Verwaltungstätigkeit genannt. So wies der Reichsinnenminister in Hitlers Auftrag, wie er betonte, die Reichsstatthalter per RundVgl. Hitter, Mein Kampf, S. 501 ff., oben A 1. Ministerbesprechung vom 29.3.1933, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1460, BI. 184 ff. 309

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13 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

schreiben vom 6. Oktober 1933 an, derartige Ausschreitungen ... nunmehr endgültig zu beenden. 311 An eine dauerhafte Auflösung der problematischen Spannungen zwischen nationalsozialistischer Beamtenschaft und Partei führung war damals trotzdem (noch) nicht zu denken, und immer öfter gab es von Seiten der unteren Verwaltungsbehörden Klagen über Bevormundungen durch Parteidienststellen, welche selbst nach 1933 im Staat ihren primären Feind erblickten. 312 Die Position der Reichsinnenverwaltung in dieser Angelegenheit muß man als zwiespältig bezeichnen. Gerade kurz nach der Regierungsübernahrne traten Fricks Beamte, allen voran der etwas später hinzustoßende Ministerialdirigent Nicolai, für eine strikte Trennung von Partei und Verwaltung ein; sie konnten hierfür zunächst auch den "Führer" gewinnen, der der P.O. auf dem Nürnberger Parteitag von 1933 die Aufgabe der politischen Erziehung des Volkes zuwies. 313 Später hingegen fanden - wie noch gezeigt werden soll - 314 öfter Schwenks in Richtung auf eine stärkere Einbindung der NSDAP in die Verwaltungsarbeit statt. Weniger diffizil verlief demgegenüber die Aus- bzw. Gleichschaltung der Länder. Bereits in der oben erwähnten Ministerbesprechung vom 29.3. 1933 regte Hitler die Einsetzung von Reichsstatthaltern, dort allerdings "Staatspräsidenten" genannt, an, denen die Befugnis zustehen sollte, die Landesminister zu ernennen. 315 Die zur Ausarbeitung entsprechender Regelungen am 30. März 1933 eingesetzte Ministerkommission 316 kam in ihrer Arbeit rasch voran, und schon am 3.4. 1933 einigte man sich auf ein "zweites Gesetz über die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" folgenden Inhalts: 317 ,,§ I: Der Reichskanzler ist als solcher gleichzeitig Staatspräsident jedes deutschen

Landes.

§ 2: In allen deutschen Ländern mit Ausnahme von Preußen betraut der Reichs-

kanzler einen Statthalter mit der Ausübung der Rechte des Staatspräsidenten; in Preußen übt er die Rechte selbst aus."

311 Rundschreiben des Reichsinnenministers an die Reichsstatthalter und die Länderregierungen vom 6.10.1933; Bundesarchiv, AkteR 18/5441, BI. 123 ff. 312 So ausdrücklich eine undatierte,jedoch etwa vom Frühjahr 1934 stammende Referentenaufzeichnung "Verhältnis von Partei und Staat"; Bundesarchiv, Akte R 18/5441, BI. 183 ff. 313 Eröffnungsproklamation Hitlers am 1. 9.1933; abgedruckt in: Der Kongreß des Sieges, Dresden, 1934, S. 8 ff. 314 Unten B III 4., 315 Vgl.Ministerbesprechung vom 29.3.1933; in: Bundesarchiv, Akte R 43 1/1460, BI. 184 ff., 186. 316 So Vizekanzler von Papen in einem Schreiben an den Staatssekretär in der Reichskanzlei (Lammers) vom 31.3.1933;in: Bundesarchiv, Akte R 4311/1309, BI. 36. 317 Gesetzentwurf vom 3.4.1933, enthalten in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1309, BI. 46 f.

HI. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Diese Bestimmungen mußten jedoch nach den Wünschen des Reichskanzlers modifiziert werden. 318 Die abgeänderte Fassung entspricht bis auf Formulierungsunterschiede dem in der Kabinettssitzung vom 7.4.1933 vorabschiedeten Zweiten Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich. 319 Im ganzen gesehen auffällig ist, wie stark Hitler zu Beginn seiner Herrschaft an einer (zumindest) formellen Legitimität staatlichen Handeins gelegen war. Es sollte offenbar nicht der leiseste Verdacht eines bevorstehenden Verfassungsbruches aufkommen, denn die im März / April 1933 durchgeführten verfassungsrechtlichen Maßnahmen hatten sämtlich gesetzliche Grundlage; alle neuen Gesetze waren überdies im normalen (parlamentarischen) Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen. Hitlers anfänglicher Legitimismus korrespondierte mit demjenigen der Reichsinnenverwaltung. Die mit der Reichsreform befaßten Beamten hatten ihre wesentliche Prägung noch durch den positivistisch eingestellten preußischen Verwaltungsapparat der Kaiserzeit bzw. der Weimarer Republik erfahren. Davon kamen sie auch im Nationalsozialismus nicht los. 320 Nicht zuletzt deshalb beharrten Frick und seine Untergebenen bis praktisch zum Zusammenbruch auf ihrer Forderung nach normativer Festschreibung der an sich dynamischen Verfassungsentwicklung im Reich; und mußten sich später bittere Bürokratismusvorwürfe anhören. 321 Nach ihrem relativ zügigen Beginn geriet die "Verreichlichung" der Länder etwa ab Sommer 1933 deutlich ins Stocken. Der "Führer" selbst mag diese 318 So von Papen in seinem Schreiben an Lammers, in: Bundesarchiv, Akte R 43 Hf 1309, BI. 37. 319 Die verfassungsrechtliche Konstruktion des Erstentwurfes ist mit derjenigen des endgültigen Gesetzes vergleichbar. Allerdings ist im endgültigen Gesetz das Amt des "Staatspräsidenten" der Länder wieder fortgefallen - was allerdings nur von geringer Bedeutung ist, da auch nach dem Erstentwurf der Reichskanzler verpflichtet sein sollte, die Amtsführung als Staatspräsident auf einen Vertreter ("Statthalter") zu übertragen. Das Staatspräsidentenamt wäre für den Reichskanzler also nicht mit einem Machtzuwachs verbunden gewesen. Auch hinsichtlich der Verfassungslage in Preußen bestehen in bezug auf die Machtbefugnisse des Reichskanzlers keine Unterschiede zwischen endgültigem Gesetz und Gesetzentwurf. Nach beiden Gesetzen standen dem Reichskanzler dort selbst die Befugnisse eines Kontrollorgans über die Landesverwaltung zu; wegen der direkten Unterstellung unter die Aufsicht von obersten Reichsbehörden ist Preußen faktisch zu einem "Reichsland" geworden. (Die außerpreußischen Länder wären auch nach dem Erstentwurf keine Reichsländer im eigentlichen Sinne gewesen, da der "Staatspräsident" verpflichtet gewesen wäre, die Ausübung seiner Machtbefugnisse auf einen anderen Beamten zu übertragen.) Lediglich in bezug auf die status- und besoldungsrechtliche Stellung des Reichskanzlers und Staatspräsidenten der Länder ergeben sich Abweichungen. Nach dem Erstentwurf wäre der Reichskanzler nämlich (anders als nach dem Gesetz vom 7.4.1933) zugleich Reichs- und Landesbeamter gewesen und hätte daher seine Bezüge als Staatspräsident auch von dem jeweiligen Land als Dienstherrn erhalten - eine rechtlich sehr unglückliche und verwirrende Regelung. 320 Weitere Belege hierfür werden folgen; vergleiche insbesondere unter E. 321 Dazu ausführlich unter E. 13*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Entwicklung ausgelöst haben, sprach er doch auf der Reichsstatthalterkonferenz am 6.7.1933 beschwichtigend davon, man werde die gegebene (Verfassungs-) Konstruktion, soweit brauchbar, beibehalten, so daß für die Zukunft das Gute konserviert und das Unbrauchbare beseitigt werde. 322 Damit sollte augenscheinlich Ängsten der Reichsstatthalter - alten Parteigenossen - über eine möglicherweise bevorstehende Auflösung der Länder die Grundlage entzogen werden. Die Statthalter hätten sich mit der Aushöhlung ihrer Machtposition nach allem, was wir bisher wissen, wohl kaum einverstanden erklärt, und Hitler wollte eine Kraftprobe mit ihnen offensichtlich venneiden.

(2) Der Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung Dementsprechend kamen die auf eine Entstaatlichung der Länder hinauslaufenden Planungen des Reichsinnenministeriums 323 zu jener Zeit kaum voran. Den Akten zufolge wurde nur an einem "Gesetz zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung" gearbeitet: 324 Dieses hätte sich aber im wesentlichen auf Einsparungs- bzw. organisatorische Vereinfachungsmaßnahmen in der Zentralinstanz beschränkt. So sollten in den Ministerien künftig allein diejenigen Angelegenheiten bearbeitet werden, "die nicht von einer nachstehenden Behörde erledigt werden können". 325 Darüber hinaus war allerdings bereits vorgesehen, Hoheitsaufgaben der Länder auf das Reich überzuleiten und den Landesbehörden anschließend zur auftragsweisen Ausführung zurückzuübertragen: eine Regelung, die sich in abgewandelter Fonn im Reichsneuaufbaugesetz vom 30. 1. 1934 wiederfinden sollte. Als im Spätsommer 1933 die separatistischen Tendenzen in den Ländern wieder 326 stärker wurden, diesmal jedoch unter maßgeblicher Beteiligung nationalsozialistischer Regierungen und Reichsstatthalter, 327 erhielten die Reichsre322 Niederschrift über die Reichsstatthalterkonferenz vom 6.7.1933 in BayHStA, Reichsstatthalter 148. 323 Das sich dabei zum Teil auf Gesetzentwürfe bzw. sonstige Überlegungen aus der Phase der Weimarer Republk stützen konnte! Näheres bei Schulz, in: Bracher / Sauer / Schulz, Nationalsozialistische Machtergreifung, S. 590 ff., 591/92. 324 Bundesarchiv,Akte R 18/5436, BI. 81 ff.; es existieren mehrere Entwürfe. Der letzte, vom August 1933 datierende, hat im Laufe seiner Ausarbeitung mehrfach Änderungen erfahren, die jedoch wegen ihrer insgesamt geringen Bedeutung hier nicht näher dargestellt werden sollen. 325 Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 81. 326 Jedenfalls fand nach nationalsozialistischer Diktion ein Wiederaufleben separatistischer Tendenzen statt. 327 Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk sagte einmal, die "neuen Gaufürsten" seien "viel hartnäckigere Föderalisten als vor ihnen die Länderministerpräsidenten gewesen" (zitiert nach M. Broszat, Der Staat Hitlers (dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts), 5. Aufl. 1975, Deutschen Taschenbuchverlag München, S. 154.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungs behörden

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formüberlegungen der Innenverwaltung neuen Antrieb. Mitte September 1933 befaßte sich die insofern zuständige Abteilung I mit der Frage, wie der Behördenaufbau des Reiches effektiver gestaltet werden könnte. Es galt sicherzustellen, daß Kompetenzstreitigkeiten nicht mehr aufträten oder jedenfalls verwaltungsintern gelöst wurden; desweiteren wollte man eine bessere Abstimmung und Zusammenarbeit der Reichsministerien untereinander erreichen. Zu diesem Zweck sollten einer Ministervorlage zufolge 328 Vizekanzleien für Wirtschaft, für Inneres und für Wehr- und Sportangelegenheiten gebildet werden, deren Aufgabe es sein sollte, anstelle des "Führers", also zu seiner Entlastung, in der genannten Art und Weise schlichtend und koordinierend tätig zu werden. Dem Vizekanzler für Wirtschaft sollten das Reichswirtschafts-, das Reichslandwirtschafts-,das Reichsarbeits-, das Reichsverkehrs- und das Reichspostministerium zugeordnet werden. Die Zuständigkeit des Vizekanzlers für Inneres hätte sich auf das Reichsinnen-, ein neu zu schaffendes, aus der Innenverwaltung auszugliederndes Reichspolizeiministerium, das Reichskultusministerium sowie im Falle seiner Neubildung das Reichswohlfahrtsministerium erstreckt. Dem Vizekanzler für Wehr und Sport wären das Reichswehrministerium, das Reichsluftfahrtministerium sowie ein neu zu schaffendes SA-Ministerium zugewiesen worden. Wenn der Vizekanzler dabei die Kompetenz besitzen sollte, allgemeine Richtlinien zu geben,329 sollte er offenbar als übergeordnete Behörde Weisungsgewalt über die einzelnen Ministerien besitzen. Zur Realisierung dieses Planes kam es jedoch nicht, obwohl hierfür eine dringende Notwendigkeit bestanden hätte. Einige Reichsministerien waren nämlich unterdes dazu übergegangen, die Organisationsstrukturen ihrer Geschäftsbereiche auf eigene Faust abzuändern. Allen voran das Reichswirtschaftsministerium, das plante, zur Erledigung seiner Aufgaben die Landesbehörden mit Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu beauftragen. 330 Um sich die Reichsreform nicht aus den Händen nehmen zu lassen und das Gesetz des Handeins wieder an sich zu reißen, ließ Innenminister Frick daraufhin verbreiten, er werde nunmehr den "Gedanken einer Herstellung einer Verbindung zwischen Reichs- und Landesverwaltung allgemein" regeln. 331 Er gab also den Startschuß für die Arbeiten zur Schaffung eines reichseinheitlichen Verwaltungsaufbaus, in dessen Verlauf die bisherigen Landesbehörden zu Mittelinstanzen 328 Vorlage des Reichsinnenministeriums über die notwendigen Vorbedingungen der Reichsrefonn, ohne Datum, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 192 ff. 329 Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 194. 330 Entwurf eines "Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die Länder" vom 28.8.1933, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436. 331 Vgl. Rundschreiben des Reichsinnenministers vom 1. 9.1933 an den Reichsfinanzminister, Reichswirtschaftsminister, Reichsarbeitsminister, Reichsjustizminister, Reichsverkehrsminister und den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

der Reichsverwaltung umgebaut werden sollten. Dabei kam ihm zugute, daß Hitler am 1. September 1933 erstmals scharf gegen die Existenz der Länder Stellung bezogen hatte, indem er sich als deren Liquidator bezeichnet hatte. 332

(3) Die Denkschrift über den Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat Folgerichtig trat Ministerialrat Medicus in seiner Denkschrift vom 12.10.1933 333 für eine weitgehende Zentralisierung der Exekutivbefugnisse ein. Für ihn war zukünftige "Landesverwaltung" nur als Bestandteil der Reichsverwaltung denkbar. 334 Danach hatte sich im Reichsinnenministerium offenbar eine herrschende Meinung des Inhalts herausgebildet, die Länder ihrer Staatlichkeit zu berauben und einen Einheitsstaat aufzurichten. Inwieweit dezentralistische Erwägungen daneben noch eine Rolle spielten, ist nicht genau feststellbar. Zwar betont Medicus die Notwendigkeit von Selbstverwaltung, aber nur für die Kreis- und Gemeindeinstanz. 335 Von einer Gau- bzw. Länderselbstverwaltung war demnach keine Rede. Hinzu kommt, daß Medicus Inhalt und Umfang der auf Kreis- und Gemeindeebene vorgesehenen Selbstverwaltung offenläßt. Unklar bleibt auch, welche Aufsichtsrechte dem Reich diesbezüglich zustehen sollten. Medicus schlägt im weiteren vor, die Ämter der bisherigen Reichsstatthalter und der Länderregierungschefs zusammenzufassen. 336 Auf diese Weise sollte in Händen der Reichsstatthalter - die vermutlich zu "Führern" der Landesregierung aufgestiegen wären - eine zentrale Reichsmittelinstanz gebildet werden. Die Statthalter wären dadurch in den Verwaltungsaufbau des Reiches integriert worden, hätten danach wohl der Weisungsgewalt der Reichsregierung unterstanden. Nicht entnehmen läßt sich der Denkschrift allerdings, ob die Reichsstatthalter auch mit Fragen der laufenden Verwaltung befaßt werden oder lediglich die politischen Vorgaben setzen, im übrigen hingegen von den bisherigen Behördenleitern (Ministern) vertreten werden sollten. Bedeutsam ist noch, welche Stellung Medicus den Volksvertretungen im Nationalsozialismus einräumen will. 332

In einer Proklamation auf dem Nürnberger NSDAP-Parteitag am 1. 9.1933; siehe

Paul Meier-Benneckenstein, Dokumente der Deutschen Politik, Band I: Die nationalso-

zialistische Revolution 1933, Berlin 1939, S. 91. 333 Denkschrift "Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat" vom 12.10.1933, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 142. 334 Denkschrift "Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat" vom 12.10.1933, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 142. 335 So heißt es in der genannten Denkschrift, Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 144, etwa: " ... nachgeordnete Behörden, besonders der Kreis- und Ortsinstanz ... "; "zu 2.: "Hier handelt es sich vor allem um die Selbstverwaltung." 336 Denkschrift "Einbau der nationalsozialistischen Bewegung ... ", Blatt 146.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungs behörden

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In bezug auf den Reichstag ist eine Abkehr vom Volkswahlprinzip vorgesehen: 337 Die Volksvertreter sollten von dem obersten kollegialen Parteiorgan oder vom "Führer" selbst bestimmt bzw. vorgeschlagen werden. 338 Der Reichsrat ist nach der Entstaatlichung der Länder Medicus zufolge überflüssig. An die Stelle der Ländervertretung sollte aber ein "Staatsrat" treten, dem die Reichsminister, die Parteigauleiter (welche als Reichsgauführer zugleich Staatsorgane sein sollten), sowie Persönlichkeiten, die sich um die nationalsozialistische Bewegung verdient gemacht haben, angehört hätten. 339 Aufgabe des Staatsrates sollte es sein, dem Reichs"führer" (Regierungschef) in lebenswichtigen Fragen des Staates zu beraten. Ob er darüber hinaus noch reguläre Befugnisse auf den Gebieten der Reichsverwaltung und Reichsgesetzgebung zuerkannt erhalten sollte, läßt die Denkschrift offen. Allerdings rallt auf, daß der "Staatsrat" dem Nicolaischen "Senat" ähnliche Züge 340 trägt, weil in ihm die verdientesten Vertreter der Bewegung Sitz und Stimme haben sollten. 341 Auch die vorgesehene Beratungsfunktion des Staatsrates knüpft an die Nicolaische Konzeption an, der zufolge der "Senat" ja ebenfalls den "Führer" in bezug auf die Realisierung der Ziele der Bewegung im Staat beraten sollte. Dem Regierungschef schließlich sollte gegenüber den Reichsgau"führern" 342 die Befugnis zukommen, diese zu ernennen und zu entlassen. Weitergehende Aufsichtsrechte waren nicht vorgesehen. Insgesamt gesehen rallt die doch sehr starke Anlehnung der Denkschrift Medicus' an die Reichsrefonnpläne Nicolais auf. Entweder hatte Nicolai die Planungen selbst maßgeblich beeinflußt oder sie waren durch das Reichsinnenministerium von sich aus zur Grundlage der Planungen gemacht worden. Was das schon damals sehr problematisch gewesene Verhältnis der NSDAP zum Staat anbelangt, ging Medicus über die damalige offizielle Haltung des Reichsinnenministeriums hinaus, indem er der Partei "entscheidende Mitwirkung" bei der Zusammensetzung der kommunalen Beschlußkörperschaften zuerkennen wollte (bis dahin war der P.O. nur eine außerstaatliche Erziehungsfunktion Denkschrift "Einbau der nationalsozialistischen Bewegung ... ", Blatt 146/148. Die Planung deckt sich im wesentlichen mit derjenigen Nicolais in seiner Schrift "Grundlagen der kommenden Verfassung" (dort S. 60 ff., 63 f.), nur daß hiesige Denkschrift die Art und Weise der zukünftigen "Bestimmung" der Volksvertreter noch offenläßt, während Nicolai eine mittelbare Wahl, das heißt eine Bestimmung durch das Vertretungsorgan der nächstniederen Verwaltungsinstanz, vorgeschlagen hatte. 339 Denkschrift "Einbau der nationalsozialistischen Bewegung", Bundesarchiv, Akte R 18/5436, Blatt 148/l50. 340 Vgl. Nicolai, Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 28 ff. 341 Kein Wunder, war Nicolai doch gerade Medicus' Vorgesetzter geworden! 342 "Gauführer" ist die in der Denkschrift gewählte Bezeichnung für die bisherigen Reichsstatthalter; vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 144. 337 338

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

zugestanden worden).343 Es zeigen sich aber bereits etliche Parallelen zu der im Rahmen der Deutschen Gemeindeordnung insoweit gefundenen Lösung. Ob sich Heß und Wagner mit diesen relativ unbedeutenden Beteiligungsrechten zufriedengegeben hätten, steht indes auf einem anderen Blatt.

(4) Der Generalplan für das Vorgehen in der Reichsreform Wichtigen Aufschluß über den Fortgang der Reichsreformplanungen im Reichsinnenministerium erlaubt der undatierte, nach der Aktenreihung zu urteilen Ende 1933 verfaßte, Generalplan für das Vorgehen in der Reichsreform. 344 Danach sollten die Umwandlungen in der Reichsorganisation wie folgt vonstatten gehen: 1. Phase: (a) Ermächtigungsgesetz für die Reichsregierung;

(b) Verbot selbständiger Reformarbeiten anderer Ressorts und der Länder; (c) Erhöhung der Schlagkraft des Ministeriums für die Zwecke der Reichsreform; (d) Ausarbeitung der Reichsneugliederung, Klärung grundsätzlicher Fragen der Reichsreform für die Phase 2; 2. Phase: (a) Erlaß des Gesetzes über die Neugliederung [des Reichs] mit aufschiebender Wirkung für 2 Jahre; (b) Neuordnung der Geschäftsführung der Reichsregierung, der Gesetzgebung, der Zuständigkeiten der Reichsministerien usw.(Zentralinstanz) zum Stichtag; (c) Neuordnung der allgemeinen Verwaltung mit Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Reich und Ländern, Organisation der Mittel instanzen (Mittelbehörden des Reichs und der Zentralbehörden der neuen Länder) zum Stichtag; (d) Rahmengesetzgebung für die Neuordnung des Kommunalrechts im gesamten Reichsgebiet zum Stichtag; (e) Errichtung kommissarischer Reichsbehörden für jedes neue Land mit der Aufgabe, sämtliche zur Überleitung in den neuen Zustand erforderlichen Maßnahmen gesetzgeberischer und verwaltungsmäßiger Art zu treffen.

343 Siehe etwa die Eröffnungsproklamation Hitlers auf dem NSDAP-Parteitag am

1. 9.1933; abgedruckt in: Der Kongreß in Sieges, S. 8 ff.

344 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 283 f.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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3. Phase: Regelung weiterer technischer Fragen der Ländemeugliederung; Umorganisation des Reichsinnenministeriums entsprechend den veränderten Anforderungen. Die Reform sollte also in der Weise erfolgen, daß zunächst die Neugliederung des Reichsgebietes, anschließend die Neuordnung der Stellung der obersten Reichsbehörden und erst danach der Umbau der Verwaltungsstrukturen im Verhältnis der Länder zum Reich stattfinden, allerdings alle Maßnahmen zu einem festgelegten Stichtag gleichzeitig wirksam werden sollten. Im Gegensatz zu dieser Planung läßt sich jedoch feststellen, daß die das Verhältnis der Länder zum Reich regelnden Gesetzentwürfe (wie noch zu zeigen sein wird) praktisch gleichzeitig und parallel zu den Territorialreformplänen ausgearbeitet wurden; allerdings war aber wohl geplant, zuerst die Territorialreform zu realisieren, ehe die die Beziehungen Reich - Länder betreffenden Gesetze und Verordnungen erlassen werden sollten. Bedeutsam ist auch, daß eine Neuordnung der Befugnisse und Zuständigkeiten der obersten Reichsbehörden vorgesehen war. Hierzu ist es in der Verfassungswirklichkeit nicht mehr gekommen. Schließlich lassen sich dem Generalplan auch Hinweise über die Art und Weise der geplanten Regelung des Verhältnisses der Länder zum Reich entnehmen. Wenn es dort heißt, daß die Behörden auf der Länderebene "Mittelbehörden des Reiches" und ,,zentralbehörden der neuen Länder" sein sollten, folgt daraus, daß sie als mittelbare Reichsbehörden konzipiert wurden, das heißt neben dem Reich auch noch das jeweilige Land zum Dienstherren haben sollten. Eine unmittelbare Überleitung der "Länderbehörden" in ein direktes, alleiniges Dienstverhältnis zum Reich, wie mit dem Gesetz über die Vereinheitlichung im Behördenaufbau vom 5.7.1939 verwirklicht, war demnach vorerst nicht vorgesehen.

(5) Das Diskussionsverbot über die 1?eichsrejormjrage Welches Echo die ersten Stellungnahmen Nicolais, 345 Medicus 346 und Fricks 347 zur Reichsreformfrage, insbesondere aber zum Verhältnis Partei - Staat hervorriefen, mögen folgende Umstände illustrieren. Nachdem Helmut Nicolai in das Reichsinnenministerium berufen worden war und in der Öffentlichkeit mehrfach für seinen Plan einer völligen Neugestaltung 345 Siehe insoweit Nicolais Schriften "Grundlagen der kommenden Verfassung" und "Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild" (1933). 346 Medicus' Denkschrift vom 12.10.1933, zum Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat, Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 112 ff. 347 VgI. etwa Fricks Vortrag vor Reichswehroffizieren am 15.11.1934; abgedruckt in: Der Neuaufbau des Reiches, earl Heymanns Verlag, Berlin 1935.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

der politischen Landkarte Deutschlands geworben hatte,348 machte sich Reichsstatthalter Loeper (Braunschweig und Anhalt) ernsthafte Sorgen um seine Zukunft als "Territorialfürst". Mit einer heftig geführten Beschwerde bei Hitler 349 erreichte er, daß den Beamten der Verfassungsabteilung alle mündlichen und schriftlichen Äußerungen gegenüber Außenstehenden in Fragen der Reichsreform untersagt wurden, soweit sie mit der Ausarbeitung entsprechender Gesetzentwürfe betraut worden waren. 350 Aufgrund dieses "Maulkorberlasses" mußte die Neigung Nicolais und anderer, sich weiterhin für eine rasche Durchführung der Reform einzusetzen, abnehmen. Solches war von Hitler möglicherweise auch beabsichtigt, zeigte doch die Zukunft, daß der Führer immer wieder Reformmaßnahmen verschob. 351 Loeper konnte sich schließlich noch ein zweites Mal gegenüber Nicolai durchsetzen. Als der Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium, schon in Amt und Würden, im Sommer 1933 die vielbeachtete Schrift "Der Staat im nationalsozialistischen Weltbild" herausbrachte, trug Loeper seine hiergegen gerichteten Bedenken Staatssekretär Lammers aus der Reichskanzlei vor. 352, 353 Der braunschweig-anhaltinische Reichsstatthalter argumentierte vor allem dahingehend, Nicolai habe eindeutig einer Entscheidung des "Führers" über die Reichsreform vorgegriffen. Seine Argumente zeitigten den gewünschten Erfolg: Hitler ließ Nicolais Schrift beschlagnahmen! 354

348 Anhaltspunkte dafür finden sich in einem Schreiben des Reichsstatthalters von Braunschweig und Anhalt, Loeper, an den Staatssekretär in der ReichskanzIei (Lammers) vom 23.11.1933; Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 17. 349 Vgl. eben genanntes Schreiben Loepers an Lammers vom 23. 11. 1933; Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 17. . 350 Siehe Entwürfe eines Antwortschreibens an Loeper und eines Rundschreibens des Staatssekretärs Lammers an die Reichsminister, die Reichsstatthalter und die Ministerpräsidenten der Länder mit Abgangsvermerk vom 4.12.1933 (Bundesarchiv, Akte R43 II/ 495). 351 Siehe z.B. unten B III 4 b) ee), 4 b) gg). 352 Entsprechendes Schreiben Loepers an Lammers vom 5.12.1933, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/495, Blatt 50. 353 Bedenken äußerte auch der Reichsstatthalter in Oldenburg und Bremen, Röver, in einem Schreiben vom 8. 12. 1933 an Lammers. Insbesondere wies Röver auf zahlreiche seit Anfang Dezember erschienene Presseartikel hin, in denen die Anregungen Nicolais breit erörtert worden seien. Es sei dringend geboten, so Röver abschließend, eine scharfe Verordnung zu erlassen, damit nicht noch weitere Beunruhigung in die Bevölkerung hineingetragen werde (v gl. Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 84 f.). 354 Diesbezügliche Mitteilung durch Lammers an Loeper und Röver vom 11. 12.1933, in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/495, BI. 100.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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bb) Vorentwürfe des Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches Im Vorfeld der Reichstagswahl vom 12. November 1933 traten die Bemühungen der Reichsinnenverwaltung um eine Länderentstaatlichung in ihre entscheidende Phase sein. Frick war entschlossen, "die durch die Auflösung des Reichstags akut gewordene Frage der Existenz der Länderparlamente" in dem Sinne gesetzlich zu regeln, "daß die Landtage nicht wiederaufleben" sollten. 355 Gleichzeitig dämpfte er allerdings nach außen hin Hoffnungen auf einen raschen Vollzug der Reichsneugliederung (und beruhigte so die aufgeschreckten Ministerpräsidenten der Länder), denn er versicherte, es sei ,,keinesfalls ... mit einer überstürzten Aufhebung bisheriger Verwaltungseinheiten zu rechnen, solange nicht etwas Besseres an die Stelle des Alten gesetzt werden kann". 356 357

(1) Der Entwurf eines Gesetzes über den Neuaujbau des Reiches Der früheste Vorentwurf zum Reichsneuaufbaugesetz datiert von Anfang Oktober 1933 358 und enthält einige interessante Abweichungen gegenüber dem später verwirklichten Rechtszustand. So ist zunächst Nr. I des Entwurfes zu beachten, durch den die bisherigen Regierungen und Parlamente in den deutschen Ländern aufgehoben werden sollten. Gemäß der Regelung der Nr. 11 des Gesetzentwurfes sollten überdies die Zuständigkeiten der Länder auf das Reich übergehen und die Länderministerien nach Bestimmung des Reichsinnenministers in den Reichsministerien aufgehen. Der Gesetzentwurf sah daher zum einen zwar die Entstaatlichung der Länder vor, wie sie auch in dem endgültigen Reichsneuaufbaugesetz verwirklicht wurde; sämtliche Hoheitsrechte hätten den deutschen Ländern entzogen werden sollen. Darüber hinausgehend sollten aber die Verwaltungsbehörden der Länder in Realunion mit den bisherigen Reichsbehörden treten können und die Landesregierungen abgesetzt werden. Der Gesetzentwurf hätte daher den Prozeß der Verreichlichung der Länder noch erheblich weiter getrieben, als dies nach dem Reichsneuaufbaugesetz vom 30.1.1934 der Fall gewesen ist: Die Länder wären ihrer Verwaltungsspitze beraubt worden, und die Länderbehörden hätten in die Behördenorganisation des Reiches integriert werden können. 355 Vgl. Schreiben Fricks an den bayerischen Ministerpräsidenten Siebert mit Abgangsvennerk vom 1. 11.1933; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 206 ff. 356 Schreiben Fricks an Siebert, Bundesarchiv, R 18/5436, BI. 206. 357 Möglicherweise handelte es sich dabei um eine taktische Maßnahme, existierten damals doch schon erste konkrete Planungen für eine Territorialrefonn; siehe oben B III 3. a). 358 Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 134 ff.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Der Entwurf hätte auf diese Weise die unmittelbare Grundlage dafür gebildet, dem Reich den noch fehlenden Verwaltungsmittel- und -unterbau für die nunmehr ausschließliche Reichsverwaltung zu verschaffen; eine ähnliche Regelung ist erst 1934 für die preußischen Verwaltungsbehörden getroffen worden, bei denen die Integration in die entsprechenden Reichsbehörden tatsächlich verwirklicht wurde. Trotz der in dem Gesetzentwurf enthaltenen Ermächtigung zur Überleitung der Verwaltungsbehörden der Länder auf das Reich sollte offenbar eine Änderung der dienstrechtlichen Stellung der Länderbeamten zunächst nicht erfolgen. Zwar erklärte der Entwurf das Reich zum obersten Dienstherrn der Länderbeamten (Nr. V des Entwurfs), doch sollten die bestehenden Rechtsverhältnisse der Beamten weiter Gültigkeit besitzen. Dies bedeutet, daß das Reich auf eine Überleitung der Länderbeamten in die Reichsbeamtenschaft jedenfalls vorerst (d. h. zumindest bis zur Verwirklichung einer Realunion zwischen Länder- und Reichsministerien) verzichtete, also etwa die Besoldung der Beamten noch durch die Länder selbst erfolgt wäre. Berücksichtigt man, daß nach dem Gesetzentwurf auch die Personalhoheit über die "Länderbeamten" auf das Reich übertragen werden sollte, wäre diese aufgrund der Nr. V des Entwurfes an die Länder zurückgefallen. Die personalhoheitsrechtlichen Befugnisse sollten nämlich zunächst weiter von den Ländern - aber für das Reich - ausgeübt werden. 359 Es ergibt sich somit nach dem Gesetzentwurf das Bild einer noch mittelbaren Reichsverwaltung; Dienstherr der Länderbeamten wären neben dem Reich auch noch die Länder (allerdings aus abgeleitetem Recht) geblieben,360 solange nicht das Reich von seiner ausdrücklichen Ermächtigung zur Integration der Landesverwaltung in diejenige des Reiches Gebrauch gemacht hätte. In dem Augenblick der Schaffung einer Realunion von Reichs- und Landesverwaltung allerdings wäre der Schritt zur unmittelbaren Reichsverwaltung vollzogen gewesen. Dem steht nicht entgegen, daß der Gesetzentwurf die "Abschaffung" der Länder verfügte. Damit sollte offenbar nicht ausgesprochen werden, daß die Länder ihren Charakter als juristische Personen des öffentlichen Rechts verlieren würden, denn anderenfalls hätten ja die bisherigen Rechtsverhältnisse der Länderbeamten zu den Ländern nicht fortbestehen können; außerdem sollten die bisherigen Länder als staatliche Verwaltungsbezirke weiterbestehen 361 und werden in dem 359 Dies hätte z. B. für die Organisationsgewalt über die "Länderverwaltung" gegolten. 360 Problematisch ist aber in diesem Zusammenhang, von welcher Behörde / Person diese Rechte ausgeübt hätten werden sollen, da das Gesetz die Länderminister als bisherige Ressortchefs abgeschafft hätte. Die den "Ländern" im Bereich der Dienstgewalt zustehenden Rechte hätten dann nur von etwaigen Stellvertretern dieser Minister bzw. den einzelnen Abteilungsleitern der Länderministerien und den Leitern der nachgeordneten Behörden ausgeübt werden können. Die Verwaltungsbehörden der Länder hätten also das Bild einer Verwaltung ohne Kopf ergeben, ein deutliches Zeichen dafür, daß die baldige Schaffung einer Realunion zwischen Reichs- und Länderbehörden vorgesehen war. 361 Nr. III des Entwurfes; Akten des Bundesarchivs, R 18/5436, Bi. 134.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Entwurf als "Gebietskörperschaften" bezeichnet. 362 Insofern entspricht also die Rechtsstellung der Länder nach diesem Gesetzentwurf derjenigen, wie sie durch das Gesetz vom 30.1. 1934 auch verwirklicht wurde. Weiterhin bleibt noch festzuhalten, daß die Realisierung des hier besprochenen Gesetzentwurfes die Stellung der bisherigen Reichsstatthalter ausgehöhlt hätte; sie sollten zwar nicht generell abgeschafft werden, doch wären sie gemäß Nr. IV des Entwurfes der Dienstaufsicht des Reichsinnenministeriums unterstellt worden 363 und hätten praktisch keine bedeutsamen Hoheitsrechte mehr auszuüben gehabt (mit Ausnahme vielleicht des Ernennungsrechts hinsichtlich der Landesbeamten, § 1 I Nr. 4 des zweiten Gleichschaltungsgesetzes; allerdings hätte dann geregelt werden müssen, was aus dem bisherigen Vorschlagsrecht der Landesregierung hätte werden sollen!). 364 Der Gesetzentwurf enthält auch keine Regelung des Inhalts, daß die Reichsstatthalter zu Leitern der Länderverwaltungsbehörden aufsteigen sollten, in ihrer Person also die Einheit der Landesverwaltung Realisierung finden sollte. Es ist zwar naheliegend, daß in Ergänzung zu dem geplanten Reichsneuaufbaugesetz ein neues Reichsstatthaltergesetz erlassen werden sollte, das eine entsprechende Regelung getroffen hätte. Ohne eine solche Regelung aber hätten die Reichsstatthalter eine rein repräsentative Funktion besessen, die ihrem Selbstverständnis als Vertreter des "Führers" in den Ländern sicher nicht entsprochen hätte. Allerdings führte auch das SChließliCh verwirklichte Reichsneuaufbaugesetz zu der eben dargestellten Aushöhlung der Rechte der Reichsstatthalter; es lassen sich also insofern keine Unterschiede zwischen Gesetzentwurf und endgültigem Gesetz erkennen. Als Bestätigung des "Generalplanes für das Vorgehen in der Reichsrefonn" ist die Regelung der Nr. VI des hier besprochenen Gesetzentwurfes anzusehen. Darin wird der Reichsinnenminister ennächtigt, das ReiCh zu einem genau festzulegenden Zeitpunkt neu zu gliedern und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Es sollte also eine Territorialrefonn durchgeführt werden, in deren Zusammenhang dann eine Neuregelung der Verwaltungsstrukturen in den Ländern (Gauen) erfolgt wäre; der hier behandelte Gesetzentwurf hätte nämliCh die Stellung der Länder im Staatsaufbau nur vorläufig und rudimentär geregelt, ein umfassender Umbau der Staatsverwaltung hätte daher noch vorgenommen werden müssen.

Nr. V des Entwurfes, Akten des Bundesarchivs, R 18/5436, BI. 134. Insofern entspricht die Regelung des Gesetzentwurfes derjenigen des endgültigen Gesetzes; vgl. Art. 3 des Reichsneuaufbaugesetzes. 364 Dabei ist natürlich nur von denjenigen Befugnissen auszugehen, die ihnen bis dahin schon zugestanden hatten, und nicht etwa von den bisher allgemein "Länderbehörden" zugestanden habenden Befugnissen, so vor allem im Bereich der Personalhoheit. 362 363

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

(2) Der Entwurf eines Gesetzes über die Reichsreform In der Folgezeit mußte die Reichsinnenverwaltung offenbar bereits Rückschläge mit ihren Verreichlichungsplänen hinnehmen, denn in dem etwa Anfang November 1933 erarbeiteten Entwurf für ein Gesetz über die Reichsreform 365. 366 finden sich weder Regelungen über eine personelle Realunion von Reichsund Länderministerien, noch solche über künftige Gebietsreformmaßnahmen. Der Entwurf ist äußerst knapp gefaßt, er enthält lediglich drei Paragraphen. Darin werden aber die Grundgedanken des späteren Neuaufbaugesetzes durchaus abschließend umrissen: Aufhebung der Volksvertretungen der Länder, Anweisungsbefugnis der Reichsregierung über die Landesregierungen und Aufsichtsrecht des Reichsinnenministers den Reichsstatthaltern gegenüber. Hingegen war eine Eingliederung selbst der preußischen Beamtenschaft in die entsprechenden Reichsressorts nicht mehr vorgesehen.

(3) Der Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der Reichsreform Die Reihe der Vorentwürfe zum Reichsneuaufbaugesetz setzt sich fort mit dem ebenfalls vom November 1933 stammenden Entwurf eines Gesetzes über die Fortführung der Reichsreform, 367 als dessen Verfasser Reichsinnenminister Frick höchstpersönlich zu gelten hat. 368 Besondere verfassungshistorische Bedeutung kommt dem Entwurf vor allem deshalb zu, weil sich ihm neue Anstrengungen in bezug auf eine umfassende Reform des Reich-Länder-Verhältnisses entnehmen lassen. Beispielsweise schreibt § 2 11 die Eimichtung von die Landesregierung beratenden Staatsräten anstelle der abzuschaffenden Landtage vor. 369

365 Entwurf eines Gesetzes über die Reichsreform; in: Bundesarchiv, Akte R 18/ 5439, BI. 291 f. 366 Obwohl auch der Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches die geistige Grundlage für das Gesetz vom 30. 1. 1934 bildete, ist der hier behandelte Gesetzentwurf im Reichsinnenministerium als ,,1. Entwurf' bezeichnet worden. Verfasser waren Medicus und Nicolai, wie sich einem handschriftlichen Zusatz auf dem Entwurf entnehmen läßt (Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 291.). 367 Entwurf eines Gesetzes über die Fortführung der Reichsreform; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 272 ff. 368 Dies ergibt sich aus dem später verfaßten Gesetzentwurf vom 23. 11. 1933, der als "Abänderungsentwurf zum Entwurf des Herm Ministers" tituliert wird (vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 218 ff.). 369 Diesbezüglich bestehen demnach deutliche Parallelen zu den Reformvorstellungen Nicolais (z. B. in bezug auf den von diesem vorgesehenen neuen Reichstag). Nicolai, inzwischen in das Reichsinnenministerium gewechselt, hatte sich in dieser Frage wohl durchsetzen können.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Darüber hinaus legt § 3 I fest, daß die bisherigen Reichsstatthalter an die Spitze der Landesregierungen treten sollten. Dies hätte einen gewaltigen Schritt in Richtung auf die Schaffung einer zentralen Reichsmittelinstanz bedeutet, denn in § 1 des Gesetzentwurfes war gleichzeitig (erstmals!) geregelt, daß die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übergeleitet und nur noch zur "auftragsweisen" Ausführung zurückübertragen werden würden. 370 Das nach wie vor unklare Beziehungsgeflecht Reichsstatthalter - Ministerpräsidenten - Reichsinnenverwaltung sollte also einer Neuregelung zugeführt werden. Falls die Reichsstatthalter tatsächlich mit der Leitung der Landesregierung betraut worden wären, hätten sie danach eine deutliche Stärkung ihrer Position erfahren. Sie wären zwar den obersten Reichsbehörden unterstellt gewesen, hätten aber die "Landes" -Verwaltung nach unten eigenverantwortlich führen können. Die beamtenrechtliche Stellung der Reichsstatthalter und der Landesministerien im allgemeinen Aufbau der Reichsverwaltung regeln § 3 IV, V und § 4 des Gesetzentwurfs. Die Reichsstatthalter wären wie bisher vom "Führer", die weiterhin vorgesehenen ,,staatsminister" und "Landesräte"371 ebenfalls vom Reichskanzler, allerdings aufgrund von Vorschlägen der Reichsstatthalter, ernannt worden. 372 Die Dienstaufsicht über die Reichsstatthalter sollte vom Reichskanzler selbst ausgeübt werden, er hätte sich aber durch den Reichsinnenminister vertreten lassen können. 373 Nach § 4 I des Gesetzentwurfes sollte die Reichsregierung die Aufsicht über die Länder in denjenigen Angelegenheiten ausüben können, "die entweder reichsrechtlich geregelt sind, oder in denen sonst die Reichsregierung den Einklang mit den Zielen der Reichspolitik sicherstellen will". In Durchführung dieses Aufsichtsrechts sollte die Reichsregierung Anordnungen erlassen und die Abstellung von Mängeln erlangen können. 374 Was den Umfang der Staatsaufsicht über die Länder bei der Ausführung von Verwaltungsaufgaben des Reiches angeht, so bleibt der hier behandelte Gesetzentwurf relativ unklar; dies gilt vor allem in bezug auf die den Reichsstatthaltern nachgeordneten Landesbehörden, denen gegenüber die Eingriffsrechte weder als

370 Mit letzter Konsequenz ist die Einheit der Verwaltung in den Ländern allerdings auch in diesem Gesetzentwurf noch nicht verwirklicht worden: Zum einen ist davon auszugehen, daß die auf Länderebene bestehenden Reichssonderverwaltungen (unmittelbare Reichsverwaltungen) nicht der Behörde des Reichsstatthalters angegliedert werden sollten, denn es fehlt in dem Gesetzentwurf jedenfalls eine entsprechene Regelung. Zum anderen wurden den Reichsstatthaltern noch keine direkten Aufsichts- und Weisungsrechte über die Landesfachministerien zuerkannt; sie konnten also wie bisher die Ministerpräsidenten lediglich die Richtlinien der Politik vorgeben. 371 So sollten die Leiter der Fachverwaltungsbehörden in den Ländern (d. h. die bisherigen Minister) zukünftig heißen, vgl. § 3 III des Gesetzentwurfes. 372 § 3 III des Gesetzentwurfes. 373 § 3 V des Gesetzentwurfes. 374 § 4 II des Gesetzentwurfes.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

solche der Dienst-, noch als solche der Fach- oder der Rechtsaufsicht klassifiziert werden. Es läßt sich aber wohl folgendes feststellen: 375 Bei der Ausführung von Reichsgesetzen durch die Länderbehörden sollte dem Reich jedenfalls Fachaufsicht zustehen; es hätte demnach die Rechtswidrigkeit oder Unzweckmäßigkeit vonVerwaltungsmaßnahmen rügen und diesbezügliche Anweisungen erteilen können. Dienstaufsicht des Reiches sollte in diesem Bereich offenbar nicht bestehen. Soweit es um die Ausführung von Landesgesetzen (§ 2 I 2 sprach den Ländern Gesetzgebungsbefugnis zu; der Sache nach handelte es sich dabei um örtlich begrenzte Reichsgesetze) ging, sollte das Reich eine der Fachaufsicht angenäherte Rechtsaufsicht besitzen. Überprüft werden können sollte nämlich nicht allein die Rechtmäßigkeit des jeweiligen Einzelakts, sondern auch dessen Vereinbarkeit mit den Zielen der Reichspolitik. Regionale Selbstverwaltung hätte es gleichwohl nicht gegeben, denn der Entwurf wies den Ländern keinerlei Hoheitsaufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung zu. Alle Verwaltungstätigkeit der Länder wäre folglich (mittelbare) Reichsverwaltung gewesen. Für unmittelbare Reichsverwaltung fehlte es noch an einer Überleitung der bisherigen Länderbeamten in die Reichsbeamtenschaft. 376 Immerhin allerdings wäre das Unterstellungsverhältnis der Länder unter das Reich bei Verwirklichung der hier vorgesehenen Regelungen weit weniger krass ausgefallen als nach dem endgültigen Reichsneuaufbaugesetz. Insofern zeigte der Gesetzentwurf über die Fortführung der Reichsreform ansatzweise dezentralistische Tendenzen. Darüber, ob diese auf Druck der Reichsstatthalter hin Eingang in das Gesetzeswerk gefunden haben oder nicht, kann wegen der diesbezüglich ungenügenden Aktenlage nicht befunden werden. Im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich erwähnt ist weiterhin, welche Aufsichtsbefugnisse der Reichsstatthalter gegenüber den Länderbehörden besitzen sollte; im Zweifel dürfte von Dienstaufsicht auszugehen sein, weil der Reichsstatthalter zum obersten Landesbeamten avancieren sollte und weil bereits 1933 das Kollegialprinzip in den Landesregierungen weitgehend abgeschafft war. Bedeutsam, besonders im Hinblick auf die nach wie vor geplante Territorialreform, wären die Regelungen der § 5 und § 4 III 2 des Gesetzentwurfes gewesen; Sie hätten Ermächtigungsgrundlagen für Vorbereitungsmaßnahmen zur gebietlichen Neugliederung des Reiches abgegeben, indem sie die Vereinigung eines Landes mit einem anderen Land und eine entsprechende Konstruktion der Reichsstatthalterbehörde zuließen. Rechtlich hätte es einer § 5 I I des Gesetzentwurfes entsprechenden Regelung allerdings nicht bedurft; die Reichsregierung wäre auch ohne diese Ermächtigungsgrundlage schon aufgrund des Gesetzes zur Behebung 375 376

Vgl. dazu § 4 des Gesetzentwurfes. Insoweit ausführlich oben A 11 5 c).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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der Not von Volk und Reich zur Durchführung von Territorialreformmaßnahmen befugt gewesen. Schließlich ist noch mitzuteilen, daß gemäß § 2 lides Gesetzentwurfes die Volksvertretungen in den Ländern aufgehoben werden sollten,es bestanden also diesbezüglich keinerlei Abweichungen gegenüber früherem. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der hier behandelte Gesetzentwurf über die Fortführung der Reichsreform das Reich zu einem dezentralen Einheitsstaat mit entscheidenden Aufsichtsbefugnissen des Reiches über die Länderbehörden umgebildet hätte. Wie auch das Reichsneuaufbaugesetz bildet er aber eine Zwischenstufe auf dem damals geplanten Wege der Reichsreform: Im Rahmen einer späteren territorialen Umgestaltung des Reiches hätte es noch der Abänderung bestimmter, von dem Gesetzentwurf unangetastet gelassener Regelungen, die sich auf die bisherigen Länder bezogen, bedurft (etwa im Hinblick auf die Stellung der bisherigen Landesbeamten). Über das Reichneuaufbaugesetz und dessen übrige Vorentwürfe gehen Fricks Planungen indes insoweit hinaus, als sie im Falle ihrer Verwirklichung den Verwaltungs aufbau der Länder vollkommen verändert hätten. Die Behördenstrukturen wären spürbar vereinfacht und der Dualismus zwischen Ministerpräsidenten und Reichsstatthaltern beendet worden. Das Reich hätte auf diese Weise den Charakter eines straff organisierten Verwaltungsstaats erhalten, dessen Entscheidungsstränge zentral bei den Reichsministerien zusammengelaufen wären.

(4) Der AbänderungsentwurJ Nicolais Welche Umstände dazu geführt haben, daß der von Frick ausgearbeitete Gesetzentwurf zur Fortführung der Reichsreform noch nicht einmal im Reichskabinett behandelt worden ist, ist unbekannt. Jedenfalls aber legte Ministerialdirektor Nicolai schon am 23. November 1933 einen neuen Entwurf vor, 377 der von den hochtrabenden Plänen des Reichsinnenministers kaum etwas übrig ließ. Die dortigen Artikel 1- 3 und 5 entsprachen bereits fast völlig der Endfassung, nur Art. 4 wich von ihr ab, indem er bestimmte: "Der Reichskanzler kann durch Gesetz das Reich neu gliedern und Verfassung und Verwaltung neu ordnen." Man hatte den Glauben an eine umfassende Reichsreform also noch nicht aufgegeben, nur waren alle entsprechenden Maßnahmen einmal mehr verschoben worden. Vielleicht hatten zwischenzeitliche Äußerungen Hitlers dieses als geraten erscheinen lassen.

377

In: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 229.

14 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

(5) Letzte Formulierungsarbeiten In der zuletzt dargestellten Fassung wurde der Reichsneuaufbaugesetzentwurf dem "Führer" am 27. November 1933 zur Entscheidung vorgelegt. Hitler erklärte sich grundsätzlich einverstanden, verlangte jedoch bezüglich des Artikels 4 eine "allgemeine" Formulierung, "die unnötige Beunruhigungen unter allen Umständen vermeidet". 378 Es ging ihm offensichtlich darum, Irritationen von Seiten der Reichsstatthalter und Landesregierungen über eine etwa kurzfristig bevorstehende Gebietsreform gar nicht erst aufkommen zu lassen. Pfundtner und die Referenten des Reichsinnenministeriums einigten sich daraufhin bei einer Besprechung am 28. November auf folgenden (endgültigen) Normwortlaut: "Die Reichsregierung kann neues Verfassungsrecht setzen."379 Damit war zwar in der Sache nichts anderes gesagt, als schon die Gesetzentwurfsfassung vom 23. 11. 1933 zum Ausdruck bringen wollte. Aber man konnte sich um die Begriffe "Neugliederung" und "Neuordnung von Verfassung und Verwaltung" herumlavieren, wodurch tatsächlich bestehende Pläne in dieser Richtung nach außen hin verschleiert wurden. Die Bedeutung des Art. 4 Reichsneuaufbaugesetz für die Reichsreform kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Art. 4 gab den obersten Reichsbehörden die gesetzliche Grundlage für ihre weiteren Planungen in die Hand, jegliche Verfassungsbindung der neuen Legislative hörte auf. Für die Übergangszeit bis zur Vollendung des Reichsneuaufbaues bedurfte man sogar noch einer Regelung des Inhalts, daß die Länderbehörden ihre bisherigen Hoheitsaufgaben auch weiterhin - und zwar im Reichs"auftrag" - erledigten, denn von der unbegrenzten Ermächtigung des Art. 4 RNeuaufbauG war wegen Planungsdefiziten vorerst überhaupt kein Gebrauch zu machen. 380 Frick konnte also mit Recht sagen, daß noch niemals in der parlamentarischen Geschichte ein Gesetz von so ungeheurer Tragweite in so kurzer Zeit die einstimmige Billigung des Parlaments gefunden habe wie das Reichsneuaufbaugesetz. 381

378 Vgl.Vennerk Staatssekretär Pfundtners vom 27.11.1933; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, B1.234. 379 Vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5436, BI. 235. 380 Vgl. dazu § 1 der 1. Reichsneuaufbauverordnung vom 2. Februar 1934. 381 Die entsprechende Äußerung machte der Reichsinnenminister auf der letzten Sitzung des Reichsrats am 30.1.1934 (siehe Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 26 vom 31.1.1934, 2. Beilage).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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cc) Die weitere Gesetzgebungsarbeit bis zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau der Reichsverwaltung Wenngleich das Reichsneuaufbaugesetz einen Meilenstein in der Umgestaltung der Reichsorganisationsstrukturen setzte, war damit doch nur ein erster Schritt hin zum "nationalsozialistischen Rechtsstaat" getan worden. Die folgenden Aktivitäten beweisen, daß man eine relativ zügige Weiterentwicklung des bestehenden Verfassungszustandes ins Auge gefaßt hatte. (1) Die Denkschrift "Merksätze über die Reichsreform "

In einer Denkschrift vom 6. 12. 1933 382 hatte Nicolai bereits die Marschrichtung vorgegeben: Nacheinander sollten eine starke Zentralgewalt, neue Reichsprovinzen, eine einheitliche Verwaltung aus den vorhandenen Verwaltungen von Reich und Ländern, "Selbstverwaltung", 383 ein nationalsozialistisches Berufsbeamtenturn und eine Reichsverfassung geschaffen werden. Vor allem aber trachtete Nicolai danach, das nach wie vor unbefriedigende Verhältnis von Partei und Staat endgültig und dauerhaft zu regeln. 384 Insoweit schwebte ihm die weitgehende Freihaltung der Verwaltung vom NSDAP-Einfluß vor. Ein "totaler Verwaltungsstaat"385 sollte geschaffen werden, in dem der Partei die Aufgaben zugewiesen worden wären, eine Art politische Kontrolle auszuüben und im übrigen Propagandaarbeit zu leisten. Der künftige deutsche Staat müsse, so führte der Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium weiter aus, im übrigen frei sein von den "Mängeln des derzeitigen Zustandes" in bezug auf die "Organisation der Willensbildung" sowie frei von "übermäßigen Inanspruchnahmen der Gesetzgebungsmaschine. "

(2) Die Denkschrift" Verhältnis von Partei und Staat" An diese Überlegungen knüpfte eine Referentenaufzeichnung von etwa März 1934 386 nahtlos an, indem sie eine berufliche wie sachliche "Trennung der Zuständigkeiten zwischen Partei und Staat" einforderte. Der Verfasser verlangte sicherzustellen, daß die "öffentliche Verwaltung in allen ihren Zweigen" von der 382 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 213 ff. 383 Über deren Inhalt und Umfang läßt Nicolai sich hingegen nicht aus. 384 Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. 12. 1933 hatte ja, wie gesehen, nichts zur Lösung dieses Problems beigetragen. 385 Ausdruck von Schutz, in: Bracher / Sauer / Schutz, Nationalsozialistische Machtergreifung, S. 595. 386 Referentenaufzeichnung "Verhältnis von Partei und Staat", etwa März 1934 verfaßt; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5441, BI. 183 ff. 14*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Partei arbeit unbehelligt bleibe. Der NSDAP sollte einzig und allein die Befugnis zukommen, das deutsche Volk weltanschaulich zu schulen und es mit nationalsozialistischem Gedankengut zu· durchdringen. 387 Eine Beteiligung der Parteiführung an der Staatsgewalt schien allenfalls über Personalunionen möglich, wobei entsprechende Aufsichtsrechte der Reichsdienststellen das Primat der Verwaltung sichern sollten.

(3) Die Denkschrift "Durchführung des Neuaufbaus des Reiches" Neue,weiterführende Gedanken zur Organisationsreform sind einer Denkschrift über die "Durchführung des Neuaufbaus des Reiches"388 zu entnehmen, als deren Verfasser wohl Ministerialrat Medicus zu gelten hat. 389. 390 Einmal mehr wird sichtbar, welches Ziel sich die Beamten der Verfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums insoweit gesetzt hatten: Die Umformung von Reichsund Länderverwaltungen in eine einheitlich zentralisierte Verwaltungsapparatur 39I unter gleichzeitiger gebietlicher Neugliederung Deutschlands. 392 Entscheidend für die Reorganisation des Verwaltungsaufbaues sollte die Vereinigung der preußischen mit den Reichsministerien sein, weil hierdurch zum einen dem Reich der angeblich so dringend benötigte Behördenunterbau zur Verfügung gestellt werden konnte und zum anderen der "allmähliche Absterbeprozeß auch der übrigen Landesministerien" einsetzen würde. 393 In diesem Zusammenhang wurde angeregt, die bisherigen Aufgaben der Landesministerien entweder zur Reichszentrale oder zu den im ganzen Reich einheitlichen nachgeordneten Behörden, als welche interessanterweise nicht die Ober-, sondern die Regierungspräsidien bezeichnet wurden,394 überzuleiten. 387 Wie zerrüttet das Verhältnis von Partei und Staat damals war, verraten Sätze wie der, daß es völlig unzulässig sei, "daß Parteistellen einen offenen Kampf gegen staatliche Behörden führen, deren Maßnahmen öffentlich angreifen und die in Frage kommenden Beamten womöglich durch Drohungen einzuschüchtern suchen." Gleichzeitig warnte der Denkschriftverfasser vor Überlegungen, denen zufolge "die staatliche Verwaltung auf jeder Stufe ihres Aufbaues in allen politischen Angelegenheiten die Exekutive der politischen Leiter der PO vom Ortsgruppen leiter an aufwärts werden müsse." (Bundesarchiv, Akte R 18/5441). 388 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 191 ff. 389 Die handschriftlichen Korrekturen Medicus' auf dem Entwurf deuten jedenfalls darauf hin. 390 Die genannte Denkschrift ist bereits oben B III 3 a) bb) erwähnt worden, dort aber lediglich in bezug auf die Territorialreformplanungen. 391 Dazu sogleich 392 Siehe insoweit schon vom unter B III 3 a) bb). 393 Medicus: Denkschrift "Durchführung des Neuaufbaues des Reichs"; Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 195. 394 Auch hierin zeigt sich das tiefe Mißtrauen der nationalsozialistischen Verwaltungsführung gegenüber der NSDAP, denn ein Großteil der Oberpräsidenten waren ja zugleich NSDAP-Gauleiter, hingegen keiner der Regierungspräsidenten (siehe oben A II 4, 5 d».

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Zugleich warnte der Denkschriftverfasser vor einer überstürzten Verreichlichung der Landesressorts durch einzelne Reichsfachverwaltungen (derartige Tendenzen bestanden damals ja durchaus, wie die entsprechenden Pläne des Reichswirtschaftsministeriums zeigen).395 Dem Innenministerium sollte seine Position als ,,zentralstelle für die Reichsreform" also erhalten bleiben, ein Ressortpartikularismus, der die Verwaltungsstrukturen des Reichs nur hätte sprengen können, demzufolge unter allen Umständen verhindert werden.

(4) Medicus' Denkschrift über die "Neuorganisation des Reichs" Wie heterogen die Verwaltungsreformplanungen des Reichsinnenministeriums zeitweilig waren, wird anhand der· Denkschrift Medicus' zur "Neuorganisation des Reichs"396 und der innerministeriellen Reaktionen hierauf deutlich. Medicus' wollte die NSDAP stärker in die Behördenstruktur einbinden, zumindest aufgrund von Personalunionen. Deshalb griff er frühere Überlegungen Fricks auf,397 die Reichsstatthalter zu Leitern zentraler Mittelbehörden auf Länder- bzw. Gauebene zu machen. In den Händen der Statthalter wäre Medicus zufolge sämtliche Verwaltungstätigkeit der Länder zusammengelaufen, sowohl die allgemeine Reichsverwaltung, als auch die hier erneut ausdrücklich vorgesehene 398 "Selbstverwaltung".399 Desweiteren plädierte der Referent im Reichsinnenministerium für eine radikale Minimierung der Sonderverwaltungen auf Landes- und Kre1sebene; nur noch die militärischen Behörden, Reichsbahn und Reichspost sowie die Justiz sollten (am Reichsstatthalter vorbei) von den obersten Reichsorganen direkt gesteuert werden. Nicolai war diesen Gedanken seines Untergebenen eher ablehnend eingestellt. 400 Er befürchtete, die Reichsstatthalter würden mit ihren neuen Aufgaben überlastet werden, so daß letztlich doch wieder die Notwendigkeit bestehen könnte, die allgemeine Reichsverwaltung auf mehrere Behörden zu verteilen. 401 Allerdings modifizierte Nicolai im gleichen Zusammenhang seine früheren Vor395 Dazu siehe oben B II 4 b) aa) (2). 396 Denkschrift ,,Neuorganisation des Reichs" vom 12.6.1934, in: Bundesarchiv, Akte R 18/375, BI. 9 ff. 397 Siehe den Gesetzentwurf über die Fortführung der Reichsrefonn; oben B III 4 b) bb) (3). 398 VgI. Bundesarchiv, Akte R 18/375, BI. 9. 399 In welcher Weise diese "Selbstverwaltung" näher ausgestaltet werden sollte, insbesondere welche Aufsichtsbefugnisse das Reich insofern besitzen sollte, verrät Medicus nicht. Es läßt sich (angesichts früherer Planungen, z. B. in dem bereits zitierten Gesetzentwurfüber die Fortführung der Reichsrefonn, oben B III 4 b) bb) (3» daher nur vennuten, daß an eine echte, heutigem Verständnis entsprechende Selbstverwaltung nicht gedacht war. 400 Vennerk Nicolais für Frick vom 13.6.1934, in: Bundesarchiv, Akte R 18/375, BI. 19 ff. 401 Was Nicolai gerade venneiden wollte!

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

stellungen bezüglich einer strikten Trennung von Partei- und Staatssphäre. Aufgrund der immer schwierigeren Lage der Exekutive in Ländern, Kreisen und Gemeinden befürwortete er nunmehr zwecks rascher Verwirklichung der Reform eine partielle Verschmelzung von PO und Behörden. Dazu sollten die SA in die Reichswehr und der Verwaltungsapparat der NSDAP in den Staatsaufbau integriert werden. Dahinter stand aber vermutlich die Hoffnung, nicht die Partei werde den Staat okkupieren, sondern dieser werde umgekehrt die NSDAP neutralisieren bzw. ausschalten. 402 Jedenfalls war das Selbstvertrauen von Fricks Administration nun, da der Wettlauf mit der PO um die Durchsetzung des jeweils eigenen Reformkonzepts 403 unkontrollierbare Ausmaße annahm, geschwunden. Davon, daß die Reichsreform in erster Linie im Reichsinnenministerium gemacht werden sollte,404 war nichts mehr zu spüren. Rufe nach dem "Führer" wurden laut,405 denn "es mußte jetzt Klarheit geschaffen werden 1. über die Befugnisse der Statthalter, 2. über den Instanzenzug ... "406 dd) Der Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau der Reichsverwaltung vom 20. Juli 1934 Mit dem Gesetzentwurf über den Neuaufbau der Reichsverwaltung 407 erreichten die Organisationsreformbestrebungen der Innenverwaltung einen Höhepunkt. Der Entwurf hätte einen grundlegenden Umbau der Verwaltungsstrukturen auf Länderebene zur Folge gehabt und ist daher für die Bewertung der administrativen Reformvorstellungen von herausragender Bedeutung. Die zweifachen Fassungen einzelner Paragraphen belegen, daß im Reichsinnenministerium auch zu jener Zeit noch keine Einigkeit über die künftige verfassungsrechtliche Stellung der Reichsstatthalter erzielt worden war: Die erste Fassung hätte die Einheit der Verwaltung in Reinform verwirklicht, weil danach 402 Denn Nicolai hatte sich bereits früher gegen eine Bevormundung des Staates durch die Partei gewehrt und tat dies auch noch später (vgl. die noch folgenden Reformgesetzentwürfe). 403 Dazu siehe bereits oben B III 3 a) dd). 404 Vgl. Bericht Crämers für Frick vom 5.10.1934 über ein Gespräch mit Wagner. Darin stellt Crämer fest, daß Wagner und HeB der festen Absicht seien, daß die Reichneugliederung bei ihnen gemacht werde und nicht im Hause (Bundesarchiv, Akte R 18/ 375, BI. 44 ff., 45 ... ). 405 Von Parteiseite aus hatte Haushofer in dem Anschreiben zu seiner Denkschrift "Der Neuaufbau des Reichs" festgestellt, daß es "wohl nur auf eine Führerentscheidung ankommen" könne; siehe Bundesarchiv, Akte NS 6/773, BI. 50 ff., 53; Pfundtner stimmte dieser Einschätzung mehr oder weniger zu, wie die nachstehende handschriftliche Bemerkung vom 18.6.1934 beweist: Bundesarchiv, Akte NS 6/773, BI. 60. 406 Entsprechende handschriftliche Bemerkung Staatssekretär Pfundtners zu einem Bericht von Medicus vom 18. Juni 1934; Bundesarchiv, Akte NS 6/773, BI. 60. 407 Verfasser unbekannt; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5437, BI. 85 ff.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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allgemeine Reichsverwaltung, Gauselbstverwaltung 408 und Leitung der Parteiorganisation in der Hand der Statthalter zusammengefaßt werden sollte,409 die zweite Fassung beruht demgegenüber auf dem Nicolai zuzurechnenden Grundgedanken, die Leitung der Parteiorganisation und der Gauselbstverwaltung von der Person des Reichsstatthalters als des Leiters der allgemeinen Reichsverwaltung zu trennen. Nur nach der Erstfassung wären die Reichsstatthalter demzufolge voll in den Verwaltungsaufbau des Reiches integriert worden; bei Zugrundelegung der Zweitfassung hingegen hätten sie mehr die Funktion von Richtliniengebern und Aufsichtsorganen besessen - aus der gesetzgeberischen Überlegung heraus, sie mit Verwaltungsarbeit nicht zu überlasten. Lassen sich wesentliche Regelungen des Verwaltungsneuaufbaugesetzes zwar bereits aus dem zugrundeliegenden Reformkonzept entnehmen, so geben doch erst die Einzelnormierungen ein zusammenhängendes Bild. § 1 des Gesetzentwurfes legt die territoriale Gliederung des Reiches in Reichsgaue fest, welche Rechtsnachfolger der in ihnen aufgehenden Länder werden sollten. Hieraus ergibt sich, daß nach den Vorstellungen des Reichsinnenministeriums Territorialneugliederung und Reorganisation der Verwaltung Hand in Hand gehen und zu dem gleichen Zeitpunkt verwirklicht werden sollten: So, wie dies schon nach dem Generalplan für das Vorgehen in der Reichsreform 410 und nach dem Erstentwurf zum Reichsneuaufbaugesetz 411 vorgesehen gewesen war. 412

In § 2 I des Gesetzentwurfes werden die Reichsgaue zu "Verwaltungsbezirken des Reiches" erklärt. Damit soll offenbar ausgesagt werden, daß den Reichsgauen keine originär eigenen Hoheitsrechte mehr zustehen sollen, alle früheren Hoheitsrechte der Länder also grundsätzlich dem Reich verbleiben sollen. Soweit die Reichsgaue Hoheitsrechte des Reiches ausübten, stellten sie tatsächlich auch schon früher nur interne Verwaltungsgliederungen der Reichsverwaltung dar, so daß § 2 I lediglich den 1934 bestehenden Rechtszustand festschreibt. Neu ist demgegenüber die Regelung des § 211 des Gesetzentwurfes, derzufolge neben die reine Reichsverwaltung Gauselbstverwaltung treten sollte. Ausgestaltung und Inhalt jener Selbstverwaltung bleiben aber relativ unklar. Festzustehen scheint nur soviel, daß den neu zu schaffenden Reichsgauen einige der ursprünglich dem Reich zugewiesenen oder auf das Reich übergeleiteten Hoheitsrechte (zurück-)übertragen werden sollten. Obwohl Träger eigener Hoheitsrechte, wären Zur Gauselbstverwaltung nach diesem Entwurf siehe gleich ausführlicher. Diese Gesetzesfassung beruht offenbar auf entsprechenden Überlegungen Medicus' in seiner Denkschrift über die "Neuorganisation des Reichs" (oben B III 4 b) cc) (4». 410 Siehe obenB III 4 b) aa) (4). 411 Oben B III 4 b) bb) (1). 412 Die in § 1 11 des hiesigen Gesetzentwurfes erwähnte, die Territorialneugliederung des Reiches festlegende Anlage ließ sich in den Akten nicht auffinden. 408

409

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

die Gaue hierdurch nicht zu (Teil-)Staaten geworden, weil ihnen insoweit keine originären, "vorstaatlichen" Befugnisse zugestanden hätten. Aus der Tatsache, daß auch den 1940 geschaffenen Reichsgauen der Ostmark und des Sudetenlandes nur ganz bestimmte Aufgaben zur "Selbstverwaltung" übertragen worden sind,413 ist weiterhin zu entnehmen, daß eine Allzuständigkeit für die Aufgaben des regionalen Bereiches, wie sie etwa für kommunale Selbstverwaltung typisch ist, nicht geplant war; nur ganz bestimmte, enumerativ aufzuzählende Aufgaben sollten demnach der Gauselbstverwaltung unterliegen. Ein besonderes Manko des Gesetzentwurfes ist, daß er keine Angaben zum Umfang der Reichsaufsicht im Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten enthält. Daraus darf aber nicht etwa der Schluß gezogen werden, es hätte entsprechend klassischem Verständnis lediglich Rechtmäßigkeitskontrolle stattfinden sollen. Vielmehr muß berücksichtigt werden, daß der Selbstverwaltungsbegriff im Nationalsozialismus grundlegenden Wandlungen unterworfen war. 414 Dementsprechend kann angenommen werden, daß sich die aufsichtsbehördliche Überwachung auf die Vereinbarkeit jeder Einzelmaßnahme mit den Zielen der Staatsführung erstreckt, echte Selbstverwaltung 415 folglich nicht bestanden hätte. 416 Wollte man darüber hinausgehend in der Weise argumentieren, über § 16 des Gesetzentwurfes würden auch insoweit Art. 2 11 Reichsneuaufbaugesetz und § 4 Neuaufbauverordnung Anwendung finden, so daß von uneingeschränkter Dienstaufsicht auszugehen sei, überspannte man den Bogen meines Erachtens. Der Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf will augenscheinlich zwischen allgemeiner Reichsverwaltung und "Selbstverwaltung" differenzieren,denn wozu ansonsten die voneinander abweichende Begrifflichkeit? Die genannte Differenzierung wäre aber sinnlos, wenn sich aus ihr keine sachlichen Unterschiede ergäben. 417 Bedeutungsvoll ist die vom Reichsinnenministerium anvisierte "Selbstverwaltung" nach allem nur wegen des Dezentralisierungseffekts, den sie gehabt hätte. Bei Verwirklichung der entsprechenden Planungen wäre der Reichsverwaltungsaufbau deutlich entschlackt worden und hätten die Länder respektive Gaue ein ganz anderes Erscheinungsbild besessen als nach dem Gesetz vom 30. 1. 1934. 418 Sie wären nämlich weit selbständiger gewesen. 413 Vgl. insoweit oben A II 8 a). 414 Dazu siehe oben A II 7, 8 a). 415 Zum heutigen, demokratischen Selbstverwaltungsbegriff ebenfalls oben A II 7.,

8 a).

416 Zur weiteren VerifIkation vergleiche § 4 des Entwurfes eines Gesetzes über die Fortführung der Reichsreform vom November 1933, oben B III 4 b) bb) (3); auch dort ist von einer um die Ziele der Reichspolitik erweiterten Aufsicht die Rede! 417 Dazu, daß im Bereich der allgemeinen Reichsverwaltung volle Dienstaufsicht des Reiches bestehen sollte, siehe sogleich. 418 Gemeint ist das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches; vergleiche oben A II 5

c).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Deutlich erkennbar werden die formalen Grenzen der Gauselbständigkeit aber, wenn man einen Blick auf die allgemeine Reichsverwaltung in der Mittelinstanz wirft. Zu der allgemeinen Reichsverwaltung sollten die innere Verwaltung, das Finanz-, Sozial-, Erziehungs-, Landwirtschafts-, Forst- und Jagdwesen, die Volksaufklärung, die Wirtschaftsangelegenheiten und die Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören. 419 Die Frage der Reichsaufsicht über diese Behörden ist in dem hier behandelten Gesetzentwurf nur indirekt behandelt. Eine ausdrückliche Neuregelung gegenüber dem nach dem Reichsneuaufbaugesetz bestehenden Rechtszustand trifft der Gesetzentwurf nicht. Demnach hätten über § 16 des Gesetzentwurfes Art. 2 11 des Reichsneuaufbaugesetzes und § 4 der Ersten Neuaufbauverordnung fortgegolten und somit hätte unbeschränkte Dienstaufsicht einschließlich eines Anweisungsrechts des Reiches in personalrechtlichen Fragen bestanden. Folglich hätte das Reich im Bereich der allgemeinen Reichsverwaltung - wie nach dem Reichsneuaufbaugesetz, aber anders als nach dem Gesetzentwurf über die Fortführung der Reichsreform - unbeschränkte Eingriffsmöglichkeiten gegenüber den nachgeordneten Behörden der Mittel- und Unterinstanzen besessen. Von der allgemeinen Reichsverwaltung zu trennen ist der Bereich der sogenannten Reichssonderverwaltung, d. h. unmittelbarer Reichsbehörden, die bestimmte Reichsaufgaben als direkte Organe des Reiches auszuführen haben. Diese Reichssonderbehörden sollten gemäß § 4 11 1,2. Halbsatz des Gesetzentwurfes grundsätzlich nicht der allgemeinen Reichsverwaltung angegliedert werden, sondern selbständig in unmittelbaren Rechtsbeziehungen zum Reich verbleiben. Allerdings wäre ein großer Teil der damals bestehenden Sonderverwaltungen (z.B. des Finanz-, Forst- und Jagdwesens) entsprechend § 5 des Gesetzentwurfes doch in die allgemeine Reichsverwaltung integriert worden. Man erstrebte also die umfassende Neuordnung, Vereinfachung und reichsweite Vereinheitlichung der Organisationsstrukturen. Auf diese Weise hätte eine merkliche Verringerung von Doppelzuständigkeiten und Kompetenzkonflikten erreicht werden können. Die allgemeine Reichsverwaltung sollte nach § 4 11 1 des Gesetzentwurfs unter der Leitung des Reichsstatthalters stehen, der also auch nach der Konzeption dieses Gesetzentwurfes (ähnlich dem Gesetzentwurf über die Fortführung der Reichsreform) zumindest teilweise in den allgemeinen Verwaltungsaufbau integriert werden und nicht mehr neben der Verwaltung stehen sollte. Als Vertreter der Reichsgewalt im Gau hätte er die vom "Führer" vorgegebenen Richtlinien der Politik in seinem Amtsbereich umzusetzen gehabt; demzufolge sollten alle Beamten der allgemeinen Reichsverwaltung ihm unterstehen,420 er also volle fachliche und personelle Aufsicht über diese besitzen. Die allgemeine Reichsverwaltung war nach dem hier zu behandelnden Gesetzentwurf offenbar als mittelbare Reichsverwaltung konzipiert. Zwar sollte der Reichskanzler einen ständigen 419 § 5 des Entwurfes eines Gesetzes über den Neuaufbau der Reichsverwaltung. 420 § 4 11 1 des Gesetzentwurfes.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Stellvertreter des Reichsstatthalters sowie die Leiter der Fachabteilungen der allgemeinen Reichsverwaltung in den Reichsgauen ernennen und entlassen können,421 doch fehlt eine Regelung, wonach diese sowie alle nachgeordneten bisherigen Länderbeamten der allgemeinen Reichsverwaltung direkt in die Reichsbeamtenschaft integriert werden würden, so daß davon auszugehen ist, daß die genannten Beamten auch zu den Reichsgauen in ein Dienstverhältnis treten sollten. Nach Maßgabe der §§ 6 und 7 des Gesetzentwurfes sollte die allgemeine Reichsverwaltung auf der Ebene der Reichsgaue völlig neu aufgebaut werden. Erstmals wurde versucht, interne Gliederung der allgemeinen Reichsverwaltung und Zuständigkeitsverteilung zwischen den einzelnen Ressorts reichseinheitlich zu regeln; die bis dahin ergangenen oder geplant gewesenen Gesetze hatten diese Gliederung, wenn sie überhaupt diesbezügliche Regelungen trafen, der Zuständigkeit der Reichsstatthalter überlassen. 422 Die unter der Leitung des Reichsstatthalters stehende Behörde der allgemeinen Reichsverwaltung sollte danach in die in § 7 11 des Entwurfes genannten ressortmäßig abgegrenzten Abteilungen gegliedert und dem Reichsstatthalter ein Stellvertreter beigegeben werden; letzterer sollte offenbar den Statthalter von der laufenden Verwaltung abschirmen, damit dieser sich den allgemeinen Leitungssowie den Koordinationsaufgaben von Reichs- und Gauverwaltung würde widmen können. Abteilungsleiter 423 und Stellvertreter 424 sollten vom Reichskanzler auf Vorschlag der Reichsregierung ernannt und entlassen werden; der Reichsstatt halter selbst wäre indes vom Reichspräsidenten auf Vorschlag des Reichskanzlers ernannt und entlassen worden. 425 Die Besonderheit dieses Aufbaues liegt darin, daß von der bisherigen Gliederung der Länder bzw. Reichsgaue in Regierungen und nachgeordneten Fachbehörden zugunsten der Bildung einer Einheitsbehörde der allgemeinen Reichsverwaltung mit lediglich ressortmäßig gegliederten Abteilungen abgegangen werden sollte. Diese Regelung hätte die Position des Reichsstatthalters im Vergleich zu allen übrigen Gesetzentwürfen und verwirklichten Gesetzen noch einmal gestärkt; Er wäre der autoritäte "Unterführer" mit nach unten unbegrenzten Eingriffsrechten geworden, in dessen Hand entsprechend dem Prinzip der Einheit der Verwaltung sämtliche Zweige der allgemeinen Reichsverwaltung straff zusammengelaufen wären. Die vollkommene Weisungsunterworfenheit der nachgeordneten Beamten hätte sich in dem so gewählten inneren Aufbau der Verwaltung auch nach außen deutlich widergespiegelt. So ist es denn nur konsequent, wenri § 4 11 1 des hier besprochenen Gesetzentwurfes die gesamte allgemeine Reichsverwal421 422 423 424 425

§§ 6 I, 7 I 2 des Gesetzentwurfes. Vgl. nur § 3 I des Gesetzentwurfes über die Fortführung der Reichsreforrn. § 7 I 2 des Gesetzentwurfes. § 6 I, 2. Halbsatz des Gesetzentwurfes. § 3 I 2 des Gesetzentwurfes.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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tung dem Reichsstatthalter als Behördenleiter unterstellt, also dessen unbeschränkter fachlicher und dienstrechtlicher Weisungsgewalt unterwirft. Die hervorgehobene Stellung des Reichsstatthalters gegenüber seinen nachgeordneten Beamten wird auch dadurch betont, daß er diese zu ernennen und zu entlassen befugt sein sollte (mit Ausnahme der Abteilungsleiter, siehe oben). Der so gewählte innere Aufbau der allgemeinen Reichsverwaltung stellt die bis dahin konsequenteste Verwirklichung des Führerprinzips im Reichsgau dar. Nach unten, d. h. in bezug auf die ihm nachgeordneten Beamten, hätte der Reichsstatthalter, insbesondere im Hinblick auf das Beamtenernennungsrecht, umfassendere Rechte besessen als etwa nach dem 1935 schließlich in Kraft getretenen Reichsstatthaltergesetz 426 und den weiteren verwirklichten Reichsrefonngesetzen; nach oben hin wäre er aber jedenfalls im Bereich der allgemeinen Reichsverwaltung, und insoweit entsprechend der Regelung in den in Kraft getretenen Reichsgesetzen, voll der Weisungsgewalt der obersten Reichsbehörden unterstellt gewesen. Daß es sich insofern um eine Dienstaufsicht gehandelt hätte, ist zwar in dem Gesetzentwurf nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber bereits daraus, daß der Reichsstatthalter Leiter einer den obersten Reichsorganen nachgeordneten Behörde werden sollte. Angesichts der bestehenden Streitigkeiten in dieser Frage ist es jedoch erstaunlich, daß der Gesetzentwurf keine Regelung darüber enthält, ob wie bis dahin dem Reichsinnenminister oder direkt dem "Führer" das Weisungsrecht über die Reichsstatthalter zustehen sollte. Möglicherweise war diese Frage in der Reichsregierung umstritten oder aber es sollte bei der bisherigen Regelung bleiben (letzteres erscheint wahrscheinlich), denn über § 16 des hier in Rede stehenden Gesetzentwurfs in Verbindung mit Artikel 3 des Reichsneuaufbaugesetzes hätte man vom Fortbestehen der Dienstaufsicht des Reichsinnenministers über die Reichsstatthalter ausgehen müssen. Von besonderem Interesse ist auch die Ausgestaltung der Eingriffsbefugnisse des Reichsstatthalters gegenüber den Sonderbehörden des Reiches nach dem hier zu behandelnden Gesetzentwurf. Soweit die Reichssonderverwaltungen nicht in die allgemeine Reichsverwaltung der Reichsgaue eingegliedert worden wären, hätte der Reichsstatthalter keinerlei Aufsichtsrechte gegenüber diesen Behörden besessen, also noch nicht einmal die ihm durch § 2 I des Reichsstatthaltergesetzes zugebilligten Rechte. Dies hätte einen - an sich inkonsequenten - Rückschritt gegenüber den mit dem Gesetzentwurf offenbar verfolgten Zielen der Schaffung einer Verwaltungseinheit und Umstrukturierung des Reichsstatthalters zur zentralen Mittelinstanz der Reichsverwaltung bedeutet; es wäre ein Bereich staatlicher Verwaltung verblieben, der der Einwirkungsmöglichkeit des Reichsstatthalters völlig verschlossen gewesen wäre. 426 Nach § 7 dieses Gesetzes sollte das Emennungs- und Entlassungsrecht bezüglich sämtlicher "Landes"beamter dem "Führer" zustehen, der dieses Recht nur delegieren können sollte.

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Andererseits hätte diese Lösung den Vorteil gehabt, daß eindeutige Weisungsverhältnisse im Bereich der Reichssonderverwaltungen bestanden hätten, während die in § 2 I des Reichsstatthaltergesetzes vom 30. I. 1935 gefundene Lösung Unsicherheiten über den Umfang der Eingriffsbefugnisse der Reichsstatthalter geradezu herausgefordert hat. Allerdings wäre die strikte Trennung zwischen allgemeiner Reichs- und Reichssonderverwaltungen hierdurch beibehalten worden. Im Bereich der vorgesehenen Selbstverwaltung der Reichsgaue läßt der Gesetzentwurf offen, ob der Reichsstatthalter Leiter der diesbezüglichen Gaubehörden werden (als "Gauhauptmann")427 oder lediglich die ,,Aufsicht" über die vom Gauhauptmann geführte Verwaltung ausüben sollte. 428 Es ist auch nicht festgelegt, von welcher Intensität die mögliche Aufsicht über den Gauhauptmann sein sollte. Sähe man den Reichsstatthalter als Leitungsinstanz der Gauselbstverwaltung an, spräche dies für das Bestehen von Dienstaufsicht; dem widerspricht aber der Wortlaut des § 8 I der zweiten Fassung des Entwurfs, nach dem die Leitung der Gauselbstverwaltung bei dem Gauhauptmann liegen sollte. Es erscheint daher wohl zutreffend anzunehmen, daß der Reichsstatthalter insoweit für das Reich und nach dessen Weisung die "erweiterte" Rechtsaufsicht über die Selbstverwaltungsorgane ausüben sollte, was die Trennung der Gauselbstverwaltung von der Person des Reichsstatthalters augenscheinlich gemacht hätte. Besonders interessant ist der vorliegende Gesetzentwurf auch im Hinblick auf die beabsichtigten Maßnahmen zur weiteren Verschränkung von Partei und Staat. Wie oben gesehen,429 sollten die Reichsstatthalter entweder im Nebenamt Parteigauleiter sein oder jedenfalls die Aufsicht über die Parteispitze im Gau ausüben. Dem Vorschlag Nicolais, die NSDAP in das Reichspropagandaministerium einzugliedern,430 war man augenscheinlich nicht gefolgt. Frick blieb allen Versuchen, die PO in den herkömmlichen Behördenaufbau zu integrieren, gegenüber resistent. Berührungspunkte sollten allein im Wege von Personalunionen geschaffen werden. Die etwas nebulöse Fassung des § 9 Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf hätte es darüber hinaus erlaubt, parteiunabhängige Verwaltungsfachkräfte zu Reichsstatthaltern zu bestellen, die auf diesem Wege zugleich die Gauführung der NSDAP übernommen hätten. Das Amt des Parteigauleiters sollte also nach dem des Reichsstatthalters besetzt werden können. 431 In der von einem aggresiven Nebeneinander von PO und Reichsbehörden geprägten Verfassungswirklichkeit hätte alles aber auch anders aussehen können. 427 § 8 I der ersten Fassung des Gesetzentwurfs. 428 § 8 I der zweiten Fassung des Gesetzentwurfs. 429 In diesem Abschnitt. 430 Vergleiche obenB III 4 b) cc) (4). 431 Ob § 9 des Gesetzentwurfes bewußt oder unbewußt in dieser Weise gefaßt wurde, läßt sich nicht aufklären. Theoretisch jedenfalls wären die aufgezeigten Maßnahmen rechtlich zulässig gewesen.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Reichsstatthalter wären dann unter Umständen nur die NSDAP-Gauleiter geworden, welche in ihrem Staatsamt eine größere Machtfülle denn je besessen hätten. Die Gauleiter-Reichsstatthalter hätten außerdem schon entsprechend der förmlichen Gesetzeslage direkten Einfluß auf die Verwaltungsführung nehmen können, womit in der Sache allerdings nur die damals real bestanden habenden Zustände normiert worden wären. Schließlich hätte erst die Praxis zeigen müssen, ob sich die Statthalter mit einer Unterstellung unter die Reichsministerien abgefunden hätten. Es dürfen demnach einige Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit des hier behandelten Gesetzentwurfes angemeldet werden. Eine echte Abgrenzung der Befugnisse von PO und Staat hätte es nicht gegeben, Raum für "evolutionäre Entwicklungen" in beider Richtung war genug vorhanden. Vielleicht bestanden Chancen zu einer umfassenden Neuorganisation der Reichsverwaltung nur noch, wenn mit möglichst weit gefaßten und der NSDAP hinreichende Spielräume lassenden Normen Heß' Einverständnis erkauft wurde. Bislang nicht behandelt worden ist, wie nach dem Gesetzentwurf die zukünftige Volksvertretung auf Gauebene konzipiert wurde. Hierzu nunmehr: In Verfolg Nicolaischer Reformvorstellungen vorgesehen war insoweit, Reichsgauräte zu bilden, die allerdings höchstens je 30 Mitglieder haben sollten. Das Ernennungsrecht bezüglich der Gauräte sollte dem Reichsstatthalter zustehen, also nicht, wie nach Nicolai und Tatarin-Tamheyden, der Vertretungskörperschaft der nächstniederen Verwaltungsinstanz. Der Reichsgaurat war augenscheinlich als Nachfolgeorgan der damaligen Landtage geplant; als eine Art "Volksvertretung" sollte er an den Geschäften der Gauverwaltung mitwirken. Welche Form der Mitwirkung vorgesehen war, läßt sich dem Gesetzentwurf zwar nicht entnehmen. Es ist aber nicht damit zu rechnen, daß sie über ein Recht zur Beratung des Reichsstatthalters, das schon in dem Entwurf eines Gesetzes über die Fortführung der Reichsreform verankert worden war, hinausgehen sollte. Die §§ 11-12 des Gesetzentwurfes enthalten einige rudimentäre Regelungen betreffend den Aufbau der Verwaltung auf der Ebene der Kreise, die weitgehend der für die Reichsgaue getroffenen Regelung entsprechen. Insbesondere hätte die Stellung des Landrates grundsätzlich derjenigen des Reichsstatthalters entsprochen. Insgesamt gesehen besitzt der Gesetzentwurf recht starke dezentralistische Elemente, die weit über das im Reich schließlich verwirklichte Maß hinausgehen. Dies hätte vor allem zu einer Stärkung der formalrechtlichen Position der Reichsstatthalter und damit - wohl - der NSDAP geführt. Die Statthalter hätten die Verwaltung innerhalb ihres Geschäftsbereiches weitgehend selbständig leiten und überwachen können; so, wie sie es auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlagen in einigen deutschen Ländern taten! Ob sie sich hingegen wirklich in den Verwaltungsaufbau des Reiches integriert hätten, erscheint nach allem, war wir bereits wissen, äußerst zweifelhaft. 432

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Hierbei handelt es sich aber um eine verwaltungspraktische Frage. In der Theorie jedenfalls wären voll weisungsabhängige zentrale Reichsmittelinstanzen geschaffen worden, denen nur noch wenige Sonderverwaltungen gegenübergestanden hätten. Wenn einige wichtige Fragen, etwa die nach dem Umfang der Reichsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten, keiner ausdrücklichen Lösung zugeführt worden, dokumentiert dies nur insoweit bestehende Unsicherheiten des Ministeriums Frick. Gleichwohl hätte das Verwaltungsneuaufbaugesetz eine große Tragweite besessen. Mit seiner Verwirklichung wäre die Verwaltungsreform auf Reich-/ Länderebene mehr oder weniger abgeschlossen worden. Die merkwürdige Unfertigkeit und Planlosigkeit des Fortgangs der Reichsreform konnte also nicht darin ihren Grund haben, daß es an der Ausarbeitung entsprechender Gesetzentwürfe fehlte. ee) Weitere Bemühungen um die Schaffung einer reichseinheitlichen Verwaltungsmittelinstanz; Vorarbeiten zum (2.) Reichsstatthaltergesetz und zur zweiten Reichsneuaufbauverordnung Vielmehr werden von allerhöchster Stelle Bedenken gegen eine allzu rasche, umfassende Neustrukturierung des Behördenaufbaues im Reich erhoben worden sein. Unzweifelhaft war allein, daß es angesichts immer stärkerer Friktionen zwischen Reichsstatthaltern, Landesministern und obersten Reichsbehörden zumindest einer übergangsweisen Neuordnung der bisherigen Landesverwaltung bedurfte.

(1) Die Ministerialbesprechung vom August 1934 Die dabei anfangs, d. h. bis zum Erlaß des Reichsneuaufbaugesetzes, zu beobachten gewesene Zentralisierungstendenz kehrte sich im Laufe des Jahres 1934 mehr und mehr in ihr Gegenteil um; Dezentralisierung war jetzt Trumpf. Dies belegen die Aufzeichnungen über eine Ministerbesprechung im August 1934 433 ganz eindeutig. Inhaltlich ging es in der Besprechung um die Folgen der Verreichlichung des preußischen Verwaltungsapparates sowie um das Problem der wachsenden Zahl von Sonderverwaltungen. Bei Konferenzende wurde schließlich Einigkeit dahingehend erzielt, "daß auf die Dauer der Prozeß der Zentralisierung nicht weitergeführt werden" könne. 432 Eher noch wäre aus ihnen doch wohl ein Störfaktor für die Reichsbürokratie erwachsen! 433 Vergleiche insoweit Vennerk Medicus' für Staatssekretär Pfundtner vom 22.8.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5440, BI. 211 ff.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Das Startsignal zur Bekämpfung der Polykratie in den Reichsressorts war damit gegeben. Eine Kräftigung der allgemeinen inneren Verwaltung tat auch not, hatte doch die nach 1933 rasch einsetzende Verreichlichung im Laufe der ~it einen Pluralismus zentralisierter Verwaltungssysteme entstehen lassen, den kaum noch jemand zu überblicken vermochte. Im Einzelfall waren jedoch noch erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, denn bereits in der genannten Ministerbesprechung hatte man festgestellt, daß unklar sei, "wer eigentlich die "Reichsmittelinstanz" im Zuge der Reichsreform bilden wird, an die man Zuständigkeiten abgeben könnte". 434

(2) Erste Rückschläge im Vorfeld der ReichsstatthaltergesetzentwurJsplanungen Hitlers Äußerung auf dem Parteitag 1934, "nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat", 435 und die sich daran anschließende Debatte über das Verhältnis von Partei und Staat 436 waren dem Fortgang der Reformplanungen äußerst hinderlich. Nicht nur, daß viele Kräfte durch die Abwehr neuerlicher Machtansprüche der NSDAP-Führung gebunden wurden. Vor allem aber wurde klar, daß Hitler Fricks Administration in ihrem Bemühen um eine Ausschaltung des Parteieinflusses von der Verwaltungsarbeit nicht mehr uneingeschränkt unterstützte. Solange der Reichskanzler seinen Parteitags-Ausruf nicht näher erläuterte (und er tat dies zu keiner Zeit), mußten auch verzweifelten Interpretationsversuchen der Innenverwaltung dahingehend, die nationalsozialistische Reichsführung befehle dem Staat,437 der Erfolg versagt bleiben. Deshalb gelangten neue Reformgesetzentwürfe nur sehr zögerlich und in weitem zeitlichen Abstand zu früheren Planungen zur Entstehung. (3) Die Regelungen des Erstentwurfs eines Gesetzes

über die Neugliederung des Reiches

Der bereits oben 438 behandelte Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 8.10. 1934 43g enthält auch einige wenige Regelungen, die Auf434 Vennerk Medicus' für Pfundtner vom 22.8.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/

5449, BI. 211.

435 Vergleiche Hitlers Proklamation vom 7.9. 1934; abgedruckt in: Völkischer Beobachter vom 8.9.1934, Berliner Ausgabe. 436 Dazu siehe etwa Diehl-Thiele. S. 18 ff.; Broszat. Staat Hitlers, S. 160,; im Rahmen dieser Debatte sah sich Frick zu seinem Vortrag vor Reichswehroffizieren am 15.11.1934 veraniaßt! 437 So Frick in seinem Vortrag vom 15.11.1934, veröffentlicht unter dem Titel "Der Neubau des Dritten Reiches", C. Heymanns Verlag Berlin 1935, dort S. 6. 438 Siehe oben B III 3 a) ee). 439 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 399 ff.

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schluß über den geplanten Verwaltungsaufbau im Verhältnis der Länder zum Reich geben. Sie decken sich in groben Zügen mit der durch den Gesetzentwurf über den Verwaltungsneuaufbau getroffenen Regelungen. So sollten nach Art. 2 III dieses Gesetzentwurfes die Reichsgaue ebenfalls "Selbstverwaltungsträger" sein; diese "Selbstverwaltung" wäre wie gehabt neben eine Reichsverwaltung getreten, in deren Rahmen dem Reich umfangreiche Aufsichtsrechte über die Verwaltungsbehörden der Länder zugestanden hätten, wie sich daraus ergibt, daß die Reichsgaue insofern als "Verwaltungsbezirke des Reichs" bezeichnet werden,44O gegenüber Behörden untergeordneter Verwaltungsbezirke aber regelmäßig Dienstaufsicht besteht. Aus der gleichen Formulierung läßt sich weiterhin entnehmen, daß die Reichsgaue zunächst entstaatlicht werden und erst anschließend "nach Maßgabe der Gesetze"441 eigene, allerdings abgeleitete, Hoheitsrechte übertragen erhalten sollten. Das Reich hätte demnach trotz "Selbstverwaltung" auf der Ebene der Reichsgaue nicht wieder bundesstaatlichen Charakter erhalten. Bedeutsam ist schließlich auch die Regelung des Art. 2 II des hier besprochenen Gesetzentwurfes, wonach "der Reichsgau zugleich ... ein Gau der NSDAP ist". Damit war gerade nicht gemeint, daß die künftigen Reichsgau- nunmehr den bestehenden Parteigaugrenzen angeglichen werden sollten. Wie ein Blick auf die nach dem Neugliederungsgesetzentwurf zu errichtenden 16 Reichsgaue unzweifelhaft ergibt, hätten deren Grenzen überhaupt nicht mit denjenigen der NSDAPGauführung übereingestimmt. Das konnte aber nur heißen, daß eine Anpassung der Parteigau- an die Reichsgaugrenzen stattfinden sollte. Auf diese Weise hätte nicht die NSDAP dem Staat befohlen, sondern umgekehrt der Staat der NSDAP. Die Innenverwaltung begab sich also in Konfrontation zur Partei, welche Neugliederungsüberlegungen nach Art der soeben vorgestellten rundweg ablehnen mußte. 442 Augenscheinlich wollten Frick und seine Mitstreiter nach außen hin noch einmal verdeutlichen,bei wem die Reichsreform gemacht wurde, denn es galt zu verhindern, daß die Staatsautorität 443 durch immer neue voneinander abweichende Gebietseinteilungen der Wirtschaftsverbände und der Reichsbehörden am Ende ganz untergraben werden würde. 444

440 Art. 2 I des Gesetzentwurfes vom 8. 10. 1934. 441 Vergleiche den Wortlaut von Artikel 2 III des Gesetzentwurfes vom 8.10.1934. 442 Siehe dazu insbesondere Loepers Neugliederungsvorstellungen, oben B III 3 b) aa) (parteigaue als Grundlage für die Reichsgaueinteilung!). 443 Gemeint war wohl in erster Linie die Autorität des Reichsinnenministeriums. 444 Darauf wurde in der vorgesehenen Amtlichen Begründung zu dem Reichsneugliederungsgesetz vom 8.10.1934 hingewiesen: Vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt

417ff.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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(4) Die Gesetzentwürfe des Reichsinnenministeriums vom 7. November 1934 Nachdem im Herbst 1934 klar geworden war, daß Territorial- und Organisationsreform nicht gleichzeitig realisiert werden konnten, richteten sich alle Anstrengungen der Innenverwaltung auf eine Lösung des Reichsstatthalterproblems. Man ging nunmehr endgültig davon aus, die Statthalter - und nicht etwa die Länderministerpräsidenten - zu Leitern der neuen Reichsmittelbehörden zu machen,wie dies schon im März 1934 geplant,445 im August des gleichen Jahres aber wieder in Frage gestellt worden 446 war. Die hiermit partiell verbundene Stärkung der Hitlervasallen glaubte man in Kauf nehmen zu können, weil zeitgleich die preußischen mit den Reichsressorts vereinigt wurden 447 und somit die Reichszentralgewalt ein starkes Eigengewicht zu gewinnen schien. An die sehr zukunftsorientierten Planungen vom Juli 1934 448 reichten die neuen Gesetzentwürfe allerdings nicht mehr heran, ging es doch nur noch darum, eine "bis zur Reichsneugliederung"449 einigermaßen haltbare Übergangsregelung zu treffen. Im Gegenteil kann während der Reichsstatthaltergesetzentwurfsphase vielmehr eine schrittweise Minimierung der vorgesehenen Umstrukturierungsmaßnahmen beobachtet werden. 450 445 Im Konzeptmaterial des Reichsinnenministeriums für die Länderministerpräsidentenkonferenz vom 23.3.1934 hieß es nämlich (Bundesarchiv, Akte R 18/5441, Blatt 189): "Bei künftigem Neubau des Reichs entfällt die heutige Doppelregierung von Statthalter und Landesregierung; Statthalter wird alleiniger Repräsentant des künftigen Reichsgaues. Er bildet die Spitze der MittelsteIlen ... " 446 Dazu soeben B III 4 b) ee) (1). 447 Auch die Zusammenlegung der meisten preußischen mit den Reichsressorts im Herbst 1934 stellt sich nur als Kompromißlösung dar. Aus dem Entwurf einer ,,zweiten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches", etwa Anfang 1934 ausgearbeitet (Bundesarchiv, Akte R 18/5437, Blatt 107 f.) und mit völlig anderem Regelungsinhalt als die gleichnamige Verordnung vom 27. 11. 1934, geht nämlich hervor, daß zunächst die Eingliederung sämtlicher preußischer Ministerien in die Reichsministerien geplant war; auch die Aufgaben des Preußischen Ministerpräsidenten sollten nach § 2 I des Verordnungsentwurfes auf den Reichskanzler übergehen. Im Falle der Verwirklichung dieser Planung hätte Preußen keine eigenen Verwaltungsorgane mehr besessen, die Verreichlichung wäre also mehr oder weniger vollständig gewesen. 448 Gemeint ist das Verwaltungsneuaufbaugesetz vom 20.7.1934, oben B III 4 b) dd). 449 Vgl. insoweit den Vorspruch zur 2. Reichsneuaufbauverordnung vom 27. 11. 1934; in RGBI. 1934, Teil I, S. 1190. 450 Keineswegs darf hieraus jedoch der Schluß gezogen werden, daß sich die innenbehördlichen Verwaltungsreformvorstellungen (dazu BIlIvor 4 a)) ab 1934 grundlegend gewandelt hätten. Mehreren Äußerungen Fricks und seiner nachgeordneten Beamten aus den Jahren 1936-1939 (siehe unten B III 4 b) gg) (4), 4 b) hh)) ist vielmehr zu entnehmen, daß als Fernziele immer noch Verwaltungsdezentralisation, "Selbstverwaltung", Vereinheitlichung des Länderbehördenaufbaus, Einbau der Statthalter in den Staatsapparat sowie Neugliederung des Reiches angestrebt wurden. Die im Verlaufe der Reform zu verzeichnenden Abstriche von früheren Entwurfsplanungen können deshalb auf Interessenkonflikte mit anderen Staatsorganen zurückgeführt werden! 15 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Das zeigt bereits ein Vergleich der am 7. November 1934 von Ministerialdirigent Nicolai Staatssekretär Pfundtner "weisungsgemäß vorgelegten"451 Kodifikationen mit dem Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf, wie nachstehend zu beweisen ist. Bei Nicolais Vorlagen handelt es sich um ein "Gesetz über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten", 452 eine "vorläufige Verordnung zur Vereinheitlichung der Verwaltung"453 und eine "Verordnung über die Erweiterung der Befugnis des preußischen Oberpräsidenten". 454 Die beiden Verordnungsentwürfe unterschieden sich vor allem im Hinblick auf den Umfang des oberpräsidialen Aufsichtsrechts über die staatlichen Verwaltungsbehörden und dokumentieren so innerministerielle Unsicherheiten hinsichtlich des Fortgangs der Reform. Nach § 2 I des (engeren) Entwurfes einer vorläufigen Verwaltungsvereinfachungsverordnung sollte den Oberpräsidenten als ständigen Vertretern der Reichsregierung in der Provinz das Recht zustehen, sich "von sämtlichen Reichsund Landesbehörden innerhalb der Provinz unterrichten zu lassen, sie auf die maßgebenden Gesichtspunkte und die danach erforderlichen Maßnahmen aufmerksam zu machen und bei Gefahr im Verzug einstweilige Anordnungen zu treffen", von deren Erlaß jedoch die zuständigen Reichsminister unverzüglich zu unterrichten sein sollten. 455 Diese Neuregelung des Aufsichtsrechts der Oberpräsidenten entspricht im wesentlichen derjenigen, wie sie durch § 2 der zweiten Reichsneuaufbauverordnung später verbindlich geworden ist. Den Oberpräsidenten, die bis dahin Aufsichtsrechte nur im Bereich der preußischen Landesverwaltung 456 besessen hatten, wären hierdurch Einwirkungsrechte gegenüber allen Behörden der nunmehr ausschließlich bestehenden mittelbaren und unmittelbaren Reichsverwaltung auf Provinzialebene eingeräumt worden. Diese Einwirkungsrechte wären aber nur eingeschränkt gewesen; ein Anweisungsrecht gegenüber den Behörden auf der Provinzialebene etwa hätten die Reichsstatthalter nur bei "Gefahr im Verzug", d. h. bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein rechtzeitiges Eingreifen der hierfür an sich zuständigen obersten Reichsbehörden unmöglich machten, ausüben dürfen, ansonsten wären sie auf die bloße Möglichkeit, Hinweise zu 451 Siehe insoweit Anschreiben Nicolais an Staatssekretär Pfundtner vom 7.11.1934, mit dem die nachstehend bezeichneten Entwürfe diesem zugeleitet wurden; Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 19 f. 452 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 23 ff. 453 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 31 ff. 454 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 35 ff. 455 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 31 f. 456 Die Oberpräsidenten waren ja, wie bereits oben A 11 5 d) dargestellt, nicht unmittelbar in den preußischen Staatsaufbau integriert, sondern als Kontrollorgane über die Regierungspräsidenten als den eigentlichen Mittelbehörden des Staats konzipiert.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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geben, beschränkt gewesen. Von Bedeutung ist weiter, daß die genannten, an sich relativ schwachen Einwirkungsrechte (wie nach der später verwirklichten Regelung) den Oberpräsidenten auch gegenüber den Reichssonderbehörden zustehen sollten. Das stellt einen Schritt in Richtung auf die Schaffung provinzialer Einheitsadministrationen dar, aber eben nicht mehr. Beachtet werden muß nämlich, daß das Schwergewicht der Verwaltungsarbeit auf den - ja fortbestehenden - Regierungspräsidien lag und daß die oberpräsidialen Anweisungsbefugnisse insoweit nur eine äußerst geringe Intensität gehabt hätten. Von einer echten Lösung des Kompetenzkonflikts in der Reichsmittelinstanz konnte danach keine Rede sein. Vielmehr wären die Oberpräsidenten nach wie vor außerhalb der eigentlichen Verwaltung stehende Kontrollorgane geblieben; sie hätten eine Stellung erlangt, wie sie sich schon damals als angesichts des vorherrschenden Dualismus' unhaltbar erwiesen hatte. Demgegenüber hätte die Verordnung zur Befugniserweiterung der Oberpräsidenten eine deutliche Veränderung der bestehenden Verhältnisse bewirkt. Nach ihrem § 2 11 war vorgesehen, den Oberpräsidenten ein generelles Weisungsrecht gegenüber allen mittelbaren Reichsbehörden und einen Teil der Sonderbehörden zu gewähren. 457 Insbesondere bezogen auf die Reichssonderverwaltungen der Wehrmacht, des Reichsluftfahrt- und des Jagdwesens sowie der Reichsjustiz sollten den Oberpräsidenten allerdings keinerlei Einwirkungsrechte zustehen. 458 Ob die oberpräsidialen Weisungsbefugnisse nur fachlicher oder auch personeller Natur gewesen wären, geht aus dem Verordnungsentwurf nicht eindeutig hervor. Seiner allgemein gehaltenen Fassung nach zu urteilen, sollten aber wohl auch personalrechtliche Weisungen zulässig sein. Die Realisierung der Befugniserweiterungsverordnung, deren diesbezügliche Regelungen offenbar an diejenigen des zunächst geplanten Verwaltungsneuaufbaugesetzes 459 anknüpften, hätte somit zu einer erklecklichen Erweiterung oberpräsidaler Rechte geführt. Die Regierungspräsidien wären zwar noch bestehen geblieben, hätten jedoch dem bestimmenden Einfluß des jeweiligen Oberpräsidenten unterstanden. In Händen der Oberpräsidenten wäre - mit Abstrichen! 460 - eine zentrale Reichsmittelinstanz geschaffen worden, der gegenüber die Regierungspräsidenten nachgeordnet sein sollten. Damit hätten die Oberpräsidenten eine Zwischenstufe auf dem Anweisungsweg zwischen den obersten Reichs- und den eigentlichen Mittelbehörden gebildet, die Reichsreform wäre hierdurch spürbar vorangetrieben worden. Vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 35. § 2 IV des Verordnungsentwurfes. 459 Auch nach diesem Gesetzentwurf sollten die Reichsstatthalter gegenüber den fortbestehenden Reichssonderbehörden keine Aufsichtsrechte besitzen. 460 Einschränkungen deshalb, weil eine einheitliche, auch die bisherige Regierungspräsidialbehörde einschließende Oberpräsidialverwaltung noch nicht geschaffen worden wäre. 457

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Bezüglich des Aufsichtsrechts der obersten Reichsbehörden über die Oberpräsidenten gleichen sich die beiden Verordnungsentwürfe (vgl. dort § 1 11 bzw. § 1, 2. Halbsatz). Die Oberpräsidenten sollten den zuständigen Reichsministern "unterstehen", also unter Umgehung der bisherigen Landesbefugnisse direkt oberbehördlicher Fach- und Dienstaufsicht unterworfen sein. Am Ende sei noch erwähnt, daß gemäß § 2 III der Vorläufigen Vereinheitlichungsverordnung bzw. § 3 der Befugniserweiterungsverordnung den Oberpräsidenten zukünftig weitere Reichszuständigkeiten hätten übertragen werden sollen. Beide Kodifikationen waren also lediglich als erster Schritt zu einer umfassenden Strukturreform gedacht. Was die Befugniserweiterungsverordnung für die Oberpräsidenten, das sollte das von Nicolai vorgelegte Reichsstatthaltergesetz 461 für die Statthalter darstellen. Den Reichsstatthaltern mußten die gleichen (Weisungs-)Rechte eingeräumt werden wie den Oberpräsidenten, 462 darüber konnte kein Zweifel herrschen. Dementsprechend gewährte Art. I § 1 des Gesetzentwurfes ihnen die Kompetenz, den (bisherigen) obersten Landesbehörden und den Reichsmittelbehörden (gemeint sind damit offenbar die Reichssonderbehärden auf der Stufe der Länder) Anweisungen zu erteilen; davon ausgenommen waren die Wehrmacht, die Justiz-, die Luftfahrt- und die Jagdverwaltung. Vorstehende Regelung wäre erheblich weiterreichender gewesen als diejenige nach § 2 des schließlich in Kraft getretenen Reichsstatthaltergesetzes. Während den Reichsstatthaltern 1935 lediglich beschränkte Einwirkungsrechte (Hinweisrecht; Anordnungsrecht nur bei Gefahr im Verzug),463 allerdings gegenüber sämtlichen Behörden auf Länderebene, zugebilligt wurden, hätten sie durch die Zuerkennung eines allgemeinen Weisungsrechts zentrale Mittelinstanzen der Reichsverwaltung werden müssen. Ob die Reichsstatthalter nur zu fachlichen oder auch zu dienstrechtlichen Weisungen befugt sein sollten, läßt der Gesetzentwurf indes ungeregelt. Der Normwortlaut deckt jedoch auch die Erteilung dienstrechtlicher Weisungen, so daß wohl von letzterem auszugehen ist: Denn das Anweisungsrecht sollte den Reichsstatthaltern in allen (also auch den personalhoheitsrechtlichen) Angelegenheiten der landesbehärdlichen Zuständigkeit zustehen. Die zentrale Stellung im Verwaltungsaufbau der Länder, die der Reichsstatthalter nach dem Gesetz über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten innegehabt hätte, wird noch dadurch verdeutlicht, daß er nach Art. I § 5 dieses Gesetzentwur461 Noch einmal: Entwurf eines Gesetzes über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 23 ff. 462 So Nicolai in seinem Aktenvermerk vom 7. 11. 1934 an Pfundtner, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, hier Blatt 20. 463 Hierzu wäre es bezogen auf die Oberpräsidenten übrigens auch bei Verwirklichung der Vorläufigen Vereinheitlichungsverordnung gekommen.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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fes Vorsitzender der Landesregierung werden sollte. Allerdings wäre er gegenüber der Reichsregierung weisungsabhängig gewesen, wie sich daraus ergibt, daß der Art. 211 des Reichsneuaufbaugesetzes, durch den die Landesregierung der Reichsregierung unterstellt wurde, von dem hier behandelten Gesetz nicht aufgehoben worden wäre; dementsprechend hätte das Reich weiterhin dem "Führer" der Landesregierung bzw. den jeweiligen Ressortleitern fachliche und dienstliche Weisungen, letztere auch in bezug auf die nachgeordneten Beamten, erteilen können. Alle diese Regelungen standen im Einklang mit dem Führerprinzip. Die genannten Normierungen hätten die Stellung der Reichsstatthalter innerhalb ihres Verwaltungsbezirkes erheblich gestärkt; sie wären weit über diejenigen nach dem Reichsstatthaltergesetz von 1935 hinausgegangen und sind in groben Zügen vergleichbar mit denjenigen nach dem geplanten Verwaltungsneuaufbaugesetz. Von dem geplanten Verwaltungsneuaufbaugesetz weicht der hier behandelte Gesetzentwurf aber insoweit ab, als die bisherigen Länderministerien als selbständige Behörden noch erhalten bleiben, also keine einheitliche Reichsstatthalterbehörde mit Fachabteilungen gebildet werden sollte. Die konsequente innere Neuorganisation der "obersten Länderbehörde" wäre damit noch unterblieben, die Reichsstatthalter wären also lediglich in Personalunion zugleich Ministerpräsidenten ihrer Länder geworden. Auch was die Dezentralisation von Verwaltungsaufgaben anbelangt, geht der hier behandelte Gesetzentwurf nicht so weit wie der Entwurf für ein Verwaltungsneuaufbaugesetz. "Selbstverwaltung" auf der Ebene der (noch nicht zu Reichsgauen umzuwandelnden) Länder ist hier nicht mehr vorgesehen. Daher wären (und insofern besteht Übereinstimmung dieses Gesetzentwurfes mit dem Reichsstatthaltergesetz vom 30.1.1935) die Länder Verwaltungsbezirke des Reiches ohne eigene Hoheitsrechte, sämtliche Verwaltungsaufgaben also solche des Reiches geblieben. Die vom Entwurf in Aussicht genommene Rechtsstellung der bisherigen Länderbeamten gleicht ebenfalls im wesentlichen der späteren endgültigen Regelung: Die Länderbeamten sollten wie die Mitglieder der Landesregierungen vom "Führer" ernannt und entlassen werden, wobei der "Führer" die Möglichkeit besitzen sollte, diese Rechte weiterzuübertragen. 464 Anders als nach der endgültigen Regelung sollten die Reichsstatthalter allerdings ein Vorschlagsrecht bei der Ernennung sämtlicher Landesbeamten (und nicht nur in bezug auf die Mitglieder der Landesregierung) haben. Da eine förmliche Überleitung der bisherigen Länderbeamten in die Reichsbeamtenschaft auch nach dem hier behandelten Gesetzentwurf nicht erfolgt wäre, hätte sich die Ausführung von Reichsaufgaben durch die Länderbehörden wie bis dahin und wie auch nach dem späteren Reichsstatthaltergesetz wohl noch als mittelbare Reichsverwaltung dargestellt. 464

Vgl. §§ 2, 4 des Gesetzentwurfes vom 7.11.1934.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Zusammenfassend betrachtet fällt auf, daß das geplante Gesetz über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten die Neuordnung der Verwaltung auf der Ebene der bisherigen Länder stärker als das schließlich in Kraft getretene Reichsstatthaltergesetz vom 30.1.1935, aber nicht so stark wie das geplante Verwaltungsneuaufbaugesetz vorangetrieben hätte; es macht deutlich, daß das Reichsinnenministerium zuvor bereits Abstriche an seiner Planung für einen umfassenden Umbau der Verwaltungsstrukturen auf Länderebene hatte hinnehmen müssen. Eine vollständige Behördenneuorganisation unter gleichzeitiger Abschaffung der bestehenden Ministerialverwaltungen konnte offenbar zumindest zunächst nicht mehr durchgesetzt werden. Demgegenüber ging man noch davon aus, das unglückliche Nebeneinander von Reichsstatthaltern und Ministerpräsidenten dadurch konsequent auflösen zu können, daß man beide Ämter zusammenfaßte. Aber auch dies gelang nicht, wie die Regelung des § 4 des Reichsstatthaltergesetzes vom 30.1. 1935 beweist. Das Einwirkungsrecht über die Behörden auf der Länderinstanz, hier noch als Weisungsrecht ausgestaltet, ist schließlich ebenfalls zu einem bloßen Hinweisrecht bzw. Anordnungsrecht in außergewöhnlichen Situationen vermindert worden. Beide Maßnahmen stellten erhebliche Rückschritte auf dem geplanten Weg der Verwirklichung der Einheit der Verwaltung in den Ländern dar; nur auf den ersten Blick mußten sie den Statthaltern schaden. Zwar blieben den Reichsstatthaltern am Ende formalrechtlich nur sehr begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Verwaltungsführung in Ländern und Provinzen. Das machte ihnen aber scheinbar wenig aus, setzten sie sich doch mehr als einmal darüber hinweg. Umgekehrt wurde indes ein vollständiger Einbau der "Territorialfürsten" in die zentralistische Reichsverwaltung verhindert. 465 Der ministerielle Druck auf sie hielt sich auf diese Weise in Grenzen, und die Statthalter konnten weiter von sich behaupten, unmittelbare Vertreter des "Führers" in der Landschaft zu sein. 466 Daß den Reformbemühungen Fricks so wenig Erfolg zuteil wurde, dürfte nach allem auf Hitler selbst zurückzuführen sein, der Ministerpräsidenten und Reichsstatthaltern nicht weh tun wollte 467 468 und deshalb nur die unbedingt erforderlichen Reformmaßnahmen bewilligte. 465 Zwar waren die Statthalter fonnaljuristisch der Reichsinnenverwaltung weisungsunterworfen, hatten aber nicht die Leitung zentraler Landesbehörden übertragen erhalten. 466 Besonders extrem findet sich diese Haltung bei den Reichsstatthaltern in den 1940 gebildeten Gauen auf ehemals polnischem Gebiet. Wie bereits vom A 11 5 d) erwähnt, anerkannte Reichsstatthalter Greiser keinerlei direkte Berichterstattungspflichten ihm unterstellter Behörden und führte zur Begründung aus, anderenfalls würde er zu einer der Bürokratie des Innenministeriums gefügigen Puppe degradiert werden (vgl. Schreiben vom 11.6.1941 an Frick in: Bundesarchiv, Akte R 4311/583, BI. 108 ff. und Schreiben vom 29.9.1941 an Reichsminister Lammers; in: Bundesarchiv, Akt R 43 11/583, BI. 105 f., 106 R). 467 Immerhin hätten ja nach den bisher behandelten Gesetzentwürfen zumindest die Ministerpräsidenten ihr Amt verloren. 468 Dazu im einzelnen noch unter E.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

231

(5) Der GesetzentwurJvom 5. Dezember 1934 Über die weiteren Planungen des Reichsinnenministeriums gibt ein Vermerk aus der Reichsinnenverwaltung für Staatssekretär Stuckart von etwa Februar / März 1935 Auskunft. 469 Danach wurde seitens der Abteilung I des Reichsinnenministeriums Minister Frick am 24. 11. 1934 ein (weiterer?) erster Reichsstatthaltergesetzvorentwurf mit der Bitte vorgelegt, im Wege einer generellen Regelung die Reichsstatthalter zu Vorsitzenden der Landesregierungen zu ernennen. In dem Entwurf waren "auch sonstige Zuständigkeiten den Reichsstatthaltern übertragen"470 worden. Ob es sich bei dem diesbezüglichen Gesetzentwurf um das geplante "Gesetz über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten", das Nicolai am 7. 11. 1934 seinem Staatssekretär vorgelegt hatte, handelt, ist ungewiß; ein anderer, zu diesem Zeitpunkt bereits ausgearbeiteter Entwurf findet sich in den Akten allerdings nicht. Auch könnte dafür, daß es sich hierbei um den Nicolaischen Entwurf handelt, sprechen, daß Minister Frick die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Zuständigkeitsverlagerung als zu weitgehend bezeichnete 471 und in den nachfolgenden Entwürfen die Einwirkungsrechte der Reichsstatthalter auf die Behörden in der Länderinstanz schwächer ausgestattet wurden, wie noch zu zeigen ist. Ein weiterer überlieferter und als "maßvoller" charakterisierter Gesetzentwurf ist dem Reichsinnenminister der Quelle zufolge am 5. 12. 1934 vorgelegt worden. Auch nach diesem Entwurf sollten die Reichsstatthalter zugleich Leiter der Landesregierungen sein. Weitere aufgefundene Entwürfe stammen vom 29.12.1934 (von Reichsminister Frick persönlich ausgearbeitet) und von Anfang Januar 1935. Demnach ist davon auszugehen, daß es sich bei dem im Aktenbestand des Bundesarchivs, Akte R 18/5442, Blatt 247 ff., überlieferten Gesetzentwurf um den Entwurf vom 5. 12. 1934 handelt. 472 § 1 I dieses Gesetzentwurfes regelt die Stellung des Reichsstatthalters als ständiger Vertreter der Reichsregierung und entspricht damit inhaltlich bereits im wesentlichen der endgültigen Gesetzesfassung.

In § 1 11 dieses Gesetzentwurfes werden die Aufsichtsrechte des Reichsstatthalters über die "Reichs behörden sowie die Dienststellen der unter Reichsaufsicht stehenden öffentlich-rechtlichen Körperschaften in den Ländern" geregelt. Anders als nach dem Entwurf eines Gesetzes über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten vom 7.11.1934 war ein generelles Anweisungsrecht des Reichsstatthal469 470 471 472 Akte

In: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 399. Vennerk des Reichsinnenministeriums, Bundesarchiv, R 18/5442, Blatt 399. Vennerk des Reichsinnenministeriums, Bundesarchiv, R 18/5442, Blatt 399. Entwurf eines "zweiten Gesetzes über die Reichsstatthalter"; in: Bundesarchiv, R 18/5442, Blatt 247 ff.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

ters diesen Behörden gegenüber nicht mehr vorgesehen, seine Befugnisse waren vielmehr wieder auf ein Informationsrecht, ein Hinweisrecht und ein Anweisungsrecht "bei Gefahr im Verzug" beschränkt worden. 473 Zweifelhaft ist noch, welche Aufsichtsbefugnisse der Statthalter gegenüber den Landesministerien besessen hätte. Zumindest wohl die in § 1 11 des Entwurfs genannten, denn alle Landesbehörden standen aufgrund des Reichsneuaufbaugesetzes unter Reichsaufsicht. Möglicherweise sollte dem Statthalter darüber hinaus aber auch fachliche und personelle Weisungshoheit zukommen. Als Leiter der Landesregierung, der er geworden wäre,474 hätte er nach Wegfall des innerkabinettlichen Kollegialprinzips nämlich gegenüber den einzelnen Fachministern eine Art Vorgesetztenstellung eingenommen. Dies wäre Anlaß genug gewesen, ihn insofern mit umfassenden Weisungsmitteln auszustatten. Deshalb kann die nicht ausdrückliche Nennung der "Landesbehörden" in der Aufzählung des § 1 11 auf möglicherweise geplante Befugniserweiterungen zugunsten der Statthalter hindeuten. Letzte Klarheit hierüber kann wegen Fehlens einer amtlichen Begründung zu dem Gesetzentwurf jedoch nicht hergestellt werden. Dessen ungeachtet ist insgesamt eine Zurücknahme der vorgesehenen Statthalterbefugnisse zu konstatieren. Noch Nicolais Entwurf vom November des gleichen Jahres hatte den "Territorialherren" unbeschränkte Anweisungsgewalt über sämtliche Reichsbehörden auf Landesebene zuerkannt. Davon war nun keine Rede mehr. Immerhin aber sollte nach wie vor der nervenzerreibende Dualismus von Statthaltern und Ministerpräsidenten eindeutig zugunsten ersterer entschieden werden, eine Maßnahme, zu der man sich am Ende doch nicht entschließen konnte. Wenn somit das endgültige Reichsstatthaltergesetz die Reichsreform am wenigsten vorantrieb, so führte der Weg wenigstens konsequent dorthin: Schon jetzt, Anfang Dezember 1934, mußten von den ursprünglich weitergehenden Planungen Abstriche gemacht werden. So war etwa die Schaffung einer einheitlichen Statthalterbehörde 475 längst nicht mehr Erörterungsgegenstand. Die Landesfachverwaltungen sollten demnach rechtlich selbständig bleiben und nur bestimmten Einflußnahmemöglichkeiten der Reichsstatthalter unterliegen. In bezug auf die Aufsicht des Reichs über die Länderadministration hingegen wären keine Befugniseinbußen zu beklagen gewesen. Mangels entgegenstehender Neuregelungen in dem hier behandelten Gesetzentwurf hätten insoweit Reichs473 Dies hängt auch damit zusammen, daß die zwischenzeitlich ergangene 2. Reichsneuaufbauverordnung den Oberpräsidenten ebenfalls (nur) diese Einwirkungsrechte zugestanden hatte. Um die Stellung der Reichsstatthalter derjenigen der Oberpräsidenten anzugleichen, bedurfte es also nicht der Schaffung eines Weisungsrechts der Reichsstatthalter über die "Landes"behörden. 474 § 2 I des Gesetzentwurfes. 475 Was z.B. in dem Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurfvom 20.7.1934 vorgesehen war!

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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neuaufbaugesetz und Erste Reichsneuaufbauverordnung fortgegolten: unbeschränkte Dienstaufsicht also. § 5 III des Entwurfs unterstellt darüber hinaus die Reichsstatthalter der Fachaufsicht der jeweils zuständigen obersten Reichsbehörden und der Dienstaufsicht des Reichsinnenministeriums; die Regelung entspricht derjenigen im Vorentwurf vom 7. 11. 1934 und im schließlich in Kraft getretenen Reichsstatthaltergesetz.

Zu erwähnen ist weiterhin, daß "Länderselbstverwaltung" wiederum nicht vorgesehen war. Wenn danach gleichwohl auch nach diesem Gesetzentwurf von der Konzeption eines dezentralistischen Einheitsstaates gesprochen werden kann, dann vor allem wegen der vorgesehen gewesenen Einwirkungsrechte des Reichsstatthalters gegenüber sämtlichen Behörden auf Länderebene. Hinsichtlich des Verhältnisses der Länderbeamten zum Reich finden sich in dem Entwurf folgende Regelungen: Wie nach dem später verwirklichten Reichsstatthaltergesetz und dem Gesetzentwurf vom 7. 11. 1934 sollten die Landesminister auf Vorschlag des Reichsstatthalters vom "Führer" ernannt werden; der Reichsstatthalter selbst sollte wie nach den beiden anderen genannten Gesetzen und dem Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf ebenfalls vom "Führer" ernannt und entlassen werden können. In Abweichung von diesbezüglichen Regelungen in den übrigen Gesetzen und Gesetzentwürfen sollte dem Reichsstatthalter nach § 4 I des hier behandelten Gesetzentwurfes das Recht zur Ernennung und Entlassung der Landesbeamten zustehen, soweit dieses der Landesregierung übertragen war. Das Beamtenernennungsrecht sollte also offenbar grundsätzlich dem Reich zustehen, soweit es allerdings vom Reich zur Ausführung auf die Landesregierungen übergeleitet worden war (vgl. § 1 der ersten Reichsneuaufbauverordnung), vom Reichsstatthalter ausgeübt werden. Diese Regelung hätte gegenüber derjenigen nach § 7 des Reichsstatthaltergesetzes vom 30.1.1935 (alleinige Ausübung des Beamtenernennungsrechts durch das Reich) eine Stärkung der Reichsstatthalterposition bedeutet; hierin läßt sich ein dezentralistischer Zug des hier behandelten Entwurfes erblicken. Eine Überleitung der bisherigen "Länderbeamten" in die Reichsbeamtenschaft wäre überdies nicht erfolgt, denn es fehlt an entsprechenden Regelungen insoweit. Dementsprechend hätte auch der Gesetzentwurf vom 5.12.1934 nur mittelbare Reichsverwaltung verwirklicht. Bedeutsam ist schließlich noch § 5 11 des hier behandelten Gesetzentwurfs. Die dortige Bestimmung, daß der "Führer" den Amtsbezirk des Reichsstatthalters zu bestimmen habe (sie entspricht § 9 11 des endgültigen Gesetzes) bedeutete einen Ansatzpunkt für die Durchführung der weiter geplanten Territorialreform. Es wird nach allem eine Entwicklungslinie erkennbar, die von dem Gesetzentwurf über den Verwaltungsneuaufbau vom 20.7. 1934, im Falle dessen Verwirklichung die nationalsozialistischen Reformvorstellungen am konsequentesten in

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

die Tat umgesetzt worden wären, bis zum endgültigen Reichsstatthaltergesetz vom 30. 1. 1935 reicht, welches den Reichsstatthaltern noch nicht einmal die zwingende Leitung der Landesregierung und Weisungsrechte über die Behörden auf Länderebene zuerkannte. Der hier behandelte Gesetzentwurf stellt insoweit eine Momentaufnahme des Verlaufs der Reformplanungen im Reichsinnenministerium dar. Die Rückschritte auf dem Weg der Verwaltungsreform werden bereits erkennbar, sie sind aber noch nicht so erheblich, daß man, wie bei dem endgültigen Reichsstatthaltergesetz, davon hätte sprechen können, die Neuorganisierung der Verwaltung in Reich und Ländern wäre auf ein unbedingt notwendiges Minimum beschränkt worden.

(6) Die GesetzentwüJfe vom 29.12.1934 und vom Januar 1935 Der Inhalt der Gesetzentwürfe vom 29.12.1934 und vom Januar 1935 läßt sich aus einer Entwurfskizze des Reichsinnenministeriums entnehmen, die beide gegenüberstellt. 476 Auch nach diesen Entwürfen wären die Reichsstatthalter in ihren Rechten gegenüber den als selbständige Verwaltungsorgane fortbestehenden "Landes"sowie den Reichssonderbehörden auf die Informationsbefugnis, das Hinweisrecht und die Anweisungsbefugnis bei Gefahr im Verzug beschränkt gewesen. 477 Das Prinzip der Einheit der Verwaltung wäre also insoweit nur bedingt verwirklicht worden (wenngleich die genannten Rechte gegenüber sämtlichen Verwaltungsbehörden auf Länderebene bestanden hätten). Der Reichsstatthalter sollte des weiteren wie bisher der fachlichen und dienstrechtlichen Aufsicht der Reichsfachministerien bzw. des Reichsinnenministers unterstehen,478 er sollte vom "Führer" ernannt und jederzeit abberufen werden können. 479 Der "Führer" sollte schließlich wiederum den Amtsbezirk der Reichsstatthalter selbst bestimmen können. Danach ergibt sich auch hier formalrechtlich das Bild einer unbeschränkten Unterwerfung der Reichsstatthalter unter die obersten Reichsbehörden, wie es für das Führerprinzip kennzeichnend ist. Bedeutsam ist überdies, daß die Dienstaufsicht über die Reichsstatthalter nach wie vor vom Reichsinnenminister (wie nach dem Reichsneuaufbaugesetz) ausgeübt werden sollte, also im Reichsinnenministerium keine Planungen bestanden, das Unterstellungsverhältnis der Reichsstatthalter entsprechend deren Forderungen 480 direkt zum "Führer" zu begründen; entsprechende Direktiven des Führers hat es offenbar auch nicht gegeben. 476 Entwurf eines ,,zweiten Gesetzes über die Reichsstatthalter"; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 133 ff. 477 § 2 I beider Gesetzentwürfe; Akten des Bundesarchivs, R 18/5442, Blatt 133. 478 § 3 beider Gesetzentwürfe; Akten des Bundesarchivs, R 18/5442, Blatt 133. 479 § 8 I bzw. 9 I der Gesetzentwürfe, Akten des Bundesarchivs, R 18/5442, Blatt 137.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Wie nach dem Vorentwurf und dem verwirklichten Reichsstatthaltergesetz sollten darüber hinaus die Länderministerien als selbständige Verwaltungsbehörden bestehen bleiben, eine einheitliche Reichsstatthalterbehörde mithin nicht gebildet werden. Eine wichtige Änderung stellt die in § 4 beider Gesetzentwürfe getroffene Regelung über die Betrauung der Reichsstatthalter mit der Leitung der Landesregierung dar: Anders als in den Vorentwürfen ist eine solche nicht mehr zwingend festgeschrieben. Der "Führer" sollte vielmehr die Reichsstatthalter nach seinem Ermessen zu Leitern der Landesregierung lediglich bestellen können. Die insoweit getroffene Regelung entspricht also in der Sache bereits derjenigen nach dem endgültigen Reichsstatthaltergesetz. Von der Herstellung einer Einheit der Verwaltung bzw. der Schaffung einer einheitlichen Reichsmittelinstanz der Verwaltung hätte bei Verwirklichung dieser Entwürfe also nicht mehr gesprochen werden können.Es hätte nämlich allein im Ermessen des "Führers" gelegen, das Nebeneinander von Länderministerpräsidenten und Reichsstatthaltern zu beseitigen und somit eine wesentliche Voraussetzung für die Vereinheitlichung der Verwaltung in den Ländern zu schaffen. Soweit dies nicht erfolgte, wären Ansätze zu einer Verwaltungskonzentration in den hier behandelten Entwürfen nur insofern erkennbar gewesen, als den Reichsstatthaltern beschränkte Einwirkungsrechte gegenüber sämtlichen Behörden auf Länderebene zustehen sollten. Die Machtbefugnisse der Reichsstatthalter im Verwaltungsaufbau des Reiches wären also verglichen mit früheren Gesetzentwürfen zugunsten einer Beibehaltung des bestehenden Rechtszustandes deutlich minimiert worden. Die beiden hier behandelten Gesetzentwürfe unterscheiden sich in bezug auf die Regelung in § 4 nur hinsichtlich ihrer Formulierung. Die Fassung vom Januar 1935 sollte dabei entsprechend einem gesetzgeberischen Vermerk Schwierigkeiten bei dem Verständnis der Normen ausräumen. 481 Bei ihrer Fassung nach dem Frickschen Entwurf vom 29.12.1934 hätte nämlich (dem Vermerk zufolge) die Frage auftauchen können, "ob es zur Übernahme der Führung der Landesregierung durch den Reichsstatthalter jeweils einer besonderen Anordnung bedarf (was wohl gemeint ist), oder ob diese Anordnung, d.h. die Übernahme der Führung der Landesregierung durch den Reichsstatthalter, durch das Gesetz gegeben ist, so daß es nur hinsichtlich der Art der Führung jeweils besonderer Anordnung des Führers und Reichskanzlers bedarf'. 482 Insofern sollte die zeitlich spätere Formulierung lediglich der KlarsteIlung in dem erstgenannten Sinn dienen. Dazu siehe oben A 11 5 d). Vennerk zum Entwurf eines "Zweiten Gesetzes über die Reichsstatthalter"; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 141 ff, hier Blatt 141. 482 Bundesarchiv, Akte R 18/5442, Blatt 141/143. 480 481

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Was die Regelung des Verhältnisses der Länderbeamten zu Reichsstatthalter und Reich nach den hier behandelten Kodifikationen betrifft, so besteht auch insofern wesentliche Übereinstimmung mit dem Vorentwurf vom 5.12.1934 und der endgültigen gesetzlichen Regelung. Wie dort sollten die Mitglieder der Landesregierung vom "Führer" auf Vorschlag der Reichsstatthalter ernannt und entlassen werden, hätten die obersten Reichsbehörden infolge der Anwendbarkeit des Reichsneuaufbaugesetzes ein unbeschränktes fachliches und dienstrechtliches Weisungsrecht über die die Reichsaufgaben ausführenden "Länderbehörden" besessen und wäre eine Überleitung der "Landesbeamten" in die Reichsbeamtenschaft nicht erfolgt, das heißt, die Länder hätten Reichsaufgaben lediglich in mittelbarer Reichsverwaltung ausgeführt. Schließlich ist auch keine Selbstverwaltung auf Länderebene vorgesehen gewesen, eine Dezentralisierung der Verwaltung wäre daher nur in sehr beschränktem Umfang erfolgt. In bezug auf die Ernennung der "Landes"beamten unterhalb der Stufe der Minister besteht hingegen eine Abweichung: Der "Führer" sollte diesbezüglich an den Vorschlag des Reichsstatthalters gebunden sein, was dessen Stellung im Verwaltungsaufbau der Länder verstärkt hätte. Die hier behandelten Gesetzentwürfe, so läßt sich zusammenfassend feststellen, stimmen also in ihren materiellrechtlichen Regelungen im wesentlichen mit dem endgültigen Reichsstatthaltergesetz überein. Insbesondere erfolgte wie dort eine weitere Verringerung der Reichsstatthalterbefugnisse, indem die Eingliederung der "Territorialfürsten" in den allgemeinen Verwaltungsaufbau von der Ermessensentscheidung des "Führers" abhängig gemacht wurde. Die Beseitigung des Dualismus' von Reichsstatthaltern und Ministerpräsidenten war danach zweifelhaft; sein Fortbestehen hätte die Bemühungen zur Schaffung einer zentralen Reichsmittelinstanz weit zurückgeworfen. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang schließlich noch, daß nur in den Ländern Sachsen, Hessen und Schaumburg-Lippe kraft Führeranordnung eine Betrauung der Reichsstatthalter mit der Führung der Landesregierung stattgefunden hat,483 muß davon ausgegangen werden, daß die Pläne einer umfassenden Neustrukturierung des Reichsstatthalteramtes letztlich gescheitert sind. Die Gründe hierfür lassen sich nur vermuten. An der Partei jedenfalls wird es diesmal nicht gelegen haben, denn zwar hätte eine Beibehaltung des 1934 bestehenden verfassungsrechtlichen Istzustandes den Gauleitern / Reichsstatthaltern wie oben gesehen 484 auch Vorteile gebracht, doch wären andererseits die vorgesehenen weitreichenden statthalterlichen Anweisungsrechte keineswegs zu verachten gewesen. 483 Vgl. Aktenvermerk aus dem Reichsministerium des Innem für Pfundtner von etwa Ende Oktober 1938, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 399 ff., 403. 484 Oben B III 4 b) ee) (4).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Die NSDAP-Führung richtete sich denn auch nicht ohne Freude auf eine Betrauung der Statthalter mit der Leitung von Landesregierungen ein, wie Heß' Überlegungen zur Weiterverwendung künftig ausscheidender Ministerpräsidenten 485 zeigen. Alles deutet folglich daraufhin, daß allein Hitler die Reformpläne der Innenverwaltung zu Fall gebracht hat. Er war es nämlich, der im Dezember 1934 einer zwingenden Abfassung des § 4 Reichsstatthaltergesetz widersprach,486 wodurch die innerministeriellen Planungen in ihrem Kernbereich ausgehöhlt wurden. Und niemand anderer als er lehnte in der Folgezeit die Ernennung mehrerer Reichsstatthalter zu Leitern der Landesregierung ab. 487 Weshalb der "Führer" dies tat, ist die große Frage. 488 Möglicherweise, weil er für die aufgrund des § 4 Reichsstatthaltergesetz ausscheidenden Ministerpräsidenten, alles alte Parteigenossen, keine Verwendung mehr gehabt hätte und ihnen deshalb die sicheren Staatsposten erhalten wollte. Vielleicht, weil er das Kompetenzwirrwarr zwischen Statthaltern, Ministerpräsidenten und Reichsfachverwaltungen im Gegensatz zu Frick gar nicht aufgeben wollte, um seiner unanfechtbaren Stellung sicher bleiben zu können. Oder am Ende einfach deswegen, weil er mit Problemen der "täglichen Verwaltungsarbeit" nicht behelligt werden und die "große Reichsreform" auf unabsehbare Zeit in die Zukunft hinaus verschieben wollte. Ohne uns schon jetzt festlegen zu wollen. Sicher ist jedenfalls soviel: Fricks mit der Organisationsreform verfochtene Strategie, den auf Verreichlichung ihrer Fachgebiete drängenden Reichsministerien entgegenzukommen, ohne daß hierdurch die territoriale Einheit der Verwaltung in der Reichsmittelinstanz durchbroehen wird und ohne daß eine Verselbständigung und Verfestigung der einzelnen Fachverwaltungen in der Reichsmittelinstanz eintritt", 489 blieb angesichts von Kodifikationen wie dem am 30. 1. 1935 in Kraft getretenen Reichsstatthaltergesetz der Erfolg versagt.

485 Wiedergegeben von Frick in einem Schreiben an die Reichsminister vom 6.4.1935; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/496, Blatt 100. 486 So Medicus in einem Bericht für Staatssekretär Pfundtner vom 18. April 1936; Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 1 ff., 3. 487 So ließ Hitler etwa die Ernennung der Reichsstatthalter in Baden, Thüringen und Württemberg zu Führern der Landesregierung zunächst zurückstellen, später bat er dann, die Beauftragungsurkungen zu den Akten zu legen (vgl. Aktenvermerk für Pfundtner von Ende Oktober 1938, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5442, BI. 399 ff., 403). 488 Dazu siehe ausführlicher unter E Ir. 489 So faßte Staatssekretär Stuckart in einem Vermerk vom 19.3.1935 die ministeriellen Zielvorstellungen zusammen; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, BI. 557 ff., 559.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses ff) Pläne zur Abänderung des Reichsstatthaltergesetzes

Auch nach Erlaß des Reichsstatthaltergesetzes dauerten die Bemühungen des Reichsinnenministeriums, die Einheit der Verwaltung in den Ländern zu verwirklichen, an. So plante man, in einer Durchführungsverordnung die Stellung der Reichsstatthalter als Führer der Landesregierung genauer zu regeln.

(1) Der Entwurf einer Ersten Durchführungsverordnung zum Reichsstatthaltergesetz vom Juni 1935 Konkreter Anlaß hierfür waren die ungebrochenen Bestrebungen der Reichsfachverwaltungen, alle ihnen unterstellten Landesbehörden notfalls auf eigene Faust einheitlich zu "normen". Dies mußte jedoch, wie von Fricks Beamten zutreffend erkannt wurde, den Verfassungsaufbau "atomisieren", so daß eine Polykratie mehr oder weniger voneinander unabhängiger Reichsorgane entstanden wäre. Die dem Reichsinnenminister unterstehende allgemeine Innenverwaltung hätte unter derartigen Separationsmaßnahmen nur Schaden nehmen können. Vor allem deshalb also galt es zu verhindern, daß die mit dem (zweiten) Reichsstatthaltergesetz (angeblich) "gewonnene Einheit der Verwaltung ... wieder verloren" geht. 490 Dem sollte die genannte Durchführungsverordnung 491 dienen, welche Frick auch für den Fall in Kraft setzen wollte, daß der Reichskanzler von der Beauftragung weiterer Reichsstatthalter mit der Führung der Landesregierung absehen würde. 492 Sie hätte die in sie gesetzten Erwartungen wahrscheinlich voll erfüllt, denn im Falle ihrer Verwirklichung wäre der Behördenaufbau der Länder, für die Reichsstatthalter mit der Führung der Landesregierung beauftragt worden waren - nur dort sollte die Verordnung gelten 493 - erheblich vereinheitlicht worden. § 2 des Entwurfes sah insoweit nämlich vor, bei den Statthaltern reichs weit gleich aufgebaute Mittelbehörden der Staatsverwaltung zu bilden. Dies hätte vorausgesetzt, die Fachministerien der Länder als selbständige Behörden aufzulösen und der neu zu schaffenden Zentralbehörde anzugliedern.

Wie sich dem Verordnungsentwurf weiter entnehmen läßt, sollten der Reichsstatthalterbehörde offenbar nur die bisherigen Ministerialverwaltungen der Län490 Reichsinnenminister Frick in einem Schreiben vom 15.6.1935 an Staatssekretär Lammers (Reichskanzlei); in: Bundesarchiv, Akte R 4311/496, Blatt 121 ff., 121 R. 491 Entwurf einer Ersten Durchführungsverordnung zum Reichsstatthaltergesetz, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/496, Blatt 123. 492 Schreiben Fricks an Lammers vom 15.6.1935, Bundesarchiv, R 4311/496, BI. 123. 493 Vgl. den Einleitungssatz des Verordnungsentwurfes; Bundesarchiv, Akte R 4311/ 496, Blatt 123.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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der, nicht aber auch die bestehenden Reichssonderbehörden integriert werden. Das ergibt sich daraus, daß für diese Behörden nach § 2 11 des Entwurfs wohl keine Abteilungen innerhalb der Reichsstatthalterbehörde gebildet werden sollten und es an einer Regelung über die Eingliederung der Sonderverwaltungen in die allgemeine Reichsverwaltung überhaupt fehlt. Was hingegen die Aufsicht über die bisherigen Länderfachverwaltungen angeht, trifft § I der Verordnung die Regelung, daß den Reichsstatthaltern als "Führern" der Landesregierung "alle bisherigen Aufgaben und Befugnisse der Landesregierung" zustehen sollten. Die Reichsstatthalter hätten danach in Erweiterung ihrer bisherigen Befugnisse auch volle sachliche und personelle (dienstrechtliehe) Weisungsgewalt über die bisherigen "Länderbehörden" erlangt; denn diese hatte bisher den Landesministern als Mitgliedern der Landesregierung zugestanden (wohingegen die Länderminister keine Aufsichtsrechte über die Reichssonderbehörden auf Landesebene besessen hatten!) Die Realisierung all dessen hätte einen völligen Umbau der Verwaltungsstrukturen in den Ländern mit sich gebracht; die Reichsstatthalter hätten (wie bereits in dem Entwurf für ein Verwaltungsneuaufbaugesetz geplant) die allgemeine Reichsverwaltung auf Länderebene zentral geführt, wären also zu "Unterführern" aufgestiegen; ein wichtiger Schritt zur Realisierung der Einheit der Verwaltung wäre damit getan worden. Über den geplanten reichseinheitlichen Aufbau der Statthalterbehörde gibt § 2 11 des Entwurfs nähere Auskunft. Danach sollten die Geschäftsbereiche aller zentralbehördlichen Abteilungen mit denen der entsprechenden Reichsressorts in Übereinstimmung gebracht werden. Hierdurch wäre die Vielgestaltigkeit des ländlichen Verwaltungsaufbaus, ein Hauptkritikpunkt der Reichsfachministerien, vermindert worden. Auch diese Maßnahme hätte somit einen erheblichen Fortschritt in der Verwaltungsreformfrage gebracht, sie wies weit über den damals bestehenden Rechtszustand hinaus. Das sich hiernach ergebende Gesamtbild wird abgerundet durch die in § I 11 des Verordnungsentwurfes geregelte Reichsaufsicht über die Reichsstatthalter als "Führer" der Landesregierung; wie nach bis dahin gültigem Recht hätten die Reichsstatthalter der fachlichen Aufsicht der zuständigen Reichsfachminister sowie der Dienstaufsicht des Reichsinnenministers unterstanden. Danach wäre der Reichsstatthalter in das von der Reichsspitze bis zu den Unterinstanzen der Reichsverwaltung reichende unbeschränkte Weisungssystem eingegliedert worden. Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß der hier zu behandelnde Verordnungsentwurf das Führerprinzip formal in reinster Form verwirklicht hätte: Dem Reichsstatthalter als Leiter der zentralen Mittelbehörde hätten einerseits sämtliche nachgeordneten Beamten voll unterstanden, andererseits wäre er gegenüber den Reichsministerien für sein Handeln voll verantwortlich gewesen. Je öfter aller-

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

dings die Dienstaufsicht des Reichs über die Statthalter betont wurde, desto unglaubwürdiger wurde Frick damit. Ganz augenscheinlich wollte der Innenminister von dieser seiner Hauptforderung auf gar keinen Fall abrücken. Durch normative Wiederholung allein war jedoch nichts auszurichten, im Gegenteil zeigte die Mehrfachnormierung vielmehr, daß man von der praktischen Durchsetzung der Dienstaufsicht über die Reichsstatthalter weit entfernt war. Der vorliegende Verordnungsentwurf steht, wie man darüber hinaus wissen muß, im Zusammenhang mit umfangreichen Behördenstrukturreformbemühungen der Innenverwaltung während der Jahre 1935 und 1936,494 ist also in diesem Kontext zu sehen. Seine Verwirklichung war noch im April 1936 geplant, wie sich einer Stellungnahme Staatssekretär Stuckarts zu der damals verfaßten Denkschrift des thüringischen Reichsstatthalters Sauckel entnehmen läßt. 495 Unter Berücksichtigung der weitreichenden Änderungen im Verwaltungsaufbau, die die Verordnung zum Gegenstand gehabt hätte, erscheint es schließlich verfassungsrechtlich bedenklich, wenn diese im Verordnungswege erfolgen sollten. Insbesondere ist fragwürdig, ob derartige, über die Regelungen des Reichsstatthaltergesetzes hinausgehende Maßnahmen noch von der Verordnungsermächtigung des § 12 Reichsstatthaltergesetz gedeckt gewesen wären. Angesichts der zur damaligen Zeit bestehenden Verfassungswirklicheit mußten diese Bedenken aber als formal erscheinen; denn auch die meisten Gesetze sind ja von der Regierung, d. h. einem Exekutivorgan, beschlossen worden, ein "Gesetzesvorbehalt" in dem heutigen engen Sinn war außerdem unbekannt.

(2) Der Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Reichsstatthaltergesetz vom November 1937 Eine grundlegende Veränderung der Verwaltungsstrukturen hätte auch das 1937 ausgearbeitete Änderungsgesetz zum Reichsstatthaltergesetz 496 bewirkt. Als bedeutsamste Regelung war in diesem ebenfalls nicht verwirklichten Gesetzentwurf die Modifizierung des die Einwirkungsrechte der Reichsstatthalter gegenüber den Behörden auf Länderebene regelnden § 2 des Reichsstatthaltergesetzes vorgesehen. Nach der Neuregelung sollten die Reichsstatthalter, unabhängig davon, ob sie mit der "Führung" der Landesregierung betraut worden waren, generell sachliche Weisungsgewalt über praktisch alle Behörden in den Ländern besitzen. 497.498 494 Dazu siehe sogleich B III 4 b) gg). 495 Stellungnahme Stuckarts zu einer Denkschrift des Reichsstatthalters in Thüringen (1.4.1936); in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 7 ff., hier: Blatt 25. 496 Ohne Datum (etwa November 1937); in Bundesarchiv, Akte R 43 lI/BIO b, Blatt 34 ff.; zweiter, im wesentlichen unveränderter Entwurf hierzu in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1310 b, Blatt 48 f.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Ausgenommen seifl sollten lediglich die Organe der Wehrmacht,499 so daß die Statthalter ihr Weisungsrecht auch gegenüber den Reichssonderverwaltungen hätten ausüben dürfen. Daneben wären allerdings die direkten fachlichen Anweisungsrechte der obersten Reichsbehörden über die Länderministerien bestehen geblieben, mit der Folge, daß bei Gesetzesrealisierung vermutlich ein unentwirrbares Kompetenzgerangel zwischen Statthaltern und Reichsbehörden entstanden wäre. 500 Es handelt sich also um eine sehr unglückliche "Problemlösung". Insgesamt betrachtet ist danach eine deutliche Erweiterung der Reichsstatthalterbefugnisse zu konstatieren. Die Statthalter wären beinahe schon zentrale Reichsmittelbehörden geworden, denn ihr sachliches Weisungsrecht hätte sie in die Lage versetzt, die Verwaltungs arbeit in ihrem Land "führend" zu begleiten. Zu Behördenleitern indes wären sie jedenfalls in den Ländern mit doppelter Verwaltungsspitze (Ministerpräsident und Statthalter) noch nicht aufgestiegen. Besonders fallt auf, daß das Änderungsgesetz den Dualismus zwischen Statthaltern und Ministerpräsidenten nur partiell aufgehoben hätte. Zwar wären in den hiervon betroffenen Ländern die Ministerpräsidenten den Statthaltern fachlich weisungsunterworfen gewesen, nicht aber auch dienstrechtlich. In dienstrechtlichen Fragen wäre folglich allein das Reich zuständig geblieben. Dies geschah offenbar aus Rücksichtnahme auf die Ministerpräsidenten, die in ihrer Amtsstellung nicht vom Wohl und Wehe des Reichsstatthalters abhängig gemacht werden sollten. Daß die Statthalter in ihrer Verwaltungsführung nicht gänzlich frei gewesen wären, zeigt sich auch daran, daß § 3 Reichsstatthaltergesetz 1935 fortgegolten hätte, den Reichsministerien somit Fach- und Dienstaufsicht über sie zugestanden hätten.

497 Vgl. Art. I des Änderungsgesetzentwurfes, dort § 2 I des geänderten Reichsstatthaltergesetzes; Bundesarchiv, Akte R 43 lI/BIO b, Blatt 34. 498 Aus der Tatsache, daß den Reichsstatthaltem nach dem hier behandelten Gesetzentwurf ausdrücklich nur ein fachliches Weisungs- und Aufsichtsrecht gegenüber den Behörden auf Länderebene eingeräumt ist,kann nicht gefolgert werden, daß auch nach den bereits behandelten Vorentwürfen des Reichsstatthaltergesetzes, in denen allgemein nur von "Aufsicht der Reichsstatthalter über die Länderbehörden in den Angelegenheiten deren Zuständigkeit" gesprochen wurde, lediglich Fachaufsicht der Reichsstatthalter bestehen sollte. Der hiesige Gesetzentwurf steht nämlich in keinem zeitlichen Zusammenhang mit diesen, so daß durchaus auch eine Meinungsänderung im Reichsinnenministerium möglich gewesen ist. 499 Vgl. Art. I des Änderungsgesetzentwurfes, dort § 2 III des geänderten Reichsstatthaltergesetzes; Bundesarchiv, Akte R 43 II/131O b, Blatt 34. 500 Allerdings muß berücksichtigt werden, daß die Reichsfachministerien den Statthaltern übergeordnet waren und daher an sich deren Weisungen an die Landesbehörden hätten aufheben können. Zwischen Theorie und Praxis bestand aber schon damals ein großer Unterschied, wie wir bereits sahen! 16 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Eine weitere Aufwertung der Position der Reichsstatthalter wäre aufgrund der geplanten Neufassung von § 7 Reichsstatthaltergesetz eingetreten. 501 Danach hätte der "Führer" das Recht zur Ernennung und Entlassung der Länderbeamten nur noch an den Reichsstatthalter zur Ausübung übertragen können, nicht aber mehr z. B. auf die Reichsminister. gg) Die Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Behördenaufbaues im Reich Durch die bereits dargestellten 502 Tendenzen in den Reichsfachbehörden, wenn nötig auf eigene Faust Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Verwaltungsstrukturen zu ergreifen, sah sich Fricks Administration ab 1935 veraniaßt, die Lösung der insofern aufgetretenen Organisationsprobleme zu forcieren. Auf jeden Fall war zu verhindern, daß der Verwaltungsaufbau im Reich wegen der vielen Teilregelungen am Ende ganz zusammenbrechen würde. Vordergründig knüpfte man bei der Behördenneuorganisation an die Stellung der Landesregierung an, deren kollegialer Aufbau als völlig unakzeptabel bezeichnet wurde. 503 In Wahrheit ging es einmal mehr um die Querelen mit den sich immer wieder in die Verwaltungsführung auf Länderebene einmischenden Reichsstatthaltern. Solange die Notwendigkeit bestand, Vorgaben aus der Reichszentrale gegen äußere Widerstände in den Ländern durchzusetzen, mußte nämlich das Interesse an einer straffen und einheitlichen Behördenstruktur naturgemäß weit größer sein als im Falle ungestörter Aufgabenerfüllung auf mittlerer und unterer Ebene. Bis vom Reichsinnenministerium konkrete Gesetzentwürfe erarbeitet wurden, verstrich freilich eine gewisse Zeit. Innerhalb dieser kam es zu der Abfassung von Denkschriften und kurzen Gedankenskizzen, was darauf hindeutet, daß auch innerministeriell erst einmal Klarheit über die zu ergreifenden Maßnahmen geschaffen werden mußte.

501 Vgl. Art. II des Änderungsgesetzentwurfes; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/l31O b, Blatt 34 ff. 502 Oben B II 4 b) ff) (1). 503 Vgl. die Argumentation des Verfassers der Denkschrift über die Neuordnung der Mittelinstanz im Reich vom 19.3.1935; Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 537 ff., 537.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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(1) Allgemeine Grundsätze der Reform; Ansätze zur Lösung der Problematik in Denkschriften und Vermerken aus dem Reichsinnenministerium (a) Die Denkschrift über die Neuordnung der Mittelinstanz im Reich vom 19.3.1935 Erste Überlegungen zur Behördenneugliederung in der Landesinstanz lassen sich einer am 19.3.1935 verfaßten Denkschrift 504 entnehmen. Deren Verfasser vermerkt gleich zu Beginn der Schrift, bezüglich der nordund mitteldeutschen Zwergstaaten komme eine Organisationsreform aufgrund von Ineffektivität nicht in Frage, 505 denn es sei ja geplant, jene Gebilde demnächst preußischen Provinzen anzugliedern. 506 Als mögliche Wege zur Neuordnung der Reichsmittelinstanz werden im weiteren aufgezeigt: 507 Variante a) Jede größere Reichsfachverwaltung schält aus der Landesregierung ihren Geschäftsbereich heraus und bildet in jedem Land eine eigene, ihr unmittelbar nachgeordnete Dienststelle. (Also zunächst Bildung von Reichssonderverwaltungen). Wenn diese Ämter ihre Ausgestaltung und ihren Neuaufbau erfahren haben, werden sie wieder zusammengefaßt und einer einheitlichen Spitze in der Mittelinstanz, d. h. dem Reichsstatthalter, unterstellt. Variante b) Festlegung einer Art "Normung" für den äußeren Aufbau der Landesregierung. Dabei Eingliederung der bisher eigenständigen Landesministerien in eine neu zu schaffende Zentralbehörde mit dem Reichsstatthalter als Leiter. (Hierdurch wären die Landesressorts zu unselbständigen Fachabteilungen der neuen Zentralbehörde herabgesunken.) Die "Normung" sollte dabei in zwei Phasen ablaufen: Zunächst reichseinheitliche Festlegung eines Musteraufbaues für die Länderverwaltung, dann Neustrukturierung der Landesbehörden nach diesem Musteraufbau. 504 Denkschrift ,,Neuordnung der Mittelinstanz im Reich" vom 19.3.1935 (unbekannter Verfasser), in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 537 ff. 505 Denkschrift ,,Neuordnung der Mittelinstanz im Reich", in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 539. 506 Bezug genommen wird offenbar auf den 1. Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 13.11.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 465 ff. 507 Denkschrift "Neuordnung der Mittelinstanz im Reich", in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 543.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Die sich hierin offenbarenden Vorstellungen über die Neuorganisation des Behördenaufbaus in den Ländern ähneln denjenigen, wie sie bereits im Verwaltungsneuaufbaugesetz vom 20.7. 1934 ihren Niederschlag gefunden hatten und berücksichtigen folglich die nationalsozialistischen Verfassungsprinzipien. Mit der Schaffung einer Zentralbehörde der Reichsmittelinstanz wäre jedenfalls in bezug auf die allgemeine Verwaltung eine spürbare Vereinheitlichung herbeigeführt und in der Person des Reichsstatthalters das Führerprinzip verwirklicht worden. Was die Realisierungschancen der beiden aufgezeigten Wege zur Organisationsreform anbelangt, so wären diese hinsichtlich der Variante a) sichtlich höher gewesen als bei Variante b): Vor allem deshalb, weil angesichts des Reformierungsdrucks vermutlich gar nicht mehr soviel Zeit geblieben wäre, die Behördenneugliederung bis zur "reichseinheitlichen Festlegung eines Musteraufbaus für die Länderverwaltung" aufzuschieben. Einige Reichsressorts setzten nämlich schon jetzt dazu an, aus der Landesregierung ihre jeweiligen Geschäftsbereiche herauszuschälen. Insofern scheint Variante a) einfach praxisnäher gewesen zu sein. Nachzutragen bleibt noch, daß der Denkschriftverfasser einer generellen Eingliederung aller Reichssonderbehörden in die "allgemeine innere Verwaltung" auf Landesebene ablehnend gegenüberstand. Insbesondere "Heer, Justiz, Bahn [und] Post" wollte er als selbständige Reichsorgane erhalten wissen. 508 (b ) Vorschlag für eine Gliederung der Landesregierung in "Ämter" Von April 1935 ist ein interner Vorschlag aus dem Reichsinnenministerium über die zukünftige Gliederung der bisherigen Länderministerien in "Ämter" und die Neuordnung der Mittelinstanz (der Verwaltung) datiert. 509 Der Vorschlag sieht reichseinheitlich die Bildung von sieben "Ämtern" auf der Stufe der Landesregierung vor, nämlich die "Ämter" des Inneren, für Erziehung und Arbeit, für Verkehr und öffentliche Arbeiten, für Wirtschaft und Arbeit, für Landwirtschaft sowie Landesforstämter und Landeskämmereien. 510 Diesen "Ämtern" sollten Leiter vorstehen, deren Bezeichnung (Minister, Staatssekretär, Ministerial-Direktor) offen gelassen wurde. Mit diesen Maßnah508 Vgl. "Denkschrift ,,Neuordnung der Mittelinstanz im Reich", Bundesarchiv, R 18/ 5439, Blatt 545, dort wörtlich: " ... soweit er nicht ausnahmsweise eine Spezialverwaltung (z. B. Heer, Justiz, Bahn, Post) führt ... ". 509 "Vorschlag über eine Gliederung der Landesregierung in "Ämter" und Denkschrift ,,Neuordnung der Mittelinstanz", in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439; Blatt 567 f., 569 ff. 510 "Vorschlag über eine Gliederung der Landesregierung" in "Ämter"; Bundesarchiv, R 18/5439, Blatt 567 f.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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men wäre die angestrebte "Normung" der Landesverwaltung, d. h. deren reichseinheitlicher Umbau, realisiert worden. Wie nach der Denkschrift vom 19.3.1935 war weiterhin die Zusammenfassung der Landesfachämter in einer einheitlichen Zentralbehörde vorgesehen. Allerdings sollte diese nicht zwingend von dem Reichsstatthalter geleitet werden. Vielmehr sollten, wo die Reichsstatthalter nicht mit der "Führung" der Landesregierung betraut waren, die Länderministerpräsidenten der neu zu schaffenden Zentralbehörde vorstehen. Der Führergrundsatz wäre in diesen Ländern also in der Person der Ministerpräsidenten verwirklicht worden. 511 Demgegenüber war davon, die Reichsstatthalter in allen deutschen Ländern mit der Führung der Landesregierung zu betrauen, keine Rede mehr. 512. m Als Leiter der auf Landesebene neu zu bildenden Zentralbehörden sollten die Reichsstatthalter bzw. Ministerpräsidenten im übrigen Dienstvorgesetzte aller nachgeordneten Beamten (einschließlich der Leiter der "Ämter") werden; die "Ämter" hätten also wie nach der Denkschrift vom 19.3.1935 den Charakter bloßer Unterabteilungen dieser Zentralbehörde besessen. Weiter stellt die hier behandelte Schrift klar, daß das Anweisungsverhältnis der Reichsbehörden nicht direkt zu den einzelnen "Ämtern" bestehen sollte, sondern allein zu den Reichsstatthaltern bzw. Ministerpräsidenten als den Behördenleitern. Unter Berücksichtigung all dessen wäre es auch bei Verwirklichung dieser Planung zu der beabsichtigten Einheit der allgemeinen Reichsverwaltung in der Reichsmittelinstanz gekommen. Darüber hinaus wäre auch die Stellung der Reichsstatthalter und Ministerpräsidenten gegenüber dem damaligen Istzustand verstärkt worden, da einerseits Weisungen der obersten Reichsbehörden nicht mehr an ihnen vorbei hätten ergehen können und sie andererseits selbst unbeschränkte Weisungsgewalt gegenüber den nachgeordneten Beamten besessen hätten. Der Umstand, daß das Nebeneinander von Reichsstatthaltern und Ministerpräsidenten hiernach fortbestanden hätte, ist aus der Ablehnung jeder "grundstürzenden" Neuorganisation der Reichsmittelinstanz durch den Denkschriftverfasser heraus zu erklären, der entsprechenden Regelungen im Rahmen der künftigen Reformgesetze nicht vorgreifen wollte. Anderenfalls wäre nämlich unter Umständen ein doppelter Umbau der Verwaltung (jetzt und später im Rahmen der Neugliederung der Gaue) erforderlich gewesen. 514 Denkschrift "Neuordnung der Mittelinstanz"; Bundesarchiv R 18/5439, Blatt 572. Insofern weicht die hiesige Planung von der in der Denkschrift über die Neuordnung der Mittelinstanz im Reich vorgesehenen ab. m Die Ministerpräsidenten sollten vor allem wohl auch deswegen mit der Leitung der zentralen Landesbehörde betraut werden können, damit die Behördenreform nicht länger an Hitlers Widerstand gegen eine Betrauung von Reichsstatthaltern mit der "Führung" der Landesregierungen scheiterte. 511

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

(c) Vennerk über die "Neuordnung der Mittelinstanz" vom 3.4.1935 Ein Vennerk aus dem Reichsinnenministerium über die "Neuordnung der Mittelinstanz" vom 3.4.1935 515 gibt Aufschluß über den weiteren Fortgang der Organisationsrefonnplanungen. Es hatte danach inzwischen auf Abteilungsleiterebene eine Beratung des Fragenkomplexes stattgefunden, deren Ergebnis war, vorrangig die Ministerpräsidenten bzw. Statthalter zu Dienstvorgesetzten aller Beamten der künftigen "Gauzentralbehörde" auszubauen; eine einheitliche "Nonnung" der Landesregierungen war zwar nach wie vor geplant, sollte jedoch, vor allem aus Rücksichtnahme auf bestehende Widerstände, in die Zukunft hinaus verschoben werden. Das Problem der Durchsetzbarkeit der Behördenstrukturrefonn zog sich wie ein roter Faden durch die Beratungen, denn man erörterte umfassend, wie dem Streben der Reichsfachministerien nach einem eigenen länderübergreifend einheitlichen Verwaltungsaufbau nachgegeben werden könnte, ohne auf das Ziel "Schaffung einer Reichsmittelbehörde" zu verzichten. Eines stand nämlich fest: Die Realisierung von zentralen Landesbehörden wäre für die obersten Reichsorgane mit Kompetenzeinbußen verbunden gewesen, weil nur noch der Ministerpräsident als Behördenchef, nicht aber mehr die Fachabteilungsleiter direkten Weisungen des Reiches unterworfen gewesen wären. 516 Am Ende der Beratungen blieb die resignierende Erkenntnis, daß es wegen des Wunsches der Reichsressorts nach einem eigenen Behördenunterbau sehr schwer sein würde, die vorhandenen Planungen zu verwirklichen. 517 Dementsprechend wurde über eine Auflösung des Neben- und Gegeneinanders von Reichsstatthaltern und Ministerpräsidenten gar nicht erst geredet; Die damit verbundenen Maßnahmen waren feme Zukunftsmusik, zunächst mußten wichtigere Dinge erledigt werden. Das gleiche galt augenscheinlich für die Eingliederung der bestehenden Reichssonderbehörden in die allgemeine Reichsverwaltung. Demnach hatten Frick und seine Administration wieder einmal negative Erfahrungen mit dem Refonnwillen Drittbeteiligter machen müssen; die Verwaltungs514 Denkschrift ,,Neuordnung der Mittelinstanz im Reich", Bundesarchiv, Akte R 18/ 5439, Blatt 569. 515 In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 595 ff. 516 Zweifellos allerdings hätten die Reichsfachbehörden die Ministerpräsidenten / Reichsstatthalter mit Weisungen in bezug auf nachgeordnete Beamte überziehen können, nur wäre der Anweisungsweg immer über die jeweiligen Leiter der zentralen Landesbehörde gegangen. 517 Vermerk über die ,,Neuordnung der Mittelinstanz", in: Bundesarchiv, R 18/5439, Blatt 597.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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reform geriet in den Treibsand divergierender Machtinteressen, ihr Scheitern war nicht anders abzuwenden als durch rasches, entschlossenes Handeln von "ganz oben". Daran haperte es aber, wofür die Reichsinnenverwaltung allerdings keine Schuld trägt, wie nachstehende Kodifikationsversuche belegen.

(2) Der Entwurf einer Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 8.4.1935 Aufgrund der innenministeriellen Besprechungen vom März 1935 erarbeitete die Verfassungsabteilung des Innenministeriums zwei einander teilweise widersprechende Rechtsetzungsakte: Den Entwurf einer "Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches" 518 und den Entwurf eines "Gesetzes über die Neuordnung der Landesregierungen der außerpreußischen Länder". 519 Die "Dritte Reichsneuaufbauverordnung", der wir uns zunächst zuwenden wollen, sollte aufgrund von Art. 5 des Reichsneuaufbaugesetzes ergehen. 520 § 1 I der Verordnung schreibt, wie nicht anders zu erwarten, den Dualismus von Statthaltern und Ministerpräsidenten in den Ländern mit doppelter Verwaltungsspitze fort: Danach wäre nämlich nur der bisherige" Vorsitzende der Landesregierung" mit der "Führung" der Landesregierung betraut worden.

Gemäß Absatz zwei des § 1 war indes vorgesehen, die Aufgaben der allgemeinen Reichsverwaltung in Landeszentralbehärden zusammenzufassen, denen die Ministerpräsidenten bzw. Reichsstatthalter vorstehen sollten. Der jeweilige "Führer" der Landesregierung seinerseits hätte der unbeschränkten Dienst- und Fachaufsicht des Reichsinnenministers bzw. der Fachministerien unterstanden, vgl. § 2 des Verordnungsentwurfes: Er wäre also echter "Führer" im staatsrechtlichen Sinne dieses Begriffes geworden. Besondere Bedeutung kommt § 3 des Entwurfes zu, wo die Untergliederung der Landeszentralbehärden in fachlich gegliederte Abteilungen 521 geregelt wurde. § 3 ist in zwei verschiedenen Fassungen überliefert, ein Zeichen für nach wie vor bestehende Unsicherheiten und Zweifel über die Durchführung der Organisationsreform: Von der einen Entwurfsvariante wurde die kompetenzmäßige Abgrenzung zwischen den Einzelabteilungen grundsätzlich offengelassen, Regelun-

In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 631 ff. In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 641 ff. 520 Sie ist nicht zu verwechseln mit der am 28.11.1938 in Kraft getretenen 3. Reichsneuaufbauverordnung (RGBI. 1938, Teil I, S. 1675), von der sie sich in ihrem normativen Regelungsgehalt grundlegend unterscheidet. 521 Die Leitung der Fachabteilungen war in dem Entwurf allerdings offengelassen; die bisherigen Landesminister hätten also nicht zwingend Abteilungsleiterposten übernommen. Im Falle ihrer Ernennung sollten sie entsprechend § 7 des Entwurfs jedoch ihre bisherige Dienstbezeichnung beibehalten können. 518

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

gen bestanden nur in bezug auf die Höchstzahl möglicher Abteilungen und insoweit, als vorgeschrieben war, daß der Geschäftsbereich der Abteilungen mindestens mit demjenigen eines 522 Reichsministeriums übereinzustimmen hatte. Die Alternative gab hingegen Aufbau und innere Gliederung der Landeszentralbehörde zwecks größerer Reichseinheitlichkeit genau vor. Beide Fassungen hätten somit zu einer "Normung" der Landesregierung und einer Vereinheitlichung des Behördenaufbaus beigetragen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Bei Verwirklichung der ersten Entwurfsvariante wäre immerhin sichergestellt worden, daß die jeweiligen Reichsfachministerien stets ein- und dieselbe Abteilung der Landeszentralbehörde zu konsultieren gehabt hätten; die Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Fachabteilungen hätten indes noch länderspezifisch differieren können. 523 Nach dem Alternativvorschlag wären demgegenüber alle Landeszentralbehörden vollkommen gleich aufgebaut worden. Wie sich dem Verordnungsentwurf weiterhin entnehmen läßt, war die Eingliederung der bereits bestehenden Reichssonderverwaltungen auf Länderebene in die Landeszentralbehörde nicht mehr geplant. Denn es fehlt diesbezüglich an normativen Regelungen jeglicher Art. 524 Alles in allem hätte die Verwirklichung der genannten Verordnung die Stellung der "Führer" der Landesregierung, seien es Reichsstatthalter oder Ministerpräsidenten, gegenüber dem Reich verstärkt. Die obersten Reichsbehörden wären nicht länger befugt gewesen, den Fachressortleitern direkt Weisungen zu erteilen, der Weisungsweg wäre stets über die "Führer" der Landesregierung gelaufen. Darüber hinaus hätten sich im Verhältnis der Reichsstatthalter zu den Ministerpräsidenten einige interessante Verschiebungen ergeben. Wären die Ministerpräsidenten in Ländern mit entsprechendem Dualismus tatsächlich mit der "Führung" der Landesregierung betraut worden, hätten sie nämlich eine bedeutsame Schaltstelle der Macht gebildet, während die kompetenzrechtlich eigentlich überflüssigen Statthalter nach wie vor formal auf relativ geringe Einwirkungsrechte 525 beschränkt geblieben wären. Praktisch wären die Ministerpräsidenten also fortan den Reichsstatthaltern nahezu gleichgeordnet gewesen. Dies allerdings hätte die Reibereien zwischen beiden Organen nur noch weiter verschärft. 522 Aber auch Übereinstimmung mit demjenigen mehrerer Reichsministerien war zulässig, vgl. § 3. 523 Allerdings war dem Reich auch nach der ersten Entwurfsvariante vorbehalten, eine entsprechende Angleichung später durchzuführen, vgl. § 3 III des Verordnungsentwurfes. 524 Gemäß § 8 des Verordnungsentwurfs sollten die nord- und mitteldeutschen Kleinstländern sowie Mecklenburg nicht (mehr) der Neuregelung der Verwaltungsstrukturen unterfallen; für sie war augenscheinlich eine alsbaldige Eingliederung nach Preußen vorgesehen. 525 Nämlich diejenigen nach § 2 Reichsstatthaltergesetz 1935!

III. Altreichsbezogene Reforrnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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(3) Der Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Landesregierungen der außerpreußischen Länder vom 9.4.1935 Vorstehende Überlegungen dürften denn auch zu der Abfassung eines Gesetzes über die Neuordnung der Landesregierungen der außerpreußischen Länder 526, 527 geführt haben, das nur noch in dem genannten Punkte dem eben behandelten Verordnungsentwurf widerspricht. Die Übereinstimmungen beziehen sich demzufolge vor allem auf die Schaffung einer Landeszentralbehörde mit einem führerähnlichen Leiter an der Spitze und auf die Ausgestaltung der Reichsaufsicht über die "Landesorgane". Insofern siehe oben. 528 Was das Verhältnis Reichsstatthalter - Ministerpräsidenten betrifft, hätte die bedeutenste Abweichung darin bestanden, daß den Statthaltern (personelle) Dienstaufsicht über die "Führer" der Landesregierung zugestanden worden wäre. Die Statthalter hätten also die Stellung von Dienstvorgesetzten der Ministerpräsidenten erlangt und wären so in den Verwaltungsaufbau integriert worden, zumal sich an der Dienstaufsicht des Reiches ihnen gegenüber nichts geändert hätte. Davor, den Reichsstatthaltern zusätzlich Fachaufsichtsbefugnisse über die Landeszentralbehörde zuzuerkennen, schreckte man in der Innenverwaltung demgegenüber zurück;529 Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle sollten dem Entwurf zufolge vielmehr allein in Händen der Reichsfachministerien bleiben. 530 Mit all diesen Regelungen wären die Kräfteverhältnisse auf Landesebene zwar deutlich zugunsten der Statthalter korrigiert worden. Niemand hätte aber ausschließen können, daß sich die Ministerpräsidenten nicht doch "auf evolutionärem Wege" eine für sie günstigere Position als nach der förmlichen Gesetzeslage verschafft hätten. Das Grundproblem des Dualismus', die Tatsache des Bestehens zweier einander bekämpfender Machtzentren im Land, wäre also keiner eigentlichen Lösung zugeführt worden. Hierzu hätte es einer Vereinigung von Ministerpräsidenten- und Reichsstatthalteramt bedurft, woran aber augenscheinlich nicht zu denken war. Ohne entsprechende Normierungen konnte allerdings von einer "Einheit der Verwaltung in der Mittelinstanz" nicht gesprochen werden,531 im 526 Noch einmal: in Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 641 ff. 527 Wie nach der geplanten 3. Reichsneuaufbauverordnung (vgl. dort § 1 I) sollte also der innere Verwaltungsaufbau Preußens zunächst unangetastet bleiben. 528 Soeben B III 4 b) gg) (2). 529 Insofern bestehen ansatzweise Parallelen zu dem Änderungsgesetzentwurf für das Reichsstatthaltergesetz vom November 1937; dort in § 2 war allerdings das fachliche Anweisungsrecht den Statthaltern zuerkannt worden, während die personelle Dienstaufsicht vom Reichsinnenministerium ausgeübt werden sollte; siehe oben B III 4 b, ff (2). 530 Vgl. § 2 des Gesetzentwurfes. 531 So ist es auch nur folgerichtig, wenn die nach hiesigem Gesetzentwurf vorgesehene Bezeichnung des Amtes des Leiters der Landeszentralbehörde nicht mehr "Der Führer der Landesregierung in ... ", sondern "Der Präsident der Landesregierung in ... " lautet.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Gegenteil stand zu befürchten, daß das durch undurchschaubar komplizierte Weisungsstrukturen ausgelöste Kompetenzchaos perpetuiert werden würde. Nur zu erwartende Einsprüche der Reichsressorts dürften Fricks Administration indes dazu bewogen haben, die Statthalter von der Fachaufsicht über die Ministerpräsidenten auszuschließen und dadurch mehr Verwirrung als Klarheit zu stiften. So wurden denn die ursprünglichen Planungsvorgaben aufgrund vielfältiger Rücksichtnahmen des Reichsinnenministeriums immer mehr verwässert, und es entsteht leicht der Eindruck, die Reform sei gänzlich planlos verlaufen. Daß dem hingegen nicht so war, belegen bereits die die innere Gliederung der Landeszentralbehörde betreffenden Regelungen des hier behandelten Gesetzentwurfes. Der Entwurf knüpft insoweit an frühere Gedanken an,532 indem er zwar keine generellen Vorgaben macht, aber einen Zwang des Inhalts statuiert, die Geschäftsbereiche der Landesressorts in Übereinstimmung mit denjenigen mindestens je eines Reichsfachministeriums zu bringen. Selbst dies war jedoch vermutlich schon zu weitgehend,denn der Gesetzentwurf vom 9.4.1935 scheiterte ebenso wie alle früheren Vorstöße zur Reform der Behördenorganisation im Reich. (4) Der weitere Fortgang der Reform Dabei bemühte sich die Innenverwaltung redlich um einen Erfolg ihrer diesbezüglich bestehenden Planungen. Noch in seiner Schrift vom 1.4.1936 533 vertrat Reichsinnenstaatssekretär Stuckart beispielsweise die Ansicht, alle Reichsstatthalter müßten alsbald mit der Führung der Landesregierungen betraut und in den außerpreußischen Ländern müßten überdies zentrale Mittelbehörden nach dem Vorbild der preußischen Regierungspräsidien installiert werden. 534 Fast ein Jahr war indes schon vergangen, ohne daß die in diese Richtung gehenden administrativen Gesetzentwürfe auch nur in die Nähe einer Realisierung gelangt waren. Stuckarts Schrift ist noch aus einem anderen Grund von Bedeutung. In ihr zeichnet der Innenstaatssekretär nämlich ein komplettes Bild vom vorgesehenen künftigen Verwaltungsaufbau der Reichsgaue. Danach sollten bisherige Reichshoheitsaufgaben den Gauen zur "Selbstverwaltung" übertragen und in von der allgemeinen Reichsverwaltung organisatorisch getrennten Behördenzweigen erledigt werden. 535 Darüber hinaus sollte die Lei532 Vgl. die eine Entwurfsalternative zu § 3 der geplanten 3. Reichsneuaufbauverordnung. 533 W. Stuckart, Stellungnahme zur Denkschrift des Reichsstatthalters in Thüringen ... , in: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 7 ff. 534 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 25. 535 Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 29.

IH. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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tung der Gauselbstverwaltungsbehörde von der Person des "Gauführers" getrennt, diesem jedoch umfassende Weisungsbefugnisse gegenüber sämtlichen Gauorganen 536 eingeräumt werden. Stuckarts Vorstellungen decken sich damit in wesentlichen Bereichen mit dem geplanten Verwaltungsneuaufbaugesetz, insbesondere was die Schaffung einer Gauselbstverwaltung anbelangt. Wenngleich der "Gauführer" nach Stuckart nicht Leiter der zentralen Gauverwaltungsbehörde werden sollte, so hätte er doch, als gegenüber allen Behörden der Gauebene umfassend Weisungsbefugter, in Realisierung des Führergedankens eine zentrale Stellung im Verwaltungsaufbau erlangt. Stuckarts Schrift beweist, daß die Reichsinnenverwaltung noch 1936 an ihren bisherigen Organisationsreformkonzepten festhielt. Trotzdem oder gerade deswegen waren aber im gleichen Jahr keine wesentlichen Veränderungen des bestehenden Verfassungszustandes zu verzeichnen. Das gilt auch für das Verhältnis der Reichssonderverwaltungen zu der allgemeinen Reichsverwaltung auf Länderebene. Es blieb bei den ersten Ansätzen einer Angliederung der Sonderbehörden an die allgemeine Reichsverwaltung, wie sie das Reichsstatthaltergesetz mit den Einwirkungsrechten des Reichsstatthalters über diese Behörden gebracht hatte. An jenem Zustand hätten auch die zuletzt behandelten Gesetzentwürfe, wie gezeigt worden ist, wenig geändert. Gleichwohl war eine umfassende Reduzierung der Zahl der Reichssonderverwaltungen geplant. Dies geht aus einem 1937 veröffentlichten Aufsatz des Reichsinnenministers Frick hervor, in dem es heißt: 537 "Der Einbau der verschiedenen Fachverwaltungen in die allgemeine und innere Verwaltung, die Wiederherstellung der sogenannten Einheit der Verwaltung ist von mir als dem für Organisationsfragen zuständigen Minister ... immer wieder als das A und 0 jeder Verwaltungsreform bezeichnet worden." hh) Reformkontinuität zu Beginn des zweiten Weltkrieges Nach 1936 erlahmte die Reichsreformdiskussion in den Verwaltungsbehörden rasch. Alle wichtigen Reformgesetze waren zwischenzeitlich erarbeitet worden und harrten, sofern sie nicht Hitlers Mißfallen erregt hatten, einer künftigen Verwirklichung. Wesentlich neues geschah in dieser Richtung zunächst nicht. 536 Ebenda; Stuckart zufolge sollte also offenbar der Reichsgauführer von der laufenden Verwaltungsarbeit entlastet werden, um seiner "eigentlichen Aufgabe", über die Einhaltung der Grundsätze der Reichspolitik im Gau zu wachen, gerecht zu werden. Die laufende Verwaltungsarbeit hätte dann bei einem Stellvertreter des "Gauführers" gelegen. 537 W. Frick, Gestalt und Aufbau des Deutschen Reiches, in: Deutsche Verwaltung 1937, S. 34 ff., 40; vgl auch derselbe, Über grundSätzliche Verwaltungsfragen, in: Deutsche Verwaltung 1939, S. 33 ff., 34.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Das galt gerade auch für die administrative Staatskonzeption, die weitgehend unverändert blieb, wie entsprechende Äußerungen der Reichsminister beweisen. Insoweit zuvorderst genannt werden muß die Abhandlung "Die Verwaltung des Großdeutschen Reiches" im Reichsverwaltungsblatt von 1939. 538 Innenminister Frick skizzierte hier noch einmal alle geplanten bedeutsamen Umgestaltungsmaßnahmen. So sollten in der unteren Verwaltungsinstanz Gemeinden und Kreise bestehen bleiben, wie den Kommunen sollten auch den Kreisen staatliche Hoheitsaufgaben zur "Selbstverwaltung" übertragen werden, 539 wodurch sie den Charakter staatlicher Verwaltungs bezirke und Selbstverwaltungskörperschaften erlangt hätten. Auf der Mittelstufe der Reichsverwaltung war weiterhin die Schaffung von Reichsgauen als Rechtsnachfolgern der bisherigen Länder, jedoch nicht mehr grundsätzlich die zusätzliche Bildung von Regierungsbezirken 540 vorgesehen. Die Struktur der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaften und staatliche Verwaltungsbezirke sollte weitgehend derjenigen der Kreise entsprechen.Weiter war geplant, die Reichsstatthalter als zukünftige Führer in den Reichsgauen mit umfassenden Zuständigkeiten und Befugnissen auszustatten und somit in ihrer Hand die Einheit der Verwaltung zu verwirklichen. 54l Zu diesem Zwecke sollten auch die bisherigen Reichssonderverwaltungen in die allgemeine Reichsverwaltung integriert oder wenigstens einheitlicher politischer Führung (des Reichsstatthalters ) unterstellt werden. 542 Die Vorstellungen Fricks über die künftigen Maßnahmen zur Durchführung der Verwaltungsreform stimmen danach im wesentlichen mit den Regelungen des Verwaltungsneuaufbaugesetzes vom 20.7.1934 überein, was einerseits zeigt, daß mit Verwirklichung dieses Reformgesetzes die nationalsozialistische Verwaltungsreform im wesentlichen beendet sein sollte, andererseits aber auch die immer weitere Verzögerung der Reform offenbart. Bezüglich des Fortgangs der Territorialreformplanungen läßt sich einer Rede des Reichsinnenministers entnehmen, daß nunmehr endgültig parteimäßige und staatliche Gliederung in Deckung zueinander gebracht werden sollten. 543 Wie gesehen,544 mußte das nicht notwendig bedeuten, daß die künftigen Reichsgaue in ihrer Struktur den bestehenden Parteigaugliederungen hätten angepaßt werden Frick, Die Verwaltung des Großdeutschen Reiches, RVerwBI. 1939, S. 41 ff. Frick, RVerwBI. 1939, S. 42. 540 Frick, RVerwBI. 1939, S. 42. 54l RVerwBI. 1939, S. 42. 542 RVerwBI. 1939, S. 42. 538 539

543 Frick, Rede zur Einführung des Leiters des NSDAP-Parteigaues Hannover-Süd als Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hannover am 2.4. 1941; zitiert nach: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 3.4.1941 (Zeitungsausschnitt in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/494, BI. 77). 544 Vergleiche oben B III 3 a.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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sollen. Genauso wäre jedenfalls verfassungstheoretisch eine Anlehnung der Parteigau- an die Reichsgaugrenzen möglich gewesen. Welche der früheren Pläne insoweit weiterverfolgt wurden, kann allein anhand jener Aussagen allerdings nicht festgestellt werden. ii) Verwaltungsreformplanungen während des 2. Weltkrieges

Die während des 2. Weltkrieges in Angriff genommenen Verwaltungsreformmaßnahmen entsprangen im wesentlichen dem Bestreben, den Staatsaufbau den Bedürfnissen des Krieges anzupassen. Sie sind also in erster Linie kriegsbedingt und bieten keinerlei Anhaltspunkte für die in Friedenszeiten vorgesehene Staatsorganisation. Gleichwohl stimmen die Strukturprinzipien der hier in Rede stehenden Normierungen weitgehend mit denjenigen der auf die Zeit nach Kriegsende verschobenen Reformgesetze überein.

(1) Der Entwurf eines zweiten Führererlasses über die Vereinfachung der Verwaltung Bestimmendes Strukturkriterium für den Entwurf eines zweiten Führererlasses über die Vereinfachung der Verwaltung 545 ist der Dezentralisationsgedanke. So heißt es bereits unter I (1), die Verwaltungsführung liege grundsätzlich den Behörden in der Unterstufe (der Verwaltung) ob. Demgegenüber sollten die Behörden in der Mittelstufe lediglich die Verwaltung lenken und nur in Ausnahmefällen Einzelentscheidungen treffen, I (2) des Entwurfes. Den obersten Reichsbehörden war schließlich die grundsätzliche und verbindliche Planung und die allgemeine Steuerung der Gesamtverwaltung für ihren jeweiligen Geschäftsbereich zugewiesen. Folgerichtig ist in 11 (1) des Entwurfes vorgesehen, insbesondere die Entscheidungsbefugnisse über die Erteilung von Genehmigungen, Erlaubnissen, Zulassungen und Befreiungen auf untere Verwaltungsbehörden zu konzentrieren. In Verfolg des Dezentralisierungsgedankens war auch eine Stärkung der bis dahin bereits entwickelt gewesenen gemeindlichen und Gau"selbstverwaltung" geplant: Es sollten nicht reichswichtige Verwaltungsaufgaben möglichst weitgehend auf die gebietlichen Selbstverwaltungskörperschaften übertragen werden. 546 Sofern diese Aufgaben nicht Selbstverwaltungsträgern der Kreis- 547 oder Ortsstufe hätten zugewiesen werden können, sollten sie den Provinzen (in Preußen) 545 Der Entwurf ist undatiert, aber der Aktenreihung nach zu urteilen, Ende 1941 verfaßt worden, vgl. Bundesarchiv, Akte R 18/5437, Blatt 309 ff. 546 11 1 des hier behandelten Entwurfs. 547 Zur "Selbstverwaltung" auf Kreisebene siehe oben A 11 7.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

oder den Reichsgauen als Selbstverwaltungskörperschaften zugewiesen werden. 548 Die Verwirklichung dieses Reformwerkes hätte zu einer deutlichen Stärkung der Hoheitsträger auf den mittleren und unteren Verwaltungsebenen geführt. Sowohl hinsichtlich der Kompetenzverteilung als auch, was die Einwirkungsbefugnisse anbelangt, wäre die Verwaltung durchgreifend neu strukturiert worden, und zwar zu Lasten der obersten Reichsbehörden. Sachgerechte Gründe für derartige Maßnahmen waren vorhanden: In Kriegszeiten sollten die höheren und obersten Verwaltungsbehörden von der laufenden Verwaltungsarbeit entlastet werden. Gerade die Tragweite der geplanten Regelungen dürfte aber zum Scheitern ,des Führererlaßentwurfes beigetragen haben. Durch ihn wäre die in dem Erlaß vom 28.8. 1939 zum Ausdruck kommende grundsätzlich zentralisationsfreundliche Grundentscheidung des Normgebers ausgehöhlt bzw. in ihr Gegenteil verkehrt worden. Nun wissen wir ja zwar, daß den amtlichen Planungen Dezentralisierungsüberlegungen durchaus nicht fremd waren (man denke nur an Gau"selbstverwaltung" etc.). Ab 1939 konnte man indes in der Verfassungswirklichkeit vermehrt gegenläufige Tendenzen beobachten. 549 Es können demnach Widerstände gegen eine allzu weitreichende Aufgabenverlagerung auf andere Verwaltungsträger vermutet werden, die Hitler möglicherweise zur Nichtunterzeichnung des Erlasses bewogen haben werden. Hinzu kommt noch, daß der hier behandelte Führererlaß die an sich verschobene Reichsreform praktisch in Teilen vorweggenommen hätte und daß die Umsetzung aller beabsichtigten Maßnahmen in Kriegszeiten sehr schwierig sein mußte. All dies zusammengenommen wird demgemäß ursächlich gewesen sein für die Nichtrealisierung des Erlasses.

(2) Pläne für eine Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen bzw. Stillegung von Verwaltungsbehörden im 2. Weltkrieg Für das Jahr 1943 lassen sich umfangreiche Bemühungen in Richtung auf eine reichseinheitliche Vereinfachung des Verwaltungsaufbaues und die Stillegung von Verwaltungsbehörden nachweisen. In einem Vermerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 20. 1. 1943 wurden diejenigen Bereiche aufgelistet, in denen III 3 des hier behandelten Entwurfes. Nicht nur, daß die Reichsfachministerien weiter um die Schaffung eines ihnen unmittelbar nachgeordneten Verwaltungsapparats bemüht waren. Auch von Seiten des Reichsinnenministeriums kamen immer wieder zentralistische Kodifiktionsvorstellungen, insbesondere wenn es um die Behauptung eigenen Terrains gegenüber den Reichsstatthaltern ging (siehe oben All). 548

549

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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eine Vereinfachung des Behördenaufbaues von Nutzen sein sollte. 55o Hiernach war insbesondere die "Stärkung der inneren Verwaltung und Schwächung der Sonderverwaltungen", mithin wohl die Eingliederung bestehender Reichssonderverwaltungen in die allgemeine Reichsverwaltung, vorgesehen. Als darüber hinaus mögliche Maßnahmen wurden, wieder einmal, die Abschaffung der Länderministerpräsidenten, die Zusammenlegung von Länderministerien und Landratsämtern sowie die Dezentralisierung genannt. 551 In einem weiteren Vermerk vom 2. Februar 1943 552 werden diese Vorstellungen konkretisiert, nachdem zuvor offenbar eine Staatssekretärsbesprechung in der Angelegenheit durchgeführt worden war. Zu den Schwerpunkten der Verwaltungsvereinfachung werden darin gezählt die Vermeidung von Doppelarbeit und die Entlastung der Zentralbehörden (letzteres deutet auf ein Wiederaufleben dezentralistischer Reformüberlegungen hin). Hierauf aufbauend schlägt der mit der Abfassung des Vermerks befaßte Sachbearbeiter die Auflösung des preußischen Finanzministeriums und die Beauftragung weiterer Reichsstatthalter mit der Führung von Landesregierungen vor. Demgegenüber erscheint ihm die Eingliederung von Reichssonderbehörden in den allgemeinen Verwaltungsaufbau "zur Zeit" als undurchführbar. 553 Es bestanden also noch während des Krieges konkrete Überlegungen dahingehend, die vorgebenen Verfassungsstrukturen der Länder in Richtung auf eine "Einheit der Verwaltung" in der Mittelinstanz zu verändern. Der Fortgang der diesbezüglichen Reformplanungen läßt sich einem Vermerk vom 5.2.1943 entnehmen. 554 Danach hatte zwischenzeitlich im Feldquartier des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei eine Chefbesprechung zu diesem Thema stattgefunden, die folgende Ergebnisse zeitigte: Die geplante Auflösung des Preußischen Finanzministeriums sollte vorangetrieben und im Falle der Zustimmung des "Führers" Kontakt zu dem Preußischen Ministerpräsidenten aufgenommen werden. Die geplante Übernahme der Geschäfte der Ministerpräsidenten der Länder durch die Reichsstatthalter wurde hingegen - natürlich, muß man fast sagen - zurückgestellt. 555

550 Vermerk aus der Verwaltung des Staatsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 20. I. 1943 über die "Vereinfachung und Stillegung der Verwaltung", in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/654 a, Blatt 67 f. 551 Bundesarchiv, Akte R 43 11/654 a, Blatt 67 f. 552 Vermerk vom 2.2. 1943 betreffend die Durchführung des Führererlasses vom 13.1.1943 auf dem Gebiete der Verwaltung (aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei), in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/654 a, Blatt 69 ff. 553 Vermerk vom 2.2.1943; Bundesarchiv, Akte R 43 11/654 a, Blatt 77. 554 Vermerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 5.2.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/654 a, Blatt 83 ff. 555 Bundesarchiv, Akte R 43 11/654 a, Blatt 85.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Was die Zusammenlegung von Ländenninisterien anbelangte, war nur noch die Vereinigung derjenigen Ministerien vorgesehen, die zwar ressortmäßig getrennt waren, aber von einem Minister in Personalunion geführt wurden. Hierüber sollte der Reichsinnenminister Gespräche mit den jeweiligen Länderregierungen führen. Neu vorgesehen war die Auflösung von 59 Landkreisen mit besonders kleinem Territorium, vor allem in Bayern. 556 Hiernach wäre es, wenn auch im bescheidenen Rahmen, zur Durchführung einer Gebietsrefonn auf Landkreisebene gekommen. Dem Vennerk kann diesbezüglich entnommen werden, daß nicht nur eine kriegsbedingte und daher vorübergehende Auflösung bestimmter Landratsverwaltungen geplant gewesen ist, sondern eine dauernde Änderung der territorialen Gliederung in diesen Gebieten. Insofern bedeutete die weitere Entwicklung einen Rückschritt in dieser Frage. Der Reichsinnenminister betonte nämlich in zwei Schnellbriefen vom 12.2. 1943 557 und vom 9.4. 1943 558 ausdrücklich, es sei nicht an eine fonnelle Auflösung von Landkreisen, sondern nur an eine vorübergehende Stillegung von Landkreisverwaltungen und die zeitweise Übertragung der Kreisaufgaben auf ein benachbartes Amt unter voller Wahrung der Rechtspersönlichkeit der Kreise gedacht. 559 Auch hierin zeigt sich, wie Entscheidungen, die sich als mehr oder weniger endgültig im Hinblick auf die geplante Reichsrefonn darstellen, im Nationalsozialismus immer wieder aufgeschoben oder blockiert wurden. Eine umfassende Reichsrefonn sollte also, wenn überhaupt, erst in weiterer Zukunft durchgeführt werden. Dem Schnellbrief vom 9.4.1943 ist ein Vorschlag Fricks über die Stillegung von nur noch 20 Landkreisverwaltungen beigefügt. 560 Diese weitere Einschränkung der Refonnplanungen hing wohl damit zusammen, daß 17 von insgesamt 26 zur Stillegung von Landkreisverwaltungen angehörte Reichsverteidigungskommissare sich für ihren örtlichen Bereich gegen jegliche Stillegungsmaßnahmen, weitere sechs sich nur für eine Stillegung in gewissen Fällen unter Aufrechterhaltung von Außenstellen für Emährungs-, Wirtschafts- und Unterhaltsfragen bei dem stillgelegten Landratssitz und sich nur Vennerk vom 5.2.1943; Bundesarchiv, R 43 11/654 a, Blatt 86. Schnellbrief des Reichsinnenministers an den RV -Kommissar im RV -Bezirk Weser-Ems, den oldenburgischen Innenminister und die Regierungspräsidenten in Aurich und Osnabrück vom 12.2.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/661 a, Blatt 56 ff. 558 Schnell brief des Reichsinnenministers an den Leiter der NSDAP-Parteikanzlei (Bonnann), den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei (Lammers) und den Chef des Oberkommandos der Wehnnacht vom 9.4.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/ 661 a, Blatt 58 ff. 559 Vgl. Schnellbrief des Reichsinnenministers vom 12.2.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/661 a, Blatt 56. 560 Vgl. Schnellbrief des Reichsinnenministers vom 9.4.1943; Bundesarchiv, Akte R 43 II/661 a, Blatt 61 R. 556 557

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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drei für eine völlige, kriegsbedingte Stillegung von Landratsverwaltungen ausgesprochen hatten. 561 So ist es auch nicht verwunderlich, daß es nicht einmal in diesem beschränkten Umfang zu einer Aufhebung von Landkreisverwaltungen gekommen ist.

(3) Die Ankündigung der Einstellung weiterer Rejormplanungen Die im Mai 1943 schließlich noch erfolgte Ablehnung der vorgeschlagenen Teilung der preußischen Provinz Hannover 562 durch den "Führer" bewog den offensichtlich verzweifelten Reichsinnenminister 563 dazu anzukündigen, daß alle Organisationsreformmaßnahmen im Bereich der Verwaltung für die Dauer zunächst eines Jahres zurückgestellt würden. 564 Offiziell begründet wurde dies mit den verstärkten Luftangriffen auf das Reichsgebiet und dem geringen Personalbestand der öffentlichen Verwaltung. Aufschlußreich ist insoweit, welche Reformmaßnahmen damals noch konkret geplant waren und daher der Zurückstellung unterfallen sollten: 565 Die Bildung eines Reichsgaues Westmark mit Selbstverwaltungsrechten (damit wäre es zum ersten Mal auf der Ebene des Altreiches zu der Schaffung eines Reichsgaues gekommen) sowie die Bildung eines "Landesverbandes Hessen" (aus der preußischen Provinz Hessen-Nassau und dem Land Hessen) und eines "Landesverbandes Mecklenburg". 566 Es bleibt also die Er~enntnis, daß die gesamtreichsbezogene Strukturreformüberlegungen während des Krieges nie völlig ruhten; sie besaßen allerdings nicht mehr den Stellenwert wie kurz nach der Machtübernahme, wenngleich sie sich inhaltlich kaum verändert hatten. Mit der Ankündigung Fricks, sämtliche Reformplanungen einzustellen, war indes das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen. Per Schreiben vom 13.7.1943 bat Reichskanzleichef Lammers nämlich den Innenminister, aus den 561 Vgl. Vennerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 12.4.1943 über die Stillegung von Landkreisverwaltungen; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/661 a, Blatt 80 f. 562 Hinweis hierauf in Schreiben des Reichsinnenministers an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 5.6.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/703 a, Blatt 227 ff., 228. 563 Frick wurde denn auch am 20.8.1943 in seiner Funktion als Reichsinnenminister durch Himmler ersetzt, siehe Rebentisch, Innere Verwaltung; in: Jeserich I Pohll von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 771. 564 Vgl. Schreiben des Reichsinnenministers an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 5.6.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/703 a, Blatt 227 ff. 565 Schreiben des Reichsinnenministers an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 5.6.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/703 a, Blatt 228. 566 Weiteres zu diesen Plänen konnte in den Akten des Bundesarchivs nicht ennittelt werden.

17 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Führerentscheidungen des Monats Mai 1943 keine grundsätzlichen Schlüsse zu ziehen. 567 Im Gegenteil, so hieß es dort weiter, könnten die Kriegsereignisse auch die Verwaltung zu Organisationsakten zwingen, die im einzelnen noch nicht voraussehbar seien. Es müsse daher die Möglichkeit offen bleiben, daß die zuständigen Ressorts dem Führer organisatorische Maßnahmen vorschlagen oder diese, soweit zulässig, selbst vollziehen. 568 So ist es denn auch letztendlich nicht zu der Einstellung jeglicher Reformmaßnahmen gekommen. Einen Beleg dafür liefern die Führererlasse vom 1.4. 1944, durch die einige preußische Provinzen neu gegliedert worden sind. 569 Dahinter stand die Absicht, alle dortigen Parteigauleiter im Hinblick auf die Einheit von Partei und Staat mit OberpräsidentensteIlen zu versorgen. 570. 571 c) Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne

der Länderregierungen und Reichsstatthalter

Will man die Reichsreformvorstellungen der Innenverwaltung mit denjenigen der Reichsstatthalter und Landesregierungen vergleichen, ist ein Blick auf die Details nötig. Wie in einem totalitären Staat üblich, standen die wesentlichen Grundzüge der Reform nämlich fest und waren auch weitgehend unbestritten. Bezüglich der Ausgestaltung einzelner Regelungen gab es jedoch erhebliche Gestaltungsspielräume, welche von allen Beteiligten ausgiebig genutzt wurden. Ob Reichsregierung oder Reichsstatthalter, Ministerpräsidenten oder Parteiführer, alle bemühten sich darum, ihren Machtbereich zu sichern bzw. wenn möglich zu erweitern. Gestaltungsspielräume im eben genanntem Sinn fanden sich vor allem bezüglich der Fragen nach der Person des Leiters der künftigen Gauzentralbehörden, nach der Weisungsberechtigung über die Reichsstatthalter und nach Inhalt und Umfang einer Gauselbstverwaltung. Hier zeigten sich alle Betroffenen flexibel. Wie wir bereits sahen, 572 befürwortete das Reichsinnenministerium zunächst die Betrauung aller Statthalter mit der 567 Offensichtlich ist das Schreiben von Hitler persönlich veraniaßt worden. Dem "Führer" konnte nämlich nicht daran gelegen sein, auf eine in Reichsreformdingen völlig unvorbereitete Innenverwaltung zu treffen, wenn er selbst einmal Neugliederungsmaßnahmen treffen wollte (vgl. die Führererlasse vom 1.4.1944; unten Fußnote 569). 568 Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Lammers an Reichsinnenminister Frick vom 13.7.1943; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/703 a, Blatt 251 ff. 569 Führererlaß über die Bildung der Provinzen Kurhessen und Nassau vom 1.4.1944; ROBl. 1944, Teil I, S. 109; Führererlaß über die Aufgliederung der Provinz Sachsen vom 1.4. 1944; ROBl. 1944, Teil I, Blatt 110 f. 570 Interessante Aspekte im Hinblick auf die Reichsreform enthalten die diesbezüglichen Akten nicht, insbesondere entsprechen bereits die Vorentwürfe weitgehend den endgültigen Erlassen (vgl. Bundesarchiv, Akte R 43 11/660 b, Blatt 5 ff.). 571 Dazu siehe schon oben A 11 4., 5 d).

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

259

"Führung" der Landesregierungen, wollte die "Gaufürsten" aber im Wege der Dienstaufsicht an sich binden. Als Hitler indes die Überwindung des Dualismus' zwischen Statthaltern und Ministerpräsidenten blockierte, schwenkten Fricks Beamte um: Um ihr Ziel, den Aufbau von Länderzentralbehörden zu erreichen, traten sie nunmehr dafür ein, die Ministerpräsidenten mit wichtigen Verwaltungsfunktionen auszustatten. In diesem Fall wären die machthungrigen Reichsstatthalter formal von praktisch allen wichtigen Aufgaben ausgeschlossen worden, ihr eher unbedeutendes Aufsichtsrecht nach § 2 Reichsstatthaltergesetz hätte darüber nicht hinwegtäuschen können. Hätte demnach die Verwirklichung der späteren innenbehördlichen Planungen "Hitlers Stellvertreter in den Ländern" bezogen auf das Altreich nach und nach administrativ überflüssig gemacht, so tendierten Parteispitze und Gauleitungen umgekehrt zu einer permanenten Erweiterung der statthalterlichen Rechte. Für Männer wie Sauckel, Loeper oder Bürckel, die sich eher der NSDAP als "dem Staat" verbunden fühlten, stand ebenfalls außer Frage, wem die Macht in den Territorien zufallen sollte. 573 Deshalb rückten sie von ihren Forderungen a) nur Reichsstatthalter mit der Führung von Landesregierungen zu betrauen und b) die Statthalter der Weisungsgewalt allein des "Führers" zu unterstellen auch unter keinen Umständen ab. Auf der anderen Seite bekämpften sie Überlegungen, wonach ihnen bis in alle Zukunft nur die beschränkten Einwirkungsrechte nach § 2 Reichsstatthaltergesetz obliegen sollten. Am Ende durchsetzen konnte sich keine der Interessengruppen. Weder kam es im Altreich zu der Bildung von zentralen Landesbehören mit Ministerpräsidenten an der Spitze, noch zu einer ausschließlich führerbezogenen Weisungsbindung der Statthalter. Interessant ist die Beschäftigung mit den Verwaltungsreformvorstellungen der Statthalter und Landesverwaltungen aber trotzdem. aa) Die Reformvorstellungen des Preußischen Ministerpräsidenten Göring In einem Schreiben an den Reichsinnenminister vom 21. März 1934 legte der behördenfreundliche 574 preußische Ministerpräsident Göring seine diesbezüglichen Gedanken nieder. 575

Siehe oben B III, 4 b) ee), 4 b) gg). Dazu sogleich B III 4 c) aa). 574 Siehe insoweit bereits oben B III 3 b) dd). 575 Schreiben des Preußischen Ministerpräsidenten Göring an Reichsinnenminister Frick vom 21. 3. 1934 nebst einer Anlage ("Bemerkungen zur Reichsreform"), in: Bundesarchiv, Akte R 4311/495, Blatt 176 ff. 572

573

17*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Was den Ablauf der Reform betrifft, schlug er für den Anfang die Festlegung der künftigen Aufgabenverteilung zwischen Reich und Ländern vor; erst danach hätte ihm zufolge eine Territorialneugliederung vorgenommen werden sollen, weil die erforderliche Größe der künftigen Reichsgaue von dem Umfang der auf Gauebene zu erledigenden Aufgaben abhängen sollte. 576 Göring betonte weiter die Notwendigkeit, das Reich als einen Einheitsstaat zu erhalten, in dem für das Wiederaufleben von Einzelstaaten kein Raum mehr sei. 577 Demzufolge müßten, so heißt es in seiner Schrift, dem Reich umfassende Befugnisse in allen reichswichtigen Angelegenheiten zugestanden werden. Die Gesetzgebung sollte entsprechend dieser Prämisse grundsätzlich allein dem Reich vorbehalten bleiben; allerdings war die Zulassung einer Rechtssetzung nachgeordneter Stellen mit Zustimmung des Reiches, wie schon nach § 3 der Ersten Reichsneuaufbauverordnung, vorgesehen. 578 Die Verwaltung sollte Görings Entwurf nach in drei Formen erfolgen: Durch Reichssonderbehörden, durch die Behörden der allgemeinen Reichsverwaltung im Gau und durch Organe der Gauselbstverwaltung. Als Aufgaben, die wie bisher durch Reichssonderbehörden des Reiches ausgeführt werden sollten, nennt Göring den auswärtigen Dienst, die Wehrmacht, die Luftfahrt, den Verkehr (Eisenbahn, Post, Rundfunk [!]), die Rechtspflege, die Propaganda, die Berghoheit, die Hochschulen und die Verwaltung der Reichsforsten. 579 Der allgemeinen Reichsverwaltung auf Reichsgauebene sollten an reichswichtigen Verwaltungsaufgaben zugewiesen werden: Das landwirtschaftliche Siedlungswesen, die Reichswasserstraßenverwaltung, die Reichsstraßenverwaltung, die uniformierte und die politische Polizei und das Eichwesen. 580 Die verbleibenden Aufgaben (insbesondere die innere Verwaltung, die ,,kommunale Aufsicht" über die unteren Verbände, das Schulwesen mit Ausnahme der Hochschulen, das nicht reichswichtige Verkehrswesen, die soziale Fürsorge, die Gewerbeaufsicht, das Medizinal- und Veterinärwesen, die Kunst- und Heimatpflege und die Vermögensverwaltung der Gaue) 581 sollten nach Görings Vorstellungen den Reichsgauen zur Verwaltung unter eigener Verantwortlichkeit überlassen werden. 582 Anderenfalls würde, so schrieb er, ein scharf zentralisierter Einheitsstaat romanischer Prägung entstehen, der für die deutschen Verhältnisse nicht passe. 583 576 577 578 579 580 581 582

Göring, Göring, Göring, Göring, Göring, Göring, Göring,

Bemerkungen Bemerkungen Bemerkungen Bemerkungen Bemerkungen Bemerkungen Bemerkungen

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Reichsreform, Reichsreform, Reichsreform, Reichsreform, Reichsreform, Reichsreform, Reichsreform,

Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bundesarchiv,

R 4311/495, R 43 11/495, R 4311/495, R 43 11/495, R 43 11/495, R 43 11/495, R 43 II/495,

Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt

177. 177. 178. 178. 179. 182. 181.

III. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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Göring trat also für eine deutliche Dezentralisierung des Verwaltungsaufbaues durch Schaffung von "Selbstverwaltung" bereits auf Reichsgauebene ein; die Reichsgaue hätten dadurch eine erheblich selbständigere Stellung besessen als nach dem verwirklichten Rechtszustand, der eine Selbstverwaltung ja nicht kannte. Unter "Selbstverwaltung" verstand der preußische Ministerpräsident allerdings nicht dasselbe wie wir heute. Dies zeigt bereits ein Blick auf die vorgesehene Reichsaufsicht über die "Selbstverwaltungs"organe. Sie sollte sich außer auf die Rechtmäßigkeit auch auf die Vereinbarkeit der Einzelmaßnahmen mit den Zielen der Reichspolitik erstrecken,584. 585 womit sie de facto einen Ansatzpunkt für unbegrenzte Einmischung in landeseigene Angelegenheiten geboten hätte. Im Bereich der allgemeinen Reichsverwaltung sollten dem Reich sogar umfassende Aufsichtsrechte fachlicher und dienstrechtlicher Art zukommen,586 so daß die obrigkeitliche Überwachung der Länder bzw. Gaue praktisch vollkommen gewesen wäre. Bezüglich des Behördenaufbaues in den Reichsgauen gingen die Vorstellungen Görings dahin, den Reichsstatthaltern 587 die Leitung einer neu zu schaffenden Zentralbehörde zu übertragen. 588 Die Fachabteilungen jener neuen Behörde sollten aus den bisherigen Landesministerien gebildet werden. 589 Hierdurch wären einerseits die Statthalter in den allgemeinen Verwaltungsaufbau integriert worden und zu Gauführern aufgestiegen. Andererseits hätten aber die oberen Reichsbehörden Kompetenzeinbußen hinnehmen müssen, denn vermutlich wäre der Anweisungsweg fortan stets über die Gauführer gegangen, direkte reichsministerielle Weisungen an die zentralbehördlichen Fachabteilungen wären also unzulässig gewesen. In Reinform wäre die Einheit der Verwaltung allerdings auch nach Görings Plan noch nicht verwirklicht worden; denn es sollten auf Gauebene Reichssonder583 Göring, Bemerkungen zur Reichsrefonn, Bundesarchiv, R 43 II/495, Blatt 183. 584 Göring, Bemerkungen zur Reichsrefonn, Bundesarchiv, R 43 II/495, Blatt 182. 585 Auch insoweit entsprachen Görings Vorstellungen also denjenigen des Reichsinnenministeriums; vergleiche z. B. den Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf vom 20.7.1934 und die Deutsche Gemeindeordnung vom 30.1.1935. 586 Göring, Bemerkungen zur Reichsrefonn: Bundesarchiv, R 43 II/495, Blatt 179. 587 Also nicht, wie seitens der Innenverwaltung später geplant, den Ministerpräsidenten! 588 Göring, Bemerkungen zur Reichsrefonn, Bundesarchiv, R 43 II/495, Blatt 183. 589 Vgl. Göring, Bemerkungen zur Reichsrefonn; Bundesarchiv, R 43 II/495, Blatt 179: ,,zur Erfüllung der Aufgaben der allgemeinen Reichsverwaltung werden also tätig werden: Die Reichsministerien in der Zentralinstanz, die Reichsstatthalter in der Mittelinstanz und spezielle Fachbehörden in der Unterinstanz" und Blatt 181: "Für eine Anzahl weiterer Beamten wird die Bestätigung durch das Reich vorzubehalten sein: Das gilt

z. B.für die Leiter der wichtigeren Abteilungen in der Verwaltung des Reichsstatthalters "

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

verwaltungen bestehen bleiben, die direkt von den obersten Reichsbehörden weisungsabhängig gewesen wären. Aussagen darüber, ob und inwieweit die Reichsstatthalter Eingriffsbefugnisse gegenüber diesen Behörden erhalten sollten, macht Göring nicht. Unklar bleibt in Görings Konzeption außerdem, ob allgemeine Reichs- und Selbstverwaltung in einer einzigen Behörde zusammengefaßt werden sollten, deren Beamte jeweils für beide Bereiche zuständig gewesen wären, oder ob insofern getrennte Behörden bestehen sollten, deren Leitung nur in Personalunion von dem Reichsstatthalter ausgeübt worden wäre. Was schließlich die Personalhoheit über die "Gaubeamten" anbelangt, so ist bei Göring vorgesehen, daß die Reichsstatthalter, die Leiter der Regierungspräsidien - falls solche Mittelbezirke eingerichtet würden - und die Landräte direkt vom Reich ernannt und entlassen werden sollten. Die Ernennung der Leiter der wichtigeren Abteilungen in der Verwaltung des Reichsstatthalters und der leitenden Beamten in den "größeren" Gemeinden sollte überdies der Bestätigung durch das Reich bedürfen. 590 Offengelassen wird hingegen, ob die Beamten der allgemeinen Reichsverwaltung auf Gauebene in ein direktes, unmittelbares Dienstverhältnis zum Reich treten, also statt wie bisher mittelbare, nunmehr unmittelbare Reichsbeamten werden sollten. Ohne eine entsprechende Überleitungsregelung wäre es insofern bei mittelbarer Reichsverwaltung geblieben. Die Reformvorschläge Görings entsprachen nach allem bis auf Formulierungsunterschiede denjenigen der Reichsinnenverwaltung, wenn man einmal von der Frage der Leitung der Gauzentralbehörde 591 absieht. Dabei kann in bezug auf letzteres nicht davon gesprochen werden, daß Fricks Administration ab 1935 die Reichsstatthalter generell und auf Dauer von der Verwaltungsführung ausschließen wollte. Denkbar gewesen wäre nämlich, daß die Ministerpräsidenten ihre herausgehobene Position nur für eine Übergangszeit besitzen sollten und im Falle einer Beseitigung des Dualismus' später durch die Statthalter ersetzt worden wären. 592 Deshalb darf selbst insoweit an bestehenden Differenzen zwischen Göring und der Innenbehörde gezweifelt werden. Görings prinzipiell administrationsfreundliche Grundhaltung wird weiterhin belegt durch sein Eintreten für die Beibehaltung bestimmter Sonderverwaltungen. Entsprechendes ist von den Reichsbehörden immer wieder verlangt worden, 593 Göring, Bemerkungen zur Reichsreform: Bundesarchiv, R 43 11/495, Blatt 181. Hierzu siehe oben B 111 vor 4 c) aa): Späteren Gesetzentwürfen des Innenministeriums zufolge sollten auch die Ministerpräsidenten mit diesem Amt betraut werden können. 592 Die Intentionen der Reichsinnenverwaltung insoweit konnten den Akten nicht entnommen werden. 593 Vergleiche oben B III 4 b) ee) und 4 b) gg). 590 591

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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mußte aber bei den Statthaitern, welche nach einem Ausbau ihrer Machtstellung strebten, heftige Gegenreaktionen auslösen. 594 War Göring demnach ein Exponent Fricks auf Landesebene, so gab es doch auch leidenschaftliche Kritiker der Reformpläne des Reichsinnenministeriums. bb) Die Reichsreformvorstellungen der thüringischen Länderregierung bzw. des Reichsstatthaiters in Thüringen Als einer von diesen hat der thüringische Reichsstatthalter Sauekel zu gelten, wie wir gleich sehen werden. Am 5.4.1934 übersandte Sauekel der Reichskanzlei einen vom damaligen Ministerialdirigenten im thüringischen Innenministerium und lange Zeit führenden Reichsreformexperten der Partei 595 Sommer ausgearbeiteten Entwurf für ein "Gesetz über den Reichsgau Thüringen" 596 zur Kenntnisnahme sowie weiteren Veranlassung. Schon in seinem Begleitschreiben hierzu 597 stellte der thüringische "Territorialfürst" klar, worum es bei der Neuordnung der Landesverwaltung eigentlich gehen sollte: um eine Potenzierung reichsstatthalterlicher Befugnisse! Sauekel erachtete es nämlich für geboten, daß künftig sämtliche im Reichsgau arbeitenden "Landes"- und Reichsbehörden (also wohl auch die Reichssonderbehörden!) der staatspolitischen "Führung" des Reichsstatthalters unterliegen. Im übrigen, so führte er weiter aus, sei eine möglichste Einsparung von Instanzen erforderlich; daher dürften keine verwaltungsmäßigen Zwischenstufen zwischen Reichsregierung und Statthaltern bzw. zwischen Reichsgauen und Kreisen geschaffen werden. 598 Vor nichts anderem als einer organisationsrechtlichen Herabstufung seines Amtes hatte der thüringische Reichsstatthalter also Angst. Den Prämissen Sauekels folgt auch der beigefügte Gesetzentwurf über den Reichsgau Thüringen weitgehend. Näheres sogleich. Indem der genannte Entwurf Regelungen nur für einen einzigen Reichsgau treffen will, geht sein Verfasser offenbar davon aus, daß jedenfalls in nächster Zukunft keine umfassende Territorial- bzw. Verwaltungsreform vorgenommen werden wird: Eine Einschätzung, die entgegen anders lautenden Planungen sich im Endergebnis (nur in Österreich und den besetzten polnischen Gebieten wurden tatsächlich Reichsgaue geschaffen!) als zutreffend herausstellen sollte. Dazu siehe sogleich B III 4 c) bb). Sommer gehörte denn auch dem in der NSDAP mit der Reichsreform befaßten Stab Adolf Wagner an, siehe oben B 11. 596 Entwurf eines Gesetzes über den Reichsgau Thüringen; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1372, Blatt 144 ff. 597 Schreiben Sauckels an Staatssekretär Lammers (Reichskanzlei) vom 5.4.1934, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1372, Blatt 142 ff. 598 Schreiben Sauckels an Lammers vom 5.4.1934; Bundesarchiv, R 43 11/1372, Blatt 144. 594 595

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Die §§ I und 2 der Kodifikation befassen sich mit der territorialen Gliederung des geplanten Reichsgaues. Zum Gaugebiet sollten neben dem bisherigen Land Thüringen auch noch der preußische Regierungsbezirk Erfurt sowie Teile des preußischen Regierungsbezirkes Merseburg gehören. Damit steht die Planung der thüringischen Landesregierung im Einklang mit der Mehrzahl der übrigen veröffentlichten Gliederungsvorschläge. 599 In bezug auf die Rechtssetzungsgewalt legt § 4 - in Übereinstimmung mit den Vorstellungen Görings und der Ersten Reichsneuaufbauverordnung - fest, daß der Reichsgau ein Gesetzgebungsrecht nicht habe; nach Maßgabe der Gesetze sollten die Gaubehörden aber zu dem Erlaß von Rechtsverordnungen befugt sein. Von deren Befugnis, "Landesgesetze" zu erlassen, ist also hier nicht mehr die Rede. Auf dem Gebiet der Verwaltung hingegen hätte nach dem hier behandelten Gesetzentwurf eine im Verhältnis zum damaligen Rechtszustand umfangreiche Erweiterung der Gauzuständigkeiten stattgefunden: So sollte der Reichsgau eigene Hoheitsaufgaben in "Selbstverwaltung" ausführen, wie sich bereits aus § 3 des Entwurfes ergibt. Daneben war die "auftragsweise" Ausführung von Hoheitsaufgaben des Reiches durch Organe der gauzugehörigen allgemeinen Reichsverwaltung vorgesehen. Was den Umfang der Selbstverwaltung anbelangt, trifft § 10 des Gesetzentwurfes die Regelung, daß einstweilen die Verwaltung des Reichsgauvermögens und diejenigen Angelegenheiten, die bis dahin Selbstverwaltungssachen der preußischen Provinzen gewesen waren, von den Gauen eigenverantwortlich erledigt werden sollten. Das wäre immerhin ein nicht ganz geringer Teil aller Staatshoheitsrechte gewesen. Dahinter stand natürlich die Absicht, die Gau- gegenüber der Reichsführung zu stärken. Die nicht der Selbstverwaltung unterliegenden Aufgaben sollten nach der Konzeption des Gesetzentwurfs entweder durch Reichssonderbehörden (insoweit abweichend von Sauekels Vorstellungen) oder in allgemeiner Reichsverwaltung ausgeführt werden, vgl. § 11. Reichssonderverwaltungen waren allerdings nur noch im Bereich der Reichswehr, der Reichspost und der Reichsbahn vorgesehen, § 1111, die übrigen damals bestehenden Sonderbehörden hätten also bei Verwirklichung dieses Gesetzes in die allgemeine Verwaltung eingegliedert werden müssen. Auf diese Weise wäre der Verwaltungsaufbau deutlich vereinfacht und in Richtung auf die Herstellung einer Einheit der Behördenstruktur in der Reichsmittelinstanz fortentwickelt worden. 600 Vergleiche oben B III 3. Problematisch ist das weitere Verständnis des § ll 11 des Entwurfes, wonach die Reichsverwaltung im Gau dem Gau "auftragsweise übertragen" werden sollte. Damit dürfte gemeint gewesen sein, daß diejenigen Hoheitsrechte, die dem Land 599

600

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

265

Mittelbaren Nutzen hieraus hätte freilich einmal mehr der Statthalter gezogen, dem vom Gesetzentwurf eine bestimmende Stellung im Gau zugedacht worden war. So sollte eine unter seiner Leitung stehende zentrale Gaubehörde gebildet werden (Beseitigung des Dualismus' mit den Ministerpräsidenten!), in die die bis dahin selbständigen Landesministerien als Abteilungen integriert worden wären, § 11 ff. Auch die Selbstverwaltung auf Reichsgauebene sollte dem Reichsstatthalter unterstehen, § 8 I 2 des Gesetzentwurfes. Ob aber für die Aufgaben der Selbstverwaltung die Schaffung einer gesonderten Behörde geplant war, die lediglich in der Spitze mit der allgemeinen Reichsverwaltung verbunden gewesen wäre, läßt sich dem Gesetzentwurf nicht mit letzter Sicherheit entnehmen: Dagegen könnte indes die Regelung der §§ 17 ff. sprechen. Die herausragende Machtfülle, die der Reichsstatthalter danach erlangt hätte, wird durch die ihm gewährten Aufsichtsbefugnisse nur noch unterstrichen. Gemäß § 15 11 des Entwurfes hätte er volle fachliche und dienstliche Weisungsgewalt über die ihm nachgeordneten Beamten besessen, und zwar sowohl in Selbstverwaltungs- als auch in Angelegenheiten der allgemeinen Reichsverwaltung. Allergings sollte er seinerseits im Bereich der allgemeinen Reichsverwaltung reichsministerieller Fach- bzw. Dienstaufsicht unterworfen sein (§ 15 I). In Selbstverwaltungsfragen hätte demgegenüber lediglich "erweiterte Rechtsaufsicht" 601 bestanden, § 8 11, III. Wiesen diese Normierungen also noch nicht wesentlich über bestehende reichsbehördliche Planungen hinaus,602 so jedenfalls aber das, was Sauckel aus ihnen machte. Im Nachgang zu seinem Schreiben vom 5.4.1934 regte der thüringische Territorialherr nämlich an, § 15 I des hier behandelten Gesetzentwurfes dergestalt zu ändern, daß der Reichsstatthalter künftig allein der Dienstaufsicht des "Führers" unterliege. 603 Sauckel hatte sich mithin dem Rechtsstandpunkt anderer Statthalter angeschlossen, wonach eine Weisungsbindung der Gauführer an die Thüringen durch das Reichsneuaufbaugesetz entzogen worden waren, dem künftigen Reichsgau zur Ausführung zurückübertragen werden sollten. Eine derartige Rückübertragung von Hoheitsaufgaben war auf das Land Thüringen als Rechtsvorgänger des geplanten gleichnamigen Reichsgaus (§ 6 des Entwurfes) allerdings schon durch die Erste Neuaufbauordnung erfolgt, so daß § 11 II lediglich deklaratorischen Charakter besessen hätte. Von dem Bestehen echter Auftragsverwaltung insoweit kann jedoch angesichts des Umfangs der vorgesehenen Aufsichtsrechte des Reiches nicht ausgegangen werden, wie noch zu zeigen ist. 601 Das heißt eine um die Überprüfung der Vereinbarkeit von Einzelrnaßnahmen mit den "Grundsätzen der nationalen Erhebung" erweiterte Rechtmäßigkeitskontrolle. 602 Vgl. den Gesetzentwurf vom 20.7.1934, oben B III 4 b) dd). 603 Schreiben Sauekels an Lammers vom 13.4.1934; in Bundesarchiv, Akte R 43 II/ 1372, Blatt 187.

266

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Reichsinnenverwaltung mit deren führerunmittelbarer Stellung nicht im Einklang stehen sollte. 604 Folge hiervon wäre gewesen, daß der Reichsstatthalter den Reichsministerien praktisch gleichgeordnet worden wäre. Nicht nur, daß er innerhalb des Gaues alle entscheidenden Machtpositionen in Händen gehalten hätte; vor allem wäre seine Person auch in gewissem Umfang oberbehördlicher Kontrolle entzogen worden ... 605 Der Vollständigkeit halber sei noch auf die Regelung des § 20 des Gesetzentwurfes hingewiesen, der zufolge im Reichsgau Thüringen ein Gaurat mit beratenden Funktionen geschaffen werden sollte; Kompetenzeinbußen für den Statthalter hätten sich daraus indes nicht ergeben. Weitere Anhaltspunkte für die Reichsreformvorstellungen des thüringischen Reichsstatthalters lassen sich einer undatierten, vermutlich im Dezember 1936 verfaßten Denkschrift entnehmen. 606 Darin sprach Sauckel endlich das aus, was seinen Überzeugungen entsprach: Der Staatsaufbau sollte sich an den Parteistrukturen orientieren; solches sei "ein Recht des Siegers und ein Gebot der Erfahrung".607 Dementsprechend laufen seine Einzelvorschläge auf eine Erweiterung reichsstatthalterlicher und parteimäßiger Rechte gegenüber dem Behördenapparat hinaus; so etwa, indem verlangt wird, alle Beamten im Gau durch die Statthalter ernennen zu lassen. 608 Überhaupt wären den "Territorialfürsten" nach Sauckels Konzeption zentrale Machtpositionen zugefallen. Beispielsweise betont der thüringische Reichsstatthalter die Notwendigkeit, bestehende Reichssonderbehörden wieder der allgemeinen inneren Verwaltung zu integrieren. 609 Nur so glaubte Sauckel die Behördenorganisation "vereinfachen" zu können. Vorteile davon hätten allerdings allein die Reichsstatthalter gehabt, weil ihnen nämlich die Gauorgane "unterstellt" werden sollten. 610 In gleicher Weise durchsichtig ist Sauckels Forderung nach effektiver, dem Steinschen (und das heißt liberalistischen) Vorbild entsprechender "Selbstverwaltung",611 Selbstverwaltung hätte für die Reichsgaue einen Zuwachs an EigenstänDazu siehe oben A 11 5 c). 605 Nämlich insoweit, als nur der Reichskanzler vorgesetzte Dienstbehörde der Reichsstatthalter gewesen wäre. 606 Fritz Sauckel, Verlagerung der Zuständigkeiten und der Verantwortlichkeit von den bisherigen Ländern bzw. Außeninstanzen nach den Berliner Ministerialverwaltungen sowie deren politische und verwaltungsmäßige Auswirkung: Denkschrift, undatiert, etwa Dezember 1936; in: Bundesarchiv, Akte R43 11/494, Blatt 124 ff., hier Blatt 136 ff. 607 Sauckel, Denkschrift; Blatt 136. 608 Sauckel, Denkschrift; Blatt 139. 609 Sauckel, Denkschrift; Blatt 138. 610 Sauckel, Denkschrift; Blatt 139. 611 Sauckel, Denkschrift;Blatt 139. 604

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

267

digkeit gebracht; "Gauführer" wären aber die Reichsstatthalter gewesen ... Daß dem thüringischen Statthalter tatsächlich echte Selbstverwaltung vorschwebte, ist indes mehr als unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte er sich bewußt zu Unrecht auf den Freiherrn von Stein berufen haben, war doch von Machtbeteiligung frei gewählter Volksvertretungen im Gau bei ihm nirgendwo die Rede. Die Vorschläge zur "Gauselbstverwaltung" werden in einem Schreiben vom November 1937 noch vertieft. 612 in diesem Rahmen regt Sauckel an, den Reichsgauen die "Pflege von Kultur, Volkstum, Wirtschaft und Wohlfahrt" zur eigenverantwortlichen Erledigung zu überlassen. 613 Daneben werden im gleichen Schreiben Grundsätze für ein Sofortprogramm zur Wiederherstellung von Verwaltungseinheit aufgestellt. Nochmals betont der thüringische "Gaufürst" ,daß die organisationsmäßigen Gliederungen "von Partei, Staat und Verwaltung (!)"614 einander anzupassen seien; in welcher Weise, das hatte er ja bereits an anderer Stelle gesagt. Demselben Zweck sollte ein an die Reichsfachministerien gerichtetes Verbot, selbständig Verwaltungsbezirke für ihre Mittel- und Unterbehörden zu bilden,615 dienen. Ausnahmsweise zulässig sein sollten jedoch Gliederungen, die sich mit den entsprechenden Gau- und Kreisbezirken der NSDAP deckten! 616 Von besonderer Bedeutung ist noch, wie Sauckel sich die Reichsaufsicht über die Statthalter vorstellte. Entgegen früheren Aussagen seinerseits akzeptierte er nunmehr eine Weisungsbindung an "Führer" und Reichsministerien, wünschte aber sichergestellt zu wissen, daß die Aufsichtsrechte nur von den Reichsministern persönlich ausgeübt würden. Die ministeriellen Kontrollbefugnisse in Kauf zu nehmen fiel ihm um so leichter, als die Praxis gezeigt hatte, daß nicht alle Weisungen der oberen Reichsbehörde auch durchgesetzt werden konnten. Gleichwohl hatte das im Herbst 1934 in dieser lange umstrittenen 617 Frage gesprochene Machtwort Hitlers 618 wohl seine Auswirkungen auf den thüringischen Statthalter gehabt. Sauckels Vorstellungen stimmen nach allem - wie nicht anders zu erwarten war - in groben Zügen mit denjenigen des Reichsministeriums überein. Genügend Reibungsfläche mit Fricks Administration hätte es allerdings noch bezüglich der Ausgestaltung der ReichsstaUhalterbefugnisse gegeben. Häufige Einmischungen 612 Schreiben Sauckels an die Verwaltung des Chefs der Reichskanzlei vom

22.11.1937, betreffend Grundsätze und Sofortprogramm zur Wiederherstellung der Einheit der Verwaltung im Dritten Reich; Bundesarchiv, Akte R 43 11/1310 b, Blatt 44 ff.

613 614 615 616 617 618

Ebenda, Blatt 44. Schreiben Sauckels vom 22. 11.1937; Bundesarchivakte R 4311/1310 b, Blatt 44. Schreiben Sauckels vom 22. 11. 1937; Bundesarchivakte R 43 11/1310 b, Blatt 45. Schreiben Sauckels vom 22. 11. 1937; Bundesarchivakte R 43 11/1310 b, Blatt 45. Dazu siehe oben A 11 5 c). Oben A 11 5 c).

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

von Gauführern nach dem Schlage Sauckels zeigten indes, daß die Reichsreform nicht mehr allein in der Verwaltungsspitze gemacht wurde. cc) Altreichsbezogene Reichsreformvorstellungen des Reichskommissars für die Saarrückgliederung und späteren Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Bürckel Auch die Verwaltungsreforrnkonzeption des Hitler-Vertrauten 619 Joseph Bürkkel 620 weist gegenüber entsprechenden innenministeriellen Gedankengängen deutliche Parallelen auf. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß manche Einzelprobleme durchaus unterschiedlich gesehen und demzufolge abweichend gelöst wurden. Folgende Gemeinsamkeiten bestanden: 621 Die neu zu schaffenden Reichsgaue sollten die RechtsteIlung öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften mit abgeleiteten Reichs- sowie eigenen Hoheitsaufgaben besitzen. 622 Die staatliche Verwaltung sollte in allgemeine Reichs- und Reichssonderverwaltungen zerfallen; 623 letztere wären in einem direkten Weisungsverhältnis zum Reich verblieben. Als Spitze der Gauverwaltung waren "Reichsgauleiter" (der Sache nach mit den "neuen Reichsstatthaltern" der administrativen Planungen identisch) vorgesehen. 624 Ob in ihrer Hand zentrale Gaubehörden neu gebildet werden oder die bisherigen Landesministerien als eigenständige Behörden weiterexistieren sollten, läßt sich Bürckels Veröffentlichungen hingegen nicht entnehmen. Die Neubildung von Reichssonderbehärden auf Gauebene war zu vermeiden. 625 (Das mußte für Bürckel als Quasi-Gauführer des Saarlandes und später Öster619 BÜfckel war nacheinander Reichskommisar für die Saarrückgliederung (ab 1935), Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich (ab 1938), Reichsstatthalter in Wien (1940). 620 Sie ist einer am 6.9. 1935 verfaßten Denkschrift ("Grundsätze, die in der deutschen Reichsgauordnung Verwirklichung und Ausdruck finden sollen", in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/496, Blatt 296 ff.) sowie einem Schreiben Bürckels an Reichsminister Frick vom 15.2.1939 (in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/494, Blatt 47 ff.) entnehmbar. 621 Vergleiche insoweit vor allem den Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf vom 20.7. 1934 (oben B III 4 b) dd» mit genannten Schriften Bürckels. 622 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. 12; Bundesarchiv, Akte R 43 II/496, Blatt 296. 623 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. I 2, Blatt 296. 624 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. II 5, Blatt 296.

IlI. Altreichsbezogene Refonnvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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reichs natürlich den Vorteil haben, daß weitere Hoheitsaufgaben der von ihm kontrollierten Gauverwaltung zugewachsen wären!) - Was die Staatsaufsicht über die Gauverwaltungsbehörden anbelangt, sollte in Angelegenheiten der allgemeinen Reichsverwaltung Dienstaufsicht (für Bürkkels Konzeption ist dies nur zu vermuten, denn er spricht insofern lediglich von "Aufsicht")626 und in gaueigenen Angelegenheiten eine um die Kontrolle der Vereinbarkeit mit den Zielen der Staatsführung "erweiterte Rechtsaufsicht"627 (der Fachaufsicht ähnlich)628 eingreifen. - Aufsichtsbefugnisse der Reichsgauleiter I Statthalter über die Gaubehörden: Den Reichsgauleitern sollte unbeschränkte fachliche und dienstrechtliche Weisungsgewalt zukommen (bei Bürckel fehlen diesbezüglich zwar konkrete Hinweise; entsprechendes kann aber wohl dem Umstand entnommen werden, daß die Gauleiter "an die Spitze des Reichsgaues" getreten wären). 629 Gegenüber den Reichssonderbehörden hätten indes nur begrenzte Kontrollmöglichkeiten der Statthalter I Gauleiter bestanden (Bürckel zufolge Einwirkungsbefugnisse entsprechend § 2 Reichsstatthaltergesetz)630 - Man plante die Installierung einer Art von Volksvertretungen (Bürckel nennt sie "Reichsgautage")631 mit beratenden Funktionen (nach Bürckel nur im Bereich der Gauselbstverwaltung). - Das Ernennungsrecht für die Gaubearnten sollte dem Führer zustehen. 632 - Schließlich war beabsichtigt, den Reichsgauen in beschränktem Maße (vom Reich abgeleitete) Rechtsetzungshoheit zu verleihen. (Bürckel schlug vor, die Reichsgauleiter zu dem Erlaß von Ausführungsbestimmungen zu Reichsgesetzen zu ermächtigen. Weiterhin sollte den Gauen "Satzungsgewalt" übertragen werden. 633) In den vorstehend aufgelisteten Regelungen erschöpfte sich das Reformkonzept des Reichskommissars für die Saarrückgliederung jedoch nicht. Andere Überle625 Vgl. Schreiben Bürckels an Frick vom 15.2.1939, betreffend Übertragung der Zuständigkeiten der österreichischen Landesregierung; Bundesarchiv, Akte R 43 H/494, Blatt 47. 626 Bürckel, Denkschrift vom 6. 9.1935, Nr. II 7; Bundesarchiv, R 43 II/494, Blatt 296. 627 Bürckel, Denkschrift vom 6.9. 1935, Nr. II 8; Bundesarchiv, R 43 II/494 Blatt 297. 628 Dazu siehe oben A II 7. ausführlicher. 629 Bürckel, Denkschrift vom 6. 9.1935, Nr. 11 5; Bundesarchiv, R43 11/494, Blatt 296. 630 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. IV 15; Bundesarchiv, R 4311/495, Blatt 298. 631 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935; Bundesarchiv, R 43 11/494, Blatt 298. 632 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. H 5, vgl. auch V 16; Bundesarchiv, R 43 11/494, Blatt 296, 298. 633 Bürckel, Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. 11 9, III 12; Bundesarchiv, R 4311/494, Blatt 297.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

gungen traten vielmehr hinzu, aus denen die Differenzen mit den Planungen der Reichsinnenverwaltung klar zutage treten. So wollte Bürckel den Reichsgauen vor allem die Bestimmung derjenigen Hoheitsaufgaben überlassen, welche in "Selbstverwaltung" ausgeführt worden wären. 634 Damit stellte er die mühsam und leidlich erkämpfte organisationsrechtliche Gleichschaltung der Länder wieder in Frage, denn wenn die Gaue sich hätten selbst aussuchen können, welche Hoheitsrechte sie in Selbstverwaltung erledigen können, wäre es unter Umständen zu signifikanten Strukturunterschieden in ihrem Verwaltungsaufbau gekommen. Aber nicht nur das: Man muß sogar sagen, daß im Falle der Verwirklichung der genannten Maßnahmen die Polykratie von Reichssonderbehörden gegen eine Polykratie von Gauverwaltungen eingetauscht worden wäre. Dementsprechend hätte eine schleichende Zerstörung des gerade erst geschaffenen Zentralstaates eingesetzt. Genutzt hätte dies insbesondere den Reichsstatthaltern selbst, denen man Bürckel getrost zurechnen darf. 635 Niemand anderes als sie, die künftigen "Gauführer," waren nämlich in den Genuß einer Dezentralisierung von Verwaltungsaufgaben gekommen, allein ihre Macht hätte zugenommen. Allerdings war Bürckel klug genug, seine eigentlichen Intentionen nicht allzu offen darzulegen. Vielmehr kleidete er seine Forderung nach größerer Selbständigkeit der Gaue in den Mantel des Führerwillens. Wenn entsprechend seiner Konzeption die landschaftliche Bestimmung der Selbstverwaltungsaufgaben an eine Genehmigung Hitlers geknüpft worden wäre, hätte kein Reichsminister mehr sagen können, daß dem Willen der Zentralgewalt zuwider gehandelt worden sei. Der Reichskommissar für die SaaITÜckgliederung vertraute augenscheinlich darauf, daß der "Führer" eher geneigt sein würde, dem Drängen der Statthalter nachzugeben als oberbehördlichen Protesten zu folgen. Vielleicht liegt hierin ein Indiz für die Ermittlung der wirklichen Kräfteverhältnisse im Reich: Reichsstatthalter und Kanzler hätten danach im Kampf gegen die übrige Bürokratie gestanden. In dieselbe Kerbe - Stärkung der dezentralistischen Elemente des Reichsaufbaues - schlug Bürckel mit seiner Anregung, den Vollzug von Gesetzen grundsätzlich auf allen Gebieten den Reichsstatthaltern und ihren Unterbehörden zu übertragen. 636 Ganz eindeutig ist diese Aussage aber nicht. Zum einen (und dies 634 Genauer gesagt sollten die Reichsgaue Bürckel zufolge durch "Hauptsatzungen" regeln können, . a) welche Staatsaufgaben der Gauselbstverwaltung unterfallen wären, b) wieviele Mitglieder die Reichsgauräte besessen hätten und. c) wie die dem Gauleiter beigegebene Regierung intern gegliedert wird; vgl. Denkschrift vom 6.9.1935, Nr. III 13; Bundesarchiv, R 43 11/496, Blatt 297. 635 Denn als Reichskommissar hatte er eine sehr weitgehende. denen der späteren Reichsstatthalter in den Ostmarkgauen vergleichbare Stellung inne.

III. Altreichsbezogene Reformvorstellungen der Verwaltungsbehörden

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entsprach wohl eher Bürckels Absicht) konnte damit gemeint sein, daß keine weiteren Sonderverwaltungen mehr installiert werden sollten. Alle Verwaltungstätigkeit in der Reichsmittelinstanz hätte dann nämlich den (neuen) Reichsstatthaltern und ihren nachgeordneten Behörden oblegen. Vertretbar gewesen wäre allerdings auch eine Interpretation dahingehend, daß der Reichskommissar eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Gaue schaffen wollte. Dies indes hätte bedeutet, daß sämtliche Staatsaufgaben der Gauselbstverwaltung unterfallen wären, es sei denn, das Reich hätte sie sich ausdrücklich selbst vorbehalten. Aufgrund dessen verwundern die heftigen Anfeindungen, denen sich Bürckel gerade mit seiner letztgenannten These seitens der obersten Reichsbehörden ausgesetzt sah,637 nicht mehr. Am Ende bleibt festzuhalten: Den Vorschlägen des Reichskommissars für die Saarrückgliederung liegt das nicht uneigennützige Bestreben zugrunde, die Länder und Reichsgaue wenigstens in Teilbereichen dem absoluten Zugriff des Reiches zu entziehen.

5. Planungen für eine Gesetzgebungsreform im Altreich

Die Zeit der Hitlerdiktatur war, wie bereits an anderer Stelle gezeigt worden ist,638 durch einen rapiden Machtverfall von Parlament und Regierung geprägt. Entsprechend nationalsozialistischen Staatsvorstellungen galt der Reichstag nur noch als Akklamationsorgan des Führerwillens; obwohl seit Mitte 1933 sämtliche Parlamentarier NSDAP-zugehörig waren, wurde das wichtigste Legislativorgan der Weimarer Republik von Hitler mehr oder minder übergangen. Das lag daran, daß sich der Reichstag mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes 639 praktisch selbst ausgeschaltet hatte: "Gesetze" konnten seit 1933 auch durch die Reichsregierung "erlassen" werden. Während der ,,Führer" in den ersten beiden Jahren seiner Herrschaft aus Gründen der formalen Legalität einige Rechtssetzungen (vor allem solche verfassungsändernden Inhalts) noch in die äußere Form von Parlamentsgesetzen gekleidet hatte, hörte diese Art der Normierung nach 1935 fast ganz auf. 640 636 Vergleiche Schreiben Bürckels an Frick vom 15.2.1939; Bundesarchiv, Akte R

43 11/494, Blatt 47 R.

637 Vor allem der Reichsminister für Volksbildung und Erziehung wetterte gegen die mit Bürckels Vorschlag (angeblich) verbundene Verletzung des Führerprinzips; siehe Bundesarchiv, Akte R 4311/494, Blatt 55 ff. (Antwortschreiben des Reichsministers für Volksbildung und Erziehung an Bürckel vom 12.4.1939). 638 Siehe oben A 11 2, 3. 639 Formaler Titel: "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24.3.1933; RGBI. 1933, Teil I, S. 141. 640 Nur noch die beiden Verlängerungsgesetze für das Ermächtigungsgesetz wurden als Parlamentsgesetze erlassen, siehe oben A 11 2.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Aber auch die Reichsregierung büßte ihre durch das Ermächtigungsgesetz zunächst gewonnene zentrale Stellung im Reichsaufbau wieder ein. Im totalen Führerstaat war für ein kollegial aufgebautes Leitungsgremium einfach kein Platz mehr. Hitler wollte nicht "primus inter pares" , sondern alleinentscheidende Herrscherpersönlichkeit sein. Deshalb degenerierte das Kabinett zum Ausführungsorgan des Führerwillens. Kabinettssitzungen fanden kaum mehr statt, und Regierungsgesetze wurden im Umlaufverfahren"641 behandelt. So sah die Verfassungswirklichkeit aus, als Ende 1936 Klarheit darüber geschaffen werden mußte, ob das am 31.3.1937 außer Kraft tretende Ermächtigungsgesetz verlängert oder durch eine Novelle ersetzt werden sollte. Von seiten der Innenverwaltung wurde eine Gesetzesneufassung favorisiert. In deren Rahmen wollte man die sich "evolutionär" herausgebildet habende Kodifikationspraxis in normative Formen gießen. 642 Folgerichtig enthielt der im Januar 1937 ausgearbeitete Entwurf eines Reichsgesetzgebungsgesetzes 643 nur wenige echte Neuregelungen. Seine Bedeutung hätte insbesondere darin gelegen, daß er das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren formal außer Kraft gesetzt hätte. Art. I I des Gesetzentwurfes legte nämlich apodiktisch fest: Reichsgesetze werden nach Beratung durch die Reichsregierung vom Führer und Reichskanzler "erlassen". 644 In der Formulierung "nach Beratung durch die Reichsregierung" kam zum Ausdruck, daß Gesetzes"beschlüsse" mit Mehrheitsvoten verpönt waren, weil sie Hitlers Selbstverständnis widersprachen. Der Reichstag sollte dem Gesetzentwurf zufolge ebenfalls nur beratende Funktion besitzen. Dabei hätte es sogar einer jeweiligen ,,Führer"entscheidung oblegen, welche Kodifikationen dem Parlament überhaupt beratungshalber zugeleitet worden wären, Art. 1 11. Das Gesetzesinitiativrecht erkannte Art. 2 des hier behandelten Entwurfes dem "Führer" sowie den einzelnen Reichsministern zu. Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Parlaments heraus (wie sie nach der Weimarer Verfassung zulässig waren) hätte es danach auch formal nicht mehr geben können. Die im parlamentarischen Regierungssystem Staatspräsidenten zustehenden Befugnisse der Ausfertigung und Verkündung von Gesetzen sollte gemäß Art. 3 schließlich der "Führer" ausüben. Eine Änderung gegenüber dem damaligen 641 Dazu siehe oben A II 3. 642 Das ergibt sich ganz eindeutig aus den nachfolgenden Planungen; siehe insoweit Bundesarchiv, Akte R 43 II/493 a, Blatt 1 ff. 643 Entwurf eines "Gesetzes über die Reichsgesetzgebung" vom 26.1.1937; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/493 a, Blatt 42. 644 Bundesarchiv, Akte R 43 II/493 a, Blatt 42.

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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Rechtszustand hätte dies freilich nicht bedeutet, weil die Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten nach Hindenburgs Tod in der Person Hitlers zusammengefaßt worden waren. 645 Insgesamt hielten sich also die vorgesehenen Änderungen, verglichen mit der Verfassungspraxis, in engen Grenzen. Allerdings hätte die Realisierung des Reichsgesetzgebungsgesetzes den Übergang Deutschlands vom demokratischen Rechts- zum diktatorischen Führerstaat vor aller Welt offenbar werden lassen. Hiervor schreckte Hitler anscheinend zurück, denn in der Kabinettssitzung vom 26.1.1937 äußerte er Zweifel daran, ob es "im gegebenen Augenblick richtig sei, ein derartiges Gesetz zu verabschieden". Aus psychologischen Gründen, besonders mit Rücksicht auf das Ausland, neigte er nunmehr dazu, einer "Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes vom März 1934" (gemeint: vom März 1933) den Vorzug zu geben. 646 So ist es denn auch nicht zum Erlaß des Gesetzes über die Reichsgesetzgebung gekommen, das allerdings wegen der mit ihm verbundenen Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsvorschriften den parlamentarischen und nicht den Weg der Regierungsgesetzgebung hätte gehen sollen. 647

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen für Österreich, das Sudetenland und die eingegliederten polnischen Gebiete Den Territorial- und Verwaltungsreformplanungen für die seit 1938 dem Reich einverleibten nichtdeutschen Gebiete kommt eine besondere Bedeutung vor allem deswegen zu, weil ihre praktische Umsetzung annähernd gelang. 648 Ostmark- 649 bzw. Sudetengaugesetz hatten einen grundlegenden Umbau der Behörden und Gebietsstrukturen zum Inhalt und reichten deshalb erheblich über Reichsneuaufbau- und Reichsstatthaltergesetz, die im Altreich fortgalten, hinaus. Zwar zeigten sich in der Verfassungsentwicklung nach Erlaß der "Gaugesetze" deutliche zentralistische Tendenzen, etwa indem die Staatsaufsicht reichsbehördlicherseits extensiv ausgedehnt oder der Aufbau gaueigner Beamtenschaften verhindert wurde. 650 Doch sind dezentralistische Ansätze durchaus vorhanden gewesen,wie ein Blick auf die den Gauen zugewiesenen "Selbstverwaltungs"aufgaben beweist. Der Schwerpunkt staatlicher Verwaltungstätigkeit lag denn auch in der Ostmark 645 Vgl. das Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. 8. 1934; RGBI. 1934, Teil I, S. 747. 646 Vgl. "Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Reichsinnenministeriums vom 26. Januar 1937, nachmittags 4.15 Uhr"; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/493 a, Blatt 44. 647 Vgl. den Vorspruch des Gesetzentwurfes " ... hat der Reichstag beschlossen". 648 Zu den im Einzelfall gemachten Abstrichen vergleiche insbesondere B IV 1.1 am Ende. 649 Noch einmal: RGBI. 1939, Teil I, S. 777 ff. 650 Dazu siehe oben A 11 8 a).

18 Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

und im Sudetenland auf Gauebene, während im Altreich ein Übergewicht oberbehördlicher Entscheidungskompetenzen bestand. Wollte man die Dezentralisierungswirkung von Reichsneuaufbau- bzw. (2.) Reichsstatthaltergesetz einerseits und Ostmark- sowie Sudentengaugesetz andererseits miteinander vergleichen, müßte man aufgrund dessen zu dem Ergebnis gelangen, daß sie bei letzteren Kodifikationen um ein vielfaches größer gewesen ist. Reichsneuaufbau- und (2.) Reichsstatthaltergesetz markierten also den Höhepunkt an Verwaltungszentrierung, spätere Normierungen ließen den Gaubehörden wieder mehr Raum für (beschränkt) eigenverantwortliche Hoheitstätigkeit. Jetzt, 1938, war ja auch nicht mehr eine "Gleichschaltung" der Länder erforderlich, das Reich hatte vielmehr schon lange den Charakter eines Einheitsstaates angenommen. Die Reichsinnenverwaltung konnte deswegen daran gehen, ihre intern entwickelten Strukturreformpläne 651 zu realisieren. 652 Dies gelang ihr in der Ostmark und im Sudetenland eher als auf der Ebene des Altreiches, 653 und zwar aus dem Grunde, weil ein organisatorischer Neuaufbau jener Gebiete sowieso stattfinden mußte,654 so daß niemand ernsthafte Gründe für eine Verschiebung der Reform vorzubringen vermochte. Daher verwundert es nicht, daß sich viele Reformgedanken Fricks und seiner nachgeordneten Beamten im Ostmark- und im Sudetengaugesetz wiederfinden lassen. Eine grundsätzliche Änderung derselben war, wie dem Gesetzeswerk unschwer zu entnehmen ist, augenscheinlich nicht erfolgt. Gewisse Anpassungen an NSDAP-Forderungen wurden jedoch erkennbar. Insofern trägt der Rechtszustand der Ostmark Züge eines schwer erkämpften Kompromisses.

1. Die Friktionen beim Einbau Österreichs in das Deutsche Reich

Exemplarisch dargestellt werden soll der Gang der Entwicklung anhand des Beispiels Österreich: Zum einen wegen der relativ günstigen Quellenlage insoweit, zum anderen, weil die Ostmarkgesetzgebung eine Art Vorreiterrolle einnahm. Entscheidende Kämpfe um die künftigen Gaustrukturen wurden im Vorfeld dieses Gesetzes ausgetragen. Weiterhin hat eine Beschränkung auf behördliche Planungen zu erfolgen, denn speziell auf Ostmark und Sudetengau zugeschnittene Reformvorstellungen sind 651 Dazu oben B III 4. 652 Demgegenüber sollten 2. Reichsstatthaltergesetz und Reichsneuaufbaugesetz erkennbar nur für eine Übergangszeit in Kraft bleiben; vgl. insoweit die weiterreichenden Planungen der Administration Fricks, vor allem den Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf vom 20.7.1934; oben B III 4 b) dd) und anderswo. 653 Zum Schicksal der altreichsbezogenen Verwaltungsreforrnpläne des Reichsinnenministeriums siehe vor allem B III 4 b) ee) (6), 4 b) gg) (3) und 4 b) ii) (3). 654 Ausführlicher oben A 11 8 a).

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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der veröffentlichten Literatur der damaligen Zeit nicht zu entnehmen; auch parteioffiziöse Überlegungen fehlen. Der besseren Übersicht über den Fortgang der Reform halber sollen schließlich reichsinnenministerielle und landesbehördliche Konzeptionen im Zusammenhang, also nicht innerhalb verschiedener Gliederungspunkte, behandelt werden.

a) Territorialreformplanungen bezogen auf Österreich Während sich die Reichsinnenverwaltung in der Frage der territorialen Neugliederung Österreichs kurz nach dem "Anschluß" noch merkwürdig zurückhielt, 655 kann dies von Bürckel nicht behauptet werden. Schon Mitte März 1938 hatte der damalige "kommissarische Leiter der NSDAP in Österreich"656 offenbar der Abteilung VIII B seiner Wiener Dienststelle 657 den Auftrag erteilt, grundsätzliche Erwägungen über die künftige Gebiets- und Organisationsstruktur des Landes anzustellen,658 welche jetzt, am 26.3. des Jahres, erste Ergebnisse zeitigten. Christian Opdenhoff, stellvertretender Leiter der Abteilung VIII B und eigentlicher Motor der Reform, legte nämlich eine Denkschrift zur künftigen Gaugliederung vor. 659 Darin befaßte er sich zwar vor allem mit den künftigen NSDAPGauen. Doch machte er andererseits keinen Hehl daraus, daß sich die Reichsgauan die Partei gau gliederung anlehnen müßte. Opdenhoff vertrat also uneingeschränkt NSDAP-Interessen: 660 Kein Wunder, denn Bürckel, selbst ein Förderer parteilicher Belange, hatte ihn aus dem Stab Heß nach Wien geholt! In der Denkschrift wurden mehrere Szenarien möglicher Gebietseinteilungen Österreichs durchgespielt: Opdenhoff steht dabei auf dem Standpunkt, daß die Zahl der Gaue auch dann zu verringern sei, falls eine kleinteilige Verwaltungsstruktur verwirklicht werden sollte. Statt der bisherigen, ihrem Umfange nach den alten Bundesländern entsprechenden neun, dürfte es in Zukunft höchstens noch sieben von ihnen geben, meint er. Um dies zu erreichen, müsse Vorarlberg dem Gau Tirol angeschlossen und das Burgenland unter Berücksichtigung stammesmäßig-geographischer Belange zwischen Niederösterreich und Kärnten auf655 Vermutlich bestanden vor 1938 noch keine ministeriellen Planungen über die künftige Gaustruktur der einzugliedernden "Ostmark". 656 Dazu siehe oben A 11 8 a), am Anfang. 657 Dabei handelt es sich um die mit Personalfragen der Partei befaßte Abteilung; Botz, Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich, S. 73. 658 Entsprechende Anordnung Bürckels vom 20.3. 1938 in: Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien, Materienregistratur, Ordner 15. 659 Denkschrift Christian Opdenhoffs für Bürckel, betreffend die territoriale Neugliederung Österreichs, in: Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt I ff. 660 Wie oben BIlgezeigt worden ist, befürwortete gerade die NSDAP-Spitze eine Ausrichtung der künftigen Reichsgaue an den bestehenden Parteigauen! 18*

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

geteilt werden. Für den Fall, daß weniger, aber größere Gaue geschaffen werden sollten, schlägt Opdenhoff hingegen eine Viergliederung Österreichs vor. 661 Die Namen der neuen Gaue werden mit "Wien" (Stadt Wien), "Donaugau" (Oberund Niederösterreich, nördliches Burgenland), "Südgau" (Kärnten mit Osttirol, Steiermark und Südliches Burgenland) sowie "Tirol" (übriges Tirol, Vorarlberg und Salzburg) angegeben. Persönlich tritt Opdenhoff in der genannten Denkschrift für die Viergliederung ein. Anderenfalls, so argumentiert er, würde eine Vielzahl aufgeblähter und ineffektiver Verwaltungsapparate entstehen; abgesehen davon seien Zwerggaue finanziell nicht überlebensfähig. 662 Bürckel unterstützte diese Gedankengänge nachhaltig. 663 Auch ihm war daran gelegen, "das Bild, das sich die augenblickliche Generation von Österreich macht", zu zerstören. 664 Aufgrund dessen ist es nicht erstaunlich, wenn Opdenhoff sogar die Ansicht vertrat, die "sich von Westen nach Osten erstreckende Wurst Vorarlberg, Tirol, Salzburg" werde eines Tages nach Norden hin aufgeteilt werden müssen. 665 Folgerichtig regte Bürckels rechte Hand an, bereits jetzt eine Angliederung des von Alemannen bewohnten (!) Vorarlberg an Württemberg in Erwägung zu ziehen. 666 Mit keiner Silbe erwähnt hatte Opdenhoff Überlegungen, Österreich als ganzes bestehen zu lassen (demnach einen Einze1gau "Österreich" zu realisieren), darunter aber nach preußischem Vorbild mehrere Regierungsbezirke zu bilden. 667 Das mag zum einen daran liegen, daß sich der stellvertretende Abteilungsleiter zunächst hauptsächlich mit den Parteistrukturen befaßte. Zum anderen dürften allerdings konkrete Vorgaben Bürckels bestanden haben, die in die Richtung einer Gaupolykratie gingen. 668

661 Insofern stimmt Opdenhoffs Denkschrift zum Teil wörtlich mit Reichsreformüberlegungen Adolf Wagners aus dem Jahre 1934 überein (Näheres bei Bracher / Sauer / Schulz, 610 f. und Bundesarchiv, Akte NS 6/773. 662 Hierin zeigt sich, daß Opdenhoff auch die künftige staatliche Verwaltungsstruktur in seine Überlegungen einbezog. 663 Entsprechende Hinweise in Opdenhoffs Schreiben an Hauptamtsleiter Helmuth Friedrichs (Stab Heß) vom 26.3.1938 (= Anschreiben zu der Denkschrift vom gleichen Tage), in: Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt 1. 664 Opdenhoff, Denkschrift vom 26.3. 1938, Bundesarchiv, Sammlung Schumacher / 304, S. 7. 665 Opdenhoff, Denkschrift vom 26.3. 1938, Bundesarchiv, Sammlung Schumacher / 304, S. 7. 666 Opdenhoff, Denkschrift vom 26.3. 1938, Bundesarchiv, Sammlung Schumacher / 304, S. 8. 667 Eine Äußerung Opdenhoffs hierzu findet sich lediglich in der Aktennotiz für Bürckel vom 2.4.1938 (Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt 10). Die diesbezüglich angestellten Erwägungen werden allerdings in einem einzigen Nebensatz abgetan.

IV. Territorial- und Verwaltungsrefonnplanungen

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Auf die genaue Anzahl zukünftiger Gaue war man in Wien indes noch nicht festgelegt. Opdenhoff arbeitete nämlich Anfang April 1938 neue Gliederungsvorschläge aus, die die Schaffung von fünf (hier sollten gegenüber dem Vierervorschlag Ober- und Niederösterreich wieder getrennt bleiben) bzw. sechs (zusätzlich Trennung Kärntens von der Steiermark) Einzelgebilden zum Gegenstand hatten. Als Idealzustand wurden nach wie vor vier bis fünf Gaue angesehen. Bei einer kleinteiligeren Gaugliederung sei hingegen, so hieß es, die Koppelung der Reichsan die Parteigaue nicht mehr zu bewerkstelligen, da die hieraus entstehenden Einheiten verwaltungstechnisch unrationell wären. 669 Diese Gedankengänge trafen sich mit denjenigen des Reichsinnenministeriums. Auch in Fricks Behörde hatte sich zwischenzeitlich der Standpunkt herausgebildet, Effektivitätsgründe rechtfertigten höchstens fünf Reichsgaue auf österreichischem Gebiet. 670 Gleichwohl fiel Ende April 1938 eine Vorentscheidung zugunsten des Siebenervorschlages. Hitler, insofern scheinbar ganz Föderalist, kündigte die Liquidation des österreichischen Gesamtstaates an und legte die Struktur der künftigen Parteigaue fest: Bis auf Vorarlberg (Angliederung an Tirol) und Burgenland (Angliederung zum Teil an Niederösterreich, zum Teil an Kärnten) sollten alle bisherigen NSDAP-Bezirke bestehen bleiben. 671 Damit hatten sich viele der wütenden Proteste ostmärkischer Parteiführer gegen die Reformüberlegungen Opdenhoffs (so lehnte etwa die salzburgische Gauleitung ein Zusammengehen mit Tirol 672 und die oberösterreichische Gauführung einen Zusammenschluß mit Niederösterreich 673 ab) 674 vorerst erledigt.

668 Bürckel war ganz eindeutig für die Zerschlagung des bisherigen Österreich: Nur so ist z. B. zu erklären, daß er mit HitIer anläßlich dessen Besuchs in Graz am 8.4.1938, über die "Vierer-Lösung" sprach (Dazu siehe Fußnote 680). 669 Dazu siehe Aktenvennerk Opdenhoff vom 26.3. 1938 und vom 2.4. 1938, Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt 9 ff. 670 In diese Richtung gehende Hinweise können zwei Schreiben Opdenhoffs an Hauptamtsleiter Friedrichs vom 26.3.1938 (Anschreiben zur Denkschrift vom gleichen Tage) und vom 2.4.1938 entnommen werden (vgl. Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/ 304, Blatt 1, 10 ff.). 671 Der Hitlerentscheidung vorangegangen war eine Besprechung mit Bürckel am 24. oder 25.4.1938, in welcher dieser die von Opdenhoff erarbeiteten Neugliederungsvorschläge vorgetragen hatte. Näheres bei Sündennann, Die Grenzen fallen, 3. Auflage 1939, S. 143. 672 Instruktiv insoweit die Briefwechsel zwischen den Gauleitern Scharizer (Salzburg) und Hofer (Tirol) im März / April 1938, in: Berlin Document Center, Materialien Franz Hofer. 673 Vgl. dazu Franz Langoth,Kampf um Österreich, Wels 1951, S. 243. 674 Empört waren auch die Burgenländer über die vorgesehene Aufteilung ihres Landes. Sie konnten diese Maßnahme allerdings trotz allem nicht verhindern (vgl. August Ernst, Zur Auflösung des Burgenlandes im Jahre 1938; in: Festschrift für Heinrich Kunnert, Burgenländische Forschungen, 2. Sonderheft, Eisenstadt, 1969, S. 42 f.).

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Hitlers fast vollständiges Festhalten an der überkommenen Gebietseinteilung dürfte mehrere Ursachen haben. Eine Ursache kann in Rücksichtnahmen auf bisherige Gauamtsinhaber erblickt werden. Der "Führer" vermied, wie wir schon an anderer Stelle gesehen haben,675 jegliche Brüskierung seiner altgedienten Partei veteranen. Lieber beließ er es bei Doppelzuständigkeiten, als einen ihm treu ergebenen Mann abzusetzen. Desweiteren besaß Hitler ganz offensichtlich eine Abneigung gegen ihm unnötig erscheinende Strukturreformmaßnahmen. Wo immer es ging, hielt er an überkommenen Organisationsschemata fest. Demnach wird er die Aufhebung der NSDAP-Gaue Burgenland und Vorarlberg nur deswegen gestattet haben, weil hierzu parallel errichtete Reichsgaue gleichen Gebietsumgangs praktisch nicht lebensfähig gewesen wären. Schließlich war Hitler, was Österreich anbelangte, ein Traditionalist, 676 geprägt vom "föderalistisch-separatistischen Wien-Haß der Provinz". 677 Später, als die Neugliederung der Ostmark längst vollzogen war, äußerte er sich noch befriedigt darüber, daß der (österreichische) Zentralstaat auf Kosten von Wien zerschlagen und die "Kronländer wiederhergestellt" worden seien: 678 Insofern verband sich seine Abneigung gegen die Wiener Zentrale mit dem "Länderpatriotismus" der Gauleitungen 679 und führte zu einem raschen Scheitern umfassender österreichbezogener Territorialreformplanungen. Dies war bereits Anfang April 1938 absehbar, denn als Bürckel dem ,,Führer" anläßlich eines Graz-Besuches die von ihm favorisierte Vier-Gaue-Lösung vorstellte, erhielt er zur Antwort: "Bürckel, wenn ich das mache, dann würde ich die Anschlußfreudigkeit (der österreichischen Bevölkerung, der Verf.) in eine Reichsmüdigkeit verwandeln."680 Im nachhinein begründet werden konnte Hitlers Entschluß, "vorerst"681 Sieben(Partei-)Gaue zu schaffen, natürlich leicht. Bürckels Pressesprecher verwendete 675 Oben B II 4 b) ee) (6). 676 Hitler gab nämlich seinen Wunsch, die meisten der Bundesländer und ihrer Hauptstädte "wegen der besonders starken alten Tradition" zu erhalten, Ende April 1938 klar und deutlich zu erkennen (so Opdenhoff in seiner Befragung durch Botz am 15.4.1971, Tonbandprotokoll im Institut für neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Joh.-KepplerHochschule Linz). 677 Henry Picker, "Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941/42, S. 299, 360 f.; vgl. auch Friedrich Heer, Der Glaube des Adolf Hitler, München 1968, S. 53 ff., 354. 678 Zitiert nach Picker, S. 146. 679 Mit Recht Botz, Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich, S. 77. 680 Zitiert in einem Schreiben des österreichischen Reichsstatthalters Seyß-Inquart an Bürckel vom 29.6.1939, in: Bundesarchiv, Akte NL SI/3; auch in Wolfgang Rosar, Arthur Seyß-Inquart in der österreichischen Anschlußbewegung, Dissertation Wien 1969 (philosophische Fakultät). 681 So Hitlers ausdrückliche Diktion; vgl. Sundermann, Die Grenzen fallen, S. 143; vgl. auch Bundesarchiv, Akte Sammlung Schumacher/304, dort die Schreiben bzw. Niederschriften vom 29.4. und 10.5.1938, sowie R 43 II/1359.

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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alte Phrasen wie die, es handele sich um Gebietsgliederungen, "die durch die Landschaft, die Geschichte und die Menschen zu festen Begriffen geworden sind ... "682 Anderswo sprach man davon, die gefundene Lösung stütze sich auf eine direkte "Bindung von Raum und Volkstum". 683 Festgehalten werden muß indes, daß die Siebenteilung Österreichs anfangs jedenfalls nur für eine maximal zweijährige Übergangszeit geplant war. 684 Schon gar nicht schienen Präjudizien im Hinblick auf die zukünftige Reichsgaugliederung getroffen worden zu sein. Hitler nährte die aufkommenden Spekulationen noch, indem er einmal äußerte, Salzburg, Krems und Klagenfurt würden als Sitze der Parteigauleitungen später verschwinden. 685 Dementsprechend stellten auch Bürckel und Opdenhoff weitere Überlegungen zur Gebietsstruktur an. Dabei hielten sie unbeirrt von Protesten verschiedener Gauführungen 686 an ihrer Viererlösung fest. Aber nicht nur das: Sie übertrugen ihre Erwägungen sogar auf die Ebene des Reichsverwaltungsaufbaues. Demzufolge sollte Österreich im Zuge der Territorialreforrn in folgende vier Reichsgaue aufgeteilt werden: Wien, Donau (bestehend aus Ober- und Niederösterreich), 687 Südmark 688 (zusammengesetzt aus Kärnten und der Steierrnark)689 und Alpenland 690 (die ehemaligen Bundesländer Tirol und Salzburg). 691 Für Vorarlberg war entsprechend früheren Gedankengängen Opdenhoffs 692 die Angliederung an Schwaben 693 bzw. Württemberg vorgesehen. Von der Forderung nach einer Vereinigung Tirols mit Bayern 694 ging man hingegen aus unbekannten Gründen ab. 682 Siehe insoweit Sundermann, Die Grenzen fallen, 3. Auflage, S. 143 f. M. Kühl, Die landschaftlichen Grundlagen der Reichsgaue, in: Deutsche Verwaltung 1939, S. 495 ff.; E. R. Huber, Der Reichsgau, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1939, S. 364. 684 Äußerungen Hitlers zufolge sollte erst nach ein bis zwei Jahren die endgültige Verwaltungsorganisation Österreichs durch die Errichtung von "Reichsgauen" erfolgen; Nachweise bei Botz, S. 79. 685 Entsprechende Aktennotiz Opdenhoffs vom 9.5.1938; vgl. Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt 22 ff. 686 Dazu siehe schon soeben in diesem Abschnitt. 687 Erstmalig gebraucht wird die Bezeichnung "Donaugau" in Opdenhoffs Denkschrift vom 26.3.1938; Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304; Blatt 7. 688 Andere Bezeichnung: "Südgau". 689 Vgl. diesbezüglich Aktenvermerk Opdenhoffs vom 2.4.1938; Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt 10. 690 Zum Teil auch als "Westgau" bezeichnet. 691 Aktenvermerk Opdenhoffs vom 2.4. 1938; Bundesarchiv, Sammlung Schumacher / 304, Blatt 10. 692 In seiner Denkschrift vom 26.3. 1938, Bundesarchiv, Sammlung Schumacher /304, Blatt 1 ff. - hier Blatt 8. 693 Offenbar wollten Bürckel und Opdenhoff das Land Württemberg in einen Reichsgau Schwaben umwandeln, dessen Grenzen mit denen des gleichnamigen Parteigaues vermutlich im wesentlichen übereingestimmt hätten. 694 Vgl. Opdenhoffs Denkschrift vom 26.3. 1938 in: Bundesarchiv, Sammlung Schumacher/304, Blatt 1 ff., hier Blatt 6 ff. 683

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Insoweit können erstaunliche Parallelen zu den ungefähr gleichzeitig entwikkelten ostmark bezogenen Gebietsreformplanungen des Reichsinnenministeriums konstatiert werden. Auch Fricks Beamte gingen seit langem schon davon aus, daß die Zahl der künftigen österreichischen Reichsgaue auf vier bis fünf begrenzt werden müsse, anderenfalls entstünden ineffektive Kleinstverwaltungen. 695 Jetzt, Ende April 1938,waren die bis dahin nur sehr vagen ministeriellen Überlegungen allerdings konkreter geworden. Innenstaatssekretär Stuckart richtete nämlich mit Datum vom 26.4. des Jahres ein Schreiben an die Reichskanzlei, in dem er ein vorläufiges Gliederungskonzept für die Ostmark entwarf und um Feststellung des diesbezüglichen Führerwillens nachsuchte. 696 Offenbar war der Innenverwaltung die Führerentscheidung vom 25. April damals noch nicht bekannt, denn Stuckart ging mit keinem Wort auf sie ein. Die Informationsstränge in der Österreichfrage liefen also anscheinend mehr oder minder an der hierfür eigentlich kompetenten Stelle vorbei; nicht umsonst hatte Bürckel zwischenzeitlich das Amt eines den Reichsministern gleichrangigen Reichskommissars für die Wiedereingliederung erhalten. 697 Das vorgenannte Schreiben macht einige interessante Abweichungen von früheren, altreichsbezogenen Gaureformplanungen deutlich. Eine kann darin erblickt werden, daß sich die endgültige Reichsgaueinteilung nunmehr stärker an die bereits vorhandenen Parteistrukturen anlehnen sollte. Dies ist aus Stuckarts Argumentationsweise zu schließen, die bei der innerparteilichen Gliederung ansetzt. 698 Ein gewisses Abrücken von früheren Vorstellungen des Innenministeriums ist schließlich in bezug auf die Ämterverbindung von Partei- und Reichsgauleitung zu bemerken. 699 In der Ostmark sollten nämlich, wie Stuckarts Schrift zu entnehmen ist, die Parteigauführer zwingend zugleich Reichsstatthalter sein. 700 695 Schreiben Staatssekretär Stuckarts (Reichs innenministerium) an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 26.4. 1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/1358, Blatt 55. 696 Schreiben Stuckarts an Lammers vom 26.4. 1938; Bundesarchiv, Akte R 43 II/ 1358, BI. 55. 697 Dazu siehe bereits oben A I 8 a). 698 Stuckart wörtlich: "Ich bin daher der Auffassung, daß man, wenn es auch zur Zeit noch nicht möglich ist, die einzelnen Bundesländer miteinander zu vereinigen, doch anstreben muß, daß die Parteigaue nach Möglichkeit zwei oder mehrere Bundesländer umfassen, und daß die staatliche Verwaltung der zu einem Parteigau gehörigen Bundesländer, die als solche zunächst noch bestehen blieben, dann in Personalunion durch den Gauleiter als Landeshauptmann beider Länder geleitet wird. Diese Personalunion bereitet dann langsam das Zusammenwachsen der zu einem Parteigau vereinigten Länder vor. (hierzu sogleich ausführlicher); (Bundesarchiv, Akte R 43 II/1358, BI. 55). 699 Allerdings ist diese Abweichung nicht so gewichtig, daß man von einer grundlegenden Änderung der innenministeriellen Reichsreformprinzipien sprechen müßte. Im Grundsatz blieben die Reformideen unverändert. 700 Schreiben Stuckarts vom 26.4.1938 an Lammers; Bundesarchiv, Akte R 43 II/ 1358, BI. 55 R.

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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Darüber hinaus beabsichtigte der Innenstaatssekretär sogar, für die Zeit bis zur Verwirklichung der Reichsgauverfassung einzelne Gauleiter mit mehreren Statthalterbezirken zu betrauen. 701 Daher ging er davon aus, daß die Parteigaue zumindest vorübergehend größer gestaltet würden als die Reichsgaue. Von einer rechtlich unsicheren Position der "Gauführer" wäre hiernach keine Rede mehr gewesen ... 702 Die endgültige Reichsgaueinteilung der Ostmark sollte Stuckart zufolge so ausgehen: 703 1. Wien (aufgebaut nach dem Muster Groß-Hamburgs)104 2. Niederösterreich (einschließlich der drei nördlichen Bezirkshauptmannschaften des Burgenlandes; Aufteilung des Burgenlandes war demnach zwischen Bürckel und der Innenverwaltung unumstritten!) 3. Kärnten (mit Osttirol und Steiermark einschließlich Lungau, dazu die drei südlichen Bezirkshauptmannschaften des Burgenlandes ) 705 4. Oberösterreich und Salzburg (ohne den Lungau)

5. Tirol (ohne Osttirol, aber mit Vorarlberg). Folglich kann, wenn auch im Detail Unterschiede zu der von Bürckel und Opdenhoff Anfang April 1938 ausgearbeiteten Fünf-Gaue-Lösung 706 bestanden,707 jedenfalls prinzipiell Übereinstimmung zwischen Reichsinnen- und Reichskommissariatsverwaltung hinsichtlich der ostmärkischen Gaueinteilung festgestellt werden. Man war sich anscheinend einig, auf die historisch gewachsenen Gliederungen keine Rücksicht zu nehmen und möglichst wenige Großgaue zu schaffen. Übereinstimmung herrschte überdies in der Frage einer späteren Vereinigung Tirols und (Ober-)Bayerns: Auch Stuckart stand jener Maßnahme positiv gegen701 Schreiben Stuckarts vom 26.4.1938 an Lammers; Bundesarchiv, Akte R 43 11/

1358, BI. 56.

702 Demgegenüber hatten die altreichsbezogenen Reformgesetzentwürfe auch eine Besetzung der Reichsgauleiterposten mit außerhalb der örtlichen Parteiführung stehenden Verwaltungsfachleuten zugelassen (so B III 4 b) ee) (3) am Ende und öfter). 703 Schreiben Stuckarts vom 26.4.1938 an Lammers; Bundesarchiv, Akte R 43 11/ 1358, BI. 56. 704 Zum Verfassungszustand in Hamburg nach dem Groß-Hamburg-Gesetz oben A 17 am Ende. 705 Begründung für die geplante Auflösung des Burgenlandes: l. schlechte Verkehrserschließung desselben, 2. Wegfall der grenz-, volks- und außenpolitischen Gesichtspunkte, die zu seiner Bildung geführt hatten (Schreiben Stuckarts an Lammers vom 26.4. 1938, Bundesarchiv, Akte R 43 11/1358, BI. 56). 706 Oben in diesem Abschnitt. 707 Z. B. indem Salzburg Bürckel zufolge zu Tirol und nicht zu Oberösterreich treten sollte.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

über. 708 Demgegenüber gingen Fricks Beamte noch nicht so weit, Ober- und Niederösterreich zusammenschließen zu wollen. Trotz erheblicher Bemühungen des Innenministeriums ging es in der Folgezeit mit der Ostmarkreform nicht recht voran. Wie eigenhändige Vermerke Lammers' auf dem zitierten Schreiben vermuten lassen, hat der Chef der Reichskanzlei die Angelegenheit nicht reif für einen Vortrag bei Hitler gehalten. Daher sandte Frick am 30.4.1938 nochmals einen persönlich unterzeichneten Schnellbrief an Lammers, in welchem er die früheren Argumente Stuckarts näher erläuterte. 709 Insbesondere malte er die Folgen einer zu starken Untergliederung des österreichischen Gebietes an die Wand: Sie könne dazu zwingen, wesentliche Zuständigkeiten in Rechtsetzung und Verwaltung auf das Reich zu verlagern. Solches sei jedoch wegen der angestrebten Dezentralisierung der Organisations strukturen 710 zu vermeiden. Darüber hinaus gab Frick zu bedenken, daß im Falle weiteren Verschiebens der grundsätzlichen Reformentscheidungen zu befürchten sei, "daß, wie im Altreich leider geschehen, jede [obere Reichs-] Verwaltung die räumliche Gliederung ihren besonderen Bedürfnissen anpaßt, so daß ... ein engmaschiges Netz von Verwaltungsbezirken verschiedener Größenordnung über Österreich gelegt wird".711 Das Gespenst der Gaubehördenpolykratie ging also wieder um ... Etwa zur gleichen Zeit erlangte die Reichsinnenbehörde Kenntnis von den am 25. des Monats stattgefundenen Besprechungen Hitlers mit Bürckel. Eine Fühlungaufnahme mit dem ostmärkischen Reichskommissar schien deshalb angeraten. Sie sollte vor allem dem Zweck dienen, die beiderseitigen Planungen aufeinander abzustimmen. (Jetzt war Frick also soweit, zu glauben, daß er Reichsreformgesetze nur noch im Einvernehmen mit der Partei durchsetzen konnte!) Mehrtägige Beratungen Fricks in Wien 712 zeitigten das Ergebnis, daß die Innenverwaltung ihren ursprünglichen Gliederungsvorschlag zugunsten einer Vier-Gaue-Lösung abänderte: Entsprechend Bürckels Überlegungen sollten nun Ober- und Niederösterreich zusammengelegt und Salzburg sollte an Tirol angeschlossen werden. 713 708 Schreiben Stuckarts an Lammers vom 26.4.1938; Bundesarchiv, Akte R 43 11/ l358, BI. 56 R. 709 Schreiben Reichsinnenministers Frick an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 30.4.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/1358, BI. 58 ff. 710 Ganz eindeutig dauerten mithin die Dezentralisierungsbemühungen der Innenverwaltung fort. 711 Schreiben Fricks an Lammers vom 30.4.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/ l358, BI. 58 ff., 60. 712 VgI. die handschriftlichen Vermerke Lammers' auf dem Schreiben Stuckarts vom 26.4.1938; ( Bundesarchiv, Akte R 43 II/l358, BI. 55, 57 R). 713 Siehe Schreiben Fricks an Lammers vom 12.5.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5385, BI. 81 ff.

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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Wenngleich Bürckel demnach siegreich aus den Beratungen hervorging, bedeutete dies für den Reichsinnenminister keine schwere Niederlage. Immerhin hatte man sich nämlich auf einen gemeinsamen Nenner verständigen können, und der lautete: Möglichst weniger, aber große Reichsgaue. Die Unterstützung des Reichskommissars für die Wiedereingliederung im Rücken, konnte Frick daran gehen, die Entscheidung des Führers einzuholen. Hitler indes war in der Zwischenzeit keineswegs untätig geblieben. Am 23. Mai 1938 ließ der Reichskanzler nämlich völlig überraschend eine Reihe von Neugliederungsmaßnahmen verkünden, die ausdrücklich auch für den staatlichen Bereich Geltung besitzen sollten. In diesem Zusammenhang zu nennen sind insbesondere die territoriale Erweiterung Wiens zu Lasten des "Gaues Niederdonau" , wie das frühere Land Niederösterreich jetzt hieß, und die Einverleibung Osttirols durch Kärnten. 714 Daneben, und dies war fast noch wichtiger, stellte der "Führer" Leitlinien zur Gebietsreform in Österreich auf. Sie lauteten: "Der Gerichtsbezirk Aussee (bisher Steiermark) wird dem Gau Oberdonau (bisherige Bezeichnung Oberösterreich) angegliedert; das gesamte (1) Burgenland wird dem Gau Steiermark zugeteilt, dem ebenfalls der südöstliche Teil von Niederösterreich bis fast an die Grenzen des erweiterten Wien (Bezirkshauptmannschaften Wiener Neustadt und Neunkirchen zur Gänze und Bruck an der Leitha teilweise) einverleibt werden sol1."715 Über das künftige Schicksal Vorarlbergs wollte Hitler hingegen keine endgültige Entscheidung treffen. Er verfügte daher: "Die Landeshauptmannschaft Vorarlberg bleibt bestehen, parteimäßig ist sie vorerst dem Gau Tirol angegliedert."716 Damit wurden die bisherigen Planungen der Innenverwaltung teilweise obsolet. Das galt vor allem hinsichtlich der Gliederung Ostösterreichs: Der "Führer" hatte weder eine Zweiteilung des Burgenlandes, noch überhaupt eine Vergrößerung des Gaues "Niederdonau" akzeptiert. Stattdessen sollte überraschenderweise gerade die Steiermark sehr weit nach Nordosten hin ausgedehnt werden. Zum Glück für Frick und seine Beamten 717 war seitens Hitlers jedoch noch keine Festlegung auf die Gesamtzahl künftiger Reichsgaue erfolgt, so daß wenigstens an der "Viererlösung" weitergearbeitet werden konnte. 714 Vgl. entsprechende Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros Nr.860 vom 24.5.1938; im übrigen Vermerk aus der Verfassungs abteilung des Reichsinnenministeriums vom gleichen Tage; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5385, BI. 149 ff, 151. 715 Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros Nr. 860 vom 24.5.1938. 716 Deutsches Nachrichtenbüro, Meldung Nr. 860; auch: Völkischer Beobachter, Berliner Ausgabe vom 25.5.1938. 717 Im Nachhinein sollte man vielleicht eher sagen: Die Unklarheit bzw. Unvollständigkeit der Äußerungen Hitlers führte nur zu frucht- und nutzloser Mehrarbeit! (Dazu siehe noch im selben Gliederungsabschnitt weiter unten.)

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Allerdings stellte sich bald heraus, daß eine gleichzeitige Verwirklichung der partei- und der staatsbezogenen Gebietsreform nicht mehr machbar war. Nicht nur, daß viele nationalsozialistische Würdenträger in den ostmärkischen Bundesländern nach wie vor gegen den Wegfall ihrer Territorialbezirke heftig opponierten. 718 Insbesondere aber hatten interne Berechnungen der Reichsinnenverwaltung ergeben, daß die Organisationsstrukturänderungen, welche aus Zweckmäßigkeitsgründen im Verbund mit der Neugliederung durchzuführen waren, eine längere Vorbereitungszeit erforderten als ursprünglich angenommen. 719 Das lag daran, weil man nun die bisherigen Landeshauptmannschaften 720 sofort auflösen wollte; ein übergangsweises Bestehenbleiben derselben wurde nicht länger akzeptiert. 721 Zum Anhänger einer radikalen Umgestaltung der Landeshauptmannschaften avancierte auch Bürckel, dem zufolge die künftigen Gaubehörden eine den preußischen Ober- und Regierungspräsidien vergleichbare 722 Stellung besitzen sollten. 723 Wie aus der Tatsache, daß der Reichskommissar für die Wiedereingliederung je zwei Gaue zu einer "Selbstverwaltungskörperschaft" zusammenfassen wollte, schließlich weiter zu entnehmen ist, hatte selbst er von dem Gedanken einer raschen und umfassenden Gebietsreform Abschied genommen. Dessen ungeachtet hielt jedenfalls das Reichsinnenministerium an dem Endziel der Bildung von nur vier Reichsgauen fest. 724 Indes war Einvernehmen mit Bürckel 725 darüber herzustellen, wie eine übergangsweise Neugliederung, auf die schon wegen der immer evidenteren verwaltungspraktischen Schwierigkeiten nicht verzichtet werden konnte,726 aussehen sollte. 727 Zu diesem Zweck fand am 30. Mai Dazu Botz, S. 88. Ministerialrat Kritzinger (Reichskanzlei) sprach von einer mindestens halbjährigen Übergangsperiode; vgl. Mitteilung Kritzingers für Lammers vom 27.5.1938 über eine Anfrage Stuckarts; Bundesarchiv, Akte R 43 II/1358, BI. 68. 720 Das waren den Länderregierungen im Altreich ähnliche Exekutivorgane der österreichischen Bundesstaaten. 721 Dies ist der Mitteilung Ministerialrat Kritzingers an Lammers ansatzweise zu entnehmen; Bundesarchiv, Akte R 43 11/1358, BI. 68. 722 Natürlich sollte in der Ostmark eine Zusammenfassung dieser beiden in Preußen geteilten Ämter stattfinden. 723 Siehe insoweit Mitteilung Kritzingers für Lammers vom 27.5. 1938; Bundesarchiv, Akte R 43 11/1358, BI. 68. 724 Siehe insoweit die o. g. Mitteilung Kritzingers an Lammers vom 27.5.1938; (Bundesarchiv, R 43 II/1358, BI. 68); desweiteren Befragung Opdenhoffs durch Botz am 15.4.1971, Tonbandprotokoll im Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes-Kepp1er-Hochschule Linz. 725 Bürckel war ja in seiner Stellung als Reichskommissar den Reichsministerien formal gleichgeordnet (siehe oben A I 8 a)). 726 Die übergangsweise Neugliederung war notwendig, bildete sie doch den Ansatzpunkt für zumindest vorläufige Behördenorganisationsreformmaßnahmen, welche angesichts der bereits aufgezeigten Tendenzen zu einer Atomisierung der Exekutive in Österreich (oben B IV 1 a)) dringend geboten erschienen. 718 719

IV. Territorial- und Verwaltungsreforrnplanungen

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1938 in Wien eine Besprechung zwischen allen Beteiligten 728 statt. 729 Am Ende einigte man sich auf folgende Punkte: 730 a) Vergrößerung Wiens sowie Anschluß Osttirols an Kärnten entsprechend Hitlers Entscheidung vom 23. Mai b) [nun doch wieder] Aufteilung des Burgenlandes zwischen dem neuen Gau "Niederdonau" und der Steiermark c) Bestehenbleiben aller übrigen (acht) Bundesländer bei gleichzeitiger übergangsweiser Umgestaltung zu "Landeshauptmannschaften". Die (vorläufige) Umgestaltung sollte bis spätestens 1.10. 1938 abgeschlossen sein und noch nicht die gesamte Gauverwaltung erfassen. d) Durchführung vorerst folgender Verwaltungsreformmaßnahmen (zeitgleich mit der Gebietsreform): einheitliche Organisation der Behörden der Landeshauptmänner: Die Landeshauptmänner sollten in sich die Funktion des Regierungspräsidenten, des Oberpräsidenten und des Statthalters vereinigen, eine Einheit der Verwaltungsführung auf Gauebene sollte angestrebt werden. - keine Schaffung von Selbstverwaltungskörperschaften (!) - großräumige Gliederungseinteilungen für einige Reichssonderverwaltungen: Insoweit "Vierer-Lösung" entsprechend Stuckarts Vorschlag vom 3./ 4. Mai 1938 e) Hinsichtlich Vorarlbergs: Weitere formelle Selbständigkeit bei Mitverwaltung durch Tiro!. Die beschlossenen Reformmaßnahmen besitzen allesamt Übergangscharakter: Zum einen deswegen, weil die geplante umfassende territoriale Neugliederung expressis verbis in fernere Zukunft verschoben worden ist, zum anderen wegen 727 Dies umso mehr, als sich zwischenzeitlich neue Probleme ergeben hatten: Einige Reichsfachverwaltungen hatten für bestimmte, bestehen bleibende Sonderverwaltungen größere Gliederungsbezirke eingefordert, als die alten österreichischen Bundesländer bieten konnten. Sie waren nicht bereit, von ihrem Verlangen abzugehen. Deshalb mußte, wenn den Reichsgauführern Einwirkungs- bzw. Kontrollrechte über die Sonderbehörden eingeräumt werden sollten, im Falle der (übergangsweisen) Schaffung von mehr als fünf Reichsgauen zusätzlich festgelegt werden, welchem Gauleiter jeweils die Aufsicht über die mit größerem Einziehungsgebiet ausgestatteten Sonderorgane zukommen würde. Der ganze Entscheidungsfindungsprozeß verkomplizierte sich dadurch weiter. (Vgl. Kritzingers Mitteilung für Larnmers vom 27.5.1938, Bundesarchiv, Akte R 4311/1358, BI. 65). 728 Als da waren: Frick, Stuckart, Pfundtner und Bürckel. 729 Vgl. Aktenverrnerk Ministerialrat Kritzingers (Reichskanzlei) vom 31. 5.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/1358, BI. 72; ebenso Aktenverrnerk Staatssekretär Stuckarts (Reichsinnenministerium) vom 31.5.1938 über die Besprechung mit Bürckel vom 30.5.1938; in Bundesarchiv, Akte R 4311/1358, BI. 71. 730 Aktenverrnerk Stuckarts vom 31. 5.1938 über die Besprechung mit Bürckel; insoweit vergl. Bundesarchiv, Akte R 43 1/1358, BI. 71.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

der nur rudimentären Regelungen über den künftigen Verwaltungsaufbau der Gaue / Landeshauptmannschaften. Auffällig ist insbesondere, daß noch nicht an die Realisierung von Selbstverwaltung gedacht wurde. Der konzeptionelle Aufbau der ostmärkischen Gebietskörperschaften hätte sich danach nur wenig von demjenigen im Altreich unterschieden, zumal eine grundlegende Erweiterung der landeshauptmannschaftlichen Befugnisse nicht vorgesehen war. Ein Festhalten Stuckarts und Fricks an den Überlegungen zur "großen Territorialreform" ist hingegen bereits daraus ersichtlich, daß einige sonderbehördliche Gebietsgliederungen der Vier-Gaue-Lösung Stuckarts entsprechen sollten; es ergibt sich aber auch aus anderen Details. 731 Bevor an die Verwirklichung der vorläufigen Gebietsreformplanungen gegangen werden konnte, mußte jedoch erst noch die Zustimmung Hitlers hierzu eingeholt werden. Schon am 31. Mai 1938 wurde deshalb beim "Führer" vorgesprochen, und dieser erteilte denn auch, nachdem ihm alle Vorschläge Bürckels und Stuckarts erneut referiert worden waren, seine generelle Zustimmung. 732 Die Neugliederung ging nun zügig voran, weil Hitler das Reichsinnenministerium gleichzeitig dazu ermächtigt hatte, im Benehmen mit den übrigen obersten Reichsorganen entsprechende Gesetz- und Verordnungsentwürfe auszuarbeiten. 733 Schon von Anfang Juni 1938 datiert der Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung und vorläufige Verwaltung des Landes Österreich. 734 735 Er folgt den gefundenen Kompromißlösungen weitgehend, weicht davon aber insoweit ab, als neben die "Landeshauptmannschaften" noch das -offenbar fortbestehende - Land Österreich treten sollte. Hieraus mußte sich das beinahe unlösbare Problem ergeben, wie die Landeshauptmänner zu reichsstatthalterähnlichen Beamten ausgebildet werden konnten, wenn die österreichische Landesverwaltung als gleichberechtigte Instanz weiterexistieren würde. 736 Immerhin zeigt der Gesetzentwurf, daß vorerst tatsächlich lediglich an einen vorläufigen Umbau der Behördenstruk731 Etwa dem Umstand, daß Vorarlberg selbständig bleiben, aber durch Tirol mitver-· waltet werden sollte. 732 Vgl. Schnellbrief des Ministers und Chefs der Reichskanzlei Lammers vom 3.6.1938 an Reichsinnenminister Frick sowie Aktenvermerk Lammers' vom 31.5.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 H/1358, BI. 75. 733 Schnellbrief Lammers' an Frick vom 3.6.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 H/ 1358, BI. 75. 734 In Bundesarchiv, Akte R 43 H/1353 a, Blatt 4 ff. 735 Zeitgleich wurde der Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung des Landes Österreich entwickelt, der mit dem eben genannten Gesetzentwurf hinsichtlich seiner Gliederungsregelung übereinstimmte, jedoch keine den Verwaltungsaufbau reformierende Normen enthielt (siehe Bundesarchiv, Akte R 18/5386, BI. 33 ff.). 736 Dazu noch ausführlicher untr B IV 1 b).

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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turen gedacht war: Während in Händen der Landeshauptleute landschaftliche Zentralbehörden geschaffen werden sollten, wäre der Aufbau der österreichischen Landesregierung nämlich unangetastet geblieben. 737 Die gebietliche Abgrenzung der "Landeshauptmannschaften" entspricht im übrigen den Vorgaben vom 30. Mai des Jahres. 738 Auch die Vorentwürfe zum Ostmarkgesetz enthalten in territorialer Hinsicht nichts wesentlich Neues mehr. 739 Die in der Gliederungsfrage gefundene Zwischenlösung war demnach auf absehbare Zeit endgültig. Allein die Organisationsstrukturreforrnpläne änderten sich noch, und zwar im Sinne einer umfassenden Neuordnung. Darauf soll jedoch an anderer Stelle 740 eingegangen werden. Man darf indes nicht übersehen, daß die "große Territorialreforrn" für Österreich nach wie vor nur aufgeschoben, nicht aufgehoben war. Das beweisen innenministerielle Planungen aus dem Jahre 1939. Damals wurde die Großgaueinteilung nochmals leicht modifiziert, und zwar insoweit, als dies durch die verbindliche Festschreibung der Trennung "Oberdonaus" von "Niederdonau" notwendig wurde. 741 Und selbst 1941 sprach der nationalsozialistische Österreichexperte Hans Spanner davon, daß "einmal künftig zwei oder mehrere dieser ja verhältnismäßig kleinen Reichsgaue zu größeren Reichsgauen zusammenzuschließen" seien. 742 Siehe unten B IV 1 b). Vgl. § 2 des Gesetzentwurfes. 739 Nur der Bürckelsche Entwurf eines "Gesetzes über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung" vom Juli 1938 (Bundesarchiv, Akte R 43 11/1353 a, Blatt 23 ff.) sah in Abweichung vom gefundenen gemein.samen Nenner eine sofortige Angliederung Vorarlbergs an das Land Bayern vor; § 2 des Entwurfes. Ansonsten blieb es bei der Einteilung des Landes in 7 Reichsgaue und das Sondergebiet Vorarlberg. Daneben sollte nunmehr das Land Österreich aufgelöst werden. 740 Unten B IV 1 b). 741 Nachweise bei Botz, S. 114; darüber, wie die Großgaugliederungsplanungen im Jahre 1939 aussahen, spekuliert Botz wie folgt: Anstelle der im Mai 1938 ... geplanten "Viererlösung" (siehe Abschnitt länderweiser Anschluß ... ) kann nur eine der vier folgenden Lösungen getreten sein: a) Wien, "Niederdonau", "Oberdonau", Salzburg-Tirol mit Vorarlberg und Steiermark-Kärnten; b) Wien-"Niederdonau", ansonsten wie Fall a; c) Wien-"Niederdonau", "Oberdonau"Salzburg, Tirol mit Vorarlberg, Steiermark-Kärnten; d) Wien, "Niederdonau", ansonsten wie Fall c. Opdenhoff hielt anläßlich einer Befragung durch Botz (Tonbandprotokoll im Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johann-Keppler-Hochschule Linz) eine Variante für wahrscheinlich, die Hitlers Wunsch, die alten historischen Zentren (Landeshauptstädte) zu erhalten, berücksichtigt hätte: Wien, "Niederdonau, "Oberdonau", Salzburg, Tirol-Vorarlberg, Steiermark-Kärnten. Salzburg sollte später wegen der kulturellen Bedeutung seiner Hauptstadt auch politisch aufgewertet werden. 742 Hans Spanner, Die Eingliederung der Ostmark ins Reich, Hamburg 1942, S. 21; ähnlich übrigens E. R. Huber, Der Reichsgau, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1939, S. 364. 737

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Wenn es im Endeffekt schließlich nicht zur Verwirklichung der GroßgauLösung kam, dann dürfte jenes vor allem auf die einsetzenden Kriegshandlungen zurückzuführen sein. Eine grundsätzlich ablehnende Entscheidung Hitlers insoweit ist in den Ministerialakten jedenfalls nirgendwo zu finden. Möglicherweise wurde die Reform bis nach Kriegsende zurückgestellt. Hierin eine Niederlage Fricks und des Reichsinnenministeriums zu erblicken, erscheint einseitig. Beachtet werden muß nämlich, daß unter Frick eine grundlegende Neustrukturierung des österreichischen Verwaltungsaufbaus stattgefunden hat und erstmals überhaupt Reichsgaue geschaffen wurden. Daher bleibt gültig, was schon an anderer Stelle festgestellt wurde: 743 Ostmarkbezogen konnte sich das Reichsinnenministerium mit seiner Forderung nach einer umfassenden Reform weitgehend durchsetzen; allerdings gelang die Reform nur, weil in der Sache die NSDAP-freundlichen Gedankengänge Bürckels teilweise übernommen wurden.

b) Die Organisationsreformüberlegungen für Österreich Die behördlichen Verwaltungsreformplanungen bezogen auf Österreich unterlagen mehrfach Wandlungen. Genauer gesagt lassen sich zwei verschiedene Reformphasen voneinander trennen. Während der ersten ging man noch davon aus, die Ostmark in mehreren Schritten umzugestalten; zunächst sollten nur die unbedingt notwendigen Maßnahmen getroffen werden. Später, in der zweiten, etwa Juli 1938 einsetzenden Phase, wurde ein möglichst umfassender Umbau der Behördenstrukturen angestrebt. Jene Überlegungen führten dann auch zu dem Erlaß des Ostmarkgesetzes, das in der Tat erhebliche administrative Änderungen des ostmärkischen Verwaltungsaufbaues vornahm. Die anfängliche Zurückhaltung gegenüber durchgreifenden Organisationsreformmaßnahmen ist daraus zu erklären, daß die Reichsinnenverwaltung die Erkenntnis gewonnen hatte, die gleichzeitig geplante 744 territoriale Neugestaltung des österreichischen Gebietes werde längere Zeit als zunächst angenommen in Anspruch nehmen. 745 Im übrigen konnten sich Frick und Stuckart auf Absprachen mit Bürckel stützen, wonach den "Reichsstatthaltern" der neu zu schaffenden Reichsgaue 746 vorerst keine wesentlich über das 2. Reichsstatthaltergesetz hinausgehenden Befugnisse eingeräumt werden sollten. 747 Oben B IV vor 1. Man verfolgte also das Ziel, Organisations- und Territorialrefonn simultan zu realisieren. 745 Dazu siehe oben B IV 1 a). 746 Sie wurden anfangs als "Landeshauptmänner" bezeichnet, siehe bereits die Aufzeichnung zur Chefbesprechung mit Bürckel am 30.5.1938. 747 Siehe insoweit die Besprechung vom 30.5.1938 (in: Bundesarchiv, Akte R 4311/ 1358, BI. 71, 72; oben B IV 1 a)). Damals wurde vereinbart, daß die "Landeshauptmänner" zukünftig in sich die Funktion von Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten und Statthaltern vereinen sollten. Den Statthaltern im Altreich waren indes nur begrenzte 743

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IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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aa) Der Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung und vorläufige Verwaltung des Landes Österreich Jenen Gedankengängen folgt vor allem der im Juni 1938 fertiggestellte Entwurf eines Gesetzes betreffend die Aufgliederung und vorläufige Verwaltung des Landes Österreich. 748 Darin war eine Zweigliederung der ostmärkischen Reichsmittelinstanz in die fortbestehende österreichische Landesregierung sowie in sogenannte Landeshauptmannschaften vorgesehen. Mit dem Begriff "Landeshauptmannschaften" wurden organisatorische und territoriale Gliederungen unterhalb des Landes Österreich bezeichnet; der Sache nach entsprachen sie den früheren Bundesländern bzw. Landesregierungen. 749 Indem der Gesetzentwurf den Landeshauptmannschaften den Status von staatlichen Verwaltungsbezirken und Gebietskörperschaften verleiht,750 wird ausgedrückt, daß an eine Realisierung von "Gauselbstverwaltung" damals noch nicht gedacht war. 751 Demnach sollte, wie im Altreich,jede Verwaltungstätigkeit solche des Reiches sein; konsequenterweise hätte das Reich auch volle Dienstaufsicht über die Landesregierung und die Landeshauptmänner besessen. 752 Die Tatsache des Fortbestehens der österreichischen Landesregierung neben den Landeshauptmannschaften versinnbildlicht schließlich weiter, wie vorläufig der damals geplante organisatorische Umbau des Landes gewesen wäre. Eine doppelte Reichsmittelinstanz zu schaffen, war an sich sinnlos, sie hätte überdies zu erheblichen Kompetenzkonflikten führen können. Augenscheinlich wollte die Innenverwaltung die österreichische Landesregierung aus Rücksichtnahme auf deren Repräsentanten nicht einfach liquidieren, zumal für Seyß-Inquart an anderer Stelle kein Platz war. Von den übrigen Regelungen des Gesetzentwurfes haben noch folgende besondere Erwähnung zu finden:

Einwirkungsrechte auf die ländliche Verwaltungsführung zugestanden worden ... (Bezeichnend ist, daß in der Aufzeichnung an keiner Stelle von den formal recht umfangreichen Befugnissen deutscher Landesregierungen gesprochen wird. Derart umfängliche Kompetenzen waren für die Hauptleute also nicht vorgesehen!). Im übrigen sollte der Besprechung zufolge eine Einheit der Verwaltung lediglich "angestrebt" werden, ihre Verwirklichung war demnach in femere Zukunft verschoben worden. 748 Nochmals, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1353 a, Blatt 4 ff. 749 Vgl. § I I, 11 und § 3 des Gesetzentwurfes. 750 Vgl. § 3 I des Entwurfes. 751 Anders das später in Kraft getretene üstmarkgesetz, siehe oben A I 8 a). 752 Das folgt daraus, daß im Falle der Verwirklichung des hier behandelten Gesetzentwurfes Art. 3 des auch in Österreich eingeführten Reichsneuaufbaugesetzes fortgegolten hätte; eine Aufhebung dieses Gesetzes war jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen. 19

Bachnick

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

§ 3 11 2 unterscheidet zwischen Hoheitsaufgaben der allgemeinen Staats- und der Reichssonderverwaltung. Die allgemeine Staatsverwaltung sollte auf der Ebene der Landeshauptmannschaften von einer dem Landeshauptmann unterstehenden Zentralbehörde ausgeübt werden; 753 Aufsichtsbehörden insofern wären die Reichsfachministerien gewesen, die also an dem Reichsstatthalter vorbei den Landeshauptleuten direkt hätten Anweisungen erteilen können; sie sollten zu sämtlichen Maßnahmen der Dienstaufsicht befugt sein. 754

Vorstehendem kann mithin keine entscheidende Erweiterung landeshauptmannschaftlicher Befugnisse entnommen werden, wäre doch auch die Landesregierung als zwischengeschaltetes Aufsichtsorgan erhalten geblieben. 755 Die Hauptleute wären daher weit davon entfernt gewesen, reichsstatthalterähnliche Zuständigkeiten zu besitzen. Was die Stellung der Reichssonderbehörden nach dem hier behandelten Gesetzentwurf angeht, war eine Eingliederung derselben in die Zentralbehörde des Landeshauptmanns nicht vorgesehen. Soweit danach auf der Ebene der Landeshauptmannschaften überhaupt Reichssonderbehörden existierten, wären sie also organisatorisch selbständig geblieben. Auch hätten die Landeshauptleute diesen Behörden gegenüber - insofern anders als der Reichsstatthalter in Österreich, dessen Befugnisse gemäß § 1 11 des Gesetzentwurfs ja Bestandsschutz genießen sollte - keinerlei Einwirkungsrechte besessen, denn eine dem § 2 11 des Reichsstatthaltergesetzes entsprechende Befugnisnorm fehlt in dem hier behandelten Gesetzentwurf. Zur Verwirklichung der Einheit der Verwaltung in Händen der Landeshauptleute hätte es demzufolge nicht gereicht, das Nebeneinander verschiedener Behörden wäre vielmehr aufrechterhalten worden. Überhaupt fällt auf, daß nur wenige der nationalsozialistischen Reichsreformprinzipien in diesem Gesetzentwurf Berücksichtigung gefunden haben. Zu ihnen zählt die Konzeption des Einheitsstaates, wie sich aus der Tatsache der erfolgten Festschreibung des entstaatlichten Charakters der österreichischen Bundesländer entnehmen läßt. 756 Andererseits darf nicht übersehen werden, daß der Entwurf durchaus geeignet war, die spätere Bildung von Reichsgauen auf der Stufe der vormaligen österreichischen Bundesländer vorzubereiten, etwa, indem entsprechend § 4 eine neu strukturierte Mittelbehörde aufgebaut worden wäre.

Dies folgt aus § 3 IV des Gesetzentwurfes. § 3 II 2 des Gesetzentwurfes. 755 Vgl. § I II des Gesetzentwurfes. 756 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Entstaatlichung der österreichischen Bundesländer schon mit der Überleitung des Reichsneuaufbaugesetzes nach Österreich realisiert wurde. 753

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IV. Territorial- und Verwaltungsrefonnplanungen

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In diese Richtung geht offenbar auch die Regelung des § 5 des Gesetzentwurfes, wonach in den Landeshauptmannschaften Landesräte mit beratenden Funktionen ernannt werden sollten: Hierdurch wäre die Einrichtung von Gauräten auf gleicher Ebene vorweggenommen worden. Bedeutsame Änderungen des damaligen Rechtszustandes in den österreichischen Bundesländern hätten diese Maßnahmen - einmal abgesehen von den direkten Weisungsrechten der obersten Reichsbehörden gegenüber den Landeshauptleuten - nach allem nicht gebracht; wesentliche Strukturprinzipien des Bund-Länder-Verhältnisses nach der alten österreichischen Bundesverfassung wären erhalten geblieben. Insofern weicht der hier behandelte Gesetzentwurf noch erheblich von dem Ostmarkgesetz ab. Berücksichtigt man aber den lediglich vorläufigen Charakter der Regelungen, können hieraus keine Rückschlüsse auf eine mögliche Änderung der Verfassungsrefonnvorstellungen im Reichsinnenministerium gezogen werden. bb) Der Entwurf Bürckels für ein Gesetz über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung vom Juli 1938 In der Folgezeit brachen die Arbeiten an einem den Verwaltungsaufbau Österreichs vorläufig neu regelnden Gesetzentwurf abrupt ab. Offenbar ging man nun daran, umfassende Organisationsrefonnmaßnahmen zu verwirklichen. Ausgelöst worden sein dürfte der damit verbundene Meinungsumschwung durch Bürckel, von dem ein erster in diese Richtung gehender Gesetzentwurf überliefert ist. 757 Im Anschreiben zu der genannten, dem Reichsinnenministerium am 27.7. 1938 zugesandten Kodifikation verdeutlicht Bürckel die Grundstrukturen seines Konzeptes. 758 Er begründet seine positive Haltung zur Gaustrukturrefonn vor allem damit, daß es einer grundsätzlichen Neuordnung der Leitungsfunktionen in Österreich bedürfe. Dabei soll ihm zufolge das Führerprinzip konsequent verwirklicht werden, was jedoch nur bei einer Auflösung des Landes Österreich möglich sei. Desweiteren betont der Reichskommissar für die Wiedereingliederung ganz im Stile eines Machtpolitikers die Notwendigkeit, alle künftigen ostmärkischen Statthalter weisungsrechtlich direkt dem "Führer" zu unterstellen. 759 Hierin zeigt sich 757 Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1353 a, Blatt 23 ff. 758 Schreiben des Reichskommissars für die Wiedereingliederung Österreichs in das Deutsche Reich Bürckel an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 27.7.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1353 a, Blatt 21 f. 759 Schreiben Bürckels an Lammers vom 27.7.1938; Bundesarchiv, Akte R 43 11/ 1553a, Blatt 21.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

sein wahres Gesicht, denn er betreibt nur vordergründig das Spiel eines um die Lebensfähigkeit der "Territorialgewalten" besorgten Staatsmannes. In Wahrheit will Bürckel eine weitreichende Unabhängigkeit der Gau- von der Reichsverwaltung erreichen und somit den Einheitsstaat faktisch untergraben. Ganz auf dieses Ziel abgestellt sind auch die Einzelregelungen seines Gesetzentwurfes. Nicht von ungefähr möchte Bürckel deshalb den neuen ostmärkischen Reichsgauen die Rechtsstellung staatlicher Verwaltungsbezirke und Selbstverwaltungskörperschaften verschaffen. 760 Die Gaue sollten also sowohl staatliche Verwaltungsaufgaben (nach Anweisung des Reiches) als auch ihnen zur eigenständigen Erledigung übertragene Aufgaben erfüllen. Welche Aufgaben von den Reichsgauen in Selbstverwaltung ausgeführt werden sollten, überläßt der Gesetzentwurf der näheren Regelung des Reichsinnenministers (Verordnungsermächtigung in § 5 III). Staatliche Verwaltung (mit Ausnahme der bestehenden Reichssonderverwaltungen) und Gauselbstverwaltung hätten gemäß § 5 I, 6 I des Entwurfes weiterhin der Leitung von Reichsstatthaltern unterstanden. Wie sich aus § 9 ergibt, sollte in der Hand der Reichsstatthalter für Selbstverwaltungs- und Staatsverwaltungsaufgaben eine zentrale Gaubehörde geschaffen werden. Die innere Gliederung dieser Behörde wäre durch § 9 IV des Entwurfs einer Regelung des Reichsstatthalters vorbehalten gewesen, der also auch darüber zu entscheiden gehabt hätte, ob die Angelegenheiten der Selbstverwaltung in besonderen Abteilungen oder von den für die staatliche Verwaltung zuständigen Beamten mit erledigt worden wären. Darüber hinaus war vorgesehen, dem Reichsstatthalter einen Stellvertreter, bereits hier Regierungspräsident genannt, beizugeben, der ihn in der Leitung der zentralen Gaubehörde entlasten sollte; dem Reichsstatthalter sollten danach offenbar vor allem politische Leitungsfunktionen zukommen. In bezug auf die Aufsichtsbefugnisse des Statthalters ergab sich bereits aus dessen herausgehobener Stellung das Bestehen umfassender fachlicher und personeller Weisungsgewalt über die ihm nachgeordneten Gaubeamten; direkte Eingriffsrechte der obersten Reichsbehörden gegenüber den einzelnen Beamten waren nicht vorgesehen. Hinsichtlich der Aufsicht über die Reichssonderbehörden trifft § 2 11 des Gesetzentwurfes die Regelung, daß der Reichsstatthalter zu direkten fachlichen und wohl auch dienstrechtlichen Weisungen diesen gegenüber befugt sein sollte. Anders als nach dem Ostmarkgesetz wären die Sonderverwaltungen aber der zentralen Gaubehörde nicht einmal teilweise eingegliedert bzw. angegliedert worden, hätten also ihre organisatorische Selbständigkeit voll bewahrt. Es bleibt danach festzuhalten, daß das Maß an Vereinheitlichung des Behördenautbaues 760

§ 3 des Gesetzentwurfes.

IV. Territorial- und Verwaltungsreforrnplanungen

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in den Reichsgauen nach der Konzeption Bürckels zwar geringer als nach dem späteren Ostmarkgesetz gewesen wäre; der Reichsstatthalter hätte jedoch hierdurch keine im Vergleich zu der im Ostmarkgesetz getroffenen Regelung bedeutsame Einbuße an Befugnissen erlitten, weil er gegenüber den Reichssonderbehörden dieselben Aufsichtsrechte wie dort vorgesehen besitzen sollte. Hinzu kommt noch, daß § 5 11 den Reichsinnenminister ermächtigte, den Reichsstatthaltern bisherige Aufgaben der Reichssonderverwaltung zu übertragen. Eine Verpflichtung hierzu bestand freilich nicht. Was die Reichsaufsicht über die allgemeine Staatsverwaltung betrifft, sieht der Gesetzentwurf sachliche Weisungsgewalt der Reichsfachbehörden vor. Dagegen wäre der Reichsstatthalter in dienstrechtlicher Hinsicht entsprechend den von Bürckel aufgestellten Grundprinzipien direkt dem "Führer", also nicht wie nach dem Ostmarkgesetz dem Reichsinnenminister, unterstellt gewesen. Bürckel betont damit die besondere Stellung der Reichsstatthalter als "Unterführer" im Gau, mit der für ihn eine dienstrechtliche Weisungsgewalt der Reichsministerien offenbar nicht vereinbar ist. Dem entspricht auch die Regelung des § 4 I 2, wonach die Reichsstatthalter in beamtenrechtlicher Hinsicht direkt zum "Führer" ressortieren sollten, während die übrigen Beamten der allgemeinen Gaustaatsverwaltung entsprechend der vorgegebenen Hierarchie dem Reichsminister des Inneren unterstanden hätten. Bedeutsam ist weiterhin, daß nach Bürckel die Beamten der Gaustaatsverwaltung in ein unmittelbares Dienstverhältnis zum Reich gebracht werden sollten, wie sich aus § 9 I 2 ergibt. Diese Regelung griff offenbar die im Reichsinnenministerium damals schon bestanden habenden entsprechenden reichsweiten Planungen auf und entsprach insoweit den späteren Regelungen des Ostmarkgesetzes (dort § 13 11). Die Reichsaufsicht über die Gauselbstverwaltung wäre vom Reichsinnenminister ausgeübt worden, § 6 IV. Der Umfang dieser Aufsicht ist nicht explizit geregelt worden;es darf indes davon ausgegangen werden, daß sie wiederum auf eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit und Vereinbarkeit der Einzelrnaßnahmen mit den Zielen der Staatsführung beschränkt gewesen wäre. 761 Von echter Selbstverwaltung hätte demnach auch bei Bürckel keine Rede sein können. Gleichwohl hätten die Gaue genügend Spielraum besessen, um neben und gegen das Reich eine eigene Politik zu betreiben. 762 Dies umso mehr, als die Gaue eigene Beamte einstellen dürfen sollten! 763 Schließlich bleibt noch zu erwähnen, daß gemäß § 8 des hier behandelten Gesetzentwurfes die Einrichtung eines den Reichsstatthalter in Gauselbstverwal761 Entsprechendes hatte Bürckel nämlich 1935 im Rahmen seiner altreichsbezogenen Verwaltungsreforrnüberlegungen vorgeschlagen (dazu vgl. B III 4 c) cc)). 762 Man denke nur an die spätere Verwaltungspraxis in den Gauen Danzig-WestpreuBen und Wartheland! (Dazu siehe oben A 11 5 d).). 763 § 9 I 3 des Gesetzentwurfes.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

tungsangelegenheiten beratenden "Landrates" geplant war, dessen Mitglieder vom Parteigauleiter ernannt werden sollten. Daher war eine Mitwirkungspflicht dieses eine "volksnahe Verwaltung" sicherstellen sollenden Gremiums in allen finanziell wichtigen Fragen vorgesehen, was eine bedeutsame Weiterentwicklung gegenüber dem Rechtszustand nach dem Ostmarkgesetz dargestellt hätte. § 10 gestand außerdem (entsprechend dem verwirklichten Rechtszustand) dem Reichsstatthalter eine regionale Rechtssetzungsbefugnis zu.

Nach allem kann demnach gesagt werden, daß der Entwurf Bürckels im wesentlichen - bei allerdings einigen Ausnahmen - mit dem späteren Ostmarkgesetz übereinstimmt, so daß anzunehmen ist, daß er die Grundlage für die nachfolgenden Planungen des Reichsinnenministeriums bildete. Die nationalsozialistischen Verfassungsprinzipien wären hiernach bereits in eine konkrete Reformregelung eingeflossen, die nicht bloß Übergangscharakter besessen hätte. Lediglich in bezug auf die Vereinheitlichung des Behördenaufbaues erscheint Bürckel, dessen hiesiges Konzept seinen früheren Vorstellungen 764 entspricht, relativ inkonsequent. Die wenigen nachweisbaren Abweichungen vom Ostmarkgesetz beziehen sich insbesondere auf die Stellung der Statthalter. Gegen deren weisungsrechtliche Anbindung allein an die Person des "Führers" bestanden seitens der oberen Reichsverwaltungen vielfältige Bedenken. 765 Aber auch in anderen Reformfragen differierten die Vorstellungen der hiermit befaßten Behörden zum Teil ganz erheblich voneinander, wie gleich gezeigt werden wird. cc) Der Entwurf des Reichsinnenministeriums zu einem Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in Österreich vom August 1938 Dessen ungeachtet folgt der vom August 1938 datierte reichsinnenministerielle Entwurf eines Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in Österreich 766 jedoch weitgehend Bürckels Gedankengängen. Nur noch folgende Unterschiede sind gegenüber den Plänen des ostmärkischen Reichskommissars sowie im Verhältnis zum endgültigen Ostmarkgesetz zu konstatieren: Regelungsgegenstand des hier behandelten Gesetzentwurfes ist allein der Verwaltungsaufbau, nicht auch die Territorialreform Österreichs. 767 Das Reichsinnenministerium sah diesbezügliche Normierungen offenbar als entbehrlich an, weil Vgl. oben B III 4 c) cc). Dazu siehe bereits oben A II 5 d) und unten B IV 1 b) cc) am Ende. 766 In: Bundesarchiv, Akte R 43 II/l353 a, Blatt 38 ff. 767 Anders noch das vorläufige Organisationsreformgesetz vom Juni 1938 (oben B IV 1 b) aa)) und später das Ostmarkgesetz. 764 765

IV. Territorial- und Verwaltungsreformplanungen

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zur gleichen Zeit ein Gesetz zur Neugliederung Österreichs ausgearbeitet wurde, das dann auch am 1.10.1938 in Kraft trat. 768 Selbständige, von der allgemeinen Staatsverwaltung des Reichsstatthalters organisatorisch getrennte Reichssonderbehörden waren nach § 4 I nur noch im Bereich der Wehrmacht sowie der lustiz-, Finanz-, Post- und Eisenbahnverwaltung vorgesehen. Die übrigen bislang eigenständigen Sonderbehörden sollten der Gauzentralbehörde "angegliedert" werden. Damit wäre praktisch der Rechtszustand nach dem endgültigen Gesetz erreicht worden; die "angegliederten" Sonderbehörden hätten unter der Leitung des Reichsstatthalters gestanden, der ihnen gegenüber volle fachliche und personelle Weisungsgewalt besitzen sollte. Weiterhin ist anders als nach Bürckels Entwurf und dem Ostmarkgesetz nicht die Unterstellung sämtlicher Behörden auf Gauebene unter die fachliche und personelle Aufsicht der Reichsstatthalter vorgesehen; nur die Gauzentralbehörde sowie die ihr angegliederten Sonderbehörden hätten der statthalterlichen Weisungsgewalt unterlegen. Gegenüber den nicht angegliederten Sonderbehörden sollten den Reichsstatthaltern hingegen keinerlei Einwirkungsrechte zustehen. Dies hätte eine deutliche Schwächung ihrer Position innerhalb des Reichsgaues bedeutet: Von einer Einheit der Verwaltung auf dieser Ebene konnte so keine Rede sein, weil bedeutende Verwaltungszweige losgelöst von jeglicher Eingriffsmöglichkeit des "Gauführers" geblieben wären. Der hier vorliegende Gesetzentwurf betont somit stärker die zentralistischen Befugnisse der obersten Reichsbehörden als dies nach der endgültigen Regelung der Fall gewesen ist. Erstaunlicherweise läßt sich hinsichtlich der Aufsichtsbefugnisse des Reichs über die Statthalterbehörde fast vollständige Übereinstimmung mit Bürckel feststellen. Das gilt insbesondere insoweit, als die Statthalter der personellen Weisungsgewalt allein des "Führers" unterworfen sein sollten. Letzteres ist aus § 1 11 des Gesetzentwurfes zu schließen, demzufolge die Statthalter Hitler "unterstanden" hätten. Warum die Innenverwaltung in dieser Weise von ihren eigenen Vorstellungen 769 abgewichen ist, konnte angesichts der unbefriedigenden Aktenlage nicht geklärt werden. Möglicherweise hatte Bürckel seine diesbezüglichen Überlegungen derart ausgekleidet, daß es so scheinen mußte, als seien sie von Hitler bereits gebilligt worden. 770 In Betracht kommt aber auch, daß sich Frick und seine Mitarbeiter dem Druck des ostmärkischen Reichskommissars beugten, weil sie ihm nicht Adäquates mehr entgegenzusetzen hatten. Die Nachgiebigkeit gegenüber Bürckel hatte indes zur Folge, daß das Reichsinnenministerium nun mit 768 Gemeint ist das Gesetz über Gebietsveränderungen im Lande Österreich, siehe oben A II 8 a). 769 Dazu ausführlich oben A II 5 d) sowie B III 4 a) aa), 4 a) bb) sowie 4 b) bb). 770 Das tat Bürckel öfter; Nachweise bei Botz, S. 88.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

den Reichsfachverwaltungen Kämpfe ausfechten mußte, vor allem weil jene sich nach Kräften gegen eine Eingliederung von Sonderverwaltungen in den allgemeinen Reichsaufbau wehrten. 771 Am Ende blieb die Weisungsbindung der Statthalter an das Reichsinnenministerium erhalten, vgl. § 4 I des in Kraft getretenen Ostmarkgesetzes. Frick konnte dies nur recht sein, doch dürfte er am wenigsten dazu beigetragen haben, wie wir gleich sehen werden ... 772 Wenn zum Teil deutliche Diskrepanzen zwischen dem hier behandelten Gesetzentwurf und dem späteren Ostmarkgesetz bestanden, dann vor allem auch wegen des vorgesehenen Umfangs der Gauselbstverwaltung. In § 3 des Entwurfes wird nämlich geregelt, daß sich das Ausmaß der Selbstverwaltung nach den Rechten und Pflichten der bisherigen Länder bestimme. Den Reichsgauen sollten also anscheinend alle früheren Selbstverwaltungsaufgaben der Länder zur "eigenverantwortlichen" Erledigung rückübertragen werden, und das waren nicht wenige! Demnach hätte bei Verwirklichung des Entwurfes eine erhebliche Erweiterung der Gaukompetenzen stattgefunden, und der Verwaltungsaufbau wäre spürbar dezentralisiert worden. § 5 II legt darüber hinaus fest, daß die Aufgaben der Reichsgaue als Selbstverwaltungskörperschaft und als staatlicher Verwaltungsbezirk in organisatorisch getrennten Abteilungen der Gauzentralbehörde erledigt werden sollten.

Schließlich sei noch auf § 6 des Gesetzentwurfes hingewiesen, wo abweichend von der späteren normativen Regelung eine Mitwirkungspflicht der "Landesräte" in allen finanziell bedeutsamen Fragen statuiert wird. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich die wesentlichen Abweichungen des Kodifikationsentwurfes vom August 1938 gegenüber dem Ostmarkgesetz auf die Ausgestaltung der Gauzentralgewalt und dabei insbesondere auf die Stellung der Reichsstatthalter beziehen. 773 Insofern stand der Entwurf Bürckels Überlegungen näher als alle folgenden. Die Innenverwaltung hatte ihre Verfassungsreformprinzipien allerdings keineswegs modifiziert. Ihr ging es nach wie vor darum, die Behördenorganisation in der Reichsmittelinstanz weitmöglichst zu vereinheitlichen. Weil damit aber potentiell eine Erweiterung der Statthalterbefugnisse verbunden war, wehrten sich viele Reichsfachverwaltungen hiergegen. 774 Auf welche Vorbehalte das Reichsinnenministerium bei seinen Bemühungen traf, die Vorstellungen Bürckels und der Partei mit denen der Fachbehörden in Deckung zu bringen, belegen Meinungsäußerungen zuständiger MinisterialbeamDazu genauer unter diesem Gliederungspunkt (B IV 1 b) cc» am Ende. B IV 1 b) dd) am Ende. 773 Nämlich insoweit, als einerseits die Reichsstatthalter dienstrechtlich allein dem "Führer" unterstehen, jedoch noch nicht sämtlichen Gaubehörden gegenüber umfassende fachliche und dienstrechtliche Weisungsgewalt besitzen sollten, und andererseits den Gauen umfangreiche "Selbstverwaltungs"aufgaben zugewiesen worden wären. 774 Näher hierzu unter B IV 1 b) dd) am Ende. 771

772

IV. Territorial- und Verwaltungsrefonnplanungen

297

ter anläßlich zweier Staatssekretärsbesprechungen am 15. 775 und 20.9.1938. 776 Anders als Stuckart, der damals eindeutig für eine Zusammenfassung möglichst vieler Behördenzweige in der Gauzentralverwaltung plädierte,777 machten nämlich die Staatssekretäre im Reichsjustiz-, Reichsfinanz-, Reichspost- und Reichsverkehrsministerium ernste Bedenken gegen das geplante Weisungsrecht der Statthalter über die Sonderbehörden geltend. 778 Sie argumentierten dahingehend, die Unterstellung sämtlicher Gaubehörden unter die Reichsstatthalter bedeute eine Abkehr vom Einheitsstaat, weil das Reich dann keine direkten Einflußmöglichkeiten auf die dortige Verwaltungsführung mehr habe. Außerdem drohe eine Zersplitterung der Verwaltungsführung, weil jeder Reichsstatthalter die Reichssonderbehörden in seinem Gau unterschiedlich anweisen könnte. 779 Die Staatssekretäre befürchteten also, daß die Reichsstatthalter von den ihnen gewährten Aufsichtsbefugnissen extensiv Gebrauch machen und sich zu "Gaufürsten" aufschwingen würden mit der Folge eines neuentstehenden Dualismus zwischen Reich und Ländern. Hieraus läßt sich ein erhebliches (allerdings wohl berechtigt gewesenes) Mißtrauen gegenüber den Reichsstatthaltern entnehmen. Wenn die Bedenken der Staatssekretäre politisch auch möglicherweise berechtigt gewesen sind, formaljuristisch waren sie es nicht: Denn die obersten Reichsbehörden hätten als Oberinstanzen der Reichsverwaltung stets ihrerseits den Reichsstatthaltern Anweisungen erteilen bzw. Anweisungen der Reichsstatthalter aufheben können, worauf Ministerialdirektor Sommer vom Stab des Führerstellvertreters in der oben genannten Staatssekretärsbesprechung auch zutreffend hingewiesen hat. 780.781

775 Vennerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 16.9.1938 über eine Staatssekretärsbesprechung vom 15.9.1938 betreffend das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Lande Österreich; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/l353 a, Blatt 174 ff. 776 Niederschrift über die Staatssekretärs besprechung betreffend das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark ... am 20.9. 1938 im Reichsministerium des Innem; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/l353 a, Blatt 261 ff. 777 Staatssekretär Stuckart (Reichsministerium des Innem), in: Niederschrift über die Staatssekretärsbesprechung im Reichsministerium des Innem am 20.9.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/l353 a, Blatt 262. 778 Vgl. dazu Niederschrift über die Staats sekretärs besprechung im Reichsministerium des Innem am 20.9.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/l353 a, Blatt 269. 779 Staatssekretär Reinhardt (Reichsfinanzministerium), in: Niederschrift über die Staatssekretärsbesprechung im Reichsministerium des Innem am 20.9. 1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 IIf 1353 a, Blatt 263. 780 Ministerialdirektor Sommer vom Stab des Führerstellvertreters, in: Niederschrift über die Staatssekretärsbesprechung im Reichsministerium des Innem am 20.9.1938; Bundesarchiv, Akte R 43 IIf1353 a, Blatt 267. 781 Nicht umsonst verteidigte ein dem Stab HeB angehöriger Beamter wie Sommer also eine Lösung, die die Reichsstatthalterbefugnisse erweiterte.

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B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses dd) Der Entwurf eines Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 12.10.1938

Angesichts der soeben dargestellten Meinungsverschiedenheiten ist von Interesse, welche Regelung das Weisungsrecht der Reichsstatthalter über die Gaubehörden in dem vom 12.10.1938 stammenden Entwurf eines Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark 782 gefunden hat. Insofern gilt: Als "Führer" der staatlichen Verwaltung im Reichsgau (§ 4 des Gesetzentwurfes) hätten die Reichsstatthalter volle fachliche und personelle Weisungsgewalt über die ihnen nachgeordneten Beamten der auch nach diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Gauzentralbehörde besessen, und zwar sowohl im Bereich der allgemeinen Staatsals auch im Bereich der Gauselbstverwaltung. Demgegenüber ergibt sich aus § 4 III, daß eine Ein- bzw. Angliederung bestehender Reichssonderverwaltungen an die Behörde des Reichsstatthalters anders als nach dem endgültigen Gesetz zunächst nicht mehr vorgesehen war. 783 Sämtliche Reichssonderbehörden auf Gauebene wären also auch nach diesem Gesetz (wie bei Bürckel) organisatorisch selbständig geblieben. Deshalb bedurfte es einer positivrechtlichen Festlegung des Umfanges etwaiger Aufsichtsrechte der Reichsstatthalter über die Reichssonderbehörden. Eine solche findet sich in § 3 11 des hier behandelten Gesetzentwurfes. Danach sollten die Reichsstatthalter sämtlichen Reichssonderbehörden fachliche und wohl auch dienstrechtliche 784 Weisungen erteilen können. Sie hätten mithin eine Art Dienstaufsicht über die Reichssonderbehörden ausgeübt. Dies bedeutet im Vergleich zu der Regelung nach dem Vorentwurf eine ansatzweise Stärkung der Reichsstatthalter. Mit der Zuerkennung eines umfassenden Weisungsrechts über alle Behörden auf Gauebene sollte ein bedeutender Schritt in Richtung auf die Verwirklichung der Einheit der Verwaltung in den Reichsgauen getan werden. Die diesbezüglich bestehenden Bedenken vieler Reichsressorts hatten sich letztendlich nicht durchsetzen können. 785 In: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1353 a, Blatt 246 ff. Allerdings wurde der Reichsinnenminister zu entsprechenden Maßnahmen auch hier unverbindlich ermächtigt. 784 In § 3 11 wird nämlich nicht zwischen fachlichen und personalrechtlichen Weisungen unterschieden. 785 Die bereits oben B IV 1 b) cc) dargestellten Bedenken sind vom Reichsfinanzminister Graf Schwerin von Krosigk in einem Schnellbrief vom 18. Januar 1939 nochmals dargelegt worden (siehe Bundesarchiv, Akte R 18/5399, BI. 29 ff.). Der Finanzminister meinte, aufgrund der Bedenken dem Ostmarkgesetz in seiner vorliegenden Fassung nicht zustimmen zu können. Das Reichsinnenministerium hielt gleichwohl an seiner Forderung, den Reichsstatthaltem umfassende Weisungsrechte zu gewähren, fest und führte zur Begründung aus, der Stellvertreter des Führers (HeB) werde sich mit einer anderen als der gefundenen Lösung unter keinen Umständen abfinden (!) Man habe sich die Forderungen der Partei "aus grundsätzlichen politischen Gründen" zu eigen gemacht, obwohl man nicht die Schwie782 783

IV. Territorial- und Verwaltungsrefonnplanungen

299

Folgende weitere Abweichungen gegenüber den Vorentwürfen bzw. dem Ostmarkgesetz sind dem Gesetzentwurf vom 12.10.1938 noch zu entnehmen: § 4 I unterstellt die Reichsstatthalter (wie das endgültige Gesetz) der Dienstaufsicht des Reichsinnenministers; die Befugniserweiterung zugunsten der Reichsstatthalter geht also mit einer dienstrechtlichen Zurückstufung derselben einher.

Die Regelung des Umfangs der Gauselbstverwaltung bleibt gemäß § 6 III dem Reichsinnenminister vorbehalten. Anders als nach dem Vorentwurf wird den Gauen demnach kein Mindestmaß an Selbstverwaltungsaufgaben zugesichert. Wie schon bei Bürckel sollten die im Bereich der Selbstverwaltung neu zu schaffenden Gauräte in wichtigen, insbesondere finanziellen Angelegenheiten vom Reichsstatthalter angehört werden müssen, während das Ostmarkgesetz lediglich eine fakultative Anhörung vorsieht. 786 Zur Ernennungsbehörde für die Gauräte bestimmt § 8 I des Gesetzentwurfes nunmehr den Stellvertreter des "Führers"; nach den Vorentwürfen hätte diese Aufgabe dem Parteigauleiter zugestanden. In Übereinstimmung mit dem Ostmarkgesetz ist erstmals die Vertretung des Reichsstatthalters durch zwei verschiedene Beamte, den Regierungspräsidenten im Bereich der Staats- und einen "Landeshauptmann" im Bereich der Selbstverwaltung, festgeschrieben. 787 Allerdings läßt der Gesetzentwurf noch ausdrücklich die Möglichkeit offen, beide Ämter in Personalunion zu führen. Die innere Gliederung der zentralen Gaubehörden wird schließlich durch § 9 III einer Entscheidung des Reichsinnenministers überlassen, hätte also nicht mehr wie nach Bürckels Konzept im Ermessen des jeweiligen Reichsstatthalters gestanden. Offen blieb demzufolge die Frage, ob Selbst- und Staatsverwaltung in verschiedenen Abteilungen der Gaubehörde oder die Selbstverwaltungsaufgaben durch die Beamten in der Staatsverwaltung mit zu erledigen seien. Der hier behandelte Gesetzentwurf weist somit bedeutende Unterschiede gegenüber dem Ostmarkgesetz nur noch in bezug auf die Integration der bisherigen Reichssonderverwaltungen in die Gauzentralbehörde auf; im Verhältnis zum Ostmarkgesetz wäre es zu einer weit geringeren Vereinheitlichung des Behördenaufbaues der Reichsgaue gekommen. Dies mag wohl damit zusammenhängen, daß das Innenminsterium den oben genannten Bedenken der Reichsfachbehörden 788 wenigstens insoweit Rechnung rigkeiten verkenne, die sich in sachlicher Beziehung ("doppelte Befehlsquelle"), in räumlicher Hinsicht (dieselbe Fachverwaltungsbehörde untersteht gegebenenfalls dem Weisungsrecht mehrerer Reichsstatthalter) und schließlich aus der Tatsache der Differenzierung gegenüber der Regelung im Altreich ergäben (vgl. Vennerk Staatssekretär Dr. Stuckarts vom 26.1.1939; in: Bundesarchiv, Akte R 18/5399, BI. 55 ff.). 786 § 8 11 des hier behandelten Gesetzentwurfes. 787 § 9 I des Gesetzentwurfes.

300

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

tragen wollte. Der verselbständigte Fortbestand der Sonderverwaltungen diente quasi als Entschädigung dafür, daß den Reichsstatthaltern in jenem Bereich umfassende Aufsichts- und Kontrollrechte eingeräumt worden waren. Insgesamt gesehen fällt auf, daß die Statthalterbefugnisse fast unmerklich wieder verringert wurden. Ausnahmen, wie hinsichtlich der nach dem Vorentwurf nicht "angegliedert" gewesenen Sonderbehörden, bestätigten die Regel: Man hatte ja die Gauführer der personellen Weisungsgewalt der Reichsinnenverwaltung unterstellt,789 Fricks Administration ferner die Bestimmung der Selbstverwaltungsaufgaben der Reichsgaue vorbehalten 790 und die innere Gliederung der zentralen Gaubehörde dem statthalterlichen Ermessen entzogen. 791 Gleichwohl: Mit Inkrafttreten des Ostmarkgesetzes erhielten die dortigen Reichsstatthalter eine formalrechtlich stärkere Position, als ihre Amtskollegen im Altreich je besessen hatten. Hierfür verantwortlich war nicht zuletzt der Umstand, daß die meisten der Sonderverwaltungen wieder in ein enges organisationsrechtliches Verhältnis zum"Gauführer" gebracht worden waren. 792 Ob das Reichsinnenministerium darüber hinausgehend damals, ab Ende 1939, jegliche Exekutivtätigkeit außerhalb der Gauzentralbehörde unterbinden wollte, soll Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. 2. Der geplante Fortgang der Reform in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland

Dahingehende Vermutungen stützen sich auf die Tatsache, daß in den Reichsgauen Danzig -Westpreußen und Wartheland praktisch keine Sonderbehörden mehr zur Entstehung gelangten,793 obwohl der Verwaltungsaufbau jener Gebiete 788 Sie richteten sich ja gegen ein statthalterliches Weisungsrecht gegenüber den Reichssonderverwaltungen auf Gauebene (siehe oben B IV 1 b) cc) am Ende). 789 Daß es hierzu kam, war in erster Linie den Reichsfachministerien zu danken, die sich unnachgiebig gegen eine Erweiterung der statthalterlichen Befugnisse zur Wehr gesetzt hatten. 790 Den Gauen wurden also, wie bereits oben erwähnt, keine Mindestaufgaben im Bereich der Selbstverwaltung mehr zugestanden. Anders nach dem Gesetzentwurf vom August des Jahres: Diesem zufolge sollten den Gauen jene Selbstverwaltungsrechte zufallen, die sie schon vor dem 30.1.1934 besessen hatten (siehe oben B IV 1 b) cc)). 791 Hinsichtlich der inneren Gliederung der Gauzentralbehörde war im Vorentwurf vom August 1938 nur die Regelung getroffen worden, daß Selbst- und Reichsverwaltungsaufgaben in getrennten Abteilungen erledigt werden sollten; weitergehende Normierungen waren dort nicht enthalten, hätten also im Zweifel dem Statthalterermessen oblegen. Demgegenüber ist im hiesigen Entwurf § 9 III zu beachten. 792 Dazu vgl. oben A 11 8 a). 793 Siehe oben All 8 c); nur noch die Verwaltungen von Reichspost und Reichsbahn waren in den genannten Gauen leidlich eigenständig: Die Verbindung mit der Gauzentrale wurde hier durch einen "Beauftragten" sichergestellt, wobei der Reichsstatthalter allerdings volle fachliche und personelle Dienstaufsicht auch jenen Behörden gegenüber besaß.

IV. Territorial- und Verwaltungsrefonnplanungen

301

nur für eine Übergangszeit besonders straff bleiben sollte. 794 Entscheidenden Aufschluß über die Vorstellungen des Innenministeriums können die weiteren ostgauspezifischen Planungen geben. Sie haben ihren Ausdruck gefunden in dem Entwurf einer - nie in Kraft getretenen - Vierten Verordnung zur Durchführung des Führererlasses zur Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete. 795 Der Entwurf sieht die Aufhebung der §§ 1,4 und 5 III der Zweiten Durchführungsverordnung zum Führererlaß über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vor, welche die Ein- bzw. Angliederung der Reichssonderbehörden an die Gauzentralbehörde des Reichsstatthalters regelten. Die sehr enge organisationsrechtliche Bindung der Reichssonderbehörden an den Statthalter wäre hierdurch aufgelockert und dem Rechtszustand in der Ostmark und im Sudetenland angeglichen worden. Daß eine Angleichung an den Rechtszustand dieser Gebiete erfolgt wäre, ergibt sich aus dem Fortgelten des § 3 des Führererlasses über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete, der die Vorschriften des Sudetengaugesetzes für anwendbar erklärte, soweit keine abweichenden normativen Regelungen bestünden. Es hätten demnach die bislang der Gauzentralbehörde eingegliedert gewesenen Sonderbehörden in ein Angliederungsverhältnis übergeleitet werden müssen; weiterhin wären die durch Beauftragte mit dem Reichsstatthalter verbundenen Post- und Bahnverwaltungen aus diesem Verbund gelöst und verselbständigt worden. Die bis dahin der Reichsstatthalterei "angegliederten" Behörden der Reichsjustiz- und Reichsfinanzverwaltung hätten schließlich ebenfalls direkt den obersten Reichsbehörden unterstellt werden müssen. Hieraus ist zu entnehmen, daß der verwirklichte Rechtszustand in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland nach wie vor als provisorisch verstanden 796 und eine endgültige Regelung analog derjenigen in Ostmark und Sudetenland angestrebt wurde. Es läßt sich danach feststellen, daß die Reichsreformvorstellungen des Reichsinnenministeriums sich nicht in Richtung auf eine weitere Vereinheitlichung des Behördenaufbaues entsprechend der vorläufigen Regelung in den Ostgauen verändert haben; der in Ostmark und Sudetenland realisierte Rechtszustand muß also als endgültig gewollt angesehen werden. 797 Die für das Gesamtreich geplante

794 795

1941.

So die Vorgaben Hitlers 1939! Nachweise oben A 11 8 c), Fußnote 528. In: Bundesarchiv, Akte R 4311/646 a, Blatt 161 f.; der Entwurf stammt vom März

796 Daß dies zuvor der Fall gewesen ist, ergibt sich auch aus einem Vennerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 27. (?) Oktober 1939, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/646 a, Blatt 66 f., 66. 797 So heißt es etwa in dem Anschreiben des Reichsinnenministeriums zu dem Entwurf der hier behandelten Verordnung, es sei der Zeitpunkt gekommen, die Sonderverwaltungen, deren Einbeziehung in die Reichsstatthalterbehörden sich auf die Dauer als nicht erforderlich erweist, aus diesem Verbande zu entlassen. Vgl.Schreiben des Reichsinnen-

302

B. Planungen zur Neuorganisation des Reich-/Länder-Verhältnisses

Reform der Behördengliederung hätte sich demzufolge wohl weiterhin an dem Vorbild der sudetendeutschen und österreichischen Gebiete orientiert. Nach dem hier behandelten Entwurf war darüber hinaus noch die innere Neustrukturierung der Reichsstatthalterbehörde vorgesehen. Wie sich aus § 2 der geplanten Verordnung ergibt, sollten getrennte Behörden für den Bereich der Staats- und Gauselbstverwaltung geschaffen werden, die Aufgaben der Selbstverwaltung also nicht mehr wie bis dahin 798 von den Beamten der Staatsverwaltung im Gau mit bearbeitet werden. Beide Behörden hätten aber unverändert dem Reichsstatthalter als Leiter unterstanden. Die Gründe, aus denen es nicht zu der Verwirklichung der geplanten Vierten Durchführungsverordnung zum Führererlaß vom 8. 10. 1939 gekommen ist, lassen sich nur vermuten, entsprechende Hinweise konnten den Akten nicht entnommen werden. 799 So erscheint es durchaus denkbar, daß Hitler, dem ein "aggressiver Volkstumskampf' in Westpreußen und im Wartheland vorschwebte,8°O die Zeit für eine Reduzierung der Reichsstatthalterbefugnisse auf Ostmarkniveau noch nicht für gekommen hielt. Seiner Meinung nach bedurften die "Gauführer" in den besetzten polnischen Gebieten ja gerade weitreichender Kompetenzen, um die vorgesehenen rassischen bzw. bevölkerungspolitischen Maßnahmen komplikationslos durchsetzen zu können. Mit zur ablehnenden Haltung des "Führers" beigetragen haben könnten auch dessen Antipathie gegen eine Fortführung der Reichsreform sowie die Kriegsereignisse. Möglicherweise ist die hier behandelte Verordnung deswegen zunächst nur bis nach Kriegsende zurückgestellt und nicht endgültig ad acta gelegt worden. Auf ein durch Hitler herbeigeführtes Scheitern des Verordnungsentwurfes deuten überdies des ,,Führers" Sympathien für die Reichsstatthalter hin. Wie Hitler die weisungsrechtliche Unterstellung der Statthalter unter die Reichsministerien später wieder verwässerte, 801 so mag er auch in anderen Fällen die Gaufürsten gegen die Ansprüche der Administration Fricks in Schutz genommen haben.

staatssekretärs Dr. Stuckart an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei (Lammers) vom 19.3.1941; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/646 a, Blatt 159 f., 159. 798 Vgl. § 3 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung vom 2. 11. 1939; siehe oben A IV 5 a) cc). 799 Es konnte lediglich ermittelt werden, daß in dieser Sache am 28.2. 1941 eine Staatssekretärbesprechung stattgefunden haben muß, die dem Entwurf der Verordnung vorausging; vgl. Schreiben Stuckarts an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 19.3.1941, in: Bundesarchiv, Akte R 4311/646 a, Blatt 149. 800 Dazu siehe bereits oben A Il 8 c) am Anfang. 801 Vgl. oben A 11 5 d).

IV. Territorial- und Verwaltungsrefonnplanungen

303

Nicht ohne Grund wurden die Bürokratismusvorwürfe des Reichskanzlers während des Krieges immer lauter ... 802 Unabhängig von allem: Tatsache ist jedenfalls, daß der Sonderstatus der Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches erhalten blieb.

802 Dazu noch ausführlicher unter E 11; siehe schon jetzt die Nachweise bei Rebentisch, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 765.

c. Kreisreformplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung I. Einführung; das ungelöste Problem der Kreisverfassung Einen weiteren Schwerpunkt nationalsozialistischer Reichsreformtätigkeit bildete die Behördenneuorganisation in den Land- und Stadtkreisen. Hier galt es ebenfalls, die Verwaltungsstrukturen nach Führer- und Volksstaatprinzip umzugestalten. Bis 1936 tat sich in dieser Richtung allerdings nicht viel. Man beschränkte sich augenscheinlich auf die allernotwendigsten Strukturreformmaßnahmen, von einer reichsweiten Vereinheitlichung des Kreisbehördenaufbaus konnte nur geträumt werden. Die vorläufigen Umgestaltungsaktivitäten hatten insbesondere eine Ausschaltung der volkswahllegitimierten Kreistage zum Ziel. Im gleichen Zusammenhang fanden umfangreiche Befugniserweiterungen zugunsten der Landräte statt. Trotz allem waren Anklänge an das "zwischenreichliche" I Verwaltungssystem nach wie vor erkennbar. Sie sollen nachfolgend aufgezeichnet werden. Dabei erfolgt eine Konzentration auf die preußischen Verhältnisse, denn die Landkreisstrukturen in den übrigen deutschen Ländern entsprachen diesen weitgehend. Allerdings fanden sich in den außerpreußischen Ländern vielfach abweichende Bezeichnungen für die Kreisorgane, 2 was hier jedoch nicht weiter interessieren soll. In der Weimarer Republik hatten die preußischen Kreistage eine ganz entscheidende Stellung im unteren Verwaltungsaufbau innegehabt. 3 Ihnen hatte die Satzungsgewalt oblegen; sie waren befugt gewesen, die Behördentätigkeit auf Kreisebene zu überwachen. Außerdem wurden alle übrigen Kreisorgane vom ~eistag gewählt, dem gegenüber sie auch Rechenschaft schuldig waren. Die eigentliche Verwaltungsarbeit hatte in der Hand sogenannter Kreisausschüsse gelegen, Delegationsorganen mit ca. sechs Mitgliedern, die die BeschlüsSo die nationalsozialistische Bezeichnung für die Weimarer Republik. Hierzu siehe leserich, Zur Reform der Landkreisverwaltung, 1937, S. 10 ff. 3 Dazu ausführlich: von Unruh, Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft, 1964, S. 172 ff.; zu den Aufgaben und Befugnissn der Kreisorgane im Weimarer Staat (bezogen auf Preußen) auch Friedrich Schöne, Werden und Sein der preußischen Landkreise als Grundlagen ihrer Zukunft; in: K. leserich, Die deutschen Landkreise. Material zur Landkreisreform, S. 23 ff., hier S. 35 ff. I

2

I. Einführung; das ungelöste Problem der Kreisverfassung

305

se des Kreistags vorbereiten und ausführen mußten. Vor allem hatten die Kreisausschüsse darüber zu wachen, ob die ihnen unterstellten Beamten recht- und zweckmäßig handelten. Für die laufenden Verwaltungsgeschäfte war hingegen der Landrat zuständig gewesen, der den Kreis überdies nach außen hin vertrat und der im Namen des Kreises mit anderen Behörden und Organisationen verhandeln konnte. 4 Vergleicht man den sich hieraus ergebenden demokratischen Verfassungszustand mit demjenigen des Dritten Reiches, fällt zunächst auf, daß sowohl Kreisausschüsse als auch Landräte ohne größere Kompetenzeinbußen fortbestanden. Zwar verloren die Kreisausschüsse mit der Zeit ihren Charakter als Beschlußkörperschaften: Der Wille des Leiters trat also an die Stelle des durch Abstimmung ermittelten Gesamtwillens. Ansonsten aber blieb der Aufgabenbereich der Ausschüsse weitgehend unangetastet. Das Amt des Landrats erfuhr darüber hinaus indes eine erhebliche Umgestaltung: Die Landräte stiegen zum eigentlich bestimmenden Organ der Kreisverwaltung auf und erhielten darüber hinaus legislative Befugnisse (etwa Satzungsgewalt). All das geschah auf dem Rücken der Kreistage, welche denn auch nach und nach abgeschafft wurden. Die Befugnisbeschränkungen zu Lasten der Kreistage waren in der Verfassungswirklichkeit von erheblicher Bedeutung, denn sie bedingten umfangreiche Zuständigkeitsverlagerungen. Landrat und Kreisausschuß als Nutznießer dieser Entwicklung waren jedoch noch weit davon entfernt, echte Führungsorgane zu werden. Insbesondere haperte es an einer Ausbildung zentraler Kreisbehörden. Desweiteren hatte auch keine weisungsrechtliche Unterstellung der kreiszugehörigen Behörden unter den Landrat stattgefunden, so daß zumindest die Reichssonderbehörden auf Kreisebene unverändert selbständig agieren konnten. Ungeachtet vieler Ansätze zur umfassenden Neustrukturierung der Landkreisverwaltungen muß folglich konstatiert werden, daß der Verwaltungsaufbau in den Kreisen 1936 erst ansatzweise nationalsozialistischen Vorstellungen entsprach. Dies erkannten die mit der Reichsreform befaßten Instanzen zwar. Gleichwohl gelang es ihnen aber nicht, an den herrschenden Zuständen Wesentliches zu ändern. Ein Grund hierfür wird in dem gerade 1936/37 besonders stark gespannten Verhältnis von Partei und Staat zu erblicken sein. 5 Beide Organisationen dürften sich, bezogen auf Reichsreformfragen, gegenseitig blockiert haben. Hinzu kommt, daß viele Kreisreformprobleme nach wie vor ungelöst waren. Niemand hatte sich vor 1936 etwa darüber Gedanken gemacht, ob die Landräte

4

5

Werden und Sein der preußischen Landkreise, S. 39. Dazu siehe ausführlicher oben A II 6 und 7.

Schöne,

20 Bachnick

306

C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

fachlich vorgebildet zu sein hatten, 6 ob sie "politische" Beamte 7 und Berufsbeamte 8 werden sollten oder ob den Kreisen wie bisher 9 eine "Kompetenz-Kompetenz" in Selbstverwaltungsangelegenheiten 10 zuzugestehen war. Vom nationalsozialistischen Weltbild her waren hier jeweils unterschiedliche Positionen vertretbar, 11 so daß sich die Reichsinnenverwaltung zunächst erst einmal selbst einen Standpunkt erarbeiten mußte. Eindeutig geklärt war nur, daß die allgemeinen nationalsozialistischen Reichsreformprinzipien auch für die Landkreisverfassung nutzbar gemacht werden sollten. Vorbild für den Neuaufbau der Kreisverwaltung sollten im übrigen die Gemeinden abgeben, 12 deren Rechtsverhältnisse ja durch die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 grundlegend umgestaltet worden waren. Wohl aufgrund dessen beschäftigte man sich vor 1936 praktisch gar nicht mit der Kreisreform ! Aber selbst danach fand keine breite Diskussion der nun langsam ans Licht der Öffentlichkeit tretenden Kreisreformvorstellungen statt. Nur wenige Juristen befaßten sich anscheinend überhaupt mit dem Thema Strukturreforrn in der Kreisinstanz. Vieles von dem, was wir schon an anderer Stelle gehört haben, finden wir bei ihnen wieder: Selbstverwaltung, eine um die Vereinbarkeit mit den Staatszielen "erweiterte Rechtsaufsicht" im kreiseigenen Hoheitsbereich, den "Beauftragten der NSDAP" und nach Führungsgesichtspunkten geleitete körperschaftliche Zentralverwaltungen (Der Landrat als Kreisführer). 13 Dabei sollen an 6 Nach preußischem Kommunalrecht war bis dahin eine fachliche Vorbildung des Landrats nicht erforderlich gewesen; die süddeutschen Länder hatten indes fast durchweg die Befähigung der Landräte zum höheren Verwaltungsdienst / Richteramt verlangt. 7 "Politische Beamte" sind solche Beamte, deren Amt vom besonderen Vertrauen des obersten Ressortchefs abhängig ist. Sie können daher bei Wegfall des Vertrauens jederzeit entlassen werden. Zur Historie sei noch angemerkt, daß die preußischen Landräte seit Ende des 19. Jahrhunderts traditionell politische Beamte waren, dies aber nicht von den Landräten aller deutschen Staaten gesagt werden kann (vgl. von Unruh, Der Kreis, 1964, S. 176 ff.) 8 Das Deutsche Beamtengesetz von 1937 hatte ja das Berufsbeamtenturn wieder eingeführt, eine Berufsbeamtenstellung der Landräte wäre deshalb durchaus möglich gewesen. 9 Vgl. insoweit §§ 92 ff. des Preußischen Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes vom 29.6. 1929 (PrGS 1929, S. 137 ff.). 10 Unter "Kompetenz-Kompetenz" versteht man im Kommunalrecht die Befugnis eines Landkreises, gemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben auf sich überzuleiten, sofern die Gemeinden zu deren Erledigung wirtschaftlich oder bevölkerungsmäßig nicht mehr in der Lage sind (vgl. von Unruh, Der Kreis, 1964, S. 179, 187). 11 Vgl. etwa leserich, Zur Refonn der Landkreisverwaltung, S. 27 f., zu der Frage, ob die Landräte "politische Beamte" sein sollten oder nicht. Jeserich meint, als nicht politischer Beamter könne der Landrat ein Element der Kontinuität in die Kreisverwaltung einbringen. Die Ausgestaltung des Landratspostens zu einem politischen Amt verhindere indes, daß sich der Führer im Landkreis zu einer rein technischen Verwaltungsbehörde rückentwickele. 12 Vgl. von Unruh, Der Kreis, S.192 m.w.N. 13 Siehe nur oben B III 4.

11. Kreisrefonnvorstellungen in Literatur und kommunalen Interessenverbänden 307 dieser Stelle nur jene Autoren Erwähnung finden, deren Konzepte ausschließlich die Kreisreform zum Gegenstand haben; allein hierum geht es nämlich jetzt.

11. Kreisreformvorstellungen in Literatur und kommunalen Interessenverbänden Insofern sind zu nennen der Landrat a.D. Dr. Friedrich Schöne 14 und der geschäftsführende Präsident des Deutschen Gemeindetags Dr. Kurt Jeserich. 15 1. Die Reformüberlegungen Schönes

Schöne hat sich vor allem mit Fragen der Reichsgliederung unterhalb von Ländern bzw. Gauen befaßt. In einem Ende November 1936 16 gehaltenen Vortrag stellte er die Überlegung an, ob nicht anstelle von Landkreisen und Einzelgemeinden 17 Großgemeinden 18 geschaffen werden sollten; 19 auf diese Weise konnte nämlich die Zweiteilung der unteren Reichsverwaltung in teilweise kreisumfassende, teilweise gemeindeumfassende Behörden entfallen und so die Organisationsstruktur spürbar vereinfacht werden. Gleichwohl verwarf Schöne den Vorschlag zur Bildung von Großgemeinden. Zur Begründung führte er an, daß die Einzelgemeinde historisch gewachsen sei und die Bevölkerung eine enge emotionelle Bindung zu ihr habe. Ohne Not dürfe man Altbewährtes nicht zugunsten fragwürdiger Neuerungen fallenlassen, stellte Schöne fest. 20 Desweiteren glaubte der Landrat a.D. auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Kreisbewohner zu erkennen,21 weshalb seiner Meinung nach kreisbezogene Gebietsreformmaßnahmen nur soweit unbedingt erforderlich durchgeführt werden sollten. Entscheidendes Kriterium insoweit sollte sein, ob der jeweilige Kreis von seiner Größe und Einwohnerzahl her in der Lage ist, sämtliche kreiszugewiesenen Hoheitsaufgaben anstandslos zu erfüllen. 14 Der dem Deutschen Gemeindetag augenscheinlich sehr nahe stand (immerhin ist sein nachfolgend analysierter Vortrag in der Verbandszeitschrift des DGT an herausragender Stelle abgedruckt worden: F. Schöne, Kreiskommunale Verfassungsfragen, in: Der Gemeindetag 1936, S. 785 ff.). 15 Neben seiner Stellung als geschäftsführender Gemeindetagspräsident besaß leserich den Posten eines Leiters des Kommunalwissenschaftlichen Instituts an der FriedrichWilhelm-Universität zu Berlin; vgl. Vorblatt zu leserichs Schrift ,,zur Refonn der Landkreisverwaltung", Kohlhammer Verlag 1937. 16 Der Vortrag wurde auf einer Sitzung der DGT-Arbeitsgemeinschaft für landkreisbezogene Verwaltungsfragen gehalten. 17 Das sind solche, die jeweils nur ein Dorf umfassen. 18 Diese sollten sich aus mehreren Dörfern zusammensetzen. 19 Schöne, Kreiskommunale Verfassungsfragen, in: Gemeindetag 1936, hier S. 789 f. 20 Siehe die Aussage Schönes in: Gemeindetag 1936, S. 790, sinngemäß. 21 Schöne, Gemeindetag 1936, S. 790. 20'

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C. Kreisreformplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

Die wenigen Thesen Schönes zum künftigen Verwaltungsaufbau der Landund Stadtkreise lauteten wie folgt: (a) Den Kreisen sei Kompetenz-Kompetenz zuzubilligen, d.h. ihnen müsse die Befugnis gewährt werden, gemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben auf sich überzuleiten, sobald die Gemeinden zu deren Erledigung wirtschaftlich oder bevölkerungsmäßig nicht mehr fähig seien. 22 (b) Das Postulat der "Einheit der Verwaltung" sei zu verwirklichen. 23 (Anmerkung des Verfassers: Es sollte also eine zentrale Kreisbehörde mit dem Landrat als Leiter gebildet werden, in die die bestehenden Reichssonderverwaltungen integriert worden wären.) (c) Echte Landkreisverwaltung zeichne sich durch ein Nebeneinander von Staatsund Selbstverwaltung aus, so daß auf die Zuerkennung von Selbstverwaltungsaufgaben nicht verzichtet werden könne. 24 In ihrer Allgemeinheit stimmten diese Überlegungen natürlich sowohl mit denen der NSDAP als auch mit denen des Reichsinnenministeriums überein. 25 Schöne wollte sich demnach nicht genau festlegen, um niemandes Zorn zu erregen. Wenigstens damit dürfte er Erfolg gehabt haben. 2. Die Kreisreformvorstellungen Jeserichs und des Deutschen Gemeindetages

Im Gegensatz zu Schöne hat Jeserich umfassende Pläne für eine Verwaltungsreform in der Landkreisinstanz erarbeitet. 26 Jeserich ging von denselben Grundprinzipien wie Schöne aus: Führertum und Volksstaat sollten auch auf Kreisebene verwirklicht werden. 27 Hierauf aufbauend schlug der Gemeindetagspräsident vor, die Verfassungsstrukturen der Kreise soweit wie möglich zu vereinfachen. Die Vereinfachungsmaßnahmen sollten sich dabei an dem Vorbild der Deutschen Gemeindeordnung ausrichten. 28 Dementsprechend verlangte Jeserich eine weitreichende Zusammenfassung aller kreis angehörigen Behörden in der Hand des Landrats. Der Kreiszentralbehörde sollten vor allem die Sonderverwaltungen eingegliedert werden. Ihre Grenze sollte die Verwaltungskonzentration allerdings dort finden, wo die Kreisverwaltung so unüberschaubar groß würde, daß der Landrat nicht mehr "Führer", sondern nur noch Aufsichtsbeamter über eine Unzahl von Fachbeamten sei. 29 22 23 24 25 26 27

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Schöne, Gemeindetag 1936, s. 788. Schöne, Gemeindetag 1936, S. 792. Schöne, Gemeindetag 1936, S. 788. Dazu siehe bereits oben B 11, III 4 a). Vgl. leserichs Schrift ,,zur Reform der Landkreisverwaltung", 1937. leserich S. 10 f., auch S. 59. leserich, S. 59 (These 1).

II. KreisrefonnvorsteJlungen in Literatur und kommunalen Interessenverbänden 309 Was die beamtenrechtliche Stellung des Landrats anbelangte, so trat Jeserich dafür ein, den damals bestehenden Rechtszustand beizubehalten. Der Landrat hätte danach zum Reich ressortiert, wäre also Staatsbeamter gewesen. 30 Juristische Vorbildung zur Einstellungsvoraussetzung für Landräte zu erklären, lehnte der Gemeindetagspräsident kathegorisch ab. Hingegen schloß er nicht aus, daß künftig ein Nachweis verwaltungspolitischer Erfahrung gefordert werden müsse. 31 Weiterhin befürwortete Jeserich die Ausgestaltung der Landratsposten zu "politischen" Ämtern. 32. 33 Auch im totalitären Staat hatte das politische Mandat des Beamten für ihn noch einen Sinn. Wegen des zur reibungslosen Erfüllung von Staatsaufgaben unabdingbar notwendigen besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Reichsministerien und Landräten müsse es, so argumentierte er, ersteren jederzeit möglich sein, vertrauensbrüchige Kreisführer abzusetzen. Im übrigen sollten den Landräten die gleichen Befugnisse auf kommunaler Ebene wie den Bürgermeistern zukommen. 34 Von besonderer Bedeutung ist ferner, daß sich der Gemeindetagspräsident (übrigens wie Schöne) für Selbstverwaltung in der Landkreisinstanz einsetzte. Möglichst viele der Hoheitsaufgaben, die kreisbezogen erledigt werden könnten, sollten seiner Ansicht nach den Landkreisen als eigene übertragen werden. 35 An dem Grundsatz der Universalität des Aufgabenkreises war deshalb festzuhalten. 36 Im gleichen Zusammenhang bejaht unser Autor die Notwendigkeit landkreislicher Kompetenz-Kompetenz. Doch sollten die Kreise verpflichtet sein, auf den Erhalt leistungsfähiger Gemeinden zu achten. Einen Mißbrauch der Kompetenz-Kompetenz wollte Jeserich dadurch verhindern, daß er die Hoheitsaufgabenübertragung auf den Landkreis von einer Zustimmung der Aufsichtsbehörde abhängig machte. 37 Die Genehmigung hätte seinen Vorgaben entsprechend versagt werden müssen, wenn die ökonomische und politische Kraft der Gemeinden eine Aufgabenerfüllung im volksnächsten Bereich weiter zuließ. Wirtschafts- und verwaltungspolitische Erwägungen sind für Jeserich auch in der Frage der Kreisgebietsreform entscheidend. Eine grundsätzliche Neuordnung aller Landkreisbezirke schwebte dem Gemeindetagpräsidenten allerdings nicht vor. Nur soweit Größe und Bevölkerungsdichte des Kreises die ordnungsgemäße

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Jeserich, S. 59 (These 4). Dies folgt aus dem von Jeserich, S. 62, unter These 8 Gesagten. Jeserich, S. 63 (These 8). Zu diesem Begriff siehe schon oben C I. Jeserich, S. 62 (These 8). Jeserich, S. 63 (These 9). vgl. nur Thesen 2, 4 und 9 Jeserichs, S. 59, 63. Jeserich, S. 64 (These 10). Jeserich, S. 61 f. (These 7).

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C. Kreisreformplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

Erledigung von Kreisangelegenheiten nicht mehr gewährleisteten, sollten nämlich Gebietsreformmaßnahmen erfolgen. 38 Zur Problematik der sogenannten "Auskreisung" von Städten 39 bemerkte der Gemeindetagspräsident, daß eine solche zwar nicht generell zu verhindern sei, aber eingeschränkt werden müsse. Die Auskreisung habe zu unterbleiben, falls hierdurch die Verwaltungskraft des Landkreises gefährdet würde. 4O Eingemeindungswünschen von seiten der Großstädte stand leserich ebenfalls negativ gegenüber. Dies überrascht indes nicht weiter, wenn man bedenkt, daß die an der Stadtperipherie liegenden Gemeinden häufig zugleich die wirtschaftsstärksten des gesamten Landkreises sind. Dem Drang der Städte nach Ausdehnung sollte unserem Autor zufolge denn auch lediglich durch die Bildung von Zweckverbänden und Arbeitsgemeinschaften mit landkreisangehörigen Kommunen Rechnung getragen werden. 41 Neben dem Landrat waren nach leserichs Konzeption noch drei weitere Kreisorgane 42 vorgesehen. Zwei davon hatten mitgliedschaftlichen Charakter: Sie wurden als engerer sowie weiterer Kreisrat bezeichnet. 43 Die Funktion der Kreisräte erschöpfte sich im wesentlichen in einer Beratung des Landrats. Dabei sollten laufende Angelegenheiten mit den engeren (sechs Personen umfassenden) Kreisrat durchgesprochen werden. Der weitere Kreisrat sollte hingegen nur etwa zweimal jährlich zusammentreten, und zwar zur "Entgegennahme der Haushaltsrede"44 bzw. des Rechenschaftsberichts des Landrats. Was die Besetzung der Kreisratsposten anging, schlug leserich vor, insoweit "alle im Kreis irgendwie bedeutsamen Kräfte" zu berücksichtigen. 45 Dem engeren Kreisrat hätten schließlich über die bereits genannten Aufgaben hinaus sämtliche Zuständigkeiten oblegen, welche auf kommunaler Ebene den Gemeinderäten zugewiesen waren. 46 Ein kreiskommunales Satzungsrecht rundete leserichs Organisationsreformplanung ab. 47 Bislang offengeblieben war die Frage, wie sich der Gemeindetagspräsident die Einbindung der NSDAP in den ländlichen Verwaltungsapparat vorstellte. Hierzu jetzt: Jeserich, S. 60 (These 5). Damit ist die Herauslösung von Städten aus Landkreisen unter gleichzeitiger Bildung eines Stadtkreises gemeint. 40 Jeserich, S. 61 (These 6). 41 Jeserich, S. 61. 42 Nämlich engerer und weiterer Rat (dazu sogleich) sowie der "Beauftragte der NSDAP". 43 Vgl. Jeserich, S. 63 (These 9) und S. 64 (fünfte Zeile von oben - zu These 9). 44 In seiner Haushaltsrede hätte der Landrat Jeserich zufolge die Grundzüge der künftigen Kreispolistik darlegen müssen. 45 Jeserich, S. 64 (These 9). 46 Jeserich, S. 64 (zu These 9). 47 Jeserich, S. 59 (These 1). 38

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11. Kreisrefonnvorstellungen in Literatur und kommunalen Interessenverbänden 311 Es sollte auch auf Kreisebene die Institution eines "Beauftragten der NSDAP" geschaffen werden. 48 Seine Aufgabe hätte ganz ähnlich der Rechtslage in den Gemeinden darin bestanden,maßgebliche Aspekte der Menschenführung in die Behördenarbeit einzubringen. Im einzelnen wollte Jeserich dem Parteibeauftragten die Befugnisse zugestehen, bei der Ernennung des Landrats "mitzuwirken", 49 mit Zustimmung desselben die Mitglieder des "weiteren Kreisrates" zu berufen und zu der geplanten Bestellung der Mitglieder des engeren Kreisrats 50 eine politische Stellungnahme abzugeben. 51 Darüber hinaus sollten die NSDAP-Organe sämtliche Rechte besitzen, die ihnen im kommunalen Bereich von der DGO eingeräumt worden waren. 52 Der Gemeindetagspräsident regte ferner an, dem Kreisleiter kraft seines Amtes Sitz und Stimme im engeren Beratergremium zu gewähren. Hierin hätten sich die NSDAP-Einwirkungsmöglichkeiten auf die Kreisverwaltung aber schon erschöpft. Keinesfalls zutreffend erscheint deshalb die Diktion, die Partei würde aufgrund vorstehender Regelungen "maßgebenden Einfluß" im innerstaatlichen Kompetenzgefüge erlangt haben. 53 Zwar läßt sich nicht verhehlen, daß "die Bewegung" ohne entsprechende Nonnierungen fonnalrechtlich überhaupt keine Beteiligungsrechte geltend machen konnte. Doch wäre es ihr im Falle der Verwirklichung von Jeserichs Vorstellungen nicht viel anders gegangen: Außerhalb von Ernennungsfragen wäre die Kreisverwaltung weitgehend parteiunabhängig geblieben. Nicht ohne Grund hatten ja führende NSDAP-Funktionäre nach Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung versucht, den Einflußbereich des Parteibeauftragten contra lege auszudehnen. Wenn Jeserich also die NSDAPRechte im Verhältnis zur DGO nicht erweitern wollte, ist er den Anhängern einer strikten Trennung von Partei- und Staatsapparat zuzurechnen. Seine geistige Nähe zur Reichsinnenverwaltung konnte der Gemeindetagspräsident nicht verleugnen. Auffällig ist weiterhin, daß die vorliegende Konzeption keine Stellungnahme zu den geplanten Reichsaufsichtsrechten über die Kreisbehörden enthält. Daraus darf jedoch m. E. nicht der Schluß gezogen werden, daß z. B. in Selbstverwaltungsangelegenheiten ausschließlich Rechtmäßigkeitskontrolle stattfinden sollte. Da Jeserich mehrmals auf die DGO hinwies, um einen Ansatz zu verdeutlichen,

leserich, S. 65 (These 12). Offenbar schwebte Jeserich dazu ein der Bürgenneisterauswahl ähnliches Verfahren vor (es bestehen nämlich deutliche Parallelen zu der Regelung der §§ 41 ff. DGO). 50 Emennungsbehörde insoweit sollten die (preußischen?) Regierungspräsidenten sein, vgl. leserich, S. 65. 51 leserich, S. 65 (These 12). 52 Als da waren: Zustimmung zur Hauptsatzung, Verleihung von Ehrenrechten etc.; vgl. § 33 DGO. 53 Diese Ansicht vertrat indes leserich in seiner Denkschrift ,,zur Refonn der Landkreisverwaltung": S. 65 (Einleitung von These 12). 48

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C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

muß vielmehr angenommen werden, daß auch insoweit die gemeindeverfassungsrechtlichen Regeln Anwendung gefunden hätten. 54 Nach allem kann daher festgestellt werden: Jeserich hat die gemeindebezogenen Organisationsreformüberlegungen mehr oder weniger unverändert auf die Kreisinstanz übertragen. Ob er sich diesbezüglich in der guten Gesellschaft des Ministeriums Frick befand, soll nunmehr geklärt werden.

III. Kreisreformüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung Erste konkrete Kreisreformpläne des Reichsinnenministeriums datieren vom April 1937. Damals war der Entwurf einer Deutschen Kreisordnung ausgearbeitet worden,55 welcher der Reichsregierung bei der Festlegung der künftigen ländlichen Verwaltungs strukturen als Diskussionsgrundlage dienen sollte. Vorbehalte gegen den augenscheinlich am Vorbild der Deutschen Gemeindeordnung 56 orientierten Kreisordnungsentwurf waren insbesondere von seiten der Partei führung zu erwarten. Seit 1935 hatte die NSDAP nämlich immer wieder eine Vergrößerung ihres kommunalpolitischen Einflusses verlangt. 57 Über HeB, der Mitglied der Reichsregierung war, erhielt die Partei schon frühzeitig Kenntnis von den Gedankengängen der Innenverwaltung. Anstelle eigene Reformgesetze auszuarbeiten, beschränkte man sich aber auf kritische Stellungnahmen zu dem Vorhandenen. Der besseren Übersichtlichkeit halber seien deshalb behördliche und parteiamtliche Vorstellungen im Verbund dargestellt. 1. Der Kreisordnungsentwurf vom 10.4.1937

Regelungsgegenstand des ministeriellen Kreisordnungsentwurfs vom 10.4. 1937 sind sowohl Gliederungs- als auch Verwaltungsorganisationsfragen. In territorialer Hinsicht enthält § 3 I den Programmsatz, die Landkreise müßten so groB sein, daß sie ihre Aufgaben in volksnaher Verwaltung innerhalb des Reiches möglichst gleichmäßig erfüllen könnten. Die Norm läßt also Gebietsreformmaßnahmen auf Kreisebene ausdrücklich zu. Doch sollten offenbar nur ,,zwergkreise" mit nicht leistungsfähiger Verwaltung aufgehoben werden (entsprechende Gedanken fanden sich schon bei Jeserich!). 54 55 56 57

Zu diesen siehe oben A II 7. In: Bundesarchiv, Akte R 43 II/703 a, Blatt 15 ff. Dazu siehe sogleich ausführlicher. Vgl. oben A II 7.

III. Kreisreformüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 313

§ 3 III hätte überdies die "Auskreisung" von Städten erheblich erschwert. Deren Zulässigkeit wurde daran geknüpft, daß die Fähigkeit des Landkreises zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht ernstlich beeinträchtigt 58 wird und daß das öffentliche Wohl "auch sonst" nicht entgegensteht. Umgekehrt eröffnete § 3 IV des Gesetzes die Möglichkeit, wirtschaftlich nicht leistungsfähige Stadtkreise zwecks Erhöhung der Verwaltungseffizienz Landkreisen einzugliedern.

Der innere Aufbau der Landkreise unterlag nach dem Kreisordnungsentwurf folgenden Grundsätzen: Die Landkreise waren als staatliche Verwaltungsbezirke und Selbstverwaltungskörperschaften konzipiert, sollten also wie nach dem späteren Ostmarkgesetz auch eigene Hoheitsaufgaben erfüllen. Welche Aufgaben in Selbstverwaltung ausgeführt werden sollten, ließ die Kreisordnung allerdings offen. An der Spitze beider Verwaltungszweige hätte gemäß § 4 der Landrat gestanden. Ob staatliche und Selbstverwaltungsaufgaben in derselben oder in organisatorisch nur an der Spitze verbundenen, im übrigen aber getrennten Behörden erledigt werden sollten, ist nicht ganz klar. Die Fassung des § 4 spricht indes für letzteres. Unter der Leitung des Landrats wäre, wie sich aus § 5 IV des Gesetzentwurfs ergibt, im Bereich der staatlichen Verwaltung eine zentrale Kreisbehörde mit relativ weitreichenden Zuständigkeiten geschaffen worden. Nach Maßgabe des § 6 I hätten weiterhin einige Verwaltungszweige, die bis dahin den Reichssonderverwaltungen zugeordnet waren, in die Zentralbehörde der allgemeinen Staatsverwaltung integriert werden müssen. 59 Aufgrund dessen wäre es zu einer deutlichen Vereinfachung des Behördenaufbaus gekommen. Aber nicht nur das: Die Landräte hätten auch "führer"ähnliche Positionen erlangt. Man darf sich von der Tragweite vorstehend genannter Regelungen jedoch nicht blenden lassen. Verglichen mit den Statthaltern der Ostmarkgaue etwa hätten die Landräte nämlich erheblich weniger Befugnisse besessen. Das zeigt schon der Blick auf die Sonderverwaltungen, von denen die meisten offenbar fortbestehen sollten. 60 Vermutlich haben negative Erfahrungen der Reichsinnenverwaltung mit den "Gauführern" im Altreich 61. dazu beigetragen, daß den Land58 Anders als bei Jeserich wurde also noch nicht einmal eine ernsthafte Gefährdung der landkreis lichen Leistungsfähigkeit verlangt ("Beeinträchtigung" setzt gegenüber "Gefährdung" früher ein). 59 Vgl. dazu Schreiben Reichsinnenministers Frick an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 1. 7.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/703 a, Blatt 2 ff., 3 R. 60 Vgl. vor allem § 6 II des Gesetzentwurfs. Danach sollten die Landräte den Sonderbehörden (mit Ausnahme von Bahn-, Post-, Finanz- und Justizverwaltung) zwar Weisungen erteilen können. Anders als etwa in der Ostmark erfolgte aber keine Ein- und "An"gliederung derselben an die örtliche Zentralbehörde. 61 Siehe oben A II 5 d).

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C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

räten erst gar keine unantastbare Stellung eingeräumt werden sollte. Außerdem könnten Rücksichtnahmen auf andere Reichsministerien 62 Fricks Administration dazu bewogen haben, die Behördenstrukturen im Kreis nicht mehr als nötig zusammenzufassen. An der eher bescheidenen Ausgestaltung der landratlichen Befugnisse ändert auch der Umstand nichts mehr, daß die Landräte Dienstvorgesetzte ihrer nachgeordneten Beamten werden sollten. Als solche hätten sie zwar eigentlich das Recht haben müssen, alle Kreisbediensteten mit fachlichen und personellen Weisungen zu überziehen. Doch sah der Gesetzentwurf selbst insoweit Ausnahmen vor: Die Fachabteilungsleiter der Kreiszentralbehörde hätten, abgesehen von Eilfällen, ausschließlich Reichstatthaltern und Reichsministerien unterstanden. 63 Normierungen wie die vorstehende dürften von den Reichsfachverwaltungen maßgeblich beeinflußt worden sein, denn gerade dort war die Skepsis gegenüber den Zentralbehörden auf Gau-, Kreis- und Gemeindeebene am größten. 64 Der Trend ging also 1937 (vorübergehend)6S wieder dahin, die Reichszentrale zu Lasten der übrigen Verwaltungsinstanzen zu stärken. Was den Umfang der Aufsichtsrechte des Landrats gegenüber den nicht der Kreiszentralbehörde eingegliederten Reichssonderbehörden betrifft, so ist zu unterscheiden: Diejenigen Behörden, die zur allgemeinen Staatsverwaltung noch "in so nahen Beziehungen stehen, daß eine wenn auch zum Teil losere organisatorische Verbindung mit dem Landrat nicht entbehrt werden kann" (z. B. Bergbau, Forstverwaltung und Eichwesen), 66 hätten einem fachlichen und wohl auch dienstrechtlichen 67 Weisungsrecht der Landräte unterstanden, vgl. § 6 III des Gesetzentwurfes. Die Behörden der Wehrmachts-, Reichsfinanz-, Reichsjustiz- , Reichsbahn- und Reichspostverwaltung sollten hingegen Einwirkungsbefugnissen des Landrates überhaupt nicht unterworfen sein. Sie wären danach auf Kreisebene vollkommen eigenständig geblieben und hätten in direkter Beziehung zu Reichsstatthalter und Reich gestanden. 62 Viele Reichsfachverwaltungen wollten sich ja viellieber einen eigenen Behördenunterbau schaffen, als mit reichsgau- und kreis bezogenen Einheitsverwaltungen zu kommunizieren (siehe oben B III 4 b) ee).; 4 b) gg». 63 § 5 IV 2, V des Entwurfes. 64 Offiziell begründet wurde § 5 V allerdings damit, daß man die Fachabteilungsleiter nicht der persönlichen Schmach aussetzen wolle, Weisungen von lebens- und dienstaltersmäßig jüngeren Beamten (solche waren die Landräte häufig) zu erhalten! (Vgl. Schreiben Fricks an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 1. 7.1938, in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/703 a, Blatt 2 ff., 3 R). 6S Vgl. bereits oben A 11 7. (Verfassungsentwicklung nach Erlaß der DGO). 66 Vgl. Schreiben Fricks an Lammers vom 1.7.1938; Bundesarchiv, Akte R 43 11/ 703 a, Blatt 4. 67 Es wird in § 6 III nämlich nicht zwischen fachlicher und dienstrechtlicher Weisungsgewalt unterschieden.

III. Kreisrefonnüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 315 Trotz aller notwendigen Einschränkungen kann mithin festgestellt werden, daß merkbare Ansätze zur Realisierung der "Einheit der Verwaltung" in der Kreisinstanz durchaus vorhanden waren. Wiederum trübt ein Blick auf die Details jedoch das Gesamtbild: Es hätte Sonderverwaltungen gegeben, gegenüber denen die Landräte keinerlei Einwirkungsrechte gehabt hätten. Etwas später (1939) hingegen gewährte man den ostmärkischen Reichsstatthaltern unbeschränkte Weisungsgewalt selbst im Verhältnis zu den nicht eingegliederten Sonderbehörden. Der Kreisordnungsentwurf trägt deshalb die Züge eines Kompromißgesetzes; in vielen Einzelfragen bleibt er hinter den Idealen des nationalsozialistischen Führerstaats zurück. Weitgehend früheren administrativen Forderungen entspricht vornehmlich die nach dem Entwurf geplante Staatsaufsicht in Angelegenheiten der Kreisverwaltung. Im Bereich der Staatsverwaltung hätte, wie wir bereits sahen, direkte fachliche und dienstrechtliche Weisungshoheit der übergeordneten Verwaltungsbehörden über die Fachabteilungsleiter der Kreiszentralbehörde bestanden. Art und Umfang der Aufsicht über die übrigen Beamten dieser Behörde entbehren demgegenüber einer eindeutigen Regelung. Weil aber der Staat Dienstherr aller Beamten der allgemeinen Reichsverwaltung im Landkreis sein sollte 68 und außerdem die Landräte nicht zu obersten Dienstvorgesetzten derselben erklärt wurden, dürfte wohl auch diesbezüglich von Dienstaufsicht auszugehen sein. Anweisungen mußten insoweit allerdings an den Landrat als Behördenleiter erfolgen. Über die Selbstverwaltung der Landkreise hätte das Reich eine um die Kontrolle der Vereinbarkeit der Maßnahmen mit den Zielen der Staatsführung "erweiterte Rechtsaufsicht" besessen, vgl. §§ 7 S. 2. Abweichungen vom 1940 in der Ostmark verwirklichten Rechtszustand ergeben sich hieraus demnach nicht. 69 Zum vorgesehenen beamtenrechtlichen Status der Kreisorgane ist folgendes zu bemerken: Entsprechend § 5 1,11 des hier behandelten Gesetzentwurfs sollten die Beamten der Kreisstaatsverwaltung in ein Dienstverhältnis zum Reich 70 treten. Da die deutschen Länder nicht zu (weiteren) Dienstherren der Staatsbeamten erklärt wurden, muß angenommen werden, daß in diesem Rahmen unmittelbare Reichsverwaltung realisiert werden sollte. Die Selbstverwaltungskörperschaft des Landkreises wäre hingegen auch zur Anstellung eigener Beamter befugt gewesen (§ 5 11 2): ein durchaus dezentralistisches Element im Kreisordnungsentwurf! § 5 II des Gesetzentwurfes. Vgl. einerseits oben A II 8 a), andererseits unten C III 4. 70 § 5 I, II verwenden zwar den Begriff "Staat". Doch war einziger Staat im damaligen Deutschland das Reich. (Die Länder waren entstaatlicht worden!) 68

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C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

Im Bereich der Kreis-Selbstverwaltung war darüber hinaus noch die Einrichtung von Kreisräten vorgesehen, § 17 - 19. Wie auf unterer Verwaltungsebene den Gemeinderäten sollte ihnen ausschließlich beratende Funktion zukommen. In der für die Kommunen irrelevanten 71 Frage der Kompetenz-Kompetenz folgt der Kreisordnungsentwurf weitgehend Jeserichs Vorstellungen. § 9 I legte fest, daß die Landkreise "durch die Hauptsatzung Aufgaben der kreisangehörigen Gemeinden in ihre ausschließliche Zuständigkeit übernehmen" könnten, wenn deren "einheitliche Durchführung für das ganze Kreisgebiet oder für einen größeren Teil desselben erforderlich" ist oder wenn deren "zweckmäßige Durchführung durch die kreisangehörigen Gemeinden bei Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit nicht gewährleistet ist." § 10 des gleichen Gesetzes griff Jeserichs Überlegung auf, die kreisliche Inanspruchnahme gemeindlicher Selbstverwaltungsbefugnisse aufsichts behördlich kontrollieren zu lassen. Änderungen der Hauptsatzung des Landkreises (wie sie vor allem bei Inanspruchnahme der Kompetenz-Kompetenz stattfinden mußten 72) hätten nämlich einer oberbehördlichen Genehmigung bedurft.

Besondere Wichtigkeit besitzen auch die das Verhältnis von Partei und Staat betreffenden Regelungen des Kreisordnungsentwurfs. Sie geben ein beredtes Zeugnis ab vom damaligen Verhältnis beider Institutionen zueinander. Gemäß § 21 sollten - in Anlehnung an den Verfassungszustand der Gemeinden - NSDAP-Beauftragte bestellt werden, deren Aufgabe darin bestanden hätte, gemeinsam mit dem Landrat die Kreisräte zu berufen,73 Änderungen der Hauptsatzung zuzustimmen und Ehrenbezeichnungen zu verleihen. Eine Beteiligung des Partei beauftragten bei der Auswahl und Ernennung der Landräte war indes nicht ausdrücklich geregelt. Das Recht hierzu hätte sich aber aus § 22 des Entwurfes ergeben können, demzufolge die Vorschriften des Fünften Teils der DGO (das sind die dortigen §§ 32-59; die Auswahl der Bürgermeister normiert § 41 DGO!) für die landkreisliche Selbstverwaltung sinngemäß anwendbar sein sollten. Zusammenfassend betrachtet wären also die NSDAP-Befugnisse in Kreisen und Kommunen vollkommen gleich gewesen. Der ministerielle Kreisordnungsentwurf erteilte demnach allen Forderungen nach einer Erweiterung der Parteizuständigkeiten auf Kreis- und Gemeindeebene eine klare Absage. Insoweit war er als Kampfansage der Verwaltung an die Kreis- und Ortsgruppenleiter der NSDAP gedacht. 71 Irrelevant deshalb, weil es unterhalb der Gemeindeebene keine Selbstverwaltungsträger mehr gibt, deren Kompetenzen auf die Kommunen Übergeleitet werden könnten. 72 Vgl. den Wortlaut des § 9 I Kreisordnungsentwurf. 73 Zwischen beiden Staatsorganen mußte dem Nonnwortlaut zufolge insoweit ein "Einvernehmen" hergestellt werden.

III. Kreisrefonnüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 317 Weitgehende Übereinstimmung läßt sich indes zwischen der Reichsinnenverwaltung und Jeserich (bzw. dem Deutschen Gemeindetag) konstatieren. Bis auf den Vorschlag, zusätzlich zum engen einen "weiteren" Kreisrat zu schaffen, dürften sämtliche Überlegungen des Gemeindetagspräsidenten in die ministeriellen Kreisreformplanungen eingeflossen sein. Die Fronten waren damit abgesteckt (Innenministerium und Gemeindetag gegen NSDAP-Führung). Jetzt kam es nur noch auf das Votum Hitlers an ...

2. Der Fortgang der gesamtreichsbezogenen Kreisreformplanung

Bis dahin verging freilich eine gewisse Zeit. Erst mit Schreiben vom 1. Juli 1938 (!) bat Reichsinnenminister Frick den Chef der Reichskanzlei Lammers in dieser Sache um einen Vortragstermin bei Hitler. 74 Gleichzeitig skizzierte er nochmals die Grundgedanken der Reform. Sie hatten sich seit der Ausarbeitung des Kreisordnungsentwurfs nicht verändert, so daß folgende Stichworte genügen mögen: a) Landkreis als staatlicher Verwaltungsbezirk und Selbstverwaltungskörperschaft, b) Möglichste Integration von Kreissonderbehörden in die allgemeine Kreisverwaltung, (Das, so führte Frick aus, erfordere "zweifellos gewisse Opfer der Fachverwaltungen"), c) Stärkung der Stellung des Landrats zwecks Vermeidung jeder KompetenzKonkurrenz zwischen Partei und Staat. (Die Zuständigkeiten beider Organisationen sollten Frick zufolge "entsprechend dem bewährten Vorbild der Deutschen Gemeindeordnung" ausgestaltet werden. 75) Schließlich trug aber nicht der Reichsinnenminister, sondern Lammers dem "Führer" die ministeriellen Kreisreformüberlegungen vor. Am 13. Juli 1938 vermerkte der Reichskanzleichef dann, daß Hitler mit den Grundgedanken des beabsichtigten Gesetzes einverstanden war, allerdings noch die Anhörung Heß' wünschte. 76 Der Führerstellvertreter wurde daraufhin förmlich am Normierungs74 Schreiben Reichsinnenministers Frick an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 1. 7.1938 ("Grundgedanken zum Entwurf einer Deutschen Kreisordnung"), in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/703 a, Blatt 2 ff. 75 Schreiben Fricks an Lammers vom 1. 7.1938; Bundesarchiv, Akte R 43 II/703 a, Blatt 2 R. 76 Vennerk des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Lammers vom 13.7.1938; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/703 a, Blatt 6.

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C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

verfahren beteiligt,77 äußerte sich jedoch erst am 7. Januar 1939 eingehender. 78 (Wollte Heß' die Kreisreform verschleppen?) Grundsätzlich stimmte er den Gedankengängen Fricks damals zu. Indes behielt er sich eine Einzelkritik für die nachfolgenden Verhandlungen vor. Das dicke Ende kam bald. Als am 28. Juni 1939 endlich die lang geplante Ministerbesprechung zum Kreisordnungsentwurf stattfand,79 ließ Heß nämlich neue, weitergehende Forderungen bezüglich der Beteiligung der NSDAP an der Landkreisverwaltung vorlegen. 80 Den Kreisleitern sollte danach ein umfassendes Informationsrecht zugestanden werden: Auf Verlangen hätten ihnen Akten der staatlichen Verwaltung jederzeit zugesandt werden müssen. Weiterhin verlangte Heß, daß die Landräte die Kreisleiter von sich aus "über alle Vorgänge und Pläne von politische Bedeutung", insbesondere über Vorhaben des Straßen-, Siedlungs-, Kasernen- und des Schulbaues unterrichten müßten, und zwar so frühzeitig, daß sich jene dazu äußern und bei Meinungsverschiedenheiten noch rechtzeitig mit den Gauleitern in Verbindung setzen könnten. Deshalb äußerte der Führerstellvertreter konzeptionelle Bedenken gegen die Weiterverfolgung des innenministeriellen Kreisordnungsentwurfes. Die Forderungen der Parteileitung belegen, daß man dort nicht länger gewillt war, eine grundsätzliche Ausschaltung der örtlichen NSDAP-Repräsentanten von der Verwaltungsführung hinzunehmen. Augenscheinlich sollte die Partei auf Kreisebene gar nicht erst in eine so ungünstige Position wie in den Gemeinden gelangen. Viel schwerer als eine Blockade mußten nämlich Versuche zur Revision bereits bestehender Regelungen sein. Das wußte Heß aus leidvoller Erfahrung mit den die Parteibeauftragten betreffenden DGO-Normen. 81 Dem Führerstellvertreter ging es also darum, den Kreisleitern ein gesetzlich sanktioniertes Kontroll- und Aufsichtsrecht den Landräten gegenüber einzuräumen. Um dieses Ziel zu erreichen, nahm er augenscheinlich sogar das Scheitern der Gesamtreform in Kauf. Anders sind seine Maximalforderungen in der Ministerbesprechung vom Juni 1939 nicht zu bewerten. Sie gipfelten schließlich drin, daß Heß ein politisches Weisungsrecht der Kreisleiter bezogen auf die Landräte verlangte. Derartiges konnte von der Reichsinnenverwaltung natürlich nicht akzeptiert werden. Eine Einigung über die künftige "Deutsche Kreisordnung" kam deshalb 77 Lammers sandte ihm am 21. Juli 1938 die benötigten Unterlagen zu (vgl. entsprechenden Vennerk in Bundesarchiv, Akte R 43 11/703 a, Blatt 8). 78 Stellungnahme HeB' zur Kreisrefonn im Schreiben vom 7.1.1939 an den Chef der Reichskanzlei Lammers; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/703 a, Blatt 18 f. 79 Aufzeichnung Reichsminister Lammers' über die Besprechung vom 28.6.1939 in: Bundesarchiv, Akte 43 11/703 a, Blatt 27 ff. 80 Vgl. Aufzeichnung vom 28.6.1939; Bundesarchiv, a.a.O., Blatt 27, 27 R. 81 Dazu siehe oben A 11 7. am Ende.

III. Kreisrefonnüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 319 nicht mehr zustande. Genutzt hätte am Ende nur ein Machtwort Hitlers. Der "Führer" aber griff in die Debatte zu keiner Zeit ein. Daß sich Hitler indes keineswegs die Überlegungen des Führerstellvertreters zu eigen machte, zeigt die am 28. Dezember 1939 erlassene "Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen". 82 Abgesehen von dem den Kreislei tern eingeräumten bedeutungslosen Recht, den Landräten Anregungen zu geben, wurde damals nämlich der bestehende Rechtszustand beibehalten. Im Gegenteil, man hielt am Primat des Staates fest: "Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung aller Aufgaben der staatlichen Verwaltung trägt im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeiten ausschließlich der Landrat". 83

3. Planungen zur Neuorganisation der Landkreisverwaltung in der Ostmark / im Sudetenland Abweichend zur Rechtslage im Altreich hat ostmark- und sudetengaubezogen eine relativ umfassende Neugestaltung der Landkreisverwaltung stattgefunden. Ostmark- und Sudetengaugesetz boten den Aufhänger hierfür. Soweit manche wichtige Frage in jenen Gesetzen ungeregelt blieb (etwa die Frage des Verhältnisses Partei - Staat 84 ), dürften die schon konstatierten Meinungsverschiedenheiten der Staatsorgane 85 daran Schuld gewesen sein. Strittige Fragen wurden offenbar ausgeklammert, um das Gesamtwerk zu retten. "Evolutionäre Entwicklungen" mußten so Probleme lösen, die normativ nicht geregelt werden konnten. Besonders deutlich wird das Auf und Ab der Kreisreformvorstellungen in den Vorentwürfen zum Ostmarkgesetz. Drei von ihnen 86 sollen nachstehend ausgewertet werden.

a) Der Entwurf Bürckels für ein Gesetz über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung In dem Entwurf 87 wird unterschieden zwischen Selbstverwaltung, allgemeiner Staatsverwaltung und Reichssonderverwaltung (§ 18). Selbstverwaltung und allgemeine Staatsverwaltung sollten in einer dem Landrat unterstehenden Zentralbehörde zusammengefaßt, dort jedoch in verschie-

In: RGBI. 1940, Teil I, S. 45. II (I) der Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen. 84 Dazu ausführlicher unten C III 4. 85 Siehe soeben C III 2. 86 Der Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung und vorläufige Verwaltung des Landes Österreich (oben B IV I b) aa» enthält keine spezifisch landkreisbezogenen Regelungen. 87 In: Bundesarchiv, Akte R 43 II/I353 a, Blatt 4 ff. 82

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C. Kreisreformplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

denen Abteilungen bearbeitet werden (§§ 20,22 I, 25 III). Dieser Behörde eingegliedert werden sollten anders als in der Gauinstanz auch sämtliche Reichssonderverwaltungen, allerdings mit Ausnahme der eigenständig bleibenden Behörden der Wehrmacht, der Reichspost, der Reichsbahn und der Reichsfinanzverwaltung. Zu einer so weitgehenden organisationsrechtlichen Selbständigkeit des größten Teils der Sonderbehörden wie nach der Deutschen Kreisordnung wäre es danach nicht gekommen. Über die Angehörigen der allgemeinen Kreisbehörde hätte der Landrat volle Dienstaufsicht besessen. Hingegen sollten ihm den nicht eingegliederten Reichssonderverwaltungen gegenüber keine Weisungsbefugnisse zustehen. Der Landrat seinerseits wäre in Angelegenheiten der allgemeinen Staatsverwaltung und der eingegliederten Reichssonderbehörden der Dienst- und Fachaufsicht der Reichsstatthalter unterstellt gewesen (§ 20 S. 1). Bei der Selbstverwaltung erstreckte sich die staatliche, vom Reichsstatthalter auszuübende Aufsicht (§ 22 III) über den Landrat wohl nicht allein auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandeins. 88 Die Beamten der in der beim Landrat zu schaffenden Zentralbehörde, soweit sie nicht Selbstverwaltungsaufgaben zu erfüllen hatten, sollten unmittelbare Reichsbeamte sein (§ 25 11). Die anderen Beamten der Zentralbehörde hätten als Kreisbeamte angestellt werden können. Der Entwurf sah ferner die Schaffung von Kreisräten als Berater des Landrates vor, wie dies später im Ostmark- bzw. Sudetengausetz festgeschrieben worden ist. Bis hierhin war Bürckels Kodifikation also wenig spektakulär. Gleichartige Überlegungen fanden sich auch in der "Deutschen Kreisordnung" des Reichsinnenministeriums. 89 Eine auf den ersten Blick kaum ins Auge fallende Neuerung stellte indes Bürckels Vorschlag dar, das Verhältnis Partei - Staat auf Landkreisebene dergestalt zu regeln, daß der Landrat in allen wichtigen Fragen der Menschenführung Einvernehmen mit dem NSDAP-Kreisleiter herbeizuführen habe. Das konnte bedeuten, daß dem Kreisleiter eine Art politisches Weisungsrecht über den Landrat eingeräumt werden sollte. Jedenfalls aber wäre in vielen beamtenrechtlichen Problemfeldern nichts mehr ohne den Vertreter der Parteiinteressen gegangen.

88 Von Bürckel geplant war vermutlich auch insoweit eine ,,Erweiterung" der Rechtsaufsicht um die Prüfung der Vereinbarkeit mit den Staatszielen. Vgl. die zeitlich früheren Schriften des Reichskommisars oben B IV I b) bb) (dortige Fußnote 758) und B III 4 c) cc). 89 Eine Einschränkung ist allerdings insoweit zu machen, als Bürckels Entwurf im Vergleich zu der geplanten Kreisordnung eine stärkere Vereinheitlichung des Kreisbehördenaufbaues gebracht hätte (Eingliederung einer größeren Zahl von Sonderbehörden in die allgemeine Landkreisverwaltung).

III. Kreisrefonnüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 321 Von seiten der Innenverwaltung wurde diese Gefahr anfangs offenbar gar nicht erkannt, denn noch der ministerielle Ostmarkgesetzentwurf vom August 1938 enthielt eine entsprechende Normierung. 90

b) Der Entwurf des Reichsinnenministeriums für ein Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in Österreich vom August 1938 Nicht nur insofern finden sich allerdings Parallelen zwischen Reichsadministration und ostmärkischer Partikulargewalt. Im Gegenteil bestätigte das unter Fricks Regie erarbeitete "Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in Österreich" Bürkkels Konzept weitgehend, insoweit sei deshalb auf die Ausführungen bei C III 3 a) Bezug genommen. Anders als bei dem Reichskommissar für die Wiedereingliederung war lediglich vorgesehen, einen Teil der kreiszugehörigen Reichssonderverwaltungen (mit Ausnahme der selbständig bleibenden Behörden der Wehrmacht, der Justiz, der Reichspost, der Reichsbahn und der Reichsfinanzverwaltung) der landratlichen Zentralbehörde nicht ein-, sondern nur anzugliedern. Das hätte für die angegliederten Sonderverwaltungen jedoch allein organisatorische (nicht weisungsrechtliche) Folgen gehabt.

c) Der Entwurf zu einem Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark vom 12.10.1938 In der Folgezeit dürfte ein klarer administrativer Umdenkprozeß stattgefunden haben. Dem Entwurf vom 12. 10. 1938 fehlt nämlich die Regelung über das oben genannte Beteiligungsrecht der Kreisleiter bereits wieder. Doch auch die jetzige "Lösung", Nichtnormierung der Kreisleiterbefugnisse, nutzte mehr der Partei als dem Staat: Der NSDAP waren ja alle Wege offengehalten worden, sich im Laufe "evolutionärer Entwicklung" weitreichende Einflußmöglichkeiten auf die Landkreisverwaltung zu sichern. 91 Nur nominell blieb die P.O. somit von jeglicher kreiskommunaler Verwaltungsführung ausgeschlossen. 92 Ansonsten gleicht der hier behandelte Entwurf einmal mehr praktisch demjenigen Bürckels. Siehe also oben unter C I 3 a. Nämlich in § 17. Dazu siehe chon oben C III vor 1. 92 Gegen die Annahme, das Ostmarkgesetz und seine letzten Vorentwürfe hätten die NSDAP von jeglicher Mitwirkung in Angelegenheiten der staatlichen Verwaltung ausschließen zu wollen, spricht im übrigen, daß selbst der grundsätzlich etatistische Kreisordnungsentwurf von 1937 (der noch 1939 in unveränderter Fonn diskutiert wurde) derartige Beteiligungsrechte vorsah (obeq C II 1.). 90 91

21 Bachnick

322

C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

Hinzuweisen ist jedoch noch darauf, daß der Kreis der Sonderbehörden, auf die der Landrat keinen Einfluß hätte ausüben können, um die Reichsforst-, Reichswasserstraßen- und Reichsarbeitsverwaltung erweitert werden sollte. Die übrigen Reichssonderadministrationen sollten demgegenüber der zentralen Kreisbehörde vollkommen eingegliedert werden. Ferner wurde dem Reichsinnenminister das Recht eingeräumt, weitere Sonderverwaltungen landratlicher Administration zu unterstellen.

4. Der verwirklichte Rechtszustand in den Landkreisen der Ostmark / im Sudetenland

Aufgrund des im Vorfeld der Ostmarkgesetzgebung von NSDAP und Innenministerium gefundenen "Kompromisses" zur Stellung der Partei auf Landkreisebene 93 gelang es schließlich, die österreichischen und sudetenländischen Kreisstrukturen wenigstens ansatzweise zu reformieren. Entsprechende Regelungen finden sich im Ostmark- und im Sudetengaugesetz. Wegen der diesbezüglichen Rechtsgleichheit beider Kodifikationen sei allein der Verfassungszustand der Ostmark dargestellt. Nach § 9 11 des Ostmarkgesetzes besaßen die österreichischen Landkreise den Charakter von staatlichen Verwaltungsbezirken und Selbstverwaltungskörperschaften. Sie führten danach sowohl staatliche Hoheitsaufgaben als auch ihnen als eigene übertragene Aufgaben aus. Über den Umfang der den Landkreisen gewährten Selbstverwaltung finden sich in dem Gesetz ebensowenig Anhaltspunkte wie für die innere Behördenorganisation: Es bedurfte insofern noch weitere Regelungen, etwa im Verordnungswege. 94 Die Spitze der Landkreisverwaltung bildete gemäß § 9 III der Landrat; bei ihm sollten staatliche und Selbstverwaltung zusammenlaufen. Die Stadtkreise, allein als Selbstverwaltungskörperschaften ausgestaltet, wurden demgegenüber von einem Oberbürgermeister geleitet. Danach kam es in der Hand der Landräte zur Realisierung einer zentralen Kreisbehörde; allerdings blieb offen, ob Selbstund Staatsverwaltung in unterschiedlichen, nur in der Person des Leiters verknüpften, Behörden oder durch die Beamten der staatlichen Verwaltung im Kreis mit erledigt werden sollten. Die staatliche Verwaltung auf Kreisebene war weiterhin in allgemeine Staatsund Reichssonderverwaltung unterteilt. Während die Aufgaben der allgemeinen Staatsverwaltung in der Zentralbehörde des Landrats ausgeübt wurden, blieben die Zweige der Reichssonderverwaltung dieser Behörde verschlossen. Es fand 93 Dieser lautete, wie wir unter C III 3 c) feststellten, ja: Offenlassen der NSDAPBefugnisse! 94 Dazu siehe Genaueres sogleich unter C III 4 am Ende.

III. Kreisrefonnüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 323 also in den Kreisen, anders als in den Reichsgauen, weder eine An- noch eine Eingliederung der Reichssonderbehörden statt. Jene, organisatorisch selbständig, unterstanden außerdem direkt der Aufsicht des Reichsstatthalters bzw. der obersten Reichsbehörden. Eine Regelung, durch die den Landräten Weisungsgewalt über die Reichssonderverwaltungen auf Kreisebene eingeräumt worden wäre, fehlt nämlich im Ostmarkgesetz. Folge war, daß die Position der Landräte schwächer gewesen ist als die der Reichsstatthalter. Von einer Einheit der Verwaltung in den Kreisen konnte nach dieser Regelung noch keine Rede sein, zumal der Reichsinnenminister nicht verpflichtet war, Befugnisse bisheriger Sonderbehörden auf den Landrat zu übertragen, § 10 11 Ostmarkgesetz. Was die Aufsichtsbefugnisse des Landrats über Selbst- und allgemeine Staatsverwaltung im Kreis anbelangt, trifft das Ostmarkgesetz hierüber keine ausdrückliche Regelung. Aus der Tatsache, daß der Landrat Leiter der diesbezüglichen Kreisbehörden gewesen ist, folgt aber, daß insofern Dienstaufsicht bestand. Die Staatsaufsicht im Bereich der staatlichen Verwaltung blieb ebenso ungeregelt. Es kann nur aufgrund der Struktur des Gesetzes vermutet werden, daß Reichsstatthaltern und obersten Reichsbehörden fachliche und personelle Weisungsgewalt zustehen sollte. Ob demgegenüber § 2 Ostmarkgesetz auf die Landkreise entsprechend anwendbar sein konnte, ist zweifelhaft, denn er befindet sich in einem anderen Gliederungsabschnitt des Gesetzes. Indes spricht die genannte Norm von "öffentlich-rechtlichen Körperschaften innerhalb des Reichsgaues". In bezug auf die Staatsaufsicht in Se1bstverwaltungsangelegenheiten konnte das Schweigen des Gesetzgebers nur in der Weise verstanden werden, daß eine "erweiterte" Rechtmäßigkeitskontrolle stattfinden sollte. Nichts anders ja war auch für die Reichsgaue geplant. 95 Allerdings begründete der Führereriaß vom 28.8.1939 (siehe oben A 11 9.) dann später unbeschränkte fachliche und dienstrechtliche Weisungsgewalt insoweit. Zu Aufsichtsbehörden wurden durch § 12 IV des Ostmarkgesetzes Reichsstatthalter und Reichsminister erklärt. Weiterhin war in § 12 des Ostmarkgesetzes die Bildung von Kreisräten als den Landrat beratenden Organen vorgesehen, wobei deren Anrufung allerdings in das Ermessen der Landräte gestellt war. Das Verhältnis von Partei und Staat blieb unnormiert. Es bewahrheitet sich folglich, war wir schon bei anderer Gelegenheit feststellten: Wesentliche Fragen der Landkreisverwaltung sind keiner normativen Regelung zugeführt worden. 95

21*

Siehe oben A 11 8 a).

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C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

Auch die Durchsetzung der nationalsozialistischen Verfassungsprinzipien erfolgte zunächst nur ansatzweise. Diesbezüglich sei etwa auf die insgesamt unbefriedigende rechtliche Ausgestaltung des Landratsamtes hingewiesen. Von einem Abschluß der Reform kann deshalb selbst für die ostmärkischen und sudetenländischen Gebiete nicht gesprochen werden. Doch näherte man sich diesem Ziel ab 1939 mehr und mehr an. In einem innenministeriellen Runderlaß vom 11. März 1940 96 wurden nämlich konkrete Bestimmungen über die Selbstverwaltungsaufgaben der Landkreise und über die kreisliche Kompetenz-Kompetenz getroffen. Zu Selbstverwaltungsaufgaben erklärte der Erlaß die allgemeine Kreisverwaltung, das Bauwesen, das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen, die Kulturpflege, die öffentlichen Einrichtungen und die Angelegenheiten der örtlichen Wirtschaft. Dabei sollten sich die ostmärkischen Kreise vor allem um Fragen des Hochbaues, der Planung und Bauberatung, des gewerblichen und ländlichen Berufsschulwesens, des Krankenhausbaues und der Förderung der Wirtschaftsstruktur kümmern. 97 Die landkreisliche Kompetenz-Kompetenz wurde entsprechend den Vorgaben der geplanten Deutschen Kreisordnung ausgestaltet. Alle gemeindlichen Selbstverwaltungsbefugnisse, die die Leistungsfähigkeit der Kommunen überstiegen oder deren einheitliche Durchführung für das Gesamtkreisgebiet (bzw. Teile davon) zweckmäßig erschien, sollten von den Kreisen in Eigenregie übernommen werden können. Fricks Kreisreformvorstellungen hatten sich also seit 1937 praktisch nicht verändert.

s. Tendenzen zur Schaffung einer Einheitskreisverwaltung in den Ostgauen Der Rechtszustand in den Landkreisen Danzig -Westpreußens und des Warthelandes war zunächst dadurch gekennzeichnet, daß auch dort das Sudetengaugesetz galt. 98 Abweichend vom Sudetengaugesetz erfolgte aber eine weitgehende Intergration der Reichssonderverwaltungen in die Kreiszentralbehörde. § 3 11 3 des Führererlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete bestimmte insoweit 96 Runderlaß des Reichsinnenministers vom 11. März 1940 betreffend Aufbau der Landkreise als Selbstverwaltungskörperschaften in der Ostmark; in Landesarchiv ßerlin, Akte Kreisordnung des Deutschen Gemeindetages (Signatur: Rep. 142, DGT Nr. 1-15-2). 97 Vg!. Rundschreiben vom 11. 3.1940, siehe vorherige Fußnote 96. 98 Vg!. § 3 I des Führererlasses über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete RGß!. 1939, Teil I, S. 2042.

III. Kreisrefonnüberlegungen der obersten Reichsbehörden und der Parteileitung 325 kathegorisch: Sonderverwaltungen der Kreisstufe sind bis auf weiteres dem Landrat unterstellt. 99 Hieraus eine Änderung der administrativen Reformkonzeption zu entnehmen, wäre indes fehlsam. Wie wir bereits gesehen haben, beabsichtigte das Reichsinnenministerium ja, die besonders straffen Organisationsstrukturen der Ostgaue später wieder aufzuweichen. 100 Nur während der Zeit des "Volkstumskampfes" sollte die Verwaltung klar zentralistisch gegliedert bleiben. Der Krieg oder Hitlers Desinteresse werden jedoch dazu beigetragen haben, daß es zu entsprechenden Umbaumaßnahmen nicht mehr gekommen ist. 101 Im Gegenteil: Im Reichsgau Wartheland wurden den Landräten 1940 sogar das Schul-, Gesundheits-, Veterinär- und Katasterwesen ausdrücklich unterstellt. 102

6. Die lothringische Kreisordnung von 1941

Schließlich sei noch die 1941 erlassene Kreisordnung für Lothringen erwähnt. 103 Sie ist aus dem Grunde von Interesse, weil hier erstmals das KreisleiterLandrat-Verhältnis einer normativen Regelung zugeführt werden konnte. Gemäß § 3 der Kodifikation sollte danach der Landrat alle Fragen von politischer Bedeutung im Einvernehmen mit dem Kreisleiter lösen müssen. Bei mangelndem Einvernehmen war allerdings der Chef der Zivilverwaltung anzurufen. Somit gelang es der Administration, ihr Primat in Exekutivangelegenheiten zu wahren. Zwar hatte sie der Partei grundsätzlich ein politisches Weisungsrecht zugestehen müssen, doch kam die letzte Entscheidung einem Verwaltungsbeamten (dem Chef der Zivilverwaltung nämlich!) zu. Sämtliche anderen Normierungen stimmten mit denjenigen der Deutschen Kreisordnung bzw. des Ostmarkgesetzes überein. Die lothringischen Landkreise waren staatliche Verwaltungsbezirke und Selbstverwaltungskörperschaften (die Stadtkreise nur Selbstverwaltungskörperschaften). 104 Der Landrat führt die gesamte staatliche Verwaltung auf Kreisebene, mit Ausnahme der lustiz-, Finanz-, Bahn-, Post-, Wasserstraßen-, Berg-, Arbeits- und Gewerbeaufsichtsverwaltung. 105 Für den Bereich der Selbstverwaltung standen ihm Kreisräte zur Seite, ROB!. 1939, Teil I, S. 2042. Oben B IV 2. 101 Auch dazu siehe oben B IV 2. am Ende. 102 In bezug auf das Schulwesen vg!. etwa die Verordnung vom 3.6.1940, in: ROB!. 1940, Teil I, S. 837 f.; dort § 2 H. 103 In: Verordnungsblatt für Lothringen, herausgegeben vom Chef der Zivilverwaltung in Lothringen, Jahrgang 1941, Nr. 18 vom 26.3.1941. 104 § 1 der lothringischen Kreisordnung. 105 § 2 der lothringischen Kreisordnung. 99

100

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C. Kreisrefonnplanungen in Literatur, Partei und Verwaltung

die vom "Gauleiter der NSDAP (DGO)" auf die Dauer von sechs Jahren berufen wurden. 106 Schließlich wurde den Selbstverwaltungskörperschaften Satzungsrecht zuerkannt. Ergänzend sollten die Vorschriften der Deutschen Gemeindeordnung Anwendung finden. Zusammenfassend darf daher festgestellt werden, daß die innenministeriellen Kreisreformvorstellungen praktisch konstant geblieben sind. Einzelne normative Abweichungen sind wohl auf eingegangene Kompromisse zurückzuführen. Dort, wo die Kreisreformplanungen realisiert wurden, besaßen die zentralen Landratsbehörden eine bestimmende Stellung im Verwaltungsaufbau. Entscheidender Knackpunkt der Reform blieb das ungelöste Problem des Einbaues der Partei in den Staat. Insoweit konnte sich weder das Reichsinnenministerium mit seinem ansatzweise etatistischen Konzept, noch die machthungrige NSDAP durchsetzen. Weil beide Organisationen auf ihrem Standpunkt beharrten, scheiterte die Neuorganisation der Landkreisverwaltung am Ende. Kompromißwilliger hatte man sich da noch im Vorfeld des GemeindeordnungserIasses gegeben.

106

§ 9 der lothringischen Kreisordnung.

D. Nationalsozialistische Gemeindereformplanungen I. Ausgangslage und Einsetzen der Reformüberlegungen 1933 Ursache hierfür dürfte gewesen sein, daß die gegensätzlichen Verfassungsreformvorstellungen damals, 1933/34, noch nicht so verfestigt waren. Es ging in jenen Jahren vor allem erst einmal darum, eine nationalsozialistische Staatsdoktrin zu entwickeln. Bis diese nicht die Weihen Hitlers gefunden hatte, waren abweichende Meinungen unschädlich. In der Tat finden wir 1933 etwa durchaus unterschiedliche Ansatzpunkte des Schrifttums zur Lösung der Kommunalreformproblematik. I Einigkeit herrschte allein in der Ablehnung des überkommenen Weimarer Verfassungszustandes. Selbst Goerdeler, obwohl von Hause aus deutschnational-konvervativer (also nicht nationalsozialistischer) Gesinnung,2 glaubte im demokratischen Kommunalsystem nur eine Verfälschung der Steinschen Grundgedanken erkennen zu können. Für ihn waren Zentralisierung und Demokratie dasselbe. 3 Nun ist den Kritikern des demokratischen Zwischenkriegsdeutschlands zwar zuzugeben, daß insbesondere ab 1928 eine stärkere Zusammenfassung der Organisationsstrukturen stattgefunden hatte. 4 Sie ist aber gegenüber dem im 3. Reich schließlich erreichten Zentralisierungsgrad praktisch zu vernachlässigen. Viel schwerer wiegt indes, daß der pluralistische Aufbau der Gemeinden unter Hitlers Herrschaft rasch zerstört wurde. Die Gemeinderäte, bis dahin durch den Souverän in gleicher und geheimer Wahl bestimmte, mit umfassenden legislativen Funktionen ausgestattete Kommunalorgane, schaltete man schrittweise aus. 5 Was blieb, I Dazu noch genauer unter D 11. Vgl. etwa einerseits Goerdeler, Einheit der örtlichen Verwaltung tut not! in: Der Gemeindetag 1934, S. 449 ff.; andererseits Köttgen, Die Neuordnung der kommunalen Selbstverwaltung, in: Der Gemeindetag 1933, S. 545 ff. 2 Zur Biographie Goerdelers vergleiche Gerhard Ritter, earl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart, 1954. Hier einige Stichworte: langjähriger Leipziger Oberbürgermeister; setzte sich für eine starke Stellung der Oberbürgermeister ein, ohne aber der Bürgerschaft jeden Einfluß auf die Gemeindeverwaltung nehmen zu wollen; Teilnahme am Aufstand am 20.7. 1944, danach Hinrichtung. 3 Vgl. Goerdeler in: Der Gemeindetag 1934, S. 449; ähnlich Jeserich, Die kommunale Selbstverwaltung im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., S.5. 4 Nachweise bei Holtzmann, Der Weg zur Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935, in: Zeitschrift für Politik, N.F. Band 12 (1965), S. 356 ff., insbesondere 358 f. 5 Siehe dazu bereits oben A 11 7.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

waren Bürgermeister und Ratsherren, zum Teil 6 Magistrate. Ihnen kamen künftig nicht nur Exekutivaufgaben (die Bürgermeister waren für die laufende Verwaltungsarbeit, die Magistrate als Regierungskollegien für alle grundsätzlichen Entscheidungen zuständig),7 sondern auch solche der Normsetzung zu. Vorstehend genannte Maßnahmen wurden jedoch nicht aus dem Nichts heraus realisiert. Sie setzten nämlich ein halbwegs einheitliches Meinungsbild über Inhalt und Ausgestaltung der Kommunalreform voraus. Davon konnte allerdings bis Ende 1933 noch keine Rede sein. Hauptstreitpunkte der frühen nationalsozialistischen Kommunalverfassungsdogmatik waren die Fragen, ob und inwieweit Selbstverwaltung zu verwirklichen sei, ob das Führerprinzip die künftigen Behördenstrukturen bestimmen müsse sowie in welche Weise die Bürgerschaft an der Gemeindeverwaltung beteiligt werden sollte. Daneben ging es um die Vereinbarkeit von Volkswahlen mit dem Führergedanken bzw. um die beamtenrechtliche Stellung der Bürgermeister. Hinsichtlich der Selbstverwaltungsproblematik lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze ausmachen. Zum Teil wurde die Auffassung vertreten, Selbstverwaltung sei eine demokratische Institution und müsse schon deshalb beseitigt werden. 8 Die überwiegende Mehrheit der Autoren befürwortete demgegenüber "Selbstverwaltung", nicht ohne sie aber vollkommen umzugestalten. 9 Man gab vor, den Selbstverwaltungsbegriff auf den Freiherrn vom Stein rückführen und die pluralistischen "Entartungen" der Weimarer Epoche beseitigen zu wollen. 10 Echte Selbstverwaltung bedeute selbständiges, aber verantwortungs bewußtes Handeln eines im örtlichen Bereich verwurzelten "Unterführers", hieß es. 11 Mit jener Form der Selbstverwaltung nicht vereinbar sein sollten Kollektiventscheidungsgremien wie Magistrate und Gemeinderäte. 6 Nämlich in den deutschen Ländern, wo eine sogenannten Magistratsverfassung bestand (z. B.in Preußen). 7 Zu den Charakteristika der Magistratsverfassung siehe etwa Hans Pagenkopf, Kommunalrecht, Band I (Verfassungsrecht), 2. Aufl. 1975, § 21, S. 214 ff. 8 Hinweise darauf, daß diese Ansicht innerparteilich zum Teil vertreten wurde, finden sich z. B. bei Walter Bauer, Der Neubau der gemeindlichen Selbstverwaltung, Berlin 1935, S. 14 f.; auch Alfred Melzer, Die Wandlung des Begriffsinhalts der deutschen kommunalen Selbstverwaltung im Laufe der politischen Geschichte, Stuttgart und Berlin

1937, S. 4.

9 Vgl. nur Köttgen, Die Neuordnung der kommunalen Selbstverwaltung, in: Der Gemeindetag 1933, S. 545 ff.; Jeserich, Die Gemeinde im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff.; derselbe, Die kommunale Selbstverwaltung im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff.; Karl Fiehler, Gedanken zur Reichsgemeindeordnung, in: Der Gemeindetag 1934, S. 546 f.; Heinrich Herifahrdt, Werden und Gestalt des Dritten Reiches, Berlin 1933, insbesondere S. 35 f., 46 f. 10 Siehe z.B. Reichsinnenminister Frick, Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Der Gemeindetag 1934, S. 545 ff., 545; Goerdeler, Entwicklungstendenzen im deutschen Kommunalrecht, in: Reichs- und preußisches Verwaltungsblatt 1933, S. 421 ff.,

421.

I. Ausgangslage und Einsetzen der Reforrnüberlegungen 1933

329

Die Notwendigkeit gemeindlicher Eigenverantwortung wurde von den Befürwortem der Selbstverwaltung aus deutschrechtlich-genossenschaftlicher Erwägungen heraus begründet. Die Gemeinde sei die Keimzelle staatlichen Lebens, aus der sich der gesamte Verfassungsaufbau organisch entwickelt habe, stellten einige fest. 12 Sie entspreche überdies soziologisch der Großfamilie (Sippe), in der jeder jeden kenne und unterstütze, meinten andere. 13 Wie in der Sippe der Genossenschaftsgedanke vorherrschend sei, so müsse auch der Staatsaufbau genossenschaftlichen Grundsätzen folgen, wurde hieraus gefolgert. Außerdem wurde dahingehend argumentiert, Selbstverwaltung sei eine tradierte, typisch germanische Erscheinungsform örtlicher Verwaltungsführung, die, solange nicht etwas besseres geschaffen werden könne, aus Respekt vor organisch gewachsenen Strukturen erhalten bleiben müsse. 14 Zur Frage, ob der Führergrundsatz als Ordnungsprinzip auf staatlicher und unterstaatlicher Ebene tauge, kann zunächst auf die an früherer Stelle gemachten Ausführungen 15 Bezug genommen werden. Ergänzend ist noch anzuführen, daß sich die überwältigende Mehrheit der Kommunalverfassungsrechtler für eine Ausrichtung der Behördenorganisation nach dem Führergedanken aussprach. 16 Dabei wurde immer wieder betont, die Gemeinden müßten genauso aufgebaut werden, wie der Staat selbst. 17 Wollte man also das Reich zu einem "Führerstaat" umstrukturieren, könnten auch die Gemeinden zukünftig nur Elemente der Führung sein. Die Erkenntnis, daß Volkswahlen dem Führerprinzip widersprächen, setzte sich in der nationalsozialistischen Staatslehre ebenfalls nur allmählich durch. Insbesondere Nicolai 18 und Rosenberg 19 waren noch der Ansicht, daß jedenfalls die gemeindlichen Vertretungskörperschaften durch Wahlen bestimmt werden sollten. Dagegen stellten die Anhänger der bald herrschenden Meinung lapidar fest: ,,Eine Wahl der Gemeindevertretung kann in Zukunft nicht mehr in Frage kommen. "20 11 Vgl. Kötlgen, in: Der Gemeindetag 1933, S. 545 ff., hier S. 549/550; in dieser Richtung auch Markmann, Die Aufgaben der Gemeinden im nationalsozialistischen Staat; in: Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt 1933, S, 461 ff., 461/462. 12 Goerdeler, Entwicklungstendenzen im deutschen Gemeinderecht; RuPrVerwBl. 1933, S. 421 ff., 421; Fiehler, Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, Gemeindetag 1934, S. 545 ff., 545. 13 So leserich, Die Gemeinde im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 309. 14 Vor allem leserich, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 310. 15 Siehe oben A I. 16 Z.B. Herrfahrdt, S. 35 f., 46; Markmann, RuPrVerwBl. 1933, S. 461 ff., 462; Kötlgen, Gemeindetag 1933, S. 545 ff., 549. 17 Siehe etwa Markmann, RuPrVerwBl. 1933, S. 461 ff., 462; hierauf basierend auch Herrfahrdt, S. 40 ff. 18 In: Grundlagen der kommunalen Verfassung, 1933, S. 64. 19 Alfred Rosenberg, Der Mythos des 20. Jahrhunderts, S. 555.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

Weiterhin problematisch war, wie gesagt, die beamtenrechtliche Einbettung der Gemeindebürgermeister. Hier stritt man darüber, ob die "Gemeindeführer" politische Beamte sein sollten. Wer dies bejahte, trat in der Regel zugleich für eine jederzeitige oder doch zeitlich begrenzte 21 Absetzbarkeit des "Dorfschulzen" 22 ein. 23 Was jedoch stets abgelehnt wurde, war eine aufsichts behördliche Befugnis, Bürgermeister nach Belieben versetzen zu können. 24 Anderenfalls, so glaubten die Vertreter dieser Ansicht, würde die völkisch-mentalitätsmäßige Bindung der Bürgermeister an ihre Kommune verloren gehen. Zeitweise unterschiedliche Meinungen herrschten schließlich auch darüber, inwieweit die Bürger aktiv an der Gemeindepolitik beteiligt werden könnten. Daß es zu einer solchen Beteiligung gerade (und nur) in den Kommunen kommen sollte, blieb weitgehend unbestritten. Dahinter steckte die Überlegung, Identifikationsmöglichkeiten mit dem Staatsapparat und Verständnis für dessen Probleme zu wecken. Vor allem aber sollte die Heimatverbundenheit der Bürger gefördert werden. 25 Einig waren sich die nationalsozialistischen Dogmatiker außerdem im Anknüpfungspunkt der von ihnen geplanten plebiszitären Elemente. Neue Vertretungskörperschaften mußten gebildet werden. Ob diesen Vertretungskörperschaften allerdings beratende oder stattdessen beschließende Funktion zu gewähren war, hierüber stritt man. 26 Die Befürworter von Beschlußkompetenzen argumentierten in der Weise, daß die Verantwortlichkeit des Bürgermeisters eine wirkungsvolle innerkommunale Kontrolle bedinge. 27 Ihre Gegner warfen ein, dem Führerprinzip stünden gleichinstanzliche Überwachungsrechte entgegen. 28 Durchzusetzen verstanden sich am Ende die Gegner vertretungskörperschaftlicher Beschlußkompetenzen, wohl auch deswegen, weil sie tatkräftige Unterstützung von staatlichen Stellen erhielten. 29 Als die Partei um eine Teilhabe an der 20 So leserich, Die kommunale Selbstverwaltung im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., hier S. 7; auch Forsthoff, Der Neubau der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, in: DJZ 1934, Sp. 308 ff., hier Sp. 310. 21 Etwa im Sinne einer Absetzbarkeit nur während des ersten oder zweiten (von 46) Amtsjahres. 22 So eine von manchen Wissenschaftlern anstelle des Wortes "Bürgenneister" gewählte Bezeichnung für das leitende Exekutivorgan der Gemeinden. 23 leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. 24 leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 7. 25 Z. B. leserich, in: Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 6; Goerdeler, Entwicklungstendenzen im deutschen Kommunalrecht, RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 424; Kötfgen, in: Gemeindetag 1933, S. 545 ff., 551. 26 Für beratende Tätigkeit z.B. Fiehler, Gedanken zur Reichsgemeindeordnung, in: Gemeindetag 1934, S. 546 ff., 547; Herrfahrdt, Werden und Sein des Dritten Reiches, S. 47; leserich, in: Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7; für Beschlußrechte Goerdeler, RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 424. 27 Goerdeler, RuPrVerwBI. 1933, S.424. 28 leserich, in: Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7.

11. Kommunalrefonnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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Kommunalverwaltung kämpfte, mußte den Staatsorganen nämlich an dem Ausbau der Bürgenneisterbefugnisse mehr gelegen sein als an plebiszitären Reservatrechten: Denn je stärker die Stellung eines Verwaltungsorgans innerhalb seines Verantwortungsbereiches, desto eher werden diesem erteilte Weisungen breite Durchschlagskraft besitzen. Basierend auf den vorstehend genannten unterschiedlichen Ansatzpunkten, differierten die Gemeinderefonnvorstellungen der Verfassungstheoretiker zum Teil recht erheblich voneinander. Aufgezeigt werden soll das anhand der Überlegungen Goerdelers, Jeserichs, Köttgens, Markmanns, Herrlahrdts und Fiehlers. Im Zusammenhang mit innenbehördlichen Planungen abgegebene kommunalpolitische Stellungnahmen werden an anderer Stelle 30 behandelt.

11. Kommunalreformkonzepte von Literatur und Interessenverbänden 1. Die Haltung Jeserichs und des Deutschen Gemeindetages zur Kommunalreform

Die Gemeinderefonnkonzeption des DGT-Präsidenten Jeserich ähnelte schon in vielem dem endgültigen Gesetz, wie wir gleich sehen werden. Jeserich regte eine genossenschaftliche Organisation der Gemeinden an. Sie entsprach seiner Ansicht nach der soziologischen Gliederung und Geschichte des deutschen Volkes. 31 Völkischem Gedankengut konfonn sollte auch das Prinzip von Selbstverwaltung und Dezentralisation laufen. Selbstverwaltung galt dem Gemeindetagspräsidenten als Garant dafür, daß unter einer starken Staatsgewalt lebenskräftige Kommunen entstünden. 32 Für unerläßlich hielt er, daß die Gemeinden das "Ob" und "Wie" ihres Tätigwerdens selbst bestimmen müßten. 33 Deshalb regte er die Realisierung einer Allzuständigkeit bezüglich der Angelegenheiten des örtlichen Bereichs an. Jeserich wörtlich: "Die Gemeinden ... entscheiden in abgeleiteter Zuständigkeit 34 alle die Fragen unter eigener Verantwortung, die nicht von unmittelbarem Staatsinteresse sind, vielmehr örtlichen Charakter tragen und aus der Tatsache der nachbarlichen Verbundenheit der Gemeindemitglieder Zu den ministeriellen Entwurfsplanungen siehe unten D III. Unten D III. 31 Jeserich, Die Gemeinde im nationalsozialitischen Staat, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 309. 32 Jeserich, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 310. 33 Jeserich, Die kommunale Selbstverwaltung im nationalsozialistischen Staat; in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 5. 34 Mit dem Begriff "abgeleitete" Zuständigkeit wollte er ausdrücken, daß die gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben nicht vorstaatlichen Ursprungs sind (so Jeserich ausdrücklich in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 5). 29

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

erwachsen."35 Auf diese Weise sollten die politischen Kräfte des Bürgertums dem Staate nutzbar gemacht werden. Dem Selbstverwaltungsgedanken entnahm unser Autor außerdem die Notwendigkeit, unmittelbar zu den Gemeinden ressortierende Kommunalorgane zu schaffen. 36 Im übrigen führte an einer Beteiligung der Kommunen an der Ernennung des Bürgermeisters seiner Ansicht nach kein Weg vorbei. 37 Als weiteres Grundprinzip nationalsozialistischen Gemeinderechts bezeichnete Jeserich den Führergedanken. 38 Aus ihm folgerte der Gemeindetagspräsident, daß den Bürgermeistern eine bestimmende Stellung im Verfassungsaufbau eingeräumt werden müsse. Kollegiale Entscheidungsgremien wie Gemeinderat oder städtischer Magistrat sollten demzufolge entmachtet bzw. mit anderen Aufgaben versehen werden. 39 Mit der umfassenden Herrschaftsgewalt nach unten sollte die Verantwortlichkeit des Ortsführers nach oben korrespondieren. Diese interpretierte Jeserich so, daß sie nicht nur den Staatsaufsichtsbehörden, sondern zugleich den Gemeinden gegenüber bestanden hätte. Das Treueverhältnis zum Staat machte es ihm zufolge notwendig, daß der Bürgermeister gegebenenfalls abberufen können werden mußte. 4O In bezug auf die Gemeinden schlug er vor, den Orts führer bei Rechtsverletzungen privatrechtlich haften zu lassen. Hierin liegt einer der wenigen wesentlichen Strukturunterschiede zur Deutschen Gemeindeordnung von 1935. Die DGO-Verfasser verstanden den FührerGefolgschafts-Gedanken in der Weise, daß Verantwortlichkeit immer nur gegenüber höherinstanzlichen Verwaltungsbehörden zu verlangen sei. Eine gleichinstanzliehe Kontrolle des Unterführers lehnten sie hingegen ab. 41 Deshalb sind auch die Kompetenzen der neuen Gemeinderäte nach der DGO deutlich geringer ausgefallen als Jeserich angeregt hatte. Der Gemeindetagspräsident plante nämlich, dem von ihm so bezeichneten Bürgerausschuß bei der Feststellung und Durchführung des kommunalen Haushaltsplans Befugnisse zuzugestehen, die über eine bloße Beratungsarbeit deutlich hinausgehen sollten. 42 An dem Grundsatz, beratende Volksvertretungen zu realisieren, hielt er allerdings fest. leserich, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 311. leserich,in: Der Gemeindetag 1933, S. 3 ff., 6. 37 leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 6. 38 leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7; ders. in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 311. 39 leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7; zu den neuen Aufgaben kommunaler Beschlußkörperschaften siehe sogleich. 40 leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. 41 Dazu siehe schon oben A 11 7. und D I. 42 Welcher Art diese weitergehenden Befugnisse sein sollten, ließ leserich allerdings offen; vgl. Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. 35

36

II. Kommunalrefonnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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Ernannt werden sollten die "Gemeindevertreter" - und damit kommen wir zum Verhältnis Partei - Staat - vom Kreisleiter der NSDAP. 43 Als Vorsitzende der Vertretungskörperschaften sollten indes die Bürgermeister fungieren. Volkswahlen kamen für Jeserich insoweit nicht in Frage. 44 Bedeutsame Ausführungen hat der Gemeindetagspräsident weiterhin zur Frage der Staatsaufsicht in gemeindeeigenen Angelegenheiten 45 gemacht. Aufsichtsmittel waren für ihn insbesondere der staatliche "Ersatzbeschluß" (= Selbsteintrittsrecht) und die Einsetzung von Staatskommissaren. 46 Zum Umfang der Aufsicht stellte er fest, einerseits müsse jederzeit sichergestellt sein, daß das Staatsinteresse Vorrang vor dem Gemeindeinteresse besitze. Andererseits müßten aber den Kommunen hinreichende Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bleiben. 47 Damit wollte Jeserich wohl ausdrücken, daß eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle gemeindlicher Selbstverwaltungsakte nicht ausreichend sei. Von Fachaufsicht entsprechend heutigem Verständnis hielt er indes ebensowenig. Der Trend ging also schon hin zur "erweiterten Rechtsaufsicht" . Echte kommunale Selbstverwaltung wäre hierdurch freilich nicht geschaffen worden. 48 Insgesamt gesehen hätten Jeserichs Vorschläge somit einen grundsätzlichen Umbau der Kommunalverfassungsstrukturen im nationalsozialistischen Sinne gebracht. Wesentliche Organisationsprinzipien des demokratischen Staates wären aufgegeben worden: Gewaltenteilung, Volkssouveränität und gemeindliche Eigenverantwortung. Das Konzept des Gemeindestagspräsidenten ist daher nicht lediglich zentralistisch-autoritär. Nicht umsonst sollte doch die NSDAP an der örtlichen Verwaltungsführung (allerdings im bescheidenen Rahmen) beteiligt werden. In vielem zeigen sich überdies bereits Parallelen zu den Regelungen der DGO. Wohlmöglich hat Jeserich bei den gesetzgeberischen Vorarbeiten eine mitbestimmende Rolle gespielt. 49

2. Die Gemeindeverfassungskonzeption des Magdeburger Oberbürgermeisters Markmann

Von dem Magdeburger Oberbürgermeister Markmann sind ebenfalls grundsätzliche Überlegungen zur Kommunalreform angestellt worden. 50 43 44 45

46 47

7.

48 49

50

leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. Gemeint sind also die Selbstverwaltungsaufgaben. leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. leserich, in: Der Gemeindetag 1934, S. 3 ff., 7. Zum Begriff der Selbstverwaltung im demokratischen Rechtsstatt siehe oben A II

Aufklärung hierüber bringt das unten zu D III l. Gesagte!

Markmann, Die Aufgaben der Gemeinden im nationalen Staat, in: RuPr-

VerwBI. 1933, S. 461 ff.

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D. Nationalsozialistische Gemeindereformplanungen

Markmann bezeichnete es als das Ziel der Refonn, die Kommunen "zu einer wahren, sich voll auswirkenden Selbstverwaltung zurückzuführen". 51 Die Organe der Selbstverwaltung müßten deshalb die volle Verantwortung für alle Geschehnisse in der Gemeinde tragen, fuhr er fort. Weiterhin stand der Magdeburger Oberbürgenneister auf dem Standpunkt, daß kommunale Eigenverantwortung allein dort lebensfähig sei, wo den Gemeinden eine Vielheit von Aufgaben zustehe. Insbesondere sollten die Kommunen Steuerhoheit besitzen: "Die Gemeinden haben Anspruch, ausreichende eigene Steuerquellen überwiesen zu erhalten und aus der Abhängigkeit von den Reichssteuerüberweisungen befreit zu werden." 52.53 Selbstverwaltung ohne Finanzautonomie war für Markmann undenkbar. 54 Unser Autor bekannte sich darüber hinaus zum Führerprinzip. 55 Aufgrund dessen verlangte er eine Stärkung des Gemeindevorstandes 56 gegenüber dem Stadt- bzw. Kommunalparlament. Die Gemeindevertretungen sollten "wesentliche Rechte einbüßen", 5? außerdem nicht länger mit Vertretern politischer Parteien, sondern mit "Ständevertretern" besetzt sein. 58 Markmanns Konzept entspricht also weitgehend den deutschrechtlich-genossenschaftlichen Gedankengängen Jeserichs. Zur Bewertung kann folglich auf oben DIll. verwiesen werden.

3. Herrfahrdts Kommunalreformüberlegungen

Auch der Greifswalder Professor Heinrich Herrfahrdt trat für einen "ständisch unterbauten Führerstaat" ein, als dessen Verfassungsgrundsätze er "Selbstverwaltung", ,,Arbeitsgemeinschaft" und "schiedsrichterliche Führung" bezeichnete. 59 Mit dem Prinzip der "Arbeitsgemeinschaft" sollte ausgesagt werden, daß sich die an Interessenkonflikten beteiligten Organisationen "zu friedlichem Ausgleich" zusammenzufinden hätten. 60 Das Prinzip der "schiedsrichterlichen Führung" besagte nach Herrfahrdt, daß der Staat unabhängig im Sinne des öffentli51 52

Markmann, S. 461. Markmann, S. 463.

53 Hintergrund dieser Forderung war offenbar die kommunale Finanzkrise, die seit anfang der 30er Jahre bestanden und immer prekärere Formen angenommen hatte (siehe oben A II 7.). 54 Vgl. Markmann, S.463. 55 Markmann, S. 462. 56 Damit meinte er den Bürgermeister. 5? Vermutlich also das Budgetbewilligungsrecht. 58 Markmann, S. 462. 59 Heinrich Herrfahrdt, Werden und Gestalt des Dritten Reiches, Berlin 1933, hier S.35. 60 Herrfahrdt, S. 35.

11. Kommunalreformkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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chen Interesses entscheiden müsse 61 und allen hiervon betroffenen Gruppen unparteiisch gegenüberzustehen habe. 62 "Selbstverwaltung" verstand unser Autor im selben Sinne wie Jeserich und Markmann. 63 Vorstehende Gedankengänge sollten vor allem kommunalverfassungsrechtlich nutzbar gemacht werden. Gemeindliche Selbstverwaltung bejahte Herrfahrdt, allerdings wie Jeserich mit der Einschränkung, daß das Staatsganze vor einer widerstrebenden Sonderpolitik zu schützen sei. 64, 65 Das Führerprinzip hätte auf kommunaler Ebene in der Hand eines "Gemeindevorsitzenden" verwirklicht werden sollen, der von der Aufsichtsbehörde berufen worden wäre. 66 Alle grundsätzlichen Fragen der Verwaltungsführung sollten außerdem vom Gemeindeführer mit Vertretern betroffener Berufsgruppen beraten werden. 67 Die Berufsgruppenvertreter hätten insoweit eine ständisch organisierte "Volksvertretung" gebildet. Näheres regelte der Herrfahrdts Schrift als Anhang beigegebene Entwurf eines "Reichsgesetzes über die kommunale Selbstverwaltung". Hiernach wäre der Führergrundsatz aber nur in sehr eingeschränktem Maße verwirklicht worden. § 2 des Entwurfs legte nämlich fest, daß dem "Gemeindevorsitzenden" (Bürgermeister) ein korporativer "Vorstand" (Magistrat) an die Seite gestellt werden sollte. Beiden Organen hätte die Aufgabe oblegen, "die Verwaltung des Gemeinwesens zu führen". Anscheinend beabsichtigte Herrfahrdt also, eine Aufgabenteilung zwischen Bürgermeister und Magistrat ähnlich den Vorgaben der klassischen Magistratsverfassung vorzunehmen. Damit stand er in fundamentalem Widerspruch zu Jeserich, der ja gerade dem Bürgermeister allein alle Entscheidungsgewalt zuspielen wollte. 68 An die Stelle der aufzuhebenden alten kommunalen Vertretungskörperschaften wären gemäß §§ 2 und 3 des Entwurfs die schon erwähnten berufsständischen Interessenverbände getreten. Den Interessenvertretern sollte in mündlicher Ver61 Das Prinzip sollte insbesondere im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, z. B. bei der Festsetzung von Haushaltsplänen, Anwendung finden. 62 Henfahrdt, S. 36. 63 Vgl. soeben D I 1. und 2. 64 Henfahrdt, S. 46. 65 Offenbar schwebte Herrfahrdt eine "erweiterte Rechtsaufsicht" des Reichs in kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheiten vor, so daß auch bei ihm keine heutigem Verständnis entsprechende Selbstverwaltung verwirklicht worden wäre. 66 Herrfahrdt, S. 47. 67 Herrfahrdt, S. 47. 68 Man kann getrost sagen, die Beibehaltung eines Magistrats mit korporativer Entscheidungsfindung (sprich: Zulassung von Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen) hätte dem Führerprinzip eklatant widersprochen. Nur wissen wir nicht, ob der Magistrat nach Herrfahrdts Vorstellungen tatsächlich Mehrheitsentscheidungen treffen können oder etwa vom Bürgermeister dominiert werden sollte.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

handlung Gelegenheit zur Äußerung und Beibringung von Tatsachenmaterial gegeben werden; Entscheidungskompetenz hätte indes allein der "Gemeindevorstand" (also: Der Magistrat) besessen. (Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen diesbezüglich?69) Er wäre zur eigentlich normgebenden Kommunalinstanz aufgestiegen. Weiterhin war in § 4 vorgesehen, daß der Gemeindevorstand einzelne Hoheitsaufgaben zur Vorbereitung oder Beschlußfassung 70 widerruflich an Beauftragte oder Ausschüsse übertragen können sollte. Auch dies hätte in einem vom Führerprinzip geprägten Reich stärkste Friktionen hervorrufen müssen. Herrfahrdts Gesetzentwurf war viel zu pluralistisch, als daß er dem Gesamtstaatsaufbau noch konform gehen konnte. Wie wenig die Vorstellungen des Greifswalder Professors eigentlich nationalsozialistischem Gedankengut entsprachen, zeigt überdies der Blick auf § 5 der hiesigen Kodifikation. Zu den Organisationen, die Abgesandte in die völkischen Interessenvertretungen entsenden dürfen sollten, 71 wurde dort sogar die Kirche gezählt. Weltanschauliche Gegensätze zwischen Nationalsozialismus und Christentum hätten solches jedoch an sich verboten! Wenn Herrfahrdt trotz aller pluralistischen Ansatzpunkte am Ende gleichwohl nicht als Verfechter echter kommunaler Selbstverwaltung angesehen werden kann, dann insbesondere deshalb, weil ihm zufolge die "Gemeindevorstände" von staatlichen Aufsichtsbehörden ernannt werden sollten. 72 Andererseits wäre die Macht der Gemeindevorstände dadurch gestärkt worden, daß sie die "Interessenvertreter" zu bestellen gehabt hätten. 73 Zusammenfassend ist zu konstatieren, daß Herrfahrdts Kommunalreformüberlegungen in wesentlichen Punkten von denen leserichs und Markmanns abwichen. Einigkeit herrschte eigentlich nur hinsichtlich der Prinzipien, die dem organisatorischen Neuaufbau zugrunde liegen sollten (Führerturn und "Selbstverwaltung"). Ob Herrfahrdts Planung noch im Einklang mit dem Führergrundsatz stand, läßt sich allerdings bezweifeln. Hier kommt unserem Autor zugute, daß er manche Fragen nicht erörtert. 74 Bedenklich wäre darüber hinaus gewesen, daß gemeindli69 Siehe die vorige Fußnote. 70 Auch die Benutzung des Wortes "Beschlußfassung" gibt noch keinen letztendlichen Aufschluß darüber, ob Herrfahrdt Mehrheitsentscheidungen korporativ gebildeter Gemeindeorgane zulassen wollte. Für Beschlüsse hätte ja z.B. die Stimme des Bürgenneisters von ausschlaggebender bzw. vorbestimmender Bedeutung sein können. Allerdings drängt sich doch der Verdacht auf, daß Herrfahrdt pluralistische Entscheidungsmöglichkeiten für führerprinzipkonfonn hielt. 71 Als weitere Interessengruppen wurden in § 5 genannt: Landwirte, Gewerbetreibende, Kaufleute, Angestellte, gewerbliche Arbeiter, geistige Berufe, Handwerker, Mieter, Hausfrauen. 72 § 8 des Entwurfes. 73 § 6 des Entwurfes. 74 Z.B. die, ob der Magistrat mit Stimmenmehrheit entscheiden können soll.

11. Kommunalrefonnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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che Hoheitsgewalt auf andere Rechtsträger delegiert werden können sollte: Insoweit hätte nämlich die Gefahr einer Kommunalbehördenpolykratie bestanden. Dies erkannte scheinbar auch der Gesetzgeber; Herrfahrdts Vorstellungen hatten somit keine Chance, realisiert zu werden. 4. Die Gemeindereformvorstellungen earl Goerdelers

Ein äußerst differenziertes Bild der künftigen gemeindlichen Organisationsstrukturen entwarf schließlich Leipzigs Oberbürgermeister Carl Goerdeler. In mehreren Aufsätzen nahm er zu allen diesbezüglichen Problemen ausführlich Stellung. 75 Obwohl von Hause aus konservativer Deutschnationaler, machte er sich sogar einige der nationalsozialistischen Kommunalreformgrundsätze zu eigen.So etwa das Führerprinzip, das er im Bürgermeister verwirklicht zu sehen wünschte. 76 . Grundsätzlich folgte Goerdeler indes etatistischen Gedankengängen. Zwar befürwortete er eine starke Stellung der "Gemeindeleiter", doch wollte er der örtlichen Bevölkerung wichtige Mitwirkungsrechte bei der Verwaltungsführung zugestehen. 77.78 Ausgangsüberlegung Goerdelers war, daß auf gemeindliche Selbstverwaltung nicht verzichtet werden konnte. Anders waren Lebendigkeit und Bürgemähe kommunaler Organisationen nämlich nicht zu garantieren. 79 Hierauf aufbauend forderte er, an dem Prinzip der Universalität örtlicher Selbstverwaltungsaufgaben festzuhalten (bzw. es wieder neu zu verwirklichen 80).81 Als Rechtsbereiche, die in kommunaler Eigenverantwortung erledigt werden sollten, bezeichnete er vor allem das Schulwesen und die Wohlfahrtspflege. 82 75 earl Goerdeler, Entwicklungstendenzen im deutschen Kommunalrecht, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff.; derselbe, Einheit der örtlichen Verwaltung tut not!, in: Der Gemeindetag 1934, S. 449 ff.; derselbe, Die Gemeinde im nationalsozialistischen Staat, in: Erwachendes Europa, Leipzig, 1934, Heft l. 76 Vgl. RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 424. 77 Dazu siehe sogleich. 78 Zutreffend dürfte daher das sein, was Gerhard Ritter (in: earl Goerdeler und die deutschen Widerstandsbewegung, S. 30) über Goerdeler gesagt hat: Seine Herkunft und "die gewiß nicht nur erfreulichen Erfahrungen über die Haltung der Stadtparlamente in den Jahren der Wirtschaftskrise lassen es verständlich erscheinen, daß er sich zwar gegen eine Auffassung wehrte, die der Bürgerschaft jeden Einfluß nahm, daß er aber andererseits auf die starke Stellung eines gewählten Oberbürgermeisters hindrängte." 79 Goerdeler, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 422; derselbe in: Der Gemeindetag 1934, S. 449 ff., 450. 80 Denn schon seit den 20er Jahren waren ja immer mehr Kommunalaufgaben auf den Staat übergeleitet woren! (siehe vom A 11 7.). 81 Goerdeler, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 421, 422. 82 Goerdeler, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 422; derselbe in: Der Gemeindetag 1934, S. 449 ff., 450.

22 Bachnick

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D. Nationalsozialistische Gemeindereformplanungen

Auf der anderen Seite sollten Effektivität und Verantwortungsbereitschaft der Gemeindeverwaltung gestärkt werden. Zu diesem Zweck verlangte Goerdeler, alle staatlichen Sonderbehörden der vorn Bürgermeister geleiteten zentralen Kommunaladministration zu integrieren. 83 Im gleichen Zusammenhang kritisierte er Einmischungen der NSDAP-Ortsleitungen in die örtliche Verwaltungsarbeit; ein Kompetenz-Chaos müsse verhindert werden, es dürften nicht "verschiedene Stellen für dasselbe Aufgabengebiet" zuständig sein! 84 Entscheidende Frage aber blieb, welche Befugnisse den Bürgermeistern und welche den kommunalen Vertretungskörperschaften eingeräumt werden sollten. Hieran mußte sich auch entscheiden, ob die von Goerdeler angestrebte Form der Selbstverwaltung heutigem Verfassungsverständnis entsprochen hätte oder nicht. Zunächst einmal ist festzustellen, daß der Leipziger Oberbürgermeister einer Bürgerbeteiligung an kommunaler Verwaltungsarbeit durchaus positiv gegenüberstand. Diese Bürgerbeteiligung hätte seiner Konzeption nach insbesondere über den fortbestehenden Gemeinderat stattfinden sollen. Es war vorgesehen, der gemeindlichen Vertretungskörperschaft ihre legislativen Beschlußkompetenzen zu belassen! 85 Sofern im Gemeinderat wie bisher Mehrheitsentscheidungen zulässig gewesen wären, 86 hätten Goerdelers Vorschläge allerdings gegen das Führerprinzip verstoßen. Im äußerst zweifelhaftem Einklang mit dem Führergedanken stand außerdem Goerdelers Überlegung, den Gemeinderat von der Ortsbevölkerung wählen zu lassen. 87 Immerhin wird dadurch jedoch seine Intention erkennbar, die Bürgerschaft in Entscheidungsprozesse zu integrieren. Auf der anderen Seite betonte unser Autor die Notwendigkeit, einer Politisierung des Gemeinderats vorzubeugen. Parteien streit und Individualinteressen dürften nicht länger die vertretungskörperschaftlichen Beratungen beherrschen, meinte er. 88 Deshalb regte Goerdeler auch an, nur noch wenige Plenarsitzungen des 83 Goerdeler, in: RuPrVerwBl. 1933, S. 421 ff., 422; derselbe in: Der Gemeindetag 1934, S. 449 ff., 451. 84 Goerdeler, in: RuPrVerwBl. 1934, S. 449 ff., 451. 85 Vgl. Goerdeler, in: Erwachendes Europa, Leipzig 1934, Heft 1 (abgedruckt bei Ernst Holtzmann, Der Weg zur Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935, in: Zeitschrift für Politik 1965, S. 356 ff. 362). 86 Und nicht der Bürgermeister durch sein Votum den Gemeinderat binden können sollte. 87 Vgl. Goerdeler, in: RuPrVerwBl. 1933, S. 421 ff., 423; derselbe in: Erwachendes Europa, Leipzig 1934, Heft 1. Zum Wahlmodus stellte Goerdeler fest (an dieser Stelle sollen Stichpunkte genügen): 1. allgemeine Wahl, 2. aktives Wahlrecht aller Bürger, die älter als 21 Jahre sind; 3. passives Wahlrecht weiter geknüpft an mindestens vierjährige Wohndauer in der betreffenden Gemeinde; 4. Unvereinbarkeit zwischen Bürgermeisterkandidatur und [gleichzeitigern] Gemeinderatsmandat.

II. Kommunalrefonnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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Kommunalparlamentes pro Jahr zuzulassen. Regelmäßig tagen und Beschlüsse fassen sollten hingegen die Gemeinderatsausschüsse. 89 Die kommunale Exekutivgewalt wollte Leipzigs Oberbürgermeister in der Hand einer Person zusammenfassen, pluralistische Entscheidungsgremien nach Art des Magistrats lehnte er also ab. 90. 91 Als Verwaltungschefs sollten die schon erwähnten Bürgermeister fungieren. Ihnen räumte Goerdeler sogar das Recht ein, "im äußersten Fall auch einmal gegen Beschlüsse des Gemeinderats handeln zu können."92 Damit war ausgesagt, daß die normausführenden Kommunalinstanzen grundsätzlich Vorrang vor der gemeindlichen "Legislative"93 besessen hätten. Zur bei Goerdeler geplanten Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten ist zu bemerken, daß sie auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt gewesen wäre. 94 Eine Erweiterung derselben um die Vereinbarkeit mit den Staatszielen schwebte unserem Autor augenscheinlich nicht vor. Hierdurch wäre die kommunale Eigenverantwortung (freilich im antinationalsozialistischen Sinne) deutlich verstärkt worden. Indes sollten die Bürgermeister nicht länger vom Gemeinderat gewählt, sondern durch die Aufsichtsbehörde ernannt werden. 95 Sie sollten desweiteren vor vorzeitiger Absetzung geschützt sein. 96 Die Machtbefugnisse der kommunalen Vertretungskörperschaften wären folglich gegenüber dem Verfassungszustand des Weimarer Reiches doch ganz wesentlich eingeschränkt worden. Letztendlich kann deshalb gesagt werden, daß auch Goerdelers Vorschläge keine echte, heutigem (demokratischem) Verständnis entsprechende Selbstverwaltung zum Ziel hatten. Zwar waren die Gemeinderäte als Volksvertretungen mit Beschlußrechten erhalten geblieben. Doch sollten die Bürgermeister ihnen 88 Goerdeler, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 423. 89 Goerdeler, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 424. 90 Goerdeler, in: RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 423. 91 Insoweit weicht Goerdeler von den Vorstellungen Herrfahrdts ab, der ja den exekutiven und legislativen Bereich der Kommunalverwaltung zwischen Magistrat und Bürgermeister aufspalten wollte. 92 Goerdeler, in: Erwachendes Europa, Leipzig 1934, Heft 1 (abgedruckt bei Holtzmann, S. 356 ff.). 93 Sofern man im nationalsozialistischen Staat überhaupt von einer Gewaltenteilung ausgehen kann! 94 Dies folgt aus § 144 des von Goerdeler Anfang Januar 1934 dem Reichsinnenministerium übersandten Gemeindeordnungsentwurfs (zu diesem ausführlicher unter D III), in: Stadtarchiv München, Akt Bürgenneister und Rat, Nr. 473/2. 95 Goerdeler, in: Erwachendes Europa, Leipzig 1934, Heft 1. 96 Goerdeler begründete dies praxisorientiert damit, daß sich sonst kein Beamter für einen Bürgenneisterposten zur Verfügung stellen würde. Zu entnehmen aus Goerdelers Schreiben vom 11. 1. 1935 an Reichsinnenminister Frick; in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/569, Blatt 140 ff., 143. 22*

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

nicht länger verantwortlich sein. Eine rechtliche Bindung der "Gemeindeführer" an die Beschlüsse der kommunalen Vertretungskörperschaften hätte darüberhinaus ebenfalls nur noch bedingt bestanden. Hervorgehoben werden muß allerdings, daß Goerdeler den Kommunen erheblich größere Freiräume zur eigenverantwortlichen Verwaltungs tätigkeit beließ als etwa Jeserich (und später die DGO). Sein Konzept ist mehr etatistisch als nationalsozialistisch. Manche nationalsozialistischen Begriffe (z. B. das Führerturn) werden zwar übernommen, ohne daß hieraus aber die nötigen verwaltungsorganisationsrechtlichen Konsequenzen gezogen werden. Beispielsweise wären Beschlußrechte kommunaler Volksvertretungen oder die von Goerdeler vorgenommene Trennung zwischen Legislative und Exekutive nicht mit nationalsozialistischen Vorstellungen in Einklang zu bringen gewesen. Daher ist nur zu verständlich, warum die Planungen des Leipziger Oberbürgermeisters kaum Chancen auf Verwirklichung hatten. Goerdeler ist also am Ende wie Herrfahrdt gescheitert, jedoch aus anderen Gründen; eine pluralistische Verwaltungsspitze (der Magistrat) entsprach seinen Wünschen und Hoffnungen nämlich nicht. 5. Köttgens Vorschläge zur Neuordnung der Kommunalverwaltung

Demgegenüber lagen die Kommunalreformvorschläge Arnold Köttgens 97 schon ganz auf der späteren offiziellen Linie. Soweit der Greifswalder Universitätsprofessor sich für Selbstverwaltung und Umsetzung des Führerprinzips in den Gemeinden aussprach,98 waren freilich noch keine Differenzen gegenüber Jeserich, Herrfahrdt und Goerdeler feststellbar. Die Notwendigkeit kommunaler Eigenverantwortung begründete Köttgen mit "völkischen Erwägungen": Habe sich der Nationalsozialismus die Aufgabe gestellt, die sich gegenüber ihren nationalen Gebundenheiten im Geiste isolierter Sachlichkeit mehr und mehr emanzipierende öffentliche Verwaltung in die Volksgemeinschaft zurückzuverlagern, so werde dies ... nur auf dem Weg über eine korporative Selbstverwaltung möglich sein. 99 Ganz nachdrücklich befürwortete unser Autor auch die praktische Umsetzung des Führergedankens im Verwaltungsaufbau. 100 Seiner Ansicht nach verlangte der Führergrundsatz sogar, daß in allen Schichten des öffentlichen Lebens wahre Führerpersönlichkeiten die jeweils notwendigen Entscheidungen fällten. 101 97 Vgl. Arnold Köttgen, Die Neuordnung der kommunalen Selbstverwaltung; in: Der Gemeindetag 1933, S. 545 ff. 98 99 100 101

Köttgen, S. 546, 549. Köttgen, S. 546.

Das war damals ja umstritten, vgl. D I.

Köttgen, S. 550.

11. Kommunalrefonnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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Das im Bereich der Staatsaufsicht über die Gemeinden bestehende Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und "Unterführerturn" einerseits sowie "Reichsführerturn" andererseits wollte Köttgen anscheinend durch eine "erweiterte Rechtmäßigkeitskontrolle" lösen. Er trug diesbezüglich vor, daß Kommunalverwaltung stets nur mittelbare Staatsverwaltung sein könne. 102 Die in dieser Hinsicht erforderliche Verstärkung des staatlichen Einflusses dürfe indes ein gewisses ... Maß nicht überschreiten. Beachtet werden müsse nämlich, daß jeder Selbstverwaltungskörper eine geschlossene Verantwortungseinheit sei und deshalb in bestimmten abgesteckten Gebieten vom Staat selbständig bleiben müsse. 103 Gleichwohl war für den Greifswalder Gelehrten klar, daß eine gerichtliche Überwachung kommunalaufsichtsbehördlicher Weisungsakte 104 nicht länger in Frage kam. Dennoch sollte nach Köttgens Meinung künftig Vorsorge dafür getroffen werden, daß die in den politischen Entscheidungen des Reiches allen inkorporierten Verwaltungseinheiten unaufhebbar gezogene Schranke sorgsam beachtet werde. 105 Jenes zu erreichen, konnte aber nur eine Staatsaufsicht dienen, die die Kontrolle der Vereinbarkeit gemeindlicher Maßnahmen mit den (politischen) Zielen des Staates einschloß. Auf jeden Fall sollte Köttgen zufolge jedoch verhindert werden, daß der Gemeindeführer bloßer Vollstrecker des Reichswillens war. Das bedeutete für den Staatsaufbau, daß er nicht straff zentralistisch zu gestalten war. Der Bürgermeister mußte in der Lage sein, selbstverantwortlich "führen" zu können. 106 Aus diesem Grunde hätten Köttgens Ansicht nach die "parlamentarischen Überbauten" der Kommunalverwaltung, d. h. Gemeindeparlamente und Magistrate, wegfallen sollen. 107 Er setzte sich damit in Gegensatz zu Herrfahrdt, der eine duale Führungsspitze 108 gerade bejaht hatte. 109 Andererseits lehnte unser Autor Laienbeteiligung an gemeindlicher Verwaltungsarbeit nicht schlechthin ab. Im Gegenteil würdigte er sie als ein Mittel, die emotionale Bindung von Staat und Bürger zu verstärken. 110 Konkrete verfassungspolitische Folgerungen zog er insoweit jedoch nicht. Als Ergebnis kann also festgehalten werden, daß Köttgens Vorstellungen nur im Ansatz denen Goerdelers und Herrfahrdts entsprachen. Wichtige Einzelfragen 102 Köttgen sprach sich somit gegen originäre ("vorstaatliche") kommunale Selbstverwaltung aus. 103 Es ging also darum, ob die Gemeinden gegen aufsichts behördliche Entscheidungen den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten beschreiten können sollten. 104 Köttgen, S. 547. 105 Köttgen, S. 547. 106 Köttgen, S. 550. 107 Köttgen, S. 551. 108 Gemeint ist: eine zwischen Bürgermeister und Magistrat aufgeteilte Verwaltungsführung. 109 Dazu siehe oben D 11 3. 110 Köttgen,S. 551.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

löste unser Autor hingegen abweichend. Das galt vor allem bezogen auf die Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten, die er nicht lediglich im Sinne einer reinen RechtmäßigkeitsüberpTÜfung verstanden wissen wollte. Weil sich viele Überlegungen des Greifswalder Rechtsgelehrten in der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 wiederfinden lassen, darf er schließlich zu den geistigen Wegbereitern dieses Gesetzes gerechnet werden. 6. Gemeindereformüberlegungen Karl Fiehlers

An dieser Stelle noch behandelt werden sollen die Gemeindeverfassungsrefonnvorstellungen des Münchner Oberbürgenneisters Karl Fiehler, wie sie einem Mitte September 1934 veröffentlichen Aufsatz zu entnehmen sind. Fiehler war zwar auch als Vorsitzender des kommunalpolitischen Ausschusses in der NSDAP-Parteiführung tätig, so daß seine Ansichten grundsätzlich als parteiamtliche gelten können. 111 Ab Spätsommer 1934 blieb unser Autor indes von der eigentlichen Parteiarbeit mehr und mehr ausgeschlossen. 112 Dementsprechend könnten Fiehlers Gedanken zur Reichsgemeindeordnung" 113 durchaus bloß die Privatmeinung des Münchners widerspiegeln. 114 Wie alle anderen Autoren ging Fiehler von Führerturn und Selbstverwaltung als den Gestaltungsgrundsätzen nationalsozialistischen Kommunalrechts aus. Selbstverwaltung war seiner Meinung nach unumgänglich, weil sich der Staat nicht mit allen Einzelheiten der Gesetzesanwendung würde befassen können. 115 Hierauf aufbauend befürwortete er, den Gemeinden sämtliche Aufgaben des örtlichen Bereiches zur eigenverantwortlichen Erledigung zu übertragen (Universalität des kommunalen Aufgabenkreises). Eine Ausnahme machte er nur hinsichtlich derjenigen Hoheitsrechte, die reichseinheitlicher Regelung bedurften. 116 Fiehler stellte weiter fest, daß den Gemeinden genügend Freiraum zur selbständigen Entwicklung gegeben werden müsse. Angesichts der Vielgestaltigkeit des kommunalen Lebens sei es etwa nicht ratsam, in der künftigen Deutschen Gemeindeordnung die Zahl der Gemeinderäte verbindlich festzuschreiben. Solches sollte vielmehr auf der Grundlage einer gemeindlichen Hauptsatzung geschehen, die Zu den parteiamtlichen Ansichten siehe aber unter D III. Dazu genauer unter D 111 11.; siehe auch Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 150. 113 So der Titel von Fiehlers am 15.9.1934 in: Der Gemeindetag, S. 546 ff., erschienener Schrift. 114 Zumal, wie wir noch sehen werden, andere führende Köpfe der NSDAP-Leitung etwa zur gleichen Zeit andere Ansichten vertraten (z.B. Sommer in einem Schreiben an Staatssekretär Lammers (Reichskanzlei) vom 12.10.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/497, Blatt 39 ff.). 115 Fiehler, Gedanken zur Reichsgemeindeordnung, in: Der Gemeindetag 1934, S.546. 111

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lI. Kommunalrefonnkonzepte von Literatur und Interessenverbänden

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ihrerseits von staatlicher Aufsichtsbehörde und örtlicher Parteileitung zu genehmigen gewesen wäre. ll ? Den Gemeinderäten sollten unserem Autor zufolge aber keinerlei Entscheidungskompetenzen mehr zukommen (anders als Goerdeler!). Ihre Tätigkeit hätte sich daher auf eine Beratung des Bürgermeisters beschränkt. 118 Normierungs- und Exekutivbefugnisse wären somit ausschließlich von den Bürgermeistern ausgeübt worden; entsprechende Überlegungen hatten vor Fiehler allerdings schon Jeserich und Markmann angestellt. 119 Zur "Führer"bindung der Gemeindeleitung bemerkte Fiehler, sichergestellt werden müsse, daß alle kommunalen Rechtsakte im Einklang mit Hitlers Vorgaben stünden. Dies werde indes nicht dadurch am besten bewerkstelligt, daß man dem Reich umfassende Genehmigungsvorbehaite zugestehe, fügte der Münchner Oberbürgermeister hinzu. Divergenzen zwischen Staat und Kommune sollten stattdessen bereits im Vorfeld gemeindlicher Entscheidungsfindung vermieden werden, und zwar dadurch, daß die Gemeindeleiter von den Fachkräften ihrer Verwaltung ausführlich beraten würden. Fiehler regte an, derartige Beratungspflichten in der Deutschen Gemeindeordnung zu verankern. 120 Energisch trat unser Autor schließlich für eine Beteiligung der NSDAP an der Kommunalverwaltung ein. Zwar betonte er, daß die laufende Behördenarbeit ungehindert parteiamtlicher Weisungen vonstatten gehen müsse. Doch sollte der P.O. in Angelegenheiten der Personalpolitik maßgeblicher Einfluß eingeräumt werden. 121 Zur Begründung verwies Fiehler auf das Hitlerwort "Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat", 122 das er in dem Sinne interpretierte, die Partei befehle dem Staat. Auch gab er zu bedenken, daß die NSDAP von der Bevölkerung für alles, was im Staat geschehe, verantwortlich gemacht werde: Deshalb sollte sie die Möglichkeit haben, die Männer, die ihr Bild in der Öffentlichkeit mitbestimmten, auszuwählen. 123 Als Verbindungsorgan zwischen Partei und Kommunalverwaltung schlug der Münchner Oberbürgermeister einen von der örtlichen P.O.-Leitung bestimmten "Vertrauensmann der NSDAP" vor, der auch den Titel "erster Gemeinderat" tragen können sollte. 124 Diesem wären die Befugnisse zugekommen, "im Beneh116 II? 118 119

120 121

Fiehler, S. 547. Piehier, S. 547. Fiehler, S. 547.

Siehe oben DIll., 2.

Fiehler, S. 547. Fiehler, S. 548.

122 Entsprechende Äußerung Hitlers auf dem NSDAP-Reichsparteitag im September 1934; dazu vgl. oben B III 4 b) ee) (2). 123 Fiehler, S. 548. 124 Fiehler, S. 548.

344

D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

men mit den anderen noch näher zu bezeichnenden Stellen" den Bürgermeister und dessen nachgeordnete Beamte zu ernennen sowie bei dem Erlaß der Ortssatzungen mitzuwirken. 125 Fiehlers Vorstellungen gingen also über die später in Kraft getretene DGO deutlich hinaus. Nicht nur, daß der "erste Gemeinderat" in allen Fragen der "Menschenführung" wichtige Entscheidungen hätte treffen können. Er wäre sogar an der gemeindlichen Normsetzung beteiligt worden. Damit mußte sich Fiehler in Gegensatz zu Goerdeler bringen, der offenbar jede kommunalpolitische Mitwirkung der NSDAP ablehnte. 126 Fiehlers Verhältnis zu Jeserich und Markmann ist demgegenüber von weit geringeren Differenzen geprägt. Vor allem schloß Jeserich Parteizuständigkeiten in Verwaltungsfragen nicht schlechthin aus. Die vorhandenen Ähnlichkeiten der Kommunalreformüberlegungen Jeserichs, Markmanns und Fiehlers mögen auf das gemeinsame Engagement aller drei Autoren im Deutschen Gemeindetag zurückzuführen sein. 127 Offizieller DGT-Haltung dürften deshalb die Forderungen nach Erweiterung bürgermeisterlicher Rechte, Minimierung des Gemeinderatseinflusses und Beteiligung der P.O. an personalpolitischen Entscheidungen entsprochen haben. Herrfahrdt und Goerdeler wurden hierdurch freilich nicht repräsentiert. Entscheidend war nun, welchem der verschiedenen Konzepte das Reichsinnenministerium und die NSDAP-Spitze folgen würden ...

Irr. Innenministerielle und parteiamtliche Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts Das war anfangs indes keineswegs klar. Auch von Seiten jener Instanzen mußten erst eigene Standpunkte erarbeitet werden, ehe an eine wechselseitige Abstimmung der Planungen gedacht werden konnte. Zu den wichtigsten im Rahmen der Kommunalreform zu lösenden Problemen zählten das Verhältnis Staat - Gemeinde, das Verhältnis von Gemeinde und NSDAP und die Frage, welche Materien überhaupt reichseinheitlich geregelt werden sollten. 128 125

Fiehler, S. 548.

Mit keinem Wort erwähnte der Leipziger Oberbürgenneister in seinen Kommunalrefonnschriften nämlich die P.O.; das zeigt besonders anschaulich sein Gemeindeordnungsentwurf vom Januar 1934 (unten DIll). 127 Fiehler und Markmann waren ja Oberbürgenneister von München bzw. Magdeburg, Jeserich geschäftsführender DGT-Präsident (siehe vom C und D II 2., 6.). 128 Instruktiv Weidemann (Vorsitzender des Ausschusses für Kommunalrecht und Kommunalverfassung der Akademie für Deutsche Recht), Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht, 2. Jahrgang 1935, S. 90 ff., hier S. 102 ff. 126

IH. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

345

Beispielsweise gab es lange Zeit Überlegungen, lediglich ein kommunalrechtliches Rahmengesetz zu erlassen, um die nationalsozialistischen Verfassungsgrundsätze auf Gemeindebene zu verankern. Weitere ausfüllende Normierungen hätten dann von den Ländern getroffen werden müssen - in Form lokal gültiger Reichsgesetze, versteht sich. 129 Darüber hinaus bot das unselige Beziehungsgeflecht von NSDAP und Kommunalverwaltung immer wieder Anlaß zu heißer Diskussion, so daß die anvisierten Organisationsreformmaßnahmen schließlich ganz erheblich verzögert wurden. 130

1. Erste vorbereitende Pläne der Reichsinnenverwaltung

Derartiges war aber bei Einsetzen der innenministeriellen Planungen noch nicht absehbar. Erste innenministerielle Gedankengänge finden wir in dem "Generalplan für das Vorgehen in der Reichsreform" 131 vom Herbst 1933. Dessen Verfasser hatte den Erlaß eines Kommunalrechtsrahmengesetzes erwogen, das zu einem später zu bestimmenden Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden sollte. Nach der Denkschrift betreffend den "Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat", verfaßt am 12. Oktober 1933,132 sollten der NSDAP entscheidende Mitspracherechte bei der Besetzung des Gemeinderats eingeräumt werden. Kraft ihres Amtes hätten dem Gemeinderat allerdings bereits die "Führer" der örtlichen berufsständischen Organisationen (Landwirtschaft, Handel, Treuhänder der Arbeit etc.) angehört.

2. Die Auswirkungen des Preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes

Bis zum Erlaß des preußischen Gemeindeverfasungsgesetzes (15.12.1933) 133 tat sich danach gar nichts mehr. Grundlegende Fragen des künftigen Reichsgemeinderechts blieben also weiterhin offen. Das vorgenannte Gesetz brachte die Reichsverwaltung jedoch in Zugzwang. Sie mußte jetzt Farbe bekennen, ob sie die dortigen Regelungen guthieß oder nicht. Normen wie die, die die Bürgermeisterernennung allein den staatlichen Aufsichtsbehörden übertrug, oder die, die die Reichsaufsicht in "Selbstverwaltungsangelegenheiten" zur Kontrolle wirtschaftlicher, sauberer und sparsamer Verwaltungsführung ausbaute, stießen nämlich auf starken Widerstand der

129 130 131 132 133

Siehe Weidemann, a.a.O., S. 102. Das wird sich im Rahmen unserer weiteren Untersuchungen zeigen! In: Bundesarchiv, Akte R 18/5439, Blatt 283 f. (siehe oben B III 4 b. aa (4). In: Bundesarchiv, Akte R 18/5436, Blatt 142 ff.; (siehe oben B III 4 b, aa (3). Abgedruckt in: Preußische Gesetzessammlung 1933, S. 427 ff.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

NSDAP. Die Partei bekämpfte naturgemäß alles, was ihren Einfluß minimierte. Mit der Einräumung einer bloßen Beratungstätigkeit war sie keineswegs zufrieden. Sauckel etwa lehnte deshalb § 43 des Gemeindeverfassungsgesetzes, wonach die obersten örtlichen "Führer" von NSDAP, SA und SS per se (nur) Mitglieder des rein repräsentativ strukturierten Gemeinderats werden sollten, als ungenügend ab: Die preußische Kommunalverfassung degradiere die P.O. zu einem einflußlosen Verein, schäumte er. 134 Die preußische Kodifikation hatte der Reichsinnenverwaltung indes nicht nur die Notwendigkeit zum Handeln aufgezeigt, sie bewirkte ferner eine Abkoppelung der Gemeinde- von der Kreis- und Gaureform. Es galt, jetzt tätig zu werden, zu einer Zeit demnach, da umfassende reichsgaubezogene Reformgesetzentwürfe noch nicht existierten. Damit war aber zugleich die Chance eröffnet, wenigstens die Gemeindeverwaltung reichsweit neu zu ordnen. Das Ministerium Fricks beauftragte jedenfalls am 22. Dezember 1933 Münchens Oberbürgermeister Fiehler als den führenden Repräsentanten nationalsozialistischer Kommunalpolitik und Leipzigs Oberbürgermeister Goerdeler, Entwürfe für eine Reichsgemeindeordnung zu erarbeiten. 135 Eigene Vorstellungen hatte die Administration scheinbar nach wie vor nicht entwickelt. Nun setzte auch die Tätigkeit des Deutschen Gemeindetages ein. Zusammen mit Fiehler berieten Jeserich, der Beigeordnete Bitter und andere kommunale Praktiker am 23.12.1933 über die Grundzüge des künftigen Gemeinderechts. 136 Erst Bitter, dann - nach Weihnachten - Jeserich machten sich an die Kodifikation des Beratungsergebnisses.Jeserich stimmte seinen Entwurf schließlich vom 4.8. Januar 1934 mit Fiehler (dem an sich beauftragten Referenten) ab, wobei "zum Teil erhebliche Änderungen vorgenommen wurden". 137 Am 9.1. "stand" dann der verfassungsrechtlliche Teil des Entwurfs Fiehler 138 und wurde dem Reichsinnenministerium zugesandt. Dieses schickte ihn und den inzwischen ebenfalls eingegangenen Entwurf Goerdelers mit Datum vom 12. Januar 1934 an die beteiligten Behörden zur Stellungnahme. Die Entwürfe, obwohl untereinander abgestimmt, 139 unterschieden sich inhaltlich erheblich. 134 Vgl. Schreiben Sauekels an Reichsinnenminister Frick vom 9.4. 1934 in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/568. 135 Vgl. Aktennotiz Staatssekretär Pfundtners vom 22. 12. 1933;in: Stadtarchiv München, Akt Bürgenneister und Rat, Nr. 472. 136 So Jeserich in einem Schreiben an Oberbürgenneister Weidemann vom 28.2. 1936; Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 2354 (S. 3 des Schreibens). I37 Schreiben Jeserichs an Weidemann vom 28.2.1936, a.a.O.(S. 3 des Schreibens). 138 Der wohl eher ein Entwurf des DGT insgesamt war. 139 Vgl. dazu Schreiben Goerdelers an Fiehler vom 6. 1. 1934, in: Stadtarchiv München, Akt Bürgenneister und Rat, Nr. 473/2.

III. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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3. Der Gemeindeordnungsentwurf earl Goerdelers

Goerde1ers Kodifikation 140 nonnierte in zwölf Teilen und 149 Paragraphen Verfassungsrecht, Beamtenrecht, Finanzwesen und Wirtschaftsführung der Gemeinden. Zum hier allein interessierenden kommunalverfassungsrechtlichen Teil ist zu bemerken, daß der Leipziger Oberbürgenneister weitgehend seinen früheren Anschauungen treu blieb. Er betonte das gemeindliche "Selbstverwaltungsrecht", indem er die Staatskontrolle auf eine bloße Rechtmäßigkeitsaufsicht beschränkte. Heutigem, demokratischem Verständnis entsprechende Selbstverwaltung hätte es allerdings auch bei ihm nicht gegeben, denn die Bürgenneister sollten von den Aufsichtsbehörden ernannt werden. 141 Trotzdem hätte die örtliche Bürgerschaft recht starke Beteiligungsmöglichkeiten an der Kommunalverwaltung gehabt. Den Gemeinderäten wurden von Goerdeler nämlich die Befugnisse zuerkannt, den Bürgenneister auszuwählen, 142 bei der Berufung der Beigeordneten 143 mitzuwirken und über den Erlaß von Satzungen sowie über alle bedeutsamen Fragen der gemeindlichen Finanz- und Wirtschaftsführung zu beschließen. Anders als im Jahre 1933 144 verlangte Leipzigs Oberbürgenneister jetzt aber nicht mehr eine Volkswahl des Gemeinderats. Vielmehr sollten die Berufs- und Wirtschaftsstände Abgesandte in die kommunale Vertretungskörperschaft entsenden. Neben den schon angeführten Beschlußrechten sind noch die Beratungsaufgaben zu nennen, welche den Gemeinderäten Goerdeler zufolge zugekommen wären: Die Bürgenneister hätten sie in allen bedeutsamen Gemeindeangelegenheiten anhören müssen. Ansonsten wären die Gemeindeleiter allerdings weitgehend selbständig gewesen, insbesondere was die Nonnenanwendung betrifft. Insoweit hätten die Gemeinderäte lediglich 145 Unterrichtungsrechte besessen. Hinzuweisen ist schließlich darauf, daß Goerdeler die Kommunalaufsichtsbehörden mit Genehmigungsvorbehalten in bezug auf bestimmte Satzungen ausstatten wollte. Insgesamt bestätigt sich danach das Bild, das wir an anderer Stelle von dem Leipziger Oberbürgenneister gewonnen haben. Er war zweifellos konservativ und trat für eine Stärkung der kommunalen Leitungsorgane ein; 146 andererseits In: Stadtarchiv München, Akt Bürgermeister und Rat, Nr. 473/2. Dazu siehe schon oben D II 4. 142 Ernennen müssen hätte den Bürgermeister aber wie gesagt die Aufsichtsbehörde. Sie sollte auch einen ihr nicht genehmen Kandidaten ablehnen können. 143 Das sind die leitenden Beamten der gemeindlichen Fachverwaltungen. 144 In seinem Aufsatz "Entwicklungstendenzen im deutschen Gemeinderecht", RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff. (oben D II 4.). 145 Aber immerhin! 140 141

348

D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

lehnte er aber Forderungen nach Ausschaltung der Bevölkerung von der Verwaltungsführung ebenfalls ab. In gewissen Dingen paßte er sich indes mehr und mehr dem Geist der Zeit an: Man denke nur an das Fallenlassen des Volkswahlprinzips. Ungeachtet Goerdelers Traditionalismus' muß außerdem festgestellt werden, daß seine Vorschläge den gemeindlichen Verfassungsaufbau grundlegend verändert hätten: An die Stelle des demokratischen wäre ein obrigkeitliches System getreten. 4. Der Gemeindeordnungsentwurf Fiehlers

Von einem umfassenden Neubau der Kommunalverwaltung zu sprechen, dazu ist man auch in bezug auf Fiehlers Gemeindeordnungsentwurf 147 berechtigt. Im Gegensatz zu Goerdeler betonte der Münchner Oberbürgermeister allerdings den Parteieinfluß in der Gemeindeverwaltung. Der zuständige Gauleiter sollte nämlich die Bürgermeisterkandidaten aufstellen können, welche von der zuständigen Aufsichtsbehörde zu ernennen gewesen wären. Weiterhin hätten die örtlichen NSDAP-Funktionäre die Gemeinderäte berufen sollen; diesbezüglich war lediglich eine Anhörung der Bürgermeister und Amtsleiter vorgeschrieben. Ihres Amtes enthoben werden können sollten die Gemeinderäte hingegen allein vom Parteigauleiter. Der Ortsgruppenleiter wäre darüber hinaus kraft seines Amtes "Erster Gemeinderat" geworden. Was die Kompetenzen des Gemeinderats anbelangt, sah Fiehlers Entwurf nur Beratungsrechte vor. In bestimmten, rechtlich oder finanziell bedeutsamen Angelegenheiten wäre die Beteiligung der kommunalen Vertretungskörperschaft jedoch immerhin zwingend notwendig gewesen. Abgesehen hiervon hätte der Bürgermeister die gemeindiiche Verwaltung weitgehend eigenverantwortlich geführt. Seine Stellung wäre indes während des ersten Amtsjahres noch leicht geschwächt gewesen, denn solange sollte er oberbehördlich absetzbar sein. Die Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsfragen wollte Fiehler wohl auf eine Rechtsmäßigkeitskontrolle beschränken. Doch sollte das Reich auch darüber wachen, daß "durch die Führung der Gemeindegeschäfte das Staatswohl nicht gefährdet wird". 148 Am Ende ist zu konstatieren, daß Fiehlers Entwurf schon weit eher der später verwirklichten Gemeindeordnung entspricht als Goerdelers Kodifikation. Wich146 Hierin trafen sich Goerdelers konservativ-etatistische und die nationalsozialistische Weltanschauung. 147 In: Stadtarchiv München, Akt Bürgenneister und Rat, NT. 473/6. 148 Vgl. Art. 66 des Fiehlerschen Entwurfes.

III. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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tigste Unterschiede zwischen Goerdeler und Fiehler sind die bei letzterem anzutreffende deutliche Einengung der Gemeinderatsbefugnisse sowie die ebenfalls dem Münchner Oberbürgermeister zuzuschreibende stärkere Machtbeteiligung der NSDAP. Die Bürgermeister wären hierdurch in eine ähnliche Abhängigkeit zur Partei geraten, wie das nach 1935 der Fall war. 149 Im Verhältnis zum Staat wären die "Gemeindeführer" allerdings erheblich selbständiger gewesen als nach dem endgültigen Gesetz. Die Reichsaufsicht sollte ja nicht in Richtung auf eine generelle Staatszielvereinbarkeitsüberprüfung erweitert werden. Hierin liegt im übrigen eine interessante Abweichung vom Preußischen Gemeindeverfassungsgesetz! Die gegenüber den preußischen Gesetzen maßvolle Ausgestaltung des Aufsichtsrechts kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit der Übernahme von Schlüsselfunktionen durch eine totalitäre Staatspartei und der Ausschaltung der Bürgerschaft neue Wege beschritten wurden, die schwerlich mit dem bisherigen Begriff der Selbstverwaltung in Einklang zu bringen waren. 150

5. Der erste Ministerialentwurf zur Deutschen Gemeindeordnung vom März 1934

Am 18. Januar 1934 übersandte Fiehler dem Reichsinnenministerium den zweiten Teil seines Entwurfs. 151 Dieser betraf das Gemeindefinanz- und -wirtschaftsrecht, worin er sich eng an Goerdelers Überlegungen anlehnte. 152 Beide von der Administration angeforderten Gemeinderechtskodifikationen waren damit vollständig. Nun ging auch die Innenverwaltung daran, eigene Vorstellungen zu entwickeln. Zuerst stellte man eine kommunalrechtliche Arbeitskommission zusammen, welcher unter Staatssekretär Pfundtners Leitung Fiehler, Goerdeler sowie der Vorsitzende des NSDAP-Ausschusses für Kommunalpolitik Weidemann 153 angehörten. 154 149 Überhaupt fällt auf, daß Fiehlers Vorschläge zur Einbindung der NSDAP in den gemeindlichen Behördenapparat in vielem bereits dem endgültigen Gesetz entsprechen: Man denke nur an die Mitwirkung der NSDAP bei der Bürgermeisterberufung! 150 Zutreffend Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S.140. 151 Vgl. Stadtarchiv München, Akt Bürgermeister und Rat, Nr.473/6. 152 Näheres soll in diesem Rahmen nicht interessieren. 153 Weidemann war zugleich Oberbürgermeister von Halle. 154 Vgl. Weidemann, Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung, S.96; Schreiben leserichs an Weidemann vom 28.2.1936, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 2354 (hier: S. 3 des Schreibens).

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

Beratungsgegenstand dieser Kommission waren die vorstehend behandelten Gemeindeordnungsentwürfe sowie das preußische Kommunalverfassungsgesetz vom 15.12.1933. 155 Als die Arbeitsgruppe am 27. Januar 1934 erstmalig zusammentrat, 156 wurde jedoch bald klar, daß das preußische Gesetz kein Vorbild für reichsweite Kodifikationen abgeben konnte. Hauptkritikpunkt war die dortige Regelung der Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten: Sie wurde als zu weitgehend und daher unakzeptabel bezeichnet. 157 Auf der Grundlage der beiden anderen Normierungen wurde nach intensiver Arbeit hingegen ein erster ministerieller Gemeindeordnungsentwurf erstellt, den Frick in der Schlußbesprechung am 27. März billigte. ls8 Der Entwurfl59 befaßte sich mit Grundfragen des gemeindlichen Verfassungs-, Beamten-, Wirtschafts- und Finanzrechts. Dabei ging er vielfach Kompromisse ein zwischen den Konzeptionen Goerdelers und Fiehlers. Besonders anschaulich wird dies, wenn man die das Verhältnis von Partei und Kommune kodifizierenden Paragraphen betrachtet. So sollte der Ortsgruppenleiter das Amt des "Ersten Gemeinderats" übernehmen. Ihm wären folgende besonderen Befugnisse zugekommen: 1. Alle übrigen Gemeinderäte sollten nur mit seiner Zustimmung (von der Auf-

sichtsbehörde) ernannt werden können.

2. Er hätte im Benehmen mit den anderen Gemeinderäten die Bürgermeisterkandidaten bestimmt, die von der Aufsichtsbehörde zu berufen gewesen wären. 160 Während der Entwurf bis dahin also weitgehend Fiehlers Gedankengängen folgte, wich er doch insoweit von ihnen ab, als eine einjährige "Probezeit" für die ernannten Bürgermeister nicht mehr vorgesehen war. Die Bürgermeister wurden stattdessen für unabsetzbar erklärt, woran selbst der "Erste Gemeinderat" nichts hätte ändern können. 161 Zur erheblichen Machtfülle der kommunalen "Unterführer" hätte ferner beigetragen, daß die Reichsaufsicht in Selbstverwaltungsdingen auf eine reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt worden wäre. 162 Weidemann, Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung, S. 96. 156 Vgl. Weidemann, Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung,

155

S.103.

157 Vgl. Weidemann, Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung,

S.103.

158 Siehe insoweit Bericht Fiehlers für HeB vom 25.4. 1934; in: Stadtarchiv München, Akt Bürgenneister und Rat, Nr. 473/6. 159 In: Bundesarchiv, Akte R 43 11/569, Blatt 23 ff. 160 In: Bundesarchiv, Akte R 4311/569, Blatt 23 ff. 161 Es fehlte ihm insoweit nämlich an Kompetenz! Vgl. Bundesarchiv, Akte R 43 11/ 569, Blatt 23 ff.; siehe insbesondere § 57 ff. des Entwurfs.

IH. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

351

Hinzu kommt, daß den Gemeinderäten entsprechend Fiehlers Vorstellungen keine Beschluß-, sondern allein noch Beratungsrechte zuerkannt wurden. Zwingend vorgeschrieben gewesen wäre die Beratung - anders als im späteren Gesetz - allerdings auch bei der Aufstellung der Haushaltssatzung. 163 Letztes Reservatsrecht der gemeindlichen Vertretungskörperschaften sollte die Rechnungsprüfung sein. Die Gemeinderäte hätten nämlich darüber wachen sollen, daß "die Verwaltung in Übereinstimmung mit dem Haushaltsplan geführt wird". 164 Gleichwohl waren sie schon weit davon entfernt, echte Kontrollorgane der Kommunalverwaltung zu sein. Goerdelers in diese Richtung gehenden Überlegungen hatten sich demnach nicht durchsetzen können. Nur ergänzend sei darauf verwiesen, daß die Bürgerschaft selbst (natürlich) von jeder Mitwirkung in Gemeindeverfassungsfragen ausgeschlossen worden wäre und daß den Kommunen gegen aufsichtsbehördliche Weisungen der Rechtsweg zu den Gerichten eröffnet werden sollte. 165 Nach allem kann mithin festgestellt werden, daß die Kodifikationsentwicklung eher in Richtung des Refonngesetzentwurfs von Fiehler verlief. An der Partei als Machtfaktor führte ja auch kein Weg mehr vorbei! 6. Regierungs- und parteiamtIichen Reaktionen auf den ersten Ministerialentwurf

a) Das Meinungsbild in Ländern und Reichsministerien Am 28. März 1934 übersandte das Reichsinnenministerium vorstehend behandelten Entwurf den Reichsministern und Landesregierungen zur Stellungnahme. 166 Deren Reaktion war insgesamt uneinheitlich. Mit Ausnahme Preußens äußerten die Länder jedoch keine grundsätzlichen Bedenken, allenfalls Änderungswünsche. Bayern beispielsweise stellte sich im ganzen sehr positiv zum Gesetzentwurf, weil er "gegenüber dem jüngst ergangenen preußischen Gemeindegesetz ... wesentliche Verbesserungen" enthalte. 167 Eine Ausdehnung der Reichsaufsicht auf die Übereinstimmung mit den Zielen der Staatsführung verlangten vor allem Baden, Bayern, Sachsen, Preußen und Thüringen. 168 162 163 164 165

§ 114 des Entwurfs. § 62 Nr. 13 des Gesetzentwurfs. § 62 H des Gesetzentwurfs. § 117 ff. des Gesetzentwurfs.

166 Vgl. die Zusammenstellung Ministerialrats Dr. Strutz' (Reichsinnenministerium) über die Stellungnahmen der Landesregierungen zum Entwurf vom 27.3. 1934, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 167 Vgl. die Stellungnahme der Bayer. Landesregierung zum Ministerialentwurf vom 27.3.1934; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr.4404. 168 Siehe insoweit die Zusammenstellung Strotz', in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

Zur Art des Einbaues der Partei in die Kommunalverwaltung gab es hingegen kaum Kritik. 169 Die künftige Stellung der Gemeinderäte war indes wieder umstritten; Preußen und Bayern lehnten Beschlußrechte für die gemeindlichen Vertretungskörperschaften kathegorisch ab, während solche von Württemberg und Sachsen gerade verlangt wurden. 170 Die Reichsinnenverwaltung mußte also eine letztendliche Entscheidung darüber treffen, wie die Bürgermeister künftig überwacht werden sollten: allein vom Staat 171 oder auch innergemeindlich. 172, 173 Sehr kritisch mit dem ersten Ministerialentwurf auseinander setzte sich der preußische Ministerpräsident GÖring. In seinem Gutachten vom 7. Mai 1934 174 konstatierte er, daß das Staatsministerium in dem Entwurf keine Grundlage für den Neubau der gemeindlichen Selbstverwaltung erblicken könne. Insbesondere seien Form und Inhalt der geplanten Staatsaufsicht völlig unzureichend. 175 Göring vermißte eine klare Herausstellung der staatshoheitlichen Organisationsbefugnisse gegenüber den Gemeinden. 176 Er schlug vor, die Regelung des preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes insoweit zu übernehmen. Die Staatsaufsicht hätte sich folglich auf eine dahingehende Kontrolle erstreckt, ob die Kommunen im Einklang mit den Zielen der Staatsführung sowie wirtschaftlich und sparsam handelten. 177 Der Sache nach wäre dies heutigem Verständnis entsprechend eine Fachaufsicht gewesen. 178 Der preußische Ministerpräsident forderte weiterhin, ganz in der Manier eines Verwaltungsbeamten, dem "Primat des Staatswillens gegenüber der Selbstverwaltung" eindeutigen normativen Ausdruck zu verleihen und nicht an überkommenen liberalistischen Vorstellungen festzuhalten. Deshalb wollte er dem Gemeinderat gerade bei der Bürgermeisterberufung keinerlei Mitwirkungsrechte zugestehen. 179 Dahinter stand offenbar die Befürchtung, Partei und berufsständische Organisatio169 Allein Preußen wehrte sich gegen die Rechtsfigur des Ersten Gemeinderats (Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404). 170 Vgl. die Zusammenstellung von Dr. Strutz; Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 171 D. h. durch Erweiterung der Reichsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten. 172 D. h. durch einen mit Beschluß- und Kontrollrechten ausgestatteten Gemeinderat. 173 Das erkannte Dr. Strutz in seiner Zusammenstellung völlig zutreffend; vgl. Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404 (S. 9 der Arbeit). 174 Stellungnahme Hennann Görings vom 7.5.1934 zum Ministerialentwurf vom 27.3.1934; Abschriften in: a) Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404; b) Bundesarchiv, Akte R 43 11/568, Blatt 190 ff. 175 Stellungnahme Görings vom 7.5.1934; S.4 des Schreibens. 176 Stellungnahme Görings vom 7.5.1934; S.6 des Schreibens. 177 Stellungnahme Görings vom 7.5.1934; S. 5 des Schreibens. 178 Dazu siehe oben A 11 7. 179 Schreiben Görings an Frick vom 7.5.1934; Bundesarchiv, Akte R 4311/568, Blatt 200.

III. Vorstellungen zur Refonn des Kommunalverfassungsrechts

353

nen könnten zu stark in Staatsgeschäfte eingebunden werden. 180 NSDAP und Administration sollten Görings Ansicht nach also voneinander losgelöst agieren. Schließlich bezweifelte der Ministerpräsident, daß die Zeit für eine grundsätzliche Neuordnung des Kommunalverfassungsrechts schon gekommen war. Er gab vielmehr zu bedenken, daß es günstiger wäre, die Gemeindereform in die Gesamtreichsreform einzubetten. 181 Auf dieser Überlegung basierte auch sein Entwurf eines Gesetzes über die vorläufige Neuregelung des Gemeindeverfassungs- und -finanzrechts, den er seiner Stellungnahme als Anlage beifügte. 182 Görings Kodifikation hätte im Falle ihrer Verwirklichung die preußischen Verfassungsverhältnisse praktisch auf das Gesamtreich übertragen. Alle wesentlichen Gedankengänge des Gesetzes vom 15.12.1933 tauchten hier nämlich wieder auf. 183. 184 Folgende wichtigen Abweichungen gegenüber der späteren Deutschen Gemeindeordnung bestanden: Es wurde zwingend vorgeschrieben, daß dem Gemeinderat der oberste Leiter der NSDAP in der Gemeinde und der für die Gemeinde zuständige rangälteste Führer der SA angehören sollten. Eine Bestimmung dahin, daß eine dieser Personen Vorsitzender des Gemeinderates zu sein habe, war nicht getroffen. Die Zuständigkeit des Gemeinderates sollte sich nicht mehr auf die ihm nach der Gemeindeordnung bzw. dem Vorentwurf zuerkannten Prüfungsrechte erstrekken. Es sollte nur noch eine gegenüber dem Vorentwurf und dem Gesetz erweiterte Anhörungspflicht bestehen, die sich nunmehr auch auf den Erlaß, die Änderung und die Aufhebung von Gemeindesatzungen jeglicher Art bezogen hätte, § 3 I Nr.7. Die Reichsaufsicht in Selbstverwaltungsfragen war im Sinne von Görings Schreiben vom 7. Mai 1934 geregelt. Der Gesetzentwurf war folglich sehr etatistisch und staatsfreundlich. Der Partei wurden nur relativ belanglose Beteiligungsrechte an der Staatsverwaltung eingeräumt, vor allem im Bereich der Bürgermeisteremennung. Hiermit hätte sich die "Bewegung" sicherlich kaum einverstanden erklärt, zumal von ihrer Seite ganz andere Forderungen auftauchten. 180 Immerhin sollte ja der NSDAP-Ortsgruppenleiter dem ersten Ministerentwurf zufolge "Erster Gemeinderat" werden (siehe soeben D II 5.). 181 Diese Ansicht hatte die Reichsinnenverwaltung früher ja selbst vertreten: Siehe oben DIll 1., 2. 182 In: a) Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404; b) Bundesarchiv, Akte R 43 II/568, Blatt 166 ff. 183 Daher sei nur stichwortartig auf sie eingegangen, vgl. im übrigen oben A II 7. 184 Zutreffend insofern: Jeserich in seinem Schreiben vom 28.2.1936 an Weidemann; Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 2354 (S. 4 des Schreibens).

23 Bachnick

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

b) Stellungnahmen der NSDAP-Leitung Doch kann selbst innerhalb der P.O. kein einheitliches Meinungsbild festgestellt werden. Fiehler etwa, der zugleich Leiter des kommunalpolitischen Amtes der NSDAP war, verteidigte den ersten Ministerentwurf als "brauchbar".185 Demgegenüber verlangte die Gauleitung Magdeburg-Anhalt stärkere Kontrollrechte der Partei im Bereich der Kommunalverwaltung. 186 In dieselbe Kerbe schlug der nationalsozialistische Kommunalpolitiker Dr. Strölin, der "liberalistische Tendenzen" des Gesetzentwurfs heftig angriff und die Forderung erhob, Abstimmungen der Gemeinderäte ausdrücklich zu verbieten. 187 Besonders scharf ist allerdings die Kritik Adolf Wagners, des künftigen 188 Leiters des Referats "Reichsreform" der NSDAP und bayerischen Innenministers, 189 ausgefallen. Wütend befand Wagner mit Schreiben vom 24.4.1934,190 daß die anvisierte Regelung der Bürgermeisterberufung "ein Überbleibsel aus der Zeit des früheren Systems" darstelle. 191 Ganz auf Parteiinteressen bedacht, machte er den Gegenvorschlag, die Gemeindeleiter "im Einvernehmen" zwischen Staatsaufsichtsbehörde und NSDP-Kreisleitung zu ernennen. Darüber hinaus wünschte der bayerische Innenminister eine normative Regelung des Inhalts, daß grundsätzlich der Partei-Ortsgruppenleiter zum Leiter der Kommunalverwaltung zu bestellen sei (Personalunion zwischen Partei- und Staatsamt! 192). Als Bürgermeister sollten die Ortsgruppenleiter allerdings nur ehrenamtlich tätig sein, damit sie jederzeit (von der NSDAP-Kreisleitung im Einklang mit der Aufsichtsbehörde) abberufen werden konnten. Hierdurch wäre garantiert worden, daß sich die Ortsgruppenleiter in ihrer neuen politischen Funktion nicht vom Gängelband der Partei lösen würden.

185 Vgl. entsprechendes Schreiben Fiehlers an Staatssekretär Pfundtner; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 186 Vgl. Schreiben des magdeburgischen Gauamtsleiters für Kommunalpolitik an Fiehler vom 30.4.1934; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 187 Vgl. Eilbrief Dr. Strölins (Stuttgarter Oberbürgenneister) an Heß vom 23.4.1934; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 188 Seit dem 11. 5. 1934 hatte Wagner die Leitung des Referats Reichsrefonn inne (vgl. entsprechenden Vennerk in der Zeitschrift "Das nationalsozialistische Rathaus", 2. Jahrgang 1934, S. 224). 189 Wagner war außerdem Parteigauleiter von München-Oberbayem. 190 Stellungnahme Wagners vom 24.4. 1934 zum ersten ministeriellen Gemeindeordnungsentwurf; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 191 Stellungnahme Wagners vom 24.4.1934, S. 27 f. (in Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr.4404 ). 192 Erst ab dem Jahre 1936 etwa sprach sich die NSDAP-Führung ja gegen eine Partei- und Staatsämterverbindung auf Gemeindeebene aus (siehe oben, A 11 7.).

IH. Vorstellungen zur Refonn des Kommunalverfassungsrechts

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Derartige Maximalforderungen aus der P.O. konnten auf Seiten der Reichsinnenverwaltung nur Unverständnis und Empörung hervorrufen. Man war drauf und dran, Hitler einen Gesetzentwurf vorzulegen, der alle Parteiforderungen negierte. Die Chancen, beim Reichskanzler durchzudringen, standen damals nicht schlecht. Fricks Administration hatte nämlich dadurch enormen Bedeutungszuwachs erhalten, daß Reichs- und preußisches Innenministerium sukzessive zusammengelegt worden waren. Im Mai 1934 übernahm der Reichsinnenminister beispielsweise in Personalunion die Leitung seiner preußischen Dependance. Aus dem gleichen Grunde der Übernahme des preußischen Beamtenapparates ging die Entwickung ab Frühsommer 1934 wieder etwas in Richtung von Görings Forderungen. 7. Der weitere Fortgang der Reform bis Juni 1934

Zuvor griff aber der Deutsche Gemeindetag erneut in die Kommunalverfassungsdiskussion ein. In seiner Denkschrift "Grundsätzliche Bemerkungen zur Deutschen Gemeindeordnung" 193 wandte er sich erneut gegen jede Aushöhlung des gemeindlichen "Selbstverwaltungs"rechts. Zu Essentialia des künftigen Kommunalrechts erhob er die Verantwortlichkeit der Gemeindeorgane gegenüber der Bürgerschaft sowie eine stärkere Beteiligung aller Gemeinderäte an der Bürgermeisterberufung. Begründet wurden diese Forderungen mit der angeblichen Notwendigkeit, daß zwischen Bürgern und Gemeindeleitung ein enges gefühlsmäßiges Band bestehe. Der Bürgermeister müsse sich mit seiner Gemeinde identifizieren können, hieß

es. 194

Im einzelnen sollte die Bürgermeisterberufung danach wie folgt ablaufen: "Der erste Gemeinderat, dem die Deutsche Gemeindeordnung die überwiegend repräsentative Aufgabe eines Sprechers der Bürgerschaft zuweist, schreibt von sich aus freiwerdende hauptamtliche Bürgenneisterstellen zunächst aus. Von der Ausschreibung kann in den Fällen abgesehen werden, in denen ein bisheriger Bürgenneister wieder bestellt oder ein bisheriger Kommissar berufen werden soll. Der erste Gemeinderat muß weiter nach einer Beratung des Ausschreibungsergebnisses mit den [übrigen] Gemeinderäten der für die Berufung zuständigen Aufsichtsbehörde mindestens drei Vorschläge vorlegen. Aus den vorgeschlagenen Bewerbern beruft alsdann die Aufsichtsbehörde den Bürgenneister. Ist die Aufsichtsbehörde mit keinem der Vorschläge einverstanden, so teilt sie dies dem ersten Gemeinderat mit. 193 Denkschrift "Grundsätzliche Bemerkungen zur Deutschen Gemeindeordnung" des Deutschen Gemeindetages, verfaßt etwa Juni 1934; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. 194 Denkschrift des DGT von etwa Juni 1934, hier S. 6 des Schreibens.

23*

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen Kommt ein neuer Vorschlag nicht zustande oder findet er wiederum nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde, so beruft der Reichsminister des Innern oder die von ihm beauftragte nachgeordnete Behörde den Bürgenneister." 195

Entsprachen diese Vorstellungen also ansatzweise den bisherigen innenministeriellen Planungen, so muß von den Überlegungen zur Auswahl der Gemeinderäte etwas anderes gesagt werden. Anders als nach dem Entwurf vom 27. März 1934 war insoweit nämlich vorgesehen, die Gemeinderäte aus einer vom Bürgermeister im Benehmen mit dem Ersten Gemeinderat (d.h. dem NSDAP-ürtsgruppenleiter) aufgestellten Liste mit doppelter Kandidatenzahl "bestimmen zu lassen". Die "Bestimmung" - Volkswahl war ja beim DGT verpönt - sollte in der Weise erfolgen, daß die Gemeindebevölkerung qua "Befragung" Namen aus der Kandidatenliste hätte streichen können. "Bestimmt" waren dann die Personen, deren Namen am wenigsten gestrichen worden waren. 196 Schließlich kritisierte der Deutsche Gemeindetag noch die im preußischen Gemeindeverfassungsgesetz enthaltene Regelung der Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten (und wandte sich damit gegen Görings Forderungen). Die preußische Regelung lasse jede tiefere Einsicht in das Verhältnis von Staat und Gemeinde vermissen, weil sie den Kommunen ihre Eigenständigkeit fast völlig nehme, behauptete man. 197 8. Der zweite reichsinnenministerielle Gemeindeordungsentwurf von Mitte Juni 1934

All die vielen Anregungen, Gegenvorstellungen und Kritiken aus Verwaltungsbehörden, kommunalen Interessenvertretungen und Parteidienststellen bewogen das Reichsinnenministerium im Juni 1934 dazu, einen neuen, stark veränderten Gemeindeordnungsentwurf auszuarbeiten. 198 Wesentliche Teile des Entwurfs entsprachen dem geltenden preußischen Recht. Beispielsweise wurde die Staatsaufsicht über die Selbstverwaltungskörperschaften dahingehend erweitert, daß sie künftig auch die Überwachung des Einklangs mit den Zielen der Staatsführung bzw. die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltungsführung einschloß. 199 Die Möglichkeit eines Verwaltungsstreitverfahrens gegen Aufsichtsrnaßnahmen wurde den Gemeinden außerdem erstmals genommen. In der Frage der Bürgermeisterberufung war man indes weitgehend den Überlegungen des Deutschen Gemeindetags gefolgt. Die Bürgermeister sollten nunmehr 195 196 197 198 199

Denkschrift des DGT von etwa Juni 1934, S. 6 der Schrift. Denkschrift des DGT von etwa Juni 1934, S. 11 f. der Schrift. Denkschrift des DGT von etwa Juni 1934, S. 5 der Schrift. In: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404. § 121 des Entwurfs.

III. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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nach Stellenausschreibung und Kandidatenvorauswahl durch den Gemeinderat (als dessen Vorsitzender der NSDAP-Kreisleiter, der sogenannte "Erste Gemeinderat", agiert hätte) von der Aufsichtsbehörde ernannt werden. Darüber hinaus wurde den Gemeinderäten vorgeschrieben, daß ihre Kandidatenvorschläge mindestens drei Personen umfassen müßten. 200 Die Stellung der Bürgermeister innerhalb ihrer Gemeinden hätte schließlich auch noch dadurch eine Einschränkung erfahren, daß sie jederzeit absetzbar sein und ein Probejahr absolvieren sollten. Entsprechend preußischem Vorbild waren hingegen wieder die Einflußmöglichkeiten der NSDAP geregelt. Eine Abweichung ergibt sich nur insoweit, als die Partei bei der Gemeinderatsberufung stärker mitwirken sollte. Entgegen den DGT-Vorschlägen war somit keine "Bestimmung" der Gemeinderäte durch das Volk geplant, sondern vielmehr eine aufsichtsbehördliche Ernennung derselben aufgrund von Kandidatenlisten der Partei und der berufsständischen Organisationen. Wie wenig die Forderungen Jeserichs und anderer Kommunal-Lobbyisten gefruchtet hatten, zeigt weiter der Umstand, daß den Gemeinderäten nicht einmal mehr ihre früher vorgesehenen Kontrollrechte (Rechnungsprüfung) zugebilligt werden sollten. 201 Daneben hätte dem Entwurf zufolge eine Fülle aufsichtsbehördlicher Genehmigungsvorbehalte bestanden. Insgesamt muß dementsprechend konstatiert werden, daß sich die zentralistisch-etatistischen Ansichten Görings und der preußischen Fachverwaltungen anfangs grundsätzlich durchzusetzen vermochten. Der Gemeindeordnungsentwurf von Mitte Juni 1934 ist das Musterbeispiel eines strikt einheitsstaatlichen Gesetzes. Selbst das Führerprinzip wäre in den Kommunen nicht im später gekannten Maße verwirklicht worden, die Bürgermeister wären viel eher lokale Befehlsempfanger als selbständig agierende Persönlichkeiten gewesen. Unbefriedigend für die NSDAP war vor allem, daß eine Mitwirkung ihres "Ersten Gemeinderats" nur bei sehr wenigen kommunalen Entscheidungen erforderlich sein sollte. Die Innenverwaltung ging anscheinend deutlich auf Konfrontationskurs zu den Wünschen Wagners und anderer. So ist es nicht erstaunlich, wenn die unterschiedlichen Meinungen in der am 16. Juni 1934 stattgefundenen Entwurfsbesprechung scharf aufeinanderprallten. 202 Während Preußen die neuen Regelungen naturgemäß guthieß, kam jetzt § 49 I des Entwurfs. Die Gemeinderäte hätten also nur noch Beratungsaufgaben besessen. 202 Siehe insoweit Niederschrift über die Beratung des DGO-Entwurfs am 16.6. 1934; in: Bundesarchiv, Akte R 2/20157; vgl. auch Weidemann, Die Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung,in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, 200 201

S. 90 ff., 97.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

Kritik seitens führender Kommunalpolitiker. Fiehler etwa erachtete den Entwurf für "unannehmbar". Seiner Ansicht nach krankte die Kodifikation an einem tiefen Mißtrauen ihrer Verfasser gegen die Bürgermeister. Insbesondere bemängelte Fiehler die Ausgestaltung der Staatsaufsichtsrechte. Bei einer die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltungsführung mit umfassenden Kontrolle würde jegliche kommunale Selbstverwaltung unterdrückt, meinte er sinngemäß. Klar war für ihn: Das Führerprinzip bedingt Selbstverwaltung auch gegenüber der Aufsichtsbehörde. 203 Ministerialrat Schattenfroh aus Bayern ging die Reichsaufsicht ebenfalls zu weit, 204 zumal, wie er glaubte, aufgrund der vielen vorgesehenen Genehmigungsvorbehalte eine Art "Doppelsicherung" des Staats entstünde. Die rigorose Ablehnung des zweiten Ministerentwurfs durch Schattenfroh und Fiehler bewirkte, daß für Ende Juli 1934 ein neuer Erörterungstermin angesetzt wurde. In der Zwischenzeit ruhten die Arbeiten am Gemeindeordnungsentwurf, ja man kann sogar sagen, daß sie ins Stocken gerieten. 205 Wieder tauchten nämlich Überlegungen auf, die Gemeindereform an die Gesamtreichsreform anzuknüpfen oder zumindest zu warten, wie sich das preußische Kommunalverfassungsgesetz in der Praxis bewähren würde. 206 Ministerialrat Schattenfroh bemühte sich unterdes, bei Adolf Wagner Sympathien für eine "nichtpreußische" Lösung zu wecken. Wagner hatte ja jetzt als Leiter des NSDAP-Reichsreformreferates zusätzliche Bedeutung erlangt. Deshalb trug Schattenfroh ihm in einem längeren Brief seine Befürchtung drohenden Zerfalls kommunaler "Selbstverwaltung" vor. Außerdem schickte der Ministerialrat der kommunal politischen Abteilung Fiehlers einen eigenhändig modifizierten Gemeindeordnungsentwurf, welcher auf der Referentenbesprechung Ende Juli 1934 unversehens als Neufassung des Reichsinnenministeriums präsentiert wurde.

9. Der Ministerentwurf vom Juli 1934 Kernnormierungen des Entwurfes 207 waren die, die die Reichsaufsicht in kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheiten zur um die Vereinbarkeit mit des Staatszielen erweiterten Rechtmäßigkeitskontrolle umgestaltete, sowie die, die 203 Niederschrift über die Beratung des DGO-Entwurfs am 16.6.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 2/20157. 204 Niederschrift über die Beratung des DGO-Entwurfs am 16.6.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 2/20157. 205 So Jeserich in einem Bericht für Fiehler über den Stand der Gemeindegesetzgebung vom 17.7. 1934; in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, NT. 2420. 206 Dazu Weidemann, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 97. 207 In: Stadtarchiv München, Akt Bürgenneister und Rat, NT. 473/1.

IH. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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dem Reich nicht bloß die Berufung des Bürgermeisters sowie die Bestätigung der Gemeinderäte,208 sondern darüber hinaus auch deren Abberufung gestattete. Der NSDAP sollten nun bei der Berufung von Beigeordneten, Gemeinderäten und Bürgermeistern stärkere Beteiligungsrechte eingeräumt werden. Jene Rechte hätten wiederum dem "Ersten Beigeordneten", d.h. dem Partei-Kreisleiter, zugestanden. Der Bürgermeister, schon ganz im Sinne des späteren Gesetzes "Unterführer" auf kommunaler Ebene, sollte an der Berufung insofern mitwirken, als die eigentliche Ernennung der Gemeinderäte ihm zugestanden hätte. Wahl- oder wahlähnliche Verfahren zur "Bestimmung" der gemeindlichen Vertretungskörperschaften waren also vom Tisch: Die Bemühungen des DGT hatten nicht gefruchtet. Der Staatseinfluß auf die Kommunalverwaltung wurde abgesehen von den bereits genannten Aufsichtsrechten durch Genehmigungsvorbehalte sichergestellt, deren Anzahl recht erheblich war. Abgelehnt wurde jedoch eine Genehmigungspflicht für Haushaltssatzungen. Zusammenfassend muß somit gesagt werden, daß der Ministerentwurf vom Juli 1934 bereits in wesentlichen Fragen dem endgültigen Gesetz entsprach. Entscheidend war, daß man von dem strikt zentralistischen preußischen Kommunalverfassungsbild abgegangen war und den Gemeinden wieder stärkere "Eigenverantwortung" einräumen wollte. Die weiterhin recht strenge aufsichtsbehördliche Kontrolle machte der Reichsinnenverwaltung diese Maßnahme akzeptabel, obwohl das Ministerium Frick ansonsten nach wie vor um eine "Gleichschaltung" der Kommunen bemüht war.

10. Der parteiamtliche Gemeindeordnungsentwurf vom August 1934

Daß es zur Realisierung auch des dritten Ministerentwurfes nicht kam, dürfte indes der NSDAP-Führung zuzuschreiben sein. Nachdem Hitler am 25. Juli Heß zur Mitwirkung bei der Gemeindereformgesetzgebung aufgefordert hatte, entwikkelten Adolf Wagner, 209 Walter Sommer 21O und Regierungsrat Müller 211 nämlich im August 1934 einen eigenen Gesetzentwurf, der in vielem von den administrativen Planungen abwich. 212

208 Mit Ausnahme des "Ersten Gemeinderats" natürlich. (Dieser wäre ohne Beteiligung des Staats allein von der Partei bestimmt worden.) 209 Wagner war damals Leiter des Referats "Neubau des Reiches" bei der NSDAPParteizentrale in München. 210 Sommer war u. a. Leiter des "Referats für staatsrechtliche Fragen" bei der NSDAPParteizentrale in München. 211 Müller war Referent im "Referat für staatsrechtliche Fragen". 212 In: Stadtarchiv München, Akt Bürgermeister und Rat, Nr. 473/5.

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D. Nationalsozialistische Gemeindereformplanungen

Besonders augenscheinlich waren die Unterschiede auf dem Feld des Einbaus der NSDAP in den Staat. Der Ortsgruppenleiter sollte Wagner und Sommer zufolge beispielsweise sämtliche bisherigen Funktionen der Gemeindevertretung übernehmen und dazu die wichtigsten Kompetenzen des Bürgermeisters. Außerdem wären in seiner Hand alle wichtigen Fäden der Bürgermeister-Berufung zusammengelaufen: Schließlich hätte er die Gemeindeleiter selbst ernennen können! Die unbegrenzte Autorität des Ortsgruppenleiters in Fragen der "Menschenführung" hätte sich überdies darin geäußert, daß er die Gemeinderäte auswählen und einsetzen sollte. Da war es nur konsequent, ihm in allen wichtigen Fragen der kommunalen Verwaltungsführung Informations-, Raterteilungs- bzw. Zustimmungsrechte zu gewähren. Im Gegensatz zu Wagners früheren Vorstellungen wurde aber wenigstens von der Kodifizierung einer Personalunion in Partei- und Staatsamt abgesehen. Worauf sonst noch hinzuweisen ist: Die Bevölkerung wäre natürlich in keiner Weise an der Kommunalverwaltung beteiligt worden, und die Gemeinderäte hätten allein beratende Funktion ausgeübt. 213 Mit einem Wort: Der Gemeindeordnungsentwurf vom August 1934 war rundherum eine "lex NSDAP".

11. Die Suche nach einem Kompromiß zwischen dritter Ministerial- und parteiamtlicher Fassung der Gemeindeordnung; der "Akademie-Entwurf"

Insofern konnte er von den zuständigen staatlichen Stellen nicht akzeptiert werden. Die Verhandlungen gerieten somit in eine Sackgasse. Aus dieser heraus führten schließlich die Aktivitäten Weidemanns, der den Ausschuß für Kommunalrecht und Kommunalverfassung der Akademie für Deutschen Recht einschaltete. 214 Alle Beteiligten einigten sich darauf, die weiteren Erörterungen zunächst innerhalb der Akademie stattfinden zu lassen, und hofften, auf diese Weise zu Kompromissen zu gelangen. 215 Die erste Akademiesitzung erfolgte am 1. September 1934. Zugegen waren neben Staatssekretär Pfundtner Ministerialdirektor Dr. Suren (preußisches Innenministerium), DGT-Präsident Jeserich,216 die Ministerialräte Schattenfroh (jetzt 213 Kontroll- und Überwachungsbefugnisse des Gemeindesrats hätte es danach nicht mehr gegeben. 214 Vgl. Weidemann, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 98. 215 Weidemann, S. 98 216 Insofern ist die Aufzählung bei Weidemann, Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 99/100, nicht ganz vollständig. Darauf wies Jeserich in seinem Schreiben an Goerdeler vom 28.2.1936 (Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 2354) hin (S.5 des Schreibens).

III. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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Reichsinnenministerium) und Dr. Strutz (ebenfalls Reichsinnenministerium), Reichsleiter Oberbürgermeister Fiehler vom Stab des Führerstellvertreters, sowie die Oberbürgermeister Goerdeler und Weidemann. 217 Ersten Vorträgen 218 folgte eine allgemeine Aussprache, welche vom 18. bis 22. September durchgeführt wurde. Sie war durch eine längere Auseinandersetzung zwischen NSDAP-Referats leiter Adolf Wagner und dem preußischen Staatssekretär Grauert über den Einbau der Partei in die Kommunalverwaltung gekennzeichnet. 219 Am 29./30. September einigte man sich dann auf einen neuen Gemeindeordnungsentwurf, der als "Akademie-Fassung" 220 oder - wegen der Stätte seiner endgültigen Redaktion - als "Fassung Braunes Haus" 221 bezeichnet wurde. 222 Der Entwurf wies deutliche Parallelen zur 3. Ministerialfassung auf, während er der parteiamtlichen Kodifikation nur in Einzelfragen entsprach. Besondere Rücksichtnahme fanden die Parteiinteressen vor allem im Bereich der sogenannten "Menschenführung". Der Ortsgruppenleiter sollte nämlich den Bürgermeister und mit dessen Einvernehmen auch die Gemeinderäte bestimmen können. 223 Bei der Bürgermeister-Berufung wären also entscheidende Machtbefugnisse auf NSDAP-Organe übergeleitet worden; 224 darüber kann selbst der Umstand nicht hinwegtäuschen, daß vorher die Zustimmung der Staatsaufsichtsbehörde eingeholt werden müssen sollte. 225 Überhaupt sollte der NSDAP-Einfluß der Akademie-Fassung zufolge nicht mehr durch einen "Ersten Gemeinderat", sondern allein durch die Person des Ortsgruppenleiters sichergestellt werden. Der Parteiinteressenvertreter hätte bei dieser Konstruktion verwaltungsorganisatorisch neben der Kommunaladministration gestanden, eine so starke Durchdringung des Behördenapparates mit NSDAPOrganen wie nach dem Entwurf vom August 1934 wäre daher nicht erfolgt. Dessen ungeachtet sollte der Ortsgruppenleiter aber zum Erlaß von Gemeindesatzungen jeglicher Art und zur Verleihung von Ehrenrechten zuzustimmen beSiehe Weidemann, Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 99/100. U. a. sprach Goerde1er über die "Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden", Fieh1er über die "Grundzüge der Gemeindeorganisation" (vgl. Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 100). 219 Näheres hierüber konnte nicht ermittelt werden. Siehe aber Weidemann, S. 101. 220 So Weidemann, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 101 und öfter. 221 "Braunes Haus" war eine volkstümliche Bezeichnung für die Münchner NSDAPParteizentrale; der Begriff "Fassung Braunes Haus" stammt von Adolf Wagner (vgl. Weidemann). 222 Der Gesetzentwurf ist abgedruckt bei Weidemann, Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 112 ff. 223 Vgl. § 37 II Iit. a des Gesetzentwurfes. 224 Darauf weist schon Weidemann, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 104, sinngemäß hin. 225 Vgl. § 48 II des Gesetzentwurfes. 217 218

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

rechtigt sein. 226 Außerdem hätte er sein placet zur Berufung von Beigeordneten und sonstigen Gemeindebeamten geben müssen. 227 Vervollkommnet worden wären seine Befugnisse schließlich dadurch, daß er an allen Gemeinderatssitzungen teilnehmen können sollte. 228 Der Bürgermeister wurde vom Akademie-Entwurf wiederum als "Gemeindeführer" ausgestaltet. Seine Befugnisse wären durch die schon genannten NSDAPMitwirkungsrechte zwar weiterhin erheblich eingeschränkt worden, doch insgesamt größer als nach dem Parteigesetzentwurf vom August gewesen. Zum Beispiel sollte er Dienstvorgesetzter aller ihm nachgeordneten Beamten sein. 229 Erst einmal ernannt, hätte er für die Dauer seiner Amtszeit (12 Jahre) im übrigen grundsätzlich nicht mehr abgesetzt werden können. 230 Die weitere Gliederung der Bürgermeisterbehörde wäre praktisch analog den endgültigen Regelungen vorgenommen worden (Beigeordnete als Fachabteilungsleiter, 231 darunter Referatsleiter und Referenten). Zusätzlich sah der hier behandelte Entwurf aber noch einen "Ersten Beigeordneten" vor, der den Gemeindeleiter im Verhinderungsfalle vertreten hätte. 232 Zur Stellung der Gemeinderäte ist zu bemerken, daß sie - wie nach dem späteren Gesetz - äußerst dürftig ausgefallen wäre. Die Gemeinderatsbefugnisse hätten sich im wesentlichen in Beratungstätigkeiten erschöpft. Es war jedoch entsprechend der nachmaligen DGO geplant, hinsichtlich bestimmter Angelegenheiten eine Beratungspflicht einzuführen. 233 Der Beratungspflicht unterfallen wären insbesondere die Aufstellung des Haushaltsplanes und Maßnahmen zur Überschreitung desselben (Parallele zum 3. Ministerial- und parteiamtlichem Entwurf!). Am Ende noch ein Wort zur Staatsaufsicht: Sie wurde vom hiesigen Entwurf unverändert gelassen. In Reichsauftragssachen hätte also dienstrechtliche und fachliche Weisungsgewalt bestanden, in Selbstverwaltungsdingen eine um die Kontrolle der Vereinbarkeit mit den Zielen der Staatsführung "erweiterte" Rechtsaufsicht. 234 Aufsichtsakte sollten weiterhin nicht länger gerichtlich, sondern nur noch oberbehördlich überprüft werden können (entspricht der endgültigen Regelung).235 Vgl. § 37 11 lit. b des Gesetzentwurfes. Noch § 37 11 lit. b des Gesetzentwurfes. 228 § 60 des Gesetzentwurfes. 229 § 43 des Gesetzentwurfes. 230 § 51 des Gesetzentwurfes; Absetzung wäre wohl nur aus disziplinarrechtlichen Gründen zulässig gewesen. 231 Vgl. §§ 44 I, 45 des Gesetzentwurfes. 232 § 44 11 des Gesetzentwurfes. 233 Vgl. § 59 des Gesetzentwurfes. 234 Vgl. §§ 211, 10 I, 11 des Gesetzentwurfes. 235 In: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403. 226 227

111. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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Mit nur geringfügigen Änderungen übernahm das Reichsinnenministerium vorstehende Kodifikation als seinen vierten Ministerialentwurf; 236 nicht ohne Bedenken allerdings. 237 Eines schien nach allem Zank und Streit jedenfalls klar: Es wird einer Entscheidung des "Führers" und Reichskanzlers bedürfen, in welcher Weise und an welcher Stelle der gemeindlichen Verwaltung der Wille der Partei geltend gemacht werden soll. 238 Neuerliche Kontroversen bestätigten alsbald, daß die "AkademieFassung" letztlich doch nicht konsensfahig war. Die endgültige Zusammenlegung von preußischem und Reichsinnenministerium im Oktober 1934 bewirkte etwa, daß man sich erst wieder "innerministeriell" auf eine gemeinsame Haltung zur Gemeindereformfrage verständigen mußte. 239 Auch die Partei führung bemühte sich um eine (weitere) Verbesserung ihrer künftigen kommunalverfassungsrechtlichen Position. In diese Richtung aktiv wurden mehr und mehr Heß, Wagner und Sommer, während Fiehlers Beteiligung an der Gemeindegesetzgebung stark zurückging. Sommer verlangte beispielsweise mit Schreiben vom 12. Oktober 1934, Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und Gauleiter müßten (in Personalunion) die jeweiligen Führungsämter der allgemeinen inneren Verwaltung übertragen erhalten. 240 Seine alte 241 Maximalforderung bekräftigte Führerstellvertreter Heß dann sogar selbst (am 8. November gleichen Jahres). Administrative Bedenken wegen der häufig unzureichenden Vorbildung der Ortsgruppenleiter versuchte er dadurch zu zerstreuen, daß er versicherte, die Partei werde sich um die Weiterbildung ihrer Führungskräfte kümmern. Außerdem schlug Heß vor, übergangsweise könnten ja höhere Parteiinstanzen den Ortsgruppenleitern bei der Erfüllung ihrer Aufgabe helfen und vielleicht sogar innerparteilich an ihre Stelle treten."242

236 In: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403. 237 Siehe insoweit Vorlage des Ministerialrats Dr. Strutz an Reichsinnenminister Frick vom 26.10.1934 mit Bemerkungen zu der "Akademie-Fassung" und dem darauf fußenden Regierungsentwurf (in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403). 238 Strutz an Frick (26.10.1934); siehe Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403. 239 Differenzen zwischen der preußischen und der Reichsinnenverwaltung bestanden dabei nach wie vor. Sie zu überwinden, suchte Staatssekretär Pfundtner einen gemeinsamen Vortrag bei Frick herbeizuführen (entsprechende Vorlage vom 7. 11. 1934 in: Bundesarchiv, Akte R 18/5596, BI. 3 ff.). 240 Vgl. das Schreiben Sommers an den Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei Lammers vom 12.10.1934; in: Bundesarchiv, Akte R 4311/497, Blatt 693 ff. 241 Dazu siehe oben DIll 6 b) (Stellungnahme Wagners zum ersten Ministerialentwurf der Deutschen Gemeindeordnung vom 24.4.1934). 242 Schreiben Heß' an Reichsinnenminister Frick vom 8.11. 1934; in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv Berlin, Rep. 77 Nr. 10, Blatt 130.

D. Nationalsozialistische Gemeindereformplanungen

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Derartige Vorstellungen lösten indes den heftigen Widerstand Fricks und seiner Beamten aus. 243 Das Innenministerium war nach wie vor nicht bereit, die Ortsgruppenleiter zu politischen Gemeinde"führern" zu machen. Als am 8. und 9. Dezember 1934 Fiehler, Wagner, Sommer und Müller die Kommunalreform erneut beraten wollten,244 kam Frick ihnen, das Gesetz des Handeins an sich reißend, insofern zuvor, als er per Schreiben vom 6.12. für den 14.12. zu einer Chefbesprechung nach Berlin einlud. 245 Gleichzeitig wurde ein neuer innenministerieller Gemeindeordnungsentwurf übersandt, der, wie bereits erwartet,246 in mancherlei Hinsicht von der "Akademie-Fassung" abwich.

12. Der Ministerialentwurf vom 6. Dezember 1934 und die Einigung in der Frage der NSDAP-Beteiligung an der Kommunalverwaltung

Wesentliche Neuregelung des Entwurfs vom 6. Dezember 247 war, daß die Parteibefugnisse wieder eingeschränkt wurden. Keine Rede war mehr davon, daß der Ortsgruppenleiter die Bürgermeister ernennen oder zu allen gemeindlichen Satzungen zustimmen sollte. Vielmehr beabsichtigte man nun, die Kreisleiter an der Kommunalverwaltung zu beteiligen, und zwar in der Weise, daß sie die Bürgermeisterkandidaten auswählen, die Berufung und Abberufung von Beigeordneten genehmigen, die Abberufung der Bürgermeister vorschlagen bzw. dabei angehört werden, die Verleihung von Ehrenbürgerrehten anregen bzw. bestätigen können sollten. Außerdem hätten nur noch Haupt- und Haushaltssatzung "im Einvernehmen" mit dem Kreisleiter beschlossen werden müssen. Die Rechtsfigur des "NSDAPBeauftragten" kannte der Entwurf nicht. 243 Vgl. handschriftlichen Vermerk Dr. Surens (Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium) vom 14. 11. 1934: "Schlage vor schnellste Einberufung einer Konferenz der Q(ber)B(ürgermeister) und Reg(ierungs)präsidenten unter Teilnahme aller Herren Minister . . . Alsdann Preußischer Ministerrat und Herbeiführung zunächst grundSätzlicher Entscheidung im Reichskabinett über anzugebende Punkte." (in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv Berlin, Rep. 77, Nr. 10). 244 Entsprechende Notiz in: "Das nationalsozialistische Rathaus", 3. Jahrgang 1935, S.15. 245 Entsprechende Schreiben vom 6.12.1934 in: Bundesarchiv, Akte R 2/20157. 246 Jeserich hatte nämlich eine Information Goerdelers, wonach die Innenverwaltung die in der "Akademie-Fassung" gefundene Lösung des Verhältnisses von Partei und Staat nunmehr ablehnte, schon Fiehler zukommen lassen: siehe Aktennotiz in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403. 247 In: Bundesarchiv, Akte R 2/20157; derselbe Entwurf befindet sich auch im Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403. Dort hat er das Datum vom 12.12.1934.

III. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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Hinsichtlich der Bürgenneister fallt auf, daß wieder deren vorzeitige Entlassung ennöglicht worden wäre. Ein "Probejahr" hätten die Gemeindeführer wie schon nach dem Akademie-Entwurf jedoch nicht zu absolvieren gehabt. Heß beantwortete die ministeriellen Vorschläge zurückhaltend. Einerseits konstatierte er zwar Rückschläge gegenüber dem Juni-Entwurf und meinte in zahlreichen Fragen widersprechen zu müssen, weil gerade in den wesentlichsten Teilen dem Standpunkt der Partei nicht entsprochen worden sei. 248 Andererseits wollte er aber eine weitere Eskalation der Gegensätze möglichst venneiden und regte deshalb an, die für den 14.12. geplante Chefbesprechung zu verschieben. In der Zwischenzeit sollte eine Aussprache zwischen ihm und Frick stattfinden, an der auch die Sachbearbeiter beider Seiten teilnehmen sollten. Der Reichsinnenminister ging auf Heß' Angebot ein, offenbar auf einen Durchbruch in den noch strittigen Fragen hoffend. Und seine Hoffnung trog ihn nicht. Die vom Stellvertreter des "Führers" vorgeschlagenen Besprechungen fanden am 20. Dezember 1934 und am 8. Januar 1935 statt. 249 Schließlich einigte man sich hinsichtlich des Einbaus der Partei in die Kommunalverwaltung auf folgende Lösung: 250 Eine nicht näher festgesetzte, im allgemeinen jedoch überörtliche Stelle sollte "Beauftragter der NSDAP" werden. Ihr wäre die Aufgabe zugekommen, die Interessen der P.O. wahrzunehmen, insbesondere den gemeindlichen Haupt- und Haushaltssatzungen zuzustimmen. Weiterhin wäre der Parteibeauftragte kraft seines Amtes Mitglied im Gemeinderat geworden und hätte demnach den Bürgenneister bei seiner Entscheidungsfindung beraten können. Den Sitzungen des Gemeindesrats beiwohnen können sollten außerdem in kreisfreien Städten die Gauleiter, in kreisangehörigen Gemeinden und Städten die Kreisleiter der NSDAP. Falls sich Partei stellen und Aufsichtsbehörden einmal in Einzelfragen 251 nicht einigen würden, hätte am Ende der Reichsstatthalter zu entscheiden gehabt. Rasch wurde der gefundene Komprorniß in die Fonn eines neuerlichen Gesetzentwurfes gegossen, welcher gemeinsam mit der Einladung zu einer am 14. Januar 1935 stattfindenden Chefbesprechung zugestellt wurde. 252 Hiervon Kennt248 Schreiben HeB' an Reichsinnenminister Frick vom 10.12.1934, in: Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Rep. 77 Nr. 10, Blatt 132. 249 Vgl. insoweit Weidemann, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 90 ff., hier S. 101 f. 250 Erstmaligen normativen Ausdruck gefunden haben nachstehende Regelungen in einem innenministeriellen Gesetzentwurf vom 4. 1. 1935, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 142, DGT, B, Nr. 4402. 251 Hauptanwendungsfall gewesen wäre die Bürgermeisterberufung, bei der der Parteibeauftragte ja die Kandidatenvorschläge zusammenstellen, die Aufsichtsbehörde aber die Auswahl treffen sollte. 252 In: Bundesarchiv, Akte R 43 11/568, Blatt 331 ff.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

nis erhielt indes auch Leipzigs Oberbürgermeister Goerdeler,253 der die Gelegenheit ergriff, die Nachteile der Lösung zu beschreiben und Alternativen aufzuzeigen. Goerdeler warnte insbesondere vor der beabsichtigten Schaffung eines "Beauftragten der NSDAP". Außerhalb der Verwaltung stehende Kontrollorgane, wie der Parteibeauftragte, hätten häufig die Eigenschaft, willkürlich in den Verwaltungsgang einzugreifen, meinte er. Durch ein solches "Hineinregieren" würden aber Verantwortungsbewußtsein und Entschlußfreude bei den leitenden Gemeindebeamten vernichtet, führte der Oberbürgermeister weiter aus. 254 Deshalb sollte seiner Meinung nach an der Rechtsfigur des "Ersten Gemeinderats" festgehalten werden. 255 Diesem von den zuständigen Parteidienststellen ernannten Beamten sollten allerdings weiterreichende Kompetenzen überlassen werden, als noch der Kompromißgesetzentwurf vom 8. Januar vorgesehen hatte. Vor allem hätte er Goerdeler zufolge sämtlichen Gemeindesatzungen sowie der Verleihung von Ehrenbezeichnungen sein placet erteilen müssen. 256 Noch weniger als diese Anregung dürfte dem stets auf "ausreichende" Eingriffsmöglichkeiten des Reichs bedachten Innenminister jedoch gefallen haben, was Leipzigs Oberbürgermeister zur Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten zu sagen hatte. Goerdeler kritisierte deren Erweiterung in Richtung auf eine Überprüfung der Staatszielkonformität kommunaler Einzelakte. Er glaubte, dem Gesetzgebungswerk den Vorwurf der "Kleinlichkeit" insoweit nicht ersparen zu können. 257 Scharf geißelte Goerdeler außerdem die zahlreichen Genehmigungsvorbehalte, die der Gesetzentwurf vom 8. Januar wieder enthielt. Sie waren für ihn Ausdruck eines "phantastischen Mißtrauens, daß ja unten auch einmal etwas Falsches gemacht werden könnte". 258 Dementsprechend regte er an, die Genehmigungsvorbehalte teils ersatzlos aufzuheben, teils die Kommunen von ihnen fakultativ freizustellen. 253 Offenbar hatte Frick Goerdeler ein Exemplar des Gesetzentwurfes zugesandt; an der Beratung am 14. Januar 1935 nahm Goerdeler natürlich nicht teil (es handelte sich um eine innenninisterielle Besprechung), vgl. Schreiben Goerdelers an Frick vom 11.1.1935, in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/569, Blatt 140 ff, hier Blatt 140. Goerdeler schreibt gleich am Anfang: "Den mir freundlichst zur Verfügung gestellten Entwurf ... habe ich durchgearbeitet ... ". 254 Schreiben Goerdelers an Frick vom 11.1.1935; Bundesarchiv, Akte R 4311/569, Blatt 140. 255 Schreiben Goerdelers an Frick vom 11.1.1935; Bundesarchiv, Akte R 43 II/569, Blatt 148. 256 Schreiben Goerdelers an Frick vom 11. 1.1935; Bundesarchiv, Akte R 43 11/569, Blatt 146. 257 Schreiben Goerdelers an Frick vom 11. 1. 1935; Bundesarchiv, Akte R 43 11/569, Blatt 144. 258 Schreiben Goerdelers an Frick vom 11.1.1935; Bundesarchiv, Akte R 43 II/569, Blatt 148.

III. Vorstellungen zur Reform des Kommunalverfassungsrechts

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13. Letzte Vorarbeiten an der Deutschen Gemeindeordnung Wesentliche Bedeutung für den Ausgang der Chefbesprechung vom 14. Januar hatte Goerdelers Kritik indes nicht mehr. Niemand war bereit, den mühselig errungenen Komprorniß aufs Spiel zu setzen. 259 Allerdings konnte Übereinstimmung dahingehend erzielt werden, Haushaltssatzungen von der Zustimmung des Parteibeauftragten doch auszunehmen. 260 Außerdem entfiel die bisher geplante Regelung, wonach der NSDAP-Vertreter die ehrenamtlichen Bürgermeister berufen sollte. Damit war der Entwurf kabinettsreif; die entscheidende Kabinettssitzung 26 \ wurde für den 24. Januar 1935 anberaumt. 262 Dessen ungeachtet versuchten einige Beteiligte immer noch, Änderungen des Gemeindeordnungsentwurfes herbeizuführen. Weidemann etwa versandte eine Denkschrift betreffend die "Verankerung der NSDAP in der Gemeindeverwaltung" an Hitler und andere wichtige Persönlichkeiten. 263 Darin forderte er, dem Parteibeauftragten mehr Einfluß auf die Gemeindeverwaltung zu geben. Es genüge nicht, führte Weidemann weiter aus, die Partei nur bei der Auswahl der leitenden Gemeindeorgane zu beteiligen. Deshalb sollte der NSDAP-Vertreter wenigstens kommunale Haushaltssatzungen genehmigen können. Auch Goerdeler versuchte noch einmal, das Ruder herumzuwerfen. Ihm gelang es sogar, persönlich beim "Führer" vorzusprechen, wo seine Argumentation Eindruck machte. 264 Inzwischen hatte Leipzigs Oberbürgermeister freilich - u. U. aus taktischen Gründen - den Partei beauftragten akzeptiert. Jedoch wollte er ihn von den Gemeinderatssitzungen ausschließen und die Position des Bürgermeisters ihm gegenüber verstärken. Schließlich verlangte Goerdeler nochmals, die Zahl der Genehmigungsvorbehalte zu reduzieren und durch bloße Anzeigepflichten zu ersetzen. 259 An der Chefbesprechung nahmen u.a. teil: Gürtner (Reichsjustizminister), Popitz (Finanzstaatssekretär), Kerrl (ehern. preußischer Justizminister,jetzt Reichsjustizministerium), Wagner und Lammers. 260 Vgl. die Aufzeichnung der Reichskanzlei vom 16. 1. 1934 über die Chefbesprechung in; Schreiben Goerdelers an Frick vom 11. I. 1935; Bundesarchiv, Akte R 43 11/ 568, Blatt 376 ff. 26\ Damals, Anfang 1935, fanden ja noch öfter Kabinettssitzungen statt. 262 Am 16. Januar 1935 erfolgte die Übersendung des Gemeindeordnungsentwurfs an die Reichskanzlei. Siehe insoweit: Schreiben Goerdelers an Frick vom 11.1.1935; Bundesarchiv, Akte R 43 11/568, Blatt 376. 263 Die Denkschrift ist abgedruckt bei Weidemann, Zur Entstehungsgeschichte der Deutschen Gemeindeordnung, Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1935, S. 90 ff., hier S. 108 f. 264 Seine Kritik und Änderungsvorschläge faßte Goerdeler dann schriftlich zusammen und sandte sie mit Datum vom 23.1.1935 an Hitler: Siehe sein Schreiben (unter dem Briefkopf "Der Reichskommissar für Preisüberwachung") an den "Führer" und Reichskanzler vom 23.1.1935; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/569, Blatt 140 ff.

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D. Nationalsozialistische Gemeinderefonnplanungen

Großer Erfolg war am Ende aber weder Weidemann, noch Goerdeler beschieden. Hitler ließ sich zwar auf der Kabinettssitzung vom 24. Januar 265 darüber aus, daß zu viele Genehmigungsvorbehalte die Initiative und Verantwortungsfreudigkeit der Bürgermeister lähmten,266 und man beschloß, entsprechend Goerdelers Vorstellungen zu verfahren. Doch trug das endgültige Gesetz dem dann wieder nicht Rechnung: Kein einziges Genehmigungserfordernis ist in eine Anzeigepflicht umgewandelt worden. Am 30. Januar 1935 konnte die Deutsche Gemeindeordnung endlich in Kraft treten. Frühere Termine, z.B. der l. April 1934 bzw. der l. Oktober 1934,267 hatten angesichts der Kontroverse zwischen Partei- und Staatsinstitutionen ungenutzt verstreichen müssen. Immerhin hatten NSDAP-Führung und Reichsinnenministerium zum Schluß aber Einigkeit über die strittigen Fragen erzielen können, so daß das Kommunalverfassungsrecht tatsächlich reformiert wurde. Das Gemeinderecht war die einzige Rechtsmaterie, in denen der nationalsozialistische Endausbau des Reiches gelang: Weder Kreis-, noch Reichsgaureform wurden jemals abgeschlossen. Der in der Deutschen Gemeindeordnung gefundene Komprorniß zum Einbau der Partei in den Staat war eben nicht von Dauer, wie schon die Debatten um den Kreisordnungsentwurf belegen. 268 Daher blieb der Reichsverfassungsausbau unter Hitler das, was er bereits nach Realisierung der "vorläufigen Umgestaltungsmaßnahmen" 1934 gewesen war: unfertig und zufällig. Die Frage ist nur, ob dies von Anfang an beabsichtigt war

265 V gl. die Niederschrift über die Kabinettssitzung vom 24. 1. 1935; in: Bundesarchiv. Akte R 43 II/569. 266 Hitler folgte also Goerdelers Argumentation weitgehend. 267 Nachweise bei Matzerath. Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 414 und 146. 268 Dazu siehe oben D III.

E. Zusammenfassende Würdigung I. Die unterschiedlichen Positionen von NSDAP und Reichsinnenverwaltung in ihrer Bewertung; das Scheitern der Reform Wollte man eine Bilanz der nationalsozialistischen Reichsreform ziehen, müßte sie negativ ausfallen. Keine einzige der vielen, zum Teil sehr unterschiedlichen, Konzeptionen ist am Ende verwirklicht worden. Auf Altreichsebene tat sich beispielsweise nach Erlaß des (zweiten) Reichsstatthaltergesetzes fast gar nichts mehr, in Ostmark und Sudetenland nur deswegen, weil dort ein behördenorganisatorischer Umbau dringend notwendig erschien. I Die realisierten Verfassungsstrukturen dürfen indes nicht über den geplanten Endausbau des Dritten Reiches hinwegtäuschen. Alle am Reformwerk beteiligten Organisationen waren sich nämlich wenigstens darin einig, daß ein straff zentralistisch gegliederter Einheitsstaat "romanistischer Prägung" (als solcher kann das Reich ab 30. 1. 1934 verfassungstheoretisch bezeichnet werden) den gewachsenen deutschen Traditionen widerspreche und deshalb abzulehnen sei. 2 In der Bewertung der erforderlichen Dezentralisationsmaßnahmen bestanden demgegenüber bereits erhebliche Unterschiede zwischen den Autoren. 1. Die Haltung des Reichsinnenministeriums

Die Haltung des Reichsinnenministeriums kann als bürokratisch-etatistisch bezeichnet werden. Geradezu das Markenzeichen von Fricks Administration war die Forderung nach Kodifizierung des künftigen Verfassungsrechts. Gestützt auf alte Beamtentraditionen, vertraute der Reichsinnenminister nur der geschriebenen Norm. 3 Der Glaube an einen nationalsozialistischen "Rechts- und Verfassungsstaat" stand indes in fundamentalem Gegensatz zu mehreren Essentialia der herrschenden Lehrmeinung. Wo, wie Huber sinngemäß behauptete, der Wille des "Führers" Dazu siehe ausführlich unter A 11 8 a), 8 b),; B IV 1. Siehe z. B. Jeserich, Die Gemeinde im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 1933, S. 309 ff., 310; ähnlich Goerdeler, Entwicklungstendenzen im deutschen Kommunalrecht, RuPrVerwBI. 1933, S. 421 ff., 421. 3 Zutreffend D. Rebentisch, Innere Verwaltung, in: Jeserich / Pohl/ von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. IV, S. 741. I

2

24 Bachnick

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E. Zusammenfassende Würdigung

Gesetz war, 4 da durfte es logischerweise z. B. keine "Führer"bindung an (geschriebenes) Recht mehr geben. Die Administration war aber nicht konsequent genug, die letzten Schlüsse aus dem nationalsozialistischen Verständnis von "Leitung, Lenkung und Führung" zu ziehen bzw. nach außen hin zu vertreten. 5 Vielleicht war man zu konservativautoritär, um nach Art der Partei eine revolutionäre, grundlegende Umgestaltung des Staats auf völlig neuer Basis einfordern zu wollen. Tatsache ist jedenfalls, daß Zentralisierungs- und Unifikationsbestrebungen schon der Weimarer Beamtenschaft zu eigen waren. 6 Anscheinend ging es vielen leitenden Staatsbeamten ab 1933 vor allem darum, ein "Einheitsreich" zu schaffen; ob dieses Reich nationalsozialistisch sein würde oder nicht, war demgegenüber zweitrangig. Trotzdem muß gesagt werden, daß Frick, Stuckart, Nicolai und alle anderen leitenden Reichsbeamten natürlich überzeugte Nationalsozialisten waren. Sie suchten allerdings bewußt? zu kaschieren, daß der Führergedanke schließlich die Auflösung des Staates bedingt. 8 Daher machte sich die Reichsinnenverwaltung zwar für eine Umsetzung der nationalsozialistischen Verfassungsprinzipien im Reichsaufbau stark, betonte aber immer wieder das Primat des Staates. Letzten Endes sollten die obersten Reichsbehörden stets alle Fäden der Macht in Händen behalten. Aufgrunddessen verwundert es nicht, wenn von Seiten der Administration deutliche Vorbehalte gegen den "Einbau der Partei in den Staat" geäußert wurden. Pragmatischer Erkenntnis entsprang zwar, daß der P.O. gewisse Einflußmöglichkeiten offen gehalten werden mußten (sonst wäre die lähmende Konfrontation zwischen Staat und Bewegung perpetuiert worden). Jene Mitbestimmungsrechte sollten jedoch mehr oder weniger auf personalrechtliche Fragen beschränkt bleiben. 9 Die Kodifizierung des Parteieinflusses hätte außerdem bewirkt, daß die 4 E. R. Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 202,208: "Die Volksbefragung hat den Sinn, den Willen des Führers nach außen zu kräftigen und deutlich als Willen der völkischen Einheit in die Erscheinung treten zu lassen. Der eigentliche Willensträger des Volkes aber bleibt der Führer selbst." Der Führer ist "der Gesetzgeber des deutschen Volkes". Daselbst, S. 230: "Die Führergewalt ist nicht durch Sicherungen und Kontrollen, durch autonome Schutzbereiche und wohlerworbene Einzelrechte gehemmt, sondern sie ist frei und unabhängig, ausschließlich und unbeschränkt." 5 Sehr weitgehend aber schon Fricks Analyse in Deutsche Verwaltung, 1938, S. 228: "Der Wille des Führers ... ist das Recht des nationalsozialistischen Staates ... ". 6 Darauf wies schon Goerdeler in: Der Gemeindetag, 1933, S. 449 ff., zutreffend hin. Als Beleg nennt er die Erzbergersche Finanzreform (mit der eine einheitliche Reichsfinanzverwaltung geschaffen wurde; Reichssteuem wurden nun durch eigene örtliche und regionale Behörden des Reichs eingezogen). 7 Nur dieser Schluß kann angesichts der Äußerungen Fricks in Deutsche Verwaltung 1939, S. 228, gezogen werden. 8 Dazu instruktiv Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, in: Festschrift für Ernst Fraenkel, 1973, S. 212. 9 Dazu siehe oben A 11 4., B 11 4 b) aa) (1) sowie D III.

I. Die unterschiedlichen Positionen von NSDAP und Reichsinnenverwaltung 371

P.O. befugnismäßig eingeschränkt worden wäre: Niemand hätte länger das Recht für sich in Anspruch nehmen können, an allen Staatsangelegenheiten von "politischer" 10 Bedeutung beteiligt zu werden. Entgegen äußerem Anschein war die Reichsinnenverwaltung von Anfang an auch für gewisse Dezentralisationsmaßnahmen. Schon die Denkschriften vom 12. Oktober 11 und 6. Dezember 1933 12 greifen etwa den Selbstverwaltungsgedanken auf. Der erste ministerielle Gemeindeordnungsentwurf 13 geht diesen Weg konsequent weiter, indem er die Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsdingen zur reinen Rechtmäßigkeitskontrolle macht; eine Lösung, die später nicht weiterverfolgt wurde. 14 In der Ostmark ist dann erstmals nominell 15 "Gauselbstverwaltung" verwirklicht worden. Insgesamt behielt aber das Reich während der gesamten zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft einen stark zentral staatlichen Charakter (jedenfalls, wenn man von der formalen Verfassungslage ausgeht). "Vielfalt" von Hoheitsträgern herrschte nur insoweit, als jene sich contra lege von der zentralen Reichsverwaltung abkapseln konnten. Die strikte Bindung der "Selbstverwaltungs"-Organe an die Staatsführung entsprach also uneingeschränkt ministeriellem Verfassungsverständis. Berücksichtigen wir einerseits den bis Anfang Februar 1934 realisierten unitaristischen Reichsaufbau, andererseits die administrativen Dezentralisationsbestrebungen, so liegt der Verdacht nahe, das Reichsinnenministerium habe seine ursprüngliche Reformkonzeption später geändert. Dagegen spricht aber bereits, daß die Überlegungen zur Revitalisierung von "Selbstverwaltung" schon zu einem Zeitpunkt einsetzten, als das den Höhepunkt der Verwaltungszentralisation bildende Reichsneuaufbaugesetz 16 noch gar nicht erlassen worden war. Hinzu kommt, daß keinerlei Umstände erkennbar sind, aufgrund derer eine Änderung der innenministeriellen Vorstellungen hätte erfolgen müssen. Weder läßt sich 10 Unter den Begriff des "Politischen" wurde praktisch alles gefaßt, was nicht bloß mit reiner Gesetzesanwendung zu tun hatte. 11 Gemeint ist die "Denkschrift über den Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat" (oben B III 4 b) aa) (3». 12 Denkschrift "Merksätze über die Reichsreform" vom 6.12.1933 (oben B III 4 b) ce) (1». 13 Gemeint ist der Entwurf vom 27.3.1934; in: Schreiben Goerdelers an Frick vom 11.1.1935; Bundesarchiv, Akte R 43 11/569, Blatt 23 ff. 14 Bereits die Gemeindeordnungsentwürfe von Mitte Juni und Ende Juli 1934 haben nämlich eine um die Kontrolle mit den Reichszielen "erweiterte Rechtsaufsicht" zum Gegenstand (oben D III 8., 9). Dieser Umstand bestätigt im übrigen unsere frühere Vermutung (oben B 11 4 b) dd», auch nach dem Verwaltungsneuaufbaugesetzentwurf vom 20. Juli 1934 hätte keine bloße Rechtmäßigkeitsprüfung gaubezogener Selbstverwaltungsakte stattgefunden. 15 Nominell, weil durch Führererlaß vom 28.8.1939 alle Selbstverwaltungskörperschaften ihren Aufsichtsorganen "unterstellt" wurden: siehe oben A 11 9. 16 RGBI. 1934, Teil I, S. 75.

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E. Zusammenfassende Würdigung

diesbezüglich Hitlers Einfluß nachweisen, noch erzwang die später chaotisch ansteigende Zahl von Sonderverwaltungen 17 bereits damals die Einsicht, daß die Zentralisierungsbestrebungen in eine Sackgasse führten. 18 Demnach ist eines jedenfalls sicher: Frick und seine Beamten waren gebietskörperschaftlicher Teilselbständigkeit gegenüber zu keiner Zeit ablehnend eingestellt. Der Rechtszustand des Jahres 1934 wurde also lediglich für provisorisch erachtet. Etwas anderes gilt auch nicht deswegen, weil die Verfassungswirklichkeit der Jahre ab 1935 von innenbehördlichen Bemühungen zur Einschränkung regionaler und kommunaler Eigenständigkeit geprägt war. Die Zielrichtung jener Bemühungen war eine ganz andere: Nicht der "Selbstverwaltungs"gedanke sollte ausgehebelt, vielmehr sollten die ungesetzlichen Parteiübergriffe auf die Verwaltungsführung unterbunden werden. Am Grundprinzip der Verwaltungsdezentralisation hielt man dagegen fest. So richteten sich die angestrebte Vereinheitlichung der "Landesverwaltung" 19 und die enge Interpretation der Kommunaiaufsicht 20 in erster Linie gegen die P.O. Aufgrund von ersterem wären die Reichsstatthalter in den Reichsverwaltungsaufbau integriert (und in den Ländern, wo sie nicht mit der "Führung" der Landesregierung betraut worden waren, nach späteren Planungen sogar völlig überflüssig),21 aufgrund von zweiterem die Ortsgruppenleiter als Störfaktor weitgehend beseitigt worden. Was die Umsetzung der administrativen Reformkonzeption anbelangt, fällt auf, daß sie während der ersten eineinhalb Jahre nationalsozialistischer Herrschaft relativ unproblematisch war. Bis zum Erlaß des - auch diesmal einen Wendepunkt bildenden - Reichsneuaufbaugesetzes gingen alle in diese Richtung gehenden ministeriellen Kodiftkationen glatt ihren vorbestimmten Weg. Im Entwurfsstadium blieb keine Normierung stecken. 22 Dann aber, ab Mitte 1934, stockten die Planungen häufiger, und es kam vor, daß Reformgesetzentwürfe grundsätzlicher Ablehnung verfielen. Das Tauziehen

17 Das ist das, was z.B. Hildebrandt als "Polykratie" bezeichnet (v gl. Klaus Hildebrandt, Monokratie oder Polykratie? Hitlers Herrschaft und das Dritte Reich, in: Bracher, K.-D. / Funke, M. / Jacobsen, H.-A., Nationalsozialistische Diktatur 1933 -1945, Düsseldorf 1983, S. 73 ff.); zur Vielzahl von Sonderverwaltungen im NS-Reich siehe oben A 11 5.5. 18 So aber später Ministerialrat Medicus in einem Vermerk vom 22.8. 1934 für Staatssekretär Pfundtner, in: Bundesarchiv, Akte R 18/5440, BI. 211 ff., 213. 19 Siehe oben B III 4 b) gg). 20 Oben A 11 7. 21 Vgl. oben B III 4 b) gg) (2) (Entwurf einer Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 8.4. 1935). 22 Vgl. nur die Vorentwürfe zum Reichsneuaufbaugesetz (oben B III 4 b) bb».

I. Die unterschiedlichen Positionen von NSDAP und Reichsinnenverwaltung 373

in der Frage, ob die Reichsstatthalter künftig zwingend mit der Leitung der Landesregierung zu betrauen seien,23 gibt hiervon beredten Ausdruck. Nach Kriegsbeginn schließlich konnte sich das Reichsinnenministerium praktisch überhaupt nicht mehr in Verfassungsreformangelegenheiten durchsetzen. 24 Dementsprechend wurden die Reichsstatthaltereien in Danzig-Westpreußen und im Wartheland sehr selbständig ausgestaltet: 25 Der Statthalter kontrollierte dort sämtliche Behörden, das Einwirkungsrecht der Reichszentrale auf ihre nachgeordneten Organe war nur noch theoretischer Natur. Eine Anbindung der Gau- an die Reichszentralverwaltung fand also in den Ostgauen lediglich graduell statt. Den Nutzen daraus zogen die "Gauführer", d.h. die Partei. 26 Lange Zeit hatten die Statthalter keinen entscheidenden Erfolg gegen die Reichsadministration erzielen können (vgl. etwa die Kontroverse über die weisungsrechtliche Unterstellung der Statthalter unter die Zentralverwaltungen). 27 Jetzt gelang er immer deutlicher. Frick und seine Beamten mußten am Ende zufrieden sein, ihre bis 1939 erlangten Besitzstände zu wahren. Die Tendenz ging nämlich ganz offensichtlich dahin, die Reichsverwaltung mehr und mehr auszuschalten und Verwaltungsaufgaben häufiger durch NSDAP-Institutionen erledigen zu lassen. 28 Somit zahlte sich für die Partei nun aus, daß sie in früheren Jahren einen eigenen verwaltungsähnlichen Apparat aufgebaut hatte und von der Behördenhierarchie getrennt geblieben war. Der Dualismus zwischen Partei und Staat schien demnach zugunsten ersterer gelöst zu werden, und vielleicht wären beide Instanzen eines Tages sogar so miteinander verschmolzen worden, wie dies für kommunistische Diktaturen typisch ist. Trotz alledem hielt das Reichsinnenministerium bis zum Schluß an seinen ursprünglichen Verfassungsreformvorstellungen fest, wenngleich die Reform natürlich im Angesicht des Zusammenbruchs mehr und mehr in den Hintergrund drängte. 29 Fricks Verharren im Normativen, sein auf positivistische Ursprünge zurückgehender Glaube an einen nationalsozialistischen Verfassungsstaat, werden die ministeriellen Reformbestrebungen allerdings nicht gerade erfolgreicher gemacht haben ... 30 23 Dazu siehe oben B III 4 b) ee). 24 Vgl. diesbezüglich Rebentisch, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 763 ff. 25 Näher hierzu oben unter A 11 8 c). 26 Die Reichsstatthalter / Gauleiter vertraten ja, wie wir sahen (oben A 11 5 d) gg), B III 4 c», grundsätzlich Parteiinteressen. 27 Oben A 11 5 d). 28 Vgl. Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, S. 7; Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, in: Festschrift für Ernst Fraenkel, 1973, insbesondere S. 202 ff. 29 Zutreffend Rebentisch, Innere Verwaltung; in: Jeserich / Pohl / von Unruh, S. 767. 30 Dazu näher unter E II.

374

E. Zusammenfassende Würdigung 2. Die Konzeption der NSDAP-Spitze

Wie es bei den zuständigen Ministerialbeamten zeitweise Meinungsunterschiede über Struktur und Form des künftigen Deutschland gegeben hatte,31 so auch innerhalb der Partei. Zu vielschichtig waren die Interessen, als daß sich eine uniforme Kollektivansicht herausbilden konnte. Vor allem Ämterhäufungen führender Parteifunktionäre bewirkten, daß deren Standpunkt von der offiziellen Parteilinie, falls eine solche überhaupt existierte, öfter abwich. Markantes Beispiel ist Karl Fiehler. Obwohl in der NSDAP-Führung für kommunalpolitische Fragen zuständig, attestierte er im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten Heß dem ersten innenministeriellen Gemeindeordnungsentwurf Brauchbarkeit. 32 Offensichtlich war Fiehler mehr Kommunalbeamter als Parteitheoretiker. Das belegt im übrigen sein Engagement im der Verwaltung näherstehenden Deutschen Gemeindetag. 33 Hingegen blieben die von Hitler eingesetzten Reichsstatthalter meist streng auf Parteilinie. Nicht umsonst unterstützte die P.O. deren Forderungen ja mit der Macht ihrer Propaganda. Erinnert sei nur an die Streitigkeiten um die innenministerielle Weisungsgebundenheit der "Gauführer".34 Ansonsten verfolgten die Statthalter natürlich in erster Linie eigene Interessen (welche sich aber eben häufig mit denen der Partei spitze deckten). Sie waren bestrebt, ihre Territorien als relativ selbständige Verwaltungsbezirke auszugestalten. Kontroll- und Überwachungsanliegen der Reichszentrale standen sie ablehnend gegenüber. Hieraus entwickelte sich schließlich jener Gegensatz zwischen Reichsinnenministerium und Landesverwaltung, der die Ministerien dazu zwang, Verwaltungsaufgaben stärker zu zentralisieren. Der Drang vieler Reichsbehörden nach einem eigenen Verwaltungsunterbau, die Installierung immer neuer Sonderbehörden 35 hatten ihren Grund in den häufigen Einwirkungen der Statthalter auf die tägliche Verwaltungsarbeit. Der Dualismus von Reich und Partei korrespondierte also mit einem Gegensatz von Reich und Ländern. Beide Dualismen zermürbten die Stellung der Zentralbehörden am Ende so sehr, daß die Reichsstatthalter praktisch zu Territorialfürsten aufsteigen konnten. Reichsfinanzminister Graf Schwerin zu Krosigk stöhnte einmal, die Statthalter seien größere Föderalisten gewesen als vor ihnen die Länderministerpräsidenten. 36 Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

31 Siehe oben B III 1. 32 Vgl. Schreiben Fiehlers an HeB vom 15.4.1934, in: Stadtarchiv München, Akt Bürgermeister und Rat, Nr. 473/4. 33 Dazu siehe schon oben D 11 6. 34 Siehe oben A 11 5 c) am Ende. 35 Dazu siehe oben A 11 5 e), B III 4 b) ee) (1), 4 b) gg). 36 Vgl. Institut für Zeitgeschichte, ZS 145.

I. Die unterschiedlichen Positionen von NSDAP und Reichsinnenverwaltung 375

Entgegen allen Interessengegensätzen innerhalb der NSDAP-Führung wurden indes folgende Ansichten allgemein vertreten: a) Man war der Meinung, Partei und Staat müßten organisatorisch voneinander getrennt bleiben (keine Verschmelzung beider Organisationsformen). Dessen ungeachtet sollten den NSDAP-Instanzen aber weitgehende Mitwirkungsrechte in staatlichen Angelegenheiten, insbesondere bei Fragen der "Menschenführung", eingeräumt werden. b) Weiterhin wurde der dezentralistische Charakter des deutschen Einheitsstaates betont. Das'äußerte sich darin, daß etwa Wagner und Sauekel effektive "Selbstverwaltung" einforderten. 37 Einer maßvollen Ausweitung der Staatsaufsicht in Selbstverwaltungsdingen stand die Partei spitze jedoch positiv gegenüber. 38 Im übrigen wurde verlangt, Entscheidungskompetenzen möglichst breitgefächert auf untere Verwaltungsorgane zu übertragen. Der im Reich zu beobachtenden Entwicklung nomineller Entrechtung kommunaler und regionaler Verwaltungsträger sollte also ein Riegel vorgeschoben werden. Dahinter stand freilich die Überlegung, die zumeist NSDAP-freundlichen Partikulargewalten in ihrem Kampf um Macht und Einfluß zu unterstützen. Dort, wo die Partei inzwischen größere Beteiligungsrechte erlangt hatte, sollte natürlich der Verwaltungsschwerpunkt bleiben. c) Wenn es der NSDAP um eine Stärkung der Partikular- gegenüber den Reichszentralgewalten ging, dann auch insoweit, als die Statthalter allein Adolf Hitler unterstellt sein sollten. Deren exponierter Stellung als "Vertreter des Führers in der Landschaft" widersprach nämlich nach Ansicht führender Parteivertreter eine Weisungsbindung auch an die Fachministerien, wie sie Art. 3 Reichsneuaufbaugesetz enthalten hatte. d) Der NSDAP-Einfluß auf kommunaler Ebene hätte schließlich über legislative und exekutive Befugnisse des "Parteibeauftragten" sichergestellt werden sollen. Mit einem Zustimmungsrecht desselben zu sämtlichen Gemeindesatzungen wäre es aber nicht getan gewesen; die Verwaltung sollte praktisch den Direktiven der Partei folgen. 39 e) Dies alles stand im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis der "Führerbewegung" , eigentliche politische Spitzenorganisation des Staats zu sein. Die Partei nahm für sich in Anspruch, "dem Staat zu befehlen".40 Ihrem elitären Dünkel kam zugute, daß Hitler die oberen Reichsorgane im Kampf gegen 37 Siehe oben B II 2 a), B III 4 c) bb) - (bei Wagner nicht ganz eindeutig); beachte auch Bürckels Vorstellungen, B III 4 c) cc). 38 Siehe etwa den "Gesetzentwurf über den Reichsgau Thüringen" (oben B III 4 c) bb». 39 Bezeichnend ist etwa der parteiamtliche Gemeindeordnungsentwurf vom August 1934: oben D III 10. 40 Zu den dahingehenden Interpretationsversuchen der "Bewegung" siehe unter B III 4 b) ee) (2).

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E. Zusammenfassende Würdigung

NSDAP-Übergriffe auf die Verwaltungsführung nicht gehörig unterstützte und der P.O. immer wieder eine Schlüsselrolle im Staatsautbau zusprach. 41 Hierdurch wurde indes der Dualismus von Reich und "Bewegung" nur noch mehr angeheizt. Eine eindeutige Lösung der Machtfrage unterhalb Hitlers fand demnach zu keiner Zeit statt. Deshalb verwundert auch das letztliche Scheitern der NSDAP-Verfassungskonzeption nicht. Heß und Wagner erging es am Ende ebenso wie Frick, Stuckart oder Lammers: Die Organisationsstruktur des NS-Staates ging aus allen Reformquerelen unangetastet hervor. Keinen Erfolg hatten beispielsweise die Parteiforderungen nach stärkerem Einbau des NSDAP-Beauftragten in die Kommunalverwaltung sowie nach politischer Kontrolle des Staats durch die "Bewegung". 42 Selbst die Aufhebung der grundsätzlichen Weisungsbindung aller "Gaufürsten" an die Reichsfachverwaltungen lehnte der "Führer" ab. 43 Immerhin konnte die P.O. durch ihren offenen Widerstand gegen administrative Zentralisierungstendenzen aber erreichen, daß dem Reichsinnenministerium ebenfalls kein Durchbruch zur "großen Reform"44 gelang. (Denken wir nur an die unterlassene Berufung von Statthaltern bzw. Ministerpräsidenten zu Leitern der Landesregierung. 45) Ab 1938 trat dann eine neue Entwicklung ein: Etliche parteiamtliche Überlegungen kamen jetzt zur ansatzweisen Realisierung. Das gilt vor allem für die weitgehend selbständige Stellung der Reichstatthalter in den "Ostgauen" 46, 47 und die im Ostmarkgesetz erstmals verwirklichte Deckungsgleichheit von NSDAPund Reichsgauen. 48 Jenen Erfolg verdankt die P.O. jedoch allein Hitler. Ihre Macht war nämlich niemals so stark, daß sie den staatlichen Beamtenapparat beherrschen und ihm ihre Ansichten aufzwingen konnte. 41 Siehe oben A 11 5 d) (Kontroverse um die Stellung der Reichsstatthalter gegenüber den Reichsministerien, Reaktion und Entscheidung Hitlers hierzu), B III 4 b) aa) (1) (Rundschreiben Fricks vom 6.10.1933 an die Reichsstatthalter und Landesregierungen) sowie Hitlers Parteitagsrede vom September 1935 (Die ,,Bewegung" soll diejenigen Aufgaben übertragen erhalten, die zu lösen der Staat nicht in der Lage ist; Abdruck in: Die Reden Hitlers am Parteitag der Freiheit 1935, München 1936). 42 Dazu vgl. etwa den parteiamtlichen Gemeindeordnungsentwurf (oben D III 10) und die schließlich verwirklichte Deutsche Gemeindeordnung (oben A 11 7.). 43 Dies ist Hitlers Entscheidung vom 27. Juni 1934 in dieser Frage jedenfalls ansatzweise zu entnehmen (ohne daß die Administration hieraus entscheidend Kapital schlagen konnte), vgl. oben A 11 5 d). 44 Ausdruck von Rebentisch, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, S. 767. 45 Dazu siehe B III 4 b) ee) (6) am Ende. 46 Weitgehend selbständig deswegen, weil ihnen bereits formalrechtlich fast sämtliche Behörden auf Gauebene unterstellt wurden. 47 Dazu siehe oben A 11 8 c). 48 Vgl. unter A 11 8 a).

H. Die Gründe für den Mißerfolg der Reichsrefonn

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Somit ist festzustellen: Partei und Verwaltung haben sich in Verfassungsreformfragen gegenseitig blockiert, d. h. das Konzept des jeweiligen Gegners zu Fall gebracht. Vor 1935 kann man eher davon sprechen, der Staat habe der Partei befohlen, später war dies nicht mehr der Fall, im Gegenteil. Daß indes keine der konkurrierenden Instanzen die andere besiegen konnte, dürfte Hitler zuzuschreiben sein, dessen Parteinahme das Kompetenzchaos ohne weiteres entwirrt hätte.

11. Die Gründe für den Mißerfolg der Reichsreform Alles weist mithin darauf hin, daß die Gründe für das Scheitern der Reform beim "Führer" zu suchen sind. Hitler hielt die Staatsgewalt autoritär wie kein zweiter in Händen, er war unangefochtener Diktator. Daß er Führungsschwäche zeigte,49 dürfte demgemäß nicht stimmen. 50 Der Reichskanzler schürte den Dualismus von Partei und Staat, anstatt ihn zu beseitigen. Die Positionskämpfe zwischen NSDAP und Reichsinnenministerium, das Neben- und Gegeneinanderregieren im Staat, dienten dem "Führer" dazu, seine eigene Herrschaftsgewalt zu konsolidieren bzw. zu erhalten. Er verhinderte durch diese geschickte Taktik, daß irgendeine Institution ihm gefährlich werden konnte. Erst Hitlers unumschränkte Macht bedingte schließlich das Emporkommen von Ansichten wie der, bereits der Führerwille sei Gesetz. Viele Verhaltensweisen des Reichskanzlers werden so erklärlich: Etwa die, daß er die Innenverwaltung gegen Separationsbestrebungen der Statthalter zwar kaum unterstützte, aber auch statthalterlichen Forderungen nach Aufhebung der Weisungsbindung an die Minister nicht nachgab. Oder die, daß er der NSDAP zwar gewisse Hoheitsaufgaben zuwies, ohne Partei und Staat jedoch miteinander zu verschmelzen. Insgesamt läßt sich die nationalsozialistische Ära in drei verschiedene Epochen einteilen, während derer Hitler einmal der Administration, einmal der P.O. seine Gunst lieh. 51 Die erste, 1933/34, war dadurch gekennzeichnet, daß alle Zentralisierungsmaßnahmen Fricks weitgehend komplikations los akzeptiert wurden. (Erstes) Reichsstatthaltergesetz und Neuaufbaugesetz wurden erlassen, der Staatszentrale umfassende Eingriffsbefugnisse über Regional- und Kommunalverwaltung zugestanden. Rasch konnte also der Zustand geschaffen werden, der vom Reichsinnenministerium als provisorische Zusammenfassung der Exekutivgewalt in der Oberin stanz geplant war. 49 Das meint etwa Hans Mommsen, Nationalsozialismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft - Eine vergleichende Enzyklopädie, Band IV, Freiburg 1971, Spalte 702. 50 Dazu siehe noch ausführlicher im Epilog. 51 Grundlegend Martin Broszat, Der Staat Hitlers, 5. Auflage, 1975, S. 610 ff.

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E. Zusammenfassende Würdigung

Proteste der Reichsstatthalter hiergegen drangen beim "Führer" solange nicht durch, wie dieser einen starken Verwaltungsapparat zur Konsolidierung seiner Macht benötigte. Bis dahin schien es Hitler geboten, sich mit den konservativaristokratischen Bevölkerungsschichten, zu denen vor allem auch die höheren Beamten zählten, zu arrangieren. Außerdem sollte verhindert werden, daß aufgrund permanentrevolutionärer Anklänge im Verhalten der NSDAP-Gauorgane 52 eine kollektive nationalsozialistische Führungsschicht entstand, die die Alleinregierung eines Mannes nicht mehr zuließ. Hitler wollte die Revolution abschließen, um seine Allgewalt administrativ durchzusetzen. Dem Machtinstinkt des "Führers" entsprang schließlich das Konzept, Partei und Staat voneinander getrennt zu halten. Zweifellos beabsichtigte der Kanzler schon damals, beide Institutionen gegeneinander auszuspielen. Die Phase wirkungsvoller Zusammenarbeit zwischen Innenministerium und Reichsspitze ging ungefahr Mitte 1934 zu Ende. Gerade, als Fricks Beamte zum Endausbau des "nationalsozialistischen Rechtsstaats" ansetzen wollten, rief Hitler aus: "Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat". 53 War diese Formel zwar nicht wörtlich dasselbe wie die seitdem in der NSDAP vergröberte Version "Die Partei befiehlt dem Staat", so war die Tendenz der "Führer"Äußerung doch nicht mißverständlich. 54 Wie sehr der Reichskanzler seiner Verwaltung mißtraute, fördern Aussagen nach Art der folgenden zutage: "Es ist eine ernste Tatsache, daß der Staat auch heute noch unter den Beamten Zehntausende teils versteckter, teils lethargischer Gegner hat", die zur "passiven Resistenz übergegangen" seien. 55 In der Folgezeit nahm Hitler die Unterstützung für die Administration demzufolge deutlich zurück. Bei einer Weiterverfolgung der ministeriellen Reichsreformpläne, so glaubte er, würde das Beamtenregiment den Sieg über die "Bewegung" davontragen. Jenes sollte verhindert werden. Normativen Ausdruck hat das taktische Hin- und Herlavieren Hitlers der Jahre 1935 - 38 im zweiten Reichsstatthaltergesetz gefunden. Hier stimmte der "Führer" zwar der Beibehaltung einer Weisungsgewalt über die Statthalter zu, behielt sich aber (weil er die NSDAP organisatorisch und konzeptionell vom Staat grundsätzlich getrennt wissen wollte) die Entscheidung hinsichtlich der Zusammenfassung der Landesregierung unter statthalterlicher Leitung vor. Nicht zufallig fand dann eine Vereinigung von Ministerpräsidenten- und Statthalteramt in praxi nicht statt. 52 Die sich z. B. darin äußerten, daß noch nach dem 30. l. 1933 Straßenterror und SAGewalt das Leben in Städten und Gemeinden beherrschte (siehe oben A 11 7.). 53 In einer Rede auf dem NSDAP-Parteitag im September 1934 (abgedruckt in: Völkischer Beobachter vom 8.9.1934, Berliner Ausgabe). 54 Zutreffend Broszat, Staat Hitlers, S. 61l. 55 Vgl. das Sitzungsprotokoll der Reichsstatthalterkonferenz vom 1. 11. 1934 in Berlin; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/1392

11. Die Gründe für den Mißerfolg der Reichsreform

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Etwa 1935 wurde ebenfalls klar, daß der Machtpolitiker Hitler, für den seine Alleinherrschaft entscheidend war, einer schriftlich niedergelegten nationalsozialistischen Reichsverfassung ablehnend gegenüberstand. 56 Sie hätte ihn bei seinen ferneren Zielen nur behindern können. Am Ende erfolgte eine Totalblockade der Reichsreform. Welche Gesetzentwürfe die Innenverwaltung auch ausarbeitete, Erfolg war ihr nicht beschieden. Das änderte sich erst wieder mit Eingliederung Österreichs. Bis dahin aber ebbte die administrative Reformarbeit fast ganz ab. 57 Je mehr sich die totale Machtposition des "Führers" stabilisierte, um so weniger brauchte dieser noch die Hilfe seiner Verwaltungsbeamten. Mit dem Beginn des 2. Weltkrieges trat Hitlers wahres Weltbild zum Vorschein. Er verabscheute die an Regelhaftigkeit und Normen orientierte "Bürokratie", und seine Vorwürfe an die Adresse der Beamtenschaft wurden immer wütender, wenngleich sie meist im kleinen Kreis gemacht wurden. 58 Frick und Stuckart hatten solcher Art Anfeindungen nichts entgegenzusetzen, und das Verhältnis beider zu Hitler verschlechterte sich zusehends. Der Reichskanzler verweigerte selbst am Ende des Krieges die Austeilung von Belobigungen für seine getreuesten Vasallen in der Verwaltung. 59 Stattdessen benutzte er in steigendem Maße die NSDAP zur Ausführung seiner völkisch-rassischen und politischen Ziele. Die Förderung von Parteiinteressen durch Hitler trat nun offen zutage. Gleichwohl beließ der "Führer" der "Bürokratie" noch soviel Spielraum, daß diese einen strukturellen Zusammenbruch der Befehlsstrukturen im Reich verhindern konnte. 60 Die "Dualismen" wurden also nicht völlig beseitigt. Im Gegenteil schälte sich der Charakter eines deutschen "Doppelstaates"61 deutlich heraus. Dort, wo es illegaler Methoden zur Verwirklichung erwünschter Ziele bedurfte, stellte die P.O. ihren Verwaltungsapparat zur Verfügung. Neben jenen Maßnahme- trat der Normenstaat, d. h. diejenigen Angelegenheiten, die 56 Nachweise bei Broszat, Staat Hitlers, S. 610. 57 Augenscheinlich ist etwa, wie wenige konkrete Reformüberlegungen aus den Jahren 1936/37 überliefert sind. 58 Dazu vgl. insbesondere Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, München 1976, S. 61 ff. (betr. den 1.8.1941) und öfter; ebenso Werner fachmann (Hrsg.), Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier, Hamburg 1980, S. 50 ff. und öfter; Belege für Hitlers Beamtenhaß auch in den noch unveröffentlichten GoebbelsTagebüchern am 3.7.1937,21.12.1937,28.12.1938,3.2.1940,9. 7.1940,20.12.1940. 59 In seinen Tischgesprächen kritisierte er immer wieder, ständig verlange man von ihm eine öffentliche Belobigung der Reichsbeamtenschaft. Stattdessen herrschten aber Bürokratie und Vetternwirtschaft (vgl. die Nachweise in der vorigen Fußnote). 60 Zutreffend Lothar Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, in: Festschrift für Ernst Fraenkel, 1973, S. 212. 61 Siehe Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, Frankfurt (Main) / Köln 1974 (Erstausgabe 1941 unter dem Titel "The Dual State", New York / London / Toronto).

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E. Zusammenfassende Würdigung

eine gesetzliche Regelung gefunden hatten, wurden tendenziell weiter von Verwaltungsbehörden bearbeitet. Die Bedeutung der "Bürokratie" im Staat ging jedoch insgesamt stark zurück. Abgesehen von Hitlers Aversionen gegen "Nonnativisten" und "Positivisten" mag hierzu auch der Umstand beigetragen haben, daß die NSDAP-Spitze einen besseren Zugang zum "Führer" besaß als die Administration. Das hing damit zusammen, daß es Bonnann, dem 1941 zum Nachfolger des nach England geflohenen Heß62 ernannten Vorsteher der "Parteikanzlei", 63 gelang, Hitler von direkten Kontakten zu seinen Ministerien weitgehend abzuschinnen. Selbst Lammers, der Chef der Reichskanzlei, konnte seit 1943 praktisch nicht mehr zum "Führer" vordringen. 64 Bonnann hatte sich durch ständige Anwesenheit im Führerhauptquartier, in dem Hitler nun die meiste Zeit des Jahres (außerhalb Berlins, in Ostpreußen) residierte, für den Kanzler unentbehrlich gemacht. Des Parteikanzleileiters vorgebliche Loyalität bewog Hitler am 12. April 1943 dazu, ihn zum "Sekretär des Führers"65 zu ernennen. Als solcher durfte Bonnann jetzt sogar offiziell "außerhalb des Rahmens der Partei Weisungen und Auffassungen des Führers führenden und leitenden Persönlichkeiten des Staates und staatlichen Dienststellen" übennittein, wobei Weisungen auf dem zivilen staatlichen Gebiet "in der Regel" über die Reichskanzlei laufen sollten. 66 Dessen ungeachtet kam es in der Behördenpraxis aber dazu, daß die Reichsfachministerien einfach an Lammers vorbei bei Bonnann anfragen ließen, welche Entscheidung der "Führer" hinsichtlich bestimmter aufgetretener Probleme getroffen habe. 67 Vielfach wurden den oberen Reichsbehörden jetzt Weisungen erteilt, ohne daß diese hierzu überhaupt Stellungnahmen abgeben durften. Der "Sekretär des Führers" nutzte seine Stellung überdies zu Anweisungen,die Hitler gar nicht offiziell erteilt hatte (sondern die lediglich beiläufigen Willenskundgebungen des Reichskanzlers entsprangen).68 Auf jene Weise konnte er Parteiinteressen noch wirkungsvoller vertreten. 62 Dazu vgl. Dieter Rebentisch, Innere Verwaltung; in: Jeserich / Pohl / von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band IV, hier S. 762 ff. 63 Die NS-Parteikanzlei trat die Rechtsnachfolge des bisherigen Amtes des "Stellvertreters des Führers" an. 64 Nachweise bei Rebentisch, S. 761; Gruchmann, "Die Reichsregierung im Führerstaat", in: Festschrift für Ernst Fraenkel, 1973, S. 209 ff. 65 Entsprechendes Ernennungsschreiben Hitlers in: Bundesarchiv, Akte R 43 II/ 1213. 66 Vgl. Rundschreiben des Chefs der Reichskanzlei Lammers an die obersten Reichsbehörden und staatlichen Dienststellen, die Hitler unmittelbar unterstanden, vom 8.5. 1943 (in: Verfügungen / Anordnungen / Bekanntgaben, herausgegeben von der NSParteikanzlei, ohne Jahr, Band IV, S. 1 f.). 67 Vgl. Gruchmann, in: Festschrift für Ernst Fraenkel, 1973, S. 211. 68 Siehe z. B. Hitlers gesprächsweise Ausführungen über die deutsche Politik in der Ukraine am 22.7.1942 (H. Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 19411942, S. 114 ff.), die Bormann dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Rosen-

11. Die Grunde für den Mißerfolg der Reichsrefonn

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Die für die Innenverwaltung insgesamt äußerst unerfreuliche Entwicklung wird dazu beigetragen haben, daß Frick im August 1943 sein Ressort aufgab. (Daneben mögen allerdings intrigante Ränke, initiiert von Goebbels im Gefolge von Mussolinis Sturz,69 ausschlaggebend gewesen sein.) Trotz eines umfassenden Personalrevirements durch Hitlers Vertrauten Himmler, dem neuen Amtsinhaber, stieg das Reichsinnenministerium nicht wieder zu alter Größe auf. Selbst die Person Himmlers war nicht imstande, des "Führers" Bürokratenhaß zu stillen. Möglicherweise dafür verantwortlich gewesen ist, daß auch der neue Mann an der Behördenspitze von der Notwendigkeit einer funktionierenden Verwaltung überzeugt war. 70 Die grundsätzlichen administrativen Positionen in der Reichsreformfrage blieben demgemäß unverändert. Nur gab sich niemand mehr der Illusion hin, daß es alsbald zur Realisierung entsprechender Regelungen kommen werde. Folglich wurde an der Reform praktisch nicht mehr gearbeitet. So ist die Bilanz der NS-Reichsreform wie gesehen eine negative: Im Kompetenzchaos, im Dualismus von Partei und Staat, in Hitlers Machtpolitik blieben alle vorhandenen Konzepte stecken. Der Verfassungszustand von 1934/35, obwohl lediglich übergangsweise geplant, war schließlich haltbarer, als irgendjemand vorhergesehen hatte. Zurecht wird deshalb von einem "unfertigen" nationalsozialistischen Staatsaufbau im Deutschland der Jahre 1933-45 gesprochen. 71 Daß aber eine politische Konzeption zur Realisierung des NS-Reichsreformwerkes schlichtweg fehlte, wie manche behaupten,72 widerspricht den Tatsachen. Im Gegenteil kann ja nachgewiesen werden, daß die Administration die Reform planmäßig in Angriff genommen und vorangetrieben hatte. Ein feststehendes Strukturkonzept war spätestens Mitte 1934 ausgearbeitet: Sein Inhalt ist vor allem dem Gesetzentwurf zum Neuaufbau der Reichsverwaltung entnehmbar. 73 Wenn die Innenverwaltung hiervon abwich, dann aus taktischen Erwägungen. Man glaubte anscheinend, durch Rücksichtnahmen auf andere Funktionsträger im Staat (NSDAP, Reichsstatthalter u.a.) wenigstens Teile des eigenen Verfassungsprogramms retten zu können. Das war indes ein Trugschluß, da Hitler die Reform anfangs versteckt, später offen boykottierte.

berg bereits am nächsten Tag als offizielle Weisung Hitlers übennittelte (Schreiben Bonnanns an Rosenberg vom 23.7.1942); Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München, Nürnberger Dokumente, Signatur NO-1878. 69 Siehe D. Rebentisch, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 771. 70 Dazu näher Rebentisch, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 4, S. 771-772. 71 Vgl. D. Rebentisch, in: Jeserich / Pohl / von Unruh, S. 733. 72 So wohl Walter Baum, Die "Reichsrefonn" im Dritten Reich, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1955, S. 36 ff., S. 36. 73 Siehe oben B III 4 b) dd).

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E. Zusammenfassende Würdigung

Nicht stichhaltig erscheint meines Erachtens ferner die Ansicht, der Reichskanzler habe nur unbewußt Partei und Administration gegeneinander ausgespielt, vielmehr sei sein - zugegebenermassen vorhandenes - Desinteresse an Verfassungsfragen schuld an dem Auf und Ab von "Führer"entscheidungen gewesen. 74 Hitler war zu sehr Machtpolitiker, als daß er sich um Fragen des Staatsaufbaues nicht gekümmert hätte. 75 Wollte er sein "konfessionelles" Programm, dessen Richtigkeit für ihn felsenfest feststand, verwirklichen, mußten unter allen Umständen gefährliche Zwischenzentren der Macht verhindert werden. Das war Hitler klar und danach dürfte er auch trotz seines Desinteresses und Unverständnisses für viele tägliche Verwaltungsprobleme gehandelt haben. Des Führers Wechselspiel zwischen Antreiben und Abbremsen des revolutionären Impetus' mögen noch folgende Maßnahmen illustrieren: 76 a) Am 1. Juli 1933 erläuterte der ,,Führer" den in Bad Reichenhall versammelten SA- und SS-Unterführern, daß sich "das Wesentliche der Revolution nicht in der Machtübernahme erschöpfe", sondern daß es gelte, "einen neuen Menschen" zu schaffen. 77 b) Am 6. Juli 1933 dozierte der Reichskanzler in Gegenwart des Reichsinnenministers vor den Reichsstatthaltern, von denen nur einer nicht zugleich Gauleiter der NSDAP war, daß die "Revolution kein permanenter Zustand" sei: "Es sind mehr Revolutionen im ersten Ansturm gelungen, als gelungene aufgefangen und zum Stehen gebracht worden." Die Reichsstatthalter hätten dafür zu sorgen, daß die ParteisteIlen sich keine Regierungsbefugnisse anmaßen. 78 Diese Rede ermunterte den auf eine autoritäre Staatsordnung bedachten Reichsinnenminister und Berufsbeamten Frick, in einem Schreiben an sämtliche Landesregierungen und Reichsstatthalter am 10. Juli 1933 die Drohung auszusprechen, daß "jede Art von Nebenregierung" und "Mißachtung von Anordnungen der Träger der Staatsautorität" schärfstens geahndet würden. 79 c) Am 14. Juli 1933 erklärte der "Führer" auf einer Tagung der NSDAP wenige Stunden nach Erlaß des Gesetzes gegen die Neubildung von Parteien - es bestand ohnehin keine politische Partei mehr außer der NSDAP - den Ausbau und die Stärkung der nationalsozialistischen Bewegung zu einer der "wesent74 So ansatzweise etwa E. N. Peterson, The Limits of Hitler's Power; Princeton, N.J., 1969; siehe auch noch unten, nach E. (den Epilog). 75 Vgl. dazu die Hitler-Biographie von Alan Bullock, Hitler. Eine Studie über Tyrannei, 1. Auflage 1953, Droste Verlag, Düsseldorf, S. 310 ff. 76 Zusammengestellt nach Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, S. 17 ff. 77 Abschrift der Rede Hitlers vom 1. 7.1933 in Bundesarchiv, Akte R 4311/995, BI. 75. 78 Redebeitrag Hitlers auf der Reichsstatthalterkonferenz vom 6. 7.1933; in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/995, BI. 76. 79 Schreiben Fricks an die Reichsstatthalter und Landesregierungen vom 10. Juli 1933; in: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung I (Staat und Verwaltung), Akte MF 19/ 67402.

H. Die Gründe für den Mißerfolg der Reichsreform

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liehsten Aufgaben". Die Klärung des Verhältnisses von Partei und Staat brauche "vielleicht eine jahrelange Entwicklung", denn das Gesetz der nationalen Revolution sei noch nicht abgelaufen. 80 d) Am 1. September 1933 gab Hitler auf dem Parteitag in Nürnberg die doppeldeutige Parole aus: "Die NSDAP ist die einzige Trägerin der Staatsgewalt". Auf dieses "Führerwort" konnte sich im Konfliktfall der nicht mit einem Staatsamt betraute Gauleiter Streicher ebenso berufen wie der bayerische Ministerpräsident "Pg." Siebert. e) Am 28. September 1933 beauftragte der Kanzler in Gegenwart des Reichsinnenministers sowie der Staatssekretäre Lammers und Funk die Reichsstatthalter, die Revolutionserscheinungen restlos abzubauen. Irgendein revolutionäres, nationalsozialistisches Ziel gäbe es in Deutschland nicht mehr. Die Reichsstatthalter hätten sich absolut als Träger der Staatsautorität zu fühlen, die nationalsozialistisch sei. Die Verwaltung müsse immer größere, innere Sicherheit gewinnen. Direkte Eingriffe des Reichsstatthalters in die Verwaltung müßten unterbleiben. 81 f) Am 2. Februar 1934 gab der "Führer" den in München versammelten Gaulei-

tern zu verstehen, daß der Staatsapparat noch nicht so ganz zuverlässig sei. 82

g) Am 20. März 1934 erklärte der "Führer" dem gleichen Auditorium in München: "Diese Revolution muß weitergehen". 83 Am 23. März 1934 ertönte die Klage des Reichsinnenministeriums, daß viele Funktionäre der Partei im Staat den Feind sähen; am 17. Juni 1934 verlas Franz von Papen in Marburg die bekannte, von dem am 30. Juni 1934 ermordeten Edgar Jung formulierte Rede und forderte somit, daß die Bewegung in ihrer Bewegung einmal zu Ende kommen müsse, da mit ewiger Dynamik kaum etwas Vernünftiges gestaltet werden könne,84 und am 25. Juni 1934 hielt Heß die nicht minder bekannte Warnrede gegen die "zweite Revolution", in der es gleichwohl sehr zutreffend hieß: "Hitler ist Revolutionär großen Stils ... Er kennt die Grenzen des mit den jeweiligen Mitteln und unter den jeweiligen Umständen jeweils Erreichbaren. Er handelt nach eiskaltem Abwägen ... im Verfolg der ferneren Ziele der Revolution ... Immer aber darf es nur eine durch ihn gesteuerte Revolution sein. 85 Nach dem 30. Juni 1934 86 80 Erklärung Hitlers auf der NSDAP-Tagung vom 14.7.1933; Abschrift in: Bundesarchiv, Akte R 43 H/995, BI. 78. 81 Redebeitrag Hitlers auf der ReichsstatthaIterbesprechung am 28.9.1933; in: Bundesarchiv, Akte R 43 H/1392. 82 Zitiert nach Wolfgang Sauer, in: Bracher / Sauer / Schulz, Die Nationalsozialistische Machtergreifung, 2. Auflage 1962, S. 901. 83 Vgl. Walter Siebarth, HitIers Wollen ... , München 1935, S. 14. 84 Abdruck der Rede in IMG (Internationaler Militärgerichtshof, Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vom 14. 11. 1945 bis 1. 10. 1946), Prozeßakten, Band 16, S. 322 ff. 85 Vgl. Sauer, in: Bracher / Sauer / Schutz, S. 904.

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E. Zusammenfassende Würdigung

lag die Vermutung nahe, daß die Staats autorität nun auch gegenüber den Funktionären der NSDAP die Oberhand gewinne. 87 h) Diese Vermutung wurde scheinbar bestätigt, als der Münchner Gauleiter Wagner zu Beginn des Parteitages in Nürnberg am 5. September 1934 die Proklamation Hitlers verlas: "Die nationalsozialistische Revolution ist als revolutionärer, machtmäßiger Vorgang abgeschlossen". 88 i) Am 10. September 1934 zerstörte Hitler derartige Hoffnungen wieder, indem er sich dem Gerücht, die Organisation der NSDAP werde ebenso wie die der SA verkleinert oder gar aufgelöst, entgegenstellte. Ein derartiges Gerede sei falsch. j) Am 13. Oktober 1934 interpretierte Goebbels im Auftrage Hitlers während einer Rede in Berlin den Ausspruch des "Führers" vom 8. September 1934,89 der durch Zeitungsschlagzeilen inzwischen zu der Formel "Die Partei befiehlt dem Staat" geworden war. Diese Worte hätten zu einigen Mißverständnissen Anlaß gegeben. Die Partei dürfe selbstverständlich nicht dem Staate kommandieren; ein Über- und Unterordnungsverhältnis habe der "Führer" nicht einführen wollen. Der Ausspruch bedeute lediglich, "daß Nationalsozialisten vom Führer damit beauftragt wurden, den Staat zu regieren und zu befehlen."90 Diese Interpretation präzisierte Innenminister Frick in einem am 20. November 1934 erschienenen Aufsatz: 91 Eine Anweisungsbefugnis von Parteidienststellen gegenüber Staatsbehörden bestehe nicht, und kein Beamter dürfe sich der Verantwortung für seine Handlungen dadurch entziehen, daß er sich "in bequemer Weise auf eine Anordnung einer Parteidienststelle berufe". k) Auf dem Parteitag im September 1935, zu einem Zeitpunkt also, der in dem vergleichsweise "ruhigen" Abschnitt des Dritten Reiches lag, äußerte sich Hitler grundlegend über das Verhältnis von Partei und Staat und wiederholte den schon in "Mein Kampf' formulierten Angriff auf die Funktion des Staates als höchste normengebundene Rechtseinheit. 92 In der am 11. September verlesenen Proklamation wurde zunächst in keinerlei Übereinstimmung mit der politischen Wirklichkeit ein innenpolitisches Panorama entworfen, auf dem Dem sog. Röhm-Putsch Hitlers gegen die zur Wehrmacht konkurrierenden SA. So forderte z. B. Göring in einem Schreiben an Heß vom 31. 8.1934, daß "die Säuberungsaktion nicht nur in der SN', sondern auch in der Partei "mit Nachdruck" durchgeführt werden sollte (zitiert nach Diehl-Thiele. S. 18, Fußnote 51). 88 Abschrift der Rede in: Bundesarchiv, Akte R 43 11/995, BI. 234 ff. 89 Auf dem NSDAP-Parteitag von 1935 (genauer am 7.9.1935) hatte Hitler erklärt: ,,Nicht der Staat befiehlt uns, sondern wir befehlen dem Staat." (vgl. Bundesarchiv, Akte R 43 11/995). 90 Vgl. Herrmann, Heinz-Lebrecht. Die Amtsträger der Bewegung, juristische Dissertation München 1941, S. 30 f. 91 Frick. Wilhelm, Partei und Staat, in: Deutsche Verwaltung 1934, Nr. 11, S. 289 ff. 92 Vgl. Hitler, Mein Kampf, S. 425 ff. (Kapitel: "Der Staat"). 86 87

11. Die Gründe für den Mißerfolg der Reichsrefonn

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es an aktiven Gegnern des Regimes nur so wimmelte. Die fiktive Gegnervorstellung wurde jetzt vom "jüdischen Marxismus" auf das "politisch und moralisch verderbliche Zentrum" und "gewisse Elemente eines unbelehrbaren dumm-reaktionären Bürgertums" erweitert. Der Nationalsozialismus, so hieß es dann, werde seinen Weg in der Überwindung dieser Gefahren weiterschreiten. Dieser Kampf gegen die inneren Feinde der Nation werde "niemals an einer formalen Bürokratie und ihrer Unzulänglichkeiten scheitern, sondern dort, wo sich die formale Bürokratie des Staates als ungeeignet erweisen sollte, ... (wird) die deutsche Nation ihre lebendigere (!) Organisation ansetzen ... Was staatlich gelöst werden kann, wird staatlich gelöst, was der Staat seinem ganzen Wesen nach eben nicht zu lösen in der Lage ist, wird durch die Bewegung gelöst. Denn auch der Staat ist nur eine der Organisationsformen des völkischen Lebens". Sollte der Staat (also: die Beamten und die hier ebenfalls der Sphäre des Staates zugeordneten Richter) eine mangelnde Entschlossenheit zeigen, "bestimmte Gefahren unter allen Umständen und schon im Keime zu ersticken", so würden "Funktionen" (Kompetenzen) des Staates an Organisationen der Bewegung übertragen. 93 Zweifel an der Motivationslage Hitlers können hiernach nicht mehr aufkommen.

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Abgedruckt in: "Die Reden Hitlers am Parteitag der Freiheit 1935", München 1936.

25 Bachnick

Epilog: Zum Hitlerverständnis in seiner historischen Bewertung Das Verständnis von Hitlers Bedeutung im nationalsozialistischen Deutschen Reich ist mehrfach Modifikationen ausgesetzt gewesen. 1 Während der 1950er Jahre überwog die Ansicht, Deutschland habe den Charakter eines monokratischen, ganz auf die Person des "Führers" zugeschnittenen Staates besessen; alle Staatsgewalt sei vom Reichskanzler ausgegangen, der Partei und Verwaltung straff gelenkt hätte. 2 Diese Meinung ist ab 1955 mehr und mehr in dem Sinne korrigiert worden, es habe im Dritten Reich ein unkontrollierbares Neben- und Gegeneinanderregieren von Hoheitsträgern gegeben. 3 Auf jener noch heute gültigen Erkenntnis aufbauend, kamen insbesondere Hans Mommsen und Wolfgang Schieder zu dem Schluß, Hitler sei ein "entscheidungsunwillige(r), häufig unsichere(r), ausschließlich auf Wahrung seines Prestiges und seiner persönlichen Autorität bedachte(r), aufs Stärkste von der jeweiligen Umgebung beeinflußte(r), in mancher Hinsicht schwache(r) Diktator"4 gewesen. Mommsens und Schieders Auffassung, der Reichskanzler sei im Grunde von der Polykratie des nationalsozialistischen Regimes abhängig gewesen und getrieben worden, macht beide zu Anhängern der "revisionistischen Lehre". 5 1 Instruktiv insoweit Klaus Hildebrand, Das Dritte Reich, Oldenbourg - Grundrisse der Geschichte, Band 17, 2. Auflage 1980, München, S. 313 ff.; derselbe, Monokratie oder Polykratie? Hitlers Herrschaft und das Dritte Reich; in: Bracher, Kar/-Dietrich / Funke, Man/red / Jacobsen, Hans-Adolj (Hrsg.), Nationalsozialistische Diktatur 19331945 - Eine Bilanz (Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte, Band 21), Düsseldorf 1983, S. 73 ff. 2 Zutreffend Hans Mommsen, Nationalsozialismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Eine vergleichende Enzyklopädie, Band IV, Freiburg 1971, Spalte 702. 3 Bahnbrechend Karl Dietrich Brachers Berliner Antrittsvorlesung am 9.6.1955 (zitiert in: Hildebrand, Monokratie oder Polykratie?, S. 73); siehe auch derselbe, in: Bracher / Sauer / Schulz, Nationalsozialistische Machtergreifung, 2. Auflage 1962; derselbe, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, 6. Auflage, Köln 1979; siehe auch schon Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat (deutsch 1974; erstmals erschienen 1941 unter dem Titel "The Dual State", Princeton N.J.); Franz Neumann, Behemoth, Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933 - 1944, Frankfurt 1972. 4 So Mommsen, Nationalsozialismus, Sp. 702; ähnlich Woljgang Schieder, Spanischer Bürgerkrieg und Vierjahresplan. Zur Struktur nationalsozialistischer Außenpolitik, in: W. Schieder / ehr. Dipper, Der Spanische Bürgerkrieg in der internationalen Politik (1936-1939), München 1976, S. 163 ff., insbesondere S. 166, 169. 5 Zu diesem Begriff instruktiv A. Hillgruber, Tendenzen, Ergebnisse und Perspektiven der gegenwärtigen Hitler-Forschung, in: Historische Zeitschrift, Band 266 (1978), S. 612;

Epilog: Zum Hitlerverständnis in seiner historischen Bewertung

387

Sie ist indes neuerdings immer stärker in Zweifel gezogen worden. Die "Hitlerzentristen" behaupten nämlich, zwar habe tatsächlich eine Polykratie von Verwaltungen bzw. Kompetenzen bestanden. Diese sei jedoch vom "Führer" beabsichtigt und gefördert worden. 6 Am eindrucksvollsten insoweit ist Haffners Interpretation der Ereignisse. Ihm zufolge hat der Diktator "zugunsten seiner persönlichen Allmacht und Unersetzlichkeit bewußt zerstört, und zwar von Anfang an". Absichtlich habe er einen Zustand hergestellt, "in dem die verschiedenen eigenständigen Machtträger unabgegrenzt miteinander konkurrierend und einander überschneidend, nebeneinander und gegeneinander standen, und nur er selbst an der Spitze von allen". 7 Die Ansicht der "Hitlerzentristen" erscheint nach allem, war wir im Rahmen dieser Arbeit sahen, überzeugend. Wenn der "Führer" auf dem NSDAP-Parteitag von 1935 drohend aussprach, daß diejenigen Maßnahmen, für die die normativ gebundene Bürokratie nicht herhalten könne, unter Zuhilfenahme der P.O. erledigt würden, offenbart er damit schonungslos seine Taktik, Partei und Staat nebeneinander bestehen zu lassen und für unterschiedliche Zwecke einzusetzen. Zugleich war ausgedrückt, daß beide Institutionen in Abhängigkeit zum Reichskanzler gehalten werden sollten, der sie nach Belieben benutzen wollte. Daß Hitler NSDAP und Verwaltung bewußt ausspielen und so sich unterordnen wollte, bedarf danach keiner näheren Erläuterung mehr. Das unbestreitbare Verdienst der "Revisionisten" ist, daß sie in den 1960er Jahren das Bild vom zentralistischen Führerstaat zu beseitigen mitgeholfen haben, und daß sie an seine Stelle die Lehre vom polykratischen Doppelstaat 8 gesetzt haben. Der Revisionisten Manko ist aber, daß sie die Person Adolf Hitlers verkennen und dadurch zur Bagatellisierung des NS-Systems beitragen. Der "Führer" war eben kein ansatzweise harmloser, von äußeren Umständen getriebener ("determinierter") Politiker, sondern ein egozentrischer, machtbesessener Diktator. Schon ein klares Wort von ihm hätte genügt, die Dualismen des Dritten Reiches aufzulösen. Daß er es bewußt unterließ, begründet seine Unberechenbarkeit. (revisionistisch deshalb, weil durch sie die frühere monokratische Ansicht revidiert worden ist). 6 Dazu siehe etwa Martin Broszat, Der Staat Hitlers, 1975, S. 610 ff.; Karl-Dietrich Bracher, Tradition und Revolution im Nationalsozialismus, in: derselbe, Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, München 1976, insbesondere S. 64 f.; Lothar Gruchmann, Die Reichsregierung im Führerstaat, in: Festschrift für Ernst Fraenckel, 1973, S. 187 ff., insbesondere S. 202 ff., 212; Hildebrand, Monokratie oder Polykratie?, S. 82 ff.; Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, München 1978, S. 58 f.; A.S. Mi/ward, Der Einfluß ökonomischer und nicht-ökonomischer Faktoren auf die Strategie des Blitzkrieges, in: F. Forstmeier / H.E. Volkmann, Wirtschaft und Rüstung am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, Düsseldorf 1975, S. 197; Peter Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, München 1969, S. 10 (insbesondere Fußnote 27). 7 Haffner, Anmerkungen zu Hitler, S. 58 f. 8 Grundlegend wie gesagt aber schon Ernst Fraenkel, vgl. Fußnote 3. 25*

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Epilog: Zum Hitlerverständnis in seiner historischen Bewertung

Wollte man den "Hitlerzentristen" vorwerfen, sie trügen dazu bei, alles, was im NS-Staat geschehen ist, allein auf Adolf Hitler zu projizieren, so geht dies an der Sache vorbei. Durch intensivere Beschäftigung mit der Materie können derartige Fehlschlüsse nämlich vermieden werden; außerdem muß die historische Wahrheit unbeeinflußt von Überlegungen zu ihren praktischen Folgen bleiben. Daher gilt nach wie vor: Das nationalsozialistische Deutsche Reich war eine auf die Person Hitlers zugeschnittene, vom "Führer" autokratisch gelenkte Einmanndiktatur.

Quellen und Literatur I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen 1. Interviews Befragung Opdenhoffs durch Gerhard Botz am 15.4.1971; Tonbandprotokoll im Institut für neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes-Keppler-Hochschule Linz.

2. Unveröffentlichte Quellen Akten des Bundesarchivs* NL S 113: Schreiben von Seyss-Inquart an Bürckel vom 29.6.39 zur Aufteilung der Gaue in Österreich. NS 61773: Adolf Wagner 1Albrecht Haushofer: "Der Neuaufbau des Reiches", Denkschrift vom 6.2.1935. - Adolf Wagner: "Entwurf eines Reichsneugliederungsplans" (ohne Datum). NS 22/vorl. 618: Brief des thüringischen Gauleiters Sauekel an den Reichsinnenminister vom 9.4.1934 betr. Probleme bei der Übernahme von "alten Kämpfern". NS 25/85: Parteiamtliche Äußerungen gegen eine Erweiterung der Staatsaufsicht über die Gemeinden. NS 251 10 I: Ausführungen des Ministerialdirektors Sommer anläßlich einer Unterredung zwischen dem kommunal politischen Hauptamt und dem Stab des Stellvertreters des Führers am 2.7.40 zur Stellung der Partei in den Gemeinden. NS 25/131: Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Inneren vom 25.2.37 an den Stellvertreter des Führers betr. Genehmigungspflichten bezüglich gemeindlicher Entscheidungen. NS 25/417: Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 19.2.37 zur Auflösung von Personalunionen in Partei- und Staatsamt. NS 25/619: Maßnahmen zur Verschärfung der Staatsaufsicht. R 2120157: Niederschrift einer Gemeindeordnungsentwurfberatung vom 16.6.1934.

*

Signatur und Inhalt in Stichworten.

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Quellen und Literatur

R 18/375: Spannungen zwischen NSDAP und Reichsinnenverwaltung in der Territorialrefonnfrage belegende Quellen: a) Aktenvennerk Nicolais über ein Telefongespräch mit dem bayerischen Ministerialdirektor Freiherr von Imhoff. b) Handschriftliche Bemerkung Fricks vom 8.6.34 zu dem vorstehenden Aktenvennerk. c) Bericht von Medicus vom 14.6.34. d) Bericht Crämers für Frick vom 5. 10.34. - Denkschrift "Neuorganisation des Reiches" vom 12.6.34 von Medicus. - Vennerk Nicolais für Frick vom 13.6.34 betr. Minimierung der Sonderverwaltungen. - Bericht Crämers für Frick vom 5. 10.34 betr. Streit über Zuständigkeit für die Durchführung der Reichsrefonnpläne. - Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltung, durch Medicus am 22.9.35 vorgelegt. -

Stellungnah~e

von Pfundtner vom 29.10.35 zu dem Entwurf von Medicus.

- Vennerk von Medicus vom 15.11. 35 über den Stillstand der Initiativen für ein Gesetz zur Vereinheitlichung der Verwaltung. R 18/1256: Konzept für einen Erlaß des Reichsinnenministeriums an die obersten Reichsbehärden vom 7. 12. 1943. R 18/1263: Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei Kaltenbrunner vom 26.8.44 an den Reichsinnenminister betr. versuchte Einflußnahme durch die Partei auf Belange der Polizei. R 18/5313: Stellungnahme des Gauleiters Greiser zur Frage der Berichtspflicht der Regierungspräsidenten. R 18/5384: Vennerk von Staatssekretär Stuckart über ein Gespräch mit dem Chef der Reichskanzlei Lammers vom 27.4.1938 betr. Gliederungskonzept für die Ostmark. R 18/5385: Schreiben Fricks an Lammers vom 12.5.1938 betr. Gaueinteilung in der Ostmark. - Vennerk aus der Verfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums vom 24.5.1938 betr. Gaueinteilung in der Ostmark. R 18/5386: Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung des Landes Österreich von Anfang Juni 1938. R 18/5399: Schnellbrief des Reichsfinanzministers Graf Schwerin von Krosigk vom 18. 1. 1939 an Frick betr. Bedenken gegen das Ostmarkgesetz. - Vermerk des Staatssekretärs Stuckart vom 26. 1. 1939 betr. Weisungsrechte der Reichsstatthalter. R 18/5401: Undatierter Vorschlag (etwa Anfang Oktober 1939) aus dem Reichsinnenministerium zur territorialen Begrenzung von Westpreußen. R 18/5434: Pfundtner: "Die Quellen der geltenden Verfassung" (Denkschrift). R 18/5435: Pfundtner: "Der Einheitsgedanke im deutschen Recht" (Vortrag, gehalten in der Akademie für Deutsches Recht).

I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen

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- Frick: "Der staats- und verwaltungsrechtliche Neuaufbau des nationalsozialistischen Staates" (Niederschrift eines am 27. 1. 1938 vor der Verwaltungsakadernie Königsberg gehaltenen Vortrages). R 18/5436: Vorentwürfe eines Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung von etwa August 1933. - Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches - ohne Datumloffenbar Ende September 1933, im Reichsinnenministerium verfaßt. - Medicus: "Der Einbau der nationalsozialistischen Bewegung in den Staat" (Denkschrift vom 12.10.1933). - Ministervorlage über notwendige Bedingungen der Reichsreform - ohne Datum (aus dem Reichsinnenministerium). - Rundschreiben Reichsinnenminister Frick vom 28.10. 1933 betr. landesrechtliche Neuregelung des Gemeindeverfassungsrechts. - Schreiben Reichsinnenministers Frick an den bayerischen Ministerpräsidenten Siebert mit Abgangsvermerk vom 1. 11.33 betr. Vorentwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches. - Vorlage eines weiteren Entwurfes eines Gesetzes über den Neuaufbau des Staates durch Nicolai am 23. 11. 33. - Änderungsvorschläge des Staatssekretärs Pfundtner vom 27. 11. 1933 zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau des Staates. - Besprechung vom 28. 11.33 zum Entwurf eines Reichsneuaufbaugesetzes. - Entwurf eines Gesetzes über die Fortführung der Reichsreform - ohne Datum, etwa November 1933 im Reichsinnenministerium verfaßt. R 18/5437: Entwurf eines Gesetzes über den Neuaufbau der Reichsverwaltung vom 20.7.1934 (aus dem Reichsinnenministerium). - Entwurf einer zweiten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches, etwa Anfang 1934. - Zweite Fassung eines Gesetzentwurfes über die Neugliederung des Reiches vom 23.4.1935. - Amtliche Begründung zu dem Gesetz über die Vereinheitlichung im Behördenaufbau vom 5.7.1939. - Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung vom 6.1.1938. - Entwurf eines zweiten Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung (etwa Ende 1941). R 18/5438: Denkschrift Nicolais vom 6.12.33 zur Reichsreformfrage. R 18/5439: Stellungnahme Stuckarts zu einer Denkschrift des Reichsstatthalters in Thüringen (1.4.1936). - Zur Frage der Gauselbstverwaltung im Rahmen der Reichsreform (Denkschrift aus der Verfassungsabteilung des Reichsinnenministeriums vom 26.6.1935). - Denkschrift Medicus' über die Durchführung des Neuaufbaus des Reiches.

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Quellen und Literatur

- Generalplan für das Vorgehen in der Reichsreform von etwa Ende 1933. - Arbeitspapier des Reichsinnenministeriums zu Territorialreformfragen (15.9.1933). - Erster Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 8. 10. 1934 mit Anschreiben Nicolais. - Amtliche Begründung zum Ersten Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches. - Zweiter Entwurf eines Gesetzes über die Neugliederung des Reiches vom 13.11.1934. - Die Neuordnung der Mittelinstanz im Reich (Denkschrift eines unbekannten Verfassers, vermutlich Nicolai, vom 19.3.1935). - Vermerk von Staatssekretär Stuckart vom 19.3. 1935 über ministerielle Zielvorstellungen beim Aufbau der Mittelinstanz. - Vorschlag des Reichsinnenministeriums für eine Gliederung der Landesregierungen in Ämter (April 1935). - Vermerk aus dem Reichsinnenministerium über die "Neuordnung der Mittelinstanz" (3.4.1935). - Entwurf einer Dritten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches vom 8.4.1935. - Entwurf eines Gesetzes über die Neuordnung der Landesregierungen der außerpreußischen Länder vom 9.4.1935. R 18/5440: Referentendenkschrift betr. Errichtung eines Reichsschatzministeriums. - Vermerk von Medicus vom 22.8.34 für Pfundtner betr. Vermeidung des Anstiegs der Sonderverwaltungen. R 18/5441: Referentenbesprechung vom März 1934 betr. Trennung der Zuständigkeiten zwischen Partei und Staat. - Rundschreiben des Reichsinnenministers an die Reichsstatthalter und Länderregierungen vom 6. 10.33 betr. Bevormundung durch die Partei. - Konzeptmaterial des Reichsinnenministers für die Konferenz der Länderministerpräsidenten am 23.3. 1934 (Art und Umfang des Einbaues der NSDAP in den Staat betreffend). R 18/5442: Schreiben Nicolais an Stuckart vom 7.11.1934 betreffend Vorlage von Gesetzentwürfen über Vereinfachungsmaßnahmen im Behördenaufbau. - Entwurf eines Gesetzes über die Reichsstatthalter und Oberpräsidenten vom 7. 11. 1934 mit Begründung. - Entwurf einer vorläufigen Verordnung zur Vereinheitlichung der Verwaltung vom 7.11.1934. - Entwurf einer Verordnung über die Erweiterung der Befugnis der preußischen Oberpräsidenten vom 7. 11. 1934. - Entwürfe für ein "Zweites Gesetz über die Reichsstatthalter" vom 29. 12.34 und vom Januar 1935. - Vermerke zu den Entwürfen für ein ,,zweites Gesetz über die Reichsstatthalter" vom 29.12.34 und vom Januar 1935. - Vermerk des Reichsinnenministeriums über "die staatsrechtlichen Grundgesetze des 30.1.35".

I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen

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- Entwurf eines "Zweiten Gesetzes über die Reichsstatthalter" vom 5.12.1934. - Schreiben des Staatssekretärs im Reichsinnenministerium Stuckart an Reichsinnenminister Frick vom 1.8. 1935 zur Frage der Geheimhaltung von Reichsreformplänen. - Vermerk vom Februar/März 1935 über Planungen des Reichsinnenministeriums in bezug auf das Reichsstatthaltergesetz. - Bericht von Medicus für Pfundtner vom 18.4.36 betr. Widerspruch von Hitler gegen die Fassung des § 4 Reichsstatthaltergesetz. - Zur Unentbehrlichkeit der Regierungspräsidenten (Denkschrift aus dem Reichsinnenministerium von etwa Mitte/Ende 1937). - Vermerk der Abt. 1 des Reichsinnenministeriums für Pfundtner (ohne Datum, ca. Oktober 1938) betr. Zurückstellung von Ernennungsurkundenaushändigung. - Schreiben des Reichsinnenministers vom 16. 11. 1939 an die Reichsstatthalter in Danzig-Westpreußen und Posen betreffend befristete straffe Führung der Verwaltung. R 18/5443: Entwurf eines 2. Gesetzes zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung vom Januar 1937. - Überlegungen zur Bildung einer Provinz "Nordmark". R 18/5447: Referentenentwurf 11 für eine Reichsneugliederung vom 27.4. 1934 (Verfasser: Dr. Crämer, Reichsinnenverwaltung). - Niederschrift einer Besprechung über die Erstellung des Entwurfes für ein Reichsneugliederungsgesetz. R 18/5452: Denkschrift "Durchführung des Führererlasses vom 13.1.1943" (ohne Verfasserangabe ). R 18/5596: Vermerk Staatssekretär Pfundtners vom 7. 11. 1934. Darin Ersuchen um Vortrag bei Minister Frick. R 22/12: Generalakten des Reichsjustizministeriums. R 431/1460: Ministerbesprechung am 29.3.33 betr. grundlegende Reform des Verhältnisses Reich/Länder. R 43 11/493: Antwortschreiben Staatssekretär Lammers' an Prof. F. Glum vom 9.3. 1933 zu dessen Angebot vom 30. 1.33, die Regierung zu beraten. - Denkschrift des Amtsgerichtsrats Dr. Wilhelm Zacher zur Durchführung des geplanten Staatsneuaufbaus vom 15.12.1933. R 43 II/493a: Niederschrift über die Kabinettsitzung vom 26.1.1937 betreffend die Neuregelung des Gesetzgebungsverfahrens. - Planungen zu einem Gesetz über die Reichsgesetzgebung. - Entwurf eines Gesetzes über die Reichsgesetzgebung. R 43 11/494: Fritz Sauckel: "Verlagerung der Zuständigkeiten und der Verantwortlichkeit von den bisherigen Ländern bzw. Außeninstanzen nach den Berliner Ministerialverwaltungen sowie deren politische und verwaltungsmäßige Auswirkung" (Denkschrift, etwa Dezember 1936). - Vermerk aus der Verwaltung des Chefs der Reichskanzlei vom 9.12.1936, die Reichsreform betreffend.

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Quellen und Literatur

- Schreiben Bürckels an den Reichsinnenminister vom 15.2.1939 betreffend Übertragung der Zuständigkeiten der österreichischen Landesregierung. - Schreiben des Reichsministers für Volksbildung und Erziehung an Bürckel vom 12.4.1939. - Frick: Rede zur Einführung des Leiters des NSDAP-Gaus Hannover-Süd als Oberpräsident der preußischen Provinz Hannover am 2.4.41. R 43 1I/494a: Vermerk aus der Verwaltung des Chefs der Reichskanzlei vom 17.3. 1938 betreffend Beschwerden des Stabschefs der SA und Oberpräsidenten der Provinz Hannover über Gliederungsbestrebungen in den Randgebieten seiner Provinz. - Schreiben des Leiters der Parteikanzlei (Bormann) an den Chef der Reichskanzlei vom 15. 11. 1941 zu Fragen der gebietlichen Reform. R 43 11/495: Schreiben Loepers an Lammers (Chef der Reichskanzlei) vom 23. 11.33. - Denkschrift der Anhaltinischen Staatsregierung zur Reichsreform und Gliederung der Länder vom November/Dezember 1933. - Rundschreiben des Staatssekretärs in der Reichskanzlei Lammers, ein Äußerungs verbot zu Fragen der Reichsreform enthaltend. - Schreiben Loepers an Lammers (Chef der Reichskanzlei) vom 5.12.33. - Schreiben des Reichsstatthalters für Oldenburg und Bremen (Röver) vom 8.12.33 an Staatssekretär Lammers (Reichskanzlei) in Sachen Helmut Nicolai. - Schreiben Lammers' an die Reichsstatthalter Loeper und Roever (11. 12. 1933); darin Mitteilung der Beschlagnahme der Schriften Nicolais. - Denkschrift des Reichsstatthalters in Baden über die territoriale Neuordnung im südwestdeutschen Raum vom Februar 1934. - Schreiben des Gauleiters Sprenger an Hit1er vom 2.3.34 zur Frage einander widersprechender Weisungen von Reichsstatthaltern und Reichsministern. - Schreiben des Preußischen Ministerpräsidenten Göring an den Reichsinnenminister vom 21. 3.1934, die Reichsreform betreffend. - Schreiben Reichsinnenministers Frick vom 4.6.34 an den Chef der Reichskanzlei Lammers zu den bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichsfachministern und Reichsstatthaltern. - Entwurf eines Schreibens des Staatssekretärs in der Reichskanzlei (Lammers) an den Reichsstatthalter in Thüringen (Sauckel) vom 20.6.1934 betreffend den Erlaß von Landesgesetzen. - Schreiben Adolf Wagners an Reichsminister Frick vom 23.6. 1934 (Beschwerde über den schleppenden Fortgang der Reichsreform) und vom 24.6.1934. - Schreiben des Chefs der Reichskanzlei an den Reichsinnenminister vom 27.6.34 wegen Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichsfachministern und Reichsstatthaltern. R 43 11/496: Murr: Denkschrift zur Gaueinteilung des Deutschen Reiches vom 29.12.1934. Schreiben von Frick an die Reichsminister vom 6.4.35 betreffend Überlegungen von Hess zur Weiterverwendung künftig ausscheidender Ministerpräsidenten.

I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen

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- Schreiben Reichsinnenministers Frick an den Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers vom 15.6.1935, die Betrauung von Reichsstatthaltem mit der Führung der Landesregierung betreffend. - Entwurf einer Ersten Durchführungsverordnung zum Reichsstatthaltergesetz vom Juni 1935. - Schreiben des Chefs der Reichskanzlei (Lammers) an den Reichsinnenminister vom 25.6. 1935, die Nachricht enthaltend, daß HitIer das Vorantreiben der Neugliederungspläne nicht für dringlich erachtet. - Bürckels "Grundsätze, die in der deutschen Reichsgauordnung Verwirklichung und Ausdruck finden sollten" (Denkschrift vom 6.9. 1935). R 4311/497: Denkschrift des Anhaltinischen Staatsministers vom 10.9.1934 betreffend den Einbau der Partei in den Staat. - Schreiben aus dem Stab des Führerstellvertreters (Verfasser: Ministerialdirektor Sommer) an den Staatssekretär in der Reichskanzlei vom 12. 10. 1934 zu Fragen des Einbaues der Partei in die Verwaltung. R 43 11/568: Aufzeichnung der Reichskanzlei vom 16.1. 34 über eine Chefbesprechung; darin enthalten Übereinstimmung, daß Haushaltssatzungen von der Zustimmung der Parteibeauftragten ausgenommen werden. - Zweiter Entwurf einer Deutschen Gemeindeordnung (undatiert, etwa Sommer 1934). - Gesetzentwurf Görings über eine vorläufige Neuregelung des Gemeindeverfassungsund -finanzrechts. - Brief des Thüringischen Gauleiters Sauckel vom 9.4.34 an den Reichsinnenminister, die Gemeindereform betreffend. - Schreiben Görings an den Reichsinnenminister vom 7.5.1934, Vorschläge zur Gemeindereform enthaltend. - Vermerk aus der Verwaltung des Chefs der Reichskanzlei vom 7. 11. 1934, den Dritten Entwurf einer Deutschen Gemeindeordnung betreffend. - 3. Entwurf einer Deutschen Gemeindeordnung vom November 1934. - Einladung zu einer Chefbesprechung am 14. I. 35 zwecks Beratung eines neuen Entwurfs zur Gemeindeordnung. - Vermerk vom 16. I. 1935 über eine Ministerbesprechung vom 14. I. 1935 zu Fragen einer Gemeindereform. R 43 11/569: Erster ministerieller Entwurf für eine Gemeindeordnung. - Schreiben des Reichsinnenministers an die Landesregierung bzw. den Preußischen Ministerpräsidenten vom 28.3.1934 betreffend den Gemeindeordnungsentwurf vom März 1934. - Schreiben des Leipziger Oberbürgermeisters Goerdeler vom 11. 1. 1935 an den Reichsinnenminister (Stellungnahme zu den Vorentwürfen für eine Deutsche Gemeindeordnung). - Schreiben Goerdelers vom 23. I. 1935 an HitIer, eine weitere Stellungnahme zu den Vorentwürfen für eine Deutsche Gemeindeordnung enthaltend. - Weidemann: "Die Verankerung der NSDAP in der Gemeindeverwaltung" (Denkschrift vom 24. 1. 1935).

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Quellen und Literatur

- Niederschrift über die Kabinettssitzung vom 24.1.35; darin enthalten Einwände Hitlers zu den Genehmigungsvorbehalten der Deutschen Gemeindeordnung. R 43 II/ 583: Notizen von Reichsinnenminister Frick und dem preußischen Finanzminister Popitz zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben der Ober- auf die Regierungspräsidenten. - Rundschreiben des Reichsinnenministeriums vom 4.6. 1940 betr. die Beibehaltung bzw. die weitere Ausübung des Berichterstattungsrechts. - Schreiben Gauleiter Greisers vom 11.6.41 zur Frage der Stellung der Reichsstatthalter. - Erlaß des Reichsstatthalters von Posen/Wartheland vom 4.7.1940 an die ihm unterstellten Regierungspräsidenten, dienstlich nur über ihn mit dem Reichsinnenministerium zu verkehren. - Schreiben des Reichsstatthalters von Wartheland (Greiser) an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 29.9. 1941 betr. die Stellung der Reichsstatthalter. - Schreiben Fricks vom 25.10.1941 an die Regierungspräsidenten in Posen, Hohensalza und Litzmannstadt betr. die Einhaltung des Rundschreibens vom 4. 6.1940 zur Berichterstattungspflicht. R 43 II/646a: Vermerk der Reichsinnenverwaltung vom Ende Oktober 1939 über die Justizverwaltung in den Reichsgauen Danzig und Posen. Schnellbrief des Reichsinnenministers Frick an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei (Lammers) vom 26.10.1939, die Weisungsgewalt der Reichsstatthalter in Danzig und Posen betreffend. - Vermerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 27. 10. 1939, den provisorischen Charakter des Rechtszustandes in Danzig-Westpeußen und im Wartheland betonend. Staatssekretärsbesprechung am 28.2.41 zur Vorbereitung des Entwurfs einer Vierten Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete. - Begleitschreiben des Staatssekretärs im Reichsinnenministerium vom 19.3.1941 zu dem Entwurf einer Vierten Verordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete. R 43 II/654a: Vermerk aus der Verwaltung des Staatsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 20. 1. 1943 zur Frage der Vereinfachung und Stillegung der Verwaltung. - Vermerk aus der Verwaltung des Chefs der Reichskanzlei vom 2.2. 1943 betreffend die Durchführung des Führererlasses vom 13.1.1943 auf dem Gebiete der Verwaltung. - Vermerk aus der Verwaltung des Staatsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 5.2.1943 über die Verwirklichung der Einheit der Verwaltung in den Ländern. R 43 II/660b: Materialien zu den Führererlassen vom 1.4.1944. R 43 II/661a: Schnellbrief des Reichsinnenministers an den Reichsverteidigungs(RV)Kommissar im RV-Bezirk Weser/Ems, an den oldenburgischen Innenminister und an die Regierungspräsidenten in Aurich und Osnabrück vom 12.2. 1943 (betreffend Stillegung von Landkreisverwaltungen). - Schnellbrief des Reichsinnenministers an den Leiter der NSDAP-Parteikanzlei, an den Chef der Reichskanzlei und an den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht vom 9.4.1943 (betreffend Stillegung von LandkreisverwaItungen).

I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen

397

- Schnellbrief des Reichsinnenministers vom 9.4.1943 (Vorschlag zur Stillegung von Landkreisverwaltungen). - Vermerk der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 12.4. 1943, die Stillegung von Landkreisverwaltungen betreffend. R 43 11 1694: Führererlaß vom 27.7.34, Kontrollbefugnisse über die Reichsgesetzgebung festschreibend. R 43 111703: Schreiben des Reichsministers des Inneren an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 26. 1. 1938. - Einzelbegründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über den einheitlichen Aufbau der deutschen Behörden vom 26. I. 1938. R 43 111703a: Entwurf einer Deutschen Kreisordnung vom April 1937. - Schreiben des Reichsinnenministers Frick vom 1.7. 1938 an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, die geplante Kreisordnung betreffend. - Vermerk des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Lammers vom 13.7.38 betreffend Anweisung Hitlers, die Stellungnahme von Hess zum Entwurf einer Kreisordnung einzuholen. - Schreiben Lammers' vom 21.7.38 an Hess, die Bitte um Stellungnahme zum Kreisordnungsentwurf enthaltend. - Stellungnahme Hess' vom 7. 1. 39 zur Kreisreform. - Vermerk aus der Verwaltung des Chefs der Reichskanzlei vom 28. 6.1939, den Entwurf einer Deutschen Kreisordnung betreffend. - Zweite Anordnung über die Verwaltungsführung in den Landkreisen vom 24.6.41. - Schreiben des Reichsinnenministers an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei vom 5.6. 1943 (Zurückstellung der Reichsreform, insbesondere hinsichtlich der Schaffung eines Reichsgaues Westmark). - Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 13.7. 1943 betreffend Zurückstellung von Reichsreformplänen. - KreißI: "Aktuelle Fragen der Selbstverwaltung" (Vortrag, gehalten am 6.1.1944 bei der Tagung der preußischen Regierungspräsidenten). R 43 111706: Entwurf eines Erlasses des Führers über die weitere Vereinfachung der Verwaltung vom 25.1.1943. R 43 11/995: Rede Hitlers vom 1. 7. 33 betreffend Neuaufbau der Reichsverwaltung. - Redebeitrag Hitlers auf der Reichsstatthalterkonferenz vom 6.7.33 betreffend Neuaufbau der Reichsverwaltung. - Erklärung Hitlers auf der NSDAP-Tagung vom 14.7.33 betreffend Neuaufbau der Reichsverwaltung. - Proklamation Hitlers zum Parteitag am 5.9.34 betreffend die nationalsozialistische Revolution. - Erklärung Hit1ers auf dem Parteitag am 7.9.35 betreffend das Verhältnis von Partei und Staat.

398

Quellen und Literatur

R 43 Hf 1197: Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat (Verfasser R. Hess, undatiert, wahrscheinlich von Anfang Mai 1934). - Entwurf einer Zweiten Durchführungsverordnung zum Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. 12. 1935 (mit Begründung). - Schreiben des Staatssekretärs in der Reichskanzlei Lammers an den Reichsinnenminister Frick vom 18.5.1934, das Verhältnis von Partei und Staat betreffend. - Schreiben des Reichsinnenministers vom 8.6. 1934 an den Staatssekretär in der Reichskanzlei betreffend das Verhältnis von Partei und Staat. R 43 H/1213: Mitteilung über die Ernennung des Leiters der Parteikanzlei Bormann zum Sekretär des Führers durch Hitler am 12.4.43. R 43 Hf 1263: Schreiben des Regierungspräsidenten von Magdeburg an den Preußischen Ministerpräsidenten vom Juli 1934. R 43 Hf 1309: Schreiben des Vizekanzlers von Papen an den Staatssekretär in der Reichskanzlei Lammers vom 31. 3. 1933 (Auftrag zur Ausarbeitung von das Verhältnis der Länder zum Reich reformierenden Gesetzen). R 43 Hf 1310: Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 3.4. 1933. - Entwurf des Reichsinnenministers zu einer amtlichen Begründung des Gesetzes zur Überführung der Landesbeamten in den Reichsdienst vom 29.12.1936. R 43 IIf 131 Ob: Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Reichsstatthaltergesetz (undatiert, etwa November 1937). - Schreiben des Reichsstatthalters Sauckel an den Chef der Reichskanzlei vom 22.11.1937 (Grundsätze für ein Sofortprogramm zur Wiederherstellung der Einheit der Verwaltung enthaltend). R 43 Hf 1353a: Vorentwürfe zum Ostmarkgesetz. - Entwurf eines Gesetzes über die Aufgliederung und vorläufige Verwaltung des Landes Österreich von Anfang Juni 1938. - Entwurf Bürckels für ein Gesetz über die Aufgliederung des Landes Österreich und den Aufbau der Verwaltung vom Juli 1938. - Schreiben des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich Bürckel an den Chef der Reichskanzlei Lammers vom 27.7.1938 (Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Aufgliederung und vorläufigen Verwaltung in Österreich). - Entwurf eines Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in Österreich, datiert vom August 1938. - Vermerk aus der Verwaltung des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei vom 15.9.1938 betreffend das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung im Lande Österreich. - Niederschrift über die Staatssekretärbesprechung im Reichsministerium des Innern vom 20.9.38 betreffend das Gesetz über den Aufbau der Verwaltung in der Ostmark. - Entwurf eines Gesetzes über den Aufbau der Verwaltung in Österreich vom 12.10.1938.

Quellen und Literatur

399

R 43 111 1357c: Schreiben des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich (Bürckel) an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei (Lammers) vom 30.5.1938. R 43 11/1358: Vermerk zur Frage der Einteilung der Gaue in Österreich. - Schreiben Stuckarts vom 26.4.38 an Lammers zur Frage der Personalunion von Parteigauführer- und Reichsstatthalteramt. - Schreiben von Frick an Lammers vom 30.4.38 betreffend die Gliederung der Ostmark. - Mitteilung des Ministerialrats Kritzinger (Reichskanzlei) an den Chef der Reichskanzlei Lammers vom 27.5.38. - SchnellbriefLammers' vom 3.6.38 an Frick und Aktenvermerk vom 31.5.38 betreffend Zustimmung Hitlers zur vorläufigen Gebietsreformplanung. - Vermerk Kritzingers vom 31. 5. 38 über eine Besprechung am 30.5.38 zur Neueinteilung der österreichischen Länder. - Aktenvermerk Stuckarts vom 31. 5. 1938 über eine stattgefunden habende Einigung mit Bürckel in der Frage der österreichischen Gliederung. R 43 11/1359: Anweisung über die künftige Bezeichnung der sog. Ostmark als "Alpenund Donaureichsgaue", 1942. R 43 111 1365b: Schreiben des braunschweigischen Ministerpräsidenten Klagges an den Chef der Reichskanzlei Lammers vom 11. 2. 1941. - Schreiben des stellvertretenden ReichsIeiters der NSDAP Bormann an Lammers vom 22.2.41. R 4311/1372: Entwurf eines Gesetzes über den Reichsgau Thüringen nebst Anschreiben des thüringischen Reichsstatthalters Sauckel vom 5.4. 1934. - Schreiben Sauckels an Lammers vom 13.4.34, den Entwurf eines Gesetzes über den Reichsgau Thüringen betreffend. R 43 11/1376: Schreiben des Reichsstatthalters in Braunschweig und Anhalt (Loeper) an den Staatssekretär in der Reichskanzlei (Lammers) vom 9.4.1934 zur Frage der Befugnisse der Reichsstatthalter. R 43 11/1392: Redebeitrag Hitlers auf der Reichsstatthalterbesprechung am 28.9.33 zum Verhältnis Reichsstatthalter - Verwaltung. - Redebeitrag Hitlers auf der Reichsstatthalterkonferenz vom I. 11. 1934 in Berlin. Sammlung Schumacher/304, BI. 6ff.: Denkschrift von Opdenhoff vom 26.3.38, die österreichische Gaueinteilung betreffend. Sammlung Schumacher 1304, BI. I: Schreiben Opdenhoffs vom 26. 3. 38 an Hauptamtsleiter Helmuth Friedrichs (Stab Hess); Anschreiben zu der Denkschrift vom gleichen Tage. Sammlung Schumacher 1304, BI. 10 ff.: Aktenvermerk Opdenhoffs vom 2.4.38 in Sachen österreichische Gaugliederung. Sammlung Schumacher/304, BI. 22 ff.: Aktenvermerk Opdenhoffs vom 9.5.38 zur künftigen Reichsgaugliederung.

400

Quellen und Literatur Andere Archive

a) Akten des Preußischen Geheimen Staatsarchivs Rep. 77, Nr. 2: Schreiben des brandenburgischen NSDAP-Gauleiters Kube vom 1.4.33 an Göring in Sachen Helmut Nicolai. - Schreiben des Gauleiters Kube vom 12.4.33 an Göring und an Staatssekretär Grauert in Sachen Person Nicolai. - Schreiben Loepers an Staatssekretär Grauert vom 29.9.33 zu der Tätigkeit Nicolais. Rep. 77, Nr. 4: Schreiben Loepers an Staatssekretär Grauert vom 6.7.33 in gleicher Angelegenheit. - Schreiben Loepers an Staatssekretär Grauert vom 27.6.33 in Sachen Nicolai. Rep. 7711: Anweisung des Gauleiters in Pommern, Karpenstein, an die Bürgermeisteranwärter, Weisungen der NSDAP-Gauführung zu folgen. Rep. 77, Nr. 10: Schreiben Hess' an Reichsinnenminister Frick vom 8. 11.34 zur Gemeindereformgesetzgebung. - Vermerk von Dr. Suren vom 14.11.34 zur Nichtbetrauung der Partei-Ortsgruppenleiter mit politischen Führungsämtern in den Gemeinden. - Schreiben Hess' vom 10.12.34 an Frick zur Frage des Einbaues der Partei in die Gemeinden. Rep. 77, Nr. 31: Für den Preußischen Innenstaatssekretär Grauert bestimmte Abschrift des Schreibens Nicolais an Frick vom 7.4. 1933 betr. Abgrenzung von Partei und Staat. - Schreiben Nicolais an Grauert vorp. 19.5.1933 betr. Verhältnis von Partei und Staat. Rep. 90, Sitzungsprotokolle 1933: Auftrag des Preußischen Innenministers Göring an seine Beamten, gesetzliche Bestimmungen zur Regelung des Verhältnisses Partei Staat zu entwerfen.

b) Akten des Landesarchivs Berlin Rep. 142, DGT, Nr. 1-1-5-2: Runderlaß des Reichsinnenministers vom 11. 3.1940 betreffend Aufbau der Landkreise als Selbstverwaltungskörperschaften. Rep. 142, DGT, B, Nr. 52: Untersagung von Terrorakten durch das Preußische Innenministerium im Runderlaß vom 30.5.33. Rep. 142, DGT, B, Nr. 2354: Schreiben leserichs vom 28.2.36 an Oberbürgermeister Weidemann zu Fragen des Gemeinderechts. Rep. 142, DGT, B, Nr. 2420: Bericht leserichs an Fiehler vom 17.7.34 über den Stand der Gemeindereformgesetzgebung. Rep. 142, DGT, B, Nr. 4402: Einbau der Partei in die Kommunalverwaltung; hier Lösungsvorschläge.

I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen

401

Rep. 142, DGT, B, Nr. 4403: Vierter Ministerialentwurf einer Deutschen Gemeindereform mit beigefügtem Schreiben Ministerialdirektors Dr. Strutz an Reichsinnenminister Frick vom 26. 10.34. Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404: Zusammenstellung der Länderstellungnahmen zum Entwurf einer Reichsgemeindeordnung durch Ministerialdirektor Dr. Strutz (mit Anlagen). Rep. 142, DGT, B, Nr. 4404: Denkschrift des Deutschen Gemeindetages: "Grundsätzliche Bemerkungen zur Deutschen Gemeindeordnung."

c) Akten des Stadtarchivs München

Akt: Bürgermeister und Rat, Nr. 472: Aktennotiz Staatssekretärs Pfundtners vom 22. 12.33 zur künftigen Gemeindeordnung. Akt: Bürgermeister und Rat, Nr. 473/1: Kemnormierungen des Ministerentwurfs einer Reichsgemeindeordnung vom Juli 1934. Akt: Bürgermeister und Rat, Nr. 473/2: Schreiben Goerdelers vom 6.1.34 an Fiehler betreffend Entwürfe einer Reichsgemeindeordnung. Akt: Bürgermeister und Rat, Nr. 473/4: Schreiben Fiehlers an Hess vom 15.4.34 betreffend Stellung der Partei in den Kommunen. Akt: Bürgermeister und Rat, Nr. 473/5: NSDAP-Amtlicher Gemeindeordnungsentwurf, verfaßt von Wagner, Sommer und Regierungsrat Müller. Akt: Bürgermeister und Rat, Nr. 473/6: Gemeindeordnungsentwurf Karl Fiehlers; des weiteren Bericht Fiehlers für Hess vom 25.4.34.

d) Akten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs Akte: Reichsstatthalter 148: Niederschrift des Inhalts der Reichsstatthalterkonferenz vom 6.7.33. Akte MF 19/67402: Schreiben Fricks vom 10.7.33 an die Reichsstatthalterund Landesregierungen betreffend Ahndung der Mißachtung staatlicher Anordnungen.

e) Akten des Österreichischen Staatsarchivs Abt. Allgemeines Verwaltungsarehiv, Wien, Materienregistratur Ordner 15: Stellungnahme Bürckels vom 20.3.38 zu Erwägungen über die künftige Gebiets- und Organisationsstruktur. Abt. Allgemeines Verwaltungsarehiv, Wien, RK. Ordner 47: Schreiben des Reichsinnenministeriums vom 28.4.38 an Regierungsrat Klass beim Reichskommissar für die Wiedereingliederung Österreichs, betreffend das Gesetzgebungsrecht in Österreich. 26 Bachnick

402

Quellen und Literatur f) Aus Akten weiterer Archive

Berlin Document Center - Materialien Franz Hofer: Briefwechsel zwischen den Gauleitern von Salzburg und Tirol zu den Fragen der Gaureform für Österreich (März/ April 1938). The National Archives of The United States, Washington - Akte T 120, R 1036, 409172 ff.: Bericht Papens an Neurath vom 8. 9.37 zum etwaigen Anschluß Österreichs an Deutschland. Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München; Signatur: NO-1878 (Nürnberger Dokumente): Schreiben Bormanns an Rosenberg vom 23.7.42, eine Weisung HitIers zur Politik in der Ukraine enthaltend. - Aussagen Görings vor dem Nürnberger Militärgerichtshof zum Anschluß Österreichs. Signatur: ZS 145: Graf Schwerin von Krosigk, Lutz - Äußerung zur unumschränkten Herrschaftsgewalt der Reichsstatthalter.

3. Quellensammlungen Gritzbach, Erich: Hermann Göring - Reden und Aufsätze. Meyer-Benneckenstein, Paul (ab 6. Aufl.; Six, F.A.): Dokumente der Deutschen Politik, 1. Auflage 1936, 7. Auflage 1942. - Der Kongreß des Sieges (ohne Verfasser), Dresden 1934. - Die Reden Hitlers am Parteitag der Freiheit 1935 (ohne Verfasser), München 1936.

4. Gesetz- und Verordnungsblätter Reichsgesetzblatt, Teil I, Jahrgänge 1932, 1933, 1934, 1935, 1936, 1937, 1938, 1939, 1940, 1941, 1942 und 1944. Preußische Gesetzessammlung, Jahrgänge 1883, 1929 und 1933. Österreichisches Bundesgesetzblatt, Teil I, Jahrgang 1934. Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich, Jahrgänge 1934, 1935, 1936. Reichsministerialblatt LV., Jahrgänge 1936, 1940. Verordnungsblatt für Lothringen; herausgegeben vom Chef der Zivilverwaltung in Lothringen, Jahrgang 1941.

5. Kommentare, Gesetzessammlungen Kerrl, Hans/Weidemann, Johannes: Kommentar zur Deutschen Gemeindeordnung, 2. Aufl., 1937. Kiefer/Schmid: Kommentar zur Deutschen Gemeindeordnung,!. Aufl., 1935. Pfeifer, Helfried: Die Ostmark; Eingliederung und Neugestaltung, Wien 1941. Suren/Loschelder: Kommentar zur Deutschen Gemeindeordnung, Bd. 2, 2. Aufl., 1940.

I. Unveröffentlichte und veröffentlichte Quellen

403

6. Sonstige Quellen Deutsches Nachrichtenbüro, 3. Jahrgang, Nr. 631: Rede Wilhelm Stuckarts am 14.5. 1936 vor Angehörigen der Akademie für Deutsches Recht, das Verbot der öffentlichen Erörterung von Reformplänen betreffend. NS-Parteikanzlei; Verfügungen, Anordnungen und Bekanntgaben - ohne Jahr, Band IV, S. 11 ff.: Rundschreiben des Chefs der Reichskanzlei Lammers an die obersten Reichsbehörden und an die Hitler unmittelbar unterstehenden Dienststellen vom 8.5.43 betreffend Reformpläne und ihre Behandlung.

11. Literatur 1. Zeitungen und Zeitschriften

a) Zeitungen Berliner Börsenzeitung Nr. 502 vom 26.10.37: Artikel Surens zur Staatsaufsicht gegenüber Staatsverwaltung und Selbstverwaltung. Deutsche Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 3.4.41: Rede Fricks anläßlich der Einführung des Leiters des NSDAP-Parteigaues Hannover-Süd als Oberpräsident der preußischen Provinz Hannover (auszugsweiser Ausdruck). Deutsches Nachrichtenbüro Meldung Nr. 860 vom 24.5.38: Zur Gaueinteilung in Österreich. Frankfurter Zeitung vom 26.9.36 (Nr. 493/494): Rede Fricks auf einer Sondertagung des Hauptamtes für Kommunalpolitik zu den Spannungen zwischen Partei und Reichsinnenverwaltung. Deutscher Reichsanzeiger und preußischer Staatsanzeiger vom 31. 1. 1934: (Berichtsnotiz über Rede Fricks im Reichsrat). Völkischer Beobachter, Berliner Ausgabe vom 6.7.33: Rede Hitlers vom 5.7.33. - vom 1.2.34: Kritische Anmerkungen von Carl Schmitt zum Reichsneuaufbaugesetz. - vom 2.2.34: Gegendarstellung Alfred Rosenbergs zu den Anmerkungen Schmitts im Völkischen Beobachter vom 1. 2. 34. - vom 8.9.34: Proklamation Hitlers vom 7.9.34 auf dem NSADP-Parteitag 1934 zum Verhältnis Partei / Staat. - vom 6.10.34: Referat Adolf Wagners bei der Gauleitertagung 1934 in Dresden zur Frage der Neugliederung. - vom 30. 1. 35: Wilhelm Frick: Eckpfeiler des Reichsneuaufbaus. - vom 24.5.38: Meldung, daß das Burgenland dem Gau Steiermark angegliedert werden soll. 26*

404

Quellen und Literatur

Völkischer Beobachter, Süddeutsche Ausgabe vom 12.9.35: Proklamation Hitlers auf dem Parteitag am 11. 9. 35 zum Verhältnis Staat/Partei. - vom 18.9.35: Rede Hitlers auf dem Parteitag 1935 betreffend Stellung der Führungselite. - vom 10.5.39: Artikel von Pfundtner zum Führerprinzip in der Verwaltung. Die Zeit, Ausgaben vom 14.,21.,28.9.1979,5.10.1979: Artikel zum Reichstagsbrand.

b) Zeitschriften Bayerische Verwaltungsblätter: Jahrgang 1957. Deutsches Adelsblatt: Jahrgang 1935. Deutsche Juristenzeitung: Jahrgänge 1932, 1934. Deutsche Justiz: Jahrgang 1934. Deutsches Recht: Jahrgänge 1934, 1935, 1936. Deutsche Verwaltung (Organ der Fachgruppe Verwaltungsjuristen im Bund nationalsozialistischer Deutscher Juristen): 1938, 1939. Deutsches Verwaltungsblatt: 1937, 1939. Erwachendes Europa: Jahrgang 1934. Fischers Zeitschrift für Praxis und Gesetzgebung der Verwaltung: Jahrgang 1934. Der Gemeindetag: Jahrgänge 1933, 1934, 1935, 1936. Historische Zeitschrift: Jahrgang 1978 (Bd. 266). Jahrbuch der Kommunalwissenschaft: Jahrgang 1937. Jahrbücher des öffentlichen Rechts: Jahrgänge 1935, 1937, 1938, 1939. Jugend und Recht: Jahrgang 1939. Die Nationalsozialistische Gemeinde: Jahrgänge 1934, 1935, 1936, 1937. Das Nationalsozialistische Rathaus: Jahrgänge 1934, 1935, 1942. Reich und Länder: Jahrgang 1935. Reichsverwaltungsblatt (Jahrgang 1933 unter dem Titel: Reichs- u. Preußisches Verwaltungsblatt): Jahrgang 1943. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte: Jahrgänge 1955, 1963, 1967. Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht: Jahrgänge 1939. Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht: Bände 27 (1976), 31 (1980). Zeitschrift für Politik: Jahrgang 1965. Zeitschrift für die gesamte Staatsrechtswissenschaft: Jahrgang 1937 (Bd. 97).

11. Literatur

405

2. Monographien, Beiträge in Zeitschriften und Sammelwerken Althaus, Ernst: Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände in den vormals preußischen Ländern, Herford u. Köln 1957. Bauer, Walter: Der Neubau der gemeindlichen Selbstverwaltung, Berlin 1935. Baum, Walter: Die Reichsreform im Dritten Reich; in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Band 3, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1955, S. 36 ff. Becker, Erich: Die Rechtsstellung der deutschen Länder in der Gegenwart; in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 97 (1937), S. 462 ff. Benz, W.: Partei und Staat im Dritten Reich, in: Broszat, Martin / Möller, Horst, Das 3. Reich, Herrschaftsstruktur und Geschichte, München 1983. Best. W.: Rechtsbegriff und Verfassung; in Deutsches Recht 1939, S. 1203. Botz, Gerhard: Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich, Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, Europa-Verlag, 2. Aufl., 1976. Bracher, Karl-Dietrich: Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, München 1976.

- Die deutsche Diktatur - Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln / Berlin, 6. Aufl., 1980. - Grundlagen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, in: Jeserich / Pohl / von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, 1985, Bd.4, S. 653 ff. Bracher, Karl-Dietrich / Funke, Manfred / Jacobsen, Hans Adolf (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945 - Eine Bilanz (Bonner Schriften zur Politik und Zeitgeschichte, Band 21), Düsseldorf 1983. Bracher, Karl-Dietrich / Sauer, Wolfgang / Schulz, Gerhard: Die nationalsozialistische Machtergreifung - Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland, 1. Aufl., Köln u. Opladen 1960, 2. Aufl. 1962. Broszat, Martin: Der Staat Hitlers (dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts), 4. Aufl., 1973 bzw. 5. Aufl., 1975, Deutscher Taschenbuchverlag München.

- Deutschlands Weg in die Diktatur, Berlin 1983. Buchheim, Helmut: "Die SS in der Verfassung des Dritten Reichs", in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 1955, Heft 2, S. 132 ff. Bullock, Alan: Hitler. Eine Studie über Tyrannei, 1. Aufl. 1953, Droste-Verlag, Düsseldorf. elass, Hans: Die gelenkte Selbstverwaltung. Das Verhältnis des Deutschen Reiches zur materiellen (echten) Selbstverwaltung (juristische Dissertation 1940), Verlag Gerhard Martin, Breslau. Dennewitz, Bodo: Verwaltung und Verwaltungsrecht, Manz-Verlag, Wien 1944. Dieckmann, earl: Die Selbstverwaltung im neuen Staat (juristische Dissertation 1933), Verlag der Arbeiterversorgung A. Langewort, Berlin 1933. Diehl-Thiele, Peter: Partei und Staat im Dritten Reich; Untersuchungen zum Verhältnis der NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933 - 1945, C. H. Beck-Verlag, München 1969.

406

Quellen und Literatur

Dietrich, Otto: "Der Nationalsozialismus als Weltanschauung und Staatsgedanke", in: Die Verwaltungsakadernie, 2. Aufl., 1939, Bd. I, Gruppe I, Beitrag 2. Echterhölter, Rudolf: "Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat", in: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 16 11 (Die Deutsche Justiz und der Nationalsozialismus) Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1970. Ehrensberger: Die neuen Reichsgaue, in: Deutsche Verwaltung, 1939, S. 258 ff.

- Der Aufbau der Verwaltung nach dem Ostmarkgesetz und dem Sudetengesetz; in: Reichsverwaltungsblatt 1939, S. 341 ff. Eichstädt, Ulrich: Von Dollfuss zu Hitler: Geschichte des Anschlusses Österreichs 19331938, Wiesbaden 1955. Elsass, Fritz: Städte, Werke, Steuern, 1931. Emig, Kurt: Der Neuaufbau des Reiches; in: Deutsche Verwaltungsblätter (früher Bayer. Verwaltungsblatt), Band 82 (1934), S. 305 ff. Ernst, August: Zur Auflösung des Burgenlandes im Jahre 1938, in: Festschrift für Heinrich Kunnert, Burgenländische Forschungen, 2. Sonderheft, Eisenstadt, 1969, S. 4 f. Fabricius, Hans: Geschichte und Programm der NSDAP, in: Die Verwaltungsakadernie, 2. Aufl., 1939, Bd. I, Gruppe I, Beitrag 6, S. 124. Feder, Gottfried: Das Programm der NSDAP von 1920 und seine weltanschaulichen Grundlagen, 71. bis 79. Auflage 1932. Fiehler, Karl: Gedanken zur Reichsgemeindeordnung, in: Der Gemeindetag 1934, S. 546 f.

- Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Der Gemeindetag 1934, S. 545 ff. Forsthoff, Ernst: Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, Verlag Junker und Dünnhaupt 1932.

- Der Neubau der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, in: Deutsche JuristenZeitung 1934, Sp. 308 ff. - Das neue Gesicht der Verwaltung und der Verwaltungswissenschaft, in: Deutsches Recht, 1935, S. 33 ff. - Führung und Bürokratie, einige grundsätzliche Erwägungen; in: Deutsches Adelsblatt 1935, S. 1339 f. Fraenkel, Ernst: Der Doppelstaat (The Dual State, Princeton, N.J. 1941) Rückübersetzung aus dem Englischen von Manuela Schöps in Zusammenarbeit mit dem Verfasser, Europäische Verlagsanstalt Frankfurt/M., 1974. Frick, Wilhelm: Stellungnahme zum Reichsneuaufbaugesetz; abgedruckt im Deutschen Bundesanzeiger und Preußischen Reichsanzeiger, Nr. 26, vom 31. 1.34, 2. Beilage.

- Partei und Staat, in: Deutsche Verwaltung, 1934, S. 289 ff. - Nationalsozialismus und Selbstverwaltung, in: Der Gemeindetag 1934, S. 545 ff. - Der Neuaufbau des Dritten Reiches (Vortrag, gehalten vor Offizieren der Reichswehr am 15.11. 1934), earl Heymanns Verlag, Berlin 1935.

11. Literatur

407

- Probleme des neuen Verwaltungsrechts (Auszug aus einem Vortrag, gehalten in der Akademie für Deutsches Recht am 23.10. 1936), in: a) Der Gemeindetag 1936, S. 717 ff. b) Deutsche Verwaltung 1936, S. 329 ff. - Neubau des Reiches, in: Deutsche Verwaltung 1936, S. 364 ff. - Gestalt und Aufbau des Dritten Reiches; in: Deutsche Verwaltung 1937, S. 34 ff. - Auf dem Wege zum Einheitsstaat; in: Deutsche Verwaltung 1937, S. 161 ff. - Über grundsätzliche Verwaltungsfragen; in: Deutsche Verwaltung 1939, S. 33 ff. - Der Führer als Schöpfer Großdeutschlands, in: Deutsche Verwaltung 1939, S. 228. - Die Verwaltung des Großdeutschen Reiches; in: Reichsverwaltungsblatt 1939, S. 41 ff. - Entwicklung und Aufbau der öffentlichen Verwaltung in der Ostmark und in den sudetendeutschen Gebieten; in: Reichsverwaltungsblatt 1939, S. 465 ff. Gebhardt, Bruno (Hrsg): Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. IV /2, 9. Auflage 1976 (Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart). Glum, Friedrich: Vorschläge zur Änderung des organisatorischen Teils der Reichsverfassung, in: Deutsche Juristenzeitung 1932, Sp. 1309 ff. Goebbels, Josef: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei - Eine historische Darstellung in Tagebuchblättern, München 1934. Goerdeler, earl: Entwicklungstendenzen im Deutschen Kommunalrecht, in: Reichs- und Preussisches Verwaltungsblatt 1933, S. 421 ff. - Einheit der öffentlichen Verwaltung tut not!, in: Der Gemeindetag 1933, S. 449 ff. - Die Gemeinde im nationalsozialistischen Staat; in: Erwachendes Europa, Leipzig, 1934, Heft I. - Die Staatsaufsicht nach der Deutschen Gemeindeordnung, in: Reich und Länder 1935, S.283. Gruchmann, Lothar: Die Reichsregierung im Führerstaat, in: Doeker, Günther / Steffani, Winfried (Hrsg.), Klassenjustiz und Pluralismus, Festschrift für Ernst Fraenkel zum 75. Geburtstag 1973, S. 187 ff. Haffner, Sebastian: Anmerkungen zu Hitler, München 1978. Hagelmann, Karl-Gottfried: Die Eingliederung des Sudetenlandes, in: Huber, ErnstRudolf (Hrsg.), Idee und Ordnung des 3. Reiches, 2 Bände, Hamburg 1940. Hansmeyer, Karl-Heinrich: Kommunale Finanzpolitik in der Weimarer Republik, 1973. Hartung, Fritz: Deutsche Verfassungsgeschichte, 8. Auflage 1950 (K. F. Koehler-Verlag Stuttgart). Haushofer, Heinz: Reichsnährstand, in: Götz, Volkmar / Kroeschel, Karl / Winkler, Wolfgang (Hrsg.), Handwörterbuch des Agrarrechts, Band 11, 1982. Heckei, Johannes: Die Führerrede und das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom 30.1.37, in: Deutsche Verwaltungsblätter 1937, S. 61 ff. Heer, Friedrich: Der Glaube des Adolf Hitler, München 1968, S. 53 ff., S. 354. Hel/ner, Alfred: Die Gestaltung der Aufsicht des Staates über die Gemeinden durch die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. 1. 35, Borna 1938.

408

Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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11. Literatur

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Quellen und Literatur

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