Die ungewisse Zukunft der Universität: Folgen und Auswege aus der Bildungskatastrophe [1 ed.] 9783428470068, 9783428070060

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Die ungewisse Zukunft der Universität: Folgen und Auswege aus der Bildungskatastrophe [1 ed.]
 9783428470068, 9783428070060

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HARDY BOUILLON I GERARD RADNITZKY (Hrsg.)

Die ungewisse Zukunft der Universität

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 60

Die ungewisse Zukunft der Universität Folgen und Auswege aus der Bildungskatastrophe

herausgegeben von

PWPA@Europa Hardy Bouillon und Gerard Radnitzky

mit Beiträgen von Hermann Bader Hans Otto Lenel Ulrich van Lith Gerard Radnitzky

Waller Rüegg Edward Shils Wilfried von Studnitz Alvin Weinberg

Duncker & Humblot · Berlin

Eine Publikation der Professors World Peace Academy in Europa (PWPA-E) e.V.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahrne Die ungewisse Zukunft der Universität: Folgen und Auswege aus der Bildungskatastrophe I hrsg. von PWPA Europa. Hardy Bouillon und Gerard Radnitzky. Mit Beitr. von Hermann Bader .. . - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 60) ISBN 3-428-07006-2 NE: Bouillon, Hardy [Hrsg.]; Bader, Hermann; Professors World Peace Academy in Europe; GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübemahrne: Hagedomsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-07006-2

Vorwort Quo vadis, universitas?

Die Universität steuert- 20 Jahre nach der Bildungskatastrophe- in eine ungewisse Zukunft. All denjenigen, die wissen wollen, wohin diese Entwicklung treibt, sei daher der vorliegende Band anempfohlen. Denn er greift ihre Frage aufund versucht sie zu beantworten, indem er zusammenfaßt, was renommierte Wissenschaftler in einem internationalen Kolloquium in Salzburg 1986 erarbeitet haben. Das Ziel dieser Tagung war eine Bestandsaufnahme der gegenwärtig schwierigen Lage, in der sich dieUniversitätenund Fachhochschulen Europas befinden. Die Autoren haben die aus ihrer Sicht für den unbefriedigenden Zustand des derzeitigen Hochschulwesens verantwortlichen Faktoren und Entwicklungen in den Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen gestellt. Im Lichte der Diskussion haben sie ihre Analysen dann weiterentwickelt und für den vorliegenden Band auf den aktuellen Stand gebracht. Das Kolloquium befaßte sich unter anderem mit den Möglichkeiten von Privathochschulen und mit dem Verhältnis der Rollen, die der Markt und der Staat im Hochschulsystem spielen, insbesondere aber mit der Frage, wie Märkte, wenn sie innerhalb von Institutionen fungieren, deren Effizienz erhöhen, die Wahlfreiheit des Konsumenten ausbauen und die Vielfalt des Angebots vergrößern können. Das Kolloquium behandelte außerdem das Thema Finanzierung der Hochschulausbildung und untersuchte dabei verschiedene Instrumente wie z. B. Ausbildungsgutscheine und Studentendarlehen. Es setzte sich auch mit bestimmten "Pathologien" des Hochschulsystems auseinander, z.B. mit der ideologischen Indoktrination und der Inflation akademischer Zeugnisse und Berufsqualifikationen. Einige dieser Themen führten zu allgemeinen Problemen der Wissenschafts- und Technologiepolitik. Andere leiteten über zu Fragen, die den "Markt der Ideen" betreffen: Denn der Wettbewerb spielt in der Wirtschaft eine ähnliche Rolle wie die Kritik in der Wissenschaft, während dem Wirtschaftsprotektionismus die Dogmatisierung wissenschaftlicher Theorien entspricht. Die Ergebnisse des Sammelbandes sollen dem Leser helfen, die Probleme der Hochschulpolitik besser zu verstehen und seine Position gegebenenfalls neu zu überdenken. Denn die Hochschul- und Wissenschaftspolitik ist langfristig von allergrößter Bedeutung für den künftigen Wohlstand der Nation. Dieser hängt bekanntlich wesentlich vom Humankapital der Nation ab, genauer: vom Wissen und Können der Bürger und deren Möglichkeiten, verwertbares Wissen zu

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Vorwort

erwerben und darüber zu verfügen. Die Art und Weise, in der dieses Wissens mit Anreizen und entsprechenden Eigentumsrechten verknüpft sein wird, wird die Zukunft einer Nation entscheidend mitgestalten. Dies gilt nicht nur im Kontext der technologischen Anwendung, sondern auch für die wissenschaftliche Erkenntnis. Die Hochschulen werden daher unter den wohlstandsfördernden Institutionen eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Tagungssprache des Kolloquiums war Englisch. Daher haben die Autoren, mit zwei Ausnahmen- die Aufsätze von Edward Shils und Alvin M. Weinberg hat Hardy Bouillon übersetzt -, ihre Beiträge für diesen Sammelband ins Deutsche übertragen. Die Herausgeber möchten es nicht versäumen, den Beitraggebern an dieser Stelle herzlich zu danken. Unser besonderer Dank gilt der PWPA e. V. (Professors World Peace Academy), die das Kolloquium finanziell unterstützt hat, insbesondere dem Generalsekretär der PWPAEurope, Herrn Dr. Heinrich Weber, der dieses Projekt überhaupt erst ermöglicht und die Entstehung des vorliegenden Bandes in jeder Hinsicht gefördert hat. Danksagen möchten wir auch Sabine Bruggaier, Kerstin Lau und Jana Ruzicka für die sorgfältige Reinschrift der Manuskripte. Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Gerard Radnitzky

Die Universität als ordnungspolitisches Problem

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I. Die gegenwärtige Krise - Bestandsaufnahme und Ursachenfeststellung Waller Rüegg

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Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulwesen Edward Shi/s

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Die doppelte Last der Universitäten

n. Markt und Wettbewerb oder staatlich verwaltete Universitäten Ulrich van Lith

Staat und Markt im Bildungsbereich. Anmerkungen eines Ökonomen zur Bildungsverfassung der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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U/rich van Lith

Vorschlag zur Reform der Hochschul- und Studienfinanzierung

. . . . . . . . . . . 129

m. Probleme der Medizinerausbildung Hermann Bader

Deutsche Universitätsausbildung. Eine Tragödie mit Zukunft

. . . . . . . . . . . . . 161

Wilfried von Studnitz

Zur Problematik der Privatuniversitäten in Deutschland

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IV. Das Verhältnis von Universitäts- und Industrieforschung Hans Otto Lenel

Die Rolle des Staates bei der Auswahl und Finanzierung von Forschungsprojekten der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Alvin M. Weinberg

"Star Wars", Rüstungskontrolle und das Ethos der Universität

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Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Die Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

"In der parteiischen Wissenschaftsauffassung übertreffen die bundesdeutschen DGB-Funktionäre und neomarxistischen Sozialisten noch die ideologische Folgerichtigkeit der sowjetrussischen Ideologie ... (sie) erheben heute in aller Deutlichkeit Wissenschaft und Forschung im Sinne der westlichen Zivili~ation gefährdende, ja, wenn ihre Auffassung zum Zuge kommt, vernichtende Forderungen ..." HELMUT SCHELSKY (1982, S. 213)

Die Universität als ordnungspolitisches Problem Universitäten werden, einmal in staatlicher Hand, letzten Endes zu Einrichtungen, in denen die "Konsumenten" (Studenten) nichts kaufen, die "Produzenten" (Dozenten) nichts verkaufen und die "Eigentümer" (Treuhänder, Aufsichtsbehörden usf.) nichts beaufsichtigen. • JAMES BUCHANAN

Von Gerard Radnitzky I. Ordnungstheoretische Überlegungen 1. Ausbildung als öffentlich bereitgestelltes Gut

James Buchanan, der erste Repräsentant des Economic Approach (oft "Public Choice" genannt), der bisher mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde (1986) und von dem das Zitat oben stammt, und William Bartley, dem ich es verdanke, sprechen ausdrücklich von staatlichen Universitäten. Was sie sagen, trifft sehr genau auf die europäische Szene zu, und zwar a fortiori. In den USA ist das Gefalle der Universitäten sehr groß, und der Ruf des Landes als Nummer Eins in der Wissenschaft beruht auf einem Dutzend Eliteuniversitäten, die praktisch alle (Berkeley ausgenommen) privat sind und meistens kaum mehr als 12.000 Studenten haben. Die Universities sind "Graduate Schools" und "Professional Schools"; erst dort werden die ausgewählten College-Absolventen für akademische Berufe ausgebildet. Das vierjährige College bereitet die breiten Massen aufs Berufsleben vor, und da es wenig fachgebunden ist, eröffnet es viele Möglichkeiten im Arbeitsmarkt. Die Absolventen deutscherUniversitätendagegen können kaum in fachfremde Berufe vermittelt werden, was die "Akademikerschwemme" (die noch lange nicht ihren höchsten Pegel erreicht hat) noch problematischer macht. In Deutschland besteht, von wenigen, vernachlässigbaren Ausnahmen abgesehen, ein staatliches Angebotsmonopol - insgesamt das perfekte Gegenteil eines freien, privaten Marktes (vgl. z. B. Woll1988, S. 165). Auf die prinzipiellen Folgen einer solchen organisatorischen Struktur wollen Buchanan und Bartley hinweisen.

* "The result of state-owned universities has been universities as places where the "consumers" (students) do not buy, the "producers" (faculty) do not sell, and the "owners" (trustees, state boards etc.) do not control." James Buchanan, in Buchanan and Devletoglou 1970, zitiert aus Bartley 1990, S. 111.

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Gerard Radnitzky

a) Die Konsumenten (Nutznießer, Kunden) zahlen nichts. Der Steuerzahler kommt zwangsweise für das "Gut" auf, das öffentlich bereitgestellt wird (zum "Nulltarif'), und bezüglich der Studienplätze herrscht Zwangsbewirtschaftung. Daher gibt es keine Konsumentensouveränität, und die Individuen können nicht - wie sie es im Markt können - gemäß ihren Präferenzen auswählen. b) Die Anbieter (Hochschulen als Dienstleistungsanbieter) verkaufen nichts. Der Staat bestimmt den Preis (Steuern, die jedoch andere bezahlen), die Menge usf. Er bestimmt auch die Qualität der Produzenten und der Produkte. Die Anbieter (Hochschulen, Dozenten usf.) brauchen also auf die Nachfrager überhaupt keine Rücksicht zunehmen. Denn diese haben auf das Angebot ohnedies keinerlei Einfluß. c) Sie brauchen auch auf die Zahler oder, streng genommen, die Eigentümer (die Steuerzahler, die zwangsweise das Ganze finanzieren) keine Rücksicht zu nehmen. Denn diese haben nichts zu sagen - weder in bezug auf das Angebot, noch hinsichtlich der Nachfrage. d) Eine Disziplinierung durch Wettbewerb ist ausgeschlossen. Denn leistungsunfähige Anbieter können ebenso wenig eliminiert werden wie zahlungsunwillige Nachfrager. Die staatlichen Anbieter können nicht in Konkurs gehen, also ist eine Disziplinierung durch Marktmechanismen unmöglich, sind Sanktionen für Fehlentscheidungen und damit auch Verantwortung ausgeschlossen. Die "Nachfrager" können nicht individuell zu Zahlungen herangezogen werden. Gezahlt wird über den Steuerbescheid, anonym und ohne Offenlegung des tatsächlichen Kostenanteils. Das deutsche Hochschulsystem ist also zur Zeit mit einer Reihe von Charakteristiken ausgestattet, die in der sozialistischen Planwirtschaft beheimatet sindeiner Organisationsform, die bekanntlich sämtliche sozialistische Staaten in Mittel- und Osteuropa bankrott gemacht hat (bankrott in jeder Beziehung). Die zentralistische Zwangsbewirtschaftung von Studienplätzen, die für viele Fächer eingeführt wurde, kann marktwirtschaftliche Such- und Entdeckungsprozesse prinzipiell nicht simulieren. Die staatlichen Verwalter des Hochschulsystems haben keinerlei Anreize, die besten Studenten zu den besten Fakultäten oder Institutionen zu bringen. Das Allokationsergebnis entspricht daher dem, was man von sozialistischen Planwirtschaften erwarten darf Eine Erfolgskontrolle findet kaum statt, meist wird sie simuliert, indem die Anbieter selbst gefragt werden, ob sie gut funktionieren. Je stärker das Universitätssystem subventioniert ist, desto verschwenderischer wird man mit den Fähigkeiten und der Zeit der (nicht-zahlenden und daher einflußlosen) Benutzer, der vollsubventionierten Studenten (mit falsch verstandener Nachfragesubventionierung) umgehen. Von den staatlichen Instanzen werden mehr Studenten in das System hineingepreßt, als es betreuen kann, was notwendigerweise zu einer Qualitätssenkung der Ausbildung führt. Die Qualifikationen der Ausbildung, die "Intensität des Humankapita/s", wird verschlechtert. Es wird auch keine Rücksicht darauf genommen, ob die

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Konsumenten (Studenten) eine marktfähige Ausbildung erhalten, d. h. die "Produktivität des Humankapitals" wird ignoriert. Da es, wie in jedem planwirtschaftliehen System, keine Preissignale (oder nur ganz verzerrte, irreführende Signale) gibt, betrachten die Studenten die Wahl ihres Studiums nicht mehr als eine riskante lnvestitionseiitscheidung, eine Investition in ihr eigenes Humankapital. Sie können Studien auf Kosten anderer betreiben, ohne sich um deren künftigen Marktwert zu kümmern. Wenn sie das auf eigene Kosten täten, wäre es eben ihre Sache- ein arbeitsloser Lehrer wäre dann eben ein Spekulant, der die Chancen auf dem Arbeitsmarkt falsch eingeschätzt hat; auf Kosten anderer (der arbeitenden Bevölkerung, einschließlich der Lehrlinge usf.) ist es unmoralisches Trittbrettfahren. Da der künftige Wohlstand einer Nation entscheidend von der Qualität ihres Humankapitals abhängen wird, werden bei erfolgreichen Nationen oder Wirtschaftsregionen (wie bei der EG) Ausbildungsmärkte zu den Wachstumsmärkten gehören. Nationen, die anstelle eines effizient funktionierenden Ausbildungsmarktes ein der Kommandowirtschaft nicht unähnliches System im Ausbildungssektor praktizieren, werden ärmer und unfreier werden als ihre Konkurrenten. Wie lange kann sich eine Nation ein Ausbildungssystem leisten, das es sich leisten darf, wenig zu leisten? 2. Warum eiu System, in dem Ausbildung auf dem sekundären und tertiären Niveau als eiu öffentlich bereitgesteUtes Gut angeboten wird, nicht effiZient arbeiten kann

Sozialisten belieben den Kapitalismus (freie, private Marktwirtschaft) mit einem Sozialismus zu vergleichen, so wie er ihrer (irrigen) Meinung nach sein könnte. Dieser Vergleich ist irreführend. Dagegen ist es interessant, den Sozialismus, so wie er bisher war und wie er auf Grund seiner inhärenten Eigenschaften sein muß, mit dem Kapitalismus zu vergleichen, so wie er wärewenn er sein wohlstandsförderndes Potential voll entfalten könnte (vgl. Seidon 1990). Er kann das nur in einem Privatrechtsstaat, d.h. in einem nichtinterventionistischen Staat, der sich auf die klassischen Staatsaufgaben beschränkt. In den Ländern, die wir kapitalistisch nennen, ist das Schul- und Hochschulsystem weitgehend ein staatliches Angebotsmonopo/. Auch die USA leidet unter einem ausgebauten staatlichen Ausbildungssystem: eine massive Erhöhung der Ausgaben im sekundären Sektor korreliert mit einer fühlbaren Verschlechterung der Qualität des Outputs. Gemessen an der Kaufkraft 1982/84wurdendieAusgaben perSchülervon 1967 (1.704 US-Dollars) bis 1987 (3.501 US-Dollars) um 105% erhöht; die 10 Staaten mit der größten Steigerungsrate bis 1988 erhöhten ihre Ausgabenper Schüler um 123%. Gemessen am Standard der schulischen Leistungstests, ist das Niveau der Schüler indes eher gesunken denn gestiegen, und zwar besonders in den Staaten, die per Schüler am meisten ausgaben (vgl. z. B. Gwartney 1990, S.159-163). In Großbritannien werden 94% der Kinder in staatlichen Schulen erzogen. Die Versuche zu

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privatisieren, Ausbildungsgutscheine einzuführen usf. (vgl. Artbur Seidon und Marjorie Seidons Beiträge in BouillonjRadnitzky 1991), sind bisher nicht weit gediehen. Warum das so ist, versteht, wer bedenkt, daß die Privatisierung den Politikern und Bürokraten im Schul- und Hochschulbereich einen enormen Machtverlust brächte, ebenso der Lehrergewerkschaft, und daß sie die Produzenten, Lehrpersonal und Leiter von Schulen dem eisigen Wind des Wettbewerbs und damit auch dem Risiko des Scheitern aussetzen würde, ihrer sehr bequemen Situation ein Ende bereiten und von ihnen mehr Leistung verlangen würde. Es ist rational, daß sie Privatisierungen verhindern wollen. Warum ein staatlich verwaltetes System nicht sehr leistungsfähig sein kann, soll ein Gedankenexperiment anschaulich machen (Gwartney 1990, S.166). Stellen Sie sich ein sozialistisches Land vor, in dem der Staat RestaurantMahlzeiten als ein öffentliches Gut bereitstellt. (Im idealtypischen Sozialismus sind bekanntlich alle Güter und Dienstleistungen öffentliche Güter.) Wie würde das System funktionieren, das dieses Ziel realisiert, und wie würde es aussehen? In jedem Distrikt werden staatlich betriebene Restaurants eingerichtet. Finanziert werden sie dadurch, daß zwangweise Steuern dafür eingezogen werden. Die Bürger dürfen nur die Restaurants ihres Distrikts benutzen. Allerdings ist es Snobs oder Gourmets erlaubt, auch private Restaurants zu besuchen. Aber in diesem Fall müssen sie zweimal für ihr Essen bezahlen: einmal zwangweise als Steuerzahler (ohne die Freiheit, das Restaurant selbst auzuwählen) und ein zweites Mal als Kunde im Privatrestaurant ihrer Wahl. Die (vermutlich wenigen) Privatrestaurants könnten nur überleben, wenn es ihnen gelänge, Konsumenten von staatlichen Restaurants, in denen sie alles gratis (zum "Nulltarif') bekommen, wegzulocken. (Den Bürgern wird von betrügerischen Politikern dazu noch vorgespiegelt, daß das öffentliche Gut, Restaurant-Essen, sie tatsächlich nichts kostet - obwohl sie selbst es mit ihren Steuergeldern, zwangsweise, finanzieren und über die anteiligen Kosten für sie im Dunkeln gelassen werden.) Wie sieht die Anreizstruktur für die Betreiber des staatlichen Restaurants aus? Die Leitung erhält ihre Finanzen von der Regierung. Wenn sie rational handelt, ist sie mehr daran interessiert, die Politiker zufriedenzustellen als die Konsumenten. Anreize zu sparen gibt es nicht, denn steigende Kosten und sinkende Qualität des Essens demonstrieren für die Politiker (und die Öffentlichkeit) nur die Notwendigkeit, den finanziellen Input in das System zu erhöhen. Da die Konsumenten nicht die Möglichkeit haben, ihren Kostenanteil (was sie anteilig an Steuern für das Essen zwangsweise bezahlen) herauszunehmen (z. B. durch . Gutscheine, um damit in einem anderen, beliebigen Restaurant zu zahlen), haben sie kaum die Möglichkeit, sich gegen Restaurants mit miserablem Service erfolgreich zur Wehr zu setzen. Man versteht, warum ein solches System tendenziell zu höheren Kosten und schlechterem Service führen muß. Niemand würde seine Einführung anstelle des privaten Restaurantbetriebs ~mpfehlen (verblendete Sozialisten und fanatische Egalitaristen ausgenommen). Niemand würde erwarten, daß das staatliche Restaurant-System effizient arbeiten kann.

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Warum erwarten Leute, daß genau diese Art von System im Ausbildungssektor gut funktionieren kann? Oder erwartet das auch kein vernünftiger Mensch?; aber es gibt Leute, die davon profitieren, die Auffassung zu vertreten und zu verbreiten, ein solches System wäre nicht nur funktionstüchtig, sondern "sozial" , "gerecht" usw. 3. Mögliche Szenarios für Post-1992-Europa: Die zwei agonalen Idealtypen

Die Entwicklung im Post-1992-Europa wird die Rahmenbedingungen für sämtliche Subsysteme der Gesellschaft entscheidend beeinflußen. Ein halbes Jahrtausend nach der Entdeckung Amerikas hat Europa zum ersten Mal in der Geschichte die Chance zu einer friedlichen Ordnung mit institutionellen Einrichtungen, die zu einer signifikanten Wohlstandserhöhung in allen Bereichen führen können. Europa steht jedoch an einem Scheideweg. Es hat die Wahl zwischen verschiedenen Szenarios. Sie können auf einem Spektrum plaziert werden, das von zwei Eckpunkten, von zwei Idealtypen begrenzt wird: Kapitalismus und Sozialismus. Kapitalismus oder freie, private Marktwirtschaft fußt auf Privateigentum und individuellen Entscheidungen, Sozialismus - in verschiedenen Formen - auf Plan, Kommando, Kollektiventscheidung und Zwang. Die kapitalistische Entwicklung führt zu einer Konföderation von freien Gesellschaften, Privatrechtsstaaten. Das föderale oder konföderale Machtzentrum hat dabei ein genau limitiertes Mandat und muß genügend Macht besitzen, um die ihm auf Grund dieses Mandats zukommenden Funktionen auch effektiv ausführen zu können. Zu diesen Funktionen gehören vor allem eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik sowie die Bewahrung des institutionellen Rahmens, der die Offenheit der Märkte, den Wettbewerb in allen Bereichen sicherstellt, und d.h., die einzelnen Nationalstaaten daran hindert, durch protektionistische Legislatur die grenzüberschreitende freie, private Marktwirtschaft zu beeinträchtigen. 1 Den Nationalstaaten steht es frei, ihr Steuersystem, ihre Unternehmensgesetzgebung, Arbeitsregelung, Finanzdienste, ihren Kapitalmarkt und Versicherungswesen usw. selbst zu bestimmen. Die Grenzen sind offen für Güter und Dienstleistungen sowie für mobile Ressourcen an Kapital und HumankapitaL Dadurch erhält der evolutorische Wettbewerb in Europas sogenanntem "Binnenmarkt" seine Chance. Die einzelnen Nationalstaaten können nämlich nur dadurch diszipliniert werden, ihr kleptokratischer Appetit kann nur dadurch gezügelt werden, daß sie um international mobile Ressourcen, um Humankapital wie um Sachinvestitionen, miteinander im Wettbewerb stehen. Für Europas Zukunft hängt nahezu alles davon ab, ob das Projekt der europäischen Integration ein Mehr an Wettbewerb bringt durch Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung, ein Mehr an Wettbewerb nicht nur für Privatunternehmen, sondern auch für Gebietskörperschaften und für den öffentlichen Bereich. Bei dieser idealtypischen Entwicklung würden z. B. auch 1 Falls eine europäische Zentralbank oder ein EMF (Europäischer Währungsfond) eingerichtet wird, soll das oberste Ziel ihrer Geldpolitik die Bewahrung eines stabilen Geldwerts sein. (Ein "harter ECU" würde den Marktkräften überlassen sein.)

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die Gebietskörperschaften im Standortwettbewerb stehen um die Investitionen und Arbeitsplätze, um die tüchtigen Fachkräfte und guten Steuerzahler. Steuersysteme würden mit Steuersystemen, Regionen mit Regionen konkurrieren. Je mehr die tatsächliche Entwicklung diese idealtypische Entwicklung approximiert, desto mehr wird sich die persönliche Freiheit sowie der materielle Wohlstand des Durchschnittsbürgers in der neuen europäischen Gemeinschaft erhöhen. Das idealtypische Gegenstück zum Kapitalismus ist die sozialistische "Vision": ein interventionistisches, korporativistisches und zentralistisches Regime in Brüssel. Durch artifizielle ex ante "Harmonisierung" werden von oben Regulierungen für verschiedene Bereiche eingeführt und durchgesetzt. Das Kartelldenken der Politiker, die an einer Harmonisierung von oben interessiert sind, findet seinen Ausdruck unter anderem im Harmonisierungsverlangen im Mehrwertsteuerbereich, im Festlegen europaweiter Mindestnormen, mit deren Hilfe sich viele Restriktionen rechtfertigen lassen und schließlich sogar eine "Festung Europa", die nach außen protektionistische Handelshindernisse errichtet, rechtfertigen läßt. Mit Hilfe der Forderung nach einer sogenannten "sozialen Dimension"- einem typischen Produkt des europäischen Korporativismus- sollen Löhne und Sozialkosten im "Binnenmarkt" durch VorabHarmonisierung nivelliert werden. Da dies in Abweichung von dem Gefälle der Arbeitsproduktivität (die im Zentrum hoch und in den Randgebieten niedrig ist) geschieht, werden Standorte an der Peripherie durch zusätzliche sogenannte "soziale Rechte" künstlich teuerer gemacht, was zu entsprechenden Umverteilungsforderungen Anlaß geben muß. Von den Ökonomen sind die idealtypischen Szenarien im Detail ausgearbeitet worden (Giersch 1990). In einem künstlich - von oben - "harmonisierten" Europa werden Freiheit und materieller Wohlstand des Durchschnittsbürgers zunehmend geringer werden. Die soeben angestellten ordnungspolitischen Überlegungen können Modellvorstellungen für die möglichen Szenarien der künftigen Entwicklung des Universitätssystems abgeben. Deshalb ist die vergleichende Analyse der Konsequenzen verschiedener institutioneller Vorkehrungen auch für eine Beschäftigung mit dem Universitätssystem lehrreich. 4. Es siod dieselben Charakteristika, die eine institutionelle Einrichtung wohlstandsf"onlemd machen, unabhängig davon, ob es sich um materiellen Wohlstand oder um Verbesserung des Humankapitals handelt

Unter "kognitiven Ressourcen" als dem wichtigsten Teil des Humankapitals verstehe ich hier nicht nur Wissen und Können (abstrakte Entitäten), sondern auch die Produzenten von neuem Wissen und Innovationen (d. h. Forscher und Enterpreneure, die neues Wissen in Innovationen umsetzen). Die im ersten Abschnitt genannten ordnungspolitischen Überlegungen sind daher direkt übertragbar auf Institutionen, die der Produktion von neuem Wissen dienen,

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sowie auf Institutionen, die der Ausbildung von Produzenten neuen Wissens und Innovationen dienen. Das Wort ,Kapital', vom lateinischen ,capitalis' herkommend, bezeichnet bekanntlich Kopf oder Intellekt und legt nahe, daß Wohlstand letzten Endes auf Wissen und Ideen beruht. Das ist sehr einleuchtend, wenn man bedenkt, daß unsere Vorfahren in der Steinzeit die gleichen natürlichen Ressourcen, Bodenschätze usf. besaßen wie wir; der entscheidende Unterschied liegt im Wissen, wie man sie nutzen kann, um seine materielle "Lebensqualität" zu verbessern. Die sogenannte Informationsrevolution hat uns bewußt gemacht, daß unser Wohlstand in zunehmendem Maße auf Wissen, mehr auf Software als auf Hardware, beruhen wird. So sind z. B. die Finanzmärkte "vemetzt", mit sekundenschnellen Datenaustausch verbunden, und Ideen können nicht mehr durch nationalstaatliche Grenzen behindert werden. In einer solchen Umwelt wird die Bedeutung derjenigen Institutionen, deren Aufgabe es ist, das Humankapital der Nation zu verbessern, immer größer werden. Ausbildungsmärkte gehören zu den Wachstumsmärkten der kommenden Jahre. Daß eine starke Rückkopplung zwischen Humankapital und wirtschaftlichem Erfolg besteht, ist wohlbekannt. Wenn man Wirtschaftswachstum wünscht, dann muß man rationalerweise auch daran interessiert sein, geeignete Forschungsinstitutionen einzurichten sowie ein Ausbildungssystem, das auf Qualität und nicht auf Quantität setzt. Denn es sind in der Wirtschaft und in der Wissenschaft im Prinzip die gleichen institutionellen Faktoren, die Erfolg fördern können. Die Geschichte zeigt, daß die Wissenschaft dort florierte, wo ihre Organisation dezentralisiert war, ihre Autonomie und ihre Freiheit durch die Verschiedenheit der Quellen an finanzieller Unterstützung begünstigt wurden und wo individuelle Leistung entsprechend belohnt wurde. Das gleiche gilt für die institutionellen Rahmenbedingungen zur Erstellung der auf Wissenschaftbasierenden Technologien. DieserUmstand hat bisher eine unüberwindliche Barriere für die Entwicklung von "high technologies" in totalitären Staaten dargestellt. So war die Sowjetunion für praktisch ihre gesamte militärische Technologie auf technische Spionage angewiesen (vgl. z. B. Mekler 1986). Aus der Literatur über das "European Miracle" und dem "Rise of the West" (vgl. z. B. Rosenberg und Birdzell1986, Weede 1988, 1990) ergibt sich folgende Lehre: Die institutionellen Vorkehrungen, die die Verbesserung des Humankapitals am besten fördern, sind solche, die der freien, privaten Marktordnung am ähnlichsten sind - und d. h. diejenigen, die dem sozialistischen Modell am unähnlichsten sind. Vor allen Dingen müssen die institutionellen Vorkehrungen den Wettbewerb fördern, denn dieser funktioniert nicht nur als Selektionsprozeß, sondern auch als Entdeckungsverfahren. Beides führt oft zu Qualitätsverbesserungen. Die Wissenschaft lebt von der Konkurrenz zwischen Problemlösungsvorschlägen, zwischen Theorien, Fragestellungen, Methoden usf. Dem freien Wettbewerb im Wirtschaftssystem entspricht in der Wissenschaft die unbehinderte Kritik der miteinander im Wettbewerb stehenden Problemlösungsvorschläge. Das intellektuelle Gegenstück zum Wirtschaftsprotektionismus ist die

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Tendenz zu Karteliierung und Schulbildung im akademischen Bereich. In beiden Bereichen wird durch Karteliierung und Protektionismus (im intellektuellen Bereich vor allem durch Immunisierung wissenschaftlicher Theorien gegen Kritik) Wohlstandsproduktion beziehungsweise Produktion von kognitivem Kapital behindert. Selbstverständlich sind die protektionistischen Tendenzen in denjenigen akademischen Disziplinen am gefährlichsten, bei denen Theorienbildung nur indirekt und schwach durch empirische Prüfung kontrolliert wird. S. Die bistorisehen Ursachen der Krise der Universität: Der unlösbare Funktionskonflikt von Bildung, naturwissenschaftlicher Forschung und Berufsausbildung für Massen

Die moderne Universität stellt einen Versuch dar, in ein und derselben institutionellen Einrichtung Funktionen zu erfüllen, die wegen ihrer grundsätzlichen Verschiedenheitjeweils besondere institutionelle Vorkehrungen erfordern. a) Die platonische Rechtfertigung der Beschäftigung mit den Wissenschaften wegen ihres Bildungswertes, wegen ihrer Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung, wurde in der Idee der humboldtschen Universität verkörpert. Ihr entsprach auch die Idee der "liberal education". Der Schwerpunkt lag auf den Geisteswissenschaften. Berufsausbildung war an Fachhochschulen institutionalisiert. b) Im 19. Jahrhundert wird die deutsche Universität primär Träger der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung. Das gab Deutschland unter anderen die führende Rolle in der Elektrotechnik: Resultate der Grundlagenforschung zeigten plötzlich und unerwartet eine überaus folgenreiche technologische Relevanz. Diese Entwicklung resultiert im ersten Funktionskonflikt, in dessen Verlauf die Bildungsfunktion zu verschwinden beginnt. Nietzsche konstatiert das und warnt vor den Folgen - Nihilismus und Barbarei. (Nebenher führt die Ausbreitung des Szientismus, der "Utopie des exakten Lebens", zur Krise der Ratio und letztlich zur Flucht ins Engagement- in den dreißiger Jahren in die Ideologie der NSDAP, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (von unseren Linken oft als "Faschisten" verharmlost) und in den sechziger Jahren in die Marxismus-Renaissance. Zuerst war die Universität also auf die Verbesserung des Humankapitals ausgerichtet und wandte sich an eine kleine Elite der Nation. Auch die naturwissenschaftlichen Forscher stellten eine kleine Elite dar. Noch am Ende des letzten Jahrhunderts hatte z. B. die Universität Basel etwa 300 und die Universität Heidelberg etwa 400 Studenten. Als Institution, die der Bildung dient, war die Universität vor allem mit dem Vermitteln von Wissen, d·as der Persönlichkeitsentwicklung dienen konnte, beschäftigt. Als Zentrum der naturwissenschaftlichen Forschung war sie mit der Produktion von neuem Wissen beschäftigt und nebenher mit Lehrforschung. Ein Symptom für den Verlust der Bildungsfunktion ist die sprachliche Entwicklung: im "spätalthochdeutschen

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Neudeutsch" unserer Postmodemen ist die Distinktion zwischen "Bildung" und "Ausbildung" völlig verwischt worden, so daß es schließlich niemandem mehr auträllt, wenn das gesamte System irreführend als "Bildungssystem" apostrophiert wird (von "Bildungspolitik" usf. geredet wird), wenngleich es ein Ausbildungssystem geworden ist, in dem die Bildungsfunktion völlig verschwunden ist. c) Nach Kriegsende bekommt die Universität zunehmend die Aufgabe, Berufsausbildung for große Massen durchzufohren. Die USA haben übrigens zumindest in Bezug auf ihre Qualitätsuniversitäten die Vermassung nicht mitgemacht. Heute hat Yale etwa 11.000, Johns Hopkins etwa 12.000, Stanford 13.000, und selbst Berkeley, das staatliche Gegenstück zum privaten Stanford, kommt aufnicht mehr als gut 30.000 Studenten (also aufetwa halb so viele wie München). Das resultiert im zweiten Funktionskonflikt: Grundlagenforschung und massenhafte Berufsausbildung können nicht von der gleichen Organisationsform getragen werden. Eine Folge ist Verschulung und Qualitätsverlust sowie die Auswanderung der Grundlagenforschung aus der Universität. Auf Erfüllen einer Bildungsfunktion kann die moderne Universität keinen Anspruch mehr erheben. Das hervorgerufene Vakuum wurde ausgefüllt von politischen Heilslehren.2 Diejenige ist am erfolgreichsten, die am utopischsten ist (Hans Jonas). Helmut Schelsky schreibt: "Man sollte nicht übersehen, daß selbst die pseudoreligiösen politischen Glaubenssysteme der heutigen Welt im Grundsatz immer noch den Willen zur Bildung des Menschen ... vertreten" (Schelsky 1971, S.303). Damit ist der Zirkel geschlossen: Der Verlust der Bildungsfunktion führte in letzter Konsequenz zum Propagieren einer marxistischen Forschungspolitik, die wiederum mit ihrem eingefleischten Mißtrauen gegen Grundlagenforschung (diese diente angeblich nur dem "technischen Erkenntnisinteresse") sowie ihrem naturgemäßen Antagonismus gegenüber einer Bildungsfunktion der Universität (die mit ihrer Heilslehre konkurrieren könnte) die Reste der beiden historisch ersten Funktionen der Universität zu zerstören oder zumindest zu stören versucht. Das geschieht vor allem durch die Politisierung der Universität. Diese wirkt sich besonders nachteilig aus in den Geisteswissenschaften, in den nichtquantifizierten Teilen der Sozialwissenschaften und der Politikwissenschaften, in der Anthropologie und den Erziehungs2 Im deutschen Bereich gab es und gibt es davon besonders viele: z. B. die Idee vom "Neuen Menschen" (bei den Marxisten und - was oft vergessen oder'tabuisiert wird bei den Nationalsozialisten), d. h. der arrogante Verzicht aufvorhandenes Wissen über die konstante Natur des Menschen; die Chimäre von der "alternativen Wissenschaft" (Herbert Marcuse), von "gesamtgesellschaftlichen Problemlösungen", der "klassenlosen Gesellschaft" usf. Viele dieser Ideen werden verbreitet von Meistern und Jüngern der Frankfurter Schule und den selbsternannten Volkspädagogen unter den Schriftstellern. Durch Selbstinszenierung in den staatsmonopolistischen elektronischen Medien verstärken sie den linken Zeitgeist - heute versuchen sie, den Rest ihres kognitiven Kapitals zu retten.

2 Die ungewisse Zukunft der Universität

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Wissenschaften. In diesen Fächern treffen wir oft eine Mischung von Marxismus und kulturellem Relativismus (später popularisiert als "multikulturelle Gesellschaft"). Die Freudentänze, die die Neue Linke in den sechziger Jahren um die Poternkinschen Dörfer des Sozialismus aufführte, sind vorbei. Jedoch gehört, nachdem der Bankrott des Sozialismus ein Gemeinplatz geworden ist, die Universität- neben den staatsmonopolistischen Medien und den Kirchennach wie vor zum bevorzugten Refugium der "progressiven", der "sozial" engagierten Intellektuellen. Es liegt daher nahe zu fragen, wie es zur Zeit mit der Politisierung des Hochschulbereichs aussieht. II. Der gegenwärtige Stand der Politisierung der Universität, beleuchtet anband von Beispielen 1. Warum Ideologen und Politiker ein Interesse daran haben, Forschungspolitik und -betrieb zu beeinflussen

Seit dem Mittelalter spielen Universitäten eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, bestimmten Wissensansprüchen eine Art Qualitätssiegel zu verleihen. Wer das intellektuelle Klima beeinflussen, den Zeitgeist lenken will, wird deshalb bemüht sein, den akademischen Betrieb unter seine Kontrolle zu bringen. Seit Urzeiten werden Wissens- und Glaubensbestände zur Legitimierung politischer Herrschaft und politischer Programme verwendet, wobei ihr tatsächlicher Wahrheitswert eine untergeordnete Rolle spielt. Solche Wissens- und Glaubensbestände stellen eine Art kognitives Kapital dar für diejenige Gruppen, die sie "verwalten". Ihre Träger beziehen- wie Kapitalbesitzer- "Einkünfte" aus diesem kognitiven Kapital (vgl. z. B. Albert 1987, S.169f.). Hierfür liegen die Beispiele auf der Hand: von der Priesterkaste im Inka-Reich über die Nomenklatura, den Parteiphilosophen in der Sowjetunion, bis zu den Ideologen und Spitzen der politischen Parteien im Westen, einschließlich der Hofnarren am Hofe der Kulturrevolution. Es ist rational, daß die Träger und Nutznießer solcher Wissens- und Glaubensbestände ihr kognitives Kapital vor Entwertung schützen. Die Analogie zwischen einem ökonomischen Markt und dem "Markt der Ideen" drängt sich hier geradezu auf. Im wirtschaftlichen Bereich verlangen Interessenverbände protektionistische Maßnahmen ("rent-seeking"), um ihre Einkünfte, die höher sind, als sie es in einem freien Markt wären, gegen den rauhen Wind des Wettbewerbs zu schützen. Produzentenverbände verlangen Schutzzölle und Importtarife; Gewerkschaften verhindern den freien Zutritt zum Arbeitsmarkt usw. Alle diese protektionistischen Maßnahmen schaden dem Verbraucher und der Volkswirtschaft, aber sie nützen den Interessengruppen - auf Kosten anderer. Im intellektuellen Bereich ist das Gegenstück zum Protektionismus das Dogmatisieren bestimmter Wissens- und Glaubensbestände, das Immunisieren gegen Kritik, bis hin zur Tabuisierung von Fragestellungen. In beiden Fällen sollen protektionistische Maßnahmen Wettbewerb verhindern.

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Die Form der protektionistischen Maßnahmen variiert mit den institutionellen Rahmenbedingungen: Verbrennen der Autoren als Ketzer, Bücherverbrennungen, Bücherverbote, Zensur usf. -je nach dem verfügbaren Instrumentarium von der Heiligen Inquisition bis zum KGB (ihrem modernen Gegenstück); im wissenschaftlichen Bereich finden wir die Verbannung bestimmter Theorien und die Verfolgung ihrer Vertreter, was unter dem Sammelnamen "Lyssenkoismus" eine eigene Kategorie geworden ist. In den westlichen Demokratien waren die Methoden immer subtilerer Art, etwa die Sistierung von Forschungsfinanzierung. Wenn es die institutionellen Rahmenbedingungen nicht zulassen, einen mißliebigen Wissenschaftler von Staats wegen zu verfolgen, kann man ihn immerhin diffamieren, ihn als "unmoralisch" hinstellen oder gegebenenfalls als Historisten und "Verharmloser". In westlichen Demokratien ist der Wissenschaftsbetrieb, zumindest theoretisch, gegen politische Einflußnahme institutionell abgesichert. Das ist bereits aus Gründen der Effizienz notwendig, denn der Wettbewerb der Theorien und Verfahren fungiert, wie erwähnt, als Entdeckungs- und Selektionsverfahren. Je loser der Zusammenhang zwischen Theorienbildung und empirischer Prüfung ist, desto schwieriger wird der freie Wettbewerb der Theorien, bereits auf Grund der Bildung von Schulen und der internen "Politik" innerhalb der bereiTenden Fächer. Dazu kommt das Interesse an ihrer Beeinflussung von seiten der Ideologen und der Politiker. Am meisten gefahrdet sind ideologieanfallige Fächer wie gewisse Bereiche der Wirtschaftswissenschaften, die Sozialwissenschaften und die Geschichtswissenschaft. Ich möchte ein paar Beispiele herausgreifen, weil sie schlaglichtartig die Situation beleuchten. 2. Klassische Beispiele von Tabus von Problemen und Theorien in den Naturwissenschaften

Zu diesen Beispielen zählen die Vernichtung der Genetik in der Sowjetunion, die unter dem Eponym "Lyssenkoismus" als Kategoriebezeichnung in die Geschichte eingegangen ist, sowie die weniger folgenreich& Distinktionen der 3 Jürgen Habermas vergleicht "den Wechselbalg einer nationalen Physik, den der Nationalsozialismus ausbrütete, mit dem einer gewiß ernster zu nehmenden sowjetmarxistischen Genetik". W. Büchel weist darauf hin, daß Habermas keinesfalls damit zu sagen wünschte, daß der Lyssenkoismus mehr Existenzen vernichtete und der nationalen Forschung mehr Schaden zufügte als die Chimäre einer "Deutschen Physik" (Büchel1981, S.235 sowie S.224ff.). Die "sowjetmarxistische Genetik" ist, laut Habermas, "gewiß ernster zu nehmen", mit Anerkennung zu würdigen, wegen ihres direkten Praxisbezugs (der dann allerdings zu einer Hungersnot führte - was "Progressive" nicht weiter interessiert). Bertolt Brecht, einer der größten Linksbarden, besang noch 1950 die neue Art der Wissenschaft begeistert in seinem langen Lobgedicht "Die Erziehung der Hirse" zum Lob von Mitschurin, Lyssenko und Stalin als "des Sowjetvolkes großem Ernteleiter". Auch Ernst Bloch blieb ein Bewunderer Lyssenkos. Er schreibt noch 1959 (Prinzip Hoffnung, S. 544): "Sowjetische Darwinisten haben ... den Darwinismus von seinen malthusianischen Fehlern befreit." Man sieht, Apologeten der (nicht der Wahrheit

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30er Jahre zwischen "Deutscher Physik" und "Jüdischer (Einsteinscher) Physik" bei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Das Analogon dazu ist die Attacke gegen die "reaktionäre Einsteinsehe Physik" in der Sowjetunion (vgl. dazu Jaki 1966, S.488). Sie war folgenschwerer für die sowjetische Technik. Pjotr Kapidza (der 13 Jahre in Cavendish Laboratory in England gearbeitet hatte und den einzigen Nobelpreis für Physik (1978) in der UDSSR besaß) konnte dann 1962 in seiner berühmten Rede sagen: "In welche Lage hätten die Physiker ihr Land gebracht, wenn sie nicht den Weg vorbereitet hätten für die praktische Anwendung der Resultate der Kernphysik? - wenn sie "gewissen Philosophen" (hier formuliert Kapidza vorsichtig) gefolgt wären und den Einsteinianismus nicht ernst genommen hätten?" Kapidza sprach aus einer Position der Stärke- da Atomphysiker für die Nuklearbewaffnung unentbehrlich sind, hatten sie im "Friedenslager" der Sowjets eine besonders starke Stellung.4 Geistesgeschichtlich ist es nicht uninteressant festzustellen, daß die Dichotomie zwischen Wissenschaft und einer "neuen" Alternativwissenschaft ihre Wurzeln in Hege} und Marx hat. Sie findet sich nicht nur bei den Nationalsozialisten, sondern auch bei Ernst Bloch, bei Herbert Marcuse und in der Chimäre von "dem Novum der sozialen Naturwissenschaft", wie sie seinerzeit von Vertretern des Staroberger Max-Planck-Instituts propagiert wurde.5 Weniger bekannt, aber um so überraschender dürfte die Tatsache sein, daß Probleme, die mit der Urknall-Theorie zu tun hatten, in der sowjetischen Astronomie bis in die 50er Jahre tabuisiert waren - weil sie mit den sakrosankten Schriften von Marx und Lenin unvereinbar waren (Jaki 1966, S.491 und Radnitzky 1976, S. 37). Ein noch amüsanteres, weil aktuelleres Gegenstück aus den USA ist das Phänomen, daß Wissenschaftler, welche die Theorie verwerfen, daß das Aussterben der Dinosaurier durch einen Meteoreinschlag erklärt werden kann, von "Progressiven" als Militaristen beschuldigt werden - weil sie dadurch angeblich implizit das Risiko eines sogenannten "nuklearen Winters" verneinen oder herunterspielen. Ein weiteres Beispiel der Tabusierung von Problemen im Bereich der Naturwissenschaften sowie in der Forschung und Entwicklung in den USA ist die Einstellung vieler linksideologisch beeinflußten Universitäten zur SDI-Forschung (vgl. dazu den Beitrag von Alvin Weinberg in diesem Band).6 verpflichteten, sondern) "dem Volke dienenden Wissenschaft" gab und gibt es nicht nur bei den Nationalsozialisten. 4 Vgl. Pjotr Kapidza in Ekonomiceskaja Gazeta, Nr.26 (März 1963), S.10 und Radnitzky 1976, S. 35. s Vgl. z. B. die Aufsätze von Andersson, Hübner, Lübbe und Topitsch in Hübner et al. 1976. 6 Für eine Kurzfassung siehe The Intercollegiate Review 22 , 1986, S. 13-18. Das Forschungsprogramm könnte wieder Aufwind bekommen. Kürzlich erklärte der USVizepräsident Dan Quayle, "eine Lehre aus der Golfkrise ist die absolute Notwendigkeit von SDI . . ." (Heritage Today, Sep./Oct. 1990, S.2). Man erwartet, daß im Jahre 2000 ca.

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3. Der "deutsche Historikerstreit" oder der "Kampf um die Interpretationsmacht": Wie man vergleichende Systemforschung tabuisiert

Eine nahezu klassische Studie über die Langzeiteffekte der Politisierung der Hochschulen in der Bundesrepublik ist Günther Lewys Arbeit mit dem bezeichnenden Titel "The persistent heritage of the 1960s in West German higher education" (Minerva 18, 1980, zu deutsch etwa: "Das hartnäckige Erbe der 68er an den westdeutschen höheren Schulen"). Verhältnismäßig wenig Literatur gibt es bisher über die Langzeitwirkung, welche die politisierten Akademiker auf die freie, offene Gesellschaft mit großer Wahrscheinlichkeit ausüben werden. Ich denke dabei vor allem an diejenigen, die, wie Alvin Gouldner es beschreibt, "sich erfolgreich bemüht haben, beamtete Universitätsstellen zu ergattern, als Finanzierungsbasis für die politischen Anstrengungen der sozialistischen (einschließlich linksliberalen) Ideologen, die sich der Transformation der Gesellschaft widmen und an der Universität ihren Hebel ansetzen wollen, um die Großgesellschaft nach links zu bewegen" (Gouldner 1976, S. 57, Übers. GR; vgl. auch Jacka et al. 1975, Schelsky 1982). Anstatt die genannten Autoren zu referieren, will ich über einen Fall berichten, der die Szene schlaglichtartig und anschaulich ausleuchten kann. Was die Bundesrepublik betrifft, so befinden sich die beiden großen Volksparteien traditionell im Wettbewerb um Wählerstimmen, und sie streben nach kultureller "Hegemonie" als einem wichtigem Mittel für Wahlerfolge. Die Sozialdemokratie war in den 60er und 70er Jahren auf diesem Gebiet die erfolgreichere, zumal sie sich auch der Sympathie der öffentlich-rechtlichen Anstalten, der "Kulturschaffenden", vieler Hochschuldozenten und einflußreicher Hamburger Magazine erfreute. In der Parteiführung schien sich aber seit einiger Zeit der Eindruck verbreitet zu haben, daß diese kulturelle "Hegemonie" der Partei entglitten sei und man versuchen müsse, sie zurückzugewinnen. In seinem Buch Kampagne in Deutschland führt der ehemalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, den Verlust der Regierungsmacht durch den Koalitionswechsel von 1982 auf den Verlust der kulturellen "Hegemonie" aufseitender Linken zurück. Die SPD verkündete auf einem "Forum Geschichte" in Oldenburg 1986, daß auf dem Felde der Geschichtswissenschaft ein "Kampf um die Interpretationsmacht" ausgetragen werde. Die Politisierung der Geschichtswissenschaft sollte in Angriff genommen werden, analog den recht erfolgreichen Versuchen, Wirtschaftswissenschaften und Erziehungswissenschaften zu politisieren. Auf dem Gebiet der angewandten Wirtschaftswissenschaften war es bereits recht gut gelungen, mit Hilfe der Rhetorik von der "notwendigen Solidarität" bestimmte kollektivistische Lösungen reiner Wirtschaftsprobleme gegenüber dem Vergleich mit privatwirtschaftliehen Alternativen zu immunisieren. Das ist aber nur ein Aspekt des großangelegten protektionistischen Programms derTabuisierung von Systemvergleichen. Besonders gefährlich erscheint den Verteidigern eines 15 Nationen in der Lage sein werden, Flugkörpergeschosse mit nuklearer, chemischer oder biologischer Bewaffnung herzustellen, und SDI ist die einzige mögliche Schutzmaßnahme.

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"linken" Interpretationsmonopols die neue Forschungsrichtung der "comparative institutional economics". Sie untersucht die Konsequenzen bestimmter institutioneller Rahmenbedingungen, vor allem in bezug auf deren Problemlösungsvermögen. Solche Systemvergleiche haben dazu geführt, daß heute kein seriöser Ökonom mehr glaubt, mit Zentralplanung könnten wirtschaftliche Probleme effizienter gelöst werden als mit einer privatmarktwirtschaftliehen Ordnung. Ein weiterer Aspekt der Systemvergleiche betrifft Lebensbedingungen, Menschenrechtsverletzungen usf. In vergleichenden Studien werden selbstverständlich sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede herausgearbeitet. Am wichtigsten ist dabei der Vergleich zwischen dem freiheitlichen Rechtsstaat und dem totalitären Staat, dessen wichtigste Beispiele der Staat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und der sowjetkommunistische Staat (mit verschiedenen Varianten wie Rumänien, Vietnam, Nordkorea, Kambodscha usf.) sind. Von den verschiedenen Methoden, mit denen die Verteidiger eines "linken" Interpretationsmonopols Systemvergleiche verhindern, war besonders das Mittel der Sprachregelung erfolgreich. Der Ausdruck "Totalitarismus" wurde perhorresziert und der Ausdruck "Nationalsozialismus" durch "Faschismus" ersetzt. Eine Nebenfolge davon ist, daß der nationalsozialistische Unrechtsstaat, indem man ihn mit allen möglichen Regimen wie FrancoSpanien, lateinamerikanischen Militärdiktaturen usf. in einen Topf wirft, verharmlost wird. Denn "faschistisch" ist durch diese Sprachmanipulation zur Leerformel geworden, die nicht viel mehr bedeutet als "nicht-links" oder "antikommunistisch". Die selbsternannten Aufklärer, die Verharmlosung zur Todsünde erklärt haben, werden hier selbst zu Verharmlosem. Diese Versuche der Verhinderung von Systemvergleichen wirken etwas quichottesque, denn gerade auf diesem Gebiet gibt es schon eine große Literatur. Ein Beispiel ist Aryeh Ungers Buch von 1974 The Totalitarian Party: Party and People in Nazi Germany and Soviet Russia, das eine überwältigende Ähnlichkeit der beiden Systeme feststellt. (Da der Verfasser einen Politologielehrstuhl an der Hebrew University in Jerusalem innehat, dürfte es nicht leicht sein, ihn als einen Verharmloser des Nationalsozialismus zu diffamieren.) Durch die Tabuisierung der Systemvergleiche werden die selbsternannten Aufklärer neben Verharmlosem zu Obskurantisten. Selbstverständlich gibt es Unterschiede. Es handelt sich ja um Singularitäten. Der wesentliche Unterschied scheint mir folgender zu sein. Von den laut offiziellen Angaben etwa 11 Millionen im Gulag abgesehen, vernichtete Stalin mittels der durch die Zwangskollektivierung erzeugten Hungersnot nahezu 15 Millionen der Landbevölkerung. Die Kulaken, die wohlhabenden Bauern, machten dabei nur eine Minorität aus (Conquest 1988). Diese Maßnahme war mit Stalins Zielsetzung nicht nur kompatibel, sondern auch zweckrational. Und da seine Priorität die Schaffung totalitärer Macht war, mußte er Bevölkerungsteile, die von einer gewissen Unabhängigkeit vom Staat nicht abzubringen waren, eliminieren. Seine Kosten-Nutzen-Rechnung ging auf. Stalin betrieb den Genozid, um potentielle Hindernisse zu beseitigen. Auch die Ermordung der

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etwa 4000 polnischen Reserveoffiziere bei Katyn war zweckrational. Denn es war Stalins Ziel, das Nachkriegspolen zu beherrschen, doch die nationale Elite hätte diesem Ziel entgegengewirkt. Hitler dagegen zerstörte einen Großteil seines wertvollsten Hurnankapitals. Unter anderem zwang er eine Anzahl der besten Physiker der Welt (die ihm, wenn er sie hofiert hätte, möglicherweise die eine oder andere "Wunderwaffe" produziert hätten) in die Emigration und ermordete Mitbürger, die seinen sozialistischen Volksgemeinschaftsutopien gar nicht feindlich gegenüberstanden. Seine beiden Ziele, die Vernichtung des europäischen Judenturns und die Herrschaft über Europa einschließlich Rußlands waren unvereinbar, seine Zielkombination selbstzerstörerisch. Der bisher spektakulärste Versuch, Systemvergleiche zu verhindern, kommt zum Ausdruck im sogenannten deutschen Historikerstreit (Kosiek 1987, Geiss 1988). Dietrich Aigner hat ihn in der Septemberausgabe 1987 von Criticon treffend als "Stellvertreterkrieg" der großen Volksparteien charakterisiert. Geführt wurde dieser "Stellvertreterkrieg" von zwei Gruppen von Historikern und Soziologen, wobei auf der einen Seite die Hauptprotagonisten die Historiker Ernst Nolte und Andreas Hillgruber waren, und auf der anderen Seite der Soziologe Jürgen Habermas die Hauptfigur darstellte. Wie bereits erwähnt, begab sich die SPD mit ihrer Deklaration auf dem "Forum Geschichte" von 1986 in den "Kampf um die Interpretationsrnacht" und die Wiedereroberung des Interpretationsmonopols in bezug aufneuere undjüngste Geschichte. Ihre Strategie ist, Geschichtswissenschaft durch Moralisieren zu kastrieren. Zu diesem Zweck setzte man zwei bekannte Fehlschlüsse ins System: erstens, von Aussagen über die Motivation der Forscher wird auf den Wahrheitswert der Resultate ihrer Forschung geschlossen; zweitens, die Wirkungsgeschichte wird herangezogen, um die wissenschaftliche Qualität der Resultate bestimmter Forschungsunternehmen zu bewerten. Verwendung findet dabei unter anderem das sogenannte "Hamburger Wahrheitskriteriurn": eine historische Aussage ist wahr genau dann, wenn sie der Entspannung dient. Martin Kriele nannte es so, weil es damals bei Hamburger Gazetten wie "Spiegel", "Zeit" und "Stern" so oft gebraucht wurde. Oder das "Falschheitskriteriurn der Opportunisten": eine historische Aussage ist falsch genau dann, wenn ihr zu erwartender Effekt volkspädagogisch unwillkommen oder wenn sie unpopulär ist. Welche Bedeutung dem "Historikerstreit" im geistigen Klima zukommt, ersieht man aus dem Umstand, daß sogar der höchste Würdenträger des Staates es für passend hielt, sich der Sache anzunehmen. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang seine Stellungnahme auf dem Baroberger Historikertag von 1987 als eine "Einmischung und Schlichtung" (Überschrift der "Zeit"). Die Schlüsselpassage dieser Stellungnahme hält fest: "Wissenschaft und moralisches Empfinden geben dieselbe Antwort auf die Frage nach der Singularität . .. Ausschwitz bleibt singulär ... Diese Wahrheit ist unumstößlich." En passant bemerkt, moralisches Empfinden kann auf eine empirische Frage überhaupt keine Antwort geben. Die Grundbedeutung von "singulär" ist in diesem Zusammenhang irrelevant, denn alle historischen Prozesse sind kontingent.und

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daher eine Singularität. Inwiefern ein bestimmter historischer Vorgang quantitativ oder qualitativ sich von allen ähnlichen Vorgängen dieser Art unterscheidet, ist eine empirische Frage. Man kann sie nur beantworten, indem man vergleichende Untersuchungen anstellt. Der Kernsatz Richard von Weizsäcke:rs läuft aber geradezu auf eine Tabuisierung der vegleichenden Genozidforschung hinaus. Diese Forschung gibt es jedoch schon lange. Was erfahrt man aus dem Studium von Untersuchungen der Geschichte des Genozids? Man erfährt z. B., daß Historiker im angelsächsischen Raum, unbeschwert von einer Tabuisierung der vergleichenden Genozidforschung, bereits vor Jahren darauf hingewiesen haben, daß die Sowjetunion für Hitler das "technische Modell der Rassenvernichtung" abgegeben hat. Der eilige Leser vergleiche z. B. "Rehearsal for the Holocaust?" in Commentary, Juni 1981, oder den britischen Encounter, Dezember 1984, wo George Watson, ein Historiker vom Saint John's College, Cambridge, die gleiche These vertritt. Da diese Untersuchungen einen soliden Eindruck machen, dürfte die "unumstößliche Wahrheit" des Herrn Richard von Weizsäcker, die These von Singularität im Sinne von "ohne Vorbild", mindestens seit 1981 widerlegt sein. Wennjemand sich auf "unumstößliche Wahrheiten" beruft, ist die Prognose für eine rationale Diskussion nicht gut. Die wissenschaftsfremde Dogmatisierung der Singularitätstheorie unterstützt die Anstrengungen der SPD in ihrem erklärten "Kampf um die Interpretationsmacht". Als ein Schlichtungsversuch (gemäß der Überschrift der "Zeit") wäre sie besonders fehl am Platze, denn die Wissenschaft lebt vom Wettbewerb der Theorien, und Erkenntnisfortschritt wird durch das Ausmerzen von weniger leistungsfähigen Problemlösungsvorschlägen erreicht. Nichts ist der Wissenschaft fremder als Tabuisierung. Selbstverständlich folgen aus der empirischen vergleichenden Genozidforschung keinerlei Rückschlüsse auf eine moralische Bewertung. Die sogenannte Frankfurter Schule hat durch ihre Verwischung bis Verneinung der Distinktion zwischen beschreibenden Aussagen und echten, d. h. nichtinstrumentellen Werturteilen soviel Verwirrung gestiftet, daß man auf diese einfache, logische Tatsache nicht oft genug hinweisen kann. Ernst Topitsch (1990, S. 242) schreibt zusammenfassend zum "Historikerstreit": "Doch handelt es sich ... um die bewußte Verschleierung von Fakten und eine Unterdrückung von ~chlüsseltexten, für die es in der Geschichte der Geschichtsschreibung wenigstens in freien Ländern nicht allzu viele Seitenstücke gibt. Ist es da noch übertrieben, von einem Historikerskandal historischen Ausmaßes zu sprechen?" 7 Allem Anschein nach kann es sogar in freiheitlichen Rechtsstaaten mit persönlichem Risiko verbunden sein, sich mit tabuisierten Forschungsproblemen zu beschäftigen. Die Zeitschrift FW-Te/ex. Aus der Arbeit des Bundes der 7 Vgl auch Geiss 1988, S.62ff., S.110 und die detaillierte Dokumentation bei Kosiek 1987, S.144fT.

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Freiheit der Wissenschaft (April / Mai 1987, S. 3) brachte einen Artikel mit dem Titel "Protest des Bundes der Freiheit der Wissenschaft gegen die Sanktionen der DFG im ,Historikerstreit"', in dem eine Presseerklärung des BFW zitiert wird, in der es unter anderem heißt: "Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ihn (den Berliner Historiker Ernst Nolte), sozusagen strafweise, aus einem wichtigen Projekt ausgeschlossen .... Der BFW hält die Sanktionen gegen Ernst Nolte für unvereinbar mit der Freiheit der Wissenschaft ... " Wenn die Tatsachenbehauptung des BFW zutreffend ist, dann zeigt das, wie fragil die Freiheit der Wissenschaft und die akademische Freiheit und sogar die Meinungsfreiheit auch in unserem freiheitlichen Staat sein kann.

Deshalb wäre ein hochaktuelles Thema für Zeitgeschichte die Erforschung der wissentlichen und bis heute fortdauernden Fälschung von Zeitgeschichte und der Tabuisierung von Problemen in Deutschland. Das Thema ist um so interessanter für die systemvergleichende Forschung, weil es zu dieser Art von systematischer Desinformation und Problemtabuisierung weder in den angelsächsischen Ländern noch in Frankreich ein Gegenstück gibt. Es bleibt zu hoffen, daß es mutige, junge Historiker gibt, die frei von Opportunismus und nur der wissenschaftlichen Analyse verpflichtet, diese Untersuchung durchführen werden. Das wäre das "Ende des Historikerstreits", und es würde das Vertrauen in die praktische Wirksamkeit der verfassungsmäßig garantierten Freiheit der Forschung verbessern. 4. Wie man Themen der "Praktischen Pbilosophie" tabuisiert: Durch Sprengung des Seminars, ohne daß die zuständige Behörde ihrer Aufsichtspflicht nachkommt

Ein zweites Beispiel kann beleuchten, daß auch das Ausland mit viel Befremden auf den Zustand der akademischen Freiheit in der Bundesrepublik schaut. (Der "Historikerstreit" fand übrigens viel Beachtung.) Bei ihrer Jahreshauptversammlung am 16.7.1989 brachte die Aristotelian Society of Great Britain offiziell ihre Sorge um die akademische Freiheit in Deutschland zum Ausdruck. Im philosophischen Seminar von Professor Hartmut Kliemt an der Universität Duisburg sollte ein Seminar stattfinden, in dem das Buch des australischen Philosophen Peter Singer, Practical Ethic (1979, deutsch 1984 bei Reclam), analysiert werden sollte. Singers Buch wurde an vielen angelsächsischen Universitäten in Seminaren behandelt. H. L. A. Hart (Oxford), vermutlich der bedeutendste Rechtsphilosoph unsererZeit, schreibt in einer im übrigen sehr kritischen Rezension, Singers Buch sei voller vortrefflich geordneter und detaillierter Information und der Nutzen dieses utilitaristischen Buches' für Studenten könne wohl kaum hoch genug geschätzt werden. (Singer ist übrigens Sohn jüdischer Eltern, die vor den Nationalsozialisten fliehen mußten.) Aber Qualität und Inhalt von Singers Buch stehen hier nicht zur Debatte. Relevant für die Behauptung über den schlechten Zustand der akademischen Freiheit an deutschen Hochschulen ist einzig und allein die Art, wie man diesen Thesen hier in

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Deutschland begegnet- und die Art, wie man mit tabuisierten Themen umgeht. (Sie wird beschrieben in Hegselmann und Kliemt 1989.) Das von Professor Kliemt angebotene Seminar wurde von Beginn an massiv gestört und die gewaltsamen Störungen führten schließlich zur Sprengung des Seminars. Die Affäre rief ein beachtliches Echo in der lokalen und überergionalen Presse hervor. Die erste Sitzung des Seminars verlief normal. "Zum zweiten Seminartermin erschienen aber hundert Leute, aufgeschreckt durch AStA-Infos mit reißefischen Titeln ... " (Hegselmann und Kliemt 1989, S. 39). "Die erste Sitzung im Januar wurde ... mittels Trillerpfeifen und Megaphon gesprengt" (op.cit., S. 40). Diese Methoden erinnern in peinlicher Weise an den NSDStB. Professor Kliemt bemerkt abschließend zu seiner Dokumentation: "Nach meiner Auffassung ist es die Pflicht der Hochschulen und ihrer zuständigen Instanzen, von außen kommende Versuche dogmatischer Einflußnahme auf die Lehre abzuwehren und die Möglichkeiten kritischer Diskussion umfassend zu wahren." Auch im vorliegenden Fall wurde diese Grundbedingung einer freien, offenen Gesellschaft von den zuständigen Instanzen nicht erfüllt. Bezeichnend für das intellektuelle Klima in allen Teilen der Presse ist die Stellungnahme linker Blätter für diejenigen Elemente, die gewaltsame Störung als "Argumentationsmethode" verwendeten. Die o. g. Dokumentation bringt eine Fülle von Pressereaktionen verschiedenster Couleur. Der interessierte Leser möge daraus sich selbst sein Urteil bilden. 5. Ein Beispiel aus Schweden: Der venia legendi Fall die "staatstragende" Partei nimmt die Juristenausbildung ernst

Vereinte Nationen, Europarat und Helsinkikonvention deklarieren, daß es Menschenrechte gibt. Professor Jacob Sundberg, Lehrstuhl für öffentliches und internationales Recht an der Universität Stockholm, vertritt gleichfalls diese Position. Außerdem bekennt er Sympathien für die Naturrechtslehre und kritisiert den Rechtspositivismus, der aus der sogenannten "Uppsala Schule" kommt und seit langem die rechts- und staatsphilosophische Basis der schwedischen Sozialdemokratie bildet. Die Partei hat zur Legitimierung ihrer Position immer wieder auf die rechtspositivistische These zurückgegriffen, daß dem Individuum genau die Rechte zukommen, die ihm der Staat zuteilt, und keine anderen. Professor Sundberg kritisiert das, und er wagt es sogar, Vergleiche anzustellen zwischen der seiner Meinung nach rechtspositivistischen Auffassungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und der marxistischen Rechtstheorie- in Schweden ein tabuisiertes Problem. Er wagt es sogar, Untersuchungen über die Folgen der schwedischen Hochsteuergesellschaft (man denke an solche Fälle wie lngmar Bergmann und Astrid Lindgren mit einer Steuerprogression von über 100%) für Rechtssystem und Rechtssicherheit zu veröffentlichen - gleichfalls ein tabuisiertes Forschungsgebiet. Da Schweden in bezug auf öffentliche Ausgaben mit über 60% des Bruttoinlandprodukts den Rekord in der OECD hält und die Mitglieder der sozialdemokrati-

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sehen Partei, die das Land seit fast einem halben Jahrhundert beherrscht, größtenteils im Staatsdienst arbeiten, wurde sein Einfluß auf Jurastudenten schließlich für die Partei untragbar. Ein "progressiver" Kollege von der Universität Lund, Professor Roos, frug deshalb in einem Artikel, ob man Professor Sundberg "überhaupt noch tolerieren könne." Die Partei beschloß, etwas gegen Sundberg zu unternehmen. An den schwedischen Universitäten sind kürzlich besondere Ausschüsse eingerichtet worden, welche die Gestaltung und Qualität der akademischen Lehre kontrollieren sollen. Ihre offizielle Bezeichnung ist "linjenämnd" - eine Art Aufsichtsräte einer Wissenschaftskolchose. Das für Jurastudien an der Universität Stockholm zuständige Gremium wird von Mitgliedern der Vereinigung Sozialdemokratischer Juristen (socialdemokratiska juristerna) beherrscht. Es unternahm Schritte, um Professor Sundberg die venia legendi zu entziehen, mit der Begründung, seine Lehre sei "konservativ" und es mangele ihr an Wissenschaftlichkeit. Der Versuch löste jedoch ein internationales Echo aus mit einer Flut von Protestschreiben juristischer Kollegen. Eine Notiz in der Londoner Zeitschrift The Economist vom 11. Februar 1989 vermittelte dem Leser, der nicht schwedisch kann, einen ersten Eindruck. Zunächst intervenierten mehr als zwanzig internationale Rechtswissenschaftler, unter ihnen Alan Dershowitz von der Harvard Law School; eine Gruppe von mehr als 50 Studenten von Professor Sundberg protestierte bei den Universitätsbehörden über die Behandlung, die Sundberg widerfuhr, und drückten ihre Dankbarkeit für seine Leistungen als akademischer Lehrer aus. Das "linjenämnd" (wörtliche Übersetzung "Linienamt", möglicherweise eine Abkürzung für "Parteilinienamt") ließ sich dadurch nicht bewegen, die Angelegenheit sachlich zu behandeln. Aber schließlich veranlaßte der ausgelöste Skandal die Universitätsbehörden doch, die Angelegenheit möglichst herunterzuspielen und so zu tun, als ob alles gar nicht so ernst gemeint gewesen wäre. Zunächst scheint die Gefahr abgewandt zu sein -dank der internationalen Reaktion. Auch in diesem Fall zeigt es sich, daß die Wahl von Forschungsproblemen mit erheblichenpersönlichen Risiken verbunden sein kann. Es besteht keinerlei Garantie, daß das "linjenämnd" nicht eine bessere Gelegenheit abwartet, um mehr unbeachtet von der internationalenUmgebungdie Kampagne gegen Professor Sundberg wieder aufzunehmen. Auch an diesem Beispiel sieht man, wie fragil die Freiheit der Forschung und die akademische Freiheit in Staaten sind, die sich rühmen, Musterdemokratien und Musterwohlfahrtsstaaten zu sein und eine akademische Tradition zu besitzen. 6. Aktuelle Beispiele aus dem angelsächsischen Raum

Seit langem wird genetische Forschung, insbesondere Forschung über mögliche genetische Determinanten des Verhaltens und der Gruppendifferenzen von "progressiven" Intellektuellen bekämpft, einschließlich von Biologen und anderen Forschern, die mit dem Sozialismus sympathisieren. Eine Übersicht

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über diese Kampagnen gegen die Genetik und die Versuche, bestimmte Probleme zu tabuisieren gibt The Salisbury Review (Vol. 5, No.2, 1987, S. 37ff. und Vol. 7, No. 2, 1988, S. 62). Musterbeispiele des amerikanischen Gegenstücks zum Lyssenkoismus sind die Kampagnen gegen Jensen, Bernstein, Shockley, Eysenck u. a. (Flew 1973, 1976; Williams 1989). H. Eysenck konstatiert dazu, daß die ideologischen "pressure groups", unterstützt von den Medien, mit ziemlichem Erfolg versucht haben," weitgehend die Interpretation der Resultate zu diktieren, und sogar, welche Art von Resultaten akzeptierbar sind" (Eysenck 1985, S. 58). 8 Jensen beschreibt die verschiedenen Auflagen, welche die Organe, die seine Forschung finanziell förderten, gemacht haben - u. a. die Forderung, daß seine Forschungsresultate nicht "statistische Resultate (vorlegen dürften), aus denen die Richtung oder die Größenordnung von Gruppendifferenzen bezüglich schulischer Fähigkeiten hervorgehen, sondern nur Korrelationen und Faktoranalysen von verschiedenen Testresultaten" (Jensen 1981, S.18).9 William Shockley (1956 Nobelpreisträger für seine Arbeit am Transistor), der für Jensens Probleme mathematische Modelle ausarbeitete, sah seine Forschungszuschüsse von der National Science Foundation (dem Gegenstück zur DFG) gestrichen, weil er nicht garantieren konnte, daß Journalisten oder andere seine Resultate nicht dazu verwenden würden, Empfehlungen für die Schulpolitik auszusprechen (Flew 1973, 1974; Radnitzky 1986, S.113). Diese Beispiele vom Werk der "Progressiven" aus den vermutlich freiheitlichsten Ländern der Welt -aus dem angelsächsischen Raum, der traditionell mehr Freiheit bot als jeder andere - können beliebig vermehrt werden. ill. Die Universität als Subsystem einer Gesellschaft, die zwar auf freier, privater Marktwirtschaft gegründet ist, aber zunehmend korporativistischer geworden ist 1. Ordnungspolitische Überlegungen zur gegenwärtigen Lage

"Politiker" in einem demokratischen System kann definiert werden als jemand, der davon lebt, daß er gewählt oder wiedergewählt wird. Das zu erreichen, stellt also den Kern seines Eigeninteresses als Politiker dar. Selbst die Ausnahmen, die "conviction politicians", müssen sich den Spielregeln unterwerfen, sonst bleiben sie nicht im Amt. In dem vorgegebenen institutionellen Rahmen wird es daher das primäre Ziel des Politikers sein, genügend viele Stimmen zu akkumulieren - ein breiter Konsens ist nicht nur meistens unerreichbar, sondern auch unnötig. Er muß daher diejenigen " politischen Waren" ("political merchandise": Maßnahmen, die bestimmten mächtigen 8 " .•• dictate to !arge extent the interpretation of results, and even the very kind of results which are acceptable." Übersetzung GR. 9 " ••• statistics that rnight reveal the direction or magnitude of the group differences in scholastic abilities, but ... report only correlations and factor analyses among different test scores." Übersetzung G R.

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Interessengruppen Vorteile bringen, "öffentliche Güter", die von mächtigen Gruppen gefordert werden, Subsidien, Transferzahlungen u.s.w.) liefern. Unter diesen Rahmenbedingungen liegt es selbstverständlich nahe, auch die Universitätspolitik, genauso wie die Sozialpolitik- etwas zweckentfremdet- als Mittel zum Stimmenkauf einzusetzen. Die "Ökonomische Analyse der Politik" (oft "Public Choice" genannt) geht keinesfalls von der Annahme aus, daß Politiker böswilliger oder selbstsüchtiger seien als der Durchschnittsbürger. Im Gegenteil, sie geht davon aus, daß Politiker sich im allgemeinen so verhalten, wie sich fast jeder von uns verhalten würde, wenn er innerhalb der befindlichen Handlungsbeschränkungen (constraints) handeln müßte (vgl. z. B. Radnitzky, [Hrsg.] 1990). Es wäre daher sinnlos, Politikern oder Bürokraten persönliche Vorwürfe zu machen. Wendet man den Ökonomischen Ansatz auf die Universitätspolitik, die Sozialpolitik u.s.w. an, dann kann man erklären, warum sich die betreffenden Subsysteme der Gesellschaft in einer ganz bestimmten Weise entwickelt haben, und man kann auch Voraussagen machen. Solchen wissenschaftlichen Analysen liegt die Annahme zugrunde, daß sich die einzelnen Teilnehmer am gesellschaftlichen Zusammenspiel (Individuen, lnteressenverbände, Politiker, Wähler) einigermaßen rational im spieltheoretischen Sinn verhalten. Zu den Handlungseinschränkungen (constraints) gehört auch der kurze Zeithorizont zur nächsten oder übernächsten Wahl ("short-termism"). Dadurch werden die langfristigen Folgen von Maßnahmen für den Politiker verhältnismäßig uninteressant. Außerdem darf er annehmen, daß der Stimmbürger im allgemeinen "rational uninformiert" ist (rationally uninformed). Er könnte sich nämlich den Aufwand an Zeit und Anstrengung gar nicht leisten, der erforderlich wäre, um die Folgen der Maßnahmen, insbesondere von punktuellen Reformen, abzuschätzen.

Das gilt a fortiori für das Universitätssystem. Es handelt sich ja um ein Dienstleistungssystem - im deutschen Sprachbereich öffentlich-rechtlich organisiert - , dessen Output (wissenschaftliche Qualität der F orschungsergebnisse und Qualität der akademischen Ausbildung) nur äußerst schwierig und meistens erst mit längerem zeitlichen Abstand bewertet werden kann. Außerdem liegen diese Bewertungen weit außerhalb der Fähigkeiten und Interessen des durchschnittlichen Wählers. So führt z. B. eine Verschlechterung der akademischen Ausbildung von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren oder eine Verschlechterung der Anreize, die solchen Berufen geboten werden, mittelfristig zur Abwanderung der besten Kräfte und erst langfristig zum Abnehmen der Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten Industrien des betreffenden Landes. Ein Beispiel dafür ist Schweden. Seine sozialdemokratischen Kultuspolitiker haben seit den sechziger Jahren seinem Hochschulsystem (und auch seinen Gymnasien) durch viele Reformen schweren Schaden zugefügt; aber erstjetzt beginnen die Folgen sich im industriellen Bereich zu zeigen. (Der im Abschnitt II. 5 geschilderte Fall der" venia legendi Aff"äre" zeigt, wieweit die Politisierung der Universität durch die sozialdemokratische Partei Schwedens bereits fortgeschritten ist. Ein zentralistisches, gleichgeschaltetes System mit wenig akademi-

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scher Freiheit ist das Resultat. (Das Beispiel Schweden ist deswegen so instruktiv, weil in einem kleinen Land mit einem zentralisierten System die Folgen einzelner Maßnahmen besser überschaubar sind als in größeren und weniger zentralisierten Ländern.) Wenn Kultuspolitiker Maßnahmen treffen, von denen sie wissen müssen, daß sie dem ihnen anvertrauten System Schaden zufügen, kann man daraus alleine keinesfalls schließen, daß sie entweder unrational oderuninformiert handeln. Ihre Kosten-Nutzenanalysehat dann eben ergeben (was durchaus richtig sein kann), daß der dem System zugefügte Schaden (der sich meistens erst mittelfristig allgemein bemerkbar macht) der Preis ist, den man für die Stimmen bestimmter Interessengruppen bezahlen muß, damit die Partei wiedergewählt wird. Bis vor kurzem, meist bis zum Fall des "antifaschistischen Schutzwalls" der DDR, mögen auch viele Politiker mit sozialistischen Sympathien tatsächlich gemeint haben, Effizienz sei am besten durch Zentralplanung zu erreichen.10 In der Bundesrepublik ist das glücklicherweise gemildert durch den Föderalismus, der das Hochschulsystem weitgehend zu einer Ländersache macht. Der umfassende Sozialismus ist zwar seit 1989 völlig diskreditiert, der schleichende oder schrittweise sich vollziehende Sozialismus ist jedoch in allen Parteien - mit verschiedener Ausprägung - deutlich vertreten. Deshalb ist eine Öffnung des Hochschulsystems zu mehr markt-ähnlichen Institutionen in überschaubarer Zukunft nicht zu erwarten. Die große Chance, die jetzt vorliegt, nämlich in der ehemaligen DDR gewisse Einrichtungen, die in der BRD öffentlich-rechtlich organisiert sind, zu privatisieren, wird vermutlich auf Grund des schleichenden Sozialismus in allen Parteien und der linkslastigen Orientierung der staatsmonopolitischen Medien vertan werden.U Es böte sich hier sonst eine einmalige Gelegenheit, nach 10 Das glaubten viele prominente Ökonomen- manche scheinen es auch heute noch zu glauben. J. K. Galbraith (später als Bestseller-Autor und Fernseh-Ökonom berühmt) erklärte im März 1948, daß Erhards Reform unmöglich gelingen könne, denn nur mittels Zentralplanung wäre die deutsche Wirtschaft zu sanieren; vgl. J. K . Galbraith, "The German economy", in: S.Harris (Hg.) Foreign Economic Policy of the United States, Cambridge, MA, 1948, S. 94fT. Der schwedische Sozialdemokrat Gunnar Myrdal (Nobelpreisträger 1974) erklärt "grand scale national planning" als das Mittel, um Entwicklungsländer zu Wirtschaftswachstum zu bringen, und fügt hinzu, "diese Politik wird von den Experten der Industrieländer einstimmig unterstützt." (Vgl. dazu Gunnar Myrdal, 1956, Development and Underdeve/opment, Kairo: National Bank of Egypt.) Trygve Haavelmo (Nobelpreisträger 1989) erklärt: " .. . der Markt ist ein Plan; der Marktmechanismus kann systematisch verwendet werden als ein Werkzeug der Planung" (zitiert aus Mont Pelerin Society News/etter, 3, 1990 (August), S. 5). 11 Nur drastische Maßnahmen könnten in der ehemaligen DDR Abhilfe schaffen. "Die Sektionen für Marxismus-Leninismus wurden zwar aufgelöst. Doch die wenigsten der 790 ML-Professoren verschwanden aus den Universitäten . . . . Leninistische Ideologen an anderen Fakultäten durften sowieso weitermachen - mit anderen Bezeichnungen ("DDR-Hochschulen: SED-Professoren haben alles im Grifr', in: Wirtschaftswoche 44, Nr. 35 vom 24.8.1990, S.35). Fachbereiche für Marxismus/Leninismus werden in "Institute für Soziologie und Sozialwissenschaften" um benannt, "ohne die Lehrinhalte im

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amerikanischem Vorbild einige Privatuniversitäten einzurichten. Diese würden dann dem westlichen Landesteil Liberalisierungsimpulse geben und zu einer wesentlichen Qualitäts- und Effizienzerhöhung des Systems führen. Wünscht man ein effizientes Hochschulsystem, dann liegen - wenn man von Privatuniversitäten einmal absieht- in bezug auf die Hochschulen der ehemaligen DDR die erforderlichen Sofortmaßnahmen auf der Hand: Pensionierung sämtlicher Professoren (selbstverständlich unter Einhaltung aller Verträge), Neuausschreibungen für sämtliche Stellen, an denen sich die ehemaligen Stelleninhaber unter gleichen Bedingungen wie alle anderen Bewerber beteiligen können; für besonders wichtige Lehrstühle international besetzte Berufungskommissionen, deren Gutachten öffentlich sind, wobei den Begutachteten die Möglichkeit offensteht, gegen Gutachten auch begründete Kritik (gleichfalls öffentlich) einzureichen, die dann von einer anderen Berufungskommission zu prüfen ist. (Dieses System der Berufungskommissionen ist kostenaufwendig, dürfte sich aber tnittelfristig bezahlt machen.) Im Hinblick auf die Einstellung der elektronischen Medien und die deutsche Parteienlandschaft darfman voraussagen, daß auch diese Chance vertan werden wird. Vermutlich wird die notwendige "Entsozifizierung" nicht oder nur halbherzig ausgeführt werden und die Chance, das System neu zu gestalten, ungenutzt bleiben. Das ist sehr schade, denn Dezentralisierung, vor allem die Einführung von Wettbewerb zwischen Universitäten um Studenten und Wettbewerb der Studenten um Studienplätze an den besten Universitäten, sowie die Etablierung von ein paar ElitePrivatuniversitäten würden auf den westlichen, korporativistischen Landesteil zurückwirken und dort eine Liberalisierungswelle, ähnlich der von 1948, auslösen. Bei Erklärungen und Prognosen über Reformen im Hochschulsystem spielt die Anwendung des Ökonotnischen Ansatzes auf die Bürokratie eine entscheidende Rolle. Das Eigeninteresse der Bürokratie ist es, ihre Macht möglichst auszubauen. Daher ist es rational, wenn sie sich allen Reformen widersetzt, die das Hochschulsystem in Richtung auf mehr marktähnliche Institutionen verändern würde (vgl. die Analysen von Gordon Thllock, z. B. Tullock 1986). Es ist daher verständlich, daß eine langsame Erosion der Autonotnie der Universitäten zugunsten der Macht der Kultuspolitiker und Kultusbürokratie stattgefunden hat. Sozialdemokratische Parteien sind prädestiniert dazu, so zu verfahren. Die anderen Parteien haben dann aus Opportunitätsgründen nolens volens tnitgezogen, und da sie ohnedies sozialistische Flügel haben, wurde diese Tendenz verstärkt. Ein öffentlich-rechtlicher Dienstleistungsbetrieb kann es sich leisten, wenig zu leisten. Ein staatlicher Betrieb braucht sich dort, wo er ein Angebotsmonopol hat, wesentlichen zu verändern" und die ,,Seilschaften" der Professoren, die ihre Lehrstühle dem SED-Regime verdanken, organisieren zusammen mit linken Studenten Proteste, was verständlich ist ("Intakte ,Seilschaften'", in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 301 vom 29.12.1990, S.tf.).

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nicht um seine Kunden zu kümmern. Das Hochschulsystem ist besonders anfällig,

von Politikern und Bürokraten für ihre eigenen Zwecke mißbraucht zu werden, weil hier die Erfolgskontrolle - die Vergleiche der Qualität des Outputs besonders schwierig ist. Eine offiziöse Erfolgskontrolle ist dann unglaubwürdig, wenn als "Experten" diejenigen herangezogen werden, die für den Betrieb verantwortlich sind. Wenn bei einer Bewertung der im Markt angebotenen Güter die Produzenten als Experten herangezogen würden, dann hielte man dieses Verfahren für absurd. Bei der öffentlichen Debatte um Schul- und Hochschulsystem wird dieses Verfahren aber mit ernster Miene praktiziert. In der politischen Propaganda unterstellen daher Kultuspolitiker und -bürokraten meistens die Annahme, daß eine Erhöhung des Inputs (finanzielle Ressourcen des Hochschulsystems) automatisch zu einer Erhöhung der Qualität des Outputs führt. Diese Annahme ist zwar durch empirische Untersuchungen (ganz besondere für Großbritannien) widerlegt worden, aber Input läßt sich prächtig statistisch erfassen, und die falsche Annahme läßt sich politisch gut verkaufen. Die "68er Revolte" hat dann dazu geführt, die Macht der Kultuspolitiker und Bürokratie noch wesentlich zu erhöhen, auf Kosten der Autonomie der einzelnen Universitäten (vgl. z. B. Scheuch 1990). Die deutsche Universität wurde in vielerlei Hinsicht zu einer weisungsgebundenen, nachgeordneten Behörde staatlicher Verwaltungsinstanzen (Mössbauer 1986, S.297).

Die Zukunft ist offen, aber bestimmte Szenarien erscheinen wahrscheinlicher als andere. Am wahrscheinlichsten erscheint eine "Hochschullandschaft" mit Universitäten von gleichmäßig mediokrer Qualität, also ein ganz anderes Bild als in den USA, wo im Hochschulbereich das Qualitätsgefälle sehr groß ist und das Land seine Spitzenposition in fast allen Bereichen etwa einem Dutzend von Universitäten verdankt, die fast alle Privatuniversitäten sind. Es ist auch anzunehmen, daß die Politiker ein Hochschulsystem, dessen Mitglieder ein gleichmäßiges, gutes Mittelmaß an Qualität bieten, aber keine einzige international herausragende Eliteuniversität, durchaus begrüßen. Es paßt gut zu der weitverbreiteten egalitaristischen Ideologie, die seit Jahrzehnten besonders von den staatsmonopolistischen elektronischen Medien gefördert wird. Auch das ist verständlich, denn in diesen Medien haben viele der ehemaligen "68er" ein sicheres Refugium gefunden, das es ihnen ermöglicht, Lebenserfahrung zu vermeiden und weiterhin verschiedenen Varianten des Sozialismus anzuhängen. Deshalb dürfte diese Geisteshaltung auch alle Veränderungen in den vom Sozialismus geschädigten mittelosteuropäischen Ländern relativ unbeschadet überstehen. Versuche für "mehr Markt" und mehr Wettbewerb zwischen den Universitäten, oder genauer gesagt Wettbewerb im gleichen Fach zwischen verschiedenen Universitäten, zu befürworten, haben verständlicherweise seitens der Kultusbürokratie und der Kultuspolitiker wenig Gegenliebe gefunden. Die Ökonomische Analyse der Politik und der Bürokratie hat keine Mühe zu erklären, warum das so ist. Es wird daher weiterhin das populäre Postulat herrschen: "Alle Universitäten sind gleich gut, und es ist auch gut, daß das so ist."

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Die Vermassung der Universität hat zu einer Überbetonung der Lehre geführt (einer Lehre, die nicht oder nur selten Lehrforschung ist). Besonders naturwissenschaftliche Forschung ist deshalb teilweise aus den Universitäten ausgewandert. Im Hinblick auf die derzeitige politische Konstellation erscheint daher die Prognose naheliegend, daß das künftige Ensemble der gleichmäßig mittelmäßigen deutschen Universitäten der Lehre Priorität geben wird und daß pie Forschung weitgehend in der Max-Planck-Gesellschaft und ähnlichen Institutionen angesiedelt sein wird. Privatuniversitäten, die wie ein Hecht im Karpfenteich wirken könnten, wird es kaum geben, denn eine solche Entwicklung widerspricht den Interessen der Kultuspolitiker und -bürokraten. Als Argument gegen Privatuniversitäten wird gewöhnlich angeftihrt, eine Privatuniversität sei nicht zu finanzieren wegen der indexierten Pensionsansprüche des Lehrkörpers.U Es gibt aber einen naheliegenden Weg, auch im existierenden System diese Schwierigkeit zu umgehen. Man ermutigt Professoren an staatlichenUniversitätensich vorzeitig zu emeritieren und eine Neuanstellung an einer privaten Universität anzunehmen. Diese Gruppe hat ihre Pensionsversorgung bereits gesichert und ist in manchen Fällen noch zehn bis zwanzig Jahre leistungsfahig. Auch der Einwand gegen die hohen Kosten von z. B. physikalischen Labors ist nicht stichhaltig. Es gibt z. B. die von Higatsberger erarbeiteten didaktischen Hilfsmittel. Er hat viele Hunderte von Grundlagenversuchen der Physik in didaktischen Lehrfilmen auf Laser-Vision-Bildplatten gespeichert. Sie werden zusammen mit dem begleitetenden Lehrmaterial bereits weltweit verwendet und würden auch die Ausbildung in den Naturwissenschaften an kleinen Privatuniversitäten enorm verbilligenP 2. Was haben die Reformen der letzten zwei, drei Jahrzehnte gebracht? Einen Scherbenhaufen

Wenn man von den allgemeinen Annahmen ausgeht, daß Politiker und Bürokraten als rationale Nutzenmaximierer ihrem Eigeninteresse folgen, und wenn man außerdem den Verfall des ordnungspolitischen Denkens in Rechnung stellt, welche Reformen sind dann in bestimmten historischen Situationen zu erwarten, und wie kann man die bisher erfolgten großen Reformen erklären? 12 Dieses Argument setzt bereits eine gewisse Politisierung des Währungssystems voraus, denn bei einem von politischen Entscheidungen unabhängigen Währungssystem würde man mehr Vertrauen in die künftige Währungsstabilität haben, wodurch die Probleme der Altersversorgung sehr entschärft würden. 13 Die erste umfassende filmische Enzyklopädie der Physik (Herausgeber: G. Holland, Wissenschaftliche Leitung: M. Higatsberger), Frankfurt: Verlag Blick in die Welt. Das System besteht aus Buch (es beschreibt für jedes der 713 Experimente detailliert den apparativen Aufbau usf. und existiert in verschiedenen Sprachen, einschließlich chinesisch und japanisch), didaktischen Filmen (713 Kurzfilme zu den im Buch beschriebenen Grundversuchen), den Laser-Vision-Bildplatten (mit je 48.600 Bildfeldern) sowie den für die Vorführung erforderlichen Apparaturen. Es ermöglicht eine solide Einführung in die Physik ohne ein aufwendiges Labor.

3 Die ungewisse Zukunft der Universität

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Die Bundesrepublik hat drei "Wenden" durchgemacht. Die Erhardsche Wirtschafts- und Währungsreform von 1948 brachte Deutschland die Erfahrung des erfolgreichsten Kurswechsels der Geschichte. Sie war allein mittels einer Schocktherapie durchführbar. (Diese These wird bestätigt von den Erfahrungen, welche die mittelosteuropäischen sozialismusgeschädigten Länder sowie die Sowjetunion zur Zeit machen und noch machen werden.) Etwa 1966 begann die ordnungspolitische Verwahrlosung, die Wende zu Korporativismus und schleichendem Sozialismus. Das betraf selbstverständlich auch das Ausbildungssystem. In den dreizehn Jahren sozial-liberaler Regierung wurde "der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit der Universität schwerer Schaden zugefügt" (Schiedermaier 1987, S.33). Im Herbst 1982 wurde eine neue "Wende" angesagt. Sie brachte halbherzige Deregulierungen und die Haushaltsdisziplin hat sich noch verschlechtert (Lenel1991). Im Universitätsbereich wurden die Fehlentwicklungen nach der zweiten Wende (der Wende zur Stagflation) nur wenig korrigiert. Das gilt auch für die allein von der CDU regierten Länder (Schiedermaier 1987, S. 35). Die "CDU JCSU vor allem in der Bundesregierung . . . (hat) ihre bildungspolitischen Posten geräumt und dem Koalitionspartner FDP überlassen" (Schiedermaier, op. cit.). (Die Universitäten sind heute nachgeordnete Behörden, in denen es kaumjemanden gibt, der an der Qualität und der Reputation der eigenen Universität ein handfestes Interesse hat.) Lippenbekenntnisse gibt es allerdings viele. a) Die Vermassung der Universität und ihre politisch-rhetorische Begleitmusik

Das intellektuelle Klima der Nachkriegszeit war fast bis ans Ende der 70er Jahre weltweit gekennzeichnet von einer Strömung, die Milton Friedman die "Fabian Tide" nennt (das "sozialdemokratische Zeitalter"). In der politischen Rhetorik waren daher bestimmte Schlagwörter sehr stimmenbeschaffungseffektiv. Sie sind symptomatisch für den Zeitgeist; daher lohnt es sich, sie unter die Lupe zu nehmen. Wie aktuell eine Analyse der in der Diskussion um die Hochschulpolitik verwendeten Rhetorik- Verwendung der Sprache als politisches Kampfmittel -ist, zeigt der 350 Seiten umfassende Schlußbericht der Enquete-Kommission "Zukünftige Bildungspolitik". Diese Bundestagsveröffentlichung ist das Resultat von gut zweieinhalb Jahren Arbeit jener Kommission. Die DezemberDoppelmummer 52 J 53 von Das Parlament (Das Parlament 1990) ist ganz diesem Thema gewidmet. Der Bericht der Enquete-Kommission zeigt ein erstaunliches Maß an Selbstzufriedenheit oder Zweckoptimismus. Besondere "Blüten" treibt dabei die Rhetorik manche Abgeordneten der SPD und GRÜNE. Sie fordern u.a.: "Das Recht auf Bildung soll in einer künftigen deutschen Verfassung verankert werden" (op.cit., S.1), "Chancen zu einer wirklichen Demokratisierung" (op.cit., S. 9) - ohne zu erklären, was damit gemeint ist und wo und wie die demokratische Methode der Kollektiventscheidungen eingesetzt werden soll, "multikulturelle Durchdringung von Forschung

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und Lehre" ( op. cit., S. 9)- wobei offensichtlich vergessen wird, daß Forschung so international ist wie logisches Denken, "soziale Öffnung der Hochschule", "Mitbestimmungsrechte" usf. Kurz, die alten Schlagwörter der 68er Studentenbewegung werden immer noch als Wählerstimmen anziehendes rhetorisches Kapital betrachtet. Allerdings scheint sich doch hier und da eine Art "ordnungspolitisches Gewissen" zu regen. So wird berichtet, die Mehrheitsauffassung der Kommission sei zu der (für sie scheinbar neuen und sensationellen) Einsicht gekommen: "Was in der Wirtschaft funktioniert, kann für das Hochschulwesen nicht falsch sein" (op. cit., S. 8). Aber die Konsequenzen aus dieser Einsicht zu ziehen, dazu fehlt zur Zeit noch der Mut. CDU / CSU und FDP wollen den Hochschulen eine Eingangsprüfung zugestehen (eventuell nach japanischem Muster), was SPD und GRÜNE als Abwertung des Abiturs bezeichen- das allerdings de facto ohnedies wählrend der sozialliberalen Koalition einen gewaltigen Qualitätsverlust ~rlitten hatte (was allein auf Grund der Vermassung unvermeidbar gewesen ist). Aber es fehlt an Mut, das einzugestehen. Die Lektüre des Berichts der Enquete-Kommission zeigt, wie dringend eine sprachliche Bereinigung in der ordnungspolitischen Diskussion des Hochschulwesens geboten ist. Ein besonders beliebtes politisches Kampfmittel in der hochschulpolitischen Diskussion wurde der Ausdruck "Chancengleichheit" (das Tabu der "sozialen Öffnung"). Streng genommen ist der Ausdruck sprachlicher Unfug, eine Stilblüte. Der Satz "Allen Amerikanern steht es offen, Präsident zu werden" ist vereinbar mit dem Satz "Nur sehr wenige Amerikaner haben eine Chance, Präsident zu werden", und die Präskription "Alle Amerikaner sollten die Chance haben, Präsident zu werden" ist absurd, denn sie äußert den unerfüllbaren Wunsch, alle sollten die Eigenschaften eines ernstzunehmenden Präsidentschaftskandidaten besitzen, über entsprechende Geldmittel zur Wahlkampagne verfügen usf. Man könnte meinen, diese irreführende Wortschöpfung sei ein mißglückter Versuch, auf die Forderung nach "fairen", d.h. für alle gleichen "äußeren" Wettbewerbsbedingungen hinzuweisen. Das Modell eines solchen Wettbewerbs könnte ein sportliches Wettrennen sein, bei dem alle zum gleichen Zeitpunkt starten und niemand den anderen behindern darf. Diese Forderung ist selbstverständlich, wenn der Wettbewerb seine Funktion zur Beschaffung von Wissen über die Fähigkeiten der Teilnehmer und als Selektionsinstrument erfüllen soll. Der faire Wettbewerb macht die Unterschiede zwischen den Bewerbern noch deutlicher. Wenn z. B. ein musikalisch begabter und ein unbegabter täglich gleich lange von demselben Klavierpädagogen unterrichtet werden, wird der Abstand zwichen beiden täglich größer werden. Wird hier von Chancengleicheit gesprochen, dann ist es bestenfalls der Versuch, in sehr irreführender Weise den folgenden frommen Wunsch zu äußern: "Allen, die es wollen und die zumindest etwas Begabung mitbringen (aus praktischen Gründen ist dieser Zusatz unerläßlich), sollte die äußere Gelegenheit geboten werden (Unterricht und Prüfung) zu versuchen, ob sie es im Klavierspiel zu etwas bringen können." Aber die zutreffende Interpretation des Ausdrucks ist 3•

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sinister (in beiden Bedeutungen des Wortes "sinister"). So erklärte der damalige SPD-Vorsitzende Dr. h. c. (Moskau) Willy Brandt in einer Rede am 7. 3.1976 u. a.: "Wir (Sozialdemokraten) sind sogar der Auffassung, daß eine Beschränkung auf die Startchancen-Gleichheit bereits verhindert, daß auch nur gleiche Startchancen geschaffen werden können ... Möglichst gleiche Lebenschancen sind also nicht einfach die Folge, sondern sie sind auch eine Voraussetzung gleicherStartchancen" (Hochschulpolitische Informationen 1976, Nr.7, S.10f.). Gleiche Lebenschancen der Kinder besagt aber (da auch Sozialisten zugestehen, daß es genetische Differenzen gibt) nichts anderes, als daß der kulturelle Einfluß des Elternhauses soweit wie möglich eliminiert oder zumindest nivelliert werden soll. Zur Durchführung dieser Nivellierung ist unter anderem die Abschaffung der Marktwirtschaft und eine drastische Einschränkung der bisherigen Freiheitsrechte der Eltern, ihren Kindem ein Heim zu bieten, ja letztlich sogar·die Abschaffung der Familie erforderlich. Allerdings drückt Dr. Willy Brandt diese Forderung noch immer etwas kryptisch aus. Die schwedischen Sozialdemokraten geben sich offenherziger, indem sie den "Familienegoismus" (familjeegoism) verächtlich machen. Anstelle von "fairen", d. h. für alle gleichen und offenen, Wettbewerbsbedingungen soll kompensatorische Ungleichheit der äußeren Bedingungen praktiziert werden. Sie sagen unverblümt, wie ihr Programm für das Schulwesen aussieht. So kann z. B. ein Staatssekretär des Kultusministeriums deklarieren, das erstrebenswerte Vorbild und Ziel des Schulwesens sei "eine gleichmäßig gemähte Grasfläche, denn man wünsche nicht, daß einzelne Blumen daraus hervorragten." Wem das Zitat unglaubwürdig erscheint, möge es z.B. bei Hane (1972, S.81) nachlesen. Ein zweiter beliebter Slogan war und ist (wie aus dem oben zur EnqueteKommission Gesagten hervorgeht) das "Recht auf Bildung". Der Ausdruck ist in zweifacher Hinsicht ein semantischer Unfug. Der politische Gebrauch der Wörter hat den Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung verwischt und "Bildung" entweder zur Leerformel oder als Bezeichnung für Ausbildung gemacht. Aber die Vorstellung, man bekäme durch Ausbildung Bildung, ist Einbildung. Besonders irreführend ist jedoch der Ausdruck ,Recht'. Weder die Natur noch der Rest der Menschheit ist verpflichtet, irgend jemanden zu ernähren oder ihm auch nur die Möglichkeit zu geben, sich zu ernähren. Eine entsprechende Forderung hätte keinen identifizierbaren Adressaten. In bestimmten zivilisierten Gesellschaften besitzt das Individuum Freiheitsrechte (Optionsrechte, "private rights"). Diese implizieren die Verpflichtung (obligation) aller, die durch die Freiheitsrechte geschützten Handlungssphären des Individuums nicht zu verletzen. Das gilt auch und insbesondere für den Staat und seine Bürokratie, wobei nur solche Maßnahmen ausgenommen sind, die zur Erhaltung der gleichen Freiheitsrechte aller anderen Bürger "notwendig" sind (Hayek 1978, S.144). Die Adressaten sind prinzipiell in der Lage, der Forderung nach Nichteinmischung in bestimmte Handlungsbereiche des Individuums nachzukommen. Die sogenannten "Sozialrechte" ("Recht auf periodischen, bezahlten Urlaub" [Artikel 24 der von den Vereinten Nationen proklamierten

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"Wohlfahrtsrechten"], "Recht auf Bildung", "Recht auf Arbeit" oder Recht auf was auch immer) dagegen haben mit Rechten nichts zu tun. Es handelt sich um Forderungen, die entweder an den Steuerzahler oder meistens an einen nicht näher spezifizierten Adressaten gerichtet sind (wie bei den o. g. Wohlfahrtsrechten der Vereinten Nationen, die für alle Menschen gelten sollen), wobei nicht einmal gefragt wird, ob die Adressaten (falls überhaupt angegeben) bereit sind oder auch nur in der Lage wären, diese Forderungen zu erfüllen, und d. h. im Klartext, sie zu bezahlen. Sogar das Prinzip "Sollen impliziert Können" wird hier mißachtet und mit den sogenannten "Wohlfahrtsrechten" wird der Begriff eines Rechtes zerstört. Die politische Rhetorik dient dazu, ein Anspruchsdenken zu wecken, mit dessen Hilfe Politiker hoffen, Stimmen gewinnen zu können, indem sie entsprechende Versprechungen (erfüllbare oder unerfüllbare) geben. Manche Politiker versuchen dann, aus diesen sprachlichen Mißbildungen die Forderung nach einer Entkopplung des Ausbildungssystems vom Arbeitsmarkt abzuleiten. Wie zu erwarten mit katastrophalen Folgen für das Ausbildungssystem, für den Arbeitsmarkt und für die Studierenden. Unter den zu erwartenden Folgen dieser Botkopplung und der damit verbundenen Vermassung der Universität scheinen folgende besonders erwähnenswert: eine inflationäre Entwertung der akademischen Examina sowie eine Inflation der Professorenqualität. Die letztgenannte wurde in Deutschland durch die besonderen historischen Gegebenheiten zusätzlich verschlimmert. Der dramatische Ausbau des Hochschulwesens nach dem Krieg erforderte eine große Menge von Neueinsteilungen von LehrpersonaL Da die Generation, die dafür in Frage kam, durch den Krieg sehr dezimiert worden war, konnten die Stellen oft nur mit Leuten besetzt werden, die unter normalen Wettbewerbsbedingungen nicht in Frage gekommen wären. Verantwortungslose Kultuspolitiker gabenjedoch allen lebenszeitliche Anstellungsverträge ohne Rücksicht auf Qualitätsgefälle und auf die nächste Generation von Wissenschaftlern. Dadurch wurde dieser Arbeitsmarkt für die nachrückende Generation praktisch auf Jahrzehnte blockiert. Eine weitere Folge war die Proletarisierung des Professorenstandes (Schiedermaier 1987, S. 38). Die Zahlen allein sprechen eine deutliche Sprache: 1965 waren es 3.000 bis 3.500, bereits 10 Jahre später hatte sich die Zahl der Professoren verzehnfacht, auf etwa 35.000) Da man bewußt eine Botkopplung von Ausbildungssystem und Arbeitsmarkt propagierte, entstand - auf Kosten des Steuerzahlers -eine Überproduktion an Akademikern mit der Folge, daß diese keine ihren Examina entsprechenden Arbeitsplätze finden konnten. Die von Georg Picht und anderen Ideologen beschworene "Bildungskatastrophe" trat dann tatsächlich ein - allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen (Schnuer 1986). Unbeeindruckt von den Erfahrungen heißt es "Hochschulen sollen stärker als bisher geplant ausgebaut werden." Das erklärt laut Handelsblatt (29. November 1990) der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Möllernano (FDP). Laut Möllernano studieren in den elf alten Ländern derzeit mehr als 1,5 Millionen Studenten (auf850.000 Studienplätzen); der Anteil von Studienanfängern habe sich innerhalb von 20 Jahren erfreulicher-

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weise von 15,4 auf 29,1% erhöht. Im übrigen flössen bereits 10% der in seinem Ministerium für Forschungsvorhaben und Modellversuche vorgesehenen Mittel in frauenbezogene Projekte. Diese Erhöhung erscheint zeitgemäß; im Idealfall sollte wohl die gesamte Nation eine Nation von Akademikern werden- denn was kümmert diese Politiker schon der Arbeitsmarkt? Es entstanden auch Fächer, deren wissenschaftlicher Status fragwürdig ist; manchmal auch neue, bizarre "Fächer" wie z. B. "Frauenforschung" und "Friedensforschung". Meist hatten sie amerikanische Vorbilder wie "Peace Studies", "Women Studies", "World Studies" (Flew 1988, 1989). Bei den Studenten wurden falsche Hoffnungen geweckt, und so wurde eine mit Recht unzufriedene Gruppe von Bürgern geschaffen. Das Überangebot an akademisch ausgebildeten Arbeitskräften mußte zu relativ sinkenden Gehältern führen. Äußerungen des langjährigen Präsidenten der Universität München, N. von Lobkowics, anläßlich der bayrischen Unternehmungstage 1981 in München, und von Rudolf Mössbauer (Physik-Nobelpreisträger) können schlaglichtartig das Ausmaß der Malaise beleuchten. "Eine blödsinnige Universitätsreform" habe Hochschulen hervorgebracht, "die diesen Namen kaum verdienen" (Lobkowics). RudolfMössbauer beklagt vor allem den Qualitätsverlust: die Forschung in der Bundesrepublik habe zunehmend an internationaler Anerkennung eingebüßt. Die dafür notwendigen Spitzenleistungen seien der Bildungsreform zum Opfer gefallen, die laut Mössbauer "eine Nivellierung nach unten" bewirkt hat. Dem Zeitgeist folgend wurde aus ideologischen Gründen anstelle von Begabtenförderung ein Massenbetrieb angestrebt. Das Resultat ist, daß viele Hochschulabsolventen keine ihrer Ausbildung angemessene Beschäftigung finden können. Gleichzeitig mit der Überbewertung theoretischer Ausbildung wurden konsequenterweise die Bedingungen für Hochschulabsolventenauch für solche, die in ihrem Beruf unterkommen konnten - verschlechtert. Anreize werden weiterhin abgebaut, nicht nur für neu berufene Hochschullehrer, sondern für alle. Massenhafte Akademisierung mußte nicht nur eine Niveausenkung, sondern auch eine materielle Nivellierung bringen. So kommt die Studie von F. Franke, Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Dortmund, zum Resultat, daß bei einer Berechnung, die das Einkommen als verzinsbares Kapital berücksichtigt und somit einen objektiven Vergleich erlaubt, der qualifizierte Angestellte - nach Besteuerung - durchschnittlich 115% der langfristigen Bezüge des Akademikers erhält. Die Kosten der Vermassung der Universität tragen aber nicht nur Studenten und Professoren. Die direkten Kosten trägt der Steuerzahler, der über seine tatsächlichen anteiligen Kosten (rational) uninforrniert bleibt. Die langfristigen indirekten Kosten trägt die Volkswirtschaft. Akademiker, die in ihrem Beruf keine Verwendung finden, verdrängen andere in der Arbeitswelt, was zu einer weiteren Gruppe von unzufriedenen Bürgern führt. Die Betonung der Lehre auf Kosten der Forschung verschlechtert die Qualität der Forschung nach dem Slogan "Je forscher die Lehre, desto leerer die Forschung". Die Anreize für Professoren sind sukzessive verschlechtert worden: z. B. durch Nivellierung und

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schließlich Maximierung der Berufungsgewinne; die Abschaffung des Emeritierungsverhältnisses hat die neu Berufenen geschädigt u.s.w. Zu den negativen Konsequenzen der staatlichen Gleichschaltungsmaßnahmen gehören auch die erzwungene Nivellierung aller Fachbereiche, die Entkopplung von Leistung und Besoldung, die immer rigoroser gehandhabte Einebnung von Besoldungsunterschieden, die Erschwerung außeruniversitärer Forschungsengagements durch Nebentätigkeitsverordnungen sowie die zunehmende Behinderung der Forschung durch rechtliche und bürokratische Einengungen usf. (Mössbauer 1986, S. 298 ff. ). Es ist anzunehmen, daß die verantwortlichen beziehungsweise verantwortungslosen Kultuspolitiker sich erhofften, durch Maßnahmen, die an den Neid appellieren, Stimmen der Neider gewinnen zu können. In lukrativen Fächern wie Naturwissenschaften, Ingenieurswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften wandern Spitzenkräfte entweder in die Industrie ab oder sie emigrieren. Ein Beispiel für den brain drain nach den USA in den Wirtschaftswissenschaften gibt die ausgezeichnete Studie von Frey und Pommerebne (1988). Zusammenfassend darf gesagt werden: der finanzielle Input in das Universitätssystem wurde wesentlich erhöht; gleichzeitig hat sich die Qualität des Outputs in jeder Hinsicht verschlechtert; abgesehen vom verschwenderischen Umgang mit Steuergeldem haben die verantwortlichen Politiker dadurch der wichtigsten Quelle des künftigen Wohlstands der Nation, ihrem künftigen Humankapital, schweren Schaden zugefügt (Schiedermaier 1987, S. 33, vgl. auch Abs.l dieses Essays) Auch wenn man sich Detailmomente der organisatorischen Struktur des Hochschulsystems ansieht, wird das Bild nicht rosiger. Für Studenten sind die Anreize systematisch verzerrt worden. So hat man z. B. anstelle eines leistungsorientierten Stipendiensystems in Kombination mit Studiendarlehen (wie sie z. B. das sozialdemokratische Schweden lange praktiziert hat) das Gießkannenprinzip des BAföG-Systems gewählt. Der Marktmechanismus ist damit vollständig außer Kraft gesetzt. An seine Stelle tritt ein Umverteilungssystem zu Gunsten einerneuen "Wohlfahrtsklasse, der Studenten, die in ihren Privilegien nur mit den Söhnen der begüterten Oberschicht des 19. Jahrhunderts vergleichbar sind. Finanziert wird diese Elite vom Steuerzahler" (Drew-Bear 1989, S. 45). Eine besonders gravierende Folge ist, daß junge Leute den Entschluß, ein akademisches Studium zu beginnen, und die Wahl ihrer Fächer nicht mehr als eine riskante Investitionsentscheidung in ihr eigenes Humankapital sehen. Auch hier haben die Politiker die Jugend eher verführt als ihnen eine Hilfe mit auf den Lebensweg gegeben. Besonders selbstzerstörerisch in bezug auf das Humankapital der Nation war die politische Rhetorik der Sozialisten aller Parteien gegen "Elitismus" und damit gegen "Elitenuniversitäten" (die in den USA oder in Japan eine Selbstverständlichkeit sind), gegen ein leistungsorientiertes Stipendiensystem (anstelle von BAFöG), gegen Ausbildungsgutscheine u.s.w. Den Egalitaristen ist jede Elite verdächtig. Sogar gegen die sogenannten Reisenbergprofessuren (von Heinz Maier-Leibnitz initiiert), die begabten Habilitierten (die

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in normalen Zeiten einen Lehrstuhl bekommen hätten) einen fünfjährigen Vertrag als Universitätsprofessor und damit die Möglichkeit bieten, sich durch weitere Forschungsarbeit zu meritieren -wodurch die oben angesprochene Fehlmaßnahme der Politiker bei der Neurekrutierung in der Nachkriegszeit entschärft werden sollte-, wurde von den Linken aller Parteien polemisiert. Kulturpreis-und Suhrkamplinke haben nun einmal eine Aversion gegen Eliten - ausgenommen im Fußball und im Tennis. Spitzenforscher andererseits können gerne nach den USA auswandern, wo sie hoch willkommen sind. Bezeichnend für das korporativistische und dirigistische Klima im bundesdeutschen Hochschulwesen ist, daß das Kartell der Kultusminister die Maximalgehälter der Professoren fixiert. Dadurch werden verschiedene Universitäten daran gehindert, Spitzenleute zu gewinnen oder zu halten. Zum Vergleich: In den USA ist der Unterschied zwischen Durchschnittsgehältern und Spitzengehältern sehr viel größer als in der BRD und das Durchschnittsgehalt relativ niedrig. Am höchsten ist es in den Naturwissenschaften und in der Rechtswissenschaft. Die Besoldung des Professors hängt von seinem Marktwert ab, der wiederum wesentlich von seinen Forschungsleistungen abhängt. Auch das System, erbrachte Leistungen (in den Naturwissenschaften meistens in Form von Artikeln in angesehenen Fachzeitschriften und nicht in Form von Büchern, die ja meistens der Lehre dienen oder nicht mehr ganz aktuelle Resultate zusammenfassen) durch Gehaltserhöhungen zu belohnen, hat sich bewährt. Unsere schweizerischen Nachbarn haben- im Gegensatz zum deutschen Trend zur Nivellierung und zur Botkopplung von Leistung und Besoldung- kürzlich das Gefalle vergrößert: die Mindestbesoldung per annum für ordentliche Professoren um 8,6% gesenkt (auf Sfr.132.949) und das Maximun um 4,6% erhöht (auf Sfr.194.105, zum aktuellen Tageskurs von etwa DM230.000; vgl. NZZ vom 4./ S.November 1990). Ein amüsantes Symptomfor die ega/itaristische Stimmung, die Kultuspolitiker (auch der CDU und FDP) ausnutzen, um für ihre Partei Stimmen zu gewinnen, sind die Kontorsionen bezüglich des Professorentitels. Zuerst wurde der vertraglich vereinbarte Titel "ordentlicher Professor" oder "Ordinarius" durch Dekret abgeschafft (ob das vertragswidrig ist, ist noch ungeklärt). Alle sollten Einheitsprofessoren werden, einschließlich der Lehrkräfte an Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen u.s.w. Auf Grund von Protesten sollten dann aus den Besoldungsgruppen C4 und C3 eine neue Klasse gebildet werden mit der offiziellen Bezeichnung "Universitätsprofessor", damit zumindest die Differenzen zwischen diesen zwei Kategorien wenigstens auf der Titelebene eingeebnet würden. (Dabei ist zu vermerken, daß die Besoldungsgruppe kein Ausdruck für einen Qualitätsunterschied ist, sondern oft den Umstand widerspiegelt, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt im Strukturplan einer Universität eben eine bestimmte Anzahl Stellen der verschiedenen Besoldungsgruppen zur Verfügung standen. In der Regel bedeutet die Umstellung einer C-3-Stelle auf eine C-4Stelle oder umgekehrt eine Auf- oder Abwertung des betreffenden Fachs, die oft zentralistisch-dirigistisch von der Kultusbürokratie gegen die Wünsche der

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betroffenen Universität vorgenommen wird; z. B. Universität Trier 1990). Vielleicht wird die Kreativität der Kultusminister sich in weiteren interessanten Innovationen auf dem Gebiet der akademischen Titelei manifestieren. b) Reformen, die zur Politisierung des Hochschulwesens beigetragen haben

In einem System, das sich im Wirtschaftsleben und im Alltag zunehmend in korporativistischer Richtung bewegt (hier steht die Bundesrepublik allerdings nicht allein, und die Verhältnisse z. B. in Österreich sind noch schlimmer), liegt es nahe, auch das Universitätssystem durch strukturelle Reformen der Politisierung zu öffnen. In den Abschnitten II. 3-5 wurde bereits über drei Fälle von aktuellen Politisierungsphänomenen berichtet. Anfallig für Politisierung sind, wie erwähnt, vor allem Fächer, in denen Theorienformation nur schwach und indirekt durch empirische Prüfung kontrolliert wird. Sozialwissenschaften, Politologie, Pädagogik, Germanistik, und vor allem Philosophie gehören zur leichten Beute. Aus politischen Gründen werden auch manchmal Lehrstühle für merkwürdige Disziplinen wie z. B. "Rhetorik" (oder "Dialektik") eingerichtet. Es gibt auch amüsante Auswüchse, wie z. B. eine im Juli 1990 erfolgte Auschreibung an der FU Berlin, in der Professuren für "Frauenstudien" ausgeschrieben wurden, mit der Auflage, daß nur Bewerberinnen in Frage kommen (Annonce der FU Berlin in Die Zeit, 13. 7.1990). Künftige Historiker der deutschen Universitätsgeschichte werden das bestimmt goutieren. Wenn jemand die Politisierung mancher Bereiche des Wirtschaftslebens mit allen Kartellierungstendenzen als Inspirationsquelle nimmt, dann liegt für ihn das Konzept der Fraktionenuniversität nahe.14 Als Bezeichnung dafür wurde der Ausdruck ,Gruppenuniversität' gewählt. Kern dieses ständestaatliehen "Demokratisierungskonzepts" ist die Idee der sogenannten "Mitbestimmung". Die Mitbestimmung soll die Freiheit ersetzen. Sie wurde meines Wissens im deutschen Wirtschaftsleben von Gewerkschaften kreiert und ist ein Symptom des Korporativismus. Diese Idee gründet auf einem Mißverständnis: Wenn Mitbestimmung verschiedener Kategorien von Beschäftigten für Entscheidungsprozesse innerhalb einer Firma die Effizienz solcher Prozesse erhöhen würde, dann würden sich miteinander im Wettbewerb stehende Firmen darum bemühen, von dieser Methode, die ihnen Vorteile bringt, Gebrauch zu machen. Wenn sie das nicht tun, ist es ein Zeichen, daß niemand sich davon eine EffiZienzerhöhung der Entscheidungstindung erwartet. Wer imitiert schon einen "Flop"? Sie dennoch aufpaternalistische Weise durch Zwang einzuführen, heißt bewußt eine Herabsetzung der Effizienz des betreffenden Unternehmens in Kauf zu nehmen. Der einzige Effekt ist dann, daß die Macht bestimmter Interessengruppen durch diese Maßnahme erhöht wird. Politiker, die diese Maßnahme einführen, kaufen zum Preis des EffiZienzverlustes der betreffenden Unternehmen (der sie wenig schmerzt, denn die Kosten tragen andere) die 14 Es wäre vielleicht vorzuziehen, von Faktionenuniversität zu sprechen. Im Englischen bedeutet ,faction': skrupellose Gruppe, besonders einer politischen Partei.

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Stimmen mächtiger Interessengruppen, hier der Gewerkschaften. Auch die damit verbundene Reduzierung der Freiheit ist ein Preis, den sie für Stimmenzuwachs bereit sind zu bezahlen-zumal es sich um die Freiheit anderer handelt. Das Ganze kann dann mit entsprechender Rhetorik politisch gut verkauft · werden. Die Einführung der verschiedenen Reformen, die Ideen der Gruppenuniversität, der Gesamthochschule, der Fachbereiche (durch sozialistische, christliche und freie Demokraten) zeigen, wie weit die Bundesrepublik sich von Erhard bereits entfernt hat, wie weit das ordnungspolitische Denken bereits verwahrlost ist, und wie weit sie in Richtung Korporativismus abgedriftet ist. Das Konzept der Fraktionenuniversität ("Gruppenuniversität") ist deutlich von sozialistischen Doktrinen im wirtschaftspolitischen Denken inspiriert. Auch bei einer zweiten progressiven Reformidee dürften diese wirtschaftspolitische Doktrinen das Leitmotiv abgegeben haben. Es ist zu vermuten, daß es die Leistungen des sowjetischen Kolchosensystems im Agrarsektor waren, die den Wissenschaftsrat so beeindruckten, daß er im Jahre 1968 den Vorschlag zu drastischen Reformen der organisatorischen Struktur der Universität machte, insbesondere den Vorschlag, eine Art Wissenschaftskolchose unter der Bezeichnung ,Fachbereich' einzuführen. (Der treffende Ausdruck ,Wissenschaftskolchose' stammt von Hans Willgerodt (1988, S. 308). Amerikanische Untersuchungen zeigen, daß bei dieser Art von Ressourcenverwaltung sowohl Management-Performance als auch intellektueller Output sinken (McCormick und Meiners 1988). Sie zeigen auch, daß die Performance schlechter wird, wenn Abstimmungsmethoden Verwendung finden (op.cit., S. 440). Es gibt gute empirische Evidenz für die Hypothese, daß kollektive Beteiligung der Dozenten die allgemeine Qualität der Universität senkt. McConnick und Meiners können auch zeigen, daß Hochschulen, an denen die Dozenten am wenigsten an der Verwaltung beteiligt sind, ceteris paribus, am wenigsten unter der "Mitbestimmung" zu leiden haben. Die empirischen Daten stützen auch die Hypothese, daß eine der deutschen Wissenschaftskolchose ähnlichen Verwaltung stark mit niedriger akademischer Qualität korreliert. Es gibt, wie man erwarten würde, auch eine negative Korrelation zwischen Erfolg in der Forschung und Lehre einerseits und aktiver Teilnahme an der Verwaltung von gepoolten Ressourcen andererseits. Die Untersuchungen bestätigen auch (was bekannt ist), daß besonders in den Naturwissenschaften der Großteil der wichtigen Forschungsresultate von einer sehr kleinen Zahl von Forschern produziert wird. Auch aus diesem Grund sollten Forscherteams ähnlich wie Privatfirmen organisiert sein. Nur so können Informations- und Motivationsprobleme adäquat gelöst werden. Bei der Etablierung der "Fachbereiche" (Wissenschaftskolchosen) ging es um die Auflösung von Lehrstühlen, die angeblich nicht funktionsfähig waren während de facto Ordinarien oft als eine Art effiziente Entrepreneure fungierten -, und die Zerschlagung von Fakultäten, die angeblich nicht unmittelbar mit

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Forschung befaßt waren. Man schlug vor, diese mit kleineren, in sich zentralisierten Einheiten zu ersetzen, die nach dem Muster der Kolchose gepoolte Ressourcen verwalten. Diese abwegige Idee führte, wie zu erwarten war, zur Verundeutlichung der Verantwortung und zur Verschärfung der Verteilungskämpfe, die nun zum Objekt von Koalitionspolitik innerhalb dieser Art von Wissenschaftskolchose wurden. Ebenso abwegig war die Schaffung von "Gesamthochschulen, die sich nach Patina sehnen und deshalb gern Universitäten nennen" (Willgerodt 1988, S. 313). Dererwähnte Essay von Hans Willgerodt bietet einen hervorragenden "Überblick über den Scherbenhaufen von zwei Jahrzehnten Hochschulpolitik" (wie es aufS. 312 des Essays heißt). Man kann dazu nur sagen: le mot just. Ein weiteres Phänomen, das zeigt, wie wenig Respekt unsere Politiker und unsere Kultusbürokratie für Freiheitsrechte besitzen- für die angelsächsische Tradition der "private rights" -, ist die zwangsverfaßte Studentenschaft, das "Zwangskirchenmodell der Studentenschaft" (Willgerodt 1988, S. 313). In Deutschland wurde die Studentenschaft erstmals 1933 verfaßt durch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Es war das erste Subsystem der Gesellschaft, das die neue Partei eroberte - als Angelpunkt, um dann andere Subsysteme auszuhebeln. Diese Eroberung war für die NSDAP von großem Wert, denn das Universitätssystem nimmt indirekt in der Beeinflußung der Bevölkerung eine wichtige Rolle ein. Die sogenannten Meinungsmacher und Zeitgeistvertärker rekrutieren sich oft aus Akademikern, und das gleiche gilt von vielen Entscheidungsträgern in verschiedenen Institutionen. Die Idee, die Studentenschaft zum ersten Mal durch Zwang in eine Vereinigung zu pressen, war für ein totalitäres System, dem Zwang immanent ist, außerdem selbstverständlich. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) terrorisierte bald das gesamte Hochschulsystem. Obwohl man nach dem Kriege Institutionen, die von der NSDAP eingerichtet worden waren, abschaffte, hat man kurioserweise die Institution einer zwangsverfaßten Studentenschaft beibehalten. Dieses zwangsverfaßte Gebilde, genannt "AStA", hat sogar eine Stellung bekommen, die derjenigen der Gewerkschaften in England vor der "Thatcher Revolution" gleicht: es steht teilweise über dem Gesetz. Die Wahlbeteiligung zu Gremien des AStA liegt oft zwischen 20 und 30% (z. B. an der Universität Trier 1986 zwischen 11 und 23%, je nach Fachbereich), was die gewählten Vertreter, hinter denen dann etwa 6 bis 16% der Studentenschaft stehen, nicht hindert, sich dennoch als demokratisch legitimierte Repräsentanten der gesamten Studentenschaft aufzuspielen. Auf Grund dieses Umstandes stellt der AStA in seiner derzeitigen Form einen Hohn auf die demokratische Methode dar. Bei einem Zwangsverband wie demAStAwerden die bekannten Probleme des Verbandsverhaltens potenziert: erstens, das Verhalten wird vom Almendeproblem beherrscht; zweitens, das Problem des kollektiven "moral hazard" dominiert. Durch die Einrichtung des Zwangsverbandes hat der Gesetzgeber selbst in den staatsfreien Prozeß der Meinungs- und Vereinigungsbildung

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eingegriffen. Er hat dabei auch das Recht der freien Vereinsbildung (right of free association) verletzt, denn dieses Recht impliziert logisch auch das Recht, nicht beizutreten und gegebenenfalls auszutreten. Er hat dazu noch eine Interessenrepräsentation vorgetäuscht, die es auf Gru.nd der impliziten Verweigerung der überwältigenden Majorität der Studenten gar nicht gibt. (Laut FAZ vom 10.3.1987 wurden in "Baden-Württemberg und in Bayern . . . die Asten abgeschafft." Zu einer grundlegenden Reform scheint jedoch der Mut zu fehlen, wie das Blatt bemerkt.) Es war daher zu erwarten, daß illegale Handlungen häufig vorkommen würden, daß z. B. Zwangsbeiträge für politische Zwecke mißbraucht würden, die nur einer winzigen Minorität der Studenten genehm sind und die dem offiziellen Auftrag des Zwangsverbands widersprechen. Das interessante und beunruhigende Phänomen istjedoch nicht das Verhalten gewisser AStA-Funktionäre, sondern das Verhalten von Hochschulpräsidenten, Kultusbürokraten und Kultursenatoren - die gemäß ihres Auftrags dafür sorgen sollten, daß die Hochschulen mit ihren Organen der politischen Verantwortung gegenüber der Verfassung gerecht werden - und in manchen Fällen das Verhalten der Gerichte. Hans Willgerodt bemerkt in bezugauf die äußerliche Disziplin einer Universität treffend: "Werden sie (die allgemeinen Gesetze) nicht angewandt, sondern nach dem neuerdings allzu sehr bemühten Prinzip der Verhältnismäßigkeit relativiert, dann wird die Universität zum rechtsfreien Raum. Die unwirksame Rechtsaufsicht über die Mittelverwendung der Studentenschaft hat dies häufig gezeigt" (Willgerodt 1988, S. 300). Wie zutreffend Willgerodts Warnung ist, wird deutlich an den verschiedenen Fällen von Rechtsverweigerung und Rechtsbeugung im Zusammenhang mit gegen den AStAangestrengten Gerichtsverfahren. 15 Auch die Tagespresse hält die Öffentlichkeit über manche Fälle informiert. So bringt die FAZ vom 18.1.1989 (Nr.15), S. 6 einen Artikel mit dem Titel "Der Staat verweigert den Rechtsschutz" I "Über permanente Rechtsschutzverweigerung in der Universität"; sie weist auch auf die Folgen hin, wenn der Staat die Ausübung von Gewalt anderen überläßt (vgl. z. B. FAZ vom 2.4.1988). Das Verhalten der Richter ist nur erklärbar mit der Hypothese, daß es sich hier um Fälle handelt, in denen "der lange Marsch durch die Institutionen" gelungen ist, d. h. um Fälle, in denen erreichte Positionen benutzt werden, um gegen den ungeliebten freiheitlichen Rechtsstaat und seine Werte zu kämpfen. Beschämend ist auch das Verhalten der verantwortlichen Universitätspräsidenten und Kultusbürokraten, die ihre Pflicht in eklatanter und demonstrativer Weise verletzen. So heißt es in Nr. 644 der Veröffentlichungen der Notgemein15 Ein typischer Fall von Rechtsverweigerung wird beschrieben in Freiheit der Wissenschaft (Januar /Februar 1987, S. 14). Es handelt sich dabei keinesfalls um einen Einzelfall. Die Notgemeinschaft für eine Freie Universität (Berlin) bietet eine reiche Dokumentation über einschlägige Fälle - z.B. Nr.644 der Veröffentlichungen der Notgemeinschaftfor eine Freie Universität vom Januar 1987, vom Februar 1989, S.90fT. mit Beispielen für das Versagen von Verwaltungsgerichten, Freiheit der Wissenschaft vom März 1989, S.4 usf.

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schaft für eine Freie Universität, S. 22: "Beschwerden der Professoren und lernwilliger Studenten werden mit der Begründung zurückgewiesen, ein Einschreiten gegen die organisierten Straftaten würde zu weiterer Eskalation führen. "16 Besonders im Hinblick auf die deutsche Geschichte sind diese Vorfalle bedrückend. Denn auch in den dreißiger Jahren waren es die Feigheit und der Opportunismus der Verantwortlichen, die ihre Pflicht versäumten, dem Terror einer damals noch kleinen Minderheit entschlossen entgegen zu treten, die zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen haben. Die Mentalität der Verantwortlichen, die sich in den erwähnten Fällen manifestiert, scheint die gleiche zu sein wie die derjenigen, auf die sie heute herabsehen.

Der freien Presse kommt hier eine außerordentlich wichtige Aufgabe zu. Wenn es nämlich gelänge, genügend viele Bürger darüber zu informieren, daß an den Universitäten (die sie finanzieren) ein stiller Kulturkampf gegen die moderne Industriegesellschaft, gegen die Werte der freiheitlichen Gesellschaft stattfindet, dann würde das höchtswahrscheinlich einen Stimmungswechsel hervorrufen. Und wenn größere Wählergruppen sich für die Sache interessierten, sähen sich auch opportunistische Politiker und Behördenvertreter veranlaßt, ihren Aufsichtspflichten nachzukommen. Außerdem könnte es den Weg ebnen für die Errichtung von außeruniversitären think-tanks, die dem freiheitlichen Rechtsstaat verpflichtet sind. Solche think-tanks haben in den USA und im Vereinigten Königreich eine sehr wirkungsvolle Aufklärungsarbeit geleistet, indem sie sich an spezielle Eliten, Politiker ausgenommen, gewandt haben. (Ein think-tank, der sich an Politiker wenden würde, würde seine Zeit verschwenden. Denn diese agieren rational gemäß den Spielregeln des existierenden Systems, und sie wissen meist sehr gut, was sie tun.) Die soeben angesprochene Aufgabe kann zur Zeit nur von der freien Presse erfüllt werden. Denn an den Schaltstellen der staatsmonopolistischen elektronischen Medien sitzen viele, die auch den "langen Marsch durch die Institutionen" erfolgreich gegangen sind und die stille Kulturrevolution von dort aus weiterführen. Das ist eine der langfristigen Folgen der 68er Studentenbewegung. (Weiter unten wird dieses Thema nochmals angesprochen.) In den letzten sechzig Jahren hat es im deutschen Bereich zwei Angriffe auf die Institution der Universität gegeben - beide von sozialistischer Seite. Michael Zöller zeigt, daß in den dreißiger Jahren "die sogenannte Hochschulerneuerung geradezu mit der Überwindung des Prinzips der Wertfreiheit gleichgesetzt wurde" (Zöller 1976, S. 63). Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund proklamierte 1934 die "Hochschulrevolution". Sie nahm dann eine 16 Keine andere Sektion des Bundes Freiheit der Wissenschaft hat so viele Dokumentationen vorgelegt wie die Notgemeinschaft/Ur eine Freie Universität; etwa 680 Titel bis Ende 1990. Der Bund Freiheit der Wissenschaft, der 1990 sein 20jähriges Bestehen feierte, hat als eine Art think-tank fungiert, spezialisiert auf die Probleme des Hochschulwesens. Ohne seine Tätigkeit (der am Anfang große Zeitungen und Verlage mit offener Ablehnung begegneten) wäre die gegenwärtige Lage sicherlich sehr viel schlechter, als sie es ist.

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Schlüsselstellung bei der ideologischen Durchdringung des Landes durch die Massenmedien ein. In der Proklamation heißt es unter anderem, die "objektive", und damit unpolitische Wissenschaft sei ohne "Volksnähe". "Diese Wissenschaft sei zu vernichten." Die deutschen Universitäten hätten "alles zu erforschen, was für das deutsche Volkstum förderlich" sei, seien aber ,frei von den Einflüßen des Privatkapitals" zu halten (zitiert aus Zöller 1976, S.134f.). Es entbehrt nicht der Pikanterie, daß diese Forderungen des NSDStB mit Forderungen kongruent bis identisch sind, die von den "Progressiven", den fortschrittlichen Kräften unserer Tage gestellt werden- vor allem die arrogante Animosität gegen "Einflüße des Privatkapitals". So heißt es z. B. in der Presseerklärung des Gründungsrektors der "Universität" Bremen vom 9.10.1970, die Universität werde sich "am Wohl des Volkes" orientieren, eine kritische Universität müsse "Partei ergreifen". Wiederum ist das Ziel des Angriffs die wertfreie Wissenschaft. Daß man das nicht als Extremfall abtun kann, läßt sich bereits der Tatsache entnehmen, daß ein Bundeswissenschaftsminister, Dr. Jürgen Schmude (SPD), Bestrebungen unterstützte, die unter dem Stichwort der "Gesellschaftsbezogenheit" die Lehre in den Dienst gesellschaftlicher Interessenverbände stellen wollten (z. B. gemäß den Forderungen der IG Chemie, Papier, Keramik). Der Bundeswissenschaftsminister schlägt 1981 sogar vor, daß bei der Gestaltung der Lehre Arbeitnehmervertreter beteiligt werden (Hochschulpolitische Informationen, Nr. 6 vom 27. 3.1981, S. 5). Das Idealbild des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes war eine Universität, die "frei von den Einflüßen des Privatkapitals" ist. Unsere Kulturpreis- und Suhrkamplinken forderten, man müsse die Universität von den Einflüßen der Industrie (von der unser Wohlstand abhängt) freihalten, sie vor Einflußnahme durch Drittmittelprojekte schützen. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund forderte eine Universität, die den Interessen der "Arbeitnehmer" dient. Unsere Kulturlinken wollen die Universität den Einflüßen der Arbeitnehmerinteressenverbände zugänglich machen. Beide Modellvorstellungen für die Universität orientieren sich am Kampf gegen die Werte des Westens, insbesondere dem Prinzip des klassischen Liberalismus vom Primat der Freiheit. Um ein erkenntnistheoretisches Fundament für den eigenen Dogmatismus zumindest .vorzutäuschen, wird der Begriff der wertfreien Wissenschaft und damit auch der Begriff der Wahrheit angegriffen. So versucht z. B. die Frankfurter Schule den Wahrheitsbegriff (den Begriff der zutreffenden Darstellung) durch einen Konsensbegriff zu ersetzen (vgl. z. B. Gabrietet al. 1982, Radnitzky 1979 und 1981). Welche Rolle spielt die 68er Studentenbewegung in diesem Zusammenhang? Erwin Scheuchs These, "die Art des Umbaus (der Universität) ist nachhaltig geprägt worden durch Forderungen der 68er" (Scheuch 1990, S. 8) ist überzeugend. Scheuchs Analyse der Ideen der 68er Revolte zeigt, daß es sich um ein Wiederaufgreifen der konservativen Kulturkritik in der Tradition des Deutschen Idealismus handelt, verbrämt mit der Anmaßung von moralischer Autorität. "Zur Frankfurter Schule wurde diese idealistische Kulturkritik dann

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mit der Verwendung von marxistischen Vokabeln" (Scheuch 1990, S. 7). Die Forderung nach direkter Demokratie war ein Angriff auf die moderne parlamentarische Demokratie und auf die moderne, anonyme Großgesellschaft. Sie war naiv, denn ein nationaler Wirtschaftsplan, der viele Millionen von Entscheidungen koordinieren soll, könnte niemals mit Hilfe der demokratischen Methode der Kollektiventscheidung gefunden werden. Das ist schon deswegen unmöglich, weil ein solcher Plan (geschweige denn die alternativen Optionen) dem Großteil der Bevölkerung unverständlich bleiben muß. (Sie bleibt deshalb auch rational uninformiert.) Daß das so ist, gehört zum Alltagswissen. Wenn evangelische Bischöfe und GRÜNE so tun, als wüßten sie das nicht, kann man ihnen eine Anmaßung des Unwissens vorwerfen. Die Forderungen der 68er trafen auf ein geistiges Klima des zunehmenden Korporativismus in der Bundesrepublik. Sie waren vielen Politikern und Kulturbürokraten eine willkommene Gelegenheit, ihre korporativistischen Ideen in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Das war von ihrem Standpunkt aus höchst rational, denn es stärkte ihre Macht gegenüber den Universitäten, Ordinarien usf. Sie nahmen das Konzept der "Gruppenuniversität" begierig auf. "Der wirkliche Grund dieses absurden Prinzips blieb weitgehend unbekannt", schreibt Scheuch (Scheuch 1990, S. 8). Ich vermute, wie bereits erwähnt, daß man versuchte, die Idee der "Mitbestimmung" im Industriesektor zu imitieren, selbstverständlich inspiriert von egalitaristischen Idealen. Jedenfalls geschah, wie Scheuch es meisterhaft ausdrückt: ..Mit sozialistischem Vokabular wurde die Hochschule als Ständestaat organisiert." Die Vermassung hätte auch ohne die 68er Revolte stattgefunden, aber die Art des Ausbaus wäre dann vermutlich anders verlaufen - in rationaleren Bahnen. Die Auswirkungen der 68er auf das höhere Schulwesen waren besonders zerstörerisch. Allerdings hätte die Vermassung des Gymnasiums ohnedies eine drastische Niveausenkung mit sich gebracht. In den 50er Jahren erlangten knapp 2% eines Altersjahrgangs die Hochschulreife; 1990 erreichte der Anteil der Studienaufanger eines Jahrgangs 29%. Das geht nur mittels einer Nivellierung nach unten - und einer staatlichen Vernachlässigung der Berufsschulen. Diese Nivellierung nach unten hat sich auf der Ebene der Universität massiv ausgewirkt. Der Grundtenor der 68er ist jedoch die Kulturrevolution, der Kampf gegen die freie Gesellschaft, ein moralisierendes Plädoyer für die Geborgenheit in der Unfreiheit der korporativistischen Tradition. Moralisieren von Sachfragen, politisieren von Wissenschaft erlauben es Ignoranten und Fachfremden mitzureden. Das trägt dazu bei, daß die wichtigste Langzeitwirkung der 68er ihr Einfluß auf die .,Kulturberufe" ist. Besonders die staatsmonopolistischen elektronischen Medien werden von der missionarischen Grundhaltung der Bewegung noch immer dominiert. Auch bei manchen Richtern macht sich der Einfluß der 68er Bewegung, wie bereits erwähnt, bemerkbar. Doch zurück zur Geschichte der beiden sozialistischen Angriffe auf die Universität und den freiheitlichen Rechtsstaat, den Privatrechtsstaat. Es gibt zwischen ihnen auch einen wesentlichen Unterschied. Die nationalsozialistische

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Hochschulrevolution wollte die Politik zur Herrin der Wissenschaft machenwas zerstörerisch ist. Die Sozialisten der sechziger Jahre wollten, umgekehrt, die Politik abschaffen zugunsten einer "kritisch engagierten Wissenschaft"- was unsinnig, weil unmöglich, ist. Von dieser Phantasmagorie schwärmte schon Herbert Marcuse. Niemals wurde auch nur angedeutet, wie eine solche "kritisch engagierte Wissenschaft" aussehen könnte, obwohl von Ausläufern bzw. Auswüchsen der Frankfurter Schule Ausdrücke wie "soziale Naturwissenschaft" verwendet wurden. In der Folgezeit wurden an manchen Universitäten in geisteswissenschaftlichen Fächern wissenschaftliche Studien durch ideologische Propaganda gegen den Kapitalismus ersetzt. Gesinnungsfreunde in den staatsmonopolistischen elektronischen Medien verliehen und verleihen dieser Gegenwelt noch immer eine scheinbare Autorität und ihren Vertretern Gelegenheit zur Selbstinszenierung. Eine Übersicht über das Resultat der Politisierung der Universität gibt z. B. der Bericht der German University Commission des International Council on the Future of the University. Dort heißt es treffend: "Der Zerfall der Universität wird in nicht so ferner Zukunft den Zerfall der Kultur bedeuten" (S.18 der deutschen Auflage Bericht über deutsche Universitäten, Klett Cotta Verlag 1978). Selbstverständlich hat die sozialistische Infektion verschiedene Universitäten in verschiedenem Grad affiziert. Am Anfang der neunziger Jahre erscheint die gesamte Situation in einem etwas günstigeren Licht. Noch 1975 betonte Henry Regnery zurecht, daß die Infektion mit sozialistischen Ideen in den Colleges und Universitäten begonnen hat (Regnery 1975)_17 Auch für Amerika gilt, daß die Universitäten mit wenigen Ausnahmen noch immer das letzte Refugium sozialistischer Ideen darstellen (Kramer 1990, Lewy 1990). Da seit Ende 1989 selbst "progressive" Elemente den Bankrott des umfassenden Sozialismus auch in der Praxis zugestehen, handelt es sich um einen flexiblen Rückzug, in dem schleichender Sozialismus unter verschiedenen Etiketten propagiert wird: z. B. als "sozialistische Marktwirtschaft", "regulierte Marktwirtschaft", "soziale Marktwirtschaft" (wobei das Prinzip der Subsidiarität durch das der "sozialen Gerechtigkeit" überlagert wird), "demokratischer Sozialismus" oder "Sozialdemokratie". Dank der Erfahrung, die die sozialismusgeschädigten Länder in Mittelosteuropa gemacht haben, scheint der Sozialismus weltweit im Rückzug zu sein. In Milton Friedmans einprägsamer Formulierung: die "Fabian Tide" (das "sozialdemokratische Zeitalter") wird zunehmend überlagert und abgelöst von der "Hayekian Tide" (der Wiederbelebung des Klassischen Liberalismus in moderner Form und des Denkens in Ordnungen). Immerhin ist die Politisierung der Wissenschaft bei weitem nicht überwunden, wie die in den Abschnitten II.3-6 geschilderten Fallbeispiele zeigen.

17 Der Titel seines Essays The Age of Libera/ism meint, wie im amerikanischen Sprachgebrauch üblich, mit "liberals" die east-coast liberals, also Sozialismus als Gegensatz zum klassischen Liberalismus (vgl. auch Regnery 1979).

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aber man kann sich bemühen, sie zu gestalten

Wir können nicht einmal regionale Veränderungen voraussagen, bereits wegen Innovationen, die auf neuem Wissen beruhen (und daher aus logischen Gründen auf zum Zeitpunkt unvoraussagbarem Wissen). Immerhin besitzen wir solides Wissen über die prinzipiellen Konsequenzen verschiedener institutioneller Vorkehrungen. Dieses Wissen inkludiert die These: je mehr marktähnlicher die Institutionen des Ausbildungssektors und des Forschungsbereichs sind, desto besser stehen die Chancen für die Effizienz der Ausbildung und die Produktivität der Forschung. Ob sich im Fahrwasser der wirtschaftlichen Revolution in Mittelosteuropa eine politische Möglichkeit eröffnet, die Konsequenzen zu ziehen: das Universitätssystem von den korporativistischen und kartellierten Strukturen zu befreien und Deregulierung und Wettbewerb einzuführen, ist eine offene Frage. Die Charakterisierung der staatlichen Universität durch James Buchanan, die als Motto diesem Essay vorangestellt ist, trifft auf die deutsche Universität voll und ganz zu. Besonders schlecht wäre die Prognose für die künftige Entwicklung, wenn eine artifizielle ex ante "Harmonisierung" gemäß der Schreckvision "l'Europe Delorienne" (französischer Konstruktivismus und Dirigismus kombiniert mit deutschem Etatismus) das Universitätssystem erfassen würde. Das ist allerdings unwahrscheinlich, da die Nationalstaaten und in der Bundesrepublik auch die Bundesländer die ihnen innerhalb eine_s europäischen Föderalismus oder Konföderalismus verbliebenen "Kompetenzen" verteidigen würden. Wir wissen auch, daß den Kartellierungstendenzen, dem schleichenden Sozialismus und den Nivellierungstendenzen zum kleinsten gemeinsamen Nenner nur durch Wettbewerb begegnet werden kann. Gewiß ist auch, daß der Krise der Universität, die unter anderem durch die zwei oben besprochenen Funktionskonflikte hervorgerufen ist, nur durch eine Stratifizierung abgeholfen werden kann. Vor allem durch eine Trennung des Studiums bis zum Grundexamen und dem Doktorand- und Habilitandstudium (mit aktiver Teilnahme einer Elite an Studenten in der Forschung). Nur Wettbewerb, der auf der Verschiedenheit der Anbieter beruht, könnte die dirigistische Tendenzen von Politikern und Bürokraten im Zaum halten. Das Vorbild wäre die USA und Japan, wo die Universitäten miteinander um die besten Studenten konkurrieren und Studenten untereinander um Zugang zu den besten Universitäten. Mit "besten" wird hier selbstverständlich gemeint "im betreffenden Fach". Das "Ranking" der Universitäten, das sich in den USA bewährt hat, ist nur fachbezogen- und oft auch nur fachteil- oder sogar personenbezogen - sinnvoll. Das System würde dann einer Pyramide mit einer breiten Basis und schlanken Spitze gleichen, aber auch eine Vielfalt von verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten anbieten, die den sehr verschiedenen Begabungen der Menschen Rechnung trägt. Ein System, das eine effiziente Verbesserung des Humankapitals (Wissen, Produzenten von Wissen , Entrepreneure usf) bewerkstelligt, würde sich also von dem System, das wir jetzt haben, drastisch unterscheiden. (Der Hinweis, in Italien und Frankreich sähe es nicht besser aus, ist zutreffend, aber ein schwacher Trost.) Für den optimalen 4 Die ungewisse Zukunft der Universität

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Wettbewerb unerläßlich ist das Vorhandensein von Privatuniversitäten neben staatlichen Universitäten (wenn es nicht gelingt, das gesamte Hochschulsystem zu privatisieren). Die Probleme des Universitätssystems sind keinesfalls akademisch, da der künftige Wohlstand einer Nation in erster Linie von der Qualität seines Humankapitals abhängig sein wird, die wiederum von der Qualität seiner Institution abhängt. Das sogenannte "European Miracle" hat zum ersten Mal in der Geschichte relativ freie Gesellschaften hervorgebracht und einen bisher unvorstellbaren materiellen Wohlstand für breitere Schichten der Bevölkerung. Sein Erfolgsgeheimnis war die Zähmung des Staates durch Marktmechanismen, die Zähmung der Kleptokratie - sei es diejenige von Prinzen oder die der Parlamente. Das "European Miracle" ist ein einmaliges und unwahrscheinliches Ereignis. Neben Fortschritten gab es selbstverständlich auch Rückschritte. Wir wissen nicht, ob es sich bei unserer relativ freien Gesellschaft um ein Zwischenspiel handelt oder um den Beginn eines Trends. Jedenfalls ist die freie Gesellschaft eine gefahrdete Spezies. In der westlichen Welt (wozu selbstverständlich Japan, Korea, Singapur, Taiwan etc. gehören) ist der umfassende Sozialismus tot. Die Staatsanteile aber wachsen in Westeuropa und USA krebsartig weiter. Der schleichende Sozialismus hat in allen politischen Parteien seine Vertreter, wenngleich in verschiedenem Ausmaß. Seine Auswirkungen müssen tendenziell zu einer Verringerung der Freiheit, des Wirtschaftswachstums und der Effizienz führen. Operationsbasis und Refugium der Linksintellektuellen, die den schleichenden Sozialismus propagieren, sind vor allem die Universitäten, die staatsmonopolistischen elektronischen Medien, die Gewerkschaften und die Kirchen. Die Universität ist gewiß nur ein Teilsystem der Gesellschaft, aber sie wird bei ihrer Entwicklung eine zentrale Rolle spielen. Ein Großteil der künftigen Entscheidungsträger und der "Meinungsmacher" hat sie durchlaufen und wurde durch sie beeinflußt. Deshalb wird die ständig aktuelle Entscheidung zwischen mehr Freiheit oder mehr Sozialismus (in verschiedenen Formen) von dem beeinflußt, was an der Universität geschieht. Die Universität soll keine Propaganda betreiben, aber sie soll auch Respekt vor Wahrheit lehren und vor einer wissenschaftlichen Analyse, die die Konsequenzen verschiedener institutioneller Vorkehrungen rücksichtslos untersucht, ohne auf Ideologien und Tagespolitik Rücksicht zu nehmen: Zusammenfassend: wenn man materiellen Wohlstand wünscht, dann wird es eine der dringlichsten Aufgaben sein, das Ausbildungssystem möglichst ähnlich einer marktwirtschaftliehen Ordnung zu organisieren. Will man außerdem Bürger erziehen, die als künftige Entscheidungsträger bereit sind, die freie Gesellschaft zu verteidigen, dann muß man ihnen ein gewisses Minimum an Wissen über das Funktionieren einer modernen Ökonomie und über Verfassungsrecht vermitteln. Das sollte zur "Allgemeinbildung" gehören. Außerdem muß man sie mit den Werten der "westlichen Tradition", den Werten des

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Klassischen Liberalismus in moderner Form vertraut machen. Ob sie sich dann für eine freie Gesellschaft entscheiden oder für eine sozialistische Sklavengesellschaft (in der sie gegebenenfalls als Sklavenhalter der Nomenklatura angehören könnten), das freilich bleibt ihre freie und subjektive Entscheidung. Aber solche Entscheidungen können mit größerer Sachkenntnis und manchmal auch mit größerer Weisheit getroffen werden, wenn das Indiviuum etwas Wissen in den soeben angesprochenen Bereichen besitzt. Ein gut funktionierendes U niversitätssystem sollte das leisten. Solange es das nicht tut, könnten private thinktanks einen Teil der angesprochenen Aufgabe, der "liberal education" im Sinne der Erziehung zur Freiheit, übernehmen. In einer relativ freien, auf freier, privater Marktwirtschaft basierenden Gesellschaft (in einem Staat, der dem Privatrechtsstaat zumindest nahekommt) sind Juristen eine wichtige Berufskategorie. Sie können nur dann zufriedenstellend funktionieren, wenn sie genügend Wissen über das Wirtschaftssystem besitzen. Das ist jedoch, von Ausnahmen abgesehen, gegenwärtig nicht der Fall. In der BRD ist Juristenausbildung Landessache. (Z. B. in Baden-Württemberg wurde Ökonomie 1949 als Pflichtfach eingeführt und später wieder abgeschafft. Heute können Jurastudenten auf Grund der Teilnahme an einer zweistündigen Vorlesung eine Art "Sitzschein" in Ökonomie erwerben.) Bei einem solch gravierenden Manko in der Ausbildung darf es nicht verwundern, wenn Juristen (Lehrstuhlinhaber eingeschlossen), mit sehr wenigen Ausnahmen, gar nicht verstehen, daß durch das Recht die Wirtschaftsordnung gestaltet wird und daß, wenn man ein freiheitliches System nicht zerstören will, es keine beliebigen Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Das wird schlaglichtartig beleuchtet durch einen im Sommer 1990 von der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung abgehaltenen Kongress, auf dem junge Juristen ihre Konzepte zur "europäischen Integration als Herausforderung des Rechts" diskutierten (Prosi 1990). Es wurde dabei deutlich, daß sie die bisherige Diskussion um die Integration durch Dezentralisierung und Wettbewerb genauso wenig kannten wie die historischen Erfahrungen mit dem bürokratischen Zentralismus. Bei diesem Ausmaß an Ignoranz darf es nicht wundem, daß sie dazu neigen, gegen den Willen der Betroffenen Regeln zu erzwingen, die den Wettbewerb beeinträchtigen und die Herrschaft des Rechts (rule of law) durch eine "Herrschaft vermeintlicher ,Rechte' " (sprich Ansprüche oder Forderungen) zu ersetzen, ohne die damit notwendigerweise verbundene Gefahrdung von Freiheit und Wohlstand auch nur zu bedenken. Will man eine freie Gesellschaft, dann ist es dringend geboten, diese Ausbildungslücke zu schließen. Da es sehr unwahrscheinlich ist, daß staatliche Universitäten dieser Aufgabe gerecht werden, bieten think-tanks eine Lösung. So hat z. B. das von Henry Manne geleitete Law and Economics Center an der George Mason University (das einem think-tank ähnlich arbeitet) in den letzten Jahren in Kolloquien und Kursen über 600 Bundesrichter und Juraprofessoren mit "law and economics" vertraut gemacht. Dadurch hat es dem sozialistischen Radikalismus vieler rechtswissenschaftlicher Fakultäten (law schools) entscheidend entgegengewirkt. In der BRD gibt es dagegen zur Zeit nur eine handvoll 4*

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Rechtswissenschaftler, die mit diesen für eine freie Gesellschaft höchst wichtigen Forschungen vertraut sind. Hier wäre eine wichtige Lücke zu schließen. Will man eine gutfunktionierende, freie Gesellschaft, dann sollte man auch einen gravierenden Mangel des Gymnasiums beseitigen, der demjenigen in der gegenwärtigen Juristenausbildung ähnelt. Im Fächerkanon unserer Gymnasien fehlen Ökonomie und Verfassungsrecht. Am Gymnasium, das die Elite der Nation, ein Großteil der künftigen Entscheidungsträger, durchlaufen soll, sind gerade diese Fächer von Bedeutung. Was die Schüler zur Zeit in Fächern wie Sozialwissenschaften oder Politik zu hören bekommen, ist oft grotesk irreführend. Martin Kriele hat darauf hingewiesen, daß dieser Mangel eine Teilursache des eigentümlichen Verlustes an Ethos und Urteilskraft im geistigen Klima sein dürfte (Kriele 1988). Die Absolventen des Gymnasiums sind, solange dieser Mangel nicht beseitigt ist, hilflos der Beeinflussung des Links-Eklektizismus der staatsmonopolistischen elektronischen Medien, vieler Feuilletonredaktionen und ähnlicher Einrichtungen ausgesetzt und auch deren "multikultureller Ethik des Konsensus", der gemäß das, was die Mehrheit gerade für wahr oder richtig hält, auch tatsächlich wahr oder richtig ist (d. h. die den sogenannten genetischen Fehlschluß zum Prinzip erhoben hat). Es wäre viel für die Zukunft der freien Gesellschaft, einer Gesellschaft, die den Privatrechtsstaat zumindest approx.imiert, getan, wenn in der Sekundarstufe den Schülern ein elementares Verständnis für den Kapitalismus (freie, private Marktwirtschaft) vermittelt würde. Man müßte ihnen - und der Bevölkerung im allgemeinen - erklären, warum Freihandel für das Land nützlich ist (selbst dann, wenn er den Nachbarn den Arbeitsplatz kostet), warum Eigeninteresse in einer Wettbewerbsordnung für die gesamte Gesellschaft Nutzen bringt, warum Zinsen kein Symptom von Ausbeutung sind, warum Inflation ein öffentliches Übel ist usf. Wer die Zusammenhänge verstanden hat, ist gefeit gegen die Sirenengesänge nicht nur der zentralplanenden Sozialisten, sondern auch der Vertreter des sozialdemokratischen "Dritten Weges" (der rasch zum Niveau der Dritten Welt führen würde). Denn, wenn man einmal ein Argument begriffen, einen Zusammenhang verstanden hat, dann kann das nicht wieder rückgängig gemacht werden - auch nicht durch Berieselung der linkslastigen elektronischen Medien. Jedenfalls sollte man, wenn man eine freie Gesellschaft wünscht, bei der Diskussion über die künftige Entwicklung des Hochschulsystems die organisatorische Struktur des sekundären Sektors nicht vernachlässigen. Das Gymnasium hat unter den Suiten der 68er Studentenbewegung und dem Tabu der "sozialen Öffnung" vermutlich noch mehr Schaden genommen als die Universität (Scheuch 1990). Man sollte bewußthalten, daß dem Gymnasium eine überaus wichtige Rolle zukommt und daß viele seiner Probleme denen der Universität sehr ähnlich sind und daß außerdem das Niveau der Anfangsstudien ohnedies dem Niveau des Gymnasium angepaßt werden muß. Was dort versäumt wurde, muß dann später nachgeholt werden - was für die Studenten erhebliche Zeitverluste bedeutet.

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I. Die gegenwärtige Krise Bestandsaufnahme und Ursachenfeststellung

Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulwesen Von Walter Rüegg I. Vorbemerkung Differenzierung und Wettbewerb sind zu beliebten Themata der Hochschuldiskussion geworden. 1984 widmete die Westdeutsche Rektorenkonferenz ihre Jahresversammlung, 1986 das "Programme on International Management in Higher Education" (IMHE) der OECD seine achte Generalkonferenz diesem Thema. Der nachfolgende Beitrag bemüht sich um eine Differenzierung dieser beiden Begriffe, wie sie sich aus den grundlegenden Aufgaben der Universität und deren Umsetzung in den verschiedenen Hochschulsystemen ergibt. Dabei wurden einerseits Typen vertikaler und horizontaler Differenzierung, andererseits Hochschulsysteme zwischen den Extremfällen freien Wettbewerbs auf verschiedenen Märkten und der totalen staatlichen Lenkung unterschieden. Die Arbeit wurde 1986 verfaßt. Es entspricht dem Beharrungsvermögen pädagogischer Institutionen, daß die im zweiten Teil skizzierten Reformbemühungen in der Zwischenzeit kaum vorangekommen sind. In Großbritannien ist 1988 das University Grants Committee durch ein University Funding Committee abgelöst worden, das die staatlichen Zuschüsse auf Vertragsbasis zuteilen und dadurch die Universitäten zur wirksameren Anpassung und Erfolgskontrolle ihrer Entwicklungspläne im Rahmen der Entwicklungspolitik verpflichten soll. In der Bundesrepublik Deutschland ist die vom Wissenschaftsrat empfohlene Schaffung der Graduiertenkollegs dank eines Pilotprogramms der Volkswagenstiftung in Gang gekommen. Der Versuch, den französischen Universitäten mehr Autonomie bei der Aufnahme der Studierenden und der Differenzierung der Studienabschlüsse zu geben, scheiterteamWiderstand der Studentenorganisationen. II. Vertikale Differenzierung Die erste Aufgabe der Hochschulbildung besteht darin, der jungen Generation eine wissenschaftlich fundierte Allgemeinbildung zu vermitteln: Dies leistete in der mittelalterlichen Universität eine einführende Fakultät, die sogenannte "Artistenfakultät". Das nordamerikanische Universitätssystem hat dies beibehalten, indem es institutionell unterscheidet zwischen dem College einerseits, in dem die Studenten ihre ersten Studien absolvieren und mit dem Grad des Bakkalaureus abschließen, den Graduate Departments und Professio-

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nal Schools andererseits, an welchen sie die akademischen Grade des Magisters oder Doktors erwerben können. Im Unterschied dazu sind in Kontinentaleuropa die propädeutischen Aufgaben der Universität auf die Gymnasien übergegangen mit der Folge, daß nicht mehr die Universitäten sondern die Gymnasien die Qualifikation bestimmen, die zu einem Hochschulstudium berechtigt. Dies hat Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Universitäten. Im System der englischsprechenden Länder können die Universitäten ihre Studenten selbst auswählen, was zu einem Wettbewerb zwischen den Universitäten um die besten Studenten, aber auch zu einem Wettbewerb zwischen den Studenten um die Zulassung zu den besten Universitäten führt. Die zweite Aufgabe der Hochschulbildung ist die Vorbereitung auf Berufe, welche wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Ausübung öffentlicher Aufgaben anwenden und weiterentwickeln. Die alte Universität beschränkte sich darauf, Amtsträger für Kirche und Staat, akademische Ärzte und Lehrer der höheren Schulen auszubilden. Die technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten zweihundert Jahre haben zu einer gewaltigen Expansion der Berufe im Bereich der öffentlichen Verwaltung geführt. Gleichzeitig sind aus Tätigkeiten im Grundschulbereich, in der Industrie, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in Handel und Banken, für die früher die Sekundarstufe die notwendigen Grundkenntnisse vermittelte, Berufe geworden, für die eine zunehmend wissenschaftliche Ausbildung gefordert wird. Das Ergebnis ist eine ständig wachsende Differenzierung der Hochschulbildung. Dieser Prozeß hat sich in den Vereinigten Staaten sehr viel weiter entwickelt. Hier bieten Universitäten Lehrgänge für so unterschiedliche Fächer wie etwa Haushaltswissenschaften, Begräbniswesen, Sport, Tanz und Gesang an. Dies verhindert jedoch nicht eine vertikale Differenzierung: Kandidaten für Berufe, die eine gründliche akademische Ausbildung erfordern, wie Juristen, Ärzte, Wirtschaftswissenschaftler und wissenschaftliche Forscher, werden auf einem höheren wissenschaftlichen Niveau geschult. Im europäischen Universitätssytem, das vom Staat kontrolliert wird, wird die Differenzierung der Hochschulen durch das Prinzip der Gleichheit bestimmt. In Deutschland brauchen die Grundschullehrer einen Hochschulabschluß, um dasselbe Grundgehalt zu erhalten wie Lehrer an höheren Schulen. In England sind die Polytechnics, von denen viele ursprünglich weiterführende Schulen bzw. Lehrerbildungsanstalten waren, den Universitäten z. B. hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen und der Gehälter des Lehrkörpers gleichgestellt worden. Trotz dieses Trends zur Nivellierung hat die Differenzierung der europäischen Hochschulen eine vertikale Dimension behalten: Auch heute noch rangieren die traditionell höheren Fakultäten der Theologie, des Rechts und der Medizin im "cursus honorum" höher als die Töchterfakultäten der "facultas artium", die Geistes-, Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die englischen Polytechnics müssen sich mit denjenigen Studenten begnügen, die von den Universi-

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täten nicht angenommen werden, und die deutschen Gesamthochschulen bemühen sich lebhaft, mit den Universitäten nicht nur rechtlich gleichzuziehen. Die vertikale Differenzierung ist jedoch nicht einfach dem traditionellen Ansehen der Universität zuzuschreiben. In Frankreich rangieren die U niversitäten unter den Institutionen, die als Alternative zu den traditionellen Universitäten gegründet worden waren, wie das College de France des 16. und 17. Jahrhunderts, die Grandes Ecoles aus der Ära Napoleons, die Ecoles des Hautes Etudes des 19. Jahrhunderts und vor allem die Ecole Nationale d'Administration (ENA), die heute die Spitze der akademischen Hierarchie darstellt, indem sie seit kurzem Absolventen der Ecole Normale Supeneure und der Polytechnique aufnimmt. Es ist somit im wesentlichen die dritte Aufgabe derUniversitätdie Ausbildung der Eliten, die für die Führung einer komplexen Gesellschaft benötigt werden, die zu einer vertikalen Differenzierung der Hochschulbildung führt. Die enorme Bedeutung einer Elite mit ihrem symbolischen Wert für die Gesellschaft spiegelt sich in dem Gewicht wider, das die Gesellschaft verschiedenen Formen der Hochschulbildung bei der Ausbildung ihrer Eliten beimißt. Solange die Rekrutierung der Eliten von den Vorstellungen des "Gentleman" bestimmt wird, der in der Lage sein soll, jede koordinierende bzw. leitende Funktion in der privaten und öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, werden Oxford und Cambridge ihre Führungsposition innerhalb der englischen Hochschulbildung behalten. Solange in Frankreich der Schwerpunkt auf dem abstrakten Denk- und Urteilsvermögen liegt, bringen die Grandes Ecoles mit ihrem Auswahlsystem, ihrer Ausbildung und ihren Prüfungen genau diesen Typ der Elite hervor. Seitdem Universitäten bestehen, war ihre Aufgabe, Eliten heranzubilden, mit einer vierten Aufgabe verbunden: der Forschung. Kritische Erneuerung und Erweiterung der vorgegebenen Wissensbestände und Handlungsmuster in ihren Erscheinungsformen und deren Rückführung auf allgemeine nachvollziehbare Gründe durch systematische und überprüfbare Prozesse der Forschung waren und sind immer noch die Charakteristika, welche eine Universität von anderen Lehreinrichtungen unterscheiden. Die wichtigste Begründung der vertikalen Differenzierung der einzelnen höheren Bildungseinrichtungen ist die Existenz solcher Forschungseinrichtungen. Der augenfaJligste Unterschied zwischen den englischen Polytechnics und den deutschen Fachhochschulen auf der einen Seite und den Universitäten auf der anderen liegt in der Bedeutung, die der Forschung zukommt. Die vertikale Differenzierung zwischen Einrichtungen, die sich in erster Linie mit der Lehre befassen, und anderen, die sich vor allem der wissenschaftlichen Forschung widmen, ist besonders augenfallig im Hochschulsystem der sozialistischen Länder, wo die Forschung grundsätzlich den Akademien vorbehalten ist. Aber selbst in Frankreich weisen Rektoren und Universitätspräsidenten auf die

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Gefahr hin, die Universitäten könnten ihre Vitalität verlieren, weil die Forschung in zunehmendem Maße in spezialisierte Institute abwandert. Diese monopolisierten die Forschung in solchem Ausmaß, daß man kaum noch Professoren finde, die nicht auf eine Position beim Centre National de Recherche Scientifique hofften. 1 In diesem ersten Abschnitt habe ich versucht zu zeigen, daß die verschiedenen Aufgaben der Universitäten von Anfang an eine vertikale Differenzierung bedingten. Ihr Ausmaß hing immer vom Gewicht ab, das die Gesellschaft einer bestimmten Form der Ausbildung ihrer Eliten zumaß. Seit die modernen Gesellschaften immer stärker von den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung abhängen, bestimmt das Ausmaß der Forschung weitgehend die vertikale Differenzierung der Hochschulen. III. Horizontale Differenzierung 1. Zentralisierte Formen

In zentralverwalteten Staaten wurde die akademische Ausbildung für höhere Ämter von der Regierung speziellen Hochschulen übertragen. So gründete Franz I. im 16. Jahrhundert in Paris das College Royal, das später zum College de France wurde. Später wurden die Grandes Ecoles sowie die Ecoles des Hautes Etudes und andere Forschungseinrichtungen geschaffen. Letztere waren zunächst Teil der Universitäten oder ihnen gleichrangig. Später erhielten sie aus den skizzierten Gründen und durch Mechanismen, auf die später einzugehen ist, ihre führende Stellung. In Österreich bewirkte die horizontale Differenzierung durch die Errichtung der kaiserlichen Hochschulen für Landwirtschaft, Veterinärwissenschaft und Außenhandel keine den französischen Grands Ecoles vergleichbare Form der vertikalen Differenzierung, obwohl alle Einrichtungen in Wien konzentriert waren. Dies trifft noch mehr auf die aus den verschiedenartigsten Initiativen entstandenen rund 30 Colleges, Institutes und Schulen der University ofLondon zu. Ähnliches gilt für die Hochschulen für Medizin, Pharmazie, lngenieurwesen, Architektur und Landwirtschaft in Bukarest oder die technische, veterinärwissenschaftliche, Gartenbau-Hochschule in Budapest. Die Schweiz ist ein besonderer Fall, da hier die kantonalen Universitäten kein Ingenieurstudium anbieten, während der Bund für die Technischen Hochschulen verantwortlich ist.

1 Baume!, J., "Pour une universitlr~ moderne autonome et competitive", in: Baume!, J., Les Cahiers de Ia Fondation du Futur, Symposium vom 20. November, abgehalten in der Nationalversammlung unter dem Vorsitz von Jacques Baume!, Paris 1984, S. 12.

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2. Dezentrale Fonnen

Die wirtschaftlichen Bedingungen einzelner Regionen erzeugten einen Bedarf nach spezialisierten Ausbildungsformen, wie etwa für Bergbau, Bauwesen, Industrie und Handel. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich daraus die technischen, im 20. Jahrhundert die Handelshochschulen. Nach 1945 hatte die Verwissenschaftlichung des informationsverarbeitenden Dienstleistungssektors eine wachsende Zahl höherer Bildungseinrichtungen hauptsächlich wirtschaftlichen oder ingenieurwissenschaftlichen Charakters zur Folge. Die 93 Einrichtungen im Range einer wissenschaftlichen Hochschule, die das 1984 von der Ständigen Konferenz der Rektoren, Präsidenten und Vice-Chancellors der europäischen Universitäten (CRE) veröffentlichte Historical Compendium of European Universitites unter den Buchstaben A oder B aufführt, stellen zwar keine direkt repräsentative Auswahl aller dort verzeichneten 600 z. T. sehr unterschiedlichen europäischen Universitäten dar, aber sie verdeutlichen den Differenzierungsprozeß, der seit 1945 die beispiellose Expansion des Hochschulwesens begleitet. Gegründet wurden 24 Universitäten mit wenigstens drei der traditionellen Fakultäten und acht technische Hochschulen vor, 26 Universitäten und 8 technische Hochschulen nach 1945; eine medizinische Hochschule vor und drei nach 1945; zwei kirchliche Universitätseinrichtungen vor, drei nach 1945; je eine landwirtschaftliche Hochschule vor und nach 1945; zwei höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschulen vor, 12 nach 1945. Insgesamt entstanden in den 40 Jahren seit 1945 in Europa 55 wissenschaftliche Hochschulen mit den Anfangsbuchstaben A und B gegenüber 38 in den 750 Jahren zwischen 1200 (Bologna und Paris) und 1942 (Fakultät für protestantische Theologie in Brüssel). 2 An diesem Beispiel läßt sich zeigen, daß Diversiflzierung nicht mehr gleichbedeutend ist mit Spezialisierung. Im Gegenteil: Sobald aus einer Fachschule eine Hochschuleinrichtung wird, erweitert sie auch ihr Fächerangebot. In den letzten 20 Jahren wurde dieser Prozeß sehr deutlich: Die technischen Hochschulen haben Fakultäten für Medizin, Recht sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eingerichtet und wurden ihrem Wesen und oft auch ihrem Namen nach Universitäten. Ähnliches gilt für die Handels- und Wirtschaftshochschulen, die ihr Lehrangebot erweitern und zu Universitäten werden. Das Wachstum der Universitäten seit dem zweiten Weltkrieg bewirkte eine Differenzierung der höheren Bildung sowohl hinsichtlich der örtlichen Lage der einzelnen Einrichtungen als auch des Lehrangebots. Die 26 neuen Universitäten in unserem Beispiel haben sich größtenteils aus regionalen Instituten entwickelt, die früher zum Sekundarbereich gehörten. Andere Schulen mit regionalem Charakter haben zunächst ihre fachliche Ausrichtung auf höherem wissenschaftlichen Niveau beibehalten und sich in den letzten 10 bis 20 Jahren zu Universitäten entwickelt, wie dies etwa in der Türkei seit der Reform von 1982 2

Jilek, L., Historical Compendium of European Universities, Genf 1984, S. 75-117.

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geschehen ist. Die neuen Universitäten unterscheiden sich von den traditionellen Universitäten hinsichtlich ihres Lehrangebots im technologischen Bereich. Im Ergebnis sind sie differenzierter als die traditionellen, die sich auf die Disziplinen ihrer Fakultäten beschränken. So hat die Aufteilung der Pariser Sorbonne zur Gründung verschiedener auf eine oder wenige Fakultäten beschränkten Universitäten geführt. Insgesamt hat die horizontale Differenzierung des Hochschulwesens während der letzten Jahrzehnte einen doppelten Effekt gehabt: Zum einen wurde das Ungleichgewicht zwischen Zentren und Peripherien verringert, indem man Hochschuleinrichtungen über das ganze Land verteilte, zum anderen wurde das Fächerangebot erweitert, indem sich zumeist Schulen mit wenigen Spezialfachern zu Universitäten entwickelten. De jure sind diese Universitäten alle gleichwertig. De facto sind sie vertikal differenziert, und zwar wie bereits bemerkt je nach dem Gewicht, das den unterschiedlichen Studienrichtungen bei der Ausbildung der jeweiligen Eliten beigemessen wird. 3. Differenzierung, Wettbewerb und staatliche Kontrolle

Betrachtet man die verschiedenen Mittel und Mechanismen, die für die unterschiedlichen Formen der Differenzierung verantwortlich sind, etwas genauer, so kann man folgende vier Kategorien unterscheiden: a) Differenzierung und Wettbewerb aufverschiedenen Märkten

In den Vereinigten Staaten gibt es mehr als 3000 Hochschulen, die auf den ersten Blick den Eindruck chaotischer Vielfalt vermitteln. 3 Trotzdem haben sie alle die gleiche Examensstruktur. Die Colleges, die einen Unterricht von 4 Jahren anbieten, verleihen den Titel des Bachelors, die Graduierten-Einrichtungen der Universitäten den Master- und den DoktortiteL Diese formale Übereinstimmung der Examina und Titel ist nicht das Ergebnis zentralstaatlicher Gesetzgebung oder vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Einzelstaaten. Vielmehr ist die Strukturierung der verschiedenen Studien das Ergebnis eines ungefahr hundertjährigen Prozesses, in welchem der freie Wettbewerb als eine Art "invisible hand" fungierte. Der Wert der berufsqualifizierenden Studienabschlüsse wird durch den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt bestimmt. So hat ein Master of Business-Administration einer berühmten Universität einen höheren Stellenwert als das Doktorat einer unbekannteren Universität. Die meisten Universitäten können ihre Studenten selbst auswählen. Die 3 Eine Analyse der Wettbewerbsmechanismen im Universitätssystem der USA, Großbritanniens, der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz gibt: Rüegg, W., Konkurrenz der Kopfarbeiter. Universitäten können besser sein: Ein internationaler Vergleich, Zürich 1985.

Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulwesen

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Kon-;cquenz ist ein echter Wettbewerb zwischen den Studenten, um von einer der besten Universitäten aufgenommen zu werden. Umgekehrt findet ein Wettbewerb zwischen den Universitäten hinsichtlich der begabtesten Studenten statt, da die Qualität der Lehre und Forschung einer Universität sehr stark von der Qualität der Studenten abhängt. Kurz: Die Hochschulen in den Vereinigten Staaten stehen in verschiedenen Bereichen im Wettbewerb. 4 Schon 1904 bemerkte Max We~r, daß der Wettbewerb das augenfälligste Merkmal des amerikanischen Universitätssystems darstelle und daß sich der amerikaaisehe Student gegenüber seinen Lehrern wie der Kunde gegenüber einem Verkäufer verhalte: "Er verkauft mir sein Wissen und seine Methoden für das Geld meines Vaters." Noch heute läßt sich die Universität für ihren Unterricht durch Studiengebühren bezahlen, die nicht nur vom eigenen Vater, sondern auch durch eigene Arbeit sowie teilweise vom Staat durch Stipendien finanziert werden. Auf einem zweiten Markt konkurrieren die Universitäten um Forschungsgelder von öffentlichen Instanzen und privaten Stiftungen. Als dritten Markt kann man denjenigen um Denkmäler bezeichnen, die sich Mäzene durch die Stiftungen von Lehrstühlen, Instituten, Bibliotheken, Hochschulgebäuden oder ganzen Universitäten erwerben. Auf einem vierten Markt stehen die Universitäten im Wettbewerb als Einkäufer ihrer wichtigsten Ressource, des Lehrkörpers. Ihre Lehrer sind keine Beamten, sie können aus allen Teilen der Welt rekrutiert werden. Sie werden von der Universität zu Bedingungen angestellt, die von ihrem Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Universität abhängen. Der Wettbewerb erzeugt auch Differenzierungen innerhalb der Universität. Die Ausrüstungen der einzelnen Abteilungen mit Personal und Sachmittel hängen in hohem Maße von der Qualität der akademischen Arbeit ab, die regelmäßig bewertet wird. Ein solches System, das auf Wettbewerb basiert, setzt voraus, daß die Institutionen ihre Aktivitäten selbst steuern können. Dies gilt auch für die amerikanischen Staatsuniversitäten. Sie werden durch Aufsichtsbehörden kontrolliert, die zwar durch die Regierung ernannt, in ihren Entscheidungen jedoch vom Staat unabhängig sind. Die Selbstverwaltung wäre unwirksam, wenn die Leitungsstrukturen nicht fachgemäße, flexible und rasche Entscheidungen erlauben würden. Diese Forderung wird erfüllt durch ein beachtliches Gleichgewicht zwischen den Beratungsorganen, in denen die akademischen Ziele, Gedanken und Erfahrungen des Lehrkörpers zum Tragen kommen, und den starken Entscheidungsträgern auf allen Ebenen der Hochschulen. Die Regierung in Washington hat zwar den Versuch unternommem, den Universitäten grundsätzliche Regelungen aufzuzwingen, wie z. B. durch die affirmative action die bevorzugte Berücksichtigung von Mitgliedern einer Minderheit. In mehreren Einzelstaaten sind die staatlichen Universitäten verpflichtet, Absolventen 4 Niehans, J ., "Vielfalt, Freiheit und Konkurrenz. Betrachtungen zum amerikanischen Universitätsleben", in: Der Bund, Nr. 245, 19. Oktober 1977, zitiert in Rüegg, op. cit.,

S. 34.

5 Die ungewisse Zukunft der Universität

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der staatseigenen Highschools ohne Eingangsprüfung aufzunehmen. Trotzdem läßt sich dieses Modell der Differenzierung durch freien Wettbewerb auf verschiedenen Märkten idealtypisch auf das ganze Hochschulwesen der Vereinigten Staaten anwenden und erklärt den hohen Standard ihrer besten Universitäten. b) Staatlich geplante, gelenkte und kontrollierte Differenzierung

Dem amerikanischen Wettbewerbsmodell diametral entgegengesetzt ist das sozialistische Hochschulsystem der UdSSR und der anderen Länder des Ostblocks. Die Hochschulen sind hier ein "wesentlicher Bestandteil des einheitlichen, vom Staat kontrollierten Wirtschaftssystems und verkörpern einen wesentlichen Zweig des nichtproduktiven Sektors", wie es der Vorsitzende der Delegation der Universitäts-Rektoren der UdSSR anläßlich der Jahresversammlung 1984 der Westdeutschen Rektorenkonferenz zum Thema "Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulbereich" formulierte. 5 Die Differenzierung der 891 Hochschuleinrichtungen der UdSSR hat das Ziel, die Ausbildung den Erfordernissen anzupassen, die nach dem staatlich bestimmten Plan festgelegt worden sind. Der Staat bestimmt, welche Berufe eine akademische Ausbildung erfordern, und definiert die Qualifiationskriterien für die verschiedenen Berufe. Den Lehrplänen und Unterrichtsprogrammen liegen diese Kriterien zugrunde. Die Anzahl der Studenten wird quotenmäßig festgelegt unter Berücksichtigung ihrer Spezialisierung und ihres sozialen Status. Ein zentral gelenktes System erfordert konstante Überwachung. Diese Aufgabe wird zum einem von staatlichen Inspektoren durchgeführt, die regelmäßig auf der Grundlage eines "komplexen" Inspektionsprogramms die ideologischen und administrativen Aktivitäten der Universitäten, ihre Forschungsaktivitäten, ihre Verwaltung sowie das Verhalten der Studenten überprüfen. Hinzu kommt eine interne Kontrolle, die von einer "Kontrollkommision für Organisation und Methoden" in Abstimmung mit den Instruktionen, die vom Ministerium für Hochschulwesen herausgegeben werden, sowie in Verbindung mit der Kontrolle der Partei und "des ganzen Volkes" durchgeführt wird. Die direkteste und die kontinuierlichste Form der Überwachungjedoch wird durch die Rektoren, die stellvertretenden Rektoren, Dekane und die Sekretäre der Parteiorganisationen innerhalb der Universitäten durchgeführt, die alle von den politischen Autoritäten ernannt werden. Da die Zahl der freien Stellen beschränkt ist und dem Bedarf entsprechen muß, der durch den Zentralplan vorgegeben ist, herrscht ein heftiger Wettkampf der Studienanwärter um den Zutritt zu denjenigen Studien 5 Konowalow, A. J., "Zur Entwicklung und Lage des Hochschulwesens in der Sowjetunion", in: Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulbereich. Westdeutsche Rektorenkonferenz, Dokumente zur Hochschulreform, 1984, S. 55-115. Die Fakten und Tabellen hinsichtlich des Universitätssystems in der UdSSR sind entnommen aus: Revesz, L., Studenten im Sozialismus, Wien-München 1981 , S. 27, S. 31, S. 33, S. 34, S. 148.

Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulwesen

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und Einrichtungen, die die besten Karriereaussichten versprechen. Der zentralistische Charakter dieses Systems erhöht die Anziehungskraft der Institutionen in den Hauptstädten, zunächst der einzelnen Republiken der UdSSR, im besonderen Maße aber in Moskau. Hier studierten 1978 mehr als 90% aller Studenten der Sozialwissenschaften. 20-25% aller Doktoren und Doktorkandidaten der UdSSR arbeiteten in den 78 Hochschuleinrichtungen und 830 wissenschaftlichen Forschungsanstalten Moskaus. Infolgedessen herrscht eine starke vertikale Differenzierung zwischen Zentrum und Peripherie. Sie kulminiert in der Hierarchie der Akademien, an deren Spitze die Akademie der Wissenschaften der UdSSR steht. Die steigende Industrialisierung in den letzten Jahrzehnten hat den Weg für wettbewerbsähnliche Formen im Rahmen der Verträge der Hochschulen mit der örtlichen Industrie geebnet. Auch gibt es einen "sozialistischen Wettkampf innerhalb der UdSSR", in dem die Universitäten gewertet werden nach ihrem Erfolg in Lehre und Forschung, nach der Beteiligung von Studenten und Doktoranden an der Forschung, nach Initiativen und Erfolgen auf dem Gebiet von Innovationen und Erfindungen sowie nach der Durchführung und den Ergebnissen politischer Bildung. Die Gewinner des Wettbewerbs erhalten Ehrungen und Geldpreise, die Ergebnisse werden jedes Jahr im Amtsblatt des Hochschulministeriums veröffentlicht. Zwischen diesen beiden Extremen, dem Wettbewerb, bestimmt durch die Nachfrage auf dem freien Markt, und der zentralen Planung und Verwaltung, existieren innerhalb der verschiedenen OECD-Mitgliedsländer eine Vielzahl von gemischten Systemen, die in zwei Kategorien eingeteilt werden können: die erste umfaßt Institutionen, die innerhalb eines von der Zentralregierung kontrollierten Erziehungssystems einen hohen Grad an Autonomie besitzen. Unter die zweite fallen staatlich gelenkte Hochschulen mit begrenzter Selbstverwaltung. c) Differenzierung und Wettbewerb zwischen relativ autonomen Einrichtungen

aa) Das japanische Hochschulbildungssystem ist dem nordamerikanischen ähnlich. Es vennittelt 40% der in Betracht kommenden Altersgruppe eine tertiäre Bildung; 25% erhalten eine vierjährige Universitätsausbildung. Wie in den Vereinigten Staaten sind die Ergebnisse der Examina der Sekundarstufe eine notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung für die Aufnahme in eine Universität. 6 Die Universitäten, von denen es etwa 300 private und 96 staatliche gibt, können ihre Studenten selbst auswählen. Seitdem nur noch eine begrenzte Anzahl von Studenten zu den staatlichen Universitäten zugelassen wird, sind diese besonders attraktiv geworden. Die Zulassungsprüfungen zu den japani6 Ryuichi, H., "Über das Zulassungsverfahren an den japanischen Hochschulen", in: Differenzierung und Wettbewerb, op. cit., S. 107-118.

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sehen Staatsuniversitäten unterscheiden sich von denen der Vereinigten Staaten. Die Studenten müssen sich zunächst einer Prüfung unterziehen, die am selben Tag landesweit abgehalten wird. Hierbei werden "multiple choice" Fragen gestellt, die fünf Fächer abdecken. Damit soll der Leistungsstand getestet werden, der auf der Sekundarstufe erreicht wurde. Danach steht es im Belieben einer jeden Universität, die Kandidaten nach ihren eigenen Verfahren zu prüfen. Der Leistungsstand, den sie für Zulassung verlangen, bestimmt ihren Rang. Die vertikale Differenzierung beruht hier somit auf den Eingangsvoraussetzungen. Sie hat Auswirkungen auf die Sekundarstufe, wie dies auch bei der Vorbereitung für die Grandes Ecoles in Frankreich der Fall ist, und hat zu scharfer Kritik und zu einer Überprüfung des gesamten Bildungssystems geführt. In diesem Zusammenhang wurde die Möglichkeit einer horizontalen Differenzierung der Staatsuniversitäten auf Grund der Fächerangebote erwogen; doch wurde eine auf diesem Wege zu fördernde Demokratisierung abgelehnt mit der Begründung, eine hierarchische Differenzierung erleichtere Studienprogramme mit einheitlichem Standard und sei deshalb für die Ausbildung sowohl der mittelmäßigen Studenten wie der für wissenschaftliche und technologische Entwicklung moderner Gesellschaften unbedingt notwendigen Eliten erfolgsversprechender. bb) Das britische Modell ist eine Kombination öffentlicher Finanzierung mit den M