Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie: Mäzene - Förderer - Förderstrukturen [1. Aufl.] 9783839431139

The trail of money: what were the mechanisms of archeological research funding in the 20th Century? What were the motive

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Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie: Mäzene - Förderer - Förderstrukturen [1. Aufl.]
 9783839431139

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Vom Wert der Forschung. Überlegungen zu einer Finanzierungsgeschichte der Prähistorischen Archäologie
Ludwig Roselius als Förderer der Prähistorischen Archäologie
Die Förderung der Prähistorischen Archäologie durch die SS von 1933–1945. „Wir werden uns dieser Aufgabe mit derselben Zähigkeit widmen, mit der sich die Schutzstaffel allen anderen Aufgaben bisher gewidmet hat.“
Zwischen staatlicher Denkmalpflege, SS-Wehrgeologie und Kulturgutraub. Heinrich Himmler und sein Wewelsburger SS-Archäologe Wilhelm Jordan (1903–1983)
Ein Archäologe im Dienste des Endsieges?. Peter Paulsen und die SS-Führerschule „Haus Germanien“ in Hildesheim
Der Bunker im Tumulus. Kriegsarchäologie im Spannungsfeld von Wehrmacht, Ahnenerbe der SS und Dienststelle Rosenberg
Millionen für's Millenium. Finanzierung und Ausstattung der Forschungen zu den Anfängen des polnischen Staates 1949–1953
Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945. Überlegungen
Herausgeber/-innen und Autor/-innen

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Susanne Grunwald, Uta Halle, Dirk Mahsarski, Karin Reichenbach (Hg.) Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie

Histoire | Band 81

Susanne Grunwald, Uta Halle, Dirk Mahsarski, Karin Reichenbach (Hg.)

Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie Mäzene – Förderer – Förderstrukturen

Gefördert durch die

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung (Cover): Reena Perschke, Berlin, 2010 Umschlagabbildung (Rückseite, v.l.n.r.): Montelius 1899, S. 63; Deutsches Archäologisches Institut Archiv Berlin; Archiv der Böttcherstraße, Bremen Satz: Elisabeth Schindler, Landesarchäologie Bremen Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3113-5 PDF-ISBN 978-3-8394-3113-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort Susanne Grunwald, Uta Halle, Dirk Mahsarski, Karin Reichenbach | 7

Vom Wert der Forschung Überlegungen zu einer Finanzierungsgeschichte der Prähistorischen Archäologie Susanne Grunwald | 17

Ludwig Roselius als Förderer der Prähistorischen Archäologie Sabrina Schütze | 71 

Die Förderung der Prähistorischen Archäologie durch die SS von 1933–1945 „Wir werden uns dieser Aufgabe mit derselben Zähigkeit widmen, mit der sich die Schutzstaffel allen anderen Aufgaben bisher gewidmet hat“ Dirk Mahsarski | 87

Zwischen staatlicher Denkmalpflege, SS-Wehrgeologie und Kulturgutraub Heinrich Himmler und sein Wewelsburger SS-Archäologe Wilhelm Jordan (1903-1983) Dana Schlegelmilch | 121

Ein Archäologe im Dienste des Endsieges? Peter Paulsen und die SS-Führerschule „Haus Germanien“ in Hildesheim Marko Jelusić | 173

Der Bunker im Tumulus Kriegsarchäologie im Spannungsfeld von Wehrmacht, Ahnenerbe der SS und Dienststelle Rosenberg Reena Perschke | 209

Millionen für's Millenium Finanzierung und Ausstattung der Forschungen zu den Anfängen des polnischen Staates 1949-1953 Karin Reichenbach | 259

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945 Überlegungen Judith Schachtmann, Thomas Widera | 281

Herausgeber/-innen und Autoren/-innen | 313

Vorwort Susanne Grunwald, Uta Halle, Dirk Mahsarski, Karin Reichenbach Um der Vielfalt unseres Themas gerecht zu werden, hätte der Titel unserer wissenschaftsgeschichtlichen Sektion „Die Spur des Geldes“, die 2011 als gemeinsame Sektion der damaligen Arbeitsgemeinschaft Theorie in der Archäologie1 und des Focke-Museums Bremen auf dem 7. Deutschen Archäologiekongress in Bremen stattfand,2 sehr viel länger ausfallen müssen. Tatsächlich wäre die Bezeichnung „Die Spuren des Geldes, der Grabungslizenzen, der Dienstfreistellungen, der Einsatzbefehle, der Freundschaftsdienste, der Forschungsprogramme, der Grabungshelfer und der Zufälle“ weitaus präziser gewesen und auch damit wären immer noch nicht alle Ressourcen genannt, die für archäologisches Forschen mobilisiert wurden. Alle Archäologien brauchten (und brauchen) stets mehr als nur finanzielle Mittel, denn es sind immer komplexe Ressourcenensembles für Ausgrabungen, Fundauswertungen, Deponierung und Ausstellung sowie schließlich Publizistik und universitäre Lehre erforderlich. In der Forschungs- und Wissenschaftsgeschichte des Faches Ur- und Frühgeschichte lag bislang häufig der Fokus auf den Karrieren einzelner Wissenschaftler/-innen, die als Ergebnisse von Aushandlungsprozessen mit politischen oder wissenschaftspolitischen Eliten beschrieben wurden, oder auf der Darstellung von Forschungskonjunkturen.3 Als ein wesentliches, wiederkehrendes Motiv der in diesen Studien konstatierten politischen Anpassungsleistungen, Allianzen und Marketingstrategi1 | Aus der Theorie-AG wurde Ende 2011 der Verein Arbeitsgemeinschaft Theorien in der Archäologie e.V. (AG TidA e.V.) gegründet.  2 | Vgl. den Tagungsbericht Perschke 2013.  3 | U.a. Bemmann/Kunow/Otten 2013; Steuer 2001; Leube 2002; Halle 2002; Grünert 2002; Mertens/Koch 2002; Schallmayer/von Kurzynski 2011; Smolnik 2012.

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en einzelner Forscherinnen und Forscher oder Projekte lässt sich dabei unserer Meinung nach das Aushandeln von Forschungsmöglichkeiten und -bedingungen erkennen – die Lokalisierung und Erschließung von Ressourcen und Ressourcenensembles. Mitchell G. Ash machte nachdrücklich auf die fortwährend wechselseitige Bezugnahme solcher Ensembles aufmerksam, die er vor allem zwischen Wissenschaft und Politik annimmt.4 Wir wollten genau diese Perspektive in unserer Sektion aufgreifen und haben danach gefragt, durch wen und womit die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie im 20. Jahrhundert Förderung erfuhr und welche Effekte diese stets spezifische Förderung auf den Prozess der Forschung und Forschungskommunikation hatte. Damit sollten erstmals für dieses Fach die Wechselwirkungen von Förderung und Forschung in den Blick genommen werden. Wir wollten ausloten, inwieweit Projekte und Forschungsschwerpunkte nicht nur aus wissenschaftsinternen Interessen und Notwendigkeiten heraus entwickelt, sondern auch durch die Vergabe von Forschungsmitteln mitgesteuert wurden.5 Vor allem finanzielle Ressourcen waren und sind auch für die archäologische Forschung essentiell, ermöglichen sie doch jeweils erst die instrumentelle, personelle, juristische oder logistische Dimension von Forschung zu realisieren. Ging es im 19. Jahrhundert zunächst um den Ankauf besonderer Stücke für erste Altertumssammlungen, den Lohn für einen Landarbeiter, der beim sonntäglichen Urnenstechen das Schaufeln übernahm oder die Ablösesumme für eine Ausgrabungsfläche, so veränderten sich mit der fortschreitenden Institutionalisierung der Prähistorischen Archäologie nach der Jahrhundertwende auch deren notwendige Mittel und Voraussetzungen. Die Grabungs-, Dokumentationsund Auswertungstechniken wurden erweitert und spezialisiert, und in gleichem Maße stieg der Bedarf an professionellen Grabungsmitarbeitern/-innen und –helfern/-innen. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert bestritt eine überschaubare Zahl von Grabungsenthusiasten/-innen, vernetzt in altertumskundlichen Vereinen, die Ausgrabungen in Deutschland. Bereits seit den 1930er Jahren konnte dagegen im günstigsten Fall ein vielköpfiges Team mit Spezialisten/-innen für die diversen, auf einer 4 | Ash 2002, S. 32. 5 | Zur Frage, was im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft als intern und extern bezeichnet werden kann vgl. u.a. Latour 2000, S. 320-326.

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modernen Grabung anfallenden Tätigkeiten zusammengestellt werden, das außerdem nicht nur Gehalt, sondern auch Fahrt- und mitunter Logiskosten einforderte. Damit wären aber lediglich die Aufwendungen für Grabungsarbeiten umrissen, an die sich stets noch weitere Kosten für die Auswertung anschlossen, also für das Säubern, ggf. Restaurieren und Ordnen der Funde, die Umzeichnungen von Plänen u.ä., das Berechnen und Auf bereiten der verschiedenen Daten bzw. Informationen und nicht zuletzt die Druckkosten für eine Veröffentlichung einschließlich der Reproduktionskosten für Abbildungen und Pläne. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und auch der Forschungsförderung wurden diese mitunter sehr umfangreichen Posten kaum reflektiert und anerkannt, was die Forschungserfolge teilweise beeinträchtigen konnte. Ist damit der engere Bereich archäologischer Praxis einigermaßen umrissen, führen weitere Spuren des Geldes in die nicht weniger komplexen Bereiche der archäologischen Bodendenkmalpflege und des Museums- und Ausstellungswesens. Die Modelle zur Finanzierung archäologischer Grabungen und Schutzmaßnahmen, wissenschaftlicher (Be-) Fundauswertung und musealer Präsentation der Ergebnisse variierten dabei ganz erheblich, von einzelnen Spenden von Geld oder Ausrüstungsbestandteilen bis hin zu groß aufgelegten staatlichen Förderprogrammen zur Erforschung ganzer Regionen im In- und Ausland. Auch die Förderstrukturen differierten stark, angefangen bei einzelnen Stiftern und lokalen Vereinen über staatliche Universitätsinstitute und Denkmalschutzbehörden bis hin zu dem beim Auswärtigen Amt angesiedelten Deutschen Archäologischen Institut. Waren vor dem Ersten Weltkrieg Stifter/-innen und Forscher/-innen noch teilweise identisch – verwiesen sei hier nur auf Heinrich Schliemann6 –, so waren die Archäolog/-innen mit der zunehmenden Professionalisierung ihres Faches in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer stärker einer finanziellen Budgetierung unterworfen, die von behördlichen Dienstherren vermittelt wurde.7 Auch gingen zahlreiche kleinere und mittelgroße Museen, die aus privaten archäologischen Initiativen hervorgegangen waren und deren Gründerpersönlichkeiten oftmals zeitgleich stifteten und sammelten, in diesem Zeitraum in die öffentliche Hand über.8 6 | Samida 2012. 7 | Vgl. Beitrag Grunwald in diesem Band. 8 | Hakelberg 2004, von Hase 2005, Oehlert 2007.

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Nicht nur bei Förderern wie etwa bei Wilhelm II. (1859-1941) und dem Kaffee HAG-Gründer Ludwig Roselius (1874-1943) oder politischen Organisationen wie dem Amt Rosenberg und dem Ahnenerbe der SS, sondern ganz allgemein bei jeder Form von Forschungsförderung stellt sich die Frage nach der Motivation der Fördernden und dem erwarteten Gegenwert. Hier gelangt man unwillkürlich zurück zu den Beziehungen von Wissenschaft und Politik, da gerade umfangreiche Finanzmittel in den allermeisten Fällen von politischen Größen, ob staatlichen, parteilichen oder sonstigen „öffentlichen“ Institutionen, und seltener von Privatpersonen und –firmen vergeben wurden. Diese Ressourcen waren nicht nur finanzieller bzw. materieller Art, sondern „auch kognitiver, apparativer, personeller, institutioneller oder rhetorischer Art“. Ihre Analyse kann in Fortführung bisheriger fachgeschichtlicher Arbeiten beschreiben, „wie die Allianzen, die Wissenschaftler mit externen Unterstützungsinstanzen eingehen, zur Entscheidung wissenschaftlicher Kontroversen“9 und Forschungsentwicklung beitrugen. Forschungen der letzten Jahre haben hinsichtlich der Fördergeschichte der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie zweierlei gezeigt: der Mangel eines Zentralinstitutes oder eines jeweils zeitgenössisch wirksamen Masterplanes hat die deutschsprachige Prähistorische Archäologie bis 1945 maßgeblich in ihrem regionalen Charakter befördert.10 Daran haben auch die intensiven, aber letztlich gescheiterten Bemühungen in der Zeit des Nationalsozialismus, ein zentrales Reichsinstitut für Deutsche Vorgeschichte zu schaffen, zunächst nur wenig geändert.11 Es ist also für diesen Zeitraum stets zuerst nach den regionalen oder lokalen Konstellationen zu fragen, unter denen Archäologie gefördert oder erst ermöglicht wurde. Nach 1945 änderten sich diese Rahmenbedingung für die Archäologie in den Gebieten der russischen Besatzungszone bzw. der DDR und den ostmitteleuropäischen sozialistischen Staaten grundsätzlich, während sich in der späteren BRD ein System aus staatlichen Bodendenkmalämtern und drittmittelfinanzierter Forschungen an diesen Ämtern, vor allem aber an Universitätsinstituten, etablierte.12 An den staatlichen Akademien in der DDR und den Volksrepubliken wurden dagegen Fachinstitute 9 | Ash 2001, S. 118. 10 | Halle 2008; Grunwald/Reichenbach 2009; Reichenbach 2009. 11 | Halle 2002; Halle 2008; Mahsarski 2011; Halle/Mahsarski 2013. 12 | Kunow 2002; vgl. Beiträge Grunwald und Reichenbach in diesem Band. 

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etabliert, die praktisch als Zentralinstitute die archäologische Forschung konzipierten, koordinierten und finanzierten. Dementsprechend müssen Fragen nach den Ressourcenensembles der archäologischen Forschung für die Zeit vor und nach 1945 und für die genannten Gebiete jeweils unterschiedlich formuliert werden. Ebenso wie die Reduzierung auf einen Finanztopos hinsichtlich aller materiellen und immateriellen Ressourcen, derer die Forschung und die Forscher/-innen bedürfen, entschieden hinterfragt werden sollte, muss auch der Topos vom uneigennützigen Mäzenatentum überprüft werden. Die Untersuchung der Motive ist hierbei grundlegend, denn die Spannbreite zwischen den Formen delegierter Neugier des/der interessierten Laien/-in an Wissenschaftler/-innen und denjenigen mit einem Förderinstitut vereinbarten Forschungsplänen und Ergebnissen ist groß. Damit einher geht ein breites Spektrum der Einflussmöglichkeiten und Effekte auf Methodik, Zielsetzung und Ergebnisse der Forschungen. Die Motive der Forschungsförderung und ihre Mechanik sollten die gegenwärtige scientifci community interessieren, um einerseits die Entstehungsbedingungen vergangener Forschungen und deren Wert einschätzen zu können. Andererseits werden durch solche wissenschaftsgeschichtlichen Analysen die inhaltlichen Ausrichtungen und institutionellen Vernetzungen einzelner akademischer Biographien erst verständlich. Der Schwerpunkt der hier versammelten Beiträge liegt auf Darstellungen zur deutschsprachigen Archäologie in den Jahren zwischen 1933 und 1945. Diese Auswahl entspricht nicht unserer ursprünglichen Intention, die gesamte Fachgeschichte unter finanzgeschichtlicher Perspektive in den Blick zu nehmen, stellt aber einen interessanten und begrüßenswerten Befund dar. Denn die Konjunktur, die die Wissenschaftsgeschichte der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie seit den frühen 1990er Jahren erfährt, hat in Verbindung mit dem enormen Forschungsaufkommen zur Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Politik und dem spezifisch Deutschen am deutschen Wissenschaftssystem eine sehr breite, auf reichen Archivbeständen auf bauende Datenbasis geschaffen. Nun sind Detailstudien möglich, wie sie der vorliegende Band vereint, und die es erlauben, die Vielfalt regionaler Forschungsstrukturen und -traditionen zu überblicken und nach den Konstellationen der Forschungsförderungen zu fragen. Inzwischen kann auch das Agieren einzelner Wissenschaftler/-innen in fachpolitischen und regional- oder nationalpolitischen

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Strukturen besser verortet und der Mythos der politischen Instrumentalisierung einer ganzen Wissenschaft durch den Nationalsozialismus demontiert werden. Detailreiche Einzelfallstudien wie die Beiträge dieses Bandes zeigen, dass Archäologie stets mehr bedurfte als rein finanzieller Unterstützung. Vielmehr waren lokal- und regionalpolitische Bündnisse erforderlich, um Grabungs- und Deutungshoheit über Untersuchungsgegenstände zu erlangen, um trotz geringer Budgetierung hinreichendes Personal für Ausgrabungen bereitzustellen oder um Fachinstitutionen zu gründen und zu etablieren. Mit einem Überblick über die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts realisierten Finanzierungsmodelle für ur- und frühgeschichtliche archäologische Forschungen in Deutschland führt der Beitrag von Susanne Grunwald in das Thema unserer Sektion und dieses Bandes ein. Er stellt den bisherigen Forschungsstand zur Finanzierungsgeschichte der Archäologie vor und diskutiert die Potentiale einer solchen fachgeschichtlichen Perspektive an Beispielen aus den Jahren zwischen 1900 und 1960. Dabei wird u.a. auch das Stifterwesen im Rahmen archäologischer Forschung charakterisiert, für das anschließend stellvertretend der Bremer Kaffeehändler Ludwig Roselius im Beitrag von Sabrina Schütze vorgestellt wird. Schützes Darstellung der Unterstützung, die die lokale archäologische Forschung durch den völkisch gesinnten Roselius vor allem in den 1920er und 1930er Jahren erfahren hat, leitet über zum zeitlichen Schwerpunkt unserer Sektion, der Archäologie in Deutschland zwischen 1933 und 1945. Die folgenden vier Beiträge zeigen jeweils exemplarisch die Strategien einzelner Archäologen zur Ressourcenerschließung und -sicherung bei gleichzeitiger Ausnutzung der inzwischen vielfach kolportierten Konkurrenz zwischen den beiden für die Archäologie maßgeblichen forschungsfördernden Institutionen während des Nationalsozialismus. Es handelt sich zum einen um das Ahnenerbe der SS und die Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP Alfred Rosenberg (Amt Rosenberg). Der Beitrag von Dirk Mahsarski gibt dazu einen Überblick zur Archäologieförderung durch das Ahnenerbe und zeigt, dass erst die inhaltliche Neuausrichtung des Wissenschaftsverständnisses innerhalb dieser Institution den Zugriff auf etablierte Strukturen der deutschen Forschungsförderung erlaubte und das Ahnenerbe so erst zum einflussreichen Förderer der Archäologie werden konnte. Reena Perschke

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zeigt demgegenüber am Beispiel der deutschen Megalithforschung im besetzten Frankreich nicht nur das Konkurrieren um die Einflussnahme auf prestigeträchtige Forschungsprojekte zwischen Ahnenerbe und Amt Rosenberg, sondern auch die Verflechtung persönlicher und politischer Interessen von politischen wie wissenschaftspolitischen Entscheidungsträgern. Diese Beispiele für eine fördergeschichtliche Perspektive auf Forschungsschwerpunkte der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie während des Nationalsozialismus werden ergänzt durch zwei Untersuchungen zu Strategien der Ressourcenerschließung einzelner Personen in dieser Zeit. In ihren Beiträge über Peter Paulsen und Wilhelm Jordan zeigen Marko Jelusić und Dana Schlegelmilch nicht nur eindringlich, mit welcher Bedingungslosigkeit sich zwei Fachvertreter dem Nationalsozialismus verschrieben und dabei geschickt günstige Konstellationen für die Umsetzung ihrer beruflichen Pläne auszunutzen suchten. Sie machen auch deutlich, wie systemkonform derartiges Verhalten zur Ressourcenerschließung war, so dass es auch Kulturraub, Forschen unter Kriegsbedingungen und den Einsatz von Zwangsarbeitern und Häftlingen einschloss, und wie es im Falle Jordans durch die fortwährende Rückkopplung mit renommierten Fachvertretern zusätzlich legitimiert wurde. Die anschließende Darstellung von Karin Reichenbach über die polnische Nachkriegsarchäologie und ihre außerordentlich großzügige Ausstattung durch die Regierung macht deutlich, wie die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie unter moderneren Bedingungen letztlich erneut durch ihren politisch konformen Beitrag strukturell, personell und finanziell profitierte, der in diesem Beispiel für die polnische Identitätsstiftung in den neuen Westgebieten und den methodischen „Umbau“ zu einer marxistischen Wissenschaft geleistet wurde. Der Band wird abgeschlossen mit dem Beitrag von Judith Schachtmann und Thomas Widera zum Einsatz von Zwangsarbeitern auf Ausgrabungen und der damit verbundenen Frage nach der Rekrutierung kostengünstiger oder unbezahlter Arbeitskraft für physische Grabungsarbeiten. Sie diskutieren damit einen Aspekt der Fördergeschichte, der bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben ist und der auch zukünftig für die Zeit nach 1945 noch erforscht werden muss. Wir danken den vielen Diskussionsteilnehmern und -teilnehmerinnen 2011 in Bremen und allen an der Realisierung des Bandes Beteiligten, wie

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dem transcript Verlag, den studentischen Hilfskräften Sabrina Schütze, Svea Lehmann, Benedikt Funke, Claudia Hoga und Anna Freya Schneider. Ein besonderer Dank für die vielfältige Unterstützung gilt Uta Halle, die 2015 als Mitherausgeberin aufgenommen wurde, um die Fertigstellung des Bandes abzuschließen, und Gunter Schöbel. Frau Elisabeth Schindler von der Landesarchäologie Bremen hat dankenswerterweise in der Schlussphase das Layout umgesetzt. Für die Finanzierung der Tagung und des vorliegenden Bandes danken wir der VolkswagenStiftung.

L iter atur Ash 2001: Mitchell G. Ash, Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander. Programmatische Überlegungen am Beispiel Deutschlands. In: J. Büschenfeld/H. Franz/F.-M. Kuhlemann (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte heute. Festschrift für Peter Lundgren (Bielefeld 2001) 117-134. Ash 2002: Mitchell G. Ash, Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander. In: Rüdiger vom Bruch/Brigitte Kaderas (Hrsg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts (Stuttgart 2002) 32-51. (erweiterte Fassung von Ash 2001) Bemmann/Kunow/Otten 2013: Jan Bemmann/Jürgen Kunow/Thomas Otten, Archäologie und Denkmalpflege in der Rheinprovinz 19201945. Bonn 2013. Grünert 2002: Heinz Grünert, Gustaf Kossinna (1858-1931). Vom Germanisten zum Prähistoriker. Ein Wissenschaftler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Vorgesch. Forsch. 22 (Rahden/Westf. 2002). Grunwald/Reichenbach 2009: Susanne Grunwald/Karin Reichenbach, „Förderung der Erkenntnis vom Wesen und Zweck der Wehranlagen“. Zur Geschichte der archäologischen Burgwallforschung in Sachsen und Schlesien in der ersten Hälfte des 20. Jh. In: Sabine Rieckhoff/ Susanne Grunwald/Karin Reichenbach (Hrsg.), Burgwallforschung im akademischen und öffentlichen Diskurs im 20. Jahrhundert. Leipziger Forsch. Ur- u. Frühgesch. 5 (Leipzig 2009) 63-95. Hakelberg 2004: Dietrich Hakelberg, Adeliges Herkommen und bürgerliche Nationalgeschichte. Hans von Aufseß und die Vorgeschichte des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. In: Heinrich Beck/

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Dieter Geuenich/Heiko Steuer/Dietrich Hakelberg (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. RGA Ergänzungsbd. 34 (Berlin, New York 2004) 523-576. Halle 2002: Uta Halle, „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich (Bielefeld 2002). Halle 2008: Uta Halle „Ur- und Frühgeschichte“, in: Jürgen Elvert & Jürgen Nielsen-Sikora (Hrsg.): „Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus“, Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft – Beiheft 72, (Stuttgart 2008), S. 109–166. Halle/Mahsarski 2013: Uta Halle, Dirk Mahsarski, „Forschungsstrukturen in der NS-Zeit“. In: Focke-Museum (Hrsg.): Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz, (Stuttgart 2013), S. 57-64. Kunow 2002: Jürgen Kunow, Die Entwicklung von archäologischen Organisationen und Institutionen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhunderts und das „öffentliche Interesse“ − Bedeutungsgewinne und Bedeutungsverluste und deren Folgen. In: Peter F. Biel/Alexander Gramsch et. al (Hrsg.), Archäologien Europas/Archaeologies of Europe. Geschichte, Methoden und Theorien/History, Methods and Theories. (Münster u.a. 2002) 147-183. Latour 2000: Bruno Latour, Eine von der Wissenschaft befreite Politik. Die Kosmopolitik. In: Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora (Frankfurt am Main 2000) 290-326. Leube 2002: Achim Leube (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Morton Hegewisch, Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945 (Heidelberg 2002). Mahsarski 2011: Dirk Mahsarski, „Herbert Jankuhn (1905-1990). Ein deutscher Prähistoriker zwischen nationalsozialistischer Ideologie und wissenschaftlicher Objektivität“, Internationale Archäologie, Band 114, (Rahden / Westf. 2011). Mertens/Koch 2002: Eva-Maria Mertens/Julia K. (Hrsg.), Eine Dame zwischen 500 Herren. Johanna Mestorf, Werk und Wirkung. Internationales Symposium der Christian-Albrechts-Universität Kiel vom 15. bis 17. April 1999 in Bad Bramstedt (Münster 2002). Oehlert 2007: Mirko Oehlert, Der Schlesische Altertumsverein (18581945). Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Prähistorischen

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Archäologie Ostmitteleuropas, Ungedruckte Magisterarbeit, Universität Leipzig. Perschke 2013: Reena Perschke: Tagungsbericht, „Die Spur des Geldes. Mäzene, Förderer und Förderstrukturen der Prähistorischen Archäologie. Sektion der Theorie-AG auf dem 7. Deutschen Archäologiekongress, 3.-7. Oktober 2011 (Bremen)“. Archäologische Informationen 36 (2013) S. 153-154; http://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/archinf/article/view/15329/9203 Reichenbach 2009: Karin Reichenbach, „... damit jeder Schlesier sich besinne, daß er auf einem uralten Kulturboden lebt“ – Schlesische Archäologie und deutsche Ostforschung. In: Susanne Grunwald/Julia K. Koch/Doreen Mölders/Ulrike Sommer/Sabine Wolfram (Hrsg.), ARTeFACT. Festschr. Sabine Rieckhoff. Teil 1 (Bonn 2009) 175-188. Samida 2012: Stefanie Samida, Heinrich Schliemann. (Tübingen 2012). Schallmayer/von Kurzynski 2011: Egon Schallmayer, Katharina von Kurzynski (Hrsg.): „Archäologie und Politik. Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext“, Fundberichte aus Hessen, Beiheft 7, zugl.: Glauberg-Forschungen, Band 1, Selbstverlag des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, (Wiesbaden 2011). Smolnik 2012: Regina Smolnik (Hrsg.), Umbruch 1945? Die prähistorische Archäologie in ihrem politischen und wissenschaftlichen Kontext. Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 23 (Dresden 2012). Steuer 2001: Heiko Steuer (Hrsg.), Eine hervorragende nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995. Ergbd. RGA 29 (Berlin/New York 2001). Von Hase 2004: Friedrich-Wilhelm von Hase, Zur Frühgeschichte des Römisch-Germanischen Zentralmuseums. Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte in Mainz und der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main. In: Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer/ Dietrich Hakelberg (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. RGA Ergänzungsbd. 34 (Berlin, New York 2004) 577-628.

Vom Wert der Forschung Überlegungen zu einer Finanzierungsgeschichte der Prähistorischen Archäologie Susanne Grunwald

Zusammenfassung Im ersten Teil des Beitrages wird der bisherige Forschungsstand zur Geschichte der deutschen Prähistorischen Archäologie in Hinblick auf Aspekte diskutiert, die für eine Finanzierungsgeschichte der Archäologie relevant erscheinen. Zusätzlich werden zwei Thesen aus der allgemeinen Wissenschaftssoziologie vorgestellt, die für zwei potentielle finanzierungsgeschichtliche Fragenkomplexe herangezogen werden sollen. Der sog. Matthäus-Effekt könnte eine lohnende Perspektive auf die biografische Finanzierungsgeschichte einzelner Archäologen bieten; die sog. doppelte Legitimationsschwäche könnte helfen, die Spezifik der Prähistorischen Archäologie und ihre Legitimationsstrategien in einen allgemeinen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext einzuordnen und Muster in den Austauschprozessen zwischen Archäologen/-innen und Forschungsförderern zu identifizieren. Im zweiten Teil des Beitrages werden die Potentiale eines finanzierungsgeschichtlichen Zugriffs auf die Wissenschaftsgeschichte der Archäologie an Beispielen aus der archäologischen Burgwallforschung in Brandenburg und Sachsen zwischen 1900 und 1960 aufgezeigt. Die dabei beschriebenen Entwicklungen werden mit denjenigen der allgemeinen deutschen Wissenschaftsförderung korreliert.

Summar y In the first part of this paper the current state of research on the history of German archaeology is discussed under aspects which could be relevant

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to describe the financial dimension of the history of archaeology. Additionally two terms of the sociology of scientific knowledge are introduced to analyze two questions. The so called Matthew effect opens a perspective of biographical funding history of single archaeologists. The so called double weakness of legitimization brings the special nature of archaeology and its strategies of justification into a more general context of the history of science. These two terms will allow to identify patterns in the exchange processes between archaeologists and funders. The second part of the paper reveals the potential of a financial history of archaeology while using examples of the well studied discourse of the hillfort archaeology in Brandenburg and Saxony in the east part of Germany. The described development will be correlated with those of the structures of German research funding in general.

E inleitung Die Erschließung einer Finanzierungsgeschichte der deutschen Prähistorischen Archäologie steht erst am Anfang.1 Selbst innerhalb der seit 1 | Im Folgenden nur kurz mit Archäologie bezeichnet. – Aus traditioneller wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive ist erst ab dem Zeitraum der Einrichtung von Universitätsinstituten für die professionelle Ausbildung von Archäologen von einer „disziplinierten“ Archäologie als etablierter Wissenschaft zu sprechen. Diesen Status konnte die Archäologie im hier darzustellenden Zeitraum um 1900 noch nicht für sich beanspruchen. Dennoch lässt sich bereits ab der Mitte des 19. Jh. ein auf einander bezogenes Forscher/-innenkollektiv mit einem Set von Forschungsfragen und Forschungsmethoden identifizieren, die wegen ihrer erwiesenen Funktion als Vorläufer der sich kurze Zeit später institutionalisierenden Prähistorischen Archäologie auch als Archäologen/-innen bezeichnet werden sollen (Grunwald 2012, S. 16). Enthebt man wissenschaftsgeschichtliche Quellen den Grenzsetzungen des traditionellen, institutionenbezogenen Wissenschaftsbegriffes und orientiert statt dessen auf dieses zeitgenössische Selbstverständnis der Akteure als „wissenschaftlich tätig“, gewinnen alle Äußerungen und Publikationen an Relevanz, die von den Zeitgenossen selbst bei der Wissensproduktion Berücksichtigung fanden. Der Filter bei der Datenauswahl für eine wissenschaftsgeschichtliche Analyse wird damit nicht an modernen Einschätzungen über die institutionelle Verankerung der einstigen Akteure ausgerichtet, sondern an zeitgenössischer Wahrnehmung und Bezugnahme. Für die Wissenschaftsgeschichte

Vom Wer t der Forschung

mehr als 20 Jahren herrschenden Konjunktur wissenschaftsgeschichtlicher Darstellungen nehmen Fragen zur finanziellen Ausstattung und Förderung von Institutionen, Projekten und Forschern bislang nur eine untergeordnete Rolle ein. Dennoch ist es bereits jetzt möglich, eine große Vielfalt von teilweise regional unterschiedlichen Finanzierungsformen und -prozessen innerhalb der deutschen Archäologiegeschichte zu identifizieren.2 Dabei wird ein weites Spektrum kultureller, wissenschaftlicher und politischer Förderer und Fördereinrichtungen sowie Kooperationspartner und Entscheidungsträger erkennbar. Sie vertraten unterschiedliche Interessen und Erwartungen gegenüber den Vertretern/-innen der Archäologie und gewährleisteten oder eröffneten diesen erst strukturelle oder methodische Möglichkeiten. Erste Arbeiten deuten an, wie Archäologen/-innen auf solche Anforderungen oder Optionen reagierten. Dabei zeigt sich, dass seit dem frühen 20. Jahrhundert Fachstrukturen und Forschungen der Archäologie wiederholt an den Vorgaben und Strukturen der Forschungsförderer orientiert wurden. Der Austausch mit Forschungsförderungsstrukturen war vielfach strategisch, um den Institutionalisierungsprozess der Archäologie fortzuführen oder neu starten zu können. Wiederholt werden in Arbeiten zur Geschichte der deutschen Archäologie Topoi gebraucht, die u.a. auch den Zugang zu einer Finanzierungsgeschichte der Archäologie erschweren. So tradieren zahlreiche Studien einen Notstandstopos, mit dem die Archäologie als von Beginn an bedürftige und unterfinanzierte Wissenschaft beschrieben wird. Damit wird eine Selbstzuschreibung fortgeführt, die vor allem im Zusammenhang mit den Bemühungen um den gesetzlichen Denkmalschutz seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelt worden war.3 Eine Neuauflage hatte der Notstandstopos nach dem Ende des Ersten Weltkrieges erfahren, als gegenüber den deutschen Länderregierungen Ausbau und Förderung von archäologischer Denkmalpflege und Forschung eingefordert wurden und das u.a. auch unter Verweis auf die boomende Archäologieförderung z. der Archäologie können dadurch u.a. die Forschungen von Laien bis weit in die sog. institutionelle Phase hinein ebenso gleichberechtigt erfasst und beschrieben werden wie diejenigen der Vertreter von Geschichts- und Altertumsvereinen, Lehrstühlen und Bodendenkmalämtern. Im Folgenden werde ich dementsprechend alle archäologisch arbeitenden Akteure als Archäologen/-innen bezeichnen. 2 | U.a. Halle 2002; Baitinger 2011; Jagust 2009; Mahsarski 2011. 3 | Schuchhardt 1913; Kunow 2002.

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Bsp. in Polen oder Frankreich.4 Anfang der 1950er Jahre argumentierte man in Westdeutschland ganz ähnlich, als man auf die Errungenschaften der Kollegen in der DDR hinsichtlich einer zentralen Bodendenkmalschutzregelung und koordinierter Forschungsprojekte verwies5 und strukturelle und finanzielle Defizite anprangerte. Auch als Resonanz auf die Selbstdarstellung der DDR-Archäologie wurden vielfach Ausstattung und Forschungsprojekte jenseits der innerdeutschen Grenze idealisiert und zur westdeutschen Situation kontrastiert, allerdings jeweils ohne Bezugnahme auf konkrete Daten.6 Diese Topoi gilt es zu relativieren und zu korrigieren, wofür auch der Blick auf benachbarte oder gänzlich verschiedene Wissenschaftsfelder hilfreich ist.7 Einige wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten beschreiben in Abgrenzung zu solchen Notzeiten der Forschung politisch motivierte Archäologiekonjunkturen oder Phasen des verstärkten institutionellen Ausbaus des Faches. Die Blickrichtung dieser Betrachtungsweise orientiert häufig von der Archäologie weg hin zur „Öffentlichkeit“ oder zur „Politik“ und weist die Verantwortung für Forschungsinhalte und -strukturen anderen, zur Archäologie externen Akteuren zu.8 Nicht nur wird damit fälschlicherweise eine Trennbarkeit der Akteursgruppen suggeriert, sondern es werden oftmals Förderungskonjunkturen zugunsten der Archäologie postuliert, für die Belege erst zu führen wären oder die regional differenziert werden müssten. So konnte inzwischen die Meinung, dass die Prähistorische Archäologie pauschal als Weltanschauungswissenschaft während des Nationalsozialismus eine umfangreiche Förderung erfahren habe, für einzelne Forschungsregionen korrigiert werden.9 Die Beschränkung auf den Zeitraum zwischen 1900 und 1950 hat nicht nur quellentechnische Gründe, sondernd ist an einer nachweisbaren gesamtwissenschaftlichen Zäsur orientiert. Den Beginn gibt die Institutionalisierung der Prähistorischen Archäologie selbst vor.10 Wie die 4 | Piskorski/Hackmann/Jaworski 2002; Reichenbach 2009; Fehr 2010; Derks 2001. 5 | Jankuhn 1971. 6 | Coblenz 1998. 7 | John 2010. 8 | Kossack 1990. 9 | Grunwald/Reichenbach 2009. 10 | Veit 2006.

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Darstellung der öffentlichen und privaten Ausgaben für Forschung und Entwicklung zeigt, erfuhren die deutschen Wissenschaften insgesamt ab der Mitte des 20. Jahrhunderts eine stetig wachsende Förderung (Abb.1). Abb. 1: Wissenschaftsentwicklung in Deutschland. Öffentliche und gesamte Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE)

Quelle: Kölbel 2002, 116

Die Zäsur der Jahrhundertmitte, die an die Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 mit ihren grundverschiedenen Wissenschafts- und Wissenschaftsförderungsstrukturen gebunden war, trennt auch für die Archäologie Antrags- und Förderungsverhalten und teilweise Kommunikationsformen der Jahrzehnte davor und danach. Die Forschungsinhalte unterschieden sich dagegen bis in die 1960er Jahre hinein kaum wesentlich von denen der Vorkriegszeit. Dieser Befund ist bereits an anderer Stelle diskutiert worden, allerdings noch längst nicht abschließend.11

11 | Steuer 2001c, S. 8–23; Smolnik 2012. - Für Diskussionen und Anregungen danke ich Katja Rösler (Frankfurt a.M.), Kerstin P. Hofmann (Berlin) und Fabian Link (Frankfurt a.M.). Frauke Kreienbrink (Dresden) danke ich für ihre schnelle Hilfe bei der Textkorrektur ganz herzlich. Mein besonderer Dank gilt Sören Flachowsky (Berlin) für seine Gesprächsbereitschaft und die großzügige Einsichtnahme in seine Datensammlung!

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F orschungsstand Wie ließe sich, ausgehend vom bisherigen Forschungsstand, die Wissenschaftsgeschichte der Prähistorischen Archäologie in Deutschland finanzierungsgeschichtlich gliedern und auf welche archäologiespezifischen Aspekte wären dabei besonders zu achten? Für die mit Haushaltsmittel ausgestatteten archäologischen Institutionen einschließlich der Vereine bietet sich für die letzten beiden Jahrhunderte eine grobe Zweiteilung der Förderungsformen an. Der ersten Phase der unsystematischen Drittmittelfinanzierung12 bzw. privaten Finanzierung folgte nach der Jahrhundertwende die Phase der systematisch drittmittelfinanzierten Archäologie, in der sich das Fach heute noch befindet. Parallel dazu erfolgten lange Zeit ausschließlich privat finanzierte Forschungen, die oftmals in Abstimmung mit den örtlichen Institutionen erfolgten, und die kaum systematisch zu erfassen sind. In der genannten ersten Phase erfolgten die archäologischen Forschungen mit privaten Geldern, Vereinsmitteln oder aus landesherrlichen Etats, wobei nur kurze oder meist gar keine Antrags- und Rechtfertigungsverfahren stattfanden und damit kaum personelle oder inhaltliche Evaluationen wirksam wurden. Die Rechtfertigung der Forschungen – ob nun in Sammlungen oder auf Ausgrabungen – lagen in der Systematisierung von Wissensbeständen, der Gewinnung archäologischen Fundmaterials oder der Illusion, nationales Zeugnis ablegen zu können.13 Eine Ausnahme innerhalb dieser Phase der archäologischen Finanzierungsge12 | Nach § 25 Abs. 1 Hochschulrahmengesetz (19.1.1999) handelt es sich bei Drittmitteln um Mittel Dritter, die Hochschulmitgliedern zur Durchführung von Forschungsvorhaben zur Verfügung gestellt werden und die „nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln stammen“. Sie sind in der Regel „befristet, projektbezogen und antragsabhängig“ (Trute 1994, S. 433). Obwohl der Begriff „Drittmittel“ wohl erst in der BRD aufkam, können meiner Meinung nach auch diejenigen Förderungen als Drittmittel bezeichnet werden, die ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert a) budgetfinanzierten, festangestellten Wissenschaftlern nach b) einem Antragsverfahren für c) Forschungsvorhaben gewährt wurden. Nach dieser Definition dürften Förderungen, die innerhalb von Vereinen an Vereinsmitglieder zu Forschungszwecken gewährt wurden, nicht als Drittmittel bezeichnet werden, sondern lediglich als Förderungen. 13 | U.a. Bierbaum 1927.

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schichte stellt die Reichslimeskommission dar. Diese Kommission wurde 1892 nach langen Auseinandersetzungen gegründet und vom deutschen Reichstag finanziert.14 Als um die Wende zum 20. Jahrhundert jenseits des archäologischen Diskurses damit begonnen wurde, neue Formen des Wissenschaftsverständnisses, der Förderung und Organisation mit spezifischen Finanzierungsformen zu entwickeln,15 geriet die kaum institutionalisierte Archäologie unter Zugzwang. Wollten Archäologen in diesem sich dynamisch wandelnden Wissenschaftssystem Forschungsmittel einwerben, wissenschaftliches Ansehen erlangen, Nachwuchs ausbilden und die Gesetzgeber zu Denkmalschutzmaßnahmen anregen, mussten sie die Archäologie als Wissenschaft und Lehrfach etablieren.16 Dafür bedurfte es eines wissenschaftlichen Habitus’, wofür nicht mehr nur sonntägliche Schürfungen, sondern systematische und dokumentierte Untersuchungen mit Vermessungsarbeiten, umfangreiche Erdbewegungen und anschließende Fundbearbeitungen, Inventarisierungen und überregionale Vergleichsstudien erforderlich waren. Die Kosten dafür überstiegen die Kapazitäten der Vereine und Museen. Archäologische Forschungsanliegen mussten deshalb immer öfter „nach außen“ kommuniziert werden. Die Finanzen wurden neben dem nur diffus zu bestimmenden Mehrwert der Forschung schnell zum wesentlichen Argument für Entscheidungen über die Bewilligung von Forschungsprojekten sowie über die Gründung und Ausstattung von archäologischen Forschungs- und Denkmalpflegeeinrichtungen.17 Ab dem frühen 20. Jahrhundert könnte man dementsprechend von einer systematisch drittmittelfinanzierten Archäologie sprechen. Als weiteres Spezifikum der Archäologie muss berücksichtigt werden, dass zu keinem Zeitpunkt eine zentrale Einrichtung existierte, die Forschung, Lehre und Denkmalschutz und eben auch die Finanzbelange der gesamten deutschen Archäologie koordinierte. Die Finanzen, ihre Kalkulation und ihre Einwerbung waren und sind bis heute uneinheitlich und so ergeben sich auch aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive zahlreiche verschiedene, oftmals mehrdimensionale Finanzräume der 14 | Braun 1992; Rebenich 1997, S. 67–68. 15 | Brocke 1991; Bruch/Henning 1999; Bruch 2006.  16 | Frenzel 1925; Pape 2002. 17 | Strobel 2006/2007; Grunwald/Reichenbach 2009.

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Archäologie. Die Etats der Lehrstühle, Denkmalämter und Museen wurden auf Landes- oder kommunaler Ebene festgelegt, die Gehälter in diesen Einrichtungen waren bis zur Einführung von Tarifordnungen nach 1934 ebenfalls uneinheitlich auf Länderebene geregelt. Daneben wirkten zahllose verschiedene Motive auf die Archäologieförderung, die unterschiedliche Finanzausstattungen und Konjunkturen mit sich brachten: Archäologie in Grenzgebieten wie dem ehemaligen Pommern oder Schlesien oder in Schleswig-Holstein wurde zeitweilig anders gefördert als Archäologie in Thüringen oder Hessen.18 Archäologische Kulturen selbst wurden mit unterschiedlichem Eifer erforscht (s.u.) und aus verschiedenen Gründen konnte eine interdisziplinäre Einbindung der Archäologie im Westen oder Osten Deutschlands zwischen den zwei Weltkriegen erfolgen und zur Förderung führen, während sich solche Konstellationen in anderen Regionen nicht ergaben.19 Will man also eine differenzierte Finanzierungsgeschichte der Archäologie schreiben, müsste man sie regional und zeitlich gliedern, wofür teilweise auch von mehrdimensionalen, einander überschneidenden Finanzräumen ausgegangen werden sollte. Noch fehlen Überlegungen darüber, wie Entwicklungen der allgemeinen Wissenschafts- und auch Kulturförderung mit ihren Zäsuren und Tendenzen auf regionaler wie nationaler Ebene ins Verhältnis gesetzt werden können zur Entwicklung der regionalen archäologischen Denkmalschutzgesetzgebungen oder zu den einzelnen, meist regionalen Förderkonjunkturen und -flauten archäologischer Forschung. Gänzlich unerforscht sind bislang die Nebenwirkungen dieser vielfältigen Förderungen und unterschiedlichen Budgetierungen auf die archäologische Forschungspraxis, die Kommunikationskultur, aber auch die strukturelle Entwicklung der Archäologie als universitäres Lehrfach und als Kulturwissenschaft. An dieser Stelle möchte der vorliegende Beitrag ansetzen.

18 | Mahsarski 2011; Grabolle et al. 2003; Baitinger 2011. 19 | Sommer/Middell 2004; zur Westforschung: Halle 2003; dies. 2009; zur Ostforschung: Fehr 2004; Grunwald 2009a; Reichenbach 2009.

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A spek te einer F inanzierungsgeschichte der P r ähistorischen A rchäologie Die Finanzierungsgeschichte der Archäologie kann auf biografischer und auf institutioneller Ebene beschrieben werden, wofür unterschiedliche Herangehensweisen erforderlich sind. Die Wahrnehmung und Analyse der biografischen Finanzierungsgeschichte der Archäologie sollte dabei Vorrang haben, denn stets waren Förderanträge und Bewilligungen personengebunden. Ebenso galten Berufungen und Stellenbesetzungen stets konkreten Personen, die erst den Charakter archäologischer Institutionen prägten.20 Deshalb sollen im weiteren Verlauf die biografischen Aspekte der Finanzierungsgeschichte vorrangig betrachtet werden, auch weil sich aus ihnen immer auch institutionengeschichtliche Perspektiven ableiten lassen.21 Einen möglichen Zugriff auf eine biografische Finanzierungsgeschichte bietet der sog. Matthäus-Effekt. „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat.“ (Matthäus 25, Vers 29). Der amerikanische Wissenschaftssoziologe Robert Merton prägte Ende der 1960er Jahre diesen Begriff, um damit Beobachtungen zum Kommunikationsverhalten und Belohnungssystem unter Wissenschaftler/-innen zu beschreiben. Er nannte mehrere Manifestationen des Matthäus-Effektes, die einander beeinflussen: Zum einen fallen „hoch angesehenen Wissenschaftlern für bestimmte wissenschaftliche Beiträge unverhältnismäßig große Anerkennungsbeträge“ zu, „während solche Anerkennung Wissenschaftlern, die sich noch keinen Namen gemacht haben“, vorenthalten wird.22 Anerkennung kann instrumentalisiert und in Aktivposten umgewandelt werden, also in bessere Arbeitsbedingungen und Projektförderung, da das durch kollegiale Anerkennung gesteigerte wissenschaftliche Renom20 | Zur Bedeutung biografischer Forschungen für die Wissenschaftsgeschichte der Archäologie: Givens 1992; Kaeser 2008; ders. 2013. 21 | Erste biografisch angelegte, moderne wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten berücksichtigen ausführlich die ökonomische Seite der archäologischen Forschung, indem u.a. konkret auf die vielfach problematischen Einkommensverhältnisse der Protagonisten als Ursache für (wissenschafts-)politische Entscheidungsprozesse eingegangen wird: u.a. Hakelberg 2001; Strobel 2005. 22 | Merton 1985, S. 155.

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mee in Antragsverfahren oder Budgetverhandlungen relevant ist.23 Dies kann langfristig dazu führen, dass „angesehene wissenschaftliche Zentren höhere Forschungsmittel als jene Zentren“ erhalten, „die sich einen Namen erst noch machen müssen. Andererseits zieht das Prestige der angesehenen Zentren einen unverhältnismäßig viel größeren Teil vielversprechender Graduierter an.“24 Es liegt nahe, auch die biografische Finanzierungsgeschichte der archäologischen Forschung in Hinblick auf solche Manifestationen des Matthäus-Effektes hin zu untersuchen und z. B. zu fragen, in wieweit hohes wissenschaftliches Prestige den Zugang einzelner Wissenschaftler/-innen zu Forschungsressourcen auch in der Prähistorischen Archäologie beförderte. Seit den Vereinsgründungen des frühen 19. Jahrhunderts wurde Archäologie zunehmend in Gemeinschaften ausgeübt und schließlich als universitäres Lehrfach und als Wissenschaft mit einer spezifischen scientific community institutionalisiert. Archäologen/-innen, deren Finanzierungsbiografien einen Zugriff auf die Fachgeschichte bieten können, wirkten also kaum allein, sondern zunehmend innerhalb von Gruppen. Bei der Rechtfertigung ihrer Forschungskosten waren sie mit der Notwendigkeit konfrontiert, die von Rudolf Stichweh beschriebene sog. doppelte Legitimationsschwäche ihres Faches zu überwinden – also die Kosten der Forschungen und das time-lag zwischen Forschung und Anwendung zu rechtfertigen.25 Von Beginn an wurden zur Bewältigung dieser doppelten Legitimationsschwäche von Archäologen/-innen spezifische Strategien in enger Wechselwirkung mit den Konzepten und Strukturen der verschiedenen Forschungsförderungsanbieter entwickelt. Dabei lassen sich langlebige strategische Muster erkennen, deren Identifikation und Analy23 | Merton konzentrierte sich in seiner Darstellung auf das Publikations- und damit Kommunikationsverhalten von Wissenschaftler/-innen. Er beschrieb ausführlich, dass diejenigen Wissenschaftler/-innen, denen hohe Anerkennung erwiesen wurde, u.a. auch besseren Zugang zu renommierten Publikationsorganen hätten. Das Prestige der Wissenschaftler/-innen und dasjenige des Publikationsorgans führten regelhaft dazu, dass die Beiträge dieser Wissenschaftler/-innen wiederum mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit und Würdigung erfuhren als solche Arbeiten, die von eher unbekannten Wissenschaftler/-innen peripher publiziert wurden (Merton 1985). 24 | Merton 1985, S. 170. 25 | Stichweh 1982.

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se sowohl für die allgemeine Wissenschaftsgeschichte der Archäologie als auch für ihre Finanzierungsgeschichte relevant sind. Wie alle Wissenschaften ist auch die des Spatens erstens darauf angewiesen, ihre Kosten durch den Beweis zu rechtfertigen, „zur Lösung der Probleme anderer Teilsysteme beitragen zu können“.26 Denn Archäologie kann, anders als etwa die technischen Naturwissenschaften, keinen Beitrag „zur Lösung von Problemen technischen oder praktischen Handelns“ leisten. Zweitens besteht für die Archäologie wie für alle Wissenschaften konstant die Schwierigkeit, ihre „wissenschaftlichen Leistungsbeiträge“ über das „time-lag zwischen Forschung und Anwendung und den Divergenzen in den Zeithorizonten zwischen Wissenschaft und anderen Sozialsystemen“ hinweg deutlich zu machen.27 Die Identifikation solcher Beiträge ist bei archäologischer Forschung schwierig, weil die Zeiträume zwischen Konzeption, Forschung und Ergebnispräsentation spezifisch unkalkulierbar und groß sein können. Bis zum modernen Einsatz technikgestützter Prospektionsverfahren konnten keine Vorhersagen über den Gehalt und damit den Nutzen der archäologischen Forschungen an einem Fundplatz getroffen werden. Prognostizierbarkeit ist für die experimentellen Wissenschaften jedoch frühzeitig als verbindliches Merkmal und als Synonym für Wissenschaft schlechthin ausgehandelt worden, was die Archäologie in Erklärungsnöte bringen musste. Um so mehr wurden z.B. Verweise auf bereits als ertragreich für Museen und Forschung bekannte Ausgrabungen dazu genutzt, das geplante Projekt als vergleichbar und deshalb als potentiell erfolgreich darzustellen. So mobilisierte u.a. die Bezeichnung „Troja des Ostens“ in der ersten Jahrhunderthälfte für bis dahin verhältnismäßig unbekannte Burgwälle (Ostro in der Oberlausitz; Zantoch an der Warthe) auch wegen diesen vielversprechenden Assoziationen finanzielle Förderungen und politisches Patronat.28 Eine weitere Schwierigkeit hinsichtlich des time-lag lag bereits im frühen 20. Jahrhundert darin, dass die archäologischen Analysemethoden schon so differenziert waren, dass niemand außerhalb des archäologischen Diskurses die Leistungszusammenhänge zwischen Forschungskonzeption, Ausgrabung und Auswertung überprüfen und beurteilen konnte. Die Archäologie bedurfte deshalb frühzeitig in mehrfacher Hinsicht eines 26 | Stichweh 1982, S. 64. 27 | Ebd., S. 65. 28 | Grunwald 2009a; dies. 2009b.

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Vertrauensvorschusses, um überhaupt arbeiten zu können. Ob dieser Vorschuss gewährt wurde, hing im Wesentlichen vom Renommee des Antragstellers und seinen persönlichen Beziehungen ab. Zur Überbrückung des time-lag etablierten sich darüber hinaus Vorberichte, Vorträge und Führungen und die museale Präsentation von Ausgrabungsfunden zur Veranschaulichung potentieller Forschungsergebnisse. Idealtypisch wählten die Vertreter/-innen der Archäologie bereits frühzeitig zwei von Stichweh beschriebene Strategien als Auswege aus diesen Schwierigkeiten: „Einmal gibt es die Möglichkeit ideologisch-kultureller Assoziationen mit politischen und nationalen Bewegungen, in denen Wissenschaft diesen Bewegungen entweder als Garant einer gegenüber dem Gegner überlegenen Rationalität oder als Identifikationssymbol für hypostasierte, politisch noch nicht realisierbare Einheiten dient.“29 Mit ihrem fachspezifischen „Zugang zur jeweiligen kulturellen Tradition“ konnten Archäologen/-innen ihre Ergebnisse „in die Überzeugungssysteme zumindest der gesellschaftlichen Eliten“ einspeisen,30 indem sie vor allem auf Grund spektakulärer Ausgrabungsergebnisse Angebote zu einer archäologischen Wissenschaftsgläubigkeit formulierten. Vor allem für die Felder ‚Traditionsbildung durch Denkmalschutz’ und ‚Traditionsbildung durch Identifikationsangebote’ wurde der jungen Wissenschaft schnell eine hohe Problemlösungskompetenz zugewiesen.31 Das zweite Lösungsmuster besteht nach Stichweh in Institutionalisierungsformen, die auf die Kombinationen von Wissenschaft mit anderen, leichter legitimierbaren Funktionen setzen.32 Dazu können für die Archäologie die frühen Museumsgründungen gerechnet werden, wo Archäologen ihre Forschungen in bürgerlichen Repräsentationsformen darstellten, sowie die zahlreichen Vereine und Gesellschaften als Formen des bürgerlichen Bildungswillens.33 Ab dem frühen 20. Jahrhundert setzte sich diese Strategie in den Gründungen überregionaler Verbände, dem Bemühen um die Denkmalschutzgesetzgebung und um die Einrichtung

29 | Stichweh 1982, S. 65f. 30 | Ebd., S. 64. 31 | Burmeister/Müller-Scheessel 2006; Wiwjorra 2006; Rieckhoff/Sommer 2007; Díaz-Andreu 2007; Steuer 2001. 32 | Stichweh 1982, S. 65f. 33 | Korff/Roth 1990; Roth 1990; Pomian 1997; Carstensen 2003.

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von Lehrstühlen fort.34 Während die Museen und die Vereine wohl wegen ihres Unterhaltungs- und Bildungswertes auch über politische oder wissenschaftliche Zäsuren hinweg legitim und deshalb relativ stabil anerkannt und finanziert blieben, waren die „ideologisch-kulturellen Assoziationen“, auf die sich die Archäologie im universitären Raum und gegenüber der Wissenschaftsförderung bezog, dagegen instabil und häufig von zeitlich begrenzter Dauer. Solche Wissenschaften aber, die sich so durch Argumente oder Ideen jenseits des eigenen engeren und weiteren wissenschaftlichen Feldes zu legitimieren versuchen, gelten im Sinne Pierre Bourdieus als besonders heteronom. Sie haben gegenüber äußeren politischen, ideologischen und ökonomischen oder fachfremden Anforderungen nur eine geringe Brechungsstärke und können diese wegen ihrer mäßigen Übersetzungsmacht kaum wesentlich beeinflussen oder für sich umdeuten.35 Tatsächlich ist die Institutionengeschichte der Archäologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Zäsuren gekennzeichnet, die eindeutig mit Phasen gesellschaftlicher und politischer Umorientierung korreliert werden können. Die Strategie, sich an fachfremden, wissenschaftsexternen Ideen und Ideologien zu orientieren oder an ihnen zu partizipieren, sorgte nur zeitweilig oder regional begrenzt für einen Anstieg von Förderung, aber eben auch von Erwartungen an die Forschung.

D er Ü bergang von der privat- zur drit tmit telfinanzierten A rchäologie in der ersten H älf te des 20. J ahrhunderts Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges lagen archäologisches Forschen und die Frühformen der archäologischen Bodendenkmalpflege – die Inventarisation von Funden und Fundplätzen und deren Schutz – mehrheitlich in den Händen von Mitgliedern archäologischer oder interdisziplinärer Vereine und Gesellschaften. Waren die Vereinsmitglieder wohlhabend und großzügig, so konnten Stiftungsgelder und hohe Mitgliedsbeiträge anfallen, mit denen Forschungen und Publikationen finanziert wurden, so dass von einer vielfach finanziell autonomen Archäologie gesprochen werden kann. In einigen Fällen wurde ein einfaches Antragsverfahren 34 | Veit 2006; Pape 2002. 35 | Bourdieu 1998, S. 19.

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praktiziert, und nach Abschluss der Untersuchungen berichtete der oder die erfolgreiche Antragsteller/-in die Ergebnisse und übergab die Funde der Vereinssammlung. Stellvertretend für diese Forschungsgesellschaften sei hier die für Ostdeutschland wichtigste und wohl auch mitgliederstärkste Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) genannt, die 1869 von Rudolf Virchow (1821-1902) gegründet wurde. Mitglieder der politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Elite, die in der deutschen Reichshauptstadt konzentriert waren, sorgten nicht nur für eine große inhaltliche Vielfalt der Vereinsforschungen, sondern statteten die BGAEU mit verhältnismäßig großzügigen Mitteln aus. Zusätzlich wurde sie zwischen 1872 und 1914 durch das Preußische Kultusministerium mit Jahresbeiträgen um die 1800 M subventioniert und Industrielle wie Werner von Siemens (1816-1892), ebenfalls Gesellschaftsmitglied, protegierten konkrete Forschungen wie etwa Ausgrabungen in Armenien.36 Diesem Horizont der Archäologieförderung durch Mäzene gehören auch Stiftungen wie die beiden folgenden Beispiele an. In Schlesien förderte die Nachlassstiftung des Arztes und Altertumsforschers Wilhelm Grempler (1826-1907) mit jährlichen Zinserträgen von durchschnittlich 10.000 M die Denkmalpflege und archäologische Forschung wesentlich.37 Die Rudolf-Virchow-Stiftung, eine der finanzstärksten Stiftungen in Ostdeutschland, wurde dagegen von Mitstreitern und Freunden Virchows ins Leben gerufen und ihm zu seinem 60. Geburtstag 1881 bereitgestellt.38 Virchow und die BGAEU finanzierten damit bis 1957 anthropologische, ethnographische und archäologische Projekte mit einem Schwerpunkt auf fossilen Menschen- und Tierresten aus dem Paläolithikum, aber auch archäologische Burgwallforschungen in Ostdeutschland.39 Beide Stiftungen unterstützten auch Wissenschaftler, die bereits Stellungen innehatten, aber über keinerlei Forschungsbudgets verfügten. Der Kustos an der prähistorischen Abteilung im Berliner Völkerkundemuseum Hubert Schmidt (1864-1933) konnte zum Beispiel für seine Forschungen zum Neolithikum und zur frühen Bronzezeit auf dem Balkan, in Griechenland, Spanien und Frankreich zwischen 1907 und 1914 mehr 36 | Lewerentz 2004/2005, S. 115. 37 | Oehlert 2007. 38 | Lewerentz 2004/2005, S. 107, Abb. 59. 39 | Lewerentz 2000, S. 93–110; dies. 2004/2005, S. 115–116.

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als 10.000 RM von der Virchowstiftung nutzen.40 Der in Berlin bereits etablierte Schmidt erfuhr durch diese Förderungen Anerkennung und Würdigung seiner Person und Forschungen und wurde so in die Lage versetzt, weiter zu forschen und sein Renommee dadurch zu vergrößern. Dass Stelleninhaber wie Schmidt als Vertreter der institutionalisierten Archäologie auf Drittmittel für die Forschungspraxis angewiesen waren, charakterisiert die deutsche Archäologie kontinuierlich. Angesichts des offensichtlich unerschöpflichen archäologischen Fundmaterials war auch tatsächlich kein Budget realistisch zu kalkulieren – kein Budget wäre ausreichend gewesen für die Erschließung und den Schutz aller archäologischen Quellen. Die ideale Archäologiefinanzierung war damit ebenso unerreichbar wie die Quadratur des Kreises und folgerichtig waren die Finanzmittel immer zu knapp und immer umkämpft. Wem gelang es also unter diesen Bedingungen zu welchem Zeitpunkt in der Geschichte der Archäologie, Finanzmittel und andere essentielle Ressourcen für Forschung überhaupt zu erschließen und sogar langfristig zu sichern? Der bisher erarbeitete Forschungsstand zur Geschichte der deutschen Archäologie legt nahe, dass nur solche Archäologen/-innen Erfolge bei der Einwerbung von Finanzmitteln erzielen, Strukturen schaffen und wissenschaftlichen Nachwuchs fördern konnten, die zwei Bedingungen erfüllten: Sie mussten erstens inhaltlich dem Wissenschaftskonsens der scientific community entsprechen und konnten deshalb Stellen einnehmen. Innerhalb der Archäologie waren sie damit als Autoritäten definiert. Für die allgemeine Wissenschaftsförderung waren sie die Repräsentanten/-innen der Archäologie und daher bevorzugte Ansprechpartner/-innen mit einem privilegierten Zugriff auf Informationen und Netzwerke. Zweitens mussten diese Archäologen/-innen Mischfinanzierungen erwirken können. Dafür war die Verknüpfung unterschiedlicher Sphären der Wahrnehmung von Archäologie erforderlich, um sie gegenüber unterschiedlichen stakeholdern ertragreich zu kommunizieren und zu präsentieren. Besonders die als instabil und als unzureichend wahrgenommenen Fachstrukturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten dazu, dass einige Archäologen/-innen von verschiedenen stark politisierten gesellschaftlichen Feldern aus agierten, um ihre Forschungen zu professionalisieren und im ebenfalls stark politisierten wissenschaftlichen 40 | Menghin 2004/2005b, S. 157.

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Feld zu positionieren.41 Gleichzeitig gingen von verschiedenen Nachbarwissenschaften und gesellschaftlichen Diskursen Impulse aus zu einer Einbindung der Archäologie als Hilfswissenschaft, Stichwortgeberin oder Forschungsbiet in fachübergeordnete Strukturen. Das erschwert es rückblickend, die Felder und Einflusssphären eindeutig voneinander zu scheiden und zu bestimmen, welche Anforderungen und Förderungen aus Sicht der Archäologie als extern bezeichnet werden können und welche als intern. Diese Verwobenheit der Strukturen und Inhalte ist immanent und muss als solche hingenommen und beschrieben werden. Egal an welcher Stelle egal welchen gesellschaftlichen Feldes man Ausgangspunkte solcher Impulse für archäologisches Forschen lokalisiert – ein Interagieren über die Feldgrenzen hinweg ist nachweisbar, so dass die Heteronomie der Archäologie immer wieder klar erkennbar wird.42 Einer der unter diesen Gesichtspunkten erfolgreichsten deutschen Archäologen, der gleichzeitig den Übergang von der Phase der selbstfinanzierten Archäologie hin zur drittmittelfinanzierten vollzog, war Carl Schuchhardt (1859-1943). 1908 wechselte der studierte klassische Archäologe und Philologe von seiner Direktorenstelle am Hannoveraner Kestner-Museum an die prähistorische Sammlung nach Berlin und in ein ihm seit langem vertrautes Netzwerk aus Archäologen unterschiedlicher Richtungen.43 Er kam auf Empfehlung des Klassischen Archäologen Alexander Conze (1831-1914)44 und durch die Vermittlung von Wilhelm von Bode (1845-1929) und Friedrich Schmidt-Ott (1860-1956). Schmidt-Ott, einstiger Schulkamerad Kaiser Wilhelms II., war seit 1907 Ministerialdirektor im Kultusministerium und 1918 letzter Preußischer Kultusminister des deutschen Kaiserreiches, Bode seit 1905 Generaldirektor der Königlich Preußischen Museen in Berlin und spiritus rector der Berliner 41 | Zur Politisierung von Wissenschaft und Verwissenschaftlichung politischer Praxis aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive bereits Weingart 1983. 42 | Zum Begriff des wissenschaftlichen Feldes: Bourdieu 1998; Fröhlich 2003; Rehbein 2006, S. 105–110. 43 | Schuchhardt 1944, S. 269; Unverzagt 1944; Grünert 1987, S. 107; ders. 2002, S. 174; Bantelmann 1992. 44 | Conze war ab 1863 Professor für Archäologie an der Universität in Halle, später in Wien und ab 1877 in Berlin. Seit 1877 war er Mitglied, ab 1881 Vorsitzender der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts und ab 1887 schließlich 1. Generalsekretär des Instituts (Goethert 1957).

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Museumslandschaft.45 Beide Kulturpolitiker verbanden Erwartungen mit Schuchhardt, die zeigen, aus welchen gesellschaftlichen Feldern heraus und mit welchen Zielen Archäologie im frühen 20. Jahrhundert gefördert werden konnte. Schuchhardt sollte nicht nur in die Planungen für ein neues Museum einbezogen werden und es „zu einem Vorbild für die Ausgrabungsforschung machen“, sondern auch „darauf hinwirken, dass auch in Mittel- und Ostdeutschland sich ähnliche Altertumsverbände bildeten wie im Nord- und Südwesten“ Deutschlands.46 Schuchhardt wusste diese einflussreiche Unterstützung zu schätzen. Sich endlich vorrangig auf die archäologische Forschung konzentrieren zu können, „bedeutete die Veramtlichung der Tätigkeit, die ich bisher als mein Sonntagsvergnügen betrachtet hatte“, aber auch einen wesentlichen Institutionalisierungsschub für die gesamte ostdeutsche prähistorische Archäologie.47 Bis 1908 hatte Schuchhardt „rund zwei Dutzend Untersuchungen an niedersächsischen Ringwallanlagen“ durchgeführt und war damit unter den deutschen Archäologen derjenige mit den meisten Erfahrungen bei der Untersuchung von „einheimischen“ Burgwällen.48 Noch im Jahr seines Arbeitsbeginns als Direktor der archäologischen Abteilung des Berliner Völkerkundemuseums 1908 begann er die Ausgrabungen an der Römerschanze bei Potsdam, die schnell zur prominentesten und auch ertragreichsten Ausgrabung in Ostdeutschland wurde. Aber er grub mit „privatim zur Verfügung gestellten Mitteln“ und nicht mit Mitteln seines Sammlungsetats. Später berichtete er, der Generaldirektor der Museen

45 | Schmidt-Ott gehörte zu den ‚Mandarinen’ der preußischen Wissenschaftspolitik der späten Kaiserzeit und der Weimarer Republik. Er setzte das sog. ‚System Althoff’ in Teilen fort und entwickelte es vor allem als erster Präsident der Notgemeinschaft bis 1934 entscheidend fort (Schmidt-Ott 1952; Treue 1987; Brocke 1987; ders. 1991; Mertens 2008a; ders. 2008b; Kirchhoff 2007, bes. S. 378–414). - Bodes Amtszeit von 1905 bis 1920 gilt als Höhepunkt der Berliner Museumsgeschichte. Die Konzeption der Museumsinsel war Bodes Idee ebenso wie der Bau des 1930 eröffneten Pergamonmuseums (Bode 1997; Saalmann 2010, S. 13–14; Ohlsen 2007). 46 | Schuchhardt 1944, S. 269. - Zur Stellung der prähistorischen Sammlung in Bodes Museumskonzeptionen: Grünert 2002, S. 167–169 u. 174–184. 47 | Schuchhardt 1944, S. 270. 48 | Schuchhardt 1944, S. 190–198 u. 224–230; Bantelmann 1992, S. 22.

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habe ihm „aus seiner Tasche 1000 Mk“ geschenkt und ein anderer Herr, „der nicht genannt werden will“, habe sich ebenfalls großzügig gezeigt.49 Den Forschungen an der Römerschanze folgten zahlreiche weitere Burgwallgrabungen, die vor allem durch Stiftungsgelder der Preußischen Akademie der Wissenschaften finanziert wurden. Schuchhardt, der der Akademie seit 1912 angehörte, schlug dem zuständigen Verwaltungsrat „den Plan einer Aufklärung des ostdeutschen Burgenwesens mit Rethra als Schlusshoffnung“ vor und ihm wurden „die erbetenen 20 000 RM, auf vier Jahre verteilt, bewilligt“.50 Weder Schuchhardts Jahresgehalt, die höchstmögliche Besoldung bei den Berliner Königlichen Museen mit 9.000 Mark plus 900 M Wohngeld, noch sein Sammlungsetat erlaubten überhaupt solche Forschungen – 5.000 RM pro Jahr reine Forschungsgelder waren also geradezu luxuriös.51 Allein durch diese Gelder unterstützt, untersuchte er zwischen 1920 und 1923 mehrere ostdeutsche vor- und frühgeschichtliche Wallanlagen (Tabelle 1).52 Tabelle 1: Personalmittel an der Prähistorischen Sammlung im Berliner Museum für Völkerkundemuseum zwischen 1908 und 1918 (Menghin 2004/2005b, 130 Anm. 50). Position Generaldirektor, Abteilungsdirektor

Jahresgehalt in M

Monatsgehalt in M

15.000

1.250

Direktor

6.500 – 9.000

541,6 – 750

Assistent, Kustos

3.400 – 4.800

283,3 – 400

wiss. Hilfsarbeiter (Max Ebert 1909)

1.500

125

Selbst für die außerordentlich vielversprechende Ausgrabung des Burgwalls von Lossow (Brandenburg) konnte er 1925 seinen Sammlungsetat nicht einsetzen, da, so die Generaldirektion des Museums, die Untersuchung monatelang dauern, lediglich Topfscherben und „vielleicht einige Eisengeräte“ erbringen und „durchweg rein wissenschaftlichen Feststel49 | Schuchhardt 1909a; ders. 1909b, S. 213. 50 | Schuchhardt 1944, S. 360f. 51 | Menghin 2004/2005b, S. 129. 52 | Schuchhardt 1944, S. 361–377; Grunwald 2011, S. 111.

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lungen dienen“ würde. Dagegen könnte allein die Ausgrabung von Gräbern „gutes Anschauungsmaterial“ liefern.53 Schuchhardt erscheint als ein ideales Beispiel für die Wirkmächtigkeit des Matthäus-Effektes innerhalb der deutschen Archäologie zwischen dem ausgehenden 19. und dem frühen 20. Jahrhundert. Die finanzielle Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen und sein einflussreiches wissenschaftspolitisches Netzwerk versetzten ihn in die Lage, sowohl regionale Forschungen durchzuführen als auch ausgedehnte Reisen durch Europa zu unternehmen. Die dabei erworbenen Kenntnisse und Kontakte entwickelten sich zu einem Alleinstellungsmerkmal, das Schuchhardt deutlich von all seinen Kollegen in Ostdeutschland unterschied. Von dieser exklusiven Position aus war es ihm möglich, effizient auf die Zäsuren von 1918 zugunsten der Archäologie und seiner Person zu reagieren und Berlin als Forschungszentrum der Archäologie zu etablieren.

A rchäologische F orschung und die S truk turen der allgemeinen W issenschaf tsförderung z wischen 1900 und 1945 Schuchhardts Wirken in Berlin bis zu seinem Tod 1943 war geprägt von einem wissenschaftspolitischen Übergang, der in älteren, länger etablierten Wissenschaften bereits seit den 1880er Jahren vollzogen worden war. Die drei Jahrzehnte ab den 1880er Jahren gelten in der Forschung zur allgemeinen Wissenschaftsförderung als „Schwellenphase im Übergang zu modernen Organisationsformen der Wissenschaftsförderung“.54 Jenseits der Archäologie wurden spezifische Förderungsformen und -kriterien entwickelt, die zeitversetzt nach dem Ersten Weltkrieg aber auch auf sie Einfluss nehmen sollten. Nunmehr begannen zunehmend die Stifter, Forschungsformen und -ziele zu bestimmen, woran schließlich Fachstrukturen und -inhalte orientiert wurden. Zusätzlich waren die 53 | Schuchhardt an die Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin am 15.1.1925 (nach Beilke-Voigt 2010, S. 33; darin auch ausführliche Informationen zur Finanzierungsgeschichte der Ausgrabungen in Lossow zwischen 1926 und 1929 unter der Leitung von Wilhelm Unverzagt). 54 | Bruch 1990, S. 11.

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Universitäten nicht länger der alleinige Ort der forschenden Gelehrten. Der wachsende Bedarf an Experten für alle Arten von Staatsdiensten und Berufungen hatte den Universitätsbetrieb derart intensiviert, dass es zum Ende des 19. Jahrhunderts längst an den wesentlichen Voraussetzungen für das Lehren und Forschen „in Einsamkeit und Freiheit“ mangelte, wie es Wilhelm von Humboldt 1809/10 für die deutschen Universitäten gefordert hatte.55 Der Bedarf an industrieorientierter Forschung und an lebenswissenschaftlicher Grundlagenforschung wurde von Seiten der deutschen Staaten und der Industrie formuliert und energisch vertreten. Ein Masterplan wurde dafür nicht entwickelt, aber einige weit reichende Modelle wurden in Betrieb genommen. Die 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde zur zeitweilig wirkungsvollsten Forschungsförderungsstruktur in Deutschland.56 Das Interesse des Kaisers überzeugte Industriemagnaten, Bankiers und Großhändler gleichermaßen zur Stiftung von Geldern zu großformatigen Forschungszwecken.57 Die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) wurden zum Synonym solcher strategisch geförderten, von Lehraufgaben befreiten Forschungsstrukturen, die vor allem den deutschen Naturwissenschaften weltweiten Ruhm einbrachten. Die Stiftung förderte überwiegend anwendungsorientierte Forschungen: nur vier der insgesamt 29 zwischen 1911 und 1943 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) waren geisteswissenschaftlichen oder juristischen Komplexen gewidmet. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges hatte sich die Zahl der Stifter vergrößert und inzwischen beteiligten sich auch mittlere Unternehmen an der Forschungsförderung. Die Wissenschaftsförderung hatte sich als patriotisches Stiftungsfeld für die Industrie und Wirtschaft etabliert. 58 Die in der KWG praktizierten Formen der Evaluation, Personalakquise und Forschungspraxis mit dem Ziel von „Wissenschaft als Großbetrieb“59 waren um den Ersten Weltkrieg aus Sicht der Archäologie Utopia. Zusätz55 | Ebd., S. 12. 56 | Renn/Hoffmann/Kolbiske 2014. 57 | Burchardt 1990, S. 64–65. 58 | Feldman 1990. 59 | Harnack 1905. - Adolf von Harnack (1851-1930) war zwischen 1911 und 1930 der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der einflussreichste Wissenschaftspolitiker der späten Kaiserzeit und der Weimarer Republik (u.a. Brocke 2001).

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lich erschienen kulturgeschichtliche oder historische Forschungen angesichts großformatiger, geplanter naturwissenschaftlicher und technischer Projekte mit explizitem Praxisbezug als zweifelhafte „retrospektive Forschungszwecke“, wie Debatten aus dem Jahr 1913 um die Gründung eines KWG-Instituts für deutsche Geschichtsforschung zeigen. Innerhalb der historischen Wissenschaften herrschte ohnehin weitgehend Konsens darüber, dass historische oder kulturwissenschaftliche Großprojekte bereits an den Akademien gut aufgehoben seien, denn Theodor Mommsen hatte bereits 1890 in diesem Sinne die an den Landesakademien installierten geisteswissenschaftlichen Großunternehmen gegenüber den industrienahen Großforschungsprojekten als ebenbürtig gestellt.60 Um den Ersten Weltkrieg hatte sich das allgemeine Verständnis moderner Wissenschaftsstrukturen und -inhalte unter dem Einfluss der KWI grundlegend gewandelt. Nun wurden geplante Forschungen innerhalb einzelner klar abgegrenzter, räumlich übergeordneter Wissenschaften mit Praxisbezug betrieben und daran mussten sich weniger etablierte, jüngere Wissenschaften wie die Archäologie fortan messen lassen. Auch war damit der Dualismus Wissenschaft und Gesellschaft für die Moderne ausformuliert, aber die Archäologie, deren Potentiale noch kaum entfaltet waren, entsprach dessen Anforderungen als regional unterschiedlich institutionalisierte Wissenschaft in keiner Hinsicht. Mit dem 1829 gegründeten Archäologischen Institut des Deutschen Reiches (heute: DAI) bestand zwar schon lange eine staatlich alimentierte Forschungseinrichtung ohne Lehrzwang, aber die Ausrichtung auf die mediterranen Hochkulturen schloss Fragestellungen und Fundkomplexe innerhalb Deutschlands aus. Die 1902 als Abteilung des DAI gegründete Römisch-Germanische Kommission (RGK) war zwar einer solchen Erforschung der Vor- und Frühgeschichte Mitteleuropas gewidmet, aber Kompetenzstreitigkeiten und Ängste vor einer zentralisierten Forschung führten dazu, dass sich die RGK in ihren Forschungen „auf diejenigen Teile Deutschlands“ beschränkte, die dauernd unter römischer Herrschaft gestanden hatten, und in ihnen „die Kultur von den ältesten Zeiten bis zum Ende der römischen Epoche“ erforschte.61 Der Osten Deutschlands blieb damit von einer überregionalen Forschungsstruktur ausgeschlossen, die das Fach gegenüber der Forschungsförderung hätte vertreten können. 60 | Brocke 2008, S. 140. 61 | Rodenwaldt 1929, S. 43.

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Als schließlich 1918 das Kaiserreich und mit ihm der Rang deutscher Wissenschaften und imperiales Mäzenatentum untergingen, existierten innerhalb der archäologischen community in Deutschland weder konkrete Strategien zur Etablierung dieser Wissenschaft noch einheitliche Vorstellungen darüber, welcher Bedingungen es bedurfte für einen effektiven Denkmalschutz, eine ertragreiche archäologische Forschung und eine systematische Forschungsförderung.62 Prominente Ausgrabungen hatten die methodischen Maßstäbe und die Zielvorstellungen zwar dahingehend signifikant verschoben, aber nach 1918 fehlte es an Ressourcen aller Art, um einheitliche Vorstellungen zu entwickeln oder systematisch Vorbildern zu folgen – es fehlte an Geldern, an Stellen, an Gesetzen, an Fachleuten. Die politischen Verwerfungen der Nachkriegsjahre und die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen verschoben gänzlich die Prioritäten hinsichtlich dessen, was staatliche und kommunale Förderung beanspruchen durfte und was nicht – nicht nur für die Archäologie.63 Die ehemaligen Eliten der preußischen und imperialen Wissenschaftspolitik entwickelten als Antwort auf die für alle Wissenschaften in Deutschland essentielle Krise der Nachkriegszeit die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, die mit ihren neuartigen Steuerungs- und Förderungsmodellen die Entwicklung seit der Gründung der ersten KWI fortsetzte.64 Im Oktober 1920 wurde die Notgemeinschaft als „Selbstverwaltungskörper der gesamten deutschen Wissenschaft“ gegründet und im nunmehr freigewordenen Berliner Schloss eingerichtet; zwei Monate später wurde der Stifterverband der Notgemeinschaft gegründet.65 Die inzwischen als Wissenschaftsförderer sozialisierten Industriellen und Finanziers sahen sich ebenso wie die Wissenschaftspolitiker und Wissenschaftler/-innen selbst in einer Notstandssituation und wollten mit ihren Stiftungsgeldern sowohl zur „Befriedigung der Lebensbedürfnisse der deutschen Forschung“ beitragen als auch langfristig zur Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges.66 Alle deutschen Universitäten, Aka62 | Dabei glichen sich die Forderungen einzelner Initiativen weitgehend (u.a. Seger 1904; Schuchhardt 1913; vgl. dazu Kunow 2002). 63 | Zu den prekären Beschäftigungsverhältnissen besonders derjenigen Archäologengeneration, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte: Hakelberg 2001. 64 | Bruch 1990, S. 16. 65 | 1. Ber. Notgem. für 1920/1921 (1922), S. 5. 66 | Ebd., S. 10.

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demien, Technischen Hochschulen, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Verband technisch-wissenschaftlicher Vereine und die Gesellschaft deutscher Naturforscher beteiligten sich an der Arbeit der Notgemeinschaft. Zur Wahl der Fachausschussmitglieder, die über die Förderanträge beraten sollten, waren alle ordentlichen und außerordentlichen aktiven und pensionierten deutschen Professoren/-innen, die Mitglieder aller deutschen Akademien, die Mitglieder der KWI sowie ausgewählte Personen aufgerufen; 3500 von 7000 verschickten Wahlformularen wurden gültig ausgefüllt und Grundlage der ersten Fachausschusswahl.67 Den Geldgebern – den größten Anteil stiftete konsequent das Deutsche Reich – wurde eine Mitsprache bei der Mittelvergabe eingeräumt, die Vergabe selbst richtete sich von Beginn an nach dem Grundsatz der Unparteilichkeit bei „möglichst ökonomischer Verwendung“ der Gelder.68 Mit der Notgemeinschaft wurde erstmals in der deutschen Wissenschaftsgeschichte das prospektive Peer Review von Forschungsprojekten eingeführt, ein Kontrollverfahren für die Produktion von neuem, akademischem Wissen während der Konzeptions- und Antragsphase eines neuen Projektes durch die zuständigen Fachausschüsse.69 Die Gliederung der Fachausschüsse der Notgemeinschaft wirft ein bezeichnendes Licht auf die in der Wahrnehmung der Notgemeinschaft (seit 1929 Deutsche Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung, DFG) bis 1945 gleichbleibende Position der Prähistorischen Archäologie im wissenschaftlichen Feld der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus. Als Schuchhardt 1912 in die Preußische Akademie der Wissenschaften berufen werden sollte, hieß es in der Empfehlung der Akademiemitglieder: „Wir vertrauen, dass Schuchhardt, dessen Kühnheit und Entdeckerfreude durch gesundes Urteil, ausgedehnte Erfahrung und große technische Sicherheit in den richtigen Schranken gehalten wird, der Akademie als ein wertvoller Mitarbeiter und Berater auf dem zukunftsreichen, aber vorläufig noch recht unsichern Boden der Prähistorie und germanischen Archäologie dienen werde“.70 Die Meinung, dass die Archäologie methodisch noch nicht gefestigt sei, teilten damals in Berlin zahlreiche Vertreter der benachbarten Disziplinen. So 67 | Ebd., S. 7. 68 | Ebd., S. 10. 69 | Kirchoff 2007, S. 90. 70 | Roethe 1912.

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wurde mehreren Doktoranden Gustaf Kossinnas (1858-1931) vor dem Ersten Weltkrieg die Promotion im Haupt- oder auch im Nebenfach Vorgeschichte verweigert, da dieses Fach als Disziplin „noch nicht einmal richtig ausgewachsen“ sei.71 1920, als die Notgemeinschaft sich konstituierte, hatte sich an dieser Wahrnehmung der Archäologie nichts geändert und so wurde sie dem Fachausschuss ‚Völkerkunde/ Prähistorie/ Anthropologie’ zugeordnet, wo sie bis 1945 verblieb. Die Archäologie, vertreten im ersten Jahr der Notgemeinschaft von dem schlesischen Prähistoriker Hans Seger (1864-1943), dann bis 1934 von Schuchhardt, wurde damit inhaltlich und methodisch den Kulturwissenschaften Ethnologie, Anthropologie, Volkskunde und teilweise den Sprachwissenschaften zugewiesen.72 Dafür, dass diese Zuordnung nicht nachteilig für die Archäologie war, spricht die kontinuierlich positive Förderung archäologischer Forschungsprojekte durch die Notgemeinschaft/DFG.73 Fragen wie die nach dem Stellenwert der Archäologieförderung gegenüber der Förderung anderer Kulturwissenschaften durch die Notgemeinschaft/DFG können derzeit noch nicht umfassend beantwortet, aber Tendenzen sind erkennbar.74 Anfang der 1920er Jahre förderte die Notgemeinschaft vor allem Publikationsprojekte und Periodika der vorgeschichtlichen Forschung, wie 71 | Grünert 2002, S. 157. 72 |  Am 1. September 1934 wurde Hans Reinerth zum ständigen Verbindungsmann zwischen der DFG und dem Amt Rosenberg ernannt (Schöbel 2002, S. 343, Anm. 90; Leube 2006, S. 132–137). 73 | Zur Überlieferungssituation der Förderakten und weiterer Bestände der Notgemeinschaft/DFG vgl. Mertens 2004, S. 13–18. 74 | Leider sind Vergleichsangaben zum Gesamtetat und den Etats für einzelne Wissenschaften schon ab dem zweiten Förderjahr der Notgemeinschaft/DFG nicht mehr möglich, weil die entsprechenden Beträge nicht mehr publiziert wurden. Sören Flachowsky, Berlin, schloss unlängst die Arbeiten an einer Datenbank ab, die für den Zeitraum zwischen 1920 bis 1945 alle im Bundesarchiv Berlin verfügbaren Daten zu beantragten, bewilligten und abgelehnten Projekten enthält, die von der Notgemeinschaft/DFG und dem Reichsforschungsrat in diesem Zeitraum bearbeitet wurden. Damit wird zukünftig der Stellenwert von Wissenschaften und einzelnen Projekten sehr viel besser analysiert werden können (S. Flachowsky, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft zwischen 1920 und 1945. Übersicht über die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vom Reichsforschungsrat geförderten Wissenschaftler (im Erscheinen); ders. in Kooperation mit dem Bundesar-

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der Vergleich auch mit den geräteintensiven Disziplinen Medizin, Chemie und Physik für das erste Förderjahr 1921/1922 zeigt (Abb. 2 und 3). Abb. 2: Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Bewilligungen ausgewählter Fachausschüsse 1921/1922 in M.

Abb. 3: Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Verwendungszweck der Bewilligungen ausgewählter Fachausschüsse 1921/1922 in M.

Quellen 2 und 3: Bericht Notgemeinschaft 1921/1922; Grafik S. Grunwald

chiv Koblenz, Findbuch zum Bestand „R 73“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft) (im Erscheinen).

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In den Folgejahren flossen umfangreiche Fördermittel in die archäologische Forschung. Einen ersten Höhepunkt bildete die Finanzierung der „Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der vor- und frühgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen in Nord- und Ostdeutschland“ zwischen 1927 und 1932/33 (Burgwall-AG)75 (Abb. 4) Abb. 4: Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Bewilligungen für Forschungsreisen und Ausgrabungen in RM.

Quelle: Dresdner Anzeiger 199. Jg. Nr. 564, 1.12.1928, 1; 9.-12. Berichte der Notgemeinschaft 1929/1930 [1930]; 1930/1931 [1930]; 1931/1932 [1932]; 1932/1933 [1933]; keine publizierten Angaben für 1920-1924 sowie 19341945; Grafik S. Grunwald

Die größten Förderposten wurden aber erst nach Kriegsbeginn bewilligt, als im Förderjahr 1941/42 allein der ‚Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V.’ 600.000 RM für Forschungen in den besetzten Gebieten zugewiesen wurden.76 Was als Notzeit der deutschen Wissenschaften kolportiert wurde, erscheint angesichts dieser Zahlen heute eher als eine Hoch-Zeit: Um 1930 75 | Grunwald/Reichenbach 2009, 73–82. 76 | DFG-Aktenzeichen Ae 1/04/16; 1/04/19: BArch Berlin, NS 21/ 28. Frdl. Mitteilung S. Flachowsky.

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gab Deutschland rund 1 % seines Bruttosozialproduktes für Wissenschaft und Forschung aus; Großbritannien mit seiner ebenfalls reichen Wissenschaftstradition und als technologischer Weltmarktführer investierte in dieser Zeit lediglich 0,4 % seines Bruttosozialproduktes.77 Tatsächlich waren in der Weimarer Republik „Wissenschaften und Wissenschaftspolitik Teil eines von der nationalistisch geprägten bildungsbürgerlichen Elite mitgetragenen Revisionskurses“ und stellten einander umfangreiche Ressourcen bereit.78

F örderstr ategien und - struk turen in den 1920 er 1930 er J ahren Befunde wie die eben beschriebenen markieren die Abkehr von der traditionellen Beschreibung der Krise für die deutschen Wissenschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Studien zur Geschichte der Institute der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft oder zur Notgemeinschaft/DFG zeigen, mit welchen umfangreichen und potenten Ressourcenensembles das Humboldtsche Wissenschaftsideal im frühen 20. Jahrhundert modifiziert und den Bedingungen der Moderne angepasst wurde – so wirkungsvoll, dass sie teilweise bis heute die deutsche Wissenschaft tragen und prägen. Jürgen John geht so weit, dass er von der historiografischen Verlängerung eines eben in den Jahrzehnten bis 1950 entwickelten und perfektionierten Krisendiskurses spricht.79 Dieser Krisendiskurs sollte seinerzeit die politischen Eliten zur Wissenschaftsförderung motivieren und später die politischen Verstrickungen von Wissenschaft rückblickend legitimieren. Die akademische Krisen- und Notrhetorik sieht John also als strategisches Argument, und zu Recht mahnt er die noch ausstehende Analyse des Krisendiskurses als eine Form des akademischen Umgangs mit Umbrüchen an, als deren komplementäre Form u.a. die Reform gelten kann.80 In dieser krisenhaft wahrgenommenen, aber förderintensiven Zeit der Weimarer Republik waren Wissenschafts- und Kulturförderung teilweise 77 | Trischler 2002, S. 27. 78 | Flachowsky 2010, S. 106. 79 | John 2010. 80 | Ebd., S. 113.

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einem bislang wenig untersuchten Widerstand ausgesetzt. Vorrangig aus der parlamentarischen Sozialdemokratie wurde Ende der 1920er Jahre Kritik eben daran formuliert, dass mit öffentlichen und Industriegeldern auch kulturwissenschaftliche Forschungen durch die Notgemeinschaft/ DFG gefördert würden, die als „alte humanistische Forschungen“ stigmatisiert und deren wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Nutzen als fragwürdig bezeichnet wurde.81 Zudem hätten sich in den Führungsspitzen beider Gesellschaften gerontokratische, autoritäre Strukturen der späten Kaiserzeit fortgesetzt, die eine öffentliche Kontrolle blockieren würden.82 Für die Anerkennung und Erhaltung beider Fördergesellschaften wurde auch wegen dieser Kritik eine fortgesetzte Orientierung auf industrieund gesellschaftsrelevante Forschung essentiell. Die nationalpolitische und nationalökonomische Relevanz der Förderpraxis wie der Forschung selbst wurde also nicht nur in den klassisch verdächtigen nationalistischen Kreisen der Weimarer Republik eingefordert, sondern auch in anderen politischen Lagern. Einige Archäologen/-innen balancierten diese Gemengelage günstig aus und bedienten sich dabei der erwähnten allgemeinen Krisen- und Notrhetorik, allerdings vor dem Hintergrund einer tatsächlichen Strukturschwäche der deutschen Archäologie. Die dadurch erreichte Förderung archäologischer Forschungen durch die Notgemeinschaft/DFG sollte die Institutionalisierung der Archäologie nachhaltig beeinflussen. Waren die Antragsteller Bodendenkmalpfleger/-innen, Mitarbeiter/-innen von Behörden und Museen, so kollidierten Wissenschafts- und Arbeitsverständnis dieser Einrichtungen mit demjenigen der Notgemeinschaft, denn die Behörden sahen die Museen, in denen diese Archäologen/-innen arbeiteten, kaum als Stätten der Forschung, sondern eher als solche der Bildung. Die meist schmalen Etats und Stellenausstattungen dieser Einrichtungen erlaubten deshalb kaum die Durchführung und Analyse von Forschungsprojekten, die über die Auswertung der Sammlungsbestände hinausgingen. Förderer wie die Notgemeinschaft/DFG kompensierten fortan diesen Mangel, vor allem aber wurden Ausgrabungen der Denkmalpflege auf diesem Wege als wissenschaftliche Arbeiten definiert und anerkannt. Diese Definition von Wissenschaft war aber scharf begrenzt und führte langfristig dazu, dass archäologisches Arbeiten in wissenschaftliche, 81 | Feldmann 1990, S. 106–110. 82 | Ebd.

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museale oder publizistische Aufgaben eingeteilt und infolge dessen hierarchisiert wurden, wie ein Beispiel aus Sachsen zeigt. 1930 klagte der sächsische Bodendenkmalpfleger Georg Bierbaum (1889-1953) in einem Antrag an die DFG, dass ihm nach zwei Grabungskampagnen auf der slawischen Wallanlage in Köllmichen das Geld und die Mitarbeiter dafür fehlen würden, um 30 Zentner keramisches Fundmaterial aufzuarbeiten. Die Ausgrabung war durch Vermittlung der Burgwall-AG von der Notgemeinschaft/DFG finanziert worden.83 Sein Antrag auf Förderung für diese Arbeiten wurde abgelehnt mit der Begründung, dass dies „museumstechnische“ Aufgaben seien.84 Bierbaum erlebte damit nicht nur die Konsequenzen einer fachunspezifischen, allgemeinen Forschungsförderung, sondern auch die Kehrseite des sog. Matthäus-Effektes. In seinem unzureichend budgetierten Amt, dem Archiv urgeschichtlicher Funde Sachsen, konnte er kaum erfolgreich Forschungsvorhaben weiterführen und beenden, geschweige denn beantragen und durchführen, weil die Grundausstattung mangelhaft war. Dagegen konnte Schuchhardt durch sein Renommee gemeinsam mit seinem Nachfolger Wilhelm Unverzagt (1892-1971)85 wiederholt Stiftungen mobilisieren, neue Forschungen stimulieren, die wiederum Renommee und neuerliche Förderungen nach sich zogen. Dabei fanden sie über mehrere gesellschaftliche Zäsuren hinweg jeweils die Balance zwischen modernem wissenschaftlichen Habitus und (wissenschafts-)politisch opportuner Zielsetzung ihrer Arbeiten. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Schuchhardt und Unverzagt 1927 die Burgwall-AG initiieren und realisieren konnten, das nach der Reichslimes-Kommission größte überregionale archäologische Forschungsprojekt in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ziele der AG waren die systematische Inventarisierung aller Burgwälle in Nord- und Ostdeutschland in Schleswig-Holstein, in den beiden Teilen Mecklenburgs, in Brandenburg, Pommern, Westpreußen, Ostpreußen, Schlesien, Sachsen und der Provinz Sachsen nach einheitlichen Kriterien sowie planmäßige Ausgrabungen von bedrohten oder besonders wichtigen Wallanlagen. Dafür mobilisierten Schuchhardt und Unverzagt die 83 |  Grunwald 2009b, S. 154–158. 84 | Bierbaum an Burgwall-AG am 18.7.1930; Unverzagt an Bierbaum am 21.7.1930: SächsHStA Dresden, Nachlass Coblenz 12821 Nr. 350, unpag. 85  |  Unverzagt 1985; Anke 1992; Coblenz 1992; Bertram 2002; dies. 2004/2005; Junker/Wieder 2004/2005; Brather 2001; ders. 2006; Leube 2007.

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Summe von insgesamt 167.200 RM, wovon 129.850 RM, d.h. 77 %, von der Notgemeinschaft/DFG zur Verfügung gestellt wurden, und die restlichen 23 % vom Reichsinnenministerium (3.000 RM), vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (27.850 RM), vom Preußischen Innenministerium (2.000 RM) und von den jeweiligen preußischen Provinzen (4.500 RM)86 (Abb. 5) Abb. 5: Finanzen der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung vor- und frühgeschichtlicher Wall- und Wehranlagen in Nord- und Ostdeutschland 1928 – 1932: 167.200 RM.

Quelle: Grunwald/Reichenbach 2009, 76-77; Grafik: S. Grunwald.

Durch Schuchhardts Arbeit im Notgemeinschafts-Fachausschuss ‚Völkerkunde/ Prähistorie/ Anthropologie’ waren er und Unverzagt zeitnah über die Pläne der Notgemeinschaft informiert worden, im letzten Viertel der 1920er Jahre verstärkt sog. Gemeinschaftsforschungen zu fördern, und konnten schnell mit einem Forschungskonzept reagieren.87 Gemeint war damit die koordinierte Arbeit mehrerer Wissenschaftler zu einem Thema, dessen Bearbeitung der nationalen Wirtschaft, der Volksgesund86 |  Grunwald/Reichenbach 2009, S. 76–77. 87 | Zur Vermittlung der frühen Idee eines Burgwallinventars von Hermann Hofmeister, einem Lübecker Lehrer, über Johannes Kretzschmar, den Staatsarchivrat der Hansestadt Lübeck, an den Landeshistoriker Otto Scheel in Kiel hin zu Schmidt-Ott und über diesen an Schuchhardt und Unverzagt: Grunwald 2011, S. 112–115.

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heit oder dem Volkswohl dienen sollte. Institutsübergreifende Gemeinschaftsarbeit und interdisziplinäre Projektforschung wurden dabei Weg und Ziel gleichermaßen.88 Das wahrscheinlich erfolgreichste Ausgrabungsprojekt, das aus der Burgwall-AG heraus entwickelt wurde, war die Untersuchung der Wallanlagen von Zantoch/Warthe (Santok, pow. Gorzów Wielkopolski, woj. Lubusz) zwischen 1932 und 1934.89 Im November 1933 beantragte Unverzagt als Ausgrabungsleiter und in seiner Eigenschaft als Chef der brandenburgischen Denkmalpflege rückwirkend beim Brandenburgischen Landesarbeitsamt die Anerkennung dieser Ausgrabungen als Notstandsarbeit.90 Er gab als „volkswirtschaftlichen Wert“ dieser Arbeiten die „nationalpolitische Bedeutung für den Kampf um den deutschen Osten“ an; mit den gleichen Argumenten gelang es ihm, die Gelder für die Kartierung des Schloßberges und den Einsatz des Reichsarbeitsdienstes zum Nachbau eines mittelalterlichen Turmes zu mobilisieren. Gegenüber dem DAI und der DFG, die neben dem Preußischen Kultusministerium und dem Museum für Vor- und Frühgeschichte die Ausgrabungen förderten, stellte 88 | 1928 waren bereits 12 Sonderkommissionen für entsprechende Forschungsprojekte gebildet worden; Mitte der 1930er Jahre arbeiteten 40 derartige Kommissionen. – Auszug aus dem Protokoll des Hauptausschuss-Sitzung der Notgemeinschaft vom 9. Januar 1925: BA Berlin R 73/89, Bl. 25–27. 89 | Zantochs Lage am Zusammenfluss von Netze und Warthe begründete seine vielfach kolportierte Bedeutung als strategisch wichtiger Wartheübergang. In den 1930er Jahren erstreckte sich das bescheidene Dorf am nördlichen Wartehufer entlang eines kleinen Höhenzuges. Eine seiner Kuppen wurde der Schloßberg genannt, wo Unverzagt 1934 Ausgrabungen durchführte und anschließend den sog. ordenszeitliche Turm errichten ließ, der bis heute dort erhalten ist. Unmittelbar am gegenüberliegenden Südufer befanden sich die obertägig sichtbaren Wallstrukturen einer mehrphasigen Befestigungsanlage, Schanze genannt, die schon zwei Jahre früher während einer Uferbegradigung zur Flussregulierung ebenfalls von Unverzagt archäologisch untersucht worden waren. Es waren diese Ausgrabungen, die aus dem Dörfchen Zantoch den Ort der „Burg im deutschen Osten“ machen sollten (Brackmann/Unverzagt 1936; Fehr 2004; Grunwald 2009a; dies. 2012). 90 | Unverzagt an Präsident des Landesarbeitsamtes Brandenburg am 03.11. 1933: Antrag auf Bewilligung einer Förderung nach § 139 AVAVG: SMB-PK/MVF IA 32 Bd. 1, unpag.

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er inhaltliche Aspekte und die nationale Bedeutung des Projektes in den Vordergrund. Das Reichserziehungsministerium schließlich überzeugte er, dass auf dem Schloßberg eine studentische Lehrgrabung durchgeführt würde, so dass dem Unternehmen auch eine ausbildungspolitische Bedeutung zukam. Mit diesen Argumenten gelang es Unverzagt, für die erste Grabungskampagne insgesamt 23.500 RM und für die zweite 15.700 RM einzuwerben.91 Abb. 6: Mischfinanzierung der Ausgrabungen auf dem Schlossberg und der Schanze von Zantoch 1934. Initiator und Antragsteller Wilhelm Unverzagt.

Quelle: Grunwald 2009; dies. 2012; Grafik: S. Grunwald.

Mit der zügigen Anerkennung seiner Forschungen in Zantoch als Notstandsarbeit hatte Unverzagt erfolgreich eine bis dahin noch kaum genutzte Quelle zur Unterstützung von Archäologie erschlossen, auf die er nun wiederholt zurückgreifen sollte.92 Archäologie war damit nicht länger nur Gegenstand der Kultur- und Wissenschaftspolitik, sondern nun auch der Wirtschafts-, genauer der Arbeitsmarktpolitik. Die dafür erforderliche, für alle gesellschaftlichen Teilsysteme verbindliche Legitimationsstrategie lieferte der völkisch-nationale Diskurs der Weimarer Republik, der nach 1933 zu einem nationalsozialistischen weiterentwickelt wurde. 91 | Grunwald 2009a, 236; dies. 2012, S. 164; dies. 2014. 92 | Lehrmann, Landesarbeitsamt Brandenburg, an Unverzagt am 9.12.1933: SMB-PK/MVF IA 32 Bd. 1, unpag.

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Arbeit wurde in diesem Diskurs seit den frühen 1920er Jahren eine neue, gesellschaftliche Relevanz zugewiesen, die über persönliche Erwerbssicherung und Gewinnstreben hinausging und Arbeit zum zivilen Dienst am und gleichzeitig zur sozialen Erziehung im Vaterland stilisierte.93 Während also die, spätestens seit 1918, erprobte Legitimationsstrategie der Archäologie als „nationale Wissenschaft“ auch nach 1933 nur geringer Modifikationen bedurfte, erweiterte sich das Spektrum der Akquisestrategien. Damit veränderte sich der Argumentationsrahmen für die Vertreter der Archäologie, den Mehrwert ihrer Forschung zu kommunizieren und für Unterstützung zu werben. Die Burgwall-AG und Grabungen wie die in Zantoch setzten Maßstäbe hinsichtlich der Beantragung und Förderung von überregionalen archäologischen Gemeinschaftsarbeiten. Nach ihrem Vorbild formierte sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ein inhaltlich vergleichbares Großprojekt zur Erfassung vor- und frühgeschichtlicher Befestigungsanlagen in Südwestdeutschland. Anfang November 1937 berieten bei der RGK in Frankfurt a. M. auf Initiative des Kulturdezernenten Hans-Joachim Apffelstaedt (1902-1944) und unter der Leitung Ernst Sprockhoffs (1892-1967) Archäologen und Kulturpolitiker aus der Rheinprovinz, aus Westfalen, Hessen-Nassau, Kurhessen, Württemberg, Baden und Bayern, um die „Bestandsaufnahme nach genau vereinbarten Gesichtspunkten und die gemeinsame Herausgabe des Corpus aller Wall- und Wehranlagen West- und Süddeutschlands“ in die Wege zu leiten.94 Das Reichserziehungsministerium vermittelte den Kontakt zur DFG. Dort wurden im April 1938 durch die RGK, die das Projekt „Bestandsaufnahme der vorgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen in West- und Süddeutschland“ leiten sollte, 15.000 RM Personal- und Reisemittel für das Projekt

93 | Seifert 1996, S. 24. 94 | Abschrift des Schreibens von Sprockhoff, RGK, an Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaften am 15.11.1937, vom 30.4.1938: BA Berlin R73/11867, Bl. 1-2; 27. Ber. RGK 1937 (1939) 6; 28. Ber. RGK 1938 (1940) 4-5. – Apffelstaedt nahm als Kulturpolitiker außerordentlich intensiv Einfluss auf die archäologische Forschung in der Rheinprovinz (Halle 2002, S. 176–177; Anm. 219). – Sprockhoff war zwischen 1935 und 1945 erster Direktor der RGK und lehrte ab 1947 Prähistorische Archäologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel (Willroth 2001; Müller 2009).

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erfolgreich beantragt.95 Die Arbeiten begannen (wahrscheinlich) Anfang 1939 mit jeweils unterschiedlicher zusätzlicher Finanzbeteiligung der einzelnen Provinzen.96 Die stetig steigenden Kosten dieses Projektes wurden innerhalb der DFG konsequent als gerechtfertigt betrachtet, da man das Projekt „in sachlichem Zusammenhang mit der früher von der Notgemeinschaft […] angeregten Aufnahme der Wall- und Wehranlagen in Nord- und Ostdeutschland“ sah.97 Als zusätzliches Motiv für eine Weiterförderung galt intern, dass Vertreter der ‚Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V.’ Interesse an der Fortsetzung der Arbeiten der früheren Burgwall-AG gezeigt hätten.98 Sprockhoff argumentierte ein Jahr nach Kriegsbeginn, dass durch die „Fortführung eines solchen bekannten Unternehmens auf wissenschaftlichem Gebiet dem gesamten Ausland“ gezeigt werden könne, „daß trotz gewisser durch den Krieg notwendig gewordener Einschränkungen wichtige kulturpolitische Unternehmungen und Vorhaben grundsätzlicher Art mit aller Energie weiter 95 | Abschrift des Schreibens von Sprockhoff, RGK, an Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaften am 15.11.1937, vom 30.4.1938: BA Berlin R73/11867, Bl. 3: Abteilung A sollte regionale Kataloge der Anlagen liefern, in Abteilung B sollten die Ergebnisse der seinerzeit laufenden und zukünftigen Ausgrabungen an den Befestigungen veröffentlicht werden. An Personalstellen wurden beantragt ein „Prähistoriker mit abgeschlossener Hochschulausbildung, der dauernd für die wissenschaftliche Überwachung zur Verfügung“ stehen sollte, ein Geometer und zwei Kartenzeichner. Diese Mitarbeiter sollten für Einheitlichkeit bei allen Dokumentationsschritten sorgen und in solchen Arbeitsgebieten verstärkt wirken, in denen solche Fachkräfte für die Projektarbeit nicht zur Verfügung standen. 96 | Abschrift des Schreibens von Werner in Vertretung von Sprockhoff, RGK, an Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaften am 18.3.1939, vom 27.3.1939: BA Berlin R73/11867, Bl. 1-2. 97 | Abschrift des Schreibens von Werner in Vertretung von Sprockhoff, RGK, an Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaften am 18.3.1939, vom 27.3.1939: BA Berlin R73/11867, Bl. 1-2. – Im Schreiben werden neben Reisekosten von 2.000 RM als Jahresgehälter für den wissenschaftlichen Hilfsarbeiter 3.000 RM, für den Geometer und seine Hilfskräfte 6.000 RM und für eine Kartographen 4.000 RM angegeben. 98 | Karl Griewank an DFG-Präsident Rudolf Mentzel vom 6.6.1939: BA Berlin R73/11867. Vgl. dazu auch: Mahsarski 2011, S. 231.

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betrieben“ würden.99 Zwischen 1939 und 1944 wurden der südwestdeutschen Burgwall-AG insgesamt 44.000 RM Fördermittel für die Bezahlung eines Topographen und eines Zeichners allein durch die DFG zugewiesen.100

Z äsuren und K ontinuitäten in der F orschungsförderung vor und nach 1945 Die Finanzierungsgeschichte der deutschen Prähistorischen Archäologie ist auch für die Zeit nach 1945 noch nicht systematisch untersucht worden. Dennoch kann anhand des vorliegenden Forschungsstandes konstatiert werden, dass nach Kriegsende und anschließender Gliederung des Landes in Besatzungszonen mehrheitlich wieder tradierte Forschungsförderungsstrukturen, Antragsstrategien und Evaluationskriterien für die Archäologie wirksam wurden.101 Obwohl 1945 die Notstandsrhetorik der Vorkriegszeit von der Gegenwart eingeholt worden war, konnte spätestens ab Ende der 1940er bzw. Beginn der 1950er Jahren wieder strukturell und inhaltlich an die Vorkriegsverhältnisse angeknüpft werden. Dies ist erstaunlich, da doch die als Weltanschauungswissenschaft bezeichnete Archäologie als heteronome Wissenschaft direkt vom politischen und ideologischen Zusammenbruch Deutschlands betroffen war. Als Erklärung dürfen jedoch die zahlreichen persönlichen Kontinuitäten in vielen Forschungsregionen angeführt werden, die in der Nachkriegszeit wirksam wurden. Bis zur Gründung beider deutscher Staaten 1949 99 | Sprockhoff an Mentzel am 19.3.1940: BA Berlin R73/11867. 100 | 1939: 10.000 RM (Bewilligung DFG an RGK am 7.6.1939); 1940: 6.000 RM (Mentzel an Sprockhoff, RGK, am 22.4.1940); 1941: 8.000 RM (Bewilligung DFG an RGK am 18.4.1941; zit. in DAI an RGK am 23.1.1942); 1942: 8.000 RM (Mentzel an Sprockhoff, RGK, am 20.4.1942); 1943: 6.000 RM (Mentzel an Sprockhoff, RGK, am 17.4.1943); 1944: 6.000 RM (Bewilligung DFG an RGK am 12.5.1944); alle BA Berlin R73/11867; 29. Ber. RGK 1939 (1941) 3-4; 30. Ber. RGK 1940 (1941) 3; 31. Ber. RGK 1941, 1. Teil (1942) 3-4. – Eine Auswertung der Arbeit der südwestdeutschen Burgwall-AG, wie sie für diejenige in Ostdeutschland am Beispiel der Untersuchungsregionen Sachsen und Schlesien jüngst geleistet wurde, steht noch aus (Sprockhoff 1956). 101 | So für die Reihengräberarchäologie in Südwestdeutschland: Fehr 2010.

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waren oftmals fach- und wissenschaftsfremde, von den Alliierten eingesetzte Gutachter die Adressaten von Auf bauappellen und Neukonzeptionen der Vertreter verschiedener archäologischer Museen, Lehrstühle und Einrichtungen der Bodendenkmalpflege in den Besatzungszonen.102 Für die Beurteilung, welche Forschung, welche Lehre, welche/r Wissenschaftler/-in wieder zugelassen und gefördert werden sollten, existierten als externer Maßstab die Einschätzung der Entnazifizierungskommissionen und als interner das Urteil der Fachkollegen, von denen Entlastungszeugnisse eingeholt werden konnten.103 Der überall spürbare Fachkräftemangel und der Wunsch der Alliierten, in ihren Besatzungszonen funktionstüchtige ökonomische und, dafür essentielle, akademische Strukturen wieder herzustellen, führten dazu, dass die ersten Einschätzungen der Entnazifizierungskommissionen oftmals bald wieder entschärft wurden und das Urteil der Fachkollegen deutlich mehr Gewicht gewann. Unter diesen Umständen manifestierte sich die bereits seit den frühen 1930er Jahren praktizierte Polarisierung in „gute“ und „schlechte“ deutsche Archäologen – in das „Lager Reinerth“ und das „Lager Merhart“ in Westdeutschland, das „Lager Hermann Jacob-Friesen und Gustaf Schwantes“ in Norddeutschland bzw. das „Lager Unverzagt“ in Ostdeutschland.104 Zusätzlich wurde die Idee eines unpolitischen Kerns der Wissenschaft aufrechterhalten, der unabhängig von politischen Konjunkturen von entsprechenden Fachvertretern/-innen gepflegt worden sei.105 Mit diesen Vereinfachungen blieben nicht nur die inhaltlichen und moralischen Unschärfen des Selbstbildes der Archäologen/-innen weiter102 | In den einzelnen Besatzungszonen existierte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren für die gesellschaftlichen Felder Wissenschaft und Kultur keine einheitliche Strategie, so dass es zu verschiedenen regionalen Entwicklungen kam. Konsens bestand bei den Alliierten allerdings darüber, die Universitäten vorrangig als Lehr- und weniger als Forschungsstätten zu behandeln und diese Kompetenz auszubauen (Malycha 2009, S. 44). 103 | Schlegelmilch 2012, S. 16. – Zu den Auswirkungen der Entnazifizierungsverfahren an den deutschen Universitäten: Malycha 2009, S. 31–38; allgemein für das wissenschaftliche Feld in Deutschland: Ash 2010, S. 224–228. 104 | Zu Hans Reinerth u.a. Schöbel 2002; zu Gero von Merhart und der „Lager“-bildung innerhalb der deutschen Prähistorischen Archäologie: Schlegelmilch 2012; zu Jakob-Friesen und Schwantes: vgl. Mahsarski 2011, S, 291ff.; 298–311 105 | U.a. Schlegelmilch 2012, S. 17; Mahsarski 2011, S, 291ff.

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hin bestehen, sondern auch die Vielfalt der Anpassungsleistungen deutscher Prähistoriker/-innen zwischen 1918 und 1945 wurde nicht als solche wahrgenommen und reflektiert. Konserviert wurden dadurch sowohl die Ressourcenstrategien, die z.B. Unverzagt geholfen hatten, sich und die archäologische Burgwallforschung zu etablieren, als auch die Vorstellungen einer strukturellen Gliederung der Prähistorischen Archäologie. Ungeachtet der politischen und militärischen Zäsuren überdauerten deshalb das Netzwerk deutscher Archäologen/-innen sowie die mit dem Matthäus-Effekt zu bezeichnende Anerkennungsmechanik wissenschaftlicher Leistungen. Das bis Ende der 1930er Jahre erworbene wissenschaftliche Renommee einzelner Archäologen/-innen behielt mit wenigen Ausnahmen seine Gültigkeit und seinen Wert und wurde zum Argument bei fachinternen Evaluationen. Für Westdeutschland sei hier exemplarisch auf die Karrieren von Herbert Jankuhn (1905-1990) und Joachim Werner (1909-1994) verwiesen, für Ostdeutschland auf diejenige Unverzagts.106 In der frühen Bundesrepublik blieb die archäologische Forschungslandschaft aus Universitätsinstituten, Bodendenkmalämtern und Museen dagegen dezentral organisiert und wurde von einer stetig wachsenden Anzahl von verschiedenen Forschungsförderungseinrichtungen finanziell unterstützt. Zahlreiche Altertumsvereine und Verbände blieben aktiv oder wurden wieder gegründet und leisteten in kleinem Umfang vereinsfinanzierte Forschungen.107 Besonders die bei der 1949 in Bad Godesberg bei Bonn neu gegründeten DFG seit 1953 eingerichteten Schwerpunktprogramme und die seit 1968 geförderten Sonderforschungsbereiche verbesserten die Bedingungen für archäologisches Forschen außerordentlich; eine wissenschaftsgeschichtliche Analyse dessen steht allerdings noch aus.108 Da die Entwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR anders verliefen, soll darauf hier noch kurz eingegangen werden. Unverzagt hatte 1947 damit begonnen, auf bescheidenem Niveau und gegen politische Widerstände im schwer zerstörten und geteilten Berlin die Prähistorische Archäologie zu reorganisieren. Die sowjetische Mili106 | Zu Jankuhn: Hufen 1998; Johansen 2002; Steuer 2000; ders. 2001b; ders. 2004; Eickhoff/Halle 2007; Müller undat; ders. 2009; Mahsarski 2011. – Zu Werner: Fehr 2001; ders. 2010, S. 482–496; 517–520; 545–549. 107 | Kunow 2002. 108 | Treue 1990; Trischler 1999; Orth 2010.

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täradministration hatte sich gegen ein Weiterbestehen des von Reinerth geführten Lehrstuhls an der ehemaligen Friedrich-Wilhelm-Universität ausgesprochen und Unverzagt war im Zuge der Entlassung aller NSDAP-Mitglieder aus öffentlichen Ämtern aus dem Museumsdienst entlassen worden und stellenlos. Unterstützt wurde er durch zahlreiche Archäologen, aber vor allem durch ehemalige Kooperationspartner verschiedener Disziplinen, die er seit den Tagen der Deutschen Ostforschung kannte. Die Preußische Akademie der Wissenschaften in der Berlin, die 1946 als Deutsche Akademie der Wissenschaften (DAW) wiedereröffnet wurde, war für Unverzagt ein wesentlicher Kommunikationsknotenpunkt, wo er 1947 die Kommission für Vor- und Frühgeschichte einrichtete.109 Dafür waren die Entwicklung neuer Forschungsstrukturen und die Anpassung an die Idee einer vollständig staatlichen, universalen Akademie erforderlich. Der inhaltliche Kern der Forschungen sollte aber unter Unverzagts Ägide mit den Schwerpunkten Burgwallforschung und Stadtgründungsgeschichte unverändert bleiben. Allerdings waren die wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen radikal verschieden zu denjenigen vor 1945: In der sowjetischen Besatzungszone wurde 1.) der überwiegende Teil der Forschungsarbeit von den Universitäten an die Akademie der Wissenschaften und ihre Institute verlagert; 2.) wurde jede Art privater Forschungsförderung durch eine einzige zentralisierte Form der Finanzierung ersetzt und 3.) wurden die durch die Gleichschaltung während des Nationalsozialismus ohnehin bereits gelähmten Vereinsforschungen nicht wieder belebt, da keine Vereine genehmigt wurden.110 Anfang der 1950er Jahre hatte der Prozess der Bündelung aller Belange der ostdeutschen Archäologie bei der Akademie unter seiner Regie begonnen. Ende 1951 wurde die Kommission in eine Sektion für Vor- und Frühgeschichte an der Akademie umgewandelt und schließlich im April 109 | „Nachdem die Vor- und Frühgeschichtsforschung in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch infolge ihrer besonderen Stellung während der Naziherrschaft zur Untätigkeit verurteilt war, findet sie seit ihrer mit Recht erfolgten Eingliederung in den Rahmen der Gesellschaftswissenschaften ein immer größeres Interesse seitens der zuständigen Regierungsstellen.“ (Johannes Irmscher zitiert aus einem Schreiben von Unverzagt an die DAW in seinem Schreiben an die Staatliche Kunstkomm. vom 20.12.1951: ABBAW Bestand AKL 169, Institut für VFG 1, 1946–1965, unpag.). 110 | Strukturen wie der Kulturbund verfügten kaum über Etats (Widera 2010).

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1952 konstituiert.111 Sie sollte „eine reibungslose Zusammenarbeit aller an der Vorgeschichte interessierter Stellen in der DDR“ herbeiführen. In der Sektion waren „alle wesentlichen Kollegen vertreten […] Das Ganze stellt eine RGK des Ostens dar. […] Es besteht die Absicht, auch einige Vertreter des Westens hineinzuwählen, die an den Ostarbeiten interessiert sind.“112 Zu diesem Zeitpunkt befassten sich in der DDR drei Stellen mit Prähistorischer Archäologie und Denkmalpflege: die Kommission für Vor- und Frühgeschichte an der DAW, das Staatssekretariat für Hochschulwesen, das die Durchführung von Forschungen seitens der Hochschullehrer koordinierte, und die Kunstkommission, die im Rahmen der zu errichtenden Landesdenkmalämter die Bodendenkmalpflege durchführen sollte.113 Ende 1952 wurde die Aufgabenteilung für die Archäologie in der DDR endgültig festgelegt und Unverzagt zum Schnittpunkt aller archäologischen Diskurse in der DDR: Unter seiner Leitung sollten von der DAW 111 | Unterlagen für eine Antrag auf Errichtung eines Institutes für Vor- und Frühgeschichte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften von Unverzagt vom 16.1.1947: ABBAW Bestand Schnellerstrasse A 3400, unpag.; Unverzagt an Marschalleck am 16.2.1952; Unverzagt an Karl H. Marschalleck am 9.4.1952: SMBPK/MVG Archiv IX f 4, Nachlass Unverzagt, 1952-1955, unpag. 112 | Unverzagt an Otto Kunkel am 16.6.1952: SMB-PK/MVG Archiv IX f 4, Nachlass Unverzagt, 1952-1955, unpag.; Unverzagt, Sektion für Vor- und Frühgeschichte, 9.6.1961: ABBAW 226, unpag. 113 | Da die DAW keinerlei administrative Funktionen besaß, veranlasste Unverzagt die Beschlussfassung darüber, dass der Sektion für Vor- und Frühgeschichte die „wissenschaftliche Leitung der Bodendenkmalpflege“ und den dem Staatssekretariat für Hochschulwesen unterstellten bisherigen Landesmuseen die Durchführung der Bodendenkmalpflege übertragen wurde. Die zu sog. Forschungsstellen umstrukturierten ehemaligen Landesmuseen übernahmen die administrativen Funktionen der bisherigen Landesämter für Bodendenkmalpflege und koordinierten die Arbeit der hauptamtlichen Bezirksfundpfleger und ehrenamtlichen Kreisfundpfleger (Unverzagt an Sekretar der Gesellschaftswiss. Klasse am 15.10.1952: ABBAW Bestand AKL Sektionen 226, Sektion für VFG, unpag.). – An die Forschungsstellen blieben jeweils Museen gebunden, die der unmittelbaren Popularisierung der Denkmalpflege und Forschung dienten (Holtzhauer, Vorsitzender d. Staatl. Komm. f. Kunstangelegenheiten bei der Regierung der DDR, an Friedrich, Präsidium der DAW, am 18.6.1952: ABBAW Bestand ZIAGA 3423 Bodendenkmalpflege der DDR, 1952-1958, unpag.).

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aus Forschungsgrabungen durchgeführt und „prähistorische Materialien“ gesammelt werden. Als landesweites Gremium sollte die Sektion für Vor- und Frühgeschichte der Beratung, Anleitung und Koordinierung der archäologischen Forschung sowie der damit verbundenen öffentlichen Belange, also der Bodendenkmalpflege, dienen.114 Am 14. Oktober 1953 wurde die Kommission in ein Institut für Vor- und Frühgeschichte umgewandelt, dem Unverzagt als Direktor vorstand.115 Während das Akademieinstitut zur Forschungszentrale ausgebaut wurde, übernahmen die in den einzelnen Ländern der SBZ arbeitenden „Urgeschichtsmuseen“ „alle in ihrem Bereich anfallenden Aufgaben der Bodendenkmalpflege, der Erforschung und musealen Darstellung der Geschichte der Urgesellschaft“. 116 Durch die Antrags- und Publikationskultur und die zahlreichen persönlichen Forschungsaufträge der DAW an die Leiter/-innen der regionalen Denkmalämter wurde das Netzwerk ostdeutscher Archäologen/-innen in der frühen DDR verfestigt und auf einzigartige Weise von einer einzelnen Institution und zeitweilig von einem Fachvertreter koordiniert. Unverzagt nahm von der Akademie aus direkt Einfluss auf die regionalen Arbeiten, denn seit 1955 wirkte er auch als Gutachter für alle archäologischen Forschungsanträge der Universitätsinstitute und Museen an das 1951 gegründete Staatssekretariat für Hochschulwesen/Staatsse114 | Helmut Holtzhauer, Vorsitzender d. Staatl. Komm. f. Kunstangelegenheiten bei der Regierung der DDR, an Friedrich, Präsidium der DAW, am 18.6.1952; Josef Naas an Holtzhauer am 8.7.1952; Naas an Unverzagt, 8.7.1952: ABBAW Bestand ZIAGA 3423 Bodendenkmalpflege der DDR, 1952-1958, unpag.; Irmscher an Naas am 6.11.1952: ABBAW Bestand AKL Sektionen 226, unpag. – Zum Vergleich die zeitgenössische Darstellung dieser Entwicklung: Daten zum Wiederaufbau der Vorgeschichtsforschung in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1955. Ausgr. u. Funde 1, 1956, S. 2f. 115 | Fritz Rörig an Akademie-Leitung am 18.2.1949, 3 S.; Irmscher an Komm. f. Vor- und Frühgeschichte am 6.10.1953; Unverzagts Antrag an Klasse für Gesellschaftswissenschaften auf Umwandlung der Kommission in ein Institut am 14.10.1953; Schreiben der DAW an das Finanzministerium der DDR am 7.12.1953; Ordnung der Aufgaben und der Arbeitsweise des Instituts für Vor- und Frühgeschichte der DAW vom 14.3.1957: ABBAW Bestand AKL 169, Institut für Vor- und Frühgeschichte, unpag. 116 | Rahmen-Entwurf „Entschließung über die Aufgaben und die Entwicklung der urgeschichtlichen Museen in der DDR Mai 1953": ABBAW AKL 169, unpag.

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kretariat für Hoch- und Fachschulwesen zuständig,117 das größtenteils die Forschungsgelder bereitstellte. Unverzagt wurden die Themenvorschläge der einzelnen Institute vorgelegt und er kommentierte sie. Zusätzlich oblag ihm zumindest in den 1950er Jahren auch die Erteilung der Druckgenehmigung verschiedener Fachperiodika, so dass ein enger inhaltlicher Austausch über die regionalen Arbeiten stattfand.118 Unter diesen Bedingungen war Unverzagt der erste Archäologe in der deutschen Archäologiegeschichte, der über einen längeren Zeitraum hinweg praktisch allein archäologische Projektanträge eines großen Forschungsgebietes evaluierte. Auch innerhalb der Finanzierungsgeschichte der Archäologie nimmt Unverzagt eine singuläre Position ein. Es gelang ihm, in drei aufeinanderfolgenden wissenschaftspolitischen Systemen wissenschaftliche Anerkennung in Aktivposten umzuwandeln und dabei seinen Rang als Wissenschaftler stetig zu steigern, wobei er sich auf nur zwei Forschungsschwerpunkte konzentrierte.119 Die abwägende und ihr Füllhorn tragende Aequitas, die Tugend des Gleichmuts und der Gleichheit, versinnbildlicht die wesentlichen Aspekte der modernen Finanzierungsgeschichte der Prähistorischen Archäolo117 | Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens vom Februar 1951. Mit zentraler Steuerung durch das Staatssekretariat für Hochschulwesen; http://www.ddr-schulrecht.de/Schulrechtssammlung%20-%20DDR-Dateien/ pdf/1958-b.pdf; Stand: 1.2.2011; Abt. Forschung beim Staatssekretariat für Hochschulwesen an Unverzagt am 16.10.1956: ABBAW Bestand ZIAGA 3423 Bodendenkmalpflege der DDR, 1952-1958, unpag. 118 | Nachgewiesen für „Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege“: Abt. Forschung beim Staatssekretariat für Hochschulwesen an Unverzagt am 16.10.1956: ABBAW Bestand ZIAGA 3423 Bodendenkmalpflege der DDR, 1952-1958, unpag. 119 | Die Verleihung des mit 50.000 DM dotierten Nationalpreises der DDR an Unverzagt anlässlich des 10. Jahrestages der Gründung der DDR 1959 ist eines der zahlreichen Indizien für die erfolgreiche Positionierung Unverzagts in der frühen DDR (Irmscher, Protokoll zu Sitzung am 30.9.1954 vom 11.10.1954: SMBPK/MVG Archiv IX f 4, Nachlass Unverzagt, 1952-1955, unpag.; Regierung der DDR, der Ministerpräsident, Büro des Förderungsausschusses, an Unverzagt am 25.9.1959; ders. an Unverzagt am 6.10.1959: SMB-PK/MVG Archiv IX f 4, Nachlass Unverzagt, 1956-1961, unpag.).

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gie auf elegante Art – die Evaluation und die Mittelvergabe (Abb. 7). Die bisher geleisteten Forschungen deuten bereits die Regeln, Bedingungen und Strategien an, unter denen diese beiden Aspekte der Wissenschaftsförderung vor allem seit der Wende zum 20. Jahrhundert in der Prähistorischen Archäologie ausgehandelt wurden. Es zeigt sich, dass der Rahmen dieser Aushandlungsprozesse oft durch unterschiedlich formatierte, wiederholt hochpolitisierte Förderstrukturen gesetzt wurde. Die Fragen, inwieweit die strukturelle Entwicklung der deutschen Prähistorischen Archäologie an den Zielen und Wissenschaftskonzepten dieser Förderstrukturen orientiert wurde und welche inhaltlichen Konsequenzen sich daraus für archäologische Forschungskonzeptionen ergaben, könnten im Rahmen einer Finanzierungsgeschichte der Archäologie beantwortet werden. Abb. 7: Aequitas auf der Münze des spätrömischen Kaiser Claudius II. (268 – 270)

Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Antoninianus_ Claudius_II-RIC_0137.jpg&filetimestamp=20070118153531

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Ludwig Roselius als Förderer der Prähistorischen Archäologie Sabrina Schütze

Zusammenfassung Der Bremer Großkaufmann Ludwig Roselius unterstützte in den 1920er und 1930er Jahren die Prähistorische Archäologie, indem er in seiner Heimatstadt ein Vorgeschichtsmuseum errichten ließ. Als er den Entschluss zum Auf bau des Museums fasste, verfügte er bereits über eine kleine Sammlung prähistorischer Funde und Repliken. Die Erweiterung dieser Sammlung ging mit der Förderung der Vorgeschichte einher, da Roselius und der von ihm ernannte Museumsleiter Hans Müller-Brauel versuchten, über vielfältige Wege Objekte für das Museum zu erwerben. Der Leiter des Museums führte von Ludwig Roselius finanzierte Ausgrabungen durch und bereiste beispielsweise Deutschland und Skandinavien, um Funde und Repliken zu erhalten. Außerdem wurde mit Alfred Rust ein junger, autodidaktischer Archäologe verpflichtet, durch Ausgrabungen in Syrien zusätzliche Stücke für die Sammlung des Vorgeschichtsmuseums zu beschaffen. Eine weitere Unterstützung des akademischen Faches der Prähistorischen Archäologie kann in Veranstaltungen wie den Nordischen Thingen, die zahlreiche hochkarätige Gäste aus Kultur, Politik und Wissenschaft nach Bremen lockten, gesehen werden. Die an das Museum angeschlossene Bibliothek des Prähistorikers Gustaf Kossinna bot darüber hinaus eine Fülle von Informationen für interessierte Wissenschaftler/-innen.

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Summar y In the 1920s and the 1930s the Bremen merchant Ludwig Roselius supported the prehistoric archeology by building a museum of prehistory in his hometown. When he decided to build up the museum, he already owned a small collection of prehistoric finds and replications. The enlargement of this collection was attended by the support of prehistory, because Roselius and Hans Müller-Brauel, the curator of the museum appointed by the former, tried to obtain new objects for the museum in many ways. The curator himself carried out archeological excavations funded by Roselius. He also visited Germany and Scandinavia to aquire a corpus of finds and replications. Furthermore, the young autodidactic archeologist Alfred Rust was pledged to increase the museum’s exhibits by undertaking archeological excavations in Syria. Another way promoting the academic subject of prehistoric archeology were events like the „Nordische Thinge”, which brought many important guests of culture, politics and science to Bremen. The library of the famous prehistorian Gustaf Kossinna, which belonged to the museum, offered in addition plenty of information for interested scholars.

E in G rossk aufmann als M ä zen Der Bremer Großkaufmann Ludwig Roselius (1874 – 1943) war eine facettenreiche Persönlichkeit und wirkte vor allem in seiner Heimatstadt als Mäzen. Zahlreiche Ergebnisse dieser finanziellen Förderung sind noch heute in der zentral gelegenen Böttcherstraße zu finden. Künstler wie Bernhard Hoetger (1874-1949) prägten das Erscheinungsbild der namhaften Straße, in deren Häusern Roselius‘ Kunstsammlungen untergebracht sind. Dieser hatte verschiedene kulturelle Institutionen in der Böttcherstraße einrichten lassen, die in der Öffentlichkeit hauptsächlich aufgrund ihrer architektonischen Gestaltung kontrovers diskutiert wurden. In den 1920er und 1930er Jahren förderte Ludwig Roselius ein besonderes kulturelles Projekt: Das Museum „Väterkunde“ Vorgeschichtliche Sammlung mit Kossinna-Bibliothek in der Böttcherstraße, das prähistorische Funde und Repliken zeigte. Roselius, der Gründer von Unternehmen wie Kaffee HAG und Kaba Kakao war, unterstützte neben dem Auf bau dieses Museums zahlreiche Künstler und Kunsthandwerker, aber

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auch Privatgelehrte auf dem Gebiet der Archäologie wie Herman Wirth (1885-1981).1 Die Einrichtung des Museums erfolgte in enger Zusammenarbeit mit Roselius‘ langjährigem Freund, dem Heimatforscher Hans Müller-Brauel (1867–1940) aus Zeven im heutigen Landkreis Rotenburg/ Wümme. Bisher ist keine umfangreichere Arbeit erschienen, die sich explizit mit dem Museum „Väterkunde“ auseinandersetzt. Die bereits vorhandenen Studien konzentrieren sich vornehmlich auf den „Paten“ der Böttcherstraße, Roselius. Sie nehmen eine unterschiedliche Bewertung seiner Person vor, insbesondere hinsichtlich seiner Rolle im Nationalsozialismus. Der vorliegende Tagungsbeitrag basiert auf meiner Masterarbeit, die im Rahmen des von Prof. Dr. Uta Halle und Dr. Dirk Mahsarski geleiteten Forschungsprojekts „Vorgeschichtsforschung in Bremen unterm Hakenkreuz“ an der Universität Bremen und der Vorbereitung der Sonderausstellung des Bremer Focke-Museums „Graben für Germanien – Archäologie unter dem Hakenkreuz“ entstand.2 In diesem Kontext habe ich neues, umfangreiches Quellenmaterial erschlossen, das neue Erkenntnisse in Bezug auf das Museum „Väterkunde“ und Roselius’ Engagement für die Prähistorische Archäologie liefert.

L udwig R oselius und die P r ähistorische A rchäologie Es war Roselius ein Anliegen, Kunst, Wissenschaft und Kultur in Bremen zu unterstützen. Im Zentrum meiner Ausführungen soll seine Förderung der Prähistorischen Archäologie stehen. Es war nicht Roselius’ primäres Ziel, die Vorgeschichtsforschung zu fördern, eine Unterstützung des Faches ging jedoch mit dem Auf bau des Museums „Väterkunde“ einher: Sie erfolgte durch den Ankauf von Objekten, Repliken und Modellen für das neue Museum sowie durch Veranstaltungen wie die Nordischen Thinge, die im direkten Zusammenhang mit dem Museum standen. Damit trug Roselius’ zur Herausbildung von Netzwerken in Nordwestdeutschland und zur Etablierung einer Perspektive auf die nationale Vorgeschichte 1 | Vetter 2002, S. 12. 2 | Focke-Museum 2013; Mahsarski/Schütze 2013. Die Masterarbeit wurde am 31.12.2011 an der Universität Bremen eingereicht und angenommen und von Prof. Dr. Uta Halle und Dr. Eva Schöck-Quinteros betreut.

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bei, wie sie später z. B. durch die 1935 gegründete Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte Deutsches Ahnenerbe e.V. deutschlandweit zum Beweis der Überlegenheit des „Germanentums“ eingerichtet und kommuniziert wurden.3 Das Museum „Väterkunde“ befand sich an einem der prominentesten Orte der Stadt, in der zwischen dem Bremer Marktplatz und der Weserpromenade gelegenen Böttcherstraße, die auch heute noch eine wichtige touristische Attraktion ist. Sein Stellenwert kann nicht ohne die Bedeutung dieser Straße verstanden werden, wie ein zeitgenössisches Zitat des Schriftstellers Manfred Hausmann (1898-1986) zeigt. Dieser stellte fest, dass die Böttcherstraße als Gesamtkomplex zu begreifen ist: „Die Straße formt sich ihren Menschen. Sie tut dies teils passiv, einfach indem sie – schön oder hässlich – da ist, teils aktiv, indem sie sich, denken wir nur an das Gröbste, an Schaufenster, Plakate, Reklameschilder, unmittelbar an den Vorübergehenden wendet. Ihr Wesen ist in jedem Sinne ein Wirken in die Öffentlichkeit hinein, ein Formen, Hämmern, Bilden, Schöpfen. Kurzum, die Straße ist, ob sie will oder nicht, Propaganda.“4 Hausmann wies der Straße und ihren Gebäuden selbst die größte Relevanz für die Vermittlung von Ideen zu. Er interpretierte sie als eine Form der Werbung, die Einfluss auf die Menschen nahm, die die Böttcherstraße durchschritten.

D as M useum „V äterkunde “ in der B remer B öt tcherstr asse Ludwig Roselius hatte die alte Böttcherstraße in den 1920er und 1930er Jahren neu gestalten lassen. Sie beherbergte nicht nur Museen, sondern auch Werkstätten und Ateliers derjenigen Künstler und Kunsthandwerker, die er förderte. Des Weiteren befanden sich dort die Bremen-Amerika-Bank, das Institut für Leistungsprüfung, das Restaurant Flett und einige weitere Einrichtungen. All dies war in den verschiedenen Häusern der Böttcherstraße untergebracht, die Namen trugen wie Paula Becker-Modersohn- oder Roselius-Haus. Das Museum „Väterkunde“ war im Haus Atlantis ansässig und wurde dort im Jahr 1933 im Rahmen des Ers3 | Vgl. dazu den Beitrag von D. Mahsarski im vorliegenden Band. 4 | Hausmann 1930, S. 6.

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ten Nordischen Things eröffnet. Sein voller Name lautete Museum „Väterkunde“ Vorgeschichtliche Sammlung mit Kossinna-Bibliothek, da Ludwig Roselius die umfangreiche Bibliothek Gustaf Kossinnas (1858-1931) kurz nach dessen Tod erworben und im Frühjahr 1932 im Haus Atlantis untergebracht hatte.5 Die Gestaltung des Hauses Atlantis ging auf die Theorie des Privatgelehrten Herman Wirth zurück, die „nordisch-germanische Kultur“ hätte ihren Ursprung in Atlantis, welches sich in der Arktis befunden habe.6 Die Außenfassade griff diese Idee auf. Zu sehen waren beispielsweise neben Elementen aus der Edda ein Lebensbaum, aber auch verschiedene Symbole, die in Anlehnung an Wirths Arbeiten die Verflechtung von „Christentum und imaginiertem Germanenglauben“ teilweise dramatisch visualisierten.7 Auf diese Weise sollten das Haus selbst und seine Ausstellungsstücke jede/n Deutsche/n zum Nachdenken über die „stolze Vergangenheit“8 seiner/ihrer Vorfahren anregen.

D ie M otivation des G rossk aufmanns Es drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, was einen Großkaufmann dazu bewog, ein solches Gebäude nebst Museum zu errichten. Roselius fühlte sich der völkischen Bewegung eng verbunden und auch er empfand den Versailler Vertrag als Schmach.9 Ihm war daran gelegen, dass Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg wieder bestmöglich aufgebaut würde. Dieser Auf bau sollte insbesondere auf ideologischer und moralischer Ebene geschehen. Zu diesem Zweck veröffentlichte er bereits im Jahr 1919 Briefe aus seiner Korrespondenz sowie selbst verfasste Texte, die beispielsweise in der Presse veröffentlicht wurden. Beides sollte zum 5 | Grünert 2002, S. 350-352. Grundlegend zu Kossinna als einem der einflussreichsten deutschen Prähistoriker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Grünert 2002. 6 | Strohmeyer 1993, S. 32f. 7 | Schreiben von L. Roselius an Otto Wagener vom 17.10.1935 (Archiv Böttcherstraße Bremen, Ordner O2).  8 | Prospekt Haus Atlantis (um 1932) (StaB, 3-S.8.b. Böttcherstraße [9]). Puschner 2001, 245.  9 | Roselius 1933a, S. 167ff. Zur völkischen Bewegung grundlegend Puschner u.a. 1996; 2001; 2002; Breuer 2008.

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Nachdenken und zur Mitarbeit am deutschen Wiederauf bau anregen.10 So propagierte er in einem zuvor in den Bremer Nachrichten abgedruckten Artikel: „Ist erst die Einheitlichkeit eines vom Vertrauen des ganzen Volkes getragenen Programmes erzielt, haben wir wieder eine Fahne, so wächst uns wieder die Macht. Ohne Willen zur Macht aber, darüber kann uns der schönste Völkerbund nicht hinwegbringen, sind wir als deutsche Nation verloren.“11 Es ist anzunehmen, dass er aus seinem Wunsch des Wiederaufstiegs Deutschlands heraus später auch den Nationalsozialismus befürwortete und glaubte, durch ihn seine Ideen auch in Bezug auf die „Väterkunde“ schneller und wirkungsvoller umsetzen zu können.12 Roselius’ Vorwort in der Neuauflage der „Briefe“ aus dem Jahr 1933 deutet darauf hin, dass er mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten einige der von ihm im Jahr 1919 aufgeführten Ziele erreicht sah. Dort hieß es: „Vierzehn Jahre sind vergangen, seitdem dieses Buch geschrieben ist. Zusammenfassung der deutschen Frauen und Männer für ein starkes, freies und besseres Deutschland war Zweck der Schriften. Erst heute stehen wir dort, wo wir damals hätten stehen sollen. Viel Leid und Mißgeschick wäre vermieden worden, hätte solche Erkenntnis sich früher Bann gebrochen. Die alte Führerschaft hatte versagt – nicht im militärischen Sinne – , ihr fehlte aber die geistige Kraft. Der neue Führer mußte erst wachsen. – Nur ein Mann aus dem Volke, ohne Vergangenheit, ein Mann der Neuzeit, konnte Führer werden.“13 Roselius verstand sein Museum als Belehrungs- und Propagandainstrument.14 Es sollte die Besucher an ihre Vorfahren erinnern und damit ihr Selbstbewusstsein stärken. Diese Vorfahren bezeichnete Roselius als

10 | Roselius 1919, S. V. 11 | Roselius 1933a, S. 111. 12 | Schreiben von L. Roselius an H. Müller-Brauel vom 08.07.1936 (Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig, Archäologisches Landesmuseum, Dokumentationsarchiv, Archivalien des ehem. Ludwig Roselius-Museums für Frühgeschichte, Worpswede [Slg. Roselius], Bestand 2 Unterlagen H. Müller-Brauel, 1. Korrespondenzen mit Personen, 51. Generalkonsul Dr. h.c. L. Roselius). 13 | Roselius 1933a, S. 5. 14 | Schreiben von L. Roselius an B. Hoetger vom 19.03.1924 (Archiv Böttcherstraße Bremen, BR, Hoe, 176).

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„Germanen“ oder „nordische Menschen“.15 Der Glaube an die Überlegenheit der „Germanen“, wie er im Museum „Väterkunde“ präsentiert werden sollte, speiste sich aus diversen Quellen. Zu nennen sind die völkische Weltanschauung und damit einhergehend der Rückgriff auf die Thesen Herman Wirths.16 Dieser beeindruckte Roselius sehr und er übernahm dessen Idee, dass der Norden Europas die Quelle aller Kultur sei. Diese nordische Kultur sollte sich nach dem Untergang von Atlantis in die ganze Welt ausgebreitet haben. Ihre Überreste glaubte Wirth unter anderem in religiös konnotierten Symbolen zu erkennen. Das Museum „Väterkunde“ war jedoch nicht völlig auf Wirths Thesen ausgerichtet, jedenfalls weniger, als das von Roselius‘ Freund Bernhard Hoetger gestaltete Haus Atlantis selbst. Während das Museum hauptsächlich die vermeintliche Entwicklungsgeschichte der Germanen präsentieren sollte, kam dem Gebäude die Funktion zu, die Thesen Wirths zu visualisieren.17 Ein weiterer Auslöser für die Einrichtung des Museums „Väterkunde“ war die ausgeprägte Heimatverbundenheit, die Roselius und der Museumsleiter Hans Müller-Brauel teilten.

D er E influss H ans M üller -B r auels Müller-Brauel war ursprünglich von Beruf Tischler, forschte und publizierte jedoch seit seiner Anstellung als Aufseher vorgeschichtlicher Sammlungen in Norddeutschland ab 1885 zu archäologischen und landesgeschichtlichen Themen. Roselius und er waren Mitglieder des „Wandervereins Niedersachsen“ und der „Niedersachsenrunde“, die sich der Pflege der heimatlichen Kultur widmeten.18 Beide Männer waren sich schon Mitte der 1920er Jahre, als Roselius das Museum „Väterkunde“ plante, darüber einig, dass die Darstellung der Überlegenheit der „germanischen“ Kultur die ideologische Grundlage des Museums sein sollte. 1926 schrieb Müller-Brauel an Roselius: „Auch ohne Jagd auf Seltenhei15 | Ebd. 16 | Puschner 2004. 17 | Schreiben von L. Roselius an H. Wirth vom 20.10.1931 (Archiv Böttcherstraße Bremen, Ordner O2). 18  |  Hausbuch H. Müller-Brauels (Kloster Museum Zeven, Nachlass H. Müller-Brauel).

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ten soll die entstehende Sammlung neben der Linie unserer Herkunft in anderer Hinsicht zeigen, dass germanische Kunst die höchste Kunst in der Welt ist, dass schon von Urzeiten her dem Germanenvolke beschieden war, das Tiefste auszudrücken, das Formvollendetste zu schaffen. Sei es in Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens, sei es an Waffen und köstlichem Schmuck, sei es in der Musik, – wo auch germanische Kunst das Höchste hervorgebracht hat, was überall die Welt aufeist von den gewaltigen Drommeten der Bronzezeit, den Luren an.“19 Der aus diesem Zitat hervorgehende Anspruch, die kulturelle Höhe der „Germanen“ präsentieren zu wollen, stellte Müller-Brauel vor die Aufgabe, möglichst viele Exponate zu zeigen, die die Museumsbesucher zu beeindrucken vermochten. Da der Grundstock des Museums „Väterkunde“ jedoch allein aus Roselius‘ kleiner Privatsammlung prähistorischer Funde und Repliken bestand, mussten zahlreiche weitere Objekte angekauft oder durch eigene Ausgrabungen erworben werden. Diese wurden hauptsächlich von Müller-Brauel, der im Jahr 1927 zum Kreispfleger für vorgeschichtliche und kulturgeschichtliche Bodenaltertümer des Kreises Zeven ernannt wurde, durchgeführt.20 Die Kollektion wurde zunächst als Sammlung „Vätererbe“ bezeichnet und durch Müller-Brauel etwa ab 1927 kontinuierlich durch Ankäufe erweitert.21 Allein die nachweisbaren Käufe der Jahre 1929 bis 1935 hatten einen Kaufwert von etwa 335.000 Reichsmark.22

19 | Plan von H. Müller-Brauel zur Ausgestaltung des Roselius-Museums (ca. 1927) (Kloster Museum Zeven, HMB1-344). Als Drommeten oder, verbreiteter, Luren werden bronzene Blasinstrumente bezeichnet, die vielfach archäologisch überliefert sind. 20 | Del Testa 1990, S. 116. 21 | Plan von H.Müller-Brauel zur Ausgestaltung des Roselius-Museums (ca. 1927) (Kloster Museum Zeven, HMB1-344). 22 | Ankäufe des Museums „Väterkunde“ (undatiert) (Archiv der Böttcherstraße Bremen, C-Väterkunde).

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D as N e t z werk des H eimatforschers H ans M üller - B r aue l Müller-Brauel ermöglichte Roselius den Zutritt zu einem Netzwerk von Wissenschaftlern/-innen, insbesondere Prähistorikern/-innen, aber auch die Möglichkeit, durch seine umfangreichen Kontakte zu Museen und anderen Institutionen Repliken und Abgüsse zu erhalten. Die Aufgabengebiete waren entsprechend klar verteilt. Roselius finanzierte das Museum und Müller-Brauel versuchte, dessen Ideen umzusetzen. Er war sich jedoch seiner Verantwortung bewusst und lehnte überteuerte Objekte ab.23 Es war beiden wichtig, ein möglichst breites Spektrum von Exponaten abzudecken, denn sie wollten zeigen, dass die „Germanen“ in allen Kulturbereichen anderen antiken Ethnien überlegen waren. Ziel war es außerdem, die kulturelle Entwicklung dessen, was Müller-Brauel und Roselius als „nordischen Menschen“ oder „Germanen“ bezeichneten, aufzuzeigen.24 Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützte Roselius sogar die Ausgrabungen des jungen, autodidaktischen Archäologen Alfred Rust (1900-1983) in Syrien, um auf diese Weise weitere Objekte zu erhalten. Zurückzuführen war dieses Vorgehen mutmaßlich darauf, dass er die Theorie des „Ex occidente lux“ vertrat und diese zu untermauern versuchte.25 Während der Grabungen in Jabrud stand Müller-Brauel mit Rust in Briefkontakt und wurde über die Grabungsfortschritte unterrichtet.26 Im Gegenzug zur Finanzierung wurden dem Museum besonders viele Fundstücke zugesagt.

23 | Schreiben von Hans Müller-Brauel an J. Jantzen vom 29.07.1930 (Archiv Böttcherstraße Bremen, A - Wirth, Spanuth, Müller-Brauel). 24 | Plan von H. Müller-Brauel zur Ausgestaltung des Roselius-Museums (ca. 1927) (Kloster Museum Zeven, HMB1-344). 25 | Artikel von Ludwig Roselius für die Bremer Gesellschaft von 1914 vom 05.12.1929 (Archiv der Böttcherstraße Bremen, Ordner O2). 26 | Schreiben von A. Rust an H.Müller-Brauel vom 05.12.1932 (Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig, Archäologisches Landesmuseum, Dokumentationsarchiv, Archivalien des ehem. Ludwig Roselius-Museums für Frühgeschichte, Worpswede [Slg. Roselius], Bestand 2 Unterlagen H. Müller-Brauel, 1. Korrespondenzen mit Personen, 52. A. Rust).

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Neben Objekten aus Ausgrabungen versuchte Müller-Brauel auch Abgüsse und Repliken aus verschiedenen Museen zu erhalten. Zahlreiche Kontakte zu Wissenschaftlern/-innen, die er über Jahrzehnte aufgebaut hatte, halfen ihm dabei. Es verband ihn beispielsweise mit dem Prähistoriker Gustav Schwantes (1881-1960) eine Freundschaft, die es ihm ermöglichte, die Runensteine von Haithabu als Replik zu erhalten.27 Diese zählten zu den auffälligsten Exponaten der Ausstellung des Museums „Väterkunde“. Müller-Brauel erwarb auch Repliken und Abgüsse aus dem Ausland, so z. B. aus Schweden und den Niederlanden. Außerdem kam es zu einem Austausch von Abgüssen mit dem niederländischen Archäologen Albert Egges van Giffen (1884-1973).28 Des Weiteren war Müller-Brauel bemüht, Privatsammlungen zu erhalten und selbst Ausgrabungen durchzuführen. Dieses Engagement führte dazu, dass das Museum im Jahr 1935 bereits über eine Sammlung von über 30.000 Stücken verfügte. Abb. 1: Sammlung vorgeschichtlicher Objekte im Museum „Väterkunde".

Quelle: Archiv der Böttcherstraße 27 | Das „Väterkunde“-Museum zu Bremen. Bremer Nachrichten vom 03.06.1933 (StaB, 9, S 0-1696). 28 | Schreiben von A. E. van Giffen an H. Müller-Brauel vom 01.06.1933 (Kloster Museum Zeven, Nachlass H. Müller-Brauel, HMB1-179).

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Roselius veranstaltete 1933 und 1934 in der Böttcherstraße Thinge, auf denen er Menschen, denen er einen „nordischen“ Hintergrund zuwies, zusammenbringen wollte. Das Museum „Väterkunde“ wurde im Rahmen des Ersten Nordischen Things 1933, das auf Roselius’ Einladung zahlreiche hochkarätige und teils internationale Gäste aus Wissenschaft, Politik und Kultur in die Stadt führte, eröffnet. Den Besucher/-innen wurde ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm geboten. Im Zentrum stand der Wunsch, die kulturelle Schöpfungskraft des „nordischen Volkes“ hervorzuheben und seine Überlegenheit zu propagieren. Dies sollte auch in den zahlreichen Vorträgen, die Wissenschaftler und Laienforscher hielten, geschehen.29 In seiner Begrüßungsrede teilte Roselius den Besucher/-innen mit, dass die Ausstellung „Väterkunde“ den Beweis liefern solle, dass die nordische Kunst schöpferisch gewesen und Inspirationsquelle für andere Kulturen gewesen war.30 Das Museum und die Sammlung „Väterkunde“ wurden schnell einem breiten Laien- und Fachpublikum bekannt und vermittelten erfolgreich die Intentionen seiner Gründer. Zudem besuchten viele Fachwissenschaftler/-innen das Museum, um die Kossinna-Bibliothek zu nutzen. Roselius erwarb die Bibliothek kurz nach Kossinnas Tod im Februar 1932 auf Vermittlung der völkisch-nationalistischen Schriftstellerin Marie Adelheid Konopath, Prinzessin Reuss zur Lippe (1895-1993). Er zahlte einen in Anbetracht der Wirtschaftskrise hohen Preis für die Bibliothek, da sich Kossinnas Witwe in finanziellen Schwierigkeiten befand.31 Die Bibliothek umfasste nach der Schilderung des Journalisten Kurt Pastenaci (1894-1961), etwa 5000 Bände sowie 2000 Sonderdrucke und Broschüren.32 Sie war zwar bereits im Frühjahr 1932 den Benutzern/-innen zugänglich, wurde offiziell jedoch erst gemeinsam mit dem Museum im Juni 1933 eröffnet.33

29 | Roselius 1933b, S. 8. 30 | Roselius 1933b, S. 10. 31 | Grünert 2002, S. 351. 32 | Grünert 2002, S. 350. 33 | Grünert 2002, S. 352.

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Abb. 2: Blick in den Kuppelsaal des Museums „Väterkunde".

Quelle: Archiv der Böttcherstraße

F a zit - D ie vielfältigen W ege der F örderung der pr ähistorischen A rchäologie Eine konkrete Förderung der Prähistorischen Archäologie seitens Ludwig Roselius geschah, indem er zum Zwecke des Museumsauf baus Gelder bereitstellte, die für Ausgrabungen oder die Anfertigung von Repliken und Abgüssen benötigt wurden. Außerdem bot er Wissenschaftler/-innen und Laienforschern auf den beiden Nordischen Thingen eine Plattform zum Gedankenaustausch sowie mit der Kossinna-Bibliothek eine umfangreiche Sammlung von Fachliteratur an. Die Förderung der Prähistorischen Archäologie stand jedoch nicht im Mittelpunkt seiner Be-

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strebungen, auch wenn sie von der heimischen Presse positiv hervorgehoben wurde.34 Der Nachweis der Überlegenheit der „nordischen, bzw. germanischen Kunst“ stand für Roselius und Müller-Brauel im Zentrum ihrer vielfältigen Bemühungen. Dem Museum „Väterkunde“ kam in erster Linie die Aufgabe zu, den Museumsbesuchern/-innen diese Ansicht näher zu bringen und sie zu belehren. Es sollte vornehmlich der moralischen Stärkung der Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg dienen, indem es den „nordischen Menschen“ als den Vorfahren der Museumsbesucher/-innen über alle anderen Menschen stellte und dies durch die Exponate zu beweisen versuchte. Mit den sammlungspolitischen und didaktischen Maßnahmen, die Roselius dafür ergriff, ging eine Förderung der Prähistorischen Archäologie einher, da er mit dem Auf bau des Museums „Väterkunde“ durch Replikenkäufe und Grabungsfinanzierung zwangsläufig in die archäologische Forschung und deren Netzwerk investierte. Auch wenn dies nicht sein Hauptziel war, darf dieser Aspekt nicht unerwähnt bleiben, da einige Projekte ohne Roselius’ finanzielle Unterstützung möglicherweise nicht realisiert worden wären. Die Brandmarkung von Roselius als Nationalsozialisten lässt sich damit ebenso wenig aufrechterhalten wie ein nicht hinterfragter Freispruch von diesem Vorwurf. Eine einseitige Bewertung würde einer so facettenreichen Person wie Roselius nicht gerecht werden.

L iter atur Breuer 2008: Stefan Breuer, Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Weimarer Republik (Darmstadt 2008). Del Testa 1990: Luise Del Testa, Hans Müller-Brauel. Fotografien [Ausstellung zum 50. Todestag Hans Müller-Brauels, 18.10.1990-14.4.1991, Museum Kloster Zeven] (Zeven 1991). Focke-Museum 2013: Focke-Museum (Hrsg.), Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz [anlässlich der Ausstellung „Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz“, Focke-Museum,

34 | O.A., Erstes Nordisches Thing in Bremen. Bremer Nachrichten vom 18.05.1933 (Archiv der Böttcherstraße Bremen, 9/193).

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Sabrina Schüt ze

Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, 10. März bis 8. September 2013] (Stuttgart 2013). Grünert 2002: Heinz Grünert, Gustaf Kossinna (1858-1931). Vom Germanisten zum Prähistoriker. Ein Wissenschaftler im Kaiserreich und in der Weimarer Republik (Rahden/Westf. 2002). Hausmann 1930: Manfred Hausmann, Die Strasse. In: Albert Theile (Hrsg.), Böttcherstraße in Bremen. Idee und Gestaltung (Bremen 1930) 3-9. Mahsarski/Schütze 2013: Dirk Mahsarski, Sabrina Schütze, Museum „Väterkunde“ und Focke-Museum – zwei Bremer Beispiele, in: Focke-Museum (Hrsg.), Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz [anlässlich der Ausstellung „Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz“, Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte, 10. März bis 8. September 2013] (Stuttgart 2013) S. 94-100. Puschner u.a. 1996: Uwe Puschner u. a. (Hrsg.), Handbuch zur Völki’ schen Bewegung ‘ 1871-1918 (München u. a. 1996). Puschner 2001: Uwe Puschner, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion (Darmstadt 2001). Puschner 2002: Uwe Puschner, Grundzüge völkischer Rassenideologie. In: Achim Leube (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945 (Heidelberg 2002) 49-72. Puschner 2004: Uwe Puschner, Germanenideologie und völkische Weltanschauung. In: Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanisch – deutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. Erg.bde RGA 34 (Berlin, New York 2004) 103-129. Roselius 1919: Ludwig Roselius, Briefe (Bremen 1919). Roselius 1933a: Ludwig Roselius, Briefe und Schriften zu Deutschlands Erneuerung (Oldenburg 1933). Roselius 1933b: Ludwig Roselius, Begrüßungsansprache zur Eröffnung des Ersten Nordischen Things in der Böttcherstraße zu Bremen am 2. Juni 1933. In: Ludwig Roselius (Hrsg.), Erstes Nordisches Thing in der Böttcherstraße zu Bremen (Bremen 1933) 7-13. Strohmeyer 1993: Arn Strohmeyer, Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Ein deutsches Mißverständnis (Bremen 1993).

Ludwig Roselius als Förderer der Prähistorischen Archäologie

Vetter 2002: Nicola Vetter, Ludwig Roselius: Ein Pionier der deutschen Öffentlichkeitsarbeit (Bremen 2002). Sabrina Schütze M.A.

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Die Förderung der Prähistorischen Archäologie durch die SS von 1933–1945 „Wir werden uns dieser Aufgabe mit derselben Zähigkeit widmen, mit der sich die Schutzstaffel allen anderen Aufgaben bisher gewidmet hat.“ Dirk Mahsarski

Zusammenfassung Für Heinrich Himmler und die SS spielte die Prähistorische Archäologie eine wichtige Rolle als Legitimationswissenschaft. Daher engagierte sich die SS bereits früh in der Forschungsförderung und -verwertung. Trotz vor allem anfangs geringer Geldmittel und starker Berücksichtigung der völkischen Laienforschung konnten dabei beachtliche Erfolge erzielt werden. Insbesondere durch das Ahnenerbe der SS und dessen Lehr- und Forschungsstätte Ausgrabungen konnten umfangreiche Gelder mobilisiert und prestigeträchtige Ausgrabungen durchgeführt werden. Neben privaten Zuwendungen wurde das Budget dafür im Wesentlichen in Form von Drittmitteln von der DFG eingeworben.

Summar y For Heinrich Himmler and the SS prehistory played an important role as a legitimating science. Therefore the SS strove to take part in funding, support and exploitation of research early on. Despite initially small budgets and supporting völkisch lay research, considerable successes were achieved. Especially the SS research organisation Ahnenerbe and its

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department for excavations was able to mobilize extensive funding and conduct prestigious excavations. Apart from private donations the largest amount of funding was provided by the DFG.

E inleitung Für das Weltbild Heinrich Himmlers (1900-1945), der als Reichsführer SS die Schutzstaffeln der NSDAP von unbedeutenden Anfängen zur einflussreichsten Gliederung der NSDAP mit eigenem, auf dem Züchtungsgedanken auf bauendem Elitebewusstsein formte, spielte der Mythos „Germanien“ eine zentrale Rolle. Seit seiner Jugend setzte sich Himmler auch mit den vermeintlichen archäologischen Belegen für die „Germanen“1 auseinander und als Reichsführer SS entwickelte er sich schließlich zu einem wichtigen Förderer der Archäologie.2 In einem Propagandafilm, der über die 1936 von Wilhelm Unverzagt (1892-1971) und Alexander Langsdorff (1898-1946) durchgeführte SS-Ausgrabung des Bärhorstes bei Nauen berichtet, sagte Himmler dazu: „Wir werden diese Grabungen, nicht etwa, weil wir der Wissenschaft in irgendeiner Form Konkurrenz machen wollen, nein, sondern weil wir mit der Wissenschaft zusammen weltanschauliche Dinge suchen wollen, ganz konsequent fortsetzen. Wir werden uns dieser Aufgabe mit derselben Zähigkeit widmen, mit der sich die Schutzstaffel allen anderen Aufgaben bisher gewidmet hat.“3 Dieses Zitat, entstanden zu einem Zeitpunkt, als sich Himmlers Fokus weg von der völkischen Laienforschung hin zur akademischen Fachwissenschaft verlagerte, zeigt deutlich, wie sehr ihm an der Einheit von Forschung und Weltanschauung gelegen war. Die von der SS getragene 1 | Der Mythos „Germanien“ und seine vermeintlichen historischen und prähistorischen Grundlagen waren für weite Teile der völkischen Bewegung und des Nationalsozialismus konstitutiv. Lund 1995; Ehringhaus 1996; Kroll 1999; Puschner 2002; Binder 2004; Wiwjorra 2004; ders. 2006; Trigger 2006, S. 89f; Mahsarski 2011a, 20f, 24–30. Zur Verdeutlichung dessen, dass es sich bei den „Germanen“ wie bei den „nordischen“ Ländern um historische Konstrukte handelt, werden diese Begriffe in der Folge in Anführungszeichen verwendet. 2 | Kater 1974, S. 17–24; Kroll 1999, S. 212–231; Halle 2002, S. 62–66; Pringle 2006, S. 15–25; Longerich 2008, S. 265–308 u. 759–770. 3 | Zitiert nach Langsdorff u. Schleif 1936, S. 391.

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Archäologie diente immer auch der Produktion ideologischer Argumente und ihrer Popularisierung.4 Dementsprechend verknüpft der Film geschickt die eigentliche Berichterstattung über die Ausgrabung und die Methoden der Archäologie mit der Blut-und-Boden-Ideologie der SS und der Anwerbung von Hitlerjungen für die SS. Im Folgenden soll die Entwicklung derartiger Förderung der Archäologie durch die SS nachgezeichnet und dabei untersucht werden, in welchem Umfang, wofür und aus welchen Quellen dabei Ressourcen mobilisiert und genutzt wurden.5

Erste Ansätze einer Archäologieförderung durch die SS Bereits 1933 begann sich die SS im Bereich der Prähistorischen Archäologie und ihrer Verwertbarkeit in der Propaganda zu engagieren.6 Hauptakteur war in dieser Phase noch SS-Gruppenführer Richard Walther Darré (1895-1953), Amtsleiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS, Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft. Darré war ein wichtiger Vordenker der Blut- und Bodenideologie und enger Vertrauter Himmlers.7 Im Dezember 1933 lud Darré zu einer internen Besprechung in das Stabsamt des Reichsbauernführers ein, um einen „grosszügigen Aufklärungsfeldzug über vorchristliche germanische Kultur“8 vorzubereiten. Unter den Teilnehmern war auch der Prähistoriker Karl Hermann Jacob-Friesen (1886-1960), der als Erster Direktor dem Hannoverschen Landesmuseum vorstand. Als Ergebnis der Besprechung begann das Stabsamt damit, Informationen über geeignetes Material zu sammeln. Im Fokus standen bereits vorhandenes Lichtbildermaterial und 4 | Halle 2002; Bramwell 2003; Wolnik 2004; Mahsarski 2011a; Focke-Museum 2013. 5 | Einen ausführlichen Überblick über Stand und Entwicklung der Forschung bieten: Halle 2002, S. 21–35; dies. 2008, S. 109–112; Mahsarski 2011a, S. 4–10, Mahsarski 2014. 6 | Zur allgemeinen Geschichte der SS vgl. Heinemann 2003; Longerich 2008; Hein 2012. 7 | Heinemann 2003, insbes. S. 612f. 8 | Schreiben von Dr. Stock vom Stabsamt des Reichsbauernführers, Hauptabteilung Werbung, an Jacob-Friesen vom 04.12.1933, in: NLA, HStAH, Hann. 152 Acc. 53/84 Nr. 32.

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Funde, die für eine Film- oder Lichtbilddokumentation lohnenswert wären, sowie in Frage kommende Redner, die „volkstümlich gehaltene Mustervorträge“ ausarbeiten und/oder halten, und Schriftsteller, die in Tageszeitungen und Zeitschriften (jedoch nicht für die Fachpresse) schreiben könnten.9 In der Folge entstanden in verschiedenen Abteilungen der SS und des Reichsnährstandes eine ganze Reihe unterschiedlicher, bisher nicht systematisch untersuchter Diaserien zu Fragen der germanischen Vorzeit für interne wie allgemeine Schulungszwecke, für die auch begleitendes Material angeboten wurde.10 Darüber hinaus bemühte man sich um eine Vernetzung derjenigen Wissenschaftler und Politiker, die an Fragen zur germanischen Vorzeit interessiert waren. So entsandte Darré mit Werner Petersen einen Vertreter zum von Ludwig Roselius veranstalteten Zweiten Nordischen Thing 1934 nach Bremen.11 Die Themen, die bei dieser Zusammenkunft von teilweise renommierten Fachvertretern der Germanistik, Landesgeschichte, Ethnologie, Anthropologie sowie Prähistorischen Archäologie in Refe9 | Schreiben von Dr. Stock vom Stabsamt des Reichsbauernführers, Hauptabteilung Werbung, an Jacob-Friesen vom 04.12.1933. Einladung zur Besprechung von Dr. Stock an Jacob-Friesen vom 07.12.1933. Rundbrief von Dr. Stock vom 18.12.1933. Brief von Jacob-Friesen an Dr. Stock vom 02.01.1934. Brief von Jacob-Friesen an Dr. Stock vom 05.01.1934, in: NLA, HStAH, Hann. 152 Acc. 53/84 Nr. 32. 10 | So bspw. das vom RuSHA vor Juli 1938 herausgegebene Lehrmaterial für interne Schulungszwecke„Deutsche Geschichte, Teil 1: Germanische Frühzeit - Das Licht aus dem Norden“ und „Deutsche Geschichte, Teil 2: Die Großgermanische Zeit - Eiserne Zeit - Germanen marschieren!“, in: BArch NSD, 41/87 KRusHA. Auch die Diaserie „Germanische Kunst“, bestehend aus 51 Glasdias, erfüllte diese Aufgabe und wurde allgemein verwendet. Das für diese Arbeit analysierte Exemplar der Serie stammt ursprünglich aus den Beständen der Landesbildstelle Oberschlesien und befindet sich heute im Besitz von Prof. Dr. Uta Halle, Landesarchäologie Bremen 11 | Bei den beiden Nordischen Thingen handelt es sich um wissenschaftliche Tagungen, die Roselius zugleich als Propaganda-Veranstaltungen für die Böttcherstraße und die in ihr manifestierte Ideologie nutzte. Zu Roselius und den Nordischen Thingen vgl. Mahsarski 2011b und den Beitrag von S. Schütze in diesem Band. Zur weiteren Bedeutung der Tagungen für die Genese des Ahnenerbes siehe Mahsarski 2014.

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raten behandelt wurden, reichten von der Ethnogenese der „Germanen“ bis zur Geschichte der Hanse. Auch die Teilnahme des Prähistorikers Alexander Langsdorff (1898–1946), der als Kustos am Staatlichen Museum für Vor- und Frühgeschichte sowie als Leiter der Pressestelle und des Führungswesens im Außenamt der Staatlichen Museen zu Berlin arbeitete, an dieser Tagung kann als Vertretung Himmlers gewertet werden.12

A rchäologie als A rbeitsgebie t der SS Im Dezember 1931 wurde mit dem Rasseamt der SS eines der ältesten Hauptämter der SS gegründet. Bis zum September 1938 wurde das Amt, das zwischenzeitlich in Rasse- und Siedlungsamt umbenannt und ab Januar 1935 zum Rasse- und Siedlungshauptamt aufgewertet worden war, von Darré geleitet. Es spielte eine zentrale Rolle in Himmlers Plänen, die SS zu einer rassischen Elite auszubauen und war für die Eignungsprüfung von SS-Bewerbern und ihre Heiratsgenehmigungen sowie - während des Zweiten Weltkrieges - für die Rassenselektion der Bevölkerung in den besetzten Gebieten zuständig. Zudem war es bis 1938 auch im Bereich der weltanschaulichen Schulung und Forschung aktiv. 13 Bereits 1934 war die Abteilung RA III b „Vor- und Frühgeschichte“ des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS gegründet worden. Sie war sowohl für die prähistorische Forschung als auch für deren Vermittlung zuständig. Zwischen Februar 1934 und März 1937 wurde sie von Rolf Höhne (1907-?), einem promovierten Geologen geleitet, der Prähistorische Archäologie im Nebenfach studiert hatte, geleitet, bis dieser im März 1937 in den Persönlichen Stab des Reichsführers SS versetzt wurde. Von März bis Ende September blieb die Abteilung ohne Leiter, bevor sie im Oktober 1937 von Peter Paulsen (1902-1985) übernommen wurde, der sie bis zu ihrer Auflösung wenige Monate später leitete. Paulsen, der in Kiel 12 | Langsdorff hatte bereits 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch teilgenommen. Nachdem er vier Jahre im Ausland gearbeitet hatte, u.a. bei den Ausgrabungen von Persepolis, trat er 1933 in die Allgemeine-SS und die NSDAP ein. In den folgenden Jahren entwickelte er sich zu einer zentralen Anlaufstelle für die Archäologie in der SS, bevor diese Funktion von Jankuhn übernommen wurde. Vgl. Halle 2002, passim; Mahsarski 2011a, passim, insbes. S. 176f. u. 193f.; Mahsarski 2014. 13 | Heinemann 2003.

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in Prähistorischer Archäologie promoviert und habilitiert hatte, galt als Spezialist für das mittel- und nordeuropäische Frühmittelalter.14 Tabelle 1: Bedeutende Ausgrabungen SS/Ahnenerbe der SS im Deutschen Reich (1933-1939). Ausgrabungsprojekt

Jahr

Erdenburg bei Bensberg

1935

Lichtenburg bei Prettin

1936

Alt-Christburg (Stary Dziergyn)

1936

Glauberg bei Glauburg Externsteine bei Horn-Bad Meinberg

1936-1937 1934-35; ab 1935 SS

Bärhorst bei Nauen

1935-1938

Brunholdisstuhl bei Bad Dürkheim

1937-1939

Urspring im Lonetal

1935-1939

Schlossberg bei Tilsit

1937/38

Haithabu bei Schleswig

1937-1939

Weinberghöhlen von Mauern

1937-1939

Hohe Birg bei Alt Joch

1937

Fridolfing

1937

Hohmichele bei Ertingen

1936-1938

Dolni Vestonice

1939

Thorsberger Moor Süderbrarup

1939

Werlaburgdorf bei Schladen

1936-1939

Lebus an der Oder

1938

Schwarzfeld bei Bad Lauterberg

1937

Munzingen bei Freiburg

1937

Eigene Ausgrabungen hat die Abteilung RA III b nach der bisherigen Aktenlage nicht betreut. Einzig die Ausgrabungen im Quedlinburger Dom, bei denen die Gebeine des ostfränkischen Königs Heinrichs I. geborgen

14 | Haßmann/Jantzen 1994, S. 13; Jacobs 2002, S. 451f.; Pringle 2006, S. 196; Mahsarski 2011a, passim, insbes. S. 194.

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werden sollten, können ihr möglicherweise zugerechnet werden.15 Dafür fungierte die Abteilung RA III b als „Generalstab für das gesamte Gebiet der Vorgeschichte für die SS“16 und war damit zumindest in der Theorie, ein zentrales Instrument bei der Ausdehnung des Einflusses der SS in die staatlichen Stellen der archäologischen Forschung und Denkmalpflege. In der Praxis übernahm Langsdorff mit der Abteilung Ausgrabungen des Persönlichen Stabs des Reichsführers SS diese Rolle weitestgehend. Darüber hinaus war die Abteilung RA III b wesentlich in die Bemühungen, die Vorgeschichte in großem Umfang in der Schulung von SS-Einheiten und der Propaganda zu verwerten, involviert. Im Zuge der Umstrukturierung und Neuausrichtung des Rasse- und Siedlungshauptamt wurde sie daher zu Gunsten der Abteilung Ausgrabungen im Persönlichen Stab des Reichsführers SS im Februar 1938 aufgelöst.17 Die im Persönlichen Stab des Reichsführers SS angesiedelte Abteilung Ausgrabungen wurde im April 1935 wahrscheinlich auf Initiative Langsdorffs gegründet, der auch mit ihrem Auf bau beauftragt wurde (Tabelle 1). Zu den Mitarbeitern gehörte auch Hans Schleif (1902-1945). Seit März 1937 wurde die Abteilung hauptamtlich von Höhne geleitet, der zuvor beim Rasse- und Siedlungshauptamt die Abteilung RA III b „Vorund Frühgeschichte“ geführt hatte. Davor scheint die Abteilung Ausgrabungen eher informeller Natur gewesen zu sein und vorrangig der Koordination von Langsdorffs wissenschaftspolitischen Tätigkeiten gedient zu haben. Vor Höhnes Amtsübernahme als Abteilungsleiter ließ sich kein Vorgänger nachweisen. Ab 1937 war die Abteilung dann wesentlich für die Betreuung der von der SS übernommenen Ausgrabungen verantwortlich. Dafür beschäftigte sie neben den wissenschaftlichen Mitarbeitern, 15 | Kater 1974, passim, insbes. S. 80f.; Halle 2002, S. 31ff., 140–187 u. 242– 268. Halle 2005a, dies. 2005b, S. 31–35 u. 40–45; Mahsarski 2011a, S. 194 u. 301. 16 | „2. Entwurf. Das Arbeitsgebiet der Abteilung R:A: IIIb, Vorgeschichte, im Rasse- und Siedlungshauptamt SS“, zitiert nach Halle 2002, S. 357. Der Entwurf stammt von Höhne und wurde am 18. September 1935 von K. M. Wiligut (Weisthor) und Alexander Langsdorff genehmigt. Halle 2002, S. 355, Anmerkung 51. 17 | Nicht datierter Lebenslauf von Dr. Rolf Höhne, in: BArch (ehem. BDC), SSO, Höhne, Rolf (19.06.1907). Vgl. auch Kater 1974, S. 67; Anm. 71; Halle 2002, S. 355–358; Heinemann 2003, S. 91–101, insbes. S. 95; Anm. 129; Pringle 2006, S. 122; Mahsarski 2011a, S. 176f.

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die größtenteils weiterhin von ihren Dienststellen in den Museen oder Landesdenkmalämtern besoldet wurden, weil sie nur für die entsprechenden Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt wurden, spätestens seit 1937 eine Sekretärin, einen Photographen, je einen Präparator und Hilfspräparator, zwei Grabungsarbeiter, einen Schriftgutverwalter und eine studentische Hilfskraft.18 Die erste Ausgrabung, die von der Abteilung Ausgrabungen gefördert wurde, fand 1935 im Auftrag des Kölner Museums für Vor- und Frühgeschichte unter der Leitung von Werner Buttler (1907-1940) auf der Erdenburg bei Köln statt, worüber Langsdorff auch ausführlich in der von der SS herausgegebenen Wochenzeitschrift Das Schwarze Korps berichtete.19 In den folgenden Jahren stieg die Zahl der geförderten Forschungen stetig an, so wurden 1936 die Ausgrabungen in Nauen (zu denen auch der eingangs erwähnte Film gedreht wurde), Lichtenburg und Alt-Christburg begonnen oder durchgeführt; ab 1937 kamen die Ausgrabungen am Glauberg20 und am Kriemhildenstuhl21 sowie in Scharzfeld, in Schöneiche bei Berlin, Hohebirg bei Alt Joch, eines Gräberfeldes bei Fridolfing und des Schlossberges von Tilsit hinzu. Auch die 1934 und 1935 durchgeführten Ausgrabungen an den Externsteinen22 und Untersuchungen am sog. Sachsenhain in Verden, über die bisher nichts genaues bekannt 18 | Schreiben von Höhne „Betr.: Eingliederung der Abteilung Ausgrabungen in das ‚Ahnenerbe’“ an Wüst mit Aufstellung des Etats der Abteilung Ausgrabungen im Jahr 1937 und Kostenvoranschlag für 1938 vom 24.03.1938, in: BArch (ehem. BDC), DS, Lehr- und Forschungsamt Ahnenerbe, Höhne, Rolf (19.06.1907). Nicht datierter Lebenslauf von Dr. R. Höhne, in: BArch (ehem. BDC), DS, Lehr- und Forschungsamt Ahnenerbe, Höhne, Rolf (19.06.1907). Lebenslauf von A. Langsdorff vom 19.09.1936. Dienstleistungszeugnis für SS-Hauptsturmführer Dr. A. Langsdorff vom 26.01.1939, in: BArch (ehem. BDC), SSO, Langsdorff, Alexander (14.12.1898). Lebenslauf von H. Schleif vom 14.08.1937, in: BArch (ehem. BDC), SSO, Schleif, (23.02.1902). Langsdorff 1935a; Langsdorff 1935b; Langsdorff/ Schleif 1936; Langsdorff/Schleif 1938; Kater 1974, S. 67; Anm. 71; Halle 2002, S. 345–358; Stürmer 2002, S. 432f.; Pringle 2006, S. 122; Mahsarski 2011a, S. 177. 19 | Langsdorff 1935a; Langsdorff 1935b; Halle 2002, S. 347. 20 | Baitinger 2011; Schallmayer 2011. 21 | Kreckel 2011. 22 | Halle 2002.

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ist,23 wurden unter den Leistungen der Abteilung Ausgrabungen aufgezählt. Dabei trug die SS selbst jeweils nur einen Teil der entstehenden Kosten, während die Hauptlast wie bisher auch von staatlichen Stellen und der Notgemeinschaft/DFG übernommen wurde. Auch die Gehälter der meisten Wissenschaftler und die Mietkosten der Diensträume der Abteilung wurden vom REM und der DFG getragen. Im Etat des Ahnenerbes selbst standen im Jahr 1937 für Ausgrabungen und mikroskopische Untersuchungen der Funde insgesamt 31.000 RM zur Verfügung (Tabelle 2), die Mittel für das eigene Personal kamen in nicht unerheblichem Umfang aus den Etats des Persönlichen Stabs des Reichsführers SS und der SS-Sammelstelle. Daneben wurden auch Einheiten des Reichsarbeitsdienstes und SS-Männer als Hilfskräfte auf den Grabungen eingesetzt.24 Himmler wiederum besuchte wiederholt die Ausgrabungen und wertete damit aus Sicht der Zeitgenossen die Projekte auf. Langsdorff, der ihn bei zahlreichen dieser Begehungen begleitete, bemühte sich dabei wiederholt um die Gewinnung der Ausgräber für die SS.25 Damit ist zugleich einem bis weit in die Nachkriegszeit kolportierten Gerücht zu widersprechen, wonach allein SS-Mitgliedern Förderungen gewährt worden seien.

23 | Haßmann 2010. 24 | Schreiben von Höhne „Betr.: Eingliederung der Abteilung Ausgrabungen in das ‚Ahnenerbe’“ an Wüst mit Aufstellung des Etats der Abteilung Ausgrabungen im Jahr 1937 und Kostenvoranschlag für 1938 vom 24.03.1938, in: BArch (ehem. BDC), DS, Lehr- und Forschungsamt Ahnenerbe, Höhne, Rolf (19.06.1907). Nicht datierter Lebenslauf von Dr. R. Höhne, in: BArch (ehem. BDC), DS, Lehr- und Forschungsamt Ahnenerbe, Höhne, Rolf (19.06.1907). Lebenslauf von A. Langsdorff vom 19.09.1936. Dienstleistungszeugnis für SS-Hauptsturmführer Dr. A. Langsdorff vom 26.01.1939, in: BArch (ehem. BDC), SSO, Langsdorff, Alexander (14.12.1898). Lebenslauf von H. Schleif vom 14.08.1937, in: BArch (ehem. BDC), SSO, Schleif, (23.02.1902). Langsdorff 1935a; Langsdorff 1935b; Langsdorff/ Schleif 1936; Langsdorff/Schleif 1938; Kater 1974, S. 67; Anm. 71; Halle 2002, S. 345–358; Stürmer 2002, S. 432f; Pringle 2006, S. 122; Mahsarski 2011a, S. 177. 25 | Halle 2002, S. 65

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Tabelle 2: Übersicht über die Ausgrabungsprojekte, die aus dem Etat der Abteilung Ausgrabungen des Persönlichen Stabes des Reichsführers SS für das Jahr 1937 finanziert wurden. Ausgrabungsprojekt

Aufwendung

Mauerner Höhlen

5.000 RM

Steinkirche Scharzfeld

10.000 RM

Schöneiche bei Berlin

3.000 RM

Mikroskopische Untersuchungen

4.000 RM

Hohebirg bei Alt Joch

5.000 RM

Gräberfeld Fridolfing

2.500 RM

Schlossberg Tilsit

1.500 RM

Summe

31.000 RM

Neben diesen fest etablierten Abteilungen engagierte sich auch Karl Maria Wiligut (1866-1946), zu diesem Zeitpunkt Himmlers einflussreicher okkultistischer Berater, im Bereich der Prähistorischen Archäologie. Teilweise wird in der jüngeren Forschungsliteratur davon ausgegangen, dass Wiligut die Abteilung RA III b „Vor- und Frühgeschichte“ des Rasse- und Siedlungshauptamtes leitete,26 was aber der oben wiedergegebenen Quellenlage widerspricht. Vielmehr leitete Wiligut von Oktober 1934 an das Archiv im Rasse- und Siedlungshauptamt und war ab Januar 1936 dort mit Sonderaufgaben betraut.27 Von dort aus nahm er - zusammen mit dem mit ihm verfeindeten Langsdorff - Einfluss auf die Gründung der Abteilung. Auch er begleitete Himmler wiederholt bei den Besuchen von Ausgrabungen.28 Zu den von Wiligut wahrgenommenen Sonderaufgaben gehörte wahrscheinlich die Vorbereitung einer von Bremen ausgehenden archäologischen Landesaufnahme durch die SS, deren Ziel die Einrichtung einer vom Staat mehr oder weniger unabhängigen, SS-eigenen Bodendenkmalpflege gewesen zu sein scheint. Vorbereitend reiste Wiligut im Spätsommer 1936 nach Bremen und Umgebung, um sich einen Überblick über die dortige Lage der Bodendenkmalpflege und Museen sowie

26 | So bspw. Grau/Lautmann 2011, S. 237. 27 | Longerich 2008, S. 292f. 28 | Halle 2002, S. 62f., 77, 355–358; Mahsarski 2011a, S. 176f.

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potentiell lohnende Ausgrabungsobjekte zu verschaffen.29 Bereits in den Jahren zuvor hatte Himmler generelle Grabungsgenehmigungen für fast alle Teilstaaten des Deutschen Reiches, erhalten, nur der kleine Freistaat Oldenburg hatte sich verweigert.30 Unmittelbar nach dieser Reise fand im September 1936 der Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg statt, auf dem Hitler in seiner kulturpolitischen Rede die Bremer Böttcherstraße und die darin zum Ausdruck gebrachten Ideen des völkischen Laienforschers Herman Wirths (1885-1981) scharf angriff.31 Auf die dadurch mit verursachte, wissenschaftspolitische Umorientierung der SS wird später noch näher eingegangen.

A usbau und S truk turen der A rchäologieförderung im A hnenerbe der SS Das Ahnenerbe wurde 1935 als Deutsches Ahnenerbe - Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte e.V. von Himmler, Darré und Wirth ge-

29 | Korrespondenz und Wiliguts Bericht über den Besuch in Bremen und den umliegenden Gebieten im September 1936, in: BArch, NS 19 / 4047. 30 | In Oldenburg befürchtete man ein Engagement Himmlers für den völkischen Laienforscher Hermann Wille, der in der Region besonders aktiv war. Brief von K.H. Jacob-Friesen an Bolko von Richthofen vom 31.01.1935, in: NLA HStAH Hann. 152 Acc. 53/84 Nr. 29. Korrespondenz zu den Ausgrabungsgenehmigungen für die Preußischen Provinzen und die Freie Hansestadt Bremen, in: Staatsarchiv Bremen 3-B.13 Nr. 165. Brief vom Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 21.10.1936 zur Änderung des Runderlasses Vb 70/35 vom 10.1.1935, in: LAS Abt. 309 Nr. 35 756. Eine weitere Grabungsgenehmigung wurde durch Halle für den Freistaat Lippe dokumentiert. In beiden Fällen ging die Initiative vom REM aus, nachdem Himmler die ursprüngliche Genehmigung für die Preußischen Provinzen erteilt worden war. Wie diese zustande gekommen ist, ist noch ungeklärt. Vgl. auch: Haßmann/Jantzen 1994, S. 10; Halle 2002, S. 63; Mahsarski 2011a, S. 76f. Zur völkischen Laienforschung vgl. auch Fußnoten 31 und 32. 31 | Zur Problematik der Böttcherstraße vgl. S. Schütze in diesem Band und Fußnote 32 sowie Mahsarski/Schütze 2013.

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gründet.32 Ziel war es, ein Zentrum für ideologisch gebundene Grundlagenforschung, insbesondere in den Bereichen Archäologie, Volkskunde und Geschichte, und deren Verwertung in Propaganda und Schulung zu schaffen. Dafür wurden verschiedene Strukturen eingerichtet und erprobt, bevor die wissenschaftliche Neuausrichtung des Ahnenerbes und der Kriegsbeginn 1939 neue Aufgabenfelder für die Administratoren und Wissenschaftler des Ahnenerbes eröffneten. Der Fokus lag anfangs entsprechend der Gründungsmitglieder auf der völkischen Laienforschung. Wolfram Sievers (1905-1948) wurde zum Generalsekretär ernannt und mit der Leitung der Verwaltung des Ahnenerbes betraut. Sievers war zuvor schon für Wirth als Privatsekretär und Verwaltungsleiter des kurzlebigen Bad Doberaner Instituts tätig gewesen.33 In den ersten Jahren diente das Ahnenerbe vor allem der Förderung und Verbreitung der Forschungen von Wirth und ab 1936 auch von Wilhelm Teudt (1860-1942).34 Doch schon 1937 kam das Ahnenerbe in eine Krise, für die sich mehrere Gründe rekonstruieren lassen. Innerhalb von Fachwissenschaft und Teilen der Partei hatte sich bereits seit längerem eine starke Opposition gegen Wirth und Teudt formiert. Zudem war das Ahnenerbe chronisch unterfinanziert, was noch durch Wirths unvorsichtigen Umgang mit den vorhandenen Geldern verstärkt wurde. Und schließlich provozierte Teudts schwierige Persönlichkeit zahlreiche Kritik und Auseinandersetzungen. Verstärkt wurden diese unterschiedlichen Faktoren durch Hitlers Rede zur Kulturpolitik auf dem Reichsparteitag 1936, in der er Wirth massiv angegriffen hatte. In der Folge ließ Himmler im Frühjahr 1937 das Ahnenerbe umstrukturieren, Wirth entmachten und Teudt ausschließen. Mit der sich daran anschließenden

32 | Zu Himmler vgl. Ackermann 1970; Kroll 1999, S. 209–231; Tuchel 2000; Halle 2002a, S. 62–66; Pringle 2006, S. 15–25; Halle 2008, S. 119; Longerich 2008; Mahsarski 2011a, S. 28f. Zu Darré vgl. Kroll 1999, S. 157–208; Heinemann 2003. Zu Wirth vgl. Kater 1974, S. 11–16; Wiwjorra 1995; ders. 2002; Pringle 2006, S. 57–62. Löw 2007; ders. 2009. 33 | Zu Sievers Kater 1974, S. 28–36; Pringle 2006, S. 67f. u. passim; Leube 2007a, S. 121–131. 34 | Zu Teudt vgl. Kater 1974, S. 43-46 u. 54ff.; Lerchenmueller/Simon 1999, S. 61–68; Halle 2002a, passim u. insbes. S. 69–79; Halle 2002b; Lönnecker 2004; Hartmann 2010.

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wissenschaftlichen Neuausrichtung war auch die Umbenennung in Lehrund Forschungsgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ e. V. verbunden.35 Parallel zur wissenschaftlichen Neuausrichtung des Ahnenerbes wurde auch das Rasse- und Siedlungshauptamt umstrukturiert, so dass sich in der Folge eine Arbeits- und Aufgabenteilung etablierte. Während das Ahnenerbe wissenschaftspolitisch aufgewertet und allein für die germanophile Grundlagenforschung verantwortlich wurde, konzentrierte sich das Rasse- und Siedlungshauptamt von da an auf die rassenanthropologische Praxis, d. h. die Selektion im positiven wie im negativen Sinne, Förderung von SS-Familien und Siedlungspolitik inklusive der Förderung des Wohnungsbaus. Die Gründe für diesen Schritt lagen neben Himmlers und Wüsts starkem Wunsch nach einer höheren Respektabilität der im Ahnenerbe geleisteten Forschung und dem Rückzug Darrés aus der praktischen Verwaltung der SS vor allem in dem zu geringen Umfang des SS-eigenen Budgets, denn die SS bewegte sich 1937 und 1938 an den Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten und erhielt erst danach einen regelmäßigen Etat durch das Reich.36 Schon bei seiner Gründung 1935 und mit seiner ersten Satzung besaß das Ahnenerbe die organisatorische Doppelnatur einer Dienststelle der SS - ursprünglich war es dem Rasse- und Siedlungshauptamt untergeordnet - und eines zivilrechtlichen, eingetragenen Vereins. Das hatte zur Folge, dass theoretisch jede natürliche wie rechtliche Person Mitglied des Ahnenerbes werden und es so in seinen Aktivitäten unterstützen konnte, während die Mitarbeiter des Ahnenerbes in der Regel Angehörige der SS und häufig auch in Voll- oder Teilzeit angestellt waren. Dementsprechend waren sie auch der Gerichtsbarkeit der SS unterworfen. Darüber hinaus gab dieser Doppelcharakter dem Ahnenerbe eine eigene Rechtspersönlichkeit und ermöglichte ihm beinahe vollständige Unabhängigkeit vom Reichsschatzmeister der NSDAP, dessen Kontrolle die Budgets aller Glie35 | Kater 1974; Halle 2002; Pringle 2006; Mahsarski 2011a; Mahsarski 2014. Wiligut wiederum scheint von vornherein keinen Einfluss auf das Ahnenerbe gehabt zu haben, unter anderem weil Wirth seine Konkurrenz fürchtete. Darüber hinaus verloren beide in etwa gleichzeitig Ende der 1930er Jahre innerhalb der SS an Bedeutung, wobei Wiligut 1939 sogar wegen seiner psychischen Probleme offiziell ausgeschlossen wurde. Dazu vgl.: Kater 1974, S. 17–24; Pringle 2006, S. 46–49, 55ff, 61f, 89; 97, 286; Longerich 2008, S. 292–295. 36 | Heinemann 2003, S. 88–118.

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derungen der NSDAP - und damit auch die der SS - zumindest theoretisch unterlagen. Diese Konstruktion war kein Einzelfall, denn auch der Lebensborn war ein eingetragener Verein und gleichzeitig als Dienststelle dem Rasse- und Siedlungshauptamt unterstellt. Gleiches galt für die Gesellschaft zur Förderung und Pflege Deutscher Kulturdenkmäler e. V.37 Dieses Ordnungsprinzip lässt sich auch auf personeller Ebene nachweisen. Wirth war bereits seit 1934 Mitglied der SS und wurde nach seinem Amtsantritt als Gründungspräsident des Ahnenerbes zum SS-Hauptsturmführer ernannt. Damit wurde er wie alle Angestellten und alle SS-Angehörigen des Ahnenerbes kurz nach der Gründung des Vereins dem Rasse- und Siedlungshauptamt unterstellt.38 Entsprechend der Doppelnatur und ihren jeweiligen Aufgaben wurde folgerichtig Sievers und nicht Wirth als Vorsitzender des Vereins im Vereinsregister registriert.39 Da die SS selbst erst ab 1938 regelmäßig durch das Reich und die NSDAP finanziert wurde und das Ahnenerbe auch danach nur geringe Zuschüsse von der SS erhielt, war das Ahnenerbe auf Mitgliedsbeiträge, private und öffentliche Zuwendungen sowie die Unterstützung durch den Reichsnährstand angewiesen.40 Mit der wissenschaftlichen Neuausrichtung und unterstützt durch SS-Kontakte gelang es dem Ahnenerbe ab 1938 eine umfangreiche Förderung durch die DFG für seine Forschungsprojekte zu erlangen; diese Förderung sorgte in der Folge für den größten Teil des Budgets. Ermöglicht wurde die Förderung durch die DFG auch dadurch, dass mit den Projekten von Ernst Schäfer (1910-1992) und Herbert Jankuhn (1905-1990) als zwei besonders renommierten SS-Wissenschaftlern geworben werden konnte.41 Zusätzlich wurde mit dem 37 | Böltken 1995, S. 106f.; Heinemann 2003, S. 88–112. 38 | Kater 1974, S. 38, 66; Leube 2007b, S. 126f.; Löw 2007, S. 371ff. 39 | Sievers vereinsrechtliche Stellung wird bspw. im Vertrag über den Ankauf der Bibliothek von Prof. Albert Grünwedel (1856-1935), aus dessen Nachlass, ausgefertigt am 28.05.1937, angegeben, in: BArch, NS 21 / 725. 40 | Weder Kater noch Pringle setzen sich mit der Doppelnatur des Ahnenerbes und den daraus erwachsenden Folgen für die Organisation auseinander. Kater 1974, S. 37–41, 66; Heinemann 2003, S. 88–112; Pringle 2006, passim; Wenzel 2009, S. 21f., 24ff., 31f 41 | Zum Zoologen und Tibetforscher Ernst Schäfer vgl. Kater 1974, S. 213–218, 251ff. u. 295; Angrick 2003, S. 326–331; Mierau 2006, S. 365–393 u. 458–504;

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Ahnenerbe-Stifterverband eine eigene Stiftung zur Finanzierung des Ahnenerbes ins Leben gerufen, deren Startkapital von führenden Vertretern der Wirtschaft gestiftet wurde; danach kamen der Stiftung Einnahmen aus Patenten zugute, an denen die SS beteiligt war.42 Während des Krieges wurden Projekte des Ahnenerbes auch zunehmend von anderen Dienststellen der SS, insbesondere vom Schulungsamt des SS-Hauptamtes und von der Waffen-SS, finanziert, worauf im Folgenden noch eingegangen wird.43 Zusätzlich profitierte das Ahnenerbe von der Arisierung jüdischen Besitzes. Für den Hauptsitz des Ahnenerbes inklusive der Reichsgeschäftsführung wurde 1938 eine große Villa aus ehemals jüdischem Besitz in Berlin-Dahlem für die Hälfte seines Wertes erworben. Ein weiteres Anwesen wurde 1940 in München günstig gekauft, um die Abteilung von Wüst zu beherbergen. Die Planungen zur Übereignung weiterer Immobilien für die verschiedenen, über das Reich verteilten Abteilungen sind überliefert. Außerdem übernahm das Ahnenerbe die Bibliotheken von Ludwig Feuchtwanger (1885-1947) und des Salzburger Universitätsvereins sowie das Gebäude und die komplette Ausstattung des Salzburger Instituts für religiöse Volkskunde von der Gestapo.44 Ab 1937 war das Ahnenerbe in stetig zunehmendem Maße innerhalb der SS vernetzt. So gab es regelmäßige Kontakte zum SD-Hauptamt, zur Redaktion der Wochenzeitschrift Das Schwarze Korps, zum Schulungsamt des SS-Hauptamtes und zu den Rasse- und Siedlungsführern, den lokalen Repräsentanten des Rasse- und Siedlungshauptamtes. Dadurch hatte das Ahnenerbe auch einen großen Einfluss auf die Inhalte der SS-Leithefte und damit auf die ideologische Schulungsarbeit der SS.45 Im Zuge der wissenschaftlichen Neuausrichtung wurde die Abteilung Ausgrabungen des Persönlichen Stabs des Reichsführers SS im Pringle 2006, S. 239–256. Zum führenden Archäologen des Ahnenerbes Herbert Jankuhn vgl. Mahsarski 2011a. 42 | Kater 1974, S. 59f., 91; Pringle 2006, S. 139ff. 43 | Die Finanzgeschichte des Ahnenerbes ist bisher nur unzureichend aufgearbeitet. Für einen ersten Überblick über den hier vorgelegten Rahmen hinaus vgl. Kater 1974; Pringle 2006. 44 | Kater 1974, S. 122f.; Lerchenmüller/Simon 1999, S. 153; Pringle 2006, S. 137f. 45 | Kater 1974, S. 68ff.; Mahsarski 2014.

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Februar 1938 ins Ahnenerbe verlegt. Weil es gegen Höhnes Amtsführung als Abteilungsleiter schwerwiegende Einwände gab, wurde dieser dabei als Abteilungsleiter abgelöst und die finanziellen Unterlagen einer Buchprüfung unterzogen. Neuer hauptamtlicher Leiter wurde Schleif, während Langsdorff weiterhin unterstützend, aber ohne feste Einbindung zur Seite stand. Zusätzlich wurde Jankuhn als stellvertretender Abteilungsleiter eingesetzt und mit der Betreuung der prähistorischen Arbeiten beauftragt; ab 1940 war Jankuhn dann auch offiziell Leiter der Abteilung. Gleichzeitig mit dem Transfer ins Ahnenerbe wurde die Abteilung Vor- und Frühgeschichte des Rasse- und Siedlungshauptamtes in die entsprechende Abteilung des Ahnenerbes inkorporiert. Damit waren nun die beiden Dienststellen der SS, die sich mit der Betreuung und wissenschaftspolitischen Beeinflussung der Prähistorischen Archäologie befassten, in der Lehr- und Forschungsstätte Ausgrabungen (kurz: Abteilung Ausgrabungen) im Ahnenerbe vereinigt.

P rojek te und R essourcen der A rchäologie im A hnenerbe Neben den noch nicht abgeschlossenen Projekten der vorangegangenen Jahre übernahm das Ahnenerbe nun vor allem die Ausgrabungen in Haithabu,46 in den Weinberghöhlen von Mauern, am Hohmichele und im Lonetal,47 auf der Karnburg48 sowie in Dolní Věstonice.49 Im Haushaltsjahr 1938/39 stand der Abteilung dafür ein Etat von insgesamt 65.000 RM zur Verfügung (Tabelle 3), wobei es sich um etwa 12% des gesamten Haushaltes des Ahnenerbes handelte. Als festes Personal, dessen Gehalt separat abgerechnet wurde, hatte die Abteilung Ausgrabungen zudem alle acht technischen Mitarbeiter der Vorgängerabteilungen übernommen. Ein Drittel des Ausgrabungsbudgets entfiel auf die Ausgrabungen von Haithabu, dem am stärksten geförderten Einzelprojekt des Ahnenerbes. Außerdem konnte das Ahnenerbe Anfang 1939 noch weitere 11.000 RM für die Aufnahme von Ausgrabungen am Thorsberger Moor mobi46 | Mahsarski 2011a. 47 | Müller-Beck 2011. 48 | Dolenz 2011. 49 | Bloembergen/Eickhoff 2011.

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lisieren, die nicht im Budget eingeplant waren. Aus welchem Etat diese Summe stammt, ließ sich bisher nicht ermitteln. Ungeklärt ist auch, wie die weiteren, nicht im Hauhalt verankerten Projekte finanziert wurden.50 Zu den Archäologen, die an Ausgrabungen und Forschungsprojekten des Ahnenerbes mitarbeiteten, gehörten neben den Abteilungsleitern auch Günther Haseloff (1912-1990), Karl Kersten (1909-1992), Ernst Petersen (1905-1944), Peter Paulsen (1902-1985), Gustav Riek (1900-1976), Martin Rudolph (1908-1992), Alfred Rust (1900-1983), Karl Schlabow (1891-1984), Rudolf Robert Schmidt (1882-1950), Gustav Schwantes (1881-1960), Hermann Schwabedissen (1911-1996), Wilhelm Unverzagt (1892-1971) und Joachim Werner (1909-1994), wobei noch nicht ausreichend geklärt ist, ob und in welchem Umfang dabei jeweils auch Geldmittel zur Verfügung gestellt wurden.51 Tabelle 3: Übersicht über die Ausgrabungsprojekte, die aus dem Etat der Lehrund Forschungsstätte Ausgrabungen des Ahnenerbes für das Haushaltsjahr 1938/39 finanziert wurden. Ausgrabungsprojekt

Aufwendung

Alt-Christburg

4.000 RM

Lonetal

4.000 RM

Lebus an der Oder

6.000 RM

Mauern

7.000 RM

Kriemhildenstuhl

9.000 RM

Haithabu

25.000 RM

Verschiedenes

10.000 RM

Summe

65.000 RM

Ergänzend zur Lehr- und Forschungsstätte Ausgrabungen baute das Ahnenerbe unter dem maßgeblichen Einfluss Jankuhns vier weitere archäologische Forschungsstätten mit jeweils eigenem Etat auf. So wurde im April 1938 die Forschungsstätte für naturwissenschaftliche Vorgeschich50 | Mahsarski 2011a, S. 176–183; Mahsarski 2014. 51 | Halle 2002a; Halle 2002b; Leube 2002; Legendre et al. 2007; Halle 2008; Schallmayer/Kurzynski 2011; Mahsarski 2011a, S. 176–183; Mahsarski 2014; Focke-Museum 2013.

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te (Laboratorium für Pollenanalyse) unter der Leitung von Rudolf Schütrumpf (1909-1986) eingerichtet. Schütrumpf hatte schon in der ersten Hälfte der 1930er Jahre Pollenanalysen für die von Rust bei Ahrensburg ausgegrabenen Siedlungen der ausgehenden Altsteinzeit durchgeführt und auch in Haithabu gearbeitet. Spätestens ab 1937 war er auch für die Abteilung Ausgrabungen des Persönlichen Stabs des Reichsführers SS tätig, wobei sein Gehalt vom Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte gezahlt wurde. Mit ihrer Gründung wurde Schütrumpf zum Leiter der Forschungsstätte ernannt und vom Ahnenerbe bezahlt. Räumlichkeiten und Labors für die Forschungsstätte wurden in Berlin-Dahlem beim Hauptsitz des Ahnenerbes eingerichtet. Soweit es die Bearbeitung der Proben zuließ, die bei den Ausgrabungen des Ahnenerbes anfielen, übernahm Schütrumpf auch auf Nachfrage und gegen Gebühr Aufträge von den staatlichen Denkmalpflegern und Museen.52 Die Einrichtung der Forschungsstätte für Wurtenforschung erfolgte 1939/40. Sie war in Wilhelmshaven angesiedelt und befasste sich mit der Geschichte und Archäologie des Wattenmeeres, seiner Marschen und Wurten. Diese Abteilung existierte parallel zu und am gleichen Ort wie die nur ein Jahr zuvor gegründete Provinzialstelle für Marschen und Wurtenforschung des Hannoverschen Provinzialmuseums. Beide Einrichtungen wurden von Werner Haarnagel (1907-1984) geleitet, einem Geologen, der in Kiel bei Schwantes im Nebenfach promoviert hatte.53 Zusätzlich waren bereits 1938/39 die Forschungsstätte für germanisches Bauwesen unter der Leitung von Martin Rudolph (1908-1992) in Braunschweig und die Forschungsstätte für Urgeschichte unter der Leitung des niederländischen Archäologen Assien Bohmers (1912-1988) gegründet worden.54 Neben den über den offiziellen Etat finanzierten Abteilungen und Aktivitäten scheint es weitere, bisher nicht erfasste archäologische Projekte gegeben zu haben, die über Mittel aus unterschiedlichen Quellen finanziert wurden. So finanzierte der Reichsnährstand im Frühjahr 1939 zumindest teilweise den Ankauf des Geländes von Haithabu durch die Gesellschaft zur Förderung und Pflege Deutscher Kulturdenkmäler e. V.

52 | Mahsarski 2011a, S. 176–183; Mahsarski 2014. 53 | Mahsarski 2011a, S. 176–183; Mahsarski 2014. 54 | Mahsarski 2011a, S. 176–183; Mahsarski 2014.

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Diese Gesellschaft war auch Eigentümer der Wewelsburg und des Ausgrabungsgeländes bei Scharzfeld.55 Ein weiteres Projekt, das dem Bereich der experimentellen Archäologie zugewiesen werden könnte, wurde von Hermann Fegelein (19061945), dem Chef der Reiter-SS, beitragszahlendes Mitglied des Ahnenerbes und späterem Schwager von Eva Braun, unterstützt. Bereits 1937 hatte Karl Schlabow (1891-1984), der Direktor des Textilmuseums Neumünster und sowohl Jankuhns als auch Schwantes’ bevorzugter Textilarchäologe, mehrere Sätze Bekleidung und Streitwagen für das Kreisfest des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen angefertigt. Die Kleidungsstücke waren nach Funden aus bronzezeitlichen Baumsärgen angefertigt worden, während für die Rekonstruktion der Streitwagen auf mykenische Vorbilder zurückgegriffen worden war. Nachdem Sievers im Sommer 1939 im Schwarzen Korps einen Bericht über die Sulkies der Reiter-SS gelesen und anscheinend auch mit Himmler über prähistorische Vorläufer solcher Gefährte gesprochen hatte, kontaktierte er Fegelein, um ihm die Bilder des Reichssportfestes zu schicken. Fegelein zeigte sich begeistert und war bereit, die Streitwagen zu testen, um sie in das Programm der Reiter-SS aufzunehmen und so einen vermeintlich bis in die Bronzezeit zurückreichenden germanischen Sport wiederzubeleben. Dazu sollten mehrere Streitwagen angefertigt werden. Da aber der ausführende Betrieb in Neumünster bis Kriegsende mit Rüstungsaufträgen ausgelastet war, wurde dieses Projekt nicht mehr umgesetzt.56

A rchäologie im K rieg Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges legte das Ahnenerbe alle nicht mit kriegswichtigen Aufgaben betrauten Projekte und Abteilungen für die Dauer des Krieges still. Dies betraf auch die Mehrheit der Aus55 | Mahsarski 2011a, S. 173f. 56 | Brief von Schlabow an Sievers vom 09.05.1939 und begleitende Photos vom Sportfest 19374, in: BArch, NS 21 / 2321. Brief von Sievers an Fegelein vom 15.05.1939; Brief von Fegelein an Sievers vom 23.05.1939; Brief von Sievers Schlabow vom 15.08.1939; Brief von Schlabow an Sievers vom 26.01.1940; undatierte Photos des Sportfestes 1937, in: BArch (ehem. BDC), DS, Lehr- und Forschungsamt Ahnenerbe, Schlabow, Karl (27.04.1891).

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grabungen im Reichsgebiet, womit letztlich eine deutliche Reduktion der Förderung durch die DFG einherging.57 Die im Ahnenerbe angestellten und vielfach vernetzten Wissenschaftler wurden nun weniger zu Forschungsarbeiten als vielmehr zu Recherchen, Sondierungsarbeiten und Kunst- und Kulturraubaktionen im Zuge der militärischen Entwicklungen herangezogen. In einigen Fällen waren dabei archäologische Forschung und Kriegseinsatz eng miteinander verbunden. Gleichzeitig entsandte das Ahnenerbe in Kooperation mit dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) bereits Ende September 1939 ein Sonderkommando mit Peter Paulsen als Leiter und einzigem Mitglied nach Polen (SK Paulsen), um zu überprüfen, in welchem Umfang dort Bibliotheken und Museumsbestände für das Ahnenerbe geplündert werden könnten.58 Paulsen beschlagnahmte den von Veit Stoss (um 1447-1533) geschaffenen Hochaltar der Krakauer Marienkirche und beging damit den ersten Kunst- und Kulturgutraub des Zweiten Weltkrieges.59 Auf diese Aktion auf bauend, vergrößerte das Ahnenerbe das SK Paulsen um Schleif, Petersen, den österreichischen Zoologen Eduard Tratz (1898-1977) und den Volkskundler Heinrich Harmjanz (1904-1994) und entsandte es erneut nach Polen.60 Dort war mittlerweile auch der von Reichsmarschall Hermann Göring (1893-1946) entsandte österreichische Kunsthistoriker Kajetan Mühlmann (1898-1958) im Einsatz,61 mit dem man sich aber so arrangieren konnte, dass die geplünderten archäologischen und naturwissenschaftlichen Objekte an das Ahnenerbe gingen, während Kunstobjekte an Göring fielen. In der Folge stellte das Ahnenerbe dann wissenschaftliches Personal und einen Teil der Verwaltungskräfte unter der Leitung von Sievers für die kurz darauf eingerichtete Haupttreuhandstelle Ost.62 57 | Kater 1974, S. 191; Lerchenmüller/Simon 1999, S. 180–184. 58 | Grundlegend zum Kunst- und Kulturraub: Nicholas 1995; Petropoulos 1996; Eichwede/Hartung 1998; Heuß 2000; speziell zum Raub von Bibliotheksbeständen: Dehnel 2008. 59 | Kater 1974, S. 147ff.; Mężyński 2000; Halle 2002, S. 467; Jacobs 2002; Pringle 2006, S. 195–209; Mahsarski 2011a, S. 201–204. 60 | Kater 1974, S. 147ff.; Mężyński 2000; Halle 2002, S. 467; Pringle 2006, S. 195–209. Zu Harmjanz vgl. Scholl 2008. 61 | Zu Göring als Kunstliebhaber vgl. Yeide 2009; Löhr 2009; zum umfangreichen Kunstraub Mühlmanns vgl. u.a. Nicholas 1995; Heuß 2000. 62 | Zur Haupttreuhandstelle Ost vgl. Dingell 2003; Rosenkötter 2003.

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Diese Behörde war Görings Dienststelle des Beauftragten für den Vierjahresplan unterstellt und für die Verwertung des polnischen Staatsbesitzes und des Besitzes von ermordeten polnischen Juden, Intellektuellen und Widerstandskämpfern/-innen zu Gunsten des Deutschen Reiches sowie die Arisierung der polnischen Wirtschaft zuständig. Für die Mitarbeit an der Haupttreuhandstelle Ost berechnete Sievers Göring zehn Prozent des erzielten Gewinns. Ob diese Summe jemals gezahlt wurde, ließ sich aber noch nicht klären.63 Ähnliche Treuhandstellen scheint es auch für Elsass-Lothringen und für Südtirol gegeben zu haben. Im Falle Südtirols und der Gottschee stellte das Ahnenerbe auch das Personal für die Kulturkommissionen, die das Ahnenerbe in Kooperation mit der Dienststelle des Reichskommissars für die Festigung des Deutschen Volkstums betrieb und die für die Erfassung des kulturellen Erbes und der Archivalien der umzusiedelnden, deutschstämmigen Bevölkerung verantwortlich waren. In diesem Kontext wurde auch Rudolphs Forschungsstätte für germanisches Bauwesen zu einer Lehr- und Forschungsstätte aufgewertet.64 Parallel zur Plünderung Polens begann sich das Ahnenerbe bereits im Herbst 1939 auch im Bereich des Denkmalschutzes im Reich und in den besetzten Gebieten zu engagieren. Auch wenn die damit verbundenen Vorhaben nicht alle in vollem Umfang durch- und umgesetzt werden konnten - eines der gescheiterten Schlüsselelemente war Jankuhns Versuch, Langsdorff als Heeresarchäologen beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) oder beim Oberkommando des Heeres (OKH) zu installieren - bildeten diese Pläne die Grundlage für die späteren Operationen des Ahnenerbes in Skandinavien (vgl. weiter unten). Außerdem konnten so eine Reihe von Ausgrabungen in Polen unter die Kontrolle des Ahnenerbes gebracht werden, darunter der bedeutende Fundort Biskupin.65 In Skandinavien, den Benelux-Ländern und Frankreich war die deutsche Besatzungspolitik grundsätzlich anders ausgerichtet als in den besetzten Ostgebieten, insbesondere was öffentlichen Kunst- und Kulturgüter betraf, die hier durch den Kunstschutz der Wehrmacht betreut 63 | Kater 1974, S. 147ff.; Mężyński 2000; Pringle 2006, S. 195–209; Mahsarski 2014. 64 | Kater 1974, S. 159–170. 65 | Kater 1974, S. 292; Kaczmarek 2009; Mahsarski 2011a, S. 202–205; ders. 2013; Mahsarski/Schöbel 2013.

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wurden. Jüdischer Besitz wurde dagegen systematisch durch den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg geplündert.66 Das Ahnenerbe wiederum plante zwar umfangreiche Forschungsvorhaben, diese sollten aber im Wesentlichen erst nach dem „Endsieg“ durchgeführt werden. Einige der vorbereiteten Projekte wurden jedoch ab 1942 als Teil des sog. Germanischen Wissenschaftseinsatzes vorangetrieben (vgl. weiter unten).67 Außerdem wurden vorbereitende Reisen durchgeführt, bei denen die Wissenschaftler des Ahnenerbes gleichzeitig als Feldagenten des Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS (SD) agierten und geheimdienstliche Informationen u.a. über die Stimmung der lokalen Bevölkerung sammelten. So reiste Jankuhn 1940 nach Oslo, wo er als Teil der Einsatzgruppe Norwegen der Sicherheitspolizei und des SD u. a. die Einstellung der Archäologen zur deutschen Besatzung ermittelte und gegenüber den deutschen Behörden den Denkmalschutz als propagandistisch wertvollen Aspekt der Besatzungsherrschaft und Propaganda verankerte. Indizien sprechen zudem dafür, dass Jankuhn auch an dem Versuch beteiligt war, den in Schweden inhaftierten ehemaligen Reichstagsabgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands Ernst Wollweber (1898-1967) nach Norwegen überstellen zu lassen. Wollweber hatte die Sabotage deutscher, italienischer und spanischer Schiffe organisiert und sollte gegen schwedische Staatsbürger, die wegen Unterstützung des norwegischen Widerstandes verhaftet worden waren, ausgetauscht werden.68 Weiterhin operierte Jankuhn in der Bretagne und der Normandie, wo er im Auftrag von Werner Best (1903-1989), einem ranghohen SS-Offizier und Verwaltungschef des deutschen Militärbefehlshabers im besetzten Frankreich, die Haltung der Bevölkerung in Hinsicht auf die Einrichtung von Satellitenstaaten untersuchte.69 Andere Mitglieder des Ahnenerbes waren mit ähnlichen Aufträgen unterwegs. Kersten sammelte Informationen über die Einstellung der Dänen zur deutschen Besatzung, der Germanist Joseph Otto Plassmann (1895-1964) war in Frankreich und den Nieder-

66 | Nicholas 1995; Heuß 2002; Zellhuber 2006. 67 | Zum Einsatz von Archäologen in West- und Nordeuropa: Heuß 2002; Leube 2007a, S. 110–118; Halle 2008, S. 154–162; Mahsarski 2011a, S. 201–205; 232f.; Mahsarski 2014; Legendre/Halle 2013. 68 | Zu Wollweber vgl. Flocken/Scholz 1994. 69 | Zu Best vgl. Herbert 2001.

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landen im Einsatz, Schwabedissen und die Anthropologin Gisela Asmus (1905-?) im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren.70 Erst mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion ergab sich für das Ahnenerbe wieder die Möglichkeit, sich in größerem Umfang am Kunst- und Kulturgutraub zu beteiligen. So plünderte das Sonderkommando Jankuhn 1942 und 1943 in Südrussland und der Ukraine primär archäologische Objekte. Auch auf diesen Erfahrungen auf bauend raubte das SS-Sammelkommando unter Heinz Brücher 1943 Saatgut aus landwirtschaftlichen Versuchsstationen in derselben Region.71 Das Sonderkommando K, das unter der Leitung von Ernst Schäfer im Kaukasus eingesetzt werden sollte, kam dagegen nicht mehr zum Einsatz, weil die Region nur kurzfristig im deutschen Einflussbereich lag.72 In diesem Kontext bekamen die Mitarbeiter des Ahnenerbes auch direkt Kenntnis von den durch die Einsatzgruppen durchgeführten Massenmorden.73 Parallel zu diesen geheimdienstlichen Tätigkeiten engagierte sich das Ahnenerbe auch verstärkt im Bereich der Propaganda, wodurch die Kooperation mit dem SS-Hauptamt, insbesondere mit dessen Schulungsamt (SA-SS-HA), noch einmal vertieft wurde. So wurde im Juni 1942 auf einem Treffen unter anderem verabredet, dass das Ahnenerbe sich stärker an den SS-Leitheften beteiligen sollte. Kurz darauf begann das Ahnenerbe mit einer umfangreichen Reihe von Ausgrabungen auf dem Balkan. Die Ausgrabungen standen unter Jankuhns Oberaufsicht, der deswegen im Juli 1942 zusammen mit Sievers den Balkan bereiste, und wurden von Dehn, Rust, R. R. Schmidt und Unverzagt durchgeführt. Um die Finanzierung kümmerte sich das Schulungsamt, das dafür 100.000 RM zur Verfügung stellte. Im Gegenzug war mit dem SA-SS-HA verabredet wor70 | Leube 2007a, S. 100–118; Halle 2008, S. 154–162; Mahsarski 2011a, S. 201–205; 211–216; 230–233; Mahsarski 2014. 71 | Mahsarski 2011a, S. 234–282; Mahsarski 2014; Hossfeld/Thornström 2002. 72 | Kater 1974, S. 211–218; Pringle 2006, S. 239–256; Mahsarski 2014. 73 | Pringle 2006, S. 223–227; Mahsarski 2011a, S. 256f.; Mahsarski 2014; Parallel zu diesen geheimdienstlichen und militärischen Tätigkeiten engagierte sich das Ahnenerbe auch verstärkt im Bereich der Propaganda, wodurch die Kooperation mit dem SS-Hauptamt, insbesondere dem Schulungsamt, noch einmal vertieft wurde. So wurde im Juni 1942 auf einem Treffen unter anderem verabredet, dass das Ahnenerbe sich stärker an den SS-Leitheften beteiligen sollte.

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den, dass die populärwissenschaftliche Publikation der Ausgrabungsergebnisse dem Schulungsamt überlassen werden würde.74 Weiterhin führte das Ahnenerbe Ausgrabungen auf dem Gebiet der Tschechoslowakei und in Südrussland durch, für die niederländische Archäologen zum Einsatz kamen. Wie diese Ausgrabungen finanziert wurden, ist noch nicht geklärt.75 Basierend auf Konzepten, die im Ahnenerbe unter der maßgeblichen Beteiligung von Plassmann, dem Schriftleiter der Ahnenerbe-Zeitschrift „Germanien“, und Jankuhn bereits ab 1937 entwickelt worden waren, autorisierte Himmler 1941 die Gründung der Germanischen Leitstelle (GL). Das erklärte Ziel der Germanischen Leitstelle war die Werbung von Freiwilligen für die Waffen-SS sowie die Beeinflussung der als „germanisch“ wahrgenommenen Nachbarländer im Sinne der SS. Leiter dieser als Amt VI im SS-Hauptamt organisierten Leitstelle wurde SS-Obersturmbannführer Franz Riedweg (1907-2005), als Verbindungsoffizier zum Ahnenerbe wurde Plassmann eingesetzt. Weitere Unterstützung kam vom Rasse- und Siedlungshauptamt, dessen sog. Rasse- und Siedlungsführer für die rassenbiologischen Untersuchungen potentieller Rekruten und für die Schulung aller SS-Angehörigen in allen rassenbiologischen Fragen verantwortlich waren. Die Germanische Leitstelle unterhielt Außenstellen in Oslo, Kopenhagen, Brüssel und Den Haag. Im Rahmen der GL initiierte das Ahnenerbe den Germanischen Wissenschaftseinsatz, der auch mit Geldern der Leitstelle finanziert wurde. Im Kontext der Germanischen Leitstelle zielte der Germanische Wissenschaftseinsatz auf die Erforschung der „germanischen“ Vergangenheit Europas und die Nutzbarmachung der dabei gewonnenen Forschungsergebnisse für die Propaganda im Reich und besonders in den besetzten Gebieten. Die Forschungsprojekte sollten dabei selbst exemplarisch für den Einsatz der Deutschen für ein pan-germanisches Europa stehen.76 Offiziell wurde der Germanische Wissenschaftseinsatz im Mai 1943 mit einer Tagung in Hannover ins Leben gerufen. Als erstem Vorzeigeprojekt wurde dort der Auswertung von Jankuhns Untersuchung des Tep74 | Kater 1974. S. 182–185; Mahsarski 2011a, S. 230–234. 75 | Eickhoff 2002; Pringle 2006, S. 134ff.; Eickhoff 2007; Bloembergen/Eickhoff 2011. 76 | Kater 1974, S. 170–187; Wegner 1997, S. 310–316; Mahsarski 2011a, S. 230–234, 275ff. u. 282f.; Mahsarski 2014.

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pichs von Bayeux eine eigene Sektion gewidmet. Dieses Forschungsprojekt war bereits zuvor von der Propaganda-Kompanie der Waffen-SS, die u. a. einen Fotographen für die Untersuchung des Teppichs von Bayeux zur Verfügung gestellt hatte, gefördert worden.77 Ebenfalls unter einer „pan-germanischen“ Idee stand die Finanzhilfe, die bereits 1940 für die norwegische Archäologie mobilisiert worden war, während Jankuhn als Mitglied des SD-Büros Oslo im Einsatz war. Die Mittel dafür stammten wahrscheinlich aus dem Etat des Reichssicherheitshauptamts oder direkt aus dem Persönlichen Stab des Reichsführers SS. Die norwegischen Archäologen nahmen das Geld zwar an, engagierten sich aber trotzdem weiterhin im Widerstand.78

S chlussbe tr achtung Bereits ab 1933 engagierten sich die SS und der Reichsnährstand im Bereich der Archäologie, wobei anfangs nur wenig Geld zur Verfügung stand. Zusätzlich litt die Förderung darunter, dass sie sich primär auf die völkische Laienforschung konzentrierte und so wenig Anerkennung fand. Mit der wissenschaftlichen Neuausrichtung des Ahnenerbes und der damit verbundenen Zusammenfassung der archäologischen Abteilungen zur Lehr- und Forschungsstätte Ausgrabungen, sowie dem nachfolgenden systematischen Ausbau in fünf Abteilungen konnten umfangreiche Gelder mobilisiert werden. Neben privaten Zuwendungen wurde das Budget dafür im Wesentlichen als Drittmittel von der DFG eingeworben. Während des Krieges wurden viele als nicht kriegswichtig eingestufte Projekte vorübergehend eingestellt, wodurch auch die Förderung durch die DFG deutlich zurückging; im Gegenzug wurden zusätzliche Gelder direkt aus den Etats der SS mobilisiert.

77 | Kater 1974, S. 170–187; Mahsarski 2011a, S. 215–220 u. 230–234; Mahsarski 2014. 78 | Mahsarski 2011a, S. 205–211.

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Zwischen staatlicher Denkmalpflege, SS-Wehrgeologie und Kulturgutraub Heinrich Himmler und sein Wewelsburger SS-Archäologe Wilhelm Jordan (1903–1983) 1 Dana Schlegelmilch

Zusammenfassung Der Artikel beleuchtet die Biografie Wilhelm Jordans, der aus seinem Studium bei Gero von Merhart heraus 1935 die Stelle als SS-Prähistoriker auf der Wewelsburg bei Paderborn antrat und ab 1938 auch Staatlicher Bodendenkmalpfleger für Lippe und das Paderborner Land wurde. Jordan scheute sich in Wewelsburg wie auch während seines Kriegseinsatzes als SS-Wehrgeologe nicht, KZ-Häftlinge für sich arbeiten zu lassen, und unternahm für die SS zudem Ausgrabungen in Konzentrationslagern. Von 1 | Der Text präsentiert eine überarbeitete und aufgrund neuer Quellenerschließung stark erweiterte Fassung eines Vortrags, den ich am 5.10.2011 auf dem 7. Deutschen Archäologiekongress in Bremen gehalten habe. Ich danke Stefanie Haupt, Olga Ohly, Moritz Pfeiffer und Immo Opfermann herzlich für ihre engagierte Unterstützung und Diskussionsfreude. Für ihre bereitwillige und umfangreiche Förderung meiner Recherche bin ich Prof. Dr. Andreas Müller-Karpe, Dr. Ulrike Söder und den Angehörigen des Marburger Vorgeschichtlichen Seminars, Dr. Klaus Sippel vom Landesamt für Denkmalpflege Marburg, Prof. Dr. Gunter Schöbel und dem Team des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen, Dr. Irina Görner und Melanie Zindler vom Hessischen Landesmuseum Kassel, Dr. Gabriele Rasbach von der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt/Main sowie Prof. Dr. Robert Hoffmann, Universität Salzburg, und Dr. Robert Lindner, Haus der Natur Salzburg, sehr dankbar.

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Himmler mit einem „Sonderauftrag“ zum Kulturgutraub ausgestattet, war er massiv an den Plünderungen von Museen insbesondere auf der Krim beteiligt. Auch in der Nachkriegszeit hielt Jordan an seinen politischen Überzeugungen fest und engagierte sich u.a. in der NPD. Als Motivationsgeber und Triebkraft wirkte dabei vor wie nach 1945 seine persönliche Beziehung zu Heinrich Himmler.

Summar y This article examines the biography of Wilhelm Jordan, who – out of his studies under Gero von Merhart – became SS-prehistorian at the Wewelsburg near Paderborn in 1935, later achieving the official position of ‘Bodendenkmalpfleger’ for the districts of Lippe and Paderborn in 1938. Jordan didn’t shy away from forcing concentration camp prisoners to work for his purposes in Wewelsburg nor during his war deployment as ‘SS-Wehrgeologe’; additionally, he carried out excavations within concentration camps for the SS. Charged by Heinrich Himmler with a special mission, Jordan was also highly involved in the plundering of museums, particularly in Crimea. Post-war, Jordan kept his political convictions and became involved with the NPD, amongst other organizations. Before and after 1945, it was his personal relationship to Heinrich Himmler that acted as his motivator and driving power.

E inleitung Heinrich Himmler war ohne Zweifel ein großer Förderer der Prähistorie: Was im populären Himmlerbild oft nur auf Basis von Nachkriegslegenden als ‚spinnerte Germanentümelei’ verlacht wurde, äußerte sich zwischen 1933 und 1945 konkret in einer umfangreichen finanziellen Unterstützung verschiedener Fachstrukturen und einer regen Anteilnahme der obersten SS-Führung an archäologischen Grabungen. So ließ sich Heinrich Himmler 1935 von Reichserziehungsminister Rust ein eigenes Grabungsrecht einräumen2 und formulierte sechs Monate später seinen 2 | Landesamt für Denkmalpflege Marburg, Sachakte Reichsminister, Erlass V b 70/35 des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 10.1.1935. Das Schreiben ging in Abschrift auch an die Kultusmi-

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Willen, „in jedem SS-Abschnitt eine [...] Kultstätte auszugraben, um seiner SS eine feste Bindung an die germanische Vorzeit zu geben“.3 Die vielfältigen Aktivitäten der SS auf diesem Gebiet bedingten, dass Himmler auch persönliche Beziehungen zu Prähistorikern4 etablierte, denn es war charakteristisch für den unermüdlichen Führungsstil Himmlers, in den ihm wichtigen Bereichen innerhalb der SS selbst dafür zu sorgen, dass „der richtige Mann an den richtigen Platz“ gestellt und ihm alle Möglichkeiten gegeben würden.5 Im Gegenzug verlangte Himmler immer die beste Lösung für die gestellte Aufgabe. Diese Strategie – im modernen Management als „Empowerment“ bezeichnet – hat Ian Kershaw für die NS-Zeit unter Zugrundelegung des Konzepts der charismatischen Herrschaft von Max Weber als „dem Führer entgegenarbeiten“ bezeichnet.6 Dabei erfolgte das Handeln in dem Wissen, dass auch die radikalste Lösung Zustimmung und sogar Lob finden würde. Kershaw kann so die Schritte der Radikalisierung, die zum Holocaust führten, ohne dass es eines spezifischen Hitlerbefehls bedurfte, erklärbar machen. Um zu verdeutlichen, wie sich dieses Verhältnis real gestalten konnte, soll hier die Biografie des SS-Archäologen Wilhelm Jordan untersucht und sein Verhältnis zu Heinrich Himmler dargestellt werden.7 Jordan ist im nister der Länder mit der Bitte, diese Ermächtigung zusätzlich für die Gebiete außerhalb Preußens zu erteilen; abgedruckt bei Halle 2009, S. 247. 3 | Aktennotiz Apffelstaedt, 10.7.1935, Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Provinzialverband 11399; zitiert nach Halle 2002, S. 351. 4 | Da die hier behandelnden Personen fast ausschließlich Männer sind, habe ich mich entschlossen, in diesem Text generell das generische Maskulinum zu verwenden. Eine Diskriminierung von Frauen ist mit diesem Sprachgebrauch ausdrücklich nicht intendiert. 5 | Peter Longerich widmet sich in seiner Biografie Heinrich Himmlers zwar speziell dessen Führungsstil, übergeht jedoch die diesem innewohnende Reziprozität, vgl. Longerich 2010, S. 309–363. Himmler erzog und überwachte seine Untergebenen nicht nur bis in deren Privatleben hinein, sondern motivierte sie fortwährend auf sehr persönlicher Ebene durch Vertrauensbeweise seinerseits. Er zeigte sich durch die stark personalisierte Bindung damit auch Wert, ihm die von Longerich betonte Treue entgegenzubringen. 6 | Kershaw 1993; für eine Kritik des Konzeptes vgl. Gotto 2007. 7 | Dass Jordan in der bisherigen Forschungsliteratur zu den archäologischen Aktivitäten der SS nur mehr am Rande aufgetaucht ist, mag auch damit

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Fach heute weitestgehend vergessen, doch hatte er zwischen 1935 und 1945 direkten Kontakt mit Heinrich Himmler, denn er bekleidete die Position des Archäologen auf der SS-eigenen Wewelsburg.8 Dieses Renaissanceschloss und das gleichnamige Dorf liegen etwa 20 km von Paderborn entfernt in Ostwestfalen. Das Schloss wurde 1934 durch den Reichsführer-SS Heinrich Himmler zu einem symbolischen Preis gepachtet, um es für die Schutzstaffel der NSDAP umbauen zu lassen, zunächst unter Heranziehung des Reichsarbeitsdienstes.9 Mit der unmittelbaren Kriegsvorbereitung und dem Kriegsbeginn stand dieser aber nicht mehr zur Verfügung, so dass hier 1939 ein Außenkommando des KZ Sachsenhausen eingesetzt wurde. 1941 erhielt das Lager den Status eines selbständigen Konzentrationslagers und wurde nach der an das Dorf Wewelsburg angrenzenden Feldflur, auf dem es errichtet wurde, als „KL Niederhagen“ geführt.10 Hier kamen unter grausamen Bedingungen mindestens 1.284 Menschen ums Leben. Zudem war das KZ Niederhagen Exekutionsort für mindestens 56 Gestapohäftlinge aus Westfalen, die zur Vollstreckung des Todesurteils nach Wewelsburg gebracht wurden. All dies erlebte der in der „Marburger Schule“ geprägte Prähistoriker Wilhelm Jordan seit seinem Stellenantritt im Jahre 1935 mit. Mehr noch: Während seines Einsatzes als Wehrgeologe der Waffen-SS war Jordan ab 1942 im Namen der Vorgeschichtsforschung am Kulturgutraub in der Ukraine beteiligt und auch dort massiv in die Verbrechen der SS verstrickt.

zusammenhängen, dass der Blick der Forschung in diesem Bereich bislang auf das SS-Ahnenerbe verengt war; Jordan gehörte jedoch bis 1945 niemals dem Ahnenerbe an. Er ist damit ein Beispiel dafür, dass auch in anderen Organisationseinheiten der SS Prähistoriker wirkten. 8 | Vgl. Herring 2009 und Huismann 2009. Heuss gibt hingegen ein stark verzerrtes Bild Jordans wieder, vgl. Heuss 2000, 244–246. Die Artikel von Herring und Huismann entstanden als Ergebnis mehrjähriger Forschungen der beiden am Kreismuseum Wewelsburg (KMW). Ich übernahm die weitere Erforschung von 2007 bis 2010; die Ergebnisse werden auch in der 2010 eröffneten Dauerausstellung der Gedenkstätte präsentiert (vgl. Brebeck et al. 2011). 9 | Vgl. Schulte 2009; Hüser 1982. 10 |  Vgl. John 2001.

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D ie persönliche und fachliche P r ägung bis 1933 Wilhelm Jordan wurde am 11.1.1903 in Merseburg an der Saale in einem konservativ-nationalen Elternhaus geboren, sein Vater war Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Merseburg. Benannt wurde er nach seinem Großonkel, der 1848/49 als liberaler Paulskirchenabgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war. Dieser hatte dort ein großdeutsches Reich unter preußischer Führung gefordert und sich gegen einen eigenständigen polnischen Staat engagiert.11 Wilhelm Jordan der Jüngere besuchte das protestantische Gymnasium „Schulpforta“ in Naumburg an der Saale, verließ die Schule jedoch, ohne das Abitur abgelegt zu haben.12 Stattdessen absolvierte er, da er künstlerisch außerordentlich begabt war, von 1922 bis 1924 eine Ausbildung zum Kunstdrechsler in Berlin und Leipzig, die er bis zum Meister führte. Ab 1921 war er zusätzlich an der Universität Berlin für die Fächer Geologie und Paläontologie immatrikuliert, hier allerdings aufgrund des fehlenden Abiturs nur in sog. „Kleiner Matrikel“, also als Gasthörer. Von 1923 bis 1927 war er Mitglied im Jungnationalen Bund (Junabu). Dieser extrem rechte und gegen die Weimarer Republik gerichtete Teil der bündischen Jugendbewegung war allein Männern vorbehalten und schloss bereits seit seiner Gründung 1921 explizit Juden von der Mitgliedschaft aus.13 1929 holte Jordan sein Abitur nach und begann, in Marburg Vorgeschichte zu studieren. Als Nebenfächer belegte er Klassische Archäologie, Geologie, Zoologie und Botanik. Jordan gehörte damit zu den allerersten Prähistorikern, die ein solches Studium in Deutschland aufnehmen konnten, denn das Marburger Institut war erst 1927 gegründet worden.14 Die von der Persönlichkeit Gero von Merharts geprägte Marburger Lehre band die Studierenden direkt in die Tätigkeit des Vertrauensmannes 11 | Vgl. Broszat 1972, S. 113f. Außerdem war Wilhelm Jordan der Ältere durch verschiedene Werke als Schriftsteller hervorgetreten: Bis heute bekannt sind seine Nachdichtung des Nibelungenliedes in Stabreimen (vgl. Jordan 1867; ders. 1874) sowie seine Edda-Übersetzung (vgl. ders. 1889). 12 | Die folgenden Angaben entsprechen den Lebensläufen im Bundesarchiv (BArch), BDC SSO Jordan, Wilhelm und BArch, BDC RS Jordan, Wilhelm; dazu auch Jordan an Hüser, 9.8.1982, KMW 70/1/2/14. 13 | Vgl. Kindt 1974, S. 495. 14 | Vgl. Theune 2006; Schlegelmilch 2006.

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für Bodendenkmalpflege mit ein, und zwar einerseits aus didaktischen Gründen, andererseits aber auch aus Geldmangel. Jordan übernahm hier genauso wie die anderen meist jüngeren Studenten auch Ausgrabungen für Merhart – er erwies sich darin bald als einer der besten und war ein leidenschaftlicher praktischer Arbeiter.15 Das buchwissenschaftliche Studium hingegen, insbesondere das eigene Verfassen wissenschaftlicher Texte, lag Jordan nicht, hier verzettelte er sich, fand keinen roten Faden und war ständig selbst mit seinen Grabungsberichten im Rückstand, weil er es nicht schaffte, sie auf das Wichtigste zu reduzieren.16 Im Umfeld des Marburger „Ladens“ – wie Merhart sein Institut selbst nannte – wandte sich Jordan der NSDAP zu (Abb. 1); 1930 wurde er Mitglied (Parteinr. 313.903), ein halbes Jahr später trat er auch der Marburger SA bei.17 Damit hatte Jordan bis zu seinem 30. Geburtstag eine radikale rechtspolitische Sozialisation durchlaufen. Abb. 1: Wilhelm Jordan im Kreise der Marburger Studenten (rechts neben ihm Joseph Bergmann) im Wintersemester 1934/35; am Revers trägt Jordan das NSDAP-Parteiabzeichen.

Foto: Vorgeschichtliches Seminar der Philipps-Universität Marburg.

15 | Prof. Dr. Edward Sangmeister erinnerte sich im persönlichen Gespräch mit mir lebhaft daran, dass in den von Gero von Merhart gehaltenen Vorlesungen Mitte der 1930er Jahre die Ausgrabungen Jordans als mustergültig aufgezeigt wurden. 16 | Merhart an Jordans Mutter Auguste Jordan, 18.12.1936, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. 17 | SS-Stammrollen-Ausweis sowie handgeschriebener Lebenslauf aus dem Jahr 1937 in BArch, BDC SSO Jordan, Wilhelm.

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V on M arburg nach W e welsburg 1933 arbeitete Jordan bereits an seiner Dissertation, die er zu dem von ihm ausgegrabenen eisenzeitlichen Siedlungsplatz von Altenritte in Nordhessen schreiben wollte.18 Um dem chronischen Geldmangel Jordans – der sich nach seiner Heirat im März 1934 noch verschärfte – zu begegnen, vermittelte Merhart ihn im Juni 1934 als „Hilfsaufseher“ an das Kasseler Landesmuseum.19 Dort sollte Jordan einerseits die Materialaufnahme für seine Dissertation vorantreiben, andererseits dabei für das Museum eine grobe Ordnung in die vorgeschichtlichen Bestände bringen. Zudem war er hier – unter den Augen des Kasseler Museumsdirektors und Kunsthistorikers Kurt Luthmer, der als Merharts offizieller Stellvertreter in der Bodendenkmalpflege eingesetzt war – Merharts ausführende Hand im Vertrauensmannsamt, d.h. er war der direkte Ansprechpartner für die ehrenamtlichen Pfleger in Nordhessen. Auch für Notgrabungen, deren Zahl vor allem durch die ausgeweitete Tätigkeit des Reichsarbeitsdienstes ab 1933 stark zunahm,20 war er vor Ort und erhielt dafür auch Zahlungen aus dem Budget des Vertrauensmannes.21 Merhart versuchte so, Jordan zu unterstützen. Jordan wiederum füllte seine Denkmalpflegerrolle mit Leidenschaft aus, schrieb Zeitungsartikel und betrieb eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Er suchte die Verständigung mit den engagierten Pflegern und Laienforschern und trat esoterisch-völkischen Phantasten vehement entgegen. Besonders verteidigte er seinen Lehrer Gero von Merhart, der in dieser Zeit verstärkt Angriffen ausgesetzt war.22 Um seine Arbeit im Kasseler Landesmuseum fertig stellen und den Doktortitel erwerben zu können, lehnte Jordan sogar eine ihm von Ernst Sprockhoff angebotene Stelle als technischer Leiter der Werkstätten des Römisch-Germanischen 18 | Vgl. Jordan 1938; ders. 1940; ders. 1941a; dazu auch Hessisches Landesmuseum Kassel (HLMK), Ortsakte Altenritte, Sportplatz, Siedlung, Spätlatènezeit: Grabung Jordan 1932, 1935. 19 | Merhart an Auguste Jordan, 18.12.1936, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. Vgl. dazu auch die Korrespondenz im HLMK, Altakte W. Jordan Schriftwechsel. 20 | Arbeitsdienst an Merhart, 24.5.1934, HLMK, Schriftwechsel 1934. 21 | Merhart an Jordan, 19.9.1934, Kreismuseum Wewelsburg, Nachlass Jordan (im Folgenden zitiert als KMW/NJ) 223. 22 | Vgl. Schlegelmilch 2006, S. 47ff.

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Zentralmuseums (RGZM) ab, obwohl Merhart ihm zugeraten hatte, die Stelle anzunehmen.23 Von Kassel aus trat Jordan dann im Herbst 1935 in den Dienst der „SS-Schule Haus Wewelsburg“; die Stelle war ihm wohl durch den dort bereits wirkenden „Schulungsleiter“ Hans-Peter DesCoudres vermittelt worden, der aus Kassel stammte.24 Die als „Reichsführerschule SS“ geführte Wewelsburg war ein SS-Projekt, das unter starkem Einfluss des Leiters des SS-Rasse- und Siedlungshauptamtes und Reichsbauernführers Richard Walter Darré gegründet worden war.25 Unter der Aufsicht eines sog. „SS-Burghauptmannes“ – des Schwagers von Darré – war begonnen worden, einen Stab junger Wissenschaftler aus denjenigen akademischen Disziplinen zu bilden, die für die SS von ideologischer Bedeutung waren. Diese Akademiker verfolgten ihre Forschungsgegenstände eigenständig und unterlagen keinerlei Direktiven von Himmlers Seite.26 Welche Anforderungen für die Stellenbesetzungen gestellt wurden, formulierte der Wewelsburger Historiker und „SS-Schulungsleiter“ Karlernst Lasch in einem Brief aus dem Jahre 1935: „Der Wissenschaftler, den wir uns wünschen, muss ausser der entsprechenden weltanschaulichen und soldatischen Einstellung rein fachlich wissenschaftlich geschult sein, jedoch gründlich frei davon sein, die 23 | Tätigkeitsbericht v. cand. W. Jordan 19.9.1934, Landesamt für Denkmalpflege Marburg, Personenakte Jordan; Merhart an Auguste Jordan, 18.12.1936, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. 24 | Bericht und Erklärung des SS-Obersturmführers Jordan, 9.11.1938, KMW/NJ 160; vgl. dazu auch einen Vorgang zum Interesse der Wewelsburger SS am Steinkammergrab von Züschen: Möbius an Merhart, 15.8.1935, HLMK, Altakte Schriftwechsel mit Gero von Merhart; Lasch an Luthmer, 14.10.1935, HLMK, Altakte W. Jordan Schriftwechsel; Landesamt für Denkmalpflege Marburg, Sachakte SS. Zu DesCoudres vgl. Moors 2009b. 25 | Vgl. Moors 2009a. 26 | Noch Ende der 1970er Jahre schwang in Jordans Worten der Stolz auf dieses Vertrauen mit: „Von Berlin aus wurden keinerlei Richtlinien, Vorschläge oder Einwände gegeben. Dafür vertraute man dort allein den in Wewelsburg unabhängig voneinander zusammengerufenen und selbst für ihr Fach verantwortlichen jungen Kräften.“ Wilhelm Jordan, Wewelsburg, Kreis Paderborn – Museumseinrichtung 1935–1944. Nach Erinnerungen von Wilhelm Jordan, ehem. Abt.-Leiter. Mit Planskizze – Ziffer 1-40, 28.12.1979, KMW 70/1/2/14.

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Wissenschaft als Selbstzweck zu betrachten. [...] Wir brauchen also weder einen verknöcherten Wissenschaftler noch einen Phantasten.“27 Dieses Wissenschaftsverständnis entsprach Jordans eigener Auffassung von Vorgeschichtsforschung; für ihn waren die Hinwendung des Fachwissenschaftlers zum Laien und die Herstellung eines Anwendungsbezugs der Archäologie für die Allgemeinheit zentrale Aspekte seines Selbstverständnisses.28

D ie „A bteilung V orgeschichte und G eologie “ in der W e welsburg In Wewelsburg wurde Wilhelm Jordan damit beauftragt, eine „Abteilung Vorgeschichte und Geologie“ aufzubauen. Direkten Anstoß dazu hatten archäologische Funde gegeben, die im Rahmen der Bauarbeiten zur Umgestaltung des Schlosses gemacht worden waren. Jordan übernahm als fachkundiger Akademiker Ausgrabungen und Prospektionen in der Umgebung und baute ein regionales Museum mit Restaurierungswerkstatt als „Schau- und Lehrsammlung“ für Archäologie, Paläontologie und Geologie auf. Zudem richtete er ein Akten- und Bildarchiv für die Landesaufnahme ein und publizierte immer wieder kleinere Fundberichte.29 Mit seinem Stellenantritt in Wewelsburg verbesserte sich Jordans finanzielle Lage immens: Hatte er 1934 während seiner Tätigkeit in Kassel 27 | Lasch an Otto Sigfrid Reuter, 14.10.1935, abgedruckt bei Hüser 1982, S. 210. 28 | Jordans archäologische Tätigkeiten von den 1930ern bis in die 1980er Jahre lassen sich aufgrund seiner aktiven Öffentlichkeitsarbeit auch anhand von Artikeln in Tageszeitungen nachvollziehen, wie beispielsweise das Publikationsverzeichnis Jordans von 1930 bis 1938 in BArch, NS 21/1735 zeigt: Es weist unter anderem Beiträge im „Anzeiger für Möckern" und der „Magdeburger Tageszeitung" (1930), der „Kasseler Post", den „Kasseler Neuesten Nachrichten" und dem „Kasseler Volksblatt" (1932), der „Kurhessischen Landeszeitung" (1934) und dem „Beobachter für Gommern" (1935) aus. Diese Art der Öffentlichkeitsarbeit setzte Jordan über Jahrzehnte fort, der letzte bisher bekannte Artikel erschien am 3.9.1977 in den „Rieser Nachrichten". 29 | Tätigkeitsbericht von SS-Obersturmführer Jordan, SS-Schule Haus Wewelsburg, 16.3.1938, KMW/NJ 223.

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aus Finanznot sein Auto verkaufen müssen, war Jordan 1938 in der Lage, einen Adler Primus in Zahlung zu geben und noch 1000 RM für einen neuen Wagen zuzuzahlen.30 Nach dem Krieg hat Jordan diese finanzielle Verbesserung als eine Hauptmotivation für seine Tätigkeit in Wewelsburg angegeben.31 Daneben führte er an, dass sich ihm in Wewelsburg ungeahnte berufliche Entwicklungsmöglichkeiten boten; Jordan hatte also keinerlei Bedenken, dass eine Tätigkeit unter SS-Ägide von der Fachwissenschaft nicht anerkannt werden würde. Im Gegenteil empfand er den mit dem Dienstantritt verbundenen Übertritt von der SA zur SS (SS-Nr. 278.248) wohl als eine Art Karrieremöglichkeit im „Neuen Deutschland“, zumal die Angehörigen der Wewelsburger „Burgmannschaft“ seit Anfang 1935 der Dienststelle „Persönlicher Stab Reichsführer SS“ zugeordnet waren (Abb. 2). Und schließlich bekam er die Möglichkeit, seiner Leidenschaft für die Bodendenkmalpflege ohne jegliche Einschränkungen nachzugehen. Dabei erfüllte Jordan die ihm gestellte Aufgabe konventionell, d.h. er versuchte nicht, die etablierten Fachstrukturen zu übergehen oder in ihrer Funktion auszuschalten, sondern im Gegensatz dazu sogar ein Teil von ihnen zu werden. So wurde er 1937 zum Leiter der neugegründeten „Fachstelle Vorgeschichte“ des Westfälischen Heimatbundes berufen32 und veröffentlichte in dessen Zeitschrift „Die Warte“ ebenso wie in der „Germania“ der RGK.33 Als solcher – wie auch als persönlicher Beauftragter Himmlers – unternahm er Begehungen und Ausgrabungen. Beispielsweise engagierte sich Himmler für den Schutz vorgeschichtlicher Denkmäler, die durch die Erweiterung des Truppenübungsplatzes „Senne“ bei Paderborn gefährdet wurden. In diesem Rahmen teilte Himmler dem Kommandanten des Truppenübungsplatzes mit, er habe „den Vorgeschichtler der SS-Schule Haus Wewelsburg, SS-Obersturm30 | Sievers an Lukas, ?.4.1938, BArch, NS 21/346. 31 | Vgl. Hüser 1982, S. 27f. Hier findet sich die Angabe, sein Gehalt habe sich von 300 RM auf 600 RM verdoppelt. 32 | Vgl. WHB 1939. 33 | Zu den Publikationen in „Die Warte" vgl. die verschiedenen Aufzählungen in BArch, NS 21/1735. Auch einen Aufsatz über „Polizei und Vorgeschichte“ verfasste Jordan für die „Mitteilungsblätter für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei (nur für den Gebrauch innerhalb der Ordnungspolizei), herausgegeben vom Befehlshaber der Ordnungspolizei in Münster (Westf.) Gruppe B, 20. Aug. 1941, Folge 8 u. 9“; Manuskript in KMW/NJ 164.

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führer J o r d a n angewiesen, Ihnen bei allen vorgeschichtlichen Funden in der Senne auf Anruf zur Verfügung zu stehen“.34 Abb. 2: Offizielles Porträt in SS-Uniform, ca. 1942.

Foto: Kreismuseum Wewelsburg Sign. 70/1/12.

1938 erreichte Jordan auch den Status des offiziellen Bodendenkmalpflegers für Lippe und die Kreise des Paderborner Landes. Als solcher musste er zwar an den Vertrauensmann für die kulturgeschichtlichen Bodenaltertümer für die Provinz Westfalen in Münster, August Stieren, Meldung machen, konnte aber seine Tätigkeit weitestgehend selbständig planen.35 Jordan trat hier in eine Position, die bis zum Januar 1936 der Paderborner Alois Fuchs innegehabt hatte.36 Dieser war von seinem Amt entbunden worden, da er „bekanntlich ein heftiger Widersacher der Externstein-Forschung und der kulturellen Arbeit der SS“ sei.37 Alois Fuchs war Kunsthistoriker, Priester und Angehöriger des Paderborner Dom34 | BArch, BDC Ahnenerbe Sievers, Wolfram, 216; siehe dazu auch den gemeinsamen Brief Jordans und Sievers’ an Himmler vom 6.4.1938, ebd., 201. 35 | Tätigkeitsbericht vom 16.3.1938, KMW/NJ 223. 36 | Sievers an Jordan, 31.10.1938, BArch, NS 21/1735. Der Oberpräsident der Provinz Westfalen hatte in seinem diesbezüglichen Erlass vom 27.1.1936 zunächst von der Bestellung eines Nachfolgers abgesehen, vgl. HLMK, Altakte Schriftwechsel 16.1.1936–13.5.1938. 37 | Aktennotiz von Wolfram Sievers zu einer Besprechung mit Werner Buttler vom 21.4.1938 in BArch, NS 21/32.

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kapitels und vertrat die These, dass die Externsteine kein germanisches Heiligtum, sondern eine christliche Stätte gewesen seien.38 Dies ließ ihn als weltanschaulich unzuverlässig erscheinen.39 Ausgehandelt wurde die Einsetzung Jordans zwischen dem SS-Ahnenerbe und Werner Buttler, der nicht nur die Position als Referent im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für die Denkmalpflege innehatte, sondern auch ein ehemaliger Kommilitone Jordans aus Marburg und ebenfalls Angehöriger der SS war.40 Ob Jordan von diesen Berliner Vorgängen wusste, ist unklar, immerhin hatte er aber wohl schon mit Stieren über die Angelegenheit gesprochen; Sievers vermerkte jedenfalls: „Professor Stieren wäre mit einer solchen Regelung und Entlastung seiner Person durchaus einverstanden, wie er SS-Obersturmführer Jordan bereits versichert hat.“41 Allerdings: Waren Jordans Ausgrabungsaktivitäten vor 1938 lediglich von dem genannten Sondererlass des Reichserziehungsministeriums gedeckt, der Heinrich Himmler das Ausgrabungsrecht für die SS garantierte, so war Jordan ab 1938 zugleich SS-Archäologe und staatlicher Denkmalpfleger in einer Person.42 Für seine Grabungen setzte er Angehörige des Reichsarbeitsdienstes ein, die auch an den Umbauarbeiten in der Wewelsburg arbeiteten. Heinrich Himmler besuchte mindestens zwei von Jordans Ausgrabungen persönlich und mit offizieller Begleitung: Zusammen mit Reichsorganisationsleiter Robert Ley besichtigte er im Januar oder Februar 1937 die Ausgrabung eines bronzezeitlichen Grabhügels, was mit einem großen Foto auch in der Zeitschrift der Fördern38 | Vgl. Fuchs 1934. 39 | Das seit 2011 an den Externsteinen eingerichtete Informationszentrum des Landesverbandes Lippe belegt eindrücklich, dass Fuchs schon zum damaligen Zeitpunkt durchaus die richtige Meinung vertrat; zu den Auseinandersetzungen um die Externsteine vgl. Halle 2002. 40 | Der Briefwechsel zwischen Buttler und Sievers findet sich in BArch, NS 21/346. 41 | Aktennotiz von Wolfram Sievers zu einer Besprechung mit Werner Buttler vom 21.4.1938 in BArch, NS 21/32. 42 | Seine vielfältigen Aktivitäten in dieser Funktion lassen sich daher auch in der von August Stieren nach dem Krieg herausgebrachten Fundchronik Westfalens für die Jahre 1937 bis 1947 nachlesen (vgl. Bodenaltertümer Westfalens 1950, S. 50–57 [Kreis Büren]; ebd., S. 87–98 [Kreis Paderborn, Kreis Warburg]).

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den Mitglieder der SS dokumentiert wurde.43 Im Mai 1937 ergrub Jordan einen frühgeschichtlichen Hausgrundriss bei Gut Böddeken, etwa drei Kilometer von der Wewelsburg entfernt; dieser konnte anhand von zwei römischen Silberdenaren in die frühe römische Kaiserzeit datiert werden. Himmler besuchte die Ausgrabung zusammen mit dem Gauleiter des Gaues Westfalen Nord, Alfred Meyer (Abb. 3).44 Abb. 3: Ausgrabung eines Grabhügels im Staatsforst Böddeken bei Wewelsburg, 1937: Besuch von Reichsführer-SS Heinrich Himmler und Reichsorganisationsleiter Robert Ley mit Gefolge; Jordan in erläuternder Haltung, im Hintergrund Männer des Reichsarbeitsdienstes.

Foto: Kreismuseum Wewelsburg Sign. 1.5.2.8.

Jordan publizierte die Böddekengrabung in der „Germania” und gewann so auch wissenschaftliches Renommee.45 In seinem Handeln grenzte er sich – wie schon in Marburg und Kassel – von völkischen Phantasten ab;46 43 | Vgl. Jordan 1937. 44 | Vgl. dazu die Fotos der Besuche im Fotoarchiv des KMW. 45 | Vgl. Jordan 1941b. 46 | Noch Anfang der 1980er Jahre betonte Jordan seine starke Abgrenzung von völkischen Laienforschern wie Wilhelm Teudt oder Karl Maria Wiligut. Letzterem habe er bei einer Führung an den Externsteinen klar widersprochen, woraufhin Himmler seine Meinung übernommen habe; zudem habe er verweigert, Grabungsvorschlägen von Wiligut nachzugehen: „Durch eigene tatsächliche Such- und Aus-

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so unternahm er beispielsweise zwar auf direkten Wunsch Himmlers zusammen mit dem Leiter der SS-Ahnenerbe-Forschungsstätte für Germanenkunde, Bruno Schweizer, eine Erkundungsfahrt zum Berg Bonstapel in der Nähe des lippischen Ortes Talle, der Himmler als möglicher Standort der Irminsul angetragen worden war. Schweizers Bericht zu dieser Reise betonte jedoch, dass Jordan und er das Ganze nach Inaugenscheinnahme als „ein reines Hirngespinst“ betrachteten.47 Das Verhältnis zwischen Jordan und dem Philologen Schweizer war offenbar sehr gut, so dass Schweizer vorschlug, Jordan könne im Rahmen der SS-Ahnenerbe-Forschungsstätte Detmold folgende Aufgaben übernehmen: „1). Ausgrabungen hinter den Externsteinen („im Bruche“). 2). Ausgrabungen im Langelau (vermutliche Gebäudereste). 3). Sichtung und Aufstellung der Externsteinfunde. 4). Bearbeitung der Frage einer germanenkundlichen Freilichtschau im Umkreis der Externsteine. 5). Mitwirkung bei der Islandfahrt (hierzu scheint mir SS-Obersturmführer Jordan zu wenig fachkundig zu sein).“48 Der Kurator des Ahnenerbes Walter Wüst betonte daraufhin allerdings sehr nachdrücklich, dass die Genehmigung für jede Beteiligung Jordans bei Aufgaben des SS-Ahnenerbes bei ihm „schriftlich“ einzuholen sei, da er den Burghauptmann der Wewelsburg SS-Gruppenführer Taubert „befehlsgemäß zu unterrichten habe“.49 Schweizer antwortete, dass es eigentlich keine konkreten Pläne für Jordans Mitarbeit gebe, sondern lediglich sondiert worden sei, „ob, wann und für welche Aufgaben SS-Obersturmführer Jordan bei bestimmten Aufgaben des Ahnenerbes eingesetzt werden könnte“; die Weisung habe er aber vorgemerkt.50 Tatsächliche Aktivitäten Jordans für das SS-Ahnenerbe ließen sich für die Vorkriegszeit bisher nicht nachweisen; im Jahr grabungserfolge konnte ich mich durchsetzen.“; Jordan an Hüser, 9.8.1982, KMW 70/1/2/14. 47 | Bericht über die Kundfahrt zum Bonstapel, 9.8.1939, BArch, BDC Ahnenerbe Sievers, Wolfram, 227. Schweizer selbst hatte den Kontakt zu Jordan bereits im Februar 1939 aufgenommen; Schweizer an Jordan, 15.2.1939, BArch, NS 21/1735. 48 | Bruno Schweizer, Bericht über die Dienstreise von Dr. Schweizer und Dr. Müller nach Marburg, Wiesbaden, Mainz, Bonn und Köln, 16.3.1939, BArch, NS 21/624. 49 | Sievers an Schweizer mit handschriftlichem Vermerk Wüsts, 20.3.1939, ebd. 50 | Schweizer an Ahnenerbe, 5.4.1939, BArch, BDC Ahnenerbe Sievers, Wolfram (Unterstreichung im Original).

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1940 scheint er jedoch zu „Feststellungen“ an den Externsteinen gewesen zu sein und sollte hier „zu gegebener Zeit eine Grabung unternehmen“.51 Außerdem bestimmte Jordans Vorgesetzter Siegfried Taubert, dass Jordan Mitteilungen an den Sicherheitsdienst der SS (SD) mit dem Ahnenerbe abzustimmen habe. Der SD hatte darum gebeten, Informationen über „wissenschaftliche Dinge, von denen Jordan weiss und erfährt“ zu erhalten: „Es handelte sich bei den Anfragen des SD Bielefeld in letzter Zeit u.a. um Beiträge zur Polenfrage, Angelegenheiten des Paderb. Altertumsvereins, Westf. Heimatbundes, Freunde germ. Vorgeschichte, Reichsbund, Wünschelrutenfrage u. dergl.“52

D as W e welsburger M useum Zusätzlich zur Ausgrabungstätigkeit baute Wilhelm Jordan mit ebenso großer Leidenschaft ein Museum in der Wewelsburg auf, das die Vorgeschichte der Wewelsburger Umgebung sowie die paläontologischen und geologischen Entwicklungslinien dokumentieren sollte und eigenständig von ihm konzipiert wurde. Jordan verfolgte dabei, gemäß dem Titel der Wewelsburg als „Reichsführerschule der SS“, vermutlich einen Schulungsgedanken, obwohl dort niemals ein SS-interner Schulungsbetrieb etabliert wurde; zudem war die Wewelsburg auf Anordnung Himmlers für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.53 So wurden fast alle der von Jordan in seiner Eigenschaft als Bodendenkmalpfleger gemachten Funde der Wewelsburger Sammlung eingegliedert, während das Landesmuseum in Münster nur die wenigsten Objekte für sich forderte.54

51 | Weigel an Ahnenerbe, 13.8.1940, BArch, NS 21/1735. 52 | Sievers an Six, 21.1.1939, ebd. 53 | SS-Befehl Himmlers vom 6.11.1935, in BArch, NS 48/18, abgebildet in Hüser 1982, 195. Jordan selbst verwies in einem Brief darauf, das Museum könne „von einzelnen Fachleuten jederzeit besichtigt werden“; Jordan an Landesmuseum Münster, 15.12.1941, KMW 1/5/4/12 (Unterstreichung im Original). 54 | Vgl. Fundchronik Westfalens 1950.

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Durch einen Austausch mit anderen Institutionen – insbesondere dem Kasseler Landesmuseum55 und dem RGZM,56 aber beispielsweise auch dem Senckenberg Museum in Frankfurt 57 oder der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte58 – versuchte Jordan, sein Museum in die Sphäre der Wissenschaft einzuführen. Unter anderem schickte er den von ihm angelernten Präparator SS-Rottenfüh-

55 | Jordan hielt den Kontakt zum Landesmuseum Kassel nach seinem Wechsel nach Wewelsburg kontinuierlich aufrecht und korrespondierte sowohl über persönliche als auch über fachliche Dinge mit den dortigen Mitarbeitern. Das Landesmuseum lieh ihm auch immer wieder Exponate und versorgte ihn darüber hinaus mit allen Materialien bezüglich seiner Dissertation über Altenritte; HLMK, Altakte Schriftwechsel 16.01.1936–13.5.1938; HLMK Altakte W. Jordan Schriftwechsel. 56 | Jordan an RGZM, 19.6.1938, KMW/NJ 223; Jordan an Segin, 18.10.1941, KMW 1/5/4/12. 1939 versuchte Jordan auch, vorgeschichtliche Modelle des RGZM auszuleihen, da er von der Ortspropagandaleitung Büren mit der Ausgestaltung der Vorgeschichtsgruppe in einem historischen Festzug beauftragt worden war. Dieser fand anlässlich der propagandistisch äußerst aufgeladenen „Westfalenfahrt der Alten Garde“ in Paderborn statt. Allerdings hatte Jordan dabei keinen Erfolg, wobei das RGZM darum bat, dies „nicht als unfreundlichen Akt aufzufassen, da unsere Stellungnahme durch mehrere, sehr schmerzliche Erfahrungen in den letzten Jahren sich gebildet hat“; Klumbach an Jordan, 5.6.1939, KMW/NJ 223. Daraufhin stattete Jordan die Inszenierung kurzfristig mit historisch nicht korrekten Nachbildungen aus, die Präparator Flake „aus Abfallstücken“ fertigte. Zweieinhalb Jahre später schickte Jordan diese an das Marburger Seminar und wünschte Merhart: „Mögen sie in Ihrer Vergleichssammlung ein erheiterndes Dasein führen! (Spaß muss sein bei der Leiche, sonst geht niemand mit!)“, Jordan an Merhart, 2.12.1941, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. 57 | Wilhelm Jordan, Wewelsburg, Kreis Paderborn – Museumseinrichtung 1935– 1944. Nach Erinnerungen von Wilhelm Jordan, ehem. Abt.-Leiter. Mit Planskizze – Ziffer 1–40, 28.12.1979, KMW 70/1/2/14. 58 | Dieser bot er kostenlose Gipsabgüsse von menschlichen Gesichtern an; Jordan an BGAEU, 27.3.1940, Archiv der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, BGAEU-ADI – 46.

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rer Flake zu einer Kurzausbildung an das RGZM, damit dieser Kenntnisse in der Metallkonservierung erlernen konnte.59 Mit seinem aktiven Vorgehen errang Jordan das Wohlgefallen Himmlers, der im Januar 1939 eine entscheidende Festlegung zur künftigen Ausgestaltung der Wewelsburg und damit auch zu Jordans Museum gemacht hatte: „Der Reichsführer-SS äußerte gegenüber [dem „Burghauptmann“ der Wewelsburg] Gruppenführer Taubert, daß er auf der Burg eine besondere Anlage für Gold- und Silberschätze wünsche, erstens aus Tradition und zweitens – darüber müsse man sich klar sein – als Notgroschen für schlechte Zeiten.“60 Himmler überwies dementsprechend auch ausgesuchte Gegenstände an die Wewelsburg, die Jordan in „seinem“ Museum in einer Vitrine mit „ortsfremden Kostbarkeiten“ ausstellte.61 In der Nachkriegszeit berichtete Jordan, dass hier die wertvollen Geschenke auf bewahrt worden seien, die Himmler offiziell erhalten hatte, beispielsweise „Fundstücke aus einem langobardischen Urnenfriedhof in Spanien oder Portugal“.62 Auch ein Samuraischwert, das der japanische Botschafter Hitler zum Geschenk gemacht habe, soll hierhin überwiesen worden sein. Ein aus der Nachkriegszeit stammender Briefwechsel zwischen Jordan und dem Bielefelder Denkmalpfleger Walter Lange lässt allerdings darauf schließen, dass der Erwerb des Sammlungsbestandes oft nicht nur profaner, sondern auch unrechtmäßig war: Offenbar erwarb die Reichsführung der SS bestimmte Kostbarkeiten für die Wewelsburg gezielt auf Auktionen, in denen „arisierte“ Objekte jüdischer Sammler zur Versteigerung gelangten.63 Dass Jordan von dieser Art des Erwerbs 59 | Wilhelm Jordan, Wewelsburg, Kreis Paderborn – Museumseinrichtung 1935– 1944. Nach Erinnerungen von Wilhelm Jordan, ehem. Abt.-Leiter. Mit Planskizze – Ziffer 1–40, 28.12.1979, KMW 70/1/2/14. 60 | Protokoll eines Besuches Himmlers auf der Wewelsburg, Januar 1939, BArch, NS 19/1446, 12. 61 | Wilhelm Jordan, Wewelsburg, Kreis Paderborn – Museumseinrichtung 1935– 1944. Nach Erinnerungen von Wilhelm Jordan, ehem. Abt.-Leiter. Mit Planskizze – Ziffer 1–40, 28.12.1979, KMW 70/1/2/14. 62 | Ebd. 63 | Jordan an Lange, 25.1.1971, KMW/NJ 223, betr. den „Erwerb einer großen Sammlung Bronzen aus der Sammlung R.... in Wien auf einer Auktion, durch den Reichsführer SS am 7. und 8. Februar 1939“; siehe dazu den Auktionskatalog Hans W. Lange 1939. Bei dem Ankauf handelte es sich offenbar um fünf Bronze-

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wusste, scheint unzweifelhaft, er nahm aber keinen Anstoß daran;64 auch die große Verehrung, die er Heinrich Himmler entgegenbrachte, wurde dadurch nicht geschmälert. Von der Gunst des Reichsführers zehrte Jordan noch Jahrzehnte später; so vermerkte er, Himmler habe ihn bei einer Gelegenheit im kleinen Kreise aufgefordert: „Komm Jordan, setz Dich zu mir, Du hast wenigstens keine Angst.“65 Weder die nicht ganz zufriedenstellende rassische Beurteilung durch das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt 66 noch Anschuldigungen des Wewelsburger Bibliothekars Hans-Peter DesCoudres, Jordan sei als Merhartschüler weltanschaulich unzuverlässig,67 noch die Tatsache, dass er trotz angeordneten Arbeitsurlaubs in Marburg68 seine Dissertation nicht fertig stellte, hatten daher Konsequenzen für ihn.

schwerter, auf die der Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS Günther Pancke durch den Prähistoriker Peter Paulsen aufmerksam gemacht worden war. Es kann sein, dass es der Reichsführung-SS gelang, diese Schwerter noch vor der eigentlichen Auktion zu kaufen; Aktennotiz Schmitz-Kahlmann, 28.1.1939, BArch, NS 21/351. 64 | Auch für die Wewelsburger Bibliothek lässt sich nachweisen, dass durch den SD beschlagnahmte Freimaurerbibliotheken hierhin abgegeben wurden. Dubletten tauschte der Wewelsburger Bibliothekar Hans-Peter DesCoudres unter anderem mit der Berliner Staatsbibliothek, die im Gegenzug 52 Regalmeter sozialistische und marxistische Literatur aus dem aufgelösten Frankfurter Institut für Sozialforschung abgab (vgl. Herwig 2007). Auch die Bayerische Staatsbibliothek in München erhielt mehrere Hundert Bände Freimaurerliteratur (vgl. Kellner/Wanninger 2012). 65 | Wilhelm Jordan, Himmler, o.D., [ca. 1970er/1980er Jahre], KMW 70/1/2/12. 66 | Der Vorgang ist ausführlich dokumentiert in BArch, BDC RS Jordan, Wilhelm. 67 | Bericht und Erklärung des SS-Obersturmführers Jordan, 9.11.1938, KMW/ NJ 160. 68 | Wüst an Taubert, 7.12.1938, BArch, NS 21/1735. Aus Marburg schrieb Jordan im März 1939 an das Landesmuseum in Kassel, er sei bereits dabei, die endgültigen Tafeln zusammenzustellen und den Text zu schreiben. Im April 1940 jedoch bemerkte er zu den bisher erledigten Ausarbeitungen, es müsse noch einige Zeit vergehen, bis er die Dinge zusammen schreiben könne, HLMK, Altakte W. Jordan Schriftwechsel, Briefe vom 17.3.1939 und 16.4.1940.

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Z wischen „Pat tjacken “ in W e welsburg Einhergehend mit einer sukzessiven Emanzipierung von Darré ab etwa 1936 und dessen Ausscheiden aus dem Rasse- und Siedlungshauptamt 1938 begann Heinrich Himmler, das SS-Projekt Wewelsburg immer mehr nach seinem eigenen Bild von einem „Reichshaus der SS-Gruppenführer“69 zu formen – also zu einem Ort, an dem sich die obersten SS-Führer treffen konnten. Dazu verordnete er Maßnahmen, die der SS eine eigene Tradition erschaffen sollten: Ab 1939 sollte jeweils im Frühjahr eine Gruppenführerbesprechung in der Wewelsburg stattfinden, in deren Rahmen die noch nicht vereidigten Gruppenführer eingeschworen werden sollten.70 Zudem sollten in der Wewelsburg nach dem erwarteten Endsieg die Wappen der SS-Führer 71 und die Totenkopfringe ihrer verstorbenen Träger 72 auf bewahrt werden. Dazu wurden die Baumaßnahmen ausgeweitet, die Wewelsburger Bauleitung personell verstärkt.73 Die Pläne für die Umgestaltung des Geländes wuchsen im Verlaufe des Krieges immer weiter und beinhalteten schließlich auch die Umsiedlung der Dorfbevölkerung sowie die Errichtung einer neu angelegten SS-Siedlung bis weit ins Umland hinein. Auch die Personalzusammensetzung des bereits in Wewelsburg wirkenden akademischen Stabes schien Himmler offenbar nicht geeignet für die Schaffung des „Reichshauses der SS-Gruppenführer“, so dass er 1939 eine Umstrukturierung veranlasste, in deren Rahmen nur der mit der Zusammenstellung der Ahnentafel Himmlers beauftragte Sippenforscher Rudi Bergmann, der Volkskundler Bernhard Frank und der Prähis-

69 | Diese Bezeichnung erklärte Himmler am 26.2.1944 als passend für das Projekt Wewelsburg; BArch, NS 19/201. Vgl. dazu Moors 2009a, S. 175ff. 70 | Rede Heinrich Himmlers vor den SS-Gruppenführern zu einer Gruppenführerbesprechung im Führerheim der SS-Standarte „Deutschland“ am 8.11.1938, abgedruckt in: Smith/Peterson 1974, S. 26 u. 43f. Aufgrund der politischen Lage kam es jedoch nie zu einer solchen Frühjahrstagung. 71 | Auszug aus der Rede Heinrich Himmlers auf der Gruppenführertagung in Tölz, 18.2.1937, abgedruckt in: Ackermann 1970, S. 105f. 72 | Rede Himmlers vor unbekanntem Publikum 1938, Auszug abgedruckt bei Smith/Peterson 1974, S. 79. 73 | Zur Bauleitung vgl. Brebeck et al. 2011, S. 261ff.

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toriker Wilhelm Jordan in Wewelsburg verblieben.74 Unter Aufsicht des Ahnenerbes wurde die Einstellung von drei weiteren Wissenschaftlern geplant.75 Ihre Arbeitsgebiete lassen vermuten, dass in der SS-Forschung in Wewelsburg eine Schwerpunktverschiebung stattfinden sollte, so dass von nun an nicht mehr die westfälische Region, sondern die Gebiete östlich des Deutschen Reiches in den Blick genommen werden sollten.76 Die Umsetzung dieser Planungen wurde jedoch durch den Einmarsch der deutschen Truppen in Polen und den Beginn des Zweiten Weltkrieges verhindert. Während Frank schon 1939 und Bergmann 1940 eingezogen wurden, verblieb Jordan – aufgrund einer Herzerweiterung vorerst nicht wehrfähig 77 – in Wewelsburg, obwohl er nach eigener Aussage gerne selbst zum Einsatz an der Front gekommen wäre.78 Stattdessen erlebte er die Einrichtung des Konzentrationslagers in Wewelsburg mit. Bis zu seinem Einzug zum Kriegsdienst im Februar 1942 war Jordan täglich mehrfach mit dem Leid und dem Sterben der KZ-Häftlinge konfrontiert. Mehr noch – er profitierte sogar von ihnen: Da die Häftlinge auf den Baustellen und in den umliegenden Steinbrüchen arbeiten mussten, fanden sie gelegentlich archäologische Artefakte und Fossilien. Diese legten sie für Jordans Museumssammlung beiseite.79 Zudem konnte er mit seiner Frau und seinen insgesamt fünf Söhnen in ein von Häftlingen erbautes Haus in der sog. Waldsiedlung unterhalb der Wewelsburg ziehen.80

74 | Vgl. Moors 2009c. 75 | Vermutlich hängen auch die bereits genannte Kontaktaufnahme Bruno Schweizers und Jordans „Feststellungen“ an den Externsteinen mit dieser Umstrukturierung und Heranführung der Wewelsburger Wissenschaftler an das Ahnenerbe zusammen. 76 | Vgl. Moors 2009c, S. 234f. 77 | Datenblatt zur Beförderung Jordans zum SS-Sturmbannführer, 13.7.1944, BArch, BDC SSO Jordan, Wilhelm. 78 | Wilhelm Jordan, Zum Julfest, 20.12.1941, KMW 70/1/2/14. 79 | Wilhelm Jordan, Wewelsburg, Kreis Paderborn – Museumseinrichtung 1935– 1944. Nach Erinnerungen von Wilhelm Jordan, ehem. Abt.-Leiter. Mit Planskizze – Ziffer 1–40, 28.12.1979, ebd. 80 | Das „Kommando Waldsiedlung“ galt als einer der härtesten Arbeitsplätze, es war das Strafkommando, in dem die Häftlinge stark misshandelt wurden; John 2001, S. 64 u. 97f.

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Alle Quellen deuten darauf hin, dass Jordans Verhältnis zu den Häftlingen von einem ausgeprägten Mangel an Empathie geprägt gewesen zu sein scheint. In einem Gedicht, das er zum Julfest 1941 dichtete, erwähnte er sie eher en passant als „Pattjacken“, einem Ruhrpottausdruck für „Asoziale“.81 Wie ehemalige Häftlinge berichteten, zeigte er sich ihnen gegenüber aber nicht aggressiv oder erniedrigend, er nickte sogar gelegentlich zum Dank für gefundene Fossilien, was die Häftlinge auch als Anerkennung ihres Menschseins deuteten.82 Dass Himmler die Anwesenheit eines Archäologen in Wewelsburg zu diesem Zeitpunkt für sinnvoll erachtete, mag sich aus den umfangreichen und mit massiven Erdbewegungen verbundenen Bauarbeiten erklären, die nicht nur zum Umbau des Schlosses (1934–1943), sondern auch zur Errichtung eines SS-Wachgebäudes (gebaut 1937, erweitert 1941/42) und eines SS-Stabsgebäudes (1939–1941) entfaltet wurden.83 Zudem wurde für die Zwecke der SS-Bauleitung ein ehemaliger großer Bauernhof umgebaut (1940–1942) und in der genannten Waldsiedlung Einfamilienhäuser für sieben SS-Familien sowie eine repräsentative Villa für den Architekten Hermann Bartels errichtet (1940–1942). All diese Arbeiten wurden ab 1939 durch KZ-Häftlinge ausgeführt, was auch die Anlage eines vollständigen Konzentrationslagers84 (1940/41) samt SS-Lager85 (1941/42) bedingte. Dass bei solch umfangreichen Bodenbewegungen keine Spur der „Ahnen“ im Umfeld der Wewelsburg verloren gehen sollte und Jordan somit zur archäologischen Baubegleitung eingesetzt wurde, würde gut zu Himmlers Denken passen, bleibt aber Spekulation. Aber auch Jordans Rolle als Ordner der auf Traditionsbildung ausgerichteten SS-Sammlung – und damit 81 | Wilhelm Jordan, Zum Julfest, 20.12.1941; KMW 70/1/2/14. 82 | Interview des KMW mit dem ehemaligen Häftling Max Hollweg, 1992, KMW 18/4/3. 83 | Für eine Schilderung der vielfältigen Häftlingsarbeiten vgl. John 2001. 84 | D.h. das eigentliche Schutzhaftlager mit Baracken, Appellplatz, Küche, Wäscherei, Krankenrevier, Löschteich, Arrest-/Exekutionsbunker, Torhaus, Wachtürmen und -zaunanlagen; der Industriehof mit Werkstätten, SS-Garagen, SS-Luftschutzbunker, Pferde- und Schweinestall, Hundezwinger, Wäscherei und Krematorium und die SS-Gärtnereien. 85 |  D.h. die KZ-Kommandantur und -Verwaltung, Unterkünfte für die Wachmannschaften, Küche und Speisesaal, SS-Bekleidungskammer und -Schneiderei, SS-Krankenrevier; Wirtschaftsgebäude; SS-Bauhof; SS-Schießstand.

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gleichzeitig als eine Art Verwalter des „Notgroschens“ der SS – könnte für Himmler von so großer Wichtigkeit gewesen sein, dass er in Wewelsburg nicht auf Jordan verzichten wollte.

SS-W ehrgeologe mit dem S onder auf tr ag zum K ulturgutr aub Am 12. Februar 1942 wurde Jordan schließlich eingezogen86 und nach der Grundausbildung zum SS-Wehrgeologen-Ersatzbataillon in Hamburg-Langenhorn unter Rolf Höhne abgeordnet.87 Diese Spezialabteilung der Waffen-SS versammelte insbesondere studierte Geologen, zu deren Aufgabe es beispielsweise gehörte, die Bodenbeschaffenheit für den Panzereinsatz zu prüfen, Wasser zu suchen oder kriegswichtige Mineralienvorkommen zu erschließen. Dementsprechend wurden die Wehrgeologen den kämpfenden Einheiten jeweils dort angegliedert, wo ihre Kenntnisse vonnöten waren. Wilhelm Jordan wurde aufgrund seiner geologischen Kenntnisse und Fähigkeiten als Fachführer (F) verwendet.88 Fachführer erhielten einen Offiziersrang, allerdings nicht aufgrund einer militärischen Lauf bahn, sondern durch ihre berufliche Qualifikation. Für Jordan bedeutete dies vor allem, dass er in großem Maße selbständig handeln und sich unabhängig von der Truppe bewegen konnte.89 Ab 15. Juni 1942 wurde er im Bereich des Höchsten SS- und Polizeiführers (HSSPF) der Ukraine in Kiew eingesetzt.90 Seine Aufgabe bestand darin, wehrwichtige Bodenschätze zu erschließen und in Karten festzu-

86 | Kappert an SS-Personalkartei, 16.2.1942, BArch, BDC SSO Jordan, Wilhelm. 87 | SS-Führungshauptamt Kommandoamt der Waffen-SS an SS-NachrichtenErsatzabteilung Nürnberg / SS-Wehrgeologenbataillon Hamburg, 25.4.1942, ebd.; Nachrichten-Ersatz-Abteilung der Waffen-SS an SS-Führungshauptamt, 24.4.1942, ebd. 88 | SS-Personalhauptamt an SS-Führungshauptamt Kommandoamt der Waffen-SS, 13.10.1942, ebd. 89 | Vgl. Fröbe 2000, S. 203. 90 | Dienstleistungszeugnis des Höchsten SS- und Polizeiführers Prützmann für Jordan, 2.8.1944, KMW/NJ 223.

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halten sowie sich vor Ort von ihrer Qualität zu überzeugen.91 Vorausgegangen waren dem Einsatz umfassende Verhandlungen zwischen der Reichsführung-SS und dem Reichskommissariat Ukraine unter Erich Koch bezüglich der „Einschaltung der SS in die Arbeiten auf dem Gebiet der Bodenforschung“, da Alfred Rosenberg als Minister für die besetzten Ostgebiete eigentlich alle geologischen Tätigkeiten in der Ukraine an das Reichsamt für Bodenforschung übertragen hatte.92 Gemäß der Vereinbarung sollten Jordan und sein Kollege Karl Schneck in Abgrenzung von den Aufgaben des Reichsamtes für Bodenforschung „1. für die geologische und bergmännische Untersuchung aller Bodenschätze außer Erze, Kohlen, Salz und Erdöl, 2. für die Bearbeitung sämtlicher ingenieur-geologischer Fragen insbesondere auf dem Gebiet der Wasserversorgung und der Baugrunduntersuchung, 3. für die geophysikalische Untersuchung, soweit es die Durchführung der unter 1 und 2 genannten Aufgaben erforderlich macht“, zuständig sein.93 Doch nicht nur diese umfangreichen Aufgaben waren Jordan von Himmler zugedacht worden: „Auch auf die Bearbeitung vorgeschichtlicher Fragen im Rahmen des Arbeitsanfalles durch SS-Untersturmführer Jordan würde der Reichsführer-SS Wert legen. Diese Aufgabe würde von Jordan unauffällig mit geleistet werden, um jeden von außen kommenden Einspruch, der eine fruchtbare Arbeit für die Gesamtwissenschaft nur hemmen könnte, unmöglich zu machen.“94 Faktisch bedeutete dies, dass Jordan wertvolles archäologisches Kulturgut ebenso wie besonders schöne (Halb-)Edelsteine für die SS – und vor allem für „sein“ Wewels91 | Dazu beispielsweise der Aktenvermerk Jordans zu nutzbaren Gesteinen im Generalbezirk Shitomir, 7.10.1942, BArch, NS 19/3967, 28. Jordan machte hier konkrete Vorschläge, wie die von ihm gefundenen Vorkommen durch die SS ausgebeutet werden könnten. 92 | Dargel an Brandt, 21.1.1943, BArch, NS 21/409. 93 | Brandt an Dargel, 4.(?).11.1942, BArch, NS 19/3638, 193f. Jordan und Schneck erhielten jeweils einen Durchschlag des Briefes; Brandt an Schneck, 4.(?).11.1942, BArch, NS 19/3638, 188. Eine offizielle Genehmigung von Seiten des Reichskommissariats wurde allerdings erst über zwei Monate später erteilt; Jonas an Schneck, 21.1.1943, BArch, NS 19/3638, 161. Darin wurde eine Tätigkeit im Generalbezirk Wolhynien-Podolien nicht genehmigt, alle anderen Punkte jedoch bestätigt. 94 | Brandt an Dargel, 4.(?).11.1942, BArch, NS 19/3638, 194.

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burger Museum – zusammentragen sollte – unter Umgehung der offiziellen Zuständigkeit des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg und mit Billigung des Reichskommissars Koch. Nur kurz zuvor hatte der gerade erst zum Professor berufene Prähistoriker Herbert Jankuhn feststellen müssen, dass ein offizielles Handeln seines Sonderkommandos im Reichskommissariat Ukraine nicht möglich sei, da der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) bereits alle wesentlichen Sammlungen unter seiner Ägide hatte; Jankuhn verlegte seinen Schwerpunkt daher auf die Gebiete, die noch nicht unter dessen Einfluss standen.95 Jordans Sonderauftrag bestand demnach darin, im Einflussbereich des ERR materiell und wissenschaftlich wertvolle Objekte für die SS zu requirieren, ohne dabei das Misstrauen der eigentlich damit beauftragten Stellen zu erregen. Die Formulierungen von Himmlers Adjutanten Rudolf Brandt lassen erkennen, dass Jordan diesen geheimen Sonderauftrag Himmlers bereits vor dem offiziellen Ersuchen an die Verwaltung des Reichskommissariats erhalten hatte. Es kann sein, dass er schon in Wewelsburg in dieser Richtung instruiert wurde; möglicherweise geschah dies aber auch im Rahmen eines Essen am 11. September 1942 in der Feldkommandostelle Hegewald bei Shitomir96, bei dem nach Ausweis des Dienstkalenders Heinrich Himmlers Jordan und Schneck einen Vortrag zu „Gesteinsfunden in der Ukraine“ hielten.97 Wilhelm Jordan erwies sich sowohl bei seinen geologischen als auch bei seinen archäologischen Aufgaben als in hohem Maße erfolgreich. Nach Einrichtung eines Arbeitszimmers im Geologischen Institut Kiew begannen er und Schneck mit der Durcharbeitung und Übersetzung von Literatur auf der Suche nach wichtigen Mineralienlagerstätten und der

95 | Herbert Jankuhn, Bericht über den Einsatz des Ahnenerbes in Südrußland, 20.2.1942, BArch, BDC Ahnenerbe Jankuhn, Herbert, zitiert bei Mahsarski 2011, S. 237ff. Vgl. dazu auch Mahsarski/Schöbel 2013, bes. S. 143. 96 | Die Schreibweise der hier und im Folgenden verwendeten polnischen und ukrainischen Ortsnamen folgt den ausgewerteten historischen Quellen, es handelt sich also um die von den deutschen Besatzern verwendeten Ortsbezeichnungen. 97 | Witte et al. 1999, S. 545f. Anwesend waren demnach unter anderem der Chef der Ordnungspolizei Kurt Daluege sowie Heinz Reinefarth, zu diesem Zeitpunkt Generalinspekteur der Verwaltung im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren.

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Anfertigung von Fundortlisten und Karteien.98 Zudem unternahmen beide, wohl unabhängig voneinander, Fahrten durch die Ukraine; Jordan konzentrierte sich dabei auf den Raum Dnjepropetrowsk und die Krim.99 Als „Nebenprodukt“ dieser Gutachtertätigkeit sandte Jordan immer wieder Fossilien und besonders edle Steine an Himmler oder auch direkt an die Wewelsburg, um sie in die dortige Sammlung einzugliedern.100 Mit zunehmendem Rückzug der Deutschen aus der Ukraine erweiterte Jordan – nun in seiner Tätigkeit weder durch konkurrierende deutsche Unternehmungen noch durch behördliche Regelungen eingeschränkt – seine Untersuchungen; gleichzeitig requirierte er Karten, Bibliotheksbestände und Apparate aus den geologischen und archäologischen Instituten und Museen, die er kistenweise nicht nur der Wewelsburg, sondern auch dem SS-Wehrgeologenbataillon, dem SS-Ahnenerbe oder Brandt im Persönlichen Stab des Reichsführers-SS zur Weiterverteilung zusandte.101 Archäologische Artefakte „erwarb“ Jordan in der ersten Hälfte des Jahres 1943 nur von Privatleuten; im Zuge der durch die deutsche Besatzung ausgelösten Hungersnot konnte er trotzdem eine große Menge an wertvollen Stücken gegen Mehl oder Hirse eintauschen.102 Diese Art des Ankaufs war allerdings in der Durchführung problematisch, denn durch die Bezahlung mit Naturalien erregte Jordan 98 | Schreiben Jordans an Brandt, 11.11.1942, BArch, NS 21/1735. 99 | Vgl. Huismann 2009, S. 212. 100 | Beispielsweise Jordan an Persönlicher Stab Reichsführer-SS, 29.3.1943, BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930, 28; Jordan an Persönlicher Stab Reichsführer-SS, 15.3.1943, BArch, NS 21/1735. Die Wewelsburger Sammlung wurde 1944 auf Veranlassung von Burghauptmann Taubert verpackt und teilweise in das benachbarte Gut Böddeken ausgelagert, Jordan kümmerte sich jedoch um die Einarbeitung der von ihm und anderen in ganz Europa geraubten Materialien, wenn er auf Heimaturlaub in Wewelsburg war. 101 | Z.B. Verzeichnis der von SS-Untersturmführer Jordan am 31.12.1943 der SS-Schule Haus Wewelsburg übergebenen Bücher aus dem Museum von Dnjepropetrowsk u. Kiew, BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930, 58 f.; Jordan an Persönlicher Stab Reichsführer-SS, 7.3.1944, BArch, NS 19/3638, 4; Brandt an Kloth, 22.1.1944, ebd., 19. Von Jordan an das Archiv des Ahnenerbes übersandte Fotos von Objekten des Museums Kiew sind enthalten in BArch, NS 21/408. 102 | Jordan an Reichsführer-SS, 14.12.1942, BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930, 9f.; Jordan an Reichsführer-SS, 11.3.1943, ebd., 16f.

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den Unwillen von Hans Reinerth in dessen Funktion als beauftragter Prähistoriker des Ministers für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, der bemerkte, „dass dieser Ankauf auf dem streng verbotenen Wege durch die Gegengabe von 20 Pud Mehl erfolgt ist“.103 Jordans Tauschhandel, den er allerdings im Einvernehmen mit dem Reichsgeschäftsführer des SSAhnenerbes Wolfram Sievers vornahm,104 war auch Gegenstand einer Besprechung während einer SS-Richtertagung in München, bei der die Schwierigkeiten erörtert wurden, die sich aus dieser Art des Ankaufs ergaben, zumal Jordan auch anderen SS-Angehörigen Halbedelsteine gegen Wodka verkauft hatte;105 im Rahmen des sich daran anschließenden Briefwechsels legte Himmler gegenüber den SS-Richtern besonderen Wert darauf, dass die Gegenstände für die SS – und nicht, wie Huismann106 annimmt, für Himmlers Privatsammlung – angekauft wurden.107 Erst mit der Räumung der deutschen Zivilverwaltung, die sich nach der Niederlage von Stalingrad ab Februar 1943 schrittweise aus der Ukraine zurückzog, und dem nachfolgenden Abzug der Hauptarbeitsgruppe Ukraine des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg, der aufgrund der militärischen Lage mit Ausnahme eines fünf Mann starken Nachkommandos am 5.10.1943 aus Kiew nach Truskawiec übersiedelte,108 erhielt Jordan ab Mitte 1943 die Gelegenheit, auch die Bestände öffentlicher Museen für

103 | Aktennotiz Reinerths für Rosenberg, 7.6.1943, APM Unteruhldingen, Akte ‚Ahnenerbe Oxenstierna Miller usw.’. ‚Pud’ ist ein russisches Gewichtsmaß und entspricht 16,36 kg. Zum Zeitpunkt dieser Beschwerde war Jordan schon angewiesen worden, seine Geschäfte nur noch durch Geldzahlungen zu tätigen; Brandt an Jordan, 30.3.1943, BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930, 27; Jordan an Brandt, 8.4.1943, ebd., 31f. 104 | Jordan an Reichsführer-SS, 14.12.1942, ebd., 4. 105 | Chef des Polizei- und SS-Gerichts Kiew an SS-Richter beim Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, 12.7.1943, Institut für Zeitgeschichte, MA 3, Folder 220. 106 |  Vgl. Huismann 2009, S. 215. 107 | Reinecke an Reichsführer-SS, 27.9.1943, ebd. 108 | Kurzbericht über die Sicherungsmaßnahmen der Hauptarbeitsgruppe Ukraine bei den Absatzbewegungen der Wehrmacht, 27.10.1943, Institut für Zeitgeschichte MA 243, Bl. 913421–013423.

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die SS abzutransportieren.109 Zwischen Februar 1942 und Februar 1944 war Jordan dreimal auf der Krimhalbinsel; er schickte Raubgut aus Jalta, Simeis, Karasubasar (heute Bilohirsk), Simferopol, Feodosia und von einer Forschungsstation auf dem Berg Karadag. In der Ukraine entwendete er mindestens aus Kiew, Tscherniachow bei Shitomir, Dnjepropetrowsk, Smela und Odessa Objekte; zusätzlich finden sich im Nachlass Zeichnungen aus Petropol110 und aus Fastov111. Im Vorhof des von ihm beraubten Museums in Dnjepropetrowsk fotografierte er die dort aufgestellten Steinskulpturen; Bilder dieser von ihm sogenannten „Babas“ schickte er auch an Bekannte, z.B. an Merhart in Marburg.112 Bei seinen Raubzügen war Jordan so erfolgreich, dass er bei der Reichsführung-SS darauf verwies, er benötige für den Abtransport eine Anzahl von Eisenbahnwaggons.113 Auch den Weihnachtsurlaub nutzte Jordan in dieser Weise dienstlich: „Nach Hamburg und Wewelsburg habe ich eine Menge Beutematerial aus Kiew und Dnjepro gebracht, allein 8 Kisten nach Wewelsburg, dabei die Bronzen und archäolog. Terrakotten und Gefäße von Dnjepro. Eine genaue Liste der Funde habe ich dort angefertigt und um Weiterleitung an den Pers.[önlichen] Stab des RF-SS [Reichsführer-SS] gebeten. Für das SS-Wehrgeol.-Batl. [SS-Wehrgeologen-Bataillon] waren besonders einige hundert geol. Karten und Fachliteratur wertvoll. Morgen, am 25.1.43 reise ich nun mit den beiden Rottf. [Rottenführern] Günther und Wagner wieder nach dem Osten, um auch das restliche geborgene Material zu holen und anderes zu bergen, woran dem SS-Wehrgeol.-Batl. gelegen ist.“114 109 | Z.B. Auszugsweise Abschrift aus dem Brief des SS-Untersturmführers Jordan aus Kiew vom 15.4.1943, BArch, NS 21/409. Auch die Aktenbestände BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930 sowie BArch, NS 19/3638 und partiell auch BArch, NS 21/1735 enthalten Begleit- oder Weiterleitungsbriefe zu diesen Sendungen mit Listen des Raubguts und Empfangsbestätigungen des Burghauptmanns der Wewelsburg Siegfried Taubert. 110 | KMW Inv. Nr. 16689. 111 | KMW Inv. Nr. 16600. 112 | Jordan an Merhart, 15.5.1944, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. 113 | Jordan an Persönlicher Stab, 10.4.1944, BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930, 82. 114 |  Jordan an Brandt, 24.1.1944, BArch, NS 19/3638, 17.

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Einen seiner größten Coups machte Jordan im April 1944: Er konnte Himmlers Adjutanten Brandt die Meldung machen, dass ihm „von dem naturwissenschaftl. Museum in Lemberg für die Sammlung der Wewelsburg geschenkweise ein halber Quadratmeter Lederhaut und einige Kilo Muskelfleisch einer Mammut-Mumie überlassen wurden, die seinerzeit in den galizischen Naphta-Gruben gefunden wurde.“115 Das berühmte Mammut war 1907 in einer Erdwachsgrube bei Starunia in den Ostkarpaten gefunden worden; vom selben Fundort stammten auch zwei Wollhaarnashörner, von denen eines quasi vollständig erhalten geblieben war. Himmler hatte sich zwischen 1939 und 1941 erfolglos dafür stark gemacht, dass letzteres aus dem Physiographischen Museum der polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau in das unter SS-Ägide stehende Haus der Natur nach Salzburg überführt werden würde.116 Nach Jordans Meldung wünschte er offenbar, dass das wertvolle Mammutpräparat nicht in Wewelsburg bleiben, sondern nach Salzburg verbracht werden sollte, denn Jordan meldete am 16. Mai 1944 an Himmlers Adjutanten Brandt: „Weichteile des Mammuts, die mir vom Lemberger Museum für die Wewelsburg geschenkt wurden, habe ich von Wewelsburg aus dem „Haus der Natur“ in Salzburg senden lassen.“117 Mit seinen „Erwerbungen“ versicherte sich Jordan der Aufmerksamkeit Himmlers und bestätigte immer wieder dessen Vertrauen. Auch verehrte er ihm gelegentlich persönliche Geschenke, etwa ein wertvolles Paläographiehandbuch118 oder Hefte mit von ihm selbst verfassten

115 | Jordan an Brandt, 14.4.1944, BArch, NS 19/3639, 214. 116 | Vgl. Hoffmann 2008, S. 162. 117 | Ebd., S. 207. Jordan trug sich am 28.4.1944 mit einem Gedicht in das Gästebuch des Museums ein, besichtigte das Haus der Natur also vor der Übersendung des Mammuts während eines Aufenthaltes in der SS-Feldkommandostelle Bergwald bei Salzburg. Hierhin war er von Himmler beordert worden, um über das weiter unten beschriebene „Unternehmen Wieland“ zu berichten. Das von Jordan abgelieferte Mammutexponat befindet sich noch heute im Haus der Natur und konnte durch Hinweise aus der vorliegenden Arbeit identifiziert werden. Das Haus der Natur führt derzeit eine Untersuchung der Provenienz seiner Sammlungen durch (persönliche Mitteilung Dr. R. Lindner). 118 | Jordan an Brandt, 7.3.1944, BArch, NS 19/3638, 8.

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Gedichten119; auch Gedichte seines berühmten Großonkels schickte er, die Himmler für einen Abdruck im Heft des SS-Lebensborns vorsah.120 Himmler hingegen motivierte Jordan nicht nur durch mehrere Beförderungen und die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse mit Schwertern,121 sondern auch durch kontinuierliche Ausdrücke seiner Dankbarkeit.122

Z wischen „Partisanenak tion “ und e thnogr afischer B eobachterrolle Im Mai 1943 wurde Jordan zu einer sogenannten „Partisanenaktion“ gegen die ukrainische Bevölkerung abkommandiert, was seine archäologischen und geologischen Tätigkeiten kurzzeitig unterbrach.123 Es war in der SS durchaus üblich, solche Bewährungsproben einzufordern und Kameradschaft durch gemeinsame Täterschaft herzustellen.124 Jordans eigenes Verhalten dabei ist nicht überliefert, doch die beteiligten SSEinheiten gaben nach Beendigung der Aktion selbst an, 4.018 – zumeist jüdische – Menschen getötet, 103 Dörfer niedergebrannt und 18.860 Menschen in die Kriegsgefangenschaft verschleppt zu haben.125 Jordan 119 | Jordan an Brandt, 9.4.1943, ebd., 125; ein in Kiew 1943 als Manuskript gedrucktes Heft mit autobiografischen Gedichten Jordans findet sich in BArch, BDC SSO Jordan, Wilhelm. 120 | Ein Schriftwechsel dazu findet sich in BArch, NS 19/3019. 121 | Grothman an SS-Wehrgeologen-Bataillon, 30.1.1944, BArch, BDC SSO Jordan, Wilhelm. 122 | Beispielsweise Brandt an Jordan, 31.3.1944, BArch, NS 19/3638, 7. Auffällig ist dabei auch, dass die Korrespondenz mit Brandt einen geradezu herzlichen und vertrauten Ton annahm und auch Familienangelegenheiten zur Sprache kamen. Dokumente zu Beförderungen finden sich in BArch, BDC SSO Jordan, Wilhelm, BArch, NS 19/3638 und BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930; im September 1944 hatte Jordan den Rang eines Hauptsturmführers (F) der Waffen-SS erreicht. 123 | Jordan an Brandt, 10.6.1943, BStU, MfS Sekretariat des Ministers 930, 45–50. 124 | Vgl. Huismann 2009, S. 216; Kwiet 1993, S. 203ff. 125 | Vgl. Cüppers 2005, S. 260ff.

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berichtete hingegen in einem Brief von dem Unternehmen wie von einer Abenteuerfahrt und schloss: „Die Tage, wo wir nicht draußen in den Stellungen hausten, waren wir bei einfachen Bauers- und Fischersleuten eines kleinen Dorfes einquartiert. Die Leute waren zu uns sehr freundlich und hilfsbereit. Nach einer durchfrorenen Nacht – die ersten Tage waren kalt und regnerisch – bereitete mir meine Wirtin aber sogar ein Lager auf dem Ofen, dem Ehrenplatz des Hauses. Das war für mich ein wahrhaft vorgeschichtliches Vergnügen. Über die vielerlei Erlebnisse u. Beobachtungen; auch volkskundlicher Art; zu erzählen, würde im Augenblick zu weit führen.“126 Dass Himmler Interesse an Beobachtungen „volkskundlicher Art“ hatte, geht auch aus einem Briefwechsel zum Volksstamm der Huzulen hervor: Jordan beschrieb diese als ein Volk, das wie in vorgeschichtlicher Zeit Bronzeäxte gieße und „sozusagen lebendige Hallstatt-Kultur“ darstelle.127 Brandt bat daraufhin, Jordan möge weitere Informationen für Himmler zu den Huzulen zusammenstellen,128 woraufhin Jordan einige Notizen schickte129 und ethnografische Fotoabzüge anfertigte.130

D as „U nternehmen W iel and“ Seit spätestens November 1943 hielt sich Jordan aufgrund der Kriegslage nicht mehr im Reichskommissariat Ukraine auf, sondern verlegte seinen Aktionsradius ins Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete, wo er bereits im Januar ein Erdölvorkommen in Debiza begutachtet hatte.131 Von Lemberg aus versuchte er, für den Abtransport von Raubgut ein Fahrzeug zu bekommen.132 Bei seinen geologischen Recherchen stieß er hier auf einen Artikel über Manganerzvorkommen bei der damals im Generalgouvernement gelegenen Stadt Zabie (heute Werchowyna) in den

126 | Ebd., S. 45f. (Unterstreichung im Original). 127 | Jordan und Brandt, 7.3.1944, BArch, NS 19/3638, 8. 128 | Brandt an Jordan, 31.3.1944, ebd., 7. 129 | Jordan an Persönlicher Stab RFSS, 3.6.1944, BArch, NS 21/1735. 130 | Diese finden sich auch in seinem Nachlass, KMW Inv. Nr. 16631–16634. 131 | Jordan und Brandt, 24.1.1944, BArch, NS 19/3638, 17. 132 | Jordan und Brandt, 9.4.1944, ebd., 6.

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Karpaten.133 Mangan war wichtig für die Waffenproduktion und nach der Rückeroberung des Gebietes um Nikopol in der Ukraine durch die Rote Armee für die Deutschen nicht mehr verfügbar. Dementsprechend groß war das Interesse Himmlers an diesem Erzvorkommen; er beorderte Jordan in die SS-Feldkommandostelle Bergwald bei Salzburg. Im Anschluss erteilte er Jordan den „wichtigen Sonderauftrag“, das Gelände selbst in Augenschein zu nehmen, und wies den Höheren SS- und Polizeiführer in Krakau, Wilhelm Koppe, an, Jordan „hinsichtlich Gestellung von Fahrzeugen, Mannschaften und in jeder anderen Hinsicht“ zu unterstützen.134 Nach Abschluss der Expedition hatte Jordan Koppe und Himmler persönlich über die als „Geheime Kommandosache“ klassifizierte Aktion zu berichten. Himmler bat Koppe darüber hinaus, Generalgouverneur Hans Frank zu unterrichten und ihm den Vorschlag zu unterbreiten, „daß an einen gemeinsamen Abbau seitens des Generalgouverneurs und des Reichsführer-SS in aller Stille herangegangen wird, um den Führer hier bald mit Erfolgen zu überraschen.“135 In der Folge traf sich Frank am 8. Mai 1944 mit Jordan, um genauere Informationen zu erhalten.136 Die direkte Besichtigung wurde allerdings zunächst durch die Tatsache verunmöglicht, dass sich das fragliche Gebiet in einem stark umkämpften Frontabschnitt befand. Himmler setzte jedoch trotzdem große Hoffnungen auf dieses Manganvorkommen, denn er formulierte drastisch: „Es muß hier sehr viel riskiert werden. [...] Sollte die Stelle lediglich so im Frontbereich liegen, daß hingeschossen wird, müssen die Menschenleben darangesetzt werden."137 Auch gegenüber dem Leiter des SS-Wirtschaftsund Verwaltungshauptamtes Oswald Pohl erklärte Himmler: „Ich sehe diese Unternehmungen als unendlich wichtig an und sehe es als notwendig an, daß wir sie in unserem Besitz oder unserer Gewalt haben, um die Sabotage, die ohne Zweifel von vielen Stellen betrieben wird, eisern zu unterbinden.“138 Damit formulierte Himmler den Anspruch der SS, rüstungswichtige Unternehmen selbst zu betreiben und sie nicht dem 133 | Jordan an Brandt, 16.4.1944, BArch, NS 19/3639, 213. 134 | Brandt an Jordan, Blitz-Fernschreiben vom 22.4.1944, ebd., 207. 135 | Brandt an Koppe, Blitz-Fernschreiben vom 22.4.1944, ebd., 204. 136 | Diensttagebuch Hans Frank, BArch, R 52 II/216, 66 ff. 137 | Himmler an Koppe, Blitz-Fernschreiben vom 25.4.1944, BArch, NS 19/3639, 200. 138 | Himmler an Pohl, 29.4.1944, ebd., 195.

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Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer zu überlassen.139 Gegenüber Generalgouverneur Frank begründete Himmler seinen Wunsch nach Verfügungsgewalt über den Manganabbau damit, „daß der Abbau dieses kriegsnotwendigen Erzes 4 Jahre lang nicht betrieben wurde, während wir wegen des Manganvorkommens von Nikopol entgegen allen militärischen Erkenntnissen den Brückenkopf monatelang unter Aufopferung vieler tausend Menschenleben gehalten haben. Die Polen im Reichsamt für Bodenforschung schlage ich Ihnen vor, festzunehmen und unter Vernehmung, wenn nötig, unter verschärfte Vernehmung, zu stellen, damit diese für das Verschweigen dieser und anderer Vorkommen bestraft werden und ihr Wissen nun endlich preis geben. Was mit ihnen zu geschehen hat, entscheide ich nach Abschluss der Vernehmung.“140 Insbesondere die Einschätzung, die deutschen Stellen seien durch die Polen nicht ausreichend informiert worden, ging offenbar maßgeblich von Jordan aus, der dem Reichsführer-SS persönlich am 26.4.1944 berichtete und darauf verwies, sein polnischer Informant Prof. Tokarsky habe wissenschaftliche Gegner innerhalb des Reichsamtes für Bodenforschung.141 Allerdings verschob der Höhere SS- und Polizeiführer Wilhelm Koppe die Vernehmung und Folterung, die er „zweckmäßigerweise im Beisein von SS-Hauptsturmführer Jordan“ durchführen wollte,142 da sich herausstellte, dass das Reichsamt für Bodenforschung sehr wohl über das Vorkommen Bescheid gewusst hatte. Himmler sandte daraufhin dem Präsidenten des Reichsamtes, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und SS-Obergruppenführer Wilhelm Keppler einen Brief, in dem er formulierte: „Leider haben die Dienststellen Deines Reichsamtes für Bodenforschung total an 139 | Zur in der Forschung schon oft diskutierten Konkurrenz von Himmler und Speer vgl. Glauning 2006, S. 74ff. 140 | Himmler an Koppe, 29.4.1944, BArch, NS 19/3639, 192f. Bemerkenswert ist, dass im hier skizzierten Fall zumindest zu Beginn eine Kooperation zwischen Speer und der SS stattfand, denn HSSPF Koppe vermerkte in einem Brief an Himmler, die von Speer auf Veranlassung des Generalgouverneurs gestellten Wissenschaftler und Fachleute zögen in der Vorexpedition „offenbar gut mit“; Koppe an Himmler, 12.6.1944, ebd. 111. In seinem 37 Jahre später veröffentlichten Buch „Der Sklavenstaat“ äußerte Speer jedoch sein Missfallen über die Aktion (vgl. Speer 1981, S. 257ff.); vgl. dazu auch Huismann 2009, S. 227f. 141 | Jordan an Diehm, 3.5.1944, BArch, NS 19/3639, 178. 142 | Koppe an Himmler, 16.5.1944, ebd., 154.

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den Dienststellen des Generalgouvernements vorbeigearbeitet. Der Leiter Deiner Dienststelle im Generalgouvernement, Professor B r i n k m a n n, behauptet, er habe dieses Vorkommen im Generalgouvernement Herrn Vizepräsidenten Brockamp gemeldet. Diese Meldung ist aber offenkundig nicht weitergegeben worden. Wenn man bedenkt, daß man 4 Jahre lang das Generalgouvernement im Besitz hat und daß von diesem Manganvorkommen nicht ein Kilo abgefahren wurde, während bei Nikopol Tausende von deutschen Soldaten wochenlang bluteten und verbluteten, dann bin ich eigentlich der Ansicht, daß ein Mann wie Herr Brockamp an die Wand gestellt gehört. Ich glaube, es wäre richtig, wenn Du den Vorgang einmal untersuchen würdest. Ich meine, daß keine der Mütter, deren Söhne in Nikopol gefallen sind, für dieses Geschehen innerhalb eines Amtes Verständnis hätte. Vielleicht lässt du mich einmal wissen, was sich bei Deiner Untersuchung herausgestellt hat.“143 Himmler überging dabei völlig, dass das Reichsamt für Bodenforschung das Vorkommen offenbar als weit weniger relevant einschätzte; er veranlasste: „1. Sicherung des Gebietes durch die entsprechende Heeresgruppe. Luftaufklärung. 2. Einschaltung des Reichsministers S p e e r und der OT [Organisation Todt]. 3. Übernahme und Leitung des Objektes durch die SS. Gründung einer Gesellschaft. Leitung der vorbereitenden Arbeiten durch SS-Hstuf. [Hauptsturmführer] Jordan. 4. Anstellung des Prof. Tokarski, Schutz u. Versorgung seiner Familie, Evakuierung.“144 Am 27.5.1944 startete, nach intensiven Vorbereitungen, eine Expedition, die auf Vorschlag Jordans als „Unternehmen Wieland“ bezeichnet wurde. Aufgrund der Kriegslage wurde sie von erheblichem Polizeischutz begleitet: „Das Expeditionskommando war insgesamt 72 Mann stark und setzte sich aus 1 Polizeioffizier, 20 ausgesuchten Polizeimännern, 12 Polizeifunkern, 1 Unteroffizier und 10 Bergpionieren, 5 OT-Männern, 1 SSArzt, 2 SS-Männern, 9 Geologen und Sachverständigen, 8 Kraftwagenfahrern und 3 Vermessungsbeamten zusammen. [...] Es war mit 5 LKW’s, 1 PKW, 1 Funkwagen, 1 Sanka [Sanitätskraftwagen] und 2 Motorrädern ausgerüstet. Abgesehen von der Sicherstellung der ständigen Funkverbindung, steht dem Kommando ein Storch zur Verfügung, welcher ausschließlich die Aufgabe hat, die Verbindung mit dem Kommando zu halten, den Marschweg zu erkunden und die erforderlichen Sicherheits143 | Himmler an Keppler, 6.6.1944, ebd., 141. 144 | Jordan an Diehm, 3.5.1944, ebd., 178.

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flüge auszuführen.“145 Außerdem stellte die Heeresgruppe Nord-Ukraine weitere 153 Mann zur Sicherung ab. Die Expedition erreichte das Manganvorkommen unbeschadet, war aber durch innere Konflikte geprägt. So ließen die Experten, die das Reichsamt für Bodenforschung zu der von Jordan geleiteten Erkundungsexpedition abordnete, eine äußerst widerwillige Haltung erkennen; sie waren bereits am 6. Juni 1944 „wegen der Geringfügigkeit des Manganvorkommens, wegen ihrer Unentbehrlichkeit bei ihren Dienststellen und wegen des unzureichenden Schutzes“ wieder in Lemberg, mussten jedoch „nach entsprechender scharfer Belehrung“ durch den dortigen SS-Brigadeführer zu der Expedition zurückkehren. In der Konsequenz kritisierte der HSSPF Koppe, Jordan habe sich in dieser Beziehung nicht als führungsstark erwiesen;146 Himmler wies an, Jordan habe sich als „der verantwortliche Führer der Expedition [...] gütigst durchzusetzen“.147 Am 16.6.1944 schließlich fand die Vorexpedition in einer Besprechung bei HSSPF Koppe in Krakau ihren Abschluss; die Experten des Reichsamtes für Bodenforschung erkannten an, dass das Vorkommen in seinem Auf bau zwar nicht ganz dem Befund des polnischen Wissenschaftlers Tokarsky entsprach, „unter verkehrsmäßig günstigen Bedingungen“ jedoch abbaubar sei. Unter den vorliegenden Verhältnissen würde dies allerdings „einen Zeitaufwand von mindestens 2 Jahren beanspruchen“.148 Diese ungünstige Prognose wurde jedoch von Himmler nicht angenommen; er zitierte die Teilnehmer der Besprechung noch am selben Tag in seine Feldkommandostelle: „Der Reichsführer-SS will sich persönlich ein Bild machen, da er von dem abgegebenen Urteil zunächst gar nichts glaubt. Die Herren haben so gehandelt, daß er in ihre Wahrheitsliebe kein Vertrauen setzen kann.“149 Über das hier geführte Gespräch liegen keine Mitschriften vor, Himmler ordnete jedoch an, dass das „Unternehmen Wieland“ fortzuführen sei, denn in der Folgezeit stellte der HSSPF Koppe ein noch umfangreicheres Kommando zum Abbau des Mangans zusammen, wobei Jordan zum Führer des geologischen Suchtrupps bestimmt wurde. Die als „Geheime Reichssache“ eingestufte 145 | Koppe an Himmler, 12.6.1944, ebd., 107 (Fehler im Original). 146 | Ebd., 110f. 147 | Himmler an Koppe, 16.6.1944, ebd., 129. 148 | Aktenvermerk über das wissenschaftliche Ergebnis der Besprechung bei SS-Obergruppenführer Koppe am 16.6.1944, ebd., 126f. 149 | Brandt an Koppe, Blitz-Fernschreiben vom 16.6.1944, ebd., 128.

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Expedition wurde begleitet durch eine Polizeikompanie (105 Mann) mit Polizeijagdzug (20 Mann), Fernsprechtrupp (6 Mann), Fernsprechbautrupp (8 Mann), Funktrupp (26 Mann) und einem Zug der Technischen Nothilfe (26 Mann). Neben diesen militärischen Einheiten bestand das Kommando aber auch aus „15 Pferdepflegern[,] 1 poln. Bergingenieur mit 4 poln. Bergbauarbeitern und 13 für den Erzabbau geeigneten sonstigen Arbeitern [sowie] 250 polnischen Arbeitern für den Strassenbau.“150 Diese von der Organisation Todt151 gestellten Arbeitskräfte kamen – wie Jordan 1981 berichtete – aus dem Konzentrationslager Krakau-Plaszow; Jordan bezeichnete sie in der Nachkriegszeit als Polen, gab aber an, es seien auch „einige Deutsch sprechende Juden“ darunter gewesen.152 1944 vermerkte der HSSPF Koppe dazu euphemistisch, die „Zahl der eingesetzten Arbeiter [solle] durch Werbung und Aushebung in der Bevölkerung der in Frage stehenden Gebiete laufend vergrößert werden“153 – was nichts anderes als den Plan zur Versklavung der örtlichen Bevölkerung ausdrückte. Aber auch materiell war das Kommando überdurchschnittlich gut ausgestattet, unter anderem mit zwölf LKWs; die Auflistung des weiteren Materials, das zum Auf bau eines kompletten Stützpunktes transportiert wurde, füllt in den Akten insgesamt sieben Seiten und umfasst die unterschiedlichsten Materialarten. Aus ihnen wird ersichtlich, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil aus dem Besitz der Menschen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern stammte. So wurden nicht nur Werkzeuge, Bau- und Arbeitsmaterialien wie Bohrer, Türschlösser, Schrauben, Zimmermanns150 | Koppe an Himmler, 5.6.1944, ebd., 95. 151 | Die Organisation Todt – seit 1942 unter der Führung von Albert Speer stehend – setzte mit der immer größer werdenden Knappheit freiwilliger Arbeitskräfte seit 1940 verstärkt Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, ab 1942 auch KZ-Häftlinge, für Rüstungs- und Bauarbeiten im Reich und in den besetzten Gebieten ein (vgl. Gruner 2006); sie war so am System der „Vernichtung durch Arbeit“ beteiligt, wobei die Arbeitsverhältnisse tatsächlich je nach Einsatzort und -art stark differieren konnten. 152 | Jordan an Heyl, 18.1.1982, KMW 70/1/2/14. Jordan behauptete in diesem Kontext, Krakau-Plaszow sei unmittelbar zuvor als Internierungslager aufgelöst worden; tatsächlich wurde das Kriegsgefangenenlager Plaszow schon im Januar 1944 in ein selbständiges Konzentrationslager umgewandelt (vgl. Pohl 1998, passim). 153 | Koppe an Himmler, 5.6.1944, BArch, NS 19/3639, 95.

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bleie, Fensterglas oder Messer verladen, sondern auch „Für Tauschzwecke“ aus dem „Werterfassungslager Plaszow“ neben vielem anderen „307 Stck. Halsketten“, „1 Schachtel = 118 Dtzd. Knöpfe“, „40 Stck. = 920 m Gold- und Silberband“, „2 Schachteln = 400 Stk. Broschen“ oder „60 Stck. Pfeifen“. Die Treuhandverwertung – zuständig für die Beschlagnahme und Verwertung des zurückgelassenen Besitzes von Deportierten – lieferte dazu „30 Stck. Taschenuhren“. Die akribisch geführten Listen führen darüber hinaus auch „80 000 Zigaretten“ auf, und auch der Vermerk, dass „500 Stck. Schaufelstiele“ nachgeliefert würden, fehlt nicht. Die Unternehmung verließ Lemberg am 30. Juni 1944; am 10. Juli wurde die Arbeit auf dem von Jordan so genannten „Wielandsberg“ aufgenommen.154 Nach Angaben des HSSPF gegenüber Himmler konnten bis Ende Juli mehr als 100 Tonnen Manganerz abgebaut und rund 18 Tonnen davon auch abtransportiert werden.155 Jordans geologischer Suchtrupp beschäftigte sich zudem mit der Untersuchung einer Graphitlagerstätte in Albintale.156 Dann allerdings verschlechterte sich die militärische Lage um Zabie für die Deutschen massiv, zudem wurde das Lager von Partisanen angegriffen.157 Schon am 3. August wurde das Unternehmen abgebrochen, Fahrzeuge und Geräte zum Rücktransport verladen. Aufgrund der Umstände wurde Jordans Trupp von den Sicherungskompanien getrennt, allen Teilen gelang es jedoch, sich über Ungarn nach Krakau zurückzubegeben – einschließlich der Männer der Technischen Nothilfe sowie der Arbeiter der Organisation Todt, wie Jordan Himmler telegrafierte.158 1982 berichtete Jordan, zwei der Häftlinge seien an einem ungarischen Bahnhof geflohen;159 er scheint dies als Augenzeuge miterlebt zu 154 | Jordan an Himmler, 26.8.1944, ebd., 82. 155 | Koppe an Himmler, 21.8.1944, ebd., 80. 156 | Jordan an Himmler, 26.8.1944, ebd., 82. 157 | Ebd. 1982 beschuldigte Jordan einen jüdischen Häftling, zu den Partisanen übergelaufen und so für den Tod von 19 Deutschen verantwortlich zu sein; Jordan an Heyl, 18.1.1982, KMW 70/1/2/14. Auch in einem zeitgenössischen Brief an Merhart schreibt er von 19 Toten; Jordan an Merhart, 2.9.1944, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. Der HSSPF Koppe hingegen nennt eine Zahl von 13 Toten und 14 Verwundeten; Koppe an Himmler, 21.8.1944, BArch, NS 19/3639, 80. 158 | Koppe an Himmler, 21.8.1944, ebd., 83. 159 | Vgl. Huismann 2009, S. 223f.

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haben, so dass wahrscheinlich ist, dass sein Trupp von Häftlingen begleitet wurde. Jordan verließ „Wielandsberg“ am 6. August 1944 und erreichte Krakau am 21. August. Genau eine Woche später wies Himmler ihn an: „Unternehmen „Wieland“ ist bis auf weiteres und bis zur endgültigen Festigung der Front einzustellen. Ende November wollen Sie mir Bericht über die Möglichkeiten der Neuaufnahme geben.“160

A rchäologie auf KZ-A re al Nur zwei Tage nach seiner Ankunft wurde dem nun unbeschäftigten Jordan ein neuer Sonderauftrag zuteil: „Am 23.8.1944 erhielt ich durch den Höheren SS- und Pol.[izei] Führer Krakau Nachricht, daß in den letzten Wochen in Plaszow ein frühgeschichtlicher Fund gemacht worden wäre und die Fundstücke im dortigen KL [Konzentrationslager] auf bewahrt würden. Die Feststellung ergab, daß es sich um eine Brandbestattung aus dem 3.Jh.u.Ztr. [handelte.]“161 Nach Aufnahme der Funde und Ausführungen zur Ornamentik des Gürtelbleches vermerkte er: „Bereits in der polnischen Zeit war bekannt, daß in der Nähe des jüdischen Friedhofes in Plaszow vor- und frühgeschichtliche Funde zum Vorschein kamen. Ein poln. Fachmann Josef Zurowski, gest. 1934, Dozent f. Archäologie, fand etwa 1928-1930 einige Reste, die er in einer Fachzeitschrift veröffentlichte. Systematische Untersuchungen unterblieben, weil die Juden ihren Friedhof nicht gestört wissen wollten.“162 Das Lager Krakau-Plaszow war 1940 ursprünglich als Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet von zwei jüdischen Friedhöfen errichtet und im Januar 1944 zum Konzentrations160 | Himmler an Jordan, 28.9.1944, ebd., 62. Knapp drei Wochen später schickte Jordan dem Reichsführer-SS Fotoaufnahmen von „Wielandsberg“ und vergaß auch nicht, Bilder von Huzulen beizufügen; Jordan an Himmler, 17.9.1944 sowie Fotos ebd., 45ff. 161 | Aktenvermerk Jordans, 1.9.1944, KMW/NJ Inv. Nr. 16852; dazu auch Jordan an Brandt, 13.9.1944, BArch, NS 21/1735. 162 | Ebd. Diesen Absatz verwendete Jordan wortgleich auch in einem Brief, den er an Gero von Merhart im Marburger Seminar schickte, mit der Bitte, ihm bei der Bestimmung der Funde behilflich zu sein, da er keinen Zugang zu Literatur mehr habe; Jordan an Merhart, 2.9.1944, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J.

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lager erklärt worden; unter der Kommandantur von Amon Göth galt es als äußerst grausam.163 Die Schändung des jüdischen Friedhofes erschien Jordan offenbar nicht als Sakrileg, vielmehr missbilligte er, dass keine systematischen Ausgrabungen unternommen worden waren. Abschließend stellte er zur Lage des Grabes fest: „An der SW-Ecke des Fundamentes zu einem Wasserbehälter bei Turm „ A“ des jetzigen KL Plaszow bei Krakau. SS-Rottf. Günther fand am 31.8.1944 eine einzelne Scherbe vielleicht von einem weiteren Grab auch an der W-Seite des Fundamentes.“164 Jordan blieb von den Fundumständen völlig unbeeindruckt, sein Forscherdrang wurde in keiner Weise dadurch eingeschränkt; er unternahm sogar, wie er an Gero von Merhart schrieb, eine kurze Nachuntersuchung. Auch zu einem weiteren Fund erbat er anhand einer Zeichnung Merharts Rat: „Während ich diese Zeilen schreibe, bringt mir der hiesige Lagerzahnarzt eine zweite Bronze-Fibel, die vor einiger Zeit hier im Hof gefunden wurde und selten gut erhalten ist. Ob sie aus dem örtlichen Boden stammt, scheint mir zweifelhaft. Der Zahnarzt erzählt, daß hier im Lager einige Spanier gewesen seien, die die Fibel vielleicht mitgebracht und hier verloren hätten. Oder sollte sie sich doch schon in vorgeschichtlicher Zeit nach Krakau verlaufen haben ? ?“165 Den Austausch mit Gero von Merhart über das Urnengrab von Krakau-Plaszow setzte Jordan auch in den kommenden Wochen fort. Zu dieser Zeit war er bereits nach Süddeutschland abgeordnet worden.166 Im 163 | Vgl. ARC 2006. Insbesondere der Film „Schindlers Liste“ hat die Gräueltaten im Lager Plaszow bekannt gemacht; eine sehr umfangreiche Zusammenstellung von Hintergrundinformationen sowie eine Datenbank mit Plänen und Fotos aus dem Lager finden sich auf der Dokumentations- und Gedenkhomepage für den ehemaligen Häftling und „Schindlerjuden“ Mieczysław „Mietek“ Pemper des Wahlkurses Geschichte am Paul-Klee-Gymnasium Gersthofen (vgl. PemperWiki o.J.). 164 | Aktenvermerk Jordans, 1.9.1944, KMW/NJ Inv. Nr. 16852. 165 | Jordan an Merhart, 2.9.1944, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J. 166 | Brandt an Pohl, 2.9.1944, BArch, NS 19/3639, 50. Der Kontakt zu Oswald Pohl war bereits im November 1943 geknüpft worden, nachdem Jordan mit weiteren Wissenschaftlern aus Dnjepropetrowsk evakuiert worden war. Aufenthaltsort der Gruppe war zu diesem Zeitpunkt das der Wehrmacht unterstehende Kriegsgefangenenlager Birau bei Heydebreck in Oberschlesien, das Teil eines großen Lagerkomplexes der I.G. Farben war. Es ist daher denkbar, dass es sich bei dem

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sog. „Unternehmen Wüste“ setzte die SS Häftlinge in einer SS-eigenen Ölschieferproduktion ein. Die Gewinnung von Treibstoff war eines der wichtigsten Probleme im Kriegseinsatz, und schon seit 1943 liefen in der Schwäbischen Alb Versuche, den dortigen Schiefer nutzbar zu machen. Obwohl sich zeigte, dass das Verfahren ineffektiv war, wurde im Juli 1944 beschlossen, mit der Produktion zu beginnen. Von den über 10.000 hierzu gezwungenen Häftlingen starben mindestens 3.480, vermutlich jedoch wesentlich mehr.167 Jordan wurde hierhin abgeordnet und konnte wiederum sowohl seine geologischen Kenntnisse im Rahmen der Ölschiefergewinnung168 als auch seine archäologischen Fähigkeiten bei Ausgrabungen in den sieben für das „Unternehmen Wüste“ errichteten Konzentrationslagern zum Einsatz bringen. An Merhart berichtete er: „Im August 1944 stieß man auf dem Hungerberg bei Erzingen, Kr. Balingen bei Pfostensetzungen für ein Kriegsgefangenen-Lager auf alamannische Reihengräber. [...] Zeugen der damaligen Entdeckung waren SS-Obersturmführer Herry, der damalige Bauleiter und sein jetziger Nachfolger SS-Obersturmführer Jakoby, der die Bedeutung der Funde erkannte, und seiner vorgesetzten Dienststelle Meldung erstattete. Anfang September erhielt ich von SS-Hstf u Hptm. [Hauptsturmführer und Hauptmann] der Luftwaffe v. Kruedener die erste Nachricht und durch seine Vermittlung bald darauf vom Chef des SS-Wi u V.H.A. [SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes] Berlin, SS-Ogruf [Obergruppenführer] Pohl den Auftrag, die Fundstelle zu untersuchen und die Funde

wissenschaftlichen Personal – darunter „ein Professor der Mechanik, ein Professor der Geologie sowie wissenschaftliche Assistentinnen“ – nicht um Kollaborateure, sondern um Zwangsrekrutierte handelte. Jordan hatte offenbar angeregt, diese Menschen im Bereich des von Oswald Pohl geleiteten SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes einzusetzen und sie nicht der Wehrmacht zu überstellen. Pohl sandte Jordan am 29.11.1943 daher ein Telegramm: „Kommen Sie sofort mit Ihrem ganzen Arbeitsstab zu mir nach Berlin. Ich kann Sie sehr gut gebrauchen.“ Vgl. den Schriftwechsel in BArch, NS 3/824. Was aus den Menschen wurde, nachdem Jordan wieder ins Generalgouvernement zu seiner Tätigkeit als Wehrgeologe zurückgekehrt war, ist bislang unklar. 167 | Vgl. Glauning 2006. 168 | Jordan an Brandt, 13.9.1944, BArch, NS 21/1735. Zur Abordnung Jordans zum SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt vgl. BArch, NS 3/824.

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sicherzustellen.[169] Am 11. Sept. traf ich von Krakau aus in Erzingen ein, nachdem ich mich zuvor in Tübingen mit dem Anthropologen Prof. Dr. Gies[e]ler und dem Vorgeschichtler Prof. Goessler in Verbindung gesetzt und die zu treffende Maßnahme besprochen hatte. Die vom 12.–15. Sept. von mir mit Hilfe von 4 jungen russischen Zivilarbeitern durchgeführte Untersuchung hatte folgendes Ergebnis: Der alamannische Reihengräberfriedhof auf dem Hungerberg b. Erzingen war bisher nicht bekannt. [...] Die Fundstelle liegt etwa 20m nördlich des mittleren Wachturms an der n-westl. Umzäunung des KZ-Lagers. [...] Die beiden im August 1944 angetroffenen Gräber lagen gar nicht weit davon in der Fluchtlinie der Lagerumzäunung und 25m entfernt vom nwestl. Eckturm des Lagers.“170 Insgesamt untersuchte Jordan etwa 54qm, die er als „durch geplante Mastensetzung“ gefährdet beschrieb. Auch an Himmlers Adjutanten Brandt sandte Jordan einen Grabungsbericht, in dem er darauf verwies, die Funde habe er „dem Balinger Heimatmuseum übergeben, damit sie im Lande bleiben und mit dem bisherigen württembg.alamannischen Funden zusammen bearbeitet werden können. Das Museum hat sich zu Gegengaben an die Wewelsburg gern bereit erklärt.“171 Offenbar bewährte Jordan sich in dieser Zeit für das „Unternehmen Wüste“, denn im November 1944 verfasste er – unter der Adresse der SS-Bauleitung in Erzingen – einen weiteren ausführlichen Fundbericht mit Fundzeichnungen zu drei Grabhügeln bei Schömberg,172 über die er wiederum ausführlich mit Gero von Merhart korrespondierte.173 Dabei hatte er augenscheinlich keinerlei Probleme mit der ihn umgebenden 169 | Jordan hatte in Erzingen offenbar direkten Kontakt mit Oswald Pohl, denn in einem Schriftwechsel mit dem Persönlichen Stab Reichsführer-SS berief er sich auf eine mündliche Rücksprache mit diesem; Jordan an Berg, 16.11.1944, BArch, NS 19/3267. 170 | Jordan an Merhart, 24.9.1944, Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J (Fehler im Original). Eine auf Millimeterpapier ausgeführte Grabskizze von Grab II findet sich in BArch, NS 21/1735. 171 | Jordan an Brandt (Auszug), 17.9.1944, ebd. (Fehler im Original). 172 | Jordan, Reiche vorgeschichtliche Funde bei Schömberg, ebd.; noch im Januar 1945 veröffentlichte er unter dem selben Titel einen Artikel in der Balinger NS-Zeitung „Der Wille" (Jordan 1945, enthalten in KMW/NJ 164). 173 | Vorgeschichtliches Seminar Marburg, Nachlass Merhart, Schülerkorrespondenz > J.

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massenhaften Ermordung von Menschen. Mehr noch: Er richtete bei der Bauleitung des KZ Erzingen ein Zeichenbüro ein, für das ein eigenes Häftlingskommando begründet wurde.174 Dieses bestand aus den beiden Häftlingen Julien Lievevrouw und Isaak Wirschup, deren Aufgabe es war, die archäologischen Fundstücke zu zeichnen. Unterstützt wurden sie von der Angestellten Ingeborg Ziebarth, die als gelernte Fotografin täglich von außerhalb zur Arbeit ins Lagerbüro kam, sowie von zwei Soldaten, die als Grabungshelfer eingesetzt wurden.175 Ingeborg Ziebarth erinnerte sich in der Nachkriegszeit, dass in den Gräbern „alte Spangen, Fibeln, goldene Ringe, ein wunderbarer Handspiegel neben bemalten Tonscherben von Krügen und Gefäßen“ gefunden worden seien.176 Diese detailliert wiedergegebene Fundliste entspricht ganz offensichtlich nicht den Objekten vom Hungerberg bei Erzingen.177 Aber auch in dem von Jordan verfertigten Fundverzeichnis von Schömberg findet sich kein als Spiegel angesprochenes Objekt,178 so dass wohl davon ausgegangen werden kann, dass Jordan im Rahmen von „Unternehmen Wüste“ weitere Ausgrabungen unternahm. Für den Genter Architekten Lievevrouw und den Wilnaer Mathematiker Wirschup bedeutete die Arbeit als Zeichner und damit die Unterstellung unter die Protektion Wilhelm Jordans eine Sonderstellung im Lager – sie erhielten damit gegenüber den anderen Häftlingen eine verhältnismäßig große Sicherheit, die sie zur Anfertigung von Portraits und Glückwunschkarten nutzten, um ihren Mitgefangenen Individualität und Hoffnung zurück zu geben. Ob Jordan von diesen privaten Zeichnungen gewusst hat, bleibt unklar; für die Häftlinge war er in dieser Situation der Mensch, der neben der Lagerleitung vollständig über ihr Leben oder Sterben zu entscheiden hatte.179 174 | Vgl. dazu Opfermann 2012 sowie ders., 2013. 175 | Vgl. Opfermann 2012, S. 11. Bisher unklar bleibt, ob es sich bei den Soldaten um Kriegsgefangene handelte oder ob tatsächlich deutsche Wehrmachtsangehörige abgestellt wurden. 176 | Ebd., 12. 177 | Zum Fundinventar vom Hungerberg vgl. auch Schmitt 2005, S. 136. 178 | Die urnenfelderzeitlichen Grabhügel mit merowingischen Nachbestattungen von Schömberg „Neidlinger“ behandelt auch Georg Schmitt nur summarisch, vgl. ebd. 2005, S. 172f. 179 | Vgl. Opfermann 2012, S. 12.

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D ie Z erstörung der W e welsburger S ammlung Zu Kriegsende setzte sich Jordan aus der Schwäbischen Alb ab, alliierte Truppen griffen ihn am 6. April 1945 in Nordhessen auf.180 Zu diesem Zeitpunkt war die Wewelsburg bereits durch die SS gesprengt und durch die Wewelsburger Bevölkerung geplündert; Familie Jordan war vor den anrückenden Alliierten geflohen. Die Reste des in Wewelsburg auf bewahrten Raubgutes – das nicht nur von Jordan, sondern auch aus anderen zahlreichen Plünderungszügen der SS im besetzten Europa stammte – wurden durch die Alliierten beschlagnahmt und, soweit zurückverfolgbar, in den nächsten Jahren restituiert.181 Allerdings betraf dies offenbar keine vorgeschichtlichen Artefakte, sondern zumeist Möbel und Gemälde. Wahrscheinlich ist, dass viele archäologische Objekte in der Wewelsburg zerstört wurden. Aus den Trümmern bargen Mitglieder der „Wissenschaftlichen Vereinigung für Naturkunde und Naturschutz Paderborn“ die geologische und auch Reste der archäologischen Sammlung, darunter beispielsweise auch eine Elektronmünze. Wie aus einem Dokument aus dem Jahr 1949 hervorgeht, übereignete Jordan diese Reste in einem Notarvertrag dem Verein, wobei er angab, der rechtmäßige Besitzer der Stücke zu sein.182 Auch der Kreisheimatpfleger und spätere Leiter des Kreisheimatmuseums Wilhelmi barg ca. 1948 aus dem Schutt „etwa vier Zigarrenkisten mit Münzen“ mit italischen, russischen und polnischen Inschriften.183 Noch in den Akten des in der Bundesrepublik für den SS-Besitz in Wewelsburg eingesetzten Treuhänders findet sich Anfang der 1950er Jahre ein Hinweis auf „Mehrere hundert Bronze- u. Silber-Münzen. Darunter altgriechische u. altrömische Münzen sowie eine Sammlg. von Gedenkmünzen“, die nicht restituiert werden konnten, da ihre Herkunft nicht bestimmbar war.184 Auch eine Handvoll Artefakte mit osteuropäischen 180 | First Army PW [Prisoner of War] Interrogation Report; Kopie in KMW 18/1/3/8. 181 | BArch, B 323/200. 182 | Abschrift des Notarvertrages vom 8.10.1949 mit Nachschrift Jordans vom 5.10.1955, Archiv RGK, Personenakte 720 Jordan, Wilhelm. 183 | Wilhelmi an Lange, 4.4.1963, KMW/NJ 223. 184 | Treuhänder der Gesellschaft zur Förderung und Pflege Deutscher Kulturdenkmäler e.V., Aufstellung über das bewegliche NS-Vermögen im Kreise Büren

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Fundortangaben gelangten an den Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Paderborn.185

E in str amm R echter in der N achkriegszeit Wilhelm Jordan wurde in verschiedenen Lagern interniert, zuletzt in Neuengamme bei Hamburg.186 Erst am 5. März 1948 wurde er entlassen, sein Entnazifizierungsverfahren folgte am 28. April 1948. Es endete mit einer Verurteilung zu acht Monaten Haft wegen Ausnutzung von KZ-Häftlingen in Wewelsburg und Erzingen sowie einer Geldstrafe.187 Straftaten im Osten wurden ihm hingegen nicht nachgewiesen. Da die Internierungszeit auf die Strafe angerechnet wurde, musste er die Haft nicht antreten. Allerdings konnte er nicht mit seiner Familie in das Haus in der Wewelsburger Waldsiedlung zurückkehren, weil dieses nicht ihm, sondern der SS gehört hatte. Von 1948 bis 1953 verrichtete Jordan Hilfsarbeitertätigkeiten in verschiedenen Berufen; außerdem bemühte er sich intensiv darum, aus Deutschland auswandern zu können, wurde jedoch nirgends aufgenommen.188 All dies führte dazu, dass Jordan sich in eine sich selbst bemitleidende Opferrolle begab. Unrechtsbewusstsein hatte er nicht, er stellte sogar einen Antrag auf Entschädigung für Kriegsschäden und machte geltend, mit dem Verlust des Hauses seien viele Dinge seines Haushalts verschwunden.189 für das Übertragungsanträge demokratischer Organisationen zu erwarten sind bzw. für das eine Übertragung auf das Land NRW in Betracht kommt, 16.8.1953, Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen (ehem. Staatsarchiv Detmold) D 27 BKA 507-19-31-258, 19. 185 | Diese Reste sind heute in der Gedenkstättenausstellung der Wewelsburg zu sehen; vgl. dazu den Ausstellungskatalog Brebeck et al. 2011, S. 254. 186 | Pastor Johannes Nölting an Elisabeth Jordan, 2.7.1947, KMW/NJ 220. 187 | Die Unterlagen des Entnazifizierungsverfahrens finden sich in BArch, Z 42 III/112. 188 | KMW/NJ 191 enthält beispielsweise Auswanderungsgesuche für Kanada, Australien, Indonesien und die Schweiz. 189 | Antrag auf Gewährung einer Entschädigung bei Sachschäden an beweglichen Sachen n.d. Kriegssachschädenverordnung vom 31.11.1940, 1.4.1951, ebd.

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1953 schließlich wurde er als technischer Zeichner am Geologischen Landesamt Rheinland-Pfalz angestellt; auch das RGZM hatte Interesse an ihm gezeigt, jedoch keine ausreichenden Finanzmittel zur Verfügung gehabt.190 Da er keinen Studienabschluss hatte und Gero von Merhart auch nicht mehr bereit war, ihn zu promovieren191 – immerhin waren seit dem Beginn seiner Dissertation 1934 fast 20 Jahre vergangen –, gelang ihm die Rückkehr in die Vorgeschichte nicht, er brachte es allerdings bis zum Leiter der Kartografieabteilung des Mainzer Landesamtes.192 Ausgrabungen leitete er ehrenamtlich für das Historische Museum Speyer und das Städtische Altertumsmuseum (heutiges Landesmuseum) Mainz.193 Seine nationalsozialistische Ideologie behielt Jordan bis zu seinem Lebensende bei. Dabei engagierte er sich besonders in denjenigen rechtsradikalen Organisationen, die sich mit der Vorgeschichte befassten, nämlich der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte unter Bolko von Richthofen, zu deren Archivar er 1974 berufen wurde,194 sowie dem Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes.195 Darüber hinaus war er aktives Mitglied in der Deutschen Reichspartei (DRP). Im Rahmen des 1960 in Rheinland-Pfalz durchgeführten DRP-Verbotsverfahrens kam es auch bei ihm zu einer Hausdurchsuchung.196 1965 ging die DRP in der NPD auf, die fortan Jordans politische Heimat wurde. Nach seiner Pensionierung zog Jordan im Jahre 1968 in die Gemeinde Haaren, 8 km von Wewelsburg entfernt. Hier kandidierte er bei der Bundestagswahl 1972 für die NPD; seine Gegenkandidaten waren Rainer Barzel für die CDU und Rudolf Augstein für die FDP.197 Schon direkt 190 | Jordan an RGZM, 1.2.1953 und Volbach an Jordan, 6.8.1953, KMW/NJ 220. 191 | Merhart an Jordan, 30.1.1953, ebd. 192 | Jordan an Hüser, 9.8.1982, KMW 70/1/2/14. 193 | Ebd. 194 | Jordan an v. Richthofen, 10.6.1974, KMW/NJ 220. 195 | Leopoldine Jordan an Betty Grolitsch, 7.2.1974, KMW/NJ 191. 196 | Ausführlicher Schriftverkehr dazu findet sich in KMW/NJ 154, 160, 191, 220. 197 | Vgl. Bieber 1972. Jordan erhielt im Kreis Paderborn 274, im Kreis Wiedenbrück 122 Stimmen und erreichte damit im Gesamtwahlkreis einen Stimmenanteil von 0,3 %. Barzels Stimmenanteil lag bei 63,9%, Augstein erhielt 4,1 %; vgl. Statistisches Landesamt NRW 1972, 12/13; enthalten in Kreisarchiv Paderborn PB-B-44.

Zwischen staatlicher Denkmalpflege, SS-Wehrgeologie und Kulturgutraub

nach seinem Umzug nahm Jordan seine archäologische Tätigkeit in der Umgebung wieder auf. Im Mai 1969 erreichte er seine Einsetzung als ehrenamtlicher Denkmalpfleger im Bezirk Atteln, zu dem Wewelsburg damals gehörte.198 Im November 1970 gelang es ihm auch, kurzzeitig am Kreisheimatmuseum in der Wewelsburg für Ordnungs- und Inventarisierungsarbeiten angestellt zu werden;199 wahrscheinlich ist, dass Jordan in dieser Zeit Nachforschungen über den Verbleib der Bestände des SS-Museums angestellt hat.200 Damit knüpfte er sowohl in der Denkmalpflege als auch im Museumsbereich quasi nahtlos an seine frühere SS-Tätigkeit an. Zwar zog Jordan 1977 nach Hürnheim im Ries, doch blieb er Wewelsburg weiterhin verbunden. Er stand sogar bei der Konzeption der 1982 eröffneten Dokumentation „Wewelsburg – Kult- und Terrorstätte der SS“ für Auskünfte zur Verfügung,201 wobei selbst in diesen Gesprächen Jordans unverbrüchliche Treue zu Heinrich Himmler zum Ausdruck kam. Wilhelm Jordan starb am 4. März 1983. Seinen Nachlass konnte das Kreismuseum Wewelsburg 2004 erwerben – er hatte zwischenzeitlich unter anderem Gudrun Burwitz, der Tochter Heinrich Himmlers, gehört.

F a zit Noch immer wird davon gesprochen, dass die Vorgeschichte durch das Regime „missbraucht“ worden sei. Dahinter steckt ein instrumentelles Verständnis, dass es meiner Ansicht nach nicht gegeben hat – und es impliziert ein Abwälzen der Schuld auf die Mächtigen. Der Fall Wilhelm Jordans zeigt, dass entgegen der immer noch vertretenen Meinung sehr wohl Fachprähistoriker nicht nur in den Kulturgutraub, sondern auch in den Massenmord verstrickt waren. Diese gaben ihre Identität als fachlich versierte Prähistoriker nicht mit dem Engagement für die SS auf, „missbrauchten“ in diesem Sinne auch nicht eine eigentlich „hehre Vorge198 | Jordan an Kappmeyer, 22.6.1970 und 27.11.1974, KMW/NJ 191. 199 | Vgl. den Vorgang im Kreisarchiv Paderborn, P 931, Jordan Wilhelm. 200 | In seinen Ausführungen im Rahmen der Konzeption der Gedenkstättenausstellung in Wewelsburg bezog er sich immer wieder darauf; Jordan an Hüser, 9.8.1982, KMW 70/1/2/14. 201 | Vgl. Hüser 1982, passim.

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schichtswissenschaft“. Im Gegenteil hatten sie sogar dadurch überhaupt erst Motivation, Gelegenheit und Expertenkenntnisse, um während der Kriegszeit entsprechende Positionen besetzen zu können und nicht für den „einfachen“ Kriegsdienst herangezogen zu werden. Die Biografie Wilhelm Jordans zeigt, wie unkompliziert die Verbindung von Archäologie und Verbrechen während der NS-Zeit zustande kommen konnte. Im Leben Wilhelm Jordans gibt es zwei Konstanten: 1.) Die Liebe zur Vorgeschichte. 2.) Die nationalsozialistische Ideologie, ab 1935 verbunden mit seiner Identität als SS-Mann bzw. ehemaliger SS-Mann. Prägend war für ihn dabei das besondere Verhältnis zu Heinrich Himmler, der zu Jordan eine persönliche Nähe herstellte und ihm das Gefühl vermittelte, die gleichen Leidenschaften zu teilen wie dieser. Wilhelm Jordan war dabei weder ein Esoteriker noch ein Anhänger Hans Reinerths, sondern im Gegenteil geprägt durch die „Marburger Schule“ mit ihren stark klassisch-archäologischen Komponenten und der Anbindung an die etablierten Strukturen um DAI, RGK und RGZM. In seinen Handlungen war er immer davon geleitet, archäologische und geologische Forschung zu betreiben. Das Schicksal der Opfer interessierte ihn dabei schlichtweg nicht.

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Zwischen staatlicher Denkmalpflege, SS-Wehrgeologie und Kulturgutraub

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Ein Archäologe im Dienste des Endsieges? Peter Paulsen und die SS-Führerschule „Haus Germanien“ in Hildesheim Marko Jelusić

Zusammenfassung Im ehemaligen Michaeliskloster von Hildesheim war bis 1943 eine Nervenheilanstalt eingerichtet. Nach der Verschleppung und Ermordung vieler der dort untergebrachten psychisch kranken und körperlich behinderten Patienten befand sich in der Anlage zwischen September desselben Jahres und März 1945 die SS-Führungsschule „Haus Germanien“. Anfangs von der SS nur als Ausbildungsstätte neuer Führeranwärter geplant, wollte der Ur- und Frühgeschichtler Peter Paulsen diese Schule zu einem zentralen germanischen Forschungsamt umgestalten. Im Rahmen dieser Tätigkeit stellte er eine wissenschaftliche Bibliothek zusammen und plante außerdem, die Georg-August-Universität Göttingen zu einer SS-Hochschule umzufunktionieren. Ende 1944 wurden diese Arbeiten jedoch von leitenden Mitarbeitern des SS-Ahnenerbes beendet, da sie dadurch ihren eigenen Kompetenzbereich verletzt sahen und das nahe Kriegsende erwarteten. Paulsen wurde daraufhin angewiesen, sich auf seine eigentliche Aufgabe – die Lehrtätigkeit – zu konzentrieren.

Summar y The former St. Michaelis cloister of Hildesheim was used as a sanatorium until 1943. Between September 1943 and March 1945, after many of the accommodated mentally and physically disabled persons had been abducted or killed, the SS officers’ training school ,Haus Germanien‘ was

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located in these buildings. Originally planned by the SS as an educational establishment for future ‘Führer’ candidates, the school was intended to be remodeled into a central Germanic research center by the prehistorian Peter Paulsen. Within the framework of this operations, he compiled an academic library and planned to convert the Georg-August-University Göttingen into an SS academy. However, by the end of 1944, these plans had been foiled by the leading staff of the SS-„Ahnenerbe“. Despite considering this very project to be within their capacity, they sensed the war coming to an end. Thereupon, Paulsen was ordered to focus on his original task – his teaching career.

E inführung Besonders in den letzten Jahren setzten sich Archäologen/-innen mit der Geschichte ihres Faches während des Nationalsozialismus auseinander. Im Zuge dieser Nachforschungen blieb der Ur- und Frühgeschichtler Peter Paulsen (1902–1985, Abb. 1) nicht unbeachtet.1 Diese Darstellungen zeigten erstmals, überblicksartig und teilweise im Kontext mit anderen Persönlichkeiten wie Herbert Jankuhn (1905–1990) Paulsens Tätigkeiten vor und während des Dritten Reiches.2 Ein Schwerpunkt dieser Untersuchungen lag auf dem „Sonderkommando Paulsen“, welches von Oktober bis Mitte Dezember 1939 in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Teilen Polens archäologisches Fundmaterial, Bibliotheksbestände zusammen mit weiteren Kulturgütern raubte und in das Deutsche Reich transportieren ließ.3 Dass Paulsen am Ende des Zweiten Weltkrieges im „Haus Germanien“ tätig war, blieb im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit seiner Person nicht verborgen.4 Allerdings wurden seine Tätigkeiten in dieser SS-Schule – trotz des nicht geringen Quellenmaterials – bisher nur umrissen. Im Rahmen der bekannten Arbeiten von Michael H. Kater zum ‚Ahnenerbe‘ wurde erstmals umfangreiche-

1 | Mężyński 2000; Kater 2001, S. 148, 343–349; Jacobs 2002, S. 451–459; Pringle 2006; Leube 2010, S. 96–98; Mahsarski 2011. 2 | Mahsarski 2011, S. 59–63. 3 | Mężyński 2000; Leube 2004, S. 294–301 4 | Kater 2001, S. 343–349; Jacobs 2002, S. 451–459; Leube 2010, S. 96–98.

Ein Archäologe im Dienste des Endsieges?

res Aktenmaterial zu Paulsen vorgelegt.5 Zuletzt berichteten Joachim Lerchenmueller und Gerd Simon im Kontext ihrer Forschungen zum Literaturwissenschaftler und Abteilungsleiter im persönlichen Stab des Reichsführers SS Hans Ernst Schneider (alias Hans Schwerte, 1909/1910 –1999)6 von Paulsens Tätigkeiten und Auseinandersetzungen mit dem „Germanischem Wissenschaftseinsatz“.7 Der vorliegende Aufsatz verfolgt die offen gebliebenen Fragestellungen und stellt das in der Studie nur teilweise erschlossene Quellenmaterial in den Vordergrund. Außerdem soll bisher nicht herangezogenes Aktenmaterial in Kombination mit dem bereits Bekannten das Bild der Arbeiten Paulsens im „Haus Germanien“ weiter vervollständigen. Abb. 1: Peter Paulsen (1902–1985).

Quelle: Institut für Ur- und Frühgeschichte Kiel (Nach Mahsarski 2011, Abb. 31).

5 | Kater 2001, S. 343–349. 6 | Zu Schneider/Schwerte u.a. König et al. 1997; Lerchenmüller/Simon 1999. 7 | Lerchenmueller/Simon 1999, S. 235–237.

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Im ersten Abschnitt wird die SS-Schule „Haus Germanien“ in Hildesheim beschrieben. Mit dieser Wirkungsstätte Paulsens setzte sich der Verfasser der vorliegenden Arbeit erstmals in einem 2010 erschienen Aufsatz auseinander. Aufgrund neuer Archivalien soll eine umfassendere Darstellung dieser NS-Institution erfolgen.8 Im zweiten Abschnitt werden die Planungen Paulsens zur Erweiterung der SS-Schule und die geplante Umstrukturierung der Universität Göttingen in eine SS-Hochschule im Mittelpunkt stehen. Hier geht es neben der Schilderung des eigentlichen Ablaufs dieser Geschehnisse um die Motivation und die Ziele Paulsens, welche ihn veranlassten, kurz vor Kriegsende noch solche Vorhaben umsetzen zu wollen. Im Kontrast dazu stehen die Gegenmaßnahmen der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. (im Folgenden kurz Ahnenerbe), welche deutlich den ungünstigen Stand Paulsens in diesen Strukturen aufzeigen.

Q uellenl age Trotz der kurzen Zeit, die die SS-Führungsschule „Haus Germanien“ während der Endphase des Zweiten Weltkrieges bestanden hat, sind an mehreren Orten Dokumente dieser NS-Institution erhalten geblieben. Hier ist vor allem das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde zu nennen, wo sich die Planungsakte und Unterlagen betreffend der späteren Auseinandersetzungen im Jahr 1944 zwischen Paulsen und den Vertretern des „Germanischen Wissenschaftseinsatzes“ des Ahnenerbes erhalten haben. Die Planungsakte endet bereits im Juni 1943. Sie schildert die angestrebten Umbaumaßnahmen und den Umgang mit der sich in den damaligen Räumlichkeiten befindlichen Heil- und Pflegeanstalt. Doch in welchem Ausmaß eine Umsetzung der angestrebten Bauvorhaben erfolgte, ist nicht klar ersichtlich. Im Hannoverschen Hauptstaatsarchiv erhielt sich eine kurze Korrespondenz zwischen dem „Haus Germanien“ und dem Regierungspräsidium in Hannover, welche einen Einblick über die Methoden zur Beschaffung von Bibliotheksbeständen für wissenschaftliche Arbeiten gewährt.9 Aufgrund von bisher nicht geklärten Umständen haben sich größere Teile des Buchbestandes aus dem „Haus Germani8 | Jelusić 2010b, S. 197–206. 9 | HStAH: 180 Hildesheim Nr. 7379.

Ein Archäologe im Dienste des Endsieges?

en“ in Bibliotheken in Hannover, Hildesheim und Göttingen erhalten. Diese lassen sich aufgrund von Besitzvermerken (Stempeln usw.) nur in einigen Fällen ihren ursprünglichen Eigentümern/-innen zuordnen. Dokumente haben sich im Stadtarchiv Hildesheim zur SS-Schule nicht erhalten. Die dort vorhandene Sekundärliteratur spiegelt im Kontext mit der St. Michaeliskirche den Umgang in Hildesheim mit dieser Einrichtung wider. So finden sich in diesen Ausarbeitungen viele Aussagen, welche nach dem hier darzustellenden Kenntnisstand keine Grundlage mehr besitzen. Dies gilt besonders für die Behauptung, in Hildesheim habe die SS eine „Weihestätte“ einrichten wollen. Größere Bekanntheit im englischsprachigen Raum verdankt das „Haus Germanien“ dem Umstand, dass dort 1944 für wenige Monate eine britische SS-Einheit namens British Free Corps ihr erstes Hauptquartier bezog.10 Aufgrund dieser Tatsache gibt es in den National Archives and Records Administration Washington D.C. Akten von Mitgliedern des British Free Corps, die auch allgemeine Informationen zum „Haus Germanien“ enthalten.11

E rste P l anungen und ihre U mse t zung Bevor die Planungen zum „Haus Germanien“ begannen, wurden Bereiche des Klosters mit der Kirche St. Michael bereits von der Wehrüberwachung Flandern, Wallonien und Frankreich genutzt. Diese war Teil des Amtes D II der Germanischen Leitstelle, welche dem SS-Hauptamt unterstand. Im Zuge der Errichtung der SS-Schule, räumte diese das Kloster und wurde in die Nikolaistr. 8 in Hildesheim verlegt.12 Wie lange sich diese Einrichtung schon im Kloster befand und wann die Räumung erfolgte lässt sich dem Dokument nicht entnehmen, doch stützen die vorliegenden Hinweise indirekt eine andere Informationsquelle. Im Rahmen von Zeitzeugeninterviews lernte ich Luise Probst (geb. am 07. Dezember 1924) kennen.13 Sie teilte mir mit, dass sich nach ihrer Erinnerung bereits 10 | Seth 1973; Weale 1994; Pleasants 2003; Jelusić 2010b, S. 197–206. 11 | Dem Autor liegt eine Akte von Hans Werner Roepke, dem ersten Kommandanten des ‚British Free Corps‘ vor. An dieser Stelle sei Herrn Roepke sehr für die Übergabe der Kopien seiner Akte gedankt! 12 | BArch Abt. MA: Nachlass Wolfgang Vopersal, Sig. N 756//52b. 13 | Das Gespräch mit Frau Luise Probst fand am 09.04.2010 statt.

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am Anfang des Zweiten Weltkrieges Soldaten auf dem Kirchengelände aufhielten. Vor allem soll es sich dabei um „Volksdeutsche“ aus Kroatien und Serbien gehandelt haben. In den Quellen fehlen bislang Belege dafür. Die vorherige Unterbringung der Wehrüberwachung zeigt jedoch, dass schon vor der Einrichtung des „Haus Germanien“ Militär auf dem Gelände stationiert war. Das „Haus Germanien“ wurde hingegen erst ab Mitte Dezember 1942 als eine SS-Führungsschule geplant und hatte die Aufgabe, „germanische“ Freiwillige der Waffen-SS ideologisch unter den Aspekten der nationalsozialistischen Weltanschauung zu schulen und damit die Teilnehmer auf die Anforderungen eines „Weltanschauungskrieges“ vorzubereiten (Abb. 2). Die Zuschreibung „germanisch“ sollte darauf verweisen, dass diese SS-Freiwilligen nicht ausschließlich deutscher Herkunft waren. Sie stammten vielmehr, nach nationalsozialistischer Ideologie, aus den „germanischen Randländern“ wie zum Beispiel Belgien, Dänemark, Holland, Norwegen und Schweden. Abb. 2: Barockportal des Klosters im Frühjahr/Winter 1943.

Quelle: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege Fotothek der Bau- und Kunstdenkmalpflege.

Die Funktion des „Haus Germanien“ wird in einem Schriftstück mit dem Titel „Raumprogramm für das ,Haus Germanien’ in Hildesheim“

Ein Archäologe im Dienste des Endsieges?

in den ersten Planungen wie folgt beschrieben: „Aufgabe des ‚Haus Germanien’ ist die Heranbildung des gesamten Führernachwuchses für die Germanische Schutzstaffel. Ziel der 2–3 Monate dauernden Lehrgänge ist vorwiegend die politische und weltanschauliche Erziehung; an praktischer Ausbildung kommt ferner Sport und Geländedienst hinzu, die den Führeranwärter befähigen sollen, den Dienst eines Sturmes14 der Germanischen Schutzstaffel selbstständig zu leiten.“15 Bis 1942 wurden solche Lehrgänge in Potsdam im Polizeihaus Kurmark in einer Gruppengröße von 27 bis 30 Teilnehmern abgehalten. Diese Örtlichkeit konnte aber nicht mehr genutzt werden.16 So wurde nach einer dauerhaften und größeren Unterkunft gesucht, da im Zuge katastrophaler Verluste – besonders an der Ostfront – der Bedarf an „Führernachwuchs“ fortwährend anstieg.17 Infolgedessen wurden nun für die neue Einrichtung ein 30- bis 40-köpfiges Stammpersonal und eine Lehrgangsbelegung von ca. 150 Mann einkalkuliert.18 Von Anfang an stand dabei das Michaeliskloster in Hildesheim im Zentrum der Planungen. Nach der Akte im Berliner Bundesarchiv kamen diese Planungsvorhaben weniger vom SS-Hauptamt selbst, sondern meines Erachtens wollte Hartmann Lauterbacher (1909–1988), der Gauleiter des Gaues Südhannover-Braunschweig im Rang eines SS-Gruppenführers diese Institution seinem Einflussbereich zuordnen.19 In einem Aktenvermerk zu einer Unterredung mit dem SS-Hauptsturmführer Elsen vom 15. Dezember 1942 heißt es entsprechend: „Gauleiter Lauterbacher hat im Einvernehmen 14 | Ein Sturm ist gleichzusetzen mit einer Kompanie und zählte in der Regel ca. 150 Mann. 15 | BArch: NS 3/1592. 16 | Warum diese Örtlichkeit nicht mehr genutzt werden konnte, ließ sich bisher nicht in Erfahrung bringen. Wahrscheinlich trugen auch die sich immer mehr häufenden Luftangriffe ihren Anteil dazu bei. 17 | BArch. Abt. MA: Kopie eines Originaldokuments aus dem Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b (06.12.1943). 18 | BArch: NS 3/1592. 19 | Im Zusammenhang mit dieser möglichen Profilierung steht wohl noch ein weiterer Versuch, welcher sich im Bundesarchiv in Berlin in einer Akte (NS 19, Sig. 2830) erhalten hat. Dort schlägt Lauterbacher Heinrich Himmler vor, eine SS-Division mit dem Namen „Niedersachsen“ aufzustellen. Dieser Vorschlag wird von Himmler abgelehnt.

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mit dem Regierungspräsidenten SS-Staf. [Standartenführer] Dr. Bindig in Hildesheim für weltanschauliche Schulungszwecke der Schutzstaffel die Verwendung einer bisherigen Irrenanstalt in Hildesheim in Aussicht gestellt.“20 Lauterbacher besuchte in seiner Amtszeit als Gauleiter mindestens zweimal die St. Michaeliskirche. Das erste Mal besichtigte er St. Michael und die Bernwardskrypta am 19. März 1941, wobei er großes Interesse an dem Bauwerk bekundete.21 Zur Jahreswende 1942/194322 inspizierte er das Kirchengelände mit der dazugehörigen Klosteranlage wiederum unter dem Aspekt der Einrichtung des „Haus[es] Germanien“. Neben den vorhandenen Räumlichkeiten im Michaeliskloster wird die Nähe zu St. Michael, einem ottonischen Kirchenbau, für die SS auch aus ideologischen Gründen nicht uninteressant gewesen sein. Die SS, in ihrer ideologischen Ausprägung außerordentlich durch das Geschichtsverständnis des Reichsführers SS Heinrich Himmler (1900–1945) geprägt, bevorzugte Räumlichkeiten, die weitreichende historische „Wurzeln“ besaßen, um so ihren „Vorfahren“ in Verbindung mit einer okkulten völkischen Glaubenslehre näher zu sein.23 Stellvertretend sei hier auf die durchgeführten und geplanten Umbaumaßnahmen an der Wewelsburg (vgl. Beitrag Schlegelmilch) und der Umgang mit den Externsteinen verwiesen.24 Himmler verehrte Heinrich I. (876–936) und führte Totenfeiern im Quedlinburger Dom durch, welcher zu einer ‚Weihestätte‘ umfunktioniert wurde.25 Die absichtliche Umnutzung christlicher Gebäude und Örtlichkeiten besonders aus dem frühen Mittelalter ließe sich jedoch nicht nur mit diesem Geschichtsbild erklären, sondern ebenso mit der antichristlichen Einstellung Himmlers und der SS.26 Das zentral gelegene Hildesheim als eines der Machtzentren des Ottonischen Reiches und der 20 | BArch: NS 3/1592 (15.12.1942). 21 | NLD Akte: Hildesheim; St. Michael, ev. II (01.04.1941). 22 | Dieser Besuch ist anhand von Quellenmaterial nicht genau datierbar. Aufgrund der Planungsakte ist es dennoch naheliegend, dass der zweite Besuch während der frühen Planungsphase zur Errichtung des „Haus Germanien“ stattgefunden hat. 23 | Longerich 2008, 279–284. 24 | Halle 2002. 25 | Heydenreuter 1993, S. 178–188; Longerich 2008, 282–283. 26 | Longerich 2008, 279–283.

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heiliggesprochene und überaus einflussreiche Bischof von Hildesheim, Bernward (950/960–1022), empfahlen sich somit idealtypisch für die ideologische Ausbildung nationalsozialistischer Kader.27 Schriftstücke, welche St. Michael in dieses ideologische Programm einbetten würden, fanden sich aber bisher für die Planungsphase des „Hauses Germanien“ nicht. Einen Einblick in die damalige Betrachtungsweise bietet aber der Provinzialkonservator Prof. Herman Deckert (1899–1955) aus dem Jahr 1939, der sich für die Behebung der immensen Bauschäden und gegen den Abriss der St. Michaeliskirche einsetzte: „Man sieht es vielmehr geradezu als eine hohe kulturpolitische Mission an, dieses Kulturdenkmal ersten Ranges aus der ersten großen Blütezeit deutscher Kunst im Zeitalter der Ottonen zu erhalten und so zu sichern, daß sein Fortbestand gewährleistet ist.“28 Hinweise für geplante und umgesetzte größere Umbaumaßnahmen hinsichtlich einer kultischen Nutzung, ähnlich wie bei der Wewelsburg oder dem Quedlinburger Dom, finden sich bisher allerdings weder in der erwähnten Planungsakte noch in anderen Aktenbeständen. Einzig ein „Ehrenraum für die Gefallenen der germanischen Freiwilligenverbände“ wird in den Planungen angegeben.29 In den genauen Aufzählungen der benötigten Lokalitäten und der für sie geplanten Nutzungen finden sich keinerlei Angaben über die dafür vorgesehenen Räume des Klosters und der Kirche. Entgegen dieser fehlenden Quellengrundlage wurde von mehreren Autoren behauptet, dass St. Michael zu einer „Weihestätte“ umgebaut werden sollte und kultische Handlungen in den kirchlichen Räumlichkeiten abgehalten worden seien. Dies ist unter anderem in einem Aufsatz des Restaurators Joseph Bohland (1898–?) zu lesen, der 1943 im Rahmen eines staatlichen Auftrages die bekannte Holzdeckenmalerei von St. Michael aufgrund erhöhter Luftgefahr abbaute30: „Im alten Michaeliskloster hatte die SS ein Schulungslager für ausländische SS-Freiwillige eingerichtet. Das Kloster wurde umgebaut. Die sogenannte kleine Michaeliskirche [d.h. das Kloster; M. J.] fiel dieser Änderung zum Opfer und auch die Michaeliskirche war als profanierter Kultbau in diesen Plan einbezogen. Die Bernwardsgruft war schon längere Zeit angeblich[!] we27 | Brandt/Eggebrecht 1993. 28 | NLD Hildesheim; St. Michael, ev. I (Hannoverscher Anzeiger 4/5, 03.1939). 29 | BArch NS 3/1592. 30 | Jelusić 2010a, S. 108–113.

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gen Einsturzgefahr gesperrt. Der Sarkophag Bernwards war in den Seitenraum gestellt und die Grabstelle zugeschüttet.“31 Ausführlicher berichtet der Lehrer Cord Alphei, allerdings ohne einen Vermerk für die Herkunft seiner Angaben: „Mit einigem Argwohn wurde Bohlands Tätigkeit übrigens von der SS betrachtet [gemeint ist der Abbau der Holzdeckenmalerei von St. Michael; M. J.], [...]. Die Ambitionen der SS-Schule zielten darauf ab, auch die Krypta und die große Kirche in ihr ‚Haus Germanien’ einzubeziehen, an der Erhaltung kirchlicher Kunst war sie nicht interessiert. Die Kriegsereignisse allerdings vereitelten das monströse Projekt der SS. [...] Im Kirchenflügel sollten die Kapelle im ehemaligen Kapitelsaal (‚Kreuzkapelle’) und die beiden gewölbten Säle – 1943 von der SS zu Kinosaal und Kantine umfunktioniert – rekonstruiert werden.“32 Im Zuge der Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich des 1000-jährigen Bestehens von St. Michael 2010 war über Pastor Kurt Degener (1902–1978) zu lesen, dass er seinerzeit verhindert habe, „dass die Michaeliskirche nationalsozialistische Weihestätte und Ordensburg wurde.“33 All diese Darstellungen spiegeln sich nicht in den erhaltenen Unterlagen wider. Es scheint zudem sehr fragwürdig, ob solcherlei Umbaumaßnahmen für eine nicht sehr bedeutende Einrichtung wie das „Haus Germanien“ geplant gewesen sind. So entpuppt sich im Übrigen die Behauptung, dass die Bernwardsgruft, wie Bohland schreibt, Teil kultischer Handlungen gewesen sein soll, als unrichtig. Sie wurde bereits am 28. März 1940 lange vor der Planung und Einrichtung des „Haus Germanien“ durch eine polizeiliche Anordnung wegen Einsturzgefahr gesperrt.34 Aber im Bildarchiv des Landesdenkmalamtes in Hannover konnte eine Fotografie gefunden werden, die auf dem Innenhof des „Haus Germanien“ einen Bauwagen zeigt (Abb. 3). Dies wäre der einzige Hinweis auf Umbaumaßnahmen. Am 1. Februar 1944 wurde in einer Dienstbesprechung des Ahnenerbes die Vorbereitung für „[…] die Übersiedlung in eine Ausweichstelle“ von Berlin nach München oder Hildesheim, „im Falle eines Totalschadens“ besprochen.35 31 | Bohland 1960, S. 45. 32 | Alphei 1993, S. 15–21. 33 | Helwing et al. 2010, S. 224. – Zu Konzept und Realität der NS-Ordensburgen u.a. Ciupke/Jelich 2006; Heinen 2011. 34 | NLD Hildesheim; St. Michael, ev. I (28.03.1940). 35 | BArch NS 21/11, S. 35, 01.02.1944.

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Dies könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass die grundlegenden Räumlichkeiten vorhanden und umgebaut worden waren. Da jedoch die wenigsten Bewohner/-innen von Hildesheim Bezugspunkte zum „Haus Germanien“ besaßen, war dadurch wohl der Nährboden für solcherlei Gerüchte und Behauptungen gegeben. Abb. 3: Bohland verlädt Teile der Holzdeckenmalerei von St. Michael im Zeitraum vom 2. Juli–18. August 1943. Hinter dem barocken Portal auf dem Gelände des Klosters ist deutlich ein Bauwagen zu erkennen.

Quelle: Landesamt für Denkmalpflege, Fotothek der Bau- und Kunstdenkmalpflege.

Die durchgeführten Maßnahmen lassen sich momentan folgendermaßen rekonstruieren: Die Heil- und Pflegeanstalt, welche sich zu diesem Zeitpunkt noch in den Räumlichkeiten des Michaelisklosters befand, spielte in den Augen der NS-Funktionäre keine Rolle und konnte das Unternehmen „Führerschule“ nicht aufhalten. Wahrscheinlich entschied man sich für das Michaeliskloster, um mit der Einrichtung der Schule die verbliebenen Teile der Heil- und Pflegeanstalt endgültig räumen zu können. So heißt es in dem Dokument vom 15. Dezember 1942: „Der zuständige Landeshauptmann und die Anstalt selbst sind hiervon nicht unterrichtet. Dies soll durch den Gauleiter selbst erst dann geschehen, wenn die Angelegenheit spruchreif geworden ist. Die Anlage ist z. Zt. noch belegt, kann aber, falls das Bauvorhaben zum Zuge kommt, bis Ende Januar 1943 ge-

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räumt werden. […] Es dürfte zweckmäßig sein, diese Feststellungen ohne Unterrichtung der Anstalt ausschließlich bei dem Sachbearbeiter des Regierungspräsidenten in Hildesheim vorzunehmen.“36 Bis zum 17. Dezember 1942 hatte der Reichsführer-SS Himmler seine Zustimmung für dieses Projekt gegeben37 und so konnten die Umbauten, finanziert durch die Parteikasse der NSDAP,38 Anfang des Jahres 1943 beginnen. Am 29. September 1943 erfolgte die Inbetriebnahme der Einrichtung.39 Bis zu diesem Zeitpunkt waren die von der Heil- und Pflegeanstalt verwendeten Räume parzellenweise geräumt worden. Wohin die Deportation und die damit einhergehende Ermordung der Patienten/-innen erfolgte ist derzeit nicht zu ermitteln.40 Die Schule führte daraufhin die Dienststellenbezeichnung „Der Reichsführer-SS – Germanische Schutzstaffel – Haus Germanien“ und war der Amtsgruppe D/Germanische und Freiwilligen-Leitstelle/SS-Hauptamt unterstellt.41 SS-Hauptsturmführer Petzold, der schon den Auf bau mit geplant hatte, wurde erster von vier Kommandanten,42 die das „Haus Germanien“ führten. Der SS-Schule wurde ein „Politisches Seminar“ angeschlossen, das später ebenso wie die Schule von Paulsen geleitet wurde.43 Da Teilnehmerlisten zu den Lehrgängen und Lehrgangsprogrammen nicht überliefert sind, können derzeit keine Aussagen über die Belegung und Auslastung der SS-Schule getroffen werden. Von Februar bis Oktober 1944 bezog das im Januar 1944 gegründete British Free Corps, eine SS-Einheit aus hauptsächlich britischen Kriegsgefangenen, ihr erstes Hauptquartier im „Haus Germanien“.44 Erster Kommandeur war SS-Hauptsturmführer Hans Werner Roepke (geb 1916), der freundlicherweise einem Interview 36 | BArch NS 3/1592 (15.12.1942). 37 | BArch NS 3/1592 (17.12.1942). 38 | BArch NS 3/1592 (22.02.1943). 39 | BArch Abt. MA Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b (29.09.1943). 40 | Schäfer 2010, S. 194. 41 | BArch Abt. MA Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b (29.09.1943). 42 | Paulsen hatte als Kommandeur des „Haus Germanien“ folgende Vorgänger: SS-Hauptsturmführer Petzold (29.09.1943–?), SS-Hauptsturmführer Pleschke (? - ?), SS-Sturmbannführer Anton Wellbrock (05.05.1944–16.06.1944). BArch Abt. MA Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b. 43 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 44 | Zur Geschichte des britischen Freikorps u.a. Weale 1994; Jelusic 2010b.

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zustimmte.45 Er berichtete, dass seine Einheit von dieser Einrichtung nur verpflegt wurde, aber nicht an Lehrgängen teilnahm. An große Menschenmengen im Kloster, wie einer 150 Mann starken Lehrgangsbelegung, konnte er sich nicht erinnern.

„H ildesheim das zentr ale germanische F orschungsamt “46 Paulsen, der in Kiel, Kopenhagen und Stockholm u.a. Prähistorische Archäologie und Geschichte studiert hatte und in Kiel promoviert (1932) und habilitiert (1934) worden war, wurde nach seiner Umhabilitierung nach Berlin (1937) 1939 zum außerordentlichen Professor für Vorgeschichte berufen. Lehrstuhlvertretungen führten den Spezialisten für das mittelund nordeuropäische Frühmittelalter nach Rostock (1939–1941) und Königsberg (1941–1943), bis er sich endgültig von der archäologischen Lehre verabschiedete und der ideologischen Schulung zuwandte.47 Bevor er in das „Haus Germanien“ versetzt wurde, war er von 1942 48 bis 1943 an der ‚SS-Junkerschule‘ in Bad Tölz als Lehrer für die politische Ausbildung einer Lehrgruppe von „Germanischen Freiwilligen“49 tätig.50 Daneben hatte er ab Oktober 1942 in Bad Tölz seine im Rahmen des Wehrdienstes begonnene Ausbildung zum Kanonier im 10. SS Artillerie-Ersatz-Regiment fortgeführt 51 und war am 30. Januar 1943 zum SS-Hauptsturmführer52 befördert worden. Bereits knapp einen Monat nach seinem Dienstantritt organisierte Paulsen unter dem Leitgedanken „Germanische Gemeinsamkeit“ die

45 | Das Gespräch mit Herrn Roepke fand am 20.02.2010 statt. 46 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 47 | U.a. Jacobs 2002; Pringle 2006, S. 196ff.; Mahsarski 2011, S. 45–63 u. 193–196. 48 | BArch NS 21/351 (Vermerk o.D.). 49 | BArch NS 21/351 (Vermerk o.D.). 50 | Jakobs 2002, S. 454. 51 | Jakobs 2002, S. 454. 52 | Gleichzusetzen mit einem Hauptmann in der Wehrmacht.

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erste „Germanische Tagung“53 für „deutsche und germanische“ Lehrgangsteilnehmer, die vom 8. bis 9. Mai 1943 in Bad Tölz stattfand.54 Im Rahmen dieser Tagung wurden in Vorträgen einschlägige Themen aus Archäologie, (Kunst-)Geschichte und Philologie behandelt.55 Die Zielsetzung – dieser Tagung – wird in einem Artikel der Münchener Ausgabe des Völkischen Beobachters vom 12. Mai 1943 folgendermaßen beschrieben: „Bei den Lehrgängen der SS-Junkerschule Tölz stehe die Gleichwertigkeit aller germanischen Völker im Vordergrund. Die Arbeit der Schule vermittle auf weltanschaulichem Gebiete die Klärung der wichtigsten nationalsozialistischen Grundbegriffe, die Darstellung der Gemeinsamkeit der germanischen Völker, die grundlegende Bedeutung des Nationalsozialismus als Wiedererwecker der germanischen Idee und die Erkenntnis der germanischen Zukunftsaufgaben im Osten. Damit sei der Schule in Tölz eine neue, noch nie bearbeitete Aufgabe gestellt. Zu ihrer Lösung bedürfe man der wissenschaftlichen Untersuchung aller Forscher und Freunde der germanischen Kultur. Daher seien für jeden Junkerlehrgang zwei Tagungen geplant, die Vergangenheit und Zukunft der germanischen Völker erörtern sollen, um die wissenschaftlichen und politischen Grundlagen der germanischen Schulung zu vertiefen, und zu erweitern.“56 Dass Paulsen hinter diesem Lehrkonzept stand, zeigt ein Protokoll der ersten Tagung der „Germanischen Arbeitsgemeinschaft“, die vom 13. bis 15. Mai 1943, und damit kurz nach der Tagung in Bad Tölz, in Hannover unter Leitung des Ahnenerbes stattfand. Auf die Frage, wie man besonders ausländische Studenten und junge Wissenschaftler für diese „germanischen Zukunftsaufgaben“ begeistern könne, antwortete Paulsen pragmatisch und überzeugt vom Konzept der Junkerschulen: „Prof. Paulsen hält die Lösung für eine Frage der Disziplin und führt als Beispiel die SS-Junkerschule in Tölz an. Der Student, der diese Schule verlässt sieht die großen Zusammenhänge und wird sie später auch vertreten. 53 | BArch Abt.MA N 756/331a (Völkischer Beobachter Münchener Ausgabe, 12.–13.05.1943). 54 | Kater 2001, 343. 55 | BArch Abt. MA N 756/331a (Völkischer Beobachter Münchener Ausgabe, 12.–13.05.1943). 56 | BArch Abt. MA N 756/331a (Völkischer Beobachter Münchener Ausgabe, 12.–13.05.1943).

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Auf diese Weise könnten die Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern behoben werden. Nach Beendigung des politischen Lehrgangs seien die jungen Menschen noch einige Wochen zu erfassen, um sie dann auf rein wissenschaftliche Aufgaben auszurichten. Politisch könnten sie nach der Ausbildung in Tölz nicht mehr abspringen.“57 Ein weiterer Prähistoriker wird als Referent erwähnt.58 Dr. Bell, über den keine weiteren Informationen vorliegen, und der ebenso wie Paulsen in Bad Tölz lehrte, sprach über „Germanische Staatengründungen auf fremden Boden“.59 Er sollte später Mitarbeiter von Paulsen im „Politischen Seminar“ des „Hauses Germanien“ werden. Mit der Ausrichtung dieser Tagung und einer weiteren im Spätherbst60 desselben Jahres mischte sich Paulsen erstmalig in großem Maße in die Wissenschaftspolitik des Ahnenerbes ein. Er koordinierte diese Tagungen nicht mit dem Ahnenerbe und sowohl der Geschäftsführer des Ahnenerbes Wolfram Sievers (1905–1948) als auch Schneider im persönlichen Stab Himmlers erfuhren nur sehr kurzfristig von diesen Tagungen.61 Sievers, gebürtiger Hildesheimer und u.a. Vorsitzender der Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte, betrachtete Paulsen nach diesen Geschehnissen mit großem Argwohn.62 So schrieb er an Walther Wüst am 18. Februar 1944, dass man „Paulsen in seinem selbstherrlichen Treiben wieder einmal Einhalt [...] gebieten“ müsse.63 Sievers war allerdings nicht der Einzige im Ahnenerbe, der keine Sympathien für Paulsens Arbeiten erübrigen konnte. So informierte Joseph Otto Plassmann (1895– 1964) Sievers ebenfalls im Februar 1944: „Von einer Arbeit über Quellen-, Baum- und Bergreviere, die Paulsen vor hat, weiß ich nichts, und noch weniger von einer [sic!] Arbeitsauftrag in dieser Richtung. Das gesamte Thema ist ja auch so Umfangreich [sic!] wie etwa ‚Wald und Baum’. Ich

57 | BArch NS 21/989 (S. 6). 58 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 59 | BArch Abt. MA N 756/331a (Völkischer Beobachter Münchener Ausgabe, 12.–13.05.1943). 60 | Kater 2001, S. 343. 61 | Kater 2001, S. 343. 62 | Zu Sievers u.a. Klee 2005, 583. 63 | Kater 2001, S. 343.

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habe mit Paulsen voriges Jahr in Tölz64 einen anderen Plan erörtert, der sich lose damit berührt, nämlich eine kartographische Feststellung aller noch irgendwie nachweisbaren germanischen Kultstätten. [...] Dafür hatte ich enge Zusammenarbeit mit den Provinzen vorgesehen, und ich glaube, ich habe auch schon mit Dir einmal über die Dringlichkeit dieser Aktion gesprochen. Aber mit dem jetzigen Vorhaben von Paulsen hat das offenbar wenig zu tun. Ich glaube vielmehr, daß er sich durch den Erfolg der Arbeiten von Mößinger, Huth und mir über Dreistufenbäume und Dreistufenberge hat anregen lassen, nun seinerseits auf diesem Gebiete Lorbeern zu suchen. Das ist ja wohl sein Brauch, den ich aber nicht ganz billigen kann, denn es entgeht ihm ja zum mindesten das, was die genannten drei auf diesem Gebiete an Forschungen noch im Vorrat haben. Ich meine überhaupt: entweder macht einer eine solche Arbeit auf eigene Faust, was man ihm nicht verwehren kann und soll; dann soll er aber auch nicht die Forschungsergebnisse anderer in Anspruch nehmen, bevor diese die selbst veröffentlichen. Oder aber er macht es mit Unterstützung der Ahnenerbe-Kameraden, dann sollte man sich aber wenigstens mit dem Ahnenerbe vorher darüber einigen und sich nicht die Federn anderer an den Hut stecken.“65 Wahrscheinlich zur Jahreswende ging Paulsen nach Hildesheim an das „Haus Germanien“.66 Im Zuge der Anlage einer wissenschaftlichen Bibliothek, wurde er erstmals am 20. Januar 1944 namentlich genannt.67 Unter welchen Umständen genau er auf die Stelle in Hildesheim berufen wurde, konnte bisher nicht ermittelt werden. Der Berliner Universität meldete er seine Versetzung nach Hildesheim sowie seine Beförderung zum SS-Sturmbannführer68 erst am 18. Mai 1944.69 Am 15. August 1944 wurde er zum Kommandeur des „Haus Germanien“ ernannt und hatte damit den Zenit seiner SS-Karriere erreicht.70 Zudem wurde er Leiter des

64 | Im weiterem Verlauf des Schreibens meint Plassmann, Paulsen in Kopenhagen getroffen zu haben und somit nicht in Bad Tölz. 65 | BArch NS 21/351 (11.02.1944). 66 | Kater 2001, S. 343–344. 67 | HStAH: 180 Hildesheim Nr. 7379 (20.01.1944). 68 | Gleichzusetzen mit einem Major der Wehrmacht. 69 | Jakobs 2002, 454. 70 | BArch Abt. MA Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b.

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Referats 1 in der Amtsgruppe C (Schulungsamt) im SS-Hauptamt.71 Jörn Jacobs sieht in diesen von Paulsen beschrittenen Etappen Hinweise auf den Typ des „wohl am weitest verbreitetsten Opportunisten“, welcher im „Herrschaftssystem eingebunden“ wurde und „die Fahne nicht zu weit aus dem Fenster hängt.“72 Er vermutet bei Paulsen den „Wunsch nach beruflicher Anerkennung“ und die Orientierung am „politischen Zeitgeist, in dem er sich mehr und mehr einrichtete, ohne sich darin besonders zu profilieren und davon besonders zu profitieren.“73 Die Entscheidungen, die Paulsen nach der Beförderung zum Kommandeur des „Haus Germanien“ traf, zeigen Paulsen dagegen als entschlossenen Strategen des wissenschaftspolitischen Systems während des Nationalsozialismus. Paulsen war in Hildesheim aus Sicht der universitären Archäologie endgültig „fachlich auf ein Abstellgleis geschoben worden“74, worauf Paulsen versuchte zu reagieren. Die folgenden Geschehnisse sind als Versuch eines Befreiungsschlages zu werten, mit dem Paulsen der Isolierung begegnen wollte. Möglicherweise inspirierten ihn die Pläne von Hans Ernst Schneider für den „Totalen Kriegseinsatz […] der deutschen Geisteswissenschaften zur Unterstützung der deutschen Kriegsführung“75 dazu, ähnliche Vorhaben anzugehen und gemeinsam mit seinem Vorgesetzten im SS-Hauptamt (Amtsgruppe D), Dr. Alexander Dolezalek (1914–1999), das „Haus Germanien“ zu einem „Zentralem Forschungsinstitut“ für germanische Forschungen umzugestalten.76 Darüber hinaus wollten sie zusammen die Georg-August-Universität Göttingen gänzlich zu einer SS-Hochschule umgestalten. Schneiders Konzeptionen wirkten allerdings auch gleichzeitig bedrohlich auf Paulsen, entwarfen sie doch eine gesamtdeutsche Forschungsarchitektur, welche so manchen Dienst bedeutungslos erscheinen ließ. Schneider plante: „1. Der totale Krieg in seinem gegenwärtigen Höhepunkt erfordert die Zusammenfassung aller Volkskräfte zum Zweck der militärischen und 71 | Buddrus/Fritzlar 2007, S. 303. 72 | Jakobs 2002, S. 458. 73 | Paulsen hatte mit seiner wiederholt pflegebedürftigen Frau drei Kinder und befand sich Zeit seines Lebens in einer schlechten finanziellen Situation (Jacobs 2002, S. 451–459). 74 | Jakobs 2002, S. 459. 75 | BArch NS 21/943 (Vermerk o.D.). 76 | Lerchenmueller/Simon 1999, S. 235.

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politischen Kriegsführung. Dieser Forderung, daß nur noch Kriegsgesetze und Kriegsnotwendigkeit gelten, haben sich auch alle Wissenschaften zu unterwerfen. Wo diese Forderung nicht erfüllt wird, ist die Arbeit einzustellen. [...] Auch auf diesem wie auf allen anderen Lebens- und Leistungsgebieten unseres Volkes hat die SS heute nicht nur beispielhaft selbst voranzugehen, sondern muß leitend und führend diesen Kriegseinsatz auch über ihren eigenen Bereich hinaus organisieren, nachdem ein großer Teil der bisherigen derartigen Versuche mehr oder minder gescheitert sind. [...] 2. [...] Das einzige Ziel kann nur die schlagkräftigste und zweckmäßigste Arbeitsleistung sein. [...] 3. Ein Ziel der Wissenschaftsarbeit der SS wird zukünftig zweifellos die Gründung und Führung des ‚Germanischen Reichsinstitutes’ sein.“77 Die „Federführung dieser Arbeitsgemeinschaft“ sollte dem „Amt Ahnenerbe“ (Amt für kulturelle und wissenschaftliche Aufgaben) beim Persönlichen Stab RF-SS“ obliegen.78 Aufgrund von fehlenden Originaldokumenten aus dem „Haus Germanien“ können die Planungen von Paulsen und Dolezalek nur aufgrund der Unterlagen aus dem Ahnenerbe und dem SS-Hauptamt rekonstruiert werden. Im Rahmen eines unabhängig agierenden ‚Germanischen Forschungsamtes‘, wollten sich Paulsen und sein Mitarbeiter Bell mit folgenden Themengebieten auseinandersetzen: „Germanische Kultstätten und ihr Zusammenhang mit den Wallfahrtsstätten; die Heiligen-Verehrung und ihre germanischen Wurzeln; Geschichte der Reichsidee; Geschichte des Abfalls des Westens vom Reich.“79 Dass es sich bei all diesen Aufgabenstellungen um persönliche Forschungsinteressen von Paulsen und Bell handelte, blieb dem Ahnenerbe nicht verborgen.80 Aufgrund der im Ahnenerbe nicht ganz geklärten Planung dieses ersten Vorhabens aus einem spezifischen Themenbereich des Ahnenerbes kam es vom 14. bis 15. Oktober 1944 in Hildesheim zu einem Treffen in angespannter Atmosphäre, um die Arbeit des ‚Germanischen Wissenschaftseinsatzes‘ mit der Amtsgruppe D, welcher das „Haus Germanien“ untergeordnet war, abzustimmen. Schneider zeigte sich dabei erstaunt: „Bei meinen ersten Gesprächen mit SS-Sturmbannführer Prof. Paulsen (z. Zt. mit der Wahrnehmung der Führung beauftragter Kommandeur des SS-Hauses 77 | BArch NS 21/943 (Vermerk o.D.). 78 | BArch NS 21/943 (Vermerk o.D.). 79 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 80 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944.

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Germanien) und SS-Hauptsturmführer Dr. Doleczalek [sic!], Planungsabteilung in der Amtsgruppe D, stellte es sich wiederum heraus, daß man dort tatsächlich der Meinung war in Hildesheim das zentrale Germanische Forschungsinstitut aufzubauen. Dieses wurde mir direkt gesagt und ging auch aus den verschiedensten Bemerkungen über eine gewünschte Personalbesetzung und den sich daraus ergebenden Arbeitsplänen hervor.“81 Im Verlauf des Gespräches zeigte sich, dass wohl ein Hauptteil der Planungen von Paulsen selbst stammten, da er das Vorhaben länger als Dolezalek verteidigte: „Auf meine durchweg dagegen erhobenen Einwände und auch Hinweise auf die bisher ganz anders gearteten Anordnungen des Reichsführers-SS und auch SS-Obergruppenführers Bergers stellte sich SS-Hauptstuf. Dr. Doleczalek [sic!] bald auf meine Seite und bemühte sich mit mir zusammen, SS-Stubaf. Prof. Paulsen zu einer klaren Aufgabenabgrenzung zu bewegen.“82 In den 1960er Jahren teilte Paulsen dem Historiker Kater in mehreren Interviews mit, dass die Initiative für diese Vorhaben hauptsächlich von ihm stammte und er von Dolezalek lediglich Rückendeckung erhalten wollte.83 1944 einigte man sich mit Schneider schließlich auf folgende Punkte: „Die Aufgabe des Politischen Seminars kann daher niemals Forschung sein, sondern Auswertung und Vermittlung für Zwecke der Schulung und Erziehung.“84 Es wurde zudem vereinbart, dass die Forschung weiterhin dem Ahnenerbe obliegen sollte und nicht den Institutionen des SS-Hauptamtes. Sollte im „Haus Germanien“ doch Forschung betrieben werden, unterstünde sie der „zentralen Lenkung des Amtes „Ahnenerbe“, welches also stets über Forschungsvorhaben in Kenntnis zu setzen sei. Die Abteilung Forschung und Schrifttum innerhalb der Germanischen Mittelstelle der Amtsgruppe D wurde dafür dem ‚Germanischen Wissenschaftseinsatz‘ in einer Art Personalunion unterstellt.85 Paulsen als Leiter des „Politischen Seminars“ sollte fortan keine eigene Forschung im Bereich der Archäologie betreiben, sondern sich statt dessen auf die Auswertung und Erforschung für Schulung und Erziehung in den SS-Lehranstalten auch hinsichtlich einer „Praxis der 81 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 82 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944). 83 | Kater 2001, S. 345. 84 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 85 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 20.10.1944.

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germanischen Erziehungsarbeit“ konzentrieren.86 Zusätzlich wurde ihm die Verantwortung für die Fortbildung und Unterstützung von Erziehern anderer „germanischer Schulen“ übertragen. Um diese Betreuung zu optimieren, gab das „Politische Seminar“ in seiner Schriftenreihe Werke wie „Germanische Gemeinsamkeit“, „Der Kriegerbund zur SS“ und „Der Rheinmündungsraum“ heraus.87 Zukünftig sollten „Materialien über bestimmte Volksräume zusammengetragen werden, um kommende oder gegenwärtige Führungsaufgaben innerhalb dieser Räume lösen“ zu können.88 Diese Arbeiten sollten in Kooperation mit dem „Flamenausschuß“ und dem niederländischen Ausschuss unter Mitwirkung von SS-Hauptsturmführer Prof. Hans Schwalm erfolgen.89 Schwalm war vorher für die Aussiedlungsaktion in Laibach-Gottschee (Italien) zuständig gewesen.90 Darauf erfolgte im Herbst 1942 eine Versetzung als ständiger Vertreter des Ahnenenerbes nach Norwegen für den Germanischen Wissenschaftseinsatz.91 „In absehbarer Zeit“ sollte das „Politische Seminar“ personell durch den Kunsthistoriker Dr. Hegemann aus Prag und den Historiker für neuere Geschichte Dr. Schilling erweitert werden.92 Zu diesem Zeitpunkt wurden noch ergänzend „ein Volkskundler, ein Religionswissenschaftler und mehrere Mitarbeiter für gegenwärtige Außenpolitik und Wirtschaftspolitik“ gesucht.93 Schneider verdeutlichte in einem Schreiben an Dolezalek vom 28.10.1944 nochmals den guten Willen des Ahnenerbes unter Einbeziehung von Aussagen von Sievers in Bezug auf die mögliche und abgestimmte Zusammenarbeit mit dem „Haus Germanien“. So würde Sievers, „sollte [es] sich als zweckdienlich herausstellen, eines Tages in Hildesheim eine eigene Forschungsstätte des Amtes ‚Ahnenerbe’ zu errichten, dem dann insbesondere die Mitglieder des Politischen Seminars ange-

86 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 20.10.1944. 87 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 20.10.1944. 88 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 20.10.1944. 89 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 90 | Kater 2001, 169. 91 | Kater 2001, 169–170. 92 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944. 93 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944.

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schlossen sein würden,“ nicht abgeneigt sein.94 Diese Zeilen sollten wohl hinsichtlich der Geschehnisse in Hildesheim wieder ein Mindestmaß an Vertrauen bei Paulsen und Dolezalek schaffen. Es scheint naheliegend, dass man sich von Seiten des Ahnenerbes Paulsens Vorhaben entledigen wollte, um eigene Pläne an der Technischen Hochschule in Braunschweig nicht einer unnötigen und unliebsamen Konkurrenz auszusetzen. Dort war im Frühjahr 1939 dem Architekten Martin Viktor Rudolph (1908–?) die Leitung einer „Lehr- und Forschungsstätte für germanisches Bauwesen“, die vom Ahnenerbe eingerichtet worden war, sowie ein Lehrauftrag für „Vorgeschichtliche Baukunde“ übertragen worden.95 Rudolph hatte auf verschiedenen Ausgrabungen Erfahrungen mit der Erschließung und Konservierung mittelalterlicher Baureste gesammelt (u.a. in Haithabu und Werla) und galt als Fachmann für mittelalterliche, besonders wikingische Holzbauten.96

„E ine germanische H ochschule im besten S inne des W ortes “97 Eigentlich hätten mit diesen Vereinbarungen und der klar herausgestellten Arbeitsplanung die Spannungen zwischen Schneider und Paulsen beigelegt sein sollen, doch mit den darauffolgenden Planungen zur Umformung der Universität Göttingen in eine SS-Hochschule98 trat Paulsen „über seine Befugnisse“ hinaus und griff „damit tatsächlich in die Wissenschaftspolitik des Ahnenerbes“ ein.99 Den Auslöser für die nun folgenden heftigen Auseinandersetzungen stellt die Abschrift eines Ak94 | BArch NS 21/943 (28.10.1944). 95 | Blaich/Weber 2008, S. 162–164. Für den Hinweis zur Person Rudolph möchte ich Herrn Dr. Markus C. Blaich meinen Dank aussprechen. 96 | Blaich/Weber 2008, 161. 97 | BArch NS 21/794/Teil 2. v. 3 (15.11.1944). 98 | Hochschulen der SS zu unterstellen war keine neue Idee von Paulsen selbst. Bereits vor und während des Krieges gab es ähnliche Pläne bereits für die Universitäten von Jena, Prag, Straßburg, Posen und Leiden. Aufgrund der sich immer weiter zuspitzenden Kriegslage, wurde jedoch keines dieser geplanten Vorhaben in die Tat umgesetzt. Siehe dazu ausführlicher: Simon 2001, S. 5–6. 99 | BArch NS 21/943 (25.11.1944).

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tenvermerkes vom 15. November 1944 dar, die an Dolezalek, SS-Standartenführer Spaarmann vom SS-Hauptamt und zur Kenntnisnahme ebenso an Paulsen und Schneider gesandt wurde: „In der Rücksprache mit dem Rektor der Universität Göttingen, dem Reichserziehungsministerium und dem Regierungspräsidenten ist vorgesehen, die Universität Göttingen systematisch zu einer germanischen Universität auszubauen und an ihr auch den wichtigsten Teil der aus den germanischen Ländern geflüchteten Gelehrten zusammenzuziehen. Die Lehrer der Universität Göttingen sollen Gastvorlesungen im Haus Germanien und die hierzu befähigten Lehrer des Hauses Germanien später Dozenturen von der Universität Göttingen erhalten. Für die Dauer des Krieges werden damit auch die für die Planungsarbeiten notwenigen wissenschaftlichen Gutachten in der Universität Göttingen erstellt, sodaß diese Hochschule sodann nicht nur nach der Zusammensetzung des Lehrkörpers, sondern auch nach ihrer Aufgabensetzung und Ausrichtung eine germanische Hochschule im besten Sinne des Wortes wird.“100 Im Zentrum dieser Planungen standen wieder die Interessen von Paulsen. Beim Versuch der Einrichtung des ‚Germanischen Forschungsamtes‘ in Hildesheim scheinen die Motive Paulsens klar ersichtlich. Er wollte unter eigener Führung wissenschaftlich arbeiten und damit Anerkennung erlangen. Doch in Anbetracht der folgenden Geschehnisse entbehren die Planungen für die Einrichtung der SS-Hochschule jeglicher nachvollziehbaren Grundlage; besonders unter dem Gesichtspunkt, dass Paulsen klar gewesen sein müsste, dass der Krieg keinen für das Dritte Reich positiven Verlauf mehr nehmen würde. Hinzu kommt, dass Paulsen wohl aus den Geschehnissen des vorhergegangen Monats „gelernt“ hatte und durch eine zügige Kontaktaufnahme mit den von ihm hinzugezogenen Institutionen das schnelle Eingreifen des Ahnenerbes verhindern wollte. Aber er schuf damit keineswegs Tatsachen, da nicht einmal der Stabsführer der Amtsgruppe D über seine Pläne informiert war101 und er zu einer Informationsübermittlung eigentlich verpflichtet gewesen wäre. Das Ahnenerbe wurde dann am 15. November im Rahmen des normalen Amtsweges, über seine Pläne unterrichtet.102

100 | BArch NS 21/794/Teil 2. v. 3 (15.11.1944). 101 | BArch NS 21/943 (25.11.1944). 102 | BArch NS 21/794/Teil 2. v. 3 (15.11.1944).

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Bezüglich dieser Planungen wurde Paulsen von Bernhard Rust (1883– 1945), dem Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, nach Berlin eingeladen. Zudem führte er Gespräche mit Prof. Erich Hofmann (1895–1982) vom Reichsministerium für Erziehung und Unterricht, mit dem Hannoverschen Regierungspräsidenten Kurt Binding, „mit dem fast täglich Verbindung“103 bestand, und mit Prof. Hans Drexler (1895–1984), dem Rektor der Universität Göttingen.104 Alle Beteiligten scheinen zu diesem Zeitpunkt gegenüber Paulsens Projekt positiv eingestellt gewesen zu sein. U.a. wurden folgende Ziele am 25. November 1944 in bereits entschärfter Wortwahl formuliert: „b) Vier Ziele schwebten ihm [gemeint ist Paulsen; M.J.] dabei vor: ba) Gelegentliche Vorträge der Professoren der Universität Göttingen an der Führerschule. bb) Spätere Habilitation der hierzu geeigneten Lehrer des Hauses Germanien an der Universität Göttingen. bc) Allmähliche Durchdringung zumindest dieser einen Hochschule mit dem germanischen Gedanken. bd) Verlagerung eines Teiles [der] für die Amtsgruppe D nötigen Gutachten völkerrechtlicher, staatsrechtlicher, wirtschaftspolitischer usw. Art an einzelne Herren dieser Hochschule[,] soweit die hierfür politisch geeignet sind.“105 Unter der Federführung von Schneider und mit der Unterstützung von Sievers wurde das Vorhaben Paulsens zur Umwandlung der Universität Göttingen in eine SS-Hochschule von Seiten des Ahnenerbes nun mit allen zur Verfügung stehenden bürokratischen Mitteln bekämpft. Am 20. November wurden die Pläne von Paulsen in einer Arbeitsbesprechung unter der Leitung von Schneider in den Berliner Räumen des Ahnenerbes erörtert.106 Noch am gleichen Abend wurde SS-Brigadeführer Mentzel über diese Pläne erstmals informiert; er hielt sie für „undurchführbar“.107 Dolezalek wurde vorgeworfen, sich nicht an die vor einem Monat in Hildesheim besprochene Vereinbarung gehalten zu haben,108 doch zu diesem Zeitpunkt waren ja die Pläne zur Universität Göttingen noch kein Gesprächsthema gewesen. Schneider und Dolezalek legten daraufhin die 103 | BArch NS 21/943 (25.11.1944). 104 | BArch NS 21/943 (25.11.1944). 105 | BArch NS 21/943 (25.11.1944). 106 | BArch NS 21/11,S. 302 (20.11.1944). 107 | BArch NS 21/11, S. 302 (20.11.1944). 108 | BArch NS 21/11, S. 306 (24.11.1944).

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Streitigkeiten bei und stellten erneut eine klare „Arbeitsgrundlage und Aufgabenverteilung“ her.109 Im Rahmen dieser Sitzung wurden Paulsens Pläne hinsichtlich der Universität Göttingen vollkommen gestoppt und man warf ihm mehrfaches Fehlverhalten vor: „d) Der Kommandeur des Hauses Germanien – SS-Sturmbannführer und Prof. Dr. Peter Paulsen – ist über seine Befugnisse insofern herausgegangen, als er mit dem Rektor der Universität Göttingen Abberufung und Einbau von germanischen Wissenschaftlern besprochen hatte und damit tatsächlich in die Wissenschaftspolitik des Ahnenerbes eingriff. Es ist zwar verständlich im Zuge eines Gespräches und wahrscheinlich auch nicht immer zu vermeintlich, tatsächlich aber formell nicht zu rechtfertigen. Dem gegenüber dürfte feststehen, daß auch der Tonfall im Schreiben von SS-Hauptsturmführer Dr. Schneider an den Stabsführer der Amtsgruppe D fehlgegriffen ist und wohl auch der Schluß des Schreibens von SS-Standartenführer Sievers an SS-Standartenführer Dr. Brandt sachlich nicht gerechtfertigt ist. Schließlich ist zum Gesamtkomplex zu sagen, daß ein einziger Anruf bei der Amtsgruppe D genügt hätte, den Sachverhalt zu klären und gegenseitig sehr viel Ärger und Arbeitszeit erspart wäre.“110 Schneider und Dolezalek einigten sich darauf, dass „a) Die Zusammenarbeit auf der am 20.10.44 [in Hildesheim] festgelegten Basis fortgesetzt werden soll [...]. c) SS-Standartenführer Spaarmann den Kommandeur des Hauses Germanien darauf hinweist, daß er in dem o. g. Ausmaße über seine Kompetenzgrenzen hinausgegangen und in die des Amtes Ahnenerbe eingegriffen hat. [...] e) Alle Abmachungen zwischen dem Hause Germanien und der Universität Göttingen insoweit ungültig sein sollen, als sie über die Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Schulung herausgehen. [...] g) im übrigen die ganze Angelegenheit abgeschlossen und vergessen sein soll.“111 In welcher Geschwindigkeit sich die noch nicht einmal in groben Zügen formulierten Pläne von Paulsen verbreiteten, zeigt das letzte Schreiben zu diesem Sachverhalt, das Schneider am 25. November 1944 an Dolezalek richtete: „Kurz nach unserer gestrigen Unterredung besuchte mich Prof. Dr. T. Goedewaagen, bisher Professor für Philosophie in Utrecht und vor dem niederländischer Generalsekretär für Volksaufklä109 | BArch NS 21/11, S. 306 (24.11.1944). 110 | BArch NS 21/943, S. 2 (25.11.1944). 111 | BArch NS 21/943 (25.11.1944).

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rung und Propaganda. Er war zu mir gekommen, um hier über die weiteren Arbeitsmöglichkeiten auf seinem Fachgebiet zu verhandeln. Gleich nach den ersten Worten erwähnte er, daß er sich möglicherweise auch an das Haus Germanien in Hildesheim wenden würde, von wo aus er in irgendeiner Form an die Universität Göttingen kommen könnte. Durch vorsichtiges Rückfragen erfuhr ich allerdings hier nicht etwa das Haus Germanien an Prof. Goedewaagen herangetreten ist, der bis dahin auch von dessen Existenz gar nichts wußte, sondern daß er von Prof. Jan Vries auf diese Möglichkeit eines Einsatzes niederländischer Wissenschaftler gerade an der Universität Göttingen durch die Vermittlung des Hauses Germanien hingewiesen worden wäre. Er fügte hinzu, das[s] seines Wissens auch der Kunsthistoriker aus Utrecht, Dr. Labouchére, auf diese Weise zu einer neuen wissenschaftlichen Betätigung käme.“112 Goedewaagen und Labouchére zählten zu den Wissenschaftlern mit nationalistischer Gesinnung, welche während des „dolle Dinsdag“ (dt. närrischer Dienstag) am 5. September 1944 mit 30.000 weiteren Niederländern nach Deutschland geflohen waren.113 Dieser panikartigen Massenflucht lag eine Falschmeldung zugrunde, in welcher behauptet wurde, dass die Niederlande in den kommenden Tagen von Engländern erobert werden würden. Die Engländer verfügten jedoch über keinerlei Truppenkontingente in diesem Raum, um solch ein Unternehmen durchzuführen. Die Flüchtlinge, welche hauptsächlich der Mussert-Bewegung114 angehörten, hielten sich vor allem im Raum Hannover/Lüneburg auf und sollten teilweise in der Umgebung von Göttingen angesiedelt werden.115 Paulsen kalkulierte diese kurzfristig aufgetauchten Personalkapazitäten wohl auch für seine Umstrukturierung der Göttinger Universität mit ein.116 Im Rahmen einer Unterredung mit Erich Hofmann kamen am 15. Dezember 1944 Paulsens „Germanische Universitätspläne“ den Schriftquellen zufolge letztmalig zur Sprache. Hofmann, der diese Pläne vorher 112 | BArch NS 21/794/Teil 2. v. 3 (25.11.1944). 113 | Hirschfeld 1984, S. 194. Herrn Lennart Linde M. A. sei an dieser Stelle herzlich für seine Hinweise und Anregungen zu diesen Geschehnissen gedankt. 114 | Die genannte Gruppierung ist benannt nach Anton Aadrian Mussert (1894– 1946). Mussert war Mitgründer und Vorsitzender der nationalistischen Partei „Nationaal-Socialistische Beweging“ in den Niederlanden. Foray 2013, 27–57. 115 | Lerchenmueller/Simon 1999, S. 230. 116 | Buddrus/Fritzlar 2007, S. 303 (Fußnote 8).

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befürwortet hatte, distanzierte sich nun deutlich und bezeichnete sie als „fanatisch“.117 Ende 1944 wurde eine Baukompanie im „Haus Germanien“ untergebracht.118 Es ist zu vermuten, dass der Lehrbetrieb noch bis mindestens Mitte Januar 1945 stattfand. Gestützt wird diese Annahme durch das erhaltene Redeskript eines Diavortrages von Dolezalek zu dem Thema „Politische Kriegsführung 1945“, welches auf den 14. Januar 1945 mit der Ortsangabe Hildesheim datiert.119 Am 10. März 1945 wurden ein Hauptteil des noch verbliebenen Stammpersonals (fünf Personen) sowie die Angehörigen der Baukompanie (28 Personen) zum SS-Einsatzbataillon Niemegk versetzt.120 In der dazu überlieferten Auflistung tauchen die Namen dieser Personen nicht auf. Paulsen scheint trotz der immer weiter fortschreitenden Auflösung seiner Institution Hildesheim nicht verlassen zu haben. Dafür sprechen Indizien, über die mich dankenswerterweise Herr Edward Sangmeister (geb. 1916) im Oktober 2012 informierte.121 Sangmeister hatte sich 1945 im Rahmen eines Offiziergenesungslehrganges in Hildesheim aufgehalten und sollte für diesen Lehrgang einen Vortrag aus dem Themengebiet der Ur- und Frühgeschichte vorbereiten. Da viele Bibliotheken aufgrund von Luftschutzmaßnahmen nicht mehr zugänglich waren, verwies man ihn an Paulsen, den er am 20. März 1945 im „Haus Germanien“ traf. Dies würde dafür sprechen, dass sich Paulsen auch am 22. März noch in Hildesheim aufhielt, als große Teile des Stadtkerns mit der dazugehörigen Klosteranlage und der St. Michaeliskirche von einem alliierten Bomberverband zerstört wurden. Nach dem Eintritt in den Nationalsozialistischen Dozentenbund im April 1945 ist Paulsen im gesichteten Quellenmaterial der letzen Kriegstage nicht mehr fassbar.122 In der frühen Nachkriegszeit war er aufgrund eines Berufsverbotes, welches ihm die alliierte Besatzungsregierung auferlegte, nicht wissenschaftlich tätig. Während dieser Zeit unterrichtete er 117 | BArch NS 21/11,S. 320 (15.12.1944). 118 | BArch Abt. MA: Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b. 119 | BArch NS 31/432 (14.01.1945). 120 | BArch Abt. MA Nachlass Wolfgang Vopersal, N 756/333b. 121 | Die Aufzeichnungen zu diesem Gespräch vom 03.10.2012 befinden sich im Privatbesitz des Verfassers. An dieser Stelle sei Herrn Edward Sangmeister herzlich für das Interview gedankt und Dana Schlegelmilch für die Herstellung dieses Kontakts. Zu Leben und Werk Sangmeisters vgl. Fehr 2006. 122 | Buddrus/Fritzlar 2007, S. 303.

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an Privat- und Volksschulen in Stuttgart.123 1961 nahm er dort aufgrund der Initiative von Siegfried Junghans (1915–1999), welcher als Konservator für die Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung zuständig war, eine Stelle am Württembergischen Landesmuseum an.124

D ie B ibliothek im „H aus G ermanien “ Obwohl der eigentliche Schwerpunkt der Beschäftigung Paulsens auf der ideologischen Ausbildung der Lehrgangsteilnehmer liegen sollte, hielt er sich, wie oben ausführlich beschrieben wurde, keineswegs an diese Vorgaben. So war es eines seiner Ziele, das „Haus Germanien“ mit einer Bibliothek mit den Schwerpunkten Geschichte/Archäologie (Urund Frühgeschichte), Kunstgeschichte, Rassenkunde, Volkskunde und Rechtsgeschichte auszustatten, um seine eigenen Forschungen verfolgen zu können.125 Teile dieser Bibliothek befinden sich heute in der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek Hannover (96 Bände), dem Stadtarchiv Hildesheim (149 Bände), dem Göttinger Seminar für Ur- und Frühgeschichte (bisher ungezählt) und in Privatbesitz.126 Alle Institutionen gelangten an diese Buchbestände durch die alliierte Besatzungsregierung, welche diese kurz nach dem Krieg an sie übergab.127 Die Bücher sind mit dem Bestandsvermerk „Der Reichsführer-SS – Germanische Schutzstaffel – Haus Germanien“ gekennzeichnet (Abb. 4). 123 | Buddrus/Fritzlar 2007, S. 303; Die Schilderungen Sangmeisters geben ebenfalls diese Tätigkeiten wider. 124 | Buddrus/Fritzlar 2007, S. 303; Sangmeister-Interview (03.10.2012); Planck 1999, 300. 125 | BArch NS 21/943, Vermerk vom 19.10.1944 126 | Besonders im „Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher“ (ZVAB) finden sich immer wieder Händler, welche Bücher mit dem Bestandsvermerk: „Der Reichsführer SS – Germanische Schutzstaffel – Haus Germanien“ zum Kauf anbieten. Während der Recherche zu diesem Aufsatz fanden sich ebenso bei Privatpersonen aus Hildesheim Bücher mit der Provenienz des „Haus Germanien“. 127 | Für Hannover und Hildesheim ist die Provenienz anhand von Bestandskatalogen nachvollziehbar. In den Zugangsbüchern des Göttinger Seminars für Ur- und Frühgeschichte, ist die Zuteilung von einzelnen Bänden der „Haus Germanien“-Bibliothek durch die Besatzungsregierung ebenfalls vermerkt.

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Abb. 4: Bestandsvermerk des „Haus Germanien“ aus dem Band von Werner Mähling „Die frühgermanische Landnahme im mittel-deutsch-sächsischen nordböhmischen Gebiet“ aus dem Jahr 1944.

Bestand: Göttinger Seminar für Ur- und Frühgeschichte.

Hinsichtlich ihrer Provenienz wurden bisher nur die Bestände in Hildesheim und Hannover katalogisiert. In Hannover erfolgte dies im Rahmen eines „NS-Raubgut-Projektes“ durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin. Anhand des Hannoverschen Bestandes lässt sich nachweisen, dass manche Bücher aus jüdischem Besitz stammen und dass neben Werken deutscher Verlage unter anderem auch dänische und niederländische vertreten sind. Im Hauptstaatsarchiv Hannover erhielt sich eine kurze Korrespondenz zwischen dem Regierungspräsidium Hannover, einem Mitarbeiter128 des „Haus Germanien“ und mit Paulsen. Darin lässt Paulsen durch einen seiner Mitarbeiter den Wunsch äußern, die Bibliothek des katholischen Gymnasiums Josephinum in Hildesheim für den Ausbau einer wissenschaftlichen Bibliothek zu gewinnen: „Sehr geehrter Herr Standartenführer! [Regierungspräsident Bindig, M. J.] Ich bemühe mich zurzeit gemeinsam mit SS-Hauptsturmführer Prof. Paulsen um den Auf bau einer wissenschaftlichen Bibliothek für das Haus Germanien. Nachdem durch Luftangriffe auf die verschiedensten Städte, insbesondere aber auf Leipzig und Stuttgart, eine überaus grosse Anzahl von wissenschaftlichen Bibliotheken und Verlägen [sic!] zerstört sind, macht die Heranschaffung von alten und neuen Büchern außerordentliche Schwierigkeiten. Schon seit längerer Zeit beschäftigt mich der Gedanke, aus irgend einer Hand eine alte Bibliothek zu erben, die zurzeit nicht richtig ausgenutzt ist. Heute ist mir bekannt geworden, daß bei der Übernahme [gemeint ist die Verstaatlichung der kath. Privatschule] des 128 | Leider lässt sich die Handschrift des Mitarbeiters mit keinem Namen in Verbindung bringen, welcher im Kontext mit dem „Haus Germanien“ bekannt ist.

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Josefiniums [sic!] in Hildesheim durch die Stadt eine Bibliothek aus geistlicher Hand freigegeben ist, die u. a. bedeutende ältere Werke enthält, die für die wissenschaftliche Arbeit des Hauses Germanien von entscheidender Bedeutung sein können. Die Stadt Hildesheim hat zunächst an der Übernahme der Bibliothek kein besonderes Interesse gezeigt. Sie wurde daher durch die Kirche nach Lamspringe in Sicherheit gebracht. Andererseits scheint aber auch die Kirche auf ihren Besitz keinen grossen Wert zu legen. Es ist möglich, daß diese Bergung erst auf Betreiben des staatl. Archivplegers [sic!] vorgenommen wurde und der städtische Bibliotheksdirektor von Hildesheim, Dr. Zoder, plötzlich Interesse bezeigen wird, wenn die Bibliothek durch uns übernommen werden soll. Ich übersehe nun schlecht, an wen ich wegen Überlassung der Bibliothek herantreten muss und wäre Ihnen, sehr verehrter Standartenführer, sehr dankbar dafür, wenn Sie mir durch Ihren zuständigen Dezernenten einen Weg zeigen würden, wie ich in dieser Angelegenheit vorzugehen habe.“129 Bindig besaß allerdings auch keine Möglichkeiten, diese Bibliothek für das „Haus Germanien“ zu beschaffen, da nur die für den Schulbetrieb wichtigen Bücher im Gymnasium verblieben waren, der größere Teil der Bibliothek hingegen im Besitz der Kirche.130 Vom derzeit bekannten Bücherbestand aus dem „Haus Germanien“ kann der ursprüngliche Gesamtbestand leider nicht rekonstruiert werden. Da eine Registratur fehlt, können auch keine Angaben darüber gemacht werden, wie viele Bücher bei der Zerstörung des Klosters verbrannt sind. Sangmeister erinnerte sich, wie stolz ihm Paulsen die Bibliothek gezeigt hatte, die nach Sangmeister wesentlich größer gewesen sei als die damalige Seminarsbibliothek der Vor- und Frühgeschichte in Marburg. Ihm sei damals aufgefallen, dass eine nicht geringe Menge von Büchern ausländischer Herkunft war und man in manchen Fällen die Herkunftsvermerke überklebt und anderweitig unkenntlich gemacht hatte. Nach Sangmeister war der Hauptteil der Buchbestände bei seinen Recherchen in Hildesheim noch nicht in Kisten verpackt, so dass wohl auch nur ein Teil des Bestandes überhaupt ausgelagert werden konnte. Im Bestand des Hildesheimer Stadtarchivs befinden sich zwei Bücher mit dem Vermerk des „Haus Germanien“ und der SS-Junkerschule von

129 | HStAH: 180 Hildesheim Nr. 7379 (20.01.1944). 130 | HStAH: 180 Hildesheim Nr. 7379 (31.01.1944).

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Bad Tölz.131 Aufgrund der Tatsache, dass Paulsen und Bell in Bad Tölz tätig waren, können diese Bücher aus der dortigen Bibliothek entwendet oder entliehen worden sein. Es könnte hingegen aber auch der Rest eines größeren Bestandes sein, welcher nach dem Krieg aus der amerikanischen Besatzungszone, in die englische restituiert wurde. Es ist auch nicht feststellbar, dank welcher Schutzmaßnahmen der erhalten gebliebene Bestand die Bombardierung des Klosters im März 1945 überstehen konnte. Die Herkunftsbestimmung ist in mehreren Fällen systematisch dadurch erschwert, dass die ehemaligen Bestandsvermerke mit einem Messer herausgetrennt wurden, so zum Beispiel in den Büchern, die im Ur- und Frühgeschichtlichen Seminar in Göttingen auf bewahrt werden. Aufgrund der Maße der dabei herausgeschnittenen Felder kann es sich bei mehreren Bänden um Bestandsvermerke des „Haus Germanien“ handeln oder bei größeren Feldern um bisher unbekannte Herkunftsbibliotheken und Sammlungen, zu denen Paulsen womöglich über Bücherlager aus Plünderungen und Enteignungen zugang hatte. Die Tilgung solcherlei Bestandsvermerke kann schon in der NS-Zeit erfolgt sein. Dieser Umstand erschwert eine Rückverfolgung solcher Bücher immens, wenn sie dadurch nicht vollkommen unmöglich gemacht wurde. In welchem Ausmaß sich Paulsen an geraubten Bibliotheksbeständen innerhalb Deutschlands sowie in den besetzten Gebieten bediente muss daher Gegenstand weiterer Forschungen bleiben.

R esümee Hinsichtlich der hier geschilderten Geschehnisse muss die Persönlichkeit Paulsen anders bewertet werden, als dies bisher der Fall gewesen ist. Die von ihm geplanten Vorhaben und die damit verbundene Eigeninitiative, besonders für die Umgestaltung der Universität Göttingen in eine SS-Hochschule, zeigen, wie hartnäckig Paulsen seine Ziele verfolgte. Darüber hinaus machen sie meiner Meinung nach deutlich, für welche 131 | Frenzel, W. 1924: Die vorgeschichtlichen Siedlungen und das Siedlungsland im herzynischen Urwaldgebiet. Crimmitschau 1924. (Sig. 44658); Zeiß 1941: Das Heilsbild in der germanischen Kunst des frühen Mittelalters. München 1941 (Sig. NS 2402).

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wissenschaftspolitische Seite Paulsen sich entschlossen hatte und dass er keineswegs ein „Wanderer zwischen zwei Welten“ war.132 Zu beachten ist weiter, dass Paulsen seine Entschlüsse zu einer Zeit umzusetzen versuchte, als sich Deutschland in einer aussichtslosen militärischen und politischen Lage befand. Anderen Persönlichkeiten boten diese Umstände genug Anlass, sich auf ein Leben nach dem Krieg vorzubereiten. Viele waren sich bewusst, dass sie für ihre Taten von den Alliierten zur Rechenschaft gezogen werden würden. Ein besonderes Beispiel stellt hier Hans Ernst Schneider dar, der gegen Kriegsende seine Kontakte nutzte und sich dadurch eine neue Identität unter dem Namen Hans Schwerte für die Nachkriegszeit verschaffte. Erst Anfang der 1990er Jahre wurde dieser Betrug aufgedeckt, lange nachdem Schneider eine zweite Universitätskarriere beschritten hatte.133 Inwieweit Paulsen jedoch das nahe Kriegsende für sich selbst einordnete, kann nach momentanem Kenntnisstand nicht nachvollzogen werden. Hinsichtlich der Quellenlage ist hervorzuheben, dass sich nur sehr wenige Schriftstücke von Paulsen erhalten haben, so dass seine Konzeptionen für das „Haus Germanien“ und die Universität Göttingen fast ausschließlich anhand von Schriftstücken anderer und eines Zeitzeugenberichtes rekonstruiert werden mussten. Dabei ist zu bedenken, dass besonders die Autoren der zitierten Schriftquellen gegenüber der Person Paulsen nicht unvoreingenommen waren. Unter Einbezug der Quellenkritik und hinsichtlich der geschilderten Ereignisse wird deshalb für die Handlungen Paulsens ein nicht in seiner Gänze vollkommen erklärbares Bild nachgezeichnet. Doch es gewährt Einblicke in seine persönlichen Einstellungen, die dem politischen Zeitgeist und einem von vielen Systemtreuen in der Endphase des Krieges praktiziertem „Durchhaltewillen“ eng verbunden waren. Natürlich scheint neben ideologischen Zielen auch der Wunsch nach persönlicher oder beruflicher Anerkennung für Paulsen eine bedeutende Rolle gespielt zu haben. So stellte er bei allen Vorhaben seine Person deutlich in den Vordergrund, worin er sich allerdings von seinen Kollegen/-innen der archäologischen Disziplinen nicht sehr unterschied. Die geschilderten Konzeptionen des Archäologen Paulsen zielten auf die Einrichtung einer systemkonformen, zentralistischen Forschungsstelle zur germanischen Archäologie, die er eng an die ent132 | Jacobs 2002. 133 | Lerchenmueller/Simon 1999.

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sprechend profilierte Universität Göttingen anbinden wollte. Anders als die meisten zeitgenössischen deutschen Archäologen/-innen versuchte er also nicht, bestehende Fachstrukturen und Fördermöglichkeiten für seine Forschungsinteressen und persönlichen Ambitionen auszunutzen, sondern neue Fachstrukturen zu begründen. Angesichts des Zeitraumes, in dem Paulsen diese Pläne entwickelte, und angesichts ihrer unmittelbaren Abwehr durch Vertreter des Ahnenerbes hatte Paulsen offensichtlich keine Gelegenheit, die konkrete Umsetzung seiner Ideen zu entwickeln und beispielsweise auch die Frage der Finanzierung seiner „Germanischen Forschungsstelle“ zu diskutieren.

Q uellenverzeichnis und L iter atur BArch: Bundesarchiv – Berlin/Lichterfelde Bestand: NS 3 Sig. 1592: Errichtung der SS-Schule „Haus Germanien“ in Hildesheim 1942–1943. Bestand: NS 19 Sig. 2830: Mögliche Aufstellung einer SS-Division „Niedersachsen“; Vorschlag des Gauleiters von Süd-Hannover-Braunschweig, Lauterbacher, und Ablehnung durch den Reichsführer-SS. Bestand: NS 21 Sig. 011: „Das Ahnenerbe“ – Diensttagebuch (Bd. 5.). Bestand: NS 21 Sig. 351: „Das Ahnenerbe“ – Korrespondenz. Bestand: N 21 Sig. 794: „Das Ahnenerbe“ – Korrespondenz (Teil 2. v. 3.). Bestand: NS 21 Sig. 989: Protokoll der ersten Tagung der „Gemanischen Arbeitsgemeinschaft“ in Hannover 1943. Bestand: NS 21 Sig. 943: „Das Ahnenerbe“ – Diensttagebuch, Tätigkeiten, Handakten. Bestand: NS 31 Sig: 432: Vortrag von Alexander Dolezalek über Politische Kriegsführung. BArch Abt. MA: Bundesarchiv/Militärarchiv – Freiburg i. Br. Bestand: Nachlass Wolfgang Vopersal

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Sig. N 756/52b: Ämter - Aufgaben und Organisation Bd.: 2. Enthält: Germanische Leitstelle, Europäische Mittelstelle, Leitstelle Ost, Zentralamt. Bestand: Nachlass Wolfgang Vopersal Sig: 756/331a: SS-Junkerschule Tölz (Teil 1). Bestand: Nachlass Wolfgang Vopersal Sig: 756/333 b: Verschiedene Schulen der SS. HStAH: Hauptstaatsarchiv Hannover Bestand: 180 Hildesheim Nr. 7379: Auf bau der Bibliothek für das „Haus Germanien“. NLD: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover Akte: Hildesheim; St. Michael, ev. I, Hefter: 1936–1940. Akte: Hildesheim; St. Michael, ev. II, Hefter: 1940–1946. Alphei 1993: C. Alphei, Die Hildesheimer Michaeliskirche im Wiederaufbau 1945–1960 (Hildesheim 1993). Blaich/Weber 2008: M. C. Blaich/J. Weber, Im Banne des Zeitgeistes Hermann Schroller und die Ausgrabungen in der Pfalz Werla von 1936 bis 1939, Die Kunde 59, 2008, 147–188. Bohland 1960: J. Bohland, Die Bergung und Wiederherstellung der romanischen Deckenmalereien von St. Michael zu Hildesheim, Niedersächsische Denkmalpflege 5, 1960, 44–56. Brandt/Eggebrecht 1993: M. Brandt/A. Eggebrecht (Hrsg.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993. 2 Bände (Hildesheim, Mainz 1993). Buddrus/Fritzlar 2007: M. Buddrus/S. Fritzlar, Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich (München 2007). Ciupke/Jelich 2006: P. Ciupke, F.-J. Jelich (Hrsg.), Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus. Zur Geschichte und Zukunft der Ordensburg Vogelsang (Essen 2006). Fehr 2006: H. Fehr, Ur- und Frühgeschichte. In: E. Wirbelauer (Hrsg.), Die Freiburger philosophische Fakultät 1920–1960. Mitglieder – Strukturen – Vernetzungen. Freiburger Beiträge zur Wissenschaftsund Universitätsgeschichte, N.F. 1 (Freiburg, München 2006) S. 532– 556. Foray 2013: J. L Foray, An Old Empire in a New Order: The Global Designs of the Dutch Nazi Party, 1931–1942. European History Quarterly 43(1), 2013, 27–52.

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Der Bunker im Tumulus Kriegsarchäologie im Spannungsfeld von Wehrmacht, Ahnenerbe der SS und Dienststelle Rosenberg Reena Perschke

Zusammenfassung Die megalithischen Monumente der Bretagne galten den Archäologen des Dritten Reiches als Prestigeprojekt. Mit Vermessungsarbeiten, Ausgrabungen und Kulturvergleichen sollte bewiesen werden, dass die westeuropäischen Megalithen jünger als die nordeuropäischen und somit von einem nordischen Kulturtransfer oder einer nordischen Einwanderung inspiriert waren. Als Zweckwissenschaft diente die Archäologie des Dritten Reiches somit der Rechtfertigung einer kulturellen Vormachtsstellung so genannter Urgermanen oder Indogermanen. Die Interpretation megalithischer Küstenregionen als urgermanisches Siedlungsgebiet diente auch der Rechtfertigung des Westfeldzuges im Herbst 1940. Unterschiedliche archäologische Institutionen interessierten sich für das Projekt Carnac, aber nur der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), eine Kriegsinstitution der Dienststelle Rosenberg, konnte sich gegen das konkurrierende Ahnenerbe der SS, die Römisch-Germanische Kommission und das Archäologische Institut des Deutschen Reiches durchsetzen und in Carnac arbeiten. Ausschlaggebend für den Erfolg des ERR war hierbei nicht die Finanzierungsfrage, sondern die Einstufung der archäologischen Arbeiten als kriegsnotwendiges Unternehmen, die (im Gegensatz zu den anderen Institutionen) zu einer erheblichen Unterstützung des ERR durch die Wehrmachtsverwaltung führte. Während die Megalithgräber und Steinreihen in Carnac der ideologischen Forschung dienten, wurden andere Megalithen zeitgleich durch die

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Konstruktion des Atlantikwalls undokumentiert zerstört. Einige Menhire wurden gesprengt, um feindlichen Fliegern keine Landmarken zu bieten, andere Monumente wurden beim Bau von Bunkern zerstört oder durch Schützengräben zerschnitten. Nur wenige Fundorte konnten vor den Kriegseinwirkungen gerettet oder nach dem Krieg restauriert werden.

Summar y The megaliths of Brittany were a very prestigious project for German archaeologists of the Third Reich. They arranged measurements, excavations and cultural comparisons to prove that the monuments of Western Europe were younger than the northern European megaliths. For national-socialist archaeologists, the western megaliths had to be depending of the culture development of Northern Europe and therefore to prove the cultural predominance of the so-called Stone Age „Proto-Germans“. This archaeological interpretation was also meant to justify the Battle of France by the NS-Regime. Several archaeological institutions were interested in the Carnac project, but only the Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), an archaeological division within the NSDAP, could accomplish excavations and measuring in the famous alignments. Its success depended not on financial advantages, but on the classification of ERR projects as essential to the war effort. Therefore, in contrary to the other archaeological institutions, the ERR was able to work with the important assistance of the Wehrmacht administration. While the megaliths were used to promote political purposes by German archaeologists, many of these monuments suffered severe damage caused by the construction of the Atlantic Wall. Some megalithic monuments were destroyed in order to construct bunkers and trenches, other sites were saved or could be restored after the Second World War.

E inleitung Die Archäologie im Nationalsozialismus wurde in den letzten Jahren unter diversen Gesichtspunkten untersucht. Die spannende Frage, wer und

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zu welchem Zweck speziell die Megalithik-Forschung1 förderte, wurde bisher jedoch nur in anderen Themenkomplexen als Randbereich abgehandelt.2 Im Rahmen der im Nationalsozialismus populären Annahme, ein vermeintlich germanisches Erbe und damit einen pauschalen Anspruch auf bestimmte Gebiete, Menschen oder politische Vorherrschaft zu besitzen, wurde das eigentlich linguistische Konzept eines indogermanischen Urvolkes auf die materiellen Hinterlassenschaften der Vorgeschichte angewandt.3 Damit wurden vor allem in Anlehnung an die Arbeiten von Gustaf Kossinna (1858–1931) ein „Urgermanentum“ und eine „Indogermanenzeit“ konzipiert, welche angeblich bis in die Jungsteinzeit zurückreichten (Abb. 1).4 Das Interesse an der Jungsteinzeit wurde somit politisch. Wo sich zuvor einzelne Forschergruppen mit unterschiedlichen Hypothesen gegenübergestanden hatten, standen sich nach 1933 rivalisierende und sogar einander bekämpfende Institutionen gegenüber, die sich gegenseitig Projekte, Grabungen und Forschungsprimate streitig machten. Vor allem die zugespitzte Situation zwischen dem Personal der Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ e.V. (Ahnenerbe der SS) einerseits und der Dienststelle Rosenberg andererseits verhinderte gemeinsame Projekte. 1 | Zu Definitionen und Verbreitungsgebieten der europäischen Megalithik siehe Beinhauer 1999. 2 | Ich danke Uta Dirschedl vom Archiv des DAI Berlin für die kurzfristige Bereitstellung des mehrfach zitierten Altregistratur-Bestandes. Wichtige Hinweise auf Korrespondenzen und Akten verdanke ich Uta Halle und Dirk Mahsarski (Universität und Focke-Museum Bremen) sowie Gunter Schöbel vom Pfahlbaumuseum Unteruhldingen. Die Direktorin des Museums von Carnac, Emmanuelle Vigier, sowie der Vorstand der Société Polymathique du Morbihan gaben mir die freundliche Erlaubnis zur Verwendung unpublizierter Dokumente. Meine Doktormutter Carola Metzner-Nebelsick (LMU München) brachte mich dazu, die Sprockhoffsche Nomenklatur zu hinterfragen. Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte München) schenkte mir den Hinweis auf den Sprockhoff-Text von 1957. Bernd Zich (Halle), Achim Leube (Berlin), Daniel Modl (Graz), Sandra Geringer (Bremen) und Martina Trumbach (Berlin) gebührt mein herzlichster Dank für Diskussionen, Korrekturen und Hinweise zur rechten Zeit. 3 | Veit 2000, S. 40–64; Wiwjorra 2002, S. 73–106; Focke-Museum (Hrsg.) 2013. 4 | Kossinna 1928; Grünert 2002.

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Abb. 1: In der Archäologie der 1930er Jahre wurde die Jungsteinzeit auch als „Indogermanenzeit“ bezeichnet und mit Rassetypen gleichgesetzt.

Quelle: Arendt/Faden/Gandert 1937, S. 43.

In den 1930er Jahren äußerten sich diese Einflüsse in der Megalithforschung unter anderem durch ideologisch geprägte Studien sowie die Ein-

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führung neuer Begriffe in der Megalithgrab-Terminologie. Nur das bretonische Wort „Dolmen“ für die einfachste Form des Megalithgrabes, die geschlossene Steinkammer, wurde auch in der Nomenklatur deutscher Forscher beibehalten. Durch den Westfeldzug und die Besatzung Frankreichs eröffnete sich dann ab 1940 die Gelegenheit für die deutschen Wissenschaftler, unter Kriegsbedingungen auch dort in den megalithreichen Regionen zu forschen. Als neuer Akteur innerhalb der Megalithforschung kam nun jedoch auch die Wehrmacht hinzu, die einerseits Grabungen unterstützte, andererseits auch Grabungen verhinderte oder eingezogene Soldaten nicht für die Archäologie freigab. Weitere Institutionen wie das Archäologische Institut des Deutschen Reiches oder die Römisch-Germanische Kommission meldeten ebenfalls Interesse an einer Untersuchung der bretonischen Megalithen an.5 Welche Projekte in dieser Konkurrenzsituation in der besetzten Bretagne tatsächlich stattfanden und warum genau diese Forschungen und Archäologen zum Zuge kamen und nicht ihre Rivalen, hing eng mit ihren jeweiligen ideologischen, politischen und finanziellen Förderern zusammen.

F r agen der M egalithforschung vor 1930 Der überregionale Stand der deutschen Megalithforschung erschien Ende der 1920er Jahre recht überschaubar. An internationalen Übersichtswerken in deutscher Sprache standen hauptsächlich jahrzehntealte Schriften von Oscar Montelius (1843–1921), Johanna Mestorf (1828–1909), Gustaf Kossinna und Carl Schuchhardt (1859–1943) zur Verfügung: Montelius hatte in den Jahren 1867 und 1874 jeweils am Congrès International d’Anthropologie et d’Archéologie Préhistorique (CIAAP) in Paris und Stockholm teilgenommen, auf denen die aktuellen Probleme der Megalithik von den zeitgenössischen Koryphäen behandelt wurden. Johanna Mestorf war ab 1869, als der CIAAP in Kopenhagen stattfand, auf den Kongressen präsent und hörte 1874 in Stockholm unter anderem Montelius' Vortrag über den Vergleich der schwedischen Großsteingräber 5 | Zur Geschichte dieser Institutionen siehe Junker 1997; von Schnurbein 2001, S. 137–290.

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zu denjenigen anderer europäischer Megalithikregionen.6 Seine fundamentale Einteilung der Monumente in Dolmen („dolmens“), Ganggräber („sépultures à galérie“) und Steinkisten („cistes“) wurde die Grundlage der weiteren deutschen Nomenklatur, nicht zuletzt durch die spätere Übernahme seiner von Johanna Mestorf ins Deutsche übersetzten Terminologie durch Ernst Sprockhoff (1892–1967).7 Auf den Kongressen von 1867 und 1874 war bereits heftig diskutiert worden, aus welcher Region der Megalithgedanke stammte, entlang welchen Weges er sich verbreitet hatte und ob es sich um die Ausbreitung oder Migration eines einziges Volkes oder einer bestimmten Rasse gehandelt habe.8 Montelius’ Antwort war ein detaillierter Kulturvergleich europäischer und vorderasiatischer Monumentalarchitektur mit dem Schluss, dass die Megalithik entlang der Mittelmeerküsten nach Westund Nordeuropa gelangt und somit von unterschiedlichen Rassen getragen worden wäre.9 Für die französische Forschung entschied sich die Frage vorerst anhand eines Vortrages von Gabriel de Mortillet (1821–1898) „Sur la non-existence d'un peuple des dolmens“ (1874)10 und dem Handbuch von Joseph Déchelette (1862–1914), das sich explizit auf Montelius’ Argumente stützte.11 Die deutsche Forschung spaltete sich dagegen scharf in eine „Ex oriente lux“- und eine „Ex septentrione lux“-Fraktion, wobei erstere sich ebenfalls auf Montelius bezog.12 Einer ihrer wichtigsten Vertreter war Carl Schuchhardt, der zur Interpretation bretonischer Menhire und Steinreihen auf vorderasiatische Vergleiche zurückgriff.13 Im Jahr 1912 hatte er während einer Bretagne-Reise die Steinreihen von Carnac sowie in deren Umgebung Dutzende von Megalithgräbern in Augenschein nehmen können und Vergleiche zu ägyptischen und griechischen Steinsetzungen

6 | Montelius 1876, S. 152–176; Mestorf 1874, S. 8–22; Johnsen/Welinder 2002, S. 81–83. 7 | Montelius 1876, S. 153; Sprockhoff 1938, S. 2. 8 | CIAAP 1868, S. 167–203 u. 207–212; Mestorf 1874, S. 8–22. 9 | Montelius 1899; Grünert 2002, S. 174–190. 10  |  „Über die Nichtexistenz eines Dolmenvolkes“ (de Mortillet 1876, S. 252–259). 11 | Déchelette 1908, S. 423–429. 12 | Wiwjorra 2002, S. 73–106. 13 | Schuchhardt 1941/1942.

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gezogen.14 Schuchhardt war ein entschiedener Gegner von Kossinna15, der sich ab 1912 im Rahmen seiner Betonung nationaler Vorgeschichte als Wortführer eines nordischen Ursprungs der Megalithik positioniert hatte und meinte:16 „Es gab eine Zeit, wo man die Errichtung dieser großen Steingräber einem besonderen Volke zuschrieb und ihre eigenartige Verbreitung aus der fortschreitenden Ausbreitung dieses sogenannten Dolmenvolkes vom Orient her nach West- und Nordeuropa erklärte. […] Die vorgeschichtliche Archäologie ist nun aber glücklicherweise in Deutschland eine Wissenschaft von geradezu stürmischem Fortschrittslaufe, wo jeder Tag neue Errungenschaften bringt. Und so mußte sie, gedrängt durch neue Erkenntnisse, auch jene veraltete skandinavische Annahme einer orientalischen Herkunft der Megalithgräber aufgeben“.17 Diese „nordische“ Ansicht fand innerhalb weniger Jahre auch Eingang in den Schulunterricht. Friedrich Walburg, ein Bremer Gymnasiallehrer, arbeitete ab 1920 mit einer Arbeitsgruppe daran, die noch kaiserzeitlich geprägten Geschichtsbücher umzugestalten.18 Mit einem Band zur Urgeschichte wurde der „deutschen Lehrerschaft“ drei Jahre später das erste Ergebnis vorgelegt.19 Ganz im Geiste Kossinnas lehnte Walburg einen Ursprung im „Morgenlande“ zugunsten Nordeuropas ab.20 Als explizit für den Geschichtsunterricht gestaltetes Lehrbuch zeigte diese diskussionslose Haltung nicht nur eine einseitige, sondern geradezu ideologische Komponente. Zwischen 1926 und 1928 fand die erste großräumige Erfassung von Megalithdenkmälern im Deutschen Reich statt. Ernst Sprockhoff hatte nach einem Vorgeschichtsstudium bei Kossinna in Berlin und der anschließenden Promotion in Königsberg über „Die Kulturen der jüngeren

14 | Schuchhardt 1919, S. 73–83. 15 | Zur Auseinandersetzung von Schuchhardt und Kossinna siehe Grünert 2002, S. 174–184, sowie zum Verhältnis von Kossinna und Montelius: Grünert 2002, S. 185–190. 16 | In allen folgenden Zitaten wurde die Schreibweise des Originals in der jeweils zeitgenössischen Orthographie übernommen. 17 | Kossinna 1941, S. 6–9. 18 | Loeber/Sachweh 2013; Loeber/Sachweh 2014. 19 | Walburg 1923, Vorwort (o. S.). 20 | Walburg 1923, S. 46–47.

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Steinzeit in der Mark Brandenburg“21 einen Werkauftrag an der Provinzialstelle für Urgeschichte in Hannover erhalten,22 in dessen Rahmen er sowohl eine Landesaufname der niedersächsischen Großsteingräber als auch der frühgeschichtlichen Burgwälle durchführte.23 Seine Arbeitsweise entsprach den Arbeitsschritten, die er von seinem akademischen Lehrer Kossinna gelernt hatte: die Dokumentation aller entsprechenden Kleinfunde in Museen und Sammlungen sowie eine Kartierung der Denkmäler im Gelände unter Berücksichtigung einer typologischen und chronologischen Ordnung zur Erarbeitung von geschlossenen Kulturprovinzen.24 In den zwei zur Verfügung stehenden Jahren konnte Sprockhoff 203 niedersächsische Großsteingräber systematisch vermessen und bearbeiten.25 Seine Auswertung dieses Bestandes bildete den aktuellen Stand der deutschen Megalithikforschung Ende der 1920er Jahre ab und zeigte Sprockhoffs Entwicklung von der Übernahme der Terminologie von Montelius hin zu einer eigenen Nomenklatur.26 Anhand seiner Untersuchung der niedersächsischen Großsteingräber formulierte Sprockhoff lokale typologische Unterscheidungsmerkmale wie die Größe der Kammer, das Vorhandensein oder Fehlen eines Ganges, das Fehlen einer Kammer in einem Langhügel („Hünenbett“) oder die Umfassung des Grabhügels mit oder ohne Steinkranz. Die kleinen, geschlossenen Steinkammern mit bis zu drei Tragsteinpaaren bezeichnete er als „Stuben“, die größeren Steingräber teilte er nach der Anzahl ihrer paarigen Wandsteine in kurze und lange Kammern ein.27 Da Sprockhoff zu dieser Zeit innerhalb Deutschlands keine anderen, systematisch untersuchten Vergleichsräume zur Verfügung standen, zog er die Arbeiten von Montelius für Schweden und von Sophus Müller (1846–1934) für Dänemark heran.28 An dieser Stelle übernahm Spro21 | Sprockhoff 1926. 22 | Willroth 2001, S. 110. 23 | Willroth 2001, S. 130. 24 | Willroth 2001, S. 121. 25 | Sprockhoff 1930, S. 2. 26 | Das Manuskript wurde im Frühjahr 1929 abgeschlossen (Sprockhoff 1930, S. 53). 27 | Sprockhoff 1930, S. 2–7. 28 | Im Speziellen zitierte Sprockhoff das Schema von Montelius für Schweden mit „1. Dolmen. 2. Ganggräber. 3. Steinkisten“ und die Typologie von Müller für

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ckhoff von Montelius ohne erkennbare Überlegung oder Definition das bretonische Wort „Dolmen“ für die geschlossenen „Stuben“ und nutzte es fortan durchgehend, auch in Zusammenschlüssen wie „Dolmenzeit“ oder „Dolmenkeramik“.29 Aus der Verbreitung der unterschiedlichen Megalithgrabtypen schloss Sprockhoff auf ein Kerngebiet, welches er in Schleswig-Holstein und Jütland vermutete, und eine spätere Migration der Großsteingrab-Erbauer unter dem Druck der einwandernden Träger der Streitaxtkultur unter anderem nach Niedersachsen. Explizit differenzierte er dabei: „Auf Grund der Grabformen schließt sich nur Osthannover enger an den nordischen Kreis an. […] Das Gebiet westlich der Weser gehört mit Holland einem Verband für sich an. […] Ganz Südhannover gehört überhaupt nicht zum nordischen Kreise“.30 Es ging Sprockhoff an dieser Stelle weder um eine kulturelle noch politische Vormachtsstellung der Träger der Megalithkultur, sondern um einen Kulturvergleich im Rahmen seines Kulturkreis-Verständnisses31. Allerdings verknüpfte Sprockhoff mit der typologischen und chronologischen Kartierung die Rassenfrage und kritisiert deutlich anderslautende Forschungstendenzen: „Damit gelangen wir zu der tieferen Bedeutung, die in dem Problem der nordwestdeutschen Megalithkeramik verborgen liegt, nämlich zu der Frage, welche Völker sich hinter der Schnurkeramik und der Kultur der Einzelgräber einerseits und der Megalithkultur andererseits verbergen. Wir konnten verfolgen, daß durch die Verschmelzung der Einzelgrabkultur mit der der Riesensteingräber die bronzezeitliche Kultur Nordosthannovers entstand. Als Träger der bronzezeitlichen Kultur des nordischen Kreises, zu dem dieser Teil Hannovers gehört, betrachten alle Forscher die Germanen, abgesehen von vereinzelten Gelehrten, die überhaupt davon absehen, heute schon geschlossene Formenkreise mit bestimmten Völkern zu identifizieren. Wir dürfen aber nach dem vorliegenden Stande der Wissenschaft mit einer begründeten Berechtigung annehmen, daß die Bronzezeitleute des nordischen Kreises als direkte Vorfahren der Germanen, ja gemeinhin sogar als diese selbst betrachtet werden dürfen“.32 Dänemark mit „1. Dysse (= kleine Stube oder kleine Kammer). 2. Jaettestue (= Riesenstube oder Ganggrab). 3. Kisten.“ (Sprockhoff 1930, S. 21–22). 29 | Sprockhoff 1930, S. 23, 37 u. 49. 30 | Sprockhoff 1930, S. 1f. u. 29. 31 | Zur „Kulturkreislehre“ siehe Mahsarski 2011, S. 24ff; Rössler 2007, S. 11ff. 32 | Sprockhoff 1930, S. 51f.

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Diese Hypothese untermauerte Sprockhoff mit anthropologischen Rassevergleichen anhand von Schädelmerkmalen.33 Zur Klärung der weiteren Einzelheiten verwies er abschließend auf die notwendigen Kulturvergleiche mit anderen megalithischen Regionen, zu denen aber systematische Untersuchungen noch fehlten.34 Sprockhoff selbst konnte diese Aufnahmen während seiner Arbeit am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz nicht leisten und konzentrierte sich in den nächsten Jahren daher auf die Bronzezeitforschung.35 Auch Kossinna hatte eine konkrete Aufgabe für eine potentielle deutsch-nationale Archäologie formuliert: „Gegenwärtig handelt es sich einmal um die Frage, wo innerhalb Europas der eigentliche Herd dieses merkwürdigen Steingräberbaues zu suchen ist, ob in Südwesteuropa, d.h. in Portugal, oder in Nordeuropa, d.h. an den Küsten und auf den Inseln am Südwestwinkel der Ostsee. […] Ohne Zweifel wird unsere Wissenschaft auch in dieser schweren Frage bald zu bestimmter Entscheidung gelangen“.36

D ie M egalithforschung der 1930 er J ahre Ab 1933 wurde die Frage nach dem Ursprung der europäischen Megalithik und ihrem Zusammenhang mit der Genese der „Urgermanen“ erneut virulent. Die 1909 von Gustaf Kossinna gegründete Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte hatte sich kurz nach Kossinnas Tod und im Zuge der Gleichschaltung 1933 in Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte umbenannt. Als dessen Bundesführer fungierte ab 1934 Hans Reinerth (1900–1990), der im gleichen Jahr als Nachfolger Kossinnas auf den Lehrstuhl für Vorgeschichte und germanische Frühgeschichte an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin berufen wurde.37 Eine der ersten Tätigkeiten seines Assistenten Werner Hülle (1903– 1974) im Jahr 1935 war die Herausgabe einer Neuauflage von Kossinnas 33 | Sprockhoff 1930, S. 52f. 34 | Sprockhoff 1930, S. 53. 35 | Willroth 2001, S. 110f. 36 | Kossinna 1941, S. 9 (Nachdruck von 1941 im Wortlaut des 1931 verstorbenen Gustaf Kossinna, siehe Vorwort von Werner Hülle). 37 | Schöbel 2002, S. 321–396; ders. 2007, S. 45–59; Leube 2010, S. 67ff.

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Buch „Die deutsche Vorgeschichte – eine hervorragend nationale Wissenschaft“.38 Kossinnas Text wurde unverändert übernommen, Hülle verstärkte ihn jedoch mit einem langen Ergänzungsteil aus eigenen, aktualisierten Anmerkungen. Die politische (Selbst-)Instrumentalisierung des Buches wurde in einer Vorbemerkung thematisiert: „Im dritten Jahr des nationalsozialistischen Deutschen Reiches ist, ebenso wie in den beiden vorhergehenden, wiederum eine Neuauflage dieses Buches notwendig geworden. […] Wenn auch in den beiden vergangenen Jahren schon viel erreicht worden ist, so wissen wir doch, daß nur der unerbittliche mutige kämpferische Einsatz und die zähe auf bauende wissenschaftliche Arbeit zum vollen Erfolg führen kann. Gerade diese beiden Eigenschaften waren in Kossinnas Persönlichkeit in seltener Weise vereint, und in seiner ‚Deutschen Vorgeschichte’ tritt die ‚politische’ Zielsetzung seiner Wissenschaft am klarsten hervor. […] Ein scharf geschliffenes Schwert hat der Altmeister mit diesem Buch geschmiedet, das in den nächsten Jahren wird oft gehandhabt werden können und müssen“.39 Zu Kossinnas Annahme eines nordischen Ursprungs der europäischen Megalithik merkt Hülle entsprechend an: „Das Problem der Entstehung und Ausbreitung des Steingrabbaus zu Beginn der Jungsteinzeit ist leider bis heute noch nicht einwandfrei entschieden worden“.40 Folgerichtig wurde dieses Thema in den nächsten Jahren ein wichtiges Standbein für den Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte. Durch komplexe personelle Verknüpfungen und Ämterhäufungen waren Hans Reinerth und Werner Hülle nicht nur federführend am Institut der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin tätig, sondern auch im Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte, in der Redaktion der Publikationsreihen Germanen-Erbe und Mannus sowie in der Abteilung Vor- und Frühgeschichte der Dienststelle Rosenberg, dem Amt von Alfred Rosenberg, der 1934 zum Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP ernannt worden war. Die Abteilung für Vor- und Frühgeschichte, geleitet von Reinerth, wurde 1937 in eine Hauptstelle der Dienststelle Rosenberg und ab 1940 in ein eigenes Reichsamt für Vorgeschichte umgewandelt.

38 | Zur Biographie von Werner Hülle siehe Bodenbach 2008 (2011), S. 447–504. 39 | Kossinna 1941, Vorbemerkung zur 7. Auflage (o. S.) 40 | Kossinna 1941, S. 277

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Ab Mitte der 1930er Jahre war es für Werner Hülle ein Anliegen gewesen zu klären, inwiefern Kossinnas Verknüpfung Jungsteinzeit – Megalithik – frühes Indogermanentum – Nordischer Kreis zu beweisen war41. Im Jahr 1937 führte Hülle eine Studienreise des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte mit 27 Teilnehmern zu den Steindenkmälern der Bretagne.42 Als erster deutscher Archäologe hatte er sich bereits zuvor um französische Literatur bemüht und Kontakt zu den beiden lokalen Koryphäen der bretonischen Megalithik aufgenommen. In Vannes wurde die Reisegruppe daher von den Gelehrten der Société Polymathique du Morbihan willkommen geheißen und durch das archäologische Museum im Château Gaillard geführt, in welchem sich die reichen neolithischen Bestände aus Ausgrabungen an den Megalithen der Region befanden.43 Während der Reise fotografierte Hülle in den bretonischen Dörfern Fischerfamilien und Bauern, die er rassetypisch einordnete und in Bezug zu den „indogermanischen“ Erbauern der Megalithen setzte (Abb. 2). Abb. 2: Aufnahmen von Werner Hülle während der Studienfahrt in die Bretagne 1937: bretonische Bauern werden nach ihrer „Rasse“ beurteilt.

Quelle: Hülle 1937, S. 223.

41 | Kossinna 1941, S. 277–278 (Anmerkung 6 von Werner Hülle). 42 | Hülle 1937, S. 221–232; Perschke 2013a; dies. 2014a. 43 | Hülle 1937, S. 221–232.

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Bei Vorträgen zeigte Hülle später entsprechende Bilder. So heißt es in einem Zeitungsbericht: „Von groesstem Interesse ist für uns die Frage der rassischen Zugehoerigkeit des Volkes, das diese Denkmaeler errichtete. Es kann kein Zweifel sein, dass es sich um ein nordisches Volk handelt, was aus der nahen Verwandtschaft […] mit nordischen Denkmaelern hervorgeht. […] Reste von diesem offenbar germanischen Volk treten noch in der heutigen bretonischen Blutmischung hervor. Dr. Hülle zeigte im Bilde einige der zahlreichen Typen faelischer Rasse unter den bretonischen Bauern. Sie lassen uns erahnen, welcher Art das Volk war, das die maechtigen Anordnungen von Granitbloecken schuf, die uns von einer blutsverwandten Megalith-Kultur von Nord und West Kunde geben“.44 In Carnac empfing der hochbetagte Kurator Zacharie Le Rouzic (1864–1939) die Reichsbundmitglieder und zeigte ihnen die Schätze seines Museums, bevor er die Reisegruppe im Gelände zu den Steinreihen von Carnac und den umliegenden Megalithgräbern führte (Abb. 3). Abb. 3: Eintrag der Studienfahrt des Reichsbunds für Deutsche Vorgeschichte 1937 im Gästebuch des Museums von Carnac.

Quelle: Archiv Musée de la Préhistoire James Miln – Zacharie le Rouzic, Carnac.

Viele dieser Monumente hatte Le Rouzic selbst ausgegraben, so dass Hülle sich aus erster Hand über den Stand der bretonischen Forschung informieren konnte, aber dabei Le Rouzics Ergebnisse in Frage stellte: „Die Mischung verschiedener Elemente des nordischen Kreises der Jungstein44 | Zeitungsartikel „Die bretonischen Steindenkmäler“ von Hans Havemann (ohne Datum und Angabe der Zeitung, aber vor dem Schreiben von Sievers an Jankuhn vom 28.01.1941 gedruckt), Bundesarchiv Berlin, NS 21/321.

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zeit in diesen Gräbern macht es einigermaßen wahrscheinlich, dass es sich hier um eine jener endsteinzeitlichen Mischkulturen handelt, die bei der Ausbreitung des nordischen Kreises überall in ihren Randgebieten entstanden sind. [So] ist es doch wahrscheinlicher anzunehmen, dass die nordischen Einwanderer den Anstoß zur Erbauung dieser steinernen Wunderwerke gegeben haben“.45 Diese Prämisse galt es nun mit eigenen Forschungen zu untermauern, allerdings war Frankreich als Arbeitsgebiet für deutsche Archäologen nicht ohne weiteres zugänglich. Hülles ausformulierte Arbeitspläne landeten in einer sprichwörtlichen Schublade, bis die Zeit für konkrete Unternehmungen reif sein würde.46 Auch der bereits erwähnte Lehrer Walburg schloss sich in dieser Zeit dem Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte an. Im Jahr 1936 gründete er den Kreisring für Bremer Vorgeschichte, in welchem die Ideologie des Reichsbundes in Vorträgen auch an Bremer Interessierte und Laien vermittelt wurde.47 Der Bremer Senat stellte ihn zusätzlich für sechs Semester vom Schuldienst frei, in denen Walburg bei Hans Reinerth in Berlin Vorgeschichte studieren konnte. Im Wintersemester 1937/38 hörte Walburg Reinerths Jungsteinzeit-Vorlesung, die auf Kossinnas Thesen beruhte, und arbeitete auf Ausgrabungen unter Reinerths Leitung mit.48 Als Kreissachbearbeiter war Walburg im NS-Lehrerbund für Geschichte und Vorgeschichte zuständig, und in seiner Funktion als Gausachbearbeiter für Vorgeschichte im Gau Weser-Ems nahm er unter anderem 1938 an einem Reichslehrgang zu „Deutsche Vorgeschichte und Schule“ teil. Dieser Lehrgang wurde vom Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte veranstaltet. Die Vorträge wurden zum Großteil von Reinerth und Hülle gehalten, unter anderem in Sektionen wie „Die Vernordnung Alteuropas“ oder „Die Vorgeschichte als Grundlage unserer neuen Geschichtslehre“. Im erziehungswissenschaftlichen Teil des Lehrgangs hielten Hülle und Walburg ein gemeinsames Referat über „Die Stellung der Vorgeschichte 45 | Hülle 1937, S. 227 46 | Hülle 1940, S. 580. 47 | Germanen-Erbe 1941a, S. 61 (Gründungsjahr zurückgerechnet aus dem im Germanen-Erbe erwähnten fünfjährigen Jubiläum des Kreisrings am 9. März 1941). 48 | Bericht von Studienrat F. Walburg über seine vorgeschichtlichen Studien im Schuljahre 1937/38. Staatsarchiv Bremen, Personalakte Friedrich Walburg, Signatur 4.111 Pers. – 5834, Bl. 19–21.

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im neuen Geschichtslehrplan der höheren Schulen“. Walburg verfasste einen Bericht über diesen Lehrgang und schloss: „Es wird unsere Aufgabe sein, eine gründliche vorgeschichtliche Schulung im Gau und in den einzelnen Kreisen durchzuführen, um die Erzieherschaft auf die Anforderungen der neuen Lehrpläne vorzubereiten.“49 Anhand von Gaulehrgängen, Kreis-Schulungskursen und Vortragskursen sollten nicht nur Schulkinder, sondern auch eine breite Öffentlichkeit über die neu ausgerichtete nationalisierte Vorgeschichte unterrichtet werden. Der Lehrer Walburg diente dem nationalsozialistischen Bildungssystem dabei als Multiplikator, unter anderem für die neuen Ideen zur Megalithforschung. Zeitgleich zu Hülles erwachendem Interesse an der Megalithik meldete sich ein anderer Jungsteinzeit-Experte wieder zu Wort. Sprockhoff, ein energischer Gegner von Reinerth, hatte Mitte der 1930er Jahre neben seinen Bronzezeitforschungen wieder mit vereinzelten Dokumentationen von Großsteingräbern im Gelände begonnen.50 Sprockhoff war 1935 zum Zweiten Direktor der Römisch-Germanischen Kommission in Frankfurt/ Main (RGK) ernannt worden, 1937 sollte er Erster Direktor der RGK werden und bis zum Kriegsende bleiben.51 Im Gegensatz zu seiner moderaten Besprechung der niedersächsischen Großsteingräber 1929 hatte Sprockhoffs Argumentation und Wortwahl nun, nur wenige Jahre und einen politischen Ideologiewechsel später, einen viel schärferen Tonfall angenommen. Für die jüngere Steinzeit postulierte er nun „eine ausgesprochen nordische Kultur, nämlich jene, deren Träger die Erbauer der Riesensteingräber waren. Die Verbreitung dieser Gräber aber und damit das Herrschaftsgebiet der steinzeitlichen nordischen Kultur umfasst ein viel größeres Gebiet, als es das um 1200 einwandfrei germanische Land darstellt.“52 Durch die Annahme einer Vermischung der Riesensteingräberkultur mit den Trägern der Schnurkeramik und einer gleichzeitigen Abwanderung schränkte Sprockhoff allerdings ein: „Es ist also nur ein Teil der jungsteinzeitlichen Kultur der Riesensteingräber im Germanischen aufgegangen, und 49 | Bericht über den Reichslehrgang der Gausachbearbeiter für Vorgeschichte im Hause der deutschen Erziehung in Bayreuth vom 30.1.–5.2.1938. Staatsarchiv Bremen, Personalakte Friedrich Walburg, Signatur 4.111 Pers. – 5834, Bl. 22–24. 50 | Willroth 2001, S. 130. 51 | Simon 2006; Willroth 2001, S. 110. 52 | Sprockhoff 1936, S. 258.

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der heutige Stand der Vorgeschichtsforschung erlaubt es daher nicht, die Erbauer der Riesensteingräber schlechthin als Germanen oder sie in ihrer Gesamtheit als deren Vorfahren zu bezeichnen.“53 Um die jungsteinzeitlichen Kulturen im norddeutschen Raum zu differenzieren, nutzte Sprockhoff seine neu entwickelte Nomenklatur. Von den 1929 noch erwähnten „Stuben“ war nun keine Rede mehr. Ohne nähere Definition oder Erläuterung gebrauchte er nun endgültig den bretonischen Begriff: „Die ältesten Riesensteingräber sind die Dolmen“54 und erweiterte diesen Ausdruck um weitere, von der Anzahl der Wandsteinpaare in der Kammer definierte Steingrabtypen (ein genuin von Sprockhoff stammender Ansatz, der auf westeuropäische Megalithgräber bis heute keine Anwendung findet). So fanden seine neuen Bezeichnungen „Urdolmen“, „erweiterter Dolmen“, „Großdolmen“ und „polygonaler Dolmen“ ausgerechnet in einem Artikel „Zur Entstehung der Germanen“ Eingang in die deutsche archäologische Fachsprache.55 In seinem Grundlagenwerk „Die nordische Megalithkultur“56 von 1938 ergänzte Sprockhoff diese Begriffe um genauere Definitionen mit Beispielgrundrissen und Fotos. Im Gegensatz zu seinen vorangegangenen Aufsätzen löste Sprockhoff nun auch die Architekturform des „Ganggrabes“ aus dem bisherigen Kontext nach Montelius und der allgemein europäischen Begrifflichkeit heraus und definierte sie anhand der in Norddeutschland vorkommenden Megalithgrabformen neu: „Ganggräber“ in der deutschen Nomenklatur waren fortan nur noch rechteckige Grabkammern mit einem Eingang in der Breitseite (Abb. 4), während in Frankreich, Dänemark und Schweden sowie auf den Britischen Inseln als „dolmen à couloir“, „gånggrifter“ oder „passage grave“ bis heute eine polygonale, runde oder eckige Kammer mit einem langen Gang an einer beliebigen Seite bezeichnet wird (Abb. 5). Anstatt also die Bezeichnungen europäischer Megalithformen forschungsgeschichtlich miteinander zu verbinden oder zu vergleichen, extrahierte Sprockhoff die norddeutschen Grabbauten terminologisch aus dem europäischen Verbund. Als Vergleich zog er nur Monumente aus dem „Nordischen Kreis“, also aus Dänemark und Schweden, heran. Auf die vorhandenen Schriften von Schuchhardt und Montelius, die Verglei53 | Sprockhoff 1936, S. 258. 54 | Sprockhoff 1936, S. 258; ders. 1938, S. 3. 55 | Sprockhoff 1936, S. 258–259. 56 | Sprockhoff 1938.

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che mit westeuropäischen Megalithen ermöglicht hätten, ging er nicht ein.57 Abb. 4: Beispiel für ein typologisch eng definiertes norddeutsches „Ganggrab“ nach Sprockhoff: eine rechteckige, längliche Kammer mit einem kurzen steingefaßten Gang in der Mitte der Längsseite.

Quelle: Sprockhoff 1938, S. 35.

Abb. 5: Beispiele für „Ganggräber“ nach skandinavischer oder nordwesteuropäischer Nomenklatur.

Quelle: Montelius 1899, S. 63.

Einen weiteren Schwerpunkt legte Sprockhoff auf die für die zeitgenössische archäologische Forschung wichtige Frage nach der Herkunft der nordischen Megalithik. Da er ausschließlich die deutsche Megalithik 57 | Sprockhoff 1938, passim.

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behandelte, konnte Sprockhoff einen geschlossenen Entwicklungskanon von frühen bis späten Formen vorlegen. Erst ein Vergleich mit Varianten aus anderen europäischen Regionen hätte diese Entwicklung in einen größeren Horizont und erweiterte Typologieschemata eingebettet. Aus seinem durch die Grenzen des Deutschen Reiches eingeschränkten Blickwinkel resümierte Sprockhoff jedoch: „Nirgends sonst in Deutschland findet man die ganze Entwicklungsfolge auf einem engen Raum so vereinigt.[58] Daraus folgt, daß Holstein zum ureigensten Gebiet der Dolmenkultur gehört. Von hier hat sich die Sitte, solche Gräber zu bauen, in die anderen Landschaften Norddeutschlands weiterverbreitet, nach Mecklenburg und Pommern, in die Uckermark und die Altmark, sowie über die Elbe nach Nordhannover. Zugleich mit den Gräbern verbreitete sich auch die Kultur ihrer Erbauer, die in das Neuland zogen.“59 So entstanden klar formulierte Parallelen zu den politischen Siedlungs- und Gebietserweiterungstendenzen des Nationalsozialismus60, die wenige Jahre später in der Besiedlung der eroberten Ostgebiete münden sollte: „Dieser nordische Kreis erlebt von nun an bis in die historische Zeit hinein keinen Einbruch einer fremden Kultur mehr, der seine Eigenart umgewandelt hätte, er breitet sich im Gegenteil, nachdem er zu seinem völligen inneren Ausgleich während der mittleren Bronzezeit gelangt ist, bald kräftig aus, erst sehr nachhaltig und erfolgreich nach Osten, dann aber auch nach Westen und Süden.“61 Einen großen kulturellen Bruch verortete Sprockhoff am Übergang der von ihm postulierten „Dolmenzeit“ zur „Ganggräberzeit“62, die durch das vermeintlich kriegerische Eindringen der Kultur mit Schnurkeramik zur „Ablösung einzelner Teile der Megalithkultur von ihrem Mutterboden und [zur] Bildung eines nordischen Rumpfkreises der Riesensteingräber“ geführt hätten.63 Seine Wortwahl wurde nicht nur militärischer, 58 | Mecklenburg wurde z.B. erst zwischen 1964 und 1970 systematisch untersucht (Schuldt 1972, S. 7). 59 | Sprockhoff 1938, S. 14. 60 | Zu Sprockhoffs Ansicht bezüglich politischer Expansionspläne siehe auch Sprockhoff 1945; zur allgemeinen Verknüpfung von Gebietexpansion und Vorgeschichte: Halle 2013a, S. 44–49. 61 | Sprockhoff 1936, S. 267f. 62 | Perschke 2013c, Kapitel Terminologie. 63 | Sprockhoff 1936, S. 264.

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sondern wechselte aus einem in der Vergangenheitsform geschriebenen Text für einen plakativen Absatz ins Präsens: „Der oben dargelegte Vorgang im nordischen Kreis zeigt eine Wirkung, als wäre eine Bombe mitten in die Dolmenkultur hineingeplatzt. Wo sie einschlug, in Holstein, ist alles vernichtet. An ihren Rändern ziehen sich die Reste schutzsuchend zu verwandten Kräften zurück. Das nördliche Schleswig lehnt sich nunmehr eng an den dänischen Kern an.“64 Bezüglich der Erbauer übernahm Sprockhoff die Vorlage von Kossinna: „Am Ende der jüngeren Steinzeit steht als geschichtliches Ergebnis die Entstehung des Germanentums. Die jüngere Steinzeit des nordischen Kreises birgt die Vorgänge, die zur Volkwerdung der Germanen geführt haben. Mit dem Beginn der Bronzezeit treten dann die Germanen als neues, junges Volk in die Geschichte ein […]. Wir sahen, wie mit der Entstehung und Entfaltung der Kultur der Dolmenzeit überhaupt erst jenes Volk erwuchs, ohne dessen Mitwirkung zu wesentlichen Teilen das spätere Germanentum gar nicht vorstellbar ist“.65 Sprockhoff vollzog den Vergleich der norddeutschen mit der westeuropäischen Megalithik also vorerst nicht. Die nicht zu unterschätzende Bedeutung, die im Zusammenhang mit der postulierten Genese der Germanen vor allem die bretonische Megalithik mit ihrem reichhaltigen Formenschatz, ihren gravierten Wandsteinen und den ungewöhnlichen Prestigeausstattungen besaß, beschrieb dagegen 1945 rückblickend Wolfgang Kimmig (1910–2001): „Eine ungewöhnlich starke Anziehungskraft für die deutsche Vorgeschichtsforschung übten schon immer die kyklopischen Grabbauten der Megalithkultur in der Bretagne aus, die vor allem in den Départements von Morbihan und Finistère eine so eindrucksvolle Ausprägung erfahren haben. War doch das Megalithproblem aufs engste mit der Volkwerdung des nordischen Germanentums verknüpft“.66 Kurz nach Hülles Studienfahrt und Sprockhoffs Monographie zur „nordischen Megalithik“ ergab sich dann die Gelegenheit, mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten die Erforschung eben dieser bretonischen Megalithik für einen Kulturvergleich zu beginnen.

64 | Sprockhoff 1936, S. 264. 65 | Sprockhoff 1938, S. 153. 66 | Aus der Antrittsvorlesung von Wolfgang Kimmig an der Universität Freiburg im Jahr 1945, zitiert nach Buchsenschutz 2006–2007, S. 8.

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D er W estfeldzug 1940 – A rchäologie im S chat ten der W ehrmacht Im Sommer 1940 bereitete die Wehrmacht die Eroberung Belgiens, der Niederlande und Frankreichs vor. Im Stab des Oberkommandos der Wehrmacht wurde zwar ein Kunstschutzreferat eingerichtet, welches die französischen Museen, Kunstsammlungen und archäologischen Denkmäler vor Kriegsschäden hätte schützen sollen, diesem waren aber durch Personalmangel, fehlende Finanzierung und Umfunktionierung in eine Kunstraub-Organisation die Hände gebunden.67 Am 10. Mai 1940 überschritt die deutsche Wehrmacht die niederländische Grenze, am 14. Juni wurde Paris kampflos eingenommen und am 22. Juni bereits in Compiègne (Oise) ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Die Bretagne galt seit dem 21. Juni 1940 als besetzte Zone. Die Wehrmacht setzte sich in den Städten fest und patrouillierte auf dem Land. Der Weg für die deutschen Archäologen zu den bretonischen Megalithen war frei. Hülle jubelte: „Als im Juni 1940 die Bretagne unter den Schutz der deutschen Wehrmacht kam, war auch für die deutsche Wissenschaft die Möglichkeit gegeben, mit ihrer Arbeit in diesem Raume einzusetzen.“68 Kimmig, der ab 1941 im Referat Archäologie und Vorgeschichte des Kunstschutzes eingesetzt war, bemerkte später dazu: „Als im Sommer 1940 Frankreich zusammenbrach und die Sorge um das französische Land in deutsche Hände gelegt war, schien die Möglichkeit gekommen, über Hemmungen und Vorurteile hinweg, auch auf dem Gebiet der Archäologie zu einer nutzbringenden Zusammenarbeit zu gelangen.“69 Auch der Bronzezeitforscher und Assistent an der Münchener Universität Friedrich Holste (1908–1942) schrieb aus dem Feld an das Ahnenerbe: „Das gegenwärtig von der deutschen Wehrmacht besetzte Gebiet ist für vor- und frühgeschichtliche Fragen ein ideales Arbeitsgebiet.“70 Sprockhoff, der in Norwegen als Oberstleutnant und Regimentskommandeur

67 | Perschke 2014. 68 | Hülle 1942, S. 5. 69 | Buchsenschutz 2006–2007, S. 5. 70 | Schreiben Holste an Wüst vom 15.09.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b, Bl. 316–319.

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bei der Küstenartillerie diente,71 äußerte euphemistisch über die deutsche Besatzung dieses Landes: „Der deutsche Soldat, der heute auf militärischer Wacht […] seinen Dienst versieht, steht hier nicht als gieriger Eroberer, sondern als Verteidiger bester Werte des europäischen Kontinents. Indem wir die vorgeschichtlichen Denkmäler in unseren Schutz nehmen, behüten wir gleichzeitig das Erbgut unserer Ahnen.“72 Der Wettlauf der archäologischen Institutionen um das prestigeträchtige Forschungsprimat an den Megalithen der Bretagne und den Zusammenhang zwischen bretonischen und nordeuropäischen Megalithen war damit eröffnet.

F ördermechanismen der nationalsozialistischen A rchäologie Bei der Einrichtung des militärischen Kunstschutzes im Oberkommando der Wehrmacht hatte Martin Schede (1883–1947), Präsident des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches (AIDR), im Sommer 1940 angeregt, auch einen archäologischen Dienst zum Schutz der Bodendenkmäler im besetzten Frankreich und Belgien einzurichten. Als mögliches Personal hatte Schede dazu an erster Stelle Sprockhoff benannt. Aufgrund seiner Publikationen zu den niedersächsischen und „nordischen“ Großsteingräbern galt Sprockhoff als fähigster Megalithiker unter den zeitgenössischen deutschen Archäologen.73 Dieser wurde jedoch von seiner Wehrmachtseinheit wegen seines zu hohen militärischen Ranges nicht freigestellt und konnte somit bei der Einrichtung des Referats Archäologie und Vorgeschichte beim Kunstschutz nicht berücksichtigt werden.74 Als Erster Direktor der RGK führte Sprockhoff jedoch auch von seinem Dienst bei der Küstenartillerie in Norwegen weiterhin einen regen Schriftverkehr. Kurz nach der Besatzung Frankreichs schlug Sprockhoff 71 | Schreiben Sievers an Jankuhn vom 20.07.1944, Bundesarchiv Berlin, NS 21/51, Bl. A/23/j1; siehe auch Willroth 2001, S. 110. 72 | Sprockhoff 1945, S. 145f. 73 | Er war ebenso bereits ein führender Bronzezeit-Experte, doch dieser Aspekt seiner archäologischen Arbeit führt hier aus dem Thema heraus (siehe dazu: Willroth 2001). 74 | Schreiben Schede an Zeiss vom 04.01.1941, Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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nun Schede vor, für das AIDR die Megalithkultur Nordwestfrankreichs zu bearbeiten.75 Schede hatte allerdings bezüglich des frühen Zeitpunkts, so knapp nach der Besatzung Frankreichs und mitten im Krieg, Bedenken: „Natürlich kann man mit dem Recht des Eroberers jetzt allerhand durchführen, aber es fragt sich, ob es erwünscht ist, wissenschaftliche Unternehmungen mit militärischer Gewalt in Gang zu bringen, die nach Friedensschluß aufhören müssen, insbesondere in der Bretagne, deren Schicksal und Stellung zu uns doch noch ganz im Dunkeln liegt. Trotz dieser Bedenken ist aber die Wichtigkeit der Angelegenheit so groß, daß wir sie weiterverfolgen müssen, auf jeden Fall sind Vorarbeiten wie Fliegeraufnahmen schon jetzt und vielleicht nur jetzt möglich.“76 Von dem Berliner Althistoriker Wilhelm Weber (1882–1948) kam sogar der Vorschlag, dass Sprockhoff als Experte nicht nur die nordfranzösischen, sondern auch die spanischen und portugiesischen Megalithgräber umfassend aufnehmen sollte: „Wenn Sprockhoff so das ganze Megalithproblem auf die breiteste denkbare Basis stellte, käme man endlich von deutscher Seite oder unter deutscher Führung zu einer umfassenden Behandlung und Bereinigung aller grossen Fragen: Es hängt an all dem für die Frühgeschichte Europas so unendlich viel.“77 Doch Sprockhoff wurde trotz seines zivilen Ranges als Professor und Direktor der RGK nicht vom Wehrdienst freigestellt oder zu einer Kunstschutzeinrichtung abgeordnet. Sein Einsatz in Norwegen und seine Unersetzbarkeit als Megalithiker verhinderten somit die Dokumentation der westeuropäischen Megalithen durch die RGK oder andere Mitarbeiter des AIDR, obwohl eine Finanzierung über die genannten Institutionen die Durchführung eines Projektes in Carnac oder Umgebung auch während des Krieges erlaubt hätte. Eine andere Institution hatte die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt und keine Skrupel gezeigt, die Besetzung der Bretagne als Forschungsauftakt zu sehen. Hülle besaß seit der Studienreise 1937 fertige Pläne für

75 | Antwortschreiben Schede an Sprockhoff vom 30.08.1940, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02. 76 | Antwortschreiben Schede an Sprockhoff vom 30.08.1940, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02. 77 | Schreiben Weber an Schede vom 01.09.1940, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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die Erforschung der bretonischen Megalithdenkmäler 78. Nun kam seine Chance. Noch während des Westfeldzuges war am 17. Juli 1940 in Paris ein „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) ins Leben gerufen worden, der von Anfang an der Beschlagnahmung von Kulturgütern aus jüdischem, freimaurerischem und französischem Besitz und somit dem Kunst- und Kulturgutraub diente. Aufgrund eines Führerentscheids wurden die Aktionen des ERR als kriegsnotwendige Aufgabe deklariert, wodurch dessen Mitarbeiter zum Wehrmachtsgefolge zählten und auf die Einrichtungen der Militärverwaltungen zurückgreifen konnten.79 Anfang August 1940 wurde innerhalb des ERR ein „Sonderstab Vorund Frühgeschichte“ gegründet, dessen Mitglieder sich ausschließlich aus den loyalen Mitarbeitern des Reichsamtes für Vorgeschichte der Dienststelle Rosenberg rekrutierten. Dadurch wurde die Ämterhäufung von Reinerth und Hülle noch einmal ausgeweitet. Die Aufgabe der Archäologen im neu gebildeten Sonderstab lautete, zur „Neuausrichtung der europäischen Vorgeschichte diejenigen Sicherungsmaßnahmen und Einzeluntersuchungen in den besetzten Gebieten in Angriff zu nehmen, für die während des Krieges dringende Notwendigkeit bezw. besonders günstige Bedingungen bestehen.“80 In Frankreich wurden zwei Projekte unmittelbar in Angriff genommen: die Erforschung der bretonischen Megalithen anhand der Steinmonumente von Carnac durch Hülle sowie eine Neuaufnahme der altsteinzeitlichen Funde in Sammlungen und Museen durch den Geologen Julius Andree (1889–1942) von der Universität Münster81. Nach einem Kurzbesuch im August 1940, der wegen schlechten Wetters abgebrochen werden musste, begannen Hülle (Leitung und Ausgrabung), Heinz Küsthardt (1896–1945) (Zeichnungen und Aquarelle) und Walter Modrijan82 (1911–1981) (Vermessung) am 22. September 1940 mit den Arbeiten in der Bretagne. Durch die Deklaration als kriegsnotwendi78 | Hülle 1940, S. 580. 79 | Mitteilungsblatt des ERR, Heft 1/1943, Teil B, Bundesarchiv Berlin, NS 30/5. 80 | Mitteilungsblatt des ERR, Heft 4/1943, Teil B, Bundesarchiv Berlin, NS 30/5; siehe auch Heuss 2000, S. 144f. 81 | Mitteilungsblatt des ERR, Heft 1/1943, Teil B, Bundesarchiv Berlin, NS 30/5. 82 | Der Nachlass von Walter Modrijan, der sich Joannerum in Graz befindet und unter anderem auch Material zu den Arbeiten des ERR in der Bretagne enthält, ist inzwischen aufgearbeitet und publiziert (Modl 2012).

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ge Aufgabe konnten die Archäologen auf unverzichtbare Hilfen zurückgreifen, indem sie „schon vor Beginn der Reise seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft Berlin und der Generaldirektion der Reichsautobahn durch die Ausleihung von Vermessungsinstrumenten und Photoapparaten wertvolle Hilfe fanden und daß im besetzten Gebiet sowohl die Dienststellen der Militärverwaltung, wie auch die Befehlshaber und Offiziere der aktiven Truppen uns jede nur denkbare Unterstützung gewährten. Gleichzeitig konnten wir unsere Anwesenheit dazu benutzen, zahlreiche Offiziere und Mannschaften aller Wehrmachtsteile mit der Vorgeschichte der Bretagne durch Führungen im Gelände und in den Museen bekannt zu machen und auf diese Weise das Interesse für vorgeschichtliche Fragen überhaupt zu wecken.“83 Die Unterstützung des Militärs war nicht nur technischer Art, sondern „die zuständigen Stellen der Wehrmacht und der Militärverwaltung ermöglichten durch ständige weitgehende Mithilfe unsere ungestörte Arbeit und stellten uns die notwendigen Hilfskräfte zur Verfügung.“84 Diese „Hilfskräfte“ waren allerdings keine freiwilligen Wehrmachtssoldaten, wie die Formulierung impliziert, sondern kriegsgefangene Franzosen, die als Messgehilfen und Grabungshelfer eingesetzt wurden, um fünf mehrere Kilometer lange Steinreihen sowie 18 Megalithgräber einzumessen und eine Ausgrabung durchzuführen.85 Die erfolgreiche Durchführung von Hülles Arbeiten beruhte demnach auf der Ausnutzung von Zwangsarbeitern86. Im November 1940 wurde die Arbeitsgruppe mit den Fotografen Heinz Dürr (1893–1976) und die Archäologin Gerta Schneider (1908–1999) ergänzt, die „das gesamte steinzeitliche Material in den Museen von Carnac und Vannes photographiert[en] und zeichnerisch [aufnahmen]. Hierbei erfreuten wir uns besonders der Unterstützung des jetzigen Leiters des Museums in Carnac, M. Jacq-Le Rouzic, und des Präsidenten der Société Polymathique du Morbihan, General Köchlin-Schwartz“,87 die Hülle bereits von der Studienfahrt 1937 kannte. Zacharie Le Rouzic war 1939 im Alter von 74 Jahren verstorben, da ihn als Veteran des Ersten Welt83 | Hülle 1940, S. 581. 84 | Hülle 1942, S. 6. 85 | Hülle 1940, S. 581; Perschke 2014b. 86 | Vgl. dazu den Beitrag von Schachtmann/Widera in diesem Band. 87 | Hülle 1940, S. 581.

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krieges die Nachricht vom Eintritt Frankreichs in den Krieg gegen das Deutsche Reich so erschüttert hatte, dass er sie nicht lange überlebte.88 Die gegenwärtigen Museumsleiter Maurice Jacq (Carnac) und die Société Polymathique du Morbihan (Vannes) konnten gegen die deutschen Arbeiten nichts unternehmen, da ihnen jegliche wissenschaftliche Betätigung durch die deutschen Besatzungsmächte untersagt worden war.89 Auch die Vorgesetzten Hülles besuchten die prestigeträchtigen Arbeiten in der Bretagne. Rosenberg hielt sich im Herbst 1940 drei Tage in Carnac auf, um sich von Hülle die bedeutendsten Megalithdenkmäler und den Fortschritt der Arbeiten zeigen zu lassen, ebenso wie Reinerth und Stampfuß, die im November zum Abschluss einer Reise durch die besetzten Westgebiete Carnac besichtigten.90 Am 3. Dezember 1940 beendete der ERR die Arbeiten in der Bretagne und kehrte ins Reich zurück, um Diavorträge und eine Publikation der Ergebnisse vorzubereiten. Noch eine weitere Institution strebte zeitgleich die Erforschung der bretonischen Megalithik an. Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler interessierte sich für historisches und prähistorisches „Geheimwissen“.91 So ordnete Himmler z.B. an: „Lassen Sie doch einmal nachforschen, wo überall in der nordgermanischen arischen Kulturwelt der Begriff des Blitzstrahles, des Donnerkeils, des Thorhammers oder des fliegenden oder geworfenen Hammers auftritt, weiter, wo bei Skulpturen der Gott mit einem kleinen Faustkeil in der Hand, aus dem Blitze hervorzucken, abgebildet ist. […] Ich habe nämlich die Überzeugung, daß es sich hier nicht um den natürlichen Donner und Blitz handelt, sondern daß es sich hier um ein früheres hoch entwickeltes Kriegswerkzeug unserer Vorfahren, das selbstverständlich im Besitz weniger, nämlich der Asen, der Götter, war und das eine unerhörte Kenntnis der Elektrizität voraussetzte, handelt“.92 In ähnlichem Kontext faszinierte ihn scheinbar der Gedanke, dass hinter den Megalithen eine Art archäoastronomischer Sternenkalender oder neolithischer Code stecken könnte, den die Wissenschaftler

88 | Jacq 1940, S. 14. 89 | Perschke (in Druck. 90 | Hülle 1940, S. 581; Hülle 1942, S. 5–6. 91 | Pringle 2006, passim. 92 | Schreiben von Himmler an Wüst vom 28.05.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/227.

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des Ahnenerbes für ihn erforschen sollten.93 Daher ordnete Himmler zur Erforschung der Megalithgräber und der großen Steinreihen von Carnac ebenfalls direkt im Anschluss an die Besatzung der Bretagne im August 1940 (parallel zu Rosenbergs Auftrag an den ERR) an, dass der führende Archäologe des Ahnenerbes, Herbert Jankuhn (1905–1990),94 umgehend die Erforschung der bretonischen Megalithen in Angriff nehmen sollte.95 Jankuhn, der zu dieser Zeit die Ausgrabung eines norwegischen Urnengräberfeldes leitete, wurde von dem Rückruf nach München überrascht.96 Sogar die Einberufung von Jankuhn zur Waffen-SS wurde auf den folgenden Winter verschoben, weil Himmler den Bretagne-Auftrag derzeit für wichtiger hielt.97 Nachdem Jankuhn seine Angelegenheiten in München und Kiel geregelt hatte, reiste er Anfang Oktober in die Bretagne. Unterwegs erhielt er in Paris präzise Anweisungen für einen zusätzlichen Geheimdienst-Auftrag in der Bretagne. Es handelte sich um einen Bericht über die Stimmung in der Bevölkerung und die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit des nationalsozialistischen Deutschen Reiches mit der nach Unabhängigkeit von Frankreich strebenden bretonischen Bewegung.98 Erst während seines Aufenthaltes in Carnac erfuhr Jankuhn, dass bereits eine Abordnung von Archäologen der Dienststelle Rosenberg unter der Leitung von Hülle vor Ort im Gelände arbeitete. Er machte sich allerdings nicht die Mühe, Hülle aufzusuchen. Stattdessen suchte sein Begleiter Otto Joseph Plassmann (1895–1964), ein Historiker im Ahnenerbe, SS-Hauptsturm93 | Bemerkung Jankuhns: „denn diese Steinsetzungen sind als Schlüsselpunkte für den Nachweis astronomischer Ortung mit ein Kernstück bei der Bearbeitung der ganzen Megalithdenkmäler hier“. Schreiben von Jankuhn an Sievers vom 16.10.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/1684, 2164–2165. 94 | Eine ausführliche Biographie von Herbert Jankuhn unter Berücksichtigung seines Wirkens in der NS-Zeit wurde kürzlich im Rahmen einer Dissertation erarbeitet: Mahsarski 2011. 95 | Aktenvermerk vom 15.08.1940 von Wolfram Sievers, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. 96 | Fernschreiben von Sievers an Jankuhn vom 13.08.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/1684, Bl. 2152. 97 | Aktenvermerk vom 15.08.1940 von Wolfram Sievers, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. 98 | Leube 2007, S. 105f.

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führer und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS in Paris, Hülles Quartier auf, ohne ihn allerdings anzutreffen.99 Jankuhn widmete sich daraufhin hauptsächlich seinem Bretonenbericht und reiste mit Plassmann nach wenigen Wochen wieder ab.100 Am 12. November 1940 erreichte ihn in Paris ein Fernschreiben, wonach Himmler den Auftrag zur Erforschung der Megalithdenkmäler in der Bretagne zurückgezogen habe, „nachdem der Stab des Reichsleiters Rosenberg sich bereits dafür interessiert“.101 Hülle, dem die Anwesenheit Jankuhns in Carnac nicht verborgen geblieben war, hatte sich über Reinerth bei Rosenberg beschwert. Rosenberg, der die Arbeiten des ERR zwischenzeitlich aus eigener Anschauung kennen gelernt hatte, intervenierte auf höchster Ebene direkt bei Himmler und reklamierte das Projekt Carnac für seinen Einsatzstab. Himmler stellte darauf hin sein eigenes Anliegen vorerst zurück. Damit wäre die Angelegenheit für das Ahnenerbe erledigt gewesen, wenn Jankuhn nicht wegen eines ausführlicheren Bretonenberichtes vom Sicherheitsdienst der SS in Paris mit einem zweiten Aufenthalt in der Bretagne beauftragt worden wäre. Während einer Rundreise durch die bretonischen Dörfer kam Jankuhn daraufhin am 21. November 1940 erneut durch Carnac, wo er zufällig Hülle auf der Straße traf.102 Da Jankuhn über seinen Geheimdienstauftrag nicht sprechen konnte, musste Hülle annehmen, dass der Grund für Jankuhns wiederholten Aufenthalt in Carnac noch immer die Aufnahme der Megalithdenkmäler sei. Hülle protestierte erneut über Reinerth bei Rosenberg, und Jankuhn musste sich dem Ahnenerbe der SS gegenüber für die zweite Bretagne-Reise schriftlich rechtfertigen.103 Ein eigenes Megalithprojekt in Carnac stand damit außer Jankuhns Reichweite. 99 | Schreiben von Jankuhn an das Ahnenerbe vom 21.01.1941, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. 100 | Schreiben von Jankuhn an das Ahnenerbe vom 21.01.1941, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. 101 | Fernschreiben von Komanns an Jankuhn vom 11.11.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. 102 | Schreiben von Jankuhn an das Ahnenerbe vom 24.01.1941, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. 103 | Schreiben von Jankuhn an das Ahnenerbe vom 24.01.1941, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321. Aus diesem Bericht stammen viele der oben erwähnten Ein-

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Auch andere Forscherinnen und Forscher aus dem Umfeld der SS hatten sich für die bretonischen Megalithen interessiert. Erika Trautmann (1897–1968), die in den 1930er Jahren als Felsbildzeichnerin für das Ahnenerbe bereits im Val Camonica (Italien), Schweden und dem Vorderen Orient gearbeitet hatte,104 bewarb sich um eine Teilnahme an der Erforschung der Megalithen von Carnac. Sie erhielt vom Ahnenerbe allerdings im August 1940 eine schriftliche Ablehnung, da das Projekt von Jankuhn hätte durchgeführt werden sollen.105 Der Literaturwissenschaftler Hans E. Schneider (1909–1999), Mitglied des Ahnenerbes, wollte an der Reise in die Bretagne ebenfalls teilnehmen, allerdings wurde ihm noch vor Jankuhns Abreise mitgeteilt, dass es sich bei dem Projekt um ein „Schauermärchen“ handele.106 Berndt Götze (Lebensdaten unbekannt), Reisestipendiat des AIDR von 1935–1936, schrieb von sich aus an Gustav Schwantes (1881–1960), Lehrstuhlinhaber in Kiel, dass er als Pionier in der Bretagne stünde und gerne an der Lösung des Megalithproblems in der Bretagne mitarbeiten würde.107 Martin Schede, der stattdessen lieber Sprockhoff mit der Aufgabe betraut hätte, ignorierte Götzes Wunsch jedoch, da „eine Zusammenarbeit mit Götze sehr schwer sein wird – er ist völlig verdreht – , auf jeden Fall bedarf er straffster Zügelung; ferner bin ich der Ansicht, daß diese Aufgabe von der Römisch-Germanischen Kommission und nicht von der Zentraldirektion [des AIDR] durchgeführt werden müsste.“108 Aus dem Wettlauf um die Aufnahme der bretonischen Megalithen ging daher Hülle mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg vorerst

zelheiten, da Jankuhn seinen Vorgesetzten die Vorgänge in Carnac detailreich schilderte. 104 | Pringle 2006, S. 99–120. 105 | Schreiben Sievers an Trautmann vom 26.08.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/615, B/41/f5. 106 | Fernschreiben von Schneider an Komanns vom 18.09.1940; Antwortschreiben von Komanns an Schneider vom 21.09.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/615. 107 | Schreiben Weber an Schede vom 27.08.1940, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02. 108 | Schreiben von Schede an Sprockhoff vom 30.08.1940, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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siegreich hervor, der damit auch die primäre Deutungshoheit über die Befunde erlangte.

E in verbindlicher A rbeitspl an für die A rchäologen Da die konkurrierenden archäologischen Institutionen sich weiterhin um Projekte in den besetzten Westgebieten stritten, griff im Frühjahr 1941 Reichsminister Bernhard Rust ein und erstellte einen Arbeitsplan, der jeder Institution Arbeitsbereiche zuwies (Abb. 6). Obwohl der Arbeitsplan die Erforschung der Megalith-Denkmäler der Bretagne, insbesondere von Carnac, sowie eine Ausgrabung an dem Langgrab von Kerlescan (Carnac) ausschließlich dem Stab Rosenberg unter der Leitung Hülles zuwies, hatten Sprockhoff und Jankuhn das Projekt noch nicht aufgegeben. Da Jankuhn keinen direkten Weg mehr zur Erforschung der Megalithen von Carnac sah, plante er in Zusammenarbeit mit dem Ahnenerbe der SS und der Deutschen Gesellschaft für Keltische Studien (DGKS) eine Studienfahrt in die Bretagne, an der Professoren unterschiedlicher Forschungsrichtungen beteiligt werden sollten.109 Für das Ahnenerbe notierte Sievers die Erwartungen und Zielsetzungen für diese Fahrt: „1. Wir begrüßen es, wenn das keltische Institut seinerseits unabhängig vom Reichsbund bezw. Reinerth vorgeschichtliche Forschungen aufgreift. 2. Wir sind bereit, jederzeit Anregungen für die Durchführung und Beratung laufend zu geben. Die Tätigkeit von Dr. Hülle betraf nur ein begrenztes Gebiet. Ausführliche Vorschläge kann SS-Sturmbannführer Prof. Dr. Jankuhn auf Grund seiner Arbeiten machen. 3. Wir sind gegebenenfalls auch zur finanziellen Unterstützung dieser Arbeiten bereit.“110 Die Planung der Reise sah vor, unter anderem die Megalithen von Carnac und Umgebung sowie die Megalithen von Penmarc´h zu besuchen und vor Ort die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Zusätzlich waren wiederum politische und geheimdienstliche Aufgaben mit der Reise verbunden. Durch unterschiedliche Probleme (Devisenbeschaffung, verbindlicher Reisezeitraum, Finanzierung, Organisation von Visa und Le-

109 | Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b (Unterlagen zur geplanten Studienreise). 110 | Vermerk vom 10.2.1942 von Sievers über ein Telefonat mit Tevenar am 5.2.1942, Bundesarchiv Berlin, NS 21/321.

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bensmittelkarten etc.)111 wurde die Reise allerdings mehrfach verschoben und aufgrund des Kriegsverlaufs im Jahr 1943 schließlich aufgegeben. Jankuhns nächster Plan sah vor, die Aufnahme der Megalithen von Penmarc´h (Finistère) als Dissertation zu vergeben, um so einen Fuß in die Bretagne zu bekommen. Als Doktorand wählte er Klaus Raddatz aus, der zu dieser Zeit als Oberleutnant der Wehrmacht im Osten stationiert war. Im Juni 1942 bot Jankuhn ihm an, in seinen Fronturlauben mit der Aufnahme der bretonischen Megalithen zu beginnen, wobei die Arbeiten in Penmarc´h anfangen und später auf die ganze Bretagne (also auch das von Hülle in Anspruch genommene Gebiet) erweitert werden sollten.112 Das Ahnenerbe versuchte, Raddatz für diese Aufgabe von der Wehrmacht beurlauben zu lassen, was allerdings vom leitenden Offizier seiner Einheit abgelehnt wurde.113 Raddatz schrieb darauf hin enttäuscht an Jankuhn: „Obgleich mir durch die Ablehnung des Urlaubsgesuches die Möglichkeit genommen ist, mir einen annähernden Überblick über die zu erwartende Arbeit zu verschaffen, möchte ich trotzdem vorerst an meinem Plan, zur Dissertation die Aufnahme der Megalithgräber in einem Teil der Bretagne zu wählen, festhalten, falls sich nicht noch weitere Schwierigkeiten ergeben.“114 Auch hier war Jankuhn mit seinen Plänen in der Bretagne gescheitert, da der Kriegsverlauf Raddatz Vorhaben vereitelte. Sprockhoff war derweil weiterhin von der Wehrmacht in Norwegen gebunden. Zum Arbeitsplan von Reichminister Rust bemerkte er nur, dass man das Unternehmen Hülles abwarten müsse. Da Hülle sich ausdrücklich auf Carnac beschränke, sei womöglich die Gelegenheit gegeben, dass sich die RGK oder das AIDR später noch einmal mit einer Untersuchung der bretonischen Megalithen beschäftigen könnten.115 Immerhin gelang 111 | Rundschreiben von Wolff vom 30.06.1942, Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b, Bl. 249–252. 112 | Schreiben von Jankuhn an Raddatz vom 25.06.1942, Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b, Bl. 291–292. 113 | Schreiben Wolff an Führer der Einheit vom 13.07.1942, Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b, Bl. 227; Schreiben Liebsch an Chef des Amtes „Ahnenerbe“ vom 28.07.1942, Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b, Bl. 199. 114 | Schreiben Raddatz an das Ahnenerbe vom 29.7.1942, Bundesarchiv Berlin, NS 21/320b, Bl. 197. 115 | Schreiben Sprockhoff an Schede vom 05.08.1941, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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es dem AIDR, Luftaufnahmen des Reichsluftfahrtministeriums von der Region Carnac zur Verfügung gestellt zu bekommen, so dass hier eine Auswertung der Megalithen zumindest anhand der Luftbilder möglich schien.116 Unterlagen hierzu sind jedoch nicht überliefert. Hülle war im Sommer 1941 zum Wehrdienst eingezogen worden und musste seine Planungen für Carnac auf den Herbst verschieben.117 Statt seiner beauftragte Hans Reinerth den Vorsitzenden des Kreisrings Bremen Friedrich Walburg, bereits mit den Arbeiten in der Bretagne zu beginnen. Zusammen mit Maurice Jacq vom Museum in Carnac führte Walburg von Ende Juli bis zum 1. Oktober 1941 eine Ausgrabung an dem Langhügel von Kerlescan durch,118 den er trotz fehlender Knochenerhaltung und nur minimaler Kleinfundzahlen als „Sippenfriedhof“ interpretierte.119 Für die Grabung wurden in diesem Jahr keine Kriegsgefangenen, sondern fünf Arbeiter und einige Schüler (es waren Sommerferien in Frankreich) eingesetzt.120 Die Funde wurden zur Auf bewahrung dem Museum von Carnac übergeben, wo sie sich bis heute befinden. Im September 1941 besuchte der Hamburger Lehrstuhlinhaber Walther Matthes (1901-1997) die Grabung. In der Umgebung von Carnac nahm er für seine „Sinnbild“-Forschung die Gravuren von Wand- und Deckensteinen in den Megalithgräbern der Region auf, um eine Verwandtschaft bzw. Abhängigkeit von nordischen Felsbildern zu postulieren (das Projekt, das eigentlich Erika Trautmann für das Ahnenerbe hätte durchführen wollen).121

116 | Schreiben Weber an Sprockhoff vom 01.07.1942, Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02. 117 | Perschke 2014a. 118 | Ströbel 1941, S. 599. 119 | Germanen-Erbe 1941b, S. 156f. 120 | Perschke 2014b. 121 | Matthes 1942.

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Abb. 6a–d: Arbeitsplan Reichsminister Rust von 1941 Abb. 6a

Quelle: Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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Abb. 6a–d: Arbeitsplan Reichsminister Rust von 1941 Abb. 6b

Quelle: Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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Abb. 6a–d: Arbeitsplan Reichsminister Rust von 1941 Abb. 6c

Quelle: Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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Abb. 6a–d: Arbeitsplan Reichsminister Rust von 1941 Abb. 6d

Quelle: Archiv des DAI Berlin, Alt-Registratur, Bestand 41-02.

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Im Jahr 1942 erschien dann die Monographie von Hülle „Die Steine von Carnac“, in der er die bisherigen Ergebnisse des ERR zusammenfasste. Im Juni 1942 reiste er mit Reichsminister Speer und leitenden Bauingenieuren der Bau-Organisation Todt in die Bretagne, wobei Hülle auf die Bedeutung der prähistorischen Denkmäler aufmerksam machte.122 Dies nutzte den Megalithdenkmälern wenig: Beim verstärkten Ausbau des Atlantikwalls ab dem Herbst 1942 durch die Organisation Todt wurden mehrere Megalithgräber in der Umgebung von Carnac durch Schützengräben oder für die Gewinnung von Steinsplitt zum Betonbunkerbau zerstört (Abb. 7).123 Abb. 7: Im Vordergrund die Reste des Ganggrabes von Kerhillio (Erdeven, Morbihan), das 1942 durch deutsche Schützengräben und den Bau des Bunkers zerstört wurde.

Foto: Perschke 2012

Meterhohe Menhire wurden gesprengt, um feindlichen Fliegern keine Landmarken zu bieten.124 In den neolithischen Cairn Petit-Mont (Arzon) 122 | Bericht über die Arbeit des Sonderstabes Vor- und Frühgeschichte im Jahre 1942. Mitteilungsblatt – Nachrichten des Einsatzstabes, 1943/Teil B, Heft 4, Bl. 6. Bundesarchiv Berlin, NS 30/5. 123 | Perschke 2013b, S. 54–55. 124 | Perschke 2013a, S. 79–87.

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mit drei Ganggräbern und mehreren gravierten Wandsteinen wurde ein Betonbunker direkt eingetieft, wodurch zwei der Ganggräber undokumentiert zerstört wurden (Abb. 8).125 Abb. 8: Der Bunker im Tumulus: der Steincairn Petit-Mont (Arzon) beinhaltete drei Ganggräber, von denen eines beim Eintiefen des deutschen Betonbunkers vollständig und zwei weitere Ganggräber partiell zerstört wurden.

Foto: Perschke 2010

Das Referat Archäologie und Vorgeschichte beim Kunstschutz der Wehrmacht in Paris war zu diesem Zeitpunkt aus Personalmangel ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt. Daher konnte nur ein einziges von der Zerstörung bedrohtes Megalithdenkmal vom Kunstschutz gerettet werden.126 Jacq beobachtete im Sommer 1943, wie am Rand des Tumulus Saint-Michel in Carnac ein Betonbunker in einen flacheren, noch vollständig undokumentierten Langhügel eingetieft werden sollte. Er insistierte umgehend beim Kunstschutz, doch der zuständige Kriegsverwaltungsrat Hans Möbius (1895–1977) konnte aufgrund einer Fußverletzung nicht in die Bretagne fahren. Er beauftragte die zufällig durch Paris reisende promovierte Archäologin Thea Elisabeth Haevernick (1899–1982), die während des Krieges als Krankenschwester diente, nach Carnac zu fahren, die Lage zu sondieren und den Bunkerbau notfalls zu unterbin125 | Lecornec 1994, S. 29–35. 126 | Ich verdanke Uta Halle den Hinweis auf diese Geschichte und die Archivunterlagen in Marburg. Genauere Zitate finden sich in Legendre/Halle 2013, S. 160, und Halle 2013b, S. 169–215.

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den.127 Haevernick berichtete von der Reise, dass sie sie sehr genossen habe. Jacq habe ihr erst im Museum von Carnac einige eisenzeitliche Glasarmringe für ihr Dissertationsthema gezeigt, dann hätten sich beide auf die Bunker-Baustelle begeben, wo aus den Bodenschnitten bereits Kleinfunde ans Licht kamen. Haevernick habe darauf hin die Soldaten angewiesen, den Bunkerbau sofort zu stoppen. Sie amüsierte sich in einem Brief an ihren Doktorvater Gero von Merhardt über die Gesichter der Soldaten, die es sicher überraschte, von einer Krankenschwester Befehle entgegen nehmen zu müssen.128 Der Bunkerbau unterblieb tatsächlich an dieser Stelle, so dass der flache Langhügel noch heute existiert und eines Tages wissenschaftlich untersucht werden kann. Diese Rettung eines Monumentes durch den Kunstschutz stellt jedoch eine Ausnahme unter den vielen Zerstörungen dar, die zeitgleich an anderen Megalithen der Region durchgeführt wurden.129 Im Jahr 1942 konnten Hülle, Walburg, Modrijan, Schneider und Dürr trotz der zunehmenden Luftangriffe der Alliierten auf die U-Boot-Stützpunkte in Lorient und Saint-Nazaire westlich und östlich von Carnac die Ausgrabung in Kerlescan für den ERR fortführen. Für zwei Wochen nahm auch Reinerth an den Arbeiten teil.130 Jacq war für die deutschen Archäologen zu einem vertrauten Partner geworden, der auf der Grabung eigene Flächen betreuen konnte, allerdings auch die Arbeiter veranlasste, herausragende Funde zu unterschlagen.131 Matthes reiste mit einem Präparator an, um Gravuren von Wandsteinen abzuformen.132 127 | Halle 2013b, S. 198–200. 128 | Halle 2013b, S. 199–200; Gero von Merhart Nachlass des Vorgeschichtlichen Seminars Marburg, Akten Schülerkorrespondenz Brief Haevernick / Gero von Merhart, 17.10.1943. 129 | Perschke 2013a; dies. 2014b. 130 | Bericht über die Arbeit des Sonderstabes Vor- und Frühgeschichte im Jahre 1942. Mitteilungsblatt – Nachrichten des Einsatzstabes, 1943/Teil B, Heft 4, S. 6. Bundesarchiv Berlin, NS 30/5. 131 | Bericht: „Fouilles du tertre tumulaire de Kerlescan, Cm. de Carnac“, 1941/1942, von Jacq an die Commission des Monuments Mégalithiques (Archiv des Musée Préhistorique James Miln – Zacharie Le Rouzic in Carnac, Bestand Kerlescan). 132 | Bericht über die Arbeit des Sonderstabes Vor- und Frühgeschichte im Jahre 1942. Mitteilungsblatt – Nachrichten des Einsatzstabes, 1943/Teil B, Heft 4, S.

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Nachdem in den ersten Wochen des Jahres 1943 die Städte Lorient und Saint-Nazaire fast vollständig durch alliierte Luftangriffe zerstört und die überlebende zivile Bevölkerung evakuiert wurde, erklärte das Oberkommando der Wehrmacht die bretonische Küste zum Sperrgebiet. Weitere Ausgrabungen oder Vermessungen waren damit ebenso unmöglich geworden wie die Durchführung der Studienreise von Ahnenerbe und DGKS. Die archäologischen Arbeiten sowie der Kunst- und Kulturgutraub durch den ERR verlagerten sich damit in die besetzten Ostgebiete.133

F a zit : D as G eheimnis des E rfolges Abgesehen von der Konkurrenz von Jankuhn, Hülle und Sprockhoff sowie ihrer Institutionen gab es handfeste Gründe, die zum Erfolg bzw. Misserfolg ihrer Unternehmungen führten. Die Finanzierungsfrage der Forschungen war dabei nicht die entscheidende, da alle Beteiligten nicht nur an archäologischen Einrichtungen fest angestellt waren, sondern für das Prestigeprojekt Carnac auch finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden hätten, wie es für andere Projekte z.B. des Ahnenerbes und der RGK ebenfalls der Fall war. Eingedenk dessen, dass die erwähnten Archäologen und ihre Institutionen darauf hinarbeiteten, in einem militärisch besetzten Landstrich und angesichts entrechteter einheimischer Fachkollegen archäologische Forschungen mit dem Recht des Eroberers durchzuführen, lassen sich vielmehr folgende entscheidende Punkte feststellen: Trotz ihrer Einbindung in einflussreiche politische und wissenschaftliche Institutionen war die Wehrpflicht für die betroffenen Wissenschaftler unumgänglich. Sprockhoff und Raddatz wären fachlich zweifellos in der Lage gewesen, eine fundierte Aufnahme der bretonischen Megalithen durchzuführen. Sie wurden jedoch dafür nicht von ihren jeweiligen Vorgesetzten vom Kriegsdienst freigestellt. Walburg galt als kriegsuntauglich und war daher vom Wehrdienst entbunden. Er war aber in den Bremer Schuldienst fest integriert, so dass er über jede Dienstbefreiung für die Ausgrabungen in der Bretagne und die jeweiligen Verlängerungen mit dem Bremer Senat verhandeln musste. 7. Bundesarchiv Berlin, NS 30/5. 133 | Schöbel 2009, S. 277–280; Mahsarski/Schöbel 2013, S. 140–146.

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Eine Befreiung während des Schuljahres schloss der Bremer Senat wegen des akuten Lehrermangels wiederholt aus.134 Das eigentliche Ringen um die bretonischen Megalithen spielte sich somit zwischen Jankuhn und Hülle ab. Jankuhn war im Sommer 1940 mit mehreren, sich teilweise zeitlich überschneidenden Projekten in Deutschland und Norwegen beschäftigt, so dass der Bretagne-Auftrag für ihn überraschend kam. Hülle dagegen war im Sommer 1940 frei verfügbar und konnte sich auf den Bretagne-Aufenthalt viel konzentrierter vorbereiten. Jankuhn verfügte nur über mangelhafte französische Sprachkenntnisse135, besaß kaum spezifische Fachkenntnisse (z.B. bezeichnete er die unter Megalithikern berühmten Steinreihen von Ménec als „Melec“)136 und konnte kein Netzwerk vor Ort nutzen. Hülle besaß ebenso gute Französischkenntnisse wie sein Stellvertreter Walburg, der neben anderen Fächern Studienrat für Französisch war. Zusätzlich hatte Hülle sich bereits einen hervorragenden Überblick über die französische Fachliteratur verschaffen können. Bei seinem Treffen mit Le Rouzic hatte sich Hülle während der Studienreise 1937 durch sein höfliches Vorgehen in Carnac und Vannes sowie seine anschließenden Dankesschreiben eine gewisse Bekanntheit, wenn nicht sogar ein fachliches Netzwerk geschaffen, auf das er nun kurzfristig zurückgreifen konnte. Nicht zu vergessen ist dabei die kurze Vorbereitungsfahrt im August 1940, während der er sich der Hilfe der deutschen Ortskommandantur und der zumindest nominellen Unterstützung des Museumskurators von Carnac versichern konnte. Durch die Einstufung als kriegsnotwendige Unternehmung konnte er auf die materielle, finanzielle und organisatorische Unterstützung mehrerer Institutionen und der Wehrmacht sowie den Einsatz von Kriegsgefangenen zurückgreifen. Insofern fußt der Erfolg Hülles in Carnac auf einer langjährigen Vorbereitung, die spätestens seit der Studienfahrt 1937 eine genaue Fragestellung sowie persönliche Kenntnis der Personen und Verhältnisse vor Ort einschloss. Während seine Projektplanung fertig vorlag, als die Bretagne besetzt und damit für deutsche Forschungen zugänglich wurde, musste 134 | Personalakte Friedrich Walburg, Staatsarchiv Bremen, Signatur 4.111 Pers.– 5834. 135 | Leube 2007, S. 105; Mahsarski 2011, S. 276. 136 | Schreiben von Jankuhn an Sievers vom 16.10.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/1684, Bl. 2164–2165; siehe auch Leube 2007, S. 103.

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das Ahnenerbe der SS seine genaue Fragestellung erst noch formulieren. Hülle schreibt selbst über die Franken- und Megalithforschung in Nordfrankreich: „Für die praktische Durchführung dieser beiden Forschungsaufgaben ergab sich ein günstiges zeitliches Zusammentreffen unserer Planung mit dem auf Anordnung von Reichsleiter Rosenberg gebildeten Einsatzstab für die westlichen besetzten Gebiete, der außer seinen speziellen Aufgaben auch die verwaltungsmäßige Betreuung der vom Reichsamt für Vorgeschichte der NSDAP eingesetzten beiden vorgeschichtlichen Arbeitsgruppen übernahm. […] Seit der im Juli 1937 veranstalteten Studienreise des Reichsbundes stand fest, daß für eine solche Aufgabe die in der weiteren Umgebung der Hauptstadt des Departements Morbihan, Vannes, insbesondere bei dem Ort Carnac liegenden Altertümer in erster Linie in Frage kamen.“137 Die kurzfristig arrangierte Bretagne-Reise von Jankuhn im Herbst 1940 sollte dagegen nur einer ersten Orientierung dienen: „Es wird deshalb zunächst ein geeigneter Wissenschaftler, der gleichzeitig als SS-Führer dem Persönlichen Stab des Reichsführers-SS angehört, in die Bretagne reisen, um eingehende Vorschläge für die Durchführung der Aufgabe, sobald die Umstände günstiger geworden sind, zu machen.“138 Die ausführliche Vorbereitung Hülles sowie die politische Einstufung des ERR als kriegswichtige Aufgabe sowie die persönliche Unterstützung seiner Vorgesetzten Reinerth und Rosenberg begründeten den Erfolg seines Carnac-Projekts in den Jahren 1940–1942.

N ach dem K rieg In den Nachkriegsjahren war deutschen Archäologen der Weg zu den bretonischen Megalithen versperrt. Jankuhn wandte sich in Fortsetzung seiner Arbeiten in Haithabu endgültig der Frühgeschichte zu. Raddatz promovierte zwar in Kiel, allerdings über ein frühgeschichtliches Thema aus dem Zugriffsbereich von Jankuhn. Erst auf seiner späteren Professur in Niedersachsen wandte er sich wieder der Megalithik zu und publizierte

137 | Hülle 1940, S. 580. 138 | Schreiben Sievers an Trautmann vom 26.08.1940, Bundesarchiv Berlin, NS 21/615, B/41/f5.

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Aufsätze zu den Großsteingräbern Niedersachsens.139 Walburg kehrte in den Bremer Schuldienst zurück und erwarb sich Meriten beim Wiederauf bau seines Gymnasiums und der deutsch-französischen Völkerverständigung.140 Abgesehen von seinem Engagement bei der Gründung der Bremer Gesellschaft für Vorgeschichte e.V. im Jahr 1955 gelang es ihm als ehemaligem Reichsbund-Mitglied nicht, noch einmal in der Archäologie Fuß zu fassen. Auch Hülle war aufgrund seiner Mitarbeit in den Organisationen von Reinerth für die Nachkriegsarchäologie nicht tragbar. Er erhielt keine archäologische Stelle mehr. Seine Monographie über die „Steine von Carnac“ (1942) wurde allerdings mit teilweise geändertem Text unter dem Titel „Die Steindenkmale der Bretagne“ zwischen 1967 und 1989 in mehreren Auflagen nachgedruckt und galt lange als beste Zusammenfassung der bretonischen Megalithik in deutscher Sprache, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es keine andere gab. Sprockhoff wurde 1947 Professor für Vor- und Frühgeschichte an der Universität Kiel. Über die folgenden Jahrzehnte führte er eine fundierte Aufnahme der über 900 norddeutschen Megalithdenkmäler durch. Die so genannten „Sprockhoff-Nummern“ in seinem mehrbändigen „Atlas der Megalithgräber“ (1966–1975)141 kennzeichnen die deutschen Großsteingräber bis heute. Auch wenn die Beschreibung der norddeutschen Großsteingräber im „Atlas“ unpolitisch verfasst wurde, äußerte Sprockhoff trotzdem noch Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus: „Die verwitterten Steingräber mit ihrer Kultur bleiben das erste geschichtliche Wunder in unserem Land. Mit ihm beginnt die große geschichtliche Ahnenreihe der Germanen, denn später wurde das Land auch nicht einen Augenblick mehr wüst und leer. Nicht für einen Augenblick wurde der Blutstrom unterbrochen. So wird, das hoffen wir, jenes stille Staunen, das zu jeder Ehrfurcht und Heimatliebe gehört, auch den heutigen wie zukünftigen Bewohnern im Winkel zwischen Weser und Elbe durch die ehrwürdigen Denkmale immer wieder zu einem tiefen historischen Erlebnis werden“.142 Die von Sprockhoff eingeführten Standards zur Zeichnung von Megalithgräbern sowie seine deutsche Nomenklatur sind noch 139 | Siehe z.B. Raddatz 1980, S. 61–65. 140 | Perschke 2014a. 141 | Sprockhoff 1966–1975. 142 | Sprockhoff 1957, S. 13; Fuhrmeister 2012.

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immer unhinterfragte Standards der Prähistorischen Archäologie in universitärer Lehre und Forschung.

A bkürzungsverzeichnis AIDR Archäologisches Institut des Deutschen Reiches DAI Deutsches Archäologisches Institut DGKS Deutsche Gesellschaft für Keltische Studien ERR Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei RGK Römisch-Germanische Kommission SS Schutzstaffel

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Millionen für's Millenium Finanzierung und Ausstattung der Forschungen zu den Anfängen des polnischen Staates 1949–1953 Karin Reichenbach

Zusammenfassung Die Forschungen zu den Anfängen des polnischen Staates stellten ein groß angelegtes Forschungsprogramm im nachkriegszeitlichen Polen dar, welches das tausendjährige Jubiläum der Ersterwähnung des Piastenfürsten Mieszko wissenschaftlich vorbereiten sollte. Bereits 1946 von archäologischer Seite öffentlich angeregt, wurde das Vorhaben 1949 in Form einer speziellen Arbeitsgruppe in der Denkmalschutzabteilung des Ministeriums für Kunst und Kultur institutionalisiert. Diese sog. Milleniumsforschungen umfassten neben großflächigen und mehrjährigen Grabungsprojekten eine gesamtpolnische Burgwallinventarisation sowie historische und naturwissenschaftliche Auswertungen zur Frühzeit Polens. Die dafür zur Verfügung gestellten Mittel waren so umfangreich, dass es sogar hieß, sie hätten der Archäologie in unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung gestanden. Im Beitrag werden die Entstehung, Finanzierung und organisatorische Struktur des Forschungsprogramms vorgestellt und in den gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen für die inhaltliche und strukturelle Entwicklung der Archäologie in Polen nach 1945 verortet. Abschließend wird ein Vergleich mit der ostdeutschen Burgwall-AG der Zwischenkriegszeit gewagt.

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Summar y Planned as a large scale project the research program on the Beginnings of the Polish State was supposed to prepare the millennium of Piast ruler Mieszko’s first appearance in written records. After being proposed publicly by an archaeologist in 1945, the research project became institutionalised as a special working group within the heritage conservation department of the Polish Ministry of Arts and Culture four years later. The so-called Millennium research included apart from large and multi-year excavation campaigns the inventory of all Polish hillforts and strongholds as well as historical and natural scientific analyses of early medieval Poland. For these works huge amounts of state funding were provided, sometimes even believed to have been “unlimited”. This article presents the formation, funding details and organisational structure of the research program and places them within the setting of postwar polish society and politics as the conditions for the development of the archaeological discipline. In addition a comparison of the Millennium program and the eastern-german Hillfort Working Group (Burgwall-AG) of the interwar period is ventured.

E inleitung Im ersten Jahrzehnt nach 1945 bildeten in Polen die Planung und Durchführung eines groß angelegten Forschungsprogramms zu den Anfängen des polnischen Staates den wichtigsten Rahmen für Ausgrabungen und Inventarisierung von frühmittelalterlichen Burgwällen. Anlass für diese Untersuchungen bot das tausendjährige Jubiläum des Eintritts Polens in die Geschichte, weshalb sie umgangssprachlich auch als „Milleniumsforschungen“ bezeichnet wurden. Das in ganz Polen in den 1960er Jahren gefeierte Millenium bezog sich auf die ersten schriftlichen Erwähnungen des Piastenfürsten Mieszko I., besonders zum Jahr 963 als Anführer eines slawischen Verbandes und im Zusammenhang mit seiner Taufe 966. Mit diesen Ereignissen waren die politischen Verhältnisse im frühmittelalterlichen Polen in das Licht schriftlicher Überlieferung gerückt, und sie galten somit als Anfangspunkte der Geschichte des polnischen Staates.

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Ein umfangreiches Forschungsprogramm zur Vorbereitung dieses Jubiläums wurde bereits 1946 von archäologischer Seite öffentlich angeregt1 und 1949 im Ministerium für Kultur und Kunst installiert. Es umfasste in den frühen 1950er Jahren neben großflächigen, mehrjährigen Grabungsprojekten auch historische und naturwissenschaftliche Auswertungen zur Frühzeit Polens. Mit Wirkung vom Januar 1954 wurden diese Arbeiten dann in das im Vorjahr gegründete Institut für die Geschichte der materiellen Kultur an der Polnischen Akademie der Wissenschaften übernommen. Sie erfuhren damit eine konzeptionelle Erweiterung und können in der Folge nicht mehr als explizit auf das Jubiläum ausgerichtete Forschungen gelten, wenn auch viele der begonnenen Arbeiten fortgeführt wurden und erst in den 1960er Jahren ihren tatsächlichen Abschluss in Form von Synthesen, Ausstellungen und Publikationen fanden. Die umfangreichen Mittel, die den Milleniumsforschungen von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt wurden, machen sie zu einem besonders exzeptionellen Beispiel archäologischer Forschungsförderung. Der Beitrag beschreibt Entstehung, Finanzierung und Struktur des Forschungsprogramms vor dem Hintergrund der gesellschaftlich-politischen Gesamtsituation im nachkriegszeitlichen Polen und der Entwicklungsbedingungen für die polnische Archäologie nach 1945.

E ntstehungsgeschichte der M illeniumsforschungen Die Vorarbeiten zu diesem großen Forschungsprogramm zu den Anfängen polnischer Staatlichkeit setzten bereits unmittelbar nach Ende des Krieges ein. Zunächst war durch die Gründung eines Instituts für die Erforschung der slawischen Altertümer (Instytut Badań Starożytności Słowiańskich) an der Universität Posen am 4. September 1945 die Wiederaufnahme der Grabungen in Biskupin, der wohl berühmtesten polnischen Siedlungsgrabung, gesichert. Weitere Grabungen in den Jahren 1946–48, u.a. in Posen und Gnesen, die als wichtige Zentren für die frühmittelalterliche Herrschaftsbildung der Piasten gelten, brachten die gleichzeitig in der Mediävistik diskutierte Frage nach den Anfängen der Piastenherrschaft auch in die archäologische Forschungsdiskussion. 1 | Hensel 1946a.

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Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten, die durch die Posener Archäologie um Józef Kostrzewski (1885–1969) verwirklicht wurden, entstand dort die Idee, die anstehenden Milleniumsfeiern wissenschaftlich-archäologisch vorzubereiten.2 Sie wurde dann von Witold Hensel (1917–2008), einem Schüler Kostrzewskis, 1946 in einem programmatischen Aufsatz publik gemacht. Er schrieb darin: „Ein Zeitraum von ca. 20 Jahren trennt uns von selbigem Jubiläum, das ist scheinbar noch lang, aber in Wirklichkeit erscheint er zu kurz für die Durchführung auch nur eines Teils der hier überlegten Arbeiten, die eine große Bedeutung für Wissenschaft und Propaganda besitzen“.3 Hensel schlug in diesem Text außerdem vor, die Koordinierung derartiger Forschungen solle von Posen aus erfolgen, da hier mit dem erwähnten Institut für die Erforschung slawischer Altertümer bereits eine entsprechende Stelle zur Verfügung stünde. Er nannte weiterhin zwei Gründe dafür, warum die Universität Posen für die Koordinierung und Organisation des Vorhabens zuständig sein sollte. Zum einen arbeite hier bereits eine ganze Reihe von Vertretern verschiedenster Disziplinen an solchen Fragestellungen, und zum Anderen habe Posen das historische Recht dazu, befänden sich doch hier das Fundament für die Errichtung der polnischen Staatlichkeit und der Sitz des ersten polnischen Bistums.4 Der Standort Posen war gleichzeitig auch das langjährige Zentrum der polnischen Westforschung mit dem 1944 gegründeten West-Institut als Kerninstitution.5 Die polnische Westforschung bzw. Forschungen im 2 | Kiersnowski 2000, S. 62. 3 | Hensel 1946a, S. 205: „Okres ca 20 lat, dziel ą cy nas od samego jubileuszu, pozornie jest tylko długi, w rzeczywistości okaże si ę za krótki dla przeprowadzenia cho ć by cz ęś ci z pomy ś lanych tu prac, posiadaj ą cych doniosłe wielkie znaczenie naukowe i propagandowe“. Interessanterweise lautet der letzte Halbsatz in einem Nachdruck gleichen Jahres gegenüber dem Original lediglich „[…] doniosłe wielkie znaczenie naukowe“, d.h. „die eine große Bedeutung für die Wissenschaft besitzen“ (Hensel 1946b). 4 | Ebd.: „W Poznaniu bowiem nad tymi zagadnieniami pracuje cały szereg przedstawicieli rozmaitych dyscyplin. Poznań też ma historyczne do dzieła tego prawa. Tutaj bowiem kładziono podwaliny pod gmach naszej państwowości. Tu byl najprawdopodobniej główny jej ośrodek dyspozycyjny, a na pewno siedziba pierwszego biskupstwa polskiego.“ 5 | Brier 2003, S. 17–43.

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Sinne des „polnischen Westgedankens“ können als Pendant oder Antwort zur deutschen Ostforschung gedacht werden. Sie entfalteten ihre größte Wirkung jedoch erst nach 1944 mit polnozentrisch-wissenschaftlichen Untersuchungen zur Geschichte im deutsch-polnischen Grenzgebiet unter Hervorhebung der polnischen Geschichtsfaktoren und zur Legitimation polnischer Ansprüche auf die umstrittenen Gebiete.6 Dafür, dass sich die Idee zu den Milleniumsforschungen aus dem „polnischen Westgedanken“ speiste und zum Teil auch im Austausch mit der institutionalisierten Westforschung realisiert wurde, spricht die institutionelle Vernetzung der Beteiligten. Die Protagonisten des Posener Archäologischen Zentrums und Ideengeber für die Milleniumsforschungen, Józef Kostrzewski, Witold Hensel, aber auch Zdzisław Rajewski (1907–1974), waren Mitglieder des West-Instituts und gerade Kostrzewski lieferte inhaltliche Grundlagen für zentrale Westforschungs-Denkmuster.7 Im Gegenzug wurden führende Wissenschaftler der Westforschung wiederum in die Erstellung eines Programms für die auf das Jubiläum ausgerichteten archäologischen Untersuchungen einbezogen.8 Ferner zeigen die Nutzung des Przegląd Zachodni, der Fachzeitschrift des West-Instituts, als Kommunikationsplattform für die ersten Berichte der Milleniumsforschungen sowie nicht zuletzt die Forcierung von Burgwallgrabungen in den ehemals deutschen Gebieten9 eine deutliche Verbindung zu Inhalten und Infrastrukturen der polnischen Westforschung. Dieser geschichtspolitische Aspekt lässt sich für die frühen Planungen der Milleniumsforschungen deutlich herausarbeiten und stellt einen der Gründe dar, weshalb dem Unternehmen von staatlicher Seite so viel Engagement und finanzielle Unterstützung entgegengebracht wurden. So soll die Regierung zu großzügiger finanzieller Unterstützung des Vorhabens u.a. gerade mit dem Argument überzeugt worden sein, dass durch

6 | Zu Westforschung und polnischem Westgedanken Jaworski 1993; Piskorski 1996; Brier 2003; Hackmann 2011. Zu Posener Archäologie und Westforschung aus archäologischer Sicht Kaczmarek 1996, S. 258f. und Kwilecki/Tomaszewski 1980, S. 155–158. 7 | Brier 2003, S. 13f. u. 49; Hackmann 2001, S. 232; ders. 2004, S. 191f.; ders. 2011, S. 111; Stobiecki 2006, S. 134f. 8 | Gieysztor 1948, S. 406. 9 | Hensel 1946a, S. 10; Gieysztor 1948, S. 404; Abramowicz 1991, S. 155f.

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die zu erwartenden Ergebnisse die Anwesenheit der Slawen in den „wiedergewonnenen“ Westgebieten nachgewiesen werden könne.10 Auf einem von der Generaldirektion für Museen und Denkmalpflege einberufenen Treffen in Gnesen im November 1947, welches eigentlich der Bestandsaufnahme der archäologischen Arbeiten in Biskupin und Gnesen gewidmet war, wurde die Milleniums-Idee aufgegriffen und der amtierende Generaldirektor, Stanisław Lorentz (1899–1991), sorgte dafür, dass daraus ein konkretes Forschungsprogramm entwickelt wurde. Mit dieser Aufgabe wandte er sich an den jungen Historiker Aleksander Gieysztor (1916–1999), der ein entsprechendes Programm, allerdings aus einer klar mediävistisch-geschichtswissenschaftlichen Perspektive, erarbeitete und auf einer weiteren Konferenz im März 1948 in Warschau vorstellte.11 Zu diesem Treffen waren Repräsentanten aller archäologischen Institute und Museen sowie namhafte Historiker und eben auch Vertreter des West-Instituts geladen. Die anschließende protokollarisch überlieferte Diskussion zeigt eine weitgehende Befürwortung von Gieysztors Ausführungen, obwohl die Auswahl der Grabungsorte von der schriftlichen Überlieferung diktiert werden und archäologische Vorarbeiten oder gar bodendenkmalpflegerische Belange nur eine untergeordnete bis gar keine Rolle spielen sollten. Denn die Schriftquellen führten „zu den Orten, die wahrscheinlich am wichtigsten waren, und sie bilden mit Sicherheit einen sehr wesentlichen zeitlichen Orientierungsrahmen für die Ausgrabungen“.12 Ferner sollte nach Gieysztor der Arbeitsrahmen nur Befestigungen aus der Zeit vom 6./7. bis 11. Jh. beinhalten, bei denen es jedoch erwünscht sei, diese „in Gänze“ und damit „nicht nur den Bereich des Burgwalls und der befestigten Vorburg [zu untersuchen], sondern ebenfalls eine naheliegende Siedlung oder ein Gräberfeld“ mit einzubeziehen.13 Außerdem wurde die Notwendigkeit einer vorrangigen Behandlung der Westgebiete betont, wie Lorentz selbst konstatierte: „wünschens10 | Jarocki 2002, S. 205. 11 | Vortrag Gieysztors sowie Protokoll der Diskussion vgl. Gieysztor 1948. 12 | Gieysztor 1948, S. 394, Noszczak 2002, S. 32f. 13 | „Pożądane jednak byłoby po dokonaniu wyboru miejscowości grodowych zbadać każdą z nich w całóści, rozumiejąc przez to nie tylko obręb wału grodowegu i obwarowanego podgrodzia, ale także pobliską osadę, czy cmentarzysko z nimi się wiążące“ (Gieysztor 1948, S. 395).

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wert ist für den Anfang eine territoriale Beschränkung der Arbeiten unter Bevorzugung der Westgebiete“.14 Damit war also ein Programm für die Untersuchungen aufgestellt, und mit einer Verfügung des Ministeriums für Kultur und Kunst vom 3. April 1949 wurde schließlich ein dreiköpfiges Leitungskomitee für die Forschungen zu den Anfängen Polens – das Kierownictwo Badań nad Początkami Państwa Polskiego (im Folgenden KBnPPP) – innerhalb der dortigen Generaldirektion für Museen und Denkmalpflege eingerichtet.

P ersonal und A usstat tung Diesem KBnPPP stand geradezu folgerichtig Gieysztor als Leiter vor. Er hatte während des Krieges leitende Aufgaben im Büro für Information und Propaganda der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) innegehabt und war 1945 ein paar Monate im Staatlichen Kunsthistorischen Institut im Rahmen der Denkmalinventarisation angestellt gewesen. In beiden Zusammenhängen muss er bereits mit Lorentz in Kontakt gekommen sein. Unmittelbar nach Kriegsende begann Gieysztors wissenschaftliche Karriere an der Universität Warschau, wohin er bereits 1949, also mit 33 Jahren zum Professor für Geschichte berufen wurde. Als Gieysztors Stellvertreter fungierten der klassische Archäologe Kazimierz Majewski (1903–1981) und der Prähistoriker Zdzisław Rajewski. Majewski leitete zeitweilig die Chefdirektion für Museen innerhalb der Generaldirektion für Museen und Denkmalpflege. Rajewski, ein Vertreter der sog. Posener Schule, war Direktor des Staatlichen Archäologischen Museums in Warschau. Beide waren im Gegensatz zu Gieysztor Angehörige der Kommunistischen Partei und insbesondere Majewski soll eine wichtige Rolle bei der Einführung der marxistischen Geschichtsphilosophie in den folgenden Jahren gespielt haben.15 14 | Gieysztor 1948, S. 410: „Naczelna Dyrekcja nie chce ogranicza ć innych bada ń wykopaliskowych, ale na prace zwi ą zane z polskim millenium poło ż y specjalny nacisk i otoczy je szczeg ó ln ą opiek ą finansow ą . Po żą dane jest na pocz ą tku zaw ęż enie terytorialne prac z uprzywilejowaniem ziem zachodnich. Specjalnego starania wymaga ć b ę dzie Kalisz, kt ó ry wysunie si ę tak ż e do punkt ó w pierwszorz ę dnych.“ 15 | Kiersnowski 2000, S. 65.

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1950 wurden dem KBnPPP eine Verwaltungszentrale unterstellt sowie bis zu 29 Arbeits- bzw. Außenstellen eingerichtet (vgl. Tabelle 1), durch die u.a. die Grabungen vor Ort koordiniert wurden. Tabelle 1: Entwicklung/Anzahl der Arbeitsstellen u.a. nach Angaben bei Noszczak 2002, 38. Jahr

Grabungsorte/Außenstellen

Zentrale Arbeitsstellen

Gesamt

1948

11





1949

25



25

1950

25

4

29

1951

24

4

26

1952

24 (nur Aufarbeitung)

2

26

1953

?

?

?

Um die Arbeiten an den jährlich bis zu 25 Ausgrabungsorten und den begleitenden inventarisierenden, kartographischen, historischen und naturwissenschaftlichen Forschungen zu bewältigen, wurden bis zu 240 wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angestellt; während der Grabungssaison kamen noch unzählige Grabungsarbeiter und -arbeiterinnen hinzu. Für das Jahr 1952 ergibt die Personalaufstellung beispielsweise Folgendes: • 38 ständige wissenschaftliche Mitarbeiter/innen • 12 zeitweise angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter/innen • 32 ständige Hilfskräfte • 38 zeitweise angestellte Hilfskräfte • 32 ständige wissenschaftlich-technische Mitarbeiter/innen • 58 zeitweise angestellte wissenschaftlich-technische Mitarbeiter/innen Zusammen mit dem Verwaltungspersonal ergab dies eine Zahl von 119 festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich in der Grabungssaison einschließlich der Grabungsarbeitskräfte auf nahezu 450 Personen erhöhte.16 16 | Gieysztor 1953, S. 6.

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Bereits im Jahr 1951 begann mit Umstrukturierungen im Ministerium für Kultur und Kunst und der dem Forschungskomitee übergeordneten Museen- und Denkmalschutzbehörde sowie mit dem allgemeinen „Umbau“ der polnischen Wissenschaften in zentralistische Strukturen die allmähliche Überführung des Programms in die noch im Auf bau befindliche Polnische Akademie der Wissenschaften (Polska Akademia Nauk, im Folgenden PAN). Ende 1953 war dieser Prozess abgeschlossen und das einstige Millenniumsprogramm bildete in sowohl thematischer als auch personeller Hinsicht den Grundstock für den Auf bau des Instituts für die Geschichte der materiellen Kultur (Instytut Historii Kultury Materialnej, weiter als IHKM) der PAN.17 Folglich wurden Forschungen im Rahmen des KBnPPP nur bis Ende 1953 durchgeführt, wenn auch eine ganze Reihe der Grabungs-, Inventarisations- und Publikationsprojekte am IHKM bis weit in die 1960er Jahre weitergeführt und mitunter erst zu den eigentlichen Milleniumsfeiern vorgelegt wurden. Die Arbeiten erfolgten dann als Unternehmungen des Akademie-Instituts und nunmehr ohne das Etikett „Forschungen zu den Anfängen des polnischen Staates“. Der archäologische Beitrag zu den zwischen 1960 und 1966 Jahren dann tatsächlich abgehaltenen staatlichen Milleniumsfeiern bestand in weit geringerem Maße in expliziten Forschungen und Grabungsprojekten als vielmehr in Ausstellungen, Konferenzen und zusammenfassenden Publikationen.18

F inanzierung Die Kosten der Milleniumsforschungen waren beträchtlich und erhöhten sich in den ersten drei Jahren von 25 Millionen Złoty (1949) auf knapp 118 Millionen (1951; für die Folgejahre sind keine Angaben vorhanden, vgl. Tabelle 2). Zur Finanzierung durch das Ministerium für Kunst und Kultur ließen sich aus den Haushaltsplänen genaue Zahlen ermitteln, nach denen die Beträge für das KBnPPP 1949 etwa 3 %, in den Folgejahren um die 5 % des Gesamthaushaltes der Generaldirektion für Museen und Denkmalpflege umfassten.19 17 | Dembi ń ska 1965, S. 209; Lech 1997/98, S. 79. 18 | Hensel 1959; Noszczak 2002, 113–126, 149–161. 19 | AAN MKiSz 3/18, 74.

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Mit der umfangreichen Finanzierung bestätigte sich die Aussage Lorentz’, der bereits auf der Warschauer Vorbereitungskonferenz 1948 betont hatte, dass das Vorhaben so grundlegend wichtig sei, dass man nicht auf finanzielle und technische Mittel Rücksicht nehmen sollte.20 Auch im Rückblick erscheint das Forschungsprogramm als „das größte geisteswissenschaftliche Großunternehmen der Volksrepublik“,21 dem wohl tatsächlich „unbegrenzte Mittel“ zur Verfügung gestanden hätten.22 Vergleicht man die ermittelten Beträge z.B. mit der Höhe der Gelder, die dem Staatlichen Museum für Archäologie in Warschau, das bis dato im Wesentlichen für alle größeren Grabungsprojekte im Land zuständig war, 1948 für Ausgrabungen zur Verfügung gestellt wurden, so wird der hohe finanzielle Aufwand der Milleniumsforschungen deutlich. Dem Museum wurden insgesamt 3.900.000 Złoty (in monatlichen Raten zu 325.000 Zł) überwiesen,23 während im gleichen Jahr bereits an elf Fundorten Grabungen mit Bezug zu den Anfängen des polnischen Staates stattfanden, für die mit 9.800.000 Złoty etwa das Zweieinhalbfache von der Generaldirektion für Museen und Denkmalpflege bereitgestellt wurde. Den Mittelangaben der Haushaltsakten lässt sich Gieysztors Bericht gegenüberstellen (Tabelle 2), in dem er angibt, das Budget habe sich von 1949 bis 1951 um 87 % erhöht und sei im Folgejahr nur geringfügig reduziert worden.24 Dass sich Gieysztors Angaben mit den Kostenvoranschlägen der Haushaltspläne nicht gänzlich decken, ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich nicht genau herausarbeiten lässt, welche Einzelkosten zur Berechnung der Gesamtsumme jeweils herangezogen wurden, jedoch wird auch hier zumindest eine Steigerung des finanziellen Aufwands in den ersten Jahren deutlich. Das Gros der Mittel floss in die Durchführung archäologischer Ausgrabungen, die beispielsweise nach Gieysztor im Jahr 1952 knapp 82 % des Etats verschlungen hätten (gegenüber 7,2 % für andere wissenschaft20 | Gieysztor 1948, S. 407: „Nie uważamy, żeby przy postawieniu tak zasadniczego zagadnienia można było przymierzać zamiary dośrodków finansowych czy technicznych.“ 21 | Lech 1997/98, S. 66. 22 | Urba ń czyk 2000, S. 55 mit Anm. 2. 23 | AAN MKiSz 3/15, 2; 3/22, 212–215. 24 | Gieysztor 1953, S. 6.

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liche Arbeiten sowie 11,1 % für administrativ-organisatorische Aufgaben und Publikationen).25 In Anbetracht des dafür notwendigen umfangreichen wissenschaftlichen und technischen Personals sowie der großen Anzahl von Saison-Arbeitskräften verursachten die Grabungen auch die meisten Personalkosten. Tabelle 2: Übersicht der dem KBnPPP zur Verfügung gestellten Finanzmittel Jahr

Kostenvoranschlag in Złoty* Aufstellung bei Gieysztor** in %

1948

9.800.000



1949

24.488.000

1950

75.000.000

172 + 77 = 249b

1951

117.797.000

187

1952

k.A.

170

a

100

* aus den Haushaltsplänen der Denkmalbehörde (AAN MKiSZ a3/23, 140– 145; 3/16, 63 u, 73–75; 3/17, 68; 3/17, 59 u. 97; 3/18, 74); ** Gieysztor (1953, 6) gibt keine konkreten Beträge an, sondern nur die relative Entwicklung des Budgets, ausgehend von 100 als Orientierungsgröße für den Betrag des Jahres 1949; a In der Mittelveranschlagung für 1950 als Budget für 1949 angegeben (AAN MKiSZ 3/17, 68); b 172 aus dem eigenen Budget plus 77 vom Arbeitsministerium. Ein Versuch, den Umfang der finanziellen Förderung der Milleniumsforschungen anhand der konkreten Geldsummen mit dem Finanzierungsaufwand anderer wissenschaftlicher Unternehmungen zu vergleichen und zu einer Einschätzung in gesamtgesellschaftlichen oder wenigstens wissenschaftspolitischen Zusammenhängen zu gelangen, lässt sich angesichts von Währungsreformen, sich wandelnden Lebensumständen und politischen wie v.a. wirtschaftlichen Veränderungen nur schwer unternehmen. Ein Vergleich mit dem bereits genannten Posener West-Institut zeigt, dass dieses 1945 eine einmalige staatliche Zahlung von 50.000 Złoty erhielt, die Robert Brier als eine „für die Verhältnisse des Frühjahrs 1945

25 | Gieysztor 1953, S. 6.

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ausgesprochen hohe Summe“ bezeichnet.26 Die Anzahl der dort beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stieg von 46 Ende 1946 auf 60 im Frühjahr 1948.27 Im Rahmen des KBnPPP waren demgegenüber 1951/52 ca. 120–130 Personen angestellt und die staatlichen Zuwendungen beliefen sich wie oben gesehen auf acht- bis neunstellige jährliche Beträge. Auch wenn die Milleniumsforschungen nicht mehr in die Zeit des unmittelbaren Kriegsendes fallen, so war auch in den Jahren 1949–53 der wirtschaftliche Wiederauf bau noch nicht abgeschlossen und es darf erstaunen, dass dennoch so viel Geld für ein wissenschaftliches Unternehmen ausgegeben wurde.

I m R ahmen des M illeniumsprogamms durchgeführte A rbeiten Mit diesem Geld wurden folgende Arbeiten finanziert: Als eines der zentralen Vorhaben im Rahmen dieser Forschungen galt die Erstellung eines Burgwallinventars für ganz Polen, wofür Informationsmaterial von 2344 Fundorten zusammengetragen und als „Karte der Wallanlagen in Polen“ („Mapa grodzisk w Polsce“) 1964 mit 2312 verifizierten Anlagen publiziert wurde.28 Wichtigstes Anliegen der Milleniumsforschungen waren jedoch Ausgrabungen an ausgesuchten Wallanlagen, die man in Verbindung mit Schriftquellen für wichtige Zentren der (frühen) Piastenherrschaft hielt. Jedes Jahr wurden im Schnitt 25 Fundorte untersucht und insgesamt handelte es sich um 34 Plätze, die mehrjährige archäologische, aber auch bau- und kunsthistorische Forschungskampagnen erfuhren.29 Die Ausgrabungen begleitend wurden entsprechende Funde außerdem anthropologisch und paläobotanisch untersucht. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Überprüfung und Neuerstellung von Editionen ausgewählter mittelalterlicher Schriftquellen.30

26 | Brier 2003, S. 25. 27 | Brier 2003, S. 40. 28 | Antoniewicz/Wartołowska 1964, S. 9–16. 29 | Gieysztor 1957, S. 244; Noszczak 2002, S. 257. 30 | Gieysztor 1953, S. 6 u. 39; Noszczak 2002, S. 60.

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Ein besonders intensiver Arbeitsbereich und vor allem eine wichtige Austauschmöglichkeit zwischen den Mitarbeiter/-innen des Forschungsprogramms stellte die große Zahl jährlich stattfindender Konferenzen dar, auf denen Grabungsergebnisse vorgestellt, neue Forschungen geplant und methodische Konzepte diskutiert wurden.31 Insbesondere in dieser regen Konferenztätigkeit wird die Verschiebung der geschichtspolitischen Bedeutung der Milleniumsforschungen und damit einhergehend auch der Wandel ihrer Inhalte und methodischen Grundlagen offensichtlich. Das Bestehen des KBnPPP fiel schließlich in die Hochzeit des Stalinismus und somit in die Zeit forcierter kommunistischer Wissenschaftspolitik in den von der Sowjetunion abhängigen Staaten.32 Da es für die Durchführung des ambitionierten Forschungsvorhabens nahezu aller archäologischen Kräfte, die dem Fach nach dem Krieg noch zur Verfügung standen, und somit auch der Einbindung von Museen und Universitäten bedurfte, wurde in den Milleniumsforschungen nahezu die gesamte Archäologie Polens erfasst und reorganisiert. Auf diese Weise diente der Forschungsverbund auch dazu, marxistisch-leninistische Geschichtskonzepte in der Archäologie durchzusetzen. Auf den zahl- und diskussionsreichen Konferenzen wurden somit nicht nur Planung und Auswertung der im Rahmen des KBnPPP durchgeführten Grabungs- und sonstigen Projekte verhandelt, sondern auch die Anwendung marxistischer Theorien, was mit der Übernahme neuer Terminologien und Periodisierungen sowie der Auferlegung neuer Fragestellungen einherging. Abstimmung und Austausch in diesen Fragen erfolgte in enger Zusammenarbeit mit sowjetischen und tschechoslowakischen Fachkollegen, die an den polnischen Methodenkonferenzen teilnahmen, aber auch durch Reisen von Vertretern des KBnPPP nach Moskau und Prag bzw. entsprechende Besuche sowjetischer und tschechoslowakischer Delegationen. Die Bedeutung, die dieser grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beigemessen wurde, zeigt sich in ihrer expliziten Festschreibung im Arbeitsprogramm des KBnPPP und der Veranschlagung eines entsprechenden Etats.33

31 | Gieysztor 1953, S. 8; Noszczak 2002, S. 45–48. 32 | Zum „Umbau“ bzw. der „Sowjetisierung“ der polnischen Geistes- und Geschichtswissenschaften vgl. Hübner 1987a; 1987b; Stobiecki 1993; ders. 2006; Connelly 2000; Valkenier 1959; dies. 1985; dies. 1992. 33 | Vgl. Etataufstellung für 1950 AAN MKiSz 3/17, S. 143.

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Wie erfolgreich, nachhaltig oder innovativ marxistische Konzepte tatsächlich in der polnischen Archäologie wirkten (und noch wirken), wird bislang äußerst kontrovers diskutiert.34 Persönlichen Erinnerungen an die Milleniumsforschungen, die von einer Oase im sonst als rigide empfundenen System sprechen,35 stehen offizielle Aussagen gegenüber. So zog z.B. Gieysztor für das Jahr 1951 die Bilanz, dass „der methodologische Umbau in Zusammenarbeit mit Spezialwissenschaften und der Übergang zur Position des Historischen Materialismus für das Forschungsprogramm zumindest von einer Mehrheit der Wissenschaftler in Anspruch genommen“ worden sei.36 Es scheint also, als ob die Idee zu den Milleniumsforschungen zunächst aus dem Orbit des polnischen Westgedankens heraus entstanden war, und damit in Entsprechung regierungspolitischer Legitimationsinteressen in Bezug auf die neuen polnischen West- und Nordwestgebiete auf finanzierungswillige staatliche Partner traf. Mit ihrer Institutionalisierung innerhalb ministerieller, also regierungsnaher Strukturen und der damit einhergehenden umfangreichen finanziellen Förderung konnte sie dann jedoch mit der Veränderung der wissenschaftspolitischen Verhältnisse als ein Medium der stalinistischen Wissenschaftstransformation genutzt werden. Dies entspricht der Einschätzung Piotr Hübners, der sogar postuliert, die Einrichtung der Milleniumsforschungen im Ministerium habe sie zu einer „amtlichen Wissenschaft“ und einem „Durchführungsorgan für die staatliche Wissenschaftspolitik“ gemacht.37 In einem von Hübner zitierten Bericht der Abteilung der Gesellschaftswissenschaften 34 | In kleiner Auswahl: Kmieci ń ski 1987; Barford 1993; ders. 1995; ders. 2002; Lech 1997; ders. 1997/98; Tabaczynski 1995; Minta-Tworzówska 2002; vgl. außerdem die entsprechenden Beiträge in Kobusiewicz/Kurnatowski 2000, insb. S. 513–683. 35 | Kiersnowski 2000, S. 66; Noszczak 2002, S: 61f. 36 | Gieysztor 1952, S. 299: „Korzystaj ą c z przebudowy metodologicznej współpracuj ą cych nauk specjalnych z przejścia na pozycje materializmu historycznego ogromnej wiekszosći zainteresowanych t ą problematyk ą pracowników naukowych [...].“ 37 | Hübner 1987b, S. 461: „Problematyka badawcza Kierownictwa, które zainicjowało przebudow ę metodologiczn ą w Polsce na zasadach materialismu historycznego […] stała si ę naczelnym zakresem badawczym nowego Instytutu“.

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der PAN für das Jahr 1953 zur Übernahme der Milleniumsforschungen in das neue Akademie-Institut für Geschichte der materiellen Kultur heißt es: „Die Forschungsproblematik des Kierownictwo [d.h. des KBnPPP], das den methodologischen Umbau der Archäologie in Polen auf der Grundlage des historischen Materialismus initiierte [...], wurde zum hauptsächlichen Forschungsbereich des neuen Instituts“.38 Für die Forschungsinhalte bedeutete dies eine Verschiebung der ursprünglich auf die Herausstellung einer frühen, gerade auch die Westgebiete umfassenden genuin polnischen Herrschafts- und Staatsbildung gerichteten Perspektive hin zu Fragen nach der Entwicklung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse, dem Wandel der Produktionsmittel und der Rolle der Burgen im Klassenkampf des Feudalzeitalters.39 Hinsichtlich der methodischen Konzeption erfolgte dadurch eine gewisse Abkehr vom einstigen explizit nationalgeschichtlichen Zugang, der von der ereignisgeschichtlichen Quellenüberlieferung ausging und sich in den archäologischen Untersuchungen auch an selbiger orientierte. Stattdessen wurden umwelt- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte stärker betont im Bemühen, dem deterministisch-evolutionistischen Programm des Historischen Materialismus stalinistischer Auslegung zu entsprechen.

V ergleich mit der ostdeutschen B urgwall-AG 1927– 1932 Aus der Forcierung von Burgwallinventarisierung und -grabungen ergeben sich auffallende Parallelen zum Aufgabenprogramm der 1927 in Kiel gegründeten Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der nord- und ostdeutschen vor- und frühgeschichtlichen Wall- und Wehranlagen, der Burgwall-AG. Ein vergleichender Blick auf die Ausstattung und die Organisations- bzw. Förderstrukturen beider Forschungsprogramme soll abschließend den Bogen spannen zu den in diesem Band vorwiegend auf die deutschsprachige Archäologie vor 1945 bezogenen Beiträgen. Mit der Burgwall-AG war nach dem Vorbild der 1892 gegründeten Reichlimeskommission ein überregionales archäologisches Großfor38 | Hübner 1987b, S. 462. 39 | Wartołowska 1952, S. 193; Antoniewicz/Wartołowska 1964, S. 15.

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schungprojekt gegründet worden, das sich auf die Befestigungsstrukturen in der nordöstlichen Hälfte Deutschlands bezog.40 Als Hauptaufgabe stellte sich diese durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft geförderte AG die systematische Inventarisation aller Burgwälle in Nordund Ostdeutschland sowie gezielte Ausgrabungen an gefährdeten oder als historisch bedeutsam erachteten Wallanlagen. Die Inventarisation sämtlicher Anlagen in den beteiligten Regionen erfolgte bis 1932 und mit Unterstützung der Burgwall-AG wurden bis dahin zwölf ausgewählte Anlagen gegraben. Im selben Jahr erfolgte eine Erweiterung des Aufgabengebietes der Burgwall-AG, mit der die Umbenennung in Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Vor- und Frühgeschichte des deutschen Ostens einherging. Allerdings wurden die Arbeiten dann nicht mehr fortgeführt.41 Ähnlich wie zwischen Milleniumsprogramm und polnischer Westforschung gab es auch zwischen Burgwall-AG und deutscher Ostforschung vielerlei Querverbindungen.42 Stimmen damit Arbeitsprogramme und Laufzeit nahezu überein und sind auch die geschichtspolitischen Bezüge beider Projekte strukturell vergleichbar, so unterscheiden sich doch Organisations- und Förderstrukturen maßgeblich. So war die Burgwall-AG lediglich ein loser Verbund von Fachvertretern, die sich eine gemeinsame Forschungsaufgabe stellten und nicht einmal den rechtlichen Status eines Vereins anstrebten. Zur Finanzierung ihres Vorhabens waren Einzelanträge aus jeder beteiligten Region bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft notwendig sowie die Einwerbung von weiteren, kleineren Zuschüssen bei einzelnen Ministerien und den preußischen Provinzialregierungen. Die Gesamtsumme der für die Burgwall-AG aufgewendeten Mittel belief sich schließlich auf 167.200 Reichsmark.43 Demgegenüber verfügte das KBnPPP als eine staatliche, ministeriell verankerte Forschungsinstitution über ein jährlich festgelegtes Gesamtbudget mit Złotybeträgen in Millionenhöhe. Lassen sich die konkreten Summen kaum zueinander in Beziehung setzen, so spricht der unter40 | Zur Geschichte der Burgwall-AG Grunwald/Reichenbach 2009, S. 73–82. 41 | Zum Ende der Burgwall-AG ausführlich Grunwald/Reichenbach 2009, S. 80–82. 42 | Reichenbach 2009, S. 179f. 43 | Vgl. den Beitrag von Susanne Grunwald in diesem Band.

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schiedliche Personenschlüssel für sich. Über das KBnPPP konnten neben den drei leitenden Personen, die immerhin ein Gehalt bezogen, das in etwa dem eines Dekans und zweier Universitätsprofessoren entsprochen haben könnte,44 eine Vielzahl wissenschaftlicher Bearbeiter und Bearbeiterinnen finanziert werden. Der Burgwall-AG stand dagegen eine vierköpfige Gruppe namhafter Wissenschaftler ehrenamtlich vor und mit ein bis zwei Bearbeitern45 je beteiligter Region dürfte die Gesamtzahl des finanzierten Personals kaum 30 überschritten haben. Die Milleniumsforschungen bildeten folglich ein staatliches Forschungsprogramm, das auf höchster Ebene angesiedelt war, in einem Staat, dessen zentralistische und hierarchische Struktur auch die Organisation wissenschaftlicher Unternehmungen erfassen musste. Sie war damit grundverschieden von der förderalistischen Struktur deutscher archäologischer Forschung und Forschungsförderung in den 1920er und 1930er Jahren,46 bei der mehrere Gruppen um Einfluss und finanzielle Unterstützung konkurrierten. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich auch im Umfang der ausgeführten Arbeiten beider Forschungsverbünde unterschiedliche Dimensionen offenbaren (Tabelle 3). Mögen die Ziele der Burgwall-AG auch für einflussreiche Vertreter der institutionalisierten und nachweislich die Politik beratenden deutschen Ostforschung interessant gewesen sein,47 so scheint der politische Bezug, der mit der Neuorientierung der AG 1932 noch deutlicher wurde, nicht automatisch eine opulente Finanzierung nach sich gezogen zu haben. Anders im Nachkriegspolen, das für die Eingliederung der Westgebiete sogar zeitweise ein eigenes Ministerium einrichtete und dabei auch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeitete, und das während des Stalinismus die Inhalte und methodischen Konzepte wissenschaftlicher Forschung zur Staatsangelegenheit machte.

44 | Vgl. die Angaben in AAN MKiSz 3/18, S. 108, wo für die Stelle des Leiters des KBnPPP 45.000 Zł. monatliches Gehalt und für die beiden Stellvertreter 25.000 Zł. monatliches Gehalt veranschlagt wurden. 45 | Hier handelte es sich tatsächlich nur um Männer. 46 | Vgl. wiederum den Beitrag von S. Grunwald. 47 | Reichenbach 2009.

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Tabelle 3: U mfang durchgeführter Arbeiten im Vergleich Burgwall-AG 1927–1932

Milleniumsforschungen 1948–1953

Anzahl Wallanlagen für Inventarisation

3613*

2684 (2313)

Anzahl Grabungen

12

34

1/6

2–18/52

270.050

312.685

Tagungen jährlich/gesamt Bearbeitete Fläche in km

2

* Vor Beginn der Inventarisation geschätzt (vgl. Grunwald/Reichenbach 2009, S. 76 mit Abb. 3).

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Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945 Überlegungen Judith Schachtmann, Thomas Widera

Zusammenfassung Bei dem Thema „Fremdarbeiter im Nationalsozialismus” denkt man nicht sofort an die deutsche Prähistorische Archäologie, da die meisten Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie und im Bergbau eingesetzt wurden. Die folgenden Beispiele beschreiben den Einsatz von Zwangsarbeitern in der archäologischen Denkmalpflege in Deutschland und in den besetzten Gebieten. Insassen von Konzentrationslagern und Gefängnisinsassen seit 1933 und, seit dem Beginn es Zweiten Weltkrieges, auch Kriegsgefangene wurden auf archäologischen Ausgrabungen eingesetzt. Sie halfen bei der Dokumentation archäologischer Fundplätze sowie bei der Ausgrabung von Funden, die ohne sie für zukünftige Forschergenerationen verloren gegangen wären. Dieser Beitrag stellt erstmals Beispiele für den Einsatz von Zwangsarbeitern in der Prähistorischen Archäologie zusammen. Dabei werden die Motive der Archäologen dafür sowie die Bedingungen für die Zwangsarbeiter analysiert.

Summar y By the theme „Forced Labour in National Socialism“, one does not think immediately on German Prehistoric Archaeology, instead more on the forced labourers in the weapons or mining industries. However, the following examples will show that forced labourers were used for the “preservation of archaeological sites” in Germany and in the German-occupied

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countries. From the beginning of National Socialist rule internees from Concentration camps and criminal prisoners, as well as, from the start of the Second World War, Prisoners of War, were used for archaeological excavations. These people helped with the registration of archaeological sites and the excavation of artefacts that otherwise would have gone missing for future scientific generations. This contribution gathers together for the first time examples of forced labour in Prehistoric Archaeology. The motives of the archaeologists for their use, as well as the conditions of the forced workers will be analysed closer. (Translated by Jacob Hogarth)

E inleitung Wenn es auf den ersten Blick scheint, als ob das Problem der Zwangsarbeit in keinem Zusammenhang mit den Förderstrukturen in der Prähistorischen Archäologie stehe, ist das der Vorstellung geschuldet, Zwangsarbeit im Nationalsozialismus1 habe, abgeschirmt durch Mauern und Stacheldraht, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und im Verborgenen stattgefunden. Diese Auffassung gehört zu der nach dem Zweiten Weltkrieg verbreiteten Legende, der überwiegende Teil der Menschen im nationalsozialistischen Deutschen Reich habe vom Terror der Nationalsozialisten und von ihren Verbrechen nichts gewusst und erst im Nachhinein erfahren. Doch dies traf nicht zu und auf die größtenteils erzwungene Arbeitsleistung der überwiegend ausländischen Arbeitskräfte erst recht nicht. Etwa 9,5 Millionen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen wurden im Zweiten Weltkrieg in das Deutsche Reich verbracht,2 ihre Präsenz war unübersehbar. Die Landwirtschaft hätte ohne sie nicht funktioniert. Die Städte waren mit einem dichter werdenden Netz von Lagern überzogen, so dass auch diejenigen, die am Arbeitsplatz keinen 1 | Der Begleitband „ Zwangsarbeit 2010“ zur Ausstellung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora führt mit Begleittexten umfassend in das Thema ein. Die Überblicksstudien von Herbert 1985 und Spoerer 2001 sind Standardwerke zur Verschleppung und Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte sowie zu den gravierenden Unterschieden der Lebens- und Überlebensbedingungen der Zwangsarbeiter. Aus der Fülle der Forschungsliteratur kann nur auf eine Auswahl hingewiesen werden; vgl. Lemmes 2010. 2 | Herbert 1991a, S. 7.

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

direkten Kontakt mit Zwangsarbeitern hatten, ihre Existenz zur Kenntnis nehmen mussten.3 Bei Förderstrukturen und Förderern wird in der Wissenschaft zunächst an monetäre Zuwendungen und an Geldgeber gedacht.4 Geldwerte Leistungen wie kostenlose oder kostengünstige Arbeitskräfte standen dagegen bisher nicht im Mittelpunkt der Diskussion zur Forschungsförderung in der Archäologie.5 Diesem vernachlässigten Kapitel der Wissenschaftsgeschichte widmet sich der folgende Beitrag. Eine unerlässliche Grundlage der Prähistorischen Archäologie als Wissenschaft sind die mehrheitlich in mühevoller Handarbeit ergrabenen Artefakte vergangener Kulturen. Ohne fachliche Qualifikation ist keine wissenschaftliche Grabungsarbeit möglich. Diese kann aber unter fachlicher Leitung von angelernten Kräften durchgeführt werden. Deswegen waren Grabungsaktivitäten immer abhängig von der Bereitstellung kostenloser oder kostengünstiger Arbeitskräfte, und in Jahren knapper öffentlicher Gelder umso mehr. Damit wird die Frage nach Zwangsarbeit in der Grabungspraxis relevant für die Wissenschaftsgeschichte des Faches. Zwangsarbeit und nationalsozialistische Vernichtungspolitik bildeten eine Einheit:6 Zwangsarbeit war in Deutschland und in den von der Wehrmacht besetzten Staaten Bestandteil des Terrors der Nationalsozialisten gegen ihre politischen, rassischen und sonstigen Feinde. Ohne diese unauflösbare Bindung an die Ziele nationalsozialistischer Politik hätte Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges nicht die unverwechselbaren Kennzeichen des Zivilisationsbruchs ausgeprägt, der die Verbrechen des Nationalsozialismus einzigartig macht. Langfristig setzte sich der „Primat der Vernichtung“ gegen jede ökonomische Vernunft durch.7 Drei Faktoren griffen dabei ineinander: 1) Zwangsarbeit wurde zuerst in Konzentrations- und Arbeitslagern praktiziert als Instrument der Bestrafung und Erziehung – sie hatte dort allgemein keinen oder einen geringen ökonomischen Mehrwert. 2) Diese dezidiert nicht-ökonomische 3 | Zwangsarbeit 2010. 4 | Vgl. Orth/Oberkrome 2010. 5 | Jagust 2009. 6 | Spoerer 2001, S. 180–183. 7 | Herbert 1991b, S. 406; zur Einpassung der Zwangsarbeit in die Strukturen der Wirtschaft vgl. Pingel 2009.

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Komponente charakterisierte die Zwangsarbeit in den SS-Wirtschaftsunternehmen und außerhalb davon in Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft gleichfalls: Prinzipiell gewährte keine noch so kriegswirtschaftlich wichtige Qualifikation oder Tätigkeit den Verfolgten Schutz. Ermordete oder zu Tode gekommene Arbeitskräfte galten grundsätzlich als ersetzbar. In den besetzten Gebieten wurden ständig vorwiegend junge Menschen teils freiwillig, hauptsächlich jedoch mittels Zwangsmaßnahmen rekrutiert. Daraus folgt 3) die situations- und kalkülabhängige Praxis des Zwangsarbeitseinsatzes. Es gab keinen Plan. Die menschenverachtende Prägung der Zwangsarbeit ergab sich aus der Nachrangigkeit der ökonomischen Vorstellungen, die mit einem außerökonomischen Ziel kollidierten: dem Umbau der Gesellschaft nach rassebiologischen Grundsätzen. Diesem Ziel musste sich alles unterordnen.8 Für ihre Zwecke mobilisierten die Nationalsozialisten Millionen von Menschen, neben Deutschen jene, die außerhalb der Reichsgrenzen lebten. Dies erfolgte im Krieg zunehmend durch Zwang. Unterstützt wurden sie dabei von allen, die sich in irgendeiner Form an der Mobilisierung beteiligten. Auf dem Höhepunkt 1944 betrug die Zahl der ausländischen Zivilarbeiter, Kriegsgefangenen und Häftlinge etwa acht Millionen. Zwangsarbeit im Deutschen Reich war ein „durchorganisiertes, die kriegswirtschaftlichen Erfordernisse“ ebenso wie die „Maximen der rassistischen Ideologie berücksichtigendes System“.9 Angesichts der historischen Tatsachen ist eine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung erzwungener Arbeitsleistungen bei archäologischen Ausgrabungen rasch gefunden. Die quantitative Größe, so unbestimmt sie beim jetzigen Kenntnisstand ausfällt, kann vernachlässigt werden. Sollten Zwangsarbeiter in nennenswerter Zahl bei Grabungskampagnen eingesetzt worden sein, bliebe in jedem Fall die Größenordnung verglichen mit den zu Millionen in der Wirtschaft beschäftigten Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Häftlingen marginal. Das lässt sich an den Zahlen für Dresden und Sachsen verdeutlichen. Im Stadtgebiet von Dresden befanden sich während der Kriegsjahre mindestens 30.000 und im Land Sachsen einige Hunderttausend Ausländer – Männer, Frauen und Kinder. Sie arbeiteten zu Tausenden überwiegend in der Industrie, 8 | Herbert 1991b, S. 398. 9 | Herbert 2003, S. 185; eine andere Zahl von 5,7 Millionen nennt Spoerer 2001, S. 9; vgl. zu den Problemen der Forschung Herbert 2001.

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

ebenso in kommunalen Einrichtungen, in Kleinbetrieben und in privaten Haushalten.10 Auf einer Grabung hingegen konnten in der Regel schätzungsweise jeweils 20 oder 25 Hilfskräfte benötigt werden, die Einsatzzahlen der dokumentierten Fälle liegen noch deutlich darunter. Die Zahl der Grabungen insgesamt wird auch bei fortschreitendem Kenntnisstand überschaubar bleiben. Außerdem fällt ein für die betroffenen Personen wesentlicher Umstand ins Gewicht: Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen ist davon auszugehen, dass die bei Ausgrabungen eingesetzten Arbeiter nicht absichtlich und systematisch getötet wurden.11 Die Fragen müssen anders gestellt und auf die Motive der Archäologen und Prähistoriker ausgerichtet werden: 1) In welchem Umfang, wie intensiv und mit welchem Erfolg bemühten sich die Fachvertreter um Teilhabe an der Ausbeutung geraubter Ressourcen, in diesem Fall des Humankapitals? 2) Ab welchem Zeitpunkt und in welcher Situation kann davon ausgegangen werden, dass ein Antrag auf Bereitstellung von Arbeitskräften im Wissen um die Tatsache erfolgte, es könne sich dabei nicht um einen normalen Vorgang der Arbeitskräftebeschaffung handeln? Denn es geht bei der aktiven Beteiligung an der und bei der Involvierung in die Politik der Nationalsozialisten häufig nicht um ein juristisches Problem, sondern um ein moralisches, das einen politischen Kern hat. Die Ausbeutung von Zwangsarbeit galt in zeitgenössischer Perspektive als Folge kriegsbedingten Arbeitskräftemangels und wurde lange Zeit unter dieser Normative betrachtet. Dass jedoch die von Zwangsarbeit betroffenen Menschen unter lebensbedrohlichen und menschenunwürdigen Bedingungen existierten, ist keine Erkenntnis historischer Forschung. Das wusste eine Vielzahl der Deutschen aus alltäglicher Anschauung.12 Angesichts dessen lautet die entscheidende dritte Frage: Wollten und konnten Prähistoriker bei der Ausbeutung von Zwangsarbeit an nationalsozialistischen Verbrechen partizipieren und davon profitieren? Es versteht sich von selbst, dass der folgende Beitrag keine Antwort, sondern nur eine erste Annäherung an ein bisher nicht wahrgenommenes Problem sein kann.13 10 | Bericht der Polizei Landeshauptstadt Dresden 1.–28.2.1946 vom 7.3.1946 (Stadtarchiv Dresden, Dezernat Oberbürgermeister 62, Bl. 44–66). 11 | Vgl. Staatsministerium 2002; Urban 2006. 12 | Vgl. Aly 2006; Gellately 2003. 13 | Vgl. Schachtmann/Widera 2013.

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Z wangsarbeit im nationalsozialistischen D eutschl and – Z wischenlösungen und Z iele Um diese drei Fragen in den historischen Kontext einzuordnen, muss kurz skizziert werden, wie das in den Strukturen der Konzentrationslager geformte nationalsozialistische System der Zwangsarbeit nach Kriegsbeginn weiter entwickelt wurde. Diese zur ungehinderten Ausübung von Willkür etablierten Räume der Rechtlosigkeit beinhalteten den beschriebenen unlösbaren Widerspruch, der langfristiger Planung entgegenwirkte. Die Einweisung in die Konzentrationslager diente der kollektiven Isolierung von Menschen und die erzwungene Arbeit ihrer Disziplinierung und Erziehung, nicht ihrer ökonomischen Ausbeutung.14 Auf ökonomische Herausforderungen wie den steigenden Bedarf an Arbeitkräften reagierten die Unternehmen mit unterschiedlichen Strategien, denn nach Erreichung der Vollbeschäftigung ab Mitte der 1930er Jahre herrschte in Deutschland ein eklatanter Arbeitskräftemangel. Dieser konnte wegen der wirtschaftlichen Expansion infolge der Kriegsvorbereitungen nicht beseitigt werden und wuchs sich im Verlauf des Krieges zu einem Dilemma aus. Arbeitskräfte konnte es nicht in ausreichendem Umfang geben. Die verlustreichen Feldzüge verlangten immer weitere Soldaten und noch mehr Kriegsgerät, aber zur Steigerung der Produktion fehlten jene Arbeiter, die sich als Soldaten an der Front befanden. Das gebot die Erschließung neuer Ressourcen. Allerdings griffen die Betriebe unterschiedlich auf das Arbeitskräftereservoir der Kriegsgefangenen zurück. Neben Effizienzverlusten fürchteten sie Vorgaben bezüglich der Sicherheit, die einen flexiblen Einsatz erschweren könnten; allesamt Sorgen, die sich in der Einsatzpraxis als substanzlos herausstellten. Der Zwangsarbeitereinsatz ermöglichte vielen Unternehmen erhebliche Gewinne.15 Aus ideologischen Gründen war die Beschäftigung von Arbeitskräften, die nicht den rassebiologischen Kriterien entsprachen, gleichfalls unerwünscht. Jeden Kontakt mit ihnen galt es zu vermeiden. Das gehörte zu den rassistischen Prinzipien der beabsichtigten „Reinhaltung des deutschen Blutes“. Das Ziel einer „arischen“ Volksgemeinschaft erforderte die Aussonderung „nichtarischer“ Personen, daher hatten die Nationalsozi14 | Kaienburg 2010, S. 165. 15 | Vgl. Grieger 2010, S. 87–99.

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

alisten bis Kriegsbeginn die Auswanderung von Angehörigen der jüdischen Gemeinden forciert.16 Diese Grundsätze konnten nun immer weniger eingehalten werden. Es entstanden neue Lager und neue Lagerformen und das Prinzip der Separierung wurde mit den neu hinzukommenden Massen der Ausländer häufiger und immer weitreichender durchbrochen. Zuerst fiel die Entscheidung zum Einsatz der etwa 300.000 polnischen Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft. Sie und Angehörige anderer osteuropäischer Völker standen noch über den am unteren Ende der rassistischen Werteskala befindlichen Juden, den Sinti und Roma, und noch vor den als „Russen“ bezeichneten sowjetischen Staatsbürgern. Anders als die weitgehend von diskriminierenden Maßnahmen ausgenommenen Bewohner skandinavischer und westeuropäischer Staaten waren die sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter ursprünglich vom Arbeitseinsatz im Deutschen Reich generell ausgeschlossen worden. Die von der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik anvisierte „Endlösung“ kalkulierte den möglichen Hungertod der 3,5 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam und den von weiteren Millionen Zivilisten im Besatzungsgebiet ebenso ein wie die Ermordung der europäischen Juden und der Sinti und Roma.17 Der Arbeitskräftemangel erforderte Zwischenlösungen. Ab Spätsommer 1941 wandelte sich mit der militärischen auch die kriegswirtschaftliche Lage Deutschlands und der Druck zur Beschäftigung der sowjetischen Gefangenen und Zivilarbeiter nahm zu. Die Initiative ging von der Rüstungsindustrie aus, in deren Fabriken der Arbeitskräftemangel besonders drastisch spürbar war. Insgesamt organisierten deutsche Arbeitsämter in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht und der Deutschen Reichsbahn unter Leitung des am 21. März 1942 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannten Fritz Sauckel (1894–1946) die Deportation von 2,5 Millionen sowjetischen Zivilisten nach Deutschland. Die logistische „Effizienz“ beim Transport durch die mit äußerster Brutalität vorgehenden Einsatzstäbe lag durchschnittlich bei 20.000 Menschen pro Woche.18 Einschließlich des Reichsgebiets wurde in den im deutschen Machtbereich befindlichen Territorien eine Zwei-Klassen-Gesellschaft errichtet 16 | Bajohr/Wildt 2009; Süß/Süß 2008. 17 | Herbert 1991b, S. 388ff. 18 | Herbert 1991a, S. 11.

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mit einem abgestuften System repressiver Bestimmungen zur Rekrutierung, Separierung und Internierung der Ausländer. Auf unterster Stufe der Rangordnung befanden sich die KZ-Häftlinge.19 Die sowjetischen Kriegsgefangenen wiederum unterlagen erheblich schlechteren Bedingungen als Gefangene anderer Herkunft. Ihr Arbeitseinsatz war wegen gravierender Mangelernährung, fehlender Hygiene und körperlicher Entkräftung anfänglich besonders „ineffizient“ und endete für viele bereits nach wenigen Wochen mit dem frühzeitigen Tod. Obgleich der rückläufige Nachschub neuer Zivilarbeiter infolge der deutschen Niederlage von Stalingrad Anfang 1943 eine allmähliche Verbesserung der Lebensverhältnisse der Kriegsgefangenen und der anderen „Ostarbeiter“ erzwang, bestanden die einsatzort- und branchenabhängigen Unterschiede bis zum Kriegsende. Die schlimmsten Wohnverhältnisse und schwersten Arbeitsbedingungen herrschten im Bergbau. In der Landwirtschaft hingegen war generell die Ernährung besser wegen des Interesses der Bauern am Erhalt der Leistungsfähigkeit ihrer Arbeitskräfte. Obwohl die Anordnungen der Behörden auf die einheitliche Behandlung der Ausländergruppen abzielten, beeinflussten in der Realität vor allem Betriebsleiter, Vorarbeiter und Wachpersonal die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, für deren Gestaltung erhebliche Spielräume existierten.20 Abgesehen von diesen Gestaltungsoptionen der Verantwortlichen bei den Arbeits- und Lebensbedingungen wurden im Verlauf des Jahres 1942 die Wohnverhältnisse allgemein schlechter. Zunehmend benötigten die im Luftkrieg geschädigten Deutschen Notunterkünfte. Zeitgleich verdoppelte sich innerhalb des laufenden Jahres die Zahl der ausländischen Zivilarbeiter im Deutschen Reich auf nahezu vier Millionen. Die Unterbringung dieser Menschenmassen überforderte die örtlichen Verwaltungen.21 Trotz einer Kampagne unter Führung des Propagandaministeriums, das mit gewissen Lockerungen und einer Korrektur an den Lebensverhältnissen eine rapide Steigerung der Arbeitsleistungen herbeiführen wollte, blieben die diskriminierenden Vorschriften der Sicherheitsbehörden gültig und das Strafsystem wurde verschärft. Die darin und in der Praxis der Zwangsarbeit zur Geltung kommende rassische Hierarchie offenbarte, 19 | Buggeln 2014. 20 | Herbert 2003, S. 153–159. 21 | Spoerer 2001, S. 117.

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dass der politische Kurswechsel nur eine vorübergehende Zwischenlösung sein sollte, um lediglich sporadische Verbesserungen zu bewirken.22 Aufschlussreich zeigten gelegentliche kritische Bemerkungen die weit verbreiteten menschenverachtenden Einstellungen von Deutschen gegenüber Ausländern an. Der Bericht einer Kommission über eine Rundreise durch das Ruhrgebiet im Herbst 1943 zitiert die zynische Aussage eines Betriebsführers: „Der Ostarbeiter sei sehr zäh. Er arbeite, bis er an dem Arbeitsplatz mit dem Gesicht in den Dreck falle und der Arzt nur noch den Totenschein ausstellen könne.“23 Fraglich ist, wie die Kommission selbst ihre Beobachtung bewertete. Jedenfalls waren die Worte nicht an der Peripherie im Okkupationsgebiet unter den Bedingungen des Krieges im Osten, sondern inmitten der Zivilgesellschaft im Zentrum Deutschlands gefallen. Sie verweisen trotz distanzierendem Unterton auf eine grundsätzlich inhumane Einstellung, eine bemerkenswert verbreitete Zustimmung zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und eine beachtliche Freiwillig- und Bereitwilligkeit, sich daran zu beteiligen, die oft noch heute abgestritten und für undenkbar gehalten wird. Unterschiedlichste Bedingungsfaktoren hatten Anteil an der Gestaltung des Schicksals eines Zwangsarbeiters. Mit der Abgabe von Arbeitskräften aus den Lagern an Betriebe, kommunale Einrichtungen und private Haushalte wurden Zuständigkeiten für die funktionale Lebenserhaltung der Menschen abgegeben. Die dezentralisierte Verfügungs- und Entscheidungskompetenz verhinderte die Einheitlichkeit der Zwangsarbeiterpolitik.24 Bemühungen zur Erhaltung der Arbeitskraft von zivilen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Häftlingen sowie der grundsätzlichen Verbesserung ihrer Wohn- und Lebensbedingungen waren möglich. Mehrheitlich bezweckten sie letztendlich eine Steigerung der kriegswirtschaftlichen Effizienz. Das Ziel der Politik hingegen war die brutale Ausbeutung und ökonomische „Verwertung“, die auf das Leben der Menschen keine Rücksicht nahm.

22 | Herbert 2003, S. 143–147. 23 | Ebd. S. 158. 24 | Grieger 2010, S. 99.

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Z wangsarbeit auf archäologischen A usgr abungen Nach diesen Überlegungen folgen nun einige konkrete Beispiele für Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie.25 Dabei handelt es sich ausschließlich um Einsätze von KZ-Häftlingen, Straf- und Kriegsgefangenen. Über den Einsatz von zivilen Zwangsarbeitern liegen bislang keine ausreichenden Informationen vor, daher kann diese Gruppe hier nicht berücksichtigt werden.26 Eine disparate Quellenlage ist für alle nachfolgenden Beispiele kennzeichnend. Sie präsentieren aus diesem Grund nur eine Auswahl, die sich hauptsächlich auf Ausgrabungen beschränkt, und können daher lediglich einen ersten Einblick in diese Problematik bieten.

K Z-Häftlinge Zu einem der frühesten Einsätze von KZ-Häftlingen in der deutschen Prähistorischen Archäologie zählt die Ausgrabung in Colditz (Sachsen) im Herbst 1933. Für die Fortführung einer Ausgrabung aus dem Jahr 1932 wurden „[...] auf Wunsch des Kreisleiters [Otto, Anm. Verf. J.S] Naumann27 der NSDAP – Colditz [...]“28 im Folgejahr Häftlinge aus dem nahe gelegenen Konzentrationslager Colditz eingesetzt. Da es zu diesem Zeitpunkt in Sachsen noch keine staatliche Bodendenkmalpflege gab – das

25 | Die vorliegenden Beispiele sind mehrheitlich Fachzeitschriften entnommen und stellen Zufallsfunde dar. Lediglich für das DFG-Kooperationsprojekt „Archäologie im politischen Diskurs. Ethnische Interpretationen prähistorischer Bodendenkmale in Sachsen, Böhmen und Schlesien zwischen 1918–1989“ des sächsischen Landesamts für Archäologie und des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden wurde eine systematische Durchsicht der Ortsakten für Sachsen vorgenommen. 26 | Die Akten erwähnen nur männliche Zwangsarbeiter. 27 | Otto Naumann (1895–nach 1945?) trat bereits 1922 der NSDAP bei und war zwischen 1922 und 1934 Ortsgruppenleiter der Ortsgruppe Colditz der NSDAP. Ab 1930 war Naumann Kreisleiter des Kreises Grimma der NSDAP und Mitglied des Sächsischen Landtags. 1933 wurde er Gauinspekteur der NSDAP für die Kreishauptmannschaft Leipzig und Vizepräsident des Sächsischen Landtags bis zu dessen Auflösung (Lilla 2004, S. 434–435). 28 | LfA, OA Colditz, Rudolf Irmscher, Ausgrabung Colditz, 7.1.1939, unpag.

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erste Denkmalschutzgesetz trat 1934 in Kraft 29 – blieb die Ausgrabung zunächst undokumentiert. Das Konzentrationslager Colditz entstand als sogenanntes „Frühes Lager“ auf dem Gelände des gleichnamigen Schlosses und wurde zwischen dem 21. März 1933 und dem 15. August 1934 von der SA als „Schutzhaftlager“ für politische Gegner genutzt.30 Außer einem Gefangenenbuch,31 in dem die Eingangs- und Abgangsdaten der Inhaftierten aufgeführt sind, haben sich keine schriftlichen Dokumente aus dieser Zeit erhalten. Dass die Ausgrabung mit KZ-Häftlingen durchgeführt wurde, geht aus einem Hinweis des im sächsischen Landesamt für Archäologie erhaltenen Grabungsberichts vom 7. Januar 1939 hervor.32 Dieser Bericht wurde vom Landespfleger für Bodenaltertümer in Sachsen Georg Bierbaum (1889– 1953) 1938 und damit fünf Jahre nach der Durchführung der Ausgrabung beim damaligen Grabungsleiter angefordert und von diesem kurze Zeit später erstellt.33 Weiterführende Informationen finden sich in drei Zeitungsartikeln34 sowie in zwei Fundmeldungen.35 Während bei der vorausgegangenen Grabungskampagne zwischen September und Oktober 1932 eine unbekannte Anzahl städtischer Arbeiter eine Fläche von ca. 50 qm freilegten, setzte man für die Arbeiten im Jahr 1933, auf Vermittlung von Naumann, fünf Häftlinge des Konzentrationslagers Colditz ein.36 Ein genauer Zeitraum der Grabungen ist nicht überliefert, lediglich die Zeitungsberichte in der Lokalpresse geben darauf einen Hinweis: sie datieren zwischen dem 21. September und 6.

29 | Strobel 2009. 30 | Baganz 2005, S. 97f. 31 | SStAL, 20033. 32 | LfA, OA Colditz, Rudolf Irmscher, Ausgrabung Colditz, 7.1.1939, unpag. 33 | LfA, OA Colditz, Schreiben Georg Bierbaum an Rudolf Irmscher vom 1.12.1938, unpag.; zum Grabungsbericht siehe FN 33. 34 | Es handelt sich hierbei um folgende Zeitungsartikel: o.A., Colditz, Leipziger Abendpost, 21.9.1933, o. S.; o.A., Colditz, Leipziger Abendpost, 22.9.1933, o.S.; o.A., Besuch auf einem Friedhof der Bronzezeit, Leipziger Abendpost, 6.10.1933, S. 12. Alle Zeitungsartikel sind überliefert in: LfA, OA Colditz, Sammlung Zeitungsartikel, unpag. 35 | Fundpflege 1933, S. 40; Moschkau 1934, S. 5. 36 | Moschkau 1934, S. 5.

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Oktober 1933.37 Auf einer Fläche von ca. 125 qm legten die KZ-Häftlinge unter Bewachung der SA vierzehn Gräber aus der jüngeren Bronzezeit frei. Grabungsleiter war der Lehrer und Kreisvolkstumswart Rudolf Irmscher (?–?), der wiederum von Obergeneralarzt Georg Wilke (1859–1938), einem angesehenen Völkerkundler und Vorgeschichtslaien, „kontrolliert und beraten“38 wurde. Nach Beendigung der Ausgrabung, vermutlich ab Oktober 1933, nahmen die KZ-Häftlinge die Sortierung, Zusammensetzung und museumsgerechte Ergänzung der aufgefundenen Scherben vor und restaurierten etwa 40 Gefäße, darunter auch einige Sonderformen, die im Heimatmuseum Colditz ausgestellt werden sollten.39 Der Einsatz der Häftlinge wurde als erfolgreiche „Erziehungsmaßnahme“ betrachtet, was sich an einer Stelle im Grabungsbericht veranschaulichen lässt. Darin heißt es: „Die Kommunisten zeigten nicht nur beim Ausgraben größtes Interesse, sondern sie waren auch nach Anleitung durch einen Leipziger Herren, den Herr Moschkau vermittelt hatte, bereit, die einzelnen Gefäße wieder zusammenzusetzen. Sie haben das nicht nur mit viel Liebe und Fleiß, sondern auch mit großem Geschick getan. Da ich sie nur selten aufsuchen konnte, hatte es sich nicht vermeiden lassen, daß zuletzt doch einige Funde durcheinander gekommen waren. In der Hauptsache steht aber fest, aus welchen Gräbern die Funde stammen.“40 Nach Abschluss der Arbeiten wurde festgestellt, dass „auch der neue Staat nie über genügend Mittel verfügen wird, Fundpflege dieser Art etwa im Stundenlohn zu vergüten und das technische Museumspersonal nicht im entferntesten ausreicht, den bereits magazinierten und noch künftig zu bergenden Fundstoff zu bewältigen“.41 Naumann wollte sich daher bei der zuständigen Aufsichtsbehörde dafür einsetzen, „daß künftig Gefan37 | Der Grabungsbericht erwähnt ebenfalls keinen Zeitraum. Der früheste Zeitungsartikel datiert auf den 21.9.1933 und der letzte auf den 6. Oktober 1933; vgl. LfA, OA Colditz, Sammlung Zeitungsartikel, unpag. 38 | LfA, OA Colditz, Rudolf Irmscher, Ausgrabung Colditz, 7.1.1939, unpag. 39 | Moschkau 1934, S. 5. 40 | LfA, OA Colditz, Rudolf Irmscher, Ausgrabung Colditz, 7.1.1939, unpag. – Der Lehrer Rudolf Moschkau (1886–1976) wirkte in Leipzig jahrzehntelang als ehrenamtlicher Fundpfleger (Coblenz 1977). 41 | Moschkau 1934, S. 5.

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gene mit Wiederherstellung urgeschichtlicher und volkskundlicher Gegenstände oder deren Nachbildung beschäftigt werden“.42 Ob es bei dieser Planung blieb oder ob es tatsächlich zu derartigen Einsätzen in Sachsen kam, kann beim derzeitigen Forschungsstand nicht entschieden werden. Im Gegensatz zu den Umständen der Colditzer Ausgrabung steht die Untersuchung des urnenfelderzeitlichen Gräberfeldes in Gusen (Österreich). Grabungsgeschichte und der verbundene Einsatz von KZ-Häftlingen, erstmals 1952 erwähnt, wurden 1992 ausführlich der archäologischen Fachwelt von der damaligen Grabungsleiterin Hertha Ladenbauer-Orel (1912–2009) vorgelegt.43 Eine zum Teil anderslautende und weniger detaillierte Darstellung des Ausgrabungsablaufs findet sich bereits bei Hans Maršálek 1968.44 Da die Ausgrabungen derzeit von Dr. Bertrand Perz an der Universität Wien aufgearbeitet werden, wird an dieser Stelle nur ein Abriss des Grabungshergangs wiedergegeben.45 (Abb. 1) Nach Darstellung von Ladenbauer-Orel begann Anfang April 1941 das SS-Unternehmen „Deutsche Erd- und Steinwerke G.m.b.H.“ mit dem Bau einer Bahntrasse vom Bahnhof St. Georgen zum Steinbruch Gusen. Die Bauarbeiten führten Häftlinge aus dem Konzentrationslager Gusen durch. Bereits am 9. April 1941 stellte der Perger Landrat Gustav Brachmann (1891–1966) archäologische Funde im Abraum fest, gab jedoch keine Fundmeldung an die zuständige Denkmalschutzbehörde. Brachmann barg einige Skelettreste und Grabbeigaben, die er dem Heimatmuseum in Perg übergab.46 In der Darstellung Maršáleks wiederum ließ Brachmann die Freilegung der Funde veranlassen.47 Möglicherweise kann damit auch die Herstellung eines Weihnachtskalenders mit Ausgrabungsfunden erklärt werden, den Häftlinge Ende 1941 für die Leitung des Konzentrationslagers sowie für andere Dienststellen anfertigten.48 Im April 1942 erhielt der Ordinarius am Urgeschichtlichen Institut der Wiener Universität Oswald Menghin (1888–1973) Kenntnis über die Funde und infor42 | Ebd. 43 | Ladenbauer-Orel 1952, S. XVII; Trnka 1992. 44 | Maršálek 1968, S. 37f. 45 | Freundliche Mitteilung von Bertrand Perz (Stand: 13.9.2011). 46 | Trnka 1992, S. 47. 47 | Maršálek 1968, S. 37. 48 | Trnka 1992, S. 49.

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mierte das Institut für Denkmalpflege in Wien. Der Leiter der Abteilung für Bodenaltertümer des Instituts Kurt Willvonseder (1903–1968) setzte sich über die SS in Berlin mit dem Leiter des Konzentrationslagers Gusen, Karl Chmielewski (1903–1991), in Verbindung und man besprach die weitere Vorgehensweise. Während eines Treffens Ende Mai 1942 wurden die bisherigen Funde zur „SS Sammlung Gusen“ erklärt. Erst am 6. Oktober 1942 begann Ladenbauer-Orel mit den systematischen Ausgrabungen.49 Unterstützt wurde sie dabei vom Grabungstechniker Josef Vockenhuber (1910–1950), ebenfalls vom Wiener Institut. Während des gesamten Grabungszeitraumes war Ladenbauer-Orel vorort im Lager untergebracht.50 Damit nahm sie zumindest indirekt am Lagergeschehen teil. Abb. 1: Ausgrabung mit Häftlingen des Konzentrationslagers Gusen (Österreich).

Quelle: BMI/Fotoarchiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

Die Ausgrabungsarbeiten führten überwiegend polnische Häftlinge aus: „Es wurde über Auftrag des Reichsführers-SS Himmler ein vorwiegend aus Polen bestehendes Häftlings-Grabungskommando gebildet, das die Gräber unter der Leitung von Angestellten des Instituts für Denkmal49 | Ebd. 50 | Ebd.

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pflege aushob.“51 (Abb. 2) Eine ähnliche Darstellung findet sich bei Ladenbauer-Orel: „Der Grabungstrupp der Häftlinge, den die Lagerleitung zusammengestellt hatte, wurde unter ihrem Kapo, dem Polen Kasimir Gelinek, in die Grundbegriffe von Ausgrabung und erster behelfsmäßiger Fundpräparation mit primitivsten Mitteln eingeschult; kriegsbedingt gab es kaum Chemikalien.“52 Abb. 2: Blick auf die Ausgrabungsfläche im Bereich des Konzentrationslagers Gusen (Österreich).

Quelle: BMI/Fotoarchiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

1942 fertigten die Häftlinge Kalender mit Ausgrabungsfunden für die Leitung des Konzentrationslagers sowie für andere Dienststellen an. Ob außerdem für die Reichsleitung der SS ein Fundkatalog oder ein Kalender hergestellt wurde, kann nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden, da sich hier die Aussagen widersprechen.53 Ebenso unklar bleiben Angaben zum „Museum“, welches im Konzentrationslager eingerichtet gewesen sein soll.54 Die Ausgrabungen wurden im Laufe des Jahres 1943 beendet. 51 | Maršálek 1968, S. 37f. 52 | Trnka 1992, S. 49. 53 | Ebd.; Maršálek 1968, S. 37f. 54 | Maršálek 1968, S. 37; Trnka 1992, S. 49; Perz 2006, S. 373f.

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Darüber hinaus waren die Häftlinge noch bis nach Erteilung der allgemeinen „SS-Luftschutzbergung“ am 5. Oktober 1944 und der damit verbundenen Verpackung und Verlagerung des archäologischen Fundguts beschäftigt. Die bereits bearbeiteten Funde wurden daraufhin nach Wien verschickt, die unbearbeiteten Funde verblieben vor Ort.55 Das Beispiel Gusen gibt einen ersten Eindruck über den Einsatz von KZ-Häftlingen auf Ausgrabungen. Details zur Arbeitssituation der Archäologin vor Ort, zur Bewachung, Behandlung und Anleitung der Häftlinge, sowie zum Museum können nach eingehender Bearbeitung aller Quellen hoffentlich weitere Kenntnislücken schließen.56 Die Bergung von fünf Urnen durch Gefangene des Lagers Stutthof (Polen)57 in einer Kiesgrube in Wesslinken am 3. April 194158 ist ein weiteres Beispiel für diese Kategorie. Jedoch sind, wie in vielen anderen Fällen auch, hierzu keine weiteren Dokumente überliefert.59

Strafgefangene Eine weitere Gruppe von Zwangsarbeitern in der archäologischen Forschung und Denkmalpflege bildeten Gefangene aus dem Strafvollzug. Wie schon in den bereits vorgestellten Beispielen erläutert, lassen sich hier nur wenige Aussagen über Art und Umfang der Arbeiten sowie über die Behandlung der Gefangenen auf der Grabung treffen. Zudem fällt auf, dass möglicherweise nicht exakt zwischen KZ-Häftlingen und Strafgefangenen unterschieden wurde. Beispielhaft hierfür ist die Bergung von archäologischen Funden in Brätz (Polen) 1943 durch fünf polnische Häftlinge, die nicht näher bezeichnet wurden.60 55 | Trnka 1992, S. 50. 56 | Zum Lager Stutthof vgl. Drywa 2007, S. 478. 57 | Es handelt sich hier um einen Schreibfehler in den Akten: Anstelle von Wesslingen muss es Wesslinken/Wi ś linka heißen. Ich danke Aleksander Kwapi ń ski für diesen Hinweis sowie für die Informationen in Fußnote 60 (J.S.). 58 | BArch., NS 21, Nr. 98, Abschrift: Der Höhere SS- und Polizeiführer beim Reichstatthalter in Danzig-Westpreussen im Wehrkreis XX an den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren vom 26.5.1941, unpag. 59 | Weder im Archiv des Muzeum Archeologiczne w Gda ń sku noch im Muzeum Stutthof w Sztutowie sind Dokumente zu diesem Vorgang erhalten. 60 | Umbreit 1943, S. 88.

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Anders die Ausgrabung des brandenburgischen Landesamts für Vorund Frühgeschichte zwischen Juni 1938 und März 1939, bei der Strafgefangene eingesetzt wurden. Die Ausgrabung auf dem Baugelände einer Berufsschule in Königswusterhausen (Brandenburg) war durch einen permanenten Mitarbeiterwechsel gekennzeichnet, der nicht nur die Grabungsleiter, sondern auch das Hilfspersonal betraf. Zunächst arbeiteten Männer des Reichsarbeitsdienstes auf der Grabungsfläche, unterstützt von Wohlfahrtsarbeitern, die anschließend von Strafgefangenen abgelöst wurden.61 Zwischen dem 4. Juli und September 1938 leitete SS-Oberscharführer Paier einen Teil der Grabungen.62 Die eingesetzten Strafgefangenen wurden auf seine Initiative in Absprache mit Lothar Zotz (1899–1967), dem damaligen Direktor des brandenburgischen Landesamtes für Vor- und Frühgeschichte, vom Amtsgericht in Königswusterhausen angefordert. Das Amtsgericht stellte „täglich 6 Strafgefangene zum Erde abführen“63 bereit. Nachdem auch sie wieder abgezogen worden waren und keine weiteren Hilfskräfte zur Verfügung standen, wurden die Arbeiten im September 1938 beendet und erst im Frühjahr 1939 für kurze Zeit wieder aufgenommen.64 Eine ähnliche Quellenlage liegt für die von Marie (eigentlich Maria) Luise Schlicht (1908–1980)65 1942 eingeleiteten Ausgrabungen im Hümmling/Emsland (Niedersachsen) vor. Im Vorfeld der Einebnung von Bodendenkmälern auf einem Artilleriegelände sollten Ausgrabungen durchgeführt werden. Da sich auch die Forschungs- und Lehrgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe – Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte e.V. (Ahnenerbe) für die Untersuchungen interessierte, sagte deren Reichsgeschäftsführer Wolfram Sievers (1905–1948) Schlicht die Unterstützung zu.66 Schlicht erhielt daraufhin nicht nur eine finanzielle Unterstützung von 6000 RM für 1942, sondern sie konnte die zu 61 | Zotz 1938, 251; BLDAM, Dokumentation, LDS-92, Königswusterhausen, Blatt 010050. 62 | Ebd., Blatt 010042-47, hier 010042. 63 | Ebd., Blatt 010050. 64 | Ebd., Blatt 010042. 65 | Den Hinweis auf den Vornamen sowie die Lebensdaten verdanke ich Andrea Kaltofen, Meppen. Schlicht wurde zum 1. November 1941 vom Landesmuseum Hannover mit der Betreuung der Bodenfunde im Emsland beauftragt (Kunde 1941, S. 246). 66 | BArch., NS 21, Nr. 2323, Blatt 0630.

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untersuchenden Fundstellen selbst bestimmen.67 Als Gegenleistung erwartete das Ahnenerbe einen zusammenfassenden Bericht zur Veröffentlichung für seine Zeitschrift „Germanien“; etwaige andere Veröffentlichungen hätten mit dem Ahnenerbe abgesprochen werden müssen.68 Die Leitung der Ausgrabungen wurde Schlichts Schwester Elisabeth (1914– 1989)69 übertragen. Im Oktober 1942 verhandelte Elisabeth Schlicht mit dem Kommandeur der Strafgefangenenlager im Emsland 70 über den Einsatz von Gefangenen aus dem Lager I Börgermoor auf der Ausgrabung, der auch genehmigt wurde.71 Die Strafgefangenen, deren Anzahl nicht überliefert ist, waren daraufhin „von Mitte Dezember bis Weihnachten [1942, Anm. Verf.] durchgehend und vom 17.3. bis 15.4. [1943, Anm. Verf.] mit elftägiger Unterbrechung“72 auf der Grabung tätig. Neben Strafgefangenen befanden sich Arbeiter, Schüler der Nationalsozialistischen Erziehungsanstalt Haselünne und Kriegsgefangene unter den Grabungshelfern.73 Nachdem von den bewilligten 6000 RM im Jahr 1942 noch ca. 2000 RM übrig waren, wurden Elisabeth Schlicht diese für weitere Ausgrabungen im Jahr 1943 gutgeschrieben.74 Am 16. April 1943 wandte sich Marie Luise Schlicht an Sievers, er möge mit dem Kommandeur der emsländischen Strafgefangenenlager Hildebrandt in Papenburg Kontakt aufnehmen und ihn um die Bereitstellung von Strafgefangenen für Grabungen bitten.75 Die Strafgefangenen sollten „Erdbewegungen“ durchführen.

67 | Ebd., Blatt 0634-36. 68 | Ebd., Blatt 0634-36. 69 | Elisabeth Schlicht war seit ihrer Jugend in der emsländischen Bodendenkmalpflege und im Museumswesen tätig. Sie promovierte im Juli 1941 bei Gustav Schwantes (1881–1960) an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel über „Die Vorgeschichte des Hümmling. Die Steinzeit“ (Schlicht 1941, S. 356; Kaltofen 1996). 70 | Es handelt sich hierbei vermutlich um Hans-Georg Hildebrandt. 71 | Knoch 2005. 72 | BArch., NS 21, Nr. 2323, Blatt 0658. 73 | Ebd., Blatt 0640. 74 | Ebd., Blatt 0646. 75 | Ebd., Blatt 0658.

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Schlicht verwies auf zehn Soldaten,76 welche bereits seit einiger Zeit bei den Grabungen anwesend und gut eingearbeitet waren.77 Das Ahnenerbe kontaktierte daraufhin Hildebrandt und bat um die weitere Beschäftigung der zehn Gefangenen auf der Grabung.78 Die Maßnahme wurde mit kriegswichtigen Bauarbeiten, einer Schießplatzerweiterung, und der damit verbundenen Dokumentation der Fundstellen begründet. Ob der Einsatz tatsächlich bzw. über welchen Zeitraum genehmigt wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Das betrifft auch den Abschluss der Grabungen. Da sich beide Schwestern ab August 1943 im „Warthegau“ befanden, müssten die Arbeiten vorher beendet worden sein.79 Weitere Angaben wie beispielsweise Hinweise auf die Behandlung der Gefangenen auf der Grabung sind ebenfalls nicht überliefert. Auch die Frage nach der Akzeptanz von Frauen als Grabungsleiterinnen kann vorerst noch nicht beantwortet werden.

Kriegsgefangene Im Gegensatz zu den beiden vorherigen Gruppen liegen die meisten Informationen zum Einsatz von Zwangsarbeitern in der deutschen Archäologie über Kriegsgefangene vor. Das betrifft vor allem ihre Erwähnung in der zeitgenössischen archäologischen Fachliteratur wie die Beispiele Hunte 4 (Niedersachsen)80, Schönburg (Sachsen-Anhalt)81, Ichtershausen (Thüringen)82, Wyhlen (Baden-Württemberg)83 zeigen. Nach ersten Einschätzungen scheint der Einsatz von Kriegsgefangenen in der Archäologie auf zwei verschiedenen Ebenen erfolgt zu sein: zum einen ihr direkter und daher auch geplanter Einsatz auf Ausgrabungen, zum anderen wurden Kriegsgefangene, die in kriegswichtigen Wirtschaftszweigen tätig waren, häufig zu Notbergungen herangezogen. Das betraf vor allem Fun76 | Leider wird aus den Quellen nicht ersichtlich, ob es sich um Kriegsgefangene oder um von der Wehrmacht verurteilte Soldaten handelte. 77 | BArch., NS 21, Nr. 2323, Blatt 0658. 78 | Ebd., Blatt 0674. 79 | Ebd., Blatt 0678. 80 | Mannus 1941, S. 276. 81 | Von Brunn 1942. 82 | Loewe 1941. 83 | Kuhn 1941, S. 24; Kraft 1943, S. 44.

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de, die bei Arbeiten im Straßen- und Gleisbau, in Steinbrüchen, Kiesgruben und ähnlichen entdeckt wurden.84 In die erste Kategorie gehört die Ausgrabung eines früheisenzeitlichen Gräberfeldes in Welli (Niedersachsen), die im Sommer 1940 begonnen wurde. Da eine größere Ausgrabung auf Grund des Arbeitskräftemangels nicht möglich war, wurde für 1942 der Einsatz mit Kriegsgefangenen geplant.85 Ob sie tatsächlich durchgeführt wurde, ist nicht mehr feststellbar. Doch nicht nur in Deutschland wurden Kriegsgefangene für archäologische Tätigkeiten eingesetzt, sondern auch in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Dazu zählen die Arbeiten des Reichsamtes für Vorgeschichte der NSDAP in der Bretagne (Frankreich) 1940, wo französische Kriegsgefangene unter der Leitung des Prähistorikers Werner Hülle (1903–1974) in der Zeit vom 23. September bis 2. Dezember 1940 fünf Alignements (Steinreihen) und 18 Megalithgräber vermaßen.86 Nach einer anderen Darstellung Hülles von 1942 begannen die Arbeiten bereits am 22. September 1940. Auch wird hier von einer Untersuchung von nur 14 Großsteingräbern gesprochen.87 Obwohl Offiziere generell von Arbeitseinsätzen ausgenommen waren, unternahm der sächsische Landesgeologe Rudolf Grahmann (1888–1962) aus Freiberg 1942 dennoch den Versuch, qualifiziertes Offizierspersonal für die Bearbeitung paläolithischer Funde aus Markkleeberg (Sachsen) zu erhalten. Er wandte sich an den sächsischen Landespfleger für Bodenaltertümer Bierbaum, damit ihm zwei inhaftierte französische Offiziere – ein Prähistoriker und ein Zeichner – zugewiesen würden: „Natürlich wird es mir als Privatmann nicht möglich sein, die Genannten anzufordern. Ich unterbreite Dir daher diese Angelegenheit, weil es Dir vielleicht möglich ist, in Dresden zu erfahren, welcher Weg zu beschreiten wäre, um die Genannten für vorgeschichtliche Arbeiten frei zu kriegen. Ob die das wollen, ist mir natürlich nicht bekannt, und da es sich in beiden Fällen um Offiziere handelt, brauchen sie ja wohl auch nicht zu arbeiten. [...] Wenn es eine Möglichkeit gäbe, dass Du diese Fachleute in den Zwinger bekämst, so würde mir natürlich sehr viel daran gelegen sein, 84 | Jünger/Schachtmann 2010, S. 32–34. 85 | Potratz 1942, S. 148. 86 | Hülle 1940, S. 580f. 87 | Hülle 1942, S. 6; vgl. dazu und zur Biographie Hülles den Beitrag von Reena Perschke in diesem Band.

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wenn sie dort für mich Markkleeberger Stücke zeichnen könnten, damit meine Arbeit gefördert würde.“88 Nach einem Gespräch Bierbaums mit Oberleutnant Geißler von der Dienststelle des Kommandeurs der Kriegsgefangenen im Wehrkreiskommando Sachsen teilte er Grahmann mit, er solle sich mit seiner Anfrage an das Oberwehrkreiskommando bzw. an das Wehrkreiskommando IV wenden.89 Ob Grahmann die Offiziere zugewiesen wurden, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Abb. 3: Die Grabungsmannschaft bestehend aus Kriegsgefangenen auf der Coschützer Heidenschanze (Sachsen).

Quelle: LfA, OA Coschütz

In die Gruppe des Einsatzes von Zwangsarbeitern bei Notbergungen gehören die Beispiele von Schönburg (Sachsen-Anhalt) 1940, Ichtershausen 88 | LfA, OA Markkleeberg, Schreiben Grahmann an Bierbaum vom 1.8.1942, unpag.; seit 1892 war die Prähistorische Abteilung des Mineralogisch-Geologischen Museums und damit die (später institutionalisierte) sächsische Bodendenkmalpflege im Wallpavillon des Dresdner Zwingers untergebracht vgl. Schachtmann 2011. 89 | LfA, OA Markkleeberg, Schreiben Bierbaum an Grahmann vom 5.8.1942, unpag.

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(Thüringen) 1941 und Coschütz (Sachsen) 1940/41.90 Während die Ausgrabungen in Ichtershausen und Schönburg nur wenige Tage dauerten, zeigt das Beispiel der Coschützer Heidenschanze, dass es auch Bergungen von mehreren Monaten gab (Abb. 3). Da hierzu die Quellenlage am ausführlichsten ist, soll dieses Beispiel etwas näher vorgestellt werden. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Heidenschanze durch Oberflächenfunde und Funde, die bei Steinbrucharbeiten auftraten, als sehr fundreiches, mehrphasiges Bodendenkmal bekannt. Es datiert in die Bronze-/ frühe Eisenzeit und war letztmalig in der Slawenzeit besiedelt. Obwohl bereits 1936 in die Denkmalliste aufgenommen, wurden nach Beginn des Zweiten Weltkriegs die Steinbrucharbeiten an der Heidenschanze als kriegswichtig eingestuft und in großem Umfang fortgeführt. Im Vorfeld der Sprengungen im Steinbruch Hurban fanden zwischen dem 9. Dezember 1940 und Anfang Mai 194191 größere Oberflächenabräumungen unter der Leitung des Hilfsarbeiters und Zeichners Hermann Dengler (1890–1945)92 vom Dresdner Landesmuseum für Vorgeschichte im Auftrag des Landespflegers für Bodenaltertümer in Sachsen statt. Als Hilfskräfte wurden dabei französische Kriegsgefangene93 eingesetzt, die den Oberboden im „Handbetrieb“ abtrugen und auf Kipploren verluden. Die Kriegsgefangenen bearbeiteten eine Fläche von ca. 1600 qm.94 Neben Messungen und Räumungen führten sie regelmäßige Fundbergungen durch und sicherten dabei neben gewöhnlichen Funden mehr als 130 Sonderfunde von außergewöhnlicher Qualität. Darunter befinden sich 90 | Nebelsick 2006, S. 43; Jünger/Schachtmann 2010, S. 33f. 91 | Eine genaue Angabe gibt es nicht; der letzte eingetragene Sonderfund Nr. 139 datiert vom 8.5.1941: LfA, OA Coschütz, Dresden Coschütz Heidenschanze Bruch Hurban Abräumung 1940/41: Fundliste, unpag. 92 | Zur Biografie Denglers vgl. Coblenz 1991. 93 | LfA, OA Coschütz, Verzeichnis der zehn Kriegsgefangenen (Franzosen) bei der Abräumung Hurban 1940/41, unpag. Das Verzeichnis enthält jedoch eine Auflistung von elf Namen. Ein in Frankreich lebender Marokkaner wurde offenbar nicht mitgezählt. Während eines Abgleichs der erhaltenen Fotos mit der Namensliste konnte noch ein weiterer Kriegsgefangener festgestellt werden, so dass es sich um insgesamt zwölf französische Kriegsgefangene handelte, die in Coschütz eingesetzt worden waren. 94 | LfA, OA Coschütz, Hermann Dengler, Die Abdeckungen auf der Heidenschanze 1939–1941 vom 12.2.1942, unpag.

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

u.a. Knochen- und Bronzenadeln, Knochen- und Geweihpfeilspitzen und steinerne Anhänger.95 Die Arbeit erfolgte häufig unter Lebensgefahr. So am 7. März 1941 bei der Auffindung des sogenannten „Depotfunds eines prähistorischen Sammlers“, der sich nah am Abbruchrand befand. Dazu vermerkt der Grabungsbericht: „Der Franzose Montjarret, der die gefährliche Randarbeit – der Steilsturz beträgt an dieser Stelle rund 70m! – besorgte, fand ihn.“96 Erschwerend kam hinzu, dass aufgrund des bis in den April anhaltenden Schnees und Frostes der Oberboden nur durch Sprengungen abgetragen werden konnte: „Die meiste Zeit herrschte starker Frost, die Erde war bis über ½ m hart gefroren. Es musste wie schon erwähnt, gesprengt werden, und es ist klar, dass die Leute, wenn sie einmal ungefrorene Teile erreicht hatten, dann wie wild drauflosgruben, schon um möglichst viel zu fördern und sich warm zu halten.“97 Die Vorgehensweise der Kriegsgefangenen bei der Freilegung der Artefakte nach der Sprengung erläuterte Dengler in seinem Bericht wie folgt: „Die losgesprengten Klötze wurden mit Stahlkeil und Vorschlaghammer in kleine Stücke zerschlagen. Natürlich blieben, trotzdem die Franzosen die Stücke so klein als möglich machten, Scherben und Kleinfunde in den Brocken stecken, aber es sind nach meiner Ansicht immerhin wenigstens 65%, wenn nicht 70% aller Funde geborgen.“98 (Abb. 4) Zusammenfassend ist festzustellen, dass die erfolgreiche Fundbergung von 1940/41 den eingesetzten Kriegsgefangenen zu verdanken ist. Die vielen Funde und Sonderfunde wurden von ihnen unter schwersten Witterungsverhältnissen und teilweise unter Einsatz ihres Lebens freigelegt. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Bild der Besiedlung und der handwerklichen Tätigkeiten auf der Heidenschanze vervollständigt werden konnte. Anteil daran hatte nicht zuletzt auch die von Dengler auf Französisch gehaltene Motivationsrede am 23. Dezember 1940.99 Trotz 95 | LfA, OA Coschütz, Dresden Coschütz Heidenschanze Bruch Hurban Abräumung 1940/41: Fundliste, unpag. 96 | LfA, OA Coschütz, Grabungsbericht siehe FN 33 und Fundliste siehe FN 34, Eintrag 78 vom 7.3.1941, unpag. 97 | Ebd. 98 | Ebd. 99 | LfA, OA Coschütz, Hermann Dengler, Ansprache auf Französisch vom 23.12.1940, unpag.

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der überlieferten Grabungsdokumentation ließen sich bislang keine Unterlagen zu möglichen Absprachen zwischen dem Landespfleger für Bodenaltertümer und der Firma Hurban feststellen. Ob diese mündlich erfolgten oder schriftlich und die Akten später vernichtet wurden, ist derzeit nicht nachvollziehbar. Auch liegen keine Angaben über die Versorgung und Unterbringung der Kriegsgefangenen vor. Wie bei den vorangegangenen Beispielen sind weitere Informationen wie Absprachen zwischen den Denkmalämtern, den Ausgräbern, den Firmen und Arbeitsämtern nur selten überliefert. Ebenso ist der scheinbar überwiegende Anteil französischer Kriegsgefangener möglicherweise einer einseitigen und eingeschränkten Quellenlage geschuldet. Abb. 4: Kriegsgefangene bei der Ausgrabung auf der Coschützer Heidenschanze (Sachsen).

Quelle: LfA, OA Coschütz

F a zit Zwangsarbeiter wurden während des Nationalsozialismus in verschiedenen Bereichen der Bodendenkmalpflege eingesetzt. Die vorgestellten Beispiele beschränken sich auf Ausgrabungen. Darüber hinaus muss mit Arbeitseinsätzen in archäologischen Museen gerechnet werden. Zivile

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

Zwangsarbeiter entfielen bei dieser kurzen Zusammenstellung, da die fragmentarisch erhaltenen Quellen zu ihnen nur wenige Aussagen enthalten. Die bekannten Unterlagen weisen darauf hin, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Nicht zu beurteilen ist dagegen auf dieser schmalen Quellenbasis, ob der Einsatz systematisch erfolgte. Die Begleitumstände der dargestellten Fälle weisen auf zufällige Faktoren hin: Nachdem 1932 viele Arbeitslose in Colditz vorübergehend Beschäftigung bei der Ausgrabung fanden, veranlasste ein Jahr später der NSDAP-Kreisleiter den Einsatz der Häftlinge aus dem Konzentrationslager. Eine Verwirklichung seiner weiterreichenden Vorschläge konnte später nur deswegen nicht stattfinden, weil das Lager bald darauf seine Funktion verlor. Anders waren die Umstände in Gusen, wo unter planvoller Verwendung der Häftlinge eine Ausgrabung durchgeführt und beendet werden konnte. Die Zufälligkeit bei der Auswahl der Arbeitskräfte tritt besonders hervor in den Grabungskampagnen im Hümmling, wo sich unter den Grabungshelfern Häftlinge, Schüler und Kriegsgefangene befanden. Der sächsische Landesgeologe Grahmann suchte für seine Forschungen indessen gezielt Personen, die er für entsprechend qualifiziert hielt, und ihm war bewusst, dass er lediglich eine Bitte an die kriegsgefangenen Offiziere richten konnte. Die Realisierung eines solchen Arbeitseinsatzes betrachtete er als rechtmäßig. Gleiches kann für Dengler gelten, der die Arbeiten der Kriegsgefangenen auf der Heidenschanze leitete.100 Bei alldem zeichnet sich deutlich ab, dass die genannten Prähistorikerinnen und Prähistoriker ebenso zweckorientiert handelten wie andere Zeitgenossen. Wer die Insassen eines Konzentrationslagers bei der Ausgrabung archäologischer Fundstätten einsetzte, besaß offenkundig keine Skrupel hinsichtlich einer Beschäftigung von Zwangsarbeitern. Freilich gilt wie in anderen Bereichen der Gesellschaft ein Generalisierungsverbot. Die gefundenen Einzelbeispiele können ebenso die Spitze eines Eisberges signalisieren wie ein Indiz dafür sein, dass einzelne Archäologen sich mehr als andere an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligten und davon profitierten wollten. Generell ist von unterschiedlichen Motivationen für den Einsatz von Zwangsarbeit auszugehen. Bei der Ausgrabung in Colditz etwa wird deutlich, dass der sächsische Staat die Finanzierung der Bodendenkmalpflege nur über kostengünstige Arbeitskräfte finanzieren wollte. In den Jahren 100 | Buggeln 2014, 235.

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der Kriegsvorbereitung mit dem steigenden Arbeitskräftebedarf sowie in den Kriegsjahren fehlte es allgemein an Arbeitskräften. Bei den Ausgrabungen wurde der Arbeitskräftemangel durch Straf- und Kriegsgefangene kompensiert. Die Beispiele Hümmling, Hunte 4, Bretagne und möglicherweise auch Gusen zeigen wiederum, wie die archäologisch tätigen Organisationen Ahnenerbe und Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte/ Reichsamt für Vorgeschichte der NSDAP versuchten, durch Förderung von Ausgrabungen mit Zwangsarbeitern ihren Einfluss in der Archäologie auszubauen. Insgesamt bestätigt die Auswertung der herangezogenen Unterlagen, dass der Anteil der Zwangsarbeiter in der Prähistorischen Archäologie im Vergleich zu anderen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft gering ausfiel. In den Beispielen zeigt sich zudem, wie erfolgreich die Bemühungen dieser Archäologen waren, Zwangsarbeiter bei den Ausgrabungen einzusetzen. Haben sie sich damit an der nationalsozialistischen Politik beteiligt? Der Feststellung von Spoerer ist uneingeschränkt zuzustimmen: „Das Regime instrumentalisierte somit das individuelle Streben nach materiellem Eigennutz für seine Zwecke und machte dadurch selbst solche Unternehmen und Personen zu seinen Komplizen, die ihm ideologisch eher fernstanden.“101 Indem Archäologen für ihre Zwecke die Arbeitskraft von Menschen ausnutzten, die sich nicht dagegen zur Wehr setzen konnten, wurden sie, sei es bewusst oder unbewusst, zu Mittätern. Bei der Recherche zu der hier präsentierten kursorischen Zusammenstellung einzelner Fälle zeichnete sich ab, dass der für die umfassende Bearbeitung dieses komplexen Themas zu erwartende Aufwand außerordentlich groß sein wird. Eine systematische Durchsicht der Primärquellen, – also der Grabungsdokumentationen und Fundmeldungen in den Landesdenkmalämtern –, der Museumsakten, der Akten von Arbeitsämtern, der Unterlagen von Firmen und Organisationen, in denen Zwangsarbeiter tätig waren, würde erhebliche Forschungskapazitäten benötigen. Bei alldem lässt sich nicht ausschließen, dass die Ergebnisse solcher aufwendigen Untersuchungen fragmentarisch bleiben. Das ändert freilich nichts an der Notwendigkeit der weiteren Erforschung. Zwangsarbeit ist ein wichtiges Kapitel innerhalb der Fachgeschichte und ist aus diesem Grund weiter zu bearbeiten.

101 | Spoerer 2001, S. 262.

Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

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Judith Schachtmann, Thomas Widera

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Zwangsarbeit in der Prähistorischen Archäologie zwischen 1933 und 1945

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Judith Schachtmann M.A. Dr. Thomas Widera

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Herausgeber/-innen und Autor/-innen

Susanne Grunwald Susanne Grunwald, geb. 1972 hat in Jena und Leipzig Ur- und Frühgeschichte sowie Mittlere und Neuere Geschichte studiert und wurde 2012 in Leipzig mit einer wissenschaftsgeschichtlichen Arbeit über die archäologische Burgwallforschung in Sachsen zwischen 1900 und 1960 promoviert. Derzeit bereitet sie ein Projekt zur Analyse der Traditionen der archäologischen Kartographie in Deutschland im 20. Jahrhundert vor. Susanne Grunwald lebt in Berlin. E-Mail: [email protected] Uta Halle Prof. Dr. phil. Uta Halle, geb. 1956, Studium der Vor- und Frühgeschichte, Geologie, Anthropologie und Volkskunde an der Universität Hamburg. Professorin für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Bremen, Landesarchäologin und Abteilungsleiterin für Ur- und Frühgeschichte am Focke-Museum. Veröffentlichungen: Monographien und zahlreiche Aufsätze zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Keramikproduktion und -handel und zur Archäologie während der NS-Zeit. E-Mail: [email protected] Marko Jelusić Marko Jelusić B.A., geb. 1988, Bachelorstudium der Ur- und Frühgeschichte & Christlichen Archäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen. Daraufhin Aufnahme eines Masterstudiums in Provinzialrömischer Archäologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.. Forschungsschwerpunkte: Aus-

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Die Spur des Geldes in der Prähistorischen Archäologie

rüstung und Organisation der Römischen Armee, Spätantike, Auslagerung von Kunstschätzen und Archäologie während der NS-Zeit. E-Mail: [email protected] Dirk Mahsarski Dirk Mahsarski (Dr. phil. Dipl. Biol.), geboren 1977, war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Focke-Museum und Lehrbeauftragter am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen. Der Historiker und Biologe hat über zehn Jahre zur Rolle der Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus geforscht und war Kurator der Sonderausstellung „Graben für Germanien - Archäologie im Nationalsozialismus“. Mittlerweile ist er außerhalb der Forschung tätig. E-Mail: [email protected] Reena Perschke Dr. des. Reena Perschke, geb. 1974, studierte zuerst Rechtspflege und Verwaltung an der FHVR (Berlin), bevor sie an der FU Berlin ein Magisterstudium der Ur- und Frühgeschichte, Vorderasiatischen Altertumskunde und Religionswissenschaft absolvierte. Die Promotion schloss sie parallel zur Tätigkeit im Museum Lichtenberg an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Dissertation zur bretonischen Megalithik ab. Gegenwärtig befasst sie sich mit nationalsozialistischer Archäologie in den besetzten Westgebieten (1940–1945). E-Mail: [email protected] Karin Reichenbach Karin Reichenbach M.A., geb. 1978, Studium der Ur- und Frühgeschichte, Historischen Hilfswissenschaften/Archivwissenschaft und Anglistik in Leipzig und Bratislava. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig (GWZO) mit den Arbeits- und Publikationsschwerpunkten Frühes Mittelalter in Ostmitteleuropa, Burgwallforschung und Architektursoziologie sowie Wissenschaftsgeschichte und -theorie. E-Mail: [email protected]

Herausgeber/-innen und Autor/-innen

Judith Schachtmann Judith Schachtmann M.A., Studium der Ur- und Frühgeschichte, Keltologie und Europäische Ethnologie an den Universitäten in Berlin, Galway und Glasgow. Nach dem Studium zunächst wissenschaftliche Volontärin am Sächsischen Landesamt für Archäologie, Bearbeiterin (mit Thomas Widera) des 2008-2011 von der DFG geförderten Projektes „Archäologie im politischen Diskurs. Ethnische Interpretationen prähistorischer Bodendenkmale in Sachsen, Böhmen und Schlesien zwischen 1918 und 1989“. Veröffentlichungen zur Geschichte der Prähistorischen Archäologie in Sachsen. E-Mail: [email protected] Dana Schlegelmilch Dana Schlegelmilch, M.A., geb. 1980, Studium der Vor- und Frühgeschichte, Mittleren und Neueren Geschichte und Keltologie an der Philipps-Universität Marburg. Promotionsstipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung. Veröffentlichungen zur Vor- und Frühgeschichte in der NS-Zeit, zur Wewelsburg sowie zum Geschichtsbild der extremen Rechten. E-Mail: [email protected] Sabrina Schütze Sabrina Schütze, M.A., geb. 1986, Studium der Geschichte und Kunstwissenschaft an der Universität Bremen. Lehrkraft bei Voortgezet Onderwijs van Amsterdam. Wissenschaftliche Mitarbeit an der Konzeption der Dauerausstellung „Geschichte-Gewalt-Gewissen“ im Geschichtsort Villa ten Hompel, Münster. Veröffentlichungen: Artikel zum Museum „Väterkunde“ in der Bremer Böttcherstraße. E-Mail: [email protected] Thomas Widera Dr. phil., Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Soziologie an der TU Dresden. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden. Veröffentlichungen zur Nachkriegszeit, zur DDR-Geschichte und zur Geschichte der Archäologie in Sachsen. E-Mail: [email protected]

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Histoire Alexander Simmeth Krautrock transnational Die Neuerfindung der Popmusik in der BRD, 1968–1978 Juni 2016, ca. 390 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3424-2

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Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.) Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie Mai 2016, ca. 310 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3021-3

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Ulrike Kändler Entdeckung des Urbanen Die Sozialforschungsstelle Dortmund und die soziologische Stadtforschung in Deutschland, 1930 bis 1960 Februar 2016, 416 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2676-6

Simon Hofmann Umstrittene Körperteile Eine Geschichte der Organspende in der Schweiz Februar 2016, 334 Seiten, kart., 37,99 €, ISBN 978-3-8376-3232-3

Stefanie Pilzweger Männlichkeit zwischen Gefühl und Revolution Eine Emotionsgeschichte der bundesdeutschen 68er-Bewegung 2015, 414 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3378-8

Sebastian Klinge 1989 und wir Geschichtspolitik und Erinnerungskultur nach dem Mauerfall

Cornelia Geißler Individuum und Masse – Zur Vermittlung des Holocaust in deutschen Gedenkstättenausstellungen 2015, 396 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2864-7

Stefan Brakensiek, Claudia Claridge (Hg.) Fiasko – Scheitern in der Frühen Neuzeit Beiträge zur Kulturgeschichte des Misserfolgs 2015, 224 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2782-4

Christian Peters Nationalsozialistische Machtdurchsetzung in Kleinstädten Eine vergleichende Studie zu Quakenbrück und Heide/Holstein 2015, 492 Seiten, kart., zahlr. Abb., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3091-6

Felix Krämer Moral Leaders Medien, Gender und Glaube in den USA der 1970er und 1980er Jahre 2015, 418 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2645-2

Karla Verlinden Sexualität und Beziehungen bei den »68ern« Erinnerungen ehemaliger Protagonisten und Protagonistinnen 2015, 468 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2974-3

2015, 438 Seiten, kart., z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2741-1

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