Die Beduinen in Der Vorgeschichte Tunesiens: Die Invasion Der Banu Hilal Und Ihre Folgen 387997330X, 9783879973309

Die Reihe Islamkundliche Untersuchungen wurde 1969 im Klaus Schwarz Verlag begründet und hat sich zu einem der wichtigst

259 110 2MB

German Pages 214 [210] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Beduinen in Der Vorgeschichte Tunesiens: Die Invasion Der Banu Hilal Und Ihre Folgen
 387997330X, 9783879973309

Citation preview

Gerald Schuster Die Beduinen in der Vorgeschichte Tunesiens

ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 269 begründet von Klaus Schwarz herausgegeben von Gerd Winkelhane

ISLAMKUNDLICHE UNTERSUCHUNGEN • BAND 269

Gerald Schuster

Die Beduinen in der Vorgeschichte Tunesiens Die „Invasion“ der BanÙ HilÁl und ihre Folgen

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Meinen Eltern

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

© 2006 by Klaus Schwarz Verlag GmbH Layout und Herstellung: J2P Berlin Gedruckt auf chlorfreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-87997-330-X

Inhaltsverzeichnis

Vorwort .................................................................................................................. 9 1. Forschungsstand ......................................................................................... 10 1.1 Beschreibung des Forschungsgegenstandes ............................................... 11 1.2 Quellenlage ................................................................................................. 15 2. 2.1 2.2 2.2.1 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.3.9 2.4 2.5 2.6 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 3.14

Der Vorabend der Hilāl-Invasion ............................................................... 18 Das Problem der Herkunft der Berber ........................................................ 18 Vorgeschichte und Herkunft der Hilāl ....................................................... 19 Die Zusammensetzung der Beduinenstämme und deren wichtigste Führer ........................................................................ 19 Die Vorgeschichte des Bruches zwischen Fatimiden und Ziriden ............. 22 Politische Probleme .................................................................................... 22 Wirtschaftliche Probleme ........................................................................... 24 Spaltung der anhāğa-Dynastie ................................................................. 26 Soziale und politische Spannungen im Innern ........................................... 28 Schiitenmassaker ........................................................................................ 28 Die Schwierigkeiten des ziridischen Staates seit den Schiitenmassakern.. 34 Das Problem der Legitimation.................................................................... 34 Verschlechterung der fatimidisch–ziridischen Beziehungen ..................... 36 Kontakte der Ziriden zu Byzanz ................................................................. 37 Datierung und Verlauf des Bruches ........................................................... 39 Al-Yāzūrī .................................................................................................... 46 Die Rolle der Beduinen in Ägypten und der Aufstand des Abū Rakwa .... 48 Die Hilāl-Invasion ...................................................................................... 50 Die Problematik des Begriffes Hilāl-„Invasion“ ........................................ 50 Die Probleme Ifrīqiyas unter al-Mu‘izz in Zusammenhang mit der Hilāl-Invasion................................................................................. 54 Klimatische Aspekte ................................................................................... 55 Beginn der Planungen für den Westzug der Beduinen aus Oberägypten ......................................................................................... 56 Einigung zwischen den Fatimiden und Hilāl auf deren Westzug............... 60 Beginn der Invasion .................................................................................... 63 Niederlassung der Beduinen in sehr dünn besiedeltem Land..................... 65 Struktur der nach Westen wandernden Beduinenstämme .......................... 69 Verhalten der Araber nach der Ankunft in Ifrīqiya .................................... 70 Das erste beduinisch–ziridische Gipfeltreffen............................................ 72 Mu’nis b. Yayā ........................................................................................ 76 Konsequenzen des Treffens ........................................................................ 77 Einschätzung der Lage durch die Chronisten und Historiker..................... 80 Folgen von al-Mu‘izz’ Handeln.................................................................. 80

4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8

Die Schlacht von aidarān .........................................................................83 Die Darstellung in den Quellen...................................................................84 Vorabend der Schlacht ................................................................................85 Beginn der Schlacht ....................................................................................86 Struktur der ziridischen Armee in der Schlacht von aidarān ..................87 Situation nach dem Sieg der Hilāl...............................................................91 Beute ...........................................................................................................94 Rückkehr von al-Mu‘izz nach al-Manūriyya ............................................95 Ankunft der Hilāl in Kairuan ......................................................................96 Der Vorfall vom Bāb Tunis.........................................................................99 Abschließende Betrachtung der Situation in Ifrīqiya nach aidarān .......103 Aufteilung Ifrīqiyas unter den Hilāl-Stämmen .........................................104

Ifrīqiya nach den Ereignissen von aidarān .............................................108 Zentrifugale Bestrebungen in den ifriqischen Städten .............................108 Überblick...................................................................................................108 Die Situation in Kairuan, Tozeur, Gafsa und Sousse................................108 Revolte in Sfax .........................................................................................110 Die Lage in den übrigen Städten ..............................................................111 Schlußfolgerung ........................................................................................114 Ziridisch–hilalische Eheschließungen ......................................................115 Rückkehr zur fatimidischen Suzeränität ...................................................116 Flucht des al-Mu‘izz nach Mahdia 1057/449 ..........................................117 Plünderung von Kairuan ...........................................................................119 Ifrīqiya nach der Plünderung von Kairuan................................................121 Kampf zwischen den Sklaven von al-Mu‘izz und Tamīm........................121 Gabes unter al-Mu‘izz ..............................................................................122 Hammadiden .............................................................................................124 Die Rolle der Hammadiden bei den ziridisch–arabischen Auseinandersetzungen...............................................................................124 5.8.2 Regierungszeit des Musin b. al-Qā’id ....................................................125 5.8.3 Erhebung von Biskra.................................................................................125 5.9 Kämpfe zwischen den Hilāl und den Zanāta ...........................................127 5.10 Tod des al-Mu‘izz b. Bādīs ......................................................................128 5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.6.1 5.7 5.8 5.8.1

6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.5.1 6.5.2 6.6 6.7

Beginn der Regierungszeit von Tamīm b. al-Mu‘izz................................130 Die Affären von Sfax und Sousse ............................................................131 Beginn der Regierungszeit von an-Nāir b. ‘Alannās b. ammād ...........132 Die Schlacht von Sabība 1065/457 ..........................................................133 Die Folgen der Schlacht von Sabība .........................................................138 Vergleich zwischen den Schlachten von aidarān und Sabība ................138 Gemeinsamkeiten......................................................................................138 Unterschiede..............................................................................................139 Gafsa und Qasīliya unter den Banū r-Rand ............................................140 Die urasaniden von Tunis ......................................................................140

6.7.1 6.7.2 6.8 6.9 6.9.1 6.9.2 6.9.3 6.10 6.11

Beginn....................................................................................................... 140 Etablierung als lokale Erbdynastie .......................................................... 142 Verkauf von Kairuan und Vertreibung der Zuġba.................................... 143 Das ziridisch–hammadidische Verhältnis nach Sabība ............................ 145 Gründung von Bougie .............................................................................. 145 Erneuter ziridisch–hammadidischer Krieg .............................................. 148 Ziridisch–hammadidischer Friede 1077–1078/470 ................................. 149 Das Verhältnis zwischen Hammadiden, Zanāta und Beduinen ............... 150 Die Regierungszeit des al-Manūr b. an-Nāir (1088–1105/481–498) ... 152

Machtkämpfe und -wirren im Zentralen Maghreb zur Zeit al-Manūrs... 153 Einflußnahme der Almoraviden auf die Politik im Zentralen Maghreb... 153 Die ziridische Expedition nach Sizilien .................................................. 155 Die Niederlage Tamīms gegen die Christen ............................................ 155 Ziridischer Kampf gegen die Lokalherrscher in den Städten von Ifrīqiya ............................................................................................... 157 7.4.1 Die Belagerung von Gabes und Sfax ....................................................... 157 7.4.2 Die Einnahme von Sousse durch Mālik b. ‘Alawī .................................. 158 7.4.3 Die Einnahme von Tripolis durch Tamīm ............................................... 158 7.4.4 Die Entführung Yayās ........................................................................... 159 7.4.5 Ziridischer Bruderkrieg in Gabes ............................................................ 160 7.5 Innerziridische Spannungen hinsichtlich Tamīms Nachfolge ................. 161 7.6 Bedeutende Eroberungen Tamīms ........................................................... 162 7.7 Die Regierung des Yayā b. Tamīm (1108–1116/501–509) ................... 163 7.8 Die Flucht des Georg von Antiochien nach Sizilien ............................... 164 7.9 Yayās Maßnahmen zur Stabilisierung seiner Macht im Inneren und Äußeren ........................................................................... 165 7.10 Das Attentat auf Yayā ............................................................................ 166 7.11 Die Regierung des ‘Alī b. Yayā (1116–1121/509–515) ........................ 166 7.12 Die Feldzüge ‘Alīs nach dessen Machtübernahme................................... 167 7.13 Interventionen Yayās in Gabes und Sizilien........................................... 168 7.14 Das Erscheinen des Ibn Tūmart in Nordafrika ......................................... 171 7.15 Hammadidische Interventionen in Ifrīqiya............................................... 171 7.15.1 Tunis ....................................................................................................... 171 7.15.2 Mahdia und Tozeur ................................................................................ 173 7. 7.1 7.2 7.3 7.4

8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7 8.8

Die normannische Präsenz in Ifrīqiya....................................................... 176 Die Regierungszeit des al-asan b. ‘Alī (1121–1148/515–543).............. 176 Normannischer Angriff auf Mahdia ........................................................ 176 Besetzung von Djerba durch die Normannen .......................................... 178 Hammadidische Einflußnahme auf die Politik im Mittelmeer................. 179 Normannische Angriffe auf Tripolis und Gigelli .................................... 180 Einnahme von Tripolis durch die Normannen ........................................ 180 Gabes ....................................................................................................... 181 Die Eroberung von Mahdia, Sfax und Sousse durch die Normannen ..... 184

8.9 Weitere normannische Interventionen in Ifrīqiya .....................................186 8.10 Die Flucht asans ....................................................................................187 8.11 Die letzten ifriqischen Revolten gegen die Normannen am Vorabend der almohadischen Eroberung ...........................................189 9. 9.1 9.2 9.3 9.3.1

Die almohadische Eroberung von Ifrīqiya ................................................192 Almohadische Angriffe auf Tunis.............................................................192 Mahdia und Zawīla ...................................................................................194 Vollendung der almohadischen Eroberung von Ifrīqiya ..........................195 Der Sieg ‘Abd al-Mu’mins über die Riyā 1160/555 ..............................199

10.

Schlußbetrachtung.....................................................................................202

11. Bibliographie.............................................................................................208 11.1 Quellen ......................................................................................................208 11.2 Sekundärliteratur .......................................................................................208 Karte Tunesiens im 11. und 12. Jahrhundert Stammbaum der Ziriden und Hammadiden

Vorwort Die vorliegende Veröffentlichung wurde im Herbst 2005 als Dissertation (ursprünglicher Titel: Die Machtverhältnisse in Ifrīqiya nach der Hilāl-Invasion) von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommen. Bei der Erstellung der Arbeit ist mir von vielen Seiten Unterstützung und Förderung zuteil geworden, für die ich mich bedanken möchte. In erster Linie bin ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Heinz Halm, zu großem Dank verpflichtet. Er machte mich auf das Dissertationsthema aufmerksam, verfolgte sehr interessiert den Fortgang der Arbeit und stand mir stets mit wertvollen Anregungen und Ratschlägen zur Seite. Danken möchte ich auch meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Gotthard Strohmaier für viele nützliche Hinweise bezüglich des Christentums in Nordafrika. Ebenso gilt mein Dank PD Dr. Rainer Nabielek für die kritische Durchsicht der Dissertation, Prof. Dr. Michael Brett, der mir seine unpublizierte Studie über die fatimidische Historiographie zur Verfügung stellte und Noureddine Ben Rejeb, der als arabischer Muttersprachler zur Klärung sprachlicher Schwierigkeiten beitrug. Der Konrad-Adenauer-Stiftung möchte ich für die finanzielle Förderung der Dissertation meinen aufrichtigen Dank aussprechen.

9

1. Forschungsstand Die Geschichte und Kultur des Maghreb ist eine Domäne der frankophonen Orientalistik. Daher ist nahezu die gesamte Sekundärliteratur hierüber im Maghreb selbst oder in Frankreich entstanden. Was die Region um jene Zeit betrifft, so hat sich im deutschsprachigen Raum Heinz Halm mit den schiitischen Fatimiden und den islamischen Sekten beschäftigt. Hans-Rudolf Singer hat sich eingehend mit der Geschichte des gesamten Maghreb von der islamischen Eroberung bis in die Neuzeit befaßt. Die vorliegende Studie möchte zur Aufhellung der vorhandenen Lücken beitragen. Die Erforschung der Berberdynastie der Ziriden beginnt mit Georges Marçais zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bis dahin wurde überwiegend allgemein über Berber und Berberdynastien geschrieben. In seinem Werk Les Arabes en Berbérie, 1913, in dem das Kommen der Beduinen mit dem Sturm der Banū Hilāl im Vordergrund steht, gibt Marçais eine recht detaillierte Beschreibung der einzelnen Berberstämme, auch der Ziriden, von deren Einsetzung in Ifrīqiya durch die Fatimiden bis zum Bruch mit diesen. In seiner Berbergeschichte La Berbérie musulmane, 1946, steht hingegen die Zeit bis zum Hilāl-Sturm im Vordergrund. Die Ausführungen seines ersten Werkes präzisiert Marçais in seiner zweiten Fassung. Hady Roger Idris unterzieht die Dynastie der Ziriden in seinem Werk La Berbérie orientale sous les Zirides, 1962, erstmals einer systematischen, fundierten und nahezu erschöpfenden Untersuchung, die bis heute nicht überholt ist. Für die Zusammenstellung seines Werkes hat er sämtliche Quellen herangezogen, die sich über die Ziriden äußern. Zu Beginn seines Werkes gibt er eine umfangreiche Zusammenstellung der vorhandenen Primär- und Sekundärliteratur. Idris’ Werk ist die wichtigste Sekundärliteratur für meine Arbeit, da er teilweise schon recht ausführlich auf die hier relevante Thematik eingeht. Leider verliert er sich oft in Details. Ferner unterzieht er seine Ausführungen oftmals keiner Wertung. Durch diese beiden Faktoren geht in seinem Werk die Übersicht über gesamtpolitische und -gesellschaftliche Zusammenhänge und Strukturen verloren. Dieser Aufgabe nehme ich mich an. Etwa zeitgleich mit Idris’ Studie veröffentlicht Lucien Golvin seine Untersuchung Le Maghreb Central à l’époque des Zirides, 1957, über den Zentralen Maghreb, die eine nützliche Ergänzung zu Idris’ Werk ist. In dieser Darstellung steht hingegen die Dynastie der Hammadiden und weniger das ziridische Ifrīqiya im Vordergrund. Ausführlich wird die Zeit bis 1050/442 behandelt. Relevant sind dabei besonders die Herkunft der berberischen Zanāta, die Lebensumstände der Berber und das Verhältnis der Ziriden zu den Zanāta. Vorliegendes Thema und die Zeit nach 1050/442 werden hingegen nur sehr marginal behandelt.

10

Da sich die Hilāl-Invasion vor allem auf Ifrīqiya und den Maghreb und weniger auf das fatimidische Ägypten auswirkte, findet das in vorliegender Studie behandelte Thema in Fatimidengeschichten allgemein nicht so viel Beachtung wie in Arbeiten über Berber oder Ziriden. Abdallah Laroui gibt in seiner Histoire du Maghreb, 1976, einen Querschnitt durch die gesamte Geschichte des arabischen Westens. Dabei geht er am Rande auch auf die kontroverse Sichtweise über die Bedeutung der Hilāl-Invasion ein. Heinz Halm zeichnet in der Geschichte der arabischen Welt, 1987, im Anhang die Erforschung der Fatimiden nach. In seiner Fatimidengeschichte Das Reich des Mahdi, 1991, unterzieht er die Ereignisse von der Entstehung der ismailitischen da‘wa bis zur fatimidischen Eroberung Ägyptens einer systematischen und gründlichen Untersuchung. An verschiedenen Stellen geht er auf die Anfänge der fatimidisch–ziridischen Beziehungen und der Einsetzung der Ziridenemire als fatimidische Vizekönige von Ifrīqiya ein. Halms Werk Die Kalifen von Kairo, 2003, behandelt die Geschichte der fatimidischen Kalifen von deren Übersiedlung nach Ägypten 973/362 bis zum Tode des Kalifen al-Mustanir 1074/467. Dabei schneidet der Autor auch die Hilāl-Invasion an und spricht die von der Forschung sehr kontrovers diskutierten Folgen der Invasion an, die in der vorliegenden Dissertation systematisch untersucht werden sollen. Nach Idris’ Werk über die Ziriden wurden zwar vereinzelt Artikel über Ifrīqiya im besagten Zeitraum veröffentlicht, die jedoch kaum das Thema vorliegender Studie betreffen. Hans-Rudolf Singer gibt in der Geschichte der arabischen Welt, 1987, einen Überblick über die Ziriden und Hammadiden und schneidet dabei die politischen Verhältnisse in Ifrīqiya nach der Hilāl-Invasion an. Bei allen Abhandlungen stehen jedoch die einzelnen Dynastien und Stämme im Vordergrund. Die Darstellung der gesamtpolitischen Zusammenhänge wird dabei oft nicht klar genug herausgestellt.

1.1 Beschreibung des Forschungsgegenstandes Während in Idris’ Werk La Berbérie orientale sous les Zirides die Dynastie der Ziriden im Vordergrund steht, stelle ich mir die Aufgabe, die Machtverhältnisse in Ifrīqiya von dem Bruch der Ziriden mit den Fatimiden bis zur almohadischen Eroberung darzustellen. Da die Bedeutung der Hilāl-Invasion in der Forschung jedoch umstritten ist, ist es unbedingt notwendig, ausführlich auf die Vorgeschichte der BeduinenInvasion einzugehen. Daher erfolgt zu Beginn eine kurze Skizzierung folgender Ereignisse: Das allgemeine Verhältnis Araber–Berber spielt in der Studie eine wichtige Rolle, da die Ziriden Berber waren. Aus diesem Grund wird zu Beginn

11

auf die Problematik ihrer Herkunft eingegangen. Dadurch soll zum besseren Verständnis der Beziehungen zwischen Ziriden und Fatimiden beigetragen werden. Es wird geschildert, wie der erste Kontakt der Fatimiden zu den Berbern zustande kam, wobei auf eine Darstellung zur Entstehung der Fatimidendynastie verzichtet wurde, da der Stamm der anhāğa bzw. die Ziriden hierbei keine Rolle spielten.1 Es werden die Anfänge der Ziriden, ihr erster Kontakt mit den Fatimiden und ihre (faktische) Etablierung als Erbdynastie beschrieben. Der Aufstand des Zanāta-Berbers Abū Yazīd gegen die Fatimiden ist Dreh- und Angelpunkt der fatimidisch–ziridischen Beziehungen. Es werden symbolische und politische Gesten behandelt, die das politische Geschehen in den folgenden Jahrzehnten nachhaltig prägten. Dazu gehört in erster Linie der gegenseitige Austausch von Geschenken und deren Zusammensetzung; des weiteren spielt der Ablauf von Krönungs- bzw. Investiturzeremonien eine wichtige Rolle. Ebenso erwähnenswert sind die verschiedenen Titel, die die Fatimiden ihren ziridischen Vasallen verliehen, da sie teilweise etwas über deren (gestiegenen) Status und den Zustand der gegenseitigen Beziehungen aussagen. Auch die Gründung der ziridischen Hauptstadt Ašīr – Symbol für einen gewissen Herrschaftsanspruch – und die Reaktion der Fatimiden darauf wird besprochen. Die Verwaltung und Abtretung bestimmter, strategisch wichtiger Gebiete spielt gerade zu dem Zeitpunkt eine wichtige Rolle, wo sich die Ziriden in Ifrīqiya fest etabliert hatten. Die Bedeutung von Münzen als Souveränitätsmerkmal tritt besonders in der Phase des Bruchs in den Vordergrund. Es wird darauf eingegangen, welche Rolle die Umayyaden und Hammadiden bei den fatimidisch–ziridischen Beziehungen spielten, und welchen Einfluß sie dabei hatten. Die unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse der Ziriden und Fatimiden hatten bis zu den Schiitenmassakern in Ifrīqiya 1016–1018/406–408 keinen oder allenfalls geringen Einfluß auf die gegenseitigen Beziehungen. Daher wird auch erst ab den Schiitenmassakern auf diese Thematik eingegangen. Die zahlreichen Aufstände der Zanāta werden im einzelnen nicht geschildert. Lediglich die Ereignisse, welche für das Thema relevant sind, finden entsprechend Beachtung. Bei der Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen übernahmen die Ziriden die aktive Rolle. Sie waren diejenigen, die die Loslösung von den Fatimiden, wenn auch zunächst langsam, betrieben. Die Fatimiden nahmen das bis zum Zeitpunkt des Bruches hin, da sich der formale Status quo bis dahin nicht änderte. Die Ziriden blieben bis dahin zumindest formal die Statthalter der Fatimiden in Ifrīqiya, auch wenn sie spätestens mit Beginn der Regierung des zweiten Ziriden1

12

H. Halm geht in seiner Fatimidengeschichte Das Reich des Mahdi ausführlich darauf ein.

emirs Bulukkīn2 b. Zīrī (reg. 972–984/361–373) de facto souverän über das Land herrschten. Wichtigstes Thema der Arbeit ist die durch den Bruch zwischen den Fatimiden und Ziriden 1050 erfolgte Hilāl-Invasion, da dieses Ereignis die Weichen für die politische Entwicklung von ganz Nordafrika für die nächsten Jahrzehnte stellte. Da die fatimidisch–ziridischen Beziehungen ein Schlüssel zum Verständnis und zur Bewertung der Hilāl-Invasion sind, finden sie entsprechend Beachtung. Es werden ausführlich die Hintergründe, Ursachen und Anlässe der HilālInvasion behandelt. Die Auseinandersetzung zwischen dem Ziridenemir alMu‘izz b. Bādīs und dem Wesir der Fatimiden, al-Yāzūrī, die in der Forschung als Auslöser für die Hilāl-Invasion gilt, wird beleuchtet. Dabei wird dargestellt, welchen Stellenwert diese Auseinandersetzung hatte. Dazu soll herausgestellt werden, wieviel Macht der Wesir am Kalifenhof einerseits und der Ziridenemir andererseits hatte. Außerdem ist es wichtig zu wissen, welche Rolle der Fatimidenkalif selbst bei der Auseinandersetzung spielte. Im Zusammenhang der HilālInvasion muß auch das Verhältnis zwischen den Fatimiden und den beduinischen Hilāl sowie deren Einfluß auf die Hilāl-Invasion berücksichtigt werden. Die Folgen der Hilāl-Invasion werden in der Forschung kontrovers beurteilt. Für einen Teil der französischen und tunesischen Forschung (Xavier de Planhol, Hady Roger Idris) gilt nach wie vor die Behauptung Ibn aldūns, die BeduinenInvasion (de Planhol: bédouinisation) habe die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur des Maghreb ruiniert und die Rückständigkeit der Maghreb-Länder verschuldet. Gegen diese Sicht wurde von Jean Poncet vehement Einspruch erhoben; er sprach vom mythe de la „catastrophe“ hilālienne. In der französischen Zeitschrift Annales: Economies, Sociétés, Civilisations wurde die Kontroverse 1967/ 68 zwischen Idris und Poncet ausgetragen, ohne daß die Quellen speziell auf diese Frage hin noch einmal untersucht worden wären. In der Dissertation soll dieser Frage besonders gründlich nachgegangen werden. Das bedeutendste Ereignis nach der Hilāl-Invasion war die Schlacht von aidarān, da deren Ausgang die Weichen für die folgende politische Entwicklung der Region stellte. Mit dem Sturm der Hilāl trat die Arabisierung Nordafrikas in eine bedeutende Phase. Daher wird ausführlich auf die Struktur der Hilāl eingegangen, welche Unterstämme die Führungsrolle hatten, und wie sich die einzelnen Zweige zueinander verhielten. Zu diesem Zweck wird auch auf die Genealogie der Hilāl eingegangen.

2

gesprochen: „Buluggin“.

13

Eine zentrale Fragestellung ist das Verhalten der hilalischen Invasoren in Nordafrika hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung und den örtlichen politischen Führern. Die Struktur und ethnische Zusammensetzung der Armeen und Armeeführer sowie deren Verhältnis zueinander und wie sie sich im Zuge der Invasion verändert haben, wird untersucht. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, in welchem Grad unterlegene Militärs in die Armee der Sieger Eingang fanden und welchen Einfluß das auf den zukünftigen Verlauf militärischer Aktionen und der politischen Verhältnisse in Ifrīqiya hatte. Es soll auch untersucht werden, welche Städte und Regionen besetzt wurden und ob es bei der Besetzung Unterschiede zwischen Städten und Regionen gab. Auch das Verhältnis zwischen Städten und Dörfern spielt eine Rolle. Bei sämtlichen militärischen Aktionen soll untersucht werden, wie die einzelnen Armeen ausgerüstet waren und wie sich die militärischen Kräfte zueinander verhielten. Im Verlauf der Invasion eroberten die Hilāl zahlreiche Städte. Derartige Eroberungen wurden von den Einwohnern in der Regel nicht ohne Widerstand hingenommen. Es gab infolgedessen zahlreiche Revolten, die aber alle niedergeschlagen wurden. Hierbei soll auch der Verlauf der Revolten untersucht und verglichen werden. Auch die Befestigung der Städte spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Bei der politischen Entwicklung Nordafrikas dominierte zweifellos die Eroberung der Region durch die Hilāl. Daher soll der Frage nachgegangen werden, wie sie regierten, welche Ziele sie verfolgten und was sie dazu motivierte. Ein nicht unbedeutender Aspekt der hilalisch–ifriqischen Beziehungen ist das Eingehen von Verwandtschaftsverhältnissen miteinander, besonders dann, wenn sich das auf höchster Ebene abspielte: Der Ziridenemir ließ schon zu Beginn der Hilāl-Invasion einige seiner Töchter mit Hilāl-Führern verheiraten. Auch hier soll herausgearbeitet werden, welche politischen Folgen daraus resultierten und welche Auswirkungen das auf die gegenseitigen Verhältnisse hatte. Es soll der Frage nachgegangen werden, nach welchen Kriterien die Hilāl die eroberten Städte unter sich aufteilten und wie diese Städte dann regiert wurden. Oftmals wurde ein Gouverneur eingesetzt, der kurze Zeit später nach Unabhängigkeit strebte. Auch die daraus entstehenden Spannungen zu den Militärführern sollen untersucht werden. Ebenso sollen die Herkunft und die reale Macht der Gouverneure beleuchtet werden. Eine der wichtigsten Fragen ist, ob es nach der Hilāl-Invasion überhaupt noch ein zentrales Regierungsorgan in Ifrīqiya gab. Während des gesamten behandelten Zeitraums wird untersucht, welche Rolle die Fatimiden in der Politik Nordafrikas spielten und welchen Einfluß sie dabei

14

hatten. Es wird auch gegenübergestellt, wie sich das (Dreiecks-)Verhältnis Fatimiden – Hilāl – Ziriden gestaltete. Ein weiterer Aspekt ist die traditionelle Rivalität zwischen Zanāta und anhāğa. In vorliegender Studie soll herausgestellt werden, wie sich die Hilāl-Invasion auf diese Rivalität auswirkte. Eines der wichtigsten Kapitel in der Geschichte Nordafrikas ist die Rolle, die die Normannen spielten, und welchen Einfluß sie auf die Entwicklung Nordafrikas hatten. Insgesamt werden in der Arbeit Ereignisse behandelt, die sich in ganz Nordafrika (die Gebiete des heutigen Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten) abspielten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Ifrīqiya, dem heutigen Tunesien, wo die ziridische Machtzentrale Kairuan war. Hier wurden fast alle wichtigen politischen Entscheidungen getroffen, und von hier nahm die Gestaltung der fatimidisch–ziridischen Beziehungen ihren Ausgang. Da die vorliegende Abhandlung überwiegend historischer Natur ist, habe ich mich für einen chronologischen Aufbau entschieden.

1.2 Quellenlage Da sämtliche erhalten gebliebenen Werke ediert sind, ist die Heranziehung von Handschriften oder Archivalien entbehrlich. Michael Brett hat sich intensiv mit der fatimidischen Historiographie beschäftigt.3 Der größte Teil der für vorliegendes Thema relevanten Quellen stammt aus der Mamlukenzeit. Ulrich Haarmann weist darauf hin, daß die Geschichtswerke aus dieser Zeit dem Annalenschema folgen, das seit a-abarīs Ta’rī ar-rusul wa-l-mulūk kanonischen Charakter angenommen hat, auch wenn gerade zu jener Zeit die ersten Versuche unternommen wurden, sich von diesem traditionellen Schema zu trennen. Der Versuch, die herrschende Konvention durch ein gleichwertiges Schema zu ersetzen, warf zunächst kaum lösbare methodische Probleme auf. Wiederholung und Ungenauigkeit waren die Folge. Zu den ersten, die versuchten, mehrere Jahre umfassende Ereignisse als eine historische Einheit darzustellen und damit von der traditionellen annalistischen Einteilung abzuweichen, gehörten u.a. Ibn aldūn und an-Nuwairī. Viele mamlukische Chronisten behielten das äußere Annalenschema zwar bei, taten dies allerdings nur, um innerhalb dieser konventionellen Form ihre oftmals literarisierende Darstellung nach eigenem Geschmack zu gestalten. Nicht alle Chronisten dieser Zeit, wie z.B. alMaqrīzī, übernahmen diese „Literarisierung der inneren Form“. Oftmals war das 3

Michael Brett: Fatimid Historiography: A case study – the quarrel with the Zirids, 1048– 58, in: Medieval Historical Writing in the Christian and Islamic Worlds, hrsg. D.O. Morgan, 1982, 47–58; ders.: Fitnat al-Qayrawān, unpublizierte Ph.D., London: 1970.

15

ihren Werken zugrundegelegte Material allerdings bereits literarisiert, so daß literarisierende Elemente unfreiwillig in ihre Darstellungen einflossen.4 Bei der Behandlung des vorliegenden Themas stellt sich das Problem, daß unsere wichtigsten Chronisten wie Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī und an-Nuwairī bei der Abfassung ihrer Werke ihre Informationen fast ausschließlich von Angehörigen oder engen Vertrauten des ziridischen Herrscherhauses bezogen. Teilweise schrieben sie auch voneinander ab. Die christlichen Quellen geben über die HilālInvasion in Ifrīqiya keine Auskunft. Ebensowenig sind entsprechende Schriftdenkmäler über diese Zeit von den Hilāl selbst vorhanden noch gibt es Chronisten, die ihre Informationen nicht von den Ziriden nahe stehenden Gewährsmännern bezogen. Diese Aspekte müssen bei der Untersuchung des vorliegenden Themas stets berücksichtigt werden. Ar-Raqīq (gest. 1027–1028/418), der unter den Ziridenemiren al-Manūr, Bādīs und al-Mu‘izz Chef der ziridischen Kanzlei war, hat eine Chronik verfaßt. Sie wird u.a. von Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī und an-Nuwairī zitiert. Ibn Šaraf, ein Dichter des Ziriden al-Mu‘izz b. Bādīs, schrieb eine Fortsetzung der Chronik des ar-Raqīq. Er wird u.a. von Ibn ‘Idārī zitiert. Ibn Šaddād (gest. 1186/582), Ziridenchronist und Enkel des vierten Ziriden Tamīm (reg. 1062–1108/454–501), ist Autor einer Chronik von Kairuan. Er wird u.a. von Ibn allikān, al-Maqrīzī und an-Nuwairī zitiert. Ibn Rašīq (gest. 1064/456), ziridischer Hofdichter, hat eine Chronik verfaßt, die u.a. von Ibn Bassām und Ibn aldūn verwendet wird. All diese Werke sind verloren. Der Panegyriker der letzten drei Ziriden, Abū -alt (gest. 1135/529), wird von Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī, at-Tiğānī und Ibn al-aīb verwendet. Es fällt auf, daß sich unsere wichtigsten Chronisten fast alle auf dieselben Gewährsleute stützen. Das spiegelt sich auch dementsprechend in ihren Chroniken wider. Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, daß alle Quellen mehr oder weniger ziridenunkritisch sind. Das hat auch maßgeblich die Bewertung der Hilāl-Invasion durch die französische und tunesische Forschung beeinflußt. Die von dem syrischen Historiker Ibn al-Atīr (gest. 1233/630) zusammengestellte Universalgeschichte al-Kāmil fī-t-ta’rī ist ein annalistisches Geschichtswerk von der Entstehung der Welt bis zu seinem Tod.5 Ibn al-Atīr stützt sich dabei hauptsächlich auf a-abarīs Ta’rī ar-rusul wa-l-mulūk. Andere Quellen gibt er jedoch nicht an. Das 1256/654 in Kairo von dem arabischen Biographen

4

5

16

Ulrich Haarmann: Auflösung und Bewahrung der klassischen Formen arabischer Geschichtsschreibung in der Zeit der Mamluken, in: ZDMG 121 (1971), 49–54; ders.: Quellen zur frühen Mamlukenzeit. Freiburg 1970, 148–153. Rosenthal, Franz: Art. Ibn al-Athīr, in: EI2, Bd. III, 728.

Ibn allikān (gest. 1282/681) begonnene biographische Lexikon Wafayāt ala‘yān enthält nur Personen, deren Todesjahr bekannt ist. Umayyaden- und Abbasidenkalifen finden im Gegensatz zu den Fatimidenkalifen ebensowenig Beachtung. Zeitgenossen von Ibn allikān werden wie bei Ibn al-Atīr im Gegensatz zu Personen, die früher lebten, recht ausführlich behandelt.6 Die Universalchronik des mamlukenzeitlichen Chronisten an-Nuwairī (gest. 1332/733) Nihāyat al-arab fī funūn al-adab ist nach Regionen und Dynastien eingeteilt, innerhalb derer er dem traditionellen annalistischen Schema folgt. Die Fatimidengeschichte Itti‘ā al-unafā’ bi-abār al-a’imma al-Fāimiyyīn alulafā’ des mamlukenzeitlichen Autors al-Maqrīzī (gest. 1442/846) ist nach den einzelnen Kalifen eingeteilt. Aus seinem Werk bekommt man ein sehr umfangreiches Bild von dem Wesir al-Yāzūrī, der Schlüsselfigur bei der Hilāl-Invasion, sowie von der Hilāl-Invasion selbst. In der von dem marokkanischen Annalisten Ibn ‘Idārī (gest. im 14./8. Jh.) verfaßten Universalgeschichte al-Bayān al-muġrib fī abār al-Maġrib steht die Geschichte Ifrīqiyas von der Eroberung Ägyptens 640–641/20 bis zur Eroberung von al-Mahdiyya durch die berberischen Almohaden im 13./7. Jahrhundert im Vordergrund. In dem für vorliegende Studie relevanten ersten Teil dieses Werkes werden die verschiedenen Dynastien und Fürstentümer, die dicht aufeinander folgten, beschrieben. Daher werden hier die Ziriden und ihre Beziehungen zu den Fatimiden wesentlich ausführlicher behandelt als bei al-Maqrīzī. Ibn aldūn (gest. 1382/784) behandelt in seinem Kitāb al-‘Ibar den arabischen Westen, insbesondere die Herkunft der Berber, und bringt eine Fülle von Fakten; allerdings fehlen sehr oft präzise Datumsangaben und Details. Erschwerend kommt hinzu, daß er ein Thema an verschiedenen Stellen seines Werkes behandelt. Ibn aldūn stützt sich hauptsächlich auf an-Nuwairīs Nihāyat al-arab und zitiert den spanischen Historiker Ibn an-Nawī.7 Die von dem Kairiner Annalisten Ibn Taġrībirdī (gest. 1470/874) verfaßten an-Nuğūm az-zāhira fī abār Mir wa-l-Qāhira sind ein annalistisches Geschichtswerk Ägyptens von 641/20 bis zu seiner Zeit.8 Ibn Taġrībirdī wirft seinem Lehrer al-Maqrīzī Ungenauigkeit in seinen Werken vor. Donald P. Little weist jedoch darauf hin, daß auch die Nuğūm an Präzision zu wünschen übrig lassen. Diese Universalchronik ist nach den Regierungen einzelner Herrscher angeordnet, was den biographischen Charakter verstärkt.9 Ibn Taġrībirdī stützt sich u.a. auf an-Nuwairī und übernimmt dessen Einteilung. 6 7 8 9

Fück, Johann: Art. Ibn Khallikān, in: EI2, Bd. III, 832–833. Talbi, Mohamed: Art. Ibn Khaldūn, in: EI2, Bd. III, 829–830. Popper, William: Art. Ibn Taghrībirdī, in: EI2, Bd. I, 138. Donald P. Little: Introduction to Mamluk Historiography. Wiesbaden 1970, 87.

17

2. Der Vorabend der Hilāl-Invasion 2.1 Das Problem der Herkunft der Berber Auf die Herkunft der Berber kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Idris unterzieht diese Frage einer ausführlichen Diskussion, indem er die verschiedenen Sichtweisen arabischer und berberischer Genealogen gegenüberstellt.10 Auch Brett geht recht ausführlich auf die Herkunft der Berber hinsichtlich deren Rolle bei der Arabisierung Nordafrikas ein.11 Bemerkenswert ist, daß sich die pro-fatimidischen Kutāma und anhāğa auf einen anderen Berberstamm als die Zanāta, deren wichtigste Zweige die Banū Birzāl, die Maġrāwa und die Ifrān sind, zurückführen.12 Der Verwandtschaftsgrad zwischen den Berbern und Arabern scheint ebensowenig geklärt zu sein, wie die genaue Herkunft der Berber. Unter den zahlreichen Zweigen der anhāğa gab es zwei Hauptlinien: 1) Die Talkāta, zu denen die Ziriden Ifrīqiyas und Spaniens und die Hammadiden des Zentralen Maghreb gehören, 2) die Lamtūna, die Wegbereiter der almoravidischen Macht waren. Welche Territorien die Talkāta beim Sturz der Aghlabidendynastie besaßen, ist nicht ganz sicher. Es ist jedoch anzunehmen, daß sie zumindest den Westen des Zentralen Maghreb in ihrer Hand hatten, d.h. die Städte Msila, Hamza, Algier, Medea und Miliana. Die Talkāta hatten die Oberherrschaft über alle anderen Stämme in ihrem Siedlungsgebiet, was auf die zahlenmäßige Stärke der Talkāta, aber sicher noch viel mehr auf die militärische Fähigkeit ihrer Führer zurückzuführen war.13 Ibn aldūn weist darauf hin, daß die Talkāta Klienten des Kalifen ‘Alī b. Abī ālib und die zanatischen Maġrāwa die des Kalifen ‘Utmān waren, ohne jedoch erklären zu können, wie diese Klientelverhältnisse zustande kamen.14 Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß derartige Klientelverhältnisse nicht bestanden, da sie in keiner Quelle erwähnt werden, zumal gerade zur frühislamischen Epoche zahlreiche ausführliche Berichte vorliegen. Ibn aldūn selbst gibt ja auch zu, daß er das Zustandekommen besagter Klientelverhältnisse nicht erklären kann. Ferner ist er der einzige, der überhaupt davon spricht. Deshalb kann man Golvin durchaus zustimmen, wenn er die beschriebenen Klientelverhältnisse als eine Erklärung a 10 Hady Roger Idris: La Berbérie Orientale sous les Zirides. Paris 1962, 3–8. 11 Michael Brett/Elisabeth Fentress: The Berbers. Oxford: 1996, 120–153. 12 Ibn aldūn: Histoire des Berbères, I. 168–169; Lucien Golvin: Le Maghreb central à l’époque des Zirides. Paris 1957, 30. 13 Golvin, 27; Brett/Fentress, Berbers, 131–132. 14 Ibn aldūn, Berbères, II, 3–4.

18

posteriori bezeichnet, um die herausragende Rolle der anhāğa, die sie im Zusammenhang mit dem ersten Fatimidenkalifen ‘Abdallāh al-Mahdī (reg. 903–934/ 290–322) gespielt haben und die später zur Etablierung der Ziridendynastie führten, zu begründen.15 Es kann sein, daß die Historiker zu jener Zeit ihr mangelndes Wissen über die Herkunft der Berber mit Legenden füllten. Es wird heute noch darüber diskutiert, ob es mehrere Berbersprachen oder nur eine gibt. Wie bei der Herkunft der Berber ist auch die Herkunft ihrer Sprachen unsicher. Man vertritt heute die Ansicht, daß die Berbersprachen wie die semitischen Sprachen zur Gruppe der afroasiatischen Sprachen, deren Sprachgebiet sich von Vorderasien über Nordostafrika bis nach Zentral- und Nordwestafrika erstreckt, gehören.16 Das Arabische und das Berberische sind also etwa soweit verwandt wie das Deutsche und das Persische. Von daher kann man Ibn aldūn ohne weiteres glauben, daß er vom Berberischen kein Wort verstanden hat und daher auf eine Nichtverwandtschaft beider Sprachen schloß. Zusammenfassend kann man sagen, daß sich arabische und berberische Genealogen sowie die heutige Forschung trotz der Meinungsverschiedenheit über die Herkunft der Berber zumindest darüber einig sind, daß die anhāğa und Kutāma aus dem Nahen Osten stammen. Ferner sind sie sich über die Verwandtschaft von anhāğa und Kutāma einig, auch wenn sie diese Verwandtschaft unterschiedlich definieren.

2.2 Vorgeschichte und Herkunft der Hilāl 17 2.2.1 Die Zusammensetzung der Beduinenstämme und deren wichtigste Führer Die folgende Darstellung möchte lediglich eine Übersicht über die wichtigsten Stämme und deren Führer geben, da eine erschöpfende Behandlung den Rahmen der Arbeit sprengen und zu stark vom Thema abweichen würde. Für vertiefende Studien sei auf die Werke von Ibn azm, Ibn aldūn und Werner Caskel verwiesen.18 Ibn aldūn19 ist es zu verdanken, daß wir präzise Informationen über 15 Golvin, 24. 16 Metzlar: Lexikon Sprache. Stuttgart 2000, 19; 105. 17 Über Šukr und Ğāziya gibt es zahlreiche Legenden. Ibn aldūn, Kitāb al-‘Ibar, Bd. VI. Beirut 1968, 41 ff./Berbères, I, 41–43 berichtet ausführlich darüber. Michael Brett: Ibn Khaldūn and the Arabisation of North Africa, in: Les Cahiers de Tunisie 1979a, unterzieht die Herkunft der Beduinen, deren Verwandtschaftsgrad mit den Berbern und das Wissen von Ibn aldūn hierüber einer ausführlichen Untersuchung. 18 Ibn azm: Ğamharat ansāb al-‘arab, hrsg. von ‘Abd as-Salām Muammad Hārūn, Kairo 1971; Werner Caskel: Ğamharat an-nasab. Leiden: 1966; Ibn aldūn, ‘Ibar. 19 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 35–44/Berbères, I, 37–45.

19

die Struktur der Hilāl und ihrer wichtigsten Führer haben. Er hatte im Laufe seines Lebens im Maghreb mit Nachkommen der Beduinenführer zu tun, wodurch er viele mündliche Traditionen und genealogische Informationen sammeln konnte. Dabei verwendete er auch Legenden. Dennoch ist Ibn aldūn, insbesondere was die Struktur und die Herkunft der einzelnen Beduinenstämme betrifft, die wertvollste Quelle. Von den anderen Quellen erfahren wir hierüber leider überhaupt nichts. In Oberägypten siedelten arabische Stämme, die den Fatimiden große Sorgen bereiteten, und zwar die Banū Hilāl und die Banū Sulaim. Es gab vier große Beduinenstämme, die alle von Hilāl b. ‘Āmir abstammen: Zuġba, Riyā, Atbağ und Qurra. Manchmal wurden auch die ‘Adī dazugezählt. Es gibt jedoch keine Belege über deren Herkunft und keine Familie, die sich auf die ‘Adī zurückführt. Ibn aldūn vermutet, daß die ‘Adī entweder ganz ausgestorben, oder zahlenmäßig so stark zurückgegangen waren, daß sie sich auf die anderen Stämme verteilt hatten. Die Rabī‘a wurden auch zu den Hilāl gezählt. Es gab aber kein Volk mit diesem Namen. Ibn aldūn vermutet, daß die Ma‘qil aus diesem Stamm hervorgingen.20 Die Atbağ umfaßten zwei wichtige Unterstämme, die Duraid und die Karfa.21 Unterstämme der Karfa waren die Banū Katīr und die Banū ‘Aiyya. Die Riyā waren weniger mächtig und zahlreich als die Atbağ. Den Hauptzweig der Riyā, die Banū Mirdās Riyā (nicht zu verwechseln mit den Mirdās Sulaim und den recht unbedeutenden Mirdās al-Maqhā) führte Mu’nis b. Yayā vom Unterstamm der Banū innabar an. Daneben führt Ibn aldūn weitere Unterstämme der Hilāl auf. Er führt zum Schluß eine gewisse Anzahl von mehr oder weniger eng mit den Hilāl, besonders den Atbağ, verbündeten Gruppen an: Fizāra und Ašğa‘, Gruppen der Ġaafān, Ğušam, Salūl, Ma‘qil, ‘Anaza, ‘Adwān und arūd. Ibn aldūn nennt keine Unterstämme der bedeutenden Zuġba. Nach Ibn Bassām stammen die Zuġba, ‘Adī, Atbağ und die Riyā von ‘Āmir b. a‘a‘a ab.22 Die bekanntesten Führer waren asan b. Sarān, sein Bruder Badr b. Sarān und Fal b. Nāhi. Alle drei führen ihren Ursprung auf Duraid, einem Nachkommen von Atbağ zurück. Ferner Māī b. Muqrab23 von dem Stamm der Qurra; Salāma b. Rizq von der Familie der Katīr (Zweig der Karfa, einem Unterstamm 20 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 36/Berbères, I, 38. 21 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 36/Berbères, I, 38. 22 Idris, Berbérie Orientale, 209. vgl. auch Ibn ‘Idārī: Al-Bayān al-muġrib fī abār alMaġrib, Bd. I, hrsg. von G. S. Colin und E. Lévi-Provençal. Leiden: 1948, 297. 23 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 35/Berbères, I, 37.

20

der Atbağ); Šabāna b. Uaimar; sein Bruder ulaial, der zu den Banū ‘Aiyya, eines Zweiges der Karfa, gehörte; Diyāb b. Ġānim vom Stamm der Taur; Mu’nis b. Yayā gehörte zu den innabar, Familie des Stammes Mirdās Riyā (nicht zu verwechseln mit Mirdās von der Familie Sulaim). Andere wichtige Führer waren Zaid b. Zaidān von den aāk, Mulaiān b. ‘Abbās von den imyar, Fāris b. Abī l-Ġait, dessen Bruder ‘Ābid und Fal b. Abī ‘Alī. Diese stammten von den Riyā ab.24 Die Banū Qurra zählt Ibn aldūn zu den Hilāl. 1029–1030/420 soll sich der Emir der Qurra, Māī b. Muqrab, auf die Suche nach der Oase von abrawā gemacht haben. Ein Teil dieses Stammes machte sich mit den Atbağ, Riyā und Zuġba auf den Weg nach Ifrīqiya.25 Zeitlich könnte man dieses Ereignis dann vor das Jahr 1029–1030/420 datieren. Das heißt also, daß Beduinenmigrationen Richtung Ifrīqiya schon vor dem Bruch der Fatimiden und Ziriden stattfanden! Es ist allerdings die Frage, ob damit schon zukünftige Migrationen nach Ifrīqiya geplant waren. Unter den gegebenen Umständen muß das eher bezweifelt werden. Derartige „Migrationen“ stehen jedoch in keinerlei Zusammenhang mit den politischen Beziehungen zwischen Fatimiden und Ziriden. Daher kann man sie auch nicht als Vorläufer der Hilāl-Invasion von 1052/444 betrachten. Ein viel wichtigerer Aspekt, den man in diesem Zusammenhang beachten muß, ist die Tatsache, daß in den Quellen hiervon keine Rede ist. Auch der Geograph al-Bakrī, der diese Begebenheit überliefert, nennt keine Gewährsleute. Daher muß man annehmen, daß es sich hier tatsächlich um eine Legende handelt, möglicherweise mit dem Ziel, die spätere Westmigration der Beduinen zu legitimieren. Idris und Brett behandeln den Mord des Zanātafürsten von Tripolis, Sa‘īd b. azrūn, durch die arabischen Zuġba.26 Brett schließt von der Ermordung von Sa‘īd b. azrūn auf eine generelle Feindseligkeit der Zuġba gegenüber den Herrschern der nordafrikanischen Küste, also im Prinzip auch der Ziriden. Es greift jedoch zu weit, hieraus auf eine generelle feindselige Einstellung der Beduinen gegenüber den Ziriden zu schließen. Es gibt viele Erzählungen über den Übertritt der Hilāl nach Afrika. Während der Regierungszeit von al-ākim erklärte sich der Šarīf Abū l-Futū al-asan in Mekka für unabhängig. Die Banū l-Ğarrā, Emire des syrischen Stammes ayyi’, huldigten ihm. Auf ihre Einladung hin begab er sich in ihre Lager. Daraufhin 24 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 35–36/Berbères, I, 38. 25 Idris, Berbérie Orientale, 209, nach einer von dem Geographen al-Bakrī überlieferten Legende. 26 Idris, Berbérie Orientale, 164–165; Brett, The Zughba at Tripoli, 429 H (1037–8 A. D.), 44; ders.: The City-State in Medieval Ifriqiya: The Case of Tripoli, in: Les Cahiers de Tunisie: 1986, 81.

21

beeilten sich alle nomadischen Araber ihm den Treueeid zu leisten. Da seine Kämpfer jedoch von al-ākims Truppen besiegt wurden, kehrte er nach Mekka zurück, wo er 1038–1039/430 starb. Sein Sohn und Nachfolger Šukr verbündete sich mit asan b. Sarān, deren Schwester al-Ğāziya er heiratete. Aus der Ehe ging der Sohn Muammad hervor. Nachdem es zu Streitigkeiten zwischen Šukr und den Stammesangehörigen von asan b. Sarān gekommen war, entschlossen sich letztere, nach Afrika zu ziehen. Mit einer List gelang es ihnen, Šukrs Frau alĞāziya mitzunehmen. Mit einem Vorwand lockten sie Šukr und al-Ğāziya in ihren Einflußbereich. Von dort schickten sie Šukr wieder nach Mekka zurück und behielten al-Ğāziya bei sich. Kurze Zeit darauf starb sie. Šukr starb 1061/453. Die Hilāl behaupten, daß al-Ğāziya, nachdem sie von Šukr getrennt worden war, in Ifrīqiya einen ihrer Führer heiratete, und zwar Māī b. Muqrab vom Stamm der Duraid.

2.3 Die Vorgeschichte des Bruches zwischen Fatimiden und Ziriden

2.3.1 Politische Probleme Peter Feldbauer weist darauf hin, daß „in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Nordafrika wieder eine ähnlich vielfältige politisch-herrschaftliche Aufteilung aufwies wie knapp vor der arabischen Eroberung: Im Osten befand sich der entwickelte Ziridenstaat Ifrīqiya. Unmittelbar benachbart lag der ähnlich strukturierte, aber etwas geringer urbanisierte und verwaltungsmäßig weniger durchdrungene Herrschaftskomplex der Hammadiden. Noch weiter im Westen führten der Rückzug der Fatimiden und der Niedergang der Umayyaden zur Etablierung einer Reihe unabhängiger Zanāta-Stadtstaaten.“27 Poncet setzt die Ursachen für den Bruch zeitlich bereits bei der Übersiedlung der Fatimiden von Ifrīqiya nach Ägypten im Jahr 971/360 und der Einsetzung der Ziriden als fatimidische Vizekönige von Ifrīqiya an. Seiner Ansicht nach trugen auf der einen Seite die Fatimiden einen Teil der Schuld am Niedergang von Kairuan, indem sie die Stadt durch den Umzug aller Funktionsträger, Architekten, Bauherren und Soldaten nach Ägypten um ihre gesamte hauptstädtische Infrastruktur brachten. Auf der anderen Seite haben die Ziriden mit dem Bau der neuen Hauptstadt Ašīr und die Hammadiden mit dem Bau der Qal‘a ebenso einen entscheidenden Beitrag zum Verfall des Machtzentrums Kairuan beigetragen. Nach Poncets Meinung spielte es auch keine Rolle, daß jegliche Macht von den Fatimiden ausging und Ifrīqiya uneingeschränkt zum fatimidischen Herrschafts-

27 Peter Feldbauer: Die islamische Welt 600–1250. Wien 1995, 390.

22

bereich gehörte.28 Dieser Einschätzung kann man ohne weiteres zustimmen. Es ist vollkommen natürlich, daß sich eine Statthalterdynastie eines Tages von der Mutterdynastie abkoppelt. Ein derartiges Bestreben tritt insbesondere dann zu Tage, wenn nicht mehr die Generation, unter der dieser Zustand eingetreten war, an der Macht ist. Daher müßte man das vorliegende Kapitel eigentlich mit der Übersiedlung der Fatimiden nach Kairo beginnen lassen. Das würde jedoch nicht nur den Rahmen der Arbeit sprengen, sondern auch zu stark von dem eigentlichen Thema abweichen. Poncet hat sehr eindrucksvoll den beginnenden Niedergang des ziridischen Staates geschildert und analysiert.29 Bei Idris kommt die Darstellung der inneren Probleme des ziridischen Staates, die ohne jeden Zweifel zum Verfall der ziridischen Macht beigetragen hatten, angesichts der Fülle von Fakten oft nicht zur Geltung. Ferner fällt auf, daß Idris die Ursachen für den Bruch zwischen den Ziriden und Fatimiden sowie den Zusammenbruch der Ziriden-Dynastie fast nur bei den Fatimiden, Abbasiden, Byzantinern und besonders den Beduinen, nicht jedoch bei den Ziriden selbst sucht. Poncet hat die Faktoren, die zum Bruch führten, genau dargestellt. Dabei kommt er teilweise zu anderen Ergebnissen als Idris. Poncet wirft den Ziriden eine vollkommen verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik vor. Idris geht zwar auch auf die wirtschaftlichen Probleme der anhāğa-Dynastie ein. Er stellt sie jedoch nicht, anders als Poncet, in Zusammenhang mit dem fatimidisch–ziridischen Bruch und dem Niedergang der anhāğa-Dynastie. Poncet wirft Idris vor, nur die religiösen Probleme des Landes zu beleuchten, die unter al-Mu‘izz zunehmenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme hingegen weitestgehend auszublenden.30 Poncet hingegen betont, daß die wirtschaftlichen Probleme eine große Mitschuld am Zusammenbruch des ziridischen Staates haben. Es ist offensichtlich, daß Idris damit die Schuld am Niedergang der anhāğa-Dynastie allein den Hilāl zuschreiben will. Poncet bemerkt, daß dem von Idris dargestellten Bild von der „Katastrophe der Hilāl-Invasion hundertmal von der beeindruckenden Masse an Dokumenten, die dieser Autor zusammengetragen hat, widersprochen wird.“31 Mit dieser Aussage leitet Poncet die Zusammenfassung und Analyse der Probleme der anhāğaDynastie ein. 28 Jean Poncet: Le mythe de la „catastrophe“ hilalienne, in: Annales E. S. C. 22 (1967), 1101; ders.: Prospérité et décadence ifrikiyennes, in: Les Cahiers de Tunisie: 1961, 234. 29 Poncet, 1967, 1102 ff. 30 Poncet: Encore à propos des Hilaliens: La mise au point de R. Idris, in: Annales E. S. C. 23 (1968), 660. 31 Poncet, 1967, 1100.

23

Idris und Poncet sind sich jedoch darin einig, daß al-Manūr und Bādīs Ifrīqiya innenpolitisch befriedet haben, und sie ihre Position stärken konnten.32 Idris stellt die Frage, warum man den seiner Ansicht nach unter al-Mu‘izz erreichten Höhepunkt Ifrīqiyas auf die Zeit vor Bādīs zurückführen soll. In demselben Satz erwähnt Idris, daß sich Bādīs gerade im Krieg gegen ammād befand.33 Eben dieser Krieg hat doch gerade zur Spaltung und damit zu einer entscheidenden Schwächung der anhāğa-Dynastie geführt! Damit liefert Idris selbst die Antwort auf seine Frage. Es ist offensichtlich, daß Idris den Höhepunkt der civilisation kairouanaise nur deshalb bei der Regierungszeit des al-Mu‘izz belassen will, weil er sonst einräumen müßte, daß die Hilāl an der Situation in Ifrīqiya allenfalls eine geringe Schuld haben. Die Regierungszeit von Bādīs b. al-Manūr (996–1016/386–406) war durch folgende Ereignisse gekennzeichnet: Ihm gelang der Anschluß der zum fatimidischen Reich gehörenden Region um Barqa, da er sie so besser gegen die Raubzüge der Wüstenstämme verteidigen könne. Auch wenn es Bādīs gelang, die Lage in Ifrīqiya selbst zu stabilisieren, so muß man feststellen, daß am Ende seiner Regierungszeit der Maghreb eine größere Zersplitterung und eine Schwächung des Ziridenherrschers aufwies als zu Beginn der anhāğa-Dynastie. Der ziridisch–hammadidische Krieg führte zudem zu einer nicht unerheblichen wirtschaftlichen Schwächung auf beiden Seiten. Zumindest von diesem Standpunkt aus ist Poncets Einschätzung, daß unter Bādīs der Höhepunkt ziridischer Macht erreicht worden war, nicht unproblematisch. Idris geht hingegen auch hier überhaupt nicht auf die wirtschaftlichen Folgen dieses Krieges ein.34

2.3.2 Wirtschaftliche Probleme Hinsichtlich der Wirtschaftspolitik gibt es starke Differenzen zwischen Idris und Poncet. Idris geht an vielen Stellen recht ausführlich auf wirtschaftspolitische Aspekte, wie z. B. den Bau des Palastes in abra 985–986/375 ein.35 Er geht aber nicht auf die Folgen bzw. die Kosten ein, die diese für den Fortbestand des ziridischen Staates haben. Poncet greift die von Idris sehr ausführlich beschriebene rigide Steuerpolitik des Ziridenherrschers Bulukkīn 976–977/366 auf. Dieser wollte insbesondere die Oberschicht durch eine Extrasteuer zur Kasse bitten. Hiervon waren nur die Juristen, die Frommen und die Gebildeten ausgenommen, 32 Idris, Berbérie Orientale, 83, 122–123; Poncet, 1967, 1102. 33 Idris, Hady Roger: De la réalité de la catastrophe hilalienne, in: Annales E. S. C. 32 (1968), 392. 34 Poncet, 1967, 1102. 35 Idris, Berbérie Orientale, 66, 83.

24

deren Einfluß man fürchtete. Von dieser Steuer war das ganze Land betroffen. Allein in Kairuan kamen auf diese Weise mehr als 400.000 Golddinar zusammen. Kurze Zeit später untersagte Kairo diese Steuerpraxis jedoch.36 983–984/373 kaufte Bulukkīn tausende schwarze Sklaven, die er in abra ansiedelte. Jeder Gouverneur mußte ihm den Betrag abführen, der dem Kaufwert von ungefähr 30 Sklaven betrug. Die hohen Würdenträger wurden auf die gleiche Weise besteuert. Es wurde ein Haus aus Eisen (bait al-adīd) und ein Haus aus Holz (bait alašab) gebaut, in denen die so eingenommenen Steuergüter zusammengetragen wurden.37 Dies zeigt, daß die ersten Ziridenherrscher noch darauf bedacht waren, Einnahmequellen zu erschließen. Poncet bemerkt, daß die Steuerlast durch den Unterhalt der Prinzen und der Streitkräfte immer erdrückender wurde. Hinzu kommt die Gewährung von großzügigen Lehen an ehrgeizige Vasallen wie ammād.38 Poncet weist auf die horrende Staatsverschwendung hin: Überdimensionierte Feste und Geschenke anläßlich von Geburtstagen, Beerdigungen, Prinzenhochzeiten u.ä. strapazierten die Staatskasse zusätzlich. Wirklich nützliche Vorhaben wie infrastrukturelle Maßnahmen oder die Erneuerung von Befestigungsanlagen wurden jedoch vernachlässigt. Poncet äußert die Vermutung, daß diese Ausgaben mit dem Ziel verbunden waren, ergebene Untertanen zu schaffen. In die gleiche Richtung weist auch die Ersetzung der berberischen Truppenkontingente durch schwarze Sklaven und Söldner, die ebenfalls käuflich erworben wurden und damit die Staatskasse belasteten.39 Idris erwidert hierauf, daß die Vernachlässigung der besagten infrastrukturellen Projekte kein Zeichen von wirtschaftlichem Verfall sei. Weiterhin führt er aus, daß es üblich gewesen sei, Söldner zu erwerben.40 Leider begründet er diese Einschätzung nicht weiter und geht auch sonst nicht auf die von Poncet beschriebene Lage ein. Sicherlich haben Herrscher immer wieder ihre Armee durch den Erwerb neuer Soldaten vergrößert. Al-Mu‘izz hingegen wollte seine Armee nicht nur etwas vergrößern, sondern sie komplett austauschen, weil er die anhāğa-Soldaten verachtete. Daß sich das destabilisierend auf die innere Lage von Ifrīqiya auswirken mußte und zudem nicht unerheblich viel Geld kostete, ist für Idris offensichtlich irrelevant.

36 37 38 39 40

Idris, Berbérie Orientale, 52; Poncet, 1967, 1103. Idris, Berbérie Orientale, 54; Poncet, 1967, 1103. Poncet, 1967, 1102; Idris, Berbérie Orientale, 156. Poncet, 1967, 1106–1107. Idris, 1968, 392.

25

Brett fügt hinzu, daß die Sklaven auch die Aufgabe hatten, die Herrschaftsnachfolge für den Sohn zu sichern, da es in der ziridischen Familie immer wieder Ambitionen verschiedener Oheime von Thronanwärtern auf den Thron gab.41

2.3.3 Spaltung der anhāğa-Dynastie 42 Unter Bādīs kam es durch die Abspaltung der hammadidischen Linie von den Ziriden zur Spaltung der anhāğa-Dynastie. Ein anderer Sohn des Bulukkīn b. Zīrī namens ammād zeichnete sich im Kampf gegen die Zanāta aus. Ihm gelang die Befriedung des Zentralen Maghreb, nachdem er zusammen mit seinem Neffen Bādīs mehrere Feldzüge gegen rebellierende Zanāta-Stämme unternommen habe. 1010/400 gründete ammād eine Stadt, die Qal‘at Banī ammād genannt wurde, da sie wie eine Festung wirkte. Sie wurde zur Keimzelle der von ammād begründeten Dynastie der Hammadiden. ammād nahm sich das Recht zum Bau der Qal‘a heraus, ohne jemanden dazu um Erlaubnis zu fragen. Da er der ziridischen Familie angehörte, die zu dem Zeitpunkt von Bādīs geleitet wurde, hätte er zunächst von diesem die Genehmigung zum Bau der Stadt einholen müssen. Da die Ziriden jedoch immer noch die Vasallen der Fatimiden waren, hätten diese theoretisch das letzte Wort darüber gehabt. In solche weniger bedeutenden inneren Angelegenheiten ihrer Vasallen mischten sie sich aber nicht ein. Im Gegensatz zu ammād hat Zīrī seinerzeit von den Fatimiden die Erlaubnis zum Bau der neuen Stadt Ašīr erhalten, die zunächst nur ein Ersatz für die alte, zu klein gewordene Residenz war. Bei Zīrī war der Bau einer neuen Stadt im Gegensatz zu ammād also notwendig. Noch während dieser seine Qal‘a baute, kam es zu Verstimmungen mit Bādīs, der offenbar ahnte, daß sich sein ehrgeiziger Onkel unabhängig machen wollte, allerdings nichts dagegen unternahm. Daher vollzog sich der Bruch zwischen den beiden auch in relativ kurzer Zeit. ammād erklärte schließlich seine Unabhängigkeit. Ein sich anschließender Krieg zwischen Bādīs und ammād endete zwar mit einem Waffenstillstand. Weder die Fatimiden noch Bādīs konnten an der Etablierung von ammād als Herrscher über den Zentralen Maghreb interessiert sein, da das zu einer Spaltung der ziridischen Familie, einer dauerhaften Konkurrenz zwischen den beiden Zweigen und damit einer Schwächung gegenüber äußeren Feinden wie den Zanāta führen würde. Als es 1015/405 41 Michael Brett: The Military Interest of the Battle of aydarān. In: War, Technology and Society in the Middle East, hrsg. von Parry/Yapp. Oxford 1975, 82. 42 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 350–352/Berbères, II, 44–46; Ibn ‘Idārī, I, 262–266; Ibn Abī Dīnār: Al-Mu’nis fī abār Ifrīqiya wa Tūnis, hrsg. von Muammad Šammām. Tunis: 1967, 80–81; Idris, Berbérie Orientale, 108–110, 153–157; Golvin, 105–107; Georges Marçais: Les Arabes en Berbérie. Constantine-Paris 1913, 23; ders.: La Berbérie Musulmane et l’Orient au Moyen Age. Paris 1946, 163–165.

26

zum Bruch kam, erkannte ammād die abbasidische Suzeränität an, womit dieser aber hauptsächlich seine Gegnerschaft zu Bādīs betonen wollte. Das war allerdings ein rein formeller Akt, der keine außenpolitischen Konsequenzen nach sich zog. ammād unterhielt nie diplomatische Kontakte zu Bagdad und bemühte sich auch später nicht darum, geschweige denn, daß er Geschenke oder Ehrungen anderer Art erhielt. Nicht einmal nach der Versöhnung mit seinem Neffen kümmerte sich ammād darum, wieder die fatimidische Suzeränität anzuerkennen, die er ja nur verworfen hatte, weil er sich mit Bādīs überworfen hatte. Nach dem Abschluß des Waffenstillstandes ließ al-Mu‘izz den Hammadiden bei der Gestaltung der Qal‘a freie Hand. Zīrī hatte Ašīr seinerzeit zum Schutz gegen die Zanāta befestigt. Bei dem Bau der Qal‘a dagegen war diese Gefahr nicht mehr vorhanden. Daher wird ammād seine Qal‘a in der Erwartung befestigt haben, daß es irgendwann wieder zu Auseinandersetzungen mit alMu‘izz oder seinen Nachfahren kommen würde. Zehn Jahre nach ammāds Tod flammten die Feindseligkeiten zwischen Kairuan und der Qal‘a aber erneut auf. Al-Mu‘izz mußte befürchten, daß ihm in den Hammadiden über kurz oder lang ein starker Konkurrent im Westen erwachsen würde, da sie erfolgreich gegen die Zanāta vorgingen. Als es zum Bruch zwischen Kairuan und Kairo kam, und die Ziriden die Abbasiden anerkannten, erkannten die Hammadiden ihrerseits wieder die Fatimiden an. Daran sieht man, daß diese wechselnden Anerkennungen mehr politische als religiöse Gründe hatten. Die Fatimiden und Abbasiden selbst nahmen das nicht einmal zur Kenntnis. Die Spaltung der anhāğa-Dynastie in einen ifriqisch-ziridischen und einen zentralmaghrebinisch-hammadidischen Zweig war nicht mehr rückgängig zu machen. Außerdem mußte Bādīs verschiedenen Provinzgouverneuren immer mehr Selbständigkeit einräumen. Gegen Ende seiner Regierungszeit war die innenpolitische Lage in Ifrīqiya zwar stabil, aber es gab eine neue Dynastie im Zentralen Maghreb. Ferner war die ziridische Herrschaft de facto auf Ifrīqiya zusammengeschrumpft.43 Sowohl Poncet als auch Idris scheinen die Entstehung des Hammadidenreiches zu unterschätzen. Die Loslösung des Zentralen Maghreb von Ifrīqiya hat dazu geführt, daß sich zwei eng verwandte Dynastien eine lange Zeit feindlich gegenüberstanden. Diese Gegnerschaft reichte bis zur Schlacht von aidarān. Sie hat beide Dynastien sowohl innerlich und äußerlich als auch ökonomisch geschwächt und den Verfall beider Regierungen beschleunigt. Dieser Zustand

43 Poncet, 1967, 1102–1103; Idris, Berbérie Orientale, 108–123.

27

machte sich dann bei der Hilāl-Invasion und insbesondere in der Schlacht von aidarān bemerkbar.

2.3.4 Soziale und politische Spannungen im Innern Poncet44 betont, daß die Zeit zwischen 1025/415–416 und 1045/436 von zunehmenden sozialen und politischen Spannungen in Ifrīqiya gekennzeichnet war. Als es um die Ernennung eines neuen Kadis von Kairuan ging, kam es zwischen den Anhängern der traditionellen Designation (die besagt, daß die Funktion immer in der gleichen Familie verbleibt und das Kairuaner Großbürgertum die Auswahl traf), und denjenigen, die diese Praxis ablehnten, zur Konfrontation. Al-Mu‘izz wollte einerseits zwar der zunehmenden Macht dieses Bürgertums einen Riegel vorschieben, andererseits jedoch wollte er sich aus dem Konflikt heraushalten. Schließlich mußte er sich dem Volkswillen beugen und die herkömmliche Designationspraxis akzeptieren.45 Hier zeigt sich, daß al-Mu‘izz alleine nicht in der Lage war, ein derartiges Problem zu lösen. Idris geht zwar auch auf die von Poncet beschriebenen Ereignisse ein. Er sieht hierin jedoch keine Anspannung der politischen Situation in Ifrīqiya. 2.3.5 Schiitenmassaker Die Regierungszeit des für vorliegende Arbeit bedeutendsten Ziridenherrschers al-Mu‘izz b. Bādīs (1016–1062/407–454) war besonders durch die Schiitenmassaker von 1016/407 und die Hilāl-Invasion 1050–1051/442 gekennzeichnet. Idris gibt eine sehr ausführliche Beschreibung der Schiitenmassaker.46 Er hat sehr sorgfältig die Fakten zusammengetragen, den Ereignisablauf rekonstruiert und die Quellen analysiert. Leider fehlt bei ihm jedoch jegliche Wertung der Ereignisse. Ferner bettet er diese gar nicht in den historischen und gesellschaftlichen Kontext ein. Daher erfahren wir von ihm auch nichts über die Folgen dieser Schiitenmassaker für die Wirtschaft, die innere Sicherheit und das soziale Gefüge von Ifrīqiya. Idris gibt zwei Versionen über den Beginn der Schiitenmassaker. 1) Als alMu‘izz mit seinem Gefolge an einer Gruppe von Leuten vorbeikam, erkundigte er sich bei seinen Begleitern, was das für Leute seien. Man antwortete ihm, daß es Schiiten seien, und diejenigen, die ihnen gegenüberstanden, Sunniten. Al-Mu‘izz fragte, was Sunniten und Schiiten seien. Man erklärte ihm den Unterschied. Al44 Poncet, 1967, 1109. 45 Idris, Berbérie Orientale, 182–185, gibt eine sehr ausführliche Beschreibung dieser Angelegenheit. 46 Idris, Berbérie Orientale, 143–149.

28

Mu‘izz stellte sich daraufhin auf die Seite der Sunniten, indem er die Namen Abū Bakrs und ‘Umars rief. Daraufhin begannen die Massaker an den Schiiten. 2) Als das Pferd von al-Mu‘izz strauchelte, rief er Abū Bakr und ‘Umar um Hilfe. Auf diese Worte hin stürzten sich die schiitischen Soldaten auf ihn, um ihn zu töten. Seine Sklaven und Höflinge, die ihr Sunnitentum bis dahin verborgen hielten, kamen ihm zu Hilfe und töteten mehr als 3.000 Schiiten an Ort und Stelle.47 In Kairuan griff der Pöbel, der von den Soldaten unterstützt wurde, die Schiiten in ihrem Viertel Darb al-Mu‘allā an. Eine große Anzahl von schiitischen Männern, Frauen und Kindern wurden in ihren Häusern oder Geschäften massakriert. Diejenigen, deren Konfessionszugehörigkeit unbekannt war, erlitten dasselbe Schicksal. Die Häuser und der Besitz der Betroffenen wurden der Plünderung preisgegeben. Auch ein neuer Gouverneur konnte der Lage nicht Herr werden. Von Kairuan griffen die Unruhen auf Mahdia und die anderen Städte über. Einigen Schiiten gelang die Flucht aus den Städten in die Moscheen. Aber auch hier wurden sie getötet. In al-Manūriyya wurde die Dār al-Imāra zerstört. Einige Schiiten, die überlebten, flüchteten mit ihren Frauen und Kindern in den Palast al-Manūrs. Sie wurden dort so lange belagert, bis sie wegen Hungers gezwungen waren, herauszukommen, worauf alle von ihnen getötet wurden.48 Im Zusammenhang mit diesen Massakern, die zu den schlimmsten in der gesamten Geschichte der Ziriden gezählt werden können, wird jedoch an keiner anderen Stelle erwähnt, daß irgendein Schiit, ganz gleich ob Mann, Frau oder Kind verschont wurde, wenn erst einmal die schiitische Konfession festgestellt war.49 Idris hält es für zweifelhaft, daß ein Wort des Emirs allein ausgereicht hätte, um so ein Massaker zu verursachen. Diese Zweifel sind jedoch unberechtigt, wenn man die tief verwurzelte Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten und die Pulverfaßstimmung berücksichtigt, die zwischen beiden Gruppen herrschte. Schon während der fatimidischen Herrschaft über Ifrīqiya kam es wegen Kleinigkeiten zu Zusammenstößen zwischen den beiden Glaubensrichtungen. Die Tatsache, daß al-Mu‘izz öffentlich Abū Bakr und ‘Umar um Hilfe anflehte, müssen die Schiiten in seinem Umkreis als schwere Provokation empfunden haben, und man muß davon ausgehen, daß sich der Emir dessen auch voll bewußt war. Deshalb ist es sehr zweifelhaft, daß er die Namen der ersten beiden Kalifen in solch einem Zusammenhang gebraucht hat, ohne sich vorher vergewissert zu 47 Idris, Berbérie Orientale, 143–146. 48 Ibn ‘Idārī, I, 268; Marçais, Arabes en Berbérie, 49. 49 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 29–30/Berbères, I, 30; ders., ‘Ibar, VI, 325/Berbères, II, 20; Ibn ‘Idārī, I, 274; Marçais, Arabes en Berbérie, 48; ders., Berbérie Musulmane, 165–166.

29

haben, welcher Konfession seine Begleiter angehören. Es wäre ja auch möglich gewesen, daß die Mehrheit von ihnen Schiiten gewesen wären. Das hätte den Emir in so einer Situation u.U. das Leben kosten können. Trotzdem bleibt zweifelhaft, ob er geahnt hätte, daß seine Worte so schlimme Massaker zur Folge haben würden. Sunnitische Geistliche ermunterten das Volk, das teilweise sogar bereit war, den Schiiten eine Art „Gerichtsverhandlung“ zuzugestehen, diese sofort zu töten. Ihrer Ansicht nach würde es sogar schon ausreichen, wenn nur der Verdacht bestand, daß es sich um Schiiten handelte, was in so zynischen Sprüchen wie dem folgenden zum Ausdruck kam: „Tötet ihn auf dem Feld; wenn er Schiit ist, habt ihr ein gutes Werk getan. Wenn er Sunnit ist, so habt ihr dafür gesorgt, daß die Seele des Getöteten schneller ins Paradies kommt.“50 Auf diese Weise wurde die sinnlose Ermordung von Menschen gefördert, da man bei der Ermordung eines Menschen, ob er nun Schiit oder doch ein Sunnit war, auf gar keinen Fall etwas falsch machen konnte. Al-Mu‘izz, der über diese Zustände schockiert gewesen sein soll, versuchte, die Macht der Aufrührer zu brechen, indem er den Anstifter, einen einflußreichen Šai , töten wollte. Dieser Šai war reich und freigebig, weshalb ihm das Volk blind vertraute. Auch Muriz b. alaf schätzte ihn.51 Im März 1017/Šawwāl 407 wurde der Šai von Schiiten getötet, worauf die Unruhen erneut aufflammten. Der Gouverneur von Kairuan griff daraufhin zu einer List, um die Lage wieder zu beruhigen: Er ließ zwei Männer kommen, die er töten ließ, nachdem er erklärt hatte, daß sie die Mörder des Šai s seien. Auf diese Weise beruhigte sich die Situation wieder etwas. Idris hält es zu recht für möglich, daß Muriz, der sechs Jahre später starb, ebenfalls Opfer einer schiitischen Vergeltungsaktion wurde.52 1018–1019/409 versuchte eine Gruppe von 200 Schiiten mit Frauen und Kindern, auf Pferden von Kairuan (al-Qairawān) nach Mahdia (al-Mahdiyya) zu kommen, um sich von dort nach Sizilien einzuschiffen. Trotz des Schutzes durch die Reiter wurden die Schiiten, die die Nacht in einem Lager verbrachten, von benachbarten Lagern angegriffen und massakriert, nachdem die Frauen vergewaltigt worden waren. Idris bewertet diesen Vorfall nur als „Plünderungsakt“, von denen es zu dieser Zeit viele gegeben habe.53 Dieses Ereignis, bei dem jedoch weder Frauen noch Kinder verschont blieben, kann als Beispiel für die vielen anderen Zusammenstöße stehen, da man davon ausgehen muß, daß sich alle anderen Vor50 51 52 53

30

Idris, Berbérie Orientale, 147. ibid. Idris, Berbérie Orientale, 148. Ibn ‘Idārī, I, 269; Marçais, Arabes en Berbérie, 51; ders., Berbérie Musulmane, 167.

fälle dieser Art um diese Zeit in ihrem Verlauf und ihrem Charakter ähnelten. An dieser Situation sieht man, daß al-Mu‘izz die Kontrolle über die Ereignisse, die er zum größten Teil selbst zu verantworten hatte, verlor. Man muß davon ausgehen, daß er eigentlich nur ihren Einfluß, der aber ohnehin schon nicht mehr sehr groß war, beschneiden wollte. Es kann jedoch auf gar keinen Fall in seinem Interesse gelegen haben, derartige bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen, die so brutale Massaker nach sich zogen, weil dadurch seine innenpolitische Machtposition geschwächt wurde. Die sunnitische Masse hätte sich religiösen Autoritäten zugewandt, die zur Ermordung von Menschen ermunterten, und das Land wäre Gefahr gelaufen, in Chaos und Anarchie zu versinken. Auch wenn al-Mu‘izz sehr selbstbewußt war, ist es eher unwahrscheinlich, daß er wegen derartiger Unruhen die Verschlechterung der Beziehungen zu Kairo riskieren wollte, was aber angesichts der Schwere zu erwarten war. Außerdem muß al-Mu‘izz gewußt haben, daß al-ākim machtbewußt, launisch und unberechenbar war. In Ägypten äußerte sich das durch unzählige diskriminierende Dekrete gegen andere Konfessionen. Auch wenn davon nur Ägypten betroffen war, mußte man jederzeit damit rechnen, daß al-ākim auch in die Politik Ifrīqiyas eingreifen könnte. Insgesamt haben die Unruhen in Kairuan und Umgebung mehr als 20.000 Schiiten das Leben gekostet, wobei Idris davon ausgeht, daß es sich bei solchen Zahlen auch um Übertreibungen handeln kann. Das Ende der Massaker fand seiner Meinung nach weniger aufgrund ihrer Unterdrückung statt, als vielmehr wegen der Tatsache, daß die Schiiten vorsichtiger wurden und sich unter dem Schutz der Armee verstecken konnten.54 Diese Schlußfolgerung ist mehr als fragwürdig. Die Stimmung im Land glich schon vor Beginn der Massaker einem Pulverfaß, das jederzeit explodieren konnte. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die unzählige Menschen das Leben kosteten, waren eine Folge des tiefverwurzelten Hasses zwischen beiden Konfessionen. Daher ist es vollkommen abwegig, daß so ein Zustand allein durch eventuelle Bemühungen der Schiiten, vorsichtiger zu sein, zu beenden gewesen wäre. Es ist offenbar nicht bekannt, wie sich die Lage wieder beruhigte. Daher kann man annehmen, daß al-Mu‘izz gewaltsam eingriff, um die Ordnung wieder herzustellen. Sein zu dieser Zeit noch gutes Verhältnis zum Kalifen weist darauf hin, daß er an einer raschen Lösung der Probleme interessiert gewesen sein mußte. Auch wenn man davon ausgehen kann, daß al-Mu‘izz die Ordnung gewaltsam wiederherstellte, ist weiterhin unklar, ob er aus eigener Erkenntnis heraus diese Entscheidung traf oder ob er sogar direkt aus Kairo den Befehl zur Niederschlagung der Aufstände bekam. 54 Idris, Berbérie Orientale, 149.

31

Trotz der Existenz zweier Versionen über den Beginn der Massaker wird sehr deutlich, daß Ifrīqiya gerade hinsichtlich religiöser Fragen einem Pulverfaß geglichen haben muß, das bei dem kleinsten Funken explodieren konnte. Die aus unserer Sicht vollkommen überzogene Reaktion der Schiiten auf die Worte des noch sehr kindlichen und unerfahrenen al-Mu‘izz legt hierüber eindrucksvoll Zeugnis ab. Poncet hält Idris vor, die Schiitenmassaker von 1016/406 nur von der religiösen Seite dargestellt zu haben. Dabei sprächen der Verlauf und der Charakter der Massaker eindeutig dafür, daß sowohl der soziale als auch der politische Aspekt eine sehr große Rolle spielte. Viele Schiiten gehörten zur privilegierten sozialen Oberschicht und waren die Nutznießer des Steuersystems. Gerade gegen diesen Personenkreis richtete sich der Haß der breiten sunnitischen Bevölkerung. Das erklärt auch, warum es während der Schiitenmassaker von 1016/406 zu systematischen Angriffen auf die Viertel der Reichen kam: Geschäfte und Boutiquen wurden geplündert oder samt ihren Besitzern abgebrannt. Selbst in den Palästen des Prinzen kam es zu Übergriffen auf Schiiten, was zeigt, daß dies mit stillschweigender Billigung von al-Mu‘izz geschah.55 Idris sieht in der Unterbindung sunnitischer Glaubensriten eher einen Beweis der Stärke des ziridischen Staates als ein Zeichen von Verfall.56 Gegen diese Einschätzung steht jedoch die Tatsache, daß die Feindschaft zwischen den Sunniten und Schiiten immer stärker wurde. Al-Mu‘izz zeigte sich zudem unfähig, bei Konflikten zwischen den beiden Glaubensrichtungen zu vermitteln. Idris sagt nichts über die Rolle der Schiitenmassaker bei dem Bruch mit den Fatimiden bzw. der Hilāl-Invasion. Auch Poncet stellt hierzu keinen direkten Zusammenhang her. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Schiitenmassaker von 1016 das wichtigste Ereignis in Ifrīqiya bis zum Abfall der Ziriden von den Fatimiden waren. Da jedoch ungefähr 30 Jahre dazwischen lagen, darf man die direkte Bedeutung der Massaker für den Bruch zwischen den Fatimiden und Ziriden nicht zu hoch einschätzen. Sie können aber als Auftakt für den Beginn der Verschlechterung zwischen beiden Dynastien betrachtet werden. Das durch die Schiitenmassaker offensichtlich wenig getrübte Verhältnis zwischen den Ziriden und Fatimiden kann man hingegen kaum als Beweis für die geringe Bedeutung der Massaker anführen.57 Solange Ifrīqiya in ihrem Namen verwaltet wurde, waren den Fatimiden die inneren Angelegenheiten des Landes nicht so wichtig, als daß sie deshalb bei derartigen Vorfällen zu Strafmaßnahmen gegriffen hätten. 55 Poncet, 1967, 1104; vgl. Idris, 1968, 392. 56 Idris, 1968, 392. 57 Idris, 1968, 392.

32

Auch nach den schweren Schiitenmassakern von 1016/406 waren die Beziehungen der beiden Konfessionen im Land nicht spannungsfrei. 1045–1046/437 ging es um die Frage, ob Schiiten und Sunniten untereinander heiraten dürften. Der Kairuaner Rechtsgelehrte Abū Isāq at-Tūnisī teilte die Schiiten daraufhin in zwei Gruppen ein: 1) Schiiten, die sich damit begnügen, ‘Alī den Vorrang vor den Prophetengefährten zu geben; 2) Schiiten, die ‘Alī nicht nur den Vorrang geben, sondern die Prophetengefährten auch noch beleidigen. Mit der ersten Gruppe seien Hochzeiten durchaus möglich. Die zweite Gruppe dagegen seien Ungläubige, die den Tod verdienten. Daher seien Hochzeiten zwischen der ersten Gruppe und Sunniten möglich. Diese Klassifizierung der Schiiten stieß auf den Widerstand der sunnitischen Rechtsgelehrten, die alle Schiiten als Ungläubige betrachteten. At-Tūnisī mußte seine dargelegte Meinung öffentlich widerrufen. Als er 1051/443 starb, kamen allerdings viele Einwohner und al-Mu‘izz persönlich zu seiner Beerdigung. Daran wird ersichtlich, daß at-Tūnisī trotz oder vielleicht sogar gerade wegen seiner pragmatischen und unkonventionellen Art und besonders wegen seiner integren Persönlichkeit einen gewissen Grad an Respekt und Popularität besaß. Man kann seine für diese Zeit eher ungewöhnlichen Bemühungen um eine Entspannung und Versachlichung der schiitisch–sunnitischen Beziehungen in Ifrīqiya damit begründen, daß ein Teil seiner Verwandten Schiiten war.58 Die Affäre at-Tūnisī zeigt vor allem, daß dieser Gelehrte großes Ansehen bei der gesamten Bevölkerung besaß. Die Reaktionen auf seinen Klassifizierungsversuch zeigen jedoch auch, wie angespannt das Verhältnis von Sunniten und Schiiten war. Poncet wirft al-Mu‘izz vor, daß dieser es während der Affäre at-Tūnisī versäumt habe, die verfeindeten religiösen Gruppen zu versöhnen. Idris hält dagegen, daß in einer revolutionären Atmosphäre eine freie und sachliche Auseinandersetzung kaum möglich sei.59 Damit räumt Idris jedoch ein, daß am Vorabend der Hilāl-Invasion die inneren Verhältnisse Ifrīqiyas nicht ganz spannungsfrei waren. Das wiederum ist jedoch ein Aspekt, der nicht so recht in das von Idris an anderen Stellen so vehement vertretene Bild des sich auf dem Höhepunkt der kulturellen Blüte befindlichen Ifrīqiya passen mag! Idris ignoriert die Tatsache, daß der Ziridenherrscher vollkommen unfähig war, in dieser Angelegenheit zu vermitteln. Außerdem fällt auf, daß Idris gar nicht auf die Ursachen der Verschärfung des sunnitisch–schiitischen Gegensatzes in Ifrīqiya eingeht. Dabei wird anhand des Verhaltens von al-Mu‘izz während und nach den Schiitenmassakern ganz deutlich, daß der Ziridenherrscher einen wesentlichen Teil der Verantwor58 Idris, Berbérie Orientale, 185–189. 59 Poncet, 1967, 1109–1110; Idris, 1968, 393.

33

tung für die Situation trug. Auch wenn al-Mu‘izz zum Zeitpunkt der Massaker noch sehr jung und unerfahren war, war er als Ziridenemir der mächtigste Mann im Staat, und in dieser Funktion auch voll verantwortlich für das, was er sagte und tat.

2.3.6 Die Schwierigkeiten des ziridischen Staates seit den Schiitenmassakern Poncet beschreibt sehr ausführlich die Schwierigkeiten, mit denen der ziridische Staat in der Zeit zwischen den Schiitenmassakern und dem fatimidisch–ziridischen Bruch konfrontiert war. Zu den äußeren Problemen zählte die wachsende Rivalität zwischen den Hammadiden und Ziriden, die 1040–1043/431–434 einen neuen Höhepunkt erreichte. Hinzu kamen separatistische Bestrebungen von Halbnomaden, Häretikern und in schwer zugänglichen Regionen wie Gebirgen, Wüsten und Oasen lebenden Völkern, die seit alters her ihre Unabhängigkeit bewahren wollten. Sogar Städte und ganze Regionen wie Hudna, Ğarīd-Nafzāwa, Tripolis und Djerba versuchten immer stärker, sich von Kairuan loszulösen. Al-Mu‘izz war infolgedessen natürlich permanent damit beschäftigt, diese Rebellionen niederzuschlagen. Ebenso schlugen Versuche fehl, die Macht der Ziriden im Mittelmeer und auf Sizilien wieder herzustellen.60 All diese Begebenheiten stehen für den Zerfall eines Staates. Ferner darf man nicht die Mittel vergessen, die al-Mu‘izz für die Niederschlagung all dieser Rebellionen aufbringen mußte und die wiederum die Wirtschaft schwächten. Aus Poncets Darstellung der Ereignisse geht hervor, daß die Hilāl an den Problemen Ifrīqiyas keine Schuld hatten. Idris räumt zwar ein, daß Poncet die Probleme Ifrīqiyas perfekt zusammengefaßt und analysiert hat. Er weist jedoch Poncets Schlußfolgerung zurück, daß die Hilāl für diese Situation nicht verantwortlich seien. Leider liefert Idris für diese Annahme keinerlei Beweise.61 2.3.7 Das Problem der Legitimation Poncet und Idris sind sich hinsichtlich der Frage, warum der Ziridenemir so lange mit dem Abfall von Kairo gewartet hat, einig. Poncet betont, daß der Bruch von dem Wunsch diktiert war, die „Ifriqiyanisierung“ der Ziridendynastie zu vollenden und diese in Richtung einer vollkommenen Unabhängigkeit zu führen. Poncet übersieht allerdings, daß in Ifrīqiya lediglich das Bestreben bestand, das der breiten Bevölkerungsmehrheit vertraute sunnitische Bekenntnis anstelle des schiitischen wieder einzuführen und sich von der ketzerischen Fatimidendynastie zu lösen. Wenn Poncet also behauptet, daß das Endziel der Bewohner 60 Poncet, 1967, 1105. 61 Idris, 1968, 392.

34

von Ifrīqiya eine vollständige Unabhängigkeit war, muß man ihm in diesem Punkt widersprechen.62 Von einem generellen Unabhängigkeitsbestreben in Ifrīqiya war nirgends die Rede. Hierbei übersieht Poncet jedoch einen wichtigen Faktor: Zwar bestand schon quasi spätestens seit dem zweiten Ziridenherrscher Bulukkīn das Bestreben, diese „Ifriqiyanisierung“ zu vollenden. Poncet definiert allerdings nicht weiter, wie eine solche Ifriqiyanisierung auszusehen hat. Es wäre aber in jeder Hinsicht falsch, Ifriqiyanisierung mit Unabhängigkeit gleichzusetzen. An dieser Stelle sollten einmal die (Haupt)Faktoren benannt werden, die eine „Ifriqiyanisierung“ charakterisieren würden: Die Regierung muß sunnitisch und ifriqischen Ursprungs sein. Der Suzerän muß ebenfalls sunnitisch sein, also dem Glaubensbekenntnis der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung Ifrīqiyas angehören. Al-Mu‘izz befürchtete, daß er bei einem Nachgeben gegenüber derartigen Unabhängigkeitsbestrebungen einen Prozeß in Gang setzen würde, über den er die Kontrolle verlieren könnte. Eine solche Entwicklung würde nämlich die Frage der Legitimität betreffen. Die Ziriden waren, im Gegensatz zu den Fatimiden und den anderen großen Dynastien wie die Abbasiden, lediglich Stellvertreter von demjenigen, in dessen Namen die uba gesprochen wurde. Sie stammten weder vom Propheten ab, noch wurden sie von einem Mahdī eingesetzt. Diesbezüglich gibt es zwischen Poncet und Idris keine Differenzen. Idris gibt ein anschauliches Beispiel zur Frage der Legitimität: Gegen 1029/420, strebte al-Mu‘izz Ibn azm das Kalifat an. Der Jurist Abū ‘Imrān al-Fāsī riet ihm jedoch davon ab, da dieses nur Quraišiten vorbehalten sei. Falls der Emir auf seinem Vorhaben bestehen sollte, bestünde die Gefahr, daß alle den Kalifentitel für sich beanspruchen würden und sämtliche Privilegien, die er bis dahin hatte, hinfällig sein würden. Seine Macht würde er infolgedessen ebenfalls verlieren. Daraufhin sah al-Mu‘izz von seinem Vorhaben ab. Idris betont, daß nicht jeder muslimische Herrscher zwingend von einem Mahdī eingesetzt werden mußte.63 Diese Legitimität war allerdings nicht eine reine Formalie, sondern gerade für diejenigen Herrscher, die noch Schwierigkeiten hatten sich durchzusetzen, für die Sicherung ihrer Macht von großer Bedeutung. All diese Punkte erklären, warum die Ziriden und insbesondere al-Mu‘izz so lange gezögert haben, den Bruch mit den Fatimiden zu vollziehen. Sie zeigen aber auch, daß al-Mu‘izz in Ifrīqiya keine unumschränkte Macht hatte. Anderenfalls hätte ihm die mögliche Aneignung des Kalifentitels durch regionale Führer ziemlich gleichgültig sein können. 62 Poncet, 1967, 1107. 63 Poncet, 1967, 1108–1109; Idris, Berbérie Orientale, 180–181; ders., 1968, 393.

35

2.3.8 Verschlechterung der fatimidisch–ziridischen Beziehungen Obwohl es in Ifrīqiya keine nennenswerten Ausschreitungen mehr gegen die Schiiten gab, ließ a - āhir seinem Vasallen seit 1023–1024/414 offenbar keine Ehrungen mehr zukommen. Das fatimidische Kalifat steckte in einer Krise und verlor Syrien. Außerdem waren Hungersnöte und blutige Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Volksgruppen in der fatimidischen Truppe an der Tagesordnung. Auch al-Mustanir hatte noch mit diesen Problemen zu tun. Zu dieser Zeit untergrub die abbasidische Propaganda die fatimidische Autorität. In den Jahren 1011–1012/402 und 1052–1053/444 hielt der Bagdader Kalif Zusammenkünfte von sunnitischen Juristen und Šarifen ab, die die Fatimiden als Betrüger denunzierten und ihnen jede alidische Herkunft bestritten. Daher hatten die Fatimiden wenig Zeit, sich um die Belange Ifrīqiyas zu kümmern, wo sich die wirtschaftliche Situation ebenfalls verschlechterte.64 Unter dem Kalifat al-Mustanirs scheint die fatimidische Diplomatie ihre Haltung gegenüber ihrem Vasallen verhärtet zu haben. Es steht außer Frage, daß al-Mu‘izz weiterhin die fatimidische Suzeränität anerkannte, und das Schiitentum offizielle Doktrin Ifrīqiyas blieb. Nach Ibn aldūn65 tauschten der Emir und der Fatimidenkalif weiterhin Geschenke aus. Al-Mu‘izz korrespondierte mit al-Ğarğarā’ī, der a - āhir von 1024– 1036/415–427 und al-Mustanir von 1036/427 bis zu seinem Tod 1045/436 als Wesir diente. Ibn aldūn führt weiter aus, daß al-Mu‘izz al-Ğarğarā’ī für seine Interessen einzuspannen begann und über die Fatimiden sowie deren Anhänger Sarkasmen verbreitete. So wurde al-Ğarğarā’ī der Verstümmelte (al-aqa‘) genannt, weil ihm al-ākim wegen Veruntreuung die Hände abschneiden ließ. Erst nach dem Tode von Sitt al-Mulk, der Schwester al-ākims, die seit dem die Aufgaben al-Ğarğarā’īs übernommen hatte, wurde dieser wieder in seine Ämter eingesetzt. Al-Mu‘izz soll folgendes zu al-Ğarğarā’ī gesagt haben: „Dir zuliebe bin ich mit Leuten befreundet, von denen ich nicht einmal wüßte, daß sie existieren, wenn du nicht wärst.“ Der Emir will damit sagen, daß er nur al-Ğarğarā’ī zuliebe die Fatimiden anerkenne. Der Minister merkte aber, daß al-Mu‘izz ihn nur für seine Zwecke einspannen wollte. Zwischen den Schiitenmassakern von 1016/406 und dem Bruch mit Kairo gab es lediglich einen Zusammenstoß zwischen Sunniten und Schiiten in Ifrīqiya: 1031–1032/423, als in Nafa, einer Stadt in Südtunesien, Schiiten rebellierten, und al-Mu‘izz diesen Aufstand brutal niederschlagen ließ. Die Ausweitung der malikitischen Propaganda, die Abwendung der Ziriden vom Zentralen Maghreb durch die Entstehung des Hammadidenreiches und die 64 Idris, Berbérie Orientale, 172; Heinz Halm: Die Schia. Darmstadt 1988, 211; Marçais, Arabes en Berbérie, 53; Feldbauer, 390. 65 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 29/Berbères, I, 31.

36

daraus resultierende Konzentrierung auf Ifrīqiya, der Wohlstand Ifrīqiyas und die zunehmende Arabisierung der anhāğa führten zu einem erheblichen Autoritätszuwachs des Ziridenemirs, der es sich aufgrund dieser Tatsachen erlauben konnte, die fatimidische Autorität zurückzuweisen. Er konnte sich dabei der Unterstützung der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung und der einflußreichen sunnitischen Rechtsgelehrten sicher sein. Die Entwicklung in Ifrīqiya ging einher mit dem Machtverfall der Fatimiden. Idris macht zu Recht darauf aufmerksam, daß der Ziridenemir zu keinem Zeitpunkt daran gedacht hat, sich unabhängig zu erklären; er hat lediglich den Suzerän gewechselt. Die Verpflichtungen gegenüber dem Kalifen in Kairo waren so unbedeutend, daß der politische Aspekt des Bruches vor dem religiösen verblaßte. Die Fatimiden hatten den Ziriden die Statthalterschaft über Ifrīqiya übertragen, damit sie das Land von Feinden der Fatimiden fernhielten. Die Ziriden mußten jedoch zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Abgaben an ihren Suzerän leisten, die Ifrīqiya belastet hätten und somit ein Grund gewesen wären, die fatimidische Suzeränität zurückzuweisen. Die Anerkennung der Abbasiden war vor allem ein Mittel, um den Konflikt zu entschärfen, der sich aus der feindlichen Koexistenz zwischen dem populären Malikitentum und der offiziellen schiitischen Staatsdoktrin ergab. Außerdem sollte mit dem Wechsel des Suzeräns endgültig die Verbindung zwischen der anhāğadynastie und Ifrīqiya besiegelt werden, um damit deutlich zu machen, daß die Ziriden nicht mehr der verlängerte Arm der im Land ungeliebten schiitischen Fatimiden waren.66 Das kann neben dem oben besprochenen Legitimierungszwang auch ein Grund gewesen sein, warum die Ziriden die Abbasiden als Suzerän anerkannten, anstatt sich für unabhängig zu erklären.

2.3.9 Kontakte der Ziriden zu Byzanz Halm geht in seiner Fatimidengeschichte sehr ausführlich auf die Beziehungen zwischen den Fatimiden und Byzantinern ein. In diesem Zusammenhang wird auch der Einfluß auf die Entwicklung von Ifrīqiya während der Zeit des Bruches zwischen den Fatimiden und Ziriden angesprochen.67 1034–1035/426 erhielt al-Mu‘izz von dem byzantinischen Kaiser reichhaltige Geschenke, hauptsächlich Brokat.68 Idris führt das eher auf die zunehmende normannische Bedrohung zurück als auf die beginnende Verschlechterung der fati66 Ibn ‘Idārī, I, 297; Ibn Taġrībirdī: An-Nuğūm az-zāhira fī abār Mir wa-l-Qāhira, Bd. V, hrsg. von Ğamāl ad-Dīn aš-Šayyāl und Muammad Šaltūt. Kairo: 1933–1935, 1–3, 13–19, 59, 74, 79, 83–84; Marçais, Arabes en Berbérie, 53–54; Mu’nis, 82 ff.; Cambridge History of Islam, I, 188, 220. 67 Heinz Halm: Die Kalifen von Kairo. München 2003, u. a. 370 ff., 380 ff. 68 Idris, Berbérie Orientale, 175.

37

midisch–ziridischen Beziehungen, ohne jedoch Belege hierfür zu geben. Trotz aller Bedrohung von außerhalb muß jedoch klargestellt werden, daß die Ziriden nicht souverän waren. Sie hätten daher derartige Kontakte zu einer Macht, die sich in gewisser Gegnerschaft zu den Fatimiden befand, zunächst von diesen genehmigen lassen müssen. Hier zeigt sich, daß die fatimidisch–ziridischen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt doch nicht so unproblematisch waren, wie Idris das glauben machen möchte. 1046–1047/438 schickte al-Mu‘izz einen Botschafter nach Konstantinopel.69 Die näheren Umstände dieser Mission sind nicht bekannt. Der Botschafter kehrte auch nicht nach Ifrīqiya zurück. Angesichts der Tatsache, daß die Ziriden gerade dabei waren, die fatimidische Suzeränität abzuwerfen, liegt allerdings die Vermutung nahe, daß al-Mu‘izz die Unterstützung von Byzanz suchte. Diese Bemühungen waren jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da der Ziridenstaat zu unbedeutend war, als daß er den Byzantinern irgendwelche Vorteile hätte bringen können. Halm weist zudem daraufhin, daß Kairo und Byzanz ihren Waffenstillstand erneuerten. Dieser auf zehn Jahre geschlossene Waffenstillstand „bot eine solide Basis für eine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Mächte gegen die gemeinsamen Gegner, die Abbasiden und, nach dem fatimidisch–ziridischen Bruch, die Ziriden. Tatsächlich weigerte sich Kaiser Konstantin IX. Monomachos beharrlich, sich von dem Bündnis mit den Fatimiden abbringen zu lassen.“70 Beide Seiten tauschten sogar Geschenke aus. Möglicherweise war der byzantinische Kaiser über den nicht sehr guten Zustand der Beziehungen zwischen Ziriden und Fatimiden informiert, so daß ihm daher als Antwort auf den ziridischen Beutezug an einer demonstrativen Sympathiebekundung für den Kalifen in Kairo gelegen war. Auch wenn dieser byzantinisch–fatimidische Geschenkeaustausch eher symbolischen Charakter hatte, wurde mit der Erneuerung des Waffenstillstandes doch folgendes deutlich: Die Fatimiden konnten ihr Augenmerk auf Syrien und, mit dem Abfall der Ziriden, auch auf Ifrīqiya konzentrieren, da sie Angriffe der mächtigen Byzantiner nicht zu befürchten hatten. Daher war die Erneuerung dieses Waffenstillstandes um weitere zehn Jahre für die Fatimiden von entscheidender Bedeutung. Das mußte sich indirekt auch auf die fatimidisch–ziridischen Beziehungen auswirken. Nach dem Bruch zwischen den Ziriden und den Fatimiden erlaubte der Waffenstillstand den Fatimiden ein resoluteres Auftreten gegen ihre abtrünnigen Vasallen als ohne ein derartiges Abkommen.

69 ibid. 70 Halm, Kalifen von Kairo, 370, 380.

38

Halm betont, daß al-Mu‘izz Kontakte zu Bagdad knüpfte. „Das bedeutete, daß die Verlängerung des Friedens im Westen nicht mitvollzogen wurde, und tatsächlich nahm der Ziride alsbald die Raubzüge gegen das byzantinische Unteritalien wieder auf.“71 Die Abwendung der Byzantiner von den Ziriden und der Abschluß des Waffenstillstandes mit den Fatimiden waren offensichtlich für die Byzantiner von politischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten bestimmt. Dem Kaiser werden der ständig schlechter werdende wirtschaftliche Zustand der anhāğa-Dynastie und der sich damit fortsetzende Verlust an Macht nicht verborgen geblieben sein. Aber auch die Tatsache, daß die Abbasiden über keine reale Macht verfügten, war den Byzantinern wohl bewußt. Das Verhalten der Byzantiner gegenüber den Fatimiden auf der einen und den Ziriden und Abbasiden auf der anderen Seite erklärt recht anschaulich, warum sich die Byzantiner weder mit den Ziriden noch mit den Abbasiden abgeben wollten: Sie wollten auf jeden Fall die Gegnerschaft der einflußreichen Fatimiden vermeiden. Die diplomatischen Bemühungen der Byzantiner um ein gutes Verhältnis mit den Fatimiden hat Halm ausführlich beschrieben.72

2.4 Datierung und Verlauf des Bruches 73 Von 1044–1047/436–438 unternahm ein Botschafter von al-Mu‘izz eine geheime Mission zu den Emiren Spaniens. Offenbar wollte er zu ihnen Kontakt herstellen, weil er bereits beschlossen hatte, mit den Fatimiden zu brechen. Aus dem Diwan des schiitischen Missionars al-Mu’ayyad fī-d-Dīn (gest. 1077–1078/470) geht hervor, daß ein abbasidischer Agent im Auftrag des Bagdader Kalifen Kontakt zu al-Mu‘izz aufnahm, um dessen Anerkennung der Abbasiden vorzubereiten. Des weiteren machte dieser Agent dem Ziridenemir Geschenke und drängte ihn zur Rebellion gegen die Fatimiden. Um 1039/430 wurde in Kairuan in der uba

71 Halm, Kalifen von Kairo, 370. 72 Halm, Kalifen von Kairo, 380 ff. 73 At-Tiğānī: Ar-Rila. Tunis: 1927, 13, Zitat Ibn Bassām, der die Organisation der Invasion (laut Idris zu unrecht) al-Ğarğarā’ī zuschreibt. An anderer Stelle weist at-Tiğānī daraufhin, daß einige Quellen behaupten, daß al-Yāzūrī den Hilāl die Erlaubnis zur Überquerung des Nils gegeben habe. At-Tiğānī hält das für möglich, da das Ereignis erst einige Jahre nach dem Tod von al-Ğarğarā’ī stattfand. (Er nennt allerdings nicht das exakte Datum.) Auch bei Ibn ‘Idārī, I, 297 findet sich die Verwechselung zwischen al-Ğarğarā’ī und al-Yāzūrī. Ibn ‘Idārī, I, 288 zitiert Ibn Šaraf, der den Namen al-Yāzūrī nicht erwähnt. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30/Berbères, I, 33: Ibn aldūn deckt die Verwechselung auf und behauptet, daß es sich um al-Yāzūrī handelt; Mu’nis, 82 ff.; M. Brett, Fitnat al-Qayrawān, liefert eine umfangreiche Analyse der unterschiedlichen Darstellungen des Bruches und der anschließenden Hilāl-Invasion in den Quellen.

39

erstmals nicht mehr der Name des Fatimidenkalifen genannt. Kurz danach begann sich al-Mu‘izz der Massaker an den Schiiten in Gegenwart malikitischer Rechtsgelehrter zu rühmen.74 Brett erwähnt, daß al-Mu‘izz zwischen 1039/431 und 1045/437 mit der Niederschlagung verschiedener Zanāta-Aufstände auf Djerba und an der südlichen ifriqischen Küste beschäftigt war. In diesem Zusammenhang hält Brett es für möglich, daß al-Mu‘izz versuchte, die Riyā und die Zuġba dazu zu bewegen, in seinem Namen die besagten Unruheregionen zu erobern und somit dauerhaft zu befrieden.75 Diese Überlegung ist an sich nicht so abwegig. Das würde jedoch voraussetzen, daß al-Mu‘izz in diesem Zeitraum bereits in irgendeiner Weise Kontakte zu Führern der Zuġba und Riyā hatte. In den Quellen finden sich jedoch weder darauf Hinweise noch auf irgendwelche Kämpfe zwischen den genannten Beduinenstämmmen und den aufständischen Zanāta. Das Datum des Bruches mit Kairo geben die Chronisten zwischen 1041/433 und 1051/443 an. Ibn ‘Idārī nennt 1041–1042/433–434. Einige andere nennen 1043–1044/435.76 Ibn Šaraf gibt das Datum 1047–1049/439–440 und wird darin von der Numismatik bestätigt. Laut Harry W. Hazard hat al-Mu‘izz noch 1048/ 440 schiitische Münzen geprägt. Von 1050/441 bis 1057/449 waren dann anonyme sunnitische Münzen in Umlauf und von 1057/449 bis zum Tode des al-Mu‘izz 1062/454 schiitische Dinare.77 Andere, ebenfalls verlorengegangene orientalische Quellen spielen ebenfalls auf das Datum 1047–1049/439–440 an. Trotzdem hält Idris dieses Datum für zweifelhaft, begründet seine Bedenken jedoch nicht weiter. Nach einer Zusatzversion von Ibn Šaddād verkündete al-Mu‘izz 1043–1044/435 die Suzeränität des abbasidischen Kalifen, dessen Name in der uba genannt wurde. Bagdader Botschafter brachten dem Ziriden Ehrengewänder und das Investitursiill, welches sich auf den gesamten Maghreb und die zukünftigen Eroberungen erstreckte. Der 74 75 76 77

40

Idris, Berbérie Orientale, 175–177. Brett, Zughba at Tripoli, 45. Ibn ‘Idārī, I, 275–276; Nuğūm, V, 50–51; Idris, Berbérie Orientale, 180–181. Das mit Abstand wichtigste numismatische Werk im Zusammenhang mit dem fatimidisch –ziridischen Bruch ist Hazard, Harry W.: The Numismatic History of late Medieval North Africa. Numismatic Studies No. 8. New York: 1952, 53–55, 90–93. Hazard referiert Beschaffenheit, Aufschriften und Änderungen der Münzen im historischen Kontext. ‘Abd alWahhāb, 444 ff. geht ebenfalls, wenn auch nicht ganz so ausführlich, hierauf ein. Plant, Richard J.: Arabic Coins and how to read them. Manchester: 1973, gibt eine recht interessante Einführung in die arabische Münzkunde. H. Gaube gibt einen Überblick über die islamische Numismatik und beschreibt, wie die fatimidischen Münzen aussahen. George C. Miles’ Augenmerk ist auf die fatimidischen Münzen gerichtet. Hinweise auf die Ereignisse um 1051 finden sich hier jedoch leider nicht.

abbasidische Kalif sandte außerdem ein Schwert, eine Stute, ein Siegel und Fahnen. All diese Geschenke trafen auf dem Seeweg via Konstantinopel ein.78 Auch wenn über das Datum verschiedene Angaben existieren, kann man auf jeden Fall davon ausgehen, daß der Suzeränitätswechsel in der Art, wie sie Ibn Šaddād beschreibt, stattfand. Bestimmte orientalische Quellen geben als Datum des Bruches 1051–1052/443 an.79 Dem schließt sich u.a. Halm an. Der fatimidische Chronist Ibn Muyassar (gest. 1278/677) führt aus, daß 1047– 1048/439 der Bagdader Kalif einen Botschafter nach Ifrīqiya losschickte, um alMu‘izz die üblichen Ehrengewänder, eine schwarze Fahne – das Emblem der Abbasiden –, ein Pferd und ein Schwert sowie eine Einsetzungsurkunde (‘ahd) zuzusenden. Dieser Botschafter mußte, um das fatimidische Territorium zu umgehen, den Weg über Konstantinopel nehmen. Dort ließ ihn Kaiser Konstantin IX. Monomachos festsetzen und mitsamt den Insignien nach Kairo ausliefern, wo er, mit Glöckchen bestückt, zum Spott auf einem Kamel herumgeführt. AlMustanir ließ die abbasidische Ernennungsurkunde für al-Mu‘izz, die schwarze Standarte, das Investiturgewand und das Geschenk für den Ziriden auf dem Platz zwischen den beiden Palästen öffentlich verbrennen. Der Bagdader Gesandte wurde wieder dem Kaiser in Konstantinopel überstellt. Dieser entschuldigte sich zwar bei ihm wegen der erlittenen Demütigung, hielt ihn aber weiter in Konstantinopel fest.80 Es ist nicht bekannt, wie al-Mu‘izz darauf reagierte oder ob er überhaupt etwas davon erfuhr. Angesichts der guten Beziehungen zwischen Byzanz und Kairo ist die Entscheidung des abbasidischen Botschafters, lieber byzantinisches als fatimidisches Territorium zu durchqueren, wenig verständlich. Möglicherweise war den Abbasiden nicht bewußt, wie gut das byzantinisch–fatimidische Verhältnis war. Anderenfalls hätten sie größere Vorsicht walten lassen. „Im Juni 1052/afar 444 erschien in Konstantinopel eine Gesandtschaft aus Bagdad, um vom Kaiser nicht nur die Freilassung des früheren Gesandten, sondern auch den Abbruch der Beziehungen zu den Fatimiden zu verlangen“, da diese einem Glauben angehörten, den weder ein Muslim noch ein Nichtmuslim gutheißen könne. Der Kaiser erwiderte darauf, daß die Fatimiden seine Nachbarn

78 Idris, Berbérie Orientale, 182; Marçais, Arabes en Berbérie, 55; ders., Berbérie Musulmane, 168. 79 Ibn ‘Idārī, Abū l-Fidā’; Ibn Muyassar; bei Ibn aldūn ist es schon 1045–1046/436 und bei an-Nuwairī 435; bei at-Tiğānī erst 444. 80 Ibn Muyassar: Ta’rī – Abār Mir, rekonstruiert in: Aiman Fu’ād Sayyid: Choix de passages de la Chronique d’Egypte d’Ibn Muyassar. Kairo: 1981, 11–12; Ibn allikān: Wafayāt al-a‘yān wa abnā’ az-zamān, hrsg. von Muammad Muyī d-Dīn ‘Abd al-amīd. Kairo: 1948, Bd. V, 229–230, 234; Nuğūm, V, 2, 50–51; Halm, Kalifen von Kairo, 371; Idris, Berbérie Orientale, 189.

41

seien, und die gegenseitigen Verträge sowie der Waffenstillstand nicht einfach aufgehoben werden könnten.81 Bis 1046–1047/438 wurden die Dinarstücke schiitischen Typs, die in Mahdia oder al-Manūriyya geprägt wurden, im Namen al-Mustanirs hergestellt. Von 1047–1049/439–440 trugen analoge Dinarstücke den alten Namen abra anstatt al-Manūriyya, genannt nach dem Fatimidenkalifen al-Manūr. Von 1049–1058/ 441–449 waren Dinarmünzen vom sunnitischen Typ im Umlauf, die durch die Weglassung der alidischen Eulogien und des Namens des Fatimidenkalifen gekennzeichnet waren.82 Die Beibehaltung der schiitischen Formeln und die Nennung al-Mustanirs zeigen, daß der Bruch noch nicht endgültig vollzogen war. Idris83 hält es für wahrscheinlich, daß entgegen aller Logik auch nach dem Bruch mit Kairo die Ziriden weiterhin Münzen prägten, auf denen al-Mustanirs Name zu sehen war. Da dies tatsächlich aller Logik widerspricht, ist es auch sehr unwahrscheinlich, daß derartige Münzen weiterhin in Umlauf gesetzt wurden. Natürlich ist es möglich, daß auch einige Zeit nach dem Bruch noch schiitische Münzen in Umlauf waren. Das war dann aber darauf zurückzuführen, daß man die alten Münzen nicht von einem Tag auf den anderen durch neue ersetzen konnte. Idris sagt dann aber auch, daß die Historiker die Änderung der Münzprägung 1049–1050/441 bestätigen. Ibn aldūn weist darauf hin, daß dem Ziriden von einem Botschafter des abbasidischen Kalifen 1051/443 die Urkunde der Investitur überbracht wurde. Die andalusischen Historiographen Ibn Baškuwāl (gest. 1183/578) und al-Maqqarī (gest. 1651/1061) bestätigen, daß dieser Botschafter nach Kairuan kam, nennen allerdings kein Datum.84 Nach Ibn Bassām schickte der abbasidische Kalif 1047/439 einen Botschafter namens Abū l-Fal auf den Weg nach Ifrīqiya. In Syrien soll er den Dichter Abū l-‘Alā al-Ma‘arrī getroffen haben. Als Kaufmann getarnt, reiste er über Aleppo und Kairo, wo er zum Schein Geschäfte tätigte, und dann weiter über Tripolis nach Kairuan; da er vorsichtshalber nichts Schriftliches mit sich führte, mußte er dort, da man ihn zunächst als Spion verdächtigte, warten, bis ein weiterer Bote Bagdads auf dem Seeweg mit den beglaubigenden Papieren eintraf.85 Es verwundert zunächst, daß al-Mu‘izz den Botschafter des abbasidischen Kalifen töten lassen wollte. Da Abū l-Fal jedoch ohne irgendein Dokument nach 81 82 83 84 85

42

Halm, Kalifen von Kairo, 380. Idris, Berbérie Orientale, 190. Idris, Berbérie Orientale, 191. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 325/Berbères, II, 21. Halm, Kalifen von Kairo, 371; Idris, Berbérie Orientale, 191–193.

Ifrīqiya kam, konnte ihm al-Mu‘izz nicht ohne weiteres vertrauen. Abū l-Fal konnte aber keine Schriftstücke mit sich führen, weil er fatimidisches Territorium durchquerte und befürchten mußte, enttarnt zu werden. Die Erfahrung, die der erste abbasidische Botschafter gemacht hatte, mahnte zu äußerster Umsichtigkeit. Die erforderlichen Schriftstücke kamen dann später auf dem Seeweg nach Ifrīqiya. Idris86 hält es für gesichert, daß sich die Begebenheiten so abspielten, wie Ibn Bassām sie beschreibt. „Nun konnte der Pakt mit Bagdad abgeschlossen werden. Am 9. März 1049, dem Fest des Fastenbrechens (440), verkündete der Kadi von al-Manūriyya von der Kanzel feierlich die Abkehr vom ismailitischen Bekenntnis und die Rückkehr zur Sunna; die Fatimiden wurden verflucht; der Prediger rief ihnen die Koransure 109 entgegen: ‚Ihr Ungläubigen! Ich verehre nicht, was ihr verehrt, und ihr verehrt nicht, was ich verehre...’“87 Das Investitursiğill wurde in der Großen Moschee von Kairuan verlesen, und die schwarzen Standarten der Abbasiden wurden ausgebreitet. Das Haus der Ismailiten (Dār al-Ismā‘īliyya) wurde zerstört und die fatimidischen Banner verbrannt.88 Ibn ‘Idārī, al-Maqrīzī, Ibn Abī Dīnār und Ibn aldūn sind sich darin einig, daß die fatimidischen Flaggen verbrannt und ihre Namen von Flaggen, Wimpeln und Standarten entfernt wurden.89 Das mehrheitlich sunnitische Volk und die malikitischen Rechtsgelehrten, die bis dahin der fatimidischen Freitagspredigt ferngeblieben waren und sich nach der offiziellen Predigt an anderen Orten zum sunnitischen Gebet versammelt hatten, waren froh, von nun an die Namen der Abbasiden in der uba zu hören.90 Al-Mustanir warf ihm vor, durch die Anerkennung der Abbasiden die Pfade seiner treuen und gehorsamen Vorfahren verlassen zu haben und drohte ihm mit der Entsendung von Truppen, um ihn zu bestrafen. Al-Mu‘izz antwortete ihm daraufhin, daß seine Vorfahren lange vor der fatimidischen Machtübernahme Könige des Maghreb gewesen seien und die Fatimiden mit ihren Schwertern die Vorherrschaft über diese Region erlangt hätten. Daher sei ihnen der Emir zu nichts verpflichtet.91 Seit Januar 1050/441 wurden massenweise Dinarmünzen des sunnitischen 86 87 88 89

Idris, Berbérie Orientale, 192. Halm, Kalifen von Kairo, 371. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30/Berbères, I, 32; Halm, Kalifen von Kairo, 371. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 29; ders., ‘Ibar, VI, 325/Berbères, II, 20; Mu’nis, 83; al-Maqrīzī: Itti‘ā al-unafā’ bi-abār al-a’imma al-Fāimiyyīn al-ulafā’ Bd. II, Kairo: 1967–1971, 216; Ibn ‘Idārī, I, 278; Marçais, Arabes en Berbérie, 56; ders., Berbérie Musulmane, 170. 90 Marçais, Arabes en Berbérie, 45; asan usnī ‘Abd al-Wahhāb: Waraqāt ‘an al-haārat al-‘arabiyya bi-Ifrīqiya, Bd. I. Tunis: 1964, 444. 91 An-Nuwairī: Nihāyat al-arab fī funūn al-adab, Bd. 24, 207–208.

43

Typs geprägt und in Umlauf gebracht. Auf ihrer Rückseite trugen sie den Koranvers 3:85: „Wenn sich aber einer eine andere Religion als den Islam wünscht, wird es nicht von ihm angenommen werden“ – eine deutliche Absage an das Ismailitentum. Ebenso ließ al-Mu‘izz Münzen, in welche die Namen der Fatimiden eingeprägt waren, aus dem Verkehr ziehen und einschmelzen. Er verkündete, daß derartige Münzen keine Gültigkeit mehr hätten. Diese Maßnahmen waren aber nicht ohne weiteres umzusetzen, so daß sich der Emir genötigt sah, jeden hart zu bestrafen, der Münzen mit Namen von Fatimidenkalifen hatte. Auch die Anlage eines neuen Festplatzes bei al-Manūriyya vor den Toren Kairuans im selben Jahr gehört wohl in diesen Zusammenhang: der alte war durch die Ketzerei entweiht.92 Es ist davon auszugehen, daß die sunnitische Bevölkerung diese Maßnahmen im Grunde befürwortete. Die Tatsache, daß offenbar dennoch viele noch die alten Münzen verwendeten, könnte man auf eventuell fehlenden Ersatz zurückführen. Infolge des ziridischen Suzeränitätswechsels fielen einige Würdenträger wie Kadis, Wesire oder Gouverneure in Ungnade, verloren teilweise ihr gesamtes Vermögen oder mußten zumindest hohe Summen an den Staat entrichten. Das entsprach der allgemein antischiitischen Stimmung in Ifrīqiya, brachte aber auch Geld in die Staatskasse. 1049–1050/441 herrschte in Ifrīqiya eine allgemeine Euphorie. Die Einwohner aus Kairuan und Sousse legten ihre Streitigkeiten bei, und es gab diverse Volksfeste. Außerdem ernannte al-Mu‘izz seinen Sohn Tamīm zum Erben.93 Poncet behauptet, daß die feierliche Versöhnung zwischen Sousse und Kairuan nur den Zweck hatte, den Fortbestand der ziridischen Dynastie zu sichern.94 In den Quellen fehlt jedoch jeglicher Hinweis darauf, daß die genannte Versöhnung und die Volksfeste vom Staat aus gelenkt worden waren. 1051–1052/443 gab es in Kairuan mehrere pro-abbasidische Kundgebungen. Es folgte der letzte Schritt: Alle religiösen Würdenträger – Richter, Freitagsprediger, Gebetsrufer – wurden im Schloß von al-Manūriyya in neu angefertigte tiefschwarze (die Farbe der Abbasiden) Amtsroben gekleidet. Al-Mu‘izz ließ einige Färber zu sich kommen und gab ihnen weiße Stoffe, um sie schwarz zu färben. Danach versammelte er die Schneider, welche aus diesen schwarz gefärbten Stoffen Kleidungsstücke für die Juristen, Kadis, Muezzine und die beiden Prediger der Großen Moschee von Kairuan und von al-Manūriyya herstellten. Danach begab sich der Herrscher mit den Würdenträgern und dem Thronfolger in die Große Moschee von Kairuan, wo die uba nun für den Bagdader Kalifen al-Q’im 92 Halm, Kalifen von Kairo, 371; Marçais, Arabes en Berbérie, 56; ders., Berbérie Musulmane, 170. 93 Ibn ‘Idārī, I, 266–267, 279. 94 Poncet, 1967, 1112.

44

gehalten und die Verfluchung der Fatimiden erneuert wurde. Ferner wurde jedes Detail der Ereignisse um den Suzeränitätswechsel erwähnt. Al-Mu‘izz und sein Sohn wurden hoch gelobt und die ersten vier Kalifen wurden der Reihe nach genannt. Noch im selben Jahr unterwarf sich der Gouverneur von Barqa dem Ziridenemir. Die damit zusammenhängenden Zeremonien orientierten sich an dem Muster von Kairuan. Durch diese Unterwerfung stieg das Prestige der Ziriden unter der Bevölkerung erheblich.95 Poncet ist der Meinung, daß der Bruch nicht von irgendeiner religiösen Überzeugung diktiert war, sondern von dringenden Notwendigkeiten. Er hatte den Charakter einer finanziellen und politischen Rettungsoperation, die sich auf alle Mittel stützte, die der Staat zur Verfügung hatte.96 Wenn man sich jedoch die Entwicklung von Ifrīqiya nach dem Regierungsantritt von al-Mu‘izz betrachtet, wird allerdings schnell klar, daß die erste Einschätzung nicht ganz zutrifft. Die Schiitenmassaker und die antischiitische Stimmung im Land belegen eindeutig, daß dem religiösen Aspekt eine entscheidende Rolle zukommt. Die infolge des Bruches erfolgte Beschlagnahme der Güter von in Ungnade gefallenen schiitischen Würdenträgern vermittelt nicht den Eindruck, als wäre dies zur Haushaltssanierung geschehen, sondern eher aus der antischiitischen Stimmung im Land. Auch die Quellen stellen hier keinen Zusammenhang her. Daher kann man Idris durchaus in seiner Einschätzung zustimmen, daß die Beschlagnahme der Güter von in Ungnade gefallenen Würdenträgern eine gängige Praxis war, und man daher nicht unbedingt auf eine finanzielle Notlage des Staates schließen kann.97 Bekräftigt wird diese Ansicht durch die Tatsache, daß in den Quellen nirgends über irgendwelche Bemühungen von al-Mu‘izz die Rede ist, den Haushalt zu sanieren. Angesichts der hohen Verschwendung von Geldern bekommt man bei al-Mu‘izz den Eindruck, daß ihm gar nicht bewußt war, daß er damit den Staat in den Ruin trieb und somit letztlich auch seine Machtbasis schwächte. An einer anderen Stelle schreibt Poncet, daß jeder Fanatismus in tiefgreifenden ökonomischen und sozialen Aspekten wurzelt.98 Angesichts der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Ifrīqiya trifft dieser Aspekt vollkommen zu. Idris beschreibt zwar seinerseits sehr ausführlich die Begebenheiten, die zur Verschärfung der sozialen Spannungen führten. Er bringt sie jedoch nicht in Zusammenhang mit dem Bruch. 95 Ibn ‘Idārī, I, 280, 288; al-Maqrīzī, II, 216; Halm, Kalifen von Kairo, 371–372; Marçais, Arabes en Berbérie, 57–58; ders., Berbérie Musulmane, 170. 96 Poncet, 1967, 1111. 97 Idris, 1968, 394. 98 Poncet, 1967, 1113.

45

2.5 Al-Yāzūrī Al-Yāzūrī war einer der bedeutendsten Wesire der Fatimiden. Bei den Ereignissen um die Hilāl-Invasion spielte er eine Schlüsselrolle. Halm gibt eine recht detaillierte Beschreibung von dem Aufstieg al-Yāzūrīs und den Umständen, unter denen das geschah. Die Zeit zwischen 1045/436, dem Ende der siebzehnjährigen Amtszeit des Wesirs al-Ğarğarā’ī mit dessen Tod, und 1050/441, der Amtsübernahme durch al-Yāzūrī, war von Intrigen, Wirren und Machtkämpfen verschiedener Günstlinge der Kalifenmutter gekennzeichnet. Diese turbulente Zeit am Kalifenhof von Kairo fand erst ein Ende, als al-Yāzūrī das Amt des Wesirs übernahm. Zunächst stand al-Yāzūrī im Dienste der Mutter al-Mustanirs, die auf ihren noch sehr jungen Sohn großen Einfluß hatte. Durch sein außerordentliches Machtgespür gelang es al-Yāzūrī nach und nach, die wichtigsten Ämter im Staat zu bekommen und damit zum einflußreichsten Politiker Ägyptens zu jener Zeit zu werden. Der Vorgänger von al-Yāzūrī im Wesirsamt, Abū l-Barakāt, versuchte den immer mächtiger werdenden al-Yāzūrī von der einflußreichen Kalifenmutter zu entfernen. Dazu drängte er den Kalifen al-Mustanir zur Ernennung von alYāzūrī zum Oberkadi. Al-Yāzūrī informierte hierüber die Kalifenmutter. Diese ermunterte ihn, das neue Amt zu übernehmen, ohne das alte aufzugeben. Der düpierte Abū l-Barakāt mußte sich nun mit dem allmächtigen al-Yāzūrī arrangieren. Mit dem Amt des Obersten Richters war auch das des Obersten Dā‘ī gekoppelt. Wenig später fiel al-Yāzūrī auch das Amt des Wesirs zu.99 1050/442 wurde der fatimidische Großkadi al-Yāzūrī in den Rang eines Großwesirs (alwazīr al-ağall al-makīn, sayyid al-wuzarā’) erhoben. Er behielt aber seine Titel tāğ al-umarā’, Qāī al-Quāt, Dā‘ī ad-Du‘āt, ‘ilm al-mağd und āliat almu’minīn. An-Nuwairī ist der einzige Chronist, der diese Titel des al-Yāzūrī aufzählt. Mit dieser Ämterfülle ausgestattet verfügte al-Yāzūrī über mehr Macht, als sie jemals ein Minister zu jener Zeit besessen hatte. Trotz des seit mindestens zwei Jahren vollzogenen Bruches mit den Fatimiden korrespondierte al-Mu‘izz weiterhin mit Kairo, wo er einen Stellvertreter hatte. Alle, die mit al-Yāzūrī Kontakt hatten, redeten ihn mit seinen Ehrentiteln an. Der Ziridenemir bildete die einzige Ausnahme und nannte den Wesir „Protégé“ (anī‘a) [des Kalifen].100 Selbst als al-Yāzūrī seinen Zorn darüber zum Ausdruck brachte und al-Mu‘izz mit der Entsendung von Truppen drohte, blieb der Ziride 99 dazu ausführlich Halm, Kalifen von Kairo, 356–359; Leila al-Imad: The Fatimid Vizierate, 969–1172. Berlin: 1990, 181–183. 100 An-Nuwairī, 24, 210; Ibn al-Atīr: Kitāb al-Kāmil fī-t-ta’rī. Bd. IX–XI, hrsg. von C. J. Tornberg. Leiden: 1851–1876, hier zitiert nach dem Nachdruck Beirut: 1966, Bd. IX 566.

46

bei dieser Anrede, ohne zu ahnen, mit welcher Skrupellosigkeit sich der Wesir dafür später rächen würde: Er ließ die Banū Hilāl gegen die Ziriden marschieren, womit das Ende ihrer Dynastie in die Schlußphase trat.101 Der Zusammenhang zwischen der Entsendung der Araber nach Ifrīqiya und der Feindschaft zwischen al-Yāzūrī und al-Mu‘izz wird in den Quellen unterschiedlich bewertet. Lediglich an-Nuwairī und Ibn al-Atīr erwecken den Eindruck, daß der unmittelbare Anlaß für die Hilāl-Invasion die persönliche Auseinandersetzung zwischen al-Mu‘izz und al-Yāzūrī war oder diese zumindest den gleichen Stellenwert hatte wie der Suzeränitätswechsel von al-Mu‘izz. Ibn Muyassar behauptet hingegen explizit, daß al-Yāzūrī die Beduinen nach Ifrīqiya schickte, nachdem sich al-Mu‘izz zum wiederholten Male geweigert hatte, seine Anredepraxis gegenüber dem Wesir zu ändern. Der Name des Kalifen erscheint in diesem Zusammenhang nicht ein einziges Mal.102 Ibn aldūn bemerkt, daß einige Provinzgouverneure es wie al-Mu‘izz in ihren Schreiben unterließen, alYāzūrī mit maulāya anzureden. Al-Yāzūrī sei darüber beleidigt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt drohte al-Yāzūrī aber weder mit Konsequenzen noch forderte er al-Mu‘izz auf, seine Anredepraxis zu ändern. Der unmittelbare Anlaß für die Entsendung der Hilāl nach Ifrīqiya ist bei Ibn aldūn die Tatsache, daß al-Mu‘izz die Suzeränität wechselte. Der diplomatische Fehltritt von al-Mu‘izz gegenüber alYāzūrī spielt hier keine große Rolle.103 Da nicht mehr nachvollziehbar ist, was anders verlaufen wäre, wenn der Ziridenemir zwar den Bruch mit Kairo vollzogen hätte, sich al-Yāzūrī gegenüber aber korrekt verhalten hätte, fallen alle Überlegungen hierüber in den Bereich der Spekulation. Ibn ‘Idārī und Ibn Abī Dīnār erwähnen die Auseinandersetzung zwischen alMu‘izz und al-Yāzūrī überhaupt nicht. Im gesamten Zeitraum von dem Bruch zwischen Ziriden und Fatimiden und der Hilāl-Invasion fällt al-Yāzūrīs Name nicht einmal. Interessant ist aber, daß Ibn ‘Idārī (nach Ibn Šaraf) die Tötung der Schiiten der öffentlichen Verfluchung der Fatimiden durch die Ziriden voranstellt und hierin auch den Anlaß für die Invasion sieht. Es wird immer nur von den Banū ‘Ubaid gesprochen und nicht von dem Kalifen oder al-Mustanir.104 Abū l-

101 Marçais, Berbérie Musulmane, 198; ders., Arabes en Berbérie, 58–59; das Problem der Anredepraxis muß hier nicht in aller Breite dargestellt werden. Brett: Fatimid Historiography: A case study – the quarrel with the Zirids, 1048–58, in: Medieval Historical Writing in the Christian and Islamic Worlds, hrsg. von D. O. Morgan. London: 1982, 57 und ders., Fitnat al-Qayrawān, 30–34, 46–47, behandelt das Thema sehr ausführlich. 102 Ibn Muyassar, 12. 103 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 29–30/Berbères, I, 31–32. 104 Ibn ‘Idārī, I, 288.

47

Fidā’ erwähnt die gegenseitige persönliche Antipathie zwischen al-Mu‘izz und alYāzūrī auch nicht.105 Man kann also festhalten, daß für den überwiegenden Teil der Chronisten (Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī, Abū l-Fidā’) der unmittelbare Anlaß für die Invasion der Wechsel der Suzeränität des al-Mu‘izz war. Lediglich an-Nuwairī und Ibn al-Atīr messen dem persönlichen Streit zwischen al-Yāzūrī und al-Mu‘izz hinsichtlich der Entsendung der Hilāl die gleiche Bedeutung bei wie dem Suzeränitätswechsel. Dadurch, daß Ibn Muyassar als einziger Chronist behauptet, daß al-Yāzūrī die Beduinen nach Ifrīqiya entsandte, mißt er dem Wesir eine höhere Bedeutung und mehr Macht zu als dem Kalifen. Für die abschließende Bewertung ergibt sich damit, daß der persönliche Konflikt zwischen al-Mu‘izz und al-Yāzūrī für die Entscheidung, die Hilāl nach Nordafrika zu entsenden, nicht annähernd so bedeutend gewesen sein kann wie der Suzeränitätswechsel von al-Mu‘izz. Man muß davon ausgehen, daß über die Entsendung der Araber al-Mustanir und nicht al-Yāzūrī das letzte Wort hatte. Dies wird von Ibn Abī Dīnār ausdrücklich bestätigt.106 Wenn der Suzeränitätswechsel von al-Mu‘izz dem Kalifen nicht so wichtig gewesen wäre, hätte er keinen Grund gehabt, die Hilāl als Strafmaßnahme nach Ifrīqiya zu schicken, auch wenn der in seinem Stolz verletzte al-Yāzūrī das gerne so gesehen hätte. Al-Mu‘izz’ mißliche Anrede gegenüber al-Yāzūrī dürfte dem Kalifen jedoch ziemlich gleichgültig gewesen sein.

2.6 Die Rolle der Beduinen in Ägypten und der Aufstand des Abū Rakwa Die folgende Darstellung der Rolle der Qurra, ein Zweig der Hilāl, in Ägypten und des Aufstandes des Abū Rakwa steht beispielhaft für die Art und Weise der Teilnahme der Beduinen an bedeutenden politischen Ereignissen in dem Nilland. Da das Verhalten der Qurra und der Aufstand des Abū Rakwa einen Vorgeschmack auf das geben, was von der Präsenz der Beduinen in Ifrīqiya zu erwarten sein würde, soll auf diese beiden Aspekte hier kurz eingegangen werden. Ibn aldūn schildert recht eindrucksvoll, welche Rolle die Qurra im Ägypten al-ākims spielten. Während der Regierungszeit al-ākims war Mu tār b. alQāsim der Führer der Qurra. Als al-ākim den Yayā b. ‘Alī al-Andalusī nach Tripolis sandte, um den Zanātafürsten Fulful b. Sa‘īd b. azrūn gegen die anhāğa zu unterstützen, befahl der Kalif den Qurra, den General zu begleiten. Da105 Abū l-Fidā’: Kitāb al-mutaar fī abār al-bašar, Bd. II, 170. 106 Mu’nis, 84: …Fa-arsala l-Mustanir ilā ‘arab a-a‘īd alladīn bi-Mir wa-arsalahum ilā lMaġrib…

48

raufhin begaben sie sich nach Tripolis, kehrten später jedoch wieder nach Barqa zurück, nachdem sie zur Niederlage von Yayā b. ‘Alī beigetragen hatten, indem sie ihn während der Schlacht verließen. Al-ākim befahl daher ihren Führern, sich zu ihm zu begeben. Auf ihre Ablehnung hin sandte er ihnen einen schmeichlerischen Brief, um sie nach Alexandria zu locken. Dort angekommen, ließ er sie alle töten. Das geschah 1003–1004/394.107 An diesem Beispiel erkennt man, daß sich die Beduinen nur schwer für die Interessen anderer Herrscher einspannen ließen. Um 1004–1005/395 fand in Barqa die Erhebung eines gewissen Abū Rakwa statt. Dieser Koranlehrer behauptete, von den spanischen Umayyaden abzustammen und beanspruchte den Kalifenthron. Er fand die Unterstützung der Banū Qurra sowie der Berberstämme Mazāta, Zanāta und Lawāta, die ihn zum Kalifen proklamierten. Als al-ākim davon erfuhr, sandte er Truppen gegen den revoltierenden Stamm. Abū Rakwa schlug sie jedoch in die Flucht und tötete ihren türkischen Befehlshaber. Der andalusische Autor al-Maqqarī (gest. 1651/1061) scheint jedoch der einzige zu sein, der darauf hinweist, daß Abū Rakwa der vereinten Armee von Bādīs und dem Kalifen eine Niederlage zufügte. Als der Sieger jedoch gegen Ägypten zu Felde zog, erlitt er eine Niederlage und mußte sich nach Oberägypten zu den schwarzen Bedja flüchten. Durch Verrat von denen, deren Schutz er erhofft hatte, geriet er in fatimidische Gefangenschaft und wurde hingerichtet. Die Qurra fanden jedoch die Gnade der Bedja und störten den ziridisch–fatimidischen Kontakt, indem sie ziridische Geschenke, die an den fatimidischen Kalifen adressiert waren, abfingen. Danach bemächtigten sie sich Barqas, dessen Gouverneur die Flucht ergriff. Die Stadt Barqa blieb jedoch in der Hand der Qurra.108 Dies war die Position der Qurra, als die Zuġba, Riyā und Atbağ nach Ifrīqiya kamen. Die Qurra schlossen sich ihnen unter Führung von Māī b. Muqrab an. Der Aufstand des Abū Rakwa zeigt, daß die Beduinen sehr unzuverlässige Bündnispartner waren. Man muß jedoch betonen, daß die Qurra die an die Fatimiden adressierten Geschenke nicht deshalb abfingen, um die ziridisch–fatimidischen Beziehungen zu stören, sondern weil sie für sie begehrenswertes Beutegut waren. Die arabischen Stämme siedelten zunächst in der Cyrenaika, bevor sie ihre Raubzüge Richtung Tripolitanien fortsetzten.

107 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 37–38/Berbères, I, 40. 108 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 38/Berbères, I, 40–41.

49

3. Die Hilāl-Invasion 3.1 Die Problematik des Begriffes Hilāl-„Invasion“ Anhand der Umschreibungen für die Hilāl-Invasion in den Quellen109 wird ersichtlich, daß weder die Chronisten noch die Ziriden noch die Einwohner Ifrīqiyas das Kommen der Beduinen als Bedrohung, Katastrophe oder „Invasion“ empfunden haben. Gerade wenn man berücksichtigt, daß sich die Chronisten nur auf ziridische Gewährsleute stützten, mutet das umso erstaunlicher an. Der Begriff „Invasion“ und die darin suggerierte Zäsur für das Land haben die arabischen Chronisten nicht als solche angesehen. Sie ist eine Wortschöpfung der französischen Forschung (Marçais, Idris, de Planhol).110 Emile-Félix Gautier nennt das Ereignis in dem einschlägigen Kapitel „Das Kommen der arabischen Beduinen“. Hans-Rudolf Singer spricht von einer „Infiltration arabischer Beduinenstämme“. Poncet bezeichnet das Kommen der Beduinen als „Ankunft“. Abdallah Laroui übernimmt den Begriff „Ankunft“. An anderer Stelle nennt er sie „Immigration“. ‘Abd al-Wahhāb spricht von „Az-zafa al-hilāliyya“ (der hilalische Vormarsch). Mamdū asan nennt das Ereignis „hiğra“, ohne dabei jedoch irgendwelche historische Parallelen zu ziehen. H.J. Fischer spricht von „incursion“ und „passage“. P. Hitti spricht lediglich davon, daß die Hilāl dazu angestiftet wurden, nach Westen zu ziehen.111 Halm übernimmt zwar den Begriff „Inva109 Ibn ‘Idārī, I, 288: fitna ‘aīma; an-Nuwairī, 24, 209: urūğ al-‘arab ilā al-Maġrib; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 27: al-abar ‘an duūl al-‘arab min banī Hilāl wa Sulaim al-Maġrib; Ibn alAtīr, IX, 566: duūl al-‘arab ilā Ifrīqiya. Abū l-Fidā’, II, 170: masīr al-‘arab min ğiha Mir ilā ğiha Ifrīqiya wa hazīmat al-Mu‘izz b. Bādīs; at-Tiğānī, 328: al-‘arab alladīna ġalabūhu ‘alā amrihi wa-aadā aktar bilādihi; al-Maqrīzī, II, 215: atta tawağğaha l-madkurūn ilā diyār Ibn Bādīs wa-mallakūha; Mu’nis, 84: duūl al-‘arab ilā Ifrīqiya…, ...bi-irsāl al-‘arab. 110 Marçais, Arabes en Berbérie: L’Invasion; Idris: La catastrophe. L’Invasion hilalienne; de Planhol: Die Invasionen der Bani Hilāl und ihre Folgen. Das Bild von der Invasion mit den angeblich so verheerenden Folgen wird auch noch von folgenden Historikern vertreten: Piquet, 122 und Despois, 126, sprechen von invasion (Piquet jedoch auch von migration) und vertreten das von Ibn aldūn vorgebrachte Heuschrecken-Bild. Despois bezeichnet die nach Ifrīqiya kommenden Beduinen gar als hordes menaçantes (bedrohliche Horden). M. Forstner, 76, ist der Meinung, daß das politische Gleichgewicht in Nordafrika bis 1051/443 gewahrt blieb. Die Rückkehr zur Sunna brachte für Ifrīqiya Unheil, welches im Einfall der Hilāl ihren Ausdruck fand. 111 Emile-Félix Gautier: Le passé de l’Afrique du Nord. Paris 1942, 409: La venue des bédouins arabes. An einigen anderen Textstellen benutzt er aber auch den Begriff „Invasion“; Hans-Rudolf Singer: Die Ziriden, in: Geschichte der arabischen Welt, 287; Poncet, 1967, 1114: Ce qui se passe lors de l’arrivé des Hilaliens; Abdallah Laroui: L’histoire du Maghreb. Paris 1976, 140: Quand ils (die Hilāl) arrivèrent en Ifrīqiya..., 142: ...l’immigration hilalienne...; asan usnī ‘Abd al-Wahhāb: Waraqāt ‘an al-haārat al-‘arabiyya bi-Ifrīqiya, Bd. I. Tunis: 1964, 448; Mamdū asan: Al-‘arab al-hilāliyya fī Ifrīqiya, in: Les Cahiers de Tunisie 1981, 75; H. J. Fischer: The Eastern Maghrib and the Central Sudan, in:

50

sion“.112 Er versieht ihn aber mit dem Zusatz „Westwanderung“. Yves Lacoste geht erstmals auf die Problematik des Begriffes „Invasion“ ein. Er hält den Begriff als Beschreibung für die beduinische Westwanderung für absolut unexakt und hält „Deportation“ schon für geeigneter, auch wenn er einräumt, daß diese Bezeichnung zu übertrieben ist. Am geeignetsten erscheinen ihm „invitation“ (Einladung, Aufforderung) oder „enrôlement“ (Anwerbung).113 Lacoste führt die Diskussion um die Begrifflichkeit allerdings nicht weiter. Die beduinische Westwanderung als „Deportation“ zu bezeichnen, ist vollkommen ungeeignet. Von Deportation könnte man sprechen, wenn die Beduinen gewaltsam nach Ifrīqiya gebracht worden wären. Davon ist in den Quellen aber nicht die Rede. Wie an anderer Stelle ausführlich besprochen wird, sagt lediglich an-Nuwairī, daß den Beduinen der Befehl zur Überquerung des Nils gegeben wurde. Alle anderen Quellen sind sich darin einig, daß die Beduinen für die Überquerung des Nils beschenkt wurden. Daher wäre die Bezeichnung „Anwerbung“ nicht unpassend. Sie beschreibt allerdings nur den Vorgang der Planung des Vorhabens ausschließlich der Westwanderung an sich. Invitation mag vielleicht passender erscheinen als Deportation. Sie geht jedoch in die gleiche Richtung wie Anwerbung, ist aber wesentlich ungenauer. Wenn man nun all diese Begriffe miteinander vergleicht, kann man feststellen, daß „Westwanderung“ die bei weitem neutralste und passendste Bezeichnung für das vorliegende, hinsichtlich seiner Bedeutung recht umstrittene Ereignis ist, wohingegen der in der Sekundärliteratur am häufigsten gebrauchte Begriff „Invasion“ nicht nur tendenziös ist, sondern auch eine ungenaue Beschreibung des Ereignisses ist. Larouis Bezeichnung „Immigration“ trifft den Kern der Sache ebenso wenig. Mit „Immigration“ würde man eine gezielte Einwanderung und Niederlassung in dem neuen Land erwarten. Dies war jedoch nicht die Absicht der Fatimiden. Die Beduinen sollten lediglich eine Strafaktion gegen die Ziriden unternehmen und sich selber dabei nach Möglichkeit aufreiben. Etwas anderes hatte Kairo nicht geplant. Was danach aus ihnen würde, war den Fatimiden ziemlich gleichgültig.

Cambridge History of Africa, Bd. 3, 241, 243; Hitti, Philip K.: History of the Arabs. London: 1949, 622. 112 Die Invasion des Maġrib: Die Westwanderung der Hilāl (Überschrift in seinem Werk Die Kalifen von Kairo), 370. 113 Yves Lacoste: Ibn Khaldoun. Paris 1969, 95: „Ainsi le terme ,d’invasion‘ est absolument inexact pour désigner l’ensemble du déplacement des tribus arabes du XIe siècle au XIVe siècle à travers l’Afrique du Nord. Le terme de déportation, bien que trop excessif, serait souvent au fond plus exact. Dans la plupart des cas il s’agit d’une invitation, d’un véritable enrôlement.“

51

Es fällt auf, daß keine einzige Quelle das Kommen der Hilāl als Katastrophe bezeichnet, nicht einmal Ibn aldūn. Die Tatsache, daß die Hilāl-Invasion in den Quellen offenbar nicht die Bedeutung hat, wie sie die von der französischen und tunesischen Forschung geprägte Sekundärliteratur einräumt, läßt den Verdacht aufkommen, daß die Westwanderung der Beduinen gar nicht so starke Verheerungen mit sich gebracht haben kann, wie angenommen. Auch aus der Untergliederung der Werke der verschiedenen Chronisten kann man nicht unbedingt auf eine außergewöhnliche Bedeutung der Invasion schließen. Außerdem tritt die Hilāl-Invasion bei keiner Quelle als Zäsur in Erscheinung. Lediglich Ibn aldūn, an-Nuwairī und Ibn alAtīr haben ein Kapitel eingerichtet, das sich speziell der Ankunft der Hilāl widmet. At-Tiğānī, Ibn Abī Dīnār und al-Maqrīzī haben für den Beginn der beduinischen Westwanderung nicht einmal ein eigenes Kapitel eingerichtet. Die Tatsache, daß die Chronisten die Beduinenmigration nicht als Zäsur für das Land angesehen haben, kommt bei Ibn ‘Idārī am deutlichsten zum Ausdruck. Er benutzt in dem entsprechenden Kapitel seines Werkes nicht einmal ein Äquivalent für „Invasion“ oder „Einmarsch“. Die Überschrift fitna ‘aīma ist zwar unverkennbar auf die Ankunft der Hilāl gemünzt. Die Bezeichnung schließt aber zumindest andere Faktoren, die ebenso für die instabile Lage in Ifrīqiya verantwortlich waren, nicht aus. In genau diese Richtung geht jedoch Poncets Analyse und Argumentation. In dieselbe Richtung weist die Tatsache, daß es auch bei den anderen Quellen keinen Terminus für die „Hilāl-Invasion“ gibt, sondern lediglich verschiedene Umschreibungen. Einen bestimmten Terminus gebraucht man aber nur bei Ereignissen von entsprechender Bedeutung. Folglich kann das Fehlen desselben als ein Hinweis auf eine nicht sehr große Bedeutung eines Ereignisses verstanden werden. In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, den Begriff „Hilāl-Invasion“ aufzubrechen und andere Be- und Umschreibungen hierfür zu finden. Bisher hat es die Forschung versäumt, einen geeigneteren Terminus zu finden. Halm hat mit den Begriffen „Westwanderung“ oder „Westdrift“ hierbei aber schon einen bedeutenden Anfang geleistet. Daher kann man Poncet voll zustimmen, wenn er sagt, daß die Reisenden und Chronisten ein derartiges Bild nicht bestätigen. Wenn Idris angesichts dieser Fakten immer noch behauptet, daß alle Chronisten die den Westdrift der Hilāl einmütig als Katastrophe ohne gleichen betrachten, so muß man feststellen, daß er mit dieser Einschätzung falsch liegt.114 Brett äußert die bekannte These, daß Marçais seine Berbergeschichte nur deshalb so araberkritisch dargestellt hat, um der französischen Regierung im 19. und 114 Poncet, 1967, 1100; Idris, 1968, 390.

52

20. Jahrhundert und dem europäischen Publikum zu zeigen, daß die gegenwärtige Armut Nordafrikas durch die Araber verschuldet sei. Dies sollte wiederum als Argument für die französische Eroberung von Nordafrika herhalten.115 H.J. Fischer macht sich diese These zu eigen. Ferner spricht er die schon an anderer Stelle besprochene Auffassung von Brett an, nach der die beduinische Westwanderung von 1051 Teil einer allgemeinen Völkerwanderung im 11. Jahrhundert gewesen sei. Die nach Westen kommenden Beduinen seien mögliche Verbündete der Ziriden und Hammadiden gewesen. Die Fatimiden hätten erfolgreich versucht, die Hilāl zu einer Aufgabe ihres Bündnisses mit den Ziriden zu bewegen und sich statt dessen in den Dienst Kairos zu stellen. Hinsichtlich der Folgen der Hilāl-Invasion für Nordafrika lehnt sich Fischer an die Position von Poncet an.116 Trotz der Problematik des Begriffes „Invasion“ habe ich mich entschlossen, ihn aus Gründen der Übersichtlichkeit und mangels besserer Bezeichnungen nicht vollständig aus der Arbeit herauszuhalten. Idris hält es für folgerichtig, daß jeder, der die „Invasion“ für den Hauptgrund des Zusammenbruchs des ziridischen Staates hält, der Meinung ist, daß nichts eine derartige Katastrophe voraussehen ließ.117 Diese Einschätzung mag auf Idris persönlich zutreffen. Wenn man jedoch den Konflikt zwischen al-Mu‘izz und alYāzūrī sowie die Situation in Oberägypten berücksichtigt, ist der Gedanke an eine Strafaktion gegen die Ziriden mit eventueller Beteiligung der Hilāl nicht mehr so abwegig. Lacoste bestreitet, daß sich aus Ibn aldūns Werk die These der Invasion der Beduinen ableiten lasse. Seiner Ansicht nach geschah die Konstruktion der besagten These dadurch, daß man einzelne Elemente aus dem Œuvre von Ibn aldūn zusammengefügt habe. Dies sei zwar legitim. Der Vorwurf von Lacoste an die Verfechter des Invasionsgedanken ist jedoch, daß nicht alle Informationen, die Ibn aldūn diesbezüglich vorbringe, berücksichtigt würden. Daher stünden sowohl die Realität als auch die von Ibn aldūn vorgebrachten Hinweise im Gegensatz zu der These der Beduineninvasion.118 Man muß also festhalten, daß Ibn aldūn zwar recht unsachlich den Beginn der Westwanderung der Beduinen darstellt. Von einer Invasion ist bei ihm jedoch nicht die Rede. Idris sagt, er wisse nicht, auf welche Quellen sich Poncet stützt. Selbstverständlich hat Poncet dieselben Quellen herangezogen, auf die sich auch Idris stützt. Anschließend stellt Idris die Frage, wer den Beweis dafür erbringen würde, 115 116 117 118

Brett/Fentress, Berbers, 134. Fischer, Bd. 3, 244–245. Idris, 1968, 394. Lacoste, 88.

53

daß sich ohne die Hilāl ein vergleichbares Ereignis wie die Beduinen-Invasion abgespielt hätte. In dieser Frage liege das ganze Problem. Genau daran wird jedoch deutlich, daß Idris Poncets Sichtweise und Argumentation vollkommen ignoriert, da letzterer nie behauptet hat, daß bei einem Ausbleiben der HilālInvasion ein vergleichbares Ereignis hätte stattfinden können. Poncet bekräftigt auch noch einmal, daß es ihm nicht darum gehe, herauszufinden, was sich in Ifrīqiya ereignet hätte, wenn es die Westwanderung der Hilāl nicht gegeben hätte. Er geht vielmehr davon aus, daß die Invasion auf die Entwicklung in Ifrīqiya kaum Einfluß hatte.119 Das heißt zugleich, daß bei einem Ausbleiben der HilālInvasion die innere politische Entwicklung Ifrīqiyas keinen wesentlich anderen Verlauf genommen hätte. Angesichts der Schwäche der ziridischen Dynastie wäre diese auch ohne die Hilāl früher oder später von anderen Herrschern oder Dynastien wie z.B. den Almohaden verdrängt worden. Poncet geht es vielmehr darum zu erfahren, wie und warum es den Hilāl gelungen ist, sich in Ifrīqiya dauerhaft niederzulassen.120 Dennoch ist die Frage, was bei einem Ausbleiben der HilālWanderung in Ifrīqiya anders gelaufen wäre, nicht unberechtigt. In der Antwort darauf kann man eine wertvolle Hilfe für die Beurteilung der Bedeutung der Hilāl-Invasion finden.

3.2 Die Probleme Ifrīqiyas unter al-Mu‘izz in Zusammenhang mit der Hilāl-Invasion Poncet hat auf die inneren, äußeren und ökonomischen Probleme Ifrīqiyas gerade unter al-Mu‘izz hingewiesen. Seine Kernaussage lautet folgendermaßen: Die Ankunft der Hilāl fällt zeitlich genau in diese problematische Situation, in der sich Ifrīqiya befindet. Sie liefert den Vorwand für die Ausreifung einer Situation, in der alle (problematischen) Elemente bereits vereint sind und nur noch auf ihren Katalysator warten.121 Mit Katalysator meint Poncet zweifellos die Hilāl-Invasion. Kein anderer Historiker hat die Probleme Ifrīqiyas so ausführlich, systematisch und erschöpfend beschrieben wie Idris. In der bloßen Darstellung dieser Probleme gibt es zwischen Idris und Poncet keine wesentlichen Reibungspunkte. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, daß Idris schlicht die Tatsache ignoriert, daß die Hilāl an der Situation in Ifrīqiya keine Schuld hatten. Er behauptet weiterhin, daß die Hilāl-Invasion unbestritten den Beginn einer neuen Ära markiert, ohne hierfür Beweise zu bringen. Dabei bestätigen die Quellen Poncet in dessen Einschätzung. Leider bezieht Idris die Erkenntnisse, die Poncet gewonnen 119 Poncet, 1967, 1100; ders., 1968, 661; Idris, 1968, 390. 120 Poncet, 1968, 661. 121 Poncet, 1967, 1114.

54

hat, in seine Bewertung nicht ein und unternimmt somit noch nicht einmal den Versuch, Poncets Sichtweise zu widerlegen. Poncets Qualifizierung der Invasion als „Katalysator“ gibt recht anschaulich und treffend die Situation wider, mit der wir es in Ifrīqiya zu tun haben. Idris hingegen gibt sich nicht nur keine Mühe, diesen Vergleich zu prüfen, sondern qualifiziert ihn zusätzlich noch als lächerlich ab. Ferner bezeichnet er die Untersuchung von Poncet als Moralpredigt und vorgefaßte Anschauungen, die anachronistisch seien. Man solle besser die Texte in der Originalsprache heranziehen.122 Genau das tut Poncet jedoch! Von einer „Moralpredigt“ oder vorgefaßten, zum Anachronismus neigenden Meinungen kann daher gar keine Rede sein.

3.3 Klimatische Aspekte Xavier de Planhol123 geht als einziger Forscher sehr ausführlich auf die Auswirkungen eventueller Klimaveränderungen auf das politische Geschehen ein. Entscheidend für vorliegende Arbeit ist seine Feststellung, daß sich sowohl die Historiker als auch die Archäologen auf die These eines unverändert gebliebenen Klimas in Ifrīqiya geeinigt haben. Wenn sich das Klima zu Beginn des 10./4. Jahrhunderts tatsächlich so verändert hätte, daß eine verstärkte Desertifizierung eingetreten wäre, hätte man die Hilāl zumindest von dem Vorwurf der Verwüstung von früher kultiviertem Land entlasten können. Die Historiker gehen auch auf die Bedeutung des Gegensatzes zwischen nomadischer und seßhafter Lebensweise ein. Idris weist daraufhin, daß die überwältigende Mehrheit der ifriqischen Bevölkerung vor der Invasion seßhaft und der Nomadismus kaum verbreitet war. Es gab in Ifrīqiya eine Vielzahl von Siedlungen. Heute unfruchtbarer und desertifizierter Boden war vor der Invasion fruchtbar und kultiviert. Die Umgebung von Kairuan bietet hierfür ein eindrucksvolles Beispiel.124 De Planhol bekräftigt, daß sich zahlreiche ruinierte Seßhafte dem Nomadismus zuwenden mußten.125 Idris und de Planhol bleiben allerdings den Beweis schuldig, daß die Beduinen für diese Situation die Verantwortung tragen. Lacoste fügt hinzu, daß nicht alle Nomaden Araber und nicht alle Berber seßhaft waren, z.B. die Zanāta.126 Brett weist noch einmal daraufhin, daß seßhafte und 122 Idris, 1968, 391–392: „L’envie me prend de sourire et de retorquer qu’autant qu’il m’en souvienne sans catalyseur pas de modifications des corps en présence, mais soyons sérieux“; 390, 396. 123 Xavier de Planhol: Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte. München: 1975, 155–160. 124 Idris, Berbérie Orientale, 411–412. 125 De Planhol, 162. 126 Lacoste, 92.

55

nichtseßhafte Lebensweise einander ergänzen und infolgedessen seßhafte und nomadische Völker voneinander abhängig seien. Zudem habe es nomadische Lebensweise in Ifrīqiya schon vor der Hilāl-Invasion gegeben.127 Da der klimatische Aspekt zu sehr ins Hypothetische geht und die Quellen ihn hinsichtlich unseres Themas unberücksichtigt lassen, wird auf ihn hier nicht weiter eingegangen.

3.4 Beginn der Planungen für den Westzug der Beduinen aus Oberägypten Bei Ibn aldūn ist der Beginn der Invasion im Gegensatz zu den anderen Quellen sehr ausführlich dargestellt. Der unmittelbare Anlaß für die Entsendung der Hilāl war der ziridische Abfall von Kairo. Der persönliche Konflikt zwischen alMu‘izz und al-Yāzūrī spielte hierbei keine Rolle, das Verhalten der Beduinen in Oberägypten dafür jedoch um so mehr.128 Anhand der Einleitung des entsprechenden Kapitels bei an-Nuwairī129 und Ibn al-Atīr130 erkennt man, daß der Suzeränitätswechsel von al-Mu‘izz der Anlaß für die beduinische Westwanderung war. Al-Maqrīzī erwähnt zwar recht ausführlich sowohl die einzelnen Stationen des Suzeränitätswechsels des al-Mu‘izz als auch die Planungen für die Entsendung der Beduinen nach Ifrīqiya. Erstaunlicherweise stellt der Autor jedoch keinen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen her.131 In seiner recht knapp gehaltenen Darstellung spricht Abū l-Fidā’132 hingegen den persönlichen Konflikt zwischen al-Mu‘izz und al-Yāzūrī nicht an. Er sieht den unmittelbaren Anlaß in der Entsendung der Zuġba und Riyā ebenfalls darin, daß al-Mu‘izz die Suzeränität gewechselt hat. Auch at-Tiğānīs Darstellung fällt recht knapp aus. Er sieht den Grund für die Entsendung der Araber nach Westen jedoch ausschließlich darin, daß al-Mu‘izz sich von den Fatimiden abgewandt hatte.133 Ibn al-Atīr, an-Nuwairī, al-Maqrīzī und Abū l-Fidā’ sprechen von den Riyā und Zuġba, nicht jedoch von den Hilāl; Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī und at-Tiğānī von den Arabern (‘arab). Ibn aldūns Darstellung geht jedoch als einziger eine ausführliche Beschreibung der einzelnen in Oberägypten siedelnden arabischen Stämme voran. Die unterschiedlichen Bezeichnungen für die Beduinenstämme 127 128 129 130 131 132 133

56

Brett, Arabisation, 10. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30/Berbères, I, 32–33. An-Nuwairī, 24, 209: kāna sabab dālika... Ibn al-Atīr, IX, 566: wa-sabab dālika anna... Al-Maqrīzī, 214–215. Abū l-Fidā’, II, 170. At-Tiğānī, 328: alafa l-Mu‘izz b. Bādīs ‘alā Banī ‘Ubaid wa-saraa ‘alā l-manābir bila‘nihim.

werden trotz der schon besprochenen Differenzierungen sowohl von den Chronisten als auch von den modernen Historikern recht oft synonym verwendet. Auf den Ereignisablauf hat das jedoch keinen Einfluß. Halm weist darauf hin, daß der Wesir al-Yāzūrī auf die Idee kam, sich der arabischen Stämme zu bedienen. Es ist offensichtlich, daß es ihm dabei jedoch eher darum ging, seine Rachegefühle gegenüber al-Mu‘izz zu befriedigen, als seinem Herrscher damit zu dienen. Da die Beduinenstämme von den Ägyptern als lästige Plage empfunden wurden, bot sich auf diese Weise die Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Daher riet al-Yāzūrī dem Kalifen, sich mit diesen Stämmen zu versöhnen, ihnen die vorzeitige Übertragung der Provinzen Ifrīqiyas zuzusichern und sie gegen die anhāğa einzusetzen.134 Al-Yāzūrī soll gesagt haben: „Auf diese Weise werden die Araber ergebene Freunde der Fatimiden. Sie werden eine hervorragende Armee bilden, um das (fatimidische) Reich zu schützen. Wenn, wie wir es erhoffen, es ihnen gelingen sollte, al-Mu‘izz zu besiegen, werden sie zu Anhängern der da‘wa und Ifrīqiya in unserem Namen verwalten. Außerdem wird sich unser Kalif dann ihrer entledigt haben. Falls das Unternehmen nicht erfolgreich verlaufen sollte, interessiert uns das wenig. Es ist auf jeden Fall besser, mit nomadischen Arabern zu tun zu haben als mit der/einer anhāğa-Dynastie.“135 Al-Yāzūrīs Rede traf auf Zustimmung. Die Beduinen in Oberägypten waren ohne Zweifel ein ständiger Unsicherheitsfaktor im fatimidischen Reich. Bei der Entscheidung jedoch, sie nach Ifrīqiya zu verlagern, war aber ganz klar der persönliche Rachegedanke des al-Yāzūrī gegenüber al-Mu‘izz ausschlaggebend. Dieses persönliche Motiv verbarg der Wesir freilich vor dem Kalifen. Die Hilāl und Sulaim hatten ursprünglich im Zentrum der arabischen Halbinsel nomadisiert. Dabei verübten sie immer wieder Überfälle auf Pilgerkarawanen. Schließlich schlossen sie sich den Qarmaten von Barain an. Nach seinem Sieg über die Qarmaten 978/368 hatte der fatimidische Kalif al-‘Azīz die Hilāl und Sulaim nach Oberägypten umgesiedelt und ihnen Weidegebiete östlich des Niltals angewiesen. Doch auch hier richteten sie immer wieder Schäden an, indem sie ihre Herden in die Felder der Bauern trieben.136 Ibn aldūn berichtet, daß einige Quellen sagen, daß al-Ğarğarā’ī diesen Rat erteilt und die Araber nach Ifrīqiya gelassen hätte. Bedauerlicherweise nennt er diese Quellen aber nicht. AlĞarğarā’ī hätte allerdings gar keinen Grund dazu gehabt. 134 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30/Berbères, I, 32; Halm, Kalifen von Kairo, 372. 135 Nur bei Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30/Berbères, I, 33; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 372. 136 H. Halm geht an mehreren Stellen auf die Beduinenüberfälle auf Pilgerkarawanen ein: Halm, Kalifen von Kairo, 149–151, 372; Halm, Schia, 207; Halm, Reich des Mahdi.

57

Nach der Rede al-Yāzūrīs sandte al-Mustanir seinen Wesir angeblich 1049– 1050/441 zu den Hilāl.137 Dieses Datum ist allerdings problematisch, da al-Yāzūrī erst im Mai–Juni 1050/Muarram 442 zum Minister ernannt wurde, obwohl er natürlich auch als Großkadi hätte agieren können. Der Wesir kam auf die Idee, Zwietracht zwischen den Riyā und Zuġba zu sähen. Anschließend wurden den Chefs der Zuġba und Riyā große Geschenke überbracht. Ferner beauftragte er einen Würdenträger, für die Beendigung der anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Stämmen zu sorgen, bei denen viel Blut vergossen wurde.138 Die Quellen sind sich nicht einig, wer zu den Beduinen geschickt wurde und wer den Auftrag dazu erteilt hatte. Bei an-Nuwairī ist es „ein Würdenträger“.139 Nach al-Maqrīzī sandte der Wesir einen Makīn ad-Daula Abū ‘Alī al-asan b. Mulhim b. Dīnār al-‘Uqailī.140 Ibn al-Atīr, Abū l-Fidā’, Ibn ‘Idārī und at-Tiğānī sprechen diesen Punkt gar nicht an. Ibn aldūn141 sagt, daß alMustanir seinen Minister zu den Arabern schickte. Idris ist der Meinung, daß es nicht ganz klar sei, ob sich al-Yāzūrī persönlich nach Oberägypten begab oder ein anderer Würdenträger diese Aufgabe übernahm. Da zwei zuverlässige Quellen jedoch eindeutig bestätigen, daß ein namentlich bezeichneter Würdenträger entsandt wurde, kann man diese Frage als beantwortet betrachten. Ferner berichtet Idris ja selber, daß nach Ibn Muyassar al-Yāzūrī einen gewissen Makīn ad-Daula b. Mulhim zu den Beduinen entsandte. Unter der Führung des Emirs Amīn adDaula wa Makīnuhā asan b. ‘Alī b. Mulhim fielen die Hilāl in Ifrīqiya ein. Aufgabe dieses Emirs war die Aufrechterhaltung der Einheit von Zuġba und Riyā. Idris hält es für möglich, daß er mit Makīn ad-Daula b. Mulhim identisch war.142 Makīn ad-Daula spielte aber auch bei den Gebietsaufteilungen eine wichtige Rolle. Es ist jedoch unvorstellbar, daß jemand anderes als der Kalif den Auftrag gegeben hatte. Ein derartiger Fall würde auf eine angeschlagene Autorität alMustanirs deuten. Eine solche Situation ist in den Quellen aber nicht erkennbar. Ferner waren sich al-Yāzūrī und al-Mustanir in der Vorgehensweise gegen Ifrīqiya einig. Halm weist auf die Bedeutung des Wesirs al-Yāzūrī hin. Dieser war nicht nur als Wesir der Chef der fatimidischen Administration, sondern auch der Lenker Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30–31. An-Nuwairī, 24, 210. An-Nuwairī, 24, 210: ba‘ata ilaihimā aad riğāl ad-daula. Al-Maqrīzī, II, 215: fa-aara al-wazīr Makīn ad-Daula Abā ‘Alī al-asan b. Mulhim b. Dīnār al-‘Uqailī, aad umarā’ ad-daula... 141 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30–31/Berbères, I, 33. 142 Idris, Berbérie Orientale, 207.

137 138 139 140

58

der Außenpolitik. Als Oberkadi (Qāī al-Quāt) war er der höchste Würdenträger der religiösen Organisation (da‘wa) der Ismailiten und gebot damit über ein weit über die Grenzen des Fatimidenreiches hinaus gespanntes Netz von Missionaren, Propagandisten und Agenten. Eine solche Machtfülle hatte noch keiner der bisherigen fatimidischen Minister besessen.143 Dieser Erfolg war durch folgende Faktoren begründet: al-Yāzūrī verstand es meisterhaft, seine persönlichen Interessen auf diplomatischem Wege durchzusetzen und dabei, stets die politische Großwetterlage berücksichtigend, die verschiedenen Parteien für sich zu gewinnen (alMustanir und Hilāl) oder sie gegeneinander auszuspielen (die Hilāl untereinander oder Hilāl bzw. al-Mustanir und al-Mu‘izz). Leider sagen uns die Quellen nicht, auf welchem Wege al-Yāzūrī es geschafft hatte, daß sich die Araber untereinander zerstritten. Wenn al-Yāzūrī zwischen den einzelnen Beduinenstämmen in Oberägypten nicht zunächst Zwietracht gesät hätte, wäre es ungleich schwerer gewesen, sie nach Ifrīqiya zu locken. So konnte er jedoch als Friedensstifter das Vertrauen aller Araber-Stämme am Nil gewinnen. Im direkten Vergleich der beiden Persönlichkeiten von al-Mu‘izz und alYāzūrī fällt auf, daß al-Mu‘izz diesen gerissenen Wesir vollkommen unterschätzt hat. Der Ziridenemir war sich auch nicht bewußt, welchen Einfluß al-Yāzūrī auf das weitere politische Geschehen in Ifrīqiya nehmen konnte. Im Gegensatz zu alYāzūrī bekommt man von al-Mu‘izz den Eindruck, daß dieser die politische Großwetterlage nicht nur falsch einschätzte, sondern sie gar nicht mehr überblickte. Während al-Yāzūrī die Politik Ägyptens de facto sogar aktiver gestaltete als der Kalif, so stellt man bei al-Mu‘izz fest, daß dessen Politik immer opportunistischer wurde. Ferner war er immer weniger imstande, die Probleme Ifrīqiyas zu lösen. Da Ibn ‘Idārī bei dem fatimidischen Vorgehen gegen die Ziriden immer nur von den Banū ‘Ubaid spricht, nie jedoch die einzelnen Akteure benennt, liefert dieser Chronist die einzige Quelle, die dieses Bild so nicht vermittelt. Es ist offensichtlich, daß al-Yāzūrī auf die Ereignisse um 1050 weitaus größeren Einfluß hatte als der Kalif selbst. Es ist bekannt, daß zu mächtig gewordene Wesire das Mißtrauen des Herrschers erregten und den Neid der anderen Höflinge auf sich zogen. Daher liegt die Vermutung nahe, daß es zu einer unvermeidlichen Konfrontation zwischen al-Mustanir und al-Yāzūrī hätte kommen müssen. AlYāzūrī war aber offenbar so geschickt, es hierzu nicht kommen zu lassen. Das schaffte er unter anderem dadurch, daß er die Aufmerksamkeit des fatimidischen Hofes vollständig auf den gemeinsamen Gegner in Ifrīqiya lenkte und damit auch ein Stück weit von seiner Person ablenkte. Auch die Tatsache, daß al-Yāzūrī das ihm von der Kalifenmutter angebotene Amt des Wesirs zunächst ablehnte, spielt 143 Halm, Kalifen von Kairo, 370.

59

hierbei eine Rolle. Halm äußert hier die naheliegende Vermutung, daß al-Yāzūrī eine damit einhergehende Ämterhäufung unklug erschien.144 Über die Gewährung von Geschenken und Hilfestellungen an die Araber seitens der Fatimiden für den Westzug der Hilāl gibt es unterschiedliche Darstellungen. Lediglich Ibn aldūn und al-Maqrīzī präzisieren diese Geschenke: Jeder bekam ein Kamel und ein Goldstück. Danach gab al-Yāzūrī ihnen die Erlaubnis, den Nil zu überqueren.145 Ibn ‘Idārī erwähnt diese Begebenheit überhaupt nicht. Abū l-Fidā’ erwähnt lediglich die Übergabe von Geschenken, präzisiert diese aber nicht.146 An-Nuwairī sagt lediglich, daß er ihnen bei ihrem militärischen Vorgehen gegen Kairuan Hilfe und Unterstützung versprach. Bei Ibn al-Atīr wird diese Begebenheit so ähnlich dargestellt. Al-Yāzūrī und al-Mustanir überließen den Arabern alles, was sie erobern würden und sicherten ihnen dabei ihre Hilfe und Unterstützung zu.147 At-Tiğānī erwähnt diese Begebenheit gar nicht. Trotz der leicht abweichenden Darstellungen der Chronisten muß man auf jeden Fall davon ausgehen, daß diejenigen Araber, die ganz zu Anfang den Nil überquerten, große Zuwendungen und Hilfen von den Fatimiden erhielten.

3.5 Einigung zwischen den Fatimiden und Hilāl auf deren Westzug Über die Entsendung der Araber in den Westen weichen die einzelnen Darstellungen voneinander ab. Ibn al-Atīr sagt nur, daß die Fatimiden begannen, die Araber in den Westen zu entsenden.148 Aus der Formulierung geht hervor, daß die Entsendung der Araber eine Gemeinschaftsentscheidung von al-Mustanir und alYāzūrī war. Es wird aber nicht deutlich, wessen Idee das war. Bei Ibn ‘Idārī gaben die Banū ‘Ubaid, also die Fatimiden, die Erlaubnis und bei an-Nuwairī war es al-Yāzūrī im Namen von al-Mustanir.149 Bei Ibn aldūn und al-Maqrīzī war es al-Yāzūrī.150 Bei Abū l-Fidā’ kamen beide (al-Yāzūrī und al-Mustanir) bezüglich 144 Halm, Kalifen von Kairo, 359. 145 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères, I, 33: ba‘īr wa-dīnār; al-Maqrīzī, II, 216: farw wa-dīnār, mit farw ist hier höchstwahrscheinlich ebenfalls ein Kamel gemeint; die Darstellung von Muammad al-Wazīr al-Andalusī: Al-ulal as-sundusiyya fī l-abār at-tūnisiyya, hrsg. von Muammad al-abīb al-Hīla. Tunis: 1970, 944–945, lehnt sich an Ibn aldūn und alMaqrīzī an, statt al-Ğarğarā’ī muß es jedoch al-Yāzūrī heißen; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 372. 146 Abū l-Fidā’, II, 170: ğahhazahum bi-l-amwāl. 147 An-Nuwairī, 24, 210–211: wa‘adahum bi-l-madad wa-l-‘udad; Ibn al-Atīr, IX, 566: wamallakūhum kull ma yaftaūnahu wa-wa‘adūhum bi-l-madad wa-l-‘udad. 148 Ibn al-Atīr, IX, 566, šari‘ū fī irsāl al-‘arab... 149 Ibn ‘Idārī, I, 288: abāa Banū ‘Ubaid lil-‘arab mağāz an-Nīl; an-Nuwairī, 24, 210:... abāahum ‘alā lisān al-Mustanir a‘māl al-Qairawān. 150 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères, I, 33; al-Maqrīzī, II, 215.

60

der Entsendung überein.151 At-Tiğānī erwähnt al-Mustanir in dieser Angelegenheit mit keinem Wort. Er spricht auch nicht davon, ob al-Mustanir al-Yāzūrī vorher autorisiert hatte oder nicht. Er sagt lediglich, daß al-Yāzūrī den Arabern den Befehl gab, al-Mu‘izz zu besiegen.152 Die Darstellung läßt offen, welche Rolle al-Mustanir spielte. Bezüglich der Entscheidung über die Entsendung der Hilāl gilt ähnliches wie schon bei der Frage, wer sich zu den Arabern nach Oberägypten begab und wer den Befehl dazu erteilt hatte. Auch wenn al-Yāzūrī der geistige Urheber war, muß man davon ausgehen, daß er die Entscheidung hierüber nicht alleine gefällt hat. Dazu hätte es auf jeden Fall der Autorisierung durch al-Mustanir bedurft. Da alYāzūrīs Rolle in dieser Angelegenheit allerdings gegenüber der von al-Mustanir so dominant war, daß der Kalif seinem Minister offenbar weitgehende Entscheidungsfreiheit gewährte, und sie al-Mustanirs Autorität gar nicht in Frage stellen, halten die meisten Chronisten al-Mustanirs Rolle in dieser Frage für nicht sehr erwähnenswert. Hinsichtlich der Frage, wessen Idee es war, die Beduinen gegen al-Mu‘izz einzusetzen, gibt lediglich Ibn aldūn Auskunft. Nur er sagt, daß alYāzūrī es war.153 Die anderen Quellen äußern sich zu dieser Frage nicht. Angesichts von al-Yāzūrīs diplomatischem Geschick, seinem Geltungsbedürfnis und seiner persönlichen Feindschaft zu al-Mu‘izz besteht jedoch kaum Zweifel daran, daß er derjenige war, der auf die Idee kam, die Hilāl gegen Ifrīqiya einzusetzen. Nach an-Nuwairī rief al-Yāzūrī im Namen al-Mustanirs die Hilāl-Emire zusammen und erteilte ihnen die Erlaubnis, militärisch gegen Ifrīqiya vorzugehen. Al-Yāzūrī sicherte ihnen dabei seine Hilfe zu. Er befahl ihnen angeblich, dort alles zu zerstören.154 Hier taucht bei an-Nuwairī zum ersten Mal der Befehl zur Zerstörung auf. Bei Ibn ‘Idārī, Ibn aldūn, Ibn al-Atīr, Abū l-Fidā’, al-Maqrīzī und at-Tiğānī ist ein entsprechender Befehl zu diesem Zeitpunkt nicht zu finden! An-Nuwairī sagt zwar, daß die Fatimiden den Hilāl befahlen, Zerstörungen anzurichten. Er läßt uns aber im unklaren darüber, ob die Hilāl irgendeine Art der Entlohnung dafür zu erwarten hätten. Was also hätte die Hilāl motivieren sollen, diesen Befehl auszuführen? Ferner muß man bedenken, daß Dinge, die zerstört werden, keine Beute mehr sein können. Bei den besonders beutehungrigen Beduinen hätte man also eher davon ausgehen können, daß sie sich möglichst viele Güter aneigneten anstatt sie zu zerstören. Ibn aldūn sagt, daß der Minister den Hilāl die Erlaubnis gab, den Nil zu 151 152 153 154

Abū l-Fidā’, II, 170: fa-ittafaqā ‘alā irsāl Zuġba wa Riyā. At-Tiğānī, 328: ...‘alā amrihi... Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 30/Berbères, I, 32–33. An-Nuwairī, 24, 210–211; amarahum bi-l-‘ait wa-l-irāb.

61

überqueren.155 Daraus geht hervor, daß sie das vorher nicht durften. Von einem expliziten Verbot ist bei Ibn aldūn jedoch nicht die Rede. An-Nuwairī156 spricht lediglich davon, daß al-Yāzūrī im Namen al-Mustanirs den Arabern erlaubte, Kairuan zu zerstören. Ganz anders wird der Vorgang von Ibn al-Atīr geschildert: Sie (al-Yāzūrī und al-Mustanir) befahlen den Arabern, sich nach Ifrīqiya zu begeben.157 Ibn al-Atīr spricht also nicht wie die anderen Chronisten von der Erlaubnis durch die Fatimiden, sondern von einem Befehl, den die Araber jedoch ohne Widerspruch befolgten. Auch al-Maqrīzī spricht von einem von al-Yāzūrī erteilten Befehl. Dieser wird jedoch dadurch abgemildert, daß den Beduinen die Häuser des al-Mu‘izz überlassen werden.158 Abū l-Fidā’ läßt offen, ob es sich um einen Befehl oder eine bloße Erlaubnis handelte. Er spricht nur davon, daß alMustanir ihnen Geschenke machte, und sie sich daraufhin nach Barqa begaben und es einnahmen.159 At-Tiğānī verrät nicht, ob es sich um einen Befehl handelt oder nicht. Er sagt lediglich, daß die Araber für das Vorhaben ausgestattet wurden.160 Ibn Abī Dīnār hingegen spricht explizit von einer Erlaubnis.161 Wenn man jedoch die bereits angesprochene Fähigkeit al-Yāzūrīs berücksichtigt, andere für seine Interessen einzuspannen, dürfte es ihm nicht allzu schwer gefallen sein, die Araber für das fatimidische Vorhaben zu begeistern, zumal das für sie nur Vorteile mit sich gebracht hätte. Ferner muß man davon ausgehen, daß al-Yāzūrī das Bestreben der Hilāl, den Nil zu überqueren, bekannt war. Daher wäre ein Befehl gar nicht nötig gewesen. Nach Ibn aldūn sprach al-Yāzūrī: „Ich gebe euch den Maghreb und das Reich des al-Mu‘izz b. Bādīs a-anhāğī, des aufständischen Sklaven.“162 Dieses Diktum ist in den anderen Quellen nicht zu finden. Ibn aldūn schreibt dem Wesir hiermit mehr Macht zu als die anderen Chronisten. Das entspricht dem Gesamtbild, das man bei Ibn aldūn von al-Yāzūrī bekommt: dieser entscheidet nicht nur über die Entsendung der Hilāl nach Ifrīqiya, sondern auch noch über den Austausch der Regierung in diesem Land. Wie aber bereits an anderer Stelle beschrieben, kann al-Yāzūrī diese Entscheidungen ohne die Zustimmung durch den Kalifen al-Mustanir nicht getroffen haben. Das hätte eindeutig seine Kom155 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères, I, 33; Ibn ‘Idārī, I, 288, spricht von einem Überquerungsverbot. 156 An-Nuwairī, 24, 210. 157 Ibn al-Atīr, IX, 566: amarūhum bi-qad bilād al-Qairawān. 158 Al-Maqrīzī, II, 215: amarahum bi-l-masīr ilā l-Mu‘izz b. Bādīs. 159 Abū l-Fidā’, II, 170: ğahhazahum bi-l-amwāl fa-šari‘ū wa-istaulū ‘alā Barqa. 160 At-Tiğānī, 328. 161 Mu’nis, 84: …wa-abāa (al-Mustanir) lahum min Barqa ilā mā ba‘daha… 162 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31; von den anderen Quellen nicht überliefert.

62

petenzen überschritten. Dieses Beispiel zeigt wieder einmal, daß man die Schilderungen Ibn aldūns trotz dessen unbestritten detaillierter Kenntnisse über diese Zeit mit einem gewissen Maß an Distanz betrachten sollte. Als al-Mu‘izz Wind von diesen Vorbereitungen bekam, brach er jeglichen Kontakt zu den Fatimiden ab. Al-Yāzūrī seinerseits schrieb ihm, daß, wenn er seine Meinung nicht ändere, er dann Armeen gegen ihn entsenden würde. Damit waren die in Oberägypten siedelnden Hilāl gemeint. Der Fatimidenkalif informierte die Regierung des Maghreb über diese Maßnahmen in einem Schreiben. Der Wortlaut des Textes ist folgender: „Wir schicken Euch schnelle Kuriere und unerschrockene Männer, um die von Gott aufgetragene Sache zu vollenden.“163

3.6 Beginn der Invasion Danach begann die Wanderung der in Oberägypten siedelnden Beduinenstämme in den Westen. In der Hoffnung auf Beute überquerten die Hilāl den Nil und besetzten die Provinz um Barqa. Sie nahmen deren Örtlichkeiten ein und plünderten sie aus. Anschließend schickten sie ihren Stammesgenossen, die sich noch auf dem rechten Ufer des Nils befanden, eine verlockende Beschreibung des Landes. Die Nachzügler beeilten sich, die Erlaubnis für die Überquerung des Flusses zu kaufen. Für diese hatte al-Yāzūrī eine Gebühr von einem Goldstück pro Person eingeführt. Auf diese Weise bekamen die Fatimiden das Geld, das sie zuvor den ersten hilalischen Eroberern gaben, nicht nur wieder zurück, sondern machten zusätzlich noch Gewinn.164 Es ist natürlich fragwürdig, ob al-Yāzūrī diese Regelung wirklich durchsetzen konnte, und wie er „illegale“ Flußübergänge hätte verhindern können. Es ist die Frage, ob al-Yāzūrī wirklich nur an dem Geld interessiert war, oder ob es vielleicht noch andere Gründe gab, warum er dem Grenzübertritt Hindernisse in den Weg legte. Al-Yāzūrī muß ein starkes Interesse daran gehabt haben, die Hilāl-Züge in geordnete Bahnen zu lenken. Ferner wollte er die Übersicht über diese Verschiebung von einer nicht unerheblichen Anzahl von Menschen behalten. Ibn ‘Idārī (nach Abū -alt) sagt, daß eine große Anzahl der Hilāl den Nil überquerte, ohne daß sie von irgendjemandem den Befehl dazu erhalten hatten. Al-Yāzūrī war offenbar bewußt, daß das Bestreben der Beduinen dazu vorhanden war; daher war es auch nicht weiter schwierig, den Hilāl für die Überquerung des Nils einen Dinar Tribut aufzuerlegen. Interessant ist auch die Tatsache, daß Ibn

163 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères, I, 33; an-Nuwairī, 24, 211; Ibn al-Atīr, IX, 566; alMaqrīzī, II, 216; ulal, 944; fehlt bei Ibn ‘Idārī und Abū l-Fidā’. 164 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères, I, 33; at-Tiğānī.

63

‘Idārī überhaupt nicht davon spricht, daß al-Yāzūrī die Hilāl nach Ifrīqiya schicken wollte, um al-Mu‘izz zu bestrafen. Er berichtet jedoch zunächst nichts über irgendwelche Plünderungen und sagt lediglich, daß die Hilāl in Strömen kamen und sich einige Zeit später in der Region um Barqa niederließen.165 Nach Ibn ‘Idārī kamen die Araber 1056–1057/448 nach Ifrīqiya und besetzten den größten Teil des Landes.166 Hierbei handelt es sich entweder um einen Datumsfehler oder eine neue Welle von beutehungrigen Beduinen. Bei al-Maqrīzī ist von einer fatimidischen Gebühr für die beduinischen Nachzügler nicht die Rede, im Gegenteil: Jedem von ihnen werden vom Staat sogar zwei Dinar gegeben.167 Nur Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī berichten, daß al-Yāzūrī von den Beduinen für die Überquerung des Nils Geld verlangte. Ibn aldūn ist der einzige Chronist, der berichtet, daß die Beduinen in zwei Gruppen den Nil überquerten: Die erste Gruppe bekam hierfür noch Hilfe und Unterstützung von den Fatimiden, während die zweite bei ihrem Westzug ganz auf sich gestellt war und zusätzlich noch eine Gebühr für die Überquerung des Flusses zu entrichten hatte. Es gibt keinen Grund, an Ibn aldūns Darstellung zu zweifeln. Sie bestätigt vielmehr al-Yāzūrīs diplomatisches Geschick: Er macht den Beduinen das Westunternehmen zunächst schmackhaft und unterstützt sie hierbei, und wenn sie dann selbst davon überzeugt sind, holt er sich von ihnen die zunächst gewährte Unterstützung in Form einer Überquerungsgebühr wieder zurück. In diesem Punkt stimmt Ibn Abī Dīnārs Schilderung mit der von Ibn aldūn überein.168 Ibn ‘Idārīs Darstellung erweckt den Eindruck, daß es bei den Beduinen das starke Bestreben gab, den Nil zu überqueren, und sie lediglich durch ein Verbot davon abzuhalten waren; dann wurde dieses Verbot auf einmal aufgehoben, und al-Yāzūrī ließ sich das Bestreben der Beduinen, nach Westen zu wandern, bezahlen. Die Darstellung von alMaqrīzī fällt dagegen etwas aus dem Rahmen, da er als einziger berichtet, daß den beduinischen Nachzüglern Geld gegeben anstatt abgenommen wurde. Aus den genannten Gründen ist das jedoch wenig plausibel. Ferner läßt uns al-Maqrīzī über die Gründe dieser Zahlung im unklaren. Wenn man die Schilderungen von Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī gegenüberstellt, so bekommt man den Eindruck, daß bei Ibn aldūn und al-Maqrīzī die Initiative zum Westzug der Hilāl eher von fatimidischer Seite (al-Yāzūrī) ausgeht, bei Ibn 165 166 167 168

64

Ibn ‘Idārī, I, 288: fa-ğāza minhum alq ‘aīm...fa-ğāzū afwāğan. Ibn ‘Idārī, III, 243. Al-Maqrīzī, II, 217. Mu’nis, 84.

‘Idārī hingegen eher von den Hilāl. Die Darstellungen von an-Nuwairī, Abū lFidā’, Ibn al-Atīr, und at-Tiğānī stehen hier eher der Schilderung von Ibn aldūn näher. Die Quellen beziffern die Anzahl der Beduinen, die den Nil überquert haben, nicht.169 Als Anhalt für einen ungefähren Wert dient jedoch die Schlacht bei aidarān. Hier sprechen die Quellen von einer Teilnahme von ungefähr 3.000 Beduinen. Wenn man dieser Zahl Glauben schenken darf, kann man davon ausgehen, daß sich in dieser Größenordnung auch die Überquerung des Nils durch die Beduinen bewegt hat, zumal der zeitliche Abstand zur Schlacht von aidarān relativ gering war. Freilich läßt dieser Rückschluß keine zahlenmäßige Differenzierung zwischen den ersten Überquerern und den Nachzüglern zu. Auch Poncet geht davon aus, daß es sich lediglich um einige Tausend Reiter handelt.170 Larouis Schätzung, daß „die Zahl der Hilāl wahrscheinlich 200.000 nicht überschritten hat“, ist angesichts dessen eher unrealistisch. Ferner wird bei Laroui nicht klar, auf welche Quelle er sich bei dieser Schätzung stützt.171 Dasselbe gilt auch für die Angaben von Lacoste, der sich auf Schätzungen beruft, nach denen es 50.000 gewesen sein sollen.172 Gautier argumentiert, daß die Geschenke – ein Kamel und ein Goldstück für jeden Beduinen, der den Nil überquert – nicht gerade auf eine große Anzahl schließen lassen.173

3.7 Niederlassung der Beduinen in sehr dünn besiedeltem Land Nach Ibn al-Atīr und an-Nuwairī kamen die Araber 1050–1051/442 nach Barqa (an-Nuwairī erwähnt hier keinen Ort) und fanden dort ein nahezu unbewohntes, aber fruchtbares Land vor.174 Die Häuser hatten den Zanāta gehört, die al-Mu‘izz ausgerottet hatte.175 Idris hält es jedoch für zweifelhaft, daß es in der Region um Tripolis zu derartigen Kämpfen gekommen sei.176 Da er seine Behauptung jedoch nicht weiter belegt, ist es nicht unmöglich, daß die Zanāta auch in dieser Region bei Kämpfen mit den anhāğa dezimiert worden waren. Leider gehen weder Poncet noch Idris auf die mit den Hilāl in Gang gesetzte 169 170 171 172 173 174

Halm, Kalifen von Kairo, 372. Poncet, 1967, 1114. Laroui, 140. Lacoste, 95. Gautier, 428. Al-Maqrīzī, II, 217 bestätigt das. Er läßt jedoch die Tatsache, daß das Land unbewohnt gewesen sein soll, unerwähnt. 175 An-Nuwairī, 24, 211 und Ibn al-Atīr, IX, 567; von Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī und Abū l-Fidā’ nicht erwähnt; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 373. 176 Idris, Berbérie Orientale, 210.

65

Arabisierung Nordwestafrikas ein. Diesbezüglich ist die Invasion allerdings von ungleich größerer Bedeutung! Die arabischen Chronisten konnten in ihrer Zeit noch nicht ahnen, daß die Hilāl-Invasion die Arabisierung Nordafrikas einleiten sollte. Folglich wird der Hilāl-Invasion unter diesem Aspekt in ihren Werken auch nicht der entsprechende Stellenwert eingeräumt. Brett behandelt die Arabisierung von Nordafrika im Zusammenhang mit dem Westzug der Beduinen recht ausführlich. Er hält Ibn aldūn vor, durch die detaillierte Darstellung der beduinischen Stammesstrukturen den Eindruck erwecken zu wollen, daß durch den Westzug der Beduinen ein völlig neues Element in Nordwestafrika geschaffen worden sei. Ein derartig neues Element würde jedoch die Theorie einer radikalen Veränderung und damit die von Idris vertretene Einschätzung der hilalischen Westwanderung stützen. Ferner ist Brett der Meinung, daß das besagte neue Element sehr stark für einen zweiten und separaten Arabisierungsprozeß spreche.177 Bezüglich des letzten Punktes widerspricht Brett sich jedoch insoweit, als daß er an dieser Stelle bezweifelt, daß der Beduinen-Zuzug eine zweite Welle der sprachlichen und ethnischen Arabisierung von Nordwestafrika ausgelöst habe, an anderen Stellen jedoch die Bedeutung der Hilāl-Invasion hinsichtlich der sprachlichen Arabisierung des Landes hervorhebt. Hier ist eine Differenzierung notwendig: In sprachlicher und ethnischer Sicht hat die beduinische Westwanderung Mitte des 11. Jahrhunderts zweifellos die Arabisierung von Nordwestafrika eingeleitet. Hinsichtlich der sozialen und ökonomischen Struktur des Landes war die Hilāl-Invasion jedoch von wesentlich geringerer Bedeutung.178 Brett hat an verschiedenen Stellen beschrieben, daß es Ansiedlungen von einzelnen Beduinenstämmen in der Wüste am westlichen Nilufer, an der libyschen Küste und in der Region Tripolis schon lange vor der Hilāl-Invasion Mitte des 11. Jahrhunderts gab.179 Bretts Botschaft ist, daß es nicht eine Beduineninvasion 1051 gab, sondern daß diese in der Kontinuität der genannten früheren Wanderungen und Ansiedlungen stand. Aus diesem Grund schließt er nicht einmal mehr die Möglichkeit aus, daß die Hilāl-Invasion von 1051 eine Legende sei. Diese „Legende“ hätten Ibn aldūn und seine Vorgänger als Ersatz für das benutzt, was nach Bretts Auffassung wirklich geschah, nämlich kontinuierliche Beduinenwanderungen und -ansiedlungen (einschließlich der von 1051) in Libyen und Ifrīqiya über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren.180 Aus den Quellen geht eine derar177 178 179 180

66

Brett, Arabisation, 12; siehe auch Brett/Fentress, Berbers, 120–153. S. hierzu die Auseinandersetzung zwischen Idris und Poncet. Brett, Arabisation, Zughba at Tripoli. Brett, Arabisation, 13.

tige Kontinuität jedoch nicht hervor. Folgende Faktoren hat Brett offensichtlich unzureichend beachtet: 1) Diejenigen Beduinenstämme, die schon vor 1051 Richtung Westen zogen, kamen über Libyen kaum hinaus. 2) Keine Quelle berichtet, daß diejenigen Beduinen, die schon vor 1051 Richtung Westen zogen und sich dort niederließen, bei der Hilāl-Invasion irgendeine Rolle spielten oder Einfluß auf die fatimidisch – ziridischen Beziehungen hatten. 3) Im Gegensatz zu den einzelnen Beduinenmigrationen vor dem fatimidisch – ziridischen Bruch geschah die Hilāl-Invasion von 1051 infolge des Abfalls der Ziriden von Kairo und erfolgte auf Initiative der Fatimiden. Man kann Brett in seiner Einschätzung nur insoweit zustimmen, daß die Araberstämme, die vor 1051 Richtung Westen zogen, einen nicht unbedeutenden Teil zur Arabisierung der von ihnen besiedelten Gebiete beitrugen. Es greift jedoch etwas zu weit, sie als Beginn einer zweiten und separaten Phase in diesem Arabisierungsprozeß zu bezeichnen. Diese Rolle kommt vielmehr den infolge der Ereignisse um 1051 in den Maghreb strömenden Araberstämmen zu. Brett betont die von at-Tiğānī erwähnte Anwesenheit des Hilāl-Stammes der Zuġba in Tripolis im Jahre 1037–1038/429. Das stellt aus seiner Sicht einen Widerspruch dar, weil nach Ibn aldūn die Hilāl erst infolge der fatimidischen Strafaktion gegen die Ziriden kurz nach 1048/439 nach Ifrīqiya gekommen seien.181 In diesem Zusammenhang muß noch einmal betont werden, daß die Anwesenheit einzelner Beduinenstämme westlich des Nils schon vor 1048/439 sehr wahrscheinlich ist. Diese kamen aber weder auf Veranlassung der Fatimiden oder infolge des Verlaufes der fatimidisch–ziridischen Beziehungen nach Ifrīqiya noch beeinflußten sie in irgendeiner Weise das politische Geschehen zwischen Fatimiden und Ziriden. Ferner ist es offensichtlich, daß Ibn aldūn sich in diesem Zusammenhang lediglich auf diejenigen Beduinenstämme bezieht, die die Fatimiden als Strafmaßnahme nach Ifrīqiya schickten. Außerdem wird in allen Quellen betont, daß die Beduinen, die infolge des ziridisch–fatimidischen Zerwürfnisses nach Ifrīqiya kamen, vom östlichen Nilufer rekrutiert wurden. Infolgedessen stellen at-Tiğānīs Erwähnung der Zuġba in Tripolis um 1037/438 und Ibn aldūns Feststellung, daß die Hilāl erst nach 1048/439 nach Ifrīqiya kamen, keinerlei Widerspruch dar. Halm stellt erstmals die weitgehende Ausrottung der Zanāta in dieser Gegend in den Zusammenhang mit der Arabisierung des Landes. Er weist darauf hin, daß an-Nuwairī den jahrzehntelangen Vernichtungskrieg der Ziriden gegen die Zanāta für die Entvölkerung des flachen Landes – zumindest der Steppen des heutigen Südtunesien und Zentralalgerien – verantwortlich macht. Damit gibt er einen 181 Brett, Zughba at Tripoli, Fitnat al-Qayrawān, 214 ff.

67

plausiblen Grund für die sich mit dem Zuzug der Beduinen rasch vollziehende Arabisierung dieser Gebiete. Vollständig waren die Zanāta natürlich nicht ausgerottet, doch anscheinend so weit dezimiert worden, daß sie den arabischen Beduinen keinen ernsthaften Widerstand mehr leisten konnten.182 Damit hat Halm ein Thema angeschnitten, das weder von Idris noch von Poncet behandelt wurde. Eine mögliche Erklärung liegt darin, daß die arabischen Chronisten diesem Thema kaum Bedeutung beigemessen haben. Denkbar ist aber auch, daß insbesondere Idris die Ausrottung der Zanāta durch die Ziriden im Zusammenhang mit der Beduineninvasion ganz bewußt nicht behandelt hat. Damit hätte er nämlich einräumen müssen, daß eben nicht nur die Beduinen Zerstörung mit sich gebracht haben, sondern die Ziriden ihrerseits zu einem großen Teil für die instabile Lage verantwortlich waren. Wenn die Ziriden die Zanāta nicht so stark dezimiert hätten, wären sie später möglicherweise besser in der Lage gewesen, den Beduinen mit Hilfe der Zanāta Widerstand zu leisten, als es während der Schlacht von aidarān der Fall war. An anderer Stelle wurde bereits auf die nomadische und seßhafte Lebensweise eingegangen. Ein sehr anschauliches Beispiel in diesem Kontext ist die Tatsache, daß nach der Hilāl-Invasion die Beduinen die Behausungen der von den anhāğa weitestgehend dezimierten Zanāta einnahmen. Das heißt nichts anderes, als daß die nomadischen Beduinen den (gesellschaftlichen) Platz der nomadischen Zanāta einnahmen und sich auf diese Weise in die soziale Struktur von Ifrīqiya einfügten. Dies würde wiederum Poncet in seiner Ansicht bestätigen, daß die Beduinen in Ifrīqiya gar nicht so große Schäden angerichtet haben können, und sie auf die weiteren politischen Ereignisse nicht so großen Einfluß gehabt haben können, wie das von Idris behauptet wird. Halm weist daraufhin, daß „die arabischen Beduinen nur an die Stelle der autochthonen berberischen Nomaden, vor allem der Zanāta, treten, die sie verdrängen und deren Weidegebiete sie in Besitz nehmen. Damit verschwinden zwar die berberischen Idiome aus weiten Gebieten des Maghreb und machen arabischen Dialekten Platz, aber eine grundlegende Verschiebung zwischen den landwirtschaftlich genutzten Gebieten und den Viehtriften der Nomaden, eine ‚Regression der Seßhaftigkeit‘ (de Planhol), scheint ebensowenig nachweisbar zu sein wie ein Rückgang der Urbanisation.“183 De Planhol sieht in der Folge der Hilāl-Invasion die „Beduinisierung“ eines großen Teiles des Landes. Ihre Ursache seien aber oft weniger die zahlenmäßig recht unbedeutenden arabischen Stämme selbst, als vielmehr die „Atmosphäre der 182 Halm, Kalifen von Kairo, 373. 183 Halm, Kalifen von Kairo, 377–378.

68

Unsicherheit“, die sie schufen.184 Leider präzisiert de Planhol die recht nebulöse Bezeichnung „Atmosphäre der Unsicherheit“ nicht weiter. Die Beduinen ließen sich in dem Land nieder und zogen in die leeren Häuser ein. Alle Chronisten bis auf an-Nuwairī stimmen darin überein, daß Barqa die erste Region in Ifrīqiya war, in der sich die Araber niederließen. Ibn aldūn, atTiğānī und Abū l-Fidā’ erwähnen die Inbesitznahme der Häuser der ausgerotteten Zanāta nicht. Bei Ibn aldūn ist das offenbar durch seine Vorbehalte gegen die Beduinen motiviert. Für die anderen Chronisten war diese Tatsache offenbar nicht so wichtig. Interessant ist, daß die Araber diese Häuser nicht zerstörten, sondern für sich selbst nutzten. Das weist daraufhin, daß die Beduinen sehr wohl in der Lage waren, zwischen Dingen zu differenzieren, die man gebrauchen konnte, und solchen, bei denen das nicht der Fall war. Dieses Verhalten der Hilāl widerspricht der von einigen Chronisten und einem Teil der Forschung verbreiteten Ansicht, die Hilāl hätten überall stets nur Verwüstungen angerichtet. Es gibt einige Situationen, in denen es Plünderungen und – wesentlich seltener – Zerstörungen gab, die aber fast nie erläutert geschweige denn präzisiert werden. Im vorliegenden Fall jedoch beschreiben die Chronisten eine Situation, die im starken Widerspruch zu der oft verbreiteten Charakterisierung der Hilāl als Zerstörer steht. Angesichts dessen warnt Lacoste davor, eine umgekehrte These zu entwickeln, nach der die Beduinen überhaupt keine Zerstörungen, sondern nichts als Ordnung und Frieden mit sich gebracht hätten. Die Beduinen haben bei den Aufständen und dynastischen Kämpfen eine wichtige Rolle gespielt.185 Man muß betonen, daß sich die Hilāl nicht wesentlich anders verhalten haben, als die Berberstämme. Die Kämpfe, Plünderungen und Zerstörungen fanden in dem zu jener Zeit üblichen Rahmen statt.

3.8 Struktur der nach Westen wandernden Beduinenstämme Lediglich Ibn aldūn informiert uns darüber, in welchen Strukturen die arabischen Stämme nach Ifrīqiya kamen. Diese Strukturen stimmen im wesentlichen mit der schon an anderer Stelle beschriebenen Zusammensetzung der Beduinen überein. Mit den Hilāl kam ein lockerer Stammesverband, der aus zahlreichen Unterstämmen bestand, nach Ifrīqiya. All diese Gruppierungen waren jedoch in den Hilāl-Stamm und besonders in den Unterstamm der Atbağ mit eingebunden, da letzterer bei der Invasion von Ifrīqiya das Kommando über alle anderen Stämme ausübte. Die Qurra hatten sich weder unter al-Yāzūrī noch al-Ğarğarā’ī nach 184 De Planhol, 161. 185 Lacoste, 96.

69

Ifrīqiya begeben. Sie befanden sich schon unter der Regierung von al-ākim in der Region um Barqa.186

3.9 Verhalten der Araber nach der Ankunft in Ifrīqiya Es gibt unterschiedliche Darstellungen über das, was nach der Niederlassung der Hilāl in der Gegend von Barqa geschah. Ibn aldūn berichtet, daß die Invasoren das Land unmittelbar nach der Überquerung des Nils untereinander aufteilten.187 Anschließend zerstörten sie Madīnat al-amra, Ağdābiya, Asmou und Sirt. Die Dabbāb, ‘Auf und Zuġba sowie sämtliche Gruppen der Hilāl zogen 1051–1052/ 443 über Ifrīqiya her und richteten dort Verwüstungen an. Ibn aldūn vergleicht sie mit einer „Wolke von Heuschrecken, die alles auf ihrem Weg verwüsteten.“188 Idris übernimmt diesen Vergleich vollkommen kritik- und kommentarlos. An einer anderen Stelle bezeichnet Idris die Hilāl als „horde insaisissable“.189 Bezugnehmend auf Ibn aldūn geht de Planhol sogar noch weiter, indem er erklärt, daß sie schlimmer als Heuschrecken gewesen seien. In Zusammenhang mit der Berberdynastie der Almohaden spricht er davon, daß sich die Almohaden „die Laus in den Pelz“ setzten, indem sie arabische Stämme nach Marokko verschleppten.190 Mamdū asan beschreibt in einem Artikel in den Les Cahiers de Tunisie die Rolle der Hilāl in Ifrīqiya bei den Kreuzzügen. Er räumt ein, daß die Hilāl dort „negative Spuren“ hinterlassen hätten, ohne das weiter zu präzisieren. Gleichzeitig betont er aber die „positive“ Rolle der Hilāl bei den Kreuzzügen.191 Die Art der Beschreibung zeugt von einer äußerst unsachlichen, undifferenzierten und vor allem tendenziösen Darstellungsweise seitens Ibn aldūn und alMaqrīzī und später durch Idris und de Planhol. Die genannten Chronisten bzw. Historiker präzisieren ihre Ausführungen auch nicht weiter. Angesichts dessen muß man die Objektivität dieser Aussagen hinterfragen. An der Existenz der Hilāl-Invasion an sich gibt es angesichts der Übereinstimmung der Quellen jedoch keinen Zweifel. Lediglich Ibn aldūn und al-Maqrīzī geben diesen Vergleich. Keine andere Quelle charakterisiert den Beginn der Hilāl-Invasion derart unsachlich, wie das bei Ibn aldūn der Fall ist. Allein schon durch die oben be186 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 36–37/Berbères, I, 38–39; s. o. 187 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 14: Die Stämme Diyāb, ‘Urf, Zuġba und alle Zweige der Hilāl. Berbères, I, 34: Die Dabbāb, ‘Auf, Zuġba und alle Hilāl-Familien. 188 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31; al-Maqrīzī, II, 217; H. Halm weist auf die Bedeutung dieses Diktums hin: Halm, Kalifen von Kairo, 373. Er äußert die Vermutung, daß Ibn aldūn und al-Maqrīzī sich hierbei auf Ibn Šaddād berufen. 189 Idris, 1968, 395. 190 De Planhol, 160–161. 191 Mamdū asan, 75 ff.

70

schriebene Tatsache, daß die Beduinen in die Häuser der ausgerotteten Zanāta einzogen, wird diese von Idris übernommene Aussage Ibn aldūns nicht nur relativiert, sondern widerlegt. Wenn die ‘Auf, Zuġba und Dabbāb tatsächlich auf diese Art und Weise nach Ifrīqiya gekommen wären, so müßte man sich sehr stark über den vollkommen fehlenden Widerstand von ziridischer Seite wundern. Hierüber berichten Ibn aldūn und al-Maqrīzī nämlich gar nichts. Anhand späterer Schlachten wie aidarān oder Sabība kann man jedoch erkennen, daß die Ziriden trotz aller inneren Probleme und einer schlecht ausgerüsteten Armee sehr wohl noch in der Lage waren, Truppen zu mobilisieren und einzusetzen. Wenn sich der Zug der Araber-Stämme also tatsächlich so gestaltet hätte, wäre es verwunderlich, daß die Ziriden dem keinen Widerstand entgegengesetzt hätten. Leider geben die anderen Quellen hierzu keine Auskunft. Dies würden sie aber vielleicht tun, wenn ein derartiges Ereignis in einer solchen Dimension tatsächlich stattgefunden hätte, wie sie Ibn aldūn glauben machen möchte. Es ist durchaus möglich, daß die erwähnten Stämme auf Westwanderung waren und es dabei zu einzelnen Plünderungen gekommen ist. Das von Ibn aldūn beschriebene Ausmaß ist jedoch so nicht haltbar. Stark zu bezweifeln ist daher der von Ibn aldūn geschilderte und von den üblichen Darstellungen abweichende Verlauf der Westwanderung. Deshalb kann man die Darstellung Ibn aldūns auf jeden Fall als maßlose Übertreibung werten. Idris hält es für möglich, daß sich auch einige Dabbāb, ‘Auf und Zuġba gleich zu Beginn den Hilāl anschlossen. Aber der größte Teil dieser drei Stämme der Sulaim blieb sicherlich in der Cyrenaika. Al-Mu‘izz maß diesen Ereignissen offenbar keinerlei Bedeutung bei. Ihm war wohl nicht bewußt, daß es sich um eine gewaltige Beduineninvasion handelte. Möglicherweise überschätzte er auch seine militärische Stärke. Alle Quellen bestätigen, daß al-Mu‘izz gleich zu Beginn der Westwanderung der Hilāl versuchte, in verstärktem Maße Araber in seine Armee einzugliedern, um sie gegen die Hammadiden einzusetzen. Dies war aber nur bis zum Beginn der ersten Plünderungen der Fall. Nach an-Nuwairī und Ibn al-Atīr192 richteten die Araber erstmals Zerstörungen in Ifrīqiya an, nachdem sie die Häuser der ausgerotteten Zanāta bezogen hatten. Ibn Abī Dīnār bestätigt, daß es seitens der Araber zu Zerstörungen kam, spricht im Zusammenhang mit den Zanāta jedoch lediglich davon, daß es zwischen ihnen und den Arabern zu Auseinandersetzungen kam.193 Abū l-Fidā’194 192 An-Nuwairī, 24, 211; Ibn al-Atīr, IX, 567: wa-‘ātū fī arāf al-bilād (gleicher Wortlaut!). 193 Mu’nis, 84: …wa-lammā waalū (die Beduinen) ilā l-Maġrib, kānat lahum waqa‘āt ma‘a Zanāta bi-iqlīm arābulus wa-katura araruhum wa-afsadū l-bilād. 194 Abū l-Fidā’, II, 170.

71

sagt lediglich, daß sich al-Mu‘izz gegen die Zuġba und Riyā richtete. Diese besiegten ihn aber. Nach Ibn ‘Idārī195 vergingen einige Tage, nachdem sich die Araber in Barqa niedergelassen hatten. Dann begab sich Mu’nis zu al-Mu‘izz. Bei al-Maqrīzī wird nicht ganz klar, wann die Araber mit den Zerstörungen begannen. An einer Stelle berichtet der Chronist, daß dies erst nach mehreren Kämpfen mit den Ziriden geschah.196 An einer anderen Stelle wurden erst Gebietsaufteilungen vorgenommen und anschließend als erster Ort al-Madīna al-amrā’ zerstört.197

3.10 Das erste beduinisch–ziridische Gipfeltreffen Ibn aldūn gibt eine recht anschauliche und ausführliche Darstellung des Treffens zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis. Es war das erste Mal, daß ein Ziridenemir mit einem der bedeutendsten Araberführer zusammentraf. Dieser Führer, der zum Stamm der Riyā gehörte, Mu’nis b. Yayā, soll der erste arabische Emir gewesen sein, der 1051–1052/443 nach Ifrīqiya kam. Al-Mu‘izz bereitete ihm einen vorzüglichen Empfang, erklärte ihn zu seinem Freund und überließ ihm angeblich Kairuan und Beja. Außerdem gab er ihm seine Tochter zur Frau.198 Ibn aldūn ist der einzige Chronist, der an dieser Stelle erwähnt, daß al-Mu‘izz seine Tochter dem Araberemir Mu’nis zur Frau gab. Der Ziride wollte dadurch die Unterstützung dieses bedeutenden Araberemirs gewinnen. Anschließend schlug al-Mu‘izz ihm vor, die Araber, die sich an entfernten Orten befanden, zusammenzuziehen und gegen die Hammadiden einzusetzen. Die Hammadiden revoltierten gerade gegen die Ziriden.199 Lacoste ist der Meinung, daß aus dieser Passage bei Ibn aldūn hervorgehe, daß al-Mu‘izz es war, der die Nomaden um ihr Kommen 195 196 197 198

Ibn ‘Idārī, I, 288. Al-Maqrīzī, II, 215. Al-Maqrīzī, II, 217: wa-arrabū al-madīna al-amrā’. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères I, 34; ders.,‘Ibar, VI, 326/Berbères II, 21, 22; Halm, Kalifen von Kairo, 373. Ahara ilaihi kann sowohl bedeuten, daß al-Mu‘izz eine Tochter von Mu’nis heiratete als auch diesem eine Tochter zur Frau gab. Mu’nis wird nicht als Schwiegersohn des Ziriden aufgeführt. Wahrscheinlicher ist aus oben genannten Gründen dennoch, daß der Ziride seine Töchter verheiratete. 199 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 34; Halm, Kalifen von Kairo, 373. H. Halm bestätigt diese Darstellung. Er greift einen weiteren von Ibn aldūn genannten Grund für al-Mu‘izz’ Bestreben, die Beduinen in seine Dienste zu stellen, auf: al-Mu‘izz wollte die Beduinen dadurch unschädlich machen. Man muß jedoch berücksichtigen, daß lediglich bei Ibn aldūn diese Intention des al-Mu‘izz zu jenem Zeitpunkt durchscheint. Dieser nur von Ibn aldūn angedeutete Aspekt wirkt aus folgenden Gründen wenig überzeugend: 1) Die anderen Quellen sprechen nicht davon. 2) Ferner ist auch an dieser Stelle bei Ibn aldūn nicht vollständig klar, ob al-Mu‘izz die Araberemire lediglich wegen des Verhaltens ihrer Stammesgenossen empfing. Bis zum Ende des Gipfeltreffens kann al-Mu‘izz die Beduinen noch nicht als Gegner empfunden haben. 3) Die Art des Empfangs von Mu’nis durch den Ziriden und der Gesprächsverlauf zwischen den beiden Führern bestätigt das.

72

gebeten habe, um sie als Söldner in seine Dienste zu stellen.200 Mit dieser Einschätzung trifft Lacoste jedoch nicht ganz den Kern der Sache. Es ist zwar unbestritten, daß al-Mu‘izz die Beduinen in seine Armee eingliedern wollte und zu diesem Zweck den Kontakt zu Mu’nis suchte. Weder aus der zitierten Passage noch aus anderen Textstellen von Ibn aldūns Werk geht jedoch hervor, daß alMu‘izz es war, der die Beduinen von Ägypten nach Ifrīqiya geholt hatte. Allerdings hat Lacoste hier sehr eindrucksvoll dargelegt, daß die von Ibn aldūn an dieser Stelle beschriebenen Ereignisse, die in Zusammenhang mit dem ersten Treffen zwischen Mu’nis und al-Mu‘izz stehen, alles andere als den Charakter einer „Invasion“ hatten. Trotz dieser Tatsache darf man aber nicht vergessen, daß Ibn aldūns an anderer Stelle besprochener Vergleich des beduinischen Westzuges mit einer „Wolke von Heuschrecken, die alles auf ihrem Weg verwüsteten“, entscheidend mit dazu beigetragen hat, daß die Vorstellung von einer Invasion überhaupt entstehen konnte. Für Poncet ist Ibn aldūn gar der geistige Urheber derjenigen Historiker, die bei militärischen Auseinandersetzungen alle Rohheitsdelikte den Beduinen zuschreiben. Poncet betont hier, daß schon sämtliche Maghrebdynastien zuvor um die Vorherrschaft im Maghreb gekämpft hatten und dabei ebenso Zerstörungen, Plünderungen usw. die Folge gewesen waren.201 Folglich kann man diese Erscheinungen nicht als unverkennbares Merkmal der Hilāl bezeichnen. Ibn ‘Idārī nennt einen anderen Gegner: al-Mu‘izz verachtete die eigenen anhāğa (Soldaten), zeigte ihnen das jedoch nicht. Al-Mu‘izz hat die Anwesenheit von Mu’nis in Ifrīqiya sogar gutgeheißen und wollte die anhāğa-Soldaten durch die Riyā, deren Führer Mu’nis war, austauschen.202 Hier stellt sich zunächst die Frage, was das für Araber waren. Sind damit in der Region schon ansässige Araber gemeint oder Vertreter der von al-Yāzūrī ins Land gelassenen Hilāl? In letzterem Fall wäre das ein starker Widerspruch zu möglichen Verwüstungen der Araber. Die Quellen bestätigen einmütig, daß al-Mu‘izz sehr bald versuchte, die von al-Yāzūrī ins Land gelassenen Hilāl für sich nutzbar zu machen. An anderer Stelle wird ausführlich dargelegt, daß die Quellen in keinem Zusammenhang von der Existenz von nicht assimilierten Arabern sprechen. Die Entstehung des Hammadidenreiches hatte dazu geführt, daß es für die Ziriden immer schwieriger wurde, anhāğa-Soldaten aus dem Zentralen Maghreb zu rekrutieren. Das wiederum führte zu einer Verminderung der Motivation in der ziridischen Armee. Daher gliederte al-Mu‘izz in verstärktem Maße schwarze 200 Lacoste, 98–99. 201 Poncet, 1961, 233. 202 Ibn ‘Idārī, I, 288.

73

Sklaven und, nach der Ankunft der Beduinen aus Oberägypten, Araber in seine Armee ein, die er mit Großzügigkeiten überhäuft haben soll. Das Verhältnis von al-Mu‘izz zu dem Araberemir Mu’nis b. Yayā sowie die spätere Entwicklung der ziridisch–hilalischen Beziehungen legen hiervon eindrucksvoll Zeugnis ab. Indem der Ziride den Araberemir für sich einbindet und sogar Verwandtschaftsverhältnisse mit ihm eingeht, versucht er zu verhindern, daß dessen Stammesgenossen Schaden im Land anrichten. Ferner muß man berücksichtigen, daß die beduinischen Hilāl wenig politisiert, dafür aber umso mehr auf materielle Vorteile bedacht waren. Es stellt sich daher die Frage, welchen Einfluß al-Yāzūrī überhaupt noch auf diejenigen beduinischen Hilāl hatte, die sich bereits in Ifrīqiya befanden. Nach einigem Zögern stimmte Mu’nis dem Vorschlag von al-Mu‘izz zu und rief die Araber zusammen. Ibn aldūn nennt den Grund des Zögerns nicht. Die anderen Quellen geben hierüber besser Auskunft. Unmittelbar danach begannen die Beduinen angeblich mit den Zerstörungen.203 Durch diese Darstellungsweise bekommt man den Eindruck, daß Mu’nis den Arabern den Befehl dazu gegeben habe. Diesen Eindruck bestätigen die anderen Quellen jedoch nicht. Ibn ‘Idārī nennt den Grund für das Zögern von Mu’nis: Dieser wußte ganz genau um die Wortbrüchigkeit, Unzuverlässigkeit und den mangelnden Gehorsam seiner Stammesgenossen und versuchte den Ziriden daher von seinen Plänen abzubringen. Al-Mu‘izz soll ihm geantwortet haben: „Du willst die Macht nicht teilen, weil du auf dein Volk eifersüchtig bist.“ Daraufhin entschuldigte sich Mu’nis und ließ einige Untertanen des Ziriden als Zeugen fungieren. Danach begab er sich zu seinen Stammesgenossen und schilderte ihnen die Güte des Ziriden. Die Hilāl hätten diese Worte jedoch nicht zur Kenntnis genommen.204 Sie fingen vielmehr sofort an, das Land zu verwüsten und überall die Souveränität des Kalifen alMustanir zu verkünden.205 Hier stellt sich die Frage, wie al-Mu‘izz diese Situation einschätzte. Die Art des Empfangs des Araberemirs weist daraufhin, daß al-Mu‘izz das Kommen der Beduinen weder als Gefahr noch als Unterdrückung für sein Land erachtete. Im Gegenteil: Er sah in den Arabern eine willkommene Hilfe, um seine Armee zu vergrößern und ihm bei der Verwaltung des Landes behilflich zu sein. Die Tatsache, daß er ihnen gleich zwei bedeutende Städte überließ, weist daraufhin, daß er in den Beduinen eine willkommene Hilfe bei der Verwaltung dieser Städte sah. Allein die Verhaltensweise des Ziriden in dieser Hinsicht läßt es als absolut un203 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 34. 204 Ibn ‘Idārī, I, 288–289. 205 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 34; Halm, Kalifen von Kairo, 373.

74

wahrscheinlich erscheinen, daß die Beduinen mit Zerstörungen reagiert hätten. Dennoch wären Plünderungen der stets beutegierigen Araber freilich nicht auszuschließen. Poncet ergänzt, daß die Hilāl bei ihrer Ankunft in Ifrīqiya zahlenmäßig so gering und noch dazu kaum aggressiv waren, daß sich al-Mu‘izz darüber gar keine Gedanken machen mußte. Der Ziridenemir glaubte, in ihnen die Kavalleriekontingente zu finden, die ihm fehlten, seitdem sich die anhāğa zum größten Teil den Hammadiden angeschlossen hatten, und die er dringend benötigte, um die immer stärker werdenden Rebellionen im Süden einzudämmen.206 Von einer Beduineninvasion, wie sie von Ibn aldūn beschrieben wird („Wolke von Heuschrecken, die alles auf ihrem Weg verwüsteten...“), kann also keine Rede sein. Die Darstellungen von an-Nuwairī und Ibn al-Atīr ähneln einander. Sie weichen allerdings erheblich von Ibn aldūns und Ibn ‘Idārīs Version ab. Abū lFidā’ und at-Tiğānī erwähnen diese Begebenheiten gar nicht. Als die anhāğa den Kampf gegen die Zanāta vernachlässigt hatten, kaufte al-Mu‘izz Sklaven (‘abīd) und 30.000 Militärsklaven (mamlūk).207 Ibn al-Atīr208 erwähnt zusätzlich noch, daß al-Mu‘izz die Sklaven reichlich beschenkte. Die Zuġba beherrschten 1055/ 446 schon Tripolis. Al-Maqrīzī berichtet lediglich, daß al-Mu‘izz die Gunst des Mu’nis erwarb.209 Folgende Unterredung ist von an-Nuwairī210 überliefert und in etwas anderer Form von Ibn ‘Idārī: Mu’nis kam zu al-Mu‘izz nach Kairuan. Der Ziride empfing den Araberführer sehr zuvorkommend. Mu’nis wollte ihn davon abhalten, die Araber nach Ifrīqiya zu holen. Er sagte: „Sie sind dir gegenüber ein ungehorsames Volk.“ Daraufhin antwortete al-Mu‘izz, daß sie alles andere (als gehorsam) seien. Als Mu’nis sah, daß al-Mu‘izz für die Araber nur Spott übrig hatte, begab er sich wieder Richtung Tripolis. Anschließend folgten die Riyā, Atbağ und die Banū ‘Adī nach Ifrīqiya. Sie trieben Wegelagerei und richteten Verheerungen im Land an. Ihr Ziel war Kairuan. Mu’nis gab ihnen zu bedenken, daß er davon (zum gegenwärtigen Zeitpunkt) nichts halte. Daraufhin fragten sie ihn, was er denn tun wolle. Er ließ sich von ihnen einen Teppich bringen, breitete ihn aus und fragte sie: „Wer kann in die Mitte des Teppiches gelangen ohne ihn zu betreten?“ Sie antworteten, daß keiner das könne. Als Mu’nis ihnen mitteilte, daß er dazu in der Lage sei, verlangten sie von ihm, daß er ihnen das vorführte. Er kam dieser Aufforderung nach 206 207 208 209 210

Poncet, 1967, 1114. An-Nuwairī, 24, 212. Ibn al-Atīr, IX, 567. Al-Maqrīzī, II, 217: ...fa-istamālahu al-Mu‘izz b. Bādīs... An-Nuwairī, 24, 213.

75

und rollte den Teppich auf. Dann stellte er sich daneben, öffnete ihn um ein Ellenmaß und stellte sich auf die angestrebte Stelle. Er riet ihnen, mit Ifrīqiya genauso zu verfahren: das Land schrittweise in Besitz nehmen, bis nur noch Kairuan übrig bleibe. Danach würde die Eroberung der Stadt möglich. Daraufhin erwiderten sie: „Wahrlich du bist der Scheich der Araber, ihr Fürst und unser Führer. Wir gehorchen dir.“211 Die Quellen sind sich nicht einig, ob es Plünderungen der Beduinen bereits vor dem Treffen zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis gegeben hat oder erst danach. Ibn aldūn berichtet schon von Plünderungen und Zerstörungen vorher. Bei Ibn ‘Idārī, Ibn al-Atīr und an-Nuwairī verhält es sich umgekehrt. Ibn al-Atīr berichtet allerdings nicht über ein Treffen zwischen Mu’nis und al-Mu‘izz, sondern lediglich davon, daß Araberemire al-Mu‘izz aufsuchten.

3.11 Mu’nis b. Yayā 212 Die Quellen geben ein unterschiedliches Bild von dem Emir der Riyā, Mu’nis b. Yayā. Einige Chronisten wie an-Nuwairī, Ibn al-Atīr und Ibn aldūn berichten sehr ausführlich über diesen bedeutenden Araberemir; Abū l-Fidā’ und at-Tiğānī erwähnen ihn hingegen überhaupt nicht. Al-Maqrīzī erwähnt lediglich das erste Treffen zwischen Mu’nis und al-Mu‘izz, ohne jedoch konkrete Ergebnisse dieser Unterredung zu nennen. An-Nuwairī nennt das beschriebene erste Treffen zwischen Mu’nis und al-Mu‘izz, bei dem Mu’nis den Ziriden von seinem Vorhaben abbringen wollte, die Riyā in dessen Armee einzugliedern. Danach begab sich Mu’nis jedoch zu seinen Stammesgenossen, denen er seine Eroberungsstrategie von Ifrīqiya anhand der Parabel mit dem Teppich erläuterte. Das Verhältnis zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis war bei diesem ersten Treffen relativ entspannt, fast schon freundschaftlich. Ferner verhielt sich Mu’nis al-Mu‘izz gegenüber recht untertänig. Anhand dieses Verhaltens und der Gesprächsatmosphäre bekommt man auf den ersten Blick den Eindruck, daß Mu’nis keine Eroberungsabsichten hatte. Erst bei genauerem Hinsehen entsteht der Eindruck, daß der Araberemir al-Mu‘izz davon abhalten wollte, seine Stammesgenossen in seine Armee einzugliedern, weil er befürchtete, daß sie zu dem Ziriden überlaufen würden. Ibn al-Atīr hingegen bringt zwar die Parabel vom Teppich, nicht jedoch die Unterredung zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis. Das wiederum führt dazu, daß man von Mu’nis den Eindruck bekommt, daß er die Eroberung Ifrīqiyas und die Entmachtung der Ziriden 211 An-Nuwairī, 24, 213; Ibn al-Atīr, IX, 567. 212 An-Nuwairī, 24, 212–215; Ibn al-Atīr, IX, 567–568; Ibn aldūn, VI, 31–33/Berbères, I, 34–36; Ibn ‘Idārī, I, 288–289.

76

anstrebte. Bei Ibn ‘Idārī (Ibn Šaraf) bekommt man ein vollkommen entgegengesetztes Bild von Mu’nis: Ibn ‘Idārī erwähnt zwar – wenn auch etwas anders als bei an-Nuwairī und Ibn al-Atīr – das Treffen zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis, das Beispiel mit der Parabel fehlt jedoch. Stattdessen erzählt Ibn ‘Idārī, wie leidenschaftlich Mu’nis versuchte, seine Stammesgenossen von al-Mu‘izz zu überzeugen. Dadurch vermittelt er uns den Eindruck, daß Mu’nis eigentlich mit al-Mu‘izz darin übereinstimmte, seine Stammesgenossen in die ziridische Armee zu integrieren, und daß ihm irgendwelche Eroberungsabsichten fern lagen. Dieses scheinbar widersprüchliche Verhalten Mu’nis’ läßt sich allerdings folgendermaßen erklären: Möglicherweise sind die Schilderungen der einzelnen Chronisten unvollständig. Daher kann man die Vorgänge folgendermaßen ordnen: Mu’nis begab sich zu al-Mu‘izz. Es kam zu der bei an-Nuwairī und Ibn alAtīr geschilderten Aussprache zwischen den beiden Führern, in der der Araber dem Ziriden davon abriet, die Beduinen in seine Armee einzugliedern. Anschließend kam es zu Plünderungen seitens der Araber. Der davon enttäuschte alMu‘izz ließ daraufhin die Verwandten Mu’nis’ verhaften und dessen Haus beschlagnahmen. Das wiederum verärgerte Mu’nis, der sich darauf berief, alMu‘izz vorher gewarnt zu haben. Erst dann faßte Mu’nis den Entschluß, Ifrīqiya mit Hilfe seiner Stammesgenossen schrittweise, entsprechend der Parabel mit dem Teppich, zu erobern. Ein weiterer möglicher Grund, warum al-Mu‘izz die Unterstützung Mu’nis’ suchte, sind mögliche Plünderungen von anderen arabischen Stämmen vor dem Treffen von al-Mu‘izz und Mu’nis.

3.12 Konsequenzen des Treffens Die Quellen sind sich weitgehend einig, daß nach dem ersten Treffen zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis die Araber die ersten Plünderungen und Verheerungen unternahmen.213 An-Nuwairī und Ibn al-Atīr berichten von Verheerungen seitens der Riyā, Atbağ und ‘Adī in Ifrīqiya. Al-Maqrīzī sagt lediglich, daß die Zerstörungen nach dem Treffen zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis zunahmen.214 Nach Ibn ‘Idārī plünderten die Riyā die erste Ortschaft, auf die sie stießen, weil sie sie für Kairuan hielten.215 Von Verwüstungen ist bei Ibn ‘Idārī allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede. Für das Verhalten der Riyā kann es verschiedene Erklärungen geben: 1) Zwischen Mu’nis und seinen Stammesleuten gab es ein gravierendes Kommunikationsproblem. 2) Mu’nis’ Autorität bei letzteren war nicht 213 An-Nuwairī, 24, 213; Ibn al-Atīr, IX, 567: wa-qaa‘ū as-sabīl wa-‘ātū fī-l-bilād (bei Ibn alAtīr: ‘ar). 214 Al-Maqrīzī, II, 217: ...fa-istamālahu al-Mu‘izz b. Bādīs wa-katura ‘aituhum fī-bilād. 215 Ibn ‘Idārī, I, 289: wa-nahabūha min īniha.

77

so groß, wie man erwarten würde. 3) Eher unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist, daß Mu’nis selber die Riyā zu den Verwüstungen angestiftet hat. 4) Plünderungen waren bei den Beduinen vollkommen „normal“, und infolgedessen war sich Mu’nis auch keiner Schuld bewußt. Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, daß den Beduinen Disziplin und militärischer Gehorsam fremd waren. Gerade in dieser Hinsicht hat al-Mu‘izz sie vollkommen falsch eingeschätzt, indem er den Hinweis Mu’nis’ hierauf einfach ignoriert hat. Es war schlicht unmöglich, die Sitten und Gebräuche der an das Wüstenleben gewöhnten Beduinen innerhalb kürzester Zeit um- oder sogar abzustellen. Auch dieses Beispiel zeigt, daß alMu‘izz die politische Lage erneut völlig falsch einschätzte. Ibn aldūn, anNuwairī und Ibn al-Atīr sprechen diesen Vorgang nicht an. An-Nuwairī und Ibn al-Atīr berichten lediglich, daß die Beduinen die Eroberung Kairuans anstrebten. Die Araber besiegten die anhāğa-Armee und die mit ihnen verbündeten Truppen. Ibn aldūn nennt den Ort des Aufeinandertreffens nicht.216 Die Quellen sind sich nicht ganz einig, wie al-Mu‘izz auf die Plünderungen der Araber reagierte. Die Darstellungen von Ibn al-Atīr und an-Nuwairī sind nahezu identisch. Die Schilderungen von Ibn ‘Idārī und Ibn aldūn weichen hiervon sehr stark ab. Die Darstellung der Rahmenhandlung stimmt bei Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī fast überein. Lediglich bei den Einzelheiten werden Unterschiede deutlich, die an der Sache aber nicht viel ändern. Al-Mu‘izz war sehr bedrückt, als er von der Plünderung Kairuans erfuhr. Er hatte den Eindruck, daß Mu’nis seine Warnungen an al-Mu‘izz bestätigt sehen wollte. Daher ließ al-Mu‘izz die Frauen und Kinder Mu’nis’ verhaften. Außerdem ließ er dessen Haus beschlagnahmen. Als Mu’nis von der Verhaftung seiner Familienmitglieder erfuhr, wurde er zornig und sagte: „Ich habe (al-Mu‘izz) beraten. Er jedoch hat meinen Ratschlag ignoriert und beschuldigt mich. Er hat (dadurch) mehr Schaden angerichtet als meine Stammesgenossen.“217 Idris behauptet, daß der von den Maßnahmen al-Mu‘izz’ gekränkte Mu’nis seinen Stammesgenossen daraufhin befahl, die Plünderungen zu verstärken.218 In den einschlägigen Quellen ist ein derartiger Befehl allerdings nicht zu finden! Da sich die Plünderungen ausweiteten, versuchte al-Mu‘izz eine Lösung auf diplomatischem Weg herbeizuführen. Er schickte einige Rechtsgelehrte mit Briefen, Anweisungen und Empfehlungen zu ihnen, in denen sie sie wissen ließen, daß der Ziride die Familienmitglieder wieder freigelassen habe. Außerdem verpflichtete er sie zur Einhaltung der Verträge und zur Rückkehr zum Gehorsam. Damit wurden 216 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 34. 217 Ibn ‘Idārī, I, 289. 218 Idris, Berbérie Orientale, 212.

78

Scheichs beauftragt. Derartige Bemühungen schlugen jedoch fehl, weil sich die Beduinen nicht an die Anweisungen des Ziriden hielten. Ibn ‘Idārī erwähnt als einziger Chronist derartige Bemühungen seitens des Araberemirs zur Entspannung der Lage.219 Ibn ‘Idārī sagt, daß die Araber überall fasād brachten.220 Er präzisiert das aber nicht weiter. Ibn aldūn spricht nur von der Verhaftung des Bruders Mu’nis’ durch al-Mu‘izz, nicht jedoch davon, daß andere Familienmitglieder Mu’nis’ oder dessen Privateigentum davon betroffen waren. Bevor alMu‘izz aber den Bruder Mu’nis’ verhaften ließ, ließ er seine Armee und einen Korps von verbündeten Truppen gegen die Araber marschieren. Dabei erlitt der Ziride eine Niederlage. Anschließend schlug er sein Lager außerhalb von Kairuan auf.221 Dadurch, daß Ibn aldūn die bei Ibn ‘Idārī angesprochenen Bemühungen Mu’nis’ zur Entspannung der Lage nicht erwähnt, wird bei ihm das Bild des skrupellosen Araber-Führers bestätigt und verstärkt. Bei an-Nuwairī und Ibn al-Atīr222 stellt sich der Sachverhalt folgendermaßen dar: Es begaben sich mehrere Araberemire zu al-Mu‘izz. Von an-Nuwairī erfahren wir, um welche es sich handelt: Murif b. Kaslān, Fara b. Abī l-asan, Ziyād b. ad-Dunya, Fāris b. Katīr und Fāris b. Ma‘rūf. Sie alle gehörten zu den Riyā. Mu’nis selber wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Al-Mu‘izz empfing sie sehr zuvorkommend. Leider erfahren wir nichts über Inhalt, Verlauf und Ergebnis dieses Treffens. Nach dem Treffen jedoch unternahmen sie Raubzüge im Land, verwüsteten die Felder, fällten die Bäume (bei Ibn al-Atīr Dattelpalmen) und belagerten die Städte. Die Menschen wurden dessen überdrüssig, da sich ihre Lage zunehmend verschlechterte. Es herrschte Wegelagerei. Das Land wurde von einer Plage (balā’) heimgesucht, wie es vorher noch nie der Fall gewesen war. Abū l-Fidā’ stützt seine Beschreibung auf an-Nuwairī und Ibn al-Atīr. Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī erwähnen die anderen Araber-Führer bis aidarān überhaupt nicht. Von at-Tiğānī erfahren wir lediglich, daß die Araber al-Mu‘izz besiegt hätten. Die Tatsache, daß an-Nuwairī mehrere Araberemire der Riyā als „Führer“ bezeichnet, weist daraufhin, wie dezentral die Führung bei den arabischen Stämmen geregelt war. Das heißt zugleich, daß ein einzelner Führer bei weitem nicht so viel Macht gehabt haben konnte, wie man das angenommen hätte. Diesen Aspekt muß man gerade bei der Bewertung von Mu’nis’ Rolle bei den Plünderungen der Araber berücksichtigen. 219 220 221 222

vgl. auch Halm, Kalifen von Kairo, 373. Ibn ‘Idārī, I, 289. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 34. An-Nuwairī, 24, 213–214; Ibn al-Atīr, IX, 567.

79

3.13 Einschätzung der Lage durch die Chronisten und Historiker Wenn man die Sichtweisen der Chronisten im einzelnen vergleicht, so fällt auf, daß Ibn aldūn die gesamte Lage am dramatischsten einschätzt. Ibn ‘Idārī ist schon um eine sachlichere Darstellung bemüht. Aber auch bei ihm bekommt man manchmal den Eindruck, daß seine Darstellung nicht ganz frei von Vorbehalten und Ängsten gegenüber dem Westzug der Hilāl ist. Auch die Versionen von anNuwairī und Ibn al-Atīr sind nicht immer frei von Pathos. Trotzdem sind sie objektiver als die von Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī, da sie die Ursachen, Anlässe und Verlauf der Hilāl-Invasion in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander bringen. Die Schilderungen von at-Tiğānī und Abū l-Fidā’ fallen zu knapp aus, als daß man ihnen eine tendenziöse Sichtweise unterstellen könnte. Bei al-Maqrīzī stellt sich wie oben schon erwähnt das Problem, daß der Zusammenhang zwischen dem Bruch zwischen den Ziriden und Fatimiden und die Hilāl-Invasion nicht klar erkennbar ist. Ferner bedient er sich wie Ibn aldūn des Vergleiches der Invasion mit einer Heuschreckenplage, der nicht unbedingt zur Objektivität der Schilderung beiträgt. Marçais bietet eine detaillierte, sachliche und objektive Darstellung. Idris’ Untersuchung bleibt zwar vom quellenanalytischen Aspekt unübertroffen. Die Darstellungsweise ist jedoch an vielen Stellen antiarabisch und wenig objektiv. Gautiers Beschreibung der Hilāl-Invasion stützt sich fast ausschließlich auf Ibn aldūn. Daher verwundert es auch nicht, daß seine Darstellung so stark antiarabisch gefärbt ist, daß sie für eine um Sachlichkeit bemühte Arbeit kaum brauchbar ist. Ivan Hrbek lehnt sich an Idris an und sieht in den Folgen der beduinischen Westwanderung nichts als Plünderung und Zerstörung.223 Larouis Darstellung ist sehr objektiv. Er schneidet die Kontroverse zwischen Idris und Poncet kurz an, hält sich aber mit Wertungen in dieser Hinsicht zurück. Bei Halm nimmt der Streit zwischen Idris und Poncet eine zentrale Stellung ein. Er stellt die unterschiedlichen Sichtweisen gegenüber, hält sich aber mit eigenen Wertungen diesbezüglich zurück. Die Darstellung von Hazard ist dagegen an Unsachlichkeit kaum mehr zu überbieten.224

3.14 Folgen von al-Mu‘izz’ Handeln Al-Mu‘izz war offenbar nicht in der Lage, die Folgen seines Handelns abzuschätzen. Er tat immer nur das, was ihm gerade sinnvoll erschien, ohne zu fragen, welche Auswirkungen das auf die Zukunft haben könnte; seine Handlungen er-

223 Ivan Hrbek: The Fatimids, in: Encyclopaedia of Africa, Bd. III, 15–16. 224 Hazard, 55: …the Zirids seeking an ally against the ferocious horde devastating Tunisia…

80

scheinen unkoordiniert und ohne Konzept. Die Gegnerschaft zwischen ihm und den Hammadiden legt darüber eindrucksvoll Zeugnis ab. Anstatt ernsthafte Versuche zu unternehmen, sich mit seinen hammadidischen Verwandten zu arrangieren, nimmt al-Mu‘izz es eher in Kauf, seine Herrschaft aufs Spiel zu setzen, indem er mit ihm vollkommen unbekannten Stämmen paktiert, deren Macht einzuschätzen er überhaupt nicht in der Lage war und deren Mentalität er nicht kannte. Erst als er erkennen mußte, daß die Araber ihm nicht gehorchten, wandte er sich von ihnen ab und tat sich mit den Hammadiden zusammen, aber da war es schon zu spät. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Machtverlagerung von den Ziriden zu den Arabern bereits vollzogen. Das Verhältnis zwischen al-Mu‘izz und Mu’nis war von Mißverständnissen geprägt. Das erste Treffen gestaltete sich erstaunlich entspannt: al-Mu‘izz stand den Neuankömmlingen zunächst sehr aufgeschlossen gegenüber. Dementsprechend empfing er auch deren Führer Mu’nis. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß es bis zu diesem ersten Treffen größere Plünderungen oder Zerstörungen gegeben hat. Anderenfalls hätte al-Mu‘izz den Araberemir nicht so freundschaftlich empfangen. Die Reaktion von al-Mu‘izz auf die beginnenden Plünderungen der Araber nach seinem ersten Treffen mit Mu’nis bestätigt das. Al-Mu‘izz war sich überhaupt nicht im Klaren darüber, daß die Beduinen-Invasion zumindest aus fatimidischer Sicht das Ende seiner Herrschaft zum Ziel hatte. Er behandelte Mu’nis zwar zuvorkommend, betrachtete ihn jedoch strenggenommen als Untertan. Der Araberemir verhielt sich ja auch zunächst so. Al-Mu‘izz verstand offenbar nicht, daß die Araber im Auftrag der Fatimiden kamen und somit seine Gegner waren. Ferner waren ihm die Mentalität und Lebensweise der Araber nicht vertraut: al-Mu‘izz hatte zum ersten Mal in seinem Leben mit einem nomadischen Volk zu tun, das keine organisierten militärischen Strukturen hatte und weder Disziplin noch Gehorsam kannte. Diese Eigenschaften, die zu einer Eingliederung in al-Mu‘izz’ Armee jedoch absolut notwendig gewesen wären, hätte man diesem Volk aber auch nicht innerhalb weniger Tage anerziehen können. Obwohl Mu’nis ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, insistierte der Ziride auf seinem Vorhaben, die Araber in seine Armee einzugliedern. Als dies dann auf ganzer Linie fehlschlug, machte er Mu’nis hierfür verantwortlich. Obwohl Mu’nis ja im Auftrag der Fatimiden nach Ifrīqiya mit dem Ziel kam, die Ziriden zu entmachten, verhielt sich dieser bedeutendste Araberemir dem ziridischen Herrscher gegenüber zunächst sehr untertänig. Das gegenseitige Mißverstehen kam im Verhalten beider Führer nach den Plünderungen, die dem ersten Zusammentreffen der beiden folgten, zum Ausdruck. Al-Mu‘izz dachte, daß Mu’nis seine Stammesgenossen hierzu angestiftet habe, um dem Ziriden be-

81

stätigen zu können, was er ihm über sie mitgeteilt hatte. Mu’nis seinerseits fühlte sich unschuldig, weil er in Kenntnis des Verhaltens und der Mentalität seiner Stammesgenossen al-Mu‘izz vorher seine Bedenken zum Ausdruck gebracht hatte. Deshalb war für Mu’nis die Verhaftung seiner Familienmitglieder durch alMu‘izz nach den Plünderungen der Araber auch nicht nachvollziehbar. Dieses Mißverständnis sollte die folgenden Ereignisse nachhaltig prägen. Es ist nicht bekannt, daß al-Mu‘izz und Mu’nis jemals einen Versuch unternommen hätten, sich zu einem klärenden Gespräch zusammenzufinden. Die Quellen stellen den Verlauf der Ereignisse nach dem ersten Treffen von al-Mu‘izz und Mu’nis bis zur Schlacht von aidarān unterschiedlich dar. Aber auch hier stehen die einzelnen Darstellungen nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich: Nach den Plünderungen infolge des Treffens zwischen alMu‘izz und Mu’nis ließ al-Mu‘izz eine Armee gegen die Araber marschieren. Dabei erlitt al-Mu‘izz eine Niederlage. Aus Zorn hierüber ließ er die Familienmitglieder von Mu’nis verhaften. Mu’nis war über die Verhaftung seiner Familie und die Beschlagnahme seines Hauses durch al-Mu‘izz verärgert. Er begab sich zu seinen Stammesgenossen und erläuterte ihnen anhand der Parabel von dem Teppich, wie er sich die Eroberung Ifrīqiyas vorstellt. Anschließend setzten die Araber ihre Plünderungen fort. Danach suchten andere Araberemire al-Mu‘izz auf. Darauf setzten die Beduinen ihre Raubzüge fort. Erst jetzt erkannte al-Mu‘izz, daß es nicht möglich war, die Araber, sei es in seiner Armee oder anderweitig, für sich nutzbar zu machen. Daher wandte er sich den Hammadiden und Zanāta zu, um sie als Verbündete gegen die Araber zu gewinnen und mit ihrer Hilfe eine neue Armee aufzustellen.

82

4. Die Schlacht von aidarān 225 225 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32–33/Berbères, I, 34–35; Ibn ‘Idārī, I, 289–293; an-Nuwairī, 24, 214–216; Ibn al-Atīr, IX, 568–569, Abū l-Fidā’, II, 170–171 at-Tiğānī, 15–16; Mu’nis, 84. Folgende Analyse der Quellen stützt sich im wesentlichen auf Idris, Berbérie Orientale, 213 f.: Die Quellen haben im großen und ganzen zwei Berichte der Schlacht von aidarān überliefert. Die Historiker sind sich nicht einig, ob die Schlacht aus zwei militärischen Auseinandersetzungen bestand, die sehr dicht aufeinanderfolgten, und zwar 443/1051 und 444/1052, oder es lediglich zwei unterschiedliche Versionen ein und derselben Schlacht sind. Ibn ‘Idārī betitelt Abū - alts Beschreibung der Geschehnisse von aidarān mit hazīmat anhāğa aian bi-ğabal aidarān wa-hazīmat al-Mu‘izz b. Bādīs min wağh āar. Idris versteht hierunter, daß es sich um eine andere Erzählung derselben Schlacht handelt und sieht hierin den Beweis dafür, daß es sich lediglich um zwei verschiedene Versionen einer Schlacht handelt. Fagnan hingegen sieht hierin den Bezug zu einer weiteren Schlacht. Da jedoch bei beiden Versionen als Datum der 10. Dū l-iğğa angegeben ist, kann man hier in der Tat davon ausgehen, daß es sich um zwei Versionen einer Schlacht handele. Erschwert wird die Rekonstruktion durch zwei Probleme: 1. Kurz vor 443 gab es eine ziridische Niederlage, deren Datum und Ort unbekannt sind. 2. Ibn aldūn, Ibn al-Atīr und an-Nuwairī halten sich nicht an die chronologische Abfolge der Ereignisse und nennen ihre Informationsquellen nicht. Bei den beiden letzteren ist wenigstens noch erkennbar, wo die zweite Version der Schlacht von aidarān beginnt. Ibn ‘Idārī hingegen gibt seine Informationsquellen (Ibn Šaraf und Abū - alt) an und schildert die Ereignisse chronologisch. Ferner ist er der einzige Chronist, der sehr präzise Zeitangaben liefert. Das trägt wesentlich zur Erleichterung der Rekonstruktion der Ereignisse bei. Bemerkenswert ist auch, daß sich Ibn ‘Idārī auf zwei ziridische Chronisten stützt: Bei seiner ersten Erzählung auf Ibn Šaraf (S. 289–292) und bei seiner zweiten auf Abū - alt (S. 292–295). Nachteilig hierbei ist natürlich, daß man die Geschehnisse wieder nur von einer Seite, nämlich der ziridischen, erfährt. Abū - alt liefert bei Ibn Šaraf fehlende wertvolle Informationen über eine ziridische Niederlage, die der eigentlichen Schlacht von aidarān voranging. Die Version von Abū - alt endet mit einer sehr präzisen Erzählung über die Schlacht von aidarān. Anschließend werden die Ereignisse des Jahres 444 geschildert. Dort ist von 7.500 Reitern die Rede. Bei Ibn al-Atīr und an-Nuwairī sind es nur 7.000. Ibn aldūn I (S. 34–35) spricht ebenfalls von einer ersten Niederlage der anhāğa-Armeen und danach von der eigentlichen Niederlage bei aidarān, ohne jedoch präzise Datumsangaben zu machen. Bei Ibn al-Atīr und an-Nuwairī sind jeweils zwei Erzählungen überliefert, die sich auf die Schlacht bei aidarān beziehen. Idris ist der Meinung, daß es sich hierbei um zwei Versionen einer Schlacht handelt. Leider belegt er seine Annahme nicht weiter. Daher ist es genauso möglich, daß es sich um zwei verschiedene Ereignisse handelt. Der direkte Vergleich der beiden Texte stützt diese Annahme. Da bei diesen beiden Chronisten die Datumsangaben nur unzureichend sind, und die Überlieferer nicht genannt werden, kann man hier, anders als bei Ibn ‘Idārī, nicht mehr so leicht zu bestimmen, ob es sich lediglich um zwei verschiedene Versionen handelt oder tatsächlich zwei verschiedene Schlachten geschildert werden. Da hier jedoch das Datum 10. Dū l-iğğa (lammā kāna ‘īd an-nar...) mit dem bei Ibn ‘Idārī identisch ist, ist es durchaus der Rückschluß möglich, daß es sich um ein und dieselbe Schlacht und damit um zwei Versionen handelt. Die erste Version ähnelt der Fassung von Ibn Šaraf hinsichtlich der Anzahl der Kämpfer (30.000 Ifriqiyer gegen 3.000 Araber) und des Zitates des Dichters ‘Alī b. Rizq. Auch bei at-Tiğānī sind diese Elemente zu finden. Die Angelegenheit mit den „Augen“ und die Strategie der anhāğa findet man bei Ibn ‘Idārī nicht. Die erste scheint sich auf Ibn Šaddād zu stützen, die zweite auf Abū  alt. Die beiden Schlachten werden hier deutlich unterschieden. Die Teilnahme der Zanāta

83

4.1 Die Darstellung in den Quellen Bei Ibn aldūn, Ibn al-Atīr, al-Maqrīzī, Ibn Abī Dīnār, at-Tiğānī und Abū l-Fidā’ gibt es kein eigenes Kapitel über die Schlacht von aidarān. Sie sehen sie in der Kontinuität der Hilāl-Invasion. Bei an-Nuwairī und Ibn ‘Idārī verhält sich das schon anders. An-Nuwairī räumt den hilalisch–ziridischen Auseinandersetzungen ein eigenes Kapitel ein mit dem Titel dikr al-arb baina l-Mu‘izz wa-l-‘arab waintiār al-‘arab ‘alaihi. Fast alle Historiker sprechen von der Schlacht bei aidarān. Nur Idris nennt das entsprechende Kapitel „Niederlage von aidarān“.226 Damit suggeriert er, daß die Niederlage der Ziriden eine allgemeine für das Land war. Gleichzeitig erscheinen die Sieger in schlechtem Licht. Brett unternimmt eine sehr detaillierte Analyse der Schlacht von aidarān.227 Im Vordergrund steht bei ihm die Frage, inwieweit die technische Ausrüstung der gegnerischen Armeen den Verlauf und den Ausgang der Schlacht gestaltet und beeinflußt hat. Aus dem Historikerstreit zwischen Idris und Poncet hält Brett sich heraus. Es gibt zwei sich ergänzende Versionen, die beide von Ibn ‘Idārī wiedergegeben werden: Die erste stammt von Ibn Šaraf (eingeleitet durch: dikr hazīmat al‘arab li-l-Mu‘izz b. Bādīs) und die zweite von Abū -alt (eingeleitet durch: hazīmat anhāğa aian bi-ğabal aidarān wa-hazīmat al-Mu‘izz b. Bādīs min wağh āar). Aus der Fassung des Abū -alt geht hervor, daß der eigentlichen Schlacht von aidarān eine andere ziridische Niederlage voranging, die auch Ibn aldūn erwähnt. wird im Gegensatz zu den anderen Quellen erwähnt. Anschließend schildern Ibn al-Atīr und an-Nuwairī die Ereignisse von 444 mit nahezu den gleichen Worten wie Ibn ‘Idārī. Abū l-Fidā’, II, 170 zählt unter dem Jahr 442 drei aufeinanderfolgende Niederlagen von alMu‘izz auf: die erste bei Barqa; die zweite: al-Mu‘izz wurde geschlagen, nachdem er 30.000 Kämpfer versammelt hatte; danach kehrte er nach Kairuan zurück (wie im Bayān nach Abū - alt); die dritte: al-Mu‘izz sammelte Truppen, griff die Araber an und wurde besiegt. Danach erreichten die Araber Kairuan und ließen sich am Gebetsplatz nieder. Aus den Quellen kann man schließen, daß Ibn ‘Idārī, an-Nuwairī und Ibn al-Atīr zwei Versionen der Schlacht geben. Dennoch ist es möglich, daß die Schlacht aus zwei Teilen bestand. Die Schreibung der Lokalität „aidarān“ ist in den Quellen nicht einheitlich. Bei Ibn ‘Idārī, Ibn aldūn aidarān, bei Ibn al-Atīr und an-Nuwairī Ğandarān. Wenn man jedoch sämtliche Punkte und Vokalisationszeichen wegläßt, sind die entsprechenden Buchstabenkörper bei allen Chronisten identisch. 226 Marçais: Les rencontres de aidarān; Idris: Défaite de aidarān; Halm spricht in seinem Werk Die Kalifen von Kairo die Ereignisse von aidarān an und nennt sie „Schlacht“. (S. 374) Damit liefert er den mit Abstand neutralsten Begriff für die militärische Auseinandersetzung zwischen den Ziriden und den Beduinen bei aidarān. Brett, aidarān, 78 ff. spricht ebenfalls von der Schlacht von aidarān (Titel seines Aufsatzes: The Military Interest of the Battle of aidarān). 227 Brett, aidarān, 78–88.

84

Eine dritte Erzählung geht vermutlich auf Ibn Šaddād zurück. Ibn ‘Idārīs Darstellung ist mit Abstand die ausführlichste Darstellung der ziridisch–hilalischen Auseinandersetzungen von aidarān. Man kann Brett in seiner Einschätzung nur zustimmen, daß die Darstellung von Ibn aldūn weit davon entfernt ist, die Schlacht erschöpfend zu beschreiben. Brett vermutet, daß zumindest die entfernte Möglichkeit besteht, daß Ibn Šarafs Erzählung der Schlacht frei erfunden ist. Hierbei übersieht Brett jedoch, daß nicht nur Ibn Šaraf eine Beschreibung der Schlacht liefert, sondern auch andere Chronisten. Ferner besteht unter diesen eine zu große Übereinstimmung in den Eckdaten (10. Dū l-iğğa, Zahl der Kämpfer und der Schlachtausgang), als daß die Schlacht von aidarān eine reine Erfindung von Ibn Šaraf sein könnte.228

4.1.1 Vorabend der Schlacht Die Beduinen hatten Ifrīqiya noch lange nicht unter ihrer Kontrolle, auch wenn die Wanderung der Hilāl von Ägypten nach Ifrīqiya im wesentlichen abgeschlossen war. Das kam daher, da sie eher auf Beute aus waren als auf Eroberungen. Außerdem gingen sie militärischen Auseinandersetzungen nach Möglichkeit aus dem Weg. Deshalb nimmt Lacoste an, daß die Beduinen weit davon entfernt waren, sich wie zerstörerische Eroberer zu benehmen.229 Brett hält es sogar für möglich, daß sich die ziridische Regierung eher mit einzelnen Hilāl-Stämmen verbündet habe, um den Weg von Gabes nach Tripolis zu kontrollieren, als daß die Beduinen als „Horde“ aus Ägypten kamen. Diese so geschaffene künstliche Situation führte dann zu schwierigen Verhandlungen, in deren Verlauf die Araber weit nach Norden kamen. Dies wiederum veranlaßte die Ziriden, militärische Maßnahmen zu ergreifen.230 In den von mir untersuchten Quellen ist ein derartiger Zusammenhang jedoch nicht erkennbar. Wie bereits weiter oben besprochen, versuchte al-Mu‘izz ja, die Beduinen für seine Zwecke einzuspannen. Sämtliche Bemühungen in diese Richtung schlugen jedoch fehl. Ibn aldūn berichtet, daß nach den Plünderungen und der ersten Niederlage gegen die Araber 1051–1052/443 der in seinem Stolz verletzte al-Mu‘izz außer sich vor Wut war und sich daraufhin entschloß, die Araber zu schlagen. Dabei bediente er sich sowohl der Hilfe seines Cousins al-Qā’id b. ammād als auch der Zanāta. Ibn aldūn führt weiter aus, daß der Zanāta-Stamm der Maġrāwa unter der persönlichen Führung von Muntair b. azrūn einem Hilfsappell von alMu‘izz folgte und ihn mit 1.000 Reitern unterstützte. Al-Muntair und der 228 Brett, aidarān, 79. 229 Lacoste, 95. 230 Brett, aidarān, 79.

85

Maġrāwa-Stamm befanden sich in Ifrīqiya. Ibn ‘Idārī ergänzt, daß um diese Zeit al-Mu‘izz ihm 100.000 Dinar schenkte231. Außerdem fand der Ziride die Unterstützung von seinem hammadidischen Cousin al-Qā’id b. ammād, der ebenfalls 1.000 Reiter schickte. Daraufhin brach al-Mu‘izz auf. Seine 30.000 Kämpfer umfaßten das ziridisch-anhāğische Kontingent, Freunde, Familienangehörige und eine kleine Anzahl der Nachfolger der Araber aus der Eroberungszeit, die noch das Land bewohnten. Dieser Truppe schlossen sich noch weitere Zanāta- und Berberkontingente an.232 An-Nuwairī und Ibn al-Atīr233 sprechen lediglich davon, daß al-Mu‘izz Soldaten rekrutierte und sich mit 30.000 Reitern zum Berg aidarān begab. Von al-Mu‘izz’ Suche nach Verbündeten ist nicht die Rede. Es ist weder bekannt, ob die ganze anhāğa-Armee aufbrach, noch der genaue Zeitpunkt des Angriffs. Idris234 hält es für möglich, daß al-Mu‘izz zunächst einen kleinen Truppenteil als Vorhut gegen die Araber einsetzte. „Der Kern von alMu‘izz’ Armee bestand neben den berberischen Einheiten – bäuerlichen anhāğa und nomadischen Zanāta – aus starken Kontingenten gekaufter Kriegssklaven (mamlūk), wohl überwiegend Slawen und Schwarze.“235 Die genaue Position von aidarān ist nicht mehr exakt feststellbar. Halm lokalisiert den Berg aidarān zwischen Gabes und Kairuan.236 Brett237 geht recht ausführlich hierauf ein. Das Hauptproblem besteht darin, daß aidarān als Toponym nicht mehr existiert. Anhand der von den Flüchtigen der Schlacht von aidarān und der Armee zurückgelegten Strecke, lokalisiert Brett den Ort etwa 20 bis 40 Meilen im Südwesten oder Süden von Kairuan.

4.1.2 Beginn der Schlacht Am Morgen des 13. April 1052/10. Dū l-iğğa 443238 machte sich al-Mu‘izz auf den Weg zu einer Ortschaft, die den Banū Hilāl bekannt war. Gegen Mittag erfuhr er, daß sich sämtliche Hilāl näherten. Daraufhin befahl er, sofort das Lager in Tälern und unwegsamen Gelände aufzuschlagen. Ibn aldūn sagt, daß sich alMu‘izz noch weitere Berberkontingente anschlossen; er spezifiziert diese jedoch nicht weiter.239 Bevor al-Mu‘izz jedoch die Angriffsvorbereitungen abschließen 231 232 233 234 235 236 237 238 239

86

Ibn ‘Idārī, I, 297. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32–33/Berbères, I, 34. An-Nuwairī, 24, 214; Ibn al-Atīr, IX, 567. Idris, Berbérie Orientale, 216. Halm, Kalifen von Kairo, 373–374. Halm, Kalifen von Kairo, 374. Brett, aidarān, 80, Fitnat al-Qayrawān, 248–249. Das Datum wird nur von Ibn ‘Idārī geliefert. ulal, 944, nennt das Jahr 444. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 35.

konnte, stürmten die Hilāl „wie ein einziger Mann“ hervor.240 Es kam zur Schlacht. Die anhāğa-Truppen wurden bei der ersten Schlacht geschlagen und erlitten schwere Verluste, die die Quellen an dieser Stelle nicht weiter präzisieren.

4.1.3 Struktur der ziridischen Armee in der Schlacht von aidarān Angesichts der militärischen Struktur der Beduinen ist ein derartiger Hilāl-Sturm jedoch eher unwahrscheinlich. Die Ziriden werden das nur so empfunden haben, weil sie mit einem Angriff zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet hatten. Ibn al-Atīr und an-Nuwairī241 berichten, daß die 3.000 Mann starke Reitertruppe der Araber zunächst von der zehnmal stärkeren Armee des Gegners erschreckt war. Mu’nis verbot seinen Leuten jedoch jeglichen Rückzug. Eine Anekdote berichtet: „Führer der Araber! Dies ist nicht der Tag, an dem man fliehen darf!“ Sie fragten daraufhin: „Wohin sollen wir denn Leute schlagen, die Panzer und Helme tragen?“ Ein nicht weiter bekannter Araber-Führer antwortete ihnen: „In die Augen“. Daher wurde dieser Emir „Abū l-‘ainain“ genannt.242 Die anhāğa verstanden sich nicht mit den (schwarzen) Sklaven der ziridischen Garde. An-Nuwairī und Ibn al-Atīr berichten243, daß die Kämpfe mit den Arabern immer heftiger wurden. Die anhāğa waren sich einig, daß eine Niederlage unvermeidlich war, und beschlossen, al-Mu‘izz und seine Sklaven im Stich zu lassen. Sie wollten zusehen, wie sich die Sklaven bei der Schlacht mit den Arabern aufrieben, und sich anschließend auf die Beduinen stürzen. Das führte dazu, daß al-Mu‘izz während der Schlacht allein mit der Hilfe seiner Sklaven auskommen mußte. Al-Mu‘izz und seine Sklaven wurden umzingelt. Alle Chronisten bis auf Ibn aldūn stimmen darin überein, daß al-Mu‘izz erbitterten Widerstand leistete, bis ihn die Lanzen der Araber erreichten. Seine Sklaven kämpften für ihn bis zum Untergang. Alle Quellen bis auf Ibn aldūn bestätigen ferner, daß viele der Sklaven getötet wurden; ihre Anzahl wird jedoch nicht genauer beziffert. Sämtliche Banū Manād und die anhāğa sowie die mit al-Mu‘izz verbündeten Zanāta desertierten.244 Hier zeigte sich, daß lediglich seine Sklaven ihm bedingungslos ergeben waren. Ibn aldūn erwähnt diese Spannungen innerhalb der ziridischen Armee nicht. Aus den Quellen wird nicht genau ersichtlich, was die anhāğa dazu motivierte, zu desertieren. Als Gründe kämen die schon erwähnten Spannungen mit den 240 241 242 243 244

Ibn ‘Idārī, I, 289. Ibn al-Atīr, IX, 567–568; an-Nuwairī, 24, 214–215. Nach Ibn al-Atīr wurde jener Tag daraufhin „Tag der Augen“ genannt. An-Nuwairī, 24, 215; Ibn al-Atīr, IX, 568. Ibn ‘Idārī, I, 289; an-Nuwairī, 24, 215; Ibn al-Atīr, IX, 568; Halm, Kalifen von Kairo, 374.

87

Sklaven oder mangelnde Loyalität zu al-Mu‘izz in Frage. Feigheit ist angesichts der zahlenmäßigen Verhältnisse – 30.000 Mann auf ziridischer und nur 3.000 auf beduinischer Seite – als Grund eher unwahrscheinlich. Außerdem hätten die anhāğa dann nicht den Plan gefaßt, die Beduinen separat anzugreifen. Die Tatsache, daß die anhāğa einen derartigen Angriff in Erwägung zogen, zeigt, daß diese einen Sieg über die Hilāl für realistisch gehalten haben müssen. Brett gibt noch eine weitere Erklärung: Die Berberkontingente ließen ihren Herrscher möglicherweise deshalb im Stich, weil sie wahrscheinlich zum größten Teil beritten und unbewaffnet waren. Diese Tatsache bot ihnen angesichts des überraschenden Angriffs der Araber eine gute Möglichkeit zu fliehen. Den Sklaven, die nicht beritten waren, blieb diese Möglichkeit verwehrt. Ihnen blieb also nicht anderes übrig, als sich dem arabischen Angriff entgegenzustellen. Folglich könne man aus diesem Verhalten auch nicht auf einen besonders hohen Grad an Loyalität gegenüber dem Ziridenherrscher schließen.245 Gegen letztere Vermutung spricht jedoch das sehr gute Verhältnis von al-Mu‘izz zu seinen Sklaven sowie die Tatsache, daß sich in den Quellen kein einziger Fall von Illoyalität dieser Sklaven gegenüber ihrem Herrscher findet. Wie dem auch sei, über die Gründe für das Verhalten der Sklaven in der Schlacht kann man nur spekulieren. Der Verlauf der Schlacht zeigt ganz deutlich, daß al-Mu‘izz eine schwache Führungspersönlichkeit ohne Autorität war. Er war nicht in der Lage, die Streitigkeiten und Feindseligkeiten in seiner Armee zu beenden. Der Grund, warum al-Mu‘izz die Schlacht nicht gewann, liegt in dem vollkommen desolaten Zustand der ziridischen Armee. Die Quellen berichten zwar über deren Zusammensetzung nicht jedoch über ihren Zustand. Daher kann man hierüber nur Mutmaßungen anstellen. Aus dem Verlauf der militärischen Auseinandersetzungen von aidarān wird jedoch klar, daß in der Armee mangelnde Organisation, fehlende Disziplin und schlechte Ausbildung der Soldaten herrschten. Die Heterogenität der Truppe machte ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Soldaten unmöglich. Hinzu kam noch die mangelnde Loyalität einiger Truppenteile, insbesondere der anhāğa, gegenüber al-Mu‘izz.246 Gerade letzteres wurde dem Ziridenherrscher bei der Schlacht von aidarān zum Verhängnis. Der schlechte Zustand der ziridischen Armee wird insbesondere im direkten Vergleich mit den beduinischen Truppen deutlich: Auch diese waren Disziplin und Gehorsam nicht unbedingt gewohnt und waren militärisch auch nicht allzu gut ausgerüstet. Außerdem verfügten die Beduinen nicht über eine eigene organisierte Armee oder militärische 245 Brett, aidarān, 85. 246 Vgl. Brett, aidarān, 82.

88

Strukturen. Trotzdem schafften sie es, das ziridische Heer zu besiegen, und das mit einer weitaus geringeren Anzahl an Soldaten als beim Gegner. Natürlich muß man die Zahlenangaben der Chronisten immer mit Vorsicht genießen. Auch wenn es recht unwahrscheinlich erscheinen mag, daß der Umfang der beduinischen Kämpfer nur ein Zehntel betragen haben soll, gibt es in den Quellen keinen Hinweis darauf, der dieses Zahlenverhältnis in Frage stellt. Als gesichert kann auf jeden Fall die Tatsache gelten, daß die Beduinen an Anzahl der Kämpfer der ziridischen Seite stark unterlegen waren. In welchen zahlenmäßigen Verhältnissen das letztlich zum Ausdruck kam, ist eine andere Frage. Angesichts dieser Tatsachen muß man sogar davon ausgehen, daß es eine ziridische Armee im herkömmlichen Sinne gar nicht (mehr) gab. Die „Armee“ bestand lediglich aus Sklaven und verschiedenen Stammesangehörigen, die aber höchstwahrscheinlich niemals eine gesonderte militärische Ausbildung erhalten hatten geschweige denn ein Soldatenleben führten. Daher ist anzunehmen, daß die „Armee“ lediglich aus Reitern und anderen Kämpfern bestand, die al-Mu‘izz kurzfristig rekrutiert hatte. Brett äußert die naheliegende Vermutung, daß die Sklaven, die die persönliche Leibwache von al-Mu‘izz bildeten, zweifellos Kavalleristen waren, wohingegen der restliche Teil der Sklaven aus Infanteristen bestand.247 Brett bewertet Ibn al-Atīrs Hinweis, daß al-Mu‘izz’ Soldaten Panzer und Helme trugen, als nachträgliche Ausschmückung. Seiner Ansicht nach verfügten nur die wohlhabenderen Soldaten über eine Panzerung.248 Hinsichtlich des Desertierens des anhāğa-Kontingents bei der Schlacht von aidarān ist diese Überlegung nicht abwegig, da eine schnelle Flucht mit einer schweren Ausrüstung ungleich schwerer möglich gewesen wäre. Andererseits jedoch finden sich in den Quellen keine Hinweise, die der von Ibn al-Atīr beschriebenen Ausrüstung widersprechen. Was die Ausrüstung der einzelnen ziridischen Soldaten und die Zusammensetzung des Lagers während der Schlacht betrifft, so kommt Brett zu folgendem Ergebnis: Die anhāğa, die eine Art „Adelsstatus“ genossen, waren beritten. Die Flanken der Armee bestanden aus leichter Kavallerie, während der Hauptteil teils beritten und teils bewaffnet war. Es gab die Zelte (maārib) der anhāğa und der anderen Stämme und das Lager (mu‘askar) des Ziridenherrschers al-Mu‘izz. Das Gefolge (ašam) umfaßte das Militärpersonal und die Sklaven. Angesichts der Rivalität, die zwischen den anhāğa und den Sklaven herrschte, äußert Brett die berechtigte Vermutung, daß sie räumlich getrennt voneinander untergebracht waren.249 247 Brett, aidarān, 82–83. 248 Brett, aidarān, 84–85. 249 Brett, aidarān, 84.

89

Brett ist der Meinung, daß die Feindschaft zwischen den anhāğa und den Sklaven des al-Mu‘izz in der unterschiedlichen Taktik der beiden Truppenelemente wurzelte. Dies habe dann zu dem verräterischen Verhalten der anhāğa geführt.250 Das leuchtet als Begründung für das unterschiedliche Verhalten der beiden ziridischen Truppenkontingente während der Schlacht jedoch nicht ein. Eine wesentlich plausiblere Erklärung liefert hier Poncet. Er weist daraufhin, daß der ziridische Militärapparat, der bis zu Beginn der Regierungszeit des al-Mu‘izz bei den Gegnern geachtet und gefürchtet war, bis zur Hilāl-Invasion allmählich zerbröckelt war. Das kam daher, weil die Berberkontingente das Vertrauen in einen Chef verloren hatten, der sich nicht mehr auf sie stützte, sondern die Schwarzen in seiner Gunst und Freigebigkeit bevorzugte.251 Idris geht auf den Zustand der ziridischen Armee überhaupt nicht ein. Er räumt zwar ein, daß das Verhältnis unter den einzelnen ethnischen Gruppen in alMu‘izz’ Armee nicht spannungsfrei war, stellt das jedoch nicht in Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des ziridischen Staates.252 Poncet sieht in aidarān den Spiegel für den Zustand von al-Mu‘izz’ Heer. Schließlich waren die Ziriden zu Zeiten von al-Manūr und Bādīs in der Lage gewesen, jede Rebellion niederzuschlagen. Poncet kritisiert, daß Idris zwar auf die Erschöpfung der ziridischen Armee hinweist, aber nicht erwähnt, wer dafür verantwortlich war.253 Idris gibt als vage Begründung hierfür lediglich an, daß der ziridische Staat „zu verwundbar für eine nicht zu greifende Horde war, die sich nach dem Sieg von aidarān in den offenen Ebenen den Raubzügen hingab.“ Auch hier sieht man, daß Idris die Schuld für die Situation wieder den Beduinen allein zuschieben will. Wenn al-Mu‘izz jedoch über eine intakte Armee verfügt hätte, hätten weder die offenen Ebenen noch eine „nicht zu greifende Horde“ eine ernsthafte Bedrohung für das ziridische Heer bedeutet. Daher kann man Poncet ohne weiteres in seiner Einschätzung zustimmen, daß dieser von Idris unternommene Versuch einer Begründung jeglicher Seriosität entbehrt.254 Poncet weist zudem daraufhin, daß der ziridische Staat vor aidarān schon mit viel dramatischeren Erschütterungen sowie schwierigeren und blutigeren Krisen fertig geworden war.255 Hierzu zählen u.a. der Abū Yazīd-Aufstand, die ständigen und zermürbenden Kämpfe gegen die

250 251 252 253 254 255

90

Brett, aidarān, 85. Poncet, 1967, 1114, ders., 1968, 661–662. Idris, Berbérie Orientale, 216. Poncet, 1968, 660; Idris, 1968, 395. Poncet, 1968, 660. Poncet, 1968, 661.

Zanāta, die Ausschaltung zu mächtig gewordener Wesire und besonders die Abspaltung der Hammadiden von den Ziriden. Es ist anzunehmen, daß der Zustand der ziridischen und der beduinischen Armee annähernd gleich war. Daher muß man davon ausgehen, daß das Desertieren der anhāğa und der anderen Stammesangehörigen letztendlich dafür verantwortlich war, daß al-Mu‘izz in der Auseinandersetzung mit den Hilāl unterlag. Poncet fügt als möglichen Grund für die ziridische Niederlage noch hinzu, daß es bei den Hilāl nicht viel an Beute zu holen gab und daher die Motivation auch nicht sehr hoch war, gegen die Beduinen zu Felde zu ziehen.256 All diese Punkte sprechen gegen Bretts Annahme257, daß die politischen und diplomatischen Umstände vermuten lassen könnten, daß aidarān ein unerwartet eingetretener unglücklicher Vorfall war. Der sich fortschreitende Niedergang Ifrīqiyas und insbesondere das beutegierige Verhalten der Hilāl sowie der desolate Zustand des ziridischen Heeres lassen eine militärische Konfrontation zwischen den Ziriden und den Hilāl vielmehr unausweichlich erscheinen. Seine Schlußfolgerung, daß aidarān in der Kontinuität der vergangenen Ereignisse stand, die schließlich die Emigration des Ziridenherrschers von Kairuan nach Mahdia nach sich zog, trifft hingegen den Kern der Sache.

4.2 Situation nach dem Sieg der Hilāl Nachdem al-Mu‘izz und seine Sklaven geschlagen worden waren, lieferten sich die anhāğa mit den Arabern eine Schlacht und erlitten dabei ebenfalls eine Niederlage. Al-Mu‘izz stand an der Spitze der anhāğa.258 Erstaunlicherweise nahm al-Mu‘izz es den anhāğa nicht übel, daß sie ihn mit seinen Sklaven bei der Schlacht mit den Hilāl allein gelassen hatten. In dem Moment, als die anhāğa den Arabern Widerstand leisteten, wird al-Mu‘izz dies auf jeden Fall als willkommene Hilfe empfunden haben. Leider erfahren wir von den Chronisten nicht, warum die Zanāta und die anderen Stämme, die al-Mu‘izz rekrutiert hatte, ebenfalls desertiert waren. Von eventuellen Spannungen mit den Sklaven des al-Mu‘izz, wie das bei den anhāğa der Fall war, ist nirgends die Rede. Gerade im Falle der Zanāta wäre mangelnde Loyalität gegenüber al-Mu‘izz ein möglicher Grund. AlMu‘izz stand, wie auch seine Vorgänger, in ständiger Gegnerschaft zu den Zanāta. Bis zum Einmarsch der Hilāl haben sämtliche ziridischen Herrscher einschließlich al-Mu‘izz zur Schwächung und Dezimierung der Zanāta beigetragen. 256 Poncet, 1967, 1114; zum Abū Yazīd-Aufstand s. H. Halm: Der Mann auf dem Esel. Der Aufstand des Abū Yazīd gegen die Fatimiden nach einem Augenzeugenbericht, in: Die Welt des Orients 15 (1984), 144–204. 257 Brett, aidarān, 79. 258 An-Nuwairī, 24, 215; Ibn al-Atīr, IX, 568.

91

Interessant ist folgende Begebenheit, die aber nur Ibn aldūn259 überliefert: Als sich das ziridische und das beduinische Heer gegenüberstanden, liefen die autochthonen arabischen Truppenteile in der Armee von al-Mu‘izz aus Gründen eines ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühls zu den Hilāl über. Danach desertierten auch die Zanāta und anhāğa. Daher mußte al-Mu‘izz nach Kairuan flüchten. Deshalb kam es auch nicht zu einer militärischen Auseinandersetzung mit den Hilāl. Die Tatsache, daß die anhāğa sich mit den Arabern eine separate Schlacht lieferten, erwähnt Ibn aldūn nicht. Daher entsteht hier der Eindruck, ganz anders als bei an-Nuwairī und Ibn al-Atīr, daß die Zanāta und anhāğa aus reiner Feigheit desertierten. Ferner wird suggeriert, daß deren Differenzen mit den Sklaven von al-Mu‘izz hierbei eher eine untergeordnete Rolle spielten. An-Nuwairī und Ibn al-Atīr sprechen lediglich davon, daß die anhāğa desertierten. Andere Gruppen wie etwa die Zanāta werden nicht erwähnt. Selbst für an-Nuwairī und Ibn alAtīr kam die Niederlage von al-Mu‘izz angesichts der zahlenmäßigen Verhältnisse unerwartet. Al-Mu‘izz kehrte geschlagen nach Kairuan zurück.260 Wenn man die Darstellungen von Ibn aldūn einerseits und an-Nuwairī und Ibn al-Atīr andererseits gegenüberstellt, ergeben sich recht bemerkenswerte Unterschiede im Gesamtbild: Ibn aldūn spricht davon, daß die „autochthonen arabischen“ Truppenteile in al-Mu‘izz’ Armee aus Gründen eines ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühls mit den Hilāl nicht nur desertierten, sondern sich auch noch dem Gegner anschlossen.261 Der Chronist läßt die Spannungen zwischen den anhāğa und den Sklaven von al-Mu‘izz hingegen unerwähnt. Dadurch entsteht der Eindruck, daß die Araber nicht nur von der Hilāl-Seite, sondern auch von ziridischer Seite an der ziridischen Niederlage und auch an der instabilen Lage in Ifrīqiya schuld waren. Außerdem erscheinen die Araber durch das Überlaufen der „autochthonen Araber“ der ziridischen Armee zu den Hilāl auch charakterlich im schlechten Licht. Man bekommt hier also den Eindruck, daß Ibn aldūn die Schuld am Ausgang der Schlacht und an der für die Ziriden nicht sehr günstigen Situation bewußt den Arabern allgemein zuschieben will. Bei an-Nuwairī und Ibn al-Atīr stellt sich der Sachverhalt hingegen schon ganz anders dar: Sie erwähnen zwar ausführlich die Differenzen zwischen den anhāğa und den Sklaven in der 259 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32/Berbères, I, 35. 260 An-Nuwairī, Ibn al-Atīr: ...mahzūman ‘alā katrat man kāna ma‘ahu wa-qillat al-‘arab. 261 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32: wa-lammā tazāafa l-farīqān inadala baqiyyat ‘arab al-fat wataayyazū ilā l-hilāliyyīn lil-‘aabiyya al-qadīma... /vgl. auch Berbères, I, 35.

92

ziridischen Armee, nicht jedoch die Existenz von „autochthonen“ Arabern. Ferner machen beide Chronisten ganz explizit die anhāğa und damit indirekt die Ziriden – und eben nicht die Araber! – für die ziridische Niederlage verantwortlich. Ibn ‘Idārī ist derjenige Chronist, der in dieser Frage die größte Sachlichkeit walten läßt: er berichtet lediglich, daß viele Sklaven von al-Mu‘izz starben, wohingegen sämtliche Banū Manād, anhāğa und die anderen Stammesangehörigen flüchteten. Ibn ‘Idārī vermeidet es auch, einer bestimmten Personengruppe die Schuld an der Situation zu geben. Die Tatsache, daß ein Teil desertierte und ein anderer bis zum Untergang kämpfte, weist auf den schon dargestellten Zustand der ziridischen Armee hin. Ferner drängt sich einem bei einer derartig entgegengesetzten Verhaltensweise der einzelnen Truppenteile der Verdacht geradezu auf, daß das Verhältnis der Sklaven zu den anhāğa nicht allzu gut gewesen sein kann, auch wenn Ibn ‘Idārī hierauf nicht weiter eingeht. Die recht knappe Darstellung von Ibn Abī Dīnār unterscheidet sich insbesondere im Schlachtverlauf grundlegend von den bereits erwähnten: Als es zur Auseinandersetzung mit den Arabern kam, ließen ihn die Zanāta im Stich, während das anhāğa-Kontingent eine Niederlage erlitt. Anschließend stellten sich die 20.000 Mann zählenden schwarzen Sklaven der Schlacht und wurden besiegt.262 Idris263 stellt das von Ibn aldūn beschriebene Überlaufen von „autochthonen“ Arabern zu den Hilāl zurecht in Zweifel, da seiner Ansicht nach die Araber zu jenem Zeitpunkt schon längst keine ethnisch zusammenhängende Gruppe mehr gewesen sei. Es gibt aber noch andere Gründe, warum man Zweifel hieran haben muß. Al-Mu‘izz hätte sie, wenn Ibn aldūns These zuträfe, nicht an der Schlacht teilnehmen lassen, da man davon ausgehen mußte, daß dem Ziridenemir deren Gesinnung bekannt war. Wenn sie sich wirklich noch als Araber gefühlt hätten, hätte al-Mu‘izz sie dann höchstwahrscheinlich von der Teilnahme an der Schlacht ausgeschlossen. Ob dies nun zutraf oder nicht, läßt sich nicht mehr mit eindeutiger Sicherheit feststellen. Man muß jedoch beachten, daß Ibn aldūn der einzige Chronist ist, der überhaupt von „autochthonen Arabern“ in der ziridischen Armee spricht. Alle Quellen bis auf Ibn aldūn berichten mehr oder weniger explizit, daß das Verhältnis zwischen al-Mu‘izz’ Sklaven und den anhāğa in der ziridischen Armee nicht spannungsfrei war. Da kein Chronist bis auf Ibn aldūn das Überlaufen von „autochthonen arabischen“ Truppenteilen zu den Hilāl erwähnt, muß man an der Authentizität dieser Begebenheit angesichts der recht detaillierten Darstellung der Ereignisse durch die anderen Chronisten starken 262 Mu’nis, 84. 263 Idris, Berbérie Orientale, 217.

93

Zweifel haben. Außerdem muß man davon ausgehen, daß, wenn sich die Ereignisse wirklich so zugetragen hätten wie von Ibn aldūn beschrieben, die anderen Chronisten keinen Grund gehabt hätten, dies unerwähnt zu lassen. Gestützt wird diese Annahme ferner durch die Tatsache, daß in keiner Quelle, nicht einmal bei Ibn aldūn selbst, in einem anderen Zusammenhang eine autochthone (!) arabische Gruppe in ziridischen Institutionen in Erscheinung getreten war. Anlaß zu Zweifel liefert auch Ibn aldūns schon erläuterte äußerst unsachliche Art der Darstellung der hilalischen Westwanderung („wie eine Wolke von Heuschrecken...“). Auch hier haben wir das Problem, daß Ibn aldūn seine Gewährsleute nicht nennt und auch keine exakten Datumsangaben liefert. Hinsichtlich der Frage, ob es wirklich noch eine „autochthone arabische Gruppe“ gegeben hat, sind sich Poncet und Idris einig, daß dies eher unzutreffend sei. Man muß jedoch anmerken, daß die Existenz beider Teile der Schlacht – das Überlaufen der „autochthonen“ Araber in al-Mu‘izz’ Armee zu den Hilāl (Ibn aldūn) wie auch das Desertieren der anhāğa (an-Nuwairī, Ibn al-Atīr) – nicht im Widerspruch zueinander stehen.

4.3 Beute Ibn ‘Idārī (nach Ibn Šaraf) gibt die detaillierteste Beschreibung der von den Arabern gemachten Beute. Sie plünderten die Zelte der Geflüchteten und das Lager von al-Mu‘izz. Sie bemächtigten sich sämtlicher Wertsachen wie Gold, Silber, Lebensmittel und Kleidungsstücke. Unter der Beute befanden sich auch mehr als 10.000 Zelte, ungefähr 15.000 Kamele und unzählige Maultiere. Die Soldaten verloren alles.264 Ibn aldūn sagt lediglich, daß die Beduinen die Schätze, das Gepäck und die Zelte von al-Mu‘izz erbeuteten.265 Nach Ibn al-Atīr und anNuwairī waren es Pferde, Zelte und andere Wertgegenstände.266 Brett unternimmt einen sehr interessanten Versuch, zu analysieren, inwieweit die auf beiden Seiten mitgeführten Gegenstände den Ausgang der militärischen Auseinandersetzung beeinflußten.267 Die von den Beduinen gemachte Beute läßt erkennen, daß al-Mu‘izz einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Besitzstandes bei sich hatte. Eine genaue Trennung zwischen den rein persönlichen und militärischen Gegenständen ist jedoch schwierig. Angesichts dieser Tatsachen geht Brett von der durchaus berechtigten Annahme aus, daß der Angriff der Hilāl für al-Mu‘izz, der gerade dabei war sein Lager aufzuschlagen, überraschend kam. In 264 265 266 267

94

Ibn ‘Idārī, I, 290; Halm, Kalifen von Kairo, 374. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 32–33/Berbères, I, 35. Ibn al-Atīr, IX, 568; an-Nuwairī, 24, 215 (nach der ersten Version). Brett, aidarān, 80–81.

der Schlacht von aidarān kam den Beduinen ihr Nomadendasein zugute: sie zogen mit ihren Familien, Kamelen und Zelten umher. Mit dieser recht einfachen Grundausrüstung waren sie stets bereit, ein gut zu verteidigendes Lager zu errichten und von dort aus Angriffe oder andere Raubzüge zu unternehmen. Der Gepäckzug des Ziridenherrschers hingegen beinhaltete lediglich seine persönlichen Reichtümer, an deren Verteidigung seine Armee kein sehr großes Interesse hatte und die im Verteidigungsfall eher hinderlich waren. Über militärisches Gerät verfügte al-Mu‘izz zum Zeitpunkt des beduinischen Angriffs offenbar ebensowenig.

4.4 Rückkehr von al-Mu‘izz nach al-Manūriyya Danach verstreuten sich die Soldaten wieder im Gebirge von aidarān und gruppierten sich neu. Die Bewohner Kairuans wurden darüber nicht informiert. Dennoch warteten die Kairuaner gespannt auf Neuigkeiten. Am dritten Tag des Opferfestes (15. April 1052/12. Dū l-iğğa 443) kamen Ibn Bawwāb und zwei Reiter niedergeschlagen und erschöpft an. Die Menschen überhäuften sie mit Fragen nach dem Zustand von al-Mu‘izz. Die Ankömmlinge berichteten den Menschen, daß es ihrem Herrscher gut gehe, und er in Sicherheit sei. Es dauerte keine Stunde, bis der Prinz und sein Sohn in den Palast von al-Manūriyya zurückkehrten. Danach traf auch eine Anzahl besiegter Soldaten einzeln und in kleinen Gruppen ein. Von einigen erfuhr man, was aus ihnen geworden war, von anderen nicht. Es kursierte das Gerücht, daß die Araber sich zahlreicher anhāğa und anderer bemächtigt hätten.268 Ibn ‘Idārī (nach Ibn Šaraf) sagt, daß die Zahl der besiegten Soldaten 80.000 Reiter betrug.269 Der Sieg der Hilāl inspirierte einen Beduinen-Dichter namens ‘Alī b. Rizq ar-Riyāī zu einer berühmten Qaside270: „Das Bild von Umaima (meiner Geliebten) erschien gegen Mitternacht an meinem Lager. Aber (ich war schon aufgebrochen) und unsere Pferde liefen schnellen Schrittes.

268 Diese Begebenheiten werden nur von Ibn ‘Idārī und teilweise von Ibn Abī Dīnār, Mu’nis, 84, widergegeben; vgl. auch Halm, Kalifen von Kairo, 374 und Poncet, 1967, 1114. 269 Ibn ‘Idārī, I, 290; hier handelt es sich wahrscheinlich um einen Fehler des Kopisten. Richtig müßte es heißen 30.000 Reiter. 270 Erwähnt von Ibn ‘Idārī, I, 290; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33/Berbères, I, 35; an-Nuwairī, 24, 215; Ibn al-Atīr, IX, 568. Ibn aldūn sagt, daß einige das Gedicht Ibn Šaddād zuschreiben. Er sagt aber nicht wer damit gemeint ist und begründet seine Annahme auch nicht weiter. Der Wortlaut des Gedichtes weicht in den einzelnen Quellen etwas voneinander ab. Da der Sinn jedoch der gleiche ist, wird auf den Text nicht weiter eingegangen.

95

Ja, der Sohn von Bādīs ist ein hervorragender König, aber seine Untertanen sind keine Menschen. 30.000 von ihnen wurden von 3.000 Unsrigen geschlagen.“ Aus dem Gedicht geht hervor, daß das Verhältnis zwischen al-Mu‘izz und den Beduinen nicht sehr schlecht gewesen sein kann. Anderenfalls wäre der Ziridenmir nicht so gelobt worden. Mit Untertanen sind zweifellos die Truppenkontingente der anhāğa während der Schlacht bei aidarān gemeint. Sogar den Beduinen blieb nicht verborgen, wie schlecht es um das Verhältnis von al-Mu‘izz zu seinen berberischen Untertanen bestellt war. Der Beduinendichter sieht den Grund für den Ausgang der Schlacht nicht in dem militärischen Können der Beduinen, sondern darin, daß ein großer Teil von al-Mu‘izz’ Armee desertierte. Gewiß erscheint al-Mu‘izz in dem Gedicht in sehr positivem Licht; hierin eine Glorifizierung des Ziridenherrschers zu sehen, wie Brett271 das tut, greift jedoch etwas zu weit. Leider gibt es in den Quellen keinerlei Hinweise auf die von demselben Autor vertretene Ansicht, daß das Gedicht zu Propagandazwecken benutzt wurde.

4.5 Ankunft der Hilāl in Kairuan Da der Sieg den Hilāl den Weg nach Kairuan öffnete, machten sie sich auf den Weg in die Hauptstadt, wo sie ihr Lager aufschlugen. Der erste von ihnen, der sich zu einer kleinen Ortschaft begab, sicherte deren Einwohnern seinen Schutz zu. Er gab ihnen seine Kappe oder einen Zettel, auf denen er sich von ihnen bestätigen ließ, daß er der erste Araber in der Ortschaft war, die von nun an ihm gehörte. Die Einwohner Kairuans lebten zwei Tage in unbeschreiblicher Angst und fragten sich, was sie für ein Schicksal erwarte. Während dieser zwei Tage, an denen die arabischen Reiter in der Umgebung von Kairuan herumstreiften, wagten die Kairuaner nicht, ihre Häuser zu verlassen oder Besuch zu empfangen. Am siebten Tag des Festes (19. April 1052/16. Dū l-iğğa 443) verließ der Emir die Stadt mit seinen Soldaten, und die Kairuaner folgten ihm. Ihm gelang es aber nicht, den Gebetsplatz zu erreichen. Die Araber prangerten die Wachen, die sie den Dorfbewohnern gewährt hatten, an und raubten sie aus. Die Dorfbewohner flüchteten daraufhin nach Kairuan. Der Sultan befahl die Plünderung aller Felder, die Kairuan und abra umgaben. Die Muslime waren darüber erfreut, da sie sie zu ihrem Lebensunterhalt zählten. Am (20. April 1052/17. Dū l-iğğa 443) nä271 Brett, aidarān, 78.

96

herte sich die Kavallerie der Hilāl Kairuan auf drei Meilen. Der Sultan durchschritt die Stadt zu Fuß und ermahnte jeden, wachsam zu sein und zu Hause zu bleiben. Die Häuser wurden in den Verteidigungszustand gesetzt. Auf seinen Befehl hin wurde abra evakuiert und die Läden geräumt. Die Einwohner der Stadt und der Sūq sollten in Kairuan angesiedelt werden. Allen anhāğa und Soldaten, die sich in Kairuan befanden, befahl al-Mu‘izz die Umsiedelung nach abra, deren Geschäfte und Sūqs in Besitz genommen wurden. Diese Maßnahmen riefen einen noch größeren Aufruhr hervor, als das Herausreißen der Holzverkleidung aus den Läden durch die Sklaven und die anhāğa zwecks Verbarrikadierung. Das große Gebäude wurde in einer Stunde zerstört. Die Prosperität der Stadt fand ein jähes Ende. Nach einer Nacht des Schreckens merkten die Einwohner, daß die arabische Kavallerie immer noch da war. Der Sultan verbot den Truppen, auf den Festungsanlagen von abra Position gegen die arabischen Reiter zu beziehen. Poncet begründet das damit, daß alMu‘izz sich ja gerade auf diese Reiter stützte, um sich gegen die Räuber zu schützen.272 Ibn Šaraf berichtet, daß ihm eine vertrauenswürdige Person folgendes erzählt habe: Als er Kairuan verließ, sah er, daß alle Dörfer zerstört und in Brand gesetzt worden waren. Männer, Frauen und Kinder standen entblößt vor ihren Häusern und weinten vor Hunger und Kälte. Kairuan war von jeglicher Lebensmittelversorgung abgeschnitten. Die Sūqs blieben geschlossen. Die Araber ließen ihre Gefangenen wie bei den byzantinischen Kriegsgefangenen nur gegen Lösegeld frei. Die Mittellosen ließen sie für sich arbeiten.273 All diese Faktoren sind für Poncet nicht der Beweis für ein besetztes Land, das versucht, seine Streitkräfte um den Chef zu regruppieren. Es ist vielmehr ein Land, in dem es weder eine politische Ordnung noch eine Polizei gab, weil der wirtschaftliche und gesellschaftliche Zustand gerade dabei war zusammenzubrechen. Bei den plündernden und Lösegeld erpressenden Banden, die Wegelagerei betrieben und den Dorfbewohnern und Grundbesitzern Tribut auferlegten, handelte es sich nicht um organisierte Nomadenstämme, die Land und Weiden suchten, um sich niederzulassen, sondern um Plünderer, die Nutzen aus der Verwirrung zu ziehen versuchten. Diese Plünderer waren in der Regel entlassene Soldaten, Halbleibeigene ohne Land, Arbeitslose oder einfach Aufständische, die sich gegen die Reichen, Großgrundbesitzer, Adeligen und Funktionäre auflehnten, die sie so lange unterdrückt und ausgebeutet hatten. Gerade in den Vororten der Hauptstadt breitete sich diese Anarchie aus. Nach der Schlacht von aidarān 272 Poncet, 1967, 1115. 273 Sämtliche Begebenheiten werden nur von Ibn ‘Idārī, I, 291 überliefert; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 374.

97

kehrten viele Offiziere und Berufssoldaten nicht mehr nach Kairuan zurück, da ihnen die de facto machtlose Regierung keine Perspektiven bieten konnte. Für sie war es offenbar lukrativer, solche Banden von Wegelagerern und Plünderern zu führen.274 Brett stimmt dieser Einschätzung zu und äußert die Vermutung, daß die Araber selbst als Stütze der Ziridendynastie fungierten.275 Trotz der Schäden, die diese Banden ohne Zweifel anrichteten, sieht es nicht danach aus, als seien diese „systematisch“ geschehen. Diejenigen, die für die Plünderungen und Erpressungen verantwortlich waren, versuchten, den maximalen materiellen Gewinn aus der Situation zu erzielen. Idris ist der Meinung, daß nicht extra betont werden müsse, daß die Raubzüge von derartigen plündernden Banden begangen wurden, und hält Poncet vor, damit die von den Hilāl begangenen Schäden zu relativieren.276 Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Poncet unternimmt lediglich den berechtigten Versuch, zu analysieren, wer welche Schäden angerichtet hat, und wie hoch diese waren. Von einer Bagatellisierung kann daher keine Rede sein. An anderer Stelle bekräftigt Poncet noch einmal, daß in den einschlägigen Texten lediglich davon die Rede ist, daß Ifrīqiya Opfer von Plünderungen und Verwüstungen der Hilāl wurde, die für die „Katastrophe“ verantwortlich gemacht werden, da diese am meisten von der Situation profitierten, die nach dem Zusammenbruch des Staates entstand.277 Da diese Auflösungserscheinungen jedoch nicht erst unter den Hilāl eintraten oder von ihnen verursacht wurden, sondern schon spätestens zu Beginn der Regierungszeit des al-Mu‘izz ihren Anfang genommen hatten, trifft die Ziriden an der von Poncet beschriebenen Lage ein Großteil der Schuld. Außerdem wird hier sehr deutlich, daß nicht nur die Beduinen Plünderungen und Wegelagerei betrieben. Der Ziridenemir konnte dieser Lage nicht Herr werden, da er über keine funktionierende Armee verfügte und ihm die nötigen Geldmittel fehlten. Nach Ibn aldūn278 soll al-Mu‘izz sehr hart gegen die Dorfbewohner vorgegangen sein, die wohl oder übel mit den Beduinen zusammenarbeiten mußten. Die Araber belagerten nun al-Mu‘izz in Kairuan. Während dieser langen Zeit verwüsteten sie die nahen Dörfer von Kairuan und verschonten auch nicht die Orte, deren Bewohner mit den Arabern sympathisiert hatten. Auch dieses Beispiel zeigt, wie wenig es den Beduinen um Politik ging. Während die Dorfbewohner der Umgebung nach 274 275 276 277 278

98

Poncet, 1967, 1114–1115. Brett, Fitnat al-Qayrawān, 424. Idris, 1968, 394. Poncet, 1968, 661. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33/Berbères, I, 35.

Kairuan flüchteten, begann die Flucht der Bewohner Kairuans nach Tunis und Sousse.

4.6 Der Vorfall vom Bāb Tunis Die Araber griffen die Menschenmenge, die nur unzureichend mit Waffen ausgerüstet war, vom Bāb Tunis her an. Die Angegriffenen unternahmen also offenbar einen Ausbruchsversuch. Die gut mit Schwertern und Lanzen ausgerüsteten Araber konnten sie ohne große Mühe schlagen. Sie warfen die Toten zwischen die Ziegelöfen und dem Bāb Tunis. Sowohl den Toten als auch den Lebendigen nahm man ihre Kleidung. Für die Beduinen war dieses aus unserer Sicht pietätlose Verhalten jedoch nichts weiter als eine gängige Überlebensstrategie. Als sich die Hilāl zum Anbruch der Nacht zurückzogen, trugen die Kairuaner ihre Toten zusammen. Dabei erhob sich in jedem Winkel Kairuans lautes Klagegeschrei. Die fremden Toten blieben auf dem Schlachtfeld. Die Anzahl der Schwerverletzten war beträchtlich. Die Mädchen hatten sich aus Trauer um ihre toten Brüder und Väter die Köpfe kahlrasiert und die Gesichter geschwärzt. Dergleichen sahen die Leute in den anderen Städten nicht. Wegen dieser Ereignisse lebten die Menschen weiterhin in Angst und Trauer.279 Auf diesen Vorfall vom Bāb Tunis, der nur von Ibn Šaraf überliefert ist, spielt auch Abū -alt an. Tatsächlich ist die Existenz eines Gebetsplatzes in der Nähe vom Bāb Tunis bezeugt. Nach der zweiten Version von an-Nuwairī280 versammelte al-Mu‘izz am 10. Dū l-iğğa 27.000 Reiter. Sie griffen die Araber an, während diese beim Festtagsgebet waren. Die Beduinen unterbrachen daraufhin das Gebet und bestiegen ihre Pferde. Die anhāğa erlitten eine Niederlage. Viele von ihnen wurden getötet. Danach regruppierte al-Mu‘izz die (restlichen) anhāğa und Zanāta. Als die Häuser der Araber in ihrer Sichtweite waren, kamen ihnen 7.000 Reiter der ‘Adī und Zuġba entgegen. Bei der sich anschließenden Schlacht erlitten zunächst die

279 Dieser Vorfall wird nur von Ibn ‘Idārī, I, 292 überliefert; hier endet die von Ibn ‘Idārī wiedergegebene Erzählung von Ibn Šaraf. 280 An-Nuwairī, 24, 215–216; die zweite Version wird eingeleitet durch: qāla: wa-lammā kāna yaum ‘īd an-nar... Aus dem Text geht nicht hervor, wer das Subjekt zu qāla ist. Leider fehlt bei an-Nuwairī in der ersten Version ein Datumshinweis. Das würde wesentlich dazu beitragen, zu verstehen, wie die beiden Versionen im zeitlichen Verhältnis zueinander stehen. Ibn al-Atīr gibt den Text mit fast den gleichen Worten wider. Bei ihm fehlt im Gegensatz zu an-Nuwairī jedoch jeglicher Hinweis darauf, daß er sich hier auf einen anderen Überlieferer stützt. Da ferner bei Ibn al-Atīr in der vorangegangenen militärischen Auseinandersetzung mit den Arabern kein Datum des Aufeinandertreffens genannt wird, sind hier zwei aufeinanderfolgende Schlachten schon eher denkbar als bei an-Nuwairī. Durch diese beiden Punkte gewinnt man bei Ibn al-Atīr den Eindruck, daß es sich um einen aufeinanderfolgenden Ereignisablauf handelt.

99

anhāğa und danach die von Muntair b. azrūn geführten Zanāta281 eine Niederlage. An diesem Tag wurden schätzungsweise 3.300 anhāğa getötet. Al-Mu‘izz blieb jedoch unversehrt und kehrte nach al-Manūriyya zurück. Nach Abū -alt schickte al-Mu‘izz seine drei Schwiegersöhne Ibn Salbūn, Zaknūn b. Wa‘lān und Zīrī a-anhāğī voraus, bevor er sich selbst auf den Weg zu den Arabern machte. Nachdem er seine Truppen gegen die Araber gerichtet hatte, kehrte er nach Kairuan zurück.282 Brett283 sieht in der unversehrten Rückkehr von al-Mu‘izz den Beweis dafür, daß die Flucht nicht sehr schwierig gewesen sein kann. Die Verausgabung der Sklaven für ihren Herrscher wird ebenso dazu beigetragen haben. Aber auch die arabischen Schwiegersöhne von al-Mu‘izz sicherten den Herrscher. Die Araber lagerten in der Nähe von Kairuan. Am 10. Dū l-iğğa erlitten die anhāğa eine Niederlage. Viele von ihnen wurden getötet. Al-Mu‘izz kehrte mit seinen Sklaven nach al-Manūriyya zurück.284 An-Nuwairī und Ibn al-Atīr berichten, daß viele anhāğa im Kampf gegen die Hilāl getötet wurden. Dem stimmt auch Ibn aldūn zu.285 Dies ist allerdings umso erstaunlicher, als Ibn aldūn als einziger Chronist eine militärische Auseinandersetzung zwischen den anhāğa und den Beduinen nicht erwähnt. Die meisten Chronisten sind sich jedoch darin einig, daß die Zahl der getöteten anhāğa 3.300 betrug.286 Da hier allerdings konkrete Datumsangaben vorliegen und die Überlieferer genannt werden, besteht an der Authentizität kein Zweifel. Die letztere Version von an-Nuwairī und Ibn al-Atīr sowie die von Ibn ‘Idārī überlieferte Fassung von Abū -alt weisen erstaunliche Einstimmigkeiten in den Eckdaten auf (10. Dū l-iğğa, Niederlage der anhāğa, Opferzahlen, Rückkehr von al-Mu‘izz nach al-Manūriyya). Daher liegt die Vermutung nahe, daß anNuwairī sich in seiner letzten Version ebenfalls auf Abū -alt stützt. An-Nuwairī (2. Version), Ibn al-Atīr, Ibn Abī Dīnār und Ibn ‘Idārī (n. Abū alt)287 stimmen darin überein, daß die Araber sich dem Gebetsplatz von Kairuan 281 Ibn aldūn gibt die Zahl mit 1.000 an s. o. 282 Ibn ‘Idārī, I, 292. 283 Brett, aidarān, 85. 284 Ibn ‘Idārī, I, 292–293. 285 An-Nuwairī, 24, 215; Ibn al-Atīr, IX, 568; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33/Berbères, I, 35. 286 Ibn ‘Idārī, I, 293; Ibn al-Atīr, IX, 569; an-Nuwairī, 24, 216. Man muß beachten, daß die Zahlenangaben bei an-Nuwairī und Ibn al-Atīr nur in der zweiten Version und bei Ibn alAtīr nur in der von Abū - alt erscheinen. 287 An-Nuwairī, 24, 216; Ibn al-Atīr, IX, 569; Mu’nis, 84; Ibn ‘Idārī, I, 293 spricht lediglich von Kairuan. Auch Abū l-Fidā’, II, 170–171 sagt, daß sich die Araber an dem Gebetsplatz von Kairuan niederließen.

100

näherten. Es kam zu einer Schlacht, und es gab viele Tote zwischen Raqqāda und al-Manūriyya. Man muß jedoch bedenken, daß die beiden Städte im Süden von Kairuan liegen. Die Chronisten sagen nicht, welche Gruppe in al-Mu‘izz’ Armee gegen die Hilāl gekämpft hat. In der vorigen Auseinandersetzung war lediglich von den anhāğa die Rede, von denen auch viele getötet worden waren. Daher liegt die Vermutung nahe, daß sich nun die Sklaven von al-Mu‘izz’ verausgabten. Möglicherweise nahmen auch noch einige von al-Mu‘izz rekrutierte Zivilisten an der Auseinandersetzung teil. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß bei Ibn Šaraf erst die Sklaven und dann die anhāğa kämpften und bei Abū -alt sich das offenbar genau umgekehrt verhielt. Auf den Ausgang der Schlacht hatte das freilich keinen Einfluß. Nach der Niederlage der anhāğa erlitten die Zanāta das gleiche Schicksal. Auch wenn es sehr wahrscheinlich ist, daß die Zanāta unter dem Kommando von al-Mu‘izz kämpften, ist es genauso möglich, daß sie außerhalb von alMu‘izz’ Truppe kämpften. Die Quellen lassen dies offen. In an-Nuwairīs und Ibn al-Atīrs erster Version ist von einer Teilnahme der Zanāta noch keine Rede. Idris hält den Text für fehlerhaft, da er es für eher unwahrscheinlich hält, daß die nomadischen Hilāl eine Stadt wie Kairuan belagern konnten.288 Diese These würde die Hilāl aber von dem Vorwurf ihrer oft unterstellten Zerstörungswut entlasten. Wenn man davon ausgeht, daß die Beduinen dazu nicht in der Lage gewesen sind, wie hätten sie dann in einer Stadt, die sie weder belagern geschweige denn erobern konnten, Zerstörungen anrichten sollen? Die Argumentation von Idris ist allerdings nicht zuende gedacht. Wenn 3.000 Beduinen in der Lage sind, 30.000 Ziriden einschließlich Verbündete zu schlagen, ist es durchaus auch nicht ausgeschlossen, eine derartige Belagerung vorzunehmen. Allerdings übersieht Idris die Tatsache, daß von einer Belagerung Kairuans zu diesem Zeitpunkt in den Quellen gar nicht die Rede ist. Lediglich Ibn aldūn erwähnt eine Belagerung von al-Mu‘izz durch die Araber, nicht jedoch der ganzen Stadt. Daher ist Idris’ Rückschluß auf eine Fehlerhaftigkeit des Textes unbegründet. Allerdings muß man Idris bei seiner Feststellung zustimmen, daß die Beduinen die Ratschläge von Mu’nis befolgt hatten, die Ebenen zu plündern und die Städte zu vernachlässigen, da diese ihnen zu leicht hätten widerstehen können. Das alles läßt vermuten, daß sie ihre Aufmerksamkeit von Kairuan etwas abwandten und die Plünderungen auf den Westen und Nordwesten konzentrierten.289 Halm fügt hinzu, daß die Beduinen gar nicht in der Lage waren, die in den Verteidigungszustand gesetzten Städte Kairuan und al-Manūriyya zu belagern.290 288 Idris, Berbérie Orientale, 220. 289 Idris, Berbérie Orientale, 221. 290 Halm, Kalifen von Kairo, 374.

101

Al-Mu‘izz nutzte diese Tatsache aus und ließ 1052–1053/444 die Befestigungswälle von Zawīla und Kairuan erhöhen. Es ist wahrscheinlich, daß die Befestigungen von abra ausreichend waren, um die Hilāl zurückzuhalten. Kairuan und abra wurden durch zwei Mauern verbunden. Zwischen ihnen lag eine halbe Meile. Kairuan liegt in einer flachen Ebene, die sich bis Tunis erstreckt, im Osten bis Sousse und Mahdia und im Süden bis Sfax. Kairuan liegt einen Tagesmarsch vom östlichen Meer entfernt.291 An-Nuwairī, Ibn al-Atīr, Ibn Abī Dīnār und Ibn ‘Idārī (nach Abū -alt)292 berichten, daß sich al-Mu‘izz angesichts dieser herben Rückschläge 1052–1053/444 entschloß, den Feindseligkeiten ein Ende zu bereiten. Er glaubte, daß die Araber zurückkehren würden und erlaubte ihnen daher sogar, nach Kairuan zu kommen um dort Handel zu treiben. Für Halm293 ist dieser Schritt des al-Mu‘izz ein Hinweis darauf, das dieser den Ernst der Situation immer noch nicht begriffen hatte. Man kann sich vorstellen, wie empört die Kairuaner angesichts dieser Entscheidung des Ziriden gewesen sein müssen. Alle Güter der Hilāl stammten ja aus deren Raubzügen auf ifriqischen Gebiet. Al-Mu‘izz selbst blieb mit dem verbliebenen Rest seiner Soldaten in al-Manūriyya. Die Bevölkerung konnte die Anwesenheit der Beduinen nicht ertragen; sie empfingen die Araber mit Beschimpfungen. Eine Auseinandersetzung zwischen einem Bürger Kairuans und einem Araber soll zu einer blutigen Massenschlägerei geführt haben, der vor allem Kairuaner, aber auch zahlreiche Araber zum Opfer fielen. Aber auch hier behielten die Araber die Oberhand. Dieser Vorfall begrub die Hoffnung von alMu‘izz, die Differenzen zwischen den Hilāl und den Einwohnern Ifrīqiyas friedlich zu bereinigen. Poncet mag vielleicht recht haben, wenn er in diesem Zusammenhang feststellt, daß die wirkliche Gefahr nicht von organisierten HilālStämmen ausging. Sie hier jedoch als diejenigen zu sehen, die Recht und Ordnung, insbesondere gegen derartige Banden, wiederhergestellt hätten, scheint aber gerade bei diesem Vorfall ziemlich fragwürdig.294 Al-Mu‘izz traf Vorbereitungen für die Verteidigung. Er hoffte, daß sich die nur etwa 7.500 Reiter zählenden Hilāl, die aus dem Osten kamen, dorthin zurückziehen würden, woher sie kamen. Daher versuchte er, sich mit ihnen zu arrangieren. Seine Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht.

291 292 293 294

102

Ibn ‘Idārī, I, 293; vgl. auch Halm, Kalifen von Kairo, 374–375. An-Nuwairī, 24, 216; Ibn al-Atīr, IX, 569; Mu’nis, 84; Ibn ‘Idārī, I, 293. Halm, Kalifen von Kairo, 374. Poncet, 1967, 1116.

4.7 Abschließende Betrachtung der Situation in Ifrīqiya nach aidarān Poncet stellt die Frage, welche Verantwortung die Hilāl an dieser Situation trifft. Schließlich hätten sie keinen strategisch wichtigen Ort, auch nicht Kairuan, erobert und wären dazu auch gar nicht in der Lage gewesen.295 Soweit sind sich Idris, Poncet und Brett einig. Brett betont in diesem Zusammenhang den großen Unterschied zwischen Stadt- und Landleben. Die Beduinen, denen die städtische Lebensweise vollkommen fremd war, seien allein aufgrund dieser Tatsache auch gar nicht in der Lage gewesen, eine Stadt zu verwalten.296 Die Hilāl konnten nur deshalb nach Kairuan kommen, weil ihnen kein militärischer Widerstand entgegengesetzt worden war. Ähnlich hatte es sich mit der Inbesitznahme der Zanāta-Häuser in der Region von Barqa verhalten. Ob sie zu einer Eroberung von bestimmten Ortschaften in der Lage gewesen wären, kann man nur mutmaßen. Da es ihnen mit 3.000 Mann jedoch gelang, die zehnmal größere ziridische Armee zu besiegen, kann man das nicht ausschließen. Viel schwerer wiegt jedoch die Tatsache, daß die Beduinen an derartigen Eroberungen kein allzu großes Interesse hatten. Poncet betont, daß die Beduinen auch kein Volk massakrierten.297 Das ist zumindest so weit richtig, als daß dies nicht mit der systematischen Ausrottung mit dem Ziel der Eroberung oder Besiedlung geschah. Zu Massakern kam es lediglich dann, wenn die Beduinen bei ihren Raubzügen auf Widerstand stießen oder angegriffen wurden, wie das bei aidarān und in Kairuan der Fall war. Opfer waren aber zweifellos auf beiden Seiten zu beklagen. Außerdem muß betont werden, daß es bei Kämpfen zwischen den Beduinen und den Bewohnern des Landes fast immer letztere waren, die erstere angriffen, auch wenn man freilich einräumen muß, daß die Beduinen mit ihren Plünderungen oft den Anlaß dazu geliefert hatten. Die Tatsache, daß die Beduinen weder einen militärisch bedeutenden Ort erobert noch irgendeine Bevölkerung massakriert hatten, vermindert nach Idris nicht deren Verantwortung. In diesem Zusammenhang betont er, daß es den Beduinen weniger um Eroberungen als um reichhaltige Beute ging.298 Genau diese Punkte sind aber ein klares Indiz dafür, daß die Anwesenheit der Araber in Ifrīqiya nicht annähernd so negative Auswirkungen gehabt haben kann, wie wenn sie als Eroberer und Besatzer aufgetreten wären. 295 296 297 298

Poncet, 1967, 1115. Poncet, 1967, 1115; Idris, Berbérie Orientale, 220; Brett, Arabisation, 10. Poncet, 1967, 1115. Idris, 1968, 394.

103

Poncet macht darauf aufmerksam, daß die Herrscher von Ifrīqiya in früheren Zeiten in viele kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt waren und viel blutigere Niederlagen erlitten hatten als die von aidarān, ohne daß ihr Staat zusammenbrach. Auch das ist ein Grund, warum man die Schuld an der inneren Lage von Ifrīqiya nicht auf die Beduinen abwälzen kann. Die Hauptursache an dem Verlauf und dem Ausgang der Schlacht von aidarān lag in der schon beschriebenen (Regierungs-)Unfähigkeit des Ziridenemirs al-Mu‘izz.299 Idris bleibt in seinem Fazit ungeachtet all der besprochenen Tatsachen bei der Behauptung, daß die civilisation kairouanaise unter der anhāğa-Dynastie ihren Höhepunkt erreichte und von den Hilāl zerstört wurde.300 Poncet hält Idris zurecht vor, daß er unfähig sei, aus den vielen von ihm zusammengetragenen Fakten zu der Erkenntnis zu gelangen, daß sich der Ziridenstaat während der Regierungszeit von alMu‘izz in einer tiefen Krise befand.301 Poncet betont, daß die Beduinen in einen Staat kamen, der bereits in allen Bereichen krisengeplagt war. Al-Mu‘izz hatte kaum noch die Kontrolle über eine große Zahl seiner Untertanen, viele ifriqische Städte und tributpflichtige Berberstämme wie die Zanāta.302 Mit dem Ausgang der Schlacht von aidarān wurde das Schicksal der anhāğa-Dynastie besiegelt. Die Folge war die Machtverlagerung von den Ziriden auf die Hilāl. Die Ziriden wurden zwar nominell nicht entmachtet, sie waren jedoch kaum mehr als Marionetten der Araber. Bei den innerarabischen Rivalitäten nahmen sie allerdings in der Folgezeit eine nicht unbedeutende Rolle ein. Sämtliche Aktionen und die Verhaltensweise der Hilāl bestätigen, daß diese in erster Linie an möglichst reichhaltiger Beute interessiert waren. Von generellen Zerstörungen oder von einer seitens einiger Chronisten nicht selten unterstellten Zerstörungswut der Hilāl kann keine Rede sein. Auch die Ereignisse von aidarān bestätigen das.

4.8 Aufteilung Ifrīqiyas unter den Hilāl-Stämmen303 Lediglich Ibn aldūn und al-Maqrīzī informieren uns über die Aufteilung der ifriqischen Städte und Regionen durch die Araber. Von Ibn al-Atīr, Abū l-Fidā’ und an-Nuwairī erfahren wir hierüber kaum etwas. Spätestens nach dem arabischen Sieg über die Ziriden in der Schlacht von

299 300 301 302 303

104

Poncet, 1967, 1115. Idris, 1968, 395. Poncet, 1968, 660. Poncet, 1968, 661. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33–34/Berbères, I, 36; at-Tiğānī, 189; al-Maqrīzī, II, 217–218; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 375.

aidarān begannen die Eroberer nach und nach, das Land unter sich aufzuteilen. Halm sieht in dieser Tatsache den Beweis, daß es sich nicht mehr nur um einen beduinischen Beutezug handelt. Die östliche Hälfte übernahmen die Sulaim, während die westliche die Hilāl besetzten. Der Sulaim-Stamm Heib ließ sich mit seinen Verbündeten, den Ruwāa, Nāira und Ġamara in der Region um Barqa nieder.304 (s.u.) Im Jahr 1054–1055/446 teilten die Araber die Städte von Ifrīqiya auf: Die Zuġba bekamen die Stadt und die Provinz Tripolis, wohingegen die Mirdās Riyā Beja und die benachbarten Ortschaften in Besitz nahmen.305 At-Tiğānī informiert uns, daß der Kadi von Tripolis, Muammad b. Fāil, 1052–1053/444 aus Angst vor den Einwohnern floh. Er wurde von Abū Muammad a-arābulusī ersetzt, der bis zu seiner Absetzung 1084–1085/477 im Amt blieb. Eine erneute Aufteilung fand später statt: Die Regionen westlich von Gabes wurden von den folgenden Hilāl-Stämmen in Besitz genommen: Riyā, Zuġba, Ma‘qil, Ğušam, Qurra, Atbağ, Šaddād, ul und Sufyān. Auf diese Weise wurde al-Mu‘izz quasi entmachtet. ‘bid Ibn Abī l-Ġait bemächtigte sich Tunis’ und versklavte die Bewohner. Abū Mas‘ūd bemächtigte sich Bônes, nachdem die Stadt kapituliert hatte. „Diese Aufteilung des Landes unter die arabischen Stämme und Clans markiert einen wichtigen Einschnitt, denn zumindest bei der zweiten Teilung scheint die Regierung in Kairo ihre Hände im Spiel gehabt zu haben. Wahrscheinlich waren die Stämme nach einer ersten, eigenmächtigen Teilung untereinander in Streit geraten, so daß Kairo sich veranlaßt sah, einen Schlichter zu entsenden.“ Halm setzt dessen Mission zeitlich ins Jahr 1053/445 an.306 Der Fatimidenkalif al-Mustanir soll bereits vor der Landnahme Ifrīqiyas durch die Hilāl die Städte unter den Beduinenführern aufgeteilt haben. Ibn aldūn bemerkt, daß al-Mustanir den Führern der Hilāl während deren Invasion in Ifrīqiya das Kommando über die einzelnen ifriqischen Städte und Festungen sowie die noch zu erobernden Provinzen übertragen hat. So wurden Kairuan und Beja Mu’nis zugeteilt. Constantine war für asan b. Sarān und Tripolis und Gabes für die Zuġba gedacht. Idris hält das jedoch für eine nachträgliche Legitimation für weitere Eroberungen.307 Außerdem stimmen alle Quellen darin überein, daß es al-Yāzūrīs Idee war, die Hilāl nach Ifrīqiya zu lassen. 304 305 306 307

Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 31/Berbères, I, 34. Ibn aldūn nennt kein Datum. Al-Maqrīzī, II, 217; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33–34/Berberes, I, 36. Halm, Kalifen von Kairo, 375. Idris, Berbérie Orientale, 210.

105

Al-Yāzūrī ließ den klugen Makīn ad-Daula, einen Würdenträger des Staates, kommen und sandte ihn mit kostbaren Ehrengewändern und zahlreichen Geschenken zu den Zuġba und Riyā. Er hatte den Auftrag, unter ihnen Frieden zu stiften, die Blutgelder, die unter ihnen fällig waren, auf seine Rechnung zu nehmen und ihnen eine Vergrößerung ihrer Lehen (iqā‘āt) zu versprechen. Als er das ausgeführt hatte, schickte er sie gegen al-Mu‘izz und gab ihnen dessen Territorien preis.308 Wie dieses Land dann unter den Hilāl aufgeteilt würde, dürfte für die Fatimiden relativ bedeutungslos gewesen sein. Daher ist es durchaus möglich, daß sich die Beduinen diesbezüglich zumindest zu Anfang untereinander verständigten, ohne die Fatimiden einzubeziehen. Man muß davon ausgehen, daß Kairo vor allem deshalb in die Gebietsaufteilungen eingriff, weil die Zerstrittenheit der Beduinen hinsichtlich der Aufteilung des Landes die Mission der Fatimiden gefährden konnte. Nachdem die Aufteilung unter den Beduinen dann endgültig abgeschlossen war, war von einem erneuten Eingriff der Fatimiden in Territorialfragen Ifrīqiyas keine Rede mehr. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit sich die Hilāl bei der Aufteilung des Landes Vorschriften von den Fatimiden hätten machen lassen. Nachdem die Araber die Städte der anhāğa besetzt hatten, errichteten sie ihre Herrschaft über die Orte, die ihnen der Kalif zugeteilt hatte. Ibn aldūn führt weiter aus, daß sie auf ihre neuen Untertanen „jede nur erdenkliche Art von Schikane und Tyrannei ausübten.“ Tatsächlich hätten die Araber niemals ein führungsfähiges Oberhaupt gehabt. Nachdem sie die Bewohner der großen Städte durch ihre „Anmaßung und Ungerechtigkeit“ vertrieben hätten, hätten sie sich der Dörfer bemächtigt. Dort unterdrückten sie angeblich „noch heute“ deren Bewohner, plünderten, raubten Reisende aus und „plagen das Land durch ihren Geist des Straßenraubes bis in die heutige Zeit“.309 Allein schon bei einer derartigen Wortwahl muß man die Objektivität von Ibn 308 Al-Maqrīzī, II, 215; Halm, Kalifen von Kairo, 375. 309 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 42/Berbères, I, 44. Hier tritt wieder das Phänomen hervor, daß die französische Version wesentlich dramatischer und unsachlicher erscheint als der arabische Originaltext: Ces Arabes...firent subir...à leurs nouveaux sujets toute espèce de vexations et de tyrannie...Expulsés bientôt après des grandes villes, dont ils avaient poussés à bout les habitants par leur insolence et leur injustice, ces bandits allèrent s’emparer des campagnes; et là, ils ont continué, jusqu’à nos jours, à opprimer les populations, à piller les voyageurs et à tourmenter le pays par leur esprit de rapine et de brigandage. fa-lammā...malaka kull mā ‘aqada lahū summiyat ar-ra‘āyā bi-l-amār ‘asfahum wa-‘aitahum bi-itilāf alaydī...fa-tārū bihim wa-arağūhum min al-amār wa-ārū ilā mulk a-awāī wa-t-taġallub ‘alaihā wa-ifsād as-sābila... Aus dem arabischen Originaltext geht an dieser Stelle nicht hervor, daß die Araber keine Führer hatten, die ihren Verpflichtungen nachkamen.

106

aldūns Aussagen stark bezweifeln. Wenn die Araber keine führungsfähigen Chefs gehabt hätten, wären sie nicht in der Lage gewesen, sich so lange in Ifrīqiya zu halten und so wichtige Schlachten wie die von aidarān und Sabība zu gewinnen. Halm sieht in der Mission des Makīn ad-Daula die Bestätigung, daß die Regierung in Kairo das Heft wieder in die Hand nahm und den Erfolg der Beduinen für sich auszunutzen suchte. Ein zufällig erhaltenes Dokument berichtet über einen Brief al-Mustanirs an den Herrscher des Jemen, in dem er sich des Sieges der Zuġba und der Riyā über den Ziriden rühmt; dabei erwähnt er die Mission des Makīn ad-Daula, „um die Herzen der Beduinen zu besänftigen“, sowie die Einnahme von Gabes: „dann eroberte er das befestigte Gabes und richtete dort auf den Kanzeln die prophetische Mission auf, und er schlug Gold- und Silbermünzen nach Mustanirscher Prägung.310 Die starke Zurückhaltung der Fatimiden hinsichtlich der Aufteilung Ifrīqiyas unter den Beduinenstämmen zeigt, daß die Fatimiden in erster Linie daran interessiert waren, die Ziriden abzustrafen und eventuell zu entmachten. Was an deren Stelle treten würde, war ihnen relativ gleichgültig. Ein fatimidisches Konzept für ein postziridisches Ifrīqiya wird von den Quellen jedenfalls nicht überliefert.

310 Halm, Kalifen von Kairo, 375.

107

5. Ifrīqiya nach den Ereignissen von aidarān Die Zeit zwischen den Schlachten von aidarān und Sabība war von großer politischer Instabilität gekennzeichnet. Im April–Mai 1053/afar 445 ernannte alMu‘izz seinen Sohn Tamīm zum Gouverneur von Mahdia, ohne vorher diejenigen um Rat gefragt zu haben, die ihn davon abbringen wollten, da Tamīm angeblich eine Revolte geplant hatte. Die alte Hauptstadt Mahdia auf der felsigen Halbinsel, deren nur 175 m breiter Hals schwer befestigt war, sollte noch einmal als Fluchtburg und letztes Refugium hergerichtet werden. Unterdessen begann alMu‘izz mit dem Umzug seiner Familie und der Transferierung seiner Schätze nach Mahdia.311 Die Plünderung Ifrīqiyas setzte sich mit unverminderter Härte fort. 1053– 1054/445 fielen die Städte Ubba und al-Urbus. Die Zuġba und Riyā umlagerten Kairuan. Mu’nis schlug sein Lager vor den Mauern der Stadt auf. Er sicherte den Mitgliedern der ziridischen Familie jedoch seinen Schutz zu und geleitete sie nach Gabes und anderen Orten. Die Araber hatten ganz Qasīliya unter ihrer Kontrolle. Einer ihrer Anführer, ‘Ābid b. Abī l-Ġait, unternahm eine Razzia gegen die Zanāta und Maġrāwa, bei der er reiche Beute machte.312

5.1 Zentrifugale Bestrebungen in den ifriqischen Städten

313

5.1.1 Überblick Ibn aldūn314 hat in einem Kapitel Informationen über eine Reihe lokaler Führer zusammengestellt, die aus der allgemeinen Anarchie Nutzen gezogen und sich verschiedener Orte im nördlichen Ifrīqiya bemächtigt hatten. Diese Informationen betreffen den Zeitraum zwischen der Hilāl-Invasion und der almohadischen Eroberung. Es ist jedoch schwierig, eine chronologische Ordnung hineinzubringen. Tamīm und seine Nachfolger haben allerdings nie versucht, Territorien zu erobern, die im Nordwesten von Tunis lagen, da sie kein Geld für derartige Expansionen hatten; sie konzentrierten sich auf andere Gegenden. Das erleichtert ein wenig den Versuch, eine zeitliche Aufeinanderfolge der Ereignisse zu erreichen. 5.1.2 Die Situation in Kairuan, Tozeur, Gafsa und Sousse Tozeur, Gafsa und Sousse revoltierten gegen die Zentralregierung, die nicht mehr in der Lage war, sie zu beschützen. Ibn ‘Idārī und Ibn aldūn sind die beiden 311 312 313 314

108

Ibn ‘Idārī, I, 293; Ibn al-Atīr, IX, 569; Mu’nis, 84–85; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 375. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33/Berbères, I, 36. Ibn aldūn, Ibn ‘Idārī, at-Tiğānī, vgl. Idris, Berbérie Orientale, 222–224. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 345–348/Berbères, II, 39–43.

Chronisten, die recht ausführlich über die zentrifugalen Bestrebungen der wichtigsten ifriqischen Städte berichten. Von den anderen Chronisten erfahren wir darüber fast gar nichts. Während der gesamten ziridischen Periode schien Tozeur von der einflußreichsten Familie der Stadt, den Banū Yamlūl, regiert worden zu sein. Diese Familie war tanū idischen Ursprungs und umfaßte die Banū Waās, die Banū Furqān, die Banū Mārida315 und die Banū ‘Awd. Bei der Hilāl-Invasion drängte der Chef des Rates von Tozeur, Yayā b. Waās, die Bewohner von Qasīliya dazu, die Autorität der Ziriden zu verwerfen und die Hammadiden anzuerkennen. Wahrscheinlich lag dieser Suzeränitätswechsel, über den sonst nichts bekannt ist, zeitlich vor der Unterwerfung Tozeurs unter das Emirat von Gafsa.316 Gafsa wurde zum Zeitpunkt der Hilāl-Invasion von ‘Abdallāh b. Muammad b. ar-Rand regiert. Seine Familie stammte aus Djerba. Nach dem hafsidischen Historiker Ibn Na īl, der von Ibn aldūn zitiert wird, gehörte er zum MaġrāwaStamm der Izmartan. Es gelang ihm, sich an der Macht zu halten und trug zur Ruhe im Land und der Sicherheit der Reisenden bei, indem er den Arabern Tribut zahlte. 1053–1054/445 erklärte er sich für unabhängig. Ihm gelang die Unterwerfung des größten Teils der Städte von Qasīliya wie Tozeur, Nafta, Taqyūs, āmma usw., und er gründete so die Kleindynastie der Banū r-Rand. Viele Dichter und Gelehrte verkehrten an seinem Hof. Er starb 1072–1073/465.317 1051–1052/442 legten Kairuan und Sousse ihre Streitigkeiten zwar bei. 1053– 1054/445 jedoch revoltierten die Einwohner von Sousse gegen al-Mu‘izz und verweigerten die Zahlung von Tribut, indem sie vorgaben, daß sie das Geld zur Verteidigung der Stadt benötigten. Als die Schwester des Prinzen in Sousse starb, konfiszierten die Bewohner von Sousse deren Erbe und weigerten sich, es alMu‘izz zukommen zu lassen. Dieser sandte daraufhin Botschafter nach Sousse. Die Einwohner der Stadt gaben ihnen zu verstehen, daß sie nicht beabsichtigten, diese Reichtümer zurückzugeben. Statt dessen wollten sie ihnen helfen, den Emir zu schlagen. Al-Mu‘izz sandte eine Flotte von Mahdia, die in den Hafen von Sousse eindrang. Dort zündete sie 60 Schiffe an, die größtenteils den Einwohnern gehörten. Letztere mißhandelten aus Rache die in Sousse lebenden Kairuaner und bemächtigten sich ihrer Güter. Danach sandte al-Mu‘izz eine 100 Reiter zählende Truppe, die die Aufgabe hatte, seine Flotte zu unterstützen, um Mahdia zu Lande und zu Wasser umzingeln zu können. Ein seltsamer Zufall brachte es jedoch mit sich, daß an dem Tag, an dem die Truppe losmarschierte, eine dem sizilianischen 315 ‘Ibar: Mara, später: Banū Marwān; Berbères: Mareda. 316 Ibn aldūn, Berbères, III, 141. 317 Ibn aldūn, Berbères, II, 33; Mu’nis, 83–84.

109

Emir Ibn at-Tumna gehörende Flotte an Sousse vorbeisegelte. Die davon verschreckte ziridische Flotte beschloß daher, ohne Wissen von al-Mu‘izz nach Mahdia zurückzukehren. Als die Soldaten ankamen, erfuhren sie von dem Aufbruch der ziridischen Flotte. Die Einwohner von Sousse und die Araber der Umgebung ließen sie in die Stadt, erdolchten sie anschließend und stellten ihre Köpfe auf den Befestigungswällen zur Schau. Diejenigen, die dem Massaker entkamen, hatten das der Tatsache zu verdanken, daß ihre mangelhafte Ausrüstung ihnen es nicht erlaubt hatte, sich ihren Kameraden anzuschließen. Als sie gewarnt wurden, was sich abspielte, konnten sie noch die Flucht ergreifen.318 Sousse wurde von einem Rat regiert.319 Die dortigen Meinungsverschiedenheiten waren bedeutender als diejenigen in Tozeur oder Gafsa, wo die Zentralgewalt nur geringen Einfluß hatte. Der Rat bestand aus einer Versammlung von Notabeln, die sich um kommunale Angelegenheiten kümmerten. Im Falle von Niederlagen verhandelten sie mit den Eindringlingen, um die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Diese Organisation erinnert an die der berberischen ğamā‘a. Ibn Bassām informiert über die Streitigkeiten, die in Sousse wahrscheinlich Anfang 1055/446 ausbrachen. Diese Passage, die wahrscheinlich von Ibn Rašīq entlehnt wurde, zeigt, daß ein abbasidischer Botschafter, Abū l-Fal ad-Drim, Kairuan verließ. Er begab sich nach Sousse, dessen Einwohner ihn achtungsvoll behandelten. Er verließ sie, nachdem er Zwietracht zwischen ihnen gesät hatte, die zur Spaltung in zwei Lager führte: die Qaisiten und die Yamaniten. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden sollte bis zum letzten Moment dauern. Die beiden Parteien bekämpften sich, bis Tamīm sie später unterwarf. Abū l-Fal verkehrte einige Jahre in der Region und begleitete Bulukkīn b. Muammad b. ammād auf dessen Expeditionen. Danach verließ er die Region Richtung Denia.320

5.1.3 Revolte in Sfax 321 Der von al-Mu‘izz als Gouverneur von Sfax eingesetzte al-Manūr Afrūm al-Barġawāī strebte nach der Flucht von al-Mu‘izz nach Mahdia die Unabhängigkeit an. Zu diesem Zweck schloß er sich den Arabern an. Einer seiner Cousins, ammū b. Mallīl, ermordete ihn jedoch bald darauf und trat am 11. November 1059/2. Šawwāl 451 an seine Stelle. Die mit al-Manūr b. al-Mu‘izz verbündeten 318 319 320 321

110

At-Tiğānī, 21–22; Ibn ‘Idārī, I, 293. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 22. Idris, Berbérie Orientale, 224. At-Tiğānī, 50–51; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 22, 38; Ibn ‘Idārī, I, 294, 299; an-Nuwairī, 24, 217.

Araber belagerten ammū daraufhin in Sfax, allerdings nicht weil sie auf Rache sannen, sondern weil sie Geld wollten. ammū kam diesem Willen nach. Auf diese Weise arrangierte er sich mit ihnen und konnte sie somit in seine Dienste stellen. ammū erklärte sich daraufhin für unabhängig. ammū b. Mallīl erkannte im Gegensatz zu al-Mu‘izz sehr schnell, daß es den Arabern hauptsächlich um materielle Güter ging und weniger um politischen Einfluß. Er stellte sich auf diese Begebenheiten ein. Daher gelang es ihm im Gegensatz zu al-Mu‘izz auch ohne Probleme, sie für seine Ziele einzuspannen.

5.1.4 Die Lage in den übrigen Städten 322 Der Widerwillen der Bewohner Ifrīqiyas gegen das hochmütige Auftreten der Nomaden rief Vorfälle hervor wie 1052–1053/444 in Kairuan. Ibn aldūn gibt die mit Abstand ausführlichsten Informationen über die Lage in den ifriqischen Städten. Leider fehlen bei diesem Chronisten auch hier meistens Zeitangaben. Abhilfe schaffen hier teilweise Ibn ‘Idārī und Ibn al-Atīr. 1061/453 drangen die Araber in das zwischen Tozeur und Gafsa gelegene Taqyūs ein, worauf es zu Auseinandersetzungen zwischen den Invasoren und der Bevölkerung kam. Als einer der Araber einen örtlichen Führer tötete, weil dieser al-Mu‘izz gelobt hatte, gingen die Einwohner von Taqyūs auf die Eindringlinge los und töteten 250 von ihnen. Ein Vertreter aus der Familie der La miden namens Abū r-Rağā’ al-Ward alLa mī richtete sich in der Festung Qarīša ein, die im Ğabal Šu‘aib zwischen Beja und Bizerte lag. Er sammelte Abenteurer um sich und zwang die Dorfbewohner in der Umgebung von Bizerte Tribut zu zahlen, damit sie vor dessen Angriffen sicher waren. Diese Situation hielt so lange an, bis sich die in zwei rivalisierende Lager gespaltenen Bewohner der Stadt schließlich darauf verständigten, den La miden als Herrscher anzuerkennen. Einer dieser Teile bestand aus La miden. Da die Banū Muqaddam, ein Zweig der Atbağ, und die Dahmn, ein Riyāidenzweig, die umliegenden Ebenen erobert hatten, schloß der La mide Frieden mit ihnen, indem er ihnen Tribut zahlte. Er nahm den Titel „Emir“ an. Unter seiner Herrschaft erlebte die Stadt eine Blütezeit. Er ließ zahlreiche öffentliche Gebäude errichten. Nach dem Tod des La miden ging die Herrschaft an seine Nachkommen über, bis der Sohn des Almohadenherrschers ‘Abd al-Mu’min gegen 1157– 1158/552 das Gebiet unterwarf.

322 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 345–348/Berbères, II, 31, 40–43; Ibn ‘Idārī, I, 295; Ibn al-Atīr, IX, 569–570. Die letzten beiden Chronisten berichten lediglich über die Affäre von Taqyūs.

111

Die Bevölkerung der zwischen Beja und Bizerte gelegenen Stadt Warġa323 gehörte zum Stamm der Zātīma und war in zwei feindliche Lager geteilt, die Aulād Madanī und die Aulād Lāiq. Warġa war eine befestigte Stadt, die von Beja abhängig war. Badūkas324 b. Abī ‘Alī a-anhāğī war einer der Offiziere, die den Hammadiden al-‘Azīz b. al-Manūr gewählt hatten; seine Schwester war mit al-‘Azīz verheiratet. Infolge eines Sieges jedoch, den beide über die Araber errungen hatten, beanspruchte Badūkas das Verdienst für sich und behauptete, daß sich der Hammadide feige verhalten hätte. Al-‘Azīz fühlte sich in seiner Ehre verletzt. Badūkas floh auf den Rat seiner mit al-‘Azīz verheirateten Schwester nach Beja, dessen Scheich Mamūd b. Yazāl ar-Rab‘ī ihn freundlich empfing. Schließlich waren beide Lager von Wara die ständigen Streitigkeiten leid und baten Mamūd, die Ordnung wieder herzustellen. Dieser schickte Badūkas mit der Aufgabe, zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. Badūkas ließ zweifelhafte Leute in die Festung von Warġa kommen, die oft in der Umgebung verkehrten. Er verbündete sich durch Heirat mit den Aulād Madanī und half ihnen bei der Vertreibung der Aulād Lāiq. Als er Herr von Warġa geworden war, warb er Männer an, bildete ein Korps von 500 Reitern und verwüstete die Umgebung. Die Banū l-Ward, Herren von Bizerte und Ibn ‘Allāl aus dem nordwestlich von Tunis gelegenen Tebourba unterstützten ihn bei seinen Angriffen, denen u.a. der Emir der riyāidischen Banū Sa‘īd zum Opfer fiel. Da die Festung schon bald zu eng für seine immer zahlreicher werdenden Untertanen wurde, ließ Badūkas eine Vorstadt bauen. Der Hammadide al-‘Azīz sandte eine Armee gegen ihn, die seiner habhaft werden konnte. Der gefangene Badūkas starb wenig später. Die Banū Sa‘īd wollten sich für den Tod ihres Führers an Badūkas’ Sohn Manī‘ rächen und belagerten ihn in der Festung. Bei der Erstürmung der Festung verlor Manī‘ sein Leben. Ein Teil seiner Familie erlitt dasselbe Schicksal, während ein anderer Teil versklavt wurde. Einer der Scheichs von Tebourba, Mudfi‘ Ibn ‘Alll al-Qaisī, machte sich im Zuge der Hilāl-Invasion mit Hilfe seiner Familie und seiner Untertanen zum Herrn dieser Stadt. Ein La midenführer aus der Nachbarschaft griff ihn an. Der Krieg zwischen beiden hielt lange Zeit an. Ibn aldūn sagt nicht, wie diese Auseinandersetzung ausging. Der Riyāide Muriz b. Ziyād von den Banū Fādiġ b. ‘Alī richtete sich in der Umgebung von Tunis in den Ruinen von Karthago in al-Mu‘allaqa (La Malga) ein. Ein Zirkus, dessen Arkaden die Küste beherrschten, diente ihm als Bergfried. Diese improvisierte Zitadelle wurde von einer Mauer geschützt. Die Bewohner 323 ‘Ibar: Warġa/Berbères: Zera. 324 In den ‘Ibar teilweise Badūkas und Aduskan, in Berbères Barougcen.

112

von Tunis waren mit der Eroberung von Muriz so unzufrieden, daß sie ihm den Krieg erklärten. Es folgte eine Reihe von Schlachten, bei denen mal die eine und mal die andere Seite Erfolg hatte. Muriz war treuer Verbündeter von Tamīm. Als sich die Almohaden näherten, kämpften die Einwohner von Tunis und Muriz gemeinsam gegen sie. Ein anderer Abenteurer, Qahrūn b. Ġannūš, richtete sich in Manzil Damūn ein und baute dort eine Festung, wo er eine aus verschiedenen Stämmen zusammengesetzte Truppe einquartierte. Qahrūn gelang es zunächst, wahrscheinlich vor dem Regierungsantritt der urasaniden, zum Gouverneur von Tunis zu werden. Wegen seiner schlechten Führung wurde er jedoch aus der Stadt vertrieben. Er verwandelte die Bogengänge des Aquäduktes von Manzil Damūn in eine Festung, richtete sich dort mit verschiedenen Stammesangehörigen ein und machte die Umgebung von Tunis unsicher. Dank der Hilfe von Muriz b. Ziyād gelang es den Bewohnern von Tunis ihn loszuwerden. Qahrūn gelang jedoch die Flucht zu Ibn ‘Allāl, der ihn in einer seiner Festungen, welches von da an Qal‘at Ġannūš hieß, unterbrachte und seine Tochter heiratete. Beide unternahmen gemeinsame Raubzüge. Ihre Kinder taten es ihnen nach, bis der Almohade ‘Abd al-Mu’min dem 1159/554 ein Ende bereitete. Bei einer späteren Schlacht bei Kairuan fiel Muriz in die Hände der Almohaden und wurde getötet. Ein anderer la midischer Räuberhauptmann namens ammād b. alīfa alLa mī ließ sich in Zaġwān, welches eine Tagesreise von Tunis entfernt liegt, im Manzil Raqūn nieder und begann von dort seine Raubzüge. Sein Sohn machte es ihm bis zur Ankunft der Almohaden nach. An der Spitze von Vagabundierern verschiedener Stämme richtete sich ein gewisser ‘Ayyād al-Kalā‘ī in El-Kef ein, das er erfolgreich gegen die Araber verteidigte. Da der Scheich von Laribus, Ibn Qalīh325, ihn aufgefordert hatte, ihm die Hilāl auszuliefern, vertrieb ‘Ayyād sie aus Laribus. Er legte den Einwohnern einen jährlichen Tribut auf, den er bis zu seinem Tod eintrieb. Sein Sohn trat seine Nachfolge an und folgte seinem Beispiel bis zur almohadischen Eroberung. Abgesehen von Tunis, das wegen seiner Bedeutung Ort ständiger Auseinandersetzungen zwischen Hammadiden und Ziriden war, konzentrierte sich die ziridische Politik im Süden von Kairuan, besonders entlang der Küste zwischen Sousse und Tripolis. Daher ist über die Geschehnisse auf der Halbinsel Cap Bon und die von Zaġwān und Kairuan eingeschlossene Region kaum etwas bekannt. Durch die Wendung der Dinge, die den wüstenvertrauten anhāğa-Berbern immer mehr Land nahm, waren sie oft gezwungen, auf das Meer auszuweichen.

325 In Berbères, Ibn Fatata.

113

5.1.5 Schlußfolgerung Der Vorfall von Taqyūs zeigt, daß sich Einheimische und Invasoren noch längst nicht miteinander arrangiert hatten. Deutlich wird hieran aber auch, daß nicht grundlos oder wahllos gemordet und geplündert wurde. Auch die Zahl 250 ist wieder mit Vorsicht zu genießen. Es muß betont werden, daß zu dieser Zeit Auseinandersetzungen dieser Art nichts Ungewöhnliches waren. Das Beispiel der La miden zeigt, daß die Loslösung von den Ziriden nicht zwangsläufig zu Instabilität und Chaos führen mußte, wie das von den Historikern sehr oft suggeriert wird. Wenn sich ein Herrscher als geeigneter erweist, die Geschicke eines Landes, einer Region oder einer Stadt zu leiten, so sollte die Loslösung von den ursprünglichen Herrschern nicht negativ bewertet werden. Die reine Annahme des Emir-Titels zog jedoch keinerlei Konsequenzen nach sich. All diese Ereignisse zeigen, daß man die feierliche Versöhnung zwischen Sousse und Kairuan von 1051–1052/442 nicht überbewerten darf. Halm weist daraufhin, daß sich im Süden des heutigen Tunesien die Herrschaft der Ziriden 1053 völlig auflöste.326 Insbesondere die Situation in so wichtigen Städten wie Sousse, Gafsa und Tozeur bestätigt das. In den meisten ifriqischen Städten rissen lokale Herrscher die Macht an sich und verwarfen teils explizit die Autorität des Ziridenemirs wie im Fall von Qasīliya, teils erklärten sie sich einfach für unabhängig, ohne auf die Ziriden bezug zu nehmen, wie das bei ‘Abdallāh b. Muammad b. ar-Rand der Fall war. Sehr oft übten die lokalen Herrscher aber auch ohne irgendwelche Erklärungen oder Bezugnahme auf die Ziriden die Macht wie ein souveräner Herrscher aus wie im Fall des Abū r-Rağā’ al-Ward al-La mī. Das bestätigt noch einmal, wie bedeutungslos die Ziriden zu diesem Zeitpunkt waren. Der Grund für das Handeln der lokalen Herrscher war sehr oft von finanziellen Notwendigkeiten bestimmt. Warum sollten die Stadtoberen Steuern an einen Ziridenherrscher abführen, der de facto keine Macht hatte und weder in der Lage war, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, noch die Steuern einzutreiben? Gerade das Beispiel von Gafsa zeigt, daß die Unterwerfung unter die Araber sogar zu mehr Ordnung und Sicherheit führen konnte als es unter den Ziriden der Fall war. Aus all dem folgert Idris, daß die Zersplitterung und die Anarchie des nördlichen Ifrīqiya gravierender war als je zuvor, und daß seit mehr als einem Jahrhundert keine Anstrengungen unternommen wurden, um dem ein Ende zu setzen. Damit gibt er aber zu, daß an dieser Situation die Hilāl nicht schuld sein konnten, sondern allein die Ziriden hierfür die Verantwortung trugen. Idris vertritt die Meinung, daß es den Hilāl nicht gelang, auch nur eine wichtige Ortschaft im strengen Sinne zu erobern; selbst in Beja sei der Einfluß des mächtigen Mu’nis lediglich 326 Halm, Kalifen von Kairo, 375–376.

114

vorübergehend gewesen. Die Beduinen begnügten sich im ganzen damit, in den Ebenen zu lagern und den Stadt- und Dorfbewohnern einen Tribut aufzuerlegen. Es ist allerdings sehr fraglich, ob die Beduinen, die noch nicht einmal in der Lage gewesen sein sollen, größere Ortschaften zu erobern, fähig gewesen waren, derartige Tributzahlungen wirklich durchzusetzen und einzutreiben. Es fällt auf, daß die Beduinen auf die Unabhängigkeitserklärungen der einzelnen Städte nicht reagiert haben. Ausgenommen waren lediglich diejenigen Städte, die zum Gegenstand innerziridischer Auseinandersetzungen wurden, in die die Araber mit hineingezogen wurden, wie im Falle von Sfax und Warġa, deren Erstürmung nur deshalb geschah, weil sich die Araber für den gewaltsamen, aber nicht beabsichtigten Tod des riyāidischen Emirs der Banū Sa‘īd rächen wollten. Lediglich Taqyūs und El-Kef wurden ohne die Einflußnahme der Bewohner oder der örtlichen Führer von den Arabern angegriffen.

5.2 Ziridisch–hilalische Eheschließungen 327 Insbesondere von Ibn ‘Idārī und Ibn aldūn erfahren wir etwas über die Heiratspolitik des al-Mu‘izz. Obwohl versucht worden war, Heiraten zwischen ziridischen Mädchen und Hilāl-Emiren zu schließen, scheint es, daß diese erst zwei Jahre später zustande kamen, als der arabische Druck auf Kairuan wuchs. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, gab al-Mu‘izz dem Araberemir Mu’nis nach dem ersten Treffen der beiden Führer seine Tochter zur Frau, um ihn an die Ziridendynastie anzubinden und die Beduinen in seine Armee einzugliedern. AlMu‘izz hatte seinerzeit dieses Ziel verfehlt. Zu jenem Zeitpunkt war al-Mu‘izz jedoch noch nicht annähernd so stark in Bedrängnis gewesen, wie nach aidarān. Jetzt, nach dem Desaster von aidarān, unternahm der so stark in die Enge getriebene al-Mu‘izz einen zweiten Versuch, mit Hilfe seiner zuvor mißglückten Heiratspolitik die politische Lage in Ifrīqiya zu stabilisieren und seine eigene Macht zu erhalten. Er verheiratete drei seiner Töchter mit den arabischen Emiren Fāris b. Abī l-Ġait, ‘bid b. Ab l-Ġait, Bruder von letzterem, sowie al-Fal b. Abī ‘Alī al- Mirdāsī.328 Das Eingehen von Verwandtschaftsverhältnissen zwischen den Ziriden und Beduinen auf höchster Ebene hat die von al-Mu‘izz erhoffte Wirkung verfehlt. Der Ziridenemir hat mit seiner Heiratspolitik allenfalls erreichen können, daß er nominal weiter regieren konnte. Ferner war es gerade in dieser Zeit der Anarchie von sehr großem Vorteil für al-Mu‘izz, daß er unter dem Schutz der wichtigsten 327 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36; ders., ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 21; at-Tiğānī, 236, Ibn ‘Idārī, I, 297; vgl. Halm, Kalifen von Kairo, 376. 328 Lediglich Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36 nennt die Namen der Schwiegersöhne.

115

Araberführer in Ifrīqiya stand. Die Quellen berichten leider nicht, ob sich die von al-Mu‘izz initiierte Heiratspolitik auch auf unterer Ebene verbreitete. Da das Verhältnis zwischen der ifriqischen Bevölkerung und den Beduinen jedoch nicht besonders gut war, ist das allerdings eher unwahrscheinlich.

5.3 Rückkehr zur fatimidischen Suzeränität Etwa zeitgleich mit der Wiederaufnahme der Heiratspolitik wechselte der verzweifelte al-Mu‘izz erneut die Front. Er verwarf die Autorität der Abbasiden und erkannte nun wieder die Fatimiden als Oberherren an. Die Verwerfung der fatimidischen Suzeränität hatte besonders in der Prägung sunnitischer Münzen ihren Ausdruck gefunden. Um 1057–1058/449 ließ al-Mu‘izz nun bis zu seinem Tod von neuem Dinarmünzen schiitischen Typs prägen, auf denen der Name des Fatimidenkalifen al-Mustanir erwähnt wurde. Al-Mu‘izz’ Nachfolger Tamīm tat es ihm zumindest bis 1066–1067/459 nach.329 Andere ziridische Münzen nach diesem Datum sind nicht bezeugt. Wenn die zwei unter ammū b. Mallīl in Sfax geprägten Münzen, die eine 1057–1058/449 und die andere 1068–1069/461, sunnitischen Typs sind, dann ist das darauf zurückzuführen, daß ammū gegen die Ziriden revoltierte. Auf der anderen Seite soll nach einem Kadi des Abbasidenkalifen al-Qā’im al-Mu‘izz bis zum 4. Dezember 1054/1. Ramaān 446 den Abbasidenkalifen anerkannt haben. Ibn Bassām, der sich wahrscheinlich auf Ibn Rašīq stützt, liefert das exakte Datum der ziridischen Rückkehr zur fatimidischen Suzeränität. Nachdem er über die Ankunft des abbasidischen Botschafters Abū lFal ad-Dārimī in Kairuan 1047–1048/439 gesprochen hat, fährt Ibn Bassām fort: Im Jahr 1054/446 sprach al-Mu‘izz die uba im Namen des Souveräns von Kairo und verwarf die Abbasiden. Der dadurch zur persona non grata gewordene Abū l-Fal floh nach Sousse und anschließend in den Zentralen Maghreb, wo er in den Dienst der Hammadiden trat. Seine letzte Station war schließlich Spanien, wo er starb. Diese formale Rückkehr unter die fatimidische Suzeränität interessierte die Bewohner Ifrīqiyas kaum, da sie um ihr Leben sowie ihr Hab und Gut fürchteten. Eine in Kairuan geprägte Dinarmünze sunnitischen Typs zeigt, daß die Prägung keiner Veränderung unterlag. Idris geht davon aus, daß in einer so bewegten Zeit ohnehin nur wenige Münzen geprägt wurden.330 Ferner muß man bezweifeln, daß

329 Halm, Kalifen von Kairo, 376; Idris, Berbérie Orientale, 225–226. Idris weist daraufhin, daß die Wendung von al-Mu‘izz zu den Fatimiden in den fatimidischen Quellen kaum Erwähnung findet. 330 Idris, Berbérie Orientale, 226.

116

bei dem relativ häufigen Wechseln der Suzeränität jedesmal auch entsprechend neue Münzen exakt zum Zeitpunkt eines Wechsels geprägt wurden. Al-Mu‘izz wird sich auf jeden Fall Gedanken über eventuelle, aus der Rückkehr zu den Fatimiden resultierende Vorteile gemacht haben. Wahrscheinlich hegte er auch die Hoffnung auf eine Rückkehr zum Status quo ante. Man darf nicht vergessen, daß die Hilāl die Fatimiden zumindest formal anerkannten. Alle wirksamen Befehle und Empfehlungen kamen aus Kairo. Hilfe aus dem fernen Bagdad zu erwarten, war utopisch. Moralische und auch militärische Unterstützung der Fatimiden für einen reumütigen Vasallen hingegen war jedoch schon eher wahrscheinlich. Außerdem konnte der Ziride geltend machen, daß seine Vorfahren schließlich die Fatimidendynastie vor Abū Yazīd gerettet hatten. Der Wechsel geschah in einer Zeit, als die innenpolitische Lage in Ifrīqiya immer unsicherer und instabiler wurde, und die ziridische Heiratspolitik nicht die erhofften Wirkungen erzielte. Der Suzeränitätswechsel zu den Fatimiden kann ein Hinweis darauf sein, daß al-Mu‘izz die Anwesenheit der Araber zu jenem Zeitpunkt als ein großes Problem betrachtet hat und auf dringende materielle Hilfe von außerhalb angewiesen war. Man muß davon ausgehen, daß Abū l-Fal keine allzu große Hilfe für al-Mu‘izz war. Die erneute Hinwendung zu den Fatimiden kann aber auch mit al-Mu‘izz’ Hoffnung einhergegangen sein, die Lage im Land zu stabilisieren.

5.4 Flucht des al-Mu‘izz nach Mahdia 1057/449 331 Sämtliche Bemühungen von al-Mu‘izz zur Entspannung der Lage, wie die Heiratspolitik und der erneute Suzeränitätswechsel, schlugen fehl. Der überforderte al-Mu‘izz, der sich seiner Schwäche bewußt war, befahl den Kairuanern schließlich, sich nach Mahdia zu begeben. Im Jahr 1054/446 nahm Mu’nis die Stadt Beja ein, deren Einwohner seine Autorität anerkannten. Die Riyā waren von nun an die Herren des Tales der 331 At-Tiğānī, 236–237; Ibn ‘Idārī, I, 294, 298–299 sagt, daß sich al-Mu‘izz erst im Jahre 449 von al-Manūriyya nach Mahdia begab; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36–37 und ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 21 ist die einzige Quelle, die über die Evakuierung von Kairuan unter der Leitung von al-Manūr und den Schwarzen spricht. Ibn aldūn liefert die mit Abstand ausführlichste Beschreibung der Flucht des al-Mu‘izz nach Mahdia; an-Nuwairī, 24, 217; Ibn al-Atīr, IX, 569, X, 6 sagen hingegen lediglich, daß sich al-Mu‘izz von Kairuan nach Mahdia begab. In den Quellen wird das Ereignis nicht als „Flucht“, sondern folgendermaßen beschrieben: bei Ibn ‘Idārī: arağa l-Mu‘izz b. Bādīs min al-Manūriyya muntaqilan ilā l-Mahdiyya; anNuwairī ist der einzige Chronist, der diesem Ereignis zwar eine eigene Überschrift (dikr intiqāl al-Mu‘izz ilā l-Mahdiyya) gibt, sonst jedoch lediglich sagt, daß sich al-Mu‘izz nach Mahdia begab (fa-arağa l-Mu‘izz min al-Qairawān ilā l-Mahdiyya); bei Ibn al-Atīr: intaqala l-Mu‘izz ilā l-Mahdiyya.

117

oberen Madjerda, in dem die Stadt Beja liegt. Da die Araber Kairuan belagerten und den Druck auf die Stadt verstärkten, entschloß sich al-Mu‘izz am 29. Oktober 1057/27. Ša‘bān 449 zur Flucht nach Mahdia, wo sich bereits seine Familie und seine Reichtümer befanden.332 Auch wenn der Vorgang teilweise den Charakter einer Flucht hatte, beschreiben die Chronisten ihn erstaunlicherweise nicht als solche.333 Marçais und Idris haben den Begriff „Flucht“ hierfür ins Leben gerufen. Halm ist von dieser Bezeichnung wieder abgerückt.334 Al-Mu‘izz machte sich heimlich auf den Weg. Dies geschah unter dem Schutz seiner Schwiegersöhne, der Araberemire al-Fal b. Abī ‘Alī l-Mirdāsī und Fāris b. Abī l-Ġait. Die Araber fingen sie jedoch auf dem Weg ab. Sie warfen Fāris vor, ihnen Unrecht zu tun, indem er die Flucht eines so bedeutenden Mannes wie alMu‘izz unterstütze. Sie baten ihn daher, ihnen den Fürsten zu überlassen. Während dieser Auseinandersetzung gelang al-Mu‘izz die Flucht in Begleitung von alFal b. Abī ‘Alī l-Mirdāsī.335 Diese Auseinandersetzung zeigt, daß auch unter den Arabern keine Einigkeit bestand. Außerdem wird deutlich, daß die Autorität der Araberemire bei ihren eigenen Leuten nicht sehr hoch gewesen sein kann. Anderenfalls hätten ihre Untertanen es nicht gewagt, eine derartige Forderung in einem derartigen Tonfall zu erheben. Dieses Beispiel erklärt auch, warum die Heiratspolitik al-Mu‘izz’ die erhofften Wirkungen verfehlte. Ferner wird hier auch deutlich, daß al-Mu‘izz mit den inneren Machtstrukturen der Araber nicht vertraut gewesen sein kann. In der kürzeren der beiden Erzählungen Ibn aldūns beschränkt sich der Chronist darauf, zu erwähnen, daß sich al-Mu‘izz von Kairuan unter dem Schutz seines berühmten Schwiegersohnes Mu’nis nach Mahdia begab.336 In der anderen Version ließ der Fürst die Araberemire nach Kairuan kommen, die ihn begleiteten. Er schiffte sich ein und erreichte Mahdia, da der direkte Landweg weniger sicher war.337 Bevor al-Mu‘izz seine Hauptstadt verließ, übertrug er einem gewissen al-Qā’id b. Maimūn die Aufsicht über die Stadt.338 Al-Mu‘izz’ Sohn alManūr, den er in Kairuan ließ, informierte die Einwohner darüber. Sie evakuier332 Ibn ‘Idārī, I, 293–294; an-Nuwairī, 24, 217; Ibn al-Atīr, IX, 569. 333 Siehe Anmerkung Überschrift. 334 Marçais, Arabes en Berbérie, 114; Idris, Berbérie Orientale, 228 ff.; Halm, Kalifen von Kairo, 376 spricht davon, daß „der Emir Kairuan aufgeben“ mußte, und daß er heimlich die Stadt verließ. Letztere Beschreibung ist weitaus wertneutraler als die von Marçais und Idris und entspricht zudem eher dem Wortlaut der Quellen s. Anmerkung Überschrift. 335 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36. 336 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 21. 337 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36–37. 338 An-Nuwairī, 24, 228; Ibn al-Atīr, X, 50–51.

118

ten daraufhin die Stadt unter der Führung al-Manūrs.339 Idris hält es für wenig wahrscheinlich, daß er den Seeweg benutzte.340 Gründe hierfür nennt er allerdings nicht. Nach at-Tiğānī341 soll al-Mu‘izz einige Schiffe haben kommen lassen, weil er Angst hatte, von den Arabern festgehalten zu werden. Als diese ihn dann erreichten, riefen ihm die Seeleute zu, daß er sich möglichst schnell einschiffen solle, um seinen Angreifern zu entkommen. Dies lehnte er aber aus Eitelkeit ab, setzte seinen Weg fort und kam sicher in Mahdia an. Sein Sohn Tamīm empfing ihn würdevoll und unterwürfig. Er demonstrierte seinem Vater seine perfekte Unterwerfung und dementierte Gerüchte über Putschversuche. Al-Mu‘izz, der von diesem Empfang überrascht gewesen sein soll, bat für seinen Sohn und ließ ihn sein Pferd besteigen. Sie kamen zusammen nach Mahdia, und al-Mu‘izz stieg im Palast ab. Im Laufe der Zeit trat er wichtige öffentliche Aufgaben an seinen Sohn ab, ohne freilich abzudanken.342 Die Tatsache, daß al-Mu‘izz ohne Gefahr den Landweg benutzen konnte, zeigt, daß die Furcht vor einer möglichen Gefangennahme durch die Araber unbegründet war. Das liegt daran, daß eine Festsetzung des zu diesem Zeitpunkt de facto machtlosen al-Mu‘izz keinerlei Nutzen für die Araber gebracht hätte.

5.5 Plünderung von Kairuan Nach an-Nuwairī, Ibn al-Atīr und Ibn ‘Idārī belagerten die Araber Kairuan im Jahr 1054–1055/446. Dabei zerstörten die Invasoren die Festungsanlagen und die Paläste, fällten die Obstbäume, verstopften die Quellen und zerstörten die Bewässerungsanlagen. Zwei Tage nachdem der Ziride Kairuan am 1. November 1057/1. Ramaān 449 verlassen hatte, plünderten die Hilāl die Stadt.343 Ibn aldūn führt aus, daß sämtliche Geschäfte, privaten Häuser und die Paläste der anhāğa-Prinzen geplündert wurden. Die Schönheit und der Glanz der Sehenswürdigkeiten wurden ausgelöscht, die öffentlichen Gebäude wurden zerstört. Alles andere wurde ge-

339 340 341 342 343

Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36. Idris, Berbérie Orientale, 229. At-Tiğānī, 236 f. Idris, Berbérie Orientale, 229. An-Nuwairī, 24, 217: wa-šari‘a al-‘arab fī hadam al-uūn wa-l-quūr wa-qal‘ at-timār wata‘miyat al-‘uyūn; Ibn al-Atīr, IX; 569: wa-šari‘at al-‘arab fī hadam al-uūn wa-l-quūr wa-qaa‘ū at-timār wa-arrabū al-anhār. Die Belagerung wird von Ibn al-Atīr nicht erwähnt. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34–35: tumma irtaalū ilā l-Mahdiyya fa-nazalūha waayyaqū ‘alaiha bi-man‘ al-marāfiq wa-ifsād as-sābila/Berbères, I, 37; vgl. Ibn ‘Idārī, I, 293. Die genaue Zeitangabe liefern an-Nuwairī und Ibn ‘Idārī. Ibn al-Atīr nennt nur Monat und Jahr. Ibn aldūn gibt lediglich das Jahr.

119

plündert und aus der Stadt fortgebracht; die Bewohner flüchteten.344 Man vermutet, daß sich al-Qā’id b. Maimūn, dem von al-Mu‘izz die Führung über die Stadt übertragen worden war, in abra verschanzt hatte. Das von den Chronisten, insbesondere von an-Nuwairī und Ibn al-Atīr, beschriebene Verhalten der Beduinen steht im völligen Widerspruch zu der von dem Ziridenemir eingeleiteten Heiratspolitik. Leider beschreiben die Quellen nicht, wie diese Zerstörungen verliefen, und mit welchem Gerät sie durchgeführt wurden. Gerade das könnte aber Aufschluß darüber geben, wie stark die Zerstörungen waren, und welche Objekte besonders betroffen waren. Freilich darf man nicht vergessen, daß die Araber Kairuan belagerten und mit den Zerstörungen den Eingeschlossenen offensichtlich die Lebensgrundlage entziehen wollten. Es ist jedoch fragwürdig, ob das als einziger Grund für ihre Zerstörungswut herhalten kann, zumal der Zustand der Infrastruktur der Umgebung der Stadt bei deren Belagerung keinen Einfluß auf die Widerstandskraft der Bevölkerung gehabt haben kann. Auch an dieser Stelle muß betont werden, daß Dinge, die zerstört sind, keine Beute mehr sein können. Ferner hätten sich die Beduinen mit der Unbrauchbarmachung des Trinkwassersystems auch ihre eigene Lebensgrundlage entzogen. Aus diesen Gründen ist die Darstellung von an-Nuwairī und Ibn al-Atīr mehr als fragwürdig. Es ist hingegen sehr wahrscheinlich, daß sich die Belagerung Kairuans so abgespielt hat, daß die Beduinen den Eingeschlossenen die Lebensmittelzufuhr abschnitten. Erst nachdem sie dann in die Stadt eindringen konnten, vollzogen sich Zerstörungen in dem von Ibn aldūn beschriebenen Ausmaß. An-Nuwairī und Ibn al-Atīr schreiben nicht, wo sich die Zerstörungen zutrugen. Aus den genannten Gründen ist es jedoch nahezu ausgeschlossen, daß die beiden Chronisten mit ihren an anderer Stelle beschriebenen Zerstörungen eine andere Stadt als Kairuan gemeint haben. Ibn aldūn hingegen berichtet als einziger Chronist, daß die Araber im Jahr 1057/448–449 Mahdia (und nicht Kairuan!) von der Lebensmittelzufuhr abschnitten. Von einer Belagerung Kairuans ist bei Ibn aldūn nicht die Rede.345 Ange344 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34. Die Übersetzung in Berbères, I, 37 lehnt sich nicht ganz an das Original an. Sie dramatisiert die Situation erheblich. Das wird insbesondere durch im Original fehlende Passagen deutlich. Ein gutes Beispiel hierfür ist der letzte Teil des folgenden Satzes: „Rien de ce que les princes sanhadjiens avaient laissé dans leurs palais n’échappa à l’avidité de ces brigands.“ (wa-istafau mā kāna li-āl Bulukkīn fī quūriha...). Man kann zumindest nicht vollkommen ausschließen, daß diese an mehreren Stellen in der übersetzten Fassung auftretende (und damit vom Original abweichende) dramatisierende Art der Darstellung nicht vollkommen ohne Einfluß auf die Sichtweise der europäischen Forschung geblieben ist. 345 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34–35: tumma irtaalū ilā l-Mahdiyya fa-nazalūha wa-ayyaqū ‘alaiha bi-man‘ al-marāfiq wa-ifsād as-sābila/Berbères, I, 37; vgl. Ibn ‘Idārī, I, 293.

120

sichts der unterschiedlichen Daten346 ist es ziemlich wahrscheinlich, daß zunächst Kairuan belagert wurde. Nachdem die Stadt dann geräumt worden war, wurde sie von den Arabern geplündert. Ungefähr drei Jahre später erlitt Mahdia die Belagerung. Eine Verwechslung der beiden Städte ist aus diesen Gründen eher unwahrscheinlich. In den einzelnen Darstellungen kann man einen bemerkenswerten Unterschied feststellen: Während an-Nuwairī und Ibn al-Atīr nur von blindwütigen Zerstörungen berichten, äußert Ibn aldūn, daß es neben Zerstörungen auch Plünderungen gab. Da die Beduinen stets sehr beutegierig waren, wirkt die Darstellung von Ibn aldūn hier trotz der wenig objektiven Beschreibung der Situation plausibler. Ferner darf man nicht vergessen, daß Plünderungen immer auch ein gewisses Maß an Beschädigungen nach sich ziehen. Daher muß man davon ausgehen, daß das Augenmerk der Beduinen auf die Plünderungen gerichtet war und nicht, wie an-Nuwairī und Ibn al-Atīr glauben machen möchten, auf Sachbeschädigungen. Idris hält es für möglich, daß sich nach der Plünderung Kairuans eine Art Modus vivendi zwischen den Kairuanern und den Beduinen etablierte.347 Diese Feststellung ist jedoch zu allgemein und noch dazu zu wenig wahrscheinlich, als daß sie als Erklärung für die Situation ausreichen würde. Ferner gibt es keine Anzeichen, die eine derartige Annahme zu jenem Zeitpunkt stützen würden. Geplünderte Waffen, Zelte und anderes Kriegsgerät wurden nach Kairo gebracht.348 Idris sieht darin die Bestätigung für die engen Bande zwischen den Invasoren und dem fatimidischen Ägypten.349 Die Araber marschierten nun gegen Mahdia. Sie belagerten es und schnitten die Stadt von der Lebensmittelversorgung und jeglicher Kommunikation ab.350 Es ist nicht bekannt, welche Auswirkungen das auf die Stadt hatte. Es ist aber offensichtlich, daß Mahdia nicht das gleiche Schicksal erfuhr wie Kairuan.

5.6 Ifrīqiya nach der Plünderung von Kairuan 5.6.1 Kampf zwischen den Sklaven von al-Mu‘izz und Tamīm351 Die Sklaven von al-Mu‘izz in Mahdia verstanden sich nicht mit denjenigen von Tamīm. Ibn ‘Idārī liefert die detaillierteste Darstellung des Konfliktes zwischen 346 448: Mahdia bei Ibn aldūn, 446: Belagerung Kairuans bei Ibn al-Atīr und an-Nuwairī. 347 Idris, Berbérie Orientale, 230. 348 Ibn airafī: Al-Išāra ilā man nāla l-wizāra, hrsg. von A. Mukhlis, in: Bulletin de l’Institut français d’archéologie orientale du Caire 25 (1924), 42. 349 Idris, Berbérie Orientale, 231. 350 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34–35/Berbères, I, 37. 351 Ibn ‘Idārī, I, 294; Ibn al-Atīr, IX, 617–618; at-Tiğānī, 236; Abū l-Fidā’, II, 174.

121

den Sklaven von Vater und Sohn. Als Tamīm 1053–1054/445 in Mahdia ankam, fand er ein bedeutendes Korps von Sklaven vor. Es kam zu einem offenen und blutigen Kampf. Das Volk von Zawīla, die anwesenden Seeleute und das übrige Volk ergriffen Partei gegen die Söldner von al-Mu‘izz. Diese wurden besiegt und aus Mahdia vertrieben; viele von ihnen wurden getötet. Die Überlebenden wollten sich auf den Weg nach Kairuan machen. Tamīm informierte die Araber hierüber. Daraufhin wurden viele der Flüchtenden auf dem Weg getötet. Al-Mu‘izz verlor dadurch ungefähr 700 Männer. Tamīm war es wichtiger, eine kleinere Armee als sein Vater zu haben. Dafür sollte sie ihm aber absolut ergeben sein. Dazu war er sogar bereit, mit den Arabern gemeinsame Sache gegen seinen Vater zu machen! Al-Mu‘izz sah sich gezwungen, vor diesem Verhalten seines Sohnes die Augen zu verschließen, da er über keine Sanktionsmöglichkeiten verfügte. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß in einer derartigen Lage, in der sich Ifrīqiya befand, nicht einmal zwischen Vater und Sohn, also auf höchster Ebene, Einigkeit bestand. Eine derartige Rivalität mußte zwangsläufig zur Handlungsunfähigkeit der ziridischen Führung führen. Daher verwundert es auch nicht, wenn die ziridischen Herrscher nicht in der Lage waren, für Ruhe und Ordnung im Land zu sorgen und mit den Hilāl fertig zu werden. Außerdem beweist das wieder einmal, daß die Hilāl an der instabilen Lage in Ifrīqiya keine Schuld hatten. Das Verhalten von Tamīm während der Auseinandersetzungen zwischen seinen Sklaven und denen seines Vaters zeugt vom politischen Geschick des ambitionierten Sohnes: Tamīm hat während der Hilāl-Invasion und der Schlacht von aidarān mit ansehen müssen, daß die Anzahl der Sklaven und Soldaten nicht so entscheidend war. Wichtiger waren ihm, insbesondere in dieser turbulenten Zeit, vielmehr die bedingungslose Ergebenheit und eine gute Ausbildung der Truppe. Damit hat Tamīm recht eindrucksvoll bewiesen, daß er in der Lage war, aus den Fehlern seines Vaters vor, während und nach der Hilāl-Invasion zu lernen.

5.7 Gabes unter al-Mu‘izz 352 Ibn aldūn liefert die ausführlichsten Informationen zum ziridischen Gabes. Zu Beginn der Ziridendynastie wurde Gabes von Gouverneuren regiert: den Banū ‘Āmir, Ibrāhīm (b. al-Manūr) b. Yūsuf b. Zīrī, al-Manūr b. Mawās. Danach wählte al-Mu‘izz die Gouverneure aus den Reihen der Barġawāa aus. Während der Hilāl-Invasion wurde Gabes von al-Mu‘izz b. Muammad b. Walmiya regiert. Eine große Anzahl von Ziriden flüchtete sich 1053–1054/445 unter dem Schutz 352 At-Tiğānī, 69–70; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328, 341/Berbères, II, 22, 35, III, 157; vgl. auch Idris, Berbérie Orientale, 236–239.

122

von Mu’nis dorthin.353 Alles weist daraufhin, daß Gabes wirksamen Widerstand leisten konnte. Wahrscheinlich war es befestigt und wurde von einer anhāğaGarnison verteidigt. Der anhāğa-Gouverneur scheint sich erst 1062–1063/454 von seinem Herrn losgesagt zu haben. Seine beiden Brüder Ibrāhīm und Qāī dienten am Hof von al-Mu‘izz als Kavalleriegeneräle. Es ist nicht bekannt, wann und warum der Ziride sie absetzte. Wahrscheinlich geschah dies jedoch nach seiner Flucht aus Mahdia 1057/449. Die beiden verbitterten Offiziere begaben sich zu Mu’nis, der sie zuvorkommend empfing und ihnen Ehrenkleider aus Ägypten gab. Anschließend begaben sie sich, zweifellos in Übereinstimmung mit Mu’nis, zu al-Mu‘izz b. Muammad b. Walmiya. An dem Verhalten von Mu’nis kann man erkennen, daß sein Verhältnis zu alMu‘izz b. Bādīs zu diesem Zeitpunkt nicht sehr gut gewesen sein kann. Den beiden Offizieren war das offensichtlich bekannt. Die drei Brüder verständigten sich angeblich darauf, in der uba den Namen von al-Mu‘izz b. Bādīs durch Mu’nis auszutauschen. Interessant ist die Tatsache, daß das erste Mal ein Hilāl-Emir in der uba genannt wurde. Während der gesamten Ziridenzeit war es bei einem Suzeränitätswechsel üblich, entweder zum Ziridenemir oder zum Fatimidenkalifen zu wechseln. Diese Situation zeigt, wie groß der Einfluß gerade der Person Mu’nis zu diesem Zeitpunkt war. Es war zu jener Zeit stets üblich, in der uba den Namen des Suzeräns zu nennen. Mu’nis war jedoch kein Suzerän, sondern handelte lediglich im Auftrag der Fatimiden. Da allerdings weder etwas über mögliche Reaktionen der Fatimiden auf die Tatsache, daß Mu’nis in der uba genannt wurde, noch über irgendwelche weiterreichenden politischen Ambitionen seitens Mu’nis bekannt ist, ist ein Namensaustausch in der uba eher unwahrscheinlich. Nach at-Tiğānī und Ibn aldūn354 war dies das erste Mal, daß sich die Araber Gabes bemächtigt hatten. Diese Passage kann aber auch heißen, daß zum ersten Mal die Autorität der Hilāl in Ifrīqiya anerkannt wurde. Das würde wiederum zeigen, welche Bedeutung die Fatimiden ihnen zumaßen, ohne dabei eine offizielle Proklamation abzugeben. Tatsächlich gibt es ein ismailitisches Manuskript jemenitischer Herkunft, das Kopien von Dekreten al-Mustanirs enthält. Ein Stück davon behandelt auch die Hilāl-Invasion. Es wurde 1063/Ramaān 455 von al-Mustanir an den jemenitischen Emir geschickt. Der Kalif erinnert den Emir an den Verrat von al-Mu‘izz b. Bādīs. Er erklärt, daß er ein Sendschreiben von dem General Ibn Mulhim bekommen habe, in dem er ihm den Erfolg der Hilāl verkündete. Ibn Bulukkīn, der mit der Schwester von al-Mu‘izz b. Muammad ver353 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33/Berbères, I, 35. 354 At-Tiğānī; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 340–341/Berbères, II, 35.

123

heiratet gewesen sei und Ibn ammād, der Bruder des Herrschers der Qal‘a von Kiyāna, suchten den Fatimidengeneral auf, um den Kalifen im Namen der anhāğa um Verzeihung zu bitten. Nachdem er Gabes erobert hätte, proklamierte er das ismailitische Glaubensbekenntnis. Er ließe Gold- und Silbermünzen mit dem Konterfei al-Mustanirs prägen und ernannte al-Mu‘izz b. Muammad zum Gouverneur. Eine Gruppe von örtlichen Scheichs drückten ihm ihre Anerkennung aus sowie den Wunsch, nach Kairo zu emigrieren. Im ganzen Land herrschte große Freude. Begleitet von einer Pilgerschar machte sich der General auf den Rückweg. Sowohl die Städte als auch die Ländereien seien unterworfen. AlMu‘izz b. Bādīs sei in die Enge getrieben. Der Kalif beendete dieses im August– September 1063/Ramaān 455 verfaßte Sendschreiben mit der Bitte an den jemenitischen Emir, daß er diesen Sieg von den Kanzeln sowie in den Städten und auf dem Land verkünden solle. Bisher ist es noch nicht gelungen, Ibn Bulukkīn und Ibn ammād zu identifizieren. Es ist jedoch ziemlich unzweifelhaft, daß es sich um die beiden anhāğa-Angehörigen handelt, die mit den Ziriden nach Gabes355 geflüchtet waren. Auf der einen Seite bekräftigt der Brief die Rolle von Makīn ad-Daula, auf die Ibn Muyassar anspielt, und auf der anderen Seite zeigt er, daß die Stadt erst gegen 1062–1063/455 abgetreten wurde. Die Eroberer waren wahrscheinlich besser organisiert als man es vermuten würde.356 Ibrāhīm regierte Gabes bis zu seinem Tod. Sein Bruder Qāī trat seine Nachfolge an.

5.8 Hammadiden 5.8.1 Die Rolle der Hammadiden bei den ziridisch–arabischen Auseinandersetzungen Die folgende Darstellung der Hammadiden seit der Schlacht von aidarān soll untersuchen, welche Rolle die Hammadiden in der Auseinandersetzung zwischen den Ziriden und den Beduinen spielten, und wie sie die politische Entwicklung in Ifrīqiya beeinflußten. Die Geschichte der Hammadiden erschöpfend darzustellen, würde den Rahmen der Arbeit sprengen und zu sehr vom Thema abweichen, da die Hammadiden hauptsächlich im Zentralen Maghreb wirkten. Daher wird lediglich auf die für das Thema relevanten Aspekte eingegangen. Ibn aldūn liefert die mit Abstand ausführlichste Darstellung der Geschichte der Hammadiden.357 355 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 33/Berbères, I, 35. 356 Nuğūm, V, 71: Nach dem Bruch brachen kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Soldaten des al-Mu‘izz b. Bādīs und al-Mustanir aus. 357 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 349–365/Berbères, II, 43–59; zu den Anfängen der Hammadidendynastie s. auch obiges Kap. Spaltung der anhāğa-Dynastie.

124

1055–1056/447 bemächtigte sich Bulukkīn a-anhāğī der Qal‘at Banī ammād. Ferner revoltierte ein gewisser Ibn Abī Zamān gegen al-Mu‘izz. Über diese Rebellion ist sonst nichts bekannt. Außerdem litt Ifrīqiya im selben Jahr unter einer Hungersnot. Möglicherweise hing sie mit der Rebellion zusammen. Dadurch war die Lage äußerst gespannt.358 In der Schlacht von aidarān unterstützte der Hammadide al-Qā’id b. ammād seinen ziridischen Cousin mit einer Kavallerie. Im Zuge der Schlacht von aidarān erkannten die Hammadiden die Fatimiden erneut als Oberherrscher an.

5.8.2 Regierungszeit des Musin b. al-Qā’id 359 1054/Rağab 446 starb al-Qā’id b. ammād. Al-Qā’ids Sohn und Nachfolger Musin suchte sich dem Einfluß seiner Oheime zu entziehen, indem er sie nacheinander töten ließ. Yūsuf b. ammād, dem al-Qā’id das militärische Kommando über den Maghreb anvertraut hatte, und der eine Festung namens ayyāra in einem unzugänglichen Gebirge erbaut hatte, revoltierte gegen Musin. Wahrscheinlich um diese Zeit plünderte und zerstörte Yūsuf Ašīr, das sich erst gegen 1063/455 wieder erholte. Bulukkīn b. Muammad, einer von Musins Cousins, der Gouverneur von Afrayūn war, gelang es jedoch, die Araber, die in Musins Dienst standen, auf seine Seite zu ziehen. Musin befahl ihnen, Bulukkīn zu töten. Sie kamen dieser Anordnung allerdings nicht nach. Dadurch konnte Bulukkīn Musin in eine Falle locken und töten. An diesen innerhammadidischen Differenzen erkennt man, daß die verschiedenen hammadidischen Lokalfürsten keine Berührungsängste mit den Arabern hatten und sich keineswegs scheuten, sie für ihre persönlichen Machtinteressen einzuspannen. Dieses Verhalten trug natürlich weder zur Stabilisierung der hammadidischen Macht noch zur Abwehr der Beduinen bei. 5.8.3 Erhebung von Biskra360 Zur Zeit der Hammadiden gehörten die Scheichs, die Biskra regierten, zu der einflußreichen Familie der Banū Rummān, denen beinahe der gesamte Grundbesitz der Umgebung gehörte. Gegen 1058–1059/450 provozierte der Muqaddam von Biskra, Ğa‘far b. Abī Rummān, einen Aufstand gegen Bulukkīn b. Muammad b. ammād (reg. 1055–1062/447–454). Die von alaf b. Abī aidara gegen ihn ge358 Ibn ‘Idārī, I, 294. Es ist nicht ganz klar, ob es sich hier um den Hammadidenabkömmling Bulukkīn b. Muammad b. ammād oder um den Sohn von al-Mu‘izz b. Bādīs handelt. 359 An-Nuwairī, 24, 211–212; Ibn al-Atīr, IX, 600–601; Abū l-Fidā’, II, 132; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 352/Berbères, II, 46; Ibn ‘Idārī datiert den Tod des al-Qā’id auf 441 und übergeht die Regierungszeit des Musin b. al-Qā’id. 360 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 353/Berbères, II, 46–47, III, 125–126.

125

führte anhāğa-Armee erstürmte die Stadt. Die Hauptrepräsentanten der Stadt, wahrscheinlich alle Banū Rummān, wurden zur Qal‘a geschickt, wo Bulukkīn sie alle töten ließ. Die Verwaltung von Biskra ging an eine andere Familie der Stadt, den Banū Sindī, über. Hieran erkennt man, daß die Hammadiden offensichtlich nicht in der Lage waren, ohne die Hilfe fremder Familien ein neu erobertes Gebiet zu verwalten. Ferner wird deutlich, daß die Autorität der Hammadidenherrscher nicht sehr groß gewesen sein kann und daß reiche und einflußreiche Großgrundbesitzer wie die Banū Rummān nicht ohne weiteres gewillt waren, sich den Befehlen anderer bedingungslos zu unterwerfen. Die Beduinen waren in diese Angelegenheit noch nicht involviert. Ohne Zweifel mußten die Banū Sindī als Bedingung die Hammadiden anerkennen. ‘Ars b. Sindī war der erste Chef dieser mehr oder weniger unabhängigen Kleindynastie. Er war den anhāğa treu und tötete später den Zanāta-Chef Muntair b. azrūn. Bis zu diesem Zeitpunkt sind noch keine Beziehungen zwischen den Hilāl und den Hammadiden bezeugt. Die Tatsache, daß sich die hammadidische Innenpolitik seit der Hilāl-Invasion nicht wesentlich verändert hatte, bestätigt das. Auch das soziale Gefüge des Hammadidenreiches ist so geblieben wie vor der Invasion. Da die Hammadiden den Beduinen keinen Widerstand entgegensetzen konnten, mußten sie sich mit ihnen arrangieren. Sie verbündeten sich mit den Atbağ. Dieser Entscheidung lag die Tatsache zugrunde, daß sich die Ziriden auf die Riyā und die Zuġba stützten. Diese Bündnisse weisen auf eine Gegnerschaft zwischen Ziriden und Hammadiden zu diesem Zeitpunkt hin. Dennoch erscheint das als Antwort auf das Verhalten der Hammadiden nicht befriedigend. Die Hammadiden konnten die ganze Zeit verfolgen, wie sich das Verhältnis zwischen den Ziriden und den Hilāl gestaltete. Gerade in der Anfangsphase gab es wohl mehr Probleme als Nutzen. Während der Zeit von der Hilāl-Invasion bis zur Schlacht von aidarān konnten die Hammadiden genau beobachten und einschätzen, daß sie nicht in der Lage sein würden, den Beduinen wirksamen Widerstand entgegenzusetzen. Daher werden sie es für klüger erachtet haben, sich mit ihnen zu arrangieren. Das wiederum würde aber darauf hinweisen, daß die Hilāl nicht plündernd und zerstörend durch die eroberten Gebiete des Zentralen Maghreb zogen. Tatsächlich berichten auch die Quellen nichts über mögliche Zerstörungen der Araber im Zentralen Maghreb bis zur Schlacht von Sabība. Ansonsten hätten die Hammadiden gar keine andere Wahl gehabt als Widerstand zu leisten. In einem solchen Fall wäre auch eine zanatisch–hammadidische Koalition nicht unwahrscheinlich gewesen, da auch die Zanāta kein Interesse an einem weiteren

126

hilalischen Vordringen haben konnten. Tatsächlich kam es kurze Zeit später auch zu einem zanatisch–hammadidischen Zusammengehen. Mit dem weiteren Vordringen der Hilāl schritt auch die Arabisierung der berberischen Zanāta-Gebiete des Zentralen Maghreb voran.

5.9 Kämpfe zwischen den Hilāl und den Zanāta 361 Eine friedliche Koexistenz zwischen Hilāl und Zanāta war im Berbergebiet kaum möglich. Die Berichte der Quellen über Auseinandersetzungen zwischen den Beduinen und den Zanāta fällt gemessen an der Bedeutung eher mager aus. Ibn aldūn informiert uns, daß die Araber nach der Plünderung Kairuans den Zanāta entgegentraten. Der Krieg zwischen den Zanāta und den Hilāl hielt recht lange an. Ein Nachkomme von Muammad b. azar, der Tlemcen regierte, stellte eine Armee gegen die Beduinen auf. Die Zanāta griffen die Araber in Ifrīqiya und dem Zentralen Maghreb an. Es folgte eine Reihe von Kämpfen. In der letzten Schlacht unterlagen die Zanāta jedoch und wurden in die Flucht geschlagen. Der Wesir und Armeeführer des Tlemcener Herrschers, Abū Su‘dā alīfa al-Ifranī, verlor hierbei in der Provinz von Zāb sein Leben.362 Ibn aldūn nennt leider kein Datum der ziridisch–zanatischen Auseinandersetzungen. Zeitlich müßte man sie nach 1057/449, der Plünderung Kairuans, ansiedeln. Offensichtlich waren die Hammadiden an diesem Kampf nicht beteiligt. Die aus Mittel-Ifrīqiya vertriebenen Zanāta wurden in den Süden des Zentralen Maghreb zurückgedrängt. Die große Zanāta-Konföderation der Banū Wsn wandte sich auf Anregung der Banū Ya‘lā von Tlemcen gegen die Invasoren. In den folgenden Jahren kam es daraufhin zu heftigen Kämpfen. Nach dem Tod des Armeeführers brach die Zanāta-Koalition jedoch auseinander. Die versprengten Reste wurden ins Gebirge zurückgedrängt. Die Hilāl waren von nun an die Herren des ganzen offenen Landes. Die Widerstandskraft der Zanāta war damit gebrochen. Der Ğabal Rašīd und das Land von Mzāb im Zentralen Maghreb markierten von nun an die Grenze zwischen Arabern und Zanāta. Als die Atbağ und ‘Adī den Zentralen Maghreb erreichten, schlossen sie sich 1058–1059/450 dem Hammadiden Bulukkīn b. Muammad an, um gegen die Zanāta zu Felde zu ziehen.363 1058–1059/450 schlug Bulukkīn mit Hilfe der Atbağ und ‘Adī die Zanāta und massakrierte sie.364 Dieses von den Chronisten nur am 361 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 42/Berbères, I, 37, 45; ders., Berbères, III, 284, 306–308. 362 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34–35/Berbères, I, 37. Bei den anderen Chronisten fehlt diese Begebenheit. 363 An-Nuwairī, 24, 217; Ibn ‘Idārī, I, 294. 364 Ibn ‘Idārī, I, 294.

127

Rande erwähnte hammadidisch–arabische Zusammengehen zeigt ganz deutlich, daß es sich längst nicht mehr um einen rein arabisch–berberischen Konflikt handelte. Viele Bewohner Ifrīqiyas flüchteten sich ins Hammadidenreich, das von dem politischen und ökonomischen Niedergang Ifrīqiyas offenbar profitierte. Viele der Beduinen betrieben Wegelagerei und raubten Reisende aus. Ibn aldūn berichtet, daß all diese Ereignisse den Wohlstand von Ifrīqiya nachhaltig störten. Um diese Zeit365 teilten sich die vier großen Familienverbände der Ifran, Maġrāwa, Wamānnū und Ilumān die Führung über die Zanāta und nomadischen Berber. Nachdem die Araber die anhāğa und Zanāta besiegt hatten, eroberten sie die Provinz Zb. Sie legten den Bewohnern Steuern und andere Abgaben auf.366 Sicherlich muß man Ibn aldūn bei seiner Einschätzung zustimmen, daß sich Wegelagerei nicht unbedingt günstig auf die Entwicklung von Wohlstand auswirkt. In diesem Zusammenhang vergißt Ibn aldūn jedoch zu erwähnen, daß eine Regierung, die nicht in der Lage ist, wirksame Maßnahmen dagegen zu ergreifen, ebensowenig zur Mehrung von Wohlstand beiträgt. Wie bereits oben besprochen, hatten die Ziriden die Zanāta schon vor der Hilāl-Invasion stark dezimiert. Diese Tatsache beeinflußte auch noch den Ausgang der militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Hilāl und den Zanāta nach der Plünderung Kairuans durch die Araber. Im Jahr 1060/452 kam es in Kairuan zu einer Auseinandersetzung zwischen den Arabern und den zanatischen Hawwāra, bei der letztere massakriert wurden. Nach Ibn al-Atīr und an-Nuwairī367 war al-Qā’id b. Maimūn, dem al-Mu‘izz Kairuan überlassen hatte, nach drei Jahren 1060–1061/452 gezwungen, die Stadt den Hawwāra zu überlassen und nach Mahdia zu flüchten. Damit endete die ziridische Herrschaft über Kairuan auch de jure.

5.10 Tod des al-Mu‘izz b. Bādīs 368 Die Chronisten messen dem Tod dieses Ziridenherrschers eine unterschiedlich hohe Bedeutung bei. Ibn aldūn, Ibn Abī Dīnār und Ibn ‘Idārī konstatieren lediglich den Tod des al-Mu‘izz. An-Nuwairī und Ibn al-Atīr sind die einzigen Chro365 366 367 368

128

Ibn aldūn präzisiert diese Zeitangabe nicht weiter. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 35/Berbères, I, 37. Ibn al-Atīr, X, 50–51; an-Nuwairī, 24, 228. Die Quellen sind über das Todesdatum uneinig. Das Jahr 454 wird von folgenden Quellen angegeben: at-Tiğānī, 237; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 22; Nuğūm, V, 71. Das Jahr 453 wird gegeben von: Ibn al-Atīr, X, 14–15; an-Nuwairī, 24, 218; Abū l-Fidā’, II, 180; Mu’nis, 85; ulal, 947. Das Jahr 455 wird gegeben von: Ibn Šaraf, von Ibn ‘Idārī, I, 295, 298 zitiert; Ibn allikān, II, 105 gibt das Todesdatum mit 4. Ša‘bān 454 an.

nisten, die seinem Tod ein separates, wenn auch kurzes, Kapitel widmen, in dem ein positives Bild des Ziridenherrschers gezeichnet wird.369 Das weist darauf hin, daß an-Nuwairī und Ibn al-Atīr im Gegensatz zu Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī in dem Tod des al-Mu‘izz b. Bādīs eine gewisse Zäsur für Ifrīqiya oder zumindest für die Ziridendynastie sehen. Für das Land war der Wechsel von al-Mu‘izz zu seinem Sohn Tamīm kaum mehr als eine Formsache, da die Ziriden, wie Halm betont,370 bereits mit der Preisgabe von Kairuan und Sabra zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken waren. Für die Ziridendynastie hingegen war der dem Tod des al-Mu‘izz b. Bādīs folgende Regierungswechsel von ungleich höherer Bedeutung, weil mit Tamīm ein Herrscher an die Macht kam, der alles versuchte, um die politische Lage in Ifrīqiya zu stabilisieren und den Machtverfall der Ziridendynastie aufzuhalten. Nach einer Regierungszeit von 47 Jahren starb al-Mu‘izz am 2. September 1062/24. Ša‘bān 454371 im Alter von 58 Jahren an einem Leberleiden. Mit seinem Tod stellte sich die Frage seiner Nachfolge. Al-Mu‘izz hat zu Lebzeiten mehrere Söhne als Thronfolger designiert, die jedoch alle schon im Säuglings- oder Kindesalter starben. Idris stellt daher die Frage, warum al-Mu‘izz seinen bereits 16 Jahre alten Sohn Tamīm zunächst zugunsten von Säuglingen und Kindern von der Thronfolge ausgeschlossen hatte.372 1050–1051/442 wurde Tamīm schließlich doch noch zum Thronfolger ernannt. Wenn man das Verhältnis von al-Mu‘izz und Tamīm genauer betrachtet, so wird al-Mu‘izz’ Handlungsweise hinsichtlich der Thronfolge verständlich. Die Beziehungen zwischen al-Mu‘izz und Tamīm können nicht vollkommen spannungsfrei gewesen sein. Die offenbar sowohl von al-Mu‘izz als auch von Tamīm geschürte Feindschaft der Sklaven von Vater und Sohn, die Übertragung wichtiger Regierungsfunktionen von al-Mu‘izz auf Tamīm sowie schließlich der Regierungsantritt von Tamīm noch zu Lebzeiten seines Vaters legen hiervon eindrucksvoll Zeugnis ab. Es ist offensichtlich, daß al-Mu‘izz seinem ambitionierten Sohn nicht traute. Möglicherweise sah er in ihm sogar einen Rivalen. Aufgrund des schon im Zusammenhang mit al-Yāzūrī und Mu’nis behandelten diplomatischen und politischen Geschickes des al-Mu‘izz muß man davon ausgehen, daß er nicht in der Lage war, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die politischen Ambitionen seines Sohnes Tamīm zu zügeln. 369 Ibn al-Atīr faßt das Kapitel über den Tod des al-Mu‘izz mit dem Regierungsantritt von Tamīm zusammen. 370 Halm, Kalifen von Kairo, 376. 371 Zum Todesdatum, siehe Anmerkung Kapitelüberschrift. 372 Idris, Berbérie Orientale, 241.

129

6. Beginn der Regierungszeit von Tamīm b. al-Mu‘izz373 Alle Chronisten widmen dem Regierungsantritt von Tamīm ein separates Kapitel. Das zeigt, daß sie dieses Datum für bedeutender einschätzen, als das Ableben von al-Mu‘izz. Das wäre jedoch wiederum ein wichtiger Hinweis auf die relative Bedeutungs- und Machtlosigkeit des al-Mu‘izz zum Zeitpunkt seines Ablebens. 1053/445 wurde Tamīm im Alter von 23 Jahren von seinem Vater al-Mu‘izz zum Gouverneur von Mahdia ernannt. Bei seiner Ankunft dort 1057/449 überließ al-Mu‘izz ihm die Leitung der Staatsangelegenheiten. Es war zu dieser Zeit eigentlich nicht üblich, daß noch zu Lebzeiten eines Herrschers dieser so wichtige Zuständigkeiten an seinen Sohn weitergab, die schon fast den Charakter einer vollständigen Regierungsübertragung hatten. Deshalb muß man davon ausgehen, daß die Übertragung von Regierungsfunktionen an Tamīm eher gezwungenermaßen als freiwillig geschah. Am Todestag seines Vaters trat Tamīm ohne Schwierigkeiten die Nachfolge an. Er empfing die Richter und Notabeln, die ihm zum Tod seines Vaters kondolierten und ihm ihre Glückwünsche zu seinem Regierungsantritt überreichten. Der Hammadide an-Nāir b. ‘Alannās tat es ihnen nach. Eine von Tamīms ersten Amts-handlungen war die Massakrierung der Sklaven seines Vaters, die seiner Rache von 1056–1057/448 entronnen waren.374 Dagegen hatte er ein sehr gutes Verhältnis zu seinen eigenen Sklaven, die Christen waren. Daher verwundert es auch nicht, daß er den christlichen Gelehrten Georg von Antiochien an seinem Hof empfing und ihn in seine Dienste stellte.375 Tamīms Sympathie für die Christen ist nicht sehr verwunderlich. Sie erklärt sich aus der verfehlten Auswahl der schwarzen Sklaven und der mißglückten Eingliederungsversuche der Beduinen in die ziridische Armee durch seinen Vater. Der junge Tamīm hatte erlebt, daß die Sklaven seines Vaters als Soldaten insbesondere in der Schlacht von aidarān vollkommen versagt hatten. Die Beduinen muß er als unzuverlässig und wortbrüchig empfunden haben. Er mußte mit ansehen, daß durch die Fehlentscheidungen seines Vaters die Macht der Ziriden immer weiter schwand. Das erklärt seine Verachtung für die Soldaten seines Vaters und die Hinwendung und Sympathie für die Christen. Er erkannte aber auch, wie wichtig es war, über eine starke und loyale Armee zu verfügen. Es wird nicht gesagt, ob Tamīm die Fatimiden anerkannte. Es ist aber davon 373 Ibn ‘Idārī, I, 298–299, 303–304; Ibn al-Atīr, X, 15; an-Nuwairī, 24, 219; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 327/Berbères, II, 22; Mu’nis, 85; Ibn allikān, I, 98–99. 374 Ibn ‘Idārī, I, 294; Ibn al-Atīr, IX, 617–618; at-Tiğānī, 239, Mu’nis, 85. 375 Über Georg von Antiochien siehe Ibn aldūn, Berbères, II, 26–27.

130

auszugehen, daß er sich nicht zum Vasallen von Bagdad erklärte, da dies in den sunnitischen Quellen erwähnt worden wäre. Man muß auch deshalb davon ausgehen, daß Tamīm den Fatimiden näherstand als den Abbasiden, weil sein Vater alMu‘izz ja zum Schluß wieder die Fatimiden anerkannt hatte. Diese Anerkennung wurde weder unter dessen Herrschaft noch unter Tamīm rückgängig gemacht. Für die Anerkennung der Fatimiden spricht ebenso die Tatsache, daß es wesentlich wahrscheinlicher ist, im Falle der Anerkennung der Fatimiden Hilfe von diesen zu erwarten als von den Abbasiden. Letztere waren zu dem Zeitpunkt ohnehin nur noch pro forma die Herrscher über Bagdad. Selbst wenn sie gewollt hätten, wären sie überhaupt nicht dazu in der Lage gewesen, die Ziriden in irgendeiner Form zu unterstützen, sei es materiell oder ideell. Dazu war die geographische Entfernung viel zu groß. Viel mehr wiegt allerdings die Tatsache, daß die Abbasiden selbst bankrott waren und somit auch über keinerlei Sanktionsmöglichkeiten verfügten. Kurz nach seinem Amtsantritt setzte Tamīm al-Qā’id b. Maimūn a-anhāğī wieder als Gouverneur von Kairuan ein.376 Al-Qā’id blieb ihm sechs Jahre lang treu, bis er 1067–1068/460 gegen ihn revoltierte.

6.1 Die Affären von Sfax und Sousse 377 ammū b. Mallīl nutzte die durch die Hilāl-Invasion hervorgerufene Anarchie, um die Regierungsgewalt in Sfax an sich zu reißen. Er ermordete seinen Cousin, den al-Mu‘izz als Gouverneur von Sfax ernannt hatte, und erklärte sich für unabhängig. Kurz nach der Thronbesteigung des Hammadiden an-Nāir b. ‘Alannās (1062–1063/454) sandte ihm ammū ein Geschenk sowie eine Erklärung, daß er sich ihm unterwerfe.378 Ein 1068–1069/461 in Sfax geprägter Dinar sunnitischen Typs bezeugt, daß er zumindest zu jener Zeit Münzen prägte und nicht die fatimidische Souveränität anerkannte. Zu Beginn der Regierungszeit Tamīms beschloß ammū, seine Besitztümer zu vergrößern. Nachdem er sich mit den ‘Adī und Atbağ verbündet hatte, marschierte er gegen Mahdia. An der Spitze einer Armee, die anhāğa-Berber und wichtige arabische Truppenkontingente wie die Zuġba und die Riyā umfaßte, traf der Ziride auf ammū. Infolge der sich anschließenden blutigen Schlacht in Sallaqa bei Mahdia unterlag ammū, der dem Gemetzel nur knapp entrann und mit einigen überlebenden Gefolgsleuten nach Sfax flüchtete. Diese Auseinandersetzung, bei der sich die ‘Adī und Atbağ auf der einen und 376 Ibn al-Atīr, X, 21; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 23. 377 At-Tiğānī, II, 22, 51, 237; Ibn al-Atīr, X, 29–30; an-Nuwairī, 24, 219; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 326/Berbères, II, 22, 38; Mu’nis, 85; Ibn ‘Idārī, I, 299. Im Gegensatz zu den anderen Quellen datiert Ibn ‘Idārī die Einnahme von Sousse auf 455 und den Angriff von ammū auf 456. 378 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 354/Berbères, II, 47.

131

die Zuġba und Riyā auf der anderen Seite gegenüberstanden, erscheint in erster Linie ein Kampf der rivalisierenden Hilāl-Gruppen. Wenig später 1063–1064/456 konnte der Ziride Sousse einnehmen, ohne auf großen Widerstand gestoßen zu sein. Sfax blieb hingegen noch lange Zeit in der Hand von ammū. In der Schlacht zwischen ammū und Tamīm zahlte es sich für den Ziridenherrscher das erste Mal seit seinem Amtsantritt aus, daß er mehr auf die Qualität seiner Truppe geachtet hatte als seinerzeit al-Mu‘izz.

6.2 Beginn der Regierungszeit von an-Nāir b. ‘Alannās b. ammād 379 Der Regierungsantritt des neuen Hammadidenherrschers an-Nāir fand 1062/454 statt, im selben Jahr wie Tamīm. An-Nāir vergab hohe Posten an vier seiner Brüder: Der westliche Teil seiner Gebiete kam an Kabbāb, der in Milyna residierte; Hamza kam unter Rummāns Verwaltung, Naqāus kam an azar und Constantine an Balbār. Einer seiner Söhne bekam Algier und Marsā ad-Dağāğ, während ein anderer Ašīr bekam. Biskra, dessen Herrscher Ğa‘far b. Abī Rummān von Bulukkīn getötet worden war, hatte die hammadidische Autorität abgeschüttelt. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Stadt von den Nachkommen des Getöteten regiert. An-Nāir konnte diesen Zustand nicht länger tolerieren und beauftragte seinen Wesir alaf b. Abī aidara mit der Unterwerfung der Stadt. Nachdem er Biskra belagert hatte, gelang ihm die Einnahme. Die Banū Ğa‘far und mehrere andere Notabeln wurden von an-Nāir getötet und gekreuzigt. Bald darauf ließ an-Nāir seinen Minister jedoch töten, nachdem einige anhāğa-Chefs ihn darüber unterrichtet hatten, daß der Minister nach dem Tod Bulukkīns die Macht dem Bruder des letzteren hatte anvertrauen wollen, und daß er sie diesbezüglich konsultiert habe. Der Hammadide ersetzte ihn daraufhin durch Abū Bakr b. Abī l-Futū. Ibn aldūn informiert uns darüber, daß an-Nāir kurz darauf in den Maghreb reisen wollte. Nach Bulukkīns Tod versuchten diverse Onkel an-Nāirs, die Macht an sich zu reißen. An-Nāir konnte sich jedoch schließlich durchsetzen. Er schloß daraufhin verschiedene Bündnisse, die seine Macht konsolidierten. ammū b. Mallīl sandte ihm ein Unterwerfungsschreiben und ein reichhaltiges Geschenk. Dies war sehr geschickt. Da ammū immer damit rechnen mußte, daß die Ziriden den Versuch unternehmen würden, Sfax zurückzuerobern, brauchte er einen Verbündeten, der ihm im Notfall schnell Hilfe zukommen lassen könnte. Ferner mußte ihm an einer weiteren Gegnerschaft zwischen den Ziriden und Hammadiden gelegen sein, da sonst sein eigenes Schicksal besiegelt worden wäre. 379 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 354/Berbères, II, 47 ff.

132

Der Muqaddam von Qasīliya, Yayā b. Waās, kam an der Spitze einer Abordnung, um die Autorität des neuen Hammadidenherrschers anzuerkennen. Sogar Tunis erkannte den Hammadiden an. An-Nāir, der nun Herr über den Zentralen Maghreb und einen Teil von Ifrīqiya war, konnte darauf hoffen, den ziridischen Zweig in Ifrīqiya zu verdrängen.

6.3 Die Schlacht von Sabība 1065/457 380 Die Chronisten messen der Schlacht von Sabība eine unterschiedliche Bedeutung bei. An-Nuwairī und Ibn al-Atīr widmen dem Ereignis im Gegensatz zu Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī ein eigenes Kapitel.381 Da die einzelnen Werke jedoch in der Art der Gliederung und bezüglich des Umfangs differieren, darf man das nicht überbewerten. Zudem sind die Darstellungen von an-Nuwairī und Ibn alAtīr weitaus ausführlicher als die von Ibn aldūn und Ibn ‘Idārī. Unter den einzelnen Hilāl-Stämmen herrschte keine Einigkeit. Das kam dadurch zum Ausdruck, daß einige die Ziriden, und andere die mit den Ziriden rivalisierenden Hammadiden unterstützten. Die Partei an-Nāirs bestand hauptsächlich aus anhāğa-Berbern, den Atbağ und ‘Adī sowie den Zanāta. Im gegnerischen Lager fanden sich die Riyā, Zuġba und Sulaim wieder, denen sich noch der Maġrāwa-Chef Ibn al-Mu‘izz b. Zīrī b. ‘Aiyya anschloß. Eine Konfrontation schien also unvermeidbar. 1064–1065/457382 stellte an-Nāir eine beeindruckende berberisch-arabische Koalition auf. Die Initiative dazu ging von den Atbağ aus, die den wachsenden Einfluß der Riyā eindämmen wollten. Die Scheichs der Atbağ baten an-Nāir um Hilfe gegen die pro-ziridischen Riyā, und dieser kam dem Ersuchen nach.383 Als Tamīm von den Absichten an-Nāirs erfuhr, begann er, mit einer Armee aus anhāğa, Zanāta und den Hilāl die Verteidigung von Mahdia vorzubereiten. Dazu rief er die Emire der Riyā zusammen. Er erklärte ihnen, daß es ihre Terri380 Ibn al-Atīr, X, 44–46; an-Nuwairī, 24, 220–222; Ibn aldūn, Berbères, I, 45–46; ders., ‘Ibar, VI, 355/Berbères, II, 48–49; Ibn ‘Idārī, I, 299; vgl. auch Idris, Berbérie Orientale, 259 ff. 381 Siehe Fußnote Überschrift. Die Überschrift von Ibn al-Atīr lautet: dikr al-arb baina banī ammād wa-l-‘arab; bei an-Nuwairī: dikr al-arb baina banī ammād wa-l-‘arab wa-ntiār al-‘arab ‘alaihim. Die Überschrift weist daraufhin, daß an-Nuwairī und Ibn al-Atīr die Ereignisse von Sabība trotz der Beteiligung der Ziriden und Zanāta und der sich daraus ergebenden Bündnissse, in erster Linie als einen Konflikt zwischen den Hilāl und den Hammadiden angesehen haben. 382 Dieses Datum wird von an-Nuwairī, Ibn al-Atīr und Ibn ‘Idārī genannt. Ibn aldūn liefert keine Zeitangabe. 383 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 355/Berbères, II, 48 ist der einzige Chronist, der diese Begebenheit erwähnt.

133

torien seien, die ins Visier der hammadidischen Vorbereitungen gerieten und nicht das unbezwingbare Mahdia, zu dessen Verteidigung die vier Bastionen ausreichten, die von 40 Männern bewacht werden könnten. Die Emire stimmten ihm zu. Daraufhin rüstete er jeden von ihnen mit 1.000 Dinar, Panzern, Lanzen, Schilden und indischen Schwertern aus. Anschließend setzten sich die mit Tamīm verbündeten Hilāl-Emire heimlich mit Hilāl-Vertretern in Verbindung, die auf anNāirs Seite standen und versuchten diese auf ihre Seite zu bekommen. Das gelang ihnen auch. Es wurde vereinbart, daß, wenn die beiden Armeen sich gegenüber stünden, und die pro-ziridischen Hilāl die anderen angreifen würden, die Nir-freundlichen Hilāl sich gegen ihre Verbündeten wenden sollten. Als Belohnung sollten sie ein Drittel der Beute erhalten. Der Rest würde an die Riyā zurückgehen. Dieses Verhalten zeigt wieder einmal, daß die Hilāl ihrer Gier nach möglichst reicher Beute alles unterordnen, und sie sogar ihre Bündnisse nach diesem Bedürfnis ausrichteten. Ibn al-Mu‘izz b. Zīrī schloß ein ähnliches Abkommen mit den mit an-Nāir verbündeten Zanāta. Sie versprachen, daß sie im Verlauf der Auseinandersetzung an-Nāir im Stich lassen würden. Idris hält es für nicht ausgeschlossen, daß der Zanāta-Emir in Übereinstimmung mit Tamīm handelte.384 Die Schlacht fand 1065/457 in der Ebene von Sabība statt. Wie vereinbart, warfen sich die Riyā auf die Atbağ und ‘Adī. Die Zanāta des Ibn al-Mu‘izz b. Zīrī griffen deren mit an-Nāir verbündeten Stammesgenossen an. Der Abfall des hilalisch-zanatischen Truppenkontingents führte zum Rückzug der anhāğa. Die Niederlage an-Nāirs war total; er selbst konnte jedoch mit einigen Gefolgsleuten fliehen. Sein älterer Bruder, der ihm bei der Flucht half, kam dabei ums Leben. 24.000 anhāğa und Zanāta blieben auf dem Schlachtfeld. Es ist fraglich, ob die siegreichen Hilāl die Berber, ob es nun anhāğa oder Zanāta waren, wahllos massakriert haben. Möglicherweise wußten die Riyā nichts von den Abmachungen zwischen den beiden Zanāta-Parteien oder gaben vor, davon nichts gewußt zu haben. Die Beute fiel beträchtlich aus; Geld, Waffen, Pferde usw. wurden, wie vorher vereinbart, unter den Arabern aufgeteilt. Die vorige Erzählung, die sich hauptsächlich auf Ibn al-Atīr und an-Nuwairī stützt, differiert von derjenigen Ibn aldūns bezüglich der Umstände des riyāisch–zanatischen Zusammengehens. Ibn aldūn sagt,385 daß al-Mu‘izz b. Zīrī und die Zanāta sich an-Nāir anschlossen und daß in Sabība der Maġrāwa-Emir auf Seiten des Hammadiden stand, der von seinen Gefolgsleuten während der Schlacht auf Anstiftung Tamīms verlassen wurde. Ibn aldūn übergeht jedoch 384 Idris, Berbérie Orientale, 260. 385 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 355/Berbères, II, 48–49.

134

stillschweigend die Vereinbarungen zwischen den Riyā und den Atbağ, den Abfall, die Hilāl-Kontingente an-Nāirs und die Präsenz der Zanāta in der siegreichen Armee, die nach seiner Darstellung nur aus Riyā und Zuġba bestand. Ibn aldūn macht indirekt die anhāğa und al-Mu‘izz b. Zīrī für die Schlacht von Sabība verantwortlich: die anhāğa, da diese durch das Schüren von Zwietracht unter den Hilāl-Stämmen die Araber dazu genötigt hätten, die Ziriden bzw. die Hammadiden in die inneren arabischen Angelegenheiten hineinzuziehen und al-Mu‘izz b. Zīrī, weil dieser die Hammadiden im Stich ließ. Ibn ‘Idārī sagt lediglich, daß 1064–1065/457 die aus anhāğa, Zanāta, ‘Adī und Atbağ bestehende Armee an-Nāirs dank der Machenschaften Tamīms von den Riyā, Zuġba und Sulaim geschlagen wurde, ohne jedoch den Ort zu präzisieren.386 Ibn ‘Idārī gibt damit Tamīm die Schuld an den Ereignissen von Sabība. Ibn al-Atīr und an-Nuwairī lassen hinsichtlich der Frage, wer für Sabība die Verantwortung trägt, die größte Sachlichkeit und Neutralität walten, da sie nicht nur die ausführlichste Darstellung liefern, sondern sich zu der „Schuldfrage“ nicht weiter äußern. Sie führen den „Grund“ für die Schlacht auf die Spaltung der anhāğa-Dynastie zur Zeit von Bādīs und ammād zurück. Wenn man die Gründe und Anlässe berücksichtigt, die zu den Ereignissen von Sabība geführt haben, kann man die Schuld an der Schlacht unmöglich einer Partei alleine zuschreiben. Die untereinander rivalisierenden Beduinen-Stämme der Atbağ und Riyā drängten ihre jeweiligen berberischen „Verbündeten“ zu dem Vorhaben. Sowohl die Ziriden als auch die Hammadiden waren ihrerseits einer militärischen Auseinandersetzung nicht abgeneigt, da sie hofften, in einer Entscheidungsschlacht die Vormacht über die jeweilige Schwesterdynastie zu erlangen. Freilich machten sich weder die Ziriden noch die Hammadiden Gedanken darüber, wie sich eine derartige Schlacht auf den Einfluß der Beduinen und die Position ihrer eigenen Dynastie auswirken könnte. Nach seiner Niederlage beauftragte an-Nāir seinen Wesir Ibn Abī l-Futū Friedensverhandlungen aufzunehmen. Nach Ibn aldūn war der ausgehandelte Frieden zwischen Tamīm und an-Nāir allerdings nicht sonderlich wirksam. Der von den Riyā verfolgte Hammadide flüchtete nach der Niederlage nach Constantine. Mit den ungefähr 200 übriggebliebenen Soldaten gelang ihm die Wiedergewinnung der Qal‘a, wo er von den Arabern belagert wurde. Die Belagerer verwüsteten die Gärten und fällten die Bäume der Umgebung. Sie zerstörten ubna und Msila, deren Einwohner vertrieben wurden. Die Stadtbewohner durften die Städte nicht mehr verlassen. Den Seßhaften, die auf ihren eigenen Ländereien bleiben

386 Ibn ‘Idārī, I, 299.

135

wollten, wurde ein Tribut auferlegt.387 Die Zerstörung dieser beiden Städte geschah im Zusammenhang mit der Schlacht von Sabība; daher haben die beiden anhāğa-Dynastien, insbesondere die Hammadiden, hieran eine gewisse Mitschuld. Ferner ist nicht bekannt, daß sich die Hammadiden nach Sabība in irgendeiner Weise bemüht hätten, sich mit den Arabern zu arrangieren. Die Zerstörung der beiden Städte geschah zudem nicht willkürlich, sondern mit dem Ziel, den Widerstand an-Nāirs zu brechen. Ibn al-Atīr schätzt, daß die Schlacht von Sabība die Herrschaft der Araber stärkte, da die Beute sie reich machte und sie besonders mit Pferden, die sie vorher nicht hatten, gut ausrüstete.388 Dieser Einschätzung ist ohne Zweifel zuzustimmen. Die Verlierer der Schlacht waren eindeutig die Hammadiden und die Ziriden. Beide Schwesterndynastien wurden durch den hohen Verlust an Menschen und Material sehr geschwächt, wobei der Ausgang der Schlacht für anNāir natürlich wesentlich verheerender war als für Tamīm. Den Hilāl hingegen gelang es reiche Beute zu machen. Hierin lag ja auch traditionell ihre Stärke. Durch die erhebliche Schwächung waren nach Sabība sowohl die Hammadiden als auch die Ziriden in verstärktem Maß auf die jeweiligen Hilāl-Stämme angewiesen. Auch wenn Tamīm den Ausgang der Schlacht nicht unerheblich mit beeinflußt hat, hat er langfristig gesehen hiermit das Ende seiner Dynastie beschleunigt. Kurz- und mittelfristig hat er dadurch zwar die endgültige Überlegenheit über die Hammadiden erlangt; der Preis dafür war allerdings die erhebliche Machtzunahme der Hilāl. Es ist offensichtlich, daß Idris die Überschrift des entsprechenden Kapitels deshalb „Niederlage“ nennt. Dabei läßt er bewußt offen, auf wen sich diese Niederlage bezieht, um damit zu suggerieren, daß die Niederlage der Berber eine für das ganze Land war.389 Anhand der Überschriften, die die Chronisten für den Ausgang der Schlacht von Sabība verwenden, wird deutlich, daß sie dieses von Idris gezeichnete Bild nicht bestätigen. Sogar Marçais ist hier sachlicher als Idris.390 Den Beduinen ist es in der Schlacht von Sabība gelungen, die beiden anhāğa-Dynastien gegeneinander auszuspielen. Die anhāğa-Kavallerie, die vor der 387 388 389 390

136

Ibn aldūn, Berbères, I, 45–46. Ibn al-Atīr, X, 46. Idris, Berbérie Orientale, 259: Offensive hammadide et défaite de Sabiba. Wenn bei den Chronisten im Zusammenhang von Sab ba von „Niederlage“ die Rede ist, wird jedesmal gesagt, auf wen sich diese Niederlage bezieht. Am deutlichesten kommt das bei an-Nuwairī, 24, 220 zum Ausdruck: dikr al-arb baina banī ammād wa-l-‘arab wa intiār al-‘arab ‘alaihim; Ibn al-Atīr, X, 44: dikr al-arb baina banī ammād wa-l-‘arab; Ibn ‘Idārī, I, 299: fa-inhazama an-Nāir; Marçais, Arabes en Berbérie, 114 nennt die einschlägige Überschrift folgendermaßen: La bataille de Sbiba et ses conséquences.

Gründung von Bougie mindestens 12.000 Mann391 zählte, scheint in Sabība vollkommen vernichtet worden zu sein. Die Sieger behielten die Waffen, Fahnen, Trommeln und Hörner, die Zelte von an-Nāir sowie die Maulesel, die als Transportmittel dienten. Sie sandten die Fahnen, Trommeln und Zelte auf den Reittieren an Tamīm, der allerdings die Annahme dieser Trophäen verweigerte und sie den Arabern zurücksandte. Diese waren beleidigt und machten geltend, daß sie seine Sklaven und Soldaten seien. Tamīm antwortete ihnen, daß sein Verhalten nicht gegen sie gerichtet sei, sondern er zu stolz sei, um sich am Besitz seines Cousins zu bereichern. Dieser Akt der Großzügigkeit war wahrscheinlich lediglich eine Manifestation von Bitterkeit: Tamīm hoffte ursprünglich, sie für seine Zwecke einspannen zu können. Da sich die Macht der Araber durch Sabība allerdings ungewollt verstärkt hatte, und das obendrein noch auf Tamīms Kosten, soll Tamīm einen unbeschreiblichen Verdruß gespürt haben. Durch die Zerstörung der hammadidischen Bastion wurde die Hoffnung auf eine wirksame Reaktion der anhāğa endgültig begraben. Die Geste der Hilāl gegenüber Tamīm mutet zunächst etwas merkwürdig an: Erst verbünden sich die einzelnen Hilāl-Stämme, um auf Kosten von Tamīm und an-Nāir möglichst reiche Beute zu machen. Und als sie diese dann tatsächlich haben, schicken sie einen großen Teil an Tamīm zurück. Wenn man jedoch die einzelnen Beutestücke wie Fahnen und Trommeln, die die Beduinen an Tamīm schickten, genauer betrachtet, so fällt auf, daß die Beutegegenstände von relativ geringem Wert waren. Außerdem dürfte für deren Transport eine geringe Anzahl an Transporttieren ausgereicht haben. Trotz dieser Erklärungsversuche kommt man wohl nicht umhin, aus dem Verhalten der Beduinen auf ein vergleichbar entspanntes Verhältnis zwischen Tamīm und den Arabern zu schließen. Durch die Geste der Beduinen an Tamīm wird auch deutlich, daß sie keine weiteren politischen Ambitionen hatten. Anderenfalls hätten sie eine sehr gute Gelegenheit gehabt, die durch die Schlacht von Sabība stark geschwächten Ziriden, und auch die Hammadiden, endgültig zu entmachten. Ferner hätten sie sich wie Sieger verhalten und Tamīm wie einen Besiegten behandeln können. Das taten sie aber nicht. Die Hilāl-Stämme waren untereinander zerstritten. Infolgedessen unterstützte ein Teil von ihnen die Ziriden und ein anderer Teil die Hammadiden. Zweifellos hatte diese Rivalität eine nicht unerhebliche Schuld an der Schlacht von Sabība. Der Riß zwischen den Riyā und den Atbağ kann jedoch nicht so tief gewesen sein, daß er unüberbrückbar gewesen wäre. Anderenfalls wäre eine Vereinbarung der Riyā und Atbağ zur Aufteilung der möglichen Beute, wie sie kurz vor Beginn der Schlacht getroffen worden war, nicht möglich gewesen. 391 Idris, Berbérie Orientale, 262.

137

Dieses Verhalten der Hilāl-Stämme untereinander, die Geste der Riyā gegenüber Tamīm und das Verhalten der Zanāta in Bezug auf die Ereignisse von Sabība zeigen, daß es keine klaren Frontlinien gab. Die Bündnisse wurden recht opportunistisch und wenig durchdacht geschlossen und teilweise auch sehr schnell wieder gebrochen. Es zählte nur, welche Vorteile man für den gegenwärtigen Zeitpunkt erlangen könnte. Weiterreichende Konsequenzen spielten hingegen bei keiner Partei eine allzu große Rolle.

6.4 Die Folgen der Schlacht von Sabība Ibn aldūn weist daraufhin, daß das Gebiet der Hammadiden, das bisher von den Hilāl verschont geblieben war, durch Sabība das gleiche Schicksal erfuhr wie Ifrīqiya. Die Ausrottung der anhāğa bei Sabība bestätigte den Einfluß der Hilāl über das gesamte Berbergebiet; die Riyā waren nun in Ifrīqiya und die Atbağ im Zentralen Maghreb vorherrschend. Im Laufe der folgenden Jahre verringerte sich jedoch der Einfluß der Atbağ.392 Die Niederlagen der Berber gegen die Beduinen sind für Halm Indizien für einen tiefgreifenden Wandel in der Bevölkerungsstruktur des Maghreb: „in den Ebenen des heutigen Tunesien und auf den Steppenplateaus Algeriens wird die berberische Urbevölkerung des Maghreb von den einwandernden Arabern verdrängt; nur die inselhaft aufragenden, zerklüfteten und bewaldeten Bergmassive bleiben von der Invasion der Kamelnomaden verschont und behalten ihre berberophone seßhafte, bäuerliche Bevölkerung, und zwar in umso größerem Maße, je weiter man nach Westen kommt. Die Bevölkerung des Rif und der Atlasketten Marokkos ist bis heute berberophon geblieben, während die marokkanische Atlantikebene gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch die Verpflanzung der Riyā und andere Hilāl-Stämme dorthin durch die Almohaden (de Planhol393 hat diesen Vorgang als „Laus in den Pelz setzen“ beschrieben) arabisiert wird und die Wüstensteppen des heutigen Mauretanien seit dem 14. Jahrhundert den arabischen Ma‘qil anheimfallen.“394

6.5 Vergleich zwischen den Schlachten von aidarān und Sabība 6.5.1 Gemeinsamkeiten Angesichts der Bedeutung der beiden Schlachten von Sabība und aidarān und deren Ausgang fühlt man sich genötigt, einen Vergleich zwischen den beiden militärischen Auseinandersetzungen zu ziehen. 392 Ibn aldūn, Berbères, I, 46. 393 De Planhol, 161. 394 Halm, Kalifen von Kairo, 377.

138

In den ziridisch–arabischen Kämpfen von aidarān unterlagen die Ziriden, so wie in den hammadidisch–arabischen Auseinandersetzungen von Sabība die Hammadiden unterlagen. Beide Schlachten waren die ersten ihrer Art zwischen den Beduinen und der jeweiligen anhāğa-Dynastie. Sowohl aidarān als auch Sabība waren unvermeidlich. Die Zanāta spielten bei beiden Schlachten zwar eine recht zweifelhafte, aber vergleichsweise geringe Rolle. In der Schlacht von aidarān ließen sie al-Mu‘izz im Stich, während sie in Sabība den Hammadiden verließen und sich Tamīm anschlossen. In beiden Schlachten haben die Beduinen annähernd die gleichen Gegenstände vom Gegner erbeutet. In beiden Fällen beeinflußte der Ausgang der jeweiligen Schlacht den politischen Fortgang von Ifrīqiya bzw. dem Zentralen Maghreb nicht unerheblich. Das Desertieren ganzer Truppenkontingente und das Überlaufen einiger Truppenteile zum Gegner beeinflußte den Ausgang beider Schlachten. Obwohl die Beduinen aus beiden Schlachten als Sieger hervorgingen, beließen sie ihre unterlegenen Gegner im Amt. Nach keiner der beiden Schlachten sind gezielte Strafmaßnahmen der Beduinen gegen die Unterlegenen bekannt.

6.5.2 Unterschiede In der Schlacht von aidarān fand der Ziride die Unterstützung des Hammadiden, während in Sabība der Ziride durch sein Verhalten eher zur Niederlage der Hammadiden beitrug. Der Beginn der Schlacht von aidarān ereignete sich im Gegensatz zu der von Sabība eher zufällig und besonders für die Ziriden zu diesem Zeitpunkt überraschend, obwohl man dazu sagen muß, daß es angesichts des Verhaltens der Hilāl nur eine Frage der Zeit war, daß es zu einem ziridisch–arabischen Zusammenstoß kam. Anders als in Sabība behielten die Araber in aidarān die gesamte Beute. Die Frontlinien zwischen den Gegnern waren bei aidarān klarer als bei Sabība. In aidarān waren die Hammadiden jedoch nicht annähernd so stark involviert wie die Ziriden in Sabība. Die Zerstrittenheit der Hilāl-Stämme war ein wesentliches Merkmal der Schlacht von Sabība, während dieser Aspekt in aidarān überhaupt keine Rolle spielte. Anders als bei der Schlacht von aidarān erfahren wir bezüglich der Schlacht von Sabība von den Quellen über die zahlenmäßige Zusammensetzung der an der Schlacht teilnehmenden Gruppen leider nichts. Eine mögliche Erklärung für das Schweigen der Chronisten hierüber ist, daß es in der Schlacht von Sabība anders als aidarān keine klaren Frontlinien gab. Daher wird es für die Chronisten ungleich schwerer gewesen sein zu bestimmen, über wieviel Kämpfer die einzelnen Parteien verfügten.

139

6.6 Gafsa und Qasīliya unter den Banū r-Rand 395 Tamīm scheint keinen Versuch unternommen zu haben, Gafsa zurückzuerobern, dessen seit 1053–1054/445 unabhängiger Chef ‘Abdallāh b. Muammad b. arRand von einem großen Teil von Qasīliya anerkannt wurde. Nach seinem Tod 1072–1073/465 trat sein Sohn Abū ‘Umar/‘Amr Mu‘tazz die Nachfolge an. Er sammelte viele Partisanen um sich, um Qammūda, das Hawwāra-Gebirge und alle anderen Städte und die Umgebung von Qasīliya zu unterwerfen. Ihm gelang es, im Westen von Mittel-Ifrīqiya ein bedeutendes Fürstentum zu gründen, das Qammūda, Gafsa und Qasīliya umfaßte. Im Norden wurde es von Sabība, Kairuan und Sfax begrenzt und im Süden vom Ša al-Ğarīd. Als al-Mu‘tazz erblindete, designierte er seinen Enkel Yayā b. Tamīm b. al-Mu‘tazz396 zu seinem Nachfolger, da sein Sohn Tamīm schon gestorben war. Idris folgert, daß die Wahl der Namen ein Hinweis darauf sein könnte, daß die Ziriden für die Banū r-Rand eine gewisse Vorbildfunktion hatten.397 Es fällt auf, daß die Unterwerfung wichtiger Landesteile von Ifrīqiya keine Gegenreaktion der Ziriden oder der Hilāl hervorrief. Wie bereits an mehreren Stellen ausführlich dargelegt, verfügten die Ziriden über keine reale Macht mehr. Ebensowenig stand ihnen eine schlagkräftige Armee zur Verfügung. Die Ziriden waren zu jenem Zeitpunkt mehr damit beschäftigt, das Überleben ihrer eigenen Dynastie zu sichern. Ferner lag das von den Banū r-Rand kontrollierte Gebiet eher an der Peripherie des ziridischen Interesses. Die Tatsache, daß es keinerlei Reaktionen seitens der Hilāl auf die Etablierung der Banū r-Rand gab, kann man damit erklären, daß sich ‘Abdallāh und die Hilāl sehr schnell auf die Zahlung eines Tributs einigten. Außerdem lag das von den Banū r-Rand kontrollierte Gebiet eher am Rande des Aktionsradius der Beduinen. Die nach der Hilāl-Invasion vorgenommenen Gebietsaufteilungen betrafen insbesondere die Städte, die direkt an oder in der Nähe der Küste lagen.

6.7 Die urasaniden von Tunis 398 6.7.1 Beginn Tunis nutzte die erstbeste Gelegenheit, um zugunsten einer allgemeinen Anarchie mit den Ziriden zu brechen.399 Viele anhāğa flüchteten mit ihrem Herrn nach 395 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 338–339/Berbères, II, 33; zu den Anfängen der Banū r-Rand vgl. obiges Kap.: Die Situation in Kairuan, Tozeur, Gafsa und Sousse. 396 Nicht zu verwechseln mit Yayā b. Tamīm b. al-Mu‘izz b. Bādīs. 397 Idris, Berbérie Orientale, 257. 398 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 334 ff./Berbères, 29ff. liefert mit Abstand den ausführlichsten Bericht über die Banū urāsān.

140

Mahdia. Nach Ibn aldūn bemächtigte sich einer der Hilāl-Schwiegersöhne von al-Mu‘izz, ‘Ābid b. Abī l-Ġait, Tunis’ und versklavte dessen Einwohner.400 Die ganze Aktion scheint jedoch lediglich eine Plünderung gewesen zu sein, die ohne Folgen blieb. Zur selben Zeit nahm ein anderer Araberemir, Abū Mas‘ūd, Bône ein. Man könnte angesichts dessen erwarten, daß Tunis daran dachte, sich unter den Schutz des Hammadidenreiches zu stellen. Gegen 1058–1059/450 begab sich eine Delegation von tunesischen Scheichs zur Qal‘a, um an-Nāir b. ‘Alannās um einen Gouverneur zu ersuchen. Ibn ‘Idārī bekräftigt, daß der Hammadide aus Vorsicht nicht auf dieses Gesuch reagierte.401 An-Nāir war sich offensichtlich voll bewußt, daß sein Einfluß und seine Möglichkeiten sehr begrenzt waren. Daher bestand seine Strategie darin, zu intrigieren, sich anzupassen und sich vorerst nicht direkt in die Angelegenheiten Ifrīqiyas einzumischen, trotz der verzweifelten Appelle der Einwohner Ifrīqiyas, die sich unter seine Herrschaft stellen wollten. Er antwortete darauf, daß sie sich einen Scheich suchen müßten, der die Verwaltung des Landes übernähme. Er selbst wollte sich auf die Rolle des Beobachters beschränken. Schließlich nahm ‘Abd al-aqq b. ‘Abdal-‘Azīz b. urāsān die Geschicke der Stadt im Namen an-Nāirs in die Hand.402 Nach Ibn aldūn wurde dieser Gouverneur von dem Hammadiden, zu dem sich eine Abordnung von tunesischen Scheichs begab, ernannt. Idris hält es für möglich, daß es eine zweite tunesische Deputation gab, die vielleicht sogar mit dem Gouverneur selbst kam.403 Ibn aldūn hält es für sehr wahrscheinlich, daß ‘Abd al-aqq anhāğaBerber war. Leider erfahren wir von den Quellen nicht, wie der Name urāsān mit dem Berberstamm in Verbindung kam. Ibn aldūn ist der einzige Autor, der einige Informationen über die Politik ‘Abd al-aqqs liefert. Dieser hammadidische Vasall, der quasi unabhängig war, ließ die Bewohner von Tunis an der Macht teilhaben. Er trug den Titel „Scheich“. Es handelt sich dabei um eine Regierungsform, die an die berberische ğamā‘a erinnert, wo die Macht von einer Art Versammlung von Notabeln ausgeübt wurde. Diese Regierungsart trat schon im Falle von Sousse, kurz nach der Schlacht von aidarān, auf ‘Abd al-aqq war bei den Bewohnern von Tunis, die offenbar mit dieser halbdemokratischen Regierungsart zufrieden waren, recht beliebt. Ihm 399 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 353–354/Berbères, II, 47–48. 400 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34/Berbères, I, 36. Auch hier ist es wieder schwierig, eine genaue chronologische Abfolge herzustellen. 401 Ibn ‘Idārī, I, 315; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 34, 326, 334–335/Berbères, I, 36; II, 22, 29–30. 402 Bei Ibn aldūn ist lediglich von Tunis die Rede, während bei Ibn ‘Idārī auch andere, nicht weiter namentlich genannte, Städte mit einbezogen werden. Man muß jedoch davon ausgehen, daß die Hauptinitiative von Tunis ausging. 403 Idris, Berbérie Orientale, 264.

141

gelang es außerdem, die Raubzüge der Araber zu beenden. Dafür mußte er ihnen aber einen jährlichen Tribut zahlen.404

6.7.2 Etablierung als lokale Erbdynastie 405 1065–1066/458 nutzte Tamīm den finanziellen Ruin seines von den Riyā besiegten Cousins aus, um ‘Abd al-aqq zu schlagen. An der Spitze einer beachtlichen Armee, die von dem Emir der Zuġba, Yabqā b. ‘Alī, begleitet wurde, belagerte Tamīm 14 Monate lang Tunis, ehe ‘Abd al-aqq sich ihm unterwarf. Idris406 ist der Meinung, daß sich Tamīm mit der formalen Rolle als Oberherrscher zufriedengab. Daher sei die Unterwerfung ‘Abd al-aqqs auch weniger eine Kapitulation als eine gütliche Einigung mit Tamīm, die auf das Ende 1067/459–460 zu datieren sei. Idris’ Einschätzung, daß es zu einer gütlichen Einigung gekommen sei, ist angesichts der Länge der Belagerung mehr als fragwürdig, da sich ja sowohl ‘Abd al-aqq hätte ergeben, als auch Tamīm auf die Einnahme der Stadt verzichten können. Ferner war Tunis ein wichtiger strategischer Ort in Ifrīqiya. Die Herrschaft ‘Abd al-aqqs muß Tamīm als Pfahl im Fleische empfunden haben. Das erklärt auch, warum ihm soviel daran gelegen haben muß, daß die Stadt in seinen Herrschaftsbereich zurückkehrt. Es ist aber dennoch nicht ausgeschlossen, daß Tamīm ‘Abd al-aqq nach dessen formaler Unterwerfung weitgehend freie Hand in Tunis ließ. Nach dem Tode ‘Abd al-aqqs 1095/488 ging die Macht an dessen Sohn ‘Abd al-‘Azīz über, der sie seinerseits nach und nach seinen Bruder Ismā‘īl überließ. Tamīm soll sich 1097–1098/491 erneut der Stadt bemächtigt haben.407 Die Chronisten setzen den Regierungsantritt von Amad b. ‘Abd al-‘Azīz nach dem Tod seines Vaters auf das Jahr 1106–1107/500 an. Daher stellt sich die Frage, ob Ismā‘īl nach dem Tode seine Bruders ‘Abd al-‘Azīz die Macht an sich riß. Vielleicht versuchte er seinen Neffen Amad unter Vormundschaft zu stellen und tauschte daher den Titel „Scheich“ gegen „Emir“ aus. Wie dem auch sei, Amad ließ ihn töten.408 Der Sohn des Getöteten, Abū Bakr, floh nach Bizerte, wo ihn später die Bewohner von Tunis aufsuchten, um ihn an die Macht zu bringen. Amad brach die Macht der Scheichs und regierte wie ein Tyrann. Zahlrei404 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 334–335/Berbères, II, 29–30. 405 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 326, 335/Berbères, II, 22, 30; Ibn ‘Idārī, I, 299; Ibn al-Atīr, X, 50– 51; an-Nuwairī, 24, 228; Mu’nis, 85. 406 Idris, Berbérie Orientale, 265. 407 Ibn ‘Idārī, I, 315; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 335/Berbères, II, 30. 408 Ibn ‘Idārī, I, 315.

142

che Notabeln flohen ins Exil nach Mahdia. Der neue Herrscher schien sich auf die Rechtsgelehrten gestützt zu haben. Ibn aldūn hält ihn für den bedeutendsten Führer, den seine Familie hervorgebracht hatte. Seine 22-jährige Amtszeit markiert den Höhepunkt des urasanidischen Tunis. Er umgab die Stadt mit Befestigungsanlagen und erhielt von den Arabern das Versprechen, die Sicherheit der Reisenden zu gewährleisten. Offenbar hat Tamīm den Machtzuwachs von Amad bis hin zur faktischen Etablierung als unabhängiger Diktator toleriert. Sonst hätte er zumindest die Errichtung der Befestigungsanlagen um Tunis verhindert. Es gibt zwei Gründe für Tamīms Haltung: 1) Tamīm hat in ihm einen Garanten für Stabilität und Ruhe in Tunis und Umgebung gesehen. Dabei nahm er auch in Kauf, daß das berberische Sozialgefüge der Stadt durcheinandergebracht wurde. 2) Tamīm verfügte über keinerlei militärische oder andere Mittel, um Amad in seine Schranken zu weisen. Letzterer Grund ist weitaus wahrscheinlicher als ersterer. Man muß bedenken, daß Tamīm durch die Schlacht von Sabība noch sehr geschwächt war. Außerdem fehlten ihm Verbündete, die seinem Recht Geltung hätten verschaffen können. Die Regierungszeit Amads ist aus unterschiedlichen Gründen sehr interessant: Es ist schon recht bemerkenswert, daß es einem hammadidischen Günstling gelang, mehr als 20 Jahre in einer politisch noch immer sehr instabilen Umgebung zu regieren. Dies bestätigt wieder einmal, daß die Präsenz der Araber in Nordafrika nicht nur mit Chaos und Anarchie verbunden war. Ferner zeigt das Beispiel, daß die Beduinen kein großes Interesse an politischer Einflußnahme offenbarten, da sie anderenfalls den autoritären Regierungsstil Amads nicht ohne weiteres toleriert hätten. Da die Araber den Aufstieg der urasaniden kaum beeinflußten, und es auch sonst nur sehr wenige und unbedeutende gegenseitige Berührungspunkte gab, drängt sich auch hier der schon weiter oben geäußerte Verdacht auf, daß ein Ausbleiben der Hilāl-Invasion auch keinen Einfluß auf die Etablierung der urasaniden gehabt hätte.

6.8 Verkauf von Kairuan und Vertreibung der Zuġba 1073–1074/466 oder 1074–1075/467 kam es zu einem blutigen Konflikt zwischen den Riyā und den Zuġba, die geschlagen und aus Ifrīqiya vertrieben wurden.409 Die Quellen berichten leider nur sehr spärlich über derart wichtige Ereignisse. Es ist offensichtlich, daß der Verkauf Kairuans die Vertreibung der Zuġba aus Ifrīqiya beschleunigte.

409 Ibn al-Atīr, X, 40; Ibn ‘Idārī, I, 300; Mu’nis, 85.

143

Die Berichte über die Abtretung Kairuans zeigen hinsichtlich des Käufers der Stadt gewisse Widersprüche auf.410 Al-Qā’id b. Maimūn, der seit zehn Jahren am hammadidischen Hof lebte, begab sich zu ammū b. Mallīl, dem Lokalfürsten von Sfax. Es gelang ihm, den Emir der Zuġba zum Verkauf von Kairuan an seinen neuen Herrn zu bewegen. Als Gegenleistung wurde al-Qā’id als Gouverneur der Stadt eingesetzt. Diese ganze Aktion scheint zunächst seltsam. Idris hält es für wahrscheinlich, daß er unter der Drohung der Riyā die Stadt versteigern mußte. Daß einige Quellen ammū als Käufer angeben, obwohl dieser ein Gegner Tamīms war, verwundert nicht.411 Man darf nicht vergessen, daß ammū es meisterhaft verstand, sich mit den Arabern zu arrangieren und gleichzeitig den Hammadiden gegenüber als treu ergebener Untertan aufzutreten. 1077–1078/470, im Jahr des ziridisch–hammadidischen Friedensschlusses, kehrte al-Qā’id nach Kairuan zurück, stellte die Stadtmauern wieder her und befestigte die Stadt.412 Die genauen Umstände über al-Qā’ids Abreise aus dem Zentralen Maghreb und sein Verhältnis zu an-Nāir sind nicht näher bekannt. Es wird jedoch nirgends gesagt, daß sie sich verändert hätten. Man kann al-Qā’id als hammadidischen Agenten betrachten, der mit einer Mission bei ammū beauftragt war und den Kauf Kairuans als Antwort auf den Triumph der pro-ziridischen Riyā über die Zuġba. Möglicherweise hat dieser Erfolg der Feinde Tamīms zum ziridisch– hammadidischen Friedensschluß beigetragen. Ibn ‘Idārī berichtet, daß 1075–1076/468 Araber aus Barqa kamen und sich in der Umgebung von Kairuan niederließen.413 Womöglich handelt es sich hierbei um die Banū Qurra. Ibn ‘Idārī äußert sich hierzu nicht weiter. Daher erfahren wir auch nicht, ob und inwiefern die Niederlassung dieser Araber in der Umgebung von Kairuan mit dem Konflikt zwischen den Riyā und den Zuġba in Zusammenhang steht. Der Verkauf von Kairuan 1073–1078/466–470 markiert die Expansion der Riyā in Ifrīqiya während der Regierungszeit Tamīms. 1106–1107/500 fiel Beja in die Hände der riyāidischen Aar und erlebte ein Massaker.414 410 Nach Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 327/Berbères, II, 23 und an-Nuwairī, 24, 228 wurde die Stadt an ammū verkauft. Bei Ibn ‘Idārī, I, 300 und Mu’nis, 85 ist an-Nāir der Käufer, während Ibn al-Atīr, X, 51 al-Qā’id b. Maimūn als Käufer angibt. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Angaben der Chronisten ist, daß die Stadt innerhalb kürzester Zeit möglicherweise mehr als einmal verkauft wurde. 411 Idris, Berbérie Orientale, 273. 412 Ibn al-Atīr, X, 51; an-Nuwairī, 24, 228; Mu’nis, 85. 413 Ibn ‘Idārī, I, 300; siehe auch Mu’nis, 85. 414 Ibn ‘Idārī, I, 303; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24.

144

6.9 Das ziridisch–hammadidische Verhältnis nach Sabība 6.9.1 Gründung von Bougie 415 Nach der Niederlage von Sabība ließen sich die Araber vor den Mauern der Qal‘a nieder und machten an-Nāir das Leben immer unerträglicher. Es gelang ihm auch nicht, sich mit ihnen zu arrangieren. Daher sah er sich nach einer sichereren Residenz um. Seine Wahl fiel dabei auf Bougie, das später zur Rivalin von Mahdia werden sollte. An-Nāir wußte, in welchen Unannehmlichkeiten sich Tamīm durch den Sieg der Hilāl befand. Sein Wesir Ibn Abī l-Futū verbarg seine Sympathie für Tamīm gegenüber seinem Herrn nicht: „Habe ich dir nicht geraten, nicht deinen Cousin anzugreifen, sondern dich lieber mit ihm gegen die Araber zu verbünden? Wenn ihr vereint gewesen wäret, hättet ihr sie mit Sicherheit vertreiben können!“416 Dies ist eine sehr interessante Frage, auch wenn sie mehr hypothetisch als reell erscheint: Wenn sich die Ziriden und Hammadiden nicht schon vor der Hilāl-Invasion bekriegt hätten, wenn insbesondere al-Mu‘izz mit den Staatsausgaben besser hausgehaltet und sich um die Aufstellung einer schlagkräftigen Armee gekümmert hätte, hätten die Ziriden vielleicht die Hilāl besiegen können. Die Ziriden waren den Beduinen zahlenmäßig weit überlegen. Daher kann man dem Wesir in seiner Einschätzung nur zustimmen. Es muß jedoch auch an dieser Stelle betont werden, daß die Ziriden die Hilāl bis zur Schlacht von aidarān überhaupt nicht als Bedrohung angesehen hatten und infolgedessen auch gar kein Interesse hatten, sie zu vertreiben. Diese Politik änderte sich selbst unter Tamīm nicht, obwohl dieser Ziridenherrscher zum Zeitpunkt seines Regierungsantritts bereits die Hilāl-Invasion und die Schlacht von aidarān miterlebt hatte. Obwohl Tamīm den Arabern wesentlich distanzierter gegenüber stand als sein Vater al-Mu‘izz, verbündete er sich in der Schlacht von Sabība mit ihnen, anstatt sich mit den Hammadiden zusammenzutun. Allein die Tatsache, daß der Wesir an-Nāir auf diese Situation hinwies, zeigt ganz deutlich, daß den Ziriden selbst lange Zeit nach der Schlacht von Sabība nicht bewußt war, daß seit der Ankunft der Hilāl in Ifrīqiya eine kontinuierliche Machtverschiebung auf ihre Kosten zugunsten der Hilāl stattgefunden hatte. Das trifft auch auf anNāir zu, da dieser ebenfalls die Hilāl für seine Interessen einspannen wollte. Man bekommt den Eindruck, daß weder Tamīm noch an-Nāir ein wirkliches Interesse daran hatten, sich gegen die Hilāl zu verbünden. Auch die Schlacht von Sabība änderte daran nichts, wie die folgende Entwicklung zeigt. Das bestätigt Poncet in 415 Ibn al-Atīr, X, 46–49; an-Nuwairī, 24, 223–227 übernimmt die Darstellung und fügt weitere Details hinzu; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 43, 355, 357/Berbères, I, 46, II, 49, 51; vgl. auch Idris, Berbérie Orientale, 267 ff. 416 Ibn al-Atīr, X, 46–47; an-Nuwairī, 24, 223.

145

dessen Ansicht, daß die Ziriden an der Situation in Ifrīqiya eine große Mitschuld hatten. Dennoch beauftragte an-Nāir den Wesir, einen Versöhnungsversuch mit seinem Cousin zu unternehmen. Der Wesir sandte daraufhin einen Boten mit der Überbringung einer Entschuldigung und dem Wunsch nach Frieden. Tamīm akzeptierte das Friedensangebot und überlegte, welchen Boten er zu an-Nāir schicken könne. Die Wahl fiel schließlich auf einen gewissen Muammad b. alBu‘bu‘, da dieser als Fremder nichts mit den anhāğa zu tun hatte. Ibn al-Bu‘bu‘ machte sich mit an-Nāirs Boten auf den Weg nach Bougie. Dieser Ort war zu jenem Zeitpunkt von Berber-Bauern und Stammesangehörigen der anhāğa bewohnt. Er war von hohen Bergen umgeben und vier Tagesmärsche von der Qal‘a entfernt. Außerdem eignete sich der Ort dazu, ihn mit einem Hafen und einem Waffenarsenal zu versehen. Dadurch, daß er von allen Seiten vom Meer umgeben war, war es sehr schwer, ihn anzugreifen. Daher wurde beschlossen, hier die neue Stadt aufzubauen. Als Ibn al-Bu‘bu‘ zur Qal‘a kam, übergab er an-Nāir das Schreiben Tamīms. In einem Vier-Augen-Gespräch teilte Ibn al-Bu‘bu‘ ihm mit, daß sein Wesir ein Komplott mit Tamīm gegen ihn plane und riet ihm, aus Bougie eine Festung zu machen sowie Mahdia einzunehmen. An-Nāir stimmte den Vorschlägen zu und begab sich sofort nach Bougie, wobei Ibn al-Bu‘bu‘ ihn begleitete. Der Wesir blieb in der Qal‘a.417 An-Nāir eroberte den Ğabal Bağāya und begann mit den Bauarbeiten.418 Er dankte Ibn al-Bu‘bu‘ und versprach ihm das Wesirat. Anschließend machten sich beide auf den Rückweg zur Qal‘a. Der Hammadide ließ seinen Wesir ein Antwortschreiben für Tamīm vorbereiten, das Ibn al-Bu‘bu‘ überbringen sollte. Er wurde mit 1.000 Dinar, vier Sklaven, vier Sklavinnen und vier Mauleseln aus an-Nāirs Marstall belohnt. Auf seinen eigenen Wunsch hin wurde er von einem Vertrauensmann an-Nāirs begleitet. Tamīm zweifelte an seiner Aufrichtigkeit und befragte ihn über den Anlaß zur Gründung von Bougie, die kurz nach der Vollendung seiner Mission erfolgte. Er antwortete darauf, daß er selbst ein Fremder und nicht in die Angelegenheiten des Maghreb involviert sei. Das nahm ihm Tamīm aber nicht ab; er war der festen Überzeugung, daß er den Hammadiden beraten habe. Ibn al-Bu‘bu‘ fürchtete nach dieser Unterredung mit Tamīm das schlimmste. Er sandte an-Nāir durch den Boten, der ihn begleitet hatte, ein Schreiben, indem er ihn über Tamīms Reaktion auf die geplante Gründung von Bougie informierte. Er riet ihm, sich so schnell wie möglich mit Vertretern der arabischen Stämme in Verbindung zu setzen, zu denen er Vertrauen habe. Er selber habe schon Sicherheiten von den Scheichs von Zawīla und 417 Ibn al-Atīr, X, 47; an-Nuwairī, 24, 223–225. 418 Ibn aldūn, VI, 357/Berbères, II, 51.

146

anderen Städten erhalten, die sich verpflichtet hätten, an-Nāir zu dienen. Sobald an-Nāir davon Kenntnis erhalten hatte, teilte er den Inhalt des Schreibens seinem Wesir Ibn Abī l-Futū mit. An-Nāir beauftragte ihn, ein Antwortschreiben zu verfassen und die von Ibn al-Bu‘bu‘ genannten Araber zu kontaktieren. Der Wesir machte eine Kopie von dem Brief Ibn al-Bu‘bu‘s, um diese an-Nāir zu geben. Das Original sandte er zusammen mit einem eigenen Brief an Tamīm, in dem er dem Ziriden die ganze Angelegenheit schilderte. Man kann sich vorstellen, wie erstaunt Tamīm gewesen sein muß, als er die beiden Dokumente erhielt. Tamīm ließ Ibn al-Bu‘bu‘ daraufhin töten, da er ihn der Kollaboration mit an-Nāir bezichtigte. An-Nāir ließ seinerseits den Wesir Ibn Abī l-Futū töten, weil er ihm vorwarf, eine pro-ziridische Politik betrieben zu haben.419 Ibn aldūn hält es allerdings für möglich, daß er Opfer von hinterhältigen Anspielungen des Ibn alBu‘bu‘ wurde. All diese Intrigen verhinderten jedoch nicht den Bau von Bougie. 1068–1069/461 zog an-Nāir in die neue Hauptstadt um, deren Einwohner er von den Steuern befreite.420 Auch diese Geschehnisse zeigen, daß weder an-Nāir noch Tamīm ein ernsthaftes Interesse an einer Aussöhnung gehabt haben. Anderenfalls wäre es Ibn alBu‘bu‘ nicht gelungen, Ibn Abī l-Futūs Bemühungen zu einer ziridisch–hammadidischen Annäherung zu behindern. Zwischen den Ziriden und den Hammadiden herrschte nach wie vor großes Mißtrauen. Die Hilāl haben sich offenbar nicht in den ziridisch–hammadidischen Konflikt hineinziehen lassen, obwohl das nicht so abwegig gewesen wäre: Wenn es tatsächlich zu einem, insbesondere gegen die Araber gerichteten, Bündnis zwischen an-Nāir und Tamīm gekommen wäre, wäre es durchaus nicht ausgeschlossen gewesen, daß die Hilāl das zu verhindern gesucht hätten. In einem solchen Fall würde sich gar der Verdacht aufdrängen, daß Ibn al-Bu‘bu‘ in deren Auftrag agiert hätte. Belege für diese Vermutung finden sich in den Quellen jedoch nicht. Wie dem auch sei, die Handlungsweise des Ibn al-Bu‘bu‘ hatte letztendlich eine Zunahme des arabischen Einflusses der Araber auf Kosten der Ziriden und Hammadiden zur Folge. Es verwundert, daß an-Nāir bei dem Bau seiner neuen Hauptstadt offenbar auf wenig bis gar keinen Widerstand stieß. Zumindest für Tamīm muß die neue Hauptstadt Ausdruck eines starken Unabhängigkeits- und Machtstrebens gegenüber den Ziriden gewesen sein. Die Geschichte der Gründung von Bougie wird insbesondere von Ibn al-Atīr und an-Nuwairī recht ausführlich dargestellt. Durch die Betitelung des entspre-

419 Ibn al-Atīr, X, 47–49; an-Nuwairī, 24, 225–227. 420 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 355, 357/Berbères, II, 49, 51.

147

chenden Kapitels421 messen die Chronisten dem Bau der Stadt eine hohe Bedeutung bei. Es fällt jedoch auf, daß sie die Begleitumstände, die zur Gründung der Stadt führten, zu Recht wesentlich ausführlicher darstellen als die Gründung selbst. Das Verhältnis zwischen den Hammadiden und Ziriden während dieser Zeit sowie die Tatsache, daß es Bestrebungen gab, den ziridisch–hammadidischen Gegensatz zu beenden, sind von ungleich höherer Bedeutung als die Gründung der neuen Stadt.

6.9.2 Erneuter ziridisch–hammadidischer Krieg 422 Die Hammadiden hielten es für erforderlich, die wachsende Macht der Ziriden und Riyā, die nach der Kapitulation des ‘Abd al-aqq zunahm, einzudämmen. An-Nāir schien sich recht schnell von der Niederlage von Sabība erholt zu haben, die zwar ein Schlag für die anhāğa und Zanāta war, nicht jedoch für die mit ihnen verbündeten Atbağ. Daher belagerte an-Nāir 1067–1068/460 an der Spitze der Atbağ Laribus, das er einnehmen konnte. Er verschonte die Einwohner, ließ jedoch den Gouverneur, der wahrscheinlich ein Riyāide war, töten.423 Man weiß nicht, wie sich die Regierung von al-Qā’id b. Maimūn a-anhāğī, dem al-Mu‘izz die Geschicke von Kairuan und Tunis überließ, bevor er nach Mahdia flüchtete, in Tunis gestaltete. Alles weist jedoch daraufhin, daß sie kurz war und kaum mehr als formalen Charakter hatte. Er konnte sich ungefähr drei Jahre bis 1060–1061/452 in Kairuan an der Macht halten.424 Um das Jahr 1068/ 460 rebellierte al-Qā’id jedoch und erkannte die hammadidische Suzeränität an. Im selben Jahr zog an-Nāir mit den Arabern, zweifellos den Atbağ, in Kairuan ein. 1068–1069/461 verließ an-Nāir die Stadt jedoch wieder, weil er eine erneute arabische Koalition fürchtete. Er kehrte zur Qal‘a zurück. Der dank der Niederlage von al-Qā’id b. Maimūn erzielte Erfolg der hammadidisch-atbağitischen Unternehmung gegen Kairuan mußte eine ziridisch-riyāidische Reaktion zur Folge haben. Tamīm sandte eine Armee, die die herrscherliche Garde und die Riyā umfaßte. Al-Qā’id, der sich nicht in der Lage sah, wirk-

421 Ibn al-Atīr: dikr binā’ madīna Biğāya; an-Nuwairī: dikr binā’ madīna Biğāya wa-s-sabab fīhi. Aus den Überschriften geht hervor, daß an-Nuwairī den Begleitumständen der Stadtgründung ein größeres Gewicht einräumt als Ibn al-Atīr. 422 Ibn ‘Idārī, I, 299–300; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 327–328/Berbères, II, 22–23; Ibn al-Atīr, X, 50–51; an-Nuwairī, 24, 228. 423 Ibn ‘Idārī, I, 299. 424 Ibn al-Atīr, X, 50–51; an-Nuwairī, 24, 228; Ibn al-Atīr ersetzt zweimal zu unrecht Gabes durch Tunis

148

samen Widerstand zu leisten, verließ Kairuan und begab sich zu an-Nāir. Die ziridische Armee besetzte Kairuan und zerstörte den Palast al-Qā’ids.425 Diese Schlacht um Kairuan zeigt erneut, wie tief die Spaltung zwischen den Ziriden und Hammadiden war. Aber auch die Zerrissenheit der arabischen Stämme untereinander, insbesondere zwischen den Riyāiden und Atbağiten, wird deutlich. Der Graben verlief auch in dieser Schlacht nicht zwischen Berbern und Arabern, sondern zwischen dem arabisch-ziridischen und dem arabisch-hammadidischen Teil. Der zweifellos interessanteste Aspekt ist jedoch die Ähnlichkeit der Auseinandersetzung mit der Schlacht von Sabība insbesondere hinsichtlich der Bündnisse.

6.9.3 Ziridisch–hammadidischer Friede 1077–1078/470 426 1076–1077/469 gab es eine Hungersnot und die Pest, denen ein großer Teil der Bevölkerung zum Opfer fiel. Offensichtlich wirkte sich diese Notsituation günstig auf die Entwicklung eines ziridisch – hammadidischen Friedens aus. 1077– 1078/470 kam es dann tatsächlich zu einem Friedensabschluß zwischen Tamīm und an-Nāir.427 Die genauen Anlässe sowie die Klauseln des Vertrages sind ebensowenig bekannt wie die Reaktion Tamīms auf die Vertreibung der Zuġba und die damit einhergehende Machtzunahme der Riyā. Einerseits könnte die Machtzunahme der Riyā zum Nachteil der Zuġba dazu geführt haben, daß Tamīm nicht mehr so gut von den arabischen Stammesrivalitäten profitieren konnte, um seine eigene Macht zu konsolidieren. Andererseits hatten die Riyā schon öfters auf Seiten der Ziriden gestanden. Daher muß eine Machtzunahme der Riyā für Tamīm nicht unbedingt von Nachteil gewesen sein. Idris ist der Meinung, daß Tamīm und an-Nāir zu begreifen schienen, daß der gegenseitige Kampf nur das Potential der anhāğa zugunsten der immer mächtiger werdenden Hilāl schwächte.428 Diese Auffassung ist so nicht haltbar, da es keinen konkreten Hinweis darauf gibt, daß die Ziriden und die Hammadiden zu der Erkenntnis gelangt wären, daß sie sich mit ihrer Rivalität nur schadeten. Man darf nicht vergessen, daß es weder aidarān noch Sabība, die für beide Dynastien mit hohen Verlusten verbunden waren, vermocht haben, Ziriden und Hammadiden zu einer Annäherung zu bringen und aus den Fehlern zu lernen. Ferner muß betont werden, daß dies das erste Mal seit der Spaltung der anhāğa-Dynastie 425 Ibn al-Atīr, X, 51; an-Nuwairī, 24, 228. 426 Ibn ‘Idārī, I, 300; Ibn al-Atīr, X, 107; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 327–328/Berbères, II, 23; bei Mu’nis, 85 ist es das Jahr 467. 427 Ibn ‘Idārī, I, 300; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 23; 428 Idris, Berbérie Orientale, 274.

149

war, daß Nordafrika von zwei Notsituationen gleichzeitig heimgesucht wurde. Es scheint daher vielmehr, daß die extreme Notsituation im Land, die durch die Pest und die Hungersnot hervorgerufen worden war, zu einer ziridisch–hammadidischen Annäherung geführt hat. Idris projiziert mit seiner Einschätzung in das Friedensabkommen wieder einmal einen arabisch–berberischen Gegensatz, den es so nicht gegeben hat. Nach dem Abschluß des Friedensvertrages gab der Ziride dem an-Nāir sogar seine Tochter Ballāra zur Frau.429 Deren gemeinsamer Sohn al-Manūr trat später die Nachfolge seines Vaters an. Diese ziridisch–hammadidische Eheschließung war die erste nach der Spaltung der anhāğa-Dynastie. Sie ließ berechtigte Hoffnungen aufkommen, daß die Spaltung der Dynastie überwunden werden könne. Ibn aldūn meint, daß die Hammadiden unter an-Nāir die Überlegenheit über die Ziriden gewannen. Die Beduineninvasion habe dazu geführt, daß der Ziridenstaat zersetzt wurde, und ein Großteil der Bürger und Funktionäre die ziridische Autorität verwarf. Das Hammadidenreich erfuhr unter an-Nāir hingegen nichts als Prosperität und Vergrößerung. Er errichtete prächtige Gebäude, gründete mehrere große Städte und unternahm zahlreiche Expeditionen ins Landesinnere. Idris stimmt dieser Auffassung zu und ergänzt, daß der Höhepunkt hammadidischer Macht nach der Gründung von Bougie anzusetzen ist und den Frieden von 1077–1078/470 stärkte.430 Diese von Ibn aldūn und Idris so positiv dargestellte Situation entspricht jedoch nicht ganz den Tatsachen. Man darf nicht vergessen, daß aidarān und Sabība auch den Hammadiden stark zugesetzt hatten. Die Gründung von Städten muß nicht unbedingt ein Zeichen von Prosperität sein, sondern kann auch als Belastung der Staatskasse gewertet werden, die somit künftig eher zur Destabilisierung beitragen würde. Poncet hat diesen finanziellen Aspekt schon einmal in einem ähnlichen Zusammenhang vorgebracht. Zudem könnte man eher sagen, daß der ziridisch–hammadidische Frieden zur Festigung der hammadidischen Macht im Zentralen Maghreb beigetragen hat, als daß die Gründung der neuen Stadt den Frieden stärkte.

6.10 Das Verhältnis zwischen Hammadiden, Zanāta und Beduinen 431 Gegen 1067–1078/460–470 kam der Zanāta-Chef Muntair b. azrūn infolge von blutigen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Maghrebinern nach Tripolis. Er fand dort die ‘Adī vor, die von den Atbağ und Zuġba aus Ifrīqiya vertrieben worden waren, und gliederte sie in seine Armee ein, um den Maghreb zu 429 Ibn ‘Idārī, I, 300; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 23. 430 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 357/Berbères, II, 51; Idris, Berbérie Orientale, 275. 431 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 355–361/Berbères, II, 49–55, III, 47, 268, 294.

150

erobern. Ibn ‘Idārī fügt hinzu, daß die ‘Adī vor den Riyā aus Ifrīqiya verschwanden. Das heißt nichts anderes, als daß die Riyā den ‘Adī und Zuġba überlegen waren.432 Muntair besetzte Msila und Ašīr. An-Nāir vertrieb ihn jedoch in die Wüste, von wo aus er seine Raubzüge fortsetzte. An-Nāir gelang es allerdings, ihn in eine Falle zu locken und zu töten.433 An-Nāirs Handlungsweise ist vollkommen verständlich: Der Hammadide mußte ein großes Interesse daran gehabt haben, einen derartigen Unruhe- und Unsicherheitsfaktor in seinem Herrschaftsbereich zu beseitigen. Einem militärisch nicht ungeschickten Führer wie Muntair hätte es schnell gelingen können, anNāirs Macht ernsthaft zu gefährden, indem er noch andere Hilāl-Stämme in seine Koalition mit eingebunden und sie gegen den Hammadidenherrscher gerichtet hätte. Die Bewohner von Zāb beklagten sich bei an-Nāir, daß die zanatischen Ġumart und Maġrāwa, die mit den Atbağ verbündet waren, ihr Land plünderten. Der Emir sandte daraufhin seinen Sohn al-Manūr, der an der Spitze einer Armee die Stadt Warkla südlich von Biskra, wo sich auch Muntair b. azrūn aufhielt, zerstörte. Er ernannte dort einen Gouverneur. Ein anderer Zanāta-Stamm, die Banū Tūğīn unter Führung von Manād b. ‘Abdallāh, richteten zusammen mit den ‘Adī Zerstörungen an. Al-Manūr b. an-Nāir gelang die Gefangennahme der Emire der ‘Adī, des Führers der Banū Tūğīn, sowie weiterer bedeutender Verwandter. Idris folgert hieraus, daß im Zentralen Maghreb Anarchie herrschte.434 Diese Wertung ist jedoch zu pauschal und undifferenziert, als daß sie als Beschreibung der Situation in ganz Nordafrika geeignet wäre. Die Lage war zwar recht instabil, aber von Anarchie zu sprechen, greift etwas zu weit. Bestätigt wird das dadurch, daß es dem Hammadidenherrscher recht erfolgreich gelang, mit den verschiedenen Raubzügen und Auseinandersetzungen fertig zu werden. In anderen Teilen wie Bougie hingegen schien die Lage etwas ruhiger gewesen zu sein. Außerdem widerspricht Idris’ Auffassung seiner zuvor geäußerten Einschätzung, daß der Zentrale Maghreb unter an-Nāirs Regierungszeit den Höhepunkt ziridischer Macht erlangte. Erwähnenswert ist jedoch insbesondere die Tatsache, daß Araber und Zanāta gemeinsame Raubzüge unternahmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich Araber und Zanāta immer in gegnerischen Lagern wiedergefunden. Der Umstand, daß Araber und einzelne Zanāta-Stämme nun gemeinsame Raubzüge unternahmen, bedeutet jedoch nicht, daß sich alle Zanāta daran beteiligt hätten. So verbündete sich an-Nāir mit dem Zanāta-Stamm der Banū Wamānnū. 432 Ibn ‘Idārī, I, 302; Ibn al-Atīr, X, 115. 433 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 355–356/Berbères, II, 49–50. 434 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 356/Berbères, II, 50–51; Idris, Berbérie Orientale, 276.

151

Das Faktum der Vertreibung der ‘Adī durch die Atbağ macht zudem auch an dieser Stelle deutlich, daß unter den arabischen Stämmen ebensowenig Einigkeit herrschte, wie unter den Zanāta. Die Feldzüge an-Nāirs und al-Manūrs gegen die hilalisch-zanatischen Plünderer scheinen sich eher gegen die Zanāta als gegen die Araber gerichtet zu haben, da sich lediglich die Zanātaführer, nicht jedoch die Araberführer, verantworten mußten. Außerdem scheint die Initiative zu den Raubzügen und deren Organisation eher von den Zanāta als von den Arabern ausgegangen zu sein. Insbesondere die Aktivitäten Muntairs bieten hierfür ein gutes Beispiel.

6.11 Die Regierungszeit des al-Manūr b. an-Nāir (1088–1105/481–498) 435 Zum Regierungsantritt von al-Manūr 1088–1089/481 sandten zahlreiche Prinzen, sein Großvater Tamīm sowie der Almoravide Yūsuf b. Tāšfīn Briefe und Abordnungen, um ihm zum Tod seines Vaters an-Nāir zu kondolieren und ihm gleichzeitig zu seinem Regierungsantritt zu gratulieren. Trotz der Präsenz der Araber, die permanent die Region heimsuchten, blieb al-Manūr eine gewisse Zeit in der Qal‘a, die er erst 1090–1091/483 verließ, um sich in Bougie niederzulassen. Er war derjenige der das halbnomadische hammadidische Königreich „verstädterte“. Er errichtete Gebäude, Arsenale, Schlösser, bewässerte Parks und Gärten, restaurierte den Palast und versah die Große Moschee mit Mauern.436 AlManūr war der erste Hammadide, der Münzen prägte. Auch wenn al-Manūrs Mutter Ziridin war, schien das auf seinen Status als hammadidischer Herrscher keinen Einfluß gehabt zu haben.

435 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 357–361/Berbères, II, 51–55, 76, 82, III, 294–295, liefert den mit Abstand ausführlichsten Bericht; Ibn al-Atīr, X, 166–167. 436 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 357/Berbères, II, 52.

152

7. Machtkämpfe und -wirren im Zentralen Maghreb zur Zeit al-Manūrs 1094/487 rebellierte der Gouverneur von Constantine und Bône, Abū Yaknī b. Musin b. al-Qā’id, ganz offen gegen al-Manūr. Es gelang ihm, alle potenziellen Feinde al-Manūrs unter seiner Regie zu vereinen: Die Araber, die Almoraviden und sogar Tamīm. Abū Yaknī beauftragte seinen Bruder Wiglan, sich nach Mahdia zu begeben und Tamīm Bône anzubieten. Der Ziride akzeptierte. Wiglan kehrte nach Bône zurück und wurde von Abū l-Futū b. Tamīm begleitet, der zweifellos von seinem Vater die Aufgabe bekommen hatte, die Verwaltung der Stadt in seinem Namen zu übernehmen. Al-Manūr zögerte nicht lange und stellte eine Armee auf, die das besetzte Bône nach siebenmonatiger Belagerung erobern konnte und Abū l-Futū gefangen nahm. Al-Manūr ließ ihn in der Qal‘a internieren; dann ordnete er die Belagerung von Constantine an. Abū Yaknī geriet immer mehr in Bedrängnis. Die hammadidischen Truppen konnten den rebellischen Militärführer jedoch schließlich gefangennehmen und töten.437 Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, daß sich ein Herrscherwechsel immer destabilisierend auf das Land auswirkte. Jeder Herrscher, der neu in ein Amt kam, mußte seine Autorität jedesmal von neuem durchsetzen. Bei den Ziriden war das kaum anders. Meistens gelang es den neuen Herrschern jedoch, ihre Autorität zu behaupten. Das lag daran, daß ihnen der gesamte Machtapparat des Staates und insbesondere die Armee zur Verfügung standen. Hier wird wieder einmal deutlich, daß die Araber recht unzuverlässige Bündnispartner waren. In einem Bündnisfall richteten sie ihre Kraft nicht vollständig gegen den Feind. Daran scheiterte Abū Yaknī letztendlich, auch wenn er zunächst recht erfolgreich war. Die Geschehnisse im Zentralen Maghreb nach der Machtübernahme al-Manūrs haben zudem gezeigt, daß es kaum noch klare Bündnisse gab. Man bekommt den Eindruck, daß jeder Führer, dem es gelang, eine gewisse Anzahl von Anhängern um sich zu scharen, versuchte, sich zum Herrscher einer Stadt oder Ortschaft zu machen. Traditionelle Allianzen, wie z.B. die riyāidisch-ziridische oder die atbağitisch-hammadidische, scheinen hierbei keine Rolle mehr gespielt zu haben.

7.1 Einflußnahme der Almoraviden auf die Politik im Zentralen Maghreb Dem „Zirido-Hammadiden“ al-Manūr gelang es, die Atbağ und Riyā, die sonst immer im hammadidischen bzw. ziridischen Lager wiederzufinden waren, für eine gemeinsame militärische Operation zu gewinnen. Die Ziriden und Hamma437 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 359/Berbères, II, 52–53.

153

diden nahmen die Almoraviden als gemeinsamen Feind wahr und richteten gemeinsam ihre Bemühungen gegen diesen Feind. Die Tatsache, daß es al-Manūr gelang, die Atbağ und Riyā hinter sich zu bringen, hat jedoch weniger mit seiner Abstammung zu tun. Bereits bei der Affäre von Constantine waren die traditionellen Bündnislinien stark verschwommen. Einzelne Bündnisse wurden recht opportunistisch geschlossen und waren daher sehr brüchig. Nicht einmal die Verschwägerung zwischen den Hammadiden und den Wamānnū konnte eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Familien verhindern. Daher braucht man sich über die Einigkeit von Atbağ und Riyā hier nicht zu wundern. Al-Manūr richtete sich nun gegen die Zanāta, die er in den Zentralen Maghreb zurücktrieb und eroberte Bougie zurück. Er starb 1104–1105/498.438 Die Quellen messen al-Manūr hinsichtlich seiner möglichen Funktion, die Spaltung der anhāğa-Dynastie zu überwinden, keinerlei Bedeutung bei. Diese Spaltung wurde durch die Heirat von Tamīms Tochter Ballāra mit dem Hammadidenherrscher an-Nāir nicht überwunden. Als Tamīms Enkel al-Manūr die Regierung übernahm, dankte Tamīm nicht ab. Al-Manūr war zudem lediglich der Herrscher des Zentralen Maghreb. Ifrīqiya wurde auch nach al-Manūrs Amtsübernahme von Tamīm regiert. Da al-Manūr lediglich den Zentralen Maghreb beherrschte und offenbar auch nie Ansprüche auf Ifrīqiya geltend machte, ging Tamīm davon aus, daß nicht sein Enkel al-Manūr, sondern einer seiner eigenen Söhne die Thronfolge in Ifrīqiya antreten würde. Zudem starb al-Manūr drei Jahre vor Tamīm. Dies zeigt, daß man sich weder auf ziridischer noch auf hammadidischer Seite um eine Thronfolgeregelung für Ifrīqiya und den Zentralen Maghreb kümmerte. Ferner bestand weder auf ziridischer noch auf hammadidischer Seite das Bestreben, die Spaltung der Dynastie zu beenden. Die gemeinsame Eheschließung und der ziridisch – hammadidische Sohn al-Manūr hätten dazu die beste Gelegenheit geboten. Wenn das Bestreben, die Spaltung der anhāğa-Dynastie zu überwinden, ernsthaft vorhanden gewesen wäre, so wäre eine gemeinsame Thronfolgeregelung zwingend erforderlich gewesen. Das fehlende Bestreben, die Spaltung der anhāğa-Dynastie zu überwinden, weist zudem darauf hin, daß weder auf ziridischer noch auf hammadidischer Seite die Beduinen als Gefahr oder Bedrohung empfunden wurden. In der Zeit, in der al-Manūr den Zentralen Maghreb und Tamīm Ifrīqiya regierte, sind keinerlei direkte kriegerische Handlungen zwischen Großvater und Enkel bekannt. Von daher kann man zurecht konstatieren, daß die Eheschließung zwischen Tamīms Tochter Ballāra und an-Nāir zumindest während der Regie438 An-Nuwairī, 24, 235; Ibn ‘Idārī, I, 302.

154

rungszeit von al-Manūr und Tamīm zum Frieden zwischen beiden Dynastien beigetragen hat.

7.2 Die ziridische Expedition nach Sizilien 439 Gegen 1063/455 schickte Tamīm seine Söhne ‘Alī und Ayyūb an der Spitze einer Expedition nach dem normannischen Sizilien. Die Expedition fand erst nach dem Tod des al-Mu‘izz 1061–1062/453 statt. Idris ist der Meinung, daß der Ziride vorhatte, sich der Araber zumindest teilweise zu entledigen, indem er sie für dieses Unternehmen einsetzte: In diesem „Heiligen Krieg“ würde sie Beute oder der Märtyrertod erwarten.440 An dieser Überlegung ist an sich nichts zu beanstanden. An verschiedenen Stationen seines politischen Lebens, an denen Tamīm viel eher Grund dazu gehabt hätte, stand eine derartige Überlegung jedoch nicht zur Debatte. Warum hätte er einen solchen Schritt also gerade jetzt in Erwägung ziehen sollen, wo ein konkreter Anlaß fehlte? Als die ziridischen Angriffe auf Sizilien 1087/480 aufhörten, nahm Roger I. Verhandlungen mit dem Ziriden auf. Es ist sehr zweifelhaft, ob der von Tamīm angeblich erhoffte Effekt eintrat, daß die die Ziriden begleitenden Araber bei den militärischen Auseinandersetzungen den Tod finden würden. Zudem ist in den Quellen gar nicht davon die Rede, daß Beduinen an der Expedition nach Sizilien beteiligt waren.

7.3 Die Niederlage Tamīms gegen die Christen 441 Angesichts der wachsenden ziridischen Seemacht verbündeten sich Pisa und Genua gegen Tamīm und erhielten hierfür sogar den päpstlichen Segen. Die Normannen, die eine Art Waffenstillstand mit den Ziriden hatten, hielten sich aus dieser Auseinandersetzung heraus. Die Muslime von Pantelleria sollen Tamīm eine Nachricht per Brieftaube zukommen gelassen zu haben, in der sie ihn über die feindlichen Aktivitäten und die Einnahme der Insel durch die Normannen informierten. Tamīm wollte seinen 439 Ibn al-Atīr, X, 193–198; an-Nuwairī, 24, 229–230; Storia, III, 94–115. Auf die Geschichte Siziliens wird hier nur in soweit eingegangen, wie es vom Thema von Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang sei auf die Storia dei Musulmani di Sicilia verwiesen, die die Geschichte der muslimischen Präsenz in Sizilien nahezu erschöpfend darstellt. 440 Ibn al-Atīr, X, 197; vgl. Idris, Berbérie Orientale, 283. 441 At-Tiğānī, 237–238; benutzt Abū - alt; Ibn ‘Idārī, I, 301 genauso; Ibn al-Atīr, X, 165– 166; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24; an-Nuwairī, 24, 229–230; Storia, III, 17, 168–174. Die Byzantiner werden in den arabischen Quellen in der Regel mit ar-Rūm (Oströmer) bezeichnet und die Normannen mit al-firang (Franken). Hier scheint es jedoch, daß mit ar-Rūm auch die Normannen und Bewohner der italienischen Halbinsel bezeichnet werden. Die Byzantiner hatten zu jener Zeit keinerlei Kontakte zu den Ziriden.

155

Flottenadmiral ‘Utmān b. Sa‘īd losschicken, um die Europäer am Landen zu hindern, doch der ziridische Minister ‘Abdallāh b. Mankūt, der mit dem Flottenadmiral verfeindet war, verhinderte das. Die christliche Flotte stach 1087/480 mit 300 Schiffen und 30.000 Soldaten nach Mahdia in See. Tatsächlich widerstanden die Befestigungsanlagen von Mahdia den feindlichen Angriffen im August 1087.442 Schließlich war Tamīm allerdings gezwungen, zu kapitulieren und die Bedingungen des Siegers zu akzeptieren: Er mußte eine hohe Summe zahlen.443 Pisaner und Genuesen wurden die Herren von Mahdia und Zawīla. Die Tatsache, daß die Feindschaft zweier Minister so entscheidenden Einfluß auf Verlauf des europäischen Angriffs hatte, zeugt nicht gerade von einem hohen Autoritätsgrad des Ziridenherrschers. Über mögliche Konsequenzen für das Verhalten der Minister machen die Quellen keine Angaben. Ibn ‘Idārī gibt folgende Gründe für die ziridische Niederlage an: Abwesenheit der Armee, Schlagartigkeit des Angriffs, die keine Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung ließ, Verfall der Verteidigungswälle und die Weigerung Tamīms, den Ereignissen Glauben zu schenken.444 Angesichts der Tatsache, daß Mahdia relativ schnell eingenommen werden konnte, drängt sich der Verdacht auf, daß die Verteidigungsanlagen der Stadt tatsächlich in einem desolaten Zustand gewesen sein müssen. Ferner muß man davon ausgehen, daß die christliche Armee der muslimischen stark überlegen war. König Rogers Interesse an Ifrīqiya liegt auf der Hand: Ifrīqiya stellte für Sizilien einen ständigen Unruheherd dar, der zudem in der Lage war, seine Herrschaft über die Insel zu destabilisieren. Ibn ‘Idārī ist der einzige Autor, der berichtet, daß sich 1104–1105/498 eine aus zahlreichen Galeeren und 28 Schiffen bestehende normannische Flotte vor das Tor des Arsenals von Mahdia legte, um die ziridische Flotte am Auslaufen zu hindern und an Land zu gehen. Dennoch konnte die ziridische Flotte die Blockade durchbrechen und dem Feind schwere Verluste zufügen.445

442 Bei Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24 und an-Nuwairī, 24, 229–230 ist von Pisanern und Genuesen die Rede, während Ibn al-Atīr, X, 165–166 und Ibn ‘Idārī, I, 301 von Byzantinern sprechen. 443 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24 gibt 100.000 Goldstücke an; an-Nuwairī, 24, 230 spricht von 80.000 Dinar; bei Ibn al-Atīr; X, 165–166 sind es 30.000 Dinar; Ibn ‘Idārī übergeht den Friedensvertrag ohne eine Zahl zu nennen. 444 Ibn ‘Idārī, I, 301. 445 Ibn ‘Idārī, I, 302–303.

156

7.4 Ziridischer Kampf gegen die Lokalherrscher in den Städten von Ifrīqiya 7.4.1 Die Belagerung von Gabes und Sfax 446 Tamīm war schon vor den Auseinandersetzungen mit den Normannen hauptsächlich damit beschäftigt, die ständigen Unabhängigkeitsbestrebungen in den ifriqischen Städten zu unterbinden. Diese Situation hielt bis über seinen Tod hinaus an. Das Bestreben nach Loslösung von den Ziriden war allerdings weniger von dem Wunsch der Bevölkerung diktiert, als vielmehr von den Ambitionen der lokalen Herrscher. 1081–1082/474 belagerte Tamīm Gabes,447 ohne es jedoch einnehmen zu können. Seine Soldaten verwüsteten die unter dem Namen al-Ġāba bekannten Gärten. 1083–1084/476 schloß sich der unabhängige Gouverneur von Gabes, Ibrāhīm b. Muammad b. Walmiya448 a-anhāğī einer bedeutenden arabischen Koalition unter Mālik b. ‘Alawī a-a rī an, um eine Offensive gegen Tamīm zu unternehmen.449 Da die a r zu den Atbağ gehörten450, handelt es sich hierbei möglicherweise um einen Aufstand dieses Stammes. Ibrāhīm und Mālik belagerten Mahdia. Tamīm unterstützte seine riyāidischen Verbündeten mit Geld und griff zusammen mit ihnen Ibrāhīm an, der geschlagen wurde und nach Gabes zurückkehrte, während Mālik Kairuan angriff und eroberte. Tamīm belagerte die Stadt daraufhin mit Hilfe seiner arabischen Verbündeten. Mālik, der nicht in der Lage war, dieser Belagerung dauerhaft standzuhalten, flüchtete. Die arabischziridische Armee eroberte die Stadt zurück und gewann auch Mahdia wieder.451 Mālik kehrte nach Gabes zurück; er einigte sich schließlich mit dem Ziriden gütlich. Die Details sind nicht bekannt; es ist aber davon auszugehen, daß Ibrāhīm weiterhin sein Amt als Gouverneur der Stadt ausüben konnte. An diesem Beispiel wird erneut deutlich, daß Koalitionen fast ausschließlich von Opportunismus bestimmt waren. Die a r versprachen sich von ihrer Unterstützung von Ibrāhīm Kriegsbeute, während letzterem an einer Ausweitung der Macht gelegen war. Auch der riyāidisch–atbağitische Gegensatz scheint hier wieder durch. Tamīm ging aus dieser Auseinandersetzung gestärkt hervor, da Gabes und Mahdia wieder fest in seiner Hand waren. 446 Ibn al-Atīr, X, 121; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24; Ibn ‘Idārī, I, 300; Mu’nis, 85–86. 447 Bei Ibn ‘Idārī ist es Sfax. 448 Die korrekte Schreibweise ist nicht eindeutig. 449 At-Tiğānī, 237; an-Nuwairī, 24, 229; Ibn ‘Idārī, I, 300. 450 Ibn aldūn, ‘Ibar; VI, 53/Berbères, I, 56. 451 Ibn al-Atīr, X, 132; an-Nuwairī, 24, 229; Ibn ‘Idārī, I, 300; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24; Mu’nis, 85–86.

157

1086–1087/479 belagerte Tamīm Sfax, das jedoch unter der Herrschaft von ammū b. Mallīl verblieb.452

7.4.2 Die Einnahme von Sousse durch Mālik b. ‘Alawī 453 Die pisanisch-genuesische Expedition von 1087/480, die Tamīm schwächte, zwang ihn, für einige Jahre seine Expeditionen auszusetzen. Mālik b. ‘Alawī wollte diese Schwäche ausnutzen. 1089–1090/482 kündigte er den Frieden mit Tamīm auf und erstürmte mit seinen Stammesgenossen Sousse. Die Einwohner der Stadt und die ziridischen Soldaten lieferten ihm jedoch eine blutige Schlacht, und Mālik, der viele seiner Leute verlor, mußte sich aus der Stadt zurückziehen. Er lebte von nun an wieder in der Wüste.454 Dieses Beispiel bestätigt, wie labil Tamīms Macht eigentlich war, und wie wenig Wert geschlossene Verträge hatten. Allerdings konnte sich Tamīm auf seine Armee verlassen. Auch die Einwohner der ifriqischen Städte hatte er auf seiner Seite. Außerdem kam es im selben Jahr zu einer schweren Hungersnot. Der rasante Anstieg der Lebensmittelpreise führte zu Plünderungen. Erst zwei Jahre später entspannte sich die Situation nach einer reichlichen Ernte wieder.455 7.4.3 Die Einnahme von Tripolis durch Tamīm 456 Im Vergleich zu anderen ifriqischen Städten nahm Tripolis während der Ziridenzeit stets eine Sonderstellung ein. Das lag daran, daß die Stadt am Rande des ziridischen Einflußbereiches lag. Gleichzeitig jedoch war sie von den ifriqischen Großstädten diejenige, die dem fatimidischen Ägypten am nächsten war. Seit der Zeit des Bruches zwischen al-Mu‘izz b. Bādīs und den Fatimiden richteten die ziridischen Herrscher ihr Augenmerk zunehmend in Richtung Zentraler Maghreb. Tripolis lag von den Ziriden aus gesehen zu weit an der Peripherie, als daß es die Aufmerksamkeit der anhāğa-Dynastie hätte auf sich lenken können. Die Ziriden waren bekanntlich mit den Beduinen, den Hammadiden und den abtrünnigen ifriqischen Städten beschäftigt. Auf der einen Seite bemerkt Ibn aldūn, daß nach der Ermordung von Muntair b. azrūn zwischen 1067–1078/460–470 sogar über das Ende des anhāğaReiches hinaus Tripolis in der Hand der Familie azrūn blieb. Auf der anderen 452 453 454 455 456

158

Ibn ‘Idārī, I, 300; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24; Mu’nis, 85–86. Ibn al-Atīr, X, 179; Ibn ‘Idārī, I, 301. Ibn ‘Idārī, I, 301. Ibn al-Atīr, X, 179; Ibn ‘Idārī, I, 302 gibt 1090–1091/483 an; Mu’nis, 86. Ibn aldūn, Berbères, III, 268; Ibn ‘Idārī, I, 300; Ibn al-Atīr, X, 107, 231; an-Nuwairī, 24, 230–231; at-Tiğānī, 189; Mu’nis, 85.

Seite bestätigen Ibn al-Atīr und Ibn ‘Idārī, daß 1077–1078/470 Tamīm Tripolis einem seiner Söhne anvertraute. 1095/488 mußte der Sohn eines türkischen Emirs, Schah Mālik, aus Kairo flüchten und kam mit einer Kavallerietruppe nach Tripolis. Die Bewohner der Stadt, die mit ihrem Gouverneur unzufrieden waren, nahmen den Flüchtigen freundlich auf und vertrieben den Gouverneur, dessen Stelle nun Schah Mālik einnahm. Daraufhin belagerte Tamīm die Stadt, nahm sie ein und deportierte Schah Mālik und dessen Kämpfer nach Mahdia. Der Ziride behandelte die ungefähr 100 Türken sehr zuvorkommend;457 wahrscheinlich konnte er sie gut als Söldner gebrauchen. Die Situation zeigt, daß Tamīm über die Region von Tripolis nicht sehr viel Einfluß gehabt haben kann. Anderenfalls hätte er entschieden, ob der Gouverneur weiter regieren durfte, und wie mit Schah Mālik zu verfahren sei.

7.4.4 Die Entführung Yayās 458 Es kam jedoch schon sehr bald zu Unstimmigkeiten mit den türkischen Söldnern, möglicherweise weil diese mit ihrem Sold unzufrieden waren. 1095/488 begab sich Yayā b. Tamīm mit ungefähr 100 Reitern von ihnen auf die Jagd, obwohl ihm sein Vater befohlen hatte, sie zu meiden. Diese Gelegenheit nutzten die Türken aus, um sich Yayās und dessen Kameraden zu bemächtigen. Als Tamīm davon erfuhr, schickte er sofort seine Reiter aus, um die Verfolgung aufzunehmen. Sie schafften es aber nicht mehr, die Türken einzuholen. Diese begaben sich mit Yayā nach Sfax zu ammū b. Mallīl, der ihnen entgegen ritt. Als er Yayā sah, stieg er vom Pferd und ging ihm zu Fuß entgegen; er erklärte sich zu seinem Diener. Solange Yayā in Sfax weilte, entzog ihm Tamīm das Recht auf die Thronnachfolge und übertrug diese seinem Sohn Mutannā.459 Es ist erstaunlich, daß das Verhältnis zwischen ammū und dem Sohn seines erbitterten Gegners offenbar von gegenseitigem Respekt und Sympathie gekennzeichnet war, woraus sich sogar sehr bald eine Art Freundschaft entwickelte. Yayā wird es geschmeichelt haben, daß der immer noch mächtige Gegner seines Vaters ihn so unterwürfig empfing. Für ammū kam der Besuch Yayās einer diplomatischen Aufwertung, wenn nicht gar Anerkennung gleich, obwohl ihm sehr bald klar geworden sein dürfte, daß Tamīm und Yayā hier nicht mit einer Stimme sprachen. Außerdem darf man nicht vergessen, daß sich Yayā in der Gewalt der Türken befand, auch wenn ihm das offenbar nicht viel ausmachte. 457 An-Nuwairī, 24, 230–231. 458 At-Tiğānī, 51–52 zitiert Abū - alt; Ibn al-Atīr, X, 241–243 liefert die ausführlichste Beschreibung; an-Nuwairī, 24, 230–231; Ibn ‘Idārī, I, 302; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 344/Berbères, II, 38 erwähnt lediglich die Belagerung von Sfax durch Yayā. 459 Ibn al-Atīr, X, 241–242; an-Nuwairī, 24, 231; Ibn ‘Idārī, I, 302.

159

Trotz all dem war ammūs Verhalten gegenüber Yayā recht geschickt, da zu erwarten war, daß dieser eines Tages die Nachfolge seines Vaters übernehmen würde. ammū fürchtete allerdings sehr bald, daß die Türken und die Bewohner von Sfax gegen ihn zugunsten Yayās rebellieren und diesen zum Herrscher machen würden. Daher bot ammū Tamīm den Austausch Yayās gegen seine in Mahdia verbliebenen Güter an. Nachdem Tamīm das zunächst strikt abgelehnt hatte, stimmte er dem Tauschangebot schließlich zu.460 Dies war taktisch sehr geschickt: ammū entledigte sich auf diese Weise eines möglichen Rivalen und bekam zusätzlich noch seine im Herrschaftsbereich Tamīms liegenden Besitztümer zurück. Man muß allerdings betonen, daß Yayā während seines Aufenthaltes in Sfax keinerlei Machtambitionen verfolgte. Anders stellt sich das bei den Türken dar. Daher ist es offensichtlich, daß ammū letztendlich seine Putschbefürchtungen auf die Türken projizierte. Diese Befürchtungen sollten sich schon sehr bald bewahrheiten. Nach einiger Zeit setzte Tamīm Yayā jedoch wieder als Thronfolger ein und unterstellte ihm ein Korps von Arabern, um Sfax zu belagern. Nach zwei Monaten verließen die Türken die Stadt und zogen sich nach Gabes zurück. Daraufhin hob Yayā die Belagerung auf.461 Wahrscheinlich um ammū zu schonen, führte Yayā die Angelegenheit mit Milde zu Ende; zweifellos wollte Yayā seinem früheren Wohltäter gegenüber nicht undankbar sein.

7.4.5 Ziridischer Bruderkrieg in Gabes 462 Der Gouverneur von Gabes, Qāī b. Muammad b. Walmiya trat so tyrannisch auf, daß ihn die Einwohner der Stadt töteten und den Bruder Tamīms, ‘Umar b. al-Mu‘izz b. Bādīs, zum Gouverneur machten. Dieser indes rebellierte gegen Tamīm. 1093–1094/486 blockierte Tamīm daraufhin Gabes und eroberte die Vorstadt. Seine Untertanen brachten ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß er Gabes belagern ließ, wo doch sein Bruder die Stadt beherrschte, während er gegen Qāī nichts unternommen habe. Tamīm antwortete ihnen: „Die Position Qāīs war die eines meiner Sklaven, und wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihn ohne weiteres absetzen können. In dem Moment aber, in dem ein Sohn al-Mu‘izz’ in Mahdia regiert und ein anderer in Gabes, ist die Souveränität geteilt. Solange 460 Ibn al-Atīr, X, 242; an-Nuwairī, 24, 231; Ibn ‘Idārī, I, 302. 461 At-Tiğānī, 51–52 zitiert Abū - alt; Ibn al-Atīr, X, 242; an-Nuwairī, 24, 231; Ibn ‘Idārī, I, 302; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 344/Berbères, II, 38. 462 At-Tiğānī, 70; Ibn al-Atīr, X, 257–258 und an-Nuwairī, 24, 233–235 liefern die ausführlichste Beschreibung; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328, 340/Berbères, II, 24, 35, III, 157–158; Ibn ‘Idārī, I, 302 sagt lediglich, daß Tamīm ‘Umar aus Gabes vertrieb; Ibn allikān, I, 339.

160

ich lebe, werde ich das nicht zulassen.“463 Aus dieser Antwort geht hervor, daß Tamīm die alleinige Herrschaft über Ifrīqiya beanspruchte. Es war ihm bewußt, daß seine Herrschaft längst nicht so gefestigt war, daß ihm sein Bruder in einer Gouverneursposition nicht hätte gefährlich werden können. Anderenfalls hätte Tamīm auf die Rebellion seines Bruders nicht so aggressiv reagiert. Was aus ‘Umar wurde, ist nicht bekannt. Ibn ‘Idārī berichtet, daß Tamīm ihn aus Gabes vertrieb. At-Tiğānī ergänzt, daß die Stadt daraufhin gegen Tamīm rebellierte, die Autorität der Araber anerkannte und von verschiedenen Emiren regiert wurde, bevor Maggan b. Kāmil an die Macht kam. Ibn aldūn schildert die Ereignisse etwas präziser: Tamīm war gezwungen, Gabes und die Umgebung 1095–1096/ 489 an die Zuġba abzutreten. Die Riyā nahmen ihnen diese Territorien jedoch bald darauf wieder ab. Der Emir des Riyāiden-Stammes Munāqaša, Maggan b. Kāmil b. Ğāmi‘, konnte sich trotz der Anstrengungen der anhāğa-Regierung dort etablieren.464 Idris sieht in der, wenn auch nur vorübergehenden, Inbesitznahme dieser Gegend durch die 1073–1075/466–467 aus Ifrīqiya vertriebenen Zuġba den Beweis, daß die Vertreibung durch die Riyā nicht vollständig war, wie die Chronisten bemerken. Die in den Südwesten zurückgedrängten Zuġba konnten sich in der Region Gabes behaupten. Die Vertreibung der Zuġba 1095–1096/489 durch die Riyā hingegen war eine der letzten Phasen des Sieges der Riyā über die Zuġba.465

7.5 Innerziridische Spannungen hinsichtlich Tamīms Nachfolge 466 Als Tamīm Yayā erneut zum Thronfolger bestimmte, wollte sein anderer Sohn Mutannā das nicht akzeptieren. Tamīm soll diesen daraufhin mit seiner Familie und seinen Sklaven aus Mahdia vertrieben haben. Diese Affäre, über die keine Datumsangaben vorliegen, ist zeitlich nach 1096/489, dem Regierungsantritt Maggans nach der Einnahme von Gabes durch Tamīm, aber vor der Vertreibung von ammū aus Sfax 1100/493 anzusiedeln. Mutannā begab sich auf dem Seeweg nach Sfax, dessen Gouverneur ammū sich jedoch weigerte, ihn an Land gehen zu lassen. ammū hätte mit ihm die gleichen Schwierigkeiten gehabt wie mit Yayā. Wahrscheinlich wollte ammū nicht schon wieder den Zorn Tamīms auf sich ziehen. Daher hielt er es offenbar für klüger, sich aus den innerziridischen Streitigkeiten herauszuhalten. Außerdem 463 Ibn al-Atīr, X, 257; an-Nuwairī, 24, 233; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328, 340/Berbères, II, 24, 35, III, 157–158; Ibn ‘Idārī, I, 302, nennt das Jahr 489. 464 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 340/Berbères, II, 35. 465 Idris, Berbérie Orientale, 297. 466 An-Nuwairī, 24, 232; Ibn al-Atīr; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 340/Berbères, II, 35.

161

war er Yayā, dessen Verhältnis nach Tamīms Entscheidung nicht sonderlich gut gewesen sein dürfte, weiterhin sehr verbunden. Mutannā begab sich daraufhin nach Gabes, dessen Gouverneur Maggan b. Kāmil ad-Dahmānī ihn freundlich aufnahm. Schah Mālik und seine aus Sfax geflüchteten Türken befanden sich noch in Gabes. Aus ihnen rekrutierte Mutannā eine gegen Mahdia und Sfax gerichtete Armee und übernahm den Sold für diese Truppe. Als die Belagerung begann, schickte Tamīm Bogenschützen nach Sfax. Da Mutannā die Stadt nicht einnehmen konnte, richtete er nun seine Bemühungen gegen Mahdia, das Tamīm jedoch gesichert hatte, und das Yayā erfolgreich verteidigte. Mutannā und seine Truppen wurden aufgerieben. Das Ansehen des Thronfolgers Yayā wuchs infolge dieser Ereignisse ständig an. An diesen Vorgängen erkennt man, wie stark eine nicht geregelte Thronnachfolge zu Unruhen und Instabilität führen konnte. Es war nicht sehr verwunderlich, daß Mutannā in der Auseinandersetzung unterlag: Tamīm hatte das besser ausgerüstete Heer und hatte für eine optimale Verteidigung von Mahdia gesorgt. Dem konnte Mutannā mit seiner wahrscheinlich nicht sehr gut ausgerüsteten und organisierten Türkenarmee wenig entgegensetzen. Dennoch zeugt die Art und Weise, wie Mutannā in relativ kurzer Zeit mit sehr begrenzten Mitteln eine wenn auch nicht sehr starke Armee auf die Beine stellte, von militärischem Geschick.

7.6 Bedeutende Eroberungen Tamīms 467 Erst 1099–1100/493 konnte Tamīm den bekannten Herrscher von Sfax, ammū b. Mallīl, schlagen, nachdem es über 40 Jahre lang Auseinandersetzungen zwischen beiden gab. ammū war es gelungen, einen gewissen Mu affar b. ‘Alī als Wesir in seinen Dienst zu stellen, der früher Sekretär von al-Mu‘izz b. Bādīs gewesen war. Dieser geschickte und hochgebildete Diplomat trug wesentlich dazu bei, die Autorität seines Herrn zu stärken. Als einmal in Mahdia das Gerücht kursierte, daß ammū gestorben sei, ließ ammū seinem auch literarisch begabten Wesir einige Zeilen zu Tamīm schicken. Dieser antwortete seinerseits mit verbalen Drohungen. Tamīm bemühte sich, Mu affar in seine Dienste zu ziehen und machte ihm die schönsten Versprechungen. Den Wesir beeindruckte das allerdings nicht. Es scheint, daß Tamīm sich zumindest eine zeitlang mit ammū gütlich einigen und ihn nur im Notfall angreifen wollte. Dennoch ließ Tamīm Sfax 1099–1100/493 belagern und befahl seinem General, alles anzuzünden und zu zerstören, was sich in der Umgebung der Stadt be467 An-Nuwairī, 24, 234–235; Ibn al-Atīr, X, 298; at-Tiğānī, 52–53 zitiert Abū - alt; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 344/Berbères, II, 38; Ibn ‘Idārī, I, 302.

162

fand, sowie alle Bäume zu fällen. Der Wesir und dessen Habseligkeiten sollten jedoch geschont werden. Nach Ibn al-Atīr und an-Nuwairī glaubte ammū daher, daß dieser heimlich mit Tamīm Kontakt hätte und ließ ihn hinrichten. Abū -alt dagegen behauptet, daß der Wesir nicht getötet wurde. Die Angreifer bemächtigten sich der Stadt. ammū konnte nach Gabes fliehen, wo er von Maggan freundlich empfangen wurde. Kurze Zeit später starb er dort hochbetagt. Abū -alt bestätigt, daß sich der Wesir unmittelbar nach ammūs Flucht zu Tamīm begab und ihn um Gnade bat, die ihm Tamīm trotz allen Vorbehalts gewährte. Nun folgten in Sfax von Tamīm ernannte Gouverneure aufeinander. Bis zur Einnahme durch die Normannen wurde die Stadt von Mitgliedern der ziridischen Herrscherfamilie regiert.468 Es ist bemerkenswert, daß Tamīm und ammū 40 Jahre lang in Gegnerschaft nebeneinander regierten, was für damalige Verhältnisse eine sehr lange Zeit war. Die Tatsache, daß Tamīm am Ende relativ wenig Zeit benötigte, um ammū zu schlagen, zeigt: ammū und Tamīm waren zwar Gegner, doch Tamīm tolerierte all die Jahre ammūs Status als faktisch unabhängiger Herrscher. Anderenfalls hätte er auch schon früher versucht, ihn zu schlagen. Das wäre ihm mit seiner gut ausgerüsteten Armee höchstwahrscheinlich auch gelungen. So kann man nicht ausschließen, daß Tamīm ammū gewissermaßen als Garant für Stabilität für die Sfaxer Region betrachtete. 1097–1098/491 konnte Tamīm trotz einer Hungersnot in jenem Jahr Djerba, die Kerkenna-Inseln und Tunis einnehmen. 1105–1106/499 mußte Tamīm dann Abū l-asan al-Fihrī an der Spitze einer Armee und einer beachtlichen Flotte gegen das rebellische Djerba senden. Die Inselbewohner waren jedoch vorgewarnt und trafen ihre Verteidigungsvorbereitungen, so daß sich Tamīms Armee wieder zurückziehen mußte.469

7.7 Die Regierung des Yayā b. Tamīm (1108–1116/501–509) 470 Yayā wurde an seinem vierzigsten Geburtstag, dem 19. September 1105/26. Dū l-iğğa 497, noch zu Lebzeiten seines Vaters, zu dessen Nachfolger bestimmt. Es steht außer Frage, daß es sich hierbei um die tatsächliche Designierung zum Thronfolger handelt. Offensichtlich wollte Tamīm schon zu diesem Zeitpunkt einen Teil seiner Macht auf Yayā übertragen. Schon al-Mu‘izz war seinerzeit mit Tamīm genauso verfahren. Interessant ist die Tatsache, daß das Jahr der De468 An-Nuwairī, 24, 235; Ibn al-Atīr, X, 298; at-Tiğānī, 52–53 zitiert Abū - alt. 469 Ibn ‘Idārī, I, 303; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24. 470 Ibn ‘Idārī, I, 304; Ibn allikān, II, 239; an-Nuwairī, 24, 237–238; Ibn al-Atīr, X, 451; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 328/Berbères, II, 24; Mu’nis, 90; ulal, 952.

163

signierung mit dem Todesjahr von Tamīms Enkel al-Manūr übereinstimmt. Die Quellen stellen hier allerdings keinen Zusammenhang her.471 Die zahlreichen Nachkommen Tamīms stellten eine nicht unerhebliche Gefahr für Yayā dar. Daher schickte er die ältesten seiner Brüder in den Maghreb oder nach Spanien ins Exil. 1115–1116/509 gab er seine Tochter Badr ad-Duğā dem Hammadidenprinzen al-‘Azīz bi-llāh b. al-Manūr zur Frau und ließ ihm eine Aussteuer zukommen.472 Yayā bestätigte die Oberherrschaft der Fatimiden; daraufhin erhielt er von dem Kalifen einen Glückwunschbrief und ein großzügiges Geschenk.473 Ibn ‘Idārī bekräftigt, daß der Ziride 1111–1112/505 Geschenke aus Ägypten erhielt. Er empfing sie mit großem Pomp und Ehrerbietung und ließ dem Kalifen seinerseits große Geschenke zukommen.474 Es gab für Yayā keinen Grund, die Fatimiden nicht anzuerkennen. Beziehungen zu den Abbasiden waren schon lange nicht mehr vorhanden. Yayā konnte mit seiner Kontaktaufnahme mit Kairo seine Autorität untermauern. Hier gilt im wesentlichen das schon im Kapitel „Rückkehr zur fatimidischen Suzeränität“ Gesagte.

7.8 Die Flucht des Georg von Antiochien nach Sizilien 475 Im Gegensatz zu Tamīm verachtete sein Nachfolger Yayā Georg von Antiochien. Nach dem Tod Tamīms fürchtete Georg die Feindschaft Yayās und bot König Roger II. seine Dienste an. Als Matrosen verkleidet schiffte er sich zusammen mit seinen Verwandten zur Zeit des Freitagsgebetes ein, floh nach Sizilien und diente fortan Roger. Seine Autorität stellte die anderen Funktionsträger an Tamīms Hof so stark in den Schatten, daß von den Wesiren lediglich ‘Abdallāh b. Mankūt bekannt ist.476 Georgs Gehilfen waren auf der Insel sehr erfolgreich als Steuereinnehmer tätig. Für Roger II. brachte das gerade bezüglich seiner Nordafrikapolitik einen erheblichen Vorteil ein.477

In Ibn allikān, II, 239; ulal, 952–953; Mu’nis, 90; an-Nuwairī, 24, 237–238. Ibn ‘Idārī, I, 304–306. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25 (Ibn aldūn gibt kein Datum). Ibn ‘Idārī, I, 305; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 330–331/Berbères, II, 26–27 ausführlichste Darstellung; Ibn ‘Idārī, I, 301. 476 Ibn ‘Idārī, I, 301; Ibn al-Atīr; at-Tiğānī, 238. 477 At-Tiğānī, 238–239; Storia, III, 369–371.

471 472 473 474 475

164

7.9 Yayās Maßnahmen zur Stabilisierung seiner Macht im Inneren und Äußeren Tamīm hatte seinerzeit immer vergeblich versucht, die Festung Kelibia (Iqlibiyya) am Cap Bon, deren Kommandant sich für unabhängig erklärt hatte, einzunehmen. Seinem Sohn Yayā hingegen gelang 1108–1109/502 schließlich die Eroberung dieser als mächtigste in Ifrīqiya geltenden Festung.478 Seitdem sich Tamīm Sfax bemächtigt hatte, wurde diese Stadt von Gouverneuren regiert, die der Ziridenherrscher ernannte. 1110–1111/504 übertrug Yayā die Stadt seinem Sohn Abū l-Futū. Die Bewohner revoltierten jedoch gegen ihn, plünderten seinen Palast und wollten ihn töten. 1114–1115/508 ernannte Yayā seinen Sohn ‘Alī zum Gouverneur von Sfax und seinen Bruder ‘Īsā zum Gouverneur von Sousse.479 Möglicherweise ist Abū l-Futū alleine mit den Aufständischen fertig geworden. Anderenfalls hätte Yayā gar keine andere Wahl gehabt, als militärisch einzugreifen. Unter Yayā mehrten sich die Fälle der Piraterie. Er ließ sich von dem Grundsatz leiten, so wenige Risiken wie möglich einzugehen und den größtmöglichen Profit zu erreichen. Nach Ibn aldūn gelang es ihm hiermit sogar, Tribut von den Normannen, Genuesen und Sardiniern zu verlangen. Dennoch blieben die normannisch–ziridischen Beziehungen gut. Auch die Flucht Georgs nach Sizilien schien daran nichts zu ändern. Der von Roger I. und Tamīm geschlossene Frieden wurde während der gesamten Regierungszeit Yayās eingehalten. Auch die Beziehungen der Hammadiden zu den Normannen waren gut. 1109–1110/503 sandte Yayā ein Geschwader von 15 Schiffen in byzantinische Gewässer, um dort Raubzüge zu unternehmen. Die mächtige Flotte der Christen fügte ihm jedoch eine empfindliche Niederlage zu, wobei Yayā sechs Schiffe verlor. Seine geschrumpfte Flotte kehrte nach Mahdia zurück. Ibn al-Atīr fügt hinzu, daß die Armeen Yayās danach allerdings keine Niederlage mehr erlitten. 1113/Rabī‘ 507 machte die ziridische Flotte eine große Anzahl an christlichen Gefangenen, was Yayās Ansehen mehrte. Drei Jahre später schickte der byzantinische Kaiser einen Botschafter mit Geschenken nach Mahdia und der Bitte, die Überfälle auf byzantinische Einrichtungen zu unterlassen.480

478 An-Nuwairī, 24, 238; Ibn al-Atīr, X, 451. 479 At-Tiğānī, 53–54; von Ibn ‘Idārī nicht erwähnt; an-Nuwairī, 24, 239; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25. 480 Ibn ‘Idārī, I, 305; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25.

165

7.10 Das Attentat auf Yayā 481 1113–1114/507 wurde auf Yayā ein Attentat verübt. Abū l-Futū b. Tamīm, der Bruder Yayās, soll sich zur Stunde des Komplotts an der Spitze seiner Leute vor dem Palast präsentiert haben. Man ließ ihn nicht ein, da Yayā ihn der Mittäterschaft bezichtigte. Yayā warf Abū l-Futū vor, in die Sache verwickelt zu sein und verbannte ihn mit seiner Frau Ballāra auf das Schloß Ziyād, wo er bis zum Regierungsantritt ‘Alīs blieb. Ferner stellt sich die Frage, wie Abū l-Futū nach seiner 1108–1109/502 erfolgten Internierung im Qar Ziyād 1110–1111/504 Gouverneur von Sfax werden konnte. Die Jahreszahlen sind hier jedoch mit besonderer Vorsicht zu genießen. Es ist zudem nicht bekannt, wie lange Abū lFutū interniert war. Es ist durchaus möglich, daß die beiden Brüder Yayās aus dem Exil zurückkehrten um ihren Bruder zu töten, auch wenn sie dabei ihr eigenes Leben riskierten. Ibn ‘Idārī erwähnt lediglich, daß Yayā bis zu seinem Tod am 25. April 1116/10. Dū l-iğğa 509 an den schweren Verletzungen des Attentats litt. Alle Quellen sprechen von einem plötzlichen Tod Yayās.482 Yayās Regierungszeit war zu kurz, als daß er sich als Herrscher von Ifrīqiya hätte profilieren können. Sein größter Fehler war ohne Zweifel die Vertreibung Georgs von Antiochien. Ansonsten hatte seine Regierung durchaus beachtliche Erfolge aufzuweisen: Innenpolitisch gelangen ihm die Rückeroberung von Iqlibiyya sowie die Aufrechterhaltung der ziridischen Macht in Sfax und Sousse. Außenpolitisch pflegte er recht gute Beziehungen zu den Europäern und den Fatimiden. Damit leistete Yayā einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Stabilität in Ifrīqiya.

7.11 Die Regierung des ‘Alī b. Yayā (1116–1121/509–515) 483 Von den 30 Söhnen, die Yayā bei seinem Tode hinterlassen hatte, sind nur Abū l-Futū und Abū l-asan ‘Alī, der Gouverneur von Sfax, bekannt. Abū l-Futū, der schon seinen Vater hatte stürzen wollen, wurde immer noch im Qar Ziyād gefangengehalten. 481 Es ist nicht sicher, ob Abū l-Futū der Sohn oder der Bruder Yayās ist. Für Ibn allikān, II, 241, ist Abū l-Futū der Sohn Yayās und nicht Tamīms. Die Schilderung des Attentates auf Yayā nimmt, gemessen an seiner Bedeutung, einen äußerst großen Raum in den Quellen ein. Daher wird hierauf auch nur in soweit eingegangen, wie es für das Thema von Bedeutung ist. Für eine ausführliche Analyse des Attentates sei auf Idris, Berbérie Orientale, 310–315 verwiesen. 482 Ibn ‘Idārī, I, 306; Ibn al-Atīr, X, 512; an-Nuwairī, 24, 239; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25; Mu’nis, 90. 483 Ibn ‘Idārī, I, 306; Ibn allikān, II, 241; Ibn al-Atīr, X, 512; an-Nuwairī, 24, 241–243; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25; Mu’nis, 91.

166

Die hohen Würdenträger, besonders ‘Abd al-‘Azīz b. ‘Ammār und Rakwa, kamen darin überein, ‘Alī einen Brief zukommen zu lassen, in dem sein verstorbener Vater seinen Sohn aufforderte, ihm so schnell wie möglich zu folgen. Der kātib authentifizierte das gefälschte Schreiben mit der Formel al-amdu li-llāh wadahū. Als ‘Alī dieses Schreiben erhielt, verließ er mit einigen Araber-Führern die Gegend von Sfax. Anläßlich des Todes Yayās am 26. April 1116/11. Dū l-iğğa 509 wurde ‘Alī kondoliert; gleichzeitig wurde er als neuer Herrscher beglückwünscht. Der Tag wurde in Mahdia von einer Militärparade begleitet, die von ‘Alī selbst geleitet wurde; anschließend zog er zu seinem Palast. 1117–1118/511 kam ein Gesandter des Fatimidenkalifen in Mahdia an, um ihm Geschenke und Glückwünsche sowie die Einsetzungsurkunde zu überbringen.484 Daran erkennt man, daß auch unter ‘Alī das Verhältnis zu den Fatimiden nicht verändert wurde. Trotz der Ankerkennung der Fatimiden durch die Ziriden konnten die Folgen der HilālInvasion nicht mehr rückgängig gemacht werden. Man muß davon ausgehen, daß die Fatimiden darauf auch gar keinen Einfluß (mehr) hatten. ‘Alī schickte seinen Bruder Abū l-Futū nach Ägypten ins Exil, wo der Kalif ihn freundlich aufnahm.

7.12 Die Feldzüge ‘Alīs nach dessen Machtübernahme Seit dem Tod des al-Mu‘izz b. Bādīs hatte sich die Insel Djerba immer mehr zu einem Unruheherd entwickelt. Als die von Djerba ausgehende Piraterie überhand nahm, beschloß ‘Alī, kaum ein Jahr nach seinem Machtantritt 1116–1117/510, die Gefahr zu beseitigen. Er vertraute das Kommando der Flotte dem Armeeführer Ibrāhīm b. ‘Abdallāh an. Zwei Würdenträger des Staates wurden ihm als Berater zur Seite gestellt. Die Insel wurde belagert, und es dauerte nicht lange, bis sie sich unterwarf. Die Operation bestand offenbar lediglich aus einer Seeblockade, deren Dauer nicht genau bekannt ist. Die Scheichs sorgten dafür, daß die Seeräuberei an der Küste von Ifrīqiya von nun an unterbunden wurde. Die ziridische Flotte zog sich zurück.485 Kurze Zeit später ließ ‘Alī 1116/510 Tunis belagern. Der Gouverneur der Stadt, Amad b. ‘Abd al-‘Azīz b. ‘Abd al-aqq b. urāsān, mußte die Bedingungen des Siegers akzeptieren und unterwarf sich ihm.486 Im selben Jahr beauftragte ‘Alī den arabischen Emir Maimūn b. Ziyād aa rī al-Mu‘ādī mit der Befriedung des Bergmassivs Ğabal Waslāt im Nordwes484 Ibn ‘Idārī, I, 307; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25; Mu’nis, 91. 485 At-Tiğānī, 90–91; Ibn ‘Idārī, I, 306; Ibn al-Atīr; an-Nuwairī, 24, 242; Mu’nis, 91. 486 Ibn al-Atīr, X, 521; an-Nuwairī, 24, 242; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25; Mu’nis, 91.

167

ten Kairuans. Dieses Bergmassiv, das bisher nie unter die Kontrolle einer Regierung hatte gebracht werden können, diente als Rückzugsgebiet für Räuber, Flüchtende und Aufständische. Mit einem kleinen Trupp gelang es dem Ziridenemir, den als unzugänglich geltenden Berggipfel zu erklimmen, von wo aus ihn die Bergbewohner angriffen. Er leistete bis zum Eintreffen seiner übrigen Armee Widerstand. Viele Bergbewohner wurden massakriert; einigen gelang jedoch die Flucht in eine nahegelegene Festung, wo sie sich verschanzten. Die Ziriden belagerten sie dort. Araber und ziridische Armeeangehörige wurden auf Verlangen der Belagerten als Abgesandte in die Festung geschickt, doch als sie dort ankamen, wurde ein Teil von ihnen umgebracht. Der andere Teil konnte sich auf den oberen Teil der Zitadelle flüchten, von wo aus sie ihre Waffenbrüder um Hilfe riefen. Die aufständischen Bergbewohner befanden sich nun zwischen zwei Fronten und waren gezwungen, aufzugeben. Sie wurden alle massakriert.487 Der Maġrāwa-Stamm der Banū Sinğās unternahm immer wieder Raubzüge in Zentralifrīqiya. 1120–1121/514 verwüsteten sie die Umgebung von Gafsa, blockierten die Stadt und töteten zahlreiche anhāğa. ‘Alīs General konnte sie allerdings vertreiben. Im nächsten Jahr unternahmen die Sinğās wieder eine Offensive, sie wurden jedoch von demselben General aufgerieben.488

7.13 Interventionen Yayās in Gabes und Sizilien Yayā hat Rāfi‘ b. Maggan b. Kāmil, der sich schon unter Tamīm Gabes’ bemächtigt hatte und dort mit der Einwilligung des Ziriden regierte, stets geschont. Er tolerierte nicht nur den Bau eines Handelsschiffes durch Rāfi‘, sondern lieferte ihm auch noch die Materialien dazu. Beim Tode Yayās war das Schiff allerdings noch nicht fertig. ‘Alī, aber, der das Monopol für die Handelsflotte Ifrīqiyas für sich beanspruchte und keine Konkurrenz auf diesem Gebiet duldete, widersetzte sich der Fertigstellung des Schiffes, da er Steuerausfälle auf den Seeverkehr befürchtete. Er schickte seine Flotte – sechs Kriegsschiffe und vier Galeeren – nach Gabes mit der Aufgabe, Rāfi‘s Schiff am Verlassen des Hafens zu hindern. Rāfi‘ bat König Roger II. daraufhin um Hilfe und schrieb ihm, daß er sein Schiff auch für den Transport für Geschenke an ihn benötige. Die sizilianischen Behörden sahen darin den Vorteil, die ziridischen Steuern zu umgehen, was sogar zu der Annahme führte, die Initiative sei von Sizilien ausgegangen. Das würde auch die tolerante Haltung Yayās erklären, dem die guten Beziehungen zu Sizilien wich-

487 Ibn al-Atīr, X, 522 liefert die detaillierteste Erzählung; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25; an-Nuwairī, 24, 242; Mu’nis, 91. 488 Ibn aldūn, Berbères, III, 273–274.

168

tig waren. Es kann aber auch sein, daß Yayā Rāfi‘ als Verbündeten betrachtete. In einem solchen Fall hätte das Handelsschiff auch ihm nützen können. Roger II. sandte nun eine Flotte, um die ziridische Seeblockade zu durchbrechen und das Schiff von Gabes nach Sizilien zu bringen. Als die sizilianische Flotte Mahdia passierte, rieten ‘Alīs Vertraute, nichts gegen die Aktionen Rogers II. zu unternehmen, um den ziridisch – sizilianischen Frieden nicht zu gefährden. Da ‘Alī das allerdings als Demütigung empfunden hätte, weigerte er sich, dem zuzustimmen und ließ seine Flotte vor Gabes auffahren. Nach Ibn al-Atīr, der diesen Rat nicht erwähnt, glaubte ‘Alī, erst nachdem er die sizilianische Flotte Mahdia hatte passieren sehen, daß Rāfi‘ und Roger II. ein Bündnis eingegangen seien. Daraufhin gab er den Befehl zum Aufbruch seiner Flotte. Ibn al-Atīr und an-Nuwairī bestätigen, daß beide Flotten gleichzeitig in Gabes ankamen, und die sizilianische sich zurückzog, ohne daß sie sich eine Schlacht geliefert hätten. ‘Alī blockierte die Stadt. At-Tiğānī schildert die Ereignisse völlig anders: Als ‘Alīs Geschwader nach Gabes kam, überraschte er die Sizilianer bei einem Bankett mit Rāfi‘. Daraufhin flüchteten sie zu ihren Schiffen, fielen aber in die Hände der Muslime, die den größten Teil von ihnen töteten. Einige konnten im Durcheinander der Flucht entkommen. Nach at-Tiğānī waren diese Ereignisse der Hauptgrund für das Zerwürfnis zwischen Roger II. und ‘Alī bzw. al-asan sowie für die Einnahme von Mahdia durch die Christen und das Ende der Ziridendynastie.489 Die ziridische Flotte setzte die Blockade von Gabes fort, kehrte aber noch vor Beginn des Winters 1117–1118/511 nach Mahdia zurück. Die Seeblockade reichte jedoch nicht aus um den Rebellen zum Aufgeben zu bewegen. ‘Alī, der entschlossen war den Rebellen zu schlagen, unternahm Vorbereitungen, um ihn zu Wasser und zu Lande anzugreifen und rekrutierte Soldaten aus den Reihen der Araber. Rāfi‘ beeilte sich jedoch seinerseits, Araber anzuwerben und belagerte mit ihnen Mahdia. Er beteuerte aber, daß er nur gekommen sei, um sich ‘Alī zu unterwerfen und bot ihm gleichzeitig Friedensverhandlungen an. ‘Alī lehnte das aber ab. Die Bewohner von Mahdia unternahmen einen Ausfall und vertrieben die Angreifer bis zu deren Lager. ‘Alīs Leute griffen die Belagerer zweimal in Folge an, und Rāfi‘ erlitt hohe Verluste.490 Der Hauptgrund für diesen Erfolg ist in der engen Verbundenheit der Araber mit ‘Alī zu sehen, der ihnen einen hohen Sold zahlte. Die Fortsetzung von Ibn 489 At-Tiğānī, 71–72 zitiert einmal Abū - alt; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 330/Berbères, II, 26 macht es genauso; Ibn al-Atīr, X, 529–530; an-Nuwairī, 24, 242–243; Ibn ‘Idārī, I, 307 erwähnt die erste Phase nicht; Mu’nis, 91. 490 Ibn al-Atīr, X, 530; at-Tiğānī, 71–72; Ibn ‘Idārī, I, 307.

169

‘Idārīs Bericht ist sehr vage: ‘Alī schickte sie nach Kairuan, wo sie Rāfi‘ eine Schlacht lieferten. Ibn aldūn berichtet, daß ‘Alī die riyāidischen Sa‘īd, die Karfa Atbağ und einen Sulaim-Stamm rekrutierte. Er zählt jedoch nicht die Hauptführer der Banū Muqaddam und der Araber von Kairuan auf, die sich ihm ebenfalls anschlossen. Ferner rekrutierte er die riyāidischen Banū Fādiġ, obwohl sie Stammesgenossen von Rāfi‘ waren.491 Nach dieser Niederlage richtete Rāfi‘ seine Anstrengungen gegen Kairuan. Einige Tage später gelang ihm die Einnahme der Stadt. Die Scheichs von Dahmān teilten die Städte der Umgebung unter sich auf und wiesen Rāfi‘ Kairuan zu, indem sie ihm die Erlaubnis erteilten, sich der Stadt zu bemächtigen. ‘Alīs Armee, der ein starker Prozentsatz Araber angehörte, belagerte daraufhin Kairuan.492 Die arabisch-ziridische Armee gewann die Oberhand, und Rāfi‘ war gezwungen nach Gabes zurückzukehren. At-Tiğānī verschweigt diese Tatsache und sagt, daß Gabes in die Hände von Muammad b. Rušaid fiel.493 Tatsächlich trat Rušaid b. Kāmil die Nachfolge von Rāfi‘ an. Rušaid regierte aber nur sehr kurz. Erst dann kam sein Sohn Muammad b. Rušaid an die Macht. Dank der Vermittlung von Maimūn b. Ziyād wurde allerdings ein Vertrag zwischen ‘Alī und Rāfi‘ abgeschlossen, der die bestehenden Differenzen zwischen beiden beendete.494 Die ganze Angelegenheit schuf einen Quasi-Kriegszustand zwischen König Roger II. und ‘Alī, die bis dahin freundschaftliche Beziehungen gepflegt hatten. 1118–1119/512 forderte Roger II. jedoch seine Güter zurück, die sich noch in Mahdia befanden; außerdem verlangte er die Freilassung der gefangenen Normannen. ‘Alī kam diesen Forderungen nach. Anstatt sich jedoch erkenntlich zu zeigen, schickte Roger dem Ziriden eine Nachricht, in der er ihn mit neuem Krieg drohte. ‘Alī war darüber so erbost, daß er Kriegsvorbereitungen traf und die Almoraviden kontaktierte, um ihnen vorzuschlagen, gemeinsam eine Invasion auf Sizilien vorzunehmen. ‘Alī starb jedoch, ohne dieses Vorhaben realisieren zu können.495 491 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 341/Berbères, II, 36 zitiert Abū - alt; Mu’nis, 91. 492 An-Nuwairī, 24, 242–243 gibt die Erzählung am genauesten wider. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 341/Berbères, II, 36 behauptet zu Unrecht, daß ‘Alī persönlich an derartigen Auseinandersetzungen teilgenommen hatte und bei einer von ihnen den Tod fand. Dies wird durch alle anderen Quellen und von ihm selbst an anderer Stelle widerlegt. ‘Ibar, VI, 329/Berbères, II, 25. 493 At-Tiğānī, 72. 494 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 341/Berbères, II, 36; an-Nuwairī, 24, 244; Ibn al-Atīr, X, 530 spielt vermutlich auf diesen Vertrag an. 495 At-Tiğānī, 239–240 gibt die beste Erzählung, die von den anderen Quellen bestätigt wird; Ibn ‘Idārī, I, 307; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 330/Berbères, II, 25–26; Ibn al-Atīr, X, 530, 611; an-Nuwairī, 24, 244.

170

‘Alīs Vorgehen gegen Rāfi‘ hat ihm mehr Schaden als Nutzen eingebracht. Er mußte relativ hohe Verluste in Kauf nehmen, um Rāfi‘ zu schlagen. Ferner riskierte er, daß die Araber in seiner Armee zu Rāfi‘ überliefen. Auch das bis dahin entspannte normannisch–ziridische Verhältnis litt darunter. Die Tatsache, daß der Ziridenemir sogar Kontakt zu den Almoraviden aufnahm, um gemeinsam mit ihnen gegen die Normannen vorzugehen, zeigt, daß sich die politische Lage im Mittelmeerraum seit ‘Alīs Regierungsantritt stark verändert hatte.

7.14 Das Erscheinen des Ibn Tūmart in Nordafrika Bei der Rückkehr seiner der Pilgerreise 1111–1112/506 hatte sich Ibn Tūmart, der Begründer der Almohadenbewegung im Orient und insbesondere in Ifrīqiya, in Alexandria eingeschifft und Mahdia erreicht. Dort fiel er durch seine strenge Auslegung der religiösen Vorschriften auf. So zerstörte er sämtliche Musikinstrumente und Weinkrüge, die er zu Gesicht bekam. Die Einwohner der Stadt scharten sich um ihn, um unter seiner Leitung theologische Werke zu studieren.496 Der auf diese Weise auf ihn aufmerksam gewordene Yayā ließ ihn mit anderen Juristen zu sich rufen. Da er von seiner Frömmigkeit tief beeindruckt war, schenkte er ihm sein Vertrauen und ließ ihn für sich beten. Nach einigen Tagen verließ Ibn Tūmart Mahdia und macht kurz Station in Monastir, bevor er sich weiter nach Bougie begab. Dort lernte er den späteren Almohadenherrscher ‘Abd al-Mu’min kennen. Er legte in Bougie ein ähnliches Verhalten wie in Mahdia an den Tag und wurde daher bald aus der Stadt vertrieben.497

7.15 Hammadidische Interventionen in Ifrīqiya 7.15.1 Tunis 1120–1121/514 ließ der Hammadide al-‘Azīz Tunis belagern, das seit 1116– 1117/510 ‘Alī unterworfen war. Der dortige urasanide Amad b. ‘Abd al-‘Azīz war gezwungen, sich den Hammadiden zu unterwerfen. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt ließ al-‘Azīz zudem Djerba zur See blockieren und unterwarf es, freilich nur vorübergehend. Wahrscheinlich geschah die Blockade von Djerba in zeitlicher Nähe zur Belagerung von Tunis. Ferner hatte al-‘Azīz mit einem Angriff der Hilāl auf die Qal‘a zu kämpfen, den er aber schließlich abwehren konnte; die Araber erhielten die erbetene Amnestie. Wenig später starb al-‘Azīz 1121–1122/515 oder 1124–1125/518.498 496 kutub fī uūl ad-dīn, kitāb fī uūl ad-dīn. 497 Baidaq: Kitāb abār al-Mahdī b. Tūmart, in: Documents inédits d’histoire almohade, hrsg. von Lévi-Provençal. Paris: 1928, 36 ff.; Mu’nis, 91. 498 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 335, 362/Berbères, II, 30, 56.

171

Dies waren offenbar die ersten hammadidischen Expeditionen auf ifriqischem Gebiet nach al-Manūr. Sie hatten jedoch keinen weiteren Einfluß auf das politische Geschehen in Ifrīqiya. Sie bestätigen, daß der erst wenige Jahre zuvor verstorbene „Zirido-Hammadide“ al-Manūr es nicht vermocht hat, die Spaltung der anhāğa-Dynastie zu überwinden oder zumindest dauerhaft kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den beiden Zweigen der anhāğa zu verhindern. 1128/522 wurde Tunis erneut von den Hammadiden unter Führung des Generals Muarrif b. ‘Alī angegriffen. Ibn aldūn berichtet, daß Muarrif fast alle Städte Ifrīqiyas eingenommen hatte, bevor er Tunis eroberte. Diese Behauptung, die von keiner anderen Quelle bestätigt wird, ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Es ist aber nicht auszuschließen, daß der hammadidische General einige Städte, die auf seinem Weg nach Tunis lagen, eroberte. Der Gouverneur von Tunis, Amad b. ‘Abd al-‘Azīz, ergab sich ihm freiwillig. Muarrif brachte ihn und dessen Familie nach Bougie. Nach dem Tod Amads folgten kurz nacheinander einige seiner Verwandten, bis schließlich Ma‘add b. al-Manūr das Amt übernahm. Mahdia und Sfax waren kurz zuvor an die Normannen gefallen. Die Einwohner von Tunis unternahmen indessen Kriegsvorbereitungen. Ifrīqiya litt zu dieser Zeit an einer Hungersnot. Eines Tages sah das Volk, wie ein mit Getreide beladenes Boot die Stadt verlassen sollte. Als die Gefolgsleute des Gouverneurs Ma‘add b. al-Manūr und die Söldner die aufgebrachte Menge beruhigen wollten, wurden sie von den Leuten gelyncht. Der Gouverneur wurde verschont; trotzdem kehrte er mit seinen Söhnen nach Bougie zurück. Für kurze Zeit regierte in Tunis ein anhāğa-Leutnant, der dann aber die Stadt sich selbst überließ.499 Kurz zuvor hatte sich der Riyāide Muriz b. Ziyād des zwischen Tunis und Karthago gelegenen La Malga bemächtigt. Die beunruhigten Bewohner von Tunis erklärten ihm den Krieg. Muriz wurde von Truppen aus Mahdia unterstützt. Die Stadtbewohner waren keineswegs damit einverstanden, von Hilāl-Angehörigen regiert zu werden. Daraufhin brach in Tunis ein Bürgerkrieg zwischen den Bewohnern der beiden Stadtviertel Bāb as-Suwaiqa und Bāb al-Ğazīra aus. Die Stadt wurde zu dieser Zeit von dem Kadi ‘Abd al-Mun‘im regiert.500 Da die Einwohner von Tunis schließlich der Anarchie überdrüssig waren und außerdem einen normannischen und hammadidischen Angriff befürchteten, beschlossen sie mit der Einwilligung des Kadis, Muriz b. Ziyād zum Herrscher zu machen. Die499 Nach Ibn ‘Idārī, I, 313–314, der dieses Ereignis nach dem Fall von Mahdia datiert, hatten die Christen Sfax erobert und sind in Bône eingefallen. Daher nahmen sie diese Stadt erst 548 ein. 500 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 336/Berbères, II, 31; Ibn ‘Idārī, I, 314.

172

ser näherte sich Tunis und der Kadi und die Scheichs bereiteten sich auf seinen Empfang vor. Ein Mann aus dem Volk schrie jedoch: „Keine Macht einem Araber oder einem Türken!“ Daraufhin brach der Bürgerkrieg erneut aus. Muriz kehrte nach La Malga zurück. Als der Kadi nach Tunis zurückkehren wollte, wurde er vom Volk daran gehindert und verjagt; er begleitete daher Muriz nach La Malga, wo er bis zu seinem Tod blieb. Die Bewohner von Tunis aber hatten immer noch keinen Führer gefunden, der ihnen genehm war. Sie kamen überein, daß ein urasanide die beste Lösung sei. Sie schickten daher eine Abordnung an einen urasaniden, der sich in Bizerte befand. Dieser kam bei Nacht an und wurde in einem Korb über die Stadtmauern gehoben, da die Stadttore geschlossen blieben. Der urasanide regierte dann auch nur sieben Monate und fiel einem Verrat seines Neffen ‘Abdallāh b. ‘Abd al-‘Azīz zum Opfer. ‘Abdallāh nahm die Position seines Onkels ein und hielt sich bis zur almohadischen Eroberung ungefähr zehn Jahre später an der Macht.501 Aus der Tatsache, daß der urasanide bei Nacht und Nebel in die Stadt gebracht wurde, folgert Idris, das Volk sei uneinig gewesen.502 Diese Schlußfolgerung verkennt allerdings die Tatsache, daß sich das Volk zumindest darauf einigen konnte, an einen bestimmten urasaniden eine Abordnung zu schicken. Daher muß man eher davon ausgehen, daß man nach so vielen Unruhen durch die Ankunft des neuen Herrschers nicht noch einmal so viel Aufsehen erregen wollte. Man kann jedoch auch nicht ausschließen, daß der Vorgang gar keinen Hintergrund hatte, sondern lediglich die Folge eines Kommunikations- oder Organisationsfehlers war. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, daß die Quellen über keinerlei Widerstände aus dem Volk gegen den urasaniden oder sonstige Gründe für sein ungewöhnliches Eintreffen in die Stadt berichten.

7.15.2 Mahdia und Tozeur 503 Nach Ibn ‘Idārī504 schickte 1128/522 der Hammadidenprinz von Bougie, Yayā b. al-‘Azīz bi-llāh b. al-Manūr, eine Armee Richtung Mahdia, die jedoch vor den Mauern der Stadt haltmachte und sich dann wieder zurückzog. Offenbar diente diese Aktion nur zur Sondierung für spätere Eroberungszüge, da von einer Schlacht zu diesem Zeitpunkt nicht die Rede ist. Gegen 1135–1136/529 jedoch startete Yayā b. al-‘Azīz eine breite Offensive gegen Mahdia. Idris hält es für 501 Ibn ‘Idārī, I, 314. 502 Idris, Berbérie Orientale, 341. 503 Ibn al-Atīr, XI, 31 ff. Hauptquelle; Ibn ‘Idārī, I, 312; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 331, 363/Berbères, II, 27, 57; at-Tiğānī, 243–244; Mu’nis, 92–93. 504 Ibn ‘Idārī, I, 310.

173

möglich, daß er zumindest von einem Teil der Bewohner der Stadt dazu ermuntert wurde.505 Nach Ibn al-Atīr war asan dem Maimūn b. Ziyād, den er mit Ehrenbezeugungen überhäufte, freundschaftlich verbunden. Aus Eifersucht schickten andere Araber ihre Kinder als Geiseln zu Yayā b. al-‘Azīz, um ihm ihre Treue zu beweisen und baten ihn, ihnen bei der Eroberung von Mahdia zu helfen. Idris hält es für möglich, daß sich andere Hilāl-Stämme, besonders die mit den Ziriden verbundenen Riyā, über den wachsenden Einfluß des Atbağiten Maimūn b. Ziyād ärgerten. Idris macht darauf aufmerksam, daß diese Information nur von Ibn al-Atīr gegeben wird, und man statt Maimūn durchaus Muriz lesen könne. Dann würde es sich um den Riyāiden Muriz b. Ziyād handeln.506 Muriz und asan verband eine enge Freundschaft, was dadurch zum Ausdruck kam, daß der Ziride, nachdem er von den Christen aus Mahdia vertrieben worden war, bei ihm Zuflucht suchte. Dies nahmen einige arabische Stämme übel. Ibn al-Atīr bekräftigt, daß asan Muriz vor allen anderen Arabern schätzte und ihn mit Geld und Wohltaten überhäufte.507 Yayā wollte erst dann über eine Intervention entscheiden, wenn er von den Scheichs von Mahdia einen ähnlichen Vorschlag erhalten hätte. Die Bewohner von Mahdia schrieben ihm, daß sie bereit seien, ihm die Stadt zu übergeben, weil asan mit Roger II. Frieden geschlossen habe.508 Es ist schon erstaunlich, daß die Bewohner einer ifriqischen Küstenstadt offenbar selbst entscheiden konnten, von wem sie regiert wurden. Das zeigt, wie wenig Einfluß der ziridische Emir auf die einzelnen Städte hatte. Dieser Friedensvertrag war für Mahdia insofern nützlich, als die Stadt auf das sizilische Getreide angewiesen war. Außerdem mußte es nun nicht mehr an zwei Fronten kämpfen, sondern konnte den Hammadiden besser entgegentreten. Da Roger II. sehr stark mit inneren Unruhen beschäftigt war, mußte er seine ifriqischen Ambitionen zurückstellen. Ferner war der Getreideexport so ertragreich, daß davon ausgegangen werden muß, daß Roger II. keine großen Forderungen stellte. Yayā griff nun mit einer Flotte und einer von seinem General Muarrif befehligten Armee Mahdia an. Er gab Muarrif genügend Geld, um die Unterstützung der Araber zu erkaufen. Das hammadidische Korps umfaßte die Kavallerie, die Infanterie und zahlreiche arabische Truppenkontingente. Es umzingelte Mahdia von Süden und lagerte in der Nähe von Zawīla. Es kamen noch weitere Truppenverstärkungen aus den Reihen der Araber hinzu, während die Flotte die Blo505 506 507 508

174

Idris, Berbérie Orientale, 342. Idris, Berbérie Orientale, 342. Ibn al-Atīr, XI, 31. Mu’nis, 92.

ckade der Stadt fortsetzte. Muarrif wollte unbedingt vermeiden, Blut zu vergießen. Er glaubte, die Stadt ohne größere Mühen erobern zu können und wartete einige Tage mit dem Angriff. Anfänglich wurden die zögerlichen hammadidischen Angriffe abgewehrt, in deren Verlauf viele Soldaten der Hammadiden getötet wurden. Daraufhin griffen sie die Stadt zu Lande und zu Wasser an, während Muarrif einen Generalangriff unternahm. Der Ziride ließ die Stadttore öffnen und schrie: „Ich bin es, asan!“ Auf diesen Schrei hin begrüßten sich die Gegner und gingen mit Respekt auseinander.509 Dieser Vorgang, der nur von Ibn al-Atīr überliefert wird, ist aus folgenden Gründen mehr als fragwürdig: 1) Da Mahdia auf dem Landweg quasi unbezwingbar war, muß davon ausgegangen werden, daß die Belagerung, so wie sie in den Quellen beschrieben wird, ohne Erfolg verlief. 2) Es gab keinen Anlaß, warum sich asan und die hammadidischen Belagerer wie Freunde hätten begrüßen sollen. Zudem stünde dann die Frage im Raum, warum es diese Belagerung überhaupt gab. Da sich die Quellen jedoch über die weiteren Umstände ausschweigen, kann man darüber nur spekulieren. Als in Tozeur Ibn Furqān revoltierte, sandte Yayā b. al-‘Azīz eine von dem Gelehrten Muarrif b. ‘Alī b. azrūn kommandierte Armee. Er konnte den Rebellen gefangennehmen und lieferte ihn Yayā aus. Der Hammadide ließ ihn exekutieren.510

509 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 331, 363/Berbères, II, 27, 57; Ibn ‘Idārī, I, 312; Ibn al-Atīr, XI, 31–32 510 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 363/Berbères, II, 57.

175

8. Die normannische Präsenz in Ifrīqiya 8.1 Die Regierungszeit des al-asan b. ‘Alī (1121–1148/515–543) asan war erst zwölf Jahre alt, als er die Macht in Mahdia übernahm. Einen Tag nach dem Tod seines Vaters erhielt er Kondolenzen und Glückwünsche. Er nahm an der üblichen Militärparade teil und verteilte Geld an die Sklaven und Armeeangehörigen; die Würdenträger und Militärführer kleidete er in Ehrengewänder. Zunächst wurde die Regentschaft von einem freigelassenen Sklaven ausgeübt. Nach dessen Tod kam es zu heftigen Nachfolgekämpfen unter den Armeegenerälen. Erst nachdem sich einer von ihnen durchgesetzt hatte, der schon unter ‘Alī gedient hatte, kehrte wieder Ruhe ein.511 Es ist nicht bekannt, wann und wie asan schließlich die Zügel der Macht in die Hand bekam.

8.2 Normannischer Angriff auf Mahdia 512 1122/516 sandte der Almoravide Yūsuf b. Tāšfīn seine Flotte gegen die Küste Kalabriens. Die Einwohner der betroffenen Ortschaft wurden getötet oder gefangen genommen. Roger II. war überzeugt, daß dieser Angriff eine Manifestation einer unter ‘Alī geschlossenen ziridisch–almoravidischen Allianz sei und verdächtigte asan, der Anstifter zu sein. Er zog daher eine Anzahl an Kriegsschiffen und Truppen zusammen und untersagte jeglichen Kontakt mit dem Maghreb und Ifrīqiya. asan, der deshalb einen normannischen Angriff auf Mahdia befürchtete, ließ die maroden Schutzwälle von Mahdia in Stand setzen und bat die Fatimiden um Intervention am sizilianischen Hof. In diesem Zusammenhang kann man davon ausgehen, daß asan das Verhältnis zu den Fatimiden nicht veränderte; er hätte auch keinen Grund dazu gehabt. Roger II. ließ 1123/517 seine Flotte in See stechen. Sie umfaßte ungefähr 300 Schiffe, 30.000 Männer und 1.000 Reiter und wurde von Georg von Antiochien und Christodoulos (‘Abd ar-Ramān b. ‘Abd al-‘Azīz) kommandiert. Trotz eines starken Sturms, der der Flotte schwere Verluste zufügte, begaben sich die Schiffe weiter nach Pantelleria, das eingenommen und ausgeplündert wurde. Die Einwohner wurden getötet oder versklavt. asan bereitete unterdessen die letzten Verteidigungsmaßnahmen vor. Am 21. Juli 1123/25. Ğumādā I 517 erschien die normannische Flotte vor der Küste von Mahdia und ging an einer kleinen Insel vor dem heutigen Cap Dīmās an Land. Georg und Christodoulos schlugen dort 511 Ibn ‘Idārī, I, 308; Ibn al-Atīr, X, 588–589; an-Nuwairī, 24, 245; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 330/Berbères, II, 26; Ibn allikān, II, 242; Mu’nis, 92. 512 Ibn al-Atīr; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 330–331/Berbères, II, 26–27; Ibn ‘Idārī, I, 309; Mu’nis, 92.

176

ihre Zelte auf. Während der Nacht erkundeten einige Kameraden Georgs die nähere Umgebung. Am nächsten Tag kreuzten sie mit ihren Schiffen unmittelbar vor Mahdia auf. Erschrocken über die Menschenmenge auf den Verteidigungswällen kehrten sie jedoch auf ihre Insel zurück. Dort mußten sie feststellen, daß eine Gruppe von Soldaten und Arabern eingedrungen war, sich eines Teils ihrer Waffen bemächtigt und zahlreiche Christen getötet hatte. Es kam zu weiteren kleineren Scharmützeln zwischen den Christen und den Muslimen. Am dritten Tag griffen die Christen die Festung von Dīmās an. Die Araber, die zu ihrer Verteidigung abkommandiert waren, wechselten jedoch die Seiten. Daher konnten Georg und Chistodoulos die Festung einnehmen. Roger II. hatte schon vorher befohlen, die Araber auf seine Seite zu ziehen. Von der Festung Dīmās aus sollte sich dann der Angriff gegen Mahdia richten. Am vierten Tag jedoch unternahmen die Muslime einen gewaltigen Ausfall. Die Normannen, die offenbar nicht mit einem derartigen Angriff der Muslime gerechnet hatten, flüchteten sich auf ihre Schiffe. Die Muslime konnten auf die Insel vordringen; ihnen fiel alles in die Hände, was sie dort vorfanden. Die Festung von Dīmās, auf der sich ungefähr 100 513 Normannen verschanzt hatten, wurde von den Arabern angegriffen. Die normannische Flotte, die nicht eingreifen konnte, segelte unverrichteter Dinge nach Sizilien zurück und überließ die belagerten Kameraden ihrem Schicksal. Die zahlenmäßig weit unterlegenen Christen hatten keine Chance. Sie ergaben sich und erbaten von dem Ziriden eine Amnestie. Da die Araber das allerdings ablehnten, mußte sich asan ihnen fügen. Die Belagerten unternahmen daraufhin einen verzweifelten Ausbruchsversuch und wurden dabei alle getötet.514 asan ließ daraufhin den Sieg über die Normannen verkünden. Das führte natürlich zu einer weiteren Verschlechterung der normannisch–ziridischen Beziehungen. Ibn Muyassar schreibt, daß sich 1123/517 ein Gesandter asans nach Kairo begab, um dem fatimidischen Kalifen mitzuteilen, daß er dessen Suzeränität anerkenne und daß Roger II. einen Krieg gegen asan plane. Er bat den Fatimiden darum, bei Roger II. zu intervenieren und ihm von einem Krieg abzuraten. Kairo kam diesem Ersuchen erfolgreich nach.515 Ibn Muyassar übergeht allerdings die Affäre von Dīmās. Außerdem bestätigt keine andere Quelle den Abschluß eines ziridisch–normannischen Friedens dank einer fatimidischen Mission. Ferner ist es sehr unwahrscheinlich, daß Roger II. nach einem solchen Massaker zu einem Frieden bereit gewesen wäre. Im Gegenteil: Am Hof von Palermo mußte der Wunsch nach Rache nach den Ereignissen in Ifrīqiya wachsen. Die Quellen 513 Ibn ‘Idārī, I, 309. 514 Ibn ‘Idārī, I, 309. 515 Ibn Muyassar, 93.

177

stimmen darin überein, daß die gegenseitigen Angriffe weiter gingen, ohne daß sich dabei jedoch die Machtkonstellationen wesentlich änderten. asan mußte mit den Folgen der von seinem Vater veränderten Mittelmeerpolitik kämpfen. Insbesondere in dem normannisch–ziridischen Verhältnis mußte sich das niederschlagen. Während der Regierungszeit asans intensivierte Roger II. seine Interventionen in Nordafrika. Er spielte die einzelnen nordafrikanischen Herrscher aus, um dort selbst freie Hand zu bekommen. Die folgende Entwicklung bestätigt das.

8.3 Besetzung von Djerba durch die Normannen 516 Im Herbst 1135/529–530 eroberten die Normannen Djerba, das die ziridische Autorität nicht anerkannte. Ein Expeditionskorps, das hauptsächlich aus muslimischen Sizilianern und angesehenen Rittern bestand, belagerte die Insel und griff sie von allen Seiten an. Offenbar unternahmen hier Christen und muslimische Sizilianer gemeinsam die Offensive gegen die Insel. Nach blutigen Schlachten konnten die Normannen Djerba schließlich erobern und plünderten es aus. Die Männer wurden getötet, die Frauen und Kinder versklavt und nach Sizilien verkauft. Die Überlebenden erhielten schließlich den amān und konnten gefangene Angehörige freikaufen. Roger II. setzte einen Gouverneur ein, die Bewohner mußten eine Kopfsteuer entrichten. Mit der Eroberung von Djerba wollte Roger II. die Niederlage von 1123/517 rückgängig machen und sich eine Angriffsbasis für Ifrīqiya schaffen, von der aus er zumindest den Küstenstreifen in seine Hand bringen wollte. Außerdem konnte er so den Verkehr zwischen Ifrīqiya und Ägypten stören. Sizilien und Ägypten unterhielten nämlich enge diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. Roger II. unterrichtete den Fatimidenkalifen über die Eroberung Djerbas, und der brachte in einem Antwortschreiben seine Zustimmung darüber zum Ausdruck. Roger II. hielt es für notwendig, dieses „Piratennest“, unter dem seine Schiffe zweifellos zu leiden hatten, zu zerstören. Die fast unabhängigen Emire von Mahdia und Djerba respektierten die geschlossenen Verträge, die asan und die Normannen verbanden, sicherlich nicht, da sie glaubten, daß diese Übereinkünfte sie nichts angingen. Die überraschende Gleichgültigkeit des Kalifen, die möglicherweise nur vorgetäuscht war, war von der Notwendigkeit bestimmt, mit den Sizilianern ein gutes Verhältnis zu haben. Trotzdem bemächtigten sich die Normannen wenig später fatimidischer Schiffe, die auf dem Weg zu dem Ziriden waren, sowie eines für al-āfi mit Geschenken beladenen Schiffes. Es liegt auf der Hand, daß die Fatimiden nicht in der Lage waren, gegen die Normannen vorzugehen. 516 Ibn ‘Idārī, I, 312; Ibn aldūn, Berbères, I, 245, III, 64; Ibn al-Atīr, XI, 32; an-Nuwairī, 24, 245–246; Abū l-Fidā’, III, 10; at-Tiğānī, 91; Mu’nis, 93.

178

1153/548 wurde ein Versuch Djerbas, seine Freiheit wiederzuerlangen, blutig unterdrückt.517 Die Anführer der Rebellion wurden getötet, der größte Teil der Einwohner und sämtliche Notabeln wurden versklavt und nach Palermo gebracht.

8.4 Hammadidische Einflußnahme auf die Politik im Mittelmeer Der Hammadide Yayā b. al-‘Azīz wollte sich die Gunst des Fatimidenkalifen alāfi sichern und ließ ihm 1141–1142/536 Geschenke zukommen. Der Kalif ließ ihm ebenfalls Waren und Geschenke zukommen. Ein Schiff des Ziriden asans, das sich im Hafen von Alexandria befand, wurde von dem dortigen Zollchef am Auslaufen gehindert, weil dieser an einem ziridisch–fatimidischen Bruch und an einer hammadidisch–fatimidischen Annäherung interessiert war. Der Zollchef scheiterte jedoch mit seinem Vorhaben und wurde verhaftet. Ein derart eigenmächtiges Handeln einer relativ untergeordneten Persönlichkeit überrascht.518 asan ließ das hammadidische Schiff angreifen und brachte es in seine Gewalt. Es wurde vollständig leergeräumt, ehe es von einem Sturm zerstört wurde. Aus den Trümmern wurde allerdings ein neues Schiff gebaut.519 Nach Ibn Abī Dīnār520 verschlechterten sich gegen 1140–1141/536 die ziridisch–normannischen Beziehungen, da asan Geld, das er von Roger II. geborgt hatte, nicht zurückzahlte. Roger schickte daher eine Flotte unter Georg von Antiochien nach Mahdia. Es gelang ihm, in den Hafen der Stadt einzudringen und sich der im Hafen befindlichen Schiffe zu bemächtigen. Darunter befand sich auch das Schiff, welches aus den Trümmern des bei dem Sturm zerstörten Schiffes gebaut worden war. Es war mit Reichtümern beladen, die für al-āfi bestimmt waren. Da es verbindliche Abmachungen zwischen Roger II. und dem Ziriden gab, ist es verständlich, daß die Chronisten das Ereignis als Verrat bewerten. asan, der auf das sizilianische Getreide angewiesen war, offenbar aber zahlungsunfähig war und noch dazu keine ausreichende Flotte mehr hatte, um Mahdia zu verteidigen, schickte 1140–1141/536 eine Deputation an Roger II., um ihn um Frieden zu bitten. Nach Ibn Abī Dīnār mußte asan so drakonische Bedingungen akzeptieren, daß er von dem normannischen König zu einem bloßen Gouverneur degradiert wurde. Bevor asan die Deputation zu Roger II. geschickt hatte, hatte er ihm eine Anzahl von Kriegsgefangenen als Zeichen guten Willens 517 At-Tiğānī, 91; Ibn aldūn, Berbères, III, 64. 518 Die arabischen Quellen neigen für gewöhnlich dazu, auch die Namen unbedeutender Persönlichkeiten anzugeben, was die Beurteilung nach Wichtigkeit nicht unbedingt erleichtert. Hier liegt nun der seltene Fall vor, daß wir den Namen des Zollchefs nicht erfahren. 519 Ibn ‘Idārī, I, 312–313. 520 Mu’nis, 93.

179

zurückgegeben, doch das brachte ihm nicht viel. Diese Ereignisse führten zu einer normannisch – hammadidischen Annäherung.521

8.5 Normannische Angriffe auf Tripolis und Gigelli 522 1142–1143/537 versuchten die Normannen Tripolis einzunehmen, das die Autorität asans nicht anerkannte. Ibn al-Atīr berichtet, daß die Stadt zu dieser Zeit nicht mehr von den zanatischen Banū azrūn, sondern von den arabischen Banū Marū regiert wurde. At-Tiğānī523 gibt hingegen an, daß Tripolis bis 1146/540 unter der Herrschaft der azrūn verblieb. Die Sizilianer begannen am 15. Juni 1143/9. Dū l-iğğa 537 mit der Belagerung von Tripolis. Die Belagerten unternahmen jedoch einen erfolgreichen Ausbruchsversuch, und die Angreifer konnten geschlagen und vertrieben werden. Die Überlebenden kehrten nach Sizilien zurück. Es ist anzunehmen, daß Roger II. bei dieser Expedition nicht so viel aufgewendet und den Widerstandswillen der Bevölkerung unterschätzt hatte. Wenig später gingen die Normannen bei dem östlich von Bougie an der Küste gelegenen Gigelli an Land. Die Einwohner flüchteten ins Landesinnere. Die Angreifer zündeten die Stadt an, machten viele Gefangene und zerstörten das Lustschloß des Yayā b. al-‘Azīz; danach zogen sie aber wieder ab. Nach Ibn ‘Idārī524 eroberte Roger II. 1143–1144/538 Sfax. Daß die sizilianische Flotte einen Abstecher dorthin machte, ist nicht unmöglich. 1144–1145/539 überfielen die Sizilianer die Kerkenna-Inseln. Auch dort wurden die Männer massakriert, Frauen und Kinder als Sklaven an muslimische Sizilianer verkauft.

8.6 Einnahme von Tripolis durch die Normannen 525 1145–1146/540 wurde Ifrīqiya von einer Hungersnot heimgesucht, die die Bevölkerung dezimierte und eine Emigrationswelle besonders nach Sizilien zur Folge hatte. Das scheint angesichts der engen sizilianisch–ifriqischen Beziehungen und Rogers toleranter Haltung gegenüber dem Islam kein Problem geworden zu sein. Roger II. hielt den Moment für günstig, die Scharte der Niederlage gegen Tripolis 1142–1143/537 und der erfolglosen Expedition 1144–1145/539 auszuwetzen. 1146/540 machte sich die von Georg von Antiochien kommandierte, aus 200 Schiffen bestehende sizilianische Flotte auf den Weg nach Tripolis. Am 15. Juni 521 Ibn ‘Idārī, I, 313; Ibn al-Atīr, XI, 90; at-Tiğānī, 243–244; Mu’nis, 93–94. 522 Ibn al-Atīr, XI, 91–92 detaillierteste Erzählung; Ibn aldūn, VI, 836/Berbères, II, 579; Ibn ‘Idārī, I, 313; Mu’nis, 93; Abū l-Fidā’, III, 16. 523 At-Tiğānī, 173–174. 524 Ibn ‘Idārī, I, 313. 525 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343/Berbères, II, 37, III, 268; Ibn al-Atīr, XI, 108–109; an-Nuwairī, 24, 246–247; at-Tiğānī, 173–174; Ibn allikān, II, 242; Abū l-Fidā’, III, 18; Mu’nis, 93.

180

1146/3. Muarram 541 gingen die Sizilianer an Land; Tripolis wurde zu Wasser und zu Lande belagert. Die Tripolitaner waren in zwei Lager gespalten. Einige Tage vor der Ankunft der Sizilianer waren die Banū Marū vertrieben und durch einen Almoraviden ersetzt worden, der sich auf dem Rückweg von Mekka in den Maghreb befand. Nach der Landung der Normannen wurden die Banū Marū zurückgerufen. Daraufhin kam es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern. Als sich aufgrund dieser inneren Streitigkeiten die Verteidigungswälle für einige Zeit leerten, nutzten die Normannen die Gelegenheit und drangen am 18. Juni 1146/6. Muarram 541 über Leitern in die Stadt ein. Man fragt sich, ob die Banū Marū nicht klammheimlich den Erfolg der Christen herbeigewünscht hatten, da sich das Verlassen der Beobachtungsposten trotz der inneren Auseinandersetzungen merkwürdig ausnimmt. Die Eroberer töteten, plünderten und versklavten die Frauen und Kinder. Diejenigen, die konnten, flüchteten zu den Arabern und Berbern in der Umgebung. At-Tiğānī übergeht die Plünderung der Stadt stillschweigend und behauptet, daß Georg von Antiochien die Bewohner gut behandelt habe, da er noch weitere Städte in der Region erobern wollte. Wahrscheinlich zu diesem Zweck erließ Georg kurz nach der Einnahme der Stadt eine Generalamnestie und beendete die Exzesse. Wenig später kehrte der Großteil der Flüchtlinge wieder zurück. Georg vertrieb allerdings den größten Teil der Banū azrūn. Er ernannte den Scheich der Stadt Abū Yayā b. Marū zum Gouverneur und zum Kadi Abū l-ağğāğ Yūsuf und mischte sich auch sonst nicht in die inneren Angelegenheiten der Stadt ein. Die Normannen blieben sechs Monate in Tripolis. Sie verstärkten die Befestigungsanlagen und vertieften die Gräben. Danach zogen sie sich wieder zurück, nahmen aber Geiseln, besonders von den Banū Marū und dem Almoraviden. Danach entwickelte sich ein lebhafter Handelsverkehr zwischen Tripolis und Sizilien. Einwohner Siziliens wurden sogar ermuntert, nach Tripolis überzusiedeln. Die Einnahme von Tripolis scheint den neuen Herren keinerlei Schwierigkeiten während der kommenden zwölf Jahre gemacht zu haben. Es ist nicht bekannt, wie die Ziriden und Hammadiden auf diese Ereignisse reagierten. Immerhin war Tripolis ein strategisch wichtiger Ort und lag zwischen Ifrīqiya und dem fatimidischen Ägypten.

8.7 Gabes 526 Der Nachfolger des Gouverneurs von Gabes, Rāfi‘ b. Maggan, war Rušaid b. Kāmil. Ungefähr in diese Zeit fällt der Bau des Qar ‘Arūsain, dessen Vorbild der 526 Ibn al-Atīr, XI, 121–121; an-Nuwairī, 24, 248; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343/Berbères, II, 36– 37; at-Tiğānī, 72–74; Mu’nis, 94; vgl. Idris, Berbérie Orientale, 352 ff.

181

Hammadidenpalast von Bougie war. Der neue Gouverneur Rušaid prägte sogar Münzen. Die genauen Umstände seines Amtsantritts sowie der Bau des Palastes sind nicht näher bekannt. Möglicherweise hatten schon die anhāğa mit dem Bau begonnen; Rāfi‘ setzte die Arbeit fort, und Rušaid vollendete sie. Beim Tode Rušaids mißbrauchte einer seiner freigelassenen Sklaven namens Yūsuf das Vertrauen, das sein Herr in ihn gesetzt hatte, vertrieb den ältesten Sohn Rušaids und brachte seinen jüngeren Sohn, Muammad b. Rušaid, an die Macht. Dieser war kaum mehr als eine Marionette Yūsufs, der de facto regierte. Ibn aldūn und at-Tiğānī schildern die Ereignisse über Yūsufs Usurpation folgendermaßen: Da Muammad b. Rušaid zu einer Expedition aufbrach, um einen Feind zu schlagen, setzte er während seiner Abwesenheit einen seiner Söhne als Stellvertreter ein. Der Freigelassene Yūsuf, zu dem er volles Vertrauen hatte, vertrieb den Sohn seines Herrn, bemächtigte sich der Stadt und erkannte Roger II. an.527 Idris hält es allerdings für höchst unwahrscheinlich, daß der junge Muammad, der Yūsuf ergeben war, eine Expedition geleitet und Gabes einem seiner Söhne anvertraut habe.528 Yūsuf ließ sich sogar mit den Witwen seines Herrn ein. Eine von ihnen aus dem Stamm der Banū Qurra schrieb an ihre Brüder, die von Yūsuf verlangten, sie zurückzugeben. Das lehnte er aber ab. Rušaids ältester Sohn und die Banū Qurra beklagten sich daraufhin bei asan, der an Yūsuf schrieb. Dieser antwortete nicht und soll gedroht haben, daß, wenn man ihn nicht in Ruhe lasse, er Gabes an die Normannen ausliefern werde. Als Yūsuf erfuhr, daß der Ziride eine Expedition gegen ihn vorbereitete, schickte er eine Deputation an Roger II. und bot ihm seine Dienste an. Darüber hinaus ließ Yūsuf dem Normannenkönig ein Ehrengewand und eine Urkunde zukommen, die Gabes zu einer Provinz von Rogers Reich machte. Es ist kaum nachvollziehbar, warum Roger II. dieses verlockende Angebot, das seine Hegemonie über Ifrīqiya bestätigte und ihn zum Herrn einer wichtigen Küstenstadt machte, zunächst ausschlug. Schließlich akzeptierte Roger II. das Angebot aber doch. Yūsuf verlas die Einsetzungsurkunde vor dem Volk. Nach Ibn Abī Dīnār schickte der Normannen seinem neuen Gouverneur, der Steuern in seinem Namen erhob, seinerseits christlichen Schmuck.529 Kurz bevor sich Georg von Antiochien 1148/543 Mahdias bemächtigte, erklärte er asan, daß er nicht gekommen sei, um sich zu rächen, sondern um Muammad b. Rušaid wieder in sein Amt als Gouverneur von Gabes einzusetzen.

527 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343/Berbères, II, 37; at-Tiğānī, 72. 528 Idris, Berbérie Orientale, 354. 529 Mu’nis, 94.

182

Ibn al-Atīr530 berichtet, daß sich die jeweiligen Gesandten Yūsufs und asans bei Roger II. trafen. Im Verlauf der Diskussion äußerte sich der Gesandte Yūsufs wenig schmeichelhaft über asan, was dieser durch seinen Gesandten erfuhr. asan konnte diesen Botschafter Yūsufs durch seine Soldaten gefangennehmen. Er warf ihm vor, islamischen Boden an die Christen ausgeliefert zu haben. asan ließ ihn in Mahdia durch die Straßen führen, wo der meuternde Pöbel ihn steinigte. 1147–1148/542 sandte asan auf die Bitte des älteren Sohnes des Rušaid eine Verstärkungsarmee und arabische Kontingente, die von Muriz b. Ziyād befehligt wurden, gegen Gabes. Das Volk erhob sich dort gegen Yūsuf wegen dessen Ergebenheit gegenüber den Christen und lieferte die Stadt an die Angreifer aus. Yūsuf wurde gefangengenommen und vom älteren Sohn Rušaids getötet. Yūsufs Regierung war in allen Lagern auf Ablehnung gestoßen, sei es bei den Arabern, bei den Sizilianern oder bei den Ziriden. Daher verwundert es nicht, daß er sich nicht lange an der Macht halten konnte. Er muß jedoch zumindest teilweise Unterstützung von der Armee bekommen haben, da er sich sonst nicht an die Macht hätte bringen können. Der Sohn und der Bruder Yūsufs flüchteten zu Roger II. Sie erzählten ihm, daß asan an der Ermordung Yūsufs beteiligt war. Roger II. war darüber erbost, da er asan und Yūsuf zu seiner Gefolgschaft zählte. Daher entschloß sich Roger II. nun, Mahdia selbst zu erobern. Er schickte eine Flotte gegen Gabes, die die Stadt eine zeitlang blockierte und dann wieder zurückkehrte.531 Die normannische Flotte war zu schwach, da der größte Teil von ihr gegen das Byzantinische Reich im Einsatz war. Rogers Reaktion auf die Ermordung Yūsufs kann auch gespielt gewesen sein, da er nun einen Vorwand hatte, um in Ifrīqiya zu intervenieren. Andererseits ist es jedoch auch möglich, daß Roger II. hoffte, daß sowohl asan als auch Yūsuf durch die gegenseitigen Auseinandersetzungen geschwächt würden, und er somit leichtes Spiel in Ifrīqiya hätte. Daher läßt sich nur schwer beurteilen, ob der Tod Yūsufs mehr Vorteile oder mehr Nachteile für Roger II. hatte. Die Ereignisse von Gabes offenbaren ein höchst interessantes Faktum: Einem Freigelassenen einer lokalen Herrscherfamilie gelang es ohne größere Kraftanstrengung, sich den Gouverneursposten einer nicht unbedeutenden ifriqischen Stadt anzueignen. Zudem war dieser Usurpator in der Lage, in direkten Kontakt zu den Ziriden und sogar zu den Normannen zu treten und somit Einfluß auf die Politik zwischen den Ziriden und Normannen zu nehmen. Ferner muß man sich darüber wundern, daß es für asan und Roger II. offensichtlich nicht ungewöhnlich war, einen Putschisten wie Yūsuf als Gesprächspartner zu akzeptieren. 530 Ibn al-Atīr, XI, 120. 531 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343/Berbères, II, 37; at-Tiğānī, 73.

183

8.8 Die Eroberung von Mahdia, Sfax und Sousse durch die Normannen 532 Für Roger II. war das Jahr 1148/542–543 für eine militärische Operation in Ifrīqiya günstig, da das annähernde byzantinisch–sizilianische Gleichgewicht ihm erlaubte, seine militärischen Aktivitäten auf Ifrīqiya zu konzentrieren. Außerdem herrschte seit 1141–1142/537 eine Hungersnot in Ifrīqiya, die ihren Höhepunkt 1146–1147/542 erreichte und sogar zu Kannibalismus führte. Zu all dem herrschte auch noch eine Pestepidemie, die große Teile der Bevölkerung dezimierte. Viele Scherifen aus Ifrīqiya flüchteten nach Sizilien. Roger II. rüstete unterdessen eine ungefähr 300 Schiffe533 umfassende Flotte aus, die Georg von Antiochien befehligte. Die Streitkräfte asans waren den normannischen völlig unterlegen und zudem noch mit der Bekämpfung des urasaniden von Tunis beschäftigt. Auch verfügte asan kaum noch über Pferde. Auf Pantelleria bemächtigten sich die Normannen eines ifriqischen Schiffes. Roger II. befragte dessen Besatzung über die Lage in Ifrīqiya. Als Georg einen Taubenkäfig im Schiff vorfand, befahl er dem Besitzer des Käfigs, mit seiner Handschrift zu schreiben, die hätten Muslime erfahren, daß die Sizilianer vor Konstantinopel in Einsatz seien. Die Brieftaube wurde losgeschickt und erreichte asan, der sich über diese „Neuigkeit“ freute. Er sah darin die Bestätigung, daß ein sizilianischer Angriff nicht bevorstehe. Georg hoffte, vor Sonnenaufgang vor der Küste Ifrīqiyas erscheinen zu können, ohne daß die Bewohner etwas davon mitbekämen und nicht mehr fliehen könnten. Es kam aber ein so starker Wind auf, daß er erst am Vormittag des 22. Juni 1148/2. afar 543 ankam. Da seine Flotte gesichtet wurde, ging der Überraschungseffekt verloren. Georg schrieb dem Ziriden daraufhin, daß er lediglich Muammad b. Rušaid wieder als Gouverneur von Gabes einsetzen wolle, und betonte, daß die mit asan geschlossenen Verträge unverändert gültig seien. Ferner bat Georg ihn um ein Hilfskorps.534 Zu jener Zeit war es üblich, daß Verträge eine Laufzeit von zehn Jahren hatten. Das heißt, daß der 1140–1141/536 geschlossene Vertrag noch in Kraft war. asan scheint sich wieder erholt zu haben, nachdem er ein angeblich drakonisches normannisches Friedensdiktat, das einer bedingungslosen Kapitulation gleichkam, hatte akzeptieren müssen. Möglicherweise waren die Friedensbedin-

532 Ibn al-Atīr, XI, 125–129; an-Nuwairī, 24, 247–250 stimmt im großen und ganzen mit der Erzählung von at-Tiğānī, 244–245 überein. Alle vier Texte geben die Version von Ibn Šaddād wider. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 331–332/Berbères, II, 27, 28; Ibn ‘Idārī, I, 313; Abū l-Fidā’, III, 19–20; Mu’nis, 94–95. 533 Bei an-Nuwairī sind es 150 Schiffe. 534 An-Nuwairī, 24, 247–248; Ibn al-Atīr, XI, 125–126.

184

gungen nicht so hart wie man hätte annehmen können, da sich die Normannen sehr bemühten, ihre Expedition an die ifriqische Küste geheimzuhalten. Als sie dann jeoch bemerkt wurden, versuchte Georg sie gegenüber asan zu rechtfertigen. Daraus kann man zumindest folgern, daß die Ziriden militärisch nicht sehr geschwächt und den Normannen nicht allzu stark unterlegen gewesen sein können. asan beriet sich hierüber mit Juristen und Notabeln. Sie rieten ihm zur Schlacht, da Gabes stark genug sei, um Widerstand zu leisten. Der Emir äußerte seine Befürchtung, daß der Feind an Land gehen würde, Mahdia zu Wasser und zu Lande belagern und von jeglicher Lebensmittelzufuhr abschneiden könne. In diesem Fall hätte Mahdia noch nicht einmal für einen Monat Lebensmittelreserven. Außerdem räumte er der Unversehrtheit der Muslime Priorität ein. Truppen nach Gabes zu schicken hielt er für illegitim, da das bedeuten würde, die Ungläubigen gegen die Muslime zu unterstützen. Wenn er der Bitte allerdings nicht entsprechen würde, könnte ihm der Feind Vertragsbruch vorwerfen. Da kein wirksamer Widerstand möglich sei, kündigte er an, die Stadt zu evakuieren.535 asan befahl also, Mahdia zu räumen. Einige Einwohner versteckten sich bei Christen und in den Kirchen. Diejenigen, die flüchten wollten, hatten genügend Zeit dazu, da die Windverhältnisse eine Landung nicht vor Nachmittag zuließen. Innerhalb von wenigen Stunden war die Stadt menschenleer. Die Normannen konnten die Stadt daher ohne Widerstand einnehmen. Georg fand den Palast asans in unversehrtem Zustand vor; der Emir hatte offenbar nur leichte und wertvolle Gegenstände mitgenommen. Mehrere seiner Konkubinen befanden sich noch dort. Georg brachte sie in einem Schloß unter. Nach einer zweistündigen Plünderung verkündete Georg eine Generalamnestie für Mahdia und Zawīla. Daraufhin kamen alle, die sich bisher versteckt hielten, wieder hervor. Die noch verbliebenen Christen brachte der Admiral in Zelten unter, die sich zwischen den beiden Städten befanden. Am nächsten Morgen ließ Georg alle Araber zusammenrufen und verteilte große Summen an sie. Die Amnestie galt auch für diejenigen, die sich auf der Flucht befanden; auch sie kehrten gerne zurück.536 Innerhalb einer Woche war die Hälfte der Bevölkerung wieder zurückgekehrt. Die Einwohner von Mahdia waren erleichtert über die gute Behandlung durch die Christen. Die Kinder asans und dessen in Mahdia verbliebenen Konkubinen schickte Georg nach Sizilien. Ibn Abī Dīnār537 stellt fest: „Der Feind Gottes brachte den beiden Städten Mahdia und Zawīla die Prosperität zurück, gab den Händlern Kapital, begnadete die Juristen und setzte einen Kadi ein, der vom Volk akzep535 An-Nuwairī, 24, 248; Ibn al-Atīr, XI, 126. 536 An-Nuwairī, 24, 249; Ibn al-Atīr, XI, 127. 537 Mu’nis, 94–95.

185

tiert wurde.“ Als die Einwohner von Mahdia zurückkehrten, verteilte Georg Geld und Getreide an sie.538 Georg konnte durch sein Verhalten das Vertrauen der muslimischen Bevölkerung von Mahdia gewinnen. Daher konnte er bei späteren Expeditionen auf ifriqischem Gebiet zumindest in der Region von Mahdia mit erheblich weniger Widerstand rechnen. Eine Woche nach der Einnahme von Mahdia sandte Georg ein Geschwader gegen Sfax und ein anderes gegen Sousse. Sousse wurde von den Normannen ohne Widerstand am 2. Juli 1148/12. afar 543 eingenommen. Die Einwohner der Stadt und der Gouverneur, ‘Alī b. al-asan, hatten die Stadt verlassen und sich asan angeschlossen.539 At-Tiğānī540 behauptet, daß Sousse von einem arabischen Emir namens Ğabbāra b. Kāmil b. Sarān al-Fādiġī regiert wurde. Die Christen hätten ihm die Stadt abgenommen, als sie Mahdia eroberten. Es ist jedoch durchaus möglich, daß die Stadt von dem Ziriden als formalen Gouverneur und von einem allmächtigen Riyāidenemir gleichzeitig regiert wurde. Die Bewohner von Sfax dagegen, die von zahlreichen Arabern unterstützt wurden, widersetzten sich der Inbesitznahme durch die Normannen. Sie unternahmen einen gewaltigen Ausfall. Die Christen, die vortäuschten, zu flüchten, wurden von den Bewohnern der Stadt verfolgt, kehrten aber plötzlich um und griffen die Muslime an; viele von diesen fanden den Tod. Nach einem Angriff konnten die Normannen die Stadt am 13. Juli 1148/23. afar 543 einnehmen. Die Überlebenden, ihre Frauen und Kinder wurden gefangengenommen. Nach der Verkündung der Amnestie konnten sie aber wieder zurückkehren und ihre Frauen und Kinder zurückkaufen. Roger II. schickte Amnestiebriefe nach ganz Ifrīqiya.541 Eine Anzahl von Normannen, die an der Eroberung von Sfax teilgenommen hatten, wurde dort angesiedelt.542

8.9 Weitere normannische Interventionen in Ifrīqiya Nachdem Georg die Ordnung in den eroberten Städten wiederhergestellt hatte, begab er sich mit seiner Flotte zur Festung Iqlibiyya auf der Halbinsel Cap Bon. Dort wurde er aber von den Arabern vertrieben und mußte nach Mahdia zurückkehren. Diese Niederlage schien aber nicht weiter von Bedeutung zu sein.543 Obwohl die arabischen Quellen bestätigen, daß Roger II. den Küstenstreifen 538 539 540 541 542 543

186

Ibn aldūn, VI, 332/Berbères, II, 28. An-Nuwairī, 24, 249; Ibn al-Atīr, XI, 128. At-Tiğānī, 22. An-Nuwairī, 24, 249–250. At-Tiğānī, 54. Ibn al-Atīr, XI, 129; Mu’nis, 95.

Ifrīqiyas vom Cap Bon bis Tripolis beherrschte, erwähnen sie nicht die Einnahme von Gabes, die jedoch von den europäischen Quellen bezeugt ist. Sie erwähnen lediglich, daß Gabes, das von Muammad b. Rušaid im Auftrag von Roger II. regiert wurde, zu denjenigen Städten gehörte, die 1158–1159/553 gegen die Normannen rebellierten. Auf der anderen Seite behauptete Georg, nur gekommen zu sein, um Muammad b. Rušaid wieder in sein Amt einzusetzen. Möglicherweise unterwarf sich Gabes und akzeptierte Ibn Rušaid als Gouverneur. Sogar eine Unterwerfung der Stadt vor der Ankunft der Christen ist nicht ganz ausgeschlossen. Die muslimischen Chronisten schweigen offensichtlich darüber, weil die Einnahme der Stadt den Normannen so leicht gemacht wurde. Die Normannen beschränkten sich darauf, die Küstenstädte zu erobern, denen sie eine gewisse Autonomie einräumten. Sie beherrschten einen Küstenstreifen, der sich von Tunis bis nach Tripolis entlang zog. Das könnte zu der Annahme verleiten, daß die Normannen das Landesinnere vernachlässigten, was allerdings nicht der Fall war. Ein Hinweis von Ibn al-Atīr, den an-Nuwairī aufgreift, besagt, daß die Normannen auch das Gebiet im Westen von Kairuan beherrschten. Ibn Abī Dīnār zeigt, daß arabische Delegationen und ihre Führer sich unterwarfen.544 Die muslimischen Autoren bekräftigen einmütig, daß die Bevölkerung die Herrschaft der Christen ertrug, weil diese ihre Sitten und Gebräuche respektierten. Außerdem profitierte sie von dem wirtschaftlichen Aufschwung, der durch den sizilianisch–ifriqischen Handel bedingt war. Auch die Steuern wurden nicht willkürlich eingetrieben. Das erklärt vielleicht, warum Ifrīqiya in den kommenden zwölf Jahren keinen Versuch unternahm, die Herrschaft der Christen abzuschütteln. Ab dem Jahr 1149–1150/544 konzentrierte Roger II. seine militärischen Aktivitäten gegen Konstantinopel. Da seine Flotte daher hauptsächlich in Griechenland eingesetzt war, zog er sich aus den Häfen Ifrīqiyas zurück. Ibn alAtīr bekräftigt, daß Roger II. ohne weiteres ganz Ifrīqiya hätte erobern können, wenn er nicht sein Augenmerk auf das Byzantinische Reich gelegt hätte.545 1151– 1152/546 starb Georg von Antiochien.

8.10 Die Flucht asans 546 Als asan mit seinen Frauen, Kindern und engsten Vertrauten Mahdia verließ, begab er sich im Jahre 1148–1149/543 nach La Malga, das immer noch in den Händen von Muriz b. Ziyād war. Er rechnete damit, dort ziridische Truppenkon544 Ibn al-Atīr, XI, 129; an-Nuwairī, 24, 250; Mu’nis, 95. 545 Ibn al-Atīr, XI, 145. 546 Ibn al-Atīr, XI, 127 ff., reproduziert teilweise von an-Nuwairī, 24, 251–252 und at-Tiğānī, 245–246; Mu’nis, 95; Ibn allikān, II, 242; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 332–334, 363– 364/Berbères, II, 28, 58.

187

tingente vorzufinden, die gegen den urasaniden eingesetzt waren. Auf dem Weg zu Muriz traf er einen arabischen Emir namens asan b. Ta‘lab, der von ihm eine Geldsumme zurückhaben wollte. Der Ziride, der sein Geld jedoch zusammenhalten mußte, gab ihm statt dessen seinen Sohn Yayā als Pfand. Am nächsten Tag wurde asan von Muriz herzlich empfangen. asan blieb mehrere Monate bei ihm. Ibn Abī Dīnār berichtet, daß sich die Bewohner von La Malga jedoch von ihm fernhielten. Sie und die dort befindlichen ziridischen Truppenkontingente wollten sich offenbar nicht mit einem Prinzen verbünden, der bankrott und de facto kein Herrscher mehr war. Er merkte, daß selbst der Riyāide seiner Anwesenheit überdrüssig geworden war. Daher beschloß asan, sich zum Fatimidenkalifen nach Ägypten zu begeben. Zu diesem Zweck kaufte er in Tunis ein Schiff. Georg von Antiochien bekam jedoch Wind von asans Absichten und unternahm Vorbereitungen, um ihn an seinem Vorhaben zu hindern. asan erfuhr von diesen Vorbereitungen und änderte sein Vorhaben. Er beschloß, sich nunmehr zum Almohadenherrscher ‘Abd al-Mu’min zu begeben und schickte seine drei ältesten Söhne zu seinem Cousin, dem Hammadidenherrscher Yayā b. al‘Azīz, nach Bougie. Sie sollten den Vertrag zwischen beiden Herrschern erneuern und für asan die Erlaubnis einzuholen, zu ihm zu kommen bevor er weiter Richtung Westen reiste. Der Wesir des Yayā b. al-‘Azīz, Maimūn b. amdūn, forderte ihn aber auf, seine Reise nicht weiter zu den Almohaden fortzusetzen und nur ihm zu kommen.547 Es ist nicht sicher, ob das Angebot nicht auf Maimūns Initiative hin Yayā b. al-‘Azīz unterbreitet wurde. Möglicherweise wußte Yayā selber noch nicht einmal etwas davon. Daher ist auch unsicher, ob er mit seinem Wesir darin übereinstimmte. Wenn Yayā allerdings Kenntnis von asans Plänen hatte, muß man davon ausgehen, daß er mit seinem Wesir darin übereinstimmte, eine Weiterreise asans zu den Almohaden zu verhindern, da er nicht wußte, mit welcher Absicht sich asan dorthin begeben wollte. Die Hammadiden mußten damit rechnen, daß er ihre Hilfe nur ersuchte, um seine Macht wiederherzustellen, oder daß er andere Pläne hatte, die den Hammadiden gefährlich werden konnten. Daher schien es sogar angebracht, asan zu internieren. Als asan Muriz von den Bestrebungen Ibn amdūns erzählte, riet der ihm, nicht darauf zu antworten und sich unter keinen Umständen nach Bougie zu begeben. asan hielt sich jedoch nicht daran und begab sich zunächst nach Bône und anschließend über Constantine nach Algier, wo er von Yayā empfangen wurde.548 At-Tiğānī berichtet,549 daß Yayā Ibn amdūn beauftragte, asan zu 547 An-Nuwairī, 24, 251–252, Ibn al-Atīr, XI, 127–128. 548 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 332–334, 363–364/Berbères, II, 28, 58.

188

empfangen, als dieser Bougie erreichte; das habe er jedoch abgelehnt. Gründe dafür nennt at-Tiğānī nicht. Yayā beauftragte daher seinen Bruder und die Scheichs der Stadt, ihn zu empfangen. Es kam allerdings nicht zu einem Treffen zwischen beiden, vielleicht weil Yayā befürchtete, daß asan als Familienoberhaupt auftreten könnte. Es scheint, daß weder Yayā noch sein Minister allzu stolz auf den mit asan geschlossenen Vertrag waren, der wahrscheinlich nur dazu diente, formal die Solidarität mit dem glücklosen Prinzen zu bekunden. Yayās Bruder führte asan 1149/544 nach Algier. Yayā befahl Ibn amdūn, asan zu bewachen und ihn an einer Abreise sowie am Kontakt mit den Almohaden zu hindern, da er befürchtete, ‘Abd al-Mu’min könnte asan zur Einnahme von Bougie gebrauchen. asan mußte die Ankunft der Almohaden 1151– 1152/547 abwarten, ehe er seine Freiheit zurückerlangte.550

8.11 Die letzten ifriqischen Revolten gegen die Normannen am Vorabend der almohadischen Eroberung 551 Ibn aldūn552 bekräftigt, daß die Christen mit der Unterdrückung der Muslime in Ifrīqiya begannen. Die von Roger I. begründete Toleranz gegenüber der einheimischen Bevölkerung fand ihr Ende. Außerdem begannen die Christen sich in innerreligiöse Fragen einzumischen, was bisher nicht der Fall gewesen war. Sie wollten sogar die Einwohner von Tripolis dazu zwingen, die Almohaden offiziell zu verfluchen. Das Verhalten der Sizilianer zu einem Zeitpunkt, wo die Almohaden dabei waren, Nordafrika zu erobern, erklärt die Zunahme der Unruhen. Möglicherweise wurde die verhärtete Haltung der Normannen aber auch durch die steigende Nervosität der Bewohner Ifrīqiyas hervorgerufen. 1148/543 wollte Roger II. den angesehenen Scheich Abū l-asan al-Furriyānī zum Gouverneur von Sfax machen. Dieser bat ihn aber mit Rücksicht auf sein hohes Alter darum, seinen Sohn ‘Umar zu ernennen. Roger II. akzeptierte, nahm aber den Vater als Geisel nach Sizilien. Kurz vor seiner Abreise hatte dieser seinem Sohn empfohlen, bei der erstbesten Gelegenheit zu revoltieren und sich keine Sorgen über Repressalien zu machen. Eines Nachts nun befolgte ‘Umar diesen Befehl und rief die Bewohner von Sfax dazu auf, gegen die Normannen und alle anderen Christen zu rebellieren. Einige besetzten die Verteidigungswälle,

549 At-Tiğānī, 245–246. 550 An-Nuwairī, 24, 252; Ibn al-Atīr, XI, 128; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 332–334/Berbères, II, 28. 551 Ibn al-Atīr, XI, 203 ff. liefert die detaillierteste Erzählung; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343– 345/Berbères, II, 37–39; at-Tiğānī, 54–55; Ibn ‘Idārī, I, 316. 552 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 345/Berbères, II, 39.

189

andere drangen in die Häuser der Franken ein. Alle Normannen wurden getötet. Ibn al-Atīr datiert das Ereignis um 1156–1157/551.553 Offensichtlich wollte ‘Umar die Christen aus Mahdia, ihrer Hauptbasis in Ifrīqiya, vertreiben. Daher versuchte er die Vorstadt Zawīla dazu zu bewegen, sich zu erheben, mit dem Ziel, daß Mahdia belagert würde. Die Araber des Landesinneren schlossen sich den Einwohnern von Zawīla an. Die Aufständischen schnitten 1156/Šawwāl 551 Mahdia von der Lebensmittelzufuhr ab und belagerten es. Der Sohn und Nachfolger Rogers II., Wilhelm, verlangte von Abū lasan, seinen Sohn ‘Umar dazu zu bewegen, wieder zum Gehorsam zurückzukehren. Abū l-asan antwortete, daß ein Brief dazu nicht ausreichen werde. Daraufhin ließ Wilhelm ihn einsperren. Wilhelm sandte ‘Umar nun selbst einen Brief, in dem er ihn aufforderte sich zu unterwerfen. Da ‘Umar darauf nicht antwortete, schickte Wilhelm einen Boten, dem aber nicht erlaubt wurde, in Sfax an Land zu gehen. ‘Umar gab als Grund dafür an, er sei mit der Trauerfeier für seinen Vater beschäftigt, den er für tot hielt. Dieser starb tatsächlich wenig später.554 Wilhelm schickte nun 20 Galeeren, die mit Kriegern, Waffen und Lebensmittel beladen waren, um Mahdia zu entsetzen. Die Christen gelangten in die Stadt und boten den Arabern Geld, damit diese ihnen bei der Verteidigung der Stadt halfen. Am nächsten Tag unternahmen die Eingeschlossenen einen Ausbruchsversuch. Die Araber flüchteten. Die Belagerer aus Sfax retteten sich, indem sie sich einschifften. Die von all ihren Verbündeten verlassenen Zawilier versuchten, in ihre Stadt zurückzukehren. Sie war ihnen allerdings verschlossen. Die meisten wurden getötet, nur einigen von ihnen gelang die Flucht zu ‘Abd al-Mu’min. Die Normannen drangen in Zawīla ein und plünderten die Stadt aus. Auch Frauen und Kinder wurden getötet. Wilhelm siedelte Christen in Zawīla an und gab ihnen einen Erzbischof.555 Vor der wachsenden almohadischen Bedrohung wollten sich die Normannen der Loyalität von Tripolis vergewissern, wenngleich es in den letzten zwölf Jahren keinerlei Feindseligkeiten gegeben hatte. Die Niederschlagung der Revolte von Zawīla reichte nicht aus, um die Tripolitaner daran zu hindern, dem Beispiel von Sfax, Djerba und den Kerkenna-Inseln zu folgen, die die Christen nicht mehr zurückerobern konnten. Um ein von den Normannen befürchtetes tripolitanischalmohadisches Zusammengehen zu vermeiden, befahlen die Normannen den Tripolitanern 1158–1159/553, die Almohaden offiziell nach der Freitagspredigt zu verfluchen. Der Kadi der Stadt ließ die Christen allerdings wissen, daß er die553 Ibn al-Atīr, XI, 203; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 344–345/Berbères, II, 38–39; at-Tiğānī, 54–55. 554 At-Tiğānī, 54–55; Ibn al-Atīr, XI, 204. 555 Ibn al-Atīr, XI, 205; Ibn ‘Idārī, I, 316.

190

sen Befehl nicht ausführen könne. Er argumentierte, daß die sizilianisch – tripolitanische Übereinkunft den Muslimen völlige Glaubensfreiheit zugestehe, und er es für illegitim halte, seine Glaubensbrüder zu verfluchen. Da die Christen nicht bereit waren, auf ihre Forderung zu verzichten, zettelten die muslimischen Notabeln der Stadt unter der Führung von Abū Yayā b. Marū eine Revolte an. Die Aufständischen verteilten überall auf den Straßen Barrikaden, um die christlichen Reiter am Vorwärtskommen zu hindern. Diese waren mit der Niederschlagung der Revolte völlig überfordert. Sie wurden getötet und verbrannt. Mit diesem Verhalten schadeten sich die Normannen indes nur selbst und provozierten ein Zusammenrücken der Tripolitaner und Almohaden. Der energische Abū Yayā b. Marū blieb Herr der Stadt und gewann mit seinem Handeln auch die Sympathie der Araber aus der Umgebung.556

556 At-Tiğānī, 174; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343/Berbères, II, 37; Ibn al-Atīr, XI, 204.

191

9. Die almohadische Eroberung von Ifrīqiya 9.1 Almohadische Angriffe auf Tunis557 Gegen 1156/551 sandte der seit 1133/527 regierende Almohadenherrscher ‘Abd al-Mu’min Schiffe Richtung Ifrīqiya, um die Macht von Tunis und die Situation der Araber der Umgebung zu erkunden. Ein Jahr später griff sein Sohn, Abū Muammad ‘Abdallāh, Tunis mit einer Armee an, die u.a. aus Mamūda und Arabern bestand. Gemäß den Anweisungen seines Vaters unternahm er Streifzüge in Ifrīqiya und störte die Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung von Tunis. Ein von dem riyāidischen General Muriz b. Ziyād kommandiertes Arabercorps gelangte 1159/553 nach Tunis, und mit seiner Hilfe konnten die Belagerten einen erfolgreichen Ausbruchsversuch unternehmen und dem Almohadengeneral eine Niederlage zufügen. Dieser zog sich nach Bougie zurück.558 ‘Abd al-Mu’min kündigte die Nominierung seines ältesten Sohnes Abū ‘Abdallāh Muammad als Gouverneur von Ifrīqiya und als Thronfolger an. Nach dem Ende der Almoraviden in Spanien 1157–1158/552 konnte sich ‘Abd alMu’min verstärkt um das Berbergebiet kümmern.559 Seitdem ‘Abd al-Mu’min zwischen 1152–1153/547–548 den Zentralen Maghreb erobert hatte, versuchte ihn der Ziride asan in Marrākuš unaufhörlich dazu zu bewegen, sich gegen Ifrīqiya zu wenden. Wenig später schickte er 1157/552 dann auch seinen Sohn Abū Muammad ‘Abdallāh mit einer Armee gegen Tunis. Als die Stadt sich dem almohadischen Angriff jedoch erfolgreich widersetzte, brach ‘Abd al-Mu’min 1158–1159/553 selbst in Richtung Ifrīqiya auf. ‘Abd alMu’min hatte zum Zwecke der Versorgung seiner Truppen auf der vorgesehenen Strecke nach Ifrīqiya Getreidesilos errichten und Brunnen ausheben lassen. Die Truppe bestand angeblich aus 100.000 Kämpfern.560 At-Tiğānī gibt an, daß ohne diese Organisation eine derartige Truppenmasse die lange Strecke nicht hätte zurücklegen können. Da die Araber in die almohadische Armee eingegliedert wurden, wuchs sie auf ihrem Marsch Richtung Tunis kontinuierlich an. Außerdem begann eine aus 70 Schiffen bestehende Flotte Tunis zu belagern. ‘Abd alMu’min wurde von dem Ziriden asan begleitet.561 Ibn al-Atīr bemerkt, daß sich asan in der Vorhut befand. Möglicherweise wollte der Almohade damit glauben Ibn ‘Idārī, I, 316; at-Tiğānī, 247; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 336–337/Berbères, II, 32. Über die Truppenstärke wird leider nichts berichtet. Ibn al-Atīr, XI, 211. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 332–334/Berbères, II, 28, 29; Ibn al-Atīr, XI, 241, an-Nuwairī, 24, 310–311. 561 At-Tiğānī, 247.

557 558 559 560

192

machen, eine Wiedereinsetzung der anhāğa als Herrscher von Ifrīqiya stünde bevor. Der Almohadenkalif nahm seine beiden Söhne Abū af und Abū Muammad ‘Abdallāh, Gouverneure von Tlemcen bzw. Bougie, mit. In Beja ließ der Kalif seine Truppen Revue passieren. Dort ließ er auch den Bewohnern von Tunis mitteilen, daß er ihnen einen amān gewähre. In der Hoffnung auf eine Kapitulation der Stadt fügte er hinzu, daß er keinen Groll gegen sie wegen der Niederlage, die sie seinem Sohn zwei Jahre zuvor zugefügt hatten, hege. Anschließend zog er nach Tebourba weiter. Dort stellte er ihnen ein Ultimatum, das sie jedoch zurückwiesen. Am 13. Juli 1159/24. Ğumādā II 554 kam er vor Tunis an.562 At-Tiğānī, der sich auf Ibn Šaddād stützt, gibt den 30. Mai 1159/10. Ğumādā I 554 als Datum an. Nach seinen Angaben erstreckten sich die almohadischen Lager von Bardo bis nach La Goulette.563 Die Belagerung dauerte drei Tage, ohne daß gekämpft wurde. Angesichts der Übermacht der Almohaden entschlossen sich die Bewohner von Tunis zu kapitulieren. Eine Abordnung von zwölf Scheichs bat ‘Abd al-Mu’min um Frieden. Sie umfaßte u.a. drei Mitglieder der einflußreichen hašimitischen Banū ‘Abd as-Sayyid, ‘Umar, Mu‘āwiya, zwei Söhne des al-Manūr Ismā‘īl, dessen Cousin ‘Atīq, den āriğiten Muammad, amza b. amza und ‘Abd al-‘Azīz al-Qammūdī. Nachdem der Kalif das Angebot zunächst heftig abgelehnt hatte, stimmte er schließlich doch zu. Die Erzählung Ibn al-Atīrs stimmt im wesentlichen mit der vorhergehenden überein. Im Detail gibt es jedoch Unterschiede: Nach ihm wurde das belagerte Tunis angegriffen, nachdem es sich geweigert hatte, sich zu ergeben. Ein heftiger Wind zwang die Belagerer jedoch, die Eroberung auf den nächsten Tag zu verschieben. Bei Einbruch der Nacht sollen sich siebzehn Notabeln ergeben haben. At-Tiğānī und Ibn al-Atīr stimmen hinsichtlich der vom Sieger auferlegten Bedingungen nahezu überein. Dieser versprach, als Belohnung für ihre Kapitulation das Leben und die Güter der Scheichs und ihrer Familien zu schonen. Die übrigen Bewohner mußten die Hälfte ihres Besitzes abgeben, um den amān zu erhalten. Das galt auch für die Einwohner der Vorstädte. Auch der Herrscher von Tunis, ‘Alī b. Amad b. urāsān, wurde von dieser Regelung nicht verschont. Außerdem mußte er die Stadt verlassen und sich ins Exil nach Bougie begeben. Auf dem Weg dorthin starb er jedoch. Die Juden und Christen mußten sich zwischen dem Islam und dem Tod entscheiden. ‘Abd al-Mu’min vertraute Tunis seinem Wesir an. Zu jener Zeit wurde die Zitadelle neu aufgebaut und durch eine Vormauer von der Stadt getrennt.

562 Ibn al-Atīr, XI, 242, an-Nuwairī, 24, 311. 563 At-Tiğānī, 247–248.

193

Die Almohaden machten sich daran, die Kriegssteuern einzutreiben. Dabei drangen ihre „Steuerbeauftragten“ in die Häuser der Einwohner ein. Sie ließen alles verkaufen, was sich dort an Gütern befand. Auch die Häuser selbst wurden nicht verschont. Einige Eigentümer konnten ihren Besitz behalten, indem sie eine Gebühr bezahlten, die die Hälfte ihres Besitzes wert war. Davon dürften aber nur wohlhabende Bürger betroffen gewesen sein, die sich das leisten konnten. Möglicherweise wurden in den beschlagnahmten Häusern Almohaden oder Angehörige von deren Armee untergebracht. Die neue Steuerpraxis wurde auf das gesamte ifriqische Territorium ausgedehnt.564

9.2 Mahdia und Zawīla565 Am 30. Juli 1159/12. Rağab 554 erreichte ‘Abd al-Mu’min Mahdia. Er wurde hierbei von seiner Armee und der Flotte unterstützt. Mahdia wurde ebenso wie Tunis zu Lande und zu Wasser belagert. ‘Abd al-Mu’min richtete sich in Zawīla ein, das der Feind kurze Zeit zuvor verlassen hatte. Ein Teil der Armee, der sich bald anhāğa, Araber und Einheimische566 anschlossen, lagerte außerhalb der Stadt. Mit letzterem sind die Einwohner von Zawīla und Mahdia gemeint. Um Zusammenstöße zwischen den Normannen und der muslimischen Armee zu verhindern, ließ der Almohade im Westen zwischen dem almohadischen Lager und der Stadt eine Mauer errichten. Seine Flotte belagerte Mahdia weiterhin. ‘Abd alMu’min erkannte, daß es unmöglich war, Mahdia im Sturm einzunehmen. Nur durch eine lang anhaltende Blockade konnte man die Stadt in die Knie zwingen. Der König von Sizilien versuchte die Stadt zu entsetzen und rief seine Flotte zusammen. Am 7. September 1159/21. Ša‘bān 554 erschien sie vor der Küste von Mahdia. Sie umfaßte 150 Schiffe ausschließlich der Transportschiffe. Der almohadische Flottenadmiral ersuchte seinen Herrn, die feindliche Flotte anzugreifen, obwohl die Almohaden nur über 70 Schiffe verfügten. Er argumentierte, daß die Windverhältnisse so ungünstig für die Sizilianer seien, daß sie nicht in geordnetem Verband vorwärts kommen könnten. Da ‘Abd al-Mu’min nicht antwortete, wertete der Admiral dieses Schweigen als Zustimmung. Als sich die normannische Flotte dem Arsenal näherte, verließ ein Schiff Mahdia, um ihr entgegen zu segeln. Als ein Teil der normannischen Flotte begann, in den Hafen von Mahdia einzulaufen, wurde sie sofort von den Almohaden angegriffen, die sieben oder

564 At-Tiğānī, 248; Ibn al-Atīr, XI, 242, an-Nuwairī, 24, 311–312. 565 At-Tiğānī, 249–250 zitiert Ibn Šaddād; Ibn al-Atīr, XI, 243; an-Nuwairī, 24, 312–313; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 493–494/Berbères, II, 193–194, 29; Ibn ‘Idārī, I, 316; Mu’nis, 116; Baidaq, 120. 566 Ibn al-Atīr und an-Nuwairī: ahl al-balad.

194

acht Schiffe in ihre Gewalt brachten. Der Rest der normannischen Flotte ergriff die Flucht. Der Kalif dankte Gott für diese Hilfe und verteilte 12.000 Dinar an die Seeleute. Obwohl die Belagerten über den Rückzug der Sizilianer verzweifelt waren, leisteten sie bis Januar 1160/Dū l-iğğa 554 Widerstand; dann verhandelten sie schließlich über die Kapitulation. Geplagt von der Hungersnot begaben sich die Belagerten schließlich zu ‘Abd al-Mu’min. Nach at-Tiğānī und Ibn al-Atīr war der Mangel an Lebensmitteln so dramatisch, daß sich zehn fränkische Ritter zum Kalifen begaben, um einen amān für ihre Glaubensgenossen zu erwirken und baten, sich in ihr Land begeben und ihre Habseligkeiten mitnehmen zu dürfen. ‘Abd al-Mu’min schlug ihnen daraufhin vor, zum Islam überzutreten. Das lehnten sie jedoch ab und wiederholten mehrmals ihre Einstellung. Sie führten an, daß Mahdia und die wenigen Franken, verglichen mit ‘Abd al-Mu’mins mächtigem Reich, klein und unbedeutend seien. Außerdem würden sie nach ihrer Rückkehr seine Diener bleiben. Der Kalif soll von dem Auftreten der Ritter so beeindruckt gewesen sein, daß er schließlich ihren Vorschlägen zustimmte. Ibn al-Atīr betont, daß, wenn ‘Abd al-Mu’min die Christen von Mahdia getötet hätte, der Normannenkönig damit gedroht hätte, die Muslime seines Staates zu töten, deren Frauen zu versklaven sowie ihre Besitztümer zu beschlagnahmen. Daher muß man bezweifeln, daß es nur den Bitten der fränkischen Ritter zu verdanken war, daß ‘Abd al-Mu’min sie ziehen ließ. Der Almohade stellte den Besiegten Schiffe zur Verfügung, damit sie in ihre Heimat zurückkehren konnten. Kurz bevor sie Sizilien erreichten, kamen allerdings die meisten bei einem starken Unwetter ums Leben. Der Almohade zog am 21. Januar 1160/10. Muarram 555 in Mahdia ein. Dank seiner Geschicklichkeit und seines umsichtigen Verhaltens hatte es nur sehr geringe almohadische Verluste gegeben.

9.3 Vollendung der almohadischen Eroberung von Ifrīqiya 567 ‘Abd al-Mu’min konnte im Verlauf der sechsmonatigen Belagerung von Mahdia fast ganz Ifrīqiya unterwerfen. Die Reihenfolge der Eroberung der einzelnen Städte durch die Almohaden ist schwer zu rekonstruieren, da die Quellen sie nicht einheitlich ordnen und keine Chronologie geben. ‘Abd al-Mu’min schien zunächst eine bedeutende Anzahl von Unterwerfungen einiger wichtiger Städte wie Sousse, Sfax und Tripolis erhalten zu haben: Sousse war wie Mahdia noch in normannischer Hand. Es revoltierte auch 567 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 333–334, 339–340, 343–349, 493–494, 502/Berbères, II, 29, 34, 37–43, 193, 203; Ibn al-Atīr, XI, 243 ff.; an-Nuwairī, 24, 313 ff.; Ibn allikān, II, 242; Mu’nis, 116–117; at-Tiğānī, 55, 174.

195

nicht gegen diese Herrschaft. Es ist wahrscheinlich, daß die Stadt bei der Ankunft der Almohaden dem Beispiel der anderen ifriqischen Küstenstädte folgte, möglicherweise kurz nach dem Abzug der sizilianischen Flotte. Nach der Einnahme von Mahdia begaben sich die Scheichs von Sousse wie auch der Araberemir Ğabbāra b. Kāmil zu dem Almohadenkalifen. Dieser ernannte ihnen einen (Almohaden)Gouverneur. Unerwartet landete jedoch die normannische Flotte und konnte sich der Stadt bemächtigen. Sousse wurde zerstört und die Einwohner getötet oder gefangen genommen; der almohadische Gouverneur und dessen Familie wurden nach Sizilien gebracht. Gegen ein Lösegeld konnten sie allerdings bald wieder zurückkehren.568 Der Scheich von Sfax, ‘Umar b. Abī l-asan al-Furriyānī, unterwarf sich mit anderen Sfaxer Scheichs dem Almohadenkalifen, der einen Gouverneur ernannte.569 Der Scheich von Tripolis, Abū Yayā b. Marū, und andere Notabeln der Stadt leisteten ‘Abd al-Mu’min ihren Eid. Der Kalif empfing sie zuvorkommend und bestätigte Ibn Marū in seiner Funktion als Gouverneur, die er bis zu seinem Tode inne hatte.570 Die Unterwerfung der Berge von Nafūsa und der Schlösser und Festungen vollzog sich ohne größere Schwierigkeiten.571 Ein Sohn des Abū Muammad ‘Abdallāh führte eine Expedition gegen Tozeur, Gafsa, Nafta und al-āmma durch.572 ‘Abd al-Mu’min versuchte Mudāfi‘ b. Rušaid b. Kāmil, den Bruder des Muammad b. Rušaid, für seine Sache zu gewinnen, indem er ihm Verse schickte. Der Emir von Gabes reagierte jedoch nicht darauf. Während der Belagerung von Mahdia schickte ‘Abd al-Mu’min eine von seinem Sohn Abū Muammad ‘Abdallāh kommandierte Truppe gegen Mudāfi‘. Dieser sammelte seine Familie, seinen Stamm und alle seine Partisanen und ergriff mit ihnen die Flucht. Sie wurden jedoch von der almohadischen Armee gestellt. Bei dem anschließenden Kampf unterlag Mudāfi‘, und viele seiner Anhänger wurden getötet. Sein Wesir konnte ihm jedoch zur Flucht verhelfen. Während Gabes in die Hände der Almohaden fiel, floh Mudāfi‘ und begab sich zu den arabischen ‘Auf nach Tripolis, die ihn unter ihren Schutz stellten. Nachdem er zwei Jahre verfolgt worden war, dachte er ernsthaft daran, sich den Almohaden zu unterwerfen. Er beriet sich mit seinen Stammesgenossen und fand ihre Unterstützung. Er begab sich daraufhin 568 569 570 571 572

196

At-Tiğānī, 22–23. At-Tiğānī, 55; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 345/Berbères, II, 39. At-Tiğānī, 174; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 343/Berbères, II, 37–38. Ibn al-Atīr, XI, 243; an-Nuwairī, 24, 313 ff. Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 493–494/Berbères, II, 193.

nach Fes zu ‘Abd al-Mu’min, der ihm verzieh und ihm Unterkunft in der Stadt gewährte.573 Was Gafsa betrifft, so sprechen die Chronisten nur von der Unterwerfung des letzten Emirs der Banū r-Rand, die seit 1053–1054/445 die Herren von Gafsa waren. Die Stadt war das Hauptquartier eines Rebellen geworden, der eine Bande arabischer und kurdischer Abenteurer um sich scharrte. Diese unternahmen Überfälle, betrieben Wegelagerei und verbreiteten Angst und Zerstörung. Bei seiner Ankunft in Ifrīqiya verkündete ‘Abd al-Mu’min die Notwendigkeit, Gafsa zu zerstören. Er beschloß, in Ifrīqiya verfügbare almohadische Truppenkontingente gegen Gafsa einzusetzen. Die Herrscher von Gafsa wähnten sich in Sicherheit: Die Stadt hatte mächtige Festungen, sie war von der Wüste umgeben, und der Zugang zur Stadt war nur über enge Gebirgspässe möglich. Zusätzlich machte der Mangel an Lebensmitteln und Wasser eine längere Belagerung der Stadt unmöglich. Dennoch verstärkte der Almohadenkalif seine Maßnahmen, indem er almohadische Truppenkontingente zusammenzog, die in Bougie und dem übrigen Ifrīqiya stationiert waren. Die Armee marschierte los und eroberte auf dem Weg Kairuan. Vor den Mauern von Gafsa begann ‘Abd al-Mu’min sofort mit der Belagerung. Seine Armee errichtete dort ihre Lager und Getreidespeicher. Am nächsten Tag wehrte sie einen Ausbruchsversuch der Belagerten ohne große Mühe ab. Um die Umzingelung zu erleichtern und den Belagerungsring enger zu ziehen, wurden die die Stadt umgebenden Bäume gefällt und die Mauern zerstört. Gräben wurden ausgehoben und unterirdische Gänge zugeschüttet. Die Almohaden beschlossen, die Stadt zu zerstören. In jenem Jahr hatten die Normannen an den ifriqischen Küsten eine große Menge Bauholz hinterlassen, das die Almohaden nun gut gebrauchen konnten. Kurz bevor die Belagerungsgeräte fertig waren, war der Kalif der Meinung, daß man dem Feind eine letzte Chance geben sollte, sich zu ergeben. Er sandte eine Abordnung, um ihm einen amān anzubieten, falls die Stadt sich unterwerfen sollte. Als dieses Angebot jedoch zurückgewiesen wurde, begannen die Almohaden mit dem Angriff. Den Angreifern gelang es, sich der Vormauer zu bemächtigen und einen Turm sowie einen großen Teil der Vormauer selbst zu zerstören. Dabei wurden dem Gegner so hohe Verluste zugefügt, daß dieser es für sinnlos hielt, weiterhin Widerstand zu leisten. Außerdem fürchtete er, von den Almohaden massakriert zu werden, falls sie die Stadt einnehmen sollten. Daher sandte er nun seinerseits eine Abordnung von Scheichs und Notabeln um die Almohaden um den amān zu bitten. Dem Ersuchen wurde stattgegeben, und die Almohaden zogen in die Stadt ein. 573 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 342–343/Berbères, II, 36–37.

197

‘Abd al-Mu’min hielt es für gerechtfertigt, den Einwohnern von Gafsa Gnade zu gewähren, da sie von einer Abenteurerbande unterdrückt und terrorisiert worden waren. Während der gesamten Dauer der Belagerung erhielten die Almohaden Nachschub an Lebensmitteln, trotz der schlechten Ernte in Ifrīqiya und der leeren Getreidespeicher. Der Kalif hatte die strategische Bedeutung von Gafsa wegen des fruchtbaren Hinterlandes der Stadt durchaus erkannt.574 Der Kalif war offenbar bemüht, die Beteiligung der Hilāl an der Revolte von Gafsa stillschweigend zu übergehen. Offenbar hegte er die Hoffnung, die Araber von Spanien später gegen die Christen einsetzen zu können. Die Unterwerfung der der Deputation vorstehenden Chefs von Gafsa, die über die Übergabe der Stadt verhandelte, wird in den anderen Quellen ganz anders dargestellt. Der Verhandlungsführer war Yayā b. Tamīm b. al-Mu‘tazz. Sein Großvater, Abū ‘Umar al-Mu‘tazz, hatte aufgrund seines hohes Alters die Aufgabe nicht übernehmen können. Yayā gehörte zum Stamm der Maġrāwa oder der Nafzāwa. Von mehreren Notabeln Gafsas begleitet, begab er sich zu ‘Abd alMu’min. Ein Kammerherr kündigte diesem die Ankunft der Abordnung an. ‘Abd al-Mu’min antwortete, daß er sich höchstwahrscheinlich täusche, da der Mahdi Ibn Tūmart vorausgesagt habe, daß die Almohaden die Stadt erst nach Fällung der Bäume und Schleifung der Mauern einnehmen würden. Dennoch entschloß er sich, das Übergabeangebot anzunehmen und die Einwohner zu schonen. Der Kalif empfing Yayā daher sehr freundlich und machte ihm sogar Geschenke;575 dann schickte er die Abordnung nach Gafsa zurück, begleitet von einer Gruppe von Almohaden. Yayā und seine Familie wurden nach Bougie deportiert. Nach dem Tode seines Großvaters konnte er nach Gafsa zurückkehren. Nach Ibn aldūn576 deportierte ‘Abd al-Mu’min sämtliche Banū r-Rand nach Bougie, wo Yayās Großvater 1162/557 starb. Yayā selbst starb kurze Zeit später. Der Sohn ‘Abd al-Mu’mins, Abū Muammad ‘Abdallāh, eroberte während der Belagerung von Mahdia sukzessive und offenbar auf einer einzigen Expedition Gabes, Gafsa, Warġa, Tebourba, Ğabal Zaġwān, Le Kef und Laribus.577 Die Einnahme von Mahdia ging also mit der Eroberung von ganz Ifrīqiya einher und brachte auch den völligen Zusammenbruch der normannischen Herrschaft über das Land mit sich. Nach seinem mißglückten Angriff auf Mahdia, aus dem die Almohaden als Sieger hervorgingen, schien König Wilhelm sich ange574 Lévi-Provençal, in: Idris, Berbérie Orientale, 396 ff. 575 Ibn al-Atīr, XI, 244. 576 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 339–340/Berbères, II, 34 über weitere Revolten gegen den almohadischen Kalifen Abū Ya‘qūb Yūsuf. ‘Ibar, VI, 339–340, 502/Berbères, II, 34, 203. 577 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 345–349, 493–494/Berbères, II, 40–43, 193.

198

sichts der militärischen Stärke der Almohaden mit dem Verlust Ifrīqiyas abgefunden zu haben. Die Normannen verlegten ihr Augenmerk infolgedessen von Afrika auf Mitteleuropa. Sizilien, das selbst von dem almohadischen Reich bedroht war, konnte diesem nicht in voller Stärke entgegentreten. In Mahdia, wo ‘Abd al-Mu’min 20 Tage blieb, stellte er die Festungsanlagen und die öffentliche Ordnung wieder her und organisierte die Lebensmittelversorgung. Als Gouverneur ernannte er den Almohaden Abū ‘Abdallāh al-Kūmī. Als Berater stellte ihm der Kalif den Ziriden al-asan als Berater zur Seite. Er setzte asan in Mahdia und Zawīla ein, überließ ihm Häuser in Mahdia und zwei Grundstücke als Lehnsgut. Der Kalif sorgte auch für dessen Kinder und Sklaven.578 Zum Gouverneur von Ifrīqiya ernannte ‘Abd al-Mu’min seinen Sohn Abū Isāq Ibrāhīm.

9.3.1 Der Sieg ‘Abd al-Mu’mins über die Riyā 1160/555 579 Bevor ‘Abd al-Mu’min Ifrīqiya verließ, beschloß er, sich der Hilāl in Ifrīqiya zu entledigen. Er veranlaßte sie nach Spanien zu ziehen und dort den ğihād gegen die Christen zu führen. Er rief die Riyāidenemire zusammen, schmeichelte ihnen und lobte den Mut der Araber, bei ihren Eroberungen den Islam zu verbreiten. Daher seien sie ideal geeignet, dem wachsenden Erfolg der Christen in Spanien Einhalt zu gebieten. Der Kalif forderte schließlich 10.000 Männer, die mit ihm zusammen kämpfen würden. Die Banū Riyā waren einverstanden und schworen auf den Koran und ‘Utmān, ihm zu gehorchen und nach Spanien zu folgen. ‘Abd al-Mu’min machte sich am 11. Februar 1160/1. afar 555 auf den Weg zurück in den Maghreb. Die riyāidischen Kontingente begleiteten ihn bis zur Gebirgsenge von Zaġwān. Wahrscheinlich in dieser Gegend machte einer der Riyāidenemire, Abū Ya‘qūb Yūsuf b. Mālik, den Kalifen darauf aufmerksam, daß seine Stammesgenossen sich weigerten, ihm weiter nach Spanien zu folgen. Sie befürchteten nämlich, daß dieser sie aus Ifrīqiya vertreiben wolle. ‘Abd al-Mu’min soll geantwortet haben, daß Gott die Meineidigen bestrafen würde. Yūsuf b. Mālik entschloß sich daraufhin, beim Kalifen zu bleiben; seine riyāidischen Stammesgenossen hingegen flüchteten in die Wüste. ‘Abd al-Mu’min unternahm nichts gegen sie und setzte seinen Marsch Richtung Westen fort. In der Gegend von Constantine, im Wādī an-Nisā’, machte er drei Wochen Pause. Keiner seiner Soldaten durfte das Lager verlassen. So bemerkte im Land kaum jemand etwas 578 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 333–334/Berbères, II, 29; Ibn al-Atīr, XI, 245; at-Tiğānī, 240; Ibn allikān, II, 242. 579 Ibn al-Atīr, XI, 247; an-Nuwairī, 24, 316–317; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 332–333, 337, 494/Berbères, II, 28, 32, 194; vgl. Marçais, Arabes en Berberie, 181–187.

199

von der Präsenz seiner nicht unbeträchtlichen Armee. Beunruhigende Gerüchte über die Lage in Spanien veranlaßten ihn dann aber zur Fortsetzung seines Marsches. Die Araber, die ihn verlassen hatten, wähnten sich in Sicherheit und begaben sich in ihre alten Wohnorte zurück. Zur gleichen Zeit schickte ‘Abd alMu’min allerdings seine zwei Söhne, Abū Muammad und Abū ‘Abdallāh, gegen sie. Sie führten eine Armee von 30.000 Almohaden an, die unter den tapfersten ausgewählt worden waren. Sie durchquerten die weiten verlassenen Gegenden sehr schnell und überraschten die Araber am Rand der Sahara im Rücken, um ihnen die Rückzugsmöglichkeit zu versperren. Die Beduinen waren im Süden von Kairuan im Ğabal al-Qarn versammelt, wo sie in mehr als 80.000 Zelten lagerten. Ihre renommiertesten Führer waren Muriz b. Ziyād al-Fādiġī, Mas‘ūd b. Zimām al-Ballā und Ğabbāra b. Kāmil. Als die Almohaden auftauchten, entstand Unruhe und Zwietracht unter den Arabern. Mas‘ūd und Ğabbāra flüchteten mit ihren Stämmen, Muriz und die Mehrheit der Araber hingegen blieben und waren entschlossen zu kämpfen. Die Almohaden griffen sie im April 1160/Rabī‘ II 555 an. In dem anschließenden heftigen Kampf unterlagen die Araber schließlich. Ein großer Teil von ihnen fand den Tod; auch Muriz fand in der Schlacht den Tod. Kurze Zeit später kamen mehrere riyāidische Abordnungen und erbaten die gefangenen Frauen zurück. Der Almohade behandelte sie sehr zuvorkommend und kam ihren Bitten nach.580 Die Macht der Ifrīqiya beherrschenden Riyāiden war damit gebrochen, und die siegreichen almohadischen Truppen verkündeten die Befreiung Ifrīqiyas von der arabischen Herrschaft.581 Die Politik ‘Abd alMu’mins hatte die Präsenz der Hilāl im Berbergebiet in erheblichem Maß verringert. Nach Ibn al-Atīr582 war Mas‘ūd b. Zimām al-Ballā der einzige Araberemir, dem es gelang, unabhängig von den Almohaden zu bleiben. ‘Abd al-Mu’min kehrte über Bougie, Tlemcen und Tagra nach Marrākuš zurück. Sein Biograph Baidaq berichtet, daß der Kalif nach seiner Ankunft in Salé den Araberemiren und ihren Familien, die ihn bis hierhin begleitet hatten, Wohnorte im gesamten Land zuwies. Danach begab er sich nach Marrākuš, wo er zwei Jahre blieb. asan blieb in Mahdia-Zawīla, bis ‘Abd al-Mu’min Mai–Juni 1163/ Ğumādā II 558 in Salé starb.583 Der Nachfolger des Kalifen, Abū Ya‘qūb Yūsuf, 580 Ibn al-Atīr, XI, 246–247; Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 337/Berbères, II, 32; Ibn allikān, II, 242. 581 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 47–49/Berbères, I, 50–52 die Duraid dominierten die Karfa, ‘Iyā und die Qurra. 582 Ibn al-Atīr, XI, 247: …lam yabqa fīha min umarā’ al-‘arab āriğan ‘an ā’ifatihi illā Mas‘ūd b. Zimām wa ā’ifatuhu fī arāf al-bilād. Ibn al-Atīr spezifiziert den Status von Mas‘ūd nicht weiter. 583 Baidaq, 205–206.

200

befahl 1170–1171/566 dem letzten Ziriden, sich in den Maghreb zu begeben. Die Beweggründe für diese Entscheidung sind nicht bekannt. asan machte sich mit seinen Frauen, Kindern und seinem Gefolge auf den Weg. In Tamasna, südlich von Rabat, überraschte ihn jedoch 1167–1168/563 der Tod.584

584 Ibn aldūn, ‘Ibar, VI, 333–334 Todesdatum 536/bei Berbères, II, 29 ist es 563. Das letztere Datum ist wohl zutreffender, da asan erst einige Jahre nach dem Tod von ‘Abd alMu’mins Mai–Juni 1163/Ğumādā II 558 starb.

201

10. Schlußbetrachtung Die Dissertation ist zu folgenden Ergebnissen gekommen, die ich zusammenfassen möchte: — Bei der Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen zu den Fatimiden übernahmen die Ziriden die aktive Rolle. Sie waren diejenigen, die die Loslösung von Ägypten, wenn auch zunächst langsam, betrieben. Die Fatimiden nahmen das bis zum Zeitpunkt des Bruches hin, da sich der formale Status quo bis dahin nicht änderte. — Die spätestens seit der Regierungszeit des Ziriden al-Mu‘izz (reg. 1016/407– 1062/454) zunehmende Staatsverschwendung hatte einen großen Anteil am Niedergang des Staates. Die Ziriden haben mit dem Bau der neuen Hauptstadt Ašīr und die Hammadiden mit dem Bau der Qal‘a Banī ammād einen entscheidenden Beitrag zum Verfall des Machtzentrums Kairuan beigetragen. Die Steuerlast wurde durch den Unterhalt der Prinzen und der Streitkräfte immer erdrückender. Wirklich nützliche Vorhaben wie infrastrukturelle Maßnahmen oder die Erneuerung von Befestigungsanlagen wurden jedoch vernachlässigt. Das Bestreben alMu‘izz’, die anhāğa-Soldaten durch schwarze Sklaven und später durch Araber zu ersetzen, kostete nicht unerheblich viel Geld. All diese Faktoren wirkten sich zudem destabilisierend auf die innere Lage des Landes aus. — Die Spaltung der anhāğa-Dynastie in einen ifriqisch-ziridischen und einen zentralmaghrebinisch-hammadidischen Zweig war nicht mehr rückgängig zu machen. Die Loslösung des Zentralen Maghreb von Ifrīqiya hat dazu geführt, daß sich zwei eng verwandte Dynastien lange Zeit feindlich gegenüberstanden und in kostspieligen Kriegen aufrieben. Diese Gegnerschaft konnte nie mehr vollständig überwunden werden. Sie hat beide Dynastien sowohl innerlich, äußerlich, als auch ökonomisch geschwächt und den Verfall beider Regierungen beschleunigt. Der spätere ziridisch–hammadidische Frieden wurde aus einer extremen Notsituation im Land geschlossen und nicht durch die Einsicht von Tamīm und anNāir, daß der gegenseitige Kampf nur das Potential der anhāğa zugunsten der immer mächtiger werdenden Hilāl schwächte. Nach dem Abschluß des Friedensvertrages gab der Ziride Tamīm dem Hammadidenherrscher an-Nāir seine Tochter zur Frau. Die damit verbundenen Erwartungen, daß die Spaltung der Dynastie überwunden werden könnte, erfüllten sich jedoch nicht. Es bestand weder auf ziridischer noch auf hammadidischer Seite das Bestreben, die Spaltung der der anhāğa-Dynastie nach der ziridisch – hammadidischen Hochzeit zu beenden, da man sich nicht um eine gemeinsame Thronfolgeregelung kümmerte. Auch während der Regierungszeit des gemeinsa-

202

men Sohnes al-Manūr war das nicht anders. Hieran wird deutlich, daß weder auf ziridischer noch auf hammadidischer Seite die Beduinen als Gefahr oder Bedrohung empfunden und erkannt wurden. — In den Schiitenmassakern von 1016 entluden sich nicht nur die religiösen, sondern auch die sozialen und politischen Spannungen des Landes. Al-Mu‘izz zeigte sich unfähig, bei Konflikten zwischen den beiden Glaubensrichtungen zu vermitteln. — Seit den Schiitenmassakern nahm das Bestreben zu, in Ifrīqiya das der breiten Bevölkerungsmehrheit vertraute sunnitische Bekenntnis anstelle des schiitischen wieder einzuführen und sich von der Fatimidendynastie zu lösen. Eine generelle Unabhängigkeit wurde jedoch weder von den Ziriden noch von der sunnitischen Bevölkerung angestrebt. — Der persönliche Konflikt zwischen al-Mu‘izz und dem fatimidischen Wesir alYāzūrī war für die Entscheidung, die Hilāl nach Nordafrika zu entsenden, nicht annähernd so bedeutend wie der Wechsel al-Mu‘izz’ von den Fatimiden zu den Abbasiden. Deshalb hatte der Kalif al-Mustanir und nicht sein Wesir al-Yāzūrī in dieser Frage das letzte Wort. — Weder die Chronisten noch die Ziriden noch die Einwohner Ifrīqiyas empfanden das Kommen der Beduinen als Bedrohung, Katastrophe oder „Invasion“. Der Begriff „Invasion“ und die darin suggerierte Zäsur für das Land haben die arabischen Chronisten nicht als solche gesehen. Die Beduinen sollten lediglich eine Strafaktion gegen die Ziriden unternehmen und sich selber dabei nach Möglichkeit aufreiben. Was danach aus ihnen würde, war den Fatimiden gleichgültig. Die Westwanderung der Beduinen brachte nicht annähernd so starke Verheerungen mit sich, wie französische und tunesische Sekundärliteratur suggeriert. — Die Ankunft der Hilāl fällt zeitlich genau in die problematische Situation, in der sich Ifrīqiya befand. Daher trifft die Hilāl an der Situation in Ifrīqiya keine Schuld. Bei einem Ausbleiben der Hilāl-Invasion hätte die innere politische Entwicklung Ifrīqiyas wohl keinen wesentlich anderen Verlauf genommen. — In sprachlicher und ethnischer Sicht hat die beduinische Westwanderung Mitte des 11. Jahrhunderts zweifellos die Arabisierung von Nordwestafrika eingeleitet. Hinsichtlich der sozialen und ökonomischen Struktur des Landes war die HilālInvasion dagegen von wesentlich geringerer Bedeutung. Der jahrzehntelange Vernichtungskrieg der Ziriden gegen die Zanāta hatte für die Entvölkerung des flachen Landes gesorgt. Wenn die Ziriden die Zanāta nicht so stark dezimiert hätten, wären sie später in der Lage gewesen, den Beduinen mit Hilfe der Zanāta stärkeren Widerstand entgegenzusetzen als es während der Schlacht von aidarān

203

der Fall war. Mit dem weiteren Vordringen der Hilāl schritt auch die Arabisierung der berberischen Zanāta-Gebiete voran. — Die arabischen Hilāl haben sich nicht wesentlich anders verhalten als die autochthonen Berberstämme. Die Kämpfe, Plünderungen und Zerstörungen gingen über den zu jener Zeit üblichen Rahmen nicht hinaus. Folglich können diese Erscheinungen auch nicht als unverkennbares Merkmal der Hilāl-„Invasion“ bezeichnet werden. — Al-Mu‘izz sah im Kommen der Beduinen weder eine Gefahr noch eine Katastrophe für Ifrīqiya, sondern eine willkommene Hilfe, um seine Armee zu vergrößern und ihm bei der Verwaltung des Landes behilflich zu sein. — Anstatt ernsthafte Versuche zu unternehmen, sich mit seinen hammadidischen Verwandten zu arrangieren, nahm al-Mu‘izz es eher in Kauf, seine Herrschaft aufs Spiel zu setzen, indem er mit unbekannten Stämmen paktiert, deren Macht einzuschätzen er überhaupt nicht in der Lage war und deren Mentalität er nicht kannte. Als er erkennen mußte, daß die Araber ihm nicht gehorchten, wandte er sich von ihnen ab und tat sich mit den Hammadiden zusammen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Machtverlagerung von den Ziriden zu den Arabern jedoch bereits vollzogen. — Der Verlauf der Schlacht von aidarān zeigt deutlich, daß al-Mu‘izz eine schwache Führungspersönlichkeit ohne Autorität war. Er war nicht in der Lage, die Gegensätze in seiner Armee zu beenden. Die Schlacht von aidarān spiegelt den desolaten Zustand von al-Mu‘izz’ Heer wider, das von Illoyalität und Unzuverlässigkeit von wichtigen Truppenteilen gekennzeichnet war. Der ziridische Staat war vor aidarān schon mit viel dramatischeren Erschütterungen sowie schwierigeren und blutigeren Krisen und Rebellionen fertig geworden. Daher kann man die Schuld an der inneren Lage von Ifrīqiya nicht auf die Beduinen abwälzen. Mit dem Ende der Schlacht von aidarān war der Weg nach Ifrīqiya und in den Zentralen Maghreb für die Beduinen endgültig frei. — Bei den plündernden und Lösegeld erpressenden Banden, die Wegelagerei betrieben und den Dorfbewohnern und Grundbesitzern Tribut auferlegten, handelte es sich nicht um organisierte Beduinenstämme, sondern um Plünderer, die Nutzen aus der Verwirrung zu ziehen versuchten. Diese Plünderer waren in der Regel entlassene Soldaten, Halbleibeigene ohne Land, Arbeitslose oder einfach Aufständische, die sich gegen die Reichen, Großgrundbesitzer, Adeligen und Funktionäre auflehnten, die sie so lange unterdrückt und ausgebeutet hatten. Nach der Schlacht von aidarān kehrten viele Offiziere und Berufssoldaten nicht mehr nach Kairuan zurück, da ihnen die Regierung keine Perspektiven bieten konnte. Für sie war es lukrativer, derartige Banden von Wegelagerern und Plünderern zu

204

führen. Trotz der Schäden, die diese Banden angerichtet hatten, geschahen diese nicht systematisch. Diejenigen, die für die Plünderungen und Erpressungen verantwortlich waren, versuchten, den maximalen materiellen Gewinn aus der Situation zu erzielen. Da diese Auflösungserscheinungen jedoch nicht erst unter den Hilāl eintraten bzw. von ihnen verursacht worden waren, sondern schon spätestens zu Beginn der Regierungszeit des al-Mu‘izz im Gang waren, trifft die Ziriden hieran ein Großteil der Schuld. Hier wird zudem sehr deutlich, daß nicht nur die Beduinen Plünderungen und Wegelagerei betrieben. — Infolge der Schlacht von aidarān verlagerte sich das Machtgefüge von den Ziriden auf die Hilāl. Die Ziriden wurden zwar nominell nicht entmachtet, sie waren jedoch kaum mehr als Marionetten der Araber. — Die Fatimiden ließen den Beduinen bei der Aufteilung von Ifriqiya weitgehend freie Hand. Ein fatimidisches Konzept für ein postziridisches Ifrīqiya existierte nicht. — Die politische Zersplitterung und die Anarchie des nördlichen Ifrīqiya nahmen nach der Schlacht von aidarān zu. Die Beduinen reagierten nicht auf die Unabhängigkeitserklärungen der einzelnen Städte, mit Ausnahme derjenigen, die zum Gegenstand innerziridischer Auseinandersetzungen wurden, in die die Araber mit hineingezogen wurden. — Der Grund für die verstärkten Loslösungsbestrebungen der lokalen Herrscher lag sehr oft in finanziellen Notwendigkeiten. Das Beispiel von Gafsa zeigt, daß die Unterwerfung unter die Araber sogar zu mehr Ordnung und Sicherheit führen konnte, als es unter den Ziriden der Fall war und spiegelt den Machtverfall der Ziridenherrscher wider. — Das Eingehen von Verwandtschaftsverhältnissen zwischen den Ziriden und Beduinen auf höchster Ebene hat die von al-Mu‘izz erhoffte Wirkung verfehlt. Der Ziridenemir hat mit seiner Heiratspolitik allenfalls erreichen können, daß er nominell weiter regieren konnte. — Die spätere erneute Hinwendung von al-Mu‘izz zu den Fatimiden war mit der Hoffnung auf Wiederherstellung des Status quo ante verbunden. Sämtliche Erwartungen in diese Richtung zerschlugen sich jedoch. — Die Verlierer der Schlacht von Sabība waren die Hammadiden und die Ziriden. Beide Schwesterndynastien wurden durch den hohen Verlust an Mensch und Material stark geschwächt, wenngleich der Ausgang der Schlacht für an-Nāir wesentlich verheerender war als für Tamīm. Durch die Schwächung waren nach der Schlacht von Sabība sowohl die Hammadiden als auch die Ziriden in verstärktem Maß auf die jeweiligen Hilāl-Stämme angewiesen. Auch wenn Tamīm den Ausgang der Schlacht nicht unerheblich mit beeinflußt hat, hat er langfristig

205

gesehen hiermit das Ende seiner Dynastie beschleunigt. Kurz- und mittelfristig hat er dadurch zwar die endgültige Überlegenheit über die Hammadiden erlangt; der Preis dafür war allerdings die erhebliche Machtzunahme der Hilāl. — Die Hilāl-Stämme waren untereinander zerstritten. Infolgedessen unterstützte ein Teil von ihnen die Ziriden und ein anderer Teil die Hammadiden. Die Bündnisse wurden recht opportunistisch und wenig durchdacht geschlossen und teilweise auch sehr schnell wieder gebrochen. Es zählte nur, welche Vorteile man für den gegenwärtigen Zeitpunkt erlangen könnte. Weiterreichende Konsequenzen spielten hingegen bei keiner Partei eine allzu große Rolle. — Die Niederlagen der Berber gegen die Beduinen sind Indizien für einen tiefgreifenden Wandel in der Bevölkerungsstruktur des Maghreb: in den Ebenen des heutigen Tunesien und auf den Steppenplateaus Algeriens wird die berberische Urbevölkerung des Maghreb von den einwandernden Arabern verdrängt; nur die zerklüfteten und bewaldeten Bergmassive bleiben von der Invasion der Kamelnomaden verschont und behalten ihre berberophone seßhafte, bäuerliche Bevölkerung, und zwar in umso größerem Maße, je weiter man nach Westen kommt. Die Bevölkerung des Rif und der Atlasketten Marokkos ist bis heute berberophon geblieben, während die marokkanische Atlantikebene gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch die Verpflanzung der Riyā und anderen Hilāl-Stämmen dorthin durch die Almohaden arabisiert wurde. — Die Ereignisse um die Gründung der Stadt Bougie zeigen sehr deutlich, daß weder an-Nāir noch Tamīm ein ernsthaftes Interesse an einer Aussöhnung hatten. Zwischen den Ziriden und den Hammadiden herrschte nach wie vor großes Mißtrauen. — Seit der Gründung von Bougie kam es zu gemeinsamen Raubzügen von Arabern und Zanāta. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich Araber und Zanāta immer in gegnerischen Lagern wiedergefunden. — Jeder Ziriden- oder Hammadidenherrscher, der seine Herrschaft antrat, mußte seine Autorität jedesmal von neuem durchsetzen. Daran wird deutlich, daß die Araber recht unzuverlässige Bündnispartner waren. In einem Bündnisfall richteten sie ihre Kraft nicht vollständig gegen den Feind. Spätestens seit der Machtübernahme al-Manūrs waren traditionelle Bündisse, wie z.B. die riyāidisch-ziridische oder die atbağitisch-hammadidische, immer mehr in Auflösung begriffen. — Die Expedition Yayās und der türkischen Garden seines Vaters gegen dessen Widersacher ammū b. Mallil hatte keinerlei Einfluß auf das weitere politische Geschehen in Ifriqiya. — Tamīm tolerierte keine Verwandten in Gouverneurspositionen, da er befürchtete, daß es dadurch zur Spaltung der ziridischen Souveränität kommen würde.

206

— Tamīm nahm ammūs Status als faktisch unabhängiger Herrscher von Sfax hin, da er ihn als Garant für Stabilität für die Sfaxer Region betrachtete. — Innenpolitisch gelang Yayā b. Tamīm die Rückeroberung von Iqlibiyya (Kelibia) sowie die Aufrechterhaltung der ziridischen Macht in Sfax und Sousse. Außenpolitisch pflegte er recht gute Beziehungen zu den Normannen und den Fatimiden. Damit leistete Yayā einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Stabilität in Ifrīqiya. — Die Tatsache, daß der Ziridenemir ‘Alī sogar Kontakt zu den Almoraviden aufnahm, um gemeinsam mit ihnen gegen die Normannen vorzugehen, zeigt, daß sich die politische Lage im Mittelmeerraum seit seinem Regierungsantritt stark verändert hatte. — Einem freigelassenen Sklaven einer lokalen Herrscherfamilie gelang es, sich ohne größere Kraftanstrengung den Gouverneursposten einer nicht unbedeutenden ifriqischen Stadt wie Gabes anzueignen und zudem in direkten Kontakt zu den Ziriden und sogar zu den Normannen zu treten. Dies zeigt, wie sehr es an klaren Machtverhältnissen und Kompetenzen in Nordafrika mangelte. — Mit asan starb im Jahre 1171/566 der letzte Ziride. ‘Abd al-Mu’mins erfolgreiches Vordringen Richtung Ifrīqiya kann man damit erklären, daß es ihm gelang, die unterworfenen Araber-Stämme für seine Unternehmungen einzuspannen. Mit der almohadischen Eroberung von Ifrīqiya fand die Ziridendynastie ihr endgültiges Ende. Gleichzeitig gelang es einer Berberdynastie zum ersten und einzigen Mal, den gesamten Maghreb unter ihrer Herrschaft zu vereinen. Die Eroberung von Ifrīqiya durch die Almohaden bedeutete eine wichtige Zäsur für das Land, weil dadurch der gesamte Maghreb dem Kalifat der Fatimiden für immer verloren ging.

207

11. Bibliographie 11.1 Quellen Abū l-Fidā’: Kitāb al-mutaar fī abār al-bašar. Kairo: 1325 H. Al-Baidaq: Kitāb abār al-Mahdī b. Tūmart, in: Documents inédits d’histoire almohade, hrsg. von E. Lévi-Provençal. Paris: 1928. Ibn Abī Dīnār: Al-Mu’nis fī abār Ifrīqiya wa Tūnis, hrsg. von Muammad Šammām. Tunis: 1967. Ibn al-Atīr: Kitāb al-Kāmil fī-t-ta’rī. Bd. IX–XI, hrsg. von C. J. Tornberg. Leiden: 1851–1876, hier zitiert nach dem Nachdruck Beirut: 1966. Ibn aldūn: Kitāb al-‘Ibar, Bd. VI, Druck Beirut: 1968. Ibn aldūn: Histoire des Berbères, (Übersetzung de Slane), Bd. I–II, hrsg. von Paul Casanova. Nachdruck Paris: 1969. Ibn allikān: Wafayāt al-a‘yān wa abnā’ az-zamān, hrsg. von Muammad Muyī dDīn ‘Abd al-amīd. Kairo: 1948. Ibn azm: Ğamharat ansāb al-‘arab, hrsg. von ‘Abd as-Salām Muammad Hārūn, Kairo 1971. Ibn ‘Idārī: Al-Bayān al-muġrib fī abār al-Maġrib, Bd. I, hrsg. von G. S. Colin und E. Lévi-Provençal. Leiden: 1948. Ibn Muyassar: Ta’rī – Abār Mir, rekonstruiert in: Aiman Fu’ād Sayyid: Choix de passages de la Chronique d’Egypte d’Ibn Muyassar. Kairo: 1981. Ibn airafī: Al-Išāra ilā man nāla l-wizāra, hrsg. von A. Mukhlis, in: Bulletin de l’Institut français d’archéologie orientale du Caire 25 (1924). Ibn Taġrībirdī: An-Nuğūm az-zāhira fī abār Mir wa-l-Qāhira, Bd. IV–V, hrsg. von Ğamāl ad-Dīn aš-Šayyāl und Muammad Šaltūt. Kairo: 1933–1935. An-Nuwairī: Nihāyat al-arab fī funūn al-adab, Bd. 24, hrsg. von usain Niār/‘Abd al-‘Azīz al-Ahwānī. Kairo: 1983. Al-Maqrīzī: Itti‘ā al-unafā’ bi-abār al-a’imma al-Fāimiyyīn al-ulafā’, Bd. I–II, hrsg. von Ğamāl ad-Dīn aš-Šayyāl. Kairo: 1967–1971. Muammad al-Wazīr al-Andalusī: Al-ulal as-sundusiyya fī l-abār at-tūnisiyya, hrsg. von Muammad al-abīb al-Hīla. Tunis: 1970. At-Tiğānī: Ar-Rila. Tunis: 1958.

11.2 Sekundärliteratur ‘Abd al-Wahhāb, asan usnī: Waraqāt ‘an al-haāra al-‘arabiyya bi-Ifrīqiya, Bd. I. Tunis: 1964. Brett, Michael: Fatimid Historiography: A case study – the quarrel with the Zirids, 1048–58, in: Medieval Historical Writing in the Christian and Islamic Worlds, hrsg. von David O. Morgan. London: 1982, 47–58. — Fitnat al-Qayrawān, unpublizierte Ph.D., London: 1970.

208

— Ibn Khaldūn and the Arabisation of North Africa, in: Maghreb Review 1979 a, 9–16. — The City-State in Medieval Ifriqiya: The Case of Tripoli, in: Les Cahiers de Tunisie. Tunis: 1986, 69–94. — The Military Interest of the Battle of aydarān, in: War, Technology and Society in the Middle East, hrsg. von V. J. Parry/M. E. Yapp. Oxford: 1975, 78–88. — The Zughba at Tripoli, 429 H (1037–8 A. D.), in: Society for Libyan Studies. Sixth Annual Report (1974–1975), 41–47. Brett, Michael/Fentress, Elisabeth: The Berbers. Oxford: 1996. Caskel, Werner: Ğamharat an-nasab. 2 Bde. Leiden: 1966. Dachraoui, Farhat: Contribution à l’histoire des Fatimides en Ifriqiya, in: Arabica 8 (1961), 189–203. Despois, Jean: L’Afrique du Nord. Paris: 1949. Encyclopaedia of Islam. New Edition. Hrsg. von: H. A. R. Gibb, J. H. Kramers, E. Lévi-Provençal und J. Schacht. Leiden, London: 1960 ff. Feldbauer, Peter: Die islamische Welt 600–1250. Wien: 1995. Forstner, Martin: Das Wegenetz des Zentralen Maghreb in islamischer Zeit. Wiesbaden: 1979. Fück, Johann: Art. Ibn Khallikān, in: EI2, Bd. III, 832–833. Gaube, Heinz: Art.: Numismatik, in: Grundriß der arabischen Philologie, Bd. I: Sprachwissenschaft, hrsg. von Wolfdietrich Fischer. Wiesbaden: 1982, 227–250. Gautier, Emile-Félix: Le passé de l’Afrique du Nord. Les siècles obscurs. Paris: 1952. Golvin, Lucien: Le Maghreb Central à l’époque des Zirides. Paris: 1957. Haarmann, Ulrich: Geschichte der arabischen Welt. 4. Aufl. (hrsg. von Heinz Halm) München: 1991. — Auflösung und Bewahrung der klassischen Formen arabischer Geschichtsschreibung in der Zeit der Mamluken, in: ZDMG 121 (1971), 46–60. — Quellen zur frühen Mamlukenzeit. Freiburg: 1970. Halm, Heinz: Das Reich des Mahdi. Der Aufstieg der Fatimiden (875–973). München: 1991. — Der Mann auf dem Esel. Der Aufstand des Abū Yazīd gegen die Fatimiden nach einem Augenzeugenbericht, in: Die Welt des Orients 15 (1984), 144–204. — Die Berberreiche des Westens, in: Noth, Albrecht und Paul, Jürgen (Hg.): Der islamische Orient. – Grundzüge seiner Geschichte. Würzburg: 1998, 195–216. — Die Fatimiden, in: Geschichte der arabischen Welt. München: 1987, 166–199. — Die Kalifen von Kairo. München: 2003. — Die Schia. Darmstadt: 1988. Hazard, Harry W.: The Numismatic History of late Medieval North Africa. Numismatic Studies No. 8. New York: 1952. Hitti, Philip K.: History of the Arabs. London: 1949.

209

Holt, Peter M.; Lambton, Ann; Lewis, Bernard. (Hg.): Cambridge History of Islam. 2 vols. Cambridge: 1970. Houben, Hubert: Roger II. von Sizilien. Darmstadt: 1997. Idris, Hady Roger: La Berbérie orientale sous les Zirides Xe–XIIe siècles. Paris: 1962. — De la réalité de la catastrophe hilalienne, in: Annales E. S. C. 32 (1968), 390–396. Al-Imad, Leila: The Fatimid Vizierate. Berlin: 1990. Lacoste, Yves: Ibn Khaldoun. Paris: 1969. Laroui, Abdallah: L’histoire du Maghreb. Un essai de synthèse. 2 Bde. Paris: 1976. Little, Donald P.: An Introduction to Mamluk Historiography. Wiesbaden: 1970. Mamdū, asan: Al-‘arab al-hilāliyya fī Ifrīqiya, in: Les Cahiers de Tunisie. Tunis: 1981, 73–82. Marçais, Georges: Les Arabes en Berbérie du XIe au XIVe siècle. Constantine-Paris: 1913. — La Berbérie Musulmane et l’Orient au Moyen Age. Paris: 1946. Metzlar, Lexikon Sprache, hrsg. von Helmut Glück. Stuttgart: 2000. Miles, George C.: Fatimid Coins. New York: 1951. Nagel, Tilman: Die Abbasiden, in: Geschichte der arabischen Welt. München: 1987, 101–165. Pavy, Auguste: Histoire de la Tunisie. Tunis: 1977. Piquet, Victor: Les civilisations de l’Afrique du Nord. Paris: 1917. De Planhol, Xavier: Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte. München: 1975. Plant, Richard J.: Arabic Coins and how to read them. Manchester: 1973. Poncet, Jean: Le mythe de la „catastrophe“ hilalienne, in: Annales E. S. C. 22 (1967), 1099–1120. — Prospérité et décadence ifrikiennes, in: Les Cahiers de Tunisie. Tunis: 1961, 222–243. — Encore à propos des Hilaliens: La mise au point de R. Idris, in: Annales E. S. C. 23 (1968), 660–662. Popper, William: Art. Ibn Taghrībirdī, in: EI2, Bd. I, 138–139. Rosenthal, Franz: Art. Ibn al-Athīr, in: EI2, Bd. III, 723–725. Talbi, Mohamed: Art. Ibn Khaldūn, in: EI2, Bd. III, 825–831.

210