Die Vereinten Nationen im Wandel: Referate und Diskussionen eines Symposiums "Entwicklungslinien der Praxis der Vereinten Nationen in völkerrechtlicher Sicht" veranstaltet aus Anlaß des 60jährigen Bestehens des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel [1 ed.] 9783428435555, 9783428035557

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Die Vereinten Nationen im Wandel: Referate und Diskussionen eines Symposiums "Entwicklungslinien der Praxis der Vereinten Nationen in völkerrechtlicher Sicht" veranstaltet aus Anlaß des 60jährigen Bestehens des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel [1 ed.]
 9783428435555, 9783428035557

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Die Vereinten Nationen im Wandel

VERUFFENTLICHUNGEN DES INSTITUTS FUR INTERNATIONALES RECHT AN DER UNIVERSITÄT KIEL

Herausgegeben von Prof. Dr. Wilhelm A. Kewenig

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Die Vereinten Nationen im Wandel Referate und Diskussionen eines Symposiums "Entwiddungslinien der Praxis der Vereinten Nationen in völkerrechtlicher Sicht" veranstaltet aus Anlaß des 60jährigen Bestehens des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel 20. - 23. 11. 1974

Herausgegeben von

Prof. Dr. Wilhelm A. Kewenig

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Redlte, einsdlließlidl das der Ubersetzung, vorbehalten. Ohne ausdrücklidle Genehmigung des Verlages ist es nidlt gestattet, das Budl oder Teile daraus in irgendeiner Weise zu vervielfältigen. (l) 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Satz und Druck: Vollbehr u. Strobel, Kiel. Printed in Germany ISBN 3 428 03555 0

Inhaltsverzeichnis Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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Prof. Dr. Knut Ipsen

Entwicklung zur "collective economic security" im Rahmen der Vereinten Nationen? . . . . . . . . Thesen zum Referat von Prof. Dr. Knut Ipsen . . . . . . . . . .

11 31

Anhang: Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten

33

Diskussion zum Referat von Prof. Dr. Knut Ipsen . . . . . . . .,

46

Prof. Dr. Bruno Simma

Methodik und Bedeutung der Arbeit der Vereinten Nationen für die Fortentwicklung des Völkerrechts . .

79

Thesen zum Referat von Prof. Dr. Bruno Simma .

101

Diskussion zum Referat von Prof. Dr. Bruno Simma

103

Prof. Dr. Jost Delbrück

Rechtsprobleme der Friedenssicherung durch Sicherheitsrat und Generalversammlung der Vereinten Nationen Thesen zum Referat von Prof. Dr. J05t Delbrüdt .

131 153

Diskussion zum Referat von Prof. Dr. Jost Delbrück

156

Prof. Dr. Ulrich Scheuner

Aufgaben- und Strukturwandlungen im Aufbau der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . .

189

Thesen zum Refer·at von Prof. Dr. Ulrich Scheuner .

231

Diskussion zum Referat von Prof. Dr. Ulrich Scheuner

236

Schlußworte . . . . . . . . . . . . . .

258

Liste der Teilnehmer des Symposiums . . . . . . . . . . . . ..

259

Abkürzungsverzeidmis AASM AJIL AöR Art. AVR

Assoziierte Afrikanisme Staaten und Madagaskar Ameriean Journal of International Law Armiv für öffentlimes Remt Artikel Armiv des Völkerremts

BGBl.

Bundesgesetzblatt

Can. YIL Comeeon

Canadian Yearbook of International Law Couneil for Mutual Eeonomic Aid

Diss. Doe.

Dissertation Doeument (s)

EA EA,D ECOSOC ECOSOCres EG EWG

Europa-Armiv Europa-Armiv, Dokumententeil Eeonomic and Social Council Economic and Social Couneil resolution Europäisme Gemeinsmaften Europäisme Wirtsmaftsgemeinsmaft

FW

Die Friedens-Warte

GA GAres GATT Georgia JICL GG

General Assembly General Assembly resolution General Agreement on Tariffs and Trade Georgia Journal of International and Comparative Law Grundgesetz

ICJ ICJ Rep.

IGH ILC ILM ILO IMF Ind. JIL Int. Aff. Int. Org.

International Court of Justice International Court of Justiee: Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders The International and Comparative Law Quarterly International Development Association Internationaler Gerimtshof International Law Commission International Legal Materials International Labour Organization International Monetary Fund Indian Journal of International Law International Affairs International Organization

JIR JPR

Jahrbum für Internationales Remt Journal of Peaee Researm

lit.

litera

No.

Numero / Number

ICLQ

IDA

Abkürzungsverzeichnis

8

OAPEC OAS OAU OPEC OR OZAP OZöR

Organization of Arab Petroleum Exporting Countries Organization of American States Organization of African Unity Organization of Petroleum Exporting Countries Official Records Osterreichische Zeitschrift für Außenpolitik Osterreichische Zeitschrift für öffentliches Recht

p.

para.

page paragraph

RdC Res. RGDIP

Recueil des Cours Resolution (en) Revue general de droit international public

SC SCres Sess. Suppl. Syrac. JILC

Security Council Security Council resolution Session Supplement Syracuse Journal of International Law and Commerce

UN UNCITRAL UNCTAD UNESCO UNEF UNFICYP UNITAR UNMC UNYB

United United United United United United United United United

Virg. JIL VN vol.

Virginia Journal of International Law Vereinte Nationen (Zeitschrift) volume

YBWA

Year Book of World Affairs

ZaöRV ZfP zit.

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Politik zitiert (e, n)

Nations Nations Commission on International Trade Law Nations Conference on Trade and Development Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Nations Emergency Force Nations (Peace-Keeping) Force in Cyprus Nations Institute for Training and Research Nations Monthly Chronicle Nations Year-Book

Vorwort Inhalt dieses Bandes der Veröffentlichungsreihe sind die Referate und Diskussionen eines Symposiums, das aus Anlaß des 60jährigen Bestehens des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel vom 20. bis 23. November 1974 veranstaltet worden ist. Für die Wahl der Vereinten Nationen als Gegenstand des wissenschaftlichen Gesprächs gab es vor allem zwei Gründe. Einmal hat sich das Kieler Institut seit seiner Gründung intensiv mit dem Recht der internationalen Organisationen befaßt, und zwar insbesondere mit dem Recht der beiden weltweiten Organisationen, des Völkerbundes und der Vereinten Nationen. Für die Periode des Völkerbundes sei nur an die Arbeiten von Schücking und Böhmert erinnert. Seit Gründung der Vereinten Nationen ist das Kieler Institut UN-Depositary Library. Das Institut bemüht sich seit einer Reihe von Jahren, auf dieser Grundlage Teilaspekte der Arbeit der Vereinten Nationen zunehmend zum Gegenstand seiner wissenschaftlichen Beschäftigung zu machen. Der zweite Grund für die Wahl der Vereinten Nationen als Gegenstand des wissenschaftlichen Kolloquiums ist der, daß die deutsche Völkerrechtswissenschaft einen Nachholbedarf im Hinblick auf die Beschäftigung mit den Vereinten Nationen zu verzeichnen hat. Dieser Nachholbedarf wird jetzt, da die Bundesrepublik Mitglied der Vereinten Nationen ist, besonders spürbar. Es dürfte im allgemeinen Interesse sein, daß diesem Nachholbedarf möglichst schnell abgeholfen wird und die deutsche Völkerrechtswissenschaft auch insofern den Anschluß an die internationale wissenschaftliche Diskussion gewinnt. Das Thema des Kolloquiums war bewußt breit angelegt, um durch diese breite Anlage auch ein möglichst breit gefächertes Interesse an den Vereinten Nationen zu wecken. Trotz dieser breiten Anlage des Symposiums ist es dank der sorgfältig ausgearbeiteten Referate und der angeregten und ausführlichen Diskussion gelungen, unmittelbar zu den wichtigsten Fragen der in den Referaten angesprochenen Bereiche vorzustoßen. Das Institut wird sich bemühen, auch in dieser Form die Beschäftigung mit den Vereinten Nationen fortzusetzen und dazu den Dialog mit allen interessierten Wissenschaftlern innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik zu suchen. Es sieht die wichtigste Funktion dieses ersten UN-

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Vorwort

Kolloquiums schon als erfüllt an, wenn von dem hiermit einer breiteren Offentlichkeit zugänglich gemachten Protokoll seiner Beratungen Anregungen und Denkanstöße für eine weitere Beschäftigung mit dem so außerordentlich umfänglichen und facettenreichen Gegenstand der Vereinten Nationen ausgehen würden. Das Institut dankt der Volkswagenstiftung, die das Symposium finanziell ermöglichte, sowie dem Auswärtigen Amt, das einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der Veröffentlichung geleistet hat. Besonderer Dank gilt auch Herrn Dr. Hans-Joachim Schütz, der das Symposium organisatorisch vorbereitete und diese Veröffentlichung redaktionell betreut hat. Das Institut bedauert, daß es aus personellen und finanziellen Gründen nicht möglich war, Referate und Diskussionen des Symposiums in englischer Sprache zu veröffentlichen. Es wird bemüht sein, entsprechende Voraussetzungen für zukünftige Fälle zu schaffen, da heute nur so einer Veröffentlichung der Leserkreis erschlossen wird, den sie - hoffentlichverdient.

Wilhelm A. Kewenig

Entwicklung zur "collective economic security" im Rahmen der Vereinten Nationen? Von Professor Dr. Knut Ipsen

Vor fünf Jahren kennzeichnete einer der großen Vertreter des "functional approach", der inzwischen auf so tragische Weise dahingeschiedene Wolfgang Friedmann, treffend die zukunftsbestimmenden Herausforderungen, denen das Völkerrecht in seiner weiteren Entwicklung konfrontiert sei'. Die größte Dringlichkeit komme im nuklearen Zeitalter der Durchsetzung internationaler Verhaltensregeln durch eine institutionalisierte Autorität zu; denn das Völkerrecht sei in erster Linie durch die - damals noch vorwiegend als Problem des Ost-West-Konflikts eingeschätzte - Gefährdung des Weltfriedens herausgefordert. Daneben seien vier weitere Herausforderungen zu verzeichnen, denen das Völkerrecht genügen müsse: Die erste folge aus der Gefahr einer weltweiten Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, deren fortdauernde Nutzbarkeit für den Fortbestand der Menschheit unerläßlich sei. Die zweite ergebe sich aus dem Entstehen neuer Staaten, deren große Zahl die Mitglieder der klassischen Völkerrechtsgemeinschaft zur Minderheit werden ließ. Die dritte sei das Gefälle zwischen hochentwickelten Industriestaaten und Entwicklungsländern - jener Befund also, der heute als Nord-Süd-Konflikt verstanden wird. Die vierte schließlich bestehe in der politischen und ideologischen Zerrissenheit der Welt, wodurch die Universalität des Völkerrechts bedroht sei. Allein die in der Gefährdung des Weltfriedens durch Gewalteinsatz liegende Hauptherausforderung verweist auf den Bereich der kollektiven Sicherheit im ursprünglichen Sinne, nämlich auf den Zustand, der durch die Bereitstellung und effektive Nutzung eines internationalen Instrumentariums zur Verhinderung militärischer Gewaltanwendung hergestellt wird. Die vier übrigen Herausforderungen hingegen weisen unterschiedlich intensive Bezüge zur kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit auf zur "collective economic security", die im Verlauf gerade der letzten zwei Jahre im Rahmen der Vereinten Nationen von einem bis dahin nur 1 Vgl. zum folgenden Friedmann, General Course in Public International Law, RdC 127 (1969 II), S. 48 f.

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Knut Ipsen

sporadisch verwendeten, eher griffigen denn aussagekräftigen Schlagwort zu einer erklärten Leitvorstellung internationaler Aktivitäten geworden ist!. Die auf den ersten Blick recht eindrucksvolle Formulierung dieser Leitvorstellung darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich hinter ihr sehr unterschiedliche, zum Teil einander diametral entgegengesetzte und sogar - zumindest auf absehbare Zeit - unversöhnliche Positionen zu der Frage verbergen, nach welchen Grundentscheidungen eine internationale Wirtschaftsordnung gestaltet werden soll. Diese Positionen in ihren Grundzügen deutlich zu machen, ist das erste der beiden Ziele dieses Beitrags. Dieses Ziel ist zugleich ausgerichtet an dem ersten der beiden Aspekte des Generalthemas dieser Tagung, der verlangt, Entwicklungslinien der UN-Praxis aufzunehmen und mit der gebotenen Vorsicht in ihrem weiteren Verlauf einzuschätzen. Es geht somit nicht darum, die vielfältigen Modelle zur kollektiven militärischen Sicherheit um eine auf die Sicherung der Weltwirtschaft abzielende Variante anzureichern, sondern allein um den Diskussionsstand, der in den Auseinandersetzungen über diesen Komplex in den Vereinten Nationen erreicht worden ist. Im Mittelpunkt der infolgedessen zunächst notwendigen Bestandsaufnahme stehen drei Dokumente, die den in den UN gegenwärtig erreichten Stand der Erörterungen zur "collective economic securityM wiedergeben. Es sind dies: 1. Der Bericht des UN-Generalsekretärs zur "collective economic securityM, der dem Wirtschafts- und Sozialrat auf seiner 51. Tagung am 6. Juni 1914 vorgelegt worden ista•

2. Die auf der 6. Sondertagung der Generalversammlung (der Weltrohstoffkonferenz) am 1. Mai 1914 durch Akklamation angenommene "Declaration on the Establishment of a New International Economic Order"', die zwar chronologisch vor dem Bericht des Generalsekretärs einzuordnen ist, aber aus Gründen, auf die noch einzugehen sein wird, systematisch nach diesem Bericht zu behandeln ist.

! Zu dieser Entwicklung des Stellenwertes der .collective economic security' vgl. UN-Doc. E/5263 sowie E/5529, Abschnitt I - .Historical Antecedents' (para. 4-8). Diese Entwicklung ist im Zusammenhang mit dem erst in den siebziger Jahren allgemein üblich gewordenen "balanced approach" gegenüber der kollektiven Sicherheit zu sehen, der dem Gleichgewicht der Kräfte und der wirtschaftlichen sowie sozialen Adjustierung die gleiche Bedeutung für die Konfliktverhütung beimißt; vgl. hierzu insbes. Gross, International Organization and Collective Security: Changing Values and Priorities, RdC 138 (1973 I), S. 449. 3 UN Doc. E/5529. 4 GAres 3201 (8-VI) , 1. 5.1974.

HCollective economic security· in den UN?

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3. Der Entwurf der .Charter of Economic Rights and Duties of States" vom 1. August 19145 , der im Rahmen der UNCTAD von einer aus Repräsentanten von 40 Nationen bestehenden Arbeitsgruppe erstellt worden ist, dessen entscheidende Artikel allerdings bis zur Stundeund zwar zur Zeit im 2. Ausschuß der gerade tagenden 29. Generalversammlung - Gegenstand harter Kontroversen sind'. Der Analyse dieser drei Dokumente sind die Abschnitte I, 11 und III dieses Beitrags gewidmet. Abschnitt IV zeigt die Grundzüge der .collective economic security", wie sie sich aus dem gegenwärtigen Diskussionsstand herauskristallisieren, zusammenfassend auf. Abschnitt V befaßt sich mit der völkerrechtlichen Bewertung jener Grundzüge, und zwar unter der dreifachen Fragestellung nach ihrer Ubereinstimmung mit dem geltenden Recht, nach ihrer bloßen Korrekturtendenz und damit Evolutionstendenz hinsichtlich des geltenden Rechts und schließlich nach ihrer Umwälzungstendenz oder .Revolutionstendenz" in bezug auf geltendes Völkerrecht.

I. Das Instrumentale Modell des UN-Generalsekretärs Was zunächst den Bericht des UN-Generalsekretärs vom 6. Juni dieses Jahres anbetrifft, so stellt er einen Versuch dar, erstens den Begriff der .collective economic security" zu umschreiben, zweitens die sie hauptsächlich gestaltenden - förderlichen und hemmenden - Komponenten zu bestimmen und drittens die Aufgaben zu fixieren, die zu ihrer Verwirklichung auf institutioneller Ebene zu bewältigen sind. Der Begriff der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit wird - ähnlich wie herkömmlich erweise die kollektive militärische Sicherheit - mit einer Negativdefinition erläutert, nämlich als das Fehlen der Drohung einer ernstlichen Minderung des wirtschaftlichen Wohlstandes (.the absence of the threat of severe deprivation of economic welfare")'. Als Komponenten, die eine Herstellung jener drohungsfreien Situation fördern oder - heute noch mehrheitlich - hemmen, werden bekannte Befunde aufgeführt wie die besondere Handlichkeit wirtschaftlicher Macht 5 UN Doe. TD/B/AC. 12/4 sowie Ergänzungen bis zum 10.10.1914. Zur Entstehung des Entwurfs vgl. ausführlich Vanzant, Charter on Eeonomic Rights and Duties of States: A Solution to the Development Aid Problem?, Georgia JICL 1914, S. 441 ff. e Bei Drucklegung dieses Beitrags lag der entsprechende Bericht des zweiten Ausschusses - UN Doe. Al9946 vom 9. 12. 1914 - sowie die auf der Grundlage dieses Berichts von der Generalversammlung am 12. 12. 1914 beschlossene Resolution 3281 (XXIX) vor. Auf beide Dokumente wird im weiteren - soweit erforderlich - in den Anmerkungen ergänzend eingegangen. 7 UN Doe. E/5529, para. 22.

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Knut lpsen

als graduell einsetzbares Instrument politischen Drucks, die primär auf die Steigerung des nationalen Standards ausgerichtete Wirtschaftspolitik der Staaten, das Auftreten neuer Beteiligter an den internationalen Wirtschaftsbeziehungen - hier werden insbesondere die transnationalen Unternehmen genannt - sowie die ambivalenten Auswirkungen der weltweit wachsenden wirtschaftlichen Interdependenz. Um die anzustrebende drohungsfreie Situation dennoch zu erreichen, sei in erster Linie die Institutionalisierung der internationalen Wirtschaftskooperation voranzutreiben. Auf institutioneller Ebene seien sodann vier Hauptaufgaben gestellt, nämlich die Einschätzung wirtschaftlicher Trends auf breiter Informationsbasis, die Entwicklung international annehmbarer Regelungen, Verfahren und Verhaltensusancen, Maßnahmen zur gerechten und billigen Verteilung des wirtschaftlichen Ertrags und die Sicherstellung internationaler Unterstützung in Fällen des wirtschaftlichen Notstands. Die Bewältigung dieser vier Aufgaben - in der ersten Note des UN-Generalsekretärs zur "collective economic security" vom 19. März 1913 als "assessment function", "regulation function", "equity function" und "emergency function" der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit bezeichnet8 - soll zu einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung führen, zu einer - wie es·in dem Bericht vom 6. Juni 1914 heißt - "international economic order which reduces threats of the deprivation of economic welfare"'. Die hier in ihren wesentlichen Linien skizzierte Modellvorstellung, die dem Bericht des Generalsekretärs zugrundeliegt, betrachtet mithin die kollektive wirtschaftliche Sicherheit ganz ähnlich wie die kollektive militärische Sicherheit als ein Problem, dessen Lösung vornehmlich die Bereitstellung eines geeigneten Instrumentariums, weniger dagegen die Einigung auf und Entscheidung für bestimmte Wertinhalte verlangt. Just an diesem Punkt hat die Kritik anzusetzen: Kollektive militärische Sicherheit mag theoretisch durch ein streitschlichtendes und gewalthemmendes Instrumentarium erreichbar sein, denn ihr Anliegen ist, die von einem anderen Instrument nationaler und internationaler Politik - der militärischen Macht - ausgehende Drohung auszuschalten oder jedenfalls zu mindern. Kollektive wirtschaftliche Sicherheit dagegen ist durch bloße Minderung einer wie auch immer gearteten Bedrohung des wirtschaftlichen Wohlstandes so lange nicht zu erreichen, als wirtschaftlicher Wohlstand - "economic welfare" - bei 10 Ofo der Staaten dieser Erde schlichtweg nicht gegeben ist. Zwar versucht der Bericht des Generalsekretärs, eine Beschreibung der Dimensionen des wirtschaftlichen Wohlstandes zu geben, als deren wichtigste durchaus zutreffend genannt werden10 : das UN Doe. E/5263, S. 3-6. UN Doe. E/5529. para. 23. 10 Ebd., para. 25.

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t

nCollective economic security· in den UN?

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Wirtschaftswachstum, insbesondere die Steigerung der Produktions- und Dienstleistungskapazität, die Erhöhung der Produktivität, die Preisstabilität, die Vollbeschäftigung und die angemessene Verteilung der Konsumgüter. Jedoch läßt die Definition der "collective economic security" als das Fehlen einer Bedrohung des Wohlstandes unberücksichtigt, daß jene ndimensions of economic welfare" bei mehr als zwei Dritteln der Staaten entweder gar nicht oder nur rudimentär vorhanden sind. Die Kennzeichnung der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit als prägendes Element einer internationalen Wirtschaftsordnung, durch das die Drohung ernstlicher Einbußen an wirtschaftlichem Wohlstand gemindert wird, spiegelt somit im Grunde genommen vorwiegend das aktuelle Interesse der entwickelten Staaten wider, den von ihnen jeweils erreichten Standard wirtschaftlicher Sicherheit zu halten l1 • Die Ursache dieser offensichtlichen Einseitigkeit könnte vordergründig darin gesucht werden, daß der Bericht des UN-Generalsekretärs vom 6. Juni 1974 die nahezu wörtliche Ubernahme eines Gutachtens darstellt, welches der Harvard-Professor für Politologie, Joseph S. Nye, Jr., für das Generalsekretariat erstellt hall 2 • Mit dieser Lokalisierung des Autors soll keine - ohnedies sicher widerlegliche - Vermutung bewußter wirtschaftspolitischer Parteinahme verbunden werden. Doch bleibt festzustellen, daß der UN-Bericht weithin allein solche Positionen wiedergibt, wie sie von einer kleineren Gruppe hochentwickelter Staaten sowohl auf der 6. Sondertagung der Generalversammlung13 als auch in den Verhandlungen über die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten14 eingenommen worden sind. Daher dürfte sich bei aller gebotenen Vorsicht die Prognose als richtig erweisen, daß die in dem UN-Bericht enthaltene Modellvorstellung von kollektiver wirtschaftlicher Sicherheit nicht einmal als Diskussionsgrundlage eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen finden 15 , geschweige denn die Basis einer neuen Weltwirtschaftsordnung bilden wird. Wohl stellt der UN-Bericht ausdrücklich fest: "Military security has traditionally been defined by the 11 Ähnlich im gleichen Zusammenhang Lall, Economic Inequality and International Law, Ind.JIL 1974, S. 8 f. 12 Vgl. hierzu Nye, Kollektive wirtschaftliche Sicherheit, EA 1974, S. 650, wo auf das der Abhandlung zugrunde liegende Gutachten hingewiesen wird, das der Verf. den UN erstattet hatte. Siehe ebenfalls Nye, Colleetive Eeonomic Seeurity, Int. Aff. 1974, S. 584 ff. 13 Hierzu die prägnante Zusammenfassung von Menning, Neue Weltwirtschaftsordnung angestrebt - Zur Sonder-Generalversammlung für Rohstoffe und Entwicklung, VN 1974, S. 79-82 (81). U Siehe hierzu insbes. UN Ooe. Al9946, para. 6-24 und die dort aufgeführten Altemativentwürfe zu Einzelregelungen der Charta. 15 Die Verhandlungen im 2. Ausschuß der UN-Generalversammlung vom 23.9. bis zum 9. 12. 1974 (UN Ooe. AlC.2/SR. 1587 -1598, 1600, 1601, 1638 - 1644, 1647-1651) haben diese Prognose bestätigt.

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nature of the instruments ... We find it more useful, however, to define economic security in terms of values as weIl as instruments· le. Die von diesem Ansatz her sachlogisch gebotene Konsequenz, nunmehr konkrete, von der Staatengesellschaft annehmbare Wertvorstellungen darzulegen, wird indessen nicht gezogen. Vielmehr werden die bereits erwähnten "Dimensionen" des wirtschaftlichen Wohlstandes vordergründig als ein ganzes "Bündel von Werten"17 gekennzeichnet, ohne daß auch nur eine Uberlegung darauf verwendet wird, ob es sich hierbei um Werte nach allgemeinem Verständnis handelt oder aber um Werte, die diese Qualität nur im Rahmen der besonderen Interessenlage weniger Staaten etwa der hochentwickelten Industriestaaten - besitzen.

11. Das wertortentlerte Modell der Weltrohstoffkonferenz Eine in mancher Hinsicht, insbesondere aber im Hinblick auf Wertverständnis und Wertentscheidungen dem UN-Bericht entgegengesetzte Position zur kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit ergibt sich aus der Deklaration der Generalversammlung über die Schaffung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung vom 1. Mai 1914. Nach der Präambel dieser Deklaration, die weitestgehend von den Vorstellungen der Entwiddungsländer geprägt ist, hat es sich als unmöglich erwiesen, im Rahmen der bestehenden internationalen Wirtschaftsordnung vorwiegend instrumentalen Charakters eine gleichmäßige und ausgeglichene Entwicklung der beteiligten Staaten zu erreichen. Die Erklärung legt daher die tragenden Grundsätze für eine neue internationale Wirtschaftsordnung fest. Diese Grundsätze lassen sich in drei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie besteht aus einer Reihe von Prinzipien, die sichunbeschadet der teils noch bestehenden Kontroversen über ihren Inhaltbereits aus der Charta der Vereinten Nationen ergeben und nun lediglich in Bezug zu der angestrebten neuen Weltwirtschafts ordnung gesetzt werden18• Hierzu gehören: - Die souveräne Gleichheit der Staaten und das ihr entfließende Recht eines jeden Staates, dasjenige Wirtschafts- und Gesellschaftssystem anzunehmen, das ihm am geeignetsten erscheint. 18 UN Doc. E/5529, para. 22. Ein Textvergleich zwischen dieser Stelle des UNBerichts und dem englischen Original der leicht überarbeiteten Aufsatzfassung Nyes (Anm. 12, S. 588) zeigt allerdings in einem entscheidenden Punkt eine interessante Inhaltsveränderung. Im englisdlen Aufsatztext heißt es nämlich: .Military security has traditionally been defined by the nature of the instruments ... We find it more useful, however, to define economic security in terms of values rather than instruments u. Diese Inhaltsänderung legt die Vermutung nahe, daß das Gutadlten für den UN-Generalsekretär noch vor, die Aufsatzfassung dagegen erst nach der Weltrohstoffkonferenz angefertigt worden ist. 17 UN Doc. El5529, para. 24. 18 GAres 3201 (S-VI), 1. 5.1974, para. 4 a und d.

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Das Verbot des gewaltsamen Gebietserwerbs. Das Gebot der Achtung der territorialen Integrität sowie das Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Das Prinzip der Selbstbestimmung.

Die zweite Kategorie besteht aus Postulaten, die zum guten Teil an dem Katalog strategischer Maßnahmen der zweiten Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen1' orientiert sind. Hierzu zählen2o , aufbauend auf der Grundforderung nach Kooperation aller Staaten und ihrer effektiven Beteiligung an der Lösung weltwirtschaftlicher Probleme, die generelle Forderung nach verstärkter Entwicklungshilfe sowie eine Reihe von speziellen Forderungen, so die Forderung nach gerechter Preisgestaltung im Verhältnis zwischen den Entwicklungsländern und den entwickelten Ländern, namentlich beim Austausch von Rohstoffen gegen Fertigprodukte, die Forderung nach Steigerung des Technologie- und Kapitaltransfers an die Entwicklungsländer sowie die Forderung nach nichtreziproker Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer, wo immer dies möglich und durchführbar sei. Diese zweite Kategorie umfaßt alles in allem überwiegend Forderungen, deren schrittweise Erfüllung bereits mit dem verfügbaren internationalen Instrumentarium in Angriff genommen worden ist oder jedenfalls in Angriff genommen werden könnte. Selbst Präferenzen für die Entwicklungsländer unter Ausschaltung einer für die übrigen Parteien etwa geltenden Meistbegünstigungsklausel oder eines - zumeist parallel geschalteten - Diskriminierungsverbotes kennt die Vertragspraxis bereits. Während also die erste und zweite Kategorie der in der Deklaration niedergelegten Prinzipien einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung im großen und ganzen eher einen evolutionären Charakter aufweisen, liegt die revolutionäre Brisanz der Deklaration in der dritten Kategorie. Die dieser Kategorie angehörenden Prinzipien werden in der Deklaration mit NadJ.druck als .Rechte" bezeichnet, wiewohl ihre Rechtsqualität teils zumindest zweifelhaft, teils offensichtlich nicht gegeben ist. Die Prinzipien dieser dritten Kategorie sind21 : 1. Die volle und ständige Souveränität eines jeden Staates nicht nur über seine natürlichen Ressourcen, sondern über sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten. 10 GAres 2626 (XXV), 24.10.1914, GAOR, 25th Sess., Suppl. No. 28, S. 39 ff.; hierzu insgesamt Meyer/SeullKlingner, Die zweite Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen (Bochumer Schriften zur Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik, Bd. 10), 1911. 20 GAres 3201 (S-VI) , 1. 5.1914, para. 4 b, C, i-t. 21 GAres 3201 (S-VI), 1. 5.1914, para. 4 e-h.

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2. Das Recht eines jeden Staates zur Kontrolle der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen mit allen seiner Situation angemessenen Mitteln einschließlich des Rechts zur Verstaatlichung oder Ubertragung des Eigentums auf die eigenen Staatsangehörigen. Diese mit keinen weiteren Voraussetzungen oder Folgen verknüpfte Befugnis zur Vermögensentziehung wird als ein unveräußerliches, oer vollen und ständigen staatlichen Souveränität entfließendes Recht gekennzeichnet, dessen freie und volle Ausübung weder durch politischen oder wirtschaftlichen noch durch irgendeinen sonstigen Zwang verhindert werden darf. 3. Das Recht nicht nur eines jeden Staates, sondern auch - wie es in der Erklärung heißt - aller Territorien und Völker, die unter Besatzung oder unter Fremd- und Kolonialherrschaft stehen oder nach dem Apartheidsprinzip regiert werden, auf Rückgabe ihrer natürlichen und aller anderen Ressourcen sowie auf volle Entschädigung für deren Ausbeutung und Beschädigung. 4. Das Recht der Entwicklungsländer und der unter Kolonial- und Rassenherrschaft oder Besatzung stehenden Völker, ihre Befreiung zu erlangen und effektive Kontrolle über ihre natürlichen Ressourcen und wirtschaftlichen Aktivitäten zurückgewinnen. 5. Das aus der Souveränität fließende Recht der Staaten, die Aktivitäten transnationaler Unternehmen auf eigenem Hoheitsgebiet durch im Interesse der eigenen Volkswirtschaft getroffene Maßnahmen zu regeln und zu überwachen. Abgesehen davon, daß dieser von einem absoluten Souveränitätsdogma getragene Katalog wirtschaftlicher "Grundrechte" mehrfach Widersprüche oder jedenfalls Spannungsverhältnisse zu den übrigen Teilen der Erklärung erkennen läßt - so insbesondere zu der als Grundlage der neuen Weltwirtschaftsordnung geforderten Interdependenz und internationalen Kooperation - ist folgendes festzuhalten: Die aufgeführten Prinzipien verlangen, sofern sie ihrem Anspruch gemäß als Recht anerkannt werden sollen, sowohl radikale Änderungen des geltenden Völkerrechts als auch die Aufgabe bescheidener Ansätze, die man hinsichtlich der Bewältigung der wirtschaftlichen Zukunftsprobleme bereits erreicht zu haben glaubte. Daß beispielsweise die Gefahr einer weltweiten Erschöpfung der natürlichen Ressourcen - von Friedmann als eine der großen Herausforderungen an das Völkerrecht bezeichnet!! - durch den mit der Deklaration bekräftigten totalen Souveränitätsanspruch eher noch vergrößert wird, liegt auf der Hand. Das - in seinen Einzelheiten, insbesondere I!

Vgl. oben Anm. 1.

"Colleclive economic security· in den UN?

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hinsidltlich des Entschädigungsproblems zwar äußerst umstrittene völkerrechtliche Enteignungsrecht wird auf die knappe Formel reduziert, daß die Verstaatlichung von Auslandsvermögen oder seine Ubertragung auf die eigenen Staatsangehörigen ein unveräußerliches Recht des Staates sei 23 • Sowohl hier als auch im Bereich der transnationalen Unternehmen soll offensichtlich ein wie auch immer gearteter völkerrechtlicher Mindeststandard des Fremdenrechts ausgeschaltet sein. Der Kreis der Völkerrechtssubjekte würde in bisher nicht gekannter Weise erweitert, wenn Gebieten und Völkern, die unter bestimmten, im einzelnen indes nicht klar zu bestimmenden Herrschaftsstrukturen stehen, Rechtspositionen eingeräumt werden, wie sie bislang allein mit staatlicher Gebietshoheit verbunden sind. So ist beispielsweise ein "Recht" auf Befreiung bei aller außerrechtlichen Anerkennung, die es verdienen mag, dennoch geeignet, das ohnehin übermäßig verletzungsanfällige Gewaltverbot nunmehr auch rechtlich zu relativieren, wie es sich im übrigen schon in Artikel 7 der Aggressions-Definition vom 12. April 1974 abzeichnet24 • Diese Folgeprobleme der dritten Prinzipien-Kategorie seien jedoch vorerst nur als Merkposten aufgeführt, denn zunächst stellt siro die Frage, ob die Abfassung jener Prinzipien nicht stark situations gebunden war. Die Erklärung vom 1. Mai 1974 war bekanntlich nach massiven Auseinandersetzungen auf der 6. Sondertagung der Generalversammlung angenommen worden, in deren Verlauf sich die entgegengesetzten Positionen der Entwiddungsländer und der entwickelten westlichen Staaten zunehmend verhärtet hatten. Die von westlicher Seite anfangs nicht erwartete Kohärenz der Entwicklungsländer, die bestehende Interessendivergenzen - etwa im Bereich der Rohstoffpreise - erfolgreich auszu~ klammern vermochten, führte zu einem politischen Druck, dem sich die westliche Minderheit nicht entziehen konnte. Es blieb die Alternative, der Mehrheit in einer Kampfabstimmung über eine noch radikalere Fassung der Deklaration den sicheren Sieg zu überlassen oder aber die nunmehr vorliegende Erklärung anzunehmen, die jedenfalls im Rahmen der zweiten Prinzipien-Kategorie der bisherigen instrumental gestalteten internationalen Wirtschaftsordnung Rechnung trägt. Angesichts dieser 23 Zu der neue ren Enteignungsgesetzgebung und -praxis in Staaten der Dritten Welt vgl. exemplarisch Nawaz, Nationalization of Foreign Oil Companies Libyan Decree of 1 September 1973, Ind.JIL 1974, S. 70---80, Rosenn, Expropriation in Argentina and Brazil: Theory and Practice, Virg.JIL 15 (1974), S. 276-318. 24 Art. 7 der Aggressionsdefinition des .Special Committee on the Question of Defining Aggression" (vgl. GAres 3314 (XXIX), 14.12.1974, Annex) läßt ausdrücklich das Recht der unter Kolonial- oder anderen Formen der Fremdherrschaft stehenden Völker unberührt, zur Verwirklichung ihres Rechts auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen (.to struggle"). Zur Aufweichung des Gewaltverbots neuestens auch Stone, Force and the Charter in the Seventies, Syrac.JILC 1974, S. 1-17, inshes. S. 16.

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Situation ist immerhin zu erwägen, inwieweit das in der dritten Prinzipien-Kategorie zum Ausdruck gelangte Wertverständnis sowie die hier getroffenen Wertentscheidungen eher eine Konferenzposition als eine weiteren Kompromissen unzugängliche Endposition darstellen.

In. Der Entwurf einer Charta der wtrtsdlaftlhhen Redlte und Pßidlten der Staaten Ob und inwieweit diese Vermutung zutrifft, läßt sich am ehesten anband einer Analyse des Entwurfs der "Charter of Economic Rights and Duties of States· beantworten; denn dieser Entwurf ist nicht wie die Deklaration kurzfristig im Rahmen einer spannungsgeladenen Weltkonfetenz entstanden. Er ist vielmehr das Ergebnis einer Expertenarbeit, die sich während eines Zeitraumes von anderthalb Jahren vollzogen hatli, ohne daß allerdings selbst die interessierte Offentlichkeit mehr als beiläufig Notiz von ihr genommen hätte. In Paragraph 6 der Deklaration wird ausdrücklich auf die Charta verwiesen, für deren Ausarbeitung die Erklärung Anregung und zusätzliche Quelle bilden sollte. Mehr noch als die Erklärung wird die Charta als die Grundlage der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit verstanden. Ihre Präambel enthält in beiden zur Zeit vorliegenden Formulierungsvorschlägen die Fixierung ihres Zwecks, nämlich "to promote collective economic security"20. Der Entwurf der Charta, die in drei Kapiteln 30 Artikel zusammenfaßt, besteht aus einem gut die Hälfte der Artikel umfassenden .agreed set of rules·, hinsichtlich dessen letzte Einigungen im Oktober 1974 auf der letzten Sitzung der .40-Nationen-Arbeitsgruppe" in New York erzielt werden konnten. Zu den übrigen Artikeln liegen noch Alternativ- beziehungsweise Ergänzungsvorschläge vor. Diese Vorschläge sind zur Zeit Gegenstand der Auseinandersetzungen im 2. Ausschuß der Generalversammlung. Nach dem letzterreimbaren Informationsstand smeint simer zu sein, daß die Charta Mitte Dezember angenommen wird, wobei gegenwärtig nom unklar ist, ob diese Annahme ein gewisses Maß an Remtsbindung bewirken soll. Die aus den Entwicklungsländern bestehende 11 Zum Ablauf der Vorarbeiten im Rahmen der UNCTAD siehe UN Doc. TD/B/AC. 12/4, para. 1-8. 28 Ebd., S. 5. Allerdings wird hier bereits das unterschiedliche Verständnis der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit besonders deutlich: Der von den Entwiddungsländern eingebrachte Entwurf spricht von der .collective economic security for development, in particular of the developing countries, with strict respect for the sovereign equality of each State", während der Formulierunqsvorschlag einiger Industrieländer lautet, .to promote collective economic security for all countries through the cooperation of the entire international community, aimed at the economic security of each State".

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"Gruppe der 77"27 fordert nach wie vor die Einfügung eines "transitional paragraph" folgenden Wortlauts im Anschluß an die Präambel: .The General Assembly solemnly adopts this Charter of Economic Rights and Duties of States as a first step in the codification and progressive development of this subject N28 • Die westlichen Industriestaaten dagegen ziehen die gebräuchliche Deklarations-Formel vor: "The General Assembly solemnly declares the following principles"2D. Die im Artikel 1 festgelegten .Grundlagen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen" sind im wesentlichen auf die erste Prinzipien-Kategorie der Erklärung vom 1. Mai 1974 beschränktSO, das heißt, es handelt sich in der Masse um die deklaratorische Bestätigung von Prinzipien der UN-Charta wie zum Beispiel der souveränen Gleichheit der Staaten, der territorialen Integrität, des Gewaltverbots und des Gebots der friedlichen Streitschlichtung. Die in den folgenden 27 Artikeln des Kapitels 11 festgelegten Rechte und Pflichten der Staaten im einzelnen zu analysieren, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Diejenigen "Rechte und Pflichten N, die einen bereits heute mehr oder minder beachteten informellen "code of behaviour" darstellen, müssen daher ebenso unerörtert bleiben wie diejenigen Bestimmungen, die sich auf die instrumentale Ausgestaltung der internationalen Wirtschaftsordnung beziehen. Zum Zwedte der Abrundung des Bildes sei lediglich eine kurze Ubersicht gegeben. So zählt zu dem "agreed set of rules" des Kapitels 11: - das Recht eines jeden Staates auf freie Entscheidung für die ihm annehmbar erscheinende politische, gesellschaftliche und kulturelle Ordnung (Artikel 1); - die Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Staaten für ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwidtlung und ihre Pflicht, entgegenstehende Hindernisse zu beseitigen (Artikel 6); - die generelle Verantwortlichkeit aller Staaten für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kooperation (Artikel 7 und 8); - die rechtliche Gleichheit der Staaten im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen (Artikel 9); - die Förderung internationaler wirtschaftlicher Institutionen (Artikel 10);

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der Vorbehalt regionaler Wirtschaftskooperation (Artikel 11);

!7 Die .Gruppe der 71" erhielt ihren Namen, als im Oktober 1967 vor der Zweiten UNCTAD-Tagung 71 Staaten in Algier zusammentraten und die sogenannte Charta von Algier unterzeichneten, welche die Interessen der Entwicklungsländer präzisierte. Die Gruppe ist inzwischen auf 104 Staaten angewachsen. !8 UN Doe. TD/B/AC. 12/4, S. 6. 28 Ebd. ao Vgl. oben 11.

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die Förderung des Technologietransfers (Artikel 12); die Förderung des Welthandels (Artikel 13); die Pflicht, zu einer ausgeglichenen Entwicklung der Weltwirtschaft beizutragen (Artikel 14); die Pflicht zur Zusammenarbeit bei der Entwicklungshilfe (Artikel 17); einseitige Zollpräferenzen für die Entwicklungsländer (Artikel 18); die Gleichbehandlung der Staatshandelsländer durch die Entwicklungsländer (Artikel 20); Kapitaltransfer in die Entwicklungsländer (Artikel 22); Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern (Artikel 23); Beachtung wirtschaftlicher Fremdinteressen (Artikel 24); besondere Förderung der am wenigsten entwickelten Länder, insbesondere der "land-Iocked developing countries " (Artikel 25); gerechte Preisgestaltung im Import-Export-Verhältnis der Entwicklungsländer (Artikel 27).

Doch wesentlich bedeutsamer als diese Zielvorstellungen ist die Frage, welche der fünf Grundsätze, die in der dritten - der "revolutionären" Prinzipienkategorie der Deklaration vom 1. Mai 1974 enthalten sind, ebenfalls in die Charta Eingang gefunden haben. Nur eine abgemilderte Erwähnung haben gefunden die Prinzipien 3 und 4 - die • Rechte " abhängiger oder besetzter Territorien sowie unter Kolonialherrschaft oder Rassendiskriminierung lebender Völker in bezug auf ihre Befreiung und Entschädigung31 • Die übrigen drei Prinzipien - das strenge Souveränitätsdogma, das unveräußerliche Enteignungsrecht sowie die durch den völkerrechtlichen Mindeststandard des Fremdenrechts nicht eingeschränkte Gebietshoheit in bezug auf transnationale Unternehmen - sollen in Artikel 2 der Charta geregelt werden und stellen bislang den umstrittensten Komplex des Entwurfs dar. Zum Artikel 2 liegen zur Zeit vier Formulierungsvorschläge vor. Die stärksten Abweichungen zeigen die beiden wichtigsten Vorschläge, nämlich der von den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften zusammen mit Japan und den Vereinigten Staaten vorgelegte Vorschlag und die von der .Gruppe der 77" am 10. Oktober 1974 angebotene Fassung3!. Beide Vorschläge gehen zwar von der ständigen Souveränität der Staaten 31 Hierzu Art. 16 Satz 1 des Charta-Entwurfs: .H is the right and duty of all States, individually and collectively, to eliminate colonialism, apartheid, racial discrimination, neo-colonialism and all forms of foreign aggression, occupation and domination, and the economic and social consequences thereof, as a prerequisite for development". 3! UN Doc. TD/B/AC. 12/4, S. 10, sowie SG (I)/CRP/2 vom 10.10.1974.

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über ihre natürlichen Ressourcen aus. Nach dem Vorschlag der "Gruppe der 17" jedoch umfaßt diese volle Souveränität den Besitz, den Gebrauch und die Verfügung nicht nur über die natürlichen Ressourcen, sondern über alle Werte und wirtschaftlichen Aktivitäten des Staates. Die so gekennzeichnete Souveränität soll der Staat frei ausüben können, wogegen die Ausübung der Souveränität nach dem EG-Vorschlag in Ubereinstimmung mit den anwendbaren Regeln des Völkerrechts erfolgen soll. Nach dem Vorschlag der "Gruppe der 77" soll jeder Staat das Recht haben, in Ubereinstimmung mit seiner Rechtsordnung, seinen Entwidtlungszielen und -prioritäten ausländische Investitionen zu regeln und zu kontrollieren. Der EG-Vorschlag räumt den Staaten das gleiche Recht vorbehaltlich der einschlägigen Normen des Völkerrechts ein. Ausländisches Vermögen soll nach dem Vorschlag der "Gruppe der 77" "verstaatlicht, enteignet oder requiriert" werden können, "in which case appropriate compensation should be paid by the State taking such measures, provided that all relevant circumstances call for it"33. Sofern sich keine Einigung über die Frage der Entschädigung erzielen läßt, haben grundsätzlidl die Gerichte des enteignenden Staates zu entscheiden, es sei denn, es läge von vornherein eine Vereinbarung über eine anderweitige friedliche Streitschlichtung auf der Basis der souveränen Gleichheit der Staaten vor - eine Art moderne "Calvo-Klausel"u. Der EGVorschlag dagegen hält an der bekannten Formel von der "prompt, adequate and effective compensation· als Regel des geltenden Völkerrechts fest. Hinsichtlich der transnationalen Unternehmen stellt der Vorschlag der "Gruppe der 77" vollständig auf die Gebietshoheit des Gaststaates ohne Berüdtsichtigung des völkerrechtlichen Mindeststandards des Fremdenrechts ab. Uber die Beachtung der nationalen Rechtsordnung hinaus wird zusätzlich die Ubereinstimmung der Unternehmens aktivitäten mit der jeweiligen nationalen Wirtschafts- und Sozialpolitik verlangt35 • Der EGVorschlag fordert auch hier die Beachtung der relevanten Völkerrechtsnormen und darüber hinaus die Vereinbarung eines Verbots der Diskriminierung bei der Behandlung transnationaler Unternehmen. Das in Artikel 4 vorgesehene generelle Verbot der wirtschaftlichen Diskriminierung gehört im übrigen auch zu den in ihrer Abfassung umstrittenen Bestimmungen der Charta, zumal es nach den Vorstellungen der "Gruppe 33 Vgl. SG (I)/CRP/2, Art. 2 Abs. 2 lit. d. Diese Formulierung hat mit unwesentlichen Änderungen Eingang in Art. 2 Abs. 2 lit. c der Resolution 3281 (XXIX) gefunden. 34 Auch diese Regelung ist unverändert in die zit. Resolution übernommen worden (Art. 2 lit. c Satz 2). 35 Jetzt Art. 2 Abs. 2 lit. b der zit. Resolution (wörtliche Ubernahme eines Vorschlags des philippinischen Delegierten Brillantes).

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der 77" komplettiert werd~n soll einerseits durch ein generelles Gebot der nichtreziproken Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer sowie andererseits durch den generellen Ausschluß der Meistbegünstigungsklausel im Verhältnis zwischen den Entwicklungsländern und den entwickelten Ländern38 •

IV. Das Fundament der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit nach den Vorstellungen der UN-Mehrhelt Welches sind nun die Grundzüge der "collective economic security" nach dem in den Vereinten Nationen erreichten Diskussionsstand? Wie eingangs deutlich geworden ist37 , setzt kollektive wirtschaftliche Sicherheit im Gegensatz zur kollektiven militärischen Sicherheit Wertverständnis und Wertentscheidung voraus. Darauf, daß Nicht-Krieg mehr "kollektive Sicherheit" bewirkt als Krieg, wird man sich trotz des Streits um den negativen und positiven Frieden schnell einigen können. Wann dagegen die Schwelle von der Gefährdung einzelner Volkswirtschaften zur kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit oder umgekehrt überschritten ist, läßt sich nicht mit einer ähnlichen vereinfachenden Formel beantworten. Der UN-Bericht sucht den wertmäßigen Generalnenner in dem Abstraktum "economic welfare" . Doch nützt die Aufschlüsselung dieses Abstraktums in einzelne "Dimensionen" des wirtschaftlichen Wohlstands so lange nichts, als "economic welfare" nur als Objekt einer möglichen Bedrohung, nicht hingegen das Fehlen des Wohlstands als die eigentliche Bedrohung angesehen wird. So bestätigt der UN-Bericht lediglich den in dem 2. Bericht an den "Club of Rome" vermerkten Befund, "daß die Welt aus Teilen besteht, deren Vergangenheit grundverschieden war, deren Gegenwart folglich auch verschieden ist und die somit einer unterschiedlichen Zukunft entgegengehen "88. Die Wertentscheidungen, die sowohl der Deklaration vom 1. Mai 1914 als auch dem Entwurf der Charta wirtschaftlicher Rechte und Pflichten zugrundeliegen, werden diesen Befund nicht verändern, sondern eher perpetuieren. Denn zu ihnen gehört vor allem das Leitbild einer Souveränitätsvorstellung, die sich auf die in besonderem Maße erforderliche multilaterale Kooperation nur hemmend auswirken kann. Das Instrumentarium der gegenwärtigen Weltwirtschaftsbeziehungen, das aus Institutionen sowie pragmatischen Handlungsschemata besteht, die 38 Art. 4 in Verbindung mit Art. 19 und 21 des Charta-Entwurfs; unverändert übernommen als Art. 4, 19, 21 der zit. Resolution. 37 Vgl. oben I. 38 Mesarovic/Pestel, Menschheit am Wendepunkt, 2. Bericht an den Club of Rome, 1914, S. 43.

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auf institutioneller Ebene entwickelt werden, wird durch eine Entsdteidung zugunsten absoluter wirtschaftlicher Souveränität mit Sicherheit an Effizienz - die ohnehin schon jetzt gering genug ist - einbüßen. Diese Wertentscheidung mag zwar der gewiß zu fördernden Festigung des nationalen Selbstverständnisses der Entwicklungsländer dienen. Als Leitbild einer globalen Entwicklungsstrategie ist sie jedoch ungeeignet, wie die Praxis unzweideutig erkennen läßt. Gemäß jener Wertentscheidung müßte nämlich eine globale Entwicklungsstrategie in erster Linie bestimmt sein von dem auch in der Präambel des Charta-Entwurfs fixierten Grundsatz, • that the responsibility for the development of every country rests primarily upon itself". Dieses bereits in den Beratungen über ein strategisches Konzept für die zweite Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen unterstrichene Prinzip hätte an sich geboten, in erster Linie Fixpunkte für eine stärkere Mobilisierung und effektivere Nutzung der nationalen Potentiale der Entwicklungsländer - sogenannte "performance-Kriterien" - festzulegen und, darauf aufbauend, ein Handlungs.schema für die subsidiäre internationale Entwicklungskooperation aufzustellensI. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die mit der UN-Resolution 2626 (XXV) vom 24. Oktober 1910 beschlossene Strategie für die zweite Entwicklungsdekade weist nur wenige Vorschläge in bezug auf Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer auf und enthält weitaus überwiegend Kataloge internationaler Maßnahmen. Wie die Vorarbeiten zu diesem strategischen Konzept gezeigt haben, begegneten Versuche, "performance-Kriterien" festzulegen, immer wieder der Empfindlichkeit der Entwicklungsländer gegenüber jeglichen auch nur mittelbaren Einwirkungen auf ihre unabhängige Entscheidungsgewalt als souveräne Staaten. Hingegen bestand keine Scheu, massive Forderungen an die entwickelten Staaten zu richten, die diese zumindest als Diskussionsgrundlage akzeptieren mußten. Das hier in der Praxis angewendete doppelte Maß prägt auch die Grundzüge der .collective economic security", wie sie sich nach dem von der Mehrheit getragenen derzeitigen Diskussionsstand im Rahmen der Vereinten Nationen darstellen: Mit der Grundentscheidung für die absolute wirtschaftliche Souveränität wird einerseits ein Hindernis gegenüber einer effektiven internationalen Kooperation errichtet, andererseits soll dieses Hindernis in bezug auf die Entwicklungsländer durchaus semipermeabel sein, um Hilfsmaßnahmen zu gestatten, deren Notwendigkeit und bisherige Unzulänglichkeit keineswegs zu bestreiten ist. Gleichviel, welches Maß an Verständnis und Billigung man für die Beweggründe und die gegenwärtige Position der Entwicklungsländer aufzubringen vermag - womöglich wird den hochentwickelten Staaten nunmehr eine längst ae Vgl. hierzu und zum folgenden die treffende Analyse von Meyer/Seul/ Klingner (Anm. 19), S. 22 f.

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fällige Rechnung präsentiert -: Dennoch scheint sicher zu sein, daß das Modell einer internationalen Wirtschaftsordnung, dessen Fundament einerseits die absolute wirtschaftliche Souveränität, andererseits aber die rechtlich fixierte Ungleichheit der Beteiligten darstellen soll, keine Aussicht auf allgemeine Anerkennung hat, geschweige denn die kollektive wirtschaftliche Sicherheit zu fördern in der Lage ist'°. Die Chance, eine für die nächsten Jahrzehnte grundlegende Entscheidung zugunsten einer stärkeren Internationalisierung zu treffen, ist weder im Rahmen der Deklaration vom 1. Mai 1974 noch des Charta-Entwurfs genutzt worden. Da die Charta nach Experten-Urteil mit allenfalls peripheren Änderungen gegenüber dem vorliegenden Text angenommen werden wird, dürfte jene Chance für längere Zeit vertan sein. Es gehört keine prophetische Gabe zu der Voraussage, daß die Charta nicht den ihrer Intention gemäßen wirtschaftlichen Universalismus begünstigen wird, sondern den Trend zum Regionalismus verstärken und zum Teil- namentlich im Verhältnis der Entwicklungsländer zu den entwickelten Ländern - sogar eine Rückkehr zum Bilateralismus fördern wird'1. Für letzteres gibt es bereits jetzt deutliche Anzeichen'!. V. Die Leitvorstellungen zur kollektiven wirtschaftHchen Sicherheit und das Völkerrecht Gleich ob die Charta - in einem Ubergangsartikel als .erster Schritt zur Kodifikation und fortschreitenden Entwicklung" der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten bezeichnet - als "normale" UN-Deklaration oder aber als schlichte Resolution ausgewiesen wird: 40 Man fühlt sich in diesem Zusammenhang an den von Schwarzenberger verwendeten Begriff der • international economic pseudo-order" erinnert, i. e . • ideologies or utopias which serve to gloss over the absence of a de facto or de jure international economic order or the existence of a mere quasi-order"; vgl. Schwarzenberger, Economic World Order? A Basic Problem of International Law, 1970, S. 4 f. U Der Bilateralismus steht mehr noch als der wirtschaftliche Regionalismus einer weltwirtschaftlichen Integration der Entwicklungsländer entgegen, da letztere hohe Wachstumsraten erfordert, die wiederum nur durdl Teilhabe der Entwicklungsländer an weltweiten Handels- und Wirtschaftsabkommen zu erreichen sind; vgl. hierzu auch Dorner, Probleme einer weltwirtschaftlichen Integration der Entwicklungsländer (Bochumer Schriften zur Entwicklungsforsdlung und Entwicklungspolitik, Bd. 16), 1974, S. 175. 41 Damit bleibt vorerst der gegenwärtige Zustand erhalten, in dem die Weltwirtschaft keine allgemeinen Rechtspflichten zur gegenseitigen Hilfe .comparable to the social legislation of the welfare State", sondern vorwiegend .an inchoate duty of samaritanism" kennt; so im Anschluß an Sir Gerald Fitzmaurice neuestens Jenks, Economic and Social Change and the Law of Nations, RdC 138 (1973 I), S. 480. - Das von Friedmann (Anm. 1), S. 106, im Anschluß an Lord McNair und Hyde sogenannte .international economic development law· wird daher vorerst auf das Vertragsrecht beschränkt bleiben.

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Sie wird in keinem der beiden Fälle rechtliche Verbindlichkeit erlangen, sondern lediglich die Rechtsnatur einer Empfehlung aufweisen. In jedem Falle aber wird sie die Erwartungshaltung prägen, die gegenüber dem weiteren Verlauf des Rechtserzeugungsprozesses auf diesem Sektor von den weitaus meisten Staaten dieser Welt eingenommen wird. Sollte der von der "Gruppe der 11" vorgelegte Ubergangsartikel angenommen werden43 , dann dürfte sich besonders schnell die Auffassung durchsetzen, daß die Charta zunächst zwar noch einen unverbindlichen "code of conduct" darstellt, damit aber zugleich Rahmen und Inhalt sowohl für die Entstehung entsprechender gewohnheitsrechtlicher Regeln als auch für eine etwa nachfolgende Konvention bildet. In der Abneigung der westlichen Industriestaaten, die Charta schon als Vorstufe der Kodifikation und fortschreitenden Rechtsentwiddung zu kennzeichnen, kommt das Bemühen zum Ausdruck, den Rechtserzeugungsprozeß möglichst langfristig verlaufen zu lassen, um weitere Korrekturen zu ermöglichen. Wird die Charta unter dem Blickwinkel des geltenden Völkerrechts betrachtet, so erscheinen einige Korrekturen in der Tat als notwendig, sofern nicht in Kauf genommen werden soll, daß das Völkerrecht im Bereich der weltweiten internationalen Wirtschaftsbeziehungen auf einem Minimalbestand an Regeln eingefroren wird. Diese Folge muß nicht, sie könnte jedoch bei der Verwirklichung des absoluten Souveränitätsprinzips eintreten, wie es in dem Charta-Entwurf formuliert ist. Hierbei geht es nicht um den Souveränitätsanspruch hinsichtlich der natürlichen Ressourcen im Sinne einer grundsätzlichen Dispositionsbefugnis, wie sie bereits in der von der "Commission on Permanent Sovereignty over Natural Resources" vorbereiteten UN-Deklaration vom 14. Dezember 1962 sowie in mehreren späteren Resolutionen bekräftigt und schließlich in den Artikeln 1 Absatz 2 der beiden UN-Pakte vom 16. Dezember 1966 kodifiziert worden ist. Während die Dispositionsbefugnis nach den beiden UN-Pakten jedoch noch unter dem Vorbehalt einschlägiger völkerrechtlicher Verpflichtungen - zumindest vertraglicher Art - steht, ist die Einfügung eines derartigen Vorbehalts, der im Grunde nur Selbstverständliches wiedergibt, nunmehr zentraler Streitpunkt. Der letzte Vorschlag der "Gruppe der 11" zum Artikel 2 vom 10. Oktober 1914, der zunächst die bereits genannten weitgehenden Rechte fixiert, setzt mit dem Schluß ab satz eine klare Priorität: "In respect 01 the 10regoing rights, all States shall fulfil in good faith their international obligations"".

43 Der zitierte Ubergangsartikel ist nunmehr als generelle Zielsetzung in der Resolution 3281 (XXIX) zu finden (Ausarbeitung der Charta als .first step in the eodifieation and development of the matter"). 44 Vgl. Doe. SG (I)/CRP/2. Dieser Schlußabsatz findet sich allerdings nicht in Art. 2 der Resolution 3281 (XXIX).

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Beachtlich ist in diesem Zusammenhang namentlich die Ausdehnung des Souveränitätsanspruchs, der nicht mehr nur die natürlichen Ressourcen und Werte, sondern alle wirtschaftlichen Aktivitäten schlechthin erfaßt. Diese Position bildet den Schlüssel zum Verständnis der einzelnen Rechte, deren Beachtung letztlich zur immanenten Pflicht jeder sie berührenden völkerrechtlichen Vereinbarung erhoben werden soll. Daß dies intendiert ist, macht eine von der .Gruppe der 71" vorgeschlagene Schluß bestimmung deutlich, in der ausdrücklich festgelegt ist, daß alle Vorschriften der Charta in ihrer Auslegung und Anwendung voneinander abhängig und damit an den Grundentscheidungen der Charta zu messen sind 45 • Selbst wer nicht bereit ist, die Suprematie des Völkerrechts gegenüber staatlicher Souveränität anzuerkennen und diese lediglich durch das Prinzip der Gleichheit der Staaten begrenzt sieht, der wird einräumen müssen, daß jene Position die Bandbreite insbesondere für multilaterale Verträge auf wirtschaftlichem Gebiet stark einengt. Dies sei anhand eines der in Artikel 2 des Vorschlags der "Gruppe der 71" enthaltenen "Rechte" erläutert: Nach Absatz 2 lit. a dieses Artikels hat jeder Staat das Recht, ausländische Investitionen auf seinem Hoheitsgebiet in Ubereinstimmung mit seinen Gesetzen und sonstigen Regelungen sowie mit seinen Entwicklungszielen und -prioritäten zu regeln und zu steuern. Ist dieses Recht, wie es Absatz 3 vorschreibt, im Rahmen eines Vertrages von dem Partnerstaat zu respektieren, dann bleibt jenseits der konkreten Investitionszusage wenig Raum für vertragliche Aushandlung. Daß unter derartigen Bedingungen staatsvertraglich begründete oder abgesicherte Auslandsinvestitionen für die Geber- beziehungsweise Fördererstaaten ein kaum zumutbares Risiko bilden, liegt auf der Hand. Nach Wortlaut und Sinn der zitierten Vorschrift sind etwa Eingriffe in das Management ausländischer Firmen, Produktionsanweisungen oder -umstellungen - also eine Fülle von Maßnahmen unterhalb der Vermögensentziehung - zulässig, sofern die Entwicklungsziele und -prioritäten des Gaststaates derartiges erfordern. Sollte jener Regelungsvorschlag geltendes Recht werden, dann werden die nicht ohne Mühe im Rahmen der Entwicklungshilfe veranlaßten Investitionsaktivitäten - etwa seitens der .International Finance Corporation" oder der .United Nation Industrial Development Organization" - mit Sicherheit zurückgehen48 • Nicht weniger umwälzend und im Falle der Verwirklichung folgenschwer ist die Enteignungsregelung des Vorschlags der .Gruppe der 71". Als Art. 33 Abs. 2 in die Resolution 3281 (XXIX) übernommen worden. Zu dieser Problematik allgemein vgl. Krämer, Kapitalflucht aus Entwiddungsländern (Bochumer Schriften zur Entwidtlungsforschung und Entwidtlungspolitik, Bd. 4), 1969, insbes. S. 46 ff; Paul, Zur Problematik von Förderungsmaßnahmen der Entwidtlungsländer gegenüber ausländischen Direktinvestitionen, wirtschaftswiss. Diss. Mainz 1973, insbes. S. 44; Rubin, (Hrsg.), Foreign Development Lending - Legal Aspects, 1971. 45

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Als die drei möglichen Formen der "Vermögensnahme" sind die Verstaatlichung, die Enteignung und die Requisition genannt'7. Diese dreifache verbale Absicherung zielt darauf ab, eine Interpretation des Inhalts von vornherein auszuschließen, daß ein öffentliches Interesse vorliegen muß. Eine Koppelung der Enteignung mit einem Diskriminierungsverbot ist nicht vorgesehen. Die Frage der Entschädigung schließlich stellt der Vorschlag der "Gruppe der 77" voll und ganz in das Ermessen des enteignenden Staates. Während ein von den Philippinen angeregter Kompromiß immerhin noch lautete: "... just compensation shall be paid in the light of all relevant circumstances"48, bedient sich der Vorschlag der .Gruppe der 77" der Möglichkeitsform ("appropriate compensation should be paid") und macht die "relevanten Umstände" zur Bedingung der nationalen Entscheidung über das "Ob" der Entschädigung. Die Verweisung auf die Gerichtsbarkeit des enteignenden Staates schließt eine Regelung ab, die das .unveräußerliche" Recht der Enteignung völkerrechtlich im Ergebnis durch eine umfassende Verweisung auf die nationale Rechtsordnung bestimmt, das seinerseits nicht an einem völkerrechtlichen Mindeststandard ausgerichtet zu sein braucht. Die Rechtsstellung transnationaler Unternehmen zeigt innerhalb der verschiedenen bisher vorgelegten Regelungsvorschläge ein Gefälle, das von der uneingeschränkten Unterwerfung unter die Rechtsordnung sowie die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Gaststaates über das Verbot der Diskriminierung dieser Unternehmen bis zum Gebot der Anwendung aller relevanten Völkerrechtsnormen reicht. Die günstigsten Aussichten scheint gegenwärtig angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den Vereinten Nationen die erste Variante zu haben49 • Diesen samt und sonders auf dem absoluten wirtschaftlichen Souveränitätsprinzip basierenden Regelungsvorschlägen stehen solche gegenüber, deren Umsetzung in geltendes Recht gerade umgekehrt zu ungleichen Souveränitätsbeschränkungen und im Bereich der völkerredltlich geregelten Wirtschaftsbeziehungen zu zwei unterschiedlichen Klassen von Staaten als Völkerrechtssubjekten führen würde. Zu diesen Regelungen gehört die von den entwidtelten Ländern geforderte Garantie, den Entwidtlungsländern generell eine bevorzugte Behandlung unter Ausschluß des Reziprozitätsprinzips auf allen Gebieten wirtschaftlicher Kooperation, auf denen dies möglich ist, zu gewähren. Weiterhin zählt hierzu das den Entwidtlungsländern vorbehaltene Recht, untereinander 47 In der Resolution 3281 (XXIX) ist der Begriff der .Requisition" durch das Verb .to transfer" ersetzt worden, womit u. a. eine Eigentumsentziehung seitens des Staates zugunsten von Privatpersonen erfaßt wird. 48 UN Doe. TD/B/AC. 12/4, S. 9. 48 Diese Vermutung ist durch die Fassung des Art. 2 Abs. 2 lit. b der Resolution 3281 (XXIX) bestätigt worden.

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Präferenzen einzuräumen, ohne zur Ausdehnung dieser Präferenzen auf entwickelte Länder verpflichtet zu sein. Die hier geforderte generelle Sonderrechtsstellung der Entwicklungsländer hat bekanntlich ihre Vorläufer in spezifischen Vertragsregelungen wie etwa in dem 1965 ergänzten Teil IV des GATT, wonach das Reziprozitätsprinzip bei Zollerleichterungen und sonstigen Handelserleichterungen gegenüber Entwicklungsländern nicht anzuwenden ist. Die - entwicklungspolitisch durchaus zu befürwortende - Generalisierung derartiger Sonderrechte, wie sie die Charta verlangt, könnte in der Tat zu einer völkerrechtlichen Entwicklung führen, die Verwey kürzlich als die allmähliche Anerkennung der Entwicklungsländer als besondere Völkerrechtssubjekte im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen gekennzeichnet hat5o • Allerdings würde eine solche Fortentwicklung des Völkerrechts nur dann die Unterstützung der entwickelten Länder finden, wenn das absolute Souveränitätsprinzip der Charta durch die Grundentscheidung zur internationalen Kooperation ersetzt wird. Zwar legen die zu dem .agreed set of rules" gehörenden Artikel 6 bis 11 des Charta-Entwurfs eine Reihe durchaus wesentlicher Kooperationspflichten fest, doch beseitigt dies nicht den Befund, daß die Charta von den Grundentscheidungen zugunsten des Prinzips der absoluten wirtschaftlichen Souveränität und zugunsten einer gleichzeitigen Privilegierung der Entwicklungsländer geprägt ist. Beide Grundentscheidungen sind in ihren Auswirkungen kaum miteinander zu vereinbaren und werden daher für ein künftiges Völkerrecht der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit nicht tragfähig sein. Dies mindert folglich die Chancen einer fortschreitenden Entwicklung des internationalen Wirtschafts- und Sozialrechts im Sinne der Herausforderung, die das Gefälle zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Ländern an das Völkerrecht stellt. Es mindert sowohl die Chance, die Entwicklungsländer für eine Ubergangszeit als eine besondere Gruppe von Völkerrechtssubjekten zu behandeln, als auch die Chance, die über eine Vielzahl von Verträgen verstreuten Kooperationspflichten der Staaten - das verfügbare Instrumentarium - nunmehr in einem Dokument grundlegend abzustützen. So ist abschließend der enttäuschenden Feststellung nicht auszuweichen, daß die notwendige normative Ausgestaltung der kollektiven wirtschaftlichen Sicherheit durch die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten kaum erreicht werden wird. Es darf daher die Voraussage gewagt werden, daß man in etwa einem Monat in New York mit einer Deklaration oder Resolution auseinandergehen wird, welche die Gegensätze eher verdeutlicht als versöhnt51 • 50

213.

Verwey, Economic Development, Peace and International Law, 1912, S. 265-

61 Siehe hierzu die in UN Doc. Al9946, para. 6---23 enthaltenen Abstimmungsergebnisse zu den einzelnen Artikeln des Charta-Entwurfs. - Die Resolution 3281 (XXIX) wurde mit 120 Stimmen bei 10 Enthaltungen (Frank reim, Irland,

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Man fühlt sidl an die ersten Phasen der internationalen Auseinandersetzungen über die kollektive militärisdle Sidlerheit erinnert, die erst dann zu besdleidenen Teilmaßnahmen führten, als der Problemdru