Die sozialökonomischen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung im Küstengebirge der Syrischen Arabischen Republik: Eine Untersuchung im Gebiet von Aš-Saiḫ-Badr [Reprint 2021 ed.] 9783112478264, 9783112478257

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Die sozialökonomischen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung im Küstengebirge der Syrischen Arabischen Republik: Eine Untersuchung im Gebiet von Aš-Saiḫ-Badr [Reprint 2021 ed.]
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VERÖFFENTLICHUNGEN DES MUSEUMS FÜR VÖLKERKUNDE ZU LEIPZIG HEFT 26

KAMIL ISMAIL

DIE SOZIALÖKONOMISCHEN VERHÄLTNISSE DER BÄUERLICHEN BEVÖLKERUNG IM KÜSTENGEBIRGE DER SYRISCHEN ARABISCHEN R E P U B L I K Eine Untersuchung im Gebiet von AS-Sai^-Badr

Mit 16 Abbildungen und 2 Farbtafeln

A K AD E M I E - V E R L AG 1975

BERLIN

HERAUSGEGEBEN VON DEB, DIREKTION REDAKTION: ROLF KRUSCHE

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © 1975 by Museum f ü r Völkerkunde Leipzig Lizenznummer: 202 • 100/126/75 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 4403 Bestellnummer: 752 430 3(2085/1/26) • LSV 0705 Printed in GDB,

EVP 15,-

MEINEN ELTERN, GESCHWISTERN UND DEN BAUERN MEINES HEIMATORTES

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

7

Einleitung

9

A. Geographie und Geschichte

17

I . Geographisch-historischer Überblick und die Lage von As-SaihBadr 1. Geographischer Überblick 2. Historischer Überblick Besiedlung Sozialökonomische Verhältnisse zur Zeit der türkischen der französischen Herrschaft Probleme und Tendenzen der ökonomischen und sozialen wicklung in der Gegenwart

17 17 19 19

und 22 Ent-

I I . Untersuchungsgebiet As-Saih-Badr 1. Allgemeine Charakterisierung 2. As-Saih-Badr als administrative Einheit 3. Siedlungsbild und Demographie

25 29 29 30 31

B . Sozialökonomische Verhältnisse der Bevölkerung von As-SaihBadr

37

I . Bäuerliche Bevölkerung

37

1. Siedlung und Wohnweise Siedlungs- und Gehöftsanlage Inneneinrichtung und Wohnweise 2. Landwirtschaftliche Arbeit Feldarbeit Viehhaltung Seidenraupenzucht 3. Haushalt und Arbeitsteilung 4. Freizeit 5. Saisonarbeit 6. Ergänzende Einkommensquellen 7. Emigration 8. Untersuchte Familien 9. Sozialstruktur Die 'asira Familie Heirat

37 37 39 43 43 47 48 48 51 53 54 56 56 83 83 84 86 5

Beziehungen innerhalb der Familie Verwandtschaftliche und nachbarliche Beziehungen 10. Landbesitz Kategorien Aktuelle Fragen des Landbesitzes 11. Landwirtschaftliche Genossenschaft

. . . .

I I . Händler, Handwerker und Angestellte 1. Händler 2. Handwerker 3. Angestellte C. Politisch-administrative Verhältnisse und die Rolle der Tradit ionen

88 91 93 93 95 97 101 101 103 107 111

I . Administration

111

I I . Bildungswesen

115

I I I . Information der Bevölkerung und die Rolle der neuen Organisationen

120

I V . Rolle der Traditionen

125

1. Traditionen im Lebenszyklus Kindheit Verlobung (al-hutüba) Hochzeit (al-urs) Tod und Beerdigung 2. Religiöse F e s t e 3. Verehrung hervorragender Persönlichkeiten und heiliger Stätten

126 126 128 130 133 134 136

Summary

138

Literaturverzeichnis

141

Glossar der im T e x t vorkommenden arabischen B e g r i f f e

142

Vorwort

Vom Herbst 1967 bis zum Frühjahr 1972 studierte ich Ethnographie an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Während des Studiums hielt ich mich zweimal zu einer mehrwöchigen Feldforschung in der Syrischen Arabischen Republik auf. Dabei wurde der größte Teil des in der vorliegenden Publikation verarbeiteten Materials aufgenommen. Für meine Ausbildung möchte ich den Mitarbeitern des Lehr- und Forschungsbereichs für Ethnographie „Julius Lips" an der Sektion Afrika- und Nahostwissenschaften danken. Meine besondere Dankbarkeit gilt Herrn Wolfgang Liedtke für seine ständige Betreuung während des Studiums, seine Anleitung bei der Vorbereitung und Auswertung meiner Feldforschung und der Hilfe bei der Abfassung dieser Arbeit. Ich danke auch den Einwohnern von Al-Muraiqeb und Al-Andrüse, die mir bei der Materialsammlung jegliche Hilfe leisteten. Besonders danke ich meinem Bruder, Ismail Ismail, dem Direktor der Oberschule von As-Saih-Badr, der mir viele Informationen gab und mir nach Abschluß der Feldforschung wichtige Materialien nachsandte.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit soll ein Beitrag zum Studium der gegenwärtigen sozialökonomischen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung in der Syrischen Arabischen Republik sein. I n einem Land, wo die Bauern etwa 60% der Bevölkerung bilden, haben Untersuchungen über ihre Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und alle Entwicklungstendenzen in diesen Bereichen eine ganz besondere Bedeutung. Ungeachtet dessen gibt es bisher nur sehr wenige Studien auf diesem Gebiet. Der Umfang der bisherigen wissenschaftlichen Forschungen steht in einem krassen Mißverhältnis zur objektiven Bedeutung des Gegenstandes. Für die vorliegende Untersuchung wurde ein Komplex von Dorfgemeinden im Küstengebirge östlich von Tartous ausgewählt. Es handelt sich um die Darstellung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung von A5-Saih-Badr und seiner Umgebung, einem Ort, der in den letzten Jahren zu einem administrativen Mittelpunkt mit den Funktionen einer Kreisstadt in einem rein ländlichen Gebiet wurde, und wo deshalb der Gegensatz zwischen den alten Verhältnissen und den neuen gesellschaftlichen Erscheinungen sowie alle regional-spezifischen, sozialökonomischen Entwicklungstendenzen besonders sichtbar werden. Die begrenzte, nur auf ein Dorf bezogene Forschung, die häufig typisch für ältere, aber auch gegenwärtige ethnologische Untersuchungen ist, entspricht oft nicht mehr den methodischen und theoretischen Erfordernissen der objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten in unserer Zeit. Die Entwicklung vieler neuer Beziehungen zwischen den Bauern und anderen Bevölkerungsgruppen, sowie die Herausbildung neuer Klassen und Schichten erfordert ein weiteres Gesichtsfeld für eine Feldforschung. Diese Entwicklung neuer Austauschbeziehungen zwischen der bäuerlichen Bevölkerung, den Handwerkern und den Händlern, das Verhältnis zu den staatlichen Behörden, der Bildungsprozeß neuer Gruppen, Klassen und Schichten und deren gesellschaftliche Rolle werden beim Studium einer Landstadt, bzw. eines ländlichen Verwaltungs- und Entwicklungsmittelpunktes und seiner unmittelbaren Umgebung besonders deutlich und sind oft nur dort existent und erkennbar. Die vorliegende Arbeit beruht auf Ergebnissen eigener Feldforschung in den Sommermonaten der Jahre 1968 und 1970. Ein Teil des gewonnenen Materials besteht in der Untersuchung der sozialökonomischen Situation und der gesamten Lebensweise einer größeren Anzahl bäuerlicher Familien. Diese Familien wurden so ausgewählt, daß sie typisch für die bäuerliche Bevölkerung von A§Saih-Badr und seiner näheren Umgebung sind. I n jedem Falle wurde eine möglichst große Anzahl von Angaben aufgenommen. Der Darstellung jeder Familie 9

liegen längere Unterhaltungen in der Form eines halbstandardisierten Interviews zu Grunde. Hinzu kamen systematische regelmäßige Beobachtungen während einiger Wochen. Mit der gleichen Methode wurden die anderen Ergebnisse erzielt. Außerdem wurden Statistiken der staatlichen Verwaltung und der Leitung der landwirtschaftlichen Genossenschaft ausgewertet. Die Forschungsarbeit wurde wesentlich dadurch erleichtert, daß der Verfasser im Untersuchungsgebiet beheimatet ist, dort seine Kindheit verbrachte und deshalb mit Hilfe von Verwandten und Bekannten viele Ergebnisse ergänzen und auf ihre Richtigkeit hin kontrollieren konnte. Einige Lücken, die sich bei der Überarbeitung des Materials in Leipzig herausstellten, konnten auch durch Korrespondenz mit einem Lehrer nachträglich geschlossen werden. Trotz der Bedeutung, die dem Studium der sozialökonomischen Verhältnisse und der gesamten Lebensweise der bäuerlichen Bevölkerung in den Ländern des Nahen Ostens unzweifelhaft zukommt, hat doch die Behandlung dieser Thematik relativ spät begonnen. Erst in der Mitte der 40er Jahre wurden die ersten Ansätze gemacht, um einige Aspekte des Lebens der bäuerlichen Bevölkerung zu erforschen und in überwiegend kurzen Studien darzustellen. Erste Arbeiten über diese Thematik waren Artikel von Soziologen und ,Social Anthropologists', die im „Middle East Journal", im „Annual Report of the Smithsonian Institution", im „American Journal of Sociology" und in einigen anderen Zeitschriften und Periodica veröffentlicht wurden. Als Motiv für die Publikation dieser Arbeiten nannte A. T A N N O U S die dominierende Rolle des ländlichen Sektors im Nahen Osten. „The Middle East reveals itself most fundamentally through a study of its rural society." 1 Diese Bedeutung ergibt sich daraus, daß „. . . between 70 and 80 percent o f t h e p e o p l e o f t h e Middle East are rural, depending upon agriculture for a living." 2 Trotzdem diese Arbeiten wenig Konkretes aussagen und weitgehend sehr allgemein gehalten sind, trugen sie doch dazu bei, die Aufmerksamkeit zu erregen und auf viele Probleme hinzuweisen, die in umfangreicheren Studien der kommenden Jahre behandelt werden. Einer der ersten Ethnographen und Soziologen, die sich in umfassender Weise mit der gegenwärtigen Gesellschaft und Kultur in den Dörfern des Nahen Ostens beschäftigten, war der Libanese Afif T A N N O U S . Er lebte längere Zeit in den USA, und seine ersten größeren Arbeiten erschienen im „Middle East Journal" und im „American Journal of Sociology". Zu diesen Artikeln gehören u. a. „The Arab village Community in the Middle East" (1944), „The Village in the National Life of Libanon" (1949) und „Land Tenure in the Middle East" (1943). Diese und andere Arbeiten waren das Fundament und die Voraussetzung für die Studien weiterer Ethnographen und Soziologen. Sie folgten seinen Anregungen und den von ihm angeschnittenen Themen und Fragen. Eine gewisse Bedeutung im gleichen Sinne hatte auch der Artikel von Mariam Z A R O U R : „Ramallah, My Home Town" (1953). Sie beschreibt darin ihren Heimatort, eine kleine Stadt in Jordanien, i TANNOUS, 1949, S. 151. 2 Ebenda, S. 151. 10

T A N N O U S behandelt in seinen Arbeiten nicht konkrete Fälle bestimmter Dörfer oder eines begrenzten Gebietes. Er hat keine auf Feldforschung basierende Einzelstudie ausgearbeitet. Seine Darstellungen haben den Charakter relativ hoher Verallgemeinerungen. Drei wesentliche Komplexe stehen immer im Vordergrund : der Landbesitz und alle mit dem Land verbundenen rechtlichen und sonstigen Vorstellungen, die Religion und die Verwandtschaftsorganisation. Darin sieht er die „Major Themes in village life" und verweist auf die Notwendigkeit, die Zusammenhänge zwischen den genannten Komplexen zu erkennen. „Conse•quently, their system of land tenure cannot be analyzed and understood as such in isolation, it has to be approached in the light of its organic relationship with other aspects of the culture, especially religion and the family." 3 Trotz der Betonung von Landfragen finden wir aber z. B. keine Angaben über Landbesitzgrößen. Von besonderer Bedeutung wurde die Klassifikation der Formen des Landbesitzes durch T A N N O U S . Sie wurde von fast allen Ethnographen und Soziologen, die über die bäuerliche Bevölkerung des Nahen Ostens arbeiteten, zitiert und in vielen Fällen übernommen. T A N N O U S nennt folgende Formen des Landbesitzes: Mulk — Land, das sich in Privatbesitz befindet Mir! — Land, das dem Staat gehört Waqf — Land, das einer Moschee gehört Matraka — Land, das die Bewohner eines Ortes gemeinsam besitzen Mawät — Land, das ist eine Art Niemandsland Masa' — Land, das ist kultivierbares Land, das sich in Gemeinschaftsbesitz eines Dorfes befindet, das aber nach Urbarmachung unter die Familien aufgeteilt wird und dann als Privatland gilt. 4 Diese Kategorien sind in den Ländern des Nahen Ostens existent, aber nicht in jeder Gemeinde gibt es jede dieser Kategorien. Nur konkrete Studien ermöglichen es, die sozialökonomische Bedeutung der einzelnen Formen des Landbesitzes, d. h. ihr Größenverhältnis zueinander, die Wege und Tendenzen der Veränderung der Besitzverhältnisse, die tatsächliche Praxis der Nutzung von Staats-, •Gemeinde- und Moscheeland usw. zu erfassen. T A N N O U S ist vielleicht der einzige, speziell damit befaßte Ethnograph und Soziologe, der bereits damals Empfehlungen zur Entwicklung des libanesischen Dorfes geäußert hat. Er fordert die Aktivierung der landwirtschaftlichen Produktion durch Anwendung besserer Anbaumethoden und die Einführung moderner Arbeitsgeräte, und er weist ausdrücklich darauf hin, daß Handwerk und lokale Industrie gefördert werden sollten. I n der Zerstückelung des Landes als Folge fortwährender Erbteilung sieht er eines der Haupthindernisse für die weitere Entwicklung. 5 Daraus ergibt sich die Empfehlung für einen Nationalplan, der •die Zusammenlegung des Landbesitzes auf genossenschaftlicher Basis mit gemein-

A

TANNOUS, 1943, S. 173.

4

V e r g l . TANNOUS, 1 9 4 3 .

3

TANNOUS, 1949, S. 156. „There are good possibilities for the development of such agricultural and cottage industries as canning, dairying, cold storage for fruit, tanning and handcrafts."

11

samer Bearbeitung vorsehen sollte. Der Privatbesitz an Grund und Boden bliebe dabei erhalten. Er weist aber auch darauf hin, daß diese Lösung nur zeitweilig große Vorteile mit sich bringen würde.6 Das Problem der Landzersplitterung kann immer wieder auftauchen, solange es möglich ist, die Flächen im Erbgang erneut aufzuteilen. Mariam Z A B O U R stellt in ihrer Arbeit sozialpsyehologische Aspekte in den Vordergrund; ökonomische und sozialökonomische Gegebenheiten werden kaum berücksichtigt. Ihre ganze Darstellung ist mehr deskriptiv als analytisch. Sie dürfte zu den ersten Frauen aus den Ländern des Nahen Ostens gehören, die wissenschaftlich gearbeitet haben. In ihrer Studie steht denn auch die gesellschaftliche Stellung der Frau und deren Veränderung stark im Vordergrund. Die Bedeutung des kulturellen Wandels, der vorwiegend durch westlichen Einfluß ausgelöst wurde, auf die Stellung der Frau hat ihr Interesse am meisten erregt, und zu diesem Aspekt macht sie einige wesentliche Aussagen. Erst in den 50er Jahren und Anfang der 60er Jahre erschienen Publikationen, in denen die Lebensweise der Bevölkerung bestimmter Dörfer und Dorfkomplexe behandelt wird. Es sind Arbeiten, die auf Feldforschung zurückgehen. Die ersten Feldforschungen wurden von ausländischen, besonders amerikanischen Anthropologen und Soziologen unternommen. Hinter ihnen standen mehrere Forschungszentren und Institutionen. Aber keine der bisher vorliegenden Studien wurde von einem Kollektiv erarbeitet. Feldforschungen wurden immer von einer Person durchgeführt. Gemeinschaftsarbeiten, sagt G U L I C K , sollten in Urbanzentren den Vorrang haben, eine Dorfstudie dagegen solle von einem Forscher erarbeitet werden. Er schreibt wörtlich: „Furthermore, urban studies in the Middle East should probably be undertaken by teamsof researchers which include other social scientists in addition to Anthropologists. A village study is therefore the most suitable type of research for a Single Anthropologist in Libanon." 7 Wenn man die Erarbeitung der Community Studies und anderer Studien in zeitgeschichtlichem Zusammenhang sieht, so zeigt sich deutlich, daß diese Arbeiten nach der Erringung der politischen Unabhängigkeit des Nahen Ostens ausgearbeitet wurden. Aus diesen Ländern selbst gingen in den ersten Jahren ihrer Selbständigkeit keine eigenen Forschungen hervor, es fehlten die entsprechenden akademischen Institutionen, und die Interessen des Staates waren jahrelang von anderen Fragen stärker in Anspruch genommen. Der Mangel ethnographischer und soziologischer Forschung durch einheimische Wissenschaftler macht sich noch heute sehr negativ bemerkbar. Das gilt sowohl für die Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften, deren Gegenstand die vergangenen und gegenwärtigen Verhältnisse im eigenen Land sind, an den akademischen Institutionen, als auch für die Schaffung wissenschaftlicher Grundlagen für die Arbeit der staatlichen Administration und progressiver Organisationen. Ähnlich ist es in allen Ländern des Vorderen Orients, obwohl es in den einzelc

TANNOUS, 1949, S. 156.

7

GULICK, 1955, S. 17.

12

nen Staaten gewisse Unterschiede gab und gibt. Für den Libanon und für Jordanien lagen die Gegebenheiten etwas anders als in Syrien. Im Libanon gab es relativ mehr entsprechende Forschung als in Syrien. Zwei Umstände sind die Ursache dafür. Erstens gibt es viele Libanesen in den USA, die an wissenschaftlichen Institutionen, u. a. auch an Middle-East-Institutes, tätig sind. Zu ihnen gehört der bereits genannte Afif TANNOUS. Zweitens blieben durch die besondere Politik des Libanon Möglichkeiten für die verschiedensten Aktivitäten und Einflußnahmen westlicher politischer und wissenschaftlicher Institutionen offen. Auch in Jordanien und Palästina wurden aus ähnlichen Gründen mehr Forschungen getrieben als in Syrien. Abdulla LUTFIYYA, ein in den USA lebender Jordanier, nennt in seinem Werk „Baytin, A Jordanien Village" einige Gründe, die das Interesse für Sozialforschungen in dem Gebiet des Nahen Ostens geweckt haben. Das sind nach seiner Ansicht u. a. das wachsende Interesse der wirtschaftlich und politisch führenden Staaten des Westens an dem Gebiet des Nahen Ostens, die Bedeutung der politischen und sozialen Rolle, die die bäuerliche Bevölkerung in diesem Gebiet spielt, das Interesse vieler Wissenschaftler am Studium des Zusammenstoßes der traditionellen gesellschaftlichen Verhältnisse und der modernen westlichen Zivilisation, die notwendige Vorbereitung von Programmen, die den Studenten in den westlichen Ländern helfen sollen, die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung im Nahen Osten zu studieren und die notwendige Entwicklung von Programmen an den Forschungsinstituten der Universitäten des Nahen Ostens selbst. 8 Auch G U L I C K betont immer wieder das Interesse der Wissenschaftler am Studium der Veränderung der Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten unter dem Einfluß der europäischen und amerikanischen Kultur. „The culture change process which is working upon it is multilateral, it has affected different regions in different ways, and different parts of culture in different ways." 9 Aus solchen Äußerungen wird bei Beachtung der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge deutlich, daß der Anstoß für die Erarbeitung der Studien nicht nur im akademischen Interesse liegt, sondern daß es darum geht, die charakteristischen Züge der Entwicklungslinien der Gesellschaft des Nahen Ostens zu erfassen, um die verschiedensten politischen Aktivitäten analysieren zu können, wie das John G U L I C K mit folgenden Worten zum Ausdruck brachte: „Others, such as nationalism and the rise of political parties, have been indirect and unforeseen reactions to the activities of those interests." 10 Das Interesse der verschiedenen Institutionen, der wirtschaftlichen und politischen Interessengruppen kapitalistischer Länderrichtet sich aber in höherem Maße auf andere gesellschaftliche Erscheinungen als auf das Leben der bäuerlichen Bevölkerung. Die Zahl der Dorfstudien ist bisher nicht nur gering, sondern es ergibt sich auch ein geographisch sehr disproportioniertes Bild. Die meisten Forschungen wurden in gebirgigen Gegenden durchgeführt. Das hat seine Ursache u. a. darin, 8 LUTFIYYA, i960, S. 11—12. 9 GULICK, 1 9 5 5 . »O GULICK, 1 9 5 5 , S. 1 5 .

13

daß im Libanon und in Palästina solche Gebiete eine besonders große Rolle spielen. Die größeren Agrargebiete im Innern haben den geringsten Anteil an entsprechenden Untersuchungen. Es ist deshalb recht schwierig, Vergleiche anzustellen, besonders, wenn wir daran denken, daß sich z. B. in den ländlichen Gebieten im Innern Syriens durch die staatlichen Maßnahmen wie Bodenreform, die Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften usw., eine viel raschere Entwicklung vollzog als in manchem Gebirgsgebiet. Zu der Bevorzugung bergiger Gegenden dürfte vielleicht auch der Umstand beigetragen haben, daß einige Wissenschaftler besonders stark an der alten traditionellen Kultur der Bauern des Orients interessiert waren. Zu den Dorfstudien, die in den letzten zwei Jahrzehnten veröffentlicht wurden, gehören drei umfangreiche Untersuchungen, je eine in Syrien, Jordanien und im Libanon. Die amerikanische Ethnographin und Soziologin Louise E. SWEET untersuchte 1 9 5 4 ein Dorf in Syrien (Teil Toqaan). Ihre Arbeit wurde 1960 publiziert. Die Autorin hielt sich längere Zeit am Ort der Untersuchung auf, sie konnte deshalb sehr intensiv beobachten und viel Material zusammentragen. Ein wesentlicher Unterschied zu der Arbeit John GULICKS: „Social Structure and Culture Change in a Lebanese Village", 1955, und der Arbeit Abdulla M. LUTFIYYAS: „Baytin: A Jordanian Village", 1966, liegt sowohl in der Auswahl des Forschungsfeldes als auch in den aufgeworfenen Fragestellungen. L. SWEET untersuchte ein syrisches Dorf im Innern des Landes, das weitgehend seinen traditionellen Charakter bewahrt hat und wo sich auf allen Lebensgebieten in den vorhergehenden Jahrzehnten nur wenig Änderungen ergeben haben. Zur Zeit der Untersuchung waren feudale Abhängigkeitsverhältnisse noch weitgehend erhalten. Die traditionellen Autoritäten waren noch in hohem Maße intakt, und die Solidarität der Verwandtschaftsverbände und Familien war noch außerordentlich stark. Damit zusammenhängende Probleme stehen auch im Mittelpunkt ihrer Untersuchung. Das Dorf wird außerdem nicht als Isolat behandelt, sondern es wird großer Wert auf die Ermittlung der Beziehungen zu anderen Dörfern und zu den Seminomaden der Umgebung gelegt. Der Besitz an Produktionsmitteln, die Formen der Ausbeutung und die Spaltung der Dorfbevölkerung in soziale Klassen nach ihrer Stellung zu den Produktionsmitteln werden von der Autorin klar herausgearbeitet. Sie unterscheidet „The urban landholders constitute the employer class" und „The laborers own no land or working animals or tools and seil their labor to the landlords for wages or salaries."11 Eine besondere Kategorie innerhalb ihrer Klassifikation bildet der saih. Er ist ebenfalls ein größerer Grundbesitzer, seine Stellung ist aber darüber hinaus religiös und im islamischen Recht noch besonders begründet. L. SWEET konnte wertvolle Daten über die Landbesitzverhältnisse sammeln und in umfangreichen Tabellen zusammenstellen. Man gewinnt durch ihre Darstellung einen klaren Überblick. Die Arbeit enthält 15 Tabellen über die sozialökonomische Struktur. Sehr ausführlich ist auch eine Schilderung der gesamten sozialen Struktur der Familien im Dorf, ihrer Herkunft und ihres sozialökonomischen Status. Diese genannten Punkte sind die Hauptthemen ihrer Studie. i» S W E E T , 1 9 6 0 , S . 1 5 0 .

14

Demgegenüber werden bei L U T F I Y Y A und G U L I C K einige Unterschiede sehr deutlich. L U T F I Y Y A untersucht sein Heimatdorf in Jordanien. Seine Darstellung bleibt aber in Bezug auf viele Sachverhalte sehr allgemein. Ausführlich stellt er die Verwandtschaftsstruktur dar. In besonderem Maße gilt das für die Familienstruktur und die Beziehungen innerhalb der Familie. L U T F I Y Y A , SO kann man allgemein sagen, betont die formalsoziale Seite und nicht die sozialökonomische, obwohl er auch dazu einige Angaben macht. So spricht er von der sozialökonomischen Bedeutung des Landes: „Theland is more than just a source of income: it is a status symbol", 12 aber er klassifiziert die Bevölkerung nicht nach ihrem Landbesitz bzw. ihrem Besitz an Produktionsmitteln. Seine Klassifikation erfolgt vielmehr nach anderen Kategorien, die zweifellos in dieser komplizierten Entwicklungssituation auch von großer Bedeutung sind. E r klassifiziert nach Einkommensquellen, nach dem Grad der Ausbildung, nach der Dauer der Emigration usw. L U T F I Y Y A spricht von einem Pachtsystem, aber man kann seiner Beschreibung nicht entnehmen, wie weit dieses System verbreitet ist und welche Bedeutung ihm im Rahmen der gesamten sozialökonomischen Struktur zukommt. L U T F I Y Y A schildert, wie es bereits T A N N O U S vor ihm tat, die Formen des Landbesitzes im Nahen Osten, aber er gibt keine konkreten Beispiele oder Daten hinsichtlich dieser Landbesitzformen für die von ihm untersuchte Gemeinde an. Besonders betont er, und das ist zweifellos sehr wichtig, die Rolle der ergänzenden Einkommensquellen „. . . Without this extra income, the agrarian villagers find it impossible to obtain the barest necessities of life." 13 Damit wird auf die Abhängigkeit der Ökonomie des Dorfes, von den Beziehungen zu anderen Dörfern und der Stadt hingewiesen.

Einen breiten Raum nimmt in der Darstellung L U T F I Y Y A S die geistige Kultur und besonders der Einfluß der islamischen Lehre und Tradition auf das Leben des Dorfes ein. Aber auch dies behandelt er gewissermaßen theoretisch. E r führt sehr viele Dinge an, die es in der islamischen Tradition gibt, aber es sind Sachverhalte darunter, die in der Praxis nicht oder kaum existieren. Wir haben also auch hier wieder die allgemeine Angabe, können uns aber kein Bild von der tatsächlichen Bedeutung gewisser Traditionen in der Praxis des Alltags machen. Die Rolle der Emigration nach Süd- und Nordamerika wird von ihm sehr betont. E r sieht darin die unmittelbarste und wichtigste Ursache für die soziale Differenzierung. Unter ähnlichen Gesichtspunkten untersucht John G U L I C K ein Dorf im Libanon. Seine Arbeit besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil schreibt er über Land, Religion und Sozialstruktur, wobei die Anregungen von T A N N O U S sehr deutlich werden. Allerdings geht er auf Religion und Sozialstruktur mehr ein als dieser. Seine Untersuchung hat einen konkreteren Charakter als die LUTFIYYAS. Dies kommt schon darin zum Ausdruck, daß er eine totale Erhebung gemacht hat hinsichtlich der sozialen Struktur, der Beschäftigung der Dorfeinwohner und hinsichtlich einer Reihe demographischer Daten. Auch G U L I C K macht aber keine 12 LUTFIYYA, 1 9 6 6 , S. 1 0 2 . 13 LUTFIYYA, 1 9 6 6 , S. 1 0 2 .

15-

konkreten Angaben über die Größen der Landflächen, die zu der einen oder anderen Besitzkategorie gehören. I m zweiten Teil gibt John GULICK einen historischen Überblick über die Entwicklung des Dorfes, besonders über die Verwandtschaftsstruktur und die geistige Kultur. Es wurden hier nur die wichtigsten Arbeiten genannt, die bis zum Zeitpunkt der eigenen Feldforschung vorlagen. Auch dieser nicht vollständige Überblick verdeutlicht das Mißverhältnis zwischen der Bedeutung der Thematik und der bisher geleisteten Arbeit. Unser Wissen um die Spezifik der sozialökonomischen und kulturellen Verhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung des Nahen Ostens in einer Epoche raschester Veränderungen ist relativ gering. Die Entwicklungsplanung auf ökonomischem, gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet in der Syrischen Arabischen Republik stützt sich nicht auf entsprechende wissenschaftliche Vorarbeiten. Erst konkrete Studien ermöglichen es, für jede weitere Entwicklung die lokalen und regionalen Besonderheiten im einzelnen zu berücksichtigen und den Einsatz aller Mittel des Staates oder auch der Genossenschaftsverbände effektiv zu gestalten. Das in der vorliegenden Arbeit unterbreitete Material spiegelt die sozialökonomischen Verhältnisse der Bevölkerung des Untersuchungsgebietes auf einem ganz bestimmten Entwicklungsstand wider. Es wurde versucht, die wesentlichen Probleme, Widersprüche und Tendenzen in dieser Entwicklung zu erfassen. Für spätere Untersuchungen ist damit konkretes Vergleichsmaterial gegeben. * Die Transkription hochsprachlicher Wörter erfolgte nach Brockelmann 1960. Eine phonetische Umschrift unter möglicher Annäherung an die wissenschaftliche Transkription erfolgte bei Dialektwörtern und zahlreichen geographischen Eigennamen. Die Namen größerer Städte (z. B. Damaskus. Horns) wurden in der geläufigen deutschen Schreibweise wiedergegeben.

16

A. Geographie und Geschichte

I. Geographisch-historischer überblick und die Lage von As-Saih-Badr* 1. Geographischer Ü b e r b l i c k Die Entwicklung der sozialökonomischen Verhältnisse im Syrischen K ü s t e n gebirge wird n u r auf der Grundlage eines geographischen und historischen Überblicks verständlich. Das Syrische Küstengebirge oder Ansarieh-Gebirge bildet eine geographische Zone. Über lange historische Epochen hinweg war es ein Rückzugsgebiet, in das Unterdrückte und Verfolgte flüchteten. Geographie und Geschichte haben den gesellschaftlichen Verhältnissen ihren Stempel aufgeprägt. Erst nach Erlangung der politischen Unabhängigkeit im J a h r e 1946 wurde die Bevölkerung nach und nach in das moderne Syrien integriert. Viele Maßnahmen des Staates der 50er und 60er J a h r e haben entscheidend dazu beigetragen. Die Syrische Arabische Republik nimmt eine Fläche von 185- 180 k m ein. Davon entfallen 3 4 % auf Ackerland, 3 6 % können als Weide genutzt werden, und etwa 2 % sind mit Wald bedeckt. Die übrige Fläche ist nicht in die landwirtschaftliche Nutzung einbezogen. 14 Das L a n d gliedert sich in mehrere größere Landschaften. E n t l a n g der Küste erstreckt sich von Süden n a c h Norden eine Ebene. Ihre Breite schwankt zwischen 3 und 20 km. Obwohl sie flächenmäßig klein ist, darf ihre ökonomische Bedeutung doch nicht übersehen werden. An diese Ebene schließen sich nach Osten hin zwei Gebirgszüge an, im Norden ist es der Gabal al-aqra'. Der größte Teil dieses Gebirges liegt nordwestlich der H a f e n s t a d t Latakia. Südlich davon erstreckt sich das Küstengebirge. Östlich dieser Gebirge verläuft die syrische Grabensenke und findet im Libanon ihre Fortsetzung. Die nächste Landschaft bilden die östlichen Berggebiete. Zu ihnen gehören Gabal Sam'än (870 m), Gabal as-Sawiya (877 m) und das Anti-LibanonGebirge. Östlich dieser Gebirge liegen die großen inneren Ebenen von Horns, H a m a , Aleppo und Al-Gazlra.15 Eine besondere Landschaft schließlich bilden die großen Steppen der Wüsten- und Halbwüstengebiete im Osten des Landes. Die Volkszählung im September 1970 ergab 6,294 Millionen Einwohner. 1 6 E t w a 9 0 % der Bevölkerung sind Araber. 10% der Bevölkerung setzen sich aus Armeniern, K u r d e n , Türken, Persern, Tscherkessen und anderen zusammen. 1 7 « NÖTZOLD, 1 9 7 0 , S . 2 9 1 . 15

16

AI Gazira, wörtlich „die Insel", nämlich zwischen den beiden großen Flüssen Euphrat und Tigris. Die erste Volkszählung erfolgte im Jahre 1920 zur Zeit der französischen Herrschaft. Viele Menschen versuchten damals, der Zählung zu entgehen. Das geschah aus der Befürchtung, Militärdienst leisten zu müssen und um die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Die Zählungsergebnisse entsprachen deshalb nicht der Wirklichkeit.

»7 NÖTZOLD, 1 9 7 0 , S . 2 8 8 - 2 8 9 . 2

Sozialökonomische Verhältnisse

17

Die Bevölkerungsverteilung zeigt große Disproportionen. Sie wird durch die natürlichen Bedingungen entscheidend beeinflußt. Besonders dicht ist die Besiedlung entlang der Küste und im westlichen Teil der inneren Ebenen, besonders im Raum von Damaskus. In der muhäfaza Al-Ladhaqiya (Latakia) beträgt die durchschnittliche Bevölkerungsdichte 115 Einwohner/km2, in der muhäfaza Dimaäq (Damaskus) 58 Einwohner/km2, in der muhäfaza Deir ez-Zor dagegen nur 7 Einwohner/km2.18 Die Bevölkerung konzentriert sich in den Bezirken Latakia, Aleppo, Hama und Damaskus, die den größten Anteil an Niederschlä-' gen erhalten; der Jahresdurchschnitt liegt zwischen 500 mm und 1000 mm. Im Syrischen Küstengebirge erreicht die Bevölkerungsdichte immerhin einen Durchschnitt von 88/km 2 . 19 Der enge Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Niederschlagsmenge weist auf die bedeutende Rolle der Landwirtschaft im Rahmen der gesamten Volkswirtschaft hin. 1968 stellte der landwirtschaftliche Sektor 25,9% des Nationaleinkommens.20 1965 lebten noch 60% der Bevölkerung auf dem Land. 21 Ein sehr hoher Prozentsatz der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Dieser Wirtschaftszweig unterscheidet sich stark in den einzelnen geographischen Zonen. Die Landwirtschaft im Küstengebirge hat charakteristische Züge, die in der bergigen Landschaft, der Niederschlagsmenge und den Bodentypen ihre Ursache haben. Die geographischen Gegebenheiten haben auch die moderne Entwicklung sehr beeinflußt. Das gilt besonders für die Anbautechnik, da z. B. ein Maschineneinsatz nur in weit begrenzterem Umfange möglich ist als in den Ebenen. Das Syrische Küstengebirge hat eine Länge von 130 km und eine Breite von 30 bis 35km. Das Gebirge bildet keine administrative Einheit, es gehört vielmehr zu drei Provinzen. Der größte Teil gehört zur Provinz Latakia, außerdem haben die Provinzen Tartous und Hama Anteil am Gebirge. Im Norden ist das Gebirge schmaler und höher, im Süden nimmt es an Breite zu, verliert aber an Höhe. Wenn man das Gebirge mit dem Flugzeug überquert, sieht man die zahllosen Berg- und Hügelketten und die tief eingeschnittenen Täler, die ein großes Hindernis für den Bau eines Straßennetzes darstellen. Im allgemeinen weist das Küstengebirge nur mittlere Höhen auf. Der höchste Berg, Gabal al-Nabi Yunes, erreicht 1562 m. Im Süden bei Safita nimmt die Höhe bis auf 250 m ab. Der Gebirgsabfall im Westen zur Küstenebene hin erfolgt allmählich. Nach Osten zur Grabensenke hin ist der Abfall sehr steil. Die Temperatur im Syrischen Küstengebirge beträgt im Juni 25° bis 30 °C und fällt im Winter bis einige Grade unter Null ab. In den Höhenlagen kommt es im Dezember und Januar gelegentlich zu Schneefällen. Im Gebirge fallen mehr Niederschläge als in den inneren Gebieten Syriens, aber weniger als im AntiLibanon-Gebirge. Trotz der relativ hohen Niederschlagsmengen bildet der Wassermangel aus Gründen des Bodenreliefs ein entscheidendes Problem für die 18 Ebenda, » BAEÄWI 1 9 6 8 , S.

116.

Süriyä at-taura fi 'ämihä as-säbi' 1970. Veröffentlichung des Ministeriums für Information der Syrischen Arabischen Repulik) 21 Länder der Erde, 1967, S. 693.

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Landwirtschaft. Die Niederschlagsmenge beträgt zwischen 1000 mm und 1500 mm. 22 Die Niederschläge fallen zwischen Oktober und April. I n dieser Zeit gibt es aber einige kürzere Trockenperioden. In großen Teilen der Gebirgsregionen überwiegen Kalziumböden, die stark wasserdurchlässig sind. Dies führt dazu, daß es zwar viele Quellen gibt, aber nur selten ist eine wirklich wasserreich. Es gibt im Küstengebirge einige kleinere Flüsse und mehrere zeitweilige Wasserläufe, letztere liegen im Sommer völlig trocken. Die Wasserläufe fließen aus mehreren Quellen zusammen. Die kleineren Flüsse können aber zu Bewässerungszwecken nicht ausgenutzt werden, da sie fast in der ganzen Länge ihres Laufes in tief eingeschnittenen Tälern fließen. Die Bevölkerungsverteilung ist sehr ungleichmäßig. In den relativ niedrigen Gebieten siedelt der größte Teil der Bevölkerung, weil dort bessere Voraussetzungen für die Landwirtschaft bestehen, weil das Wegenetz besser ist und weil hier in den letzten Jahrzehnten mit dem Aufbau von Infra-Strukturen begonnen wurde. Es gibt im Syrischen Küstengebirge keine Städte. Als eine Ausnahme kann man Safita im Süden des Gebirges betrachten. Hinsichtlich seiner administrativen und ökonomischen Funktionen ist es eine Kleinstadt. I m Gebirge liegen nur kleinere Siedlungseinheiten, die in vielen Fällen bis in die jüngste Vergangenheit hinein sehr isoliert waren, deren Einwohnerzahl zwischen weniger als 100 und 1500 Menschen schwankt. Wo immer wir uns im Küstengebirge befinden, die nächste Stadt liegt stets im Osten oder Westen am Rande des Gebirges.

2. Historischer Überblick Besiedlung Das Syrische Küstengebirge trug früher verschiedene Namen. Es wurde Ansariehgebirge, Nasirigebirge und später Alawitengebirge genannt. 2 3 Die letztere Bezeichnung wird auch heute noch oft verwendet. Die Alawiten oder Aliden — dieser Begriff taucht in der deutschsprachigen Literatur auf — bilden eine Sekte der Schia. Sie standen an der Seite Alis gegen die Umayaden. Der Name ist von 'Ali ibn Abi Tälib, dem Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohamad abgeleitet. Ali war der 4. Kalif. Gelegentlich werden die Bezeichnungen „Imamiten" oder die „Zwölfer" anstelle von Alawiten verwendet. „Ganz endete diese Linie aber mit dem 12. Imam. Darum nennt man diese Imamiten auch Zwölfer." 24 Am Ende des 9. Jahrhunderts tauchte ein Theologe in dieser Sekte auf. Sein Name war Muhammad ibn Nusair. Er führte einige theologische Neuerungen in der Lehre der Sekte ein. „. . . de Nosair, le premier théologien 22

VAUMAS, 1960, S. 274 schreibt: „Au Dj. Ansarieh, la situation est bien différente. La m o n t a g n e reç oit des précipitation, qui se chiffrent à 800 m m sur la côte, à i000—1500 m m dans les hauteurs." 23 Alawiten, arabisch 'alawïyïn (sing, 'alawï). 24 H a n d b u c h der Orientalistik, 1961, S. 483.

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de la secte qui se proclama disciple du X e imam à la fin du IX e siècle." 23 Nach 1920 nahmen sie den Namen Alawiten anstelle der Bezeichnung Nusairieh an. 26 Alle Autoren, die sich mit der Geschichte der Alawiten beschäftigen, sind sich darüber einig, daß diese vielen Unterdrückungen und Verfolgungen ausgesetzt waren. „Sie wurden im Laufe der Geschichte viel unterdrückt, sowohl von den Umayaden, ihren traditionellen Gegnern, als auch von den Abbasiden, ihren Cousins, die das Kalifat nach dem Sturz der Umayaden-Dynastie übernommen hatten." 2 7 „Die Nachkommenschaft des 'Ali ibn Abi Tälib war im allgemeinen nicht glücklich, und von ihrem Mißgeschick wissen alle Seiten der muslimischen Geschichte zu erzählen . . ., die Aliden wurden von den Umayaden verfolgt . . . und von den Abbasiden geprellt . . ," 28 I n der Zeit der türkischen Herrschaft von 1516 bis 1918 war das Schicksal der Sekte kaum besser als vorher. Es kam wiederholt zu Verfolgungen. Eine Reihe ihrer Führer und religiösen Persönlichkeiten wurde hingerichtet, andere flohen ins Gebirge, wo sich die Alawiten mehr und mehr konzentrierten, um sich der Tyrannei der osmanischen Herrschaft zu entziehen. Die Besiedlung des Gebirges erfolgte in verschiedenen Wellen. Der älteste Grundstock der Bevölkerung geht auf prähistorische Zeiten zurück, und es ist wahrscheinlich, daß Teile des Gebirges in der politischen Einflußsphäre der Phönizier lagen. Jedenfalls wurde Holz zum Schiffsbau aus dem Gebirge an die Küste gebracht. Die erste Einwanderungswelle, die für die Herausbildung des heutigen Bevölkerungsbildes von Wichtigkeit ist, erfolgte nach der arabischen Invasion Syriens. Arabische Geschichtsschreiber berichten vom Eindringen arabischer Stämme, die sich im Latakia-Gebirge (Alawiten-Gebirge) niedergelassen haben. Eine zweite Einwanderung erfolgte in kleinen Wellen im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts. Die Heimat dieser Immigranten war der Irak. Die Ursachen für die Auswanderung sind nicht klar, aber vermutlich war die Unterdrückung, der sie zur Zeit der Abbasiden-Dynastie ausgesetzt wurden, das wichtigste Motiv. Die Alawiten erzählen noch heute in ihren Überlieferungen von der Unterdrückung und Verfolgung ihrer Glaubensgemeinschaft durch die Abbasiden, besonders durch den Kalifen 'Al-Mansür. B R O C K E L M A N N schreibt vom Alawiten-Aufstand gegen 'Al-Mansür. als sie versuchten, in Medina einen Kalifen aus dem Hause des Propheten einzusetzen, ein Versuch, dem kein Erfolg beschieden war. „It was of course easy for the Khorasanian army sent out immediately to Medina by Mansur to overcome the unsophisticated insurrectionaries, who thought they could protect themselves adequately by a moat on the model of the prophet's." 2 9 Zu einer weiteren Immigration kam es im Jahre 1242. Das Motiv lag wahrscheinlich in dem Bestreben verschiedener Alawiten-Gruppen, ihre bereits im Gebirge in größerer Zahl siedelnden Brüder zu unterstützen und sich mit ihnen zu vereinigen. VAUMAS, i 9 6 0 , S . 2 9 5 . 26 A § - S A R I F , 1 9 6 0 , S . 1 0 6 . 2' S A ' Ü D , 1 9 5 9 , S . 5 . 28

H a n d w ö r t e r b u c h des Islam, 1941, S. 38.

2-' BROCKELMANN, 1 9 5 2 , S . 1 0 8 .

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Zwischen den verschiedenen Einwanderungswellen, die größere Menschengruppen ins Gebirge brachten, kamen aber auch verschiedene kleine Gruppen und vereinzelte Immigranten. Eine größere Anzahl dieser Einwanderer kam im 12. Jahrhundert aus Ägypten. Nach dem Zerfall der Fatimiden-Dynastie und der Übernahme der Macht in Ägypten durch Saläh ad-Din begann dieser mit der Fatimiden-Verfolgung. Viele von deren Anhängern verließen Ägypten und kamen nach Syrien. Die Fatimiden-Dynastie wurde von Saläh ad-Din 1171 gestürzt. Er errichtete den Staat der Ayybiden, der bis zum Eindringen der Mongolen bestand (1260). Saläh ad-Din verfolgte die schiitischen Fatimiden und ließ viele von ihnen umbringen. Ä B U L - F I D Ä , ein arabischer Historiker, schreibt: „Im J a h r e 569 der Hedschra 3 0 hat Saläh ad-Din eine Gruppe von ägyptischen Persönlichkeiten ermordet, behauptend, daß sie Fatimiden wären." 3 1 B R O C K E L M A N N unterstützt diese These; er schreibt: „But Saladin was also a patron of sunni theologians, with those aid he encompassed the decisive extinction of the Schiite Tendencies of the Fatimids in Egypt." 3 2 Eine größere Flüchtlingswelle strömte 1305 in das Gebirge. Sultan Muhammad ibn Qaläwun, ein Manielukken-Herrscher von Ägypten, gab den Befehl zur Vernichtung der schiitischen Sekte in Kasrawan (Libanon). Es kam zu einem Massaker, in dessen Verlauf Tausende von Drusen, Alawiten und Angehörige anderer Sekten vernichtet wurden. Von den Alawiten flohen diejenigen, die nicht überrascht wurden, nach dem Norden und ließen sich im Gebirge in der Nähe von Latakia nieder. 33 Noch einmal kam es zu einer großen Einwanderungswelle nach dem Eindringen der Türken in Syrien, als die Armeen des Abbasiden-Kalifs und die Mamelukken unter Führung von Känsuh El-gürl die Schlacht von Marg dabiq in der Nähe von Aleppo verloren. „A battle took place near Dabiq, north of Aleppo on August 24; since the Mamluks had entirely neglected the development of Artillery, as a weapon unworthy of them, they suffered a cruching defeat, and their ruler fell while in flight. The whole of Syria now lay at the victor's feet, and he was able to draw into Damascus on September 26. " 34 Nach dieser Niederlage flohen viele Schiiten aus Aleppo und der weiteren Umgebung in das Küstengebirge. Der osmanische Sultan Selim I. hat in den Kämpfen und der darauffolgenden Verfolgungswelle etwa 40000 Schiiten vernichtet. Die Unterdrückung durch die Türken und die zahlreichen Verfolgungen haben im Bewußtsein der Alawiten tiefe Spuren hinterlassen, da sie im 16. Jahrhundert begann und bis in das 20. J a h r h u n d e r t anhielten. Die alten Leute sprechen noch heute oft von der tyrannischen Herrschaft des türkischen Sultans r Abdul-Hamid II., der bis zu seinem Sturz im Jahre 1908 an der Macht war. Nach dem Abzug der türkischen Truppen aus Syrien im Jahre 1918 begann die Zeit einer neuen Fremd30

Hedschra, die Flucht Mohameds von Mekka nach Medina im Jahre 622. Mit diesem Jahr beginnt die islamische Zeitrechnung.

31

T Ä R I H ABIL F I D Ä , B d . 3, S. 5 4 ,

32

BROCKELMANN,

33

AS-SARIF,

übersetzt zitiert nach As-Sarif, 1960, S. 93. 1960,

34 B R O C K E L M A N N ,

1952, S.

S. 2 3 0 .

102.

1952,

S.

289.

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herrschait. Auf der Grundlage des Sykes-Picot-Abkommens wurden die arabischen Gebiete des osmanischen Reiches zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt. Syrien kam unter französische Verwaltung. In den 20er Jahren begannen die Alawiten, eine aktivere politische Rolle zu spielen. Um die Herrschaft über das Land zu festigen, bemühten sich die Franzosen, die Spaltung zwischen den religiösen Sekten zu vertiefen. Sie gliederten Syrien unter Berücksichtigung der territorialen Verbreitung der Sekten in fünf administrative Einheiten. Es waren dies der heutige Libanon und vier weitere Gebiete. Im Libanon ist die Mehrheit der Bevölkerung Christen. Einen eigenen „ Staat" erhielten die Drusen im südlichen Teil Syriens, der „Staat" der Alawiten hatte die Hauptstadt Latakia, und schließlich wurden die Gebiete von Damaskus und Aleppo ebenfalls zu „Staaten" gemacht. Diese Aufteilung wurde von den Alawiten wie vom ganzen syrischen Volk prinzipiell abgelehnt, und sie war die wesentlichste Ursache für den Beginn von Aufständen überall im Lande gegen die französische Herrschaft. Unter der Führung von Säleh El-'all, einem angesehenen saih, begann der Aufstand der Alawiten am 15. Dezember 1918 und dauerte bis zum Januar 1922 an. Eine wichtige Triebkraft dieses Aufstandes und der anderen Volkserhebungen lag nicht zuletzt in dem zunehmenden nationalen Bewußtsein. Sie fühlten sich mehr und mehr als Teil des syrischen Volkes, und ihr erklärtes Ziel war die Vereinigung Syriens und der Abzug der französischen Truppen. Die folgende Zeit brachte trotz der militärischen Niederlagen eine Zunahme des Nationalbewußtseins mit sich. Es bildet eine der Grundlagen des Integrationsprozesses der Alawiten in die Gemeinschaft des syrischen Volkes in den letzten Jahrzehnten. Sozialökonomische Verhältnisse zur Zeit der und der französischen Herrschaft

türkischen

Die Schilderung der gegenwärtigen Probleme und der Tendenzen der sozialökonomischen Entwicklung im Syrischen Küstengebirge wird nur verständlich, wenn wir den historischen Hintergrund zumindest in seinen wichtigsten Zügen kennen. In der Zeit der türkischen und der französischen Herrschaft existierte und entwickelte sich eine Klassenstruktur, die im Vergleich zu anderen Gebieten Syriens und des Vorderen Orients einige Besonderheiten aufweist. Der Prozeß der Herausbildung feudaler Abhängigkeitsverhältnisse wurde in der Zeit der türkischen Herrschaft eingeleitet oder doch stark intensiviert. Bei der Behandlung der Besiedlung des Gebirges wurde die letzte Immigrationswelle erwähnt, die viele Alawiten aus den Gebieten um Aleppo ins Gebirge führte. Diese Immigranten haben den Prozeß der sozialen Differenzierung stark vorangetrieben. Sie kamen aus einem Gebiet, in dem die gesellschaftliche Differenzierung bereits fortgeschritten war, und sie waren auf Grund ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Erfahrungen den einfachen Bauern im Gebirge überlegen, die sie auf dem Wege des Handels oder auch unter Ausnutzung der Religiosität der bäuerlichen Bevölkerung auf verschiedenem Wege auszubeuten begannen. I n diese Zeit fällt auch die Verfestigung des 'Asira-Systems. Es beginnt der Prozeß der sozialökonomischen Differenzierung innerhalb der 'asira, der in vielen Fällen 22

wahrscheinlich auch durch die Immigranten vorangetrieben wurde. Die 'asä'ir (plur. von 'aäira) sind ursprünglich Verwandtschaftsgruppen, es sind Clans, zumindest in ihrer Entstehungsphase. Eine 'aslra bildete ursprünglich eine verwandtschaftliche und lokale Einheit. Viele 'asä'ir sind aber dann in mehrere Clans zerfallen, weil ihre Mitglieder nicht am gleichen Ort siedelten, und es bestand kaum noch eine Verbindung zwischen ihnen, bestenfalls machte der gemeinsame Name auf ihre Herkunft aufmerksam. Über die Entstehung des 'Aslra-Systems wissen wir sehr wenig. A § - S A R I F gibt in seinem Werk die Namen von 25 Alawiten "asä'ir an, er erklärt aber nicht ihre Herkunft und den Prozeß ihrer Entstehung. Die Namen der 'asä'ir gehen auf ihren Gründer oder auf einen Ort, an dem sie lange ansässig waren, zurück. Es muß noch einmal betont werden, daß die 'asä'ir nur anfänglich Verwandtschaftsverbände waren. Die Beziehungen zwischen den Mitgliedern waren in der Folgezeit weitgehend sozialökonomischer und nicht verwandtschaftlicher Art. Die große Unsicherheit im Gebirge, die Zuwanderungen von Bevölkerungsgruppen und Einzelpersonen von ganz unterschiedlicher ökonomischer und gesellschaftlicher Stellung führten wiederholt zu erneuten Zusammenschlüssen, zu Aufspaltungen und zahlreichen Adoptionen. Das Ergebnis dieser Prozesse waren schließlich eine große Anzahl von 'asä'ir. Gerade die Tatsache, daß viele von ihnen Ortsnamen tragen, weist darauf hin, daß die Bevölkerung eines Ortes, die ursprünglich in ihrem Kern eine Verwandtschaftsgruppe bildete, nach und nach und bei Aufnahme vieler neuer Personen und Familien zu einer 'aälra zusammenwuchs. Jede 'aslra hatte ein Oberhaupt. Dieses Oberhaupt übte nach innen eine große Autorität aus und vertrat die Mitglieder seiner "aSIra gegenüber anderen. Nicht selten waren seine religiöse Macht und seine politischen Befugnisse sehr groß. Wenn die Mitglieder einer 'aäira in mehreren Dörfern siedelten, setzte das Oberhaupt in diesen Dörfern jeweils einen äaih ein, der dort die religiösen und rechtlichen Angelegenheiten zu regeln hatte. Der §aih und der muhtär eines Ortes dienten immer den Interessen des 'Aälra-Oberhauptes. Die Oberhäupter der meisten 'asä'ir erlangten eine sozialökonomische Stellung, die man als eine Art Feudalherr bezeichnen kann. Diese Stellung vererbte sich auf die Söhne und wurde durch verschiedene Ausbeutungsmethoden gefestigt. Uns fehlen tiefgehende historische Untersuchungen über die Entwicklung der Abhängigkeitsverhältnisse im Syrischen Küstengebirge in den ersten Jahrhunderten der türkischen Herrschaft. Die Überlieferungen, die in der Bevölkerung lebendig sind und die in den Erzählungen der älteren Menschen ihren Ausdruck finden, ermöglichen es aber durchaus, die Entwicklung der sozialökonomischen Verhältnisse zumindest in ihren großen Zügen zu rekonstruieren. Die Wege zur Entwicklung von Abhängigkeitsverhältnissen beruhten auf der politischen und religiösen Stellung des 'Aslra-Oberhauptes. Eine große Rolle spielte dabei die Ausnutzung des tief verwurzelten religiösen Gefühls der Bauern, die bestimmte Vorschriften des Islam genau einhielten. 'ASIra-Führer ließen z. B. Grabstätten für religiös hochverehrte Persönlichkeiten errichten. Diese Grabstätten spielten eine große Rolle im religiösen Leben der Bevölkerung. Die Bauern brachten dort Viehopfer, und sie zahlten dabei die durch das islamische Recht vorgeschriebene Almosensteuer (zakät). Das zakät ist eine Abgabe, zu 23

der jeder Gläubige verpflichtet ist und die den Armen zugute kommen soll. In der Praxis wurde das zakät aber bald an die 'Asira-Führer gezahlt, die die Verteilung der oft beträchtlichen Summen im Sinne der islamischen Gesetzgebung vornehmen sollten. Tatsächlich kam es dabei zu einer Bereicherung der 'AslraOberhäupter. Die Zahlung des zakät an die suyüh (plur. von saih) ist übrigens bis zum heutigen Tage ein Problem von einiger Aktualität. Das 'Asira-Oberhaupt hatte eine direkte Beziehung zu den Behörden des türkischen Staatsapparates. Der Bauer stand nur über seinen 'Aslra-Chef in einer Beziehung zum Staat. Durch den 'Asira-Chef bzw. durch die von ihm eingesetzten mähatir (Sing, muhtär) wurden die Steuern bezahlt. Es gab mehrere Steuern, darunter eine Kopfsteuer und eine Straßensteuer. Letztere mußte für die Benutzung von Straßen entrichtet werden. Hinzu kam eine Viehsteuer, und es mußte ein bestimmter Teil der Ernte (formal ein Zehntel) an den Staat abgegeben werden. Die Steuern waren oft so hoch, daß die Bauern nicht genügend für die eigene Existenz übrigbehalten konnten. Es geschah deshalb nicht selten, daß ein Bauer, um von der Steuerlast befreit zu werden, Land an den 'Aslra-Chef abgab, oder er ging die Verpflichtung zu bestimmten Arbeitsleistungen auf dem Land des r As!ra-Chefs ein. Oft war auch beides der Fall. Über den 'Aslra-Chef wurden die Männer zur Militärpflichtdienstzeit einberufen. Die staatlichen türkischen Behörden hatten kein Bevölkerungsregister für das Gebiet der Alawiten. Die 'Asira-Chefs waren verpflichtet, aus der Zahl ihrer Untergebenen Soldaten zu stellen. Für die staatliche Auflage erhielt der 'AsiraChef Landflächen, die der Staat aus irgendwelchen Gründen an sich gerissen und zu Staatseigentum erklärt hatte. Die türkische Verwaltung verfügte über eine bestimmte Polizei, die neben anderem auch die Aufgabe hatte, Männer für die Armee zu suchen. Das geschah nicht selten dadurch, daß einfach Männer aufgegriffen und in die Kasernen gebracht wurden. Wenn ein Mann von diesen Polizisten festgenommen wurde, wendete er sich sofort an den Chef seiner 'asira, denn nur dieser konnte ihn vielleicht noch auf Grund seines Einflusses auf die staatliche Verwaltung vor dem Armeedienst retten. Erreichte der 'Aslra-Chef die Freistellung, so mußte der Bauer Gegenleistungen bringen. E r gab einen Teil oder sein ganzes Land dem 'Asira-Chef, und er wurde nicht selten auch zu Arbeitsleistungen verpflichtet. Die Position des 'Aälra-Chefs wurde noch dadurch beträchtlich gestärkt, daß er Gerichtsherr war. Bestimmte Vergehen, darunter auch Mord oder Verführung von Frauen, wurden von dem 'A§!ra-Chef geahndet. E r legte, wobei er häufig sehr selbständig verfahren konnte, das Strafmaß fest. Viele'Aslra-Chefs erhielten türkische Titel für die Dienste, die sie der staatlichen Verwaltung geleistet hatten. Ein solcher Würdenträger hatte um sich eine bestimmte Anzahl von bewaffneten Männern als eine Art Leibgarde, was wiederum zur Erhöhung seiner Macht beitrug. Diese Entwicklung führte dazu, daß der Bauer, wenn er das Gebiet nicht verlassen wollte, was ihm aber kaum möglich war, keine Berufungsinstanzen gegen irgendwelche Entscheidungen des 'Aslra-Chefs hatte. Der hohe Grad ihrer Autonomie führte u. a. auch dazu, daß die 'Asira-Chefs um Macht und Einfluß konkurrierten. Die größten von ihnen strebten in ihrem 24

Gebiet und der Nachbarschaft nach zunehmendem gesellschaftlichem Einfluß. Diese Tendenz t r a t auch, nachdem Syrien 1946 politisch unabhängig geworden war, immer wieder zutage. J a , das Bestreben, Einfluß zu gewinnen, verstärkte sich sogar. Das politische Ziel der "Aslra-Chefs wurde die Mitgliedschaft im Parlament. Eine ganze Reihe von ihnen erreichte dieses. Die von ihnen ausgebeuteten Bauern gaben ihre Stimmen für sie. Die Kandidaten versprachen natürlich den Wählern, daß ihre Interessen vertreten werden sollten, aber in der Wirklichkeit war davon wenig zu spüren. Man kann sagen, daß vielen Bauern in dieser Zeit nicht einmal die Möglichkeit gegeben war, von der Marx spricht, als er sagte, daß es den Unterdrückten einmal in mehreren Jahren gestattet sei, darüber zu entscheiden, welcher Vertreter der unterdrückenden Klasse sie im Parlament vertreten soll.35 Die Bauern hatten häufig nur eine Wahl. Am Ende der 50er und am Anfang der 60er Jahre begann die Herrschaft der Großgrundbesitzer und der Großbourgeoisie in der Stadt zu zerfallen. Dazu trugen wesentlich die Aktivitäten der Sozialistischen Arabischen Baath Partei und der Syrischen Kommunistischen Partei, die zunehmend Anhänger unter den Volksmassen gewannen, bei. Eine große Rolle beim Abbau des Einflusses der 'Asira-Chefs spielte auch die zunehmende Schulbildung. Im Jahre 1963 begann eine neue Phase in der Entwicklung der syrischen Gesellschaft. Die Großbourgeoisie verlor weiterhin an Macht, und Syrien schwenkte nach und nach auf einen nichtkapitalistischen Entwicklungsweg ein. Die neue Politik fand ihren Ausdruck in einigen revolutionären Maßnahmen. Dazu gehörte die Bodenreform. Im Küstengebirge wurden viele Bauern durch die Bodenreform von den genannten Ausbeutungsformen befreit. Die Macht der feudalen Grundbesitzer hatte damit endgültig ihr Ende gefunden. Es muß aber, um ein falsches Bild zu vermeiden, gesagt werden, daß die Macht der 'Asira-Chefs nicht überall so ausgeprägt war. Nicht überall war ihr Einfluß auch auf Grundbesitz begründet. I n einigen Orten und Gegenden des Gebirges lag die Basis ihrer Autorität in den religiösen Funktionen, wobei beachtet werden muß, daß auf dem Wege über das zakät die religiöse Funktion große sozialökonomische Bedeutung haben kann. Eine hervorragende Rolle spielte immer ihre richterliche Funktion. Probleme und Tendenzen der ökonomischen und sozialen in der Gegenwart

Entwicklung

Ein Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart läßt zahlreiche Unterschiede erkennen, die sich als Ergebnis der Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten herausbildeten. Die jahrhundertelange Isolierung der Bevölkerung lockerte sich. Die Beziehungen ökonomischer und sozialer Art zu den umliegenden Gebieten nahmen zu. Die Gebirgsbewohner lernten vieles dazu und gewannen im aufgeschlossenen Kontakt mit ihrer Umwelt neue ökonomische und gesellschaftliche 35

Vergl. dazu

LENIN,

1967, S. 391. 25

Erfahrungen. Innerhalb der Syrischen Arabischen Republik wuchs die ökonomische Bedeutung des Gebirgsgebietes. Einer raschen Entwicklung der Landwirtschaft stehen aber zahlreiche Hindernisse entgegen, die nicht zuletzt in der natürlichen Umwelt begründet sind. Die Landwirtschaft ist nach wie vor der wichtigste Wirtschaftszweig, der größte Teil der Arbeitskräfte ist hier beschäftigt. Dennoch bildet sie heute für viele der Familien nicht mehr die Haupteinkommensquelle. Es besteht noch immer ein großer Widerspruch zwischen der Zahl der Menschen, die landwirtschaftlich arbeiten und den erzielten Erträgen auf den Feldern. Der Wassermangel und das Fehlen von fruchtbarem Boden sind wesentliche Ursachen dafür. Es gibt nur wenige Möglichkeiten zum Bewässerungsanba.u, und die Abhängigkeit von den wechselnden Niederschlägen bringt immer wieder die Gefahr mit sich, daß die Ernte von Dürre bedroht wird. Es gibt heute, wie gesagt, im Küstengebirge keinen großen Besitz an Grund und Boden, und zwar weder in der Form von verpachtetem Land noch in der Form von Großbetrieben. Die Unterschiede im Landbesitz innerhalb eines Dorfes sind im allgemeinen gering. Wir werden das bei der Behandlung eines konkreten Beispiels deutlich sehen. Der größte Teil dessen, was die Bauern auf den Feldern produzieren, dient ihrer eigenen Konsumtion, ein kleinerer Teil wird verkauft. Für den eigenen Verbrauch werden angebaut Getreide, und zwar Weizen, Gerste und Mais, Hülsenfrüchte, vor allem Linsen und Bohnen. Alle bauen auch Gemüse an und haben Obstbäume, dazu gehören Oliven, Feigen sowie Weinstöcke. Das wichtigste Produkt der Landwirtschaft für den Verkauf ist der Tabak. Sein Anbau setzt eine staatliche Genehmigung voraus. Die Tabakkultur unterliegt einer staatlichen Kontrolle, und der Verkauf erfolgt ausschließlich an die staatliche Aufkaufstelle. Ein wichtiger Erwerbszweig der Bauern ist die Seidenraupenzucht. Sie ist in den Dörfern möglich, wo Maulbeerbäume wachsen. Der Verkauf der Rohseide zählt bei vielen als wichtiger Einnahmeposten. In der letzten Zeit bemühten sich viele Bauern um die Erweiterung des Obstanbaues. Die Zahl der Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume hat zugenommen. Gleiches gilt für Zitronen und Aprikosen. Das Anpflanzen von Obstbäumen ist aber vielfach nur dort möglich, wo ein Stück Erde bewässert werden kann. Trotz dieser Einschränkungen ist die Produktion bedeutend gestiegen, und es wird Obst in größeren Mengen in die Städte am Fuß des Gebirges verkauft. Es wurde bereits angedeutet, daß die Landwirtschaft, obwohl sie den größten Arbeitszeitaufwand verlangt, bei vielen nicht die wichtigste Einkommensquelle ist. Die geringen Erträge und der daraus resultierende niedrige Lebensstandard haben viele Bauern veranlaßt, die landwirtschaftliche Tätigkeit aufzugeben oder einzuschränken, um sich eine bessere Einkommensquelle zu suchen. Eine beträchtliche Anzahl ist aus dem heimatlichen Gebirge in andere Gegenden Syriens abgewandert. Die jüngere Generation legt größten Wert auf Schulbildung und weitere Ausbildung, weil ihr dadurch die Möglichkeit gegeben ist, eine staatliche Anstellung zu erhalten, die mit einem festen monatlichen Einkommen verbunden ist. Ein solches ständiges Einkommen ist das Ideal der meisten jüngeren Menschen. Es bildet in ihrer Vorstellungswelt den positiven Gegensatz zu der 26

unsicheren Einkommenslage des Bauern, dessen Lebensstandard sich von Jahr •zu Jahr ändern kann, je nachdem, ob günstige Regen fallen oder nicht. Viele Menschen mit festem Einkommen sind in der Lage, die bäuerlichen Verwandten •zu unterstützen. Die Tendenz zur Bildung einer Bevölkerungsschicht, die nicht in der Landwirtschaft und auch sonst nicht körperlich tätig ist, sondern in verschiedensten Angestelltenverhältnissen arbeitet, ist eine der deutlichsten und wichtigsten neuen gesellschaftlichen Erscheinungen. Eine zweite Gruppe, zu der ausschließlich jüngere Männer gehören, bilden die Armeefreiwilligen. Sie werden Berufssoldaten, oder sie sind mehrere Jahre lang Armeeangehörige. Auch sie erreichen damit ein festes Monatseinkommen und einen höheren Lebensstandard als ihre landwirtschaftlich tätigen Eltern. Außer diesen beiden Gruppen gibt es aber noch weitere zeitweilige oder dauernde Abwanderer. Eine bestimmte Anzahl von Bauern — es handelt sich auch hier überwiegend um jüngere Menschen — ging in die Städte mit der Vorstellung, ein besseres Leben zu finden. Die meisten von ihnen haben keine ständige Arbeit, sie sind nur gelegentlich tätig. Manche von ihnen eröffnen kleine Läden oder treiben Kleinhandel in anderer Form, und wieder andere verstecken ihre tatsächliche Arbeitslosigkeit hinter Beschäftigungen wie Schuhputzen, Verkaufen von Lotterielosen, Gepäcktragen usw. Eine besondere Gruppe bilden die Saisonarbeiter. Es sind dies Bauern, die nach der Bestellung ihrer Felder die Dörfer verlassen, um außerhalb zu arbeiten. Die meisten von ihnen gehen nach dem Libanon. Sie werden dort für Arbeiten eingestellt, die keine besonderen Kenntnisse erfordern. Sehr viele von ihnen arbeiten im Bauwesen, beim Straßenbau oder auf großen Obstplantagen. Die Dauer der Abwesenheit der Saisonarbeiter ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele Bauern, die nur in der Zeit der Feldbestellung und in der Zeit der Ernte jeweils einige Wochen zu Hause sind. Andere wiederum gehen nur zwei oder drei Monate im Jahr einer Saisonarbeit nach. Eine weitere besondere Gruppe bilden die Emigranten nach dem Ausland. Die Mehrzahl von ihnen geht nach Lateinamerika, ein kleiner Teil nach Nordamerika. Diese Emigration begann schon am Anfang unseres Jahrhunderts. Das Ziel der Auswanderer war und ist es, bessere Lebensmöglichkeiten zu finden und die Erfüllung des Wunsches, wohlhabend zu werden. Viele von ihnen haben ihr Landstück verkauft oder verpfändet, um das Reisegeld aufbringen zu können. Wenn es ihnen gelingt, im Ausland genügend Geld zu verdienen, schicken sie eine Summe nach Hause, um das Land wiederzuerlangen. Ein Teil der Emigranten hat Frau und Kinder mitgenommen, andere lassen ihre Familien zurück und haben die Absicht, nach einiger Zeit zurückzukehren. Das Schicksal der Auswanderer hat sich immer sehr verschieden gestaltet. Ein Teil von ihnen ist zurückgekehrt, andere haben die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie leben, angenommen. Manche der Auswanderer schicken mehr oder weniger regelmäßig geldliche Unterstützung an ihre Verwandten nach Hause. Seit etwa 10 Jahren geht die Entwicklung im Gebirge rascher voran, die Verhältnisse ändern sich zunehmend. Eine große Rolle spielt dabei die Schulbildung. Ein weiterer wichtiger Faktor von sehr großer Bedeutung ist die zielstrebige staatliche Planung zur Entwicklung dieser Region im Rahmen des Aufbaues 27

des ganzen Landes. Die staatlichen Maßnahmen führten in relativ kurzer Zeit zum Ausbau von Infra-Strukturen. In Zusammenarbeit zwischen den Regierungsstellen und der Bevölkerung wurde ein Netz von Landstraßen gebaut, das die Dörfer im Gebirge mit den Städten und untereinander verbindet. Die große Mehrzahl aller Dörfer kann heute mit Lastwagen erreicht werden. Nur bei den Siedlungen in den höheren Gebirgslagen und solchen, die in tief eingeschnittenen Tälern liegen, ist das noch nicht möglich. Gut ausgebaute Landstraßen durchschneiden heute das Gebirge von West nach Ost. So führt eine dieser Straßen von Tartous an der Küste durch das Gebirge nach Hama. Eine andere neue Straße führt von Banias nach Massiaf und dann ebenfalls nach Hama. Früher gab es keine einzige befahrbare Verkehrsstraße, die von der Küstenzone durch das Gebirge ins Innere führt. Alle größeren Verkehrswege umgingen das Bergland. Weitere Maßnahmen, die in Zusammenarbeit von Staat und Bevölkerung realisiert wurden, waren der Bau von Wasserleitungen und schließlich die Gründung von landwirtschaftlichen Genossenschaften. Es wurde in den letzten Jahren zu einem erklärten Ziel der Regierung, die Bauern dazu zu bewegen, sich in Genossenschaften zusammenzuschließen. Auf staatliche Initiative hin wurden in jedem größeren Dorf oder in einem Komplex mehrerer kleinerer Dörfer Genossenschaften gegründet. Bei der Behandlung unseres konkreten Untersuchungsgebietes wird auf ihre Aufgaben und Funktionen eingegangen werden.

28

II. Untersuchungsgebiet

As-Saih-Badr

1. Allgemeine Charakterisierung As-Saih-Badr ist der Name eines Mannes, dessen H e r k u n f t historisch nicht gen a u bekannt ist. Sein Grab liegt innerhalb einer Moschee in AI-Andrüse, die heute seinen Namen trägt. E r wird als ein heiliger Mann hochverehrt, und sein Grab wird noch heute von einem großen Teil der Bevölkerung gelegentlich besucht. Auch werden dort Tiere geopfert. Über seine H e r k u n f t gibt es nur Vermutungen. Die meisten Einwohner des Ortes wußten nichts über die mit ihm verbundenen historischen Ereignisse. Aber einige ältere Leute behaupten, d a ß er aus Ägypten gekommen wäre. Ein alter Mann aus Al-Muraiqeb, der sich sehr f ü r die lokale Uberlieferung interessierte, erzählte folgendes: „Dieser Mann, den wir As-Saih-Badr nennen, hieß ursprünglich Badr ibn Säker. E r gehörte zu den Anhängern der Fatimiden, die Ägypten nach dem Sturz ihrer Herrschaft durch Saladin im J a h r e 1171 verlassen haben. Badr ibn Säker kam hierher in unsere Gegend, und hier ist er später auch gestorben. Ob er Verwandte oder einen Nachfolger gehabt hat, wissen wir nicht. Seitdem trägt der Ort seinen Namen." Diese Erzählung ist mit historisch belegten Überlieferungen durchaus in Einklang zu bringen. F ü r die vorliegende Untersuchung wurde As-Saih-Badr deshalb ausgewählt, weil der Ort hinsichtlich historischer und gesellschaftlicher Erscheinungen repräsentativ f ü r viele andere im Gebirge ist. Das bezieht sich auf die Probleme der Landwirtschaft, auf die Landbesitzverhältnisse, auf die soziale S t r u k t u r , auf die Formen der Emigration u. a. Die Gliederung der Bevölkerung in r asä'ir war in As-Saih-Badr sehr ausgeprägt. Das ergab sich nicht zuletzt aus dem Vorhandensein mehrerer "asä'ir. Die Autorität der ' Aslra-Oberhäupter basierte aber nicht in erster Linie auf dem Grundbesitz, sondern auf ihrer Stellung als religiöse Führer, als Verwalter des zakät und ihren richterlichen Funktionen. Die Angehörigen einer 'asira leben nicht alle gemeinsam mit ihren suyüh an einem Ort, es ist vielmehr häufig so, daß die Mitglieder einer "asira in verschiedenen Orten siedeln und nur die suyüh in einem Ort wohnen. As-Saih-Badr war der Sitz des Oberhauptes der c aslra „äl Bsarga". Er übte großen Einfluß nicht n u r a u f die Mitglieder seiner 'aslra, sondern auch in der weiteren Umgebung seines Wohnsitzes aus. E r war maßgeblich in vielen religiösen Fragen und genoß deshalb große Verehrung. Nach seinem Tode übernahm sein Sohn seine Stellung. Alle seine Nachfolger galten als suyüh. So wurde er zum Gründer einer Familie, die als r ä'ilat-lim-saieh (Familie der suyüh) bezeichnet wird. Die übrige Bevölkerung von As-Saih-Badr, die zu mehreren 'asä'ir gehört, wurde demgegenüber als ' u ä m (einfaches Volk) bezeichnet. Wir sehen hier die Herausbildung einer Saih-Linie, die auch großen Einfluß auf die Mitglieder der anderen 'asä'ir gewann, obwohl diese ihre eigenen Oberhäupter hatten. Alle ' u ä m a n e r k a n n t e n die führende Rolle der Saih-Familie. 29

As-Saih-Badr zeichnet sich aber auch durch eine Reihe von Gegebenheiten, aus, die typisch für die Entwicklung sind, die in den letzten Jahrzehnten im Gebirge begonnen hat. I n diesem Ort wurde eine der ersten Schulen der ganzen Gebirgsregion gegründet. Das war im J a h r e 1922 nach der Niederschlagung des Aufstandes. Das Ausbildungsprogramm der Schule war stark nach den französischen Interessen orientiert. Aber die Schule ermöglichte es doch einigen Gruppen der Bevölkerung, ihre Söhne das Schreiben und Lesen lernen zu lassen. Keiner dieser ersten Schüler hat das 5. Schuljahr überschritten. Die Eltern konnten das Schulgeld und andere Kosten nicht aufbringen. Dennoch wurde hier das F u n d a m e n t f ü r eine weitere Verbreitung der Schulbildung u n d deren Wertschätzung für die nächste Generation gelegt. Diese ersten Schüler und viele andere, die sich ihnen anschlössen, waren bestrebt, ihre Kinder ein höheres Bildungsniveau erreichen zu lassen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes, dessen Hauptzentrum As-Saih Badr war, errichteten die Franzosen in der Nähe ein Militärlager, dessen Spuren heute noch sichtbar sind, und machten den Ort zum Mittelpunkt einer Administrationseinheit (nähiya), 36 an deren Spitze ein von ihnen eingesetzter mudlr stand.

2. As-Saih-Badr als a d m i n i s t r a t i v e E i n h e i t As-Saih-Badr war bis zur Durchführung der vorliegenden Untersuchung eine Administrationseinheit vom Grad einer nähiya. Zu A§-Saih-Badr gehören 35 Dorfsiedlungen, „nähiya" ist ein offizieller administrativer Terminus u n d kann etwa mit dem Begriff „Gemeinde" gleichgesetzt werden. An der Spitze der Verwaltung einer nähiya steht ein vom Staat eingesetzter mudlr an-nähiya. Die administrative Stellung von As-Saih-Badr wird deutlicher, wenn wir sie im Rahmen der amtlichen administrativen Struktur Syriens sehen. Die Syrische Arabische Republik ist in 13 muhafa^at aufgegliedert. Das sind: Damaskus, Aleppo, Horns, H a m a , Latakia, Tartous, Idlib, Raqqa, Soueda, Hasaka, Deraa, Deir ez-Zor und Qunaitra. An der Spitze der muhäfaza steht ein muhäfiz. Die muhäfaza ist in manatiq (Sing, mantiqa) unterteilt (diese Einheit entspricht etwa einem Kreis). An der Spitze einer mantiqa steht der mudlr al-mantiqa. Die manatiq bestehen ihrerseits wiederum aus mehreren nawähi (Sing, nähiya), an deren Spitze immer ein mudlr an-nähiya steht. Eine nähiya besteht aus mehreren Dörfern (qurä, Sing, qarya). An der Spitze jedes Dorfes steht ein muhtär. Dieser wird von den Männern seines Dorfes in seine Stellung gewählt. As-Saih-Badr gehörte als nähiya bis 1967 zur mantiqa Tartous. Tartous bildete seinerseits einen Teil der muhäfaza Latakia. 1967 wurde Tartous, das einen großen wirtschaftlichen Aufschwung genommen hatte, von Latakia abgetrennt und bildete eine eigene muhäfaza. As-Saih-Badr blieb aber nähiya bis zum 16. 7. 1970. Auf Grund eines Beschlusses des Staatspräsidenten erhielt 36

30

Der Begriff n ä h i y a wird im folgenden Abschnitt erklärt.

Aä-Saih-Badr an diesem Tage den administrativen Status einer mantiqa. E s wurde damit zu einem Verwaltungszentrum des Syrischen Küstengebirges bestimmt. Eine Folge dieser Maßnahme ist sein ständiger weiterer Ausbau. 3. Siedlungsbild und Demographie Die Ergebnisse, die in den folgenden Abschnitten vorgetragen werden sollen, gehen auf die Untersuchung von zwei Orten, die im Mittelpunkt der Verwaltungseinheit Aä-Saih-Badr liegen, zurück. Die beiden Orte sind: Al-Andrüse und Al-Muraiqeb. Al-Andrüse besteht aus drei Siedlungen, und zwar aus einem Hauptort und zwei kleinen Nebendörfern. Im Hauptort befinden sich die staatlichen Institutionen von As-Saih-Badr. Al-Andrüse verliert deshalb nach und nach seinen alten Namen und wird als As-Saih-Badr bezeichnet. Das Dorf wurde zum administrativen Zentrum. Al-Andrüse liegt auf einer Fläche, die nach allen Seiten hin von Hügeln umgeben ist. Die Häuser und Gehöfte der alten Siedlung stehen nicht dicht nebeneinander. Das Siedlungsbild ist vielmehr durch Gärten und kleine Baumpflanzungen aufgelockert. Einige Gärten mit Grundflächen zwischen 200 und 500 m 2 sind von Mauern umgeben. Vorwiegend stehen dort Obstbäume, und es wird auch Gemüse gepflanzt. Diese kleinen Landstücke werden bewässert. E s gibt bei dem Dorf eine starke Wasserquelle, von der auch die Bewohner von Al-Muraiqeb einen großen Teil ihres Trinkwassers holen. Die Hügel in der Umgebung des Ortes sind weitgehend terrassiert. Nach Nordwesten hin werden sie niedriger, und man kommt schließlich in ein Tal mit einem Wasserlauf. Weiter südlich liegt noch viel Brachland. Die Häuser und Gehöfte des Ortes können in zwei Kategorien gegliedert werden, und zwar die alten Häuser, die unter Verwendung des traditionellen Materials und nach alter Konstruktion errichtet wurden, und die neuen modernen Häuser. Von den letzteren dient ein Teil als Wohnhäuser, aber die meisten beherbergen die staatlichen Institutionen. Die Mehrzahl der modernen Gebäude steht entlang einer Straße, die dadurch zur Hauptstraße wurde. Der Ort hat 326 Einwohner, die 54 Haushalte bilden. 273 Personen sind Einheimische, 53 sind aus verschiedenen Gründen vor einigen Jahrzehnten zugewandert. Zur Zeit der Untersuchung lebten 54 Personen außerhalb des Ortes, sie waren für kürzere oder längere Zeit abwesend. Zu der genannten Personenzahl kommen heute staatliche Angestellte und Funktionäre, die nicht einheimisch sind, und einige Ladenbesitzer. Die meisten dieser „Fremden" brachten ihre Familien mit. Ihre Gesamtzahl konnte nicht genau erfaßt werden, beträgt aber schätzungsweise 100 Personen. Die Siedlung Dahr-al-Mitin bildet einen Weiler von Al-Andrüse. Sie ist der Sitz des muhtär. Die Entfernung vom Hauptort beträgt etwa 500 m. Die Siedlung bietet ein geschlossenes Bild. Die alten Häuser liegen dicht nebeneinander. Es gibt keine Gärten, da das Land nicht bewässert werden kann. Der Ort liegt auf einem flachen Hügel. Eine große Anzahl von Maulbeerbäumen, die am Rande 31

des Ortes und zwischen den Häusern wachsen, machen sie von weitem fast unsichtbar und lassen das Ganze als einen kleinen Wald erscheinen. Auch hier gibt es zwei Haustypen. Die alten Häuser und Gehöfte konzentrieren sich auf einer Fläche. Die modernen Häuser stehen alle entlang einer Straße, die nach Tartous führt. Alle modernen Häuser dienen Wohnzwecken. Der Ort hat 255 Personen, die 49 Haushalte bilden. 236 Personen sind Einheimische. 19 waren hinzugewandert. Zum Zeitpunkt der Untersuchung lebten 66 Personen aus verschiedenen Gründen außerhalb des Ortes. Den zweiten Weiler von Al-Andrüse bildet die Siedlung Ar-Riste. Der Ort liegt etwa 2 km nordöstlich des Hauptortes auf einer diesem gegenüber höheren Fläche. Früher war Ar-Riste ein Bestandteil von Al-Muraiqeb. Der Ort hat einige Besonderheiten. Er hat wenige moderne Häuser, und diese liegen verstreut innerhalb der alten Siedlungen. Von 28 Haushalten, die die Bewohner des Ortes bilden, bestehen nur 14 aus Einheimischen. Die anderen werden von Bauernfamilien gebildet, die allerdings schon vor längerer Zeit eingewandert sind und die in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu einem einheimischen §aih standen. In diesem Ort lebte saih Säleh El-'ali, der Führer des Aufstandes der Alawiten (1918—1922). In einer Moschee, die hier steht, und die er selbst errichten ließ, wurde er nach seinem Tode beigesetzt. Vergleicht man die Bevölkerung der drei Siedlungen von Al-Andrüse hinsichtlich der traditionellen sozialen Struktur miteinander, so zeigen sich gewisse Unterschiede. In den beiden ersten Orten lebten — bis zu den Neuerungen der letzten Jahre — Bauern, deren ökonomische und soziale Position sich nur wenig voneinander unterschied. In diesen beiden Dorfteilen gab es keine Saih-Linie. In Ar-Riste hingegen bildet die Linie der suyüh den größten Teil der alteingesessenen einheimischen Bevölkerung. Die zweite Bevölkerungsgruppe sind die Anfang der 20er Jahre zugewanderten Bauern. Al-Muraiqeb ist das zweite der untersuchten Dörfer. Es besteht aus einem Hauptort und vier kleinen in der Nähe liegenden Hauskomplexen. Über die Geschichte des Ortes ist nicht viel bekannt. Die ältesten Männer des Dorfes berichteten, daß die Gründer des Ortes die Vorfahren der zwei Linien seien, in die der größte Teil der Bevölkerung sich heute gliedert. Vor etwa 130 Jahren wanderten dann aus historisch nicht erfaßbaren Ursachen die Begründer der SaihLinie ein. Al-Muraiqeb bildete in der Vergangenheit nur eine Siedlungseinheit mit dicht nebeneinanderstehenden Häusern und Gehöften. Es gab keine Nebendörfer. Die Siedlung war zweifellos aus Sicherheitsgründen so eng und geschlossen angelegt. Am Anfang dieses Jahrhunderts begannen einige Familien, Gehöfte außerhalb der alten Siedlung anzulegen. Daraus entwickelten sich nach und nach kleinere Gehöft- oder Hauskomplexe. Der Hauptort trägt den Namen Al-Muraiqeb. Die Siedlung liegt auf einer fast ebenen Fläche zwischen zwei Hügelgruppen. Diese Fläche ist etwa 300 m lang und 150 m breit. Die Gehöfte und Häuser stehen eng beieinander, häufig nur durch eine Mauer getrennt. Durch eine Straße wird das Dorf in eine nördliche und eine südliche Hälfte geteilt. In der Mitte des Ortes liegt ein Platz, der etwa 30 m lang und fast 20 m breit ist. Hier fanden früher die Versammlungen 32

der Bevölkerung statt, und auch die Hochzeiten wurden hier gemeinsam gefeiert. Heute parken an dieser Stelle die Autos, die ins Dorf kommen. Etwa 400 m vom südöstlichen Siedlungsrand entfernt gibt es drei Wasserstellen , von denen die Einwohner einen großen Teil ihres Wasserbedarfs decken. Es handelt sich um relativ flache Gruben, die in etwa 50 m Abstand voneinander am Fuße eines Hügels liegen. Die Gruben wurden künstlich angelegt. Einer dieser flachen Brunnen ist überdacht, und das Wasser ist hier sauberer und kühler, es bildet ein gutes Trinkwasser. Von den anderen beiden wird das Wasser nur zum Waschen und zum Tränken der Tiere verwendet. Eine der Wasserstellen trocknet in den heißesten Monaten oft aus. Man kann direkt an das Wasser herantreten, und es wird ohne Hilfsmittel in Kannen geschöpft. Außer diesen Wasserstellen haben die Bewohner von Al-Muraiqeb eine Reihe von Zisternen. Auf halbem Wege zwischen den Brunnen und der Siedlung befindet sich der alte Dreschplatz. Er wird heute nicht mehr benutzt, da die Dreschmaschine nicht dorthin fahren kann. Aus diesem Grunde wurde an einer anderen Stelle ein neuer Dreschplatz angelegt. Die Hanglagen in der Umgebung der Siedlung wurden früher fast ausschließlich durch Beweidung mit Schafen und Ziegen genutzt. Anfang der 60er Jahre wurden fast alle in der näheren Umgebung des Ortes liegenden Hänge in mühevoller Arbeit terrassiert. Oft ziehen sich mehrere Terrassen übereinander bis zum höchsten Punkt des Hanges hin. Die Terrassierung prägt heute das gesamte Landschaftsbild mit. Die Höhe der aus Stein errichteten Terrassenmauern schwankt zwischen 1 m und 2 m. Die gewonnenen Feldstreifen sind zuweilen nur einige Meter breit. Im Norden der Siedlung liegt ein breiterer Talgrund. Hier wachsen immergrüne Eichen und Fruchtbäume. Der größte Teil dieser Fläche ist kultiviert. Auf der Sohle des Tales fließt nach Regenfällen für einige Zeit ein kleiner Wasserlauf. Auch im Südwesten des Ortes liegt ein größerer Talgrund. Diese Fläche ist aber so steinig, daß sie kaum kultiviert werden kann. Der am tiefsten gelegene Teil des Tales wird bebaut. Hier gibt es ein Wasservorkommen, und dieses war der Grund dafür, daß an diesem Platz ein Ableger des Hauptortes entstand. Gleiches gilt für ein kleines Tal im Südosten des Hauptortes, wo es Kulturland und ein Wasservorkommen gibt. Heute gehören folgende Nebendörfer zu Al-Muraiqeb: Al-Käle': Diese kleine Siedlung liegt nordwestlich des Hauptortes. Alle Einwohner gehören zu einer Linie, deren andere Zweige in Ar-Riste und dem Hauptort leben. In Al-Käle' gibt es heute einige modern gebaute Häuser. Ad-Dlräne: Die kleine Siedlung liegt 2 km südwestlich des Hauptortes am Rande eines Tales. In der Nähe der Siedlung befinden sich einige Wasserquellen. Kifräye: Diese kleine Siedlung liegt in dem gleichen Tal am Rande eines Wasserlaufes, der während des Sommers wochenlang fast trocken ist. Nur relativ wenig Land der Umgebung, das hügelig und bergig ist, ist in die landwirtschaftliche Nutzung einbezogen. Aber es gibt im Tal und an den Hügelhängen sehr viele Obstbäume. Eine starke Wasserquelle versorgt die Bewohner mit Trinkwasser und ermöglicht die Bewässerung eines Teiles des Landes. Guit: Diese kleine Siedlung, die aus 2 Gehöften und 2 Häusern besteht, liegt im gleichen Tal, etwa 3 km südöstlich. Außerdem gibt es noch einige vereinzelte 3

Sozialökonomische Verhältnisse

33

Häuser und Gehöfte, die in größerer oder kleinerer Entfernung vom Hauptort errichtet wurden. Es wurde bereits gesagt, daß Al-Muraiqeb früher keine solchen Nebensiedlungen hatte. Die Bevölkerung konzentrierte sich im Hauptort. Die Großfamilien spielten damals eine weit bedeutendere Rolle als heute. Nicht selten umfaßte der bäuerliche Haushalt alle Brüder mit ihren Familien und manchmal auch Parallel-Cousins ersten Grades. Erst nachdem in den letzten Jahrzehnten die Kleinfamilien an Bedeutung und Selbständigkeit gewannen, veränderte sich auch das Siedlungsbild. Einzelne Männer mit ihren Familien oder auch kleine Gruppen von zwei oder drei Familien errichteten etwas abseits eigene Gehöfte. Dieses Streusiedlungsbild bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Nicht alle abseits vom Hauptort gelegenen Orte liegen in der Nähe einer Wasserquelle. D i e Einwohner müssen oft, wenn die Zisternen leer sind, im Spätsommer Wasser über große Entfernungen antransportieren. Ebenso wichtig ist das Problem der Verkehrsverbindung. Die drei Siedlungen Ad-Diräne, K i f r ä y e und Gü'it und viele einzelne Häuser und Gehöfte können von keinem Auto und keinem Traktor oder irgendeiner Maschine erreicht werden. Es zeigt sich auch deutlich, daß die Bewohner dieser Siedlungen einen relativ geringeren Kontakt mit ihrer Umgebung haben. Der Prozentsatz der Einwohner mit Schulbildung liegt sichtbar unter dem Durchschnitt der Gesamtsiedlung. Es gibt in diesen drei Weilern auch keine modernen Wohnungen. I m letzten Jahrzehnt wird eine andere Tendenz sichtbar. Neue Häuser und Gehöfte werden an Plätzen mit günstiger Verkehrslage errichtet. Ebenso ist das Vorhandensein von Wasser notwendig. Letzteres spielt eine besondere Rolle, nachdem im Rahmen der staatlichen Entwicklungsmaßnahmen eine Wasserleitung gebaut wird. Die Wasserleitung bzw. Abzweigungen führen nur in leichter erreichbare Siedlungen. Hinsichtlich vieler demographischer Faktoren gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen zu Al-Muraiqeb gehörenden Siedlungen. Auch die Landwirtschaft und die Saisonarbeit außerhalb des Gebietes haben nicht die gleiche Bedeutung für die Bewohner jeder Teilsiedlung. Außerdem gibt es Unterschiede in der traditionellen sozialen Struktur und im Prozentsatz der Ausgebildeten. Auf der folgenden Tabelle werden eine Reihe demographischer Angaben gemacht. D a s Zentrum Al-Muraiqeb und das Nebendorf Al-Käle' werden zusammengefaßt behandelt. Die Verhältnisse in beiden Siedlungen entsprechen sich. Die anderen Nebensiedlungen werden wegen der erwähnten Unterschiede extra genannt. Tabelle 1. Die Bevölkerung von Al-Andrüse Ort

Einwohnerzahl

Zugewanderte

Haushalte insgesamt

Haushalte Haushalte der Einhei- der Zugemischen wanderten

Al-Andrüse (Hauptort) Dahr al-Mitin Ar-Riste

326

53

54

42

12

255 128

19 64

49 28

46 14

3 14

Insgesamt:

709

136

131

102

29

34

Tabelle 2. Abwesende Einwohner von Al-Andruse Ort

Al-Andrüse (Hauptort) Dahr al-Mitin Ar-Riste Insgesamt :

Im staatl. Dienst

Arbeiten Emigran- Studenten (Süd- ten im ständig außerhalb amerika) Ausland

45

8

47 18

6 1

110

15

1

Sonstige

Insgesamt



55

1

56 19

1

130

1

2 -



1

3

Tabelle 3. Die Einwohner von Al-Muraiqeb Einwohnerzahl

Haushalte

Zahl der Abwesenden

Hauptort u. Al-Kale' Ad-Diräne Kifräye öü'it

687 129 47 20

113 19 7 4

171 10 1 4

Insgesamt:

883

143

186

Ort

Tabelle 4. Abwesende Einwohner von Al-Muraiqeb Ort

Im staatl. Dienst

Hauptort u. Al-Kale' Ad-Diräne Kifraye Öü'it

117

Insgesamt:

130

9 1 3

AbwanEmigran- Studenderer in ten (Süd- ten im die Stadt amerika) Ausland od. in and. Gebiete 34 -

_ —

34

5

11 1 —

12

Sonstige

Insgesamt

4

171











5

1

10 1 4

5

186

Erläuterungen zu den Tabellen 1 und 3 „Einwohnerzahl": die Rubrik umfaßt alle im Ort lebenden Personen, sowohl die altansässigen als auch diejenigen, die vor mehreren Jahren eingewandert sind. Es gehören dazu auch alle Personen, die aus verschiedenen Gründen in anderen Orten leben, aber noch als Dorfeinwohner gelten. Die „Zugewanderten" sind diejenigen, die bereits seit mehr als 10 Jahren in diesem Ort leben, ursprünglich aber aus anderen Orten stammen. Unter dem Begriff „Haushalt" ist eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen. Sie umfaßt alle Personen, die zusammen in einem Haus leben und gemeinsam wirtschaften. Ein Haushalt kann eine Kernfamilie oder eine erweiterte Familie sein. „,

35

E r l ä u t e r u n g e n zu d e n Tabellen 2 u n d 4 Diejenigen, die im staatlichen Dienst stehen, sind Militärangehörige, Polizisten u n d Angestellte in staatlichen Dienststellen u n d Behörden. Sie leben a u ß e r h a l b des Ortes. Einige von ihnen h a b e n a u c h ihre F r a u e n u n d Kinder m i t g e n o m m e n . Diese wurden aber auch mitgezählt. „Abwanderer", das sind Personen mit ihren F r a u e n u n d K i n d e r n , die in den Städt e n als Arbeiter t ä t i g sind. „ S t u d e n t e n im A u s l a n d " : Aus der d r i t t e n Tabelle wird ersichtlich, d a ß n u r ein S t u d e n t im Ausland ist; er studiert in Spanien Medizin. D a s S t u d i u m finanziert sein Vater, dieser besitzt ein A u t o , eine Ölpresse u n d einen K a u f l a d e n . Aus der vierten Tabelle geht hervor, d a ß es fünf S t u d e n t e n im Ausland g i b t : Der erste studiert in U n g a r n L a n d m a s c h i n e n b a u , der zweite in der Sowjetunion Astronomie, der d r i t t e u n d der vierte studieren in der D D R E t h n o g r a p h i e bzw. politische Ökonomie, u n d der f ü n f t e s t u d i e r t in der B R D Germanistik. Alle fünf w u r d e n von verschiedenen staatlichen I n s t i t u t i o n e n z u m S t u d i u m delegiert. U n t e r „Sonstige" fallen fünf Personen. E s sind Mädchen, die in der S t a d t als Hausangestellte arbeiten. Vier von ihnen sind in Beirut, ein Mädchen a r b e i t e t in Tartous. (Die Tabellen geben die Situation von 1970 wieder).

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B. Sozialökonomische Verhältnisse der Bevölkerung von As-Saih-Badr I. Bäuerliche Bevölkerung

Für die Untersuchung der ökonomischen und sozialen Situation der bäuerlichen Bevölkerung wurden 25 Familien ausgewählt. Alle Familien leben im Hauptort von Al-Muraiqeb oder einer zu diesem Dorf gehörenden Nebensiedlung. Die ausgewählten Familien sind repräsentativ für die Bauern aller benachbarten Dörfer. Auf einige Besonderheiten von Al-Muraiqeb wird extra hingewiesen werden. 1. Siedlung und Wohnweise Siedlungs- und Gehöftsanlage Die Gehöfte und Häuser der Bauern können in zwei Kategorien gegliedert werden, nämlich die alten Häuser und Gehöfte und die Häuser neueren Typs. Das traditionelle Gehöft, das mit wenigen Ausnahmen charakteristisch für die Wohnform der Bauern ist, besteht aus einem Hof, der von einigen Gebäuden und stellenweise von einer Mauer umschlossen ist. Zu den Gehöften gehören außer dem Wohnhaus (oder den Wohnhäusern) in einigen Fällen ein Staligebäude, eine Zisterne und ein Backofen. Die Zahl der Wohngebäude ist von der Größe der jeweiligen Großfamilie oder erweiterten Familie und von deren ökonomischer Situation abhängig. Nicht jedes Gehöft von Al-Muraiqeb verfügt über die genannten Einrichtungen. In relativ vielen Fällen liegt die Zisterne nicht im Gehöft, sondern außerhalb, und mehrere der Bauern, besonders solche, die es nicht so weit zu den Wasserstellen haben, besitzen gar keine Zisterne. Auch ein Stall befindet sich nicht in jedem Gehöft. Viele Bauern bringen ihre Tiere in der kalten Jahreszeit nachts in einem Wirtschaftsraum ihres Wohngebäudes unter. Im Sommer wird dann auf dem Hofaus Baumzweigen eine Art Gehege für die Tiere errichtet. Der Backofen (tannür) steht häufig auch außerhalb des Gehöfts. Nicht jede Familie hat einen Backofen, er ist nicht selten Gemeinschaftsbesitz von zwei oder drei Nachbarn. Die meisten Gehöfte haben eine Grundfläche zwischen 250 und 300 m 2 einschließlich der Fläche, auf der die Gebäude stehen. Es gibt aber in Al-Muraiqeb einige Gehöfte, deren Grundfläche mehr als 400 m 2 beträgt. Bei vielen Gehöften stehen Stall und Backofen auf der einen und das Wohnhaus auf der anderen Seite des kleinen Hofes. Die Zisterne befindet sich immer an einer etwas erhöhten Stelle. Ihre Öffnung liegt über dem Niveau der Hoffläche. Man achtet darauf, daß die Entfernung zum Stall möglichst groß ist. Die Zisternen haben die Form eines in den Boden eingelassenen Zylinders oder Kegelstumpfes. Die Wände sind heute in jedem Falle mit Zement verstrichen. Der Durchmesser beträgt 2 m 37

bis 3m, die Tiefe schwankt zwischen 5 m und 7 m. Die Öffnung ist relativ klein. Um das Wasser vor Verunreinigungen zu schützen, wird die Zisterne mit einem Holzdeckel verschlossen. Das Wasser wird mit einem Aluminium- oder Zinkeimer, der an einem Seil hängt, herausgeschöpft. Oft führen Leitungen oder Rinnen von den Dächern der Häuser zu den Zisternen. Manche von ihnen, die sich außerhalb der Gehöfte befinden, sind so angelegt, daß die auf eine größere Fläche fallende Regenmenge in ihnen zusammenfließt. Das Wasser läuft durch eine Art Sieb, so werden Verschmutzungen weitgehend verhindert. Der Backofen besteht aus einem kubusförmigen Podest aus Ton von etwas über 1 m Höhe. Die Oberfläche ist etwa l V ^ m 2 groß und leicht nach vorn geneigt. I n der Mitte befindet sich eine kreisförmige Öffnung von 40 cm bis 60 cm Durchmesser, die sich zu einem Innenraum erweitert und bis auf die Erde hinabreicht. Auf dem Boden dieses Innenraumes brennt das Feuer. Der Ofen wird mit Holz, manchmal aber auch mit getrocknetem Viehmist beheizt. Für die Luftzufuhr sorgt ein Durchstich zu ebener Erde. Der zu flachen Broten geformte Teig wird an die erhitzten Wände des Innenraumes geklebt und bäckt schnell durch. Damit die Frauen ihr Brot unter allen Wetterbedingungen backen können, wurden viele Backöfen überdacht. Die Wohnhäuser sind im Grundriß rechteckig. Die Wände werden aus Basaltstein aufgeführt. Ein Teil der Basaltbrocken wird vorher roh zugehauen. Eine Wand ist 60 bis 70 cm dick, denn sie besteht aus zwei Steinmauern, die parallel zueinander aufgebaut sind. Die Lücken zwischen den größeren Steinen werden mit kleineren gefüllt. Das Dach ist flach und besteht aus mehreren Schichten. Die unterste Schicht des Daches wird aus einigen parallel laufenden Balken gebildet, die auf den Außenmauern ruhen. Darauf liegt eine Schicht eng zusammengedrückter Zweige und Blätter, und darauf wieder folgt eine Lage Tonerde. Die oberste Schicht besteht aus einer Mischung von weißer Tonerde mit Rinderdung und zerkleinertem Stroh. Sie wird einige Zentimeter dick sorgfältig auf dem Dach aufgetragen und ist wasserdicht, kann aber leicht rissig werden. Dringen dann größere Mengen Regenwasser hindurch, so besteht die Gefahr, daß Teile des Daches durchweichen. Durch Hin- und Herrollen eines großen walzenförmigen Steines von etwa 30 cm Durchmesser und 50 bis 60 cm Länge, der an einer Gabel mit einem Stiel befestigt ist, werden die Risse auf dem Dach wieder zusammengefügt. Die Wände sind außen und innen mit Tonerde verputzt. Jedes J a h r nach den Regenmonaten werden Außen- und Innenwände neu mit Kalk getüncht. Zwei- bis dreimal im J a h r wird der Fußboden mit einer Mischung aus weißer Tonerde und zerkleinertem Stroh neu geglättet. I n den letzten Jahren haben viele Bauern neues Material auch beim Bau von Häusern des alten Typs und bei Ausbesserungsarbeiten verwendet, das heißt, man nimmt für die obere Schicht des Daches und für den Fußboden heute vielfach Zement. Die traditionellen Häuser haben wenige und nur kleine Fenster mit einem Holzrahmen ohne Glas, die mit einem einfachen Fensterladen verschlossen werden. Innen sind Nischen in die Wände eingelassen, die Platz für die Aufbewahrung vieler kleiner Sachen bieten. I n jedem der alten Häuser stehen einige Säulen, die die Dachbalken stützen. Die Zahl der Säulen ist abhängig von der Größe des Raumes. Wollte man früher einen Mann als reich bezeichnen, so sagte man: „Sein Haus 38

steht auf 12 Säulen." Dies bedeutet nicht nur, daß sein Haus groß ist, sondern auch, daß er darin viele Gäste empfangen kann. Auch heute kann man diese Worte noch oft hören. Auf den meisten Innenhöfen stehen einige Maulbeer- oder andere Bäume, die Schatten spenden. Inneneinrichtung und Wohnweise Ein Bauernhaus hat ein oder zwei und nur sehr selten drei Räume. Die Mehrzahl der Häuser ist zweiräumig. In einem Raum wohnt die Familie. Dieser Wohn- und Schlafraum ist in der Regel zwischen 40 und 60 m 2 groß. Hier wird gegessen und in vielen Fällen gekocht, auch die Gäste werden in diesem Raum empfangen. Beim Betreten eines solchen Zimmers fallen zuerst die Schlafstellen ins Auge, von denen es in jedem Haus mehrere gibt. Es sind flache Holz- oder Metallrahmen, die mit Matratzen belegt sind. Auf diesen Betten schlafen die Erwachsenen. Die Kinder schlafen häufig auf Matratzen, die auf Strohmatten auf dem Fußboden liegen. Diese Matratzen werden am Tage zusammengerollt und stehen in einer Ecke des Hauses. Die Schlafmatratzen bestehen aus einem Stück. Sie wurden früher von den Frauen der Familie selbst genäht und mit Schafwolle gestopft. Auch heute ist dies noch oft der Fall. Nicht in jedem Haus hat jede Person eine Schlafstelle, oft müssen Kinder oder Halbwüchsige zu zweit auf einer Bettstelle schlafen. Die Anzahl der Betten, die man beim Betreten eines solchen Raumes erblickt, läßt durchaus einen Rückschluß auf die ökonomische Situation der Familie zu. In jedem Wohnraum liegen einige Matten, die auch als Sitzgelegenheit benutzt werden. Desgleichen gibt es in jedem dieser Räume einige Stühle, die aus Holz rahmen bestehen. Den Sitz bildet ein Strohgeflecht. In einer Ecke des Hauses stehen immer ein paar Tongefäße, in denen Trinkwasser aufbewahrt wird, sowie größere und kleinere Körbe. In einer anderen Ecke ist Platz für die Haushaltsgeräte. Dazu gehören Aluminium- und Kupfertöpfe, Kupferkessel, Teller, Kannen, Teegläser, Kaffeetassen und Glasgefäße von verschiedener Größe. Viele Bauern haben für diese Haushaltsgegenstände einen Schrank, dessen Vorderwand aus einem Holzrahmen besteht, der mit einem Netz bespannt ist. Bei jeder Bauernfamilie gibt es eine Anzahl von ovalen Tabletts, die aus Stroh geflochten sind. Sie dienen als Unterlage für die Nahrungsmittel. Auf diesen Tabletts werden auch die Speisen in Tellern serviert. Die Frauen fertigen sie aus Weizenstroh selbst an. Das Stroh wird oft vorher gefärbt, um ein gemustertes Tablett zu erhalten. Besonders geflochtene und verzierte Tabletts haben einen gewissen volkskünstlerischen Wert, sie werden nur benutzt, wenn Gäste im Hause sind. Diese hausgewerbliche Tätigkeit geht allmählich zurück, da es heute Metall-Tabletts, die eingeführt werden, zu kaufen gibt. Fast jede Bauernfamilie besitzt eine kleine Handmühle, wie sie für die bäuerliche Bevölkerung großer Teile des Orients typisch ist. Sie besteht aus zwei großen scheibenförmigen glatten Steinen, die aufeinander liegen. In den oberen Stein ist ein Holzgriff eingelassen, womit er reibend auf dem unteren Stein bewegt 39

werden kann. Der obere Stein hat eine runde Durchbohrung von 5 cm bis 8 cm Durchmesser, dahinein werden Weizen, Linsen, Bohnen u. a. geschüttet, um zerkleinert zu werden. Zu den typischen Haushaltsgegenständen der bäuerlichen Familie gehört auch ein ovales, kuppeiförmiges Eisenblech, darauf wird im Winter das Brot gebacken, falls man keinen überdachten tannür hat. Fast jede bäuerliche Familie hat heute einen Kerosin-Kocher, er dient der Zubereitung des Tees, des Kaffees und der täglichen Mahlzeiten. In vielen Häusern steht ein Tisch und darauf eine Kerosin-Lampe, daneben liegt eine chinesische Batterie-Handlampe. Heute gibt es fast in jeder Familie ein größeres oder kleineres Transistorradio. In dem zweiten Raum des Hauses, der gewöhnlich größer als der Wohnraum ist, werden Stroh und Heu, das wichtigste Viehfutter, aufbewahrt. Er dient auch als Speicherraum für die Ernte. Hier stehen zwei oder mehr große Speicher aus Tonerde. Ein normaler Speicher ist etwa 2 m hoch, er hat zwei Öffnungen, die obere große Öffnung hat einen Durchmesser von etwa 60 cm; durch die kleinere Öffnung unten nimmt man das Getreide heraus. Heute gibt es nicht mehr so viele dieser Speicher wie früher, das Getreide wird oft in truhenähnlichen Behältern aus Holz oder Weißblech aufbewahrt. In diesem Raum befinden sich auch die landwirtschaftlichen Arbeitsgeräte, der Pflug, die Hacken, die Sicheln und die großen geflochtenen Körbe, in denen der tierische Dünger auf die Felder getragen wird. Er dient auch oft zum Lagern von Brennholz, und bei einer Reihe von Bauern werden die Tiere in der kalten Jahreszeit in einem Teil dieses Raumes untergebracht. Im Frühjahr werden in einer Ecke die Gestelle für die Seidenraupenzucht aufgebaut. In den Innenwänden gibt es immer eine große Anzahl von Nischen mit Nestern, wohinein die Hühner ihre Eier legen. Wie bereits gesagt, haben einige Häuser drei Räume. Der dritte Raum dient dann in der Regel ebenfalls als Wirtschaftsraum, vor allem zum Lagern von Heu, Stroh und Brennholz. Im allgemeinen läßt ein Blick in den Wirtschaftsraum bereits die ganze ökonomische Situation des Bauern erkennen. Noch heute wird das Bild des Dorfes Al-Muraiqeb von diesem Gehöft- und Haustyp geprägt. In den letzten Jahrzehnten begann man aber, neue Hausformen zu errichten. Die ersten neueren Bauten von Al-Muraiqeb gehen auf den Anfang der 50er Jahre zurück. Die modernen Häuser unterscheiden sich wesentlich von den alten Gebäuden. Sie sind entweder aus Basalt- oder Kalkstein oder aus Blöcken errichtet, die aus Zement und Sand geformt wurden. Die Unterschiede gegenüber dem alten Haustyp liegen sowohl in der Konstruktion als auch im Baumaterial. Diese Häuser haben ein Dach aus Beton. Viele von ihnen haben eine Küche, eine Toilette, einen Waschraum und einige Zimmer mit größeren verglasten Fenstern. Vor einigen dieser modernen Häuser sieht man große Veranden. In Al-Muraiqeb einschließlich der dazugehörigen Nebensiedlungen stehen etwa 50 moderne Häuser. Das kleinste von ihnen hat nur einen Raum. Die größten Häuser haben 5 Räume. Die Mehrzahl von ihnen befindet sich im Besitz von Angestellten, Berufssoldaten und anderen Personen, die ein regelmäßiges monatliches Gehalt bekommen oder von Bauern, die einträgliche, ergänzende Einkommensquellen haben. 40

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Zahl der modernen Häuser in Al-Muraiqeb und die sozialökonomische Situation ihrer Besitzer. Laufende Nummer der Häuser 1 + 2 3 4 + 5

Zahl der Wohnräume 5 + 3 2 3 + 2

Die Tätigkeit bzw. die Einkommensquelle d. Besitzers

Bemerkungen

Bauer und Schmied

5 Wohnräume sind vermietet

Berufssoldat Bauer, Bauarbeiter

alle Wohnräume sind vermietet alle Wohnräume sind ver mietet Sein Vater ist in Amerika; er bekommt Unterstützung von ihm

2

Polizist

2

Zollbeamter

3 2 1 + 2

Bauer, Bauarbeiter Bauer Bauer und Schmied

13

3

Polizist

14 15

22

4 4 2 2 2 5 2 2 2

23 24 25

4 3 4

26

4 1

Offizier Angestellter Hilfskraft im Büro Lehrer Offizier Polizist Berufssoldat Angestellter Gelegenheitsarbeiter mit kleinem Landbesitz Angestellter Berufssoldat Bauer Der Besitzer ist jetzt zum 2. Mal in Brasilien Angestellter Bauer, Arbeiter in E r hat die Nr. 9 bei den Libanon untersuchten Familien Bauer, Arbeiter in Libanon Arbeiter in Libanon mit kleinem Landbesitz Bauer, Arbeiter in Libanon Bauer, Arbeiter in Libanon Bauer, Arbeiter in Libanon

6 7 8 9 10 + 11 + 12

16

17 18 19 20 21

27 28 29 30 31 32

2 2 1 2 2

2 Wohnräume sind vermietet alle Wohnräume sind vermietet

41

Laufende N u m m e r der Häuser

Zahl der Wohnräume

Die Tätigkeit bzw. die Einkommensquelle d. Besitzers

33 34

1 2

Bauer Bauer

35 36

2 5

Lehrer Bauer

37

3

Bauer

38 39

5 2

Polizist Bauer

40 41

i 1

42 43 44 45

1 3 2 2

46

4

47

2

48

i

49

1

Bauer, B a u a r b e i t e r Bauer, Gelegenheitsarbeiter Angestellter Lehrer Angestellter Bauer, Gelegenheitsarbeiter Bauer, Bauarbeiter, Kleinhändler Bauer, Arbeiter in Libanon Bauer, Arbeiter in Libanon Bauer

Bemerkungen

E r h a t die Nr. 14 bei d. u n t e r s u c h t e n Familien E r hat die Nr. 23 bei den u n t e r s u c h t e n Familien D a s H a u s w u r d e von sein e m Sohn g e b a u t , der Offizier ist E r h a t die N r . 11 bei den u n t e r s u c h t e n Familien

Seine Tochter a r b e i t e t in L i b a n o n als Hausangestellte

E r l ä u t e r u n g e n zu der Tabelle Die H ä u s e r 1 u n d 2 befinden sich im Besitz einer Familie. Gleiches gilt f ü r die N u m m e r n 4 u n d 5, f ü r 10, 11 u n d 12. E s w u r d e n d'C Tätigkeiten e r w ä h n t , mit denen das Geld f ü r den H a u s b a u verdient wurde. Als Angestellte werden diejenigen bezeichnet, die im Büro einer staatlichen Instit u t i o n oder in ähnlicher Weise tätig sind u n d regelmäßig ein monatliches Gehalt bekommen. Es t a u c h t des öfteren der Z u s a m m e n h a n g Bauer — Arbeit in L i b a n o n a u f . E s handelt sich u m B a u e r n , die einige Monate im J a h r in Libanon arbeiten (Saisonarbeit). D a s dort verdiente Geld legten sie im H a u s b a u a n . E s m u ß hier d a r a u f hingewiesen werden, d a ß auch viele B a u e r n , die Mitglieder der Genossenschaft sind, einen großen Teil der Kredite, die sie von der Genossenschaft f ü r die E n t w i c k l u n g ihrer L a n d w i r t s c h a f t erhielten, f ü r den H a u s b a u b e n u t z t h a b e n . E s gibt viele Bauern, die sich d a r u m bemühen, ein modernes H a u s zu errichten mit dem Ziel, es zu vermieten. Sie selbst leben in ihrem alten Gehöft weiter.

42

Landwirtschaftliche Arbeit Feldarbeit Die wichtigste Tätigkeit der Dorfbewohner ist die Arbeit auf den Feldern* Die Viehhaltung ergänzt die Feldwirtschaft, steht aber in ihrer Bedeutung weit hinter dieser zurück. Trotz dieser hervorragenden Stellung der landwirtschaftlichen Arbeit im Leben der Dorfbewohner ist die Existenz der Bauern dadurch allein nicht gesichert. In Al-Muraiqeb gibt es keine Familie, die genügend Grundnahrungsmittel, d. h. Getreide, für die Eigenversorgung produzieren kann. Jeder Bauer muß einen Nebenerwerb oder irgendeine zusätzliche Einkommensquelle haben, um die Lebensbedürfnisse der Familie decken zu können. Die landwirtschaftliche Produktion ist in hohem Grade von der Niederschlagsmenge, der Verteilung der Niederschläge und der Bodenfruchtbarkeit abhängig. Es gibt, von sehr kleinen Flächen abgesehen, kein bewässertes Land. Zwei Faktoren wirken sich erschwerend auf die landwirtschaftliche Produktion aus. Die schmalen Terrassenfelder lassen den Einsatz von bestimmten Geräten und von Maschinen nicht zu, und die Zahl der Arbeitskräfte ist kaum noch ausreichend, um die Feldarbeiten in traditioneller Weise durchführen zu können. Die Einführung der Schulbildung und die weitere Berufs-, Fachschul- und Hochschulausbildung haben dazu geführt, daß die größeren Kinder und ein bedeutender Teil der Jugendlichen als Arbeitskräfte ganz ausfallen. Bestenfalls helfen sie gelegentlich und in der Ferienzeit. Die Bodenfruchtbarkeit der meisten Landstücke ist sehr niedrig, und man hört immer wieder die Bauern sagen, daß sie dem Lande mehr geben als es ihnen gibt. Die landwirtschaftliche Kultur zerfällt heute in zwei Kategorien. Zur ersten gehört alles das, was zum eigenen Bedarf angebaut wird, zur zweiten Kategorie gehören Produkte, die verkauft werden sollen. Für den eigenen Bedarf dient alles Getreide und ein großer Teil der Erträge der Obstbäume. Verkauft wird in erster Linie Tabak. Von den Getreidearten steht Weizen an erster Stelle, hinzu kommen Gerste und Mais. Außerdem werden Linsen, Erbsen, Bohnen, Kichererbsen sowie andere Leguminosen, die als Viehfutter verwendet werden, angebaut. Der Weizen stellt das eigentliche Grundnahrungsmittel der Bevölkerung dar. Aus Weizen wird burgul gemacht, und aus Weizenmehl wird das Brot gebacken. Nach der Ernte wird dieses Getreide in folgender Weise aufgeteilt: ein Teil bildet das Saatgut für das kommende J a h r und darf auf keinen Fall angetastet werden. Aus einem weiteren Teil wird burgul hergestellt, und der übrige Weizen wird zu Mehl für das Brot vermählen. Der Brotweizen reicht in den meisten Fällen nur einige Monate, dann muß die bäuerliche Familie entweder Weizenkorn oder -mehl in der Stadt oder von den Händlern in As-§aih-Badr kaufen. Zu dem Gemüse und Obst, das der Bauer in erster Linie für sich selbst pflanzt, gehören Tomaten, Gurken, Zwiebeln, Melonen, Weintrauben, Oliven und Feigen. Erst in den letzten Jahren begannen einige Bauern, Weintrauben und Feigen in der Stadt zu verkaufen. Drei Familien von Al-Muraiqeb, die ein kleines Stück bewässertes Land besitzen, verkaufen auch Zitronen. Einige andere stellen illegal aus Weinbeeren eine Art Schnaps her. 43

Der Anbau von Tabak ist weit verbreitet. Bei vielen Bauern ist er das einzige Produkt für den Verkauf. Tabakanbau setzt eine staatliche Genehmigung voraus. Der Bauer stellt einen Antrag bei einer Zweigstelle der „Syrian Tabacco Monopoly Products". Er muß die Größe der Fläche, die er bebauen will, angeben. Der Tabaksamen wurde früher von den Bauern selbst gewonnen. Heute ordnet das Landwirtschaftsministerium den Anbau einer bestimmten Sorte an. Die Bauern erhalten dann von der genannten staatlichen Behörde das Saatgut. Die Kosten können sie nach der Ernte begleichen. Oft werden sie ihnen beim Verkauf von der staatlichen Aufkaufstelle in Rechnung gestellt. Jeder, der Tabak anbaut^ hat heute ein kleines tragbares Gerät zum Versprühen von Pflanzenschutzmitteln, um den Tabak vor Schädlingsbefall zu bewahren. Die Tabak-Sorte muß, so ist es Vorschrift, den Bedingungen des betreffenden Gebietes entsprechen. I n Al-Muraiqeb wird seit 1970 eine jugoslawische Sorte angebaut, die sich besonders für gebirgige Gegenden in Höhenlagen zwischen 300 und 800 m eignet. Etwa 10 bis 20 Pflanzen stehen auf einem Quadratmeter. Von einem Donum werden durchschnittlich 75 kg Blätter geerntet. 37 Die Angestellten der staatlichen Behörde kontrollieren den Tabak-Anbau. I n As-SaihBadr gibt es eine solche Kontrollstelle. Die Zerstückelung des Landes und die Terrassierung bringen es mit sich, daß jeder Bauer einige kleine Tabakfelder hat, die innerhalb seines Landbesitzes verstreut sind. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Tabak-Produktion der Bauern von Al-Muraiqeb und Al-Andrüse. Al-Muraiqeb Gesamte Produktion* Angebaute Fläche Zahl der Tabaksanbauer Zahl der Tabakfelder Durchschnittliche Produktion pro Donum Durchschnittlicher Preis pro kg Höchster Preis pro kg Niedrigster Preis pro kg

AI-Andröse

6118 kg 96 756 m 2 78 Fam. 441

7762 kg 115 635 m 2 83 Kam. 406

63 kg

67 kg 3,55 Lira

4,64 Lira 1,30 Lira

4,80 Lira 1,79 Lira

* Die Tabakmenge, die an die staatliehe Behörde 1970 verkauft wurde. Die Produktion 1970* Familien-Nr.

1 2 3 4 37

44

Größe der angebauten Fläche in m 2 1885 2226 1809 810

Zahl der Tabakfelder 10 13 7 4

Produktion in kg 102 134 96 48

der erzielte Preis in Lira 420 397 286 87

Veröffentlichung der Ergebnisse des 1. Syrischen Kongresses über den Tabak in Latakia. Alleppo 1967.

Familien-Nr.

5 6 7 8 9 10 11 12 13 15 16 17 18 20 22

Größe der

Zahl der

Produktion

der erzielte

angebauten Fläche in m 2

Tabakfelder

in kg

Preis in

1641 1782 1407 1117 1915 1630 728 1140 471 995 1702 652 1283 1017 923

9 7 7 4 8 6 3 6 3 6 7 3 9 5 34

103 137 61 70 99 95 64 78 20 47 121 44 44 55 37

242 497 244 226 424 340 218 350 85 202 520 170 146 115 108

* Die Angaben wurden dem Register des staatlichen Kontrolleurs für den Tabakanbau in As-Saih-Badr entnommen.

Bei den 25 untersuchten Familien wurde in 19 Fällen die Tabak-Produktion erfaßt. Angaben über die Familien Nr. 14, 19, 23, 24, 25 fehlen. Auffallend sind die großen Preisunterschiede. Sie haben ihre Ursache in der unterschiedlichen Qualität des Landes, mehr aber noch in der mehr oder weniger sorgfältigen Arbeit der Bauern. Einige Bauern haben mehr, als sie dem Staat verkaufen. Sie behalten den Überschuß für sich oder verkaufen ihn trotz strengen Verbotes illegal. Dieser Schwarzhandel ging in den letzten Jahren sehr zurück und hat heute kaum noch Bedeutung. Im Jahresablauf gibt es zwei Bestellzeiten und dementsprechend zwei Feldtypen. Die Bestellung der Winterfelder beginnt im Oktober nach den ersten Regenfällen. Es kommen vor allem Weizen und Gerste und in zweiter Linie Linsen und Bohnen zur Aussaat. Die Bestellung der Sommerfelder beginnt Ende Februar und zieht sich oft bis zum Mai hin. Die wichtigsten Kulturen sind Tabak, Mais und einige Gemüsearten. Weizen und Gerste werden nach den ersten Regenfällen im Oktober ohne vorherige Bearbeitung des Bodens ausgesät. Der Bauer geht mit einem Sack oder einem Korb, in dem sich das Saatgut befindet, über das Feld und wirft es möglichst gleichmäßig aus. Danach wird gepflügt. Es kommt ausschließlich der einfache Holzpflug mit eiserner Spitze zur Anwendung. Der Boden wird 10 cm bis 15 cm tief aufgerissen, aber nicht umgebrochen. Der Pflug wird immer von zwei Tieren gezogen. In den meisten Fällen sind es Rinder. Einige Bauern verwenden Eselgespanne. Es gibt viele kleine Feldstellen, die vom Pflug nicht erreicht werden können, das sind ganz schmale Terrassenstreifen, Ränder von 45

Terrassen und schwer zugängliche Feldflächen an Berghängen. Dort werden die Körner von den Frauen untergehackt. Einen hohen Arbeitszeitaufwand erfordern die Tabakfelder, das Land wird vor dem Auspflanzen zweimal gepflügt. Weitere Arbeitsgänge können im allgemeinen von den Arbeitskräften einer Familie nicht erledigt werden. E s schließen sich deshalb mehrere Familien oder einige ihrer Mitglieder zusammen und bestellen bei gegenseitiger Hilfeleistung ihre Felder nacheinander. Die Männer setzen die Tabakpflanzen sorgfältig in den Boden. Eine Gruppe von Frauen transportiert mit Hilfe von Eseln Wasser in Schläuchen und großen Gefäßen auf das Feld. Eine zweite Frauengruppe gießt mit einer kleinen Kanne jede Pflanze an. Die Tabakpflänzchen werden vorher auf einer kleinen, besonders gut bedüngten und gelockerten Fläche gezogen. Dafür wurde ein Feldstück nahe dem Dorf ausgewählt. Die Ernte der im Winter ausgesäten Kulturen beginnt Anfang Juni. Der Mann schneidet das Getreide mit der Sichel, so daß nur die Stoppeln auf dem Feld bleiben, und die Frau trägt es in großen Bündeln auf dem Kopf zum Dreschplatz. Häufig werden für den Transport auch Esel verwendet. Eine genauere Beobachtung der Bestell- und Erntearbeiten bei drei bäuerlichen Familien erbrachte folgendes Ergebnis: Feldbestellung und E r n t e Bestellung der Winterfelder 1968 Bauer 1. 2. 3.

Beginn

(Weizen und Gerste) Ende

3. 10. 1968 15. 10. 1968 17. 10. 1968

13. 11. 1968 10. 12. 1968 17. 11. 1968

Dauer Tage 40 55 30

Unterbrechung 12 Tage während einiger Regentage

E r n t e auf den Feldern (Weizen und Gerste Sommer 1968) Bauer 1. 2. 3.

Beginn

Ende

1. 6. 1968 1. 6. 1968 1. 6. 1968

16. 6. 1968 21. 6. 1968 25. 6. 1968

Dauer Tage 16 21 25

Die drei Bauern begannen mit ihren Familienangehörigen am gleichen Tage mit der Arbeit und halfen einander. Bei der Einteilung des Jahres rechnen die Bauern nach einem alten orientalischen Mondkalender. Der 13. eines Monats des offiziellen Kalenders ist der 1. des Mondmonats. Nach einem alten Volksglauben ist die zweite Hälfte des Mondmonats, das ist die Zeit des abnehmenden Mondes, für landwirtschaftliche Arbeit besonders günstig. Weizen und Gerste werden mit einer motorgetriebenen Dreschmaschine ausgedroschen. 46

1965 kam ein Mann von Al-Muraiqeb aus Brasilien zurück und kaufte eine Dreschmaschine, die er nach Vorbestellung durch die Bauern mit einem F a h r e r und einem Arbeiter in die Dörfer der Umgebung schickte. Die Bauern müssen 4 kirs für 1 kg ausgedroschenes Korn bezahlen. Diese Regelung gilt für normale Jahre. Fallen die Erträge in trockenen J a h r e n sehr niedrig aus, so wird eine Stundenbezahlung vereinbart. Linsen und Bohnen werden in der alten Weise mittels des naurag (Dreschschlitten) ausgedroschen. E s ist dies eine aus dicken Brettern zusammengefügte Holzplatte, an deren Unterseite Steinsplitter und Nägel eingelassen sind. Die vom Feld geernteten Bohnen und Linsen werden auf dem Dreschplatz ausgebreitet. Der Drusch erfolgt, indem der naurag, gezogen von ein paar Tieren, darauf hin- und herbewegt wird. E s wurde schon gesagt, daß es nur wenig bewässertes Land gibt. Nur in den Tälern, wo ein Wasserlauf fließt, liegen kleine Flächen solchen Landes. Die Bewässerung erfolgt, indem das Wasser einer Quelle in ein kleines Becken von einigen Kubikmetern Fassungsvermögen geleitet und dort gestaut wird. Hat der Stau eine gewisse Höhe erreicht, läßt man das Wasser in Gräben abfließen, die zu den Fruchtbäumen führen. I n einem Tal ist der Wasserlauf so stark, daß ein Aufstauen nicht notwendig ist, sondern die Gräben direkt abgezweigt werden können. Die bewässerte Fläche ist sehr klein, da nur Punkte erreicht werden können, die unter dem Horizont des Quellenaustritts liegen. F ü r die Familien, die ein Stückchen bewässertes Land besitzen, ergeben sich aus der Bewässerung keine organisatorischen Probleme, es gibt auch keine besonderen Fragen der Kooperation zwischen den betreffenden Familien. Außer der Düngung der Felder mit dem Mist der Haustiere wurde zur Erhaltung und zur Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit fast nichts unternommen. E s fehlte an Anleitung und vor allem an den notwendigen finanziellen Mitteln. Heute kauft fast jeder Bauer eine kleine Quantität chemischen Düngers, womit er die Olivenbäume, die Zwiebelbeete und häufig auch einen Teil der Weizenfelder düngt. Viehhaltung Die Viehhaltung ergänzt den Anbau. Sie steht aber in ihrer Bedeutung weit hinter diesem zurück. Der Wert der Viehhaltung liegt darin, daß besonders Rinder und Esel als Zug- und Transporttiere notwendig sind. Außerdem wird der Viehmist als Dünger für die Felder gebraucht. Die Kühe geben nur während einiger Wochen im Frühjahr reichlich Milch. J e weiter der Sommer fortschreitet, um so geringer wird die Milchleistung, und schließlich stehen sie völlig trocken. Außer den Kühen werden einige Schafe und wenige Ziegen gemolken. Die Milch wird im übrigen für den sofortigen eigenen Verbrauch verwendet. Man macht auch etwas Butter. Seit 1957 dürfen Ziegen nicht mehr auf dem Territorium des Dorfes geweidet werden. Sie gefährden den Baumwuchs und fördern die Bodenerosion. Ein Teil der Bauern hält aber Ziegen im Gehöft. J e d e Familie besitzt einen Esel (vgl. im übrigen den Viehbesitz der 25 untersuchten Familien auf den entsprechenden Tabellen).

47'

Seidenraupenzucht In der Wirtschaft vieler Bauern spielt die Seidenraupenzucht eine große Rolle. Von Händlern in As-Saih-Badr werden zu Beginn des Monats April Seidenraupeneier gekauft. Heute können die Bauern diese Eier auch von der landwirtschaftlichen Genossenschaft beziehen. Schon vorher stellen die Frauen große flache Schalen mit steilem Rand aus einer Mischung von Ton, Kuhdung und zerkleinertem Stroh her, die dann in der Sonne getrocknet werden. In eine dieser Schalen kommen nun die Eier und werden mit kleinen Blättern des Maulbeerbaumes bedeckt. Die Schalen stehen in einer Ecke des Wohnraumes bei möglichst gleichmäßiger warmer Temperatur, das heißt nicht in Fenster- oder Türnähe. Nach einigen Tagen schlüpfen die Raupen, und je mehr sie wachsen, umso mehr Schalen werden benötigt. Die ausgewachsenen Raupen werden schließlich im Wirtschaftsraum des Hauses in ein regalartiges Gestell, dessen Fächer mit einer Grasschicht gepolstert sind, gelegt. Dort werden sie täglich mit einer Schicht frischer Maulbeerblätter bedeckt. Nach etwa 5 bis 6 Wochen puppen sich die Raupen ein, und die Kokons werden aufgesammelt. Drei Bauern in Al-Muraiqeb besitzen einfache mechanische Anlagen zur Herstellung des Seidengarns. Die Kokons liegen in einem flachen Behälter mit warmem Wasser, davor steht vertikal ein großes Rad, dessen Lauffläche etwas eingekerbt ist. Von den Kokons werden mehrere Seidenfasern zum Rad hingezogen und auf der Lauffläche befestigt. Das Rad wird langsam gedreht, die Kokons wickeln sich auf, und die nassen Fasern verspinnen sich zu einem Seidenfaden. Ein kleines Feuer auf der anderen Seite des Rades sorgt dafür, daß der Faden angetrocknet wird. Diese Arbeit erfordert viel Sorgfalt, da immer wieder Fäserchen reißen und schnell wieder zum Rad hingezogen werden müssen. Der Besitzer der Kokons und der Besitzer des Rades arbeiten gemeinsam. Letzterer wird bezahlt oder erhält einen bestimmten Teil der Kokons. Die Seide wird an Händler verkauft. Ähnlich wie die Herstellung der Seide ist die Gewinnung des Olivenöles organisiert. In einem abseits gelegenen, zu Al-Andrüse gehörenden Gebäude steht eine motorgetriebene Ölpresse, außerdem gibt es südlich von Al-Muraiqeb im tiefsten Punkt des Tales auch eine mit Wasserkraft getriebene Mühle und Ölpresse. Jeder kann dort gegen Bezahlung seine Oliven auspressen.

3. Haushalt und Arbeitsteilung Alle Bauernfamilien bevorraten einen großen Teil ihrer Lebensmittel, vielfach sind es eigene Produkte, selbst. Vorräte hat jede Familie, doch gibt es große Unterschiede in Qualität und Quantität zwischen den Haushalten. Am wichtigsten für jede Familie ist der Vorrat an Mehl, Olivenöl und burgul. Bei schlechter Ernte muß man größere Mengen dieser Grundnahrungsmittel kaufen. Weitere Nahrungsmittel, die die Bauern selbst produzieren und bevorraten, sind zwar nicht so wichtig, sie sind aber doch von einer gewissen Bedeutung für die Ernährung der Familie, besonders im Winter. Dazu gehören unter anderem Oliven. 48

Nicht die ganze Produktion geht in die Presse zur ölgewinnung; ein Teil wird als Früchte in Ton- oder Glasgefäßen mit Wasser und Salz angesetzt und so konserviert. Ab und zu wird das Wasser abgegossen und neues aufgefüllt. Die Oliven verlieren dadurch in einigen Wochen ihren bitteren Geschmack. Sie werden in dieser Form sehr gern gegessen und sind typisch für die Frühstücksmahlzeit. Auch tierische Produkte werden konserviert bevorzugt. Die Bauern stellen samn (eine Art Butter) her. Viele Bauern, die über etwas mehr Milch verfügen, bereiten Sanklis oder kisk. Beide gehören zu den typischsten traditionellen Nahrungsmitteln. Quark wird zu kleinen Kugeln geformt, in der Sonne getrocknet und dann in einem Tongefäß einige Wochen liegengelassen, bis die Kugeln von einem bestimmten Schimmelpilz überzogen sind. Sie werden dann weich. Vor dem Verbrauch werden sie abgewaschen und mit Gewürzen gemischt. Sie halten sich so noch einige Zeit. Diesen sanklis ißt man gemischt mit Olivenöl, besonders zum Frühstück und zum Abendbrot. Der kiäk besteht aus einem trockenen Gemisch aus Sauermilch und burgul. Dieses Gemisch wird zu kleinen Kugeln geformt und in der Sonne auf dem Dach getrocknet, wodurch es sehr hart wird. In dieser Form werden die kleinen Kugeln für den Winter aufbewahrt. Kiäk wird gekocht und mit Olivenöl, zuweilen auch mit Fleisch, besonders zum Abendbrot gegessen. Auch Gemüse und Obst werden gedörrt und für die Wintermonate aufbewahrt. Feigen werden außerdem getrocknet und unter Dampf erhitzt. Man bewahrt sie in Weißblechbehältern auf. Diese Feigen bilden für die Wintermonate eine Art zusätzliche Nahrung. Sie sind aber mehr ein Genußmittel. Auch Weintrauben werden getrocknet, und die Kinder bekommen im Winter ab und zu eine kleine Menge Rosinen zu essen. Es wurde schon erwähnt, daß einige Bauern aus Weinbeeren einen Schnaps destillieren. Dies geschieht heimlich, denn die Herstellung ist sowohl durch die religiösen Gebote als auch durch staatliche Verordnung untersagt. Doch verkaufen einige Bauern dieses Getränk. Vor allem aber wird es im Dorf bei Festlichkeiten, zum Beispiel anläßlich einer Hochzeit, getrunken, aber niemals an einem religiösen Feiertag. Über die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen wurde einiges bereits im vorhergehenden Abschnitt angedeutet. Einen umfassenden Einblick gewinnen wir aber erst, wenn wir den normalen Tagesablauf der Männer, der Frauen und der Kinder beobachten. Die Frau steht immer frühzeitig als erste der Familie auf. Die erste Arbeit ist das Melken der Tiere, soweit diese in der betreffenden Jahreszeit Milch geben. Danach füttert sie die Tiere und beginnt mit der Zubereitung des Frühstücks. Ein typisches Frühstück besteht aus gekochten oder gebratenen Eiern, gekochten Kartoffeln, Milch, Joghurt, sanklis, kisk und zaitün. 38 Dann geht die Frau zur Wasserstelle (wenn die Familie keine Zisterne hat) und holt Wasser zum Trinken und Waschen. Je nach der Entfernung zur Wasserstelle und nach der Jahreszeit braucht sie dafür längere oder kürzere Zeit, im ungünstigsten Fall etwa eine Stunde. Das Wasser wird in Schläuchen, die von Eseln getragen werden, transportiert. Nur während der Ferien nehmen heute die 38

Zaitün sind Oliven.

4 Sozialökonomische Verhältnisse

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größeren Kinder ihren Müttern diese Arbeit ab, die vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht eine Aufgabe der Halbwüchsigen war. Die Wasserfrage ist ein entscheidendes Problem für die Wirtschaft des Dorfes und für das ganze Leben seiner Einwohner. Eine Wasserleitung, die aus dem Gebiet von Al-Andrüse, wo eine starke Quelle entspringt, bis nach Al-Muraiqeb verläuft, wurde nach längerer Bauzeit 1971 fertiggestellt. Am fortgeschrittenen Vormittag waschen die meisten Frauen Kleidungsstücke ihrer Familie und säubern die Haushaltsgeräte. Die Zubereitung des Mittagessens, der Hauptmahlzeit des Tages, beansprucht für eine Familie von fünf bis sieben Personen durchschnittlich eineinhalb Stunden. Das Mittagessen besteht oft aus burgul, das ist frischer Weizen, der gekocht und danach getrocknet und in der Mühle zerkleinert für das ganze Jahr aufbewahrt wird. Dazu gibt es Gemüsesalat oder gekochte Bohnen. Nach dem Mittagessen säubert die Frau das Haus und den Hof und trägt den Dung aus dem Stall auf die Felder oder auf einen Dunghaufen in der Nähe, aber immer außerhalb des Gehöftes. Jeden zweiten Tag zwischen 16.00 und 17.00 Uhr wird im Backofen Brot gebacken. Am Abend kommen die Tiere von der Weide zurück und werden von der Frau gemolken. Tiere, die nicht auf der Weide waren, erhalten tagsüber noch ein- oder zweimal von der Frau Futter vorgeworfen. Nach dem Melken wird das Abendbrot zubereitet. Eine Beobachtung in einer ganzen Reihe von Familien ergab, daß die Frauen spätestens 22.00 Uhr zur Ruhe gehen. Dieser Tagesablauf erfährt große Veränderungen in der Zeit der Feldbestellung und in der Erntezeit. Alle anderen Arbeiten werden dann nicht oder nur mit großer Hast erledigt. Wenn es eine erwachsene Tochter oder eine Schwiegertochter im Hause gibt, dann erfolgt eine bestimmte Regelung zur Erledigung dieser Aufgaben. Außerdem muß sich die Frau, falls sie kleinere Kinder hat, um diese kümmern. Das Sammeln von Brennholz im Busch zum Heizen des Backofens ist auch eine sehr wichtige und mühevolle Arbeit für sie. Das geschieht in den Sommermonaten. Die Frau hat eine Holzsichel und ein Seil. Sie schneidet mit der Sichel Zweige ab, sammelt sie auf und trägt sie in großen Bündeln auf ihrem Kopf zum Haus zurück. Heute werden vielfach Esel zum Tragen des Brennholzes verwendet. Der Mann begibt sich gleich früh, wenn er seinen Mate getrunken und etwas gegessen hat, auf das Feld. Im Sommer geht er so früh wie möglich, damit er seine Arbeit erledigen kann, bevor die Tageshitze beginnt. Falls auf dem Feld keine Arbeit anliegt, beschäftigt er sich im Gehöft. Er bessert Geräte aus usw. Abgesehen von den Zeiten der Feldbestellung und der Ernte haben die Männer viel mehr freie Zeit als die Frauen. Es gibt keine ausgeprägte Arbeitsteilung zwischen dem Mann und der Frau, aber die Frau konzentriert sich meistens auf die Gehöft- und Haushaltsarbeiten, während der Mann die Arbeiten außerhalb des Gehöfts übernimmt. Manchmal macht die Frau die gleiche Arbeit wie der Mann, z. B. Pflügen, Getreideernten, Tabakpflanzen etc. Das kommt vor allem in besonderen Fällen vor, wenn der Mann abwesend oder krank ist. Die Arbeitsleistung der Kinder hat keine große Bedeutung, denn sie sind den größten Teil des Tages in der Schule. Nach der Schule erledigen sie einige kleinere Arbeiten. Einen längeren Zeitaufwand braucht das Weiden der Tiere. Ein Mitglied der Familie muß diese Tätigkeit übernehmen. Es ist entweder eine alte

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Person oder ein Kind. Während der Ferien beaufsichtigen die größeren Kinder und die Jugendlichen die Tiere beim Weiden. Die Tiere werden früh aus dem Dorf getrieben und kommen gegen 11.00 Uhr zurück. Um 15.00 Uhr ziehen sie wieder zum Weideplatz und bleiben bis zum Sonnenuntergang dort. 4. Freizeit Es ist schwer, generell etwas über die Freizeit der Bauern zu sagen. Es gibt Unterschiede von Tag zu Tag und von einer landwirtschaftlichen Saison zur anderen. Dennoch lassen sich einige Verallgemeinerungen treffen. Der Bauer hat im Winter am meisten Freizeit, vor allem nachdem die Bestellung der Winterfelder abgeschlossen ist. Ein zweites Mal hat der Bauer in den Spätsommermonaten relativ viel freie Zeit, das gilt aber nur für diejenigen, die nicht einer Saisonarbeit nachgehen. Es gibt kaum Unterschiede darin, wie die Bauern ihre Freizeit ausfüllen. Nach der täglichen Arbeit sitzen sie in Gruppen in einem Haus zusammen und trinken Mate. Sie unterhalten sich dabei, rauchen und hören auch oft Radio. Nicht selten verbringen sie so einige Stunden. Der wichtigste Treffpunkt aller Bauern von Al-Muraiqeb ist das Kaffeehaus. Die meisten Bauern besuchen es fast täglich. In ganz besonderem Maße gilt das für die Sommerzeit. Sie verbringen dann oft den ganzen Nachmittag dort. 1970 eröffnete ein Bauer aus dem Dorf ein kleines Café.39 Es besteht aus einem Raum mit mehreren Tischen und Stühlen. In einer Ecke des Raumes stehen ein Regal mit Gläsern und Tassen und ein KerosinKocher (jetzt ein Propangaskocher), auf dem der Besitzer die Getränke zubereitet. Im Sommer werden Tische und Stühle vor das Haus unter einem Maulbeerbaum aufgestellt. Am Nachmittag sitzen immer mehrere Dorfbewohner dort, und am Abend ist kaum ein Stuhl frei. Die Gäste können Tee, Kaffee, Mate oder Arrak bestellen. Viele von ihnen spielen stundenlang Karten- und Würfelspiele, andere diskutieren angeregt über bestimmte Probleme. Die Befragung und Beobachtung von fünf Bauern im Sommer 1968 — vier von ihnen waren zwischen 35 und 45 Jahren alt, einer hatte die 60 überschritten — hinsichtlicht ihrer Freizeitbeschäftigung hatte folgendes Ergebnis: Erster Bauer: Gelegentlich Jagd auf Rebhühner und Kaninchen; Kartenspiele und Unterhaltung im Kaffeehaus. Zweiter Bauer: Karten- und Würfelspiele und Unterhaltung im Kaffeehaus in Aä-Saih-Badr. Er hört sehr viel Radio, und zwar die unterschiedlichsten in- und ausländischen Programme. Dritter Bauer: Kartenspiele und Unterhaltung im Kaffeehaus, oft mehrere Stunden am Tage. Auch er hört viel Radio. Vierter Bauer: Kartenspiel im Kaffeehaus, Spaziergänge und Radiohören. Fünfter Bauer: Unterhaltung im Kaffeehaus oder mit anderen zusammen bei den Nachbarn. 39

4*

Dieser Bauer hat die Nr. 5 in der Übersicht über die untersuchten Familien.

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Er fertigt mit Hilfe eines einfachen Gerätes aus Ziegenhaaren Schnüre an, die zu Seilen und Leinen gedreht werden. Oft verbringt er einige Stunden mit dieser Beschäftigung. Er hört täglich Radio und liest hin und wieder einen Roman oder eine Zeitschrift. Bei der Untersuchung der 25 Familien wurde in jedem Falle auch nach der Freizeitbeschäftigung gefragt, außerdem wurden entsprechende Beobachtungen angestellt, und zwar mit folgendem Ergebnis: 20 Bauern verbringen ihre Freizeit zum großen Teil im Kaffeehaus oder mit der Unterhaltung bei den Nachbarn. Zwei Bauern machen häufig Spaziergänge durch ihre Felder, und vier Bauern gehen manchmal auf die Jagd. Drei Bauern gehen nicht in die Kaffeehäuser, sondern unterhalten sich nur bei Nachbarn oder Verwandten. Zwei Bauern besitzen kleine Läden, in denen sie den ganzen Tag sind, wenn sie nicht auf dem Feld arbeiten müssen. Von diesen 25 befragten und beobachteten Bauern lesen nur zwei gelegentlich, und zwar der eine religiöse Bücher, der andere vorwiegend politische Broschüren. Die Frauen verbringen einen großen Teil ihrer freien Zeit, indem sie sich unterhalten. Sie stehen in kleinen Gruppen zwischen den Gehöften und sprechen über Familien- und Dorfangelegenheiten. Das Kaffeehaus wird von den Frauen nicht besucht. Im allgemeinen haben die Frauen weit weniger wirkliche Freizeit als die Männer. Viele von ihnen stricken oder nähen neben ihrer hauswirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Tätigkeit. Eine größere Anzahl von Frauen geht gelegentlich zu den heiligen Grabstätten, um Weihrauch abzubrennen und Gebete zu sprechen. Die täglich vorgeschriebenen fünf Gebetszeiten werden nur im Ramadänmonat von einer gewissen Anzahl älterer Leute eingehalten. Alle Dorfbewohner, die jünger als 40 Jahre sind, sprechen die religiösen Gebete nur zu bestimmten Anlässen, das heißt, bei Feiern oder besonderen Ereignissen. Bei einigen jüngeren Frauen und Mädchen macht sich jetzt das Wirken der Frauenunion und der Jugendorganisation bemerkbar. Sie verbringen einen beträchtlichen Teil ihrer freien Zeit in den Versammlungen und auch in den Schulungskursen dieser Organisationen. Einen besonderen Platz nahm früher und nimmt manchmal auch heute das abendliche Geschichtenerzählen im Leben der bäuerlichen Familien ein. Sie trafen sich abends im Haus eines Nachbarn, und einer von ihnen las oder trug aus der Erinnerung eine Geschichte vor, der Männer, Frauen und Kinder zuhörten. Dazu wurde Tee getrunken und geraucht. Erzählt wurde besonders an den Abenden in der Winterzeit, wenn wenig zu tun war. Die Geschichten entstammen dem großen arabischen Sagen- und Märchenschatz. Viele von ihnen haben ihren historischen Hintergrund in den Zeiten der Ausbreitung des Islam und der großen Kriege und Eroberungen. Immer wieder erzählen und hören die Bauern über die Züge der Bani Hiläl und die Tapferkeit, Opferbereitschaft und Großmütigkeit der arabischen Heroen. Immer gehören dazu auch die großen Liebesgeschichten der Beduinen; so die Erzählung von Kais und Lailä. E s gibt Erzählungen, die sich über viele Abende hinziehen. Alle diese Geschichten, Märchen und Sagen können und konnten schon immer gedruckt beim Händler in der Stadt gekauft werden, und das taten gelegentlich auch lese52

kundige Bauern. Manche dieser Geschichten wurden alljährlich wieder erzählt. Viele Bauern kannten sie deshalb genau und lernten Verse, die darin vorkommen, auswendig. 5. Saisonarbeit Jede bäuerliche Familie muß — wie bereits dargestellt wurde — neben der landwirtschaftlichen Tätigkeit eine weitere Einkommensquelle haben. In diesem Zusammenhang ist die Saisonarbeit besonders wichtig. Ohne sie wird die gesamte Lebenssituation der bäuerlichen Familie nicht verständlich. Saisonarbeit gibt es seit mehreren Jahrzehnten, aber es haben sich in dieser Zeit große Veränderungen vollzogen. Die Bauern aus dem Gebiet von Aä-SaihBadr gingen bis zur Mitte der 50er Jahre in die Gegenden um Hama und Horns, wo es größeren Landbesitz und landwirtschaftliche Großbetriebe gab. Nach dem Einbringen der Ernte auf ihren eigenen Feldern wanderten sie, nicht selten von ihren Frauen oder erwachsenen Töchtern begleitet, die weite Strecke zu Fuß. Oft bildeten sie Gruppen, die dann bei einem Großgrundbesitzer arbeiteten. Die Männer schnitten das Getreide mit der Sichel. Die Frauen lasen die Ähren auf und bündelten sie für den Transport zum Dreschplatz. Für diese Saisonarbeit gab es keine geregelte Arbeitszeit. Sie mußten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf den Feldern sein und schliefen auch häufig dort. Gewöhnlich arbeiteten sie unter strenger Kontrolle des Aufsehers. Viele von ihnen ertrugen die harten Bedingungen kaum. Man muß daran denken, daß in dieser Jahreszeit die Temperaturen nicht selten 40 °C übersteigen. Wenn sie ihren Arbeitsvertrag, der auf eine bestimmte Anzahl von Tagen oder Wochen lautete, wegen Krankheit oder Schwäche nicht einhalten konnten, gingen sie ihres Lohnes verlustig. Die Löhne waren sehr niedrig. Die Männer erhielten bestenfalls 5—6 Lira und die Frauen drei Lira täglich. Von dem Geld kauften sie, bevor sie zurückkehrten, Kleidungsstücke und Nahrungsmittel. Mit der Einführung landwirtschaftlicher Maschinen und durch die Bodenreform wurde diese Art der Saisonarbeit hinfällig. In den letzten zwei Jahrzehnten führt der Weg der Saisonarbeiter aus dem Untersuchungsgebiet fast ausschließlich nach dem Libanon. (Gleiches gilt für die Bauern aus vielen anderen Gebieten Syriens). Die meisten gehen der Saisonarbeit nach, nachdem die Erntearbeiten zu Hause abgeschlossen sind. Die Dauer des Aufenthaltes in Libanon ist sehr unterschiedlich. Manche Bauern bleiben nur einige Wochen dort, andere einige Monate. Für die Bauern von Al-Muraiqeb ist diese Arbeit eine sehr wichtige Einkommensquelle. Eine große Anzahl von Bauern geht regelmäßig für etwa 6 Wochen in verschiedene Gegenden des Libanon. Einige arbeiten dort drei bis vier Monate jährlich. Ein paar Bauern halten sich sogar den längsten Teil des Jahres in Libanon auf und sind nur während der Monate der Feldbestellung und der Ernte zu Hause. 1969 waren im Winter 10, im Frühjahr 8, im Sommer 20 und im Herbst 10 Bauern aus Al-Muraiqeb in Libanon. Im Sommer nehmen viele ihre erwachsenen Söhne mit. Alle arbeiten als ungelernte Arbeitskräfte. Sehr viele gehen in die unmittelbare Umgebung von Beirut. Am häufigsten finden sie Beschäftigung bei Bauarbeiten, 53

Straßenbau- und Ausbesserungsarbeiten. Eine größere Anzahl von Bauern arbeitet auch während der Ernte in den großen Fruchtbaumplantagen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind, verglichen mit früheren Zeiten, besser geworden. J e nach der Beschäftigung schwankt der Tagesverdienst zwischen 9 und 12 libanesischen Lira. Diese Bezahlung erscheint vielen Bauern als gut, was sich aus ihren finanziellen Verhältnissen und den niedrigen Preisen für viele landwirtschaftliche Produkte erklärt. Bei Arbeitsunfällen muß der Unternehmer die Kosten für die Medikamente und die ärztliche Behandlung tragen. Den Arbeitern werden Quartiere zur Verfügung gestellt, sie leben in den meisten Fällen zu mehreren in einem Zimmer und versorgen sich gemeinsam. Die Arbeitszeit ist auf 8 Stunden täglich festgelegt, am Sonntag wird nicht gearbeitet. Viele Saisonarbeiter sind bestrebt, Überstunden zu machen, weil die Bezahlung dann höher liegt. Ein bedeutender Teil des Verdienstes wird für Lebensmittel und Textilien ausgegeben. Außerdem strebt jeder danach, ein Transistor-Radio oder einige moderne Möbel für sein Haus zu erwerben. Eine größere Anzahl Bauern spart einen Teil des Verdienstes mit dem Ziel, ein modernes Haus zu bauen (s. Familien-Tabellen). In der Zukunft kann die Wanderung zur Saisonarbeit in den Libanon zurückgehen, wenn mehr Arbeitskräfte für die Realisierung von Entwicklungsprojekten im eigenen Lande gebraucht werden. Der Bau einer großen Wasserleitung im Gebiet von AS-Saih-Badr in den letzten Jahren hatte zum Beispiel zur Folge, daß weit weniger Bauern nach dem Libanon gingen. Sie fanden Arbeits- und Verdienstmöglichkeit bei diesem Bauvorhaben. Die Aufwertung von A§-SaihBadr zu einem administrativen Zentrum wird sicherlich zu einer umfassenden staatlichen aber auch privaten Bautätigkeit führen und damit neue Arbeitsmöglichkeiten schaffen. Die zeitweilige Unterbeschäftigung der Bauern und das geringe Einkommen aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit sind freilich Probleme, die generell erst im Rahmen der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung des Gebietes in der Zukunft gelöst werden können. Seit einigen Jahren gibt es eine zweite Form der Saisonarbeit, die aber von wirtschaftlich geringer Bedeutung ist. Es handelt sich um die Erdnußernte in den Ebenen der Mittelmeerküste bei Tartous. Es ist eine Saisonarbeit vor allem für Frauen, die Dauer beträgt nur etwa eine Woche. Die Löhne sind sehr niedrig, aber der Geldverdienst ist hier nicht das Wichtigste. Die Bauernfrauen sind vor allem an den Erdnußpflanzen, die sie zusätzlich zum Verdienst bekommen und die ein gutes Viehfutter bilden, interessiert. Auf Wagen, die von Traktoren gezogen werden, transportieren sie große Mengen davon nach Hause. 6. Ergänzende Einkommensquellen Außer der Saisonarbeit gibt es noch einige Nebentätigkeiten, die für manche Bauern als ergänzende Einkommensquellen von Bedeutung sind. Einige Bauern arbeiten zeitweilig bei dem Bau von Häusern mit. Drei Bauern aus Al-Muraiqeb gewinnen Steinblöcke, die für den Bau moderner Haustypen gebraucht werden. Sie suchen sich eine Stelle, wo Kalksteine anstehen und sprengen mit Dynamit oder einem anderen Sprengstoff Steine heraus, die sie dann mit 54

Hammer und Meißel zu rechteckigen Blöcken zuschlagen. Sie arbeiten nur auf Bestellung. Wenn jemand ein neues Haus errichten will, bestellt er eine bestimmte Anzahl von Steinen. Die Bezahlung erfolgt nach der Zahl der zurechtgehauenen Steine und nicht nach der Zahl der Arbeitsstunden. Diese drei Männer errichten auch Häuser des alten Typs aus Bruchsteinen, aber ein solcher Auftrag wird heute nur noch selten erteilt. Neue Häuser werden vorwiegend in moderner Form und Bauweise errichtet. Ein Bauer aus Al-Muraiqeb hat sich soviel Können im Maurerhandwerk angeeignet, daß er in der Lage ist, moderne Häuser zu bauen. Die Nachfrage nach solchen Leuten ist sehr groß. Sie werden deshalb auch aus anderen Gebieten herangezogen. Die Dachkonstruktion dieser Häuser kann aber nur von einem Fachmann gefertigt werden. Dieser hat dann drei bis vier Gehilfen. Es sind unausgebildete jüngere Männer, die aber einige Erfahrungen gewonnen haben. Gelegentlich finden auf diese Art jüngere Bauern kurzfristig eine Verdienstmöglichkeit. Zwei Bauern des Ortes verdienen sich gelegentlich etwas Geld, indem sie Häuser neu tünchen oder anstreichen. Ein Bauer aus dem Dorf besitzt eine alte Plattenkamera. Er macht Bilder, vor allem Paßbilder für die Bauern, die aus der ganzen Umgebung zu ihm kommen. Dennoch hat er nicht viel zu tun, und das Ganze ist nur ein kleiner Nebenverdienst. Er fertigt vier Paßbilder für eine Lira an. Sein Einkommen wird durch den zunehmenden Kontakt mit der Stadt, wo die Bauern zu einem richtigen Fotografen gehen können, geschmälert. Zwei Bauern fertigen ab und zu die hölzernen Teile von Pflügen an. Sie verkaufen einen Pflug für 15 Lira und arbeiten nur auf Bestellung. Nur zwei Bauern aus Al-Muraiqeb haben mehr als eine Nebenbeschäftigung. Einer von ihnen gehört zu den drei mit dem Hausbau beschäftigten Männern. Er hat außerdem einen kleinen Laden, wo er Lebensmittel und einige Kleinigkeiten verkauft. Meist sind seine Frau oder sein Sohn dort tätig. Ein zweiter Bauer besitzt das kleine Café in Al-Muraiqeb und hat ebenfalls einen kleinen Laden, in dem er Lebensmittel und verschiedene Artikel des täglichen Bedarfs verkauft. Ein dritter Bauer, der in Ad-Dlräne wohnt, hat einen kleinen Laden in AäSaih-Badr. In all diesen Läden kann man Zucker, Tee, Mate, Streichhölzer, Seife, Waschpulver, Taschenlampen, Batterien für Transistor-Geräte, Nähzeug etc. und manchmal etwas Gemüse kaufen. Drei Bauern aus Al-Muraiqeb haben eine ständige ergänzende Einkommensquelle. Der erste arbeitet in Tartous bei einer Transitgesellschaft mit festem Monatseinkommen. Er fährt regelmäßig zu seiner Arbeitsstelle. Er kann aber diese Arbeit zu bestimmten Zeiten, vor allem während der Feldbestellung und der Ernte, unterbrechen. Die anderen beiden Bauern arbeiten bei dem Besitzer einer motorgetriebenen Getreidemühle und Ölpresse. Sie wechseln sich ständig ab und arbeiten dort einmal kürzer und einmal länger. Sie erhalten ein Viertel des Einkommens der Mühle und der Ölpresse, außerdem erhält jeder jährlich 250 Lira. Drei Bauern aus Al-Muraiqeb besitzen Anlagen zur Seideherstellung. In jedem Falle hilft ein Nachbar, und sie teilen den bescheidenen Gewinn unter sich auf. Sie sind aber nur etwa zwei bis drei Wochen im Jahr von dieser Arbeit wirklich in Anspruch genommen. 55

Für viele Bauern ist die finanzielle Unterstützung, die sie von ihren Söhnen erhalten, die eine feste Anstellung haben, sehr wichtig. Die Angehörigen einer bestimmten Altersgruppe, die bereits erwachsene Söhne haben, bekommen in der Mehrzahl regelmäßig geldliche Zuwendungen von diesen. Deren Höhe hängt vom Gehalt der Söhne ab. Wenn ein Sohn seine eigene Familie gegründet hat, zahlt er eine geringere Unterstützung als vorher. In einigen Fällen hat auch die geldliche Hilfe durch Verwandte, die in Südamerika leben, eine große Bedeutung. Es gibt Bauern, für die auch das zakät, obwohl sie nur kleine Summen bekommen, ins Gewicht fällt. 7. Emigration Die Emigration nach Südamerika wirkt sich bei einer Reihe von Familien deutlich auf ihre ökonomische Situation aus. Anfangs der 20er Jahre unseres Jahrhunderts wanderten die ersten Einwohner von Al-Muraiqeb aus. Sie gingen fast alle nach Argentinien und Brasilien. Mehrere dieser ersten Emigranten kamen nach längerer Zeit in die Heimat zurück. Auch in den beiden letzten Jahrzehnten gab es noch Emigranten, aber ihre Zahl war sehr gering. Mehrere von ihnen sind mehr als einmal nach Südamerika gegangen und wieder zurückgekommen. Im Einwanderungsland betätigen sie sich fast ausschließlich als Kleinhändler. Die Neuankömmlinge fanden fürs erste Anschluß bei einem vorher ausgewanderten Verwandten oder Bekannten. In der Vergangenheit haben viele dieser Auswanderer ihr Landstück verkauft oder verpfändet, um das Reisegeld aufbringen zu können. Wenn es ihnen glückte, genügend zu verdienen, schickten ' sie Geld in die Heimat, um das Land zurückzukaufen. Einige Emigranten sandten regelmäßig oder gelegentlich Geld zur Unterstützung der Familie und der Verwandtschaft. Es darf aber nicht übersehen werden, daß ein Teil der Emigranten die Familie mitgenommen hatte oder im Ausland heiratete. Diese haben fast alle Verbindung zur Heimat verloren. Regelmäßig Unterstützung erhält die Mehrzahl der Familien, wo das Oberhaupt oder der Sohn allein auswanderten. Einige der Rückkehrer verfügen über beträchtliche Summen. Sie haben einen Teil ihres Einkommens im Ausland gespart. Mit dem Geld errichten sie moderne Häuser, sie eröffnen kleine Geschäfte, oder sie erwerben Kraftwagen für den Fracht- und Personentransport und verdienen an den Fahrten zwischen den Dörfern und von den Dörfern zur Statd. 8. Untersuchte Familien Auf den folgenden Seiten werden die 25 besonders untersuchten Familien vorgestellt. Diese Familien sind hinsichtlich aller dazugehörigen Daten repräsentativ für die gesamte bäuerliche Bevölkerung des Gebietes von A§-§aih-Badr. Es wurde versucht, so viele Informationen als möglich über die wirtschaftliche Situation dieser Bauern-Familien wiederzugeben. Es werden einige einheimische Maße genannt. Bei Größenangaben über den Landbesitz wird der Begriff „Donum" verwendet. Ein Donum hat 1000 m 2 . Preisangaben werden in Lira gemacht. Eine Lira hat 100 Kirs. 4,2 Lira sind 1 US-Dollar (1970). 56

Nr. 1 a) Alter des Mannes: 57 J a h r e 47 J a h r e b) Alter der F r a u : 11 c) Zahl der K i n d e r : Bis zur 5. Klasse d) Ausbildung des M a n n e s : Bauer e) H a u p t t ä t i g k e i t : Arbeit in Libanon f) Andere Einkommensquellen: 1 Mann, 1 F r a u , 2 K i n d e r g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : 15 D o n u m h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven, er besitzt etwa 100 Olivenbäume Getreide etwa 800 kg Tabak 102 kg Seide 4 kg W e i n t r a u b e n , Feigen, T o m a t e n , Zwiebeln, K a r t o f f e l n j) V e r k a u f : Tabak 102 kg f ü r etwa 420 Lira Seide 4 kg f ü r etwa 152 Lira Ab u n d zu v e r k a u f t er Tiere, k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Dünger 150 kg = 45 Lira f ü r die Dreschmaschine 30 Lira Dazu k o m m e n Ausgaben f ü r den K a u f oder die R e p a r a t u r von Arbeits, mittein, die Viehsteuer u. a. m. 1) Viehbesitz: 3 K ü h e , 6 Schafe, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n (monatlich): Zucker 5 Lira 5 kg Tee 6 Lira 72 kg Mate 2 kg 8 — 9 Lira Kaffee 200-300 g 3 Lira 30 Liter 6 Lira Kerosin 5,5 Lira Seife 4 kg Salz 4 kg 1,3 Lira Die Ausgaben sind im Winter etwas höher, d a Gemüse u n d Obst aus der eigenen W i r t s c h a f t wegfallen. Kleidung etwa 400 Lira im J a h r n) H a u s f o r m : Sein H a u s besteht aus 2 R ä u m e n : ein Zimmer f ü r d a s tägliche Leben u n d zum Schlafen, der andere R a u m dient der Lagerung v o n Getreide, V i e h f u t ter, Brennholz u n d im Winter der U n t e r b r i n g u n g der Tiere. Die K o n s t r u k tion des H a u s e s entspricht dem alten T y p . o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Sie sollen möglichst alle einen Beruf erlernen, u m den E l t e r n finanzielle Hilfe leisten zu können.

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Nr. 2 a) b) c) d) e) f) g) h) i)

k)

1) m)

n)

o)

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Alter des Mannes: 46 J a h r e Alter der F r a u : 37 J a h r e Zahl der K i n d e r : 8 Ausbildung des Mannes: Bis zur 5. Klasse Haupttätigkeit: Bauer Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : Arbeit in Libanon Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : 1 Mann, 1 F r a u , 2 Söhne in den Sommerferien Landbesitz: 14 D o n u m Produkte: Oliven, er besitzt 5 B ä u m e Getreide 1000 kg Tabak 134 kg Seide 4 kg Dazu k o m m e n noch einiges Obst u n d Gemüse f ü r den eigenen Bedarf. W e i n t r a u b e n , Feigen, T o m a t e n , K a r t o f f e l n u. a. m . j) V e r k a u f : Tabak 134 kg für 397 Lira Seide 4 kg für 152 Lira Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Dünger 200 kg = 64 Lira F ü r die Dreschmaschine 40 Lira Dazu k o m m e n noch Ausgaben f ü r den K a u f oder die R e p a r a t u r von Arbeitsmitteln, die Viehsteuer u. a. m. Viehbesitz: 2 K ü h e , 3 Schafe, 1 Ziege, 1 Esel H a u s h a l t - A u s g a b e n (monatlich): Zucker 5 kg 5 Lira Mate 1,5 kg 6 Lira Seife 4 kg 5,5 —6 Lira Kerosin 60 Liter (jährlich) 12 Lira Salz 5 kg 2 Lira Dazu k o m m e n noch a b u n d zu andere N a h r u n g s m i t t e l , aber n i c h t regelmäßig, z. B. Reis, Makkaroni, Bohnen u. a. m . Kleidung etwa 300 Lira jährlich Hausform: Sein H a u s h a t nur einen großen R a u m f ü r die Familie, das Vieh, die Lagerung von Getreide, V i e h f u t t e r u n d Brennholz Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Sie sollen möglichst alle e t w a s lernen, d a m i t sie in staatlichen I n s t i t u t i o n e n arbeiten k ö n n e n u n d d a d u r c h ein sicheres E i n k o m m e n h a b e n .

Nr. 3 a) b) c) d) •e) f) g) h) i)

Alter des Mannes: Alter der Frau: Zahl der Kinder: Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere Einkommensquellen: Zahl der Arbeitskräfte:

49 Jahre 45 Jahre 9 Bis zur 5. Klasse Bauer Arbeit in Libanon 1 Mann, 1 Frau, 1 Tochter und 1 Sohn helfen in den Sommerferien 15 Donum

Landbesitz: Produkte: Oliven 70 Bäume Getreide 700 kg Tabak 96 kg Seide 5 kg Dazu kommen Weintrauben, Feigen und Gemüse für den eigenen Bedarf, j ) Verkauf: Tabak 96 kg für 286 Lira Seide 5 kg für 190 Lira Er verkauft manchmal Tiere k ) Ausgaben in der Landwirtschaft: Dünger 100 kg 32 Lira Für die Dreschmaschine 30 Lira Dazu kommen die Kosten für die Arbeitsmittel und die Viehsteuer 1) Viehbesitz: 3 Kühe, 7 Schafe, 2 Esel m) Haushalts-Ausgaben (monatlich): Zucker 5 kg 5 Lira Tee 200 g 2 Lira Kaffee 200 g 2 Lira Seife 5 kg 7 Lira Mate 7 Lira 1,5 kg Salz 4 kg 1,5 Lira Kerosin 30 Liter 6 Lira Außerdem kauft er gelegentlich andere Nahrungsmittel und Haushaltsgeräte Kleidung etwa 800 Lira jährlich Durchschnittlich braucht jede Person 2 Kleidungsstücke jährlich, die Töchter brauchen mehr n) Hausform: Ein altes Haus; es besteht aus 2 Räumen: einem Zimmer für die Familie, der zweite Raum für die Tiere, die Lagerung von Futter, Tabak, Brennholz und die Seidenraupenzucht o ) Zukunftsvorstellung für die Kinder: Schulbesuch, und danach sollen sie im staatlichen Dienst arbeiten, damit sie ein sicheres Einkommen haben.

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Nr. 4 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere Einkommensquellen:

46 J a h r e 35 J a h r e 4 B i s z u r 5. K l a s s e Bauer Saisonarbeiter 4 Monate jährlich beim staatlichen V e r k a u f d e s T a b a k s 1 Mann, 1 Frau 6 Donum

Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz: Produkte: Oliven 5 Bäume Getreide 400 k g Tabak 48 k g Seide nichts F ü r d e n e i g e n e n B e d a r f h a t er e t w a s G e m ü s e u n d O b s t . j) V e r k a u f : Tabak 48 k g für 87 L i r a k) A u s g a b e n in d e r L a n d w i r t s c h a f t N u r f ü r die Dreschmaschine u n d für die Arbeitsmittel etwa 15 L i r a 1) V i e h b e s i t z : 1 K u h , 2 S c h a f e , 1 Ziege, 1 E s e l m]1 H a u s h a l t - A u s g a b e n ( m o n a t l i c h ) : Zucker 3 kg 3 Lira Kerosin 20 L i t e r 4 — 5 Lira Seife 5 kg 7 Lira Salz 3 kg 1 Lira Öl 5 kg 8 Lira Mehl 50 k g 17 L i r a Kleidung etwa 200 L i r a jährlich n) H a u s f o r m : E i n a l t e s H a u s ; es b e s t e h t a u s 2 R ä u m e n : e i n e m Z i m m e r f ü r d a s t ä g l i c h e L e b e n d e r F a m i l i e u n d e i n e m R a u m f ü r die Tiere, f ü r die L a g e r u n g v o n F u t t e r , Getreide, T a b a k u. a. m. o) Z u k u n f t s v o r s t e l l u n g f ü r die K i n d e r : S c h u l b e s u c h u n d d a n a c h A r b e i t in s t a a t l i c h e n I n s t i t u t i o n e n p) B e s o n d e r e s : 1970 b e k a m e r 50 D o l l a r v o n s e i n e m O n k e l in B r a s i l i e n

g) h) i)

60

Nr. 5 a) Alter des Mannes: b) Alter der F r a u : c) Zahl der Kinder: d) Ausbildung des Mannes: e) Haupttätigkeit: f) Andere Einkommensquellen: g) Zahl der Arbeitskräfte: h) Landbesitz: i)

37 J a h r e 34 J a h r e 7 B i s zur 3. Klasse Bauer Bewirtschaftet ein K a f f e e h a u s und hat einen Laden in Al-Muraiqeb 1 Mann, 1 F r a u 10 Donum, dazu bewirtschaftet er das L a n d seines Bruders, der ständig in der Armee ist

Produkte: Oliven 40 B ä u m e Getreide 800 kg Tabak 103 kg Seide nichts Weintrauben, Feigen und andere Gemüsearten zum eigenen Bedarf j ) Verkauf: Tabak 103 kg für etwa 242 Lira k) Ausgaben in der Landwirtschaft: Dünger 100 kg für 32 Lira F ü r die Dreschmaschine 30 Lira E r beschäftigt kurzfristig Arbeitskräfte, wenn er Arbeiten zur Bodenverbesserung durchführt. 1) Viehbesitz: 2 Kühe, 4 Schafe, 1 Esel m) Haushalt-Ausgaben: Haushalt-Ausgaben sind nicht zu erfassen, weil er seinen Bedarf aus seinem eigenen Laden deckt, n) H a u s f o r m : D a s H a u s hat 3 R ä u m e ; ein Zimmer für die Familie, ein R a u m für Tiere, für die Lagerung von Futter, Tabak, Getreide u. a. m., der dritte R a u m dient als Laden, o) Zukunftsvorstellung für die Kinder: Ausbildung und danach Anstellung an einer staatlichen Institution

61

Nr. 6 38 J a h r e 37 J a h r e 7 Bis zur 3. Klasse Bauer Gelegenheitsarbeiter, er stellt P f l ü g e her 1 Mann, 1 F r a u , 1 Sohn in den Sommerferien 35 D o n u m (er e r b t e das L a n d seines verstorbenen Bruders)

a) b) c) d) e) f) g) h)

Alter des M a n n e s : Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes : Haupttätigkeit : Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz :

i)

Produkte : Oliven 100 B ä u m e Getreide 1000 kg Tabak 137 kg Seide 3 kg Verschiedene Gemüse- u n d O b s t a r t e n zum eigenen Bedarf Verkauf: Tabak 137 kg für 497 Lira Seide 3 kg für 114 Lira Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Dünger 64 Lira F ü r die Dreschmaschine 31 Lira Dazu k o m m t der K a u f v o n Arbeitsmitteln u. a. m. Viehbesitz : 2 K ü h e , 5 Schafe, 1 Ziege, 1 Esel H a u s h a l t - A u s g a b e n (monatlich) : Zucker 3 kg 3 Lira Mate V2 kg 2 Lira Salz 3 kg 1 Lira Seife 6 —7 kg 10 Lira Kerosin 20 Liter 4 Lira Kleidung etwa 20 Lira jährlich Hausform: Altes H a u s , besteht a u s 3 R ä u m e n ; einem Zimmer f ü r die Familie, einem R a u m f ü r das Vieh u n d z u m Lagern von Brennholz u n d Viehfutter, einem R a u m , in dem er Seidenraupen züchtet u n d Getreide lagert, Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Ausbildung, danach staatliche Anstellung Besonderes: E r besitzt eine moderne Zwei-Zimmer-Wohnung, die er vermietet

j)

k)

1) m)

n)

o) p)

62

Nr. 7 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der Kinder Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n :

39 J a h r e 36 J a h r e 7 Bis zur 3. Klasse Bauer Arbeiter bei einer Transportgesellschaft in Tartous. Sein L o h n b e t r ä g t 150 Lira m o n a t lich 1 Mann, 1 F r a u 10 D o n u m

g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven 17 B ä u m e Getreide 300 kg Tabak 61 kg Seide 3 kg Dazu noch O b s t b ä u m e , W e i n t r a u b e n , Feigen u. a. j) V e r k a u f : Tabak 61 kg für 244 Lira Seide 3 kg für 114 Lira Manchmal v e r k a u f t er Tiere k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r die Dreschmaschine u n d f ü r Arbeitsmittel 1) Viehbesitz: 2 K ü h e , 3 Schafe, 2 Ziegen, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : Durchschnittlich 100 Lira im Monat einschließlich der Ausgaben f ü r die Kleidung n) H a u s f o r m : E i n altes H a u s , d a s n u r einen R a u m h a t . o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Schulbesuch u n d Arbeit in den staatlichen I n s t i t u t i o n e n , oder sie sollen andere Berufe erlernen

63

Nr. 8 a) Alter des Mannes: b) Alter der F r a u : c) Zahl der K i n d e r : d) Ausbildung des Mannes: e) H a u p t t ä t i g k e i t : f) Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : h) L a n d b e s i t z :

i)

j)

k) I) m)

n)

o)

64

46 J a h r e 35 J a h r e 9 Bis zur 3. Klasse Bauer Gelegenheitsarbeiter in L i b a n o n 1 Mann, 1 F r a u , 2 erwachsene Kinder 15 D o n u m eigener Besitz 10 D o n u m Besitz seines Bruders. Wird von ihm bearbeitet, denn sein B r u d e r lebt anderswo 9 D o n u m gepachtet

Produkte: Oliven 40 B ä u m e Getreide 900 kg Tabak 70 kg Seide 4 kg Verkauf: Tabak 70 kg für 226 Lira Seide 4 kg für 152 Lira Manchmal v e r k a u f t er Tiere Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r Dreschmaschine u n d f ü r den K a u f u n d die R e p a r a t u r der Arbeitsmittel Yiehbesitz: 3 K ü h e , 7 Schafe, 3 Ziegen, 1 Esel Haushalt-Ausgaben: Die monatlichen Ausgaben betragen etwa 90—100 Lira Sie steigen im Winter etwas an, da a u s der eigenen W i r t s c h a f t weniger Lebensmittel zur V e r f ü g u n g stehen, Hausform: E r besitzt ein altes H a u s , das a u s 3 R ä u m e n b e s t e h t : Der erste R a u m dient dem täglichen Leben der Familie u n d der A u f b e w a h r u n g der Nahrungsmittel. Der zweite R a u m ist Wohn-, Schlaf- u n d E m p f a n g s z i m m e r , der d r i t t e R a u m dient der U n t e r b r i n g u n g der Tiere, der Lagerung des F u t t e r s , der Arbeitsgeräte, des T a b a k s u n d der Seidenraupenzucht, Zukunftsvorstellung f ü r die Kinder keine Angaben

Nr. 9 a) b) c) d) e) f) g) h)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des M a n n e s : Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz:

j)

k)

m)

n)

o)

5

37 J a h r e 39 J a h r e 8 Bis zur 4. Klasse Bauer Arbeiter in L i b a n o n 1 Mann, 1 F r a u 20 D o n u m , davon 1 D o n u m bewässertes Land

Produkte: Oliven etwa 100 B ä u m e Getreide 1000 kg Tabak 99 k g Seide 5 kg Verschiedenes Gemüse u n d O b s t a r t e n f ü r den eigenen Bedarf Verkauf: Tabak 99 k g für 424 Lira Seide 5 kg für 190 Lira Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Dünger 50 Lira F ü r Dreschmaschine 32 Lira F ü r Arbeitsmittel — Viehbesitz: 3 K ü h e , 10 Schafe, 1 Ziege, 1 Esel Haushalt-Ausgaben (monatlich): Zucker 5 kg 5 Lira Mate 1,5 kg 7 Lira Seife 4 kg 5 Lira Kerosin 20 Liter 4 Lira Kleidung etwa 500 Lira jährlich Hausform: E i n modernes Zimmer z u m Schlafen u n d W o h n e n , a u ß e r d e m ein altes H a u s f ü r die U n t e r b r i n g u n g der Tiere u n d die Lagerung v o n N a h r u n g s m i t t e l n , T a b a k , F u t t e r u n d Brennholz Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Schulbildung, u m später in staatlichen I n s t i t u t i o n e n arbeiten zu k ö n n e n

Sozialökonomische Verhältnisse

65

Nr. 10 a) b) c) d) e) f) g) h)

Alter des M a n n e s : Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: H a u p t t ä t i g k e i t des Mannes: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz:

i)

Produkte : Oliven 100 B ä u m e Getreide 1500 kg Tabak 95 k g Seide 4 kg Verkauf: Tabak 96 kg für 340 Lira Seide 4 kg für 152 Lira Alkohol für 35 Lira M a n c h m a l v e r k a u f t er Tiere Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Dünger 80 Lira F ü r die Dreschmaschine 45 Lira I n der Erntezeit u n d f ü r d a s Lockern der E r d e beschäftigt er kurzfristig Arbeitskräfte. Viehbesitz: 2 K ü h e , 2 Schafe, 1 Esel H a u s h a l t - A u s g a b e n (monatlich): Zucker 3 kg Mate y 2 kg Kerosin 10 Liter Hausform: E i n altes H a u s m i t 2 R ä u m e n : E i n R a u m dient d e m A u f e n t h a l t der F a m i l i e u n d als L a g e r r a u m f ü r Lebensmittel. I n dem zweiten R a u m sind die Tiere untergebracht. ZukunftsvorStellung f ü r die K i n d e r : keine Angaben

j)

k)

1) m)

n)

o)

66

37 J a h r e 21 J a h r e 3 Bis zur 5. Klasse Bauer keine 1 Mann, 1 F r a u 10 D o n u m eigener Besitz 10 D o n u m L a n d , d a s seinem B r u d e r g e h ö r t , der a b e r in der Armee ist

Nr. 11 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der Frau Zahl der Kinder: Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit des Mannes: Andere Einkommensquellen:

g) Zahl der Arbeitskräfte:

44 Jahre 44 Jahre 8 keine Bauer Unterstützung von seiner Tochter, die als Hausmädchen in Libanon arbeitet 1 Mann, 1 Frau, 1 Tochter, und 1 Sohn nur in den Sommerferien 30 Donum

h) Landbesitz: i) Produkte: Oliven 30 Bäume Getreide 1700 kg Tabak 64 kg Seide j) Verkauf: Tabak 64 kg für 218 Lira Obst für etwa 100 Lira k) Ausgaben in der Landwirtschaft: Für Dünger 48 Lira Für die Dreschmaschine 50 Lira Viehbesitz: 2 Kühe, 7 Schafe, 2 Ziegen, 1 Esel m) Haushalt-Ausgaben (monatlich): Zucker 6 — 7 kg 3 / 4 kg Mate Seife 4 kg Kerosin 7 Liter Kleidung etwa 300 Lira jährlich n) Hausform: Er besitzt ein modernes und ein altes Haus. Das moderne Haus hat 2 Zimmer, das alte Haus hat 3 Räume und 1 Keller o) Zukunftsvorstellung für die Kinder: Schulbildung und staatliche Anstellung oder Erlernen anderer Berufe. Sie sollen nicht in der Landwirtschaft arbeiten. P) Besonderes: Die Unterstützung, die er von seiner Tochter, die in Libanon als Hausmädchen arbeitet, erhält, beträgt 2 000 Lira jährlich. Er spielt Glücksspiele und gewinnt dadurch manchmal Geld.



67

Nr. 12 a) Alter des Mannes: b) Alter der Frau: c) Zahl der Kinder: d) Ausbildung des Mannes: e) Haupttätigkeit des Mannes: f ) Andere Einkommensquellen:

55 Jahre 41 Jahre 9 Bis zur 2. Klasse Bauer Von seinen zwei Söhnen, die in der Armee sind, etwa 500 Lira jährlich 1 Mann, i Frau, 2 Töchter 20 Donum

g) Zahl der Arbeitskräfte: h) Landbesitz: i) Produkte: Oliven 40 Bäume Getreide 1000 kg Tabak 78 kg 2 kg Seide j ) Verkauf: Tabak 78 kg für 350 Lira Seide 2 kg für 76 Lira Manchmal verkauft er Tiere k) Ausgaben in der Landwirtschaft: Für Dünger 48 Lira Für die Dreschmaschine 32 Lira Tierbesitz: 2 Kühe, 4 Schafe, 2 Ziegen, 1 Esel m) Haushalt-Ausgaben: (monatlich) Mehl 100 kg Zucker 4 kg Mate 1 kg Seife 3—4 kg Kerosin 7 Liter n) Hausform: Er besitzt ein altes Haus; es besteht aus 3 Räumen o) Zukunftsvorstellung für die Kinder: Bessere Möglichkeiten im Leben, möglichst eine Anstellung mit monatlichem Gehalt Besonderes: P) Er war zur Zeit der französischen Herrschaft Soldat in der französischen Armee. Während des zweiten Weltkrieges war er als Angehöriger der britischen Armee in Ägypten und Libyen stationiert. Er spricht etwas Französisch und Englisch.

68

N r . 13 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n :

42 J a h r e 35 J a h r e 11

Bis zur 3. Klasse Bauer Gelegenheitsarbeiter in Syrien u. L i b a n o n . U n t e r s t ü t z u n g von seinen Töchtern, die als H a u s m ä d c h e n arbeiten. 1 Mann, 1 F r a u 14 D o n u m

g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven 20 B ä u m e Getreide 800 kg Tabak 20 kg Seide — j) V e r k a u f : Tabak 20 kg f ü r 85 Lira k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r die Dreschmaschine 30 Lira F ü r Arbeitsmittel — 1) Viehbesitz: 2 K ü h e , 2 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : (monatlich) Zucker 5 kg Mate V2kg Mehl 100 kg Öl 12 kg Kerosin 20 Liter Seife 5 kg . n) H a u s f o r m : E r besitzt ein a l t e s H a u s ; es besteht aus 2 R ä u m e n : E i n R a u m ist Wohnu n d S c h l a f r a u m , der zweite dient der U n t e r b r i n g u n g der Tiere u n d der Lagerung von F u t t e r , T a b a k u n d Brennholz, o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Irgendeine Beschäftigung, aber n i c h t in der L a n d w i r t s c h a f t p) Besonderes: Die Familie erhält eine f ü r sie sehr bedeutende U n t e r s t ü t z u n g von 2 Töchtern, die in B e i r u t u n d T a r t o u s als Hausangestellte arbeiten.

69

N r . 14 a) b) c) d) e) f) g) h) i)

j)

k)

1) m)

n)

o)

p)

70

47 J a h r e Alter des Mannes: 49 J a h r e Alter der F r a u : 9 Zahl der Kinder i Keine. E r k a n n weder schreiben noch lesen Ausbildung des Mannes: Bauer Haupttätigkeit: E t w a s U n t e r s t ü t z u n g von seinem Sohn Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : 1 Mann, 1 F r a u , 2 K i n d e r Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : 15 D o n u m Landbesitz: Produkte: Oliven 50 B ä u m e Getreide 1000 kg Tabak 35 kg Verkauf: Tabak 35 kg f ü r 107 Lira E r v e r k a u f t m a n c h m a l Tiere Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r Dünger 32 Lira F ü r die Dreschmaschine 27 Lira Viehbesitz: 1 K u h , 1 Schaf, 1 Ziege, 2 Esel H a u s h a l t - A u s g a b e n : (monatlich) Zucker 3 kg 3 Lira Mate 2 kg 8 Lira K a f f e e u n d Tee — 5 Lira Kerosin 20 Liter 4 Lira Seife — 10 Lira Hausform: E r besitzt ein altes H a u s ; es besteht a u s 2 R ä u m e n — u n d ein m o d e r n e s H a u s mit 2 Z i m m e r n u n d V e r a n d a Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Sie sollen selbständig leben können, vor allem sollen sie lernen. E r s a g t e : „Derjenige, der nicht lesen u n d schreiben k a n n , ist wie ein Blinder." Besonderes: E r h a t ein Stück L a n d v e r k a u f t u n d m i t d e m Geld ein neues H a u s g e b a u t . E r erhält Geld von seiner Tochter, die in L i b a n o n als H a u s m ä d c h e n a r b e i t e t . E r gibt viel Geld f ü r Getränke aus. E r t r i n k t viel Alkohol.

Nr. 15 a) b) c) d) e) f) g) h)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere Einkommensquellen: Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz:

45 J a h r e 42 J a h r e 9 Bis zur 4. Klasse Bauer Arbeitet zeitweilig in einer Mühle 1 Mann, 1 F r a u , 1 Tochter 20 D o n u m eigener Besitz 20 D o n u m h a t er gepachtet

i) P r o d u k t e : Oliven 150 B ä u m e Getreide 1300 kg Tabak 47 kg Seide 6 kg j) V e r k a u f : Tabak 47 kg für 202 Lira Seide 6 kg für 228 Lira Gemüse (Tomaten, Zwiebeln) f ü r 100 Lira k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t F ü r die Dreschmaschine 40 Lira Für Dünger 64 Lira 1) Viehbesitz: 2 K ü h e , 2 Schafe, 5 Ziegen, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : (monatlich) Zucker 7 kg Mate lkg Seife 6 kg Kerosin 20 Liter Mehl 150 kg Öl 15 kg F ü r Kleidung u n d Bettwäsche bezahlt er 800 Lira jährlich, n) H a u s f o r m : E r besitzt ein altes H a u s ; es h a t 3 R ä u m e o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Schulbildung, u n d sie sollen später nicht als B a u e r n arbeiten p) Besonderes: E r h a t 20 D o n u m L a n d gepachtet. Zwei Drittel der E r t r ä g e b e k o m m t er, u n d ein D r i t t e l erhält der Landbesitzer. E r arbeitet gemeinsam mit einem a n d e r e n M a n n in einer Mühle. Die B a u e r n bezahlen f ü r d a s Mahlen des Getreides mit einem geringen Teil des K o r n s (einige Kilo pro Zentner). Von dieser N a t u r a l b e z a h l u n g e r h a l t e n er u n d der andere M a n n z u s a m m e n ein Viertel. E r a r b e i t e t 10 Tage im J a h r mit einem a n d e r e n Mann bei der Seidenherstellung. Sie besitzen gemeinsam ein B a d f ü r diesen Zweck.

71

Nr. 16 a) b) c) d) e) f) g) h) i)

j) k) 1) m)

n) o) P)

72

Alter des Mannes: 41 Jahre Alter der Frau: 35 Jahre 5 Zahl der Kinder Er kann weder lesen noch schreiben Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Bauer Andere Einkommensquellen: Keine Zahl der Arbeitskräfte: 1 Mann, 1 Frau Landbesitz: 6 Donum Produkte: Oliven 12 Bäume Getreide 300 kg Tabak 121 kg Verkauf: Tabak 121 kg für 520 Lira Ausgaben in der Landwirtschaft: Für die Dreschmaschine 12 Lira Viehbesitz: 2 Kühe, 5 Schafe, 1 Esel Haushalt-Ausgaben: (monatlich) Zucker 5 kg Mate 1 kg Seife 4 kg Kerosin 7 Liter Mehl 50 kg Öl 12 kg Hausform: Er besitzt ein altes Haus, das aus 2 Räumen besteht. Zukunftsvorstellung für die Kinder: Sie sollen eine Ausbildung erhalten, um später in staatlichen Institutionen mit monatlichem Gehalt arbeiten zu können. Besonderes: Er hat Rheuma und ist sehr bei der Arbeit behindert. Seine Produktivität und sein Einkommen sind deshalb sehr begrenzt.

N r . 17 a) b) c) d) e) f) g) h)

j) k) 1) m)

n)

o) P)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz:

38 J a h r e 35 J a h r e 6 E r k a n n weder lesen noch schreiben Bauer Arbeitet in Libanon 1 Mann, 1 F r a u 12 D o n u m (kultivierbar) 10 D o n u m (Buschland)

Produkte: Oliven 50 B ä u m e Getreide 500 kg Tabak 44 kg Verkauf: Tabak 44 kg f ü r 170 Lira Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r die Dreschmaschine 20 Lira Yiehbesitz: 2 K ü h e , 1 Esel H a u s h a l t - A u s g a b e n : (monatlich) Zucker 7 kg Tee 1 kg Seife 5 kg Kerosin 15 Liter Mehl 100 kg Öl 10 kg Hausform: E r besitzt ein altes H a u s . E s h a t 2 R ä u m e Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Schulbildung Besonderes: E r beteiligt sich oft a m Glücksspiel. E r gibt d a f ü r Geld aus, gewinnt aber auch.

73

N r . 18 a) Alter des Mannes: 36 J a h r e 22 J a h r e b) Alter der F r a u : 4 •c) Zahl der K i n d e r : Bis zur 5. Klasse d) Ausbildung des Mannes: Bauer e) H a u p t t ä t i g k e i t : Gelegenheitsarbeiter in Syrien u n d L i b a n o n f ) Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n : 1 Mann, 1 F r a u , M u t t e r des Mannes g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : 10 D o n u m h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven 50 B ä u m e Getreide 500 kg Tabak 44 kg Seide 3 kg j) Verkauf: Tabak 44 kg f ü r 146 Lira k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Für Dünger 16 Lira F ü r die Dreschmaschine 20 Lira I) Viehbesitz: 2 K ü h e , 1 Schaf, 1 Ziege, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n (monatlich) Zucker 7 kg 7 Lira Tee 300 g 3 Lira Mate 5 Lira 174 kg Seife 3 kg 4 Lira Salz 5 kg 1 Lira Kerosin 20 Liter 4 Lira jährlich Kleidung etwa 150 Lira Hausform: E r besitzt ein altes H a u s , es h a t n u r 1 R a u m Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Gute Schulbildung, besseres Leben, möglichst eine staatliche Anstellung

74

Nr. 19 •a) b) c) d) e) f)

g) h) i)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des M a n n e s : Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n :

45 J a h r e 35 J a h r e 9 E r k a n n lesen u n d schreiben (Koranschule) Bauer E r besitzt einen Laden, in d e m er Stoffe u n d Nahrungsmittel v e r k a u f t . D a z u k o m m t die Mieteinnahme f ü i ein Zimmer 1 Mann, 1 F r a u 15 D o n u m

Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : Landbesitz: Produkte: Oliven 20 B ä u m e Tabak 50 kg Getreide 500 kg j) Verkauf: Tabak 50 kg f ü r 200 Lira k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü i die Dreschmaschine 20 Lira F ü r Dünger 32 Lira F ü r Getreideernte 50 Lira 1) Viehbesitz: 2 K ü h e , 1 Esel m) Haushalt-Ausgaben: nicht e r f a ß t n) H a u s f o r m : E r besitzt ein modernes H a u s in As-Saih-Badr. E s h a t 3 Zimmer. E i n Zimmer vermietet er. o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Schulbildung u n d Erlernen eines Berufs p) Besonderes: E r war drei J a h r e in Brasilien. E r h a t mit dem dort verdienten Geld sein H a u s g e b a u t u n d seinen Laden e r ö f f n e t .

75

Nr. 20 a) b) c) d)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes:

P) {)

Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n :

g)

Zahl der A r b e i t s k r ä f t e :

h) L a n d b e s i t z :

53 J a h r e 49 J a h r e 9 E r besuchte keine Schule, k a n n aber e t w a s lesen u n d schreiben Bauer E r besitzt einen L a d e n . A u ß e r d e m b e k o m m t er von seinem Sohn, der in L i b a n o n arbeitet, eine U n t e r s t ü t z u n g E i n Mann, seine F r a u , zwei Kinder 20 D o n u m , davon sind 5 D o n u m brachliegendes Buschland

Produkte: 70 B ä u m e Oliven 400 kg Getreide 55 kg Tabak 2 kg Seide V e r k a u f : j) Tabak 55 kg für 115 Lira Seide 2 kg für 78 Lira E r v e r k a u f t in seinem L a d e n etwas Obst u n d Gemüse (Tomaten u n d Weint r a u b e n seiner eigenen P r o d u k t i o n ) t ) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r Dünger 20 Lira F ü r die Dreschmaschine 15 Lira Für Pflügen 50 Lira 1) Viehbesitz: 1 K u h , 1 Ziege, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : nicht e r f a ß t n) H a u s f o r m : E r besitzt ein altes H a u s E s h a t nur einen R a u m . o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Ausbildung, d a m i t sie später mit einem sicheren Gehalt selbständig leben können i)

76

Nr. 21 44 Jahre Alter des Mannes: 30 Jahre Alter der Frau: 6 Zahl der Kinder: Er kann nicht lesen und schreiben Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Bauer Andere Einkommensquellen: keine Zahl der Arbeitskräfte: Der Mann und seine Frau 12 Donum, davon 3 Donum Brachland Landbesitz: Produkte: Oliven 100 Bäume Getreide 200 kg Tabak 50 kg j ) Verkauf: Tabak 50 kg für 170 Lira Er verkauft in manchen Jahren Olivenöl k) Ausgaben in der Landwirtschaft: Für die Dreschmaschine 10 Lira Für Dünger 32 Lira Viehbesitz: 2 Kühe, 7 Schafe, 3 Ziegen m) Haushalt-Ausgaben: Nicht erfaßt n) Hausform: Er besitzt ein altes Haus; es hat nur einen Raum Zukunftsvorstellung für die Kinder: Schulbildung und Erlernen eines Berufes a) b) c) d) e) f) g) li) i)

77

Nr. 22 a) b) c) d)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes:

e) f)

Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n :

42 J a h r e 32 J a h r e 7 E r k a n n lesen u n d sehreiben. (Er besuchte d i e Koranschule) Bauer Gelegenheitsarbeiter im Ort oder in L i b a n o n ; er hilft beim B a u von H ä u s e r n des alten Typs. Der M a n n u n d seine F r a u 20 D o n u m

g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven 120 B ä u m e Getreide 500 kg Tabak 37 kg j) V e r k a u f : Tabak 37 kg f ü r 108 Lira Olivenöl für 100 Lira E r v e r k a u f t m a n c h m a l Tiere k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r Dünger 70 Lira F ü r die Dreschmaschine 20 Lira F ü r Arbeitslohn 60 Lira* E r bezahlt Arbeitskräfte, die Brennholz f ü r ihn gewinnen 1) Viehbesitz: 1 K u h , 1 Schaf, 1 Ziege, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : nicht e r f a ß t n) H a u s f o r m : E r besitzt ein H a u s ; es besteht a u s 2 R ä u m e n o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : D a ß sie lernen u n d ihm in der Z u k u n f t U n t e r s t ü t z u n g leisten

* Trotz eines entsprechenden Verbotes, holen alle B a u e r n das Brennholz a u s d e m Buschland.

78

N r . 23 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere E i n k o m m e n s q u e l l e n :

g)

Zahl der A r b e i t s k r ä f t e :

h)

Landbesitz:

j)

k)

I) m)

n)

o) p)

Produkte: Oliven Getreide Verkauf: Tabak:

39 J a h r e 40 J a h r e 10 Bis zur 8. Klasse Bauer 1. U n t e r s t ü t z u n g von seinem Onkel in Argentinien; 2. Mieteinnahme, etwa 100 L i r a m o n a t lich Der M a n n u n d seine F r a u , eine Schwester, seine M u t t e r u n d ein Sohn in den S o m m e r ferien 32 D o n u m eigener Besitz 60 D o n u m im Besitz seiner zwei Brüder, dienicht in der L a n d w i r t s c h a f t t ä t i g sind

200 B ä u m e 4300 kg

Preis Jahr Menge 1965 274 k g 945 Lira 1966 308 kg 1142 Lira 1967 360 k g 1320 Lira 1968 313 k g 587 Lira Seide: Í966 693 Lira 19 kg 1967 21kg 736 Lira 2 kg 70 Lira 1968 Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r Landverbesserung 400 Lira F ü r die Dreschmaschine 100 Lira „ R o d e n von Busch 20 Lira „ Dünger 120 Lira „ Pflügearbeiten 20 Lira Viehbesitz: 5 K ü h e , 4 Schafe, 4 Ziegen, 1 Esel Haushalt-Ausgaben: F ü r den täglichen Bedarf etwa 1,5 Lira täglich; dazu k o m m e n : etwa 700 Lira jährlich f ü r Kleidung „ 300 Lira „ f ü r zakät u. religiöse Feste „ 300 Lira „ f ü r den Arzt „ 1000 Lira „ f ü r die Ausbildung der Kinder Hausform: E r besitzt ein altes H a u s , das a u s 3 R ä u m e n besteht, u n d ein modernes Haus,, das a u s 5 R ä u m e n besteht Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Sie sollen nach Schulbildung u n d S t u d i u m Ärzte u n d Ingenieure werden Besonderes: E r war zwei J a h r e in Amerika, wo er seine Cousine geheiratet h a t . E s ist die einzige erweiterte Familie von den 25 u n t e r s u c h t e n .

1%>

N r . 24 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere Einkommensquellen:

56 J a h r e 54 J a h r e 2 Koranschule Bauer Miete 40 Lira zakät 150 Lira Der Mann u n d seine 27 D o n u m

monatlich jährlich

g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven 100 B ä u m e Getreide 1000 kg Tabak 32 kg Seide 2 kg j) V e r k a u f : Tabak 32 kg f ü r 130 Lira Seide 2 kg f ü r 76 Lira k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : Dreschmaschine 40 Lira Dünger 32 Lira 1) Viehbesitz: 1 K u h . 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : nicht e r f a ß t n) H a u s f o r m : E r besitzt ein altes H a u s , das aus zwei R ä u m e n u n d einem modernen Zimmer besteht. A u ß e r d e m besitzt er zwei Zimmer in As-Saih-Badr, die er als Läden vermietet. o) Zukunftsvorstellungen f ü r die K i n d e r : Sie sollen lernen, u m n a c h Anstellung in staatlichen I n s t i t u t i o n e n s p ä t e r ein besseres Leben f ü h r e n zu können, p) Besonderes: E r ist ein religiöser Mann. E r hat einen Sohn, der in der Sowjetunion s t u d i e r t .

80

Nr. 25 a) b) c) d) e) f)

Alter des Mannes: Alter der F r a u : Zahl der K i n d e r : Ausbildung des Mannes: Haupttätigkeit: Andere Einkommensquellen:

73 J a h r e 53 J a h r e * 3 E r besuchte die Koranschule Bauer E r besitzt ein Gerät zur Seidenfadenherstellung, m i t dem er etwa 2 Wochen jährlich arbeitet. E r erhält z a k ä t , e t w a 100 Lira jährlich, u n d a n d e r e U n t e r s t ü t z u n g e n . * * Auch seine Söhne u n t e r s t ü t z e n ihn finanziell. Der Mann, seine F r a u , zwei Töchter 17 D o n u m , d a v o n sind 3 D o n u m B r a c h l a n d

g) Zahl der A r b e i t s k r ä f t e : h) L a n d b e s i t z : i) P r o d u k t e : Oliven 10 B ä u m e 900 kg Getreide Tabak 67 kg Seide 7 kg i) V e r k a u f : Tabak 67 kg f ü r 235 Lira 7 kg f ü r 266 Lira Seide k) Ausgaben in der L a n d w i r t s c h a f t : F ü r die Dreschmaschine 30 Lira Andere Ausgaben w u r d e n nicht e r f a ß t 1) Viehbesitz: 2 K ü h e . 3 Schafe, 1 Esel m) H a u s h a l t - A u s g a b e n : W u r d e n nicht e r f a ß t n) H a u s f o r m : E r besitzt ein altes H a u s ; es h a t 3 R ä u m e o) Zukunftsvorstellung f ü r die K i n d e r : Seine Söhne sind alle erwachsen u n d sind in staatlichen I n s t i t u t i o n e n t ä t i g * E s ist seine zweite F r a u , die erste F r a u ist verstorben. ** 1970 b e k a m er 100 US-Dollar von seinem Bruder, der in Brasilien lebt.

A SnilKlAIrrmnmluihn Vorhfi 11n¡«an

81

Erläuterungen

zu den 25

Familien-Tabellen

Alle 25 u n t e r s u c h t e n F a m i l i e n leben in Al-Muraiqeb u n d d e n zugehörigen N e b e n dörfern. D e r H a u p t i n f o r m a n t w a r in j e d e m F a l l der E h e m a n n . Alle U n t e r s u c h u n g e n w u r d e n im H a u s des I n f o r m a n t e n d u r c h g e f ü h r t . E s w u r d e n verschiedene soziologische U n t e r s u c h u n g s m e t h o d e n a n g e w e n d e t . D i e wichtigsten waren: halbstandardisierte Interviews und Beobachtungen. Die A u s w a h l der u n t e r s u c h t e n F a m i l i e n erfolgte n a c h verschiedenen Gesichtsp u n k t e n . E s w u r d e n b e r ü c k s i c h t i g t : die Besitzverhältnisse, die B e s c h ä f t i g u n g e n d e r M ä n n e r , die A n z a h l der F a m i l i e n m i t g l i e d e r , die e r g ä n z e n d e n E i n k o m m e n s q u e l l e n . U n t e r der R u b r i k „Zahl der K i n d e r " sind die u n v e r h e i r a t e t e n Söhne u n d T ö c h t e r , die bei ihren E l t e r n im H a u s leben, e r f a ß t . U n t e r der R u b r i k „ A u s b i l d u n g des M a n n e s " wird a u s g e s a g t , ob der M a n n in der L a g e ist zu lesen u n d zu schreiben, gleich, ob der B e f r a g t e eine Schule b e s u c h t h a t oder n i c h t . Ü b e r die A u s b i l d u n g der F r a u e n w u r d e n i c h t s g e s a g t ; alle F r a u e n in den u n t e r s u c h t e n F a m i l i e n sind A n a l p h a b e t e n . U n t e r der R u b r i k „ A n d e r e E i n k o m m e n s q u e l l e n " sind e r g ä n z e n d e T ä t i g k e i t e n , die der B e t r e f f e n d e a u s ü b t , u m Geld zu verdienen, u n d U n t e r s t ü t z u n g e n , die er v c n e m i g r i e r t e n V e r w a n d t e n , S ö h n e n oder T ö c h t e r n oder a u s a n d e r e n Quellen e r h ä l t , zusammengefaßt. „Zahl der A r b e i t s k r ä f t e " f ü h r t die F a m i l i e n m i t g l i e d e r a u f , die in der L a n d w i r t s c h a f t u n d i m H a u s h a l t b e s c h ä f t i g t sind. E s g e h ö r e n d a z u : der M a n n , die F r a u u n d die ü b e r 17jährigen T ö c h t e r u n d Söhne, die keine a n d e r e T ä t i g k e i t a u s ü b e n . S ö h n e u n d T ö c h t e r , die die Schule besuchen, a r b e i t e n n u r in d e n S o m m e r f e r i e n m i t . K i n der, die gelegentlich b e s t i m m t e A u f g a b e n ü b e r n e h m e n ( W e i d e n des Viehs, T r a n s p o r t i e r e n v o n Trinkwasser), w u r d e n in diese R u b r i k n i c h t m i t a u f g e n o m m e n . U n t e r „ P r o d u k t e " w u r d e n in d e n T a b e l l e n n u r die w i c h t i g s t e n l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n P r o d u k t e , d. h. diejenigen, die f ü r diese F a m i l i e f ü r d e n E i g e n v e r b r a u c h o d e r f ü r d e n V e r k a u f v o n b e s o n d e r e r B e d e u t u n g sind, a u f g e f ü h r t . B e i d e n Oliven w u r d e die Zahl der B ä u m e e r f a ß t , u n d z w a r n u r solche, die ü b e r 10 k g F r u c h t p r o J a h r t r a g e n . Die Menge des Olivenöls, die ein B a u e r g e w i n n e n k a n n , s c h w a n k t v o n J a h r zu J a h r b e t r ä c h t l i c h . A u s diesem G r u n d e w u r d e die Z a h l d e r Bäume aufgenommen. U n t e r Getreide ist sowohl W i n t e r - als a u c h S o m m e r g e t r e i d e zu v e r s t e h e n . Die A n g a b e n ü b e r d e n T a b a k e r t r a g u n d die T a b a k p r e i s e w u r d e n a u s d e m s t a a t lichen R e g i s t e r e n t n o m m e n . D e r hier a n g e g e b e n e E r t r a g e n t s p r i c h t in m a n c h e n F ä l len n i c h t der P r o d u k t i o n , d e n n eine R e i h e v o n B a u e r n b e h ä l t einen Teil d e s T a b a k s f ü r d e n eigenen B e d a r f oder u m ihn u n t e r d e r h a n d zu v e r k a u f e n . Die Z a h l e n a n g a b e n e n t s p r e c h e n der d e m S t a a t v e r k a u f t e n Menge. U n t e r „ A u s g a b e n in der L a n d w i r t s c h a f t " w u r d e n die regelmäßigen A u s g a b e n a u f g e n o m m e n . D a b e i g i b t es gewisse A b w e i c h u n g e n v o n J a h r zu J a h r . Diese regelm ä ß i g e n A u s g a b e n liegen a b e r o f t niedriger als die u n r e g e l m ä ß i g e n n o t w e n d i g e n finanziellen A u f w e n d u n g e n . Z u d e n l e t z t e r e n gehört der K a u f v o n A r b e i t s m i t t e l n , die n i c h t jedes J a h r e r n e u e r t w e r d e n m ü s s e n , s o n d e r n normalerweise n u r b e i m S c h m i e d r e p a r i e r t w e r d e n . D i e Preise f ü r die wichtigsten A r b e i t s m i t t e l sind folgende:. 1 P f l u g (ohne die Eisenspitze) Die eiserne Spitze 1 Holzsichel oder eine E r n t e s i c h e l 1 kleine H a c k e z u m J ä t e n

82

15 L i r a 20 „ 5 „ 3 „

1 Hacke zum Auflockern des Bodens 4 Lira 1 große Rodehacke 6 „ Außerdem gibt der Bauer Geld aus, um Futter für das Vieh zu kaufen oder für Hilfskräfte beim Errichten einer Terrassenmauer und beim tiefen Durchhacken des Landstücks. Die erzielten Gewinne in der Landwirtschaft stehen oft in einem ungünstigen Verhältnis zu den notwendigen Ausgaben. Unter „Haushalt-Ausgaben" wurden alle Ausgaben zusammengefaßt, die nicht landwirtschaftlichen Zwecken, sondern der Versorgung der Familie dienen. Es war nicht einfach, hier zu exakten Werten zu kommen, da die Höhe der Ausgaben und die Vielfalt der Zwecke sehr unterschiedlich sind. Vor allem wurde die Summe erfaßt, die für Lebensmittel regelmäßig ausgegeben wird. Einige Ausgaben konnten nur monatlich, andere nur für das ganze Jahr erfaßt werden. Unter einem 'alten' Haus ist zu verstehen, daß die Konstruktion und das Baumaterial dem traditionellen Typ entsprechen. Unter der Rubrik „Vorstellung über die Zukunft der Kinder" wurde erfragt und festgehalten, welche berufliche Tätigkeit sich der Bauer für seine Kinder wünscht. Die geäußerten Wünsche betreffen nur die Söhne, da man sich nur von den Söhnen später eine Unterstützung erhofft.

9. S o z i a l s t r u k t u r Die 'asira Bei der Behandlung der sozialen Struktur der bäuerlichen Bevölkerung von As-Saih-Badr muß, um den historischen Ausgangspunkt der gegenwärtigen Entwicklung zu verstehen, die Gliederung in 'aää'ir berücksichtigt werden. Wie bereits ausgeführt , gliedern sich die Gebirgsbewohner in eine größere Anzahl von 'aää'ir. Diese ursprünglich auf verwandtschaftlicher Grundlage beruhenden 'asä'ir spielten früher im gesamten gesellschaftlichen Leben eine sehr große Rolle. I n As-Saih-Badr leben Angehörige von drei bedeutenden 'asä'ir: ÄlBsarga, Äl-Haddädiyün und Äl-Hayyätiyün. Die Angehörigen der 'asira ÄlBSarga leben fast alle in Al-Muraiqeb. Sie bilden drei Linien, eine große Linie, deren Angehörige zum Teil in Ar-Riste leben, und zwei kleine Linien. Die 'asira Äl-Haddädiyün zerfällt in mehrere Linien, ihre Angehörigen leben in AlMuraiqeb. Zu der 'asira Äl-Hayyätiyün gehören zwei kleine Linien, deren Mitglieder ebenfalls in Al-Muraiqeb wohnen. I m letztgenannten Ort siedeln also die Vertreter von drei 'asä'ir. Die 'asira Äl-Bsarga ist die größte und einflußreichste in As-Saih-Badr und Umgebung. I h r berühmtestes Oberhaupt in der Vergangenheit war §aih Säleh El-'ali, der Führer des Aufstandes gegen die Franzosen. Aus dieser 'asira stammen alle suyüh. Zwei von den drei Linien, die zu ihr gehören, werden als SaihFamilien bezeichnet. Ein besonders großes Ansehen genießt die Linie, aus der Saleh El-'ali stammte. Die Angehörigen einer Saih-Linie h a t t e n früher ein höheres soziales Prestige als die übrige Bevölkerung. Angehörige einer Saih-Linie spielten im gesellschaftlichen Leben eine große Rolle; sie h a t t e n die Funktion von Richtern und Schiedsrichtern und wurden in so ziemlich allen Angelegenheiten zu R a t e gezogen. 6»

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Früher konnten allein die Angehörigen der Saih-Linie lesen und schreiben, und einige von ihnen waren Koran-Lehrer in verschiedenen Dörfern, wo es keine Saih-Familie gab. Der m u h t ä r von Al-Muraiqeb kam und kommt noch heute aus der bekanntesten Saih-Linie. Die Gliederung in 'asira spielte aber auch sonst eine große Rolle, besonders was die Heiratsbeziehungen betrifft. So herrschte bis in die jüngste Vergangenheit hinein eine stark ausgeprägte 'Asira-Endogamie, wobei die Endogamie innerhalb der 'aSIra gewissermaßen schon eine Ausweitung war gegenüber der Linien-Endogamie. Bis etwa zur Mitte der 50er J a h r e unseres J a h r h u n d e r t s gehörten Ehepartner immer zu einer 'asira. I n den letzten zwei J a h r z e h n t e n verlor die Gliederung in 'asä'ir an Bedeutung. Es hängt dies mit dem Zerfall der alten Autoritäten und Traditionen zusammen. Es bildeten sich neue soziale Normen und Werte heraus. Mit der Verbreitung der Schulbildung und dem Heranwachsen einer ausgebildeten Schicht, die sich aus den Angehörigen aller 'asä'ir zusammensetzt, entwickelte sich eine neue Einstellung. Die c Asä'irGrenzen wurden k a u m noch beachtet. Von den Kindern weiß heute kaum noch eines, was die 'asä'ir einmal bedeuteten und zu welcher von ihnen es gehört. Bei dem Abbau dieser alten Grenzen und Vorstellungen spielten in den letzten zehn J a h r e n auch die neuen gesellschaftlichen Organisationen eine große Rolle. Familie „Three types of family are found in the rural areas of the arab Middle East." 4 0 Diese Feststellung von A. T A N N O U S hat voll und ganz auch für Al-Muraiqeb Gültigkeit. E s existieren dort die drei Familientypen, die T A N N O U S und L U T F I Y Y A beschrieben haben. Dabei wird von der Bezeichnung 'ä'ila ausgegangen, die drei Begriffsinhalte hat. Wenn wir in der Reihenfolge dieser beiden Autoren vorgehen, so ist der erste T y p die Kernfamilie, die aus dem Mann, der F r a u und den Kindern besteht. „This type of family is the least significant in the culture of the Arab village." 41 F ü r Al-Muraiqeb h a t diese Aussage kaum noch Gültigkeit. I m Gegensatz zur Vergangenheit h a t sich der Zusammenhalt der Großfamilie sehr gelockert. Man kann nicht leugnen, daß die Aussage von L U T F I Y Y A von allgemeiner Gültigkeit ist, aber es gibt in jedem Dorf Abweichungen in größerem oder kleinerem Umfang. I n Al-Muraiqeb dominiert in ihrer Bedeutung heute die Kernfamilie. Zu ihrer Verselbständigung hat die Tatsache beigetragen, daß es jetzt möglich ist, durch Saisonarbeit oder auf anderem Weg außerhalb der Landwirtschaft die Existenz der Familie zu sichern. Eine Familie kann sich gegenüber der Vergangenheit gegenwärtig weit leichter allein eine Lebensbasis begründen. Der gemeinsame Großfamilien-Haushalt ist nicht mehr notwendig. Viele jüngere Männer leben heute längere Zeit außerhalb des Dorfes, und sie ordnen sich nach ihrer Rückkehr nicht mehr in die Großfamilie ein. Dieser U m s t a n d hat wesentlich zur Verselbständigung der Kernfamilie unter den Bauern beigetragen. « TANNOUS, 1 9 4 4 , S . 5 3 7 . 41

84

LUTFIYYA, 1 9 6 6 , S . 1 4 2

Der zweite Familien-Typ, von T A N N O U S als joint family bezeichnet, ist eine besondere Form der erweiterten Familie, nämlich die patrilokale Großfamilie. I n Al-Muraiqeb gibt es heute noch einige typische Großfamilien. Sie umfassen einen Vater und dessen Frau, die unverheirateten Söhne und Töchter und die verheirateten Söhne mit deren Frauen und Kindern. Manchmal umfaßt eine solche Großfamilie außerdem die unverheirateten Brüder und Schwestern des Familienoberhauptes. „Large as it may be, this unit tend to occupy one dwelling or a Compound of dwellings built close together of often attachen to one another."42 Die Großfamilie ist eine ökonomische Einheit, sie steht unter der Leitung des ältesten Mannes. L U T F I Y Y A bemerkt dazu: „The joint family normally dissolves upon the death of the grandfather." 4 3 Das hat auch für Al-Muraiqeb Gültigkeit. Konkreter ist es allerdings, wenn man sagt, daß die Auflösung der Großfamilie beginnt, wenn der Großvater stirbt, denn diese Auflösung wird erst vollständig, wenn alle Söhne dieses Großvaters verheiratet sind. Die Mutter bleibt bei einem ihrer Söhne. Der dritte Inhalt des Begriffs 'ä'ila entspricht dem der Linie. Diese 'ä'ila ist die Nachkommenschaft eines Mannes, der vor einigen Generationen lebte. Die Zugehörigkeit zur 'ä'ila wird nur durch die Söhne weitervererbt. Alle Töchter gehören zu ihr, die Kinder dieser Töchter aber immer zur 'ä'ila ihres Vaters. In Al-Muraiqeb gibt es drei große Linien und 9 kleine Linien. Die großen Linien bestehen aus mehreren oder vielen Groß- und Kernfamilien. Die kleineren Linien bestehen nur aus einigen Kernfamilien, die ursprünglich aus einer Großfamilie hervorgegangen sind. Die Familien- und Linien-Solidarität war früher sehr stark ausgeprägt und hat auch heute noch eine große Bedeutung. Alle Männer, die einer Linie angehören, betrachten sich als Cousins und unterstützen sich gegenseitig, wenn sie in eine schwierige Situation geraten. Die größte Maximallinie ist die der suyüh, sie verzweigt sich in vier Hauptlinien (Majorlineages). Das sind: Balt Salmän, Balt Säleh, Bait Ismä'il und Balt Ramadan. Die Hauptlinie Bait Ismä'il zerfällt in zwei Kleinlinien (Minorlineages) Balt Ismä'Il und Balt Abbas. Ismail war der Begründer der Hauptlinie und Abbas sein Sohn, er ist Stammvater einer Kleinlinie. Die Maximallinie umfaßt jetzt 75 Kern- und Großfamilien. N u r in drei Fällen kann man aber wirklich von einer Großfamilie sprechen. Die Zahl der Familien bzw. Haushalte unterscheidet sich von einer Hauptlinie zur anderen beträchtlich. Hauptlinie Bait Säleh Bait Ismä'il

Zahl der Haushalte II44 15 45

Hauptlinie Bait Ramadan Bait Salmän

Zahl der Haushalte 7 42

« Ebenda. « Ebenda. 44 Darunter befindet sich eine erweiterte Familie. Sie besteht aus einem Mann, seiner Frau, deren Kindern, der Schwester und der Mutter des Mannes. 45 Darunter befinden sich zwei erweiterte Familien. Die erste besteht aus einem Mann, seiner Frau, ihrem unverheirateten Sohn und einem verheirateten Sohn mit seiner Frau. Die zweite besteht aus einem Mann, seiner Frau und deren Sohn mit Frau und Kind.

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Heirat Die überwiegende Mehrzahl der Ehen wurde früher innerhalb der "a'ila (Linie) geschlossen. Auch heute kommt das noch häufig vor. Die geeignetste Partnerin für einen jungen Mann ist eine Tochter von einem Bruder seines Vaters. L. S W E E T schreibt in ihrem Werk: „Tel Toqaan, A Syrian Village": „But lineage endogamy and particularly the preference for marriage to a parallel patrilinial Cousin are important features of the muslim Arab marriage." 4 6 In zweiter Linie kommt irgendeine andere Cousine in Betracht. Diese ausgeprägte Linien-Endogamie hat ökonomische Ursachen. Auf Grund des islamischen Erbrechtes erhält die Tochter bei der Erbteilung die Hälfte des Anteiles eines Sohnes. „Allah schreibt auch vor, hinsichtlich eurer Kinder, dem Knaben zweier Mädchen Anteil zu geben." 4 7 Durch die Endogamie verbleibt der Erbanteil der Frau innerhalb der Linie. Die Praxis in Al-Muraiqeb sowie in den benachbarten Dörfern ist aber so, daß die F r a u keinen Erbteil von ihren Eltern bekommt, denn es herrscht die Auffassung, daß der Mann und nicht die F r a u für die Familie verantwortlich ist. Ein Mädchen erhält von ihren Eltern, wenn sie aus dem Haus geht, um zu heiraten, einige Einrichtungsgegenstände für ihre Wohnung und eine geldliche Unterstützung. Ein anderer Grund, der die Endogamie förderte und der in Al-Muraiqeb von Bedeutung war, ist die Frage des Brautpreises. Die Bauern sind sehr interessiert, daß der Brautpreis innerhalb der Linie bezahlt wird. Es gibt auch eine Reihe von Regelungen, wo kein Brautpreis gezahlt werden muß. Das ist der Fall, wenn eine Tauschheirat zustande kommt. Ein junger Mann heiratet die Schwester des Ehemannes seiner Schwester. Wollte früher ein junger Mann heiraten, so war es seine Pflicht, seine Eltern zu fragen, und sie darum zu bitten, für ihn eine F r a u zu suchen. Seine Eltern stellten dann Überlegungen an, wählten ein Mädchen aus und sprachen mit deren Eltern u. a. auch über den Brautpreis und über den Termin der Hochzeit. Wenn die Elternpaare Übereinstimmung erzielen konnten, begannen sie mit der Vorbereitung der Heirat. Dem Mädchen wurde mitgeteilt, daß ihr „nasib" (Schicksal) gekommen sei. Wenn das Mädchen nicht einverstanden war, wurde es in den meisten Fällen von den Eltern zur Heirat gezwungen. Vereinbarungen über den Brautpreis und die anderen rechtlichen Verpflichtungen spielen eine große Rolle bei jeder Eheschließung. I n der islamischen Tradition gibt es zwei Zahlungsverpflichtungen, und zwar al-mahr el-muqaddam, der Brautpreis, der bei der Eheschließung gezahlt werden muß, und al-mahr el-mu'aggal, eine Zahlung, die im Falle der Scheidung von der Seite des Mannes an die Frau geleistet werden muß. Die Höhe beider Zahlungen wird in einem Dokument bei einem kadi festgelegt. Die Höhe des Brautpreises schwankt zwischen 700 und 1500 Lira. Dieses Geld bekommt der Vater der Braut, ihre Mutter erhält eine kleine Summe, etwa 50 bis 100 Lira. Die Brüder der Braut und der Vater des Brautvaters eri960, S . 174. Der Koran IV: 11.

«6 S W E E T , 47

86

halten nichts, aber ihr Einverständnis für die Eheschließung ist notwendig. Die Höhe des Brautpreises wurde von verschiedenen Faktoren beeinflußt: Erstens spielte die soziale und ökonomische Stellung der Familie der Frau eine große Rolle, und zweitens fiel auch die Schönheit des Mädchens ins Gewicht. Außerdem wurde aber auch darauf geachtet, ob das Mädchen als fleißig bekannt war. Für die Bauern waren Gesundheit und Fleiß bei der Arbeit nicht selten die wichtigsten Kriterien. Die Schulbildung und der Kontakt mit den Städten haben die geschilderten Verhältnisse stark beeinflußt und geändert. Die Mädchen können heute nicht mehr gezwungen werden, einen Mann zu heiraten, der ihnen nicht gefällt. Sie selbst entscheiden in letzter Instanz und nicht die Eltern. Brautpreise werden nur noch in einigen Fällen gezahlt. Nur arme Familien achten noch häufig darauf, für ihre Tochter die Zahlung zu erhalten. In letzter Zeit wurde für die Veränderung vieler Auffassungen über Heirat und Brautpreise auch die Arbeit der Frauenunion von Bedeutung. Die Schulbildung und die weitere Ausbildung waren die wichtigste Ursache für die Wandlung der geschilderten Verhältnisse. Aber die damit verbundenen Vorteile kamen anfänglich nur der männlichen Jugend und nicht den Mädchen zugute. Die ersten Schüler in Al-Muraiqeb waren ausschließlich Jungen, und bis 1950 besuchte kein Mädchen die Schule. Auch in den folgenden Jahren kam dies nur vereinzelt vor. Diese Disproportion brachte ein großes Problem mit sich. Es besteht darin, daß die ausgebildeten Männer sich ausgebildete Mädchen für die Ehe suchen, die aber in ihrem Dorf nicht vorhanden sind. Sie begeben sich deshalb auf Brautschau in andere Orte, oder aber sie heiraten sehr junge Mädchen, die die Schule besucht haben. Der Altersabstand beträgt dann etwa 10 bis 15 Jahre. In der Altersgruppe der Männer, die jetzt heiraten, bleiben viele Frauen, da sie nicht ausgebildet sind, ohne Ehepartner, oder sie heiraten außerhalb des Dorfes, und dann Männer, die ihrenVorstellungen eigentlich nicht entsprechen. Diese Umstände machen auch klar, warum die Linien- und die' Aälra-Endogamie keine Bedeutung mehr haben können. Die Vorstellung vom Ideal des Ehepartners hat sich völlig verändert. Die Angehörigen der jungen Intelligenz streben danach, Mädchen zu heiraten, die nicht nur eine Schule besuchen, sondern die auch danach noch in einem Beruf ausgebildet wurden und z. B . Lehrerin oder Krankenschwester sind. Die traditionelle soziale Stellung der Familie des Mannes oder der Frau spielen in diesen Fällen keine Rolle mehr. Die Mädchen möchten fast alle Männer heiraten, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, sondern eine Anstellung in staatlichen Institutionen oder in der Armee haben. Das Ideal vieler Mädchen ist der Offizier. Offiziere genießen in der syrischen Gesellschaft ein großes Ansehen, nicht zuletzt deshalb, weil die Armee in der gesamten Politik eine so große Rolle spielt. Außerdem kommt hinzu, daß die Offiziere ein relativ hohes Gehalt haben. In der Rangliste der Idealvorstellungen kommen nach den Offizieren diejenigen, die eine staatliche Anstellung mit monatlichem Gehalt haben und in der Stadt leben. Das Heiratsalter hat sich in der letzten Zeit gegenüber der Vergangenheit beträchtlich verschoben. Der Überblick über die 25 untersuchten Familien er87

gibt, daß die Bauern relativ zeitig heirateten, und zwar zwischen dem 20. und dem 25. Lebensjahr und die Frauen zwischen dem 16. und dem 20. Lebensjahr. Wenn damals ein Mädchen das Haus ihrer Eltern verließ, so ging diesem eine wichtige Arbeitskraft verloren. Der Vater war dann daran interessiert, sobald als möglich eine Frau für seinen Sohn zu finden, auch wenn dieser noch sehr jung war. Die fehlende Arbeitskraft mußte ersetzt werden. Auch die Regeln der Wohnfolge haben sich in der letzten Zeit verändert. Die traditionelle Wohnfolge war patrilokal. Bei der Eheschließung zog in jedem Falle die Frau in das Gehöft der Familie ihres Mannes, wo die neu gegründete Kernfamilie einen Wohnraum erhielt oder ein neues Wohnhaus errichtet wurde; oder die neu gegründete Familie errichtete ein eigenes Gehöft neben dem größten Feldstück, das der Ehemann besaß. Mit der Auflösung der Großfamilie und der zunehmenden sozialen Bedeutung der Kernfamilie kam es mehr und mehr zu neolokaler Wohnfolge. Das junge Paar läßt sich an einem Ort nieder, der weder von der Familie der Frau noch von der Familie des Mannes her irgendwie bestimmt wird.

Beziehungen innerhalb der Familie Der Mann ist das Familienoberhaupt und der Hausherr. Er regelt fast alle Familienangelegenheiten. Er hat in jedem Falle das Recht der letzten Entscheidung, denn er allein ist auch für die Versorgung der Familie, daß heißt für den Erwerb der notwendigen Geldmittel und Nahrungsmittel, verantwortlich. Die Frau hat aber sehr wohl die Möglichkeit, ihre Meinung zu vielen Angelegenheiten zu äußern. Wenn diese Meinung aber weitgehend von der des Mannes abweicht, wird sich immer die Auffassung des letzteren durchsetzen. Die Frau nimmt eine untergeordnete soziale Stellung in der Gesellschaft ein. Das ist eine allgemein gültige Erscheinung in der bäuerlichen Bevölkerung des Nahen Ostens. Was LTJTITYYA aus Jordanien berichtet, gilt weitgehend auch für Al-Muraiqeb. „In a patriarchal, patrilineal and patrilocal society, such as the one under study it is quite clear, that the social position of women is expected to be inferior to that of men." 4 8 Das heißt aber nicht, daß die Frau gar keine Rechte hätte. L U T F T Y Y A bemerkt dazu: „This is generally true, although as we shall see, women in this society are endowed with certain rights, that assure them of some protection against the tyranny of men." 4 9 Die Frau behält nach der Eheschließung ihren Namen und den Namen ihrer Familie. Sie betrachtet das Haus ihrer Eltern als ihr zweites Haus. Im Falle großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten wendet sie sich an ihre Eltern und Brüder, auch dann, wenn sie Streit mit ihrem Mann hat. Falls die Ehe geschieden werden soll, erhält sie das sogenannte „al-mahr el-mu'aggal". Das ist die Zahlung, die im Ehevertrag für den Fall der Scheidung vorgesehen war. In Al-Muraiqeb gibt es aus den letzten Jahren kein Beispiel für eine Ehescheidung. « LUTFIYYA, 1 9 6 6 , S. 1 4 6 .

«9 Ebenda. 88

Die Frauen in Al-Muraiqeb wie in allen Dörfern des Gebirges gehen nicht ververschleiert. L U T F I Y Y A schreibt: „Contrary to the practice in the city and in defiance of Islamic tradition, the women in the village are free to see the world directly and not through a veil." 50 Der Schleier ist im Islam eine Tradition, er gehört nicht zum Kern der religiösen Vorstellungen. Im Koran steht dazu folgendes: „Oh Prophet, sprich zu deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, daß sie sich in ihrem Überwurf verhüllen. So werden sie eher erkannt und werden nicht verletzt. Und Allah ist verzeihend und barmherzig." 5 1 Diese Verse werden verschieden interpretiert. Manche behaupten, daß darin befohlen sei, den ganzen Körper zu verschleiern, einschließlich des Gesichts und der Hände, andere wiederum schließen das Gesicht und die Hände von der Verhüllung aus. Die Alawiten sind Anhänger der zweiten Auffassung. Durch die dominierende Rolle des Mannes und die gesellschaftlich untergeordnete Stellung der Frau ist die Atmosphäre in manchen Familien heute etwas angespannt. Trotzdem wurde keine Ehe geschieden, denn die Folgen einer Scheidung sind recht kompliziert. Alle Ehen in Al-Muraiqeb mit einer Ausnahme sind monogam. Ein Mann hat zwei Frauen. Es ist der reichste Mann von As-§aihBadr. Er besitzt einen Laden und außerdem mit einem Partner gemeinsam einen Autobus, der zwischen As-§aih-Badr, Tartous und Horns verkehrt. Hinzu kommen ein Fracht- und Personenauto vom Typ „Landrover", das regelmäßig zwischen As-Saih-Badr und Tartous fährt. Er hat außerdem Anteile an einer motorgetriebenen Mühle und an einer Ölpresse. Dieser Mann lebt bei seiner zweiten Frau in einem modernen Haus in As-Saih-Badr, während die erste Frau mit ihren Kindern in einem alten Haus in Al-Muraiqeb wohnt. I n Al-Mudrüse gibt es ein zweites Beispiel für Polygynie. Ein Mann hat zwei Frauen, die aber zusammen leben. Die erste Frau kann keine Kinder haben, er hat aus diesem Grunde eine zweite geheiratet. Beispiele für Levirat und Sororat gibt es im Untersuchungsgebiet nicht. Die Geburtsrate in der bäuerlichen Bevölkerung ist hoch. Eine Familie hat durchschnittlich 7 Kinder, viele Familien haben zwischen 7 und 10 Kindern. Kinder sind ein Geschenk Allahs, und die Bauern akzeptieren keine Begrenzung der Kinderzahl. Sie erkennen nicht an, daß die Zahl der Kinder sich auf den Lebensstandard der Familie negativ auswirkt. Mit der Geburt jedes Kindes wird nach ihrer Auffassung sein Lebensunterhalt auch von Allah gesichert. Die Söhne werden bis zu einem gewissen Grade bevorzugt, sie genießen mehr Vorteile als die Töchter. Bei der Geburt eines Kindes suchen die Eltern einen Namen. Vielfach erhält das . Kind den Namen seines paternalen Großvaters. Bei der Namenswahl wird häufig auch der R a t eines Mannes mit religiöser Autorität eingeholt, und dieser entscheidet dann, welcher Name für das Kind günstig ist. „A mystic religious Shaykh, sometimes referred to as a derwish, is consulted to determine what the name should be." 5 2 Die häufigsten Namen in SO LUTFIYYA, 1 9 6 6 , S . 1 5 0 .

st Der Koran X X X I I I : 59. 52 LUTFIYYA, 1 9 6 6 , S . 1 5 2 .

89

Al-Muraiqeb sind Mohamed und Ali. In fast jeder Familie tauchen beide Namen auf. Wenn einem Ehepaar der erste Sohn geboren ist, werden die Rufnamen der Eltern nicht mehr gebraucht, sondern diese werden nach dem Namen ihres Sohnes genannt. Zum Beispiel: abü'ali (Vater von Ali) und umm'all (Mutter von Ali). Wenn das erste Kind ein Mädchen ist, verändern sich die Namen der Eltern nicht. Der erste Sohn hat eine bevorzugte Stellung gegenüber seinen Geschwistern. Er übernimmt die Leitung des Hauses, wenn der Vater abwesend oder vestorben ist. Demgegenüber hat das jüngste Kind die meisten Sympathien für sich. Es wird besonders umsorgt und unterstützt, und mehr seiner Wünsche werden erfüllt, als dies bei den anderen der Fall ist. Besonders gilt das auch in Bezug auf die erwachsenen Brüder. Sie sorgen immer dafür, daß es dem jüngeren Bruder besonders gut geht, vor allem, daß dieser eine gute Ausbildung erhält. Häufig streben sie danach, daß diese besser als ihre eigene ist, und sie leisten ihm dafür jede Hilfe. Es ist z. B. nicht selten, daß die älteren Brüder, die nicht studiert haben, einem jüngeren Bruder gemeinsam das Studium ermöglichen. Dafür gibt es in den zu A§-Saih-Badr gehörenden Dörfern eine Reihe von Beispielen. Auf dem folgenden Schema wird eine Patrilinie aus Al-Muraiqeb dargestellt. Die Herausnahme einer solchen r ä'ila ermöglicht es, besonders klar zu erkennen, wie sich die Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten auf die Bevölkerung ausgewirkt hat. Die Darstellung der Patrilinie bei Charakterisierung der ökonomischen Position ihrer Mitglieder erlaubt einen Rückschluß auf die gesamte Bevölkerung des Ortes. Die Unterschiede in den Positionen zwischen Großvätern, Vätern und Söhnen werden auf diese Weise anschaulich verdeutlicht. Darstellung einer Patrilinie X

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Erklärung

zur vorhergehenden

Darstellung

1 2 3 4 5

Bauer, über 60 J a h r e alt, wird von seinen Söhnen u n t e r s t ü t z t und erhält zakät. Bauer, über 60 J a h r e alt, er ist muhtär, wird von seinem Sohn unterstützt. Bauer, über 60 J a h r e alt, wird von seinen Söhnen u n t e r s t ü t z t . Bauer, über 60 J a h r e alt, erhält manchmal zakät. Angestellter, 25—30 J a h r e alt, Kontrolleur des T a b a k a n b a u e s in den Dörfern, angestellt von einer Abteilung des Landwirtschaftsministeriums. 6 Lehrer, 2 5 - 3 0 J a h r e alt. 7 Berufssoldat, Ausbilder, 35—40 J a h r e alt. 8 Pächter eines Cafe-Hauses im Nachbardorf, das er jetzt kaufte, 35—40 J a h r e alt. 9 Angestellter, 25—30 J a h r e alt, angestellt bei einer Verwaltungsstelle des Verteidigungsministeriums . 10 Oberschullehrer, 2 5 - 3 0 J a h r e alt. 11 Berufssoldat, Ausbilder, 45 J a h r e alt. 12 Student im Ausland, 23 J a h r e alt, studiert Ethnographie. 13 Medizinstudent, 20 J a h r e alt. 14 Bauer, über 60 J a h r e alt, erhält Miete von zwei kleinen Läden im Nachbarort u n d zuweilen zakät. 15 Bauer und I n h a b e r eines kleinen Ladens, 55—70 J a h r e alt. 16 Bauer, 30—35 J a h r e alt, ist oft Saisonarbeiter im Libanon. 17 Berufssoldat, 30—35 J a h r e alt. 18 Bauer, 30—40 J a h r e alt, Saisonarbeiter im Libanon. 19 Bauer, 40—45 J a h r e alt, Saisonarbeiter im Libanon, er hilft bei Maurerarbeiten im Dorf und der Umgebung. 20 Bauer, über 60 J a h r e alt, er erhält zakät. 21 Bauer, über 60 J a h r e alt, besitzt eine einfache Anlage zur Herstellung von Seide. 22 Bauer, über 60 J a h r e alt, besitzt eine einfache Anlage zur Herstellung von Seide, mit der er eine geringe Einnahme erzielt. 23 Angestellter, 25—30 J a h r e alt, arbeitet in einem Büro der Jugendorganisation. 24 Angestellter, 30 J a h r e alt, Hochschulabschluß, Handelsökonom, arbeitet in der B u c h h a l t u n g der Erdölindustrie. 25 Bauer, etwa 40 J a h r e alt, erhält Unterstützung von seinem Onkel, der in Argentinien liebt. 26 Bauer, 35—40 J a h r e alt, Saisonarbeiter im Libanon. 27 Angestellter, 30—35 J a h r e alt, angestellt bei einer statistischen Behörde des Landwirtschaftsministeriums. 28 Lehrer, 21 J a h r e alt. 29 Berufssoldat, Ausbilder, 40 J a h r e alt (1970 in einem Grenzgefecht gefallen). 30 Berufssoldat, Ausbilder, etwa 40 J a h r e alt. 31 Bauer, etwa 35 J a h r e alt, Saisonarbeiter in Libanon. 32 Berufssoldat. 3 0 - 3 5 J a h r e alt. 33 Lehrer, 2 5 - 3 0 J a h r e alt. 34 Berufssoldat, 2 5 - 3 0 J a h r e alt. 35 Student, 21 J a h r e alt, studiert Astronomie in der SU. (Situation von 1969) Verwandschaftliche

und nachbarliche

Beziehungen

Trotz der Auflösung der Großfamilie und der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Kleinfamilien bleibt die Familien- und Linien-Solidarität stark ausgeprägt. Auch nach der Heirat löst sich heute der junge Mann nicht völlig von 91

seinem Vater. Er berät mit diesem über alle seine wichtigen Angelegenheiten, und beide erwarten voneinander eine ständige Bereitschaft zu gegenseitiger Unterstützung, wenn es notwendig ist. Man hat moralische Rechte und Pflichten gegenüber seinen engeren Verwandten. Die Verantwortlichkeiten sind gewissermaßen nach dem Grad der Blutsverwandtschaft gestaffelt. Die engste Beziehung ist diejenige zwischen Eltern und Kindern, dann folgt die Beziehung zwischen den Brüdern, danach kommt die Beziehung zu den Vaterbrüdern und Mutterschwestern. Das Verhältnis zu den patrilinearen Verwandten von der Mutterseite steht demgegenüber zurück. I n manchen Fällen hat der Vaterbruder eine Stellung, die der des Vaters fast gleich kommt. Er übernimmt die Stellung des Vaters, wenn dieser nicht anwesend oder verstorben ist; allerdings nur, wenn noch kein Sohn erwachsen ist. Die Stellung des Vaterbruders wird auch durch Redewendungen im täglichen Gespräch erkennbar. Wenn z. B. jemand mit einem aus der Generation seines Vaters höflich spricht, dann wiederholt er häufig das Wort 'ammi (mein paternaler Onkel). Er sagt dies mehrere Male während eines Gespräches. Ist der Gesprächspartner eine Frau, so wird er des öfteren in seine Rede 'ammti (meine paternale Tante) einflechten. Es kommt aber auch vor, daß man zu einer Frau hälti (meine maternale Tante) sagt. L. S W E E T hat in ihrem Werk die arabische Verwandtschaftsterminologie in 12 Grundtermini gegliedert. Diese 12 Grundtermini beziehen sich alle auf die Blutsverwandtschaft. 5 3 Es gibt neben diesen noch eine weitere Reihe von Termini, die nicht bestimmte Grade der Blutsverwandschaft bezeichnen und dennoch von Bedeutung sind. Drei solcher Begriffe tauchen heute häufig auf: sihr (Schwiegersohn), hamä (Schwiegermutter) u n d k a n n e (Schwiegertochter). Der sihr hat bestimmte Pflichten gegenüber seinen Schwiegereltern, er unterhält zu ihnen immer gute und enge Beziehungen. Oft betrachtet er seinen Schwiegervater gleichwertig neben seinem Vater stehend. Der Schwiegersohn nimmt Anteil an den Problemen seiner Schwiegereltern und leistet ihnen häufig viel Unterstützung. Viele Schwiegersöhne helfen ihren Schwiegereltern bei den anstrengenden landwirtschaftli chen Arbeiten und zwar ni cht nur, nachdem sie die Tochter geheiratet haben, sondern auch vorher, wenn die Eheschließung vereinbart wurde. Der Schwiegersohn vergißt nicht, zu bestimmten Anlässen Geschenke zu bringen. Die Unterstützung für die Schwiegereltern kommt in einem Bauernsprichwort zum Ausdruck. E s lautet: äs-sihr masnad dahr (der Schwiegersohn ist eine Stütze für den Rücken). Die hamä (Schwiegermutter) und die kanne (Schwiegertochter) nehmen im allgemeinen gegensätzliche Positionen ein, besonders in der patrilokalen Großfamilie. Jede von ihnen möchte dann den Haushalt leiten und die andere unter Kontrolle halten. Diese Gegensätze waren in vielen Fällen ein wesentlicher Grund für die Auflösung der Großfamilie und die Herausbildung der neolokalen Wohnfolge, sobald die gesellschaftliche Entwicklung es erlaubte. Es ist nicht selten, daß die nachbarlichen Beziehungen in der alltäglichen Praxis von fast gleicher Bedeutung sind wie die verwandtschaftlichen. Das Verhältnis zu den Nachbarn gehört zu den traditionell fest verankerten Elementen in der 53 SWEET, 1 9 6 0 , S . 1 8 3 .

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Kultur der bäuerlichen Gesellschaft. Es kommt vor, daß die nachbarliche Beziehung enger als die verwandtschaftliche ist. Ein bäuerliches Sprichwort charakterisiert die Stellung des Nachbarn. Es lautet übersetzt: dein naher Nachbar ist besser als dein ferner Bruder. Eine andere Redewendung heißt: Suche deinen Nachbarn, bevor du dein Haus suchst. Der Nachbar ist der erste, der die Angelegenheiten seiner Nachbarn kennt. Es kommt dies in einem Wort zum Ausdruck, dessen Übersetzung lautet: „Keiner kennt deine Angelegenheiten außer deinem Gott und deinen Nachbarn." Wenn kein gutes Verhältnis zu den Nachbarn herrscht, dann fehlt ein wichtiges Glied in dem Netz sozialer Beziehungen. Ein schlechter Nachbar wird mit folgenden Worten bezeichnet: „Ein Haufen von Steinen ist besser als ein solcher Nachbar". Nachbarliche Beziehungen äußern sich bei vielen Gelegenheiten. Die Bauern helfen sich gegenseitig in der Zeit der landwirtschaftlichen Arbeitsspitzen. Gegenseitige Hilfe gibt es aber besonders im Haushalt. Wenn eine Frau verreist oder krank ist, dann sorgt die Nachbarin für ihren Haushalt. Sie bereitet auch das Essen für den Mann und die Kinder, sie melkt die Tiere und t u t anderes mehr. Gute nachbarliche Beziehungen finden ihren Ausdruck beim Austausch von Geschenken. Wenn eine Familie ein Geschenk bekommt oder ein besonders gutes Gericht zubereitet, dann bekommt der Nachbar davon einen Anteil. Ein Bauer brachte seine Stellung zum Nachbarn in dem Satz zum Ausdruck: „Die Freuden und Sorgen meines Nachbarn sind meine eigenen Freuden und Sorgen."

10. Landbesitz Kategorien

Die Bauern in den Bergdörfern besitzen im allgemeinen nur kleine Landflächen. Das Gebiet von As-Saih-Badr bildet keine Ausnahme von dieser Regel. Es gibt Besitzunterschiede zwischen den Bauern, aber schon die Tatsache, daß in AlMuraiqeb keine bäuerliche Familie allein von ihrem Land leben kann, weist daraufhin, daß diese Unterschiede nicht allzu groß sind. Aus den unterschiedlichen Flächengrößen der einzelnen bäuerlichen Wirtschaften kann kein Rückschluß auf die tatsächlichen Besitzverhältnisse gezogen werden. Die Qualität der Böden ist außerordentlich verschieden. Die Ertragsunterschiede sind sehr hoch. Das ist häufig auch eine Frage der Intensität der Bodenbearbeitung und der Pflege der angebauten Pflanzen und hängt also auch von der Zahl der Arbeitskräfte ab. Außerdem gewinnt ein Stück Land an Wert, wenn Fruchtbäume darauf stehen. Einige Kategorien des Landbesitzes, die A. T A N N O U S nennt, gibt es in Aä-Saih Badr. Es gehören dazu: Mulk-, Masa'- bzw. Staatsland und Waqf-Land. Als mulk wird das Land bezeichnet, welches die einzelnen Bauernfamilien besitzen (Siehe Familien-Tabellen). Dieses Land ist Privateigentum, der Bauer kann mit diesem 93

Land machen was er will. Er kann es vererben, verschenken, verkaufen, er kann es bebauen oder brachliegen lassen. Dieses Land wird praktisch mit dem Namen seines Besitzers bezeichnet: man sagt z. B., dieses ist das Land des Hauses Hassan. Es ist nicht nötig, sein Land bei den staatlichen Behörden registrieren zu lassen (Boden-Register). In Al-Muraiqeb gibt es nur drei Familien, die ihr Land behördlich einschreiben ließen. Das registrierte Land umfaßt zusammen 150 Donum. Der ersten Familie gehören 49 Donum, der zweiten gehören 29 Donum, und die restlichen 72 Donum sind im Besitz von drei Brüdern, werden aber von einem zusammen bewirtschaftet, da zwei Brüder staatliche Anstellungen haben. Die Grenze jedes Landstückes, ob es registriert ist oder nicht, ist eine legale Grenze und wird anerkannt. Der Vorteil der Registrierung (tabu) besteht darin, daß das Eigentum dann offiziell anerkannt ist und der Besitzer einen Kredit bei der Bank aufnehmen kann. Alle Dorfbewohner respektieren die Grenzen eines jeden Landstückes, obwohl es manchmal Probleme bei der Abgrenzung von Feldern gibt. Aber solche Fälle sind sehr selten. Streitfragen entstehen auch dann meistens nur unter den Angehörigen einer Linie. Die Grenzen der Felder werden durch einen Stein, einen Baum oder einen kleinen Pfad gekennzeichnet, außerdem ist es durch die Terrassierung leicht möglich, Ende oder Anfang eines Feldes zu erkennen. Unter die mit masa' bezeichnete Kategorie fallen das Weide- und Buschland, das nicht in die feldbauliche Nutzung einbezogen ist. Dieses Land gehört offiziell dem Staat, in der Praxis aber den Einwohnern des Dorfes. Die Landfläche wurde im Laufe der Jahrzehnte immer kleiner, das Mulk-Land vergrößerte sich auf ihre Kosten. Das Weideland nimmt ab, denn die Viehhaltung verlor an Bedeutung, besonders seit 1958. Weideland in unmittelbarer Siedlungsnähe haben die Bewohner von Al-Muraiqeb in die feldbauliche Nutzung einbezogen. Es wurde nach einer Maßeinheit, mäkle, unter die Bauern aufgeteilt. Die Zahl der mäklät (pl.) entspricht der Zahl der unsprünglichen Familien, die Al-Muraiqeb besiedelten. Von diesen Familien, die sich zu Linien ausweiteten, gibt es im Ort sechs. Das Weideland wurde deshalb in sechs mäklät aufgeteilt. Jeder dieser Teile wurde wiederum unter die Familien einer Linie verteilt. Brachland, das in größerer Entfernung von der Siedlung liegt, darf nicht bebaut oder privatisiert werden. Es gibt eine eigene Polizeibehörde, die die Aufgabe hat, das Staatsland zu schützen. Die staatlichen Vorschriften werden aber ab und zu von einzelnen Bauern verletzt. Sie machen ein Stück Land davon urbar und bearbeiten es, besonders dann, wenn es an ihr Feld abgrenzt und wenn es dort eine Wasserquelle gibt. Falls die genannte Polizei davon erfährt, werden die Bauern bestraft. Sie erhalten einige Tage Gefängnis oder eine Geldstrafe, oder beides. Manchmal achtet aber die Polizei nicht darauf, wenn sie nämlich mit dem betreffenden Bauern befreundet ist oder wenn die Polizisten von ihm einige Male zum Essen und Trinken eingeladen wurden. Waqf-Land sind Landstücke, die zu den heiligen Grabstätten gehören. Die Fläche ist in As-Saih-Badr von geringer Größe. Als Waqf-Land gelten etwa 8 Donum bei Al-Muraiqeb. Auf einem Teil der Fläche steht eine größere Anzahl von immergrünen Eichenbäumen, der andere Teil wird als Friedhof benutzt. Im Ablegerdorf G u i t gibt es eine kleine Fläche mit Nußbäumen, die zu einer 94

Grabstätte gehört. Die Früchte werden von einem Bauern aus Al-Muraiqeb geerntet und dann verkauft. Von dem Geld wird ein Hammel gekauft und geopfert. Das Fleisch wird an die ärmsten Dorfbewohner verteilt. Eine solche Maßnahme heißt hasne. Auch in Al-Andrüse gibt es eine große Anzahl von Nußbäumen, die zur Grabstätte von AS-Saih-Badr gehören. Jedes Jahr übernimmt ein Bauer den Verkauf der Früchte, und dann folgt ebenfalls eine hasne. Einige Landflächen gehören den Dorfbewohnern gemeinsam. In diese Kategorie fallen Straßen, Wasserquellen und deren unmittelbarste Umgebung und Friedhöfe, (wenn letztere nicht im Waqf-Land liegen). Ursprünglich gehört auch das Weideland dazu. Der Prophet sagte: „Die Menschen haben Teil an drei Dingen: Wasser, Feuer und Weideland!" Heute wird das Weideland von den Bauern genutzt, gehört aber offiziell dem Staat. Aktuelle

Fragen

des

Landbesitzes

Ursprünglich bildeten die Felder der Mitglieder einer 'ä'ila bzw. einer Linie eine geschlossene Fläche, und das ist auch heute noch erkennbar. Auch bei der Verteilung des ursprünglich als Weide genutzten Landes, nach der Anlage der Terrassen, erhielten die Verwandten nebeneinander liegende Feldstücke nach dem Mäklät-Prinzip. Manchmal dürfte allerdings auch nur rückblickend dieser Eindruck entstehen, da ein Bauer ein Stück Land erhielt oder kaufte und nach seinem Tode seine Söhne dieses Land unter sich teilten. Bei der nächsten Erbteilung ergibt sich es, daß Brüder und Cousins nebeneinander liegende Feldstücke besitzen. Beim Tode eines Mannes wird sein Land unter seine Söhne aufgeteilt, dabei hat jeder Sohn Anspruch auf ein gleich großes Stück Land. Die Töchter erben kein Land. Wenn ein Mann keine männlichen Nachkommen hat, so erben seine Brüder. Heute besteht der Besitz keines Bauern aus einer geschlossenen Fläche, jeder hat einige oder mehrere Felder, die oft beträchtlich weit auseinander liegen. Es gibt relativ viele Feldstücke, die nur einige 100 m- groß sind. Die starke Zerstückelung des Landes hat natürlich eine Reihe von Erschwernissen zur Folge. Der Bauer braucht viel Zeit für den Weg von einem Feld zu dem anderen, TANNOUS spricht von ähnlichen Situationen im Libanon. „The Lebanese farmer frequently owns property that consists of some 10, 15 or 20 small picts, scattores in all directions from the village where he lives. Agriculturally, this type of landholding is inefficient. The farmer wastes much time and energy in Walking from plot to plot." 54 Es wurde bereits gesagt, daß es Unterschiede im Landbesitz zwischen den Bauern gibt. Die Ursachen dieser Unterschiede sind vielfältig. Bei der Aufteilung von Landflächen nach dem Mäklät-Prinzip erhält jede Familie ein gleichgroßes Stück, aber einige Familien haben sich inzwischen stark vermehrt und verzweigt, « TANNOUS, 1949, S. 156.

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während andere Familien relativ klein verblieben sind. Daraus ergeben sich in der Gegenwart unterschiedliche Besitzgrößen. In Al-Muraiqeb verfügen zwei Familien, verglichen mit den anderen, über verhältnismäßig viel Land. Die Ursachen dafür sind sehr aufschlußreich. I m ersten Falle bewirtschaftet ein Mann das Land seines alten Vaters mit diesem gemeinsam. Seine Brüder sind ständige Armeeangehörige und ein Bruder ist Lehrer. I m zweiten Falle besitzt ein Mann das Land seines verstorbenen Vaters und das Land seiner drei Vaterbrüder. Zwei von diesen sind verstorben und der dritte wanderte nach Argentinien aus. Alle drei haben keine männlichen Nachkommen. In beiden Fällen unterlag das Land nicht einer Erbteilung wie bei allen anderen Familien. Im Falle von Erbteilungen kann sieh das Bild völlig verändern. Andere Faktoren, die zu einer Differenzierung im Landbesitz beitragen, sind die illegale Ausnutzung von Brach- oder Weideland, die schon erwähnt wurde und der Kauf. Ein Schuhmacher aus Al-Mauraiqeb erwarb z. B. Land mit Hilfe seines Berufes. Er stellte Schuhe her und gab sie gegen Landstückchen ab. Ein unterschiedlicherLandbesitzwurde auch durch dieBrautpreise gefördert. Ein Stück Land konnte früher ein Brautpreis sein. Heute besitzt jeder Bauer einige Felder von unterschiedlicher Größe und Bodenqualität. Was er anbaut, richtet sich nicht zuletzt nach der Entfernung der Felder von der Siedlung. Auf den Feldern, die in nächster Nachbarschaft des Dorfes liegen, wird häufig Tabak angepflanzt. Die entfernteren Felder werden vorzugsweise mit Getreide bestellt. Die Entfernung des Feldes von der Siedlung spielt eine große Rolle bei der Festlegung des Preises für das Land. Land in Siedlungsnähe ist grundsätzlich teurer. Besonders teuer ist das Land entlang der Hauptstraße. Im Ort As-SaihBadr kostet 1 m 2 neben der Hauptstraße 8 bis 10 Lira. Der Preisanstieg ergibt sich natürlich aus der Eignung dieser Landfläche als Bauland. Von der Straße abgelegenes Feldland ist im Vergleich dazu billig. Der Preis für 1 Donum Land mittlerer Qualität liegt bei 300 bis 400 Lira. Der Besitz eines Landstückes, das wegen seiner Lage am Verkehrsweg zu Bauland wurde, bedeutet für einige Bauern einen großen Vorteil und Gewinn. Sie verkaufen es und lassen sich selbst ein modernes Haus bauen. Größere Spekulationen und Bereicherungen auf diesem Wege gab es aber bisher nicht. Die mit dem Ausbau der modernen Infrastrukturen oft verbundene Bodenspekulation hat bis heute keinen Anteil an der sozialökonomischen Differenzierung. Das Pachten von Land hat im Untersuchungsgebiet keine Bedeutung. I n Al-Muraiqeb gibt es nur zwei Beispiele für Pacht. Im ersten Falle hat ein Bauer den größten Teil des Landes eines anderen Bauern gepachtet, weil dieser aus Altersgründen nicht mehr in der Lage ist, sein Land zu bewirtschaften. Der Pächter gibt dem Besitzer 1/3 der Erträge. Fruchtbäume, die auf den Feldern stehen, wurden nicht mit verpachtet. Der zweite Fall ist ähnlich. Der Besitzer erhält 1/3 des Getreideertrages und 3/4 der Olivenfrüchte. I n diesem Falle wurden die Olivenbäume mit verpachtet.

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11. Landwirtschaftliche Genossenschaft Durch die Initiative junger ausgebildeter Männer in Aä-Saih-Badr und besonders unter dem Einfluß der Mitglieder der Baath-Partei wurde 1966 eine landwirtschaftliche Genossenschaft gegründet. In mehreren Versammlungen und vielen Diskussionen wurden den Bauern die Vorteile der Genossenschaftsbewegung erläutert. Infolgedessen beschlossen einige von ihnen, eine Genossenschaft zu gründen. Am 20. Februar 1966 versammelten sich 27 Bauern, um sich zur landwirtschaftlichen Genossenschaft in Al-Andrüse und Al-Muraiqeb zusammenzuschließen. Sie legten ihren Wunsch und Beschluß in einem Schreiben an die Bezirksunion der Genossenschaften dar. Der Bezirk beauftragte einen Mitarbeiter des Genossenschaftswesens, der die Bauern zu einer Versammlung einberief. Bei dieser Gelegenheit wurde die Gründung der Genossenschaft perfekt. Ein Statut wurde vorbereitet, und danach wählten die Bauern die Leitung der künftigen Genossenschaft. Die Zahl der Genossenschaftsmitglieder nahm in der folgenden Zeit stark zu. Am 18. 8. 1970 hatte die Genossenschaft 121 Mitglieder. Es gibt drei Vorbedingungen für die Mitgliedschaft. Das Mitglied muß ein Bauer sein, d. h., ein Landbesitzer oder ein Pächter. In Aä-Saih-Badr gibt es nur das erstere. Zweitens darf das künftige Mitglied nicht an den Staat verschuldet sein, und drittens müssen das künftige Mitglied selbst oder andere Mitglieder seiner Familie direkt in der Landwirtschaft tätig sein. Beim Eintritt in die Genossenschaft erwirbt jedes Mitglied eine bestimmte Anzahl ashum (sing. sahm). Jeder dieser Anteile kostete in der Gründungsphase 5 Lira. Später wurde der Preis auf 10 Lira festgesetzt. Ein Mitglied ist berechtigt, bis zu 20 Anteile zu besitzen. Für jeden Anteil muß sich eine Landfläche von 10 Donum im Besitz des Mitgliedes befinden. Viele Anteile zu besitzen, wirkt sich insofern günstig aus, als deren Zahl, das bedeutet also die Landgröße, bei der Vergabe eines Kredites mit berücksichtigt wird. Die Größe der Landfläche, die sich im Besitz der Genossenschaftsmitglieder befindet, beträgt 2 409 Donum, davon sind 88 Donum bewässertes Land, auf 800 Donum stehen Frucht bäume verschiedenster Art, 1 521 Donum sind unbewässertes Land ohne Fruchtbäume. Nach dem Statut stellt sich die Genossenschaft folgende Aufgaben: Erstens: die Verbesserung der ökonomischen Lage der Mitglieder durch die Förderung des Handwerkes und die Errichtung verschiedener Institutionen. Zweitens: die Versorgung der Mitglieder mit Mitteln, die bei der Bestellung der Felder helfen und die Erträge erhöhen sollen, dazu gehören landwirtschaftliche Maschinen, Dünger, Saatgut und Mittel zur Schädlingsbekämpfung. Die Bauern sollen über die Genossenschaft auch Seidenraupeneier beziehen können. Drittens: die Gewährung von Krediten an die Mitglieder, die diese Kredite zur Verbesserung der Landwirtschaft verwenden sollen. Viertens: der genossenschaftliche Absatz und Abtransport der Produkte. Fünftens: die Einführung bestimmter Fruchtwechsel und Fruchtfolgen, die gemeinsame Verwendung hochwertigen Saatgutes und die Bekämfpung von Schädlingen. 7

Sozialökonomische Verhältnisse

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Die Genossenschaft gewährt ihren Mitgliedern Kredite in zwei Formen, nämlich langfristige Kredite mit fünfjähriger Laufzeit und kurzfristige Kredite mit einjähriger Laufzeit. Fast alle Mitglieder der Genossenschaft haben Kredite in Anspruch genommen. Deren Höhe liegt zwischen 500 und 1500 Lira. Die letztgenannte Summe ist der höchstmögliche Kredit, den ein Mitglied erhalten kann. Bei der Gewährung der Kredite wird neben der Größe der Landfläche auch die wirtschaftliche Aktivität des betreffenden Bauern berücksichtigt. Die Genossenschaft nimmt ihrerseits das Geld bei der Landwirtschaftsbank auf. In der Praxis zeigt sich, daß die Kreditgewährung eine der wichtigsten Aufgaben der Genossenschaft ist. Einzelnen Bauern könnte die Bank, da sie die Situation des Bauern nicht überprüfen kann, kein Geld leihen. Die Kreditwürdigkeit kann nur von der örtlichen Organisation der Genossenschaft eingeschätzt werden. Die Rückzahlung der Kredite soll aus Einnahmeerhöhung, die sich aus der Investition der Summe ergeben soll, erfolgen. In der Praxis sieht das aber ganz anders aus. Die Mitglieder erhalten das Geld von der Genossenschaft bar ausgezahlt. In sehr vielen Fällen wird der Kredit zweckentfremdet. Von den 25 näher untersuchten Familien waren 18 Mitglieder der Genossenschaft. Viele kleideten sich für das Geld ein oder kauften irgendwelche begehrten Gegenstände. Der plötzliche Besitz einer so ungewohnt hohen Summe verleitete sie zu unkontrollierten hohen Ausgaben. Nur einige Bauern verwendeten die ganze Summe oder einen bedeutenden Teil davon für landwirtschaftliche Zwecke. Eine Reihe von Bauern hat das Geld für die Bezahlung von Schulden, die sie beim Einkauf von Lebensmitteln gemacht hatten, verbraucht. Andere Bauern lassen sich mit Hilfe des Kredites ein modernes Haus bauen. In der Folgezeit bedauerten es viele, daß sie sich selbst dazu verleitet hatten, einen Kredit zu nehmen. Sie sahen nun plötzlich nur noch die Schuldenlast. So mancher Kredit wird heute vom Saison-Arbeitsverdienst zurückgezahlt. Die Genossenschaft gewährte bisher dreimal Kredite. Beim ersten Mal wurden 82 800 Lira an 24 Mitglieder vergeben. Beim zweiten Mal wurden 27 700 Lira an 28 Mitglieder vergeben. Beim dritten Mal erhielt ein Mitglied 1450 Lira. 18 Mitglieder der Genossenschaft hatten 1970 noch keinen Kredit erhalten, aber zehn von ihnen hatten einen entsprechenden Antrag gestellt. Die kurzfristigen Kredite werden nicht in bar ausgezahlt, sondern der Bauer erhält die betreffenden Gegenstände, dazu gehören Saatgut, Seidenraupeneier, chemischer Dünger, Küken und Obstbaumstecklinge. Im Februar 1970 wurden 13 500 kg chemischer Dünger an die Genossenschaftsmitglieder verkauft. Der Dünger wird in Säcken ä 50 kg gehandelt und kostet 16 Lira (s. Familien-Tabelle). Im Frühjahr 1970 wurden 165 Packungen Seidenraupeneier an die Genossenschaftsmitglieder für insgesamt 1403 Lira verkauft. Jede Packung enthält 12,5 g Eier. Der Preis wurde nach dem Verkauf der Seide an die Genossenschaft zurückgezahlt. Die Genossenschaft kauft gute Hühnerrassen, um dann die Tiere an die Mitglieder weiterzuverkaufen. 1970 wurden 500 Küken und zu jedem Küken 3 kg Spezialfutter verkauft. Ein Küken kostet 1 Lira, zusammen mit dem Futter 1,4 Lira. Die Genossenschaft verkaufte auch eine große Anzahl von Obststecklingen, und zwar sowohl an Mitglieder, als auch an Nichtmitglieder. Erstere wurden aber bevorzugt. Der Preis ist für Mitglieder um 25% ermäßigt. 98

Die Genossenschaft lieferte auch mehrfach Saatgut für die Mitglieder, aber es traf immer zu spät ein, das heißt nach der Feldbestellung. Die Bauern verwendeten ihr eigenes Saatgut weiter, und das gelieferte wertvolle Saatkorn wurde zu Brotgetreide. Der Versuch, einheitliche, hochwertige Getreidesorten einzuführen, ist allein aus diesem Grunde bisher gescheitert. Eine besondere Aufgabe der Genossenschaft besteht darin, an allen Entwicklungsprogrammen in ihrem Gebiet irgendwie mitzuarbeiten. 1970 spendete die Genossenschaft z. B. 1500 Lira für den Aufbau einer Oberschule in A§-Saih-Badr. Die Vollversammlung der Genossenschaftsmitglieder wählt einen Leitungsrat, der für ein J a h r amtiert. Dieser R a t besteht aus 7 Mitgliedern. Sie treten nach ihrer Wahl zusammen und verteilen die Aufgaben unter sich. Es gibt einen Vorsitzenden, einen Stellvertreter des Vorsitzenden, einen Sekretär, einen Kassierer einen Verantwortlichen für Lagerung von Produkten und 2 Ratsmitglieder ohne spezielle Funktion. Außerdem gibt es 2 Ersatzkandidaten. Die wichtigste Rolle spielt in der Praxis der genossenschaftlichen Arbeit der vom Staat eingesetzte Beauftragte für die Genossenschaft, der neben dem Vorsitzenden steht. Er hat eine Fachschulausbildung und studiert jetzt neben seiner Arbeit an der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Damaskus weiter. Er übt tatsächlich eine Kontrolle über die gesamte Arbeit aus. Er leitet die Versammlung des Leitungsrates. Er erledigt die gesamte Buchhaltung und gibt den Bauern oft Hinweise für ihre landwirtschaftliche Arbeit. Dieser staatliche Angestellte ist ein Mittler zwischen der Genossenschaft und den staatlichen Behörden. Er schreibt die Protokolle über die Arbeit der Genossenschaft für die übergeordnete Stelle im Bezirk. Er sorgt auch dafür, daß Vertreter des veterinärmedizinischen Betreuungsdienstes vom Landwirtschaftsministerium kommen, wenn eine Tierkrankheit ausgebrochen ist. Er ist aber nicht nur für die Genossenschaft von Al-Andrüse und Al-Muraiqeb zuständig, sondern trägt noch die gleiche Verantwortung für 6 ähnliche Genossenschaften in der Umgebung. Jede dieser Genossenschaften besucht er viermal monatlich. Die Genossenschaft von Al-Andruse und Al-Muraiqeb ist also keine Produktionsgenossenschaft. Das wichtigste Ziel der Genossenschaft, die Erhöhung des Marktanteils der Produktion, konnte nur bis zu einem gewissen Grade und unter vielen Schwierigkeiten verwirklicht werden. Die Genossenschaft besitzt keine Produktionsmittel, wie Traktoren oder landwirtschaftliche Maschinen. Diese könnten auch aus geographischen Gründen, wie bereits ausgeführt wurde, kaum eingesetzt werden. Ganz abgesehen von den durch die Geographie bedingten Problemen ergeben sich aber noch viele andere Schwierigkeiten. Es fehlen erfahrene Kader, die die genossenschaftliche Arbeit vorantreiben können. Die Bauern haben bisher nur ein sehr geringes genossenschaftliches Bewußtsein. Sie beachten auch Hinweise der Behörden des Landwirtschaftsministeriums und anderer staatlicher Stellen nicht oder in ungenügendem Maße. Bei vielen Bauern zeigt sich, daß ein in der Vergangenheit begründetes Mißtrauen gegenüber allem, was vom Staate kommt, noch nicht beseitigt ist, und deshalb stößt die Realisierung vieler Maßnahmen, auch im genossenschaftlichen Bereich, auf große Schwierigkeiten. Begeht die Leitung der Genossenschaft einen Fehler, so erklären alle ihre Unzufriedenheit, 7*

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ohne daran zu denken, daß sie selbst mitverantwortlich für diese Fehler sind. Manche Bauern erwarten, daß die Genossenschaft ihnen hilft und sind sich gar nicht darüber klar, daß sie ja selbst diese Genossenschaft sind. Viele weigern sich, irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Befragt man einzelne Bauern über ihre Meinung zu der Genossenschaft, so ergibt sich ein recht heterogenes Bild. Eine beachtliche Anzahl von Bauern ist im großen und ganzen mit der Genossenschaft zufrieden, weil sie durch die Genossenschaft von der Abhängigkeit, in die sie oft durch die Händler gerieten, befreit wurde. Von diesen Händlern mußten sie früher viele Dinge beziehen, die sie jetzt über die Genossenschaft bekommen. Eine andere Gruppe von Bauern, die Genossenschaftsmitglieder sind, betrachten ihre eigene Genossenschaft als eine Art Ausbeuterinstitut einfach deshalb, weil sie bei der Rückzahlung der Kredite 5 % Zinsen zahlen müssen. Dieser Zinssatz liegt vor den Bauern offen zutage, während die tatsächliche Ausbeutung, der sie durch die Händler unterliegen, viel verschleierter ist, eben deshalb ihnen nicht bewußt ist und kaum als Ausbeutung empfunden wird. Die Leitung der Genossenschaft hat — vom staatlichen Beauftragten abgesehen — nur wenige Arbeiten zu erledigen. Sie existiert bis zu einem gewissen Grade nur nominell. Sie besteht aus jüngeren Bauern, daß heißt aus Männern der Altersgruppe zwischen 35 und 45 Jahren, die schreiben und lesen können, weil sie einige Zeit die Schule besucht haben. Die Angehörigen der jüngeren Jahrgänge mit abgeschlossener Schulbildung arbeiten nicht mehr in der Landwirtschaft. Auch die Vollversammlung der Mitglieder ist keine aktiv beratende, beschließende und arbeitende Institution. Sie wie auch die Leitung üben kaum Kontrollfunktionen aus. Problematik und Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Entwicklungsetappe bestehen auch darin, daß die Initiatoren der Genossenschaft zwar überwiegend aus bäuerlichen Familien stammen, aber selbst nicht landwirtschaftlich tätig sind. Die Träger des Genossenschaftsgedankens müssen auf die Dauer die Bauern, das heißt die Produzenten selbst sein. Außer einer entsprechenden Bildungsarbeit setzt dies vor allem entscheidende Entwicklungen auf dem Gebiete der Produktionsmittel voraus, verbunden mit der Entwicklung genossenschaftlicher Formen der Arbeit und der Übernahme von mehr Verantwortlichkeiten durch die Bauern.

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II. Händler,

Handwerker

und

Angestellte

Neben den Bauern und den Angestellten, deren Zahl auf Grund der administrativen Funktion von As-Saih-Badr angewachsen ist, gehören zu der Bevölkerung der genannten Orte Händler und Handwerker. Mehrere Kleinhändler und Handwerker sind aus anderen Dörfern zugewandert und waren vorher Bauern. Einige sind dies noch heute Die Hauptarbeit auf den Feldern verrichten dann ihre F r a u e n und ihre größeren Kinder.

1. H ä n d l e r Noch vor wenigen J a h r z e h n t e n bestand der Handel im Untersuchungsgebiet vorwiegend im Austausch. Die Händler wanderten von einer Siedlung zur anderen und f ü h r t e n zwei Körbe mit sich. I n dem einen K o r b war das Warenangebot, und in dem anderen K o r b waren die Eier, die als Zahlungsmittel genommen wurden. Ein solcher Händler f ü h r t e Streichhölzer, Seife u n d verschiedene Genußmittel mit sich. Eine größere Anzahl dieser Händler n a h m als Bezahlung auch Seidenraupenkokons und Getreide. Dieser Wanderkleinhandel ist weitgehend, aber noch nicht völlig verschwunden. E s gibt einige Wanderhändler (siniye), die angeblich alle aus dem Dorf „Sin" stammen und deshalb so genannt werden. Ein Wanderhändler hat einen Esel, mit dem er seine Artikel transportiert. E r handelt heute vor allem mit Nähzeug, Toilettenartikeln, F a r b e n , Kinderspielzeug, Weihrauch und einer großen Anzahl verschiedener anderer Dinge. Wenn er ins Dorf k o m m t , so r u f t er auf einem Platz seine Waren aus u n d geht d a n n von einem H a u s zum anderen. Ihre Zahl ist aber sehr gering geworden, und in Al-Muraiqeb sieht man heute nur noch vier- oder f ü n f m a l im J a h r einen solchen Händler. I n den letzten zwei J a h r z e h n t e n wurde eine Reihe von Läden eröffnet, und dort spielt sich jetzt im großen und ganzen der Handel ab. Vor etwa 20 J a h r e n gab es in As-Saih-Badr erst zwei Läden. Aber bald wurden einige weitere eröffnet. Das hängt mit der gesamten ökonomischen und sozialen Entwicklung zusammen. F r ü h e r war die K a u f k r a f t der B a u e r n so niedrig, daß sie kaum etwas von den Händlern beziehen konnten. N u r bei bestimmten feierlichen Anlässen oder auch bei Krankheitsfällen k a u f t e der Bauer einige Genußmittel. Die einzige größere Ausgabe ergab sich, wenn die Bauern Kleidung kauften. Diese wurde vorwiegend von dem Verdienst bezahlt, den sie bei der Saisonerntearbeit erwarben. Der Bezug vieler kleiner Dinge erfolgte wie gesagt durch Austausch. Die Ware-Geld-Beziehung gewann erst in der letzten Zeit ständig an Bedeut u n g . Dazu trugen zwei Faktoren bei. Erstens h a t sich die Produktion der Bau101

ern für den Markt, vor allem durch den Tabak-Anbau, etwas erweitert, und die Bauern verdienen durch die Saisonarbeit mehr Geld als früher. Zweitens stieg auf Grund der administrativen Funktion von As-Saih-Badr die Anzahl der Personen, die ein ständiges Gehalt vom Staat bekommen. Diese meist zugewanderten Angestellten haben keinen Landbesitz, sie kaufen alle benötigten Lebensmittel. Die ersten Ladenhändler stammten aus Al-Andrüse und Al-Muraiqeb. Anfang der 60er Jahre eröffneten Einwohner aus anderen Orten der Umgebung Läden im Zentralort. Räumlich konzentrieren sich die Händler heute in der Hauptstraße von As-Saih-Badr. Auf beiden Seiten der Straße stehen jetzt etwa 15 kleine Ladengeschäfte. Neun Läden sind im Besitz von Einwohnern aus AlAndrüse und Al-Muraiqeb. Sechs gehören Händlern aus anderen Dörfern. Die letzteren haben ihre Familien im Heimatdorf gelassen und wandern, wenn es nicht allzuweit ist, jeden Morgen zu ihrem Laden und jeden Abend in ihr Herkunftsdorf zurück. Händler, die aus entfernteren Dörfern stammen, gehen nur zweimal in der Woche nach Hause. Zur Zeit der Feldbestellung und in der Erntezeit schließen sie ihren Laden. Auch von den Kleinhändlern, die aus As-Saih-Badr stammen, haben einige kleinen Landbesitz. Die aus dem Ort stammenden Händler sind die wohlhabenderen. Sie besitzen die größeren Läden, haben aber einmal mit dem Eiertauschhandel angefangen. Einige von ihnen handeln heute nicht mehr mit den vielen kleinen genannten Artikeln, sondern sie verkaufen Stoffe, Kleidungsstücke, Schuhe und Haushaltsbedarf. Bei den kleinen Händlern sieht man viele Artikel zu Preisen, die unter 5 Lira liegen. Außer den Süßigkeiten, die man in jedem Laden kaufen kann, führen sie einfachen Küchen-und Haushaltsbedarf, Toilettenartikel, Kerosinlampen, Batterien für Transistorgeräte, Taschenlampen und Papierartikel. Diese Händler beziehen alles aus der Stadt, besonders aus Tartous oder Horns. Sie sind nicht selten von den größeren Händlern in diesen Städten stark abhängig. Die höheren Profite erzielen die Händler heute mit dem Verkauf von Stoffen und Kleidungsstücken, manchmal aber auch mit dem Verkauf von Nahrungsmitteln. Es wird grundsätzlich auf Kredit verkauft . Jeder Händler führt ein Buch, in dem die Schulden der Kunden stehen. Wenn ein Bauer oder ein Angehöriger anderer Bevölkerungsgruppen etwas kauft, so wird der Preis nur sehr selten sofort bezahlt. Der Händler schreibt die Schulden an. Die Zahltermine liegen bei jedem Kunden anders. Sie hängen in erster Linie von der Art des Einkommens ab. Diejenigen, die ein regelmäßiges monatliches Gehalt beziehen, bezahlen am Ende des Monats, und dann beginnt der Händler mit der neuen Schuldeneintragung. Wenn der Kunde ein Bauer ist, sieht das Ganze anders aus. Viele Bauern sind in hohem Maße von den Händlern abhängig. Jeder dieser größeren Händler, die mit Stoffen und anderen teueren Waren handeln, hat einen bestimmten Kundenkreis. Es sind natürlich überwiegend Bauern, Diese beziehen Stoffe und Kleidung, ohne sofort zu bezahlen, und in vielen Fällen erkundigen sie sich nicht einmal nach dem Preis. Der Händler trägt die Schulden ein, und er legt dabei den Preis innerhalb eines gewissen Rahmens nach Gutdünken fest. I m allgemeinen kann man sagen, daß ein Händler in solchen Fällen etwa 25% auf den normalen Preis aufschlägt. 102

Da die Bauern kein regelmäßiges Einkommen haben, bezahlen sie nach dem Verkauf von Tabak und Seide. Häufig haben sie sich verpflichtet, nach der Seidengewinnung diese direkt an den Händler zu geben, um ihre Schulden abzuzahlen. Der Händler zahlt für die Seide einen festen Preis. Nachdem die Händler den größten Teil der Seidenproduktion in den Dörfern von ihren Kunden erhalten haben, verkaufen sie die Seide in der Stadt und erzielen dabei einen hohen Gewinn. Jeder Händler hat einen festen Kundenkreis, In A§-§aih-Badr kann oft ein Händler nicht alle Bedürfnisse seiner Kunden decken. Es kann sich daraus leicht die Situation ergeben, daß ein Bauer bei 2 oder 3 Händlern ein Schuldkonto hat und von diesen abhängig ist. Um das zu vermeiden, bemühen sich die Bauern darum, nur bei einem Händler auf Kredit zu kaufen. Wollen sie eine Ware beziehen, die es nur bei einem anderen Händler gibt, so zögern sie nicht, sich von ihrem Händler Geld zu borgen. Der Bauer leiht auch Geld von seinem Händler, wenn er aus irgendeinem Grunde, z. B. bei Erkrankung eines Familienmitgliedes, eine größere Summe braucht. Es konnte beobachtet werden, daß die Händler in solchen Fällen keine Zinsen nehmen. Ihr Vorteil liegt vielmehr darin, daß sie auf diesem Wege einen festen Kundenkreis an sich binden. In As-Saih-Badr gibt es zwei Händler, die einen besonders großen Kundenkreis haben und bei denen ständig eine sehr große Anzahl von Bauern verschuldet ist. Jeder der beiden besitzt einen Laden für Kleidung und Textilien, der eine verkauft auch Mehl und Korn. Die beiden Händler zusammen besitzen noch einen Autobus, der zwischen As-Saih-Badr, Tartous und Horns verkehrt. Außerdem haben sie, ebenfalls gemeinsam, ein Fracht- und Personenauto vom Typ Landrover, das regelmäßig zwischen As-Saih-Badr und Tartous fährt. Sie besitzen gemeinsam auch eine motorgetriebene Mühle und eine Ölpresse. Ihr relativ hohes Einkommen resultiert aus diesem Besitz und nicht allein aus dem Handel. Diese beiden Händler sind ein Musterbeispiel dafür, in welcher Form heute Handelsgewinne angelegt werden. Sie repräsentieren die typische Entwicklung eines dörflichen oder landstädtischen Kleinkapitalismus. Übrigens haben beide vor mehreren Jahren als ganz kleine Händler angefangen. Außer den Ladengeschäften, die sich im Hauptort As-Saih-Badr konzentrieren, gibt es zwei kleinere Läden in Al-Muraiqeb, die sich im Besitz von Bauern befinden (s. Seite 55). Einen kleinen Laden derselben Art gibt es in P a h r alMitin.

2. H a n d w e r k e r Verglichen mit den anderen Bevölkerungsgruppen spielen die Handwerker im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben keine große Rolle. Die Zahl der Handwerker im Gebiet von As-Saih-Badr ist gering, und sie sind der Konkurrenz des städtischen Handwerks ausgesetzt. Dabei bildet der Schmied eine Ausnahme. Abhängigkeitsverhältnisse in der Art, wie sie gegenüber den Händlern bestehen, gibt es zwischen Bauern und Handwerkern nicht. Die Handwerker sind ihrer Herkunft nach recht heterogen, einige von ihnen sind aus verschiedenen Orten zugewandert, manche erst vor wenigen Jahren und haben ihre Werkstätten in As-Saih-Badr eröffnet. Es gibt aber auch altansässige Handwer103

ker. Dazu gehören ein Schuhmacher, ein Tischler, zwei Schmiede und ein Haarschneider. Der Schuhmacher stammt aus Al-Muraiqeb und hat seine Werkstatt heute in As-Saih-Badr. E r erlernte den Beruf von seinem Vater und hat nach und nach selbst soviel dazugelernt, daß er heute in der Lage ist, auch modernes Schuhwerk herzustellen, allerdings kann sich dieses nicht immer mit den Erzeugnissen aus der Stadt vergleichen. Viele Leute beziehen aber ihr Schuhwerk aus der Stadt, und zu seiner Kundschaft gehören überwiegend die älteren Einwohner. Der Tischler stammt aus dem Hauptort Aä-Saih-Badr. Er stellt einige einfache Möbel und Bedarf für den Hausbau, z. B . Fenster und Türen her. Seine Werkstatt ist sehr einfach eingerichtet. E r besitzt nur Handgeräte. Häufig beschränkt sich seine Arbeit auf Reparaturen. Zwei Brüder üben das Schmiedehandwerk aus. Sie haben viel Arbeit und keine Konkurrenz. Sie sind in der weiteren Umgebung die einzigen. Beide besitzen außerdem etwas Land. Die Bauern aus den Dörfern im weiteren Umkreis bringen ihre Arbeitsgeräte, um sie reparieren zu lassen, und sie kaufen dort auch, allerdings seltener, neue Geräte. Viele Bauern beziehen neue Geräte heute aus der Stadt, dennoch wirkt sich diese Konkurrenz auf die beiden Schmiede kaum negativ aus, denn ein neues Gerät wird nur einmal in zwei oder mehr Jahren erworben, aber Reparaturen müssen die Bauern sehr oft ausführen lassen. Der große Kundenkreis sichert den beiden Schmieden noch ein beachtliches Einkommen (s. Seite 82). Sie sind mehrfache Besitzer moderner Häuser, die sie vermietet haben (s. Seite 41) und sie investieren ihr Einkommen in den Bau weiterer Häuser. Der Haarschneider stammt aus dem Hauptort. Er hat einen kleinen Laden, wo er seinen Beruf ausübt. In den letzten drei Jahren siedelten sich im Dorf einige neue Handwerker an. Dazu gehören ein Radio-Techniker, ein Uhrmacher und ein Herren-Maßschneider. Sie haben Wohnungen und Werkstätten gemietet. Ihre Familien blieben in ihren Heimatdörfern zurück. Der Uhrmacher hatte früher eine Werkstatt in einer Stadt. E r kam nach A§-Saih-Badr, weil er hier keine Konkurrenz hat und sich deshalb einen guten Verdienst erhoffte. Der Maßschneider hat eine richtige Lehre bei einem Meister hinter sich. E r siedelte sich ebenfalls der Kundschaft wegen in A§-Saih-Badr an und begibt sich nur einmal wöchentlich in sein Heimatdorf. E r erhält für das Nähen eines Anzugs 45 Lira, für eine Hose 7 Lira und für ein Hemd 5 Lira. Das sind, verglichen mit den Maßschneidereien in der Stadt, niedrige Preise. Obwohl das Handwerk für die materielle Kultur der bäuerlichen Bevölkerung von großer Bedeutung ist, ergeben sich doch keine dauernden Bindungen zu bestimmten Handwerkern, wenn wir vom Schmied absehen. Handwerkliche Produkte erwerben die Bauern im allgemeinen von den Händlern. Die Händler von As-Saih-Badr kaufen handwerkliche Produkte entweder direkt von den Handwerkern in der Stadt, oder sie beziehen sie ihrerseits von größeren Händlern. Es kommt nur selten und vereinzelt vor, daß ein Bauer direkt bei einem Handwerker in der Stadt etwas kauft. Wenn Bauern in die Stadt fahren, erwerben sie dort zuweilen das eine oder andere handwerkliche Produkt, wenn sie es billiger als bei dem Dorfhändler bekommen. Den materiellen Kulturbesitz der Bauern kann man seiner Herkunft nach in 5 Kategorien ordnen: Zur ersten gehören die selbstproduzierten hausgewerbli104

chen Gegenstände. Darunter fallen die Schlafmatratzen, Strohtabletts und aus Stroh gefertigte Getreidebehälter, sowie auch die größeren Getreidespeicher aus Tonerde. Die Herstellung dieser Dinge ist überwiegend eine Frauenarbeit. Zweitens gibt es eine Reihe von Produkten, die von einigen Bauern im Dorf, die besondere Fertigkeiten haben, für den Eigenbedarf und den Bedarf der anderen hergestellt werden. Diese Bauern kann man aber nicht als Handwerker bezeichnen, da es sich nur um eine Nebenarbeit handelt. Es gehören zu diesen Dingen der hölzerne Teil des Pfluges, das Joch, mit dem die Tiere angespannt werden, der Dreschschlitten, die Erntekörbe, weitere große Körbe für den Strohund Misttransport, und früher kamen dazu noch Holzlöffel und hölzerne Eßschalen, von denen man jetzt nur bei einigen Bauernfamilien noch wenige Exemplare findet. Zu dieser Gruppe der materiellen Kulturgüter gehören auch die steinernen Handmühlen und Mörser, die aus Basaltsteinen hergestellt werden. Insgesamt bildet diese Kategorie, wie man sieht, einen beachtlichen Teil der materiellen bäuerlichen Kultur. Die dritte Kategorie bilden Gegenstände, die von einheimischen Handwerkern produziert werden. Dazu gehören in erster Linie die vom Schmied hergestellten landwirtschaftlichen Geräte, nämlich die eiserne Spitze des Pfluges (sikke), die große Rodehacke (qazma), die kleinere Hacke zum Auflockern des Bodens (fäs), die kleine Jäthacke (manküä), die Sichel zum Abschlagen von kleinen Zweigen und die Getreidesichel (mangal). Tatsächlich ist der Schmied für die Bauern der wichtigste Handwerker. Diese kaufen fast alle Geräte für die Feldarbeit bei ihm und lassen sie auch bei ihm reparieren. Nur die Schaufel (raf§) wird nicht von diesem Schmied hergestellt, sondern von einem Händler bezogen. In seiner Bedeutung an zweiter Stelle steht der Schuster. Er repariert Schuhe und die Wassersäcke aus Gummi (räwi), mit denen das Wasser auf Eseln transportiert wird. Der Schuster verkauft auch solche Wasserbehälter, die er selbst herstellt. Allerdings macht sich hier die Konkurrenz der Industrieprodukte, die bei den Händlern erhältlich sind, sehr bemerkbar. Zur vierten Kategorie gehören die Produkte des städtischen Handwerks und zur fünften industriell gefertigte Gegenstände. Produkte des städtischen Handwerks werden über die Händler bezogen, aber die Bauern kaufen immer häufiger Industriewaren, da diese auch mehr vom Händler angeboten werden. In den Läden gibt es sowohl handwerkliche als auch industrielle Produkte aus dem eigenen Land und industrielle Importprodukte. In jeder Beziehung nimmt das Angebot industrieller Waren zu. So werden z. B. die kupfernen Küchengeräte der handwerklichen Produktion von Gefäßen und Geräten aus Aluminium der industriellen Produktion abgelöst. Die einheimischen Handwerker in As-Saih-Badr besitzen alle etwas Land, das sie bestellen. Der Rückgang des Handwerks hat sie gezwungen, außer ihrer bäuerlichen Tätigkeit auf ihren kleinen Landstücken, noch Gelegenheitsarbeiten zu verrichten. Von den drei Schuhmachern in As-§aih-Badr hat einer seinen Beruf ganz aufgegeben. Jetzt fährt er des öfteren nach dem Libanon, um dort als Gelegenheitsarbeiter Geld zu verdienen. Auch die anderen beiden Schuhmacher beziehen einen großen Teil ihres Einkommens heute nicht mehr aus ihrem Beruf, sondern aus ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit. In der Zukunft wird vielleicht 105

auch der Schmied, der jetzt noch einen bedeutenden Kundenkreis und viel Arbeit hat, von dieser Entwicklung bedroht werden. Diese Frage hängt allerdings mit dem Problem der Weiterführung und Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion überhaupt zusammen. Da die Jugend fast völlig aus den Orten abwandert oder aber zu Hause nicht mehr bäuerlich tätig sein will, wird sich auch der Kundenkreis des Schmiedes verkleinern. Andererseits wird eine Modernisierung der Landwirtschaft und die Zunahme industriell hergestellter Gegenstände aller Art im Besitz der Bevölkerung die Basis für die Entwicklung von Reparaturhandwerken verbreitern. Eine besondere Stellung haben die Fleischer, die Café-Haus-Besitzer und der Bäcker. In As-Saih-Badr gibt es zwei Fleischer. Der erste stammt aus Al-Andrüse und betreibt neben der Fleischerei auch Landwirtschaft. Als Fleischer arbeitet er seit 1950. Er schlachtet Hammel und Böcke. Es ist eine alte Alawitentradition, abgesehen von Geflügel, nur das Fleisch männlicher Tiere zu essen. Dieser Fleischer besitzt auch ein kleines Café, das aber nur im Sommer in Betrieb ist. Der zweite Fleischer ist aus einem Dorf der Umgebung zugewandert. Er geht jeden Abend in sein Heimatdorf zurück und kommt jeden Morgen nach As-SaihBadr. Die Fleischer schlachten Tiere, die sie von den Bauern kaufen und verkaufen das Fleisch. Einen Teil des Fleisches verkaufen sie auf Holzkohle gebraten auf einer Art Verkaufsstand portionenweise mit einem Stück Brot. Ein kg Fleisch kostet 5,5 Lira, gebraten kostet es etwas mehr. Ein Fleischer schlachtet in der Woche durchschnittlich fünf Tiere, aber es gibt Unterschiede je nach der Jahreszeit. Im Sommer verkaufen sie mehr Fleisch, da dann mehr fremde Besucher in den Dörfern sind. Der Fleisch-Konsum der Bevölkerung unterscheidet sich von Familie zu Familie und je nach Gruppenzugehörigkeit beträchtlich. Die Bauern kaufen am wenigsten Fleisch. Sie verbrauchen mehr andere Nahrungsmittel und halten sich außerdem Hühner. Für viele Bauern ist das Fleisch zu teuer. Bei der Befragung von 25 Familien ergab sich folgendes: 5 Bauern kauften einmal in der Woche Fleisch, ein Bauer dreimal und ein weiterer Bauer einige Male pro Woche. Alle anderen Bauern kauften Fleisch nur bei bestimmten Gelegenheiten, nämlich zu traditionellen Festen und bei Familienereignissen. Ganz anders ist der Fleischkonsum anderer Bevölkerungagruppen. Die Angestellten, die ein monatliches Gehalt beziehen, verbrauchen weit mehr Fleisch. Viele von ihnen kaufen es täglich. Besonders gilt das für Techniker, die nicht aus dem Ort stammen, sondern auf Grund ihrer Funktionen zugewandert sind. Es gibt in As-Saih-Badr vier Café-Hauser und ein kleines in Al-Muraiqeb. Sie sind fast nur im Sommer besucht. Im Winter ist die Zahl der Gäste gering. In jedem Café-Haus gibt es ein Transistor-Radio, und es besteht die Möglichkeit, sich mit einigen traditionellen Spielen die Zeit zu vertreiben. Die Gäste sitzen meist im Schatten von Bäumen, und es wird Mate, Café und Tee getrunken, in geringen Mengen auch Bier und Wein, letztere vor allem von jungen Leuten. Auch im Café-Haus bezahlen die meisten Gäste nicht sofort, sondern sie lassen anschreiben, die Rechnung wird dann am Ende des Monats, nach der Saisonarbeit oder nach dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte beglichen. 106

Drei der Café-Häuser-Inhaber sind altansässig, der vierte ist zugewandert. Er pachtete ein Café-Haus und führt die Pachtsumme regelmäßig an den Besitzer ab. Vor drei Jahren eröffneten drei Männer aus Al-Andrüse eine Bäckerei, in der ausschließlich Brot hergestellt wird. Sie kaufen das Mehl von einer staatlichen Versorgungsstelle in Tartous und backen täglich etwa 200 kg Brot. Der Kundenkreis besteht vor allem aus den Angestellten, weil diese kein eigenes Getreide haben. Die meisten Bauernfamilien backen, wie beschrieben, ihr Brot selbst.

3. Angestellte Die dritte Bevölkerungsgruppe bilden die Angestellten, die in den verschiedenen staatlichen und kommunalen Institutionen tätig sind. Die Angehörigen dieser Gruppe erhalten ein regelmäßiges monatliches Gehalt. Sie haben mit wenigen Ausnahmen eine abgeschlossene Schulbildung und eine Fachausbildung. Aber der Grad des Ausbildungsniveaus ist bei den einzelnen außerordentlich unterschiedlich. Diese jungen Angestellten spielen unter den gegenwärtigen Bedingungen eine große Rolle in der Entwicklung des gesamten Gebietes. Ihre Aktivität zeigt sich in ihrer Arbeit in den Massenorganisationen, die von ihnen geleitet und kontrolliert werden. Ihr Prestige innerhalb der gesamten Bevölkerung hat ständig zugenommen, und die bäuerliche Bevölkerung vertraut ihnen weitgehend. Die Bauern sind davon überzeugt, daß diese Bevölkerungsgruppe die Führung und Anleitung auf dem Wege in die Zukunft für sich beanspruchen kann. Oft holen sich z. B. Bauern bei einem der Angestellten Rat über die Zukunft ihrer Kinder. Auf Grund ihrer Ausbildung und ihres auch beruflich bedingten weiteren Blickfeldes gelten sie als Menschen mit großer Erfahrung, und das verstärkt ihr Ansehen. Das auf Erfahrung begründete Prestige hängt im Falle dieser Gruppe in keiner Weise vom Alter der Person ab, wie dies früher überwiegend der Fall war. Die Ausgebildeten sind in der Regel viel jünger als die Mehrzahl der Bauern. Sie gehören fast alle der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren an. Nur ein Mann bildet mit 45 Jahren eine Ausnahme. Er war der erste Hochschulabsolvent in As-SaihBadr (Jurist). Er ist ein Sohn aus einer wohlhabenden Saih-Familie. Das Ansehen der neuen Gruppe hat zur Folge, daß viele Bauern in diesen jungen Männern Vorbilder für ihre Kinder sehen. Diese ganze Entwicklung führte natürlich zu einem oft scharfen Konflikt zwischen den traditionellen Autoritäten des Dorfes und den Angehörigen dieser jungen ausgebildeten Generation. Die Bauern verhalten sich in diesem Konflikt recht unterschiedlich. Sie gehen einen gewissen Kompromiß ein. Ihre geistige Abhängigkeit von den traditionellen Autoritätsträgern, den suyüh, die sich im Laufe vieler Generationen herausgebildet hat, können sie nicht so einfach lösen. Die Rolle der Suyüh beruht j a auch auf ihren religiösen Funktionen, und dieses religiöse, mit vielen rechtlichen Aspekten verbundene Ansehen besteht zum Teil noch. In der alltäglichen Praxis nimmt aber die Rolle der ausgebildeten Schicht ständig zu. Es hat sich 107

gezeigt, daß die suyüh nicht in der Lage sind, unter den herrsehenden Verhältnissen Wesentliches zur Verbesserung der Lebenssituation und zu der gesamten Entwicklung beizutragen. Die Autorität der suyüh ist deshalb auf den religiösen Bereich beschränkt, bzw. die Tendenz läuft in dieser Richtung. Das Interesse der jungen Angestelltengruppe konzentriert sich auf die materielle Entwicklung ihres Gebietes in den verschiedenen Bereichen des Lebens. Die Aktivität der ausgebildeten Jugend führte zur Realisierung mehrerer Entwicklungsvorhaben und zur Einleitung weiterer Programme. Dazu gehören die Errichtung einer medizinischen Hilfsstation, einer Oberschule und die Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaft. Gleiches gilt für den B a u einer Wasserleitung. Durch die Initiative dieser jungen Männer wurde 1970 der Bau einer Oberschule in Angriff genommen. Sie erklärten den Einwohnern von Aä-Saih-Badr die Bedeutung dieses Vorhabens und forderten alle zur Mitarbeit auf. Nachdem sie viel Überzeugungsarbeit geleistet hatten, wurde ein Antrag an die staatlichen Behörden gestellt, in dem besonders die Bereitschaft der Bevölkerung zur Mitarbeit herausgestellt wurde. Hinzu kam die Erklärung, daß die Bevölkerung bereit sei, einen Teil der Kosten selbst zu tragen. Im Rahmen der Massenorganisationen (Baath-Parteiorganisation, Union der revolutionären Jugend, Frauenunion) wurde Geld gesammelt. Die zu erbringenden Arbeitsleistungen wurden festgelegt. Die Oberschule konnte auf diesem Wege tatsächlich errichtet werden. 1964 wurde die Straße zwischen dem Hauptort Aä-Saih-Badr und Al-Muraiqeb gebaut auf die Initiative der Angestelltengruppe hin. Sie trug auch einen Teil der Kosten. Jeder Angestellte aus Al-Muraiqeb spendete z. B . 100 Lira. Auch alle anderen Bevölkerungsgruppen haben Geld gespendet, wenn auch entsprechend ihren Möglichkeiten etwas weniger. Vom Staat wurden die Maschinen und der Asphalt zur Verfügung gestellt. Die Bevölkerung stellte die Arbeitskräfte, wobei die zu erbringenden Leistungen unter Berücksichtigung der Familiengröße aufgeteilt wurden. Das Gewicht der Aktivität dieser jungen ausgebildeten Männer ergibt sich aus ihrer Zusammenarbeit in den Massenorganisationen, denn beruflich sind sie in den verschiedensten Bereichen tätig. Unter der Angestelltengruppe muß man wiederum zwei Untergruppen unterscheiden. Die erste wird von den staatlichen Angestellten gebildet, die von außerhalb des Ortes zugewandert sind, als die administrative Funktion von A5-SaihBadr aufgewertet wurde. Diese Gruppe spielt keine große gesellschaftliche Rolle. Ihre Angehörigen sind in erster Linie an ihren Arbeitsplatz gebunden. Sie zeigen wenig Interesse an ihrer gesellschaftlichen Umgebung. Es gehören dazu einige Lehrer, die Polizisten, die Tabak-Kontrolleure und einige Mitarbeiter in verschiedenen Büros. Die zweite Untergruppe wird von den jungen ausgebildeten Männern aus dem Ort gebildet. Ein Teil dieser jungen Männer ist außerhalb der Heimat in staatlichen Institutionen tätig, aber sie halten sich oft besuchsweise zu Hause auf und spielen dann eine gewisse gesellschaftliche Rolle. Der andere Teil dieser jungen Männer arbeitet im Ort, und er hat den größten Anteil an aller gesellschaftlichen Arbeit und allen Entwicklungsinitiativen. Die Angehörigen der Gruppe der Ausgebildeten kommen aus verschiedenen bäuerlichen Familien. Ursprünglich war es nur, wie bereits ausgeführt wurde, 108

wenigen Angehörigen der Saih-Familien möglich, eine Schulbildung zu erhalten. Heute kann von einem Bildungsprivileg keine Rede mehr sein, so daß es keine besondere Beziehung zwischen den jungen Intellektuellen und bestimmten Familienverbänden gibt. Auf den Tabellen wird die Zusammensetzung der Angestelltengruppen deutlich. Angestellte, die a u s Al-Andrüse u n d Al-Muraiqeb s t a m m e n u n d a u ß e r h a l b der Heim a t o r t e t ä t i g sind Tätigkeit Angestellter im P o s t a m t Angestellter im Landwirtschaftsministerium 2 Oberschullehrer Tabakkontrolleur 3 Grundschullehrer 2 veterinärmedizinische Helfer Krankenpfleger Zollbeamter Angestellter im Erdölministerium Angestellter an der Eisenbahn Büroangestellte Angestellter im Verteidigungsministerium Angestellter in einem K u l t u r z e n t r u m Angestellter im Ministerium für ländlich; und städtische Angelegenheiten 2 Angestellte im Verkehrsministerium Hebamme

Ausbildung 9. Klasse Fachschule f ü r L a n d w i r t s c h a f t Diplom-Arabist Abitur, d a n a c h Fachlehrgang Pädagogisches I n s t i t u t Fachschule f ü r Veterinärmedizin 9. Klasse, Sanitätsausbildung in der Armee 9. Klasse S t u d i u m . Handelsökonom 9. Klasse Polytechnisches Abitur Abitur Abitur Jurastudium 9. Klasse Medizinische Fachschule

Angestellte, die z. Zt. ihren Armeedienst absolvieren, wurden nicht mit e r f a ß t .

Angestellte, die aus Al-Andrüse u n d Al-Muraiqeb s t a m m e n u n d in den H e i m a t o r t e n tätig sind Tätigkeit Leiter der Genossenschaft

Direktor und Lehrer an der Oberschule Sekretär der Jugendorganisation (Union der revolutionären Jugend) Tabakkontrolleur T a b a k k o n t r o i leu r Lehrer an der Grundschule Lehrer an der Grundschule Lehrerin a n der Grundschule Lehrerin an der Grundschule

Ausbildung Fachschule f ü r L a n d w i r t s c h a f t , studiert an der landwirtschaftlichen F a k u l t ä t der Universität D a m a s k u s Diplom-Historiker Abitur 9. Klasse u n d 9. Klasse u n d Pädagogisches Pädagogisches Pädagogisches Pädagogisches

Fachlehrgang Fachlehrgang Institut Institut Institut Institut

109

Tätigkeit

Ausbildung

Studiert extern Naturwissenschaften in Damaskus Studiert noch extern Geschichte in Lehrer an der Oberschule Damaskus Sekretär der Baath-Partei-Organisation 9. Klasse. Er war jahrelang ein Tabakkontrolleur 5. Klasse Polizist 8. Klasse Kindergärtnerin Sekretärin der Frauenunion in As-Saih- Pädagogisches Institut Badr Lehrer an der Oberschule

C. Politisch-administrative Verhältnisse und die Rolle der Traditionen I.

Administration

Im Mittelpunkt der Verwaltung eines syrischen Dorfes steht der muhtär. Diese Bezeichnung stammt aus der Zeit der türkischen Herrschaft über die arabischen Länder und blieb bis heute erhalten. Muhtär heißt der Gewählte. Er ist der Vorsteher eines Dorfes und hat Pflichten und Rechte gegenüber dessen Einwohnern. Vor allem soll er ihr Sprecher und Vertreter gegenüber den staatlichen Behörden sein. Er vertritt sein Dorf auch in allen Angelegenheiten, die sich aus den Beziehungen zu Nachbarorten ergeben, soweit es sich nicht um private Beziehungen einzelner Einwohner handelt, und er ist auch zuständig oder mit zuständig für alles, was als innere Angelegenheiten der Gemeinde bezeichnet werden kann. Theoretisch kann jeder Mann, der im vollen Besitz seiner zivilen Rechte ist, zum muhtär gewählt werden. Man erwartet von ihm, daß er vertraut mit einer großen Zahl der Männer des Dorfes ist und persönliche Autorität hat. In manchen Gebieten soll der muhtär ein freigebiger Mann sein. Man setzt dort voraus, daß er zu den Bauern mit relativ großem Landbesitz gehört. Der muhtär ist manchmal gleichzeitig ein saih und verfügt dann auch über ein gewisses Prestige, das sich aus seiner religiösen Funktion und islamischen Bildung ergibt. Bevorzugt wurde als muhtär vielfach ein Mann, der schreiben und lesen konnte. Aber es gab und gibt vereinzelt noch heute mahätlr, die Analphabeten sind oder kaum lesen können. Tatsächlich wurde das Prinzip der freien Wahl des muhtär durch andere Faktoren stark eingeschränkt. Im Küstengebirge, also auch im Untersuchungsgebiet, war, wie bereits dargestellt wurde, die'Asira-Organisation von großer Bedeutung. In der Regel stammte der muhtär aus der 'asira, die im Ort am stärksten vertreten oder am mächtigsten war. Die 'Asira-Oberhäupter stellten in Wirklichkeit den Kandidaten auf, und die Männer ihres Anhangs wählten ihn zum muhtär. Das galt zum Beispiel auch für Al-Muraiqeb. Der muhtär hat dort seine Funktion seit über 35 Jahren inne. Er stammt aus der Saih-Linie, die zur 'aslra Ä1 Bsarga gehört. Chef dieser "aslra war lange Zeit Saleh El 'Ali, der Führer im Aufstand gegen die französische Herrschaft. Nur ein von ihm unterstützter Mann konnte muhtär werden. Die Wahl eines muhtärs war früher ein großes Ereignis, besonders in den Dörfern, wo die Einwohner zu zwei oder drei 'asä'ir gehören. Jede 'aslra war bestrebt, einen Mann aus ihren Reihen zum muhtär zu machen. Daraus konnten langwierige Konflikte und sogar bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den 'asä'ir erwachsen. In den Augen der Bevölkerung gehört der muhtär nicht zu den staatlichen Behörden. Tatsächlich erhält er auch kein Gehalt. In vielen syrischen Dörfern war und ist es üblich, daß die Bauern dem muhtär jährlich eine Geldsumme ge111

ben. Seine Autorität und sein großer Einfluß auf die Bauern erwuchsen nicht zuletzt aus seiner Stellung als Verbindungsglied des Dorfes zu den Vertretern der Staatsmacht. Informationen, die der mudir, die Polizei oder eine andere Behörde über Einwohner des Ortes benötigen, erhalten sie vom muhtär. Hat zum Beispiel die Polizei eine Angelegenheit zu regeln, die einen Dorfbewohner betrifft, so geht sie meistens nicht direkt zu diesem, sondern zum muhtär, der den Bauern in sein Haus rufen läßt. Anderersei ts erhalten die Einwohner von Mitteilungen und Anweisungen der staatlichen Verwaltung auf dem Wege über den muhtär Kenntnis. In bestimmten Abständen findet bei dem mudir eine Zusammenkunft der mahätir statt, in deren Verlauf die Probleme der Dörfer besprochen und die mahätir von staatlichen Maßnahmen unterrichtet werden. Zu den Aufgaben des muhtärs gehört das Führen eines Registers über die Einwohner des Dorfes. Jede "a'ila (Linie) hat darin einen Platz. Der muhtär trägt die Geburten, Eheschließungen, Ehescheidungen und Todesfälle ein. Für jedes Dorf gibt es ein entsprechendes Register im Bureau des mudir an nähiya. Die mahätir sind damit von den Pflichten der Registerführung entbunden. Personalausweise werden in der Dienststelle des mudir ausgestellt. Wenn ein Einwohner des Dorfes einen Antrag an eine Behörde stellt oder sich bei einer staatlichen Einrichtung um eine Arbeitsstelle bewirbt, dann muß ihm der muhtär eine Art Zeugnis ausstellen und darin bestätigen, daß der betreffende nicht gegen die öffentliche Moral verstoßen hat und gegen seinen Antrag keine Einwände oder Bedenken bestehen. Ist zum Beispiel ein Einwohner des Dorfes erkrankt und kann die Kosten für Behandlung und Medikamente nicht aufbringen, so hat er das Recht auf kostenlose ärztliche Betreuung, nötigenfalls in einem Krankenhaus. Der muhtär muß seine Mittellosigkeit bescheinigen. Wenn ein Student bei der Universität eine Unterstützung beantragt, muß ebenfalls der muhtär bestätigen, daß seine Eltern nicht in der Lage sind, ihm zu helfen. Für die ordnungsgemäße Ausführung seiner Verpflichtungen hat der muhtär einen Stempel, der für die Bauern äußeres Zeichen seiner Amtsführung und Symbol seiner Autorität und Befugnisse ist. Der muhtär von Al-Muraiqeb ist ein alter Bauer von etwa 70 Jahren (siehe Nr. 2, S. 91), im Vergleich zu früheren Zeiten hat er heute nicht mehr viel zu tun. An seiner Seite stehen drei weitere ältere Männer, je einer aus den drei 'asä'ir, von denen Mitglieder in Al-Muraiqeb leben. Mit ihm gemeinsam bilden sie einen Rat, treten aber kaum in Erscheinung. Zwei von ihnen sind übrigens Analphabeten. Die oben erwähnten Zeugnisse und Bescheinigungen werden von einem dieser Männer mit unterschrieben. Die Analphabeten zeichnen mit dem Abdruck eines mit Tinte angefeuchteten Daumens. Nach ihren Aufgaben gliedert sich die Polizei im Untersuchungsgebiet in: Erstens, die Polizei, die für Ordnung und Sicherheit verantwortlich ist. E s gibt im Hauptort As-Saih-Badr eine Station, in der ständig einige Polizisten Dienst tun. Sie halten enge Verbindung zu den mahätir der einzelnen Dörfer und erhalten von diesen ihre Informationen. Die Polizisten in den ländlichen Gebieten stammen fast alle aus bäuerlichen Familien. Das Gehalt ist niedrig, aber Polizist zu werden ist für die Bauernsöhne ein Weg zu dem erstrebten, sicheren Einkommen. 112

Ihre höheren Vorgesetzten, auch der mudlr, kamen bis zum Beginn der 60er Jahre fast ausschließlich aus der städtischen Bourgeoisie. Ein mudlr ist meist ein Polizeioffizier und Absolvent einer juristischen Fakultät. Zweitens gibt es eine Polizei, die für den Schutz des Wald- und Buschlandes, das sich im Besitz des Staates befindet, bzw. von diesem kontrolliert wird, zuständig ist. Ihre wichtigsten Aufgaben sind die Verhinderung der illegalen Gewinnung von Holz als Brennholz oder für andere Zwecke und die Kontrolle der strikten Einhaltung des Weideverbotes für Ziegen im Buschland. Dieses Verbot wurde 1958 erlassen, um der Bodenerosion und allen weiteren landschaftsschädigenden Folgen einen Riegel vorzuschieben. Für das Gebiet von As-Saih-Badr gibt es zwei dieser Polizisten, die überall plötzlich auftauchen können. Wahrscheinlich wird kein Verbot so oft übertreten wie das des Brennholzholens aus dem Busch. Die Bauern brauchen das Holz zum Heizen des Backofens, sie verwenden auch Brennholz trotz des allgemein verbreiteten Kerosinbrenners, um das Essen zu kochen, besonders aber, um Waschwasser in großen Gefäßen auf einer aus einigen Steinen im Hof zusammengestellten Feuerstelle zu erwärmen. Zweige und Äste dienen aber auch zum Bedecken landwirtschaftlicher Produkte, die auf dem Dach liegend getrocknet werden. Hühner und andere kleine Tiere sollen dadurch ferngehalten werden. Das Holzholen aus dem Busch ist fast ausschließlich eine Frauenarbeit. Wird eine Frau dabei von der Polizei angetroffen, so muß sie denNamen ihres Familienoberhauptes, d. h. also den ihres Mannes oder ihres Vaters angeben. Dieser muß eine Geldstrafe zahlen. Viele Bauern sind bemüht, sich mit diesen Polizisten möglichst gut zu stellen. Drittens gibt es eine Polizei, deren Aufgabe die Unterbindung des Schwarzhandels und Schmuggels von Tabak ist. Tabak darf nur nach von den zuständigen staatlichen Stellen erlassenen Vorschriften angebaut und nur bei den staatlichen Aufkaufstellen abgesetzt werden. Die Polizisten kontrollieren Straßen und Wege häufig auch in der Nacht, um Gesetzesübertreter zu fassen. Die Strafe kann 100 Lira für jedes Kilo illegal verkauften Tabaks betragen. Die Polizisten haben Informanten unter den Einwohnern der Dörfer, die nicht allgemein bekannt sind. Auf deren Angaben beruht weitgehend ihre erfolgreiche Tätigkeit. Zu weiteren Vertretern der staatlichen Administration, mit denen die Bauern in Berührung kommen, gehört der mit der Viehsteuerkassierung beauftragte Angestellte des Landwirtschaftsministeriums. E r wird bei dem muhtär vorstellig, und dieser informiert die Bauern über den Zahltermin. Die Steuer beträgt für jedes Schaf und jede Ziege 2,5 Lira jährlich. Andere Haustiere werden nicht besteuert. Der Bauer erhält eine Bescheinigung, auf der die Zahl der Ziegen und Schafe und die Höhe der entrichteten Steuersumme vermerkt sind. Diese Bescheinigung muß ein Hirt, wenn er mit den Tieren auf der Weide ist, immer mit sich ühren. E s kommt natürlich vor, daß Bauern nicht alle Tiere registrieren lassen, um der Steuerzahlung zu entgehen. Die Tiere werden gelegentlich auf der Weide von einem Kontrolleur gezählt. Das ist kein staatlicher Angestellter, sondern ein einfacher Mann, der mit dieser Aufgabe betraut wurde, und der 8

Sozialökonomische Verhältnisse

113

meistens nicht in der gleichen Gegend wohnt. Wenn er einen Widerspruch zwischen den Angaben auf der Steuerbescheinigung und dem Tierbestand feststellt, macht er Meldung, und der Bauer muß eine Strafe zahlen. Die Beziehungen zwischen der bäuerlichen Bevölkerung und der Polizei durchliefen in der jüngsten Vergangenheit einen Wandlungsprozeß. Früher hatte der Bauer häufig beim Anblick eines Polizisten ganz einfach Angst. Der Polizist erschien als ein Vertreter des Staates, der weitgehend willkürlich etwas anordnen und Strafen verhängen konnte. Die Dörfer versuchten, ein gutes Verhältnis zur Polizei zu haben. Der muhtär bewirtete die Polizei des öfteren mit reichlichen guten Mahlzeiten, zu denen die Bauern beisteuerten. Der Polizist ließ den muhtär wissen, daß er Futter für sein Pferd braucht, und jede Bauernfamilie lieferte eine bestimmte Menge Heu. Ebenso war es mit dem Brennholz. Wenn der Bauer reichlich gab, konnte er darauf hoffen, daß der Polizist übersah, woher er das Holz holte. Unter diesen Umständen hing im Alltagsleben der Bauern viel von der Haltung und den Beziehungen ihres muhtär ab. Dieser hatte eben deshalb eine große Autorität. Heute werden keine besonderen Leistungen mehr für die Polizei erbracht. Die Bauern lernten im Polizisten einen Funktionsträger einer Gesellschaft sehen, der sie sich selbst zugehörig fühlen. Der muhtär und auch die äuyüh haben viel von ihrer alten Autorität eingebüßt. Der muhtär ist heute im praktischen Leben — unabhängig von der formalen Struktur der Verwaltung — nicht mehr das einzige Bindeglied zwischen den Einwohnern des Dorfes und den Behörden. Diese Rolle haben weitgehend die führenden Vertreter der Massenorganisationen übernommen. In diesen überwiegend noch jungen Männern sehen die Bauern auf Grund der Initiativen, die von ihnen ausgehen, die Vertreter des Staates und der neuen Gesellschaft. Natürlich verlief und verläuft dieser Prozeß nicht reibungslos. Die Haltung der jungen Bauern — das sind die 35 bis 45 jährigen, denn die jungen, schulisch gebildeten Jahrgänge sind kaum bäuerlich tätig — ist in vielem widersprüchlich. Sie steht zwischen der alten Generation (al-gil al-qadim) und den jungen Menschen, die in vollem Bewußtsein des Gegensatzes von den Älteren oft als gil käfir (atheistische, ungläubige Generation) bezeichnet werden. Diese mittlere Generation steht noch bis zu einem gewissen Grade unter dem Einfluß, der von der traditionellen Autorität der suyüh ausgeht. Sie hält einen Teil der islamischen Sitten und Bräuche ein und wendet sich in vielen persönlichen Angelegenheiten an einen saih. Andererseits stehen die Angehörigen der mittleren Generation den Neuerungen der Gegenwart und der Aktivität der jungen Menschen in zunehmendem Maße positiv gegenüber. Sie wissen schließlich, daß es in der Vergangenheit keine Schulen, Straßenbauten und Wasserleitungen gab und wessen Initiative sie dieses verdanken. Auch die Angehörigen der älteren Generation und ihre Wortführer stehen den Neuerungen nicht pauschal ablehnend gegenüber. Ein alter saih hat vom Bau einer modernen Wasserleitung den gleichen Vorteil wie ein junger Mann. Deshalb betrachten auch die älteren Dorfbewohner in vielen kommunalen Fragen die Vertreter der jungen, gebildeten Generation als zuständig. 114

II.

Bildungswesen

Noch immer ist die Zahl der Analphabeten in den zu Aä-Saih-Badr gehörenden Dörfern hoch. Dabei fällt folgendes auf: Erstens wirken sich die alten sozialen Verhältnisse auf die Zahl der Schreib- und Lesekundigen aus; die Zahl der Analphabeten ist relativ niedriger bei den Angehörigen der Saih-Linien. Zweitens gab es 1969/70 unter den Frauen, die das dreißigste Lebensjahr überschritten hatten, keine, die schreiben oder auch nur etwas lesen konnte. Der Bildungsstand ist dennoch in As-Saih-Badr schon seit längerer Zeit besser als in den Nachbargebieten. Das geht vor allem auf die 1921 erfolgte Gründung einer Schule durch die französische Verwaltung zurück. Die Schule befand sich erst in Al-Muraiqeb, wurde aber nach einigen Jahren nach Al-Andrüse verlegt. Sie wurde von Schülern aus beiden Orten besucht. Die Anzahl der Schüler war sehr gering, da nur wenige Eltern das Geld für die Lehrbücher und sonstige Materialien aufbringen konnten. Außerdem wollten und konnten viele Bauern nicht auf die Arbeitskraft der größeren Kinder in der Landwirtschaft verzichten. Unter den Schülern überwogen Söhne aus den Saih-Linien. Diese Schule war aber nicht die erste Bildungsinstitution. Vor ihr gab es die traditionellen Koranschulen. Sie wurden von suyüh, die den Unterricht erteilten, eingerichtet. A n der Koranschule nahmen in erster Linie Söhne von SaihFamilien teil. Sie sollten einmal die Stellung ihrer Väter übernehmen, und dafür war eine gewisse Bildung notwendig. Deshalb wurden sie von ihren Eltern zum Besuch des Unterrichts angehalten. Die übrige Bevölkerung sah eine solche Notwendigkeit nicht oder nur in geringem Maße. Die Zahl der Söhne, die daran teilnahmen, war dementsprechend klein. Eine Koranschule bestand darin, daß ein saih eine Knabengruppe um sich sammelte und sie regelmäßig an Hand von Korantexten lesen, schreiben und außerdem etwas rechnen lehrte. Die Eltern achteten darauf, daß die Kinder die Stunden besuchten. Der saih erhielt für jedes Kind, daß er lehrte, eine bescheidene Bezahlung. Es war nicht möglich, deren Höhe genauer zu ermitteln. Keinesfalls waren es aber mehr als 50 kg Weizen oder der entsprechende W e r t in Geld für den ganzen Lehrgang. Die 1921 gegründete Schule ermöglichte es einigen Angehörigen der folgenden Generation, es sind die heute Fünfunddreißigbis Fünfzigjährigen, eine etwas umfassendere Bildung zu erwerben oder doch die Grundlagen dafür zu legen. Die meisten Schüler brachen aber, vor allem aus finanziellen Gründen, den Schulbesuch nach einer gewissen Zeit ab. Nur wenige hielten es bis zur fünften Klasse durch. Einige von ihnen bekamen das Abgangszeugnis. Der Inhalt des Unterrichtes wurde bis zum Ende der Mandatsherrschaft weitgehend durch französische Interessen bestimmt. Besonders kam das in der Betonung der französischen Sprache zum Ausdruck.

8*

115

Die Angehörigen der heutigen mittleren und älteren Generation besuchten die Schule nicht, um danach die Dörfer zu verlassen und in der Stadt eine Anstellung zu suchen. Sie wollten vielmehr nur in der Lage sein, Briefe und Erzählungen zu lesen, und sie wollten auch selbst Briefe schreiben können. In manchen Großfamilien wurde darauf geachtet, daß wenigstens ein Mitglied schreiben und lesen konnte. Seit dem Beginn der 50er Jahre stieg die Schülerzahl an. Darunter waren die ersten Mädchen. In der Schule unterrichtete von der Gründung bis zur Mitte der 50er Jahre immer nur ein Lehrer. Diese ersten Lehrer waren keine Einheimischen, sondern stammten aus Tartous oder der Umgebung der Stadt. Der erste einheimische Lehrer war der Sohn eines saih aus Al-Muraiqeb. Er gab vom Anfang bis zur Mitte der 50er Jahre den Unterricht. Er war nicht als Lehrer ausgebildet, sondern nahm seine Arbeit nach Absolvierung einer Oberschule in Tartous auf. Während seiner Lehrertätigkeit war er Jura-Fernstudent an der American University in Beirut. Die Schüler kamen aus Dörfern bis zu einer Entfernung von 6 km. Der Schule stand anfangs nur ein Raum zur Verfügung, in dem die fünf Klassen gemeinsam unterrichtet wurden. Der Lehrer widmete sich vor allem der vierten und fünften Klasse. Die jüngeren Schüler wurden von solchen aus der fünften Klasse unterrichtet und am Ende des Schuljahres sogar geprüft. Aus Raummangel erhielten die jüngeren Schüler bei günstiger Witterung Unterricht im Ferien. Später erhielt die Schule einen zweiten Raum und einen zweiten Lehrer. Der ganze Hauskomplex, in dem die Schulräume lagen, gehört der Familie des Saleh Erall. Die ersten Räume wurden der Schule vom Besitzer zur Verfügung gestellt, und später wurden weitere dazu gemietet. In den 50er Jahren stieg aber die Zahl der Schüler schneller an als die der Plätze. Auf einer für vier Kinder vorgesehenen Bank saßen immer sechs, und dennoch fanden nicht alle Platz. Einige saßen auf Stühlen, die sie selbst von zu Hause mitbrachten. Im Winter wurden die beiden Schulräume durch kleine eiserne Öfen geheizt. Jeder Schüler mußte in dieser Jahreszeit täglich ein Stück Feuerholz mitbringen. Anderenfalls wurde er mit einigen Schlägen gestraft, ebenso, wenn er die Hausaufgaben nicht gemacht hatte. 1959 hatte die Schule drei Räume, in denen drei Lehrkräfte, darunter eine Lehrerin, unterrichteten. Einer der Lehrer stammte aus dem Ort. Die folgende Tabelle zeigt die Schülerzahl im Schuljahr 1959/60. Klasse 1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse 4. Klasse 5. Klasse 6. Klasse Insgesamt

J ungen

Mädchen

Insgesamt

24 16 15 27 25 10 117

11 7 10 2 1 2 33

35 23 25 29 26 12 150

1961 wurde ein neues Schulgebäude mit 6 Klassenräumen errichtet, in denen vier Lehrer unterrichteten. Die Zahl der Schüler nahm in diesem Jahrzehnt 116

rasch zu. Mit der Verbesserung der Lernmöglichkeit schickten immer mehr Eltern alle ihre Kinder in die Schule. Der Bildungsgedanke hatte sich durchgesetzt. Dazu kam, daß die Zahl der staatlichen Angestellten in As-Saih-Badr zunahm. Ihre Kinder gingen nun ebenfalls dort zur Schule. Die folgende Tabelle verdeutlicht die Situation im Schuljahr 1969/70. Klasse 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Klasse Klasse Klasse Klasse Klasse Klasse

Insgesamt

Jungen

Mädchen

Insgesamt

22 34 27 24 26 44

18 23 16 28 15 20

40 57 43 52 41 64

177

120

297

Bei dem Vergleich beider Tabellen fällt besonders die rasche Zunahme der Mädchen auf. Schüler, die nach dem Abschluß der sechsten Klasse weiterlernen wollten, konnten das nur auf der Mittel- oder Oberschule in Tartous tun. Bauern, die keine Verwandten in der Stadt hatten, konnten das Geld für Lehrmittel, Unterbringung und Verköstigung ihrer Kinder kaum aufbringen. Anders ist und war die Situation, wenn bereits ältere Brüder als staatliche Angestellte oder ständige Armeeangehörige in der Stadt leben. Die jüngeren Geschwister wohnen dann bei ihnen und werden in jeder Beziehung unterstützt. 1958 eröffnete ein Jurist aus einem benachbarten Dorf in As-Saih-Badr eine private Mittelschule. Trotz des für die Bauern hohen Schulgeldes — je nach dem Schuljahr mußten 120 bis 170 Lira pro J a h r bezahlt werden — war dies doch günstiger als der Schulbesuch in der Stadt, da die Kinder in der Familie blieben und damit auch als Arbeitskräfte zumindest nicht ganz ausfielen. 1966 wurde in As-Saih-Badr die staatliche Mittelschule gegründet. Im ersten J a h r hatte sie 29 Schüler, darunter 7 Mädchen. 1970 wurde diese Mittelschule zu einer Oberschule erweitert. Sie umfaßte in diesem J a h r die siebte bis elfte Klasse. Eine zwölfte Klasse kam im folgenden J a h r hinzu. Die nachstehende Tabelle zeigt die Situation im Jahre 1970. Klasse

Jungen

Mädchen

Insgesamt

Klasse Klasse Klasse Klasse Klasse

127 79 66 68 34

41 28 11 7 10

168 107 77 75 44

Insgesamt

374

97

471

7. 8. 9. 10. 11.

Die Schüler kommen aus vielen Orten der Umgebung. Mädchen und Jungen gehen gemeinsam in eine Klasse, im Gegensatz zu den Städten, wo es getrennte Schulen gibt. Mit dem Schulbesuch verbindet sich jetzt auch für viele Mädchen die Vorstellung, später nach beruflicher Ausbildung eine bezahlte Anstellung 117

zu erhalten. Im Sommer 1968 wurden mehrere Mädchen der neunten Klasse in einigen Unterhaltungen über ihre Vorstellungen von einer späteren beruflichen Tätigkeit befragt. Die Antworten waren sehr unterschiedlich. In einigen Fällen gab es eine Beziehung zwischen dem Berufswunsch des Mädchens und der Tätigkeit des Vaters. So wollte ein Mädchen, dessen Vater ein Arzthelfer (Sanitäter) ist, Medizin studieren. Die Tochter eines Mannes, der längere Zeit in Südamerika lebte, hatte den Wunsch, unbedingt eine Ausbildung im Ausland zu erhalten. Im übrigen wollten die Mädchen Lehrerin, Musiklehrerin und Journalistin werden. E s wurde schon einmal gesagt, und auch die Familientabellen machen es deutlich, daß die Bauern ihre Söhne zur Schule und auf weitere Bildungsanstalten schicken, damit ihnen später berufliche Möglichkeiten mit gutem Einkommen, vor allem staatliche Anstellungen offen stehen. Kaum ein Bauer im Untersuchungsgebiet möchte heute, daß seine Söhne auch Bauern werden. Auch die Jugendlichen selbst wollen nach abgeschlossenem Schulbesuch nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten. Viele Bauern verkauften schon Land und Vieh, um die Ausbildung der Söhne zu finanzieren. Sobald ein Sohn eine Anstellung mit festem Einkommen erhalten hat, unterstützt er seine Eltern. Häufig ist ein Bauer bestrebt, wenigstens die Ausbildung eines Sohnes zu finanzieren, bzw. ihn während der von staatlichen Institutionen getragenen Ausbildung zu unterstützen. Dieser Sohn hilft dann gemeinsam mit dem Vater den jüngeren Geschwistern. Die Familie erwartet heute von den Söhnen, daß sie beim Schulbesuch und in der weiteren Ausbildung fleißig sind. Auf den engen Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe der Familienmitglieder, ganz besonders auch der Brüder untereinander, wurde bereits in einem vorhergehenden Abschnitt hingewiesen. Auf die Schulbildung der Mädchen legen die Bauern noch immer nicht den gleichen Wert. Die nichtbäuerlichen Gruppen dagegen machen kaum einen Unterschied zwischen Söhnen und Töchtern. Viele Mädchen besuchen die Schule nur bis zur sechsten Klasse. Die Eltern meinen, daß die Mädchen lernen sollen, um nicht Analphabeten zu sein, aber nicht, um später einen Beruf auszuüben. Allerdings nahm in letzter Zeit die Zahl der Bauern zu, die nichts mehr dagegen haben, wenn ihre Töchter Krankenschwester oder Lehrerin werden wollen. Das sind die beiden bevorzugten weiblichen Berufe. Während der Untersuchung wurden mehrere Bauern über ihre Meinung zur Schul- und Weiterbildung der Mädchen befragt. Ganz und gar gegen eine Ausbildung äußerten sich nur sehr wenige. Fast alle waren sich darin einig, daß die Mädchen schreiben und lesen können und darüber hinaus noch einiges wissen sollten. Ein Bauer verglich die Analphabeten mit Blinden, die kaum begreifen, was um sie herum vorgeht. Ein Bauer sagte: „Ich schicke meine Tochter in die Schule, weil alle meine Nachbarn ihre Töchter dorthin schicken, und ich muß das gleiche tun wie sie." Ein weiterer Bauer wies auf ein in dieser Arbeit bereits erwähntes aktuelles soziales Problem hin, als er sagte: „Eine Frau muß Schulbildung haben, nicht um später eine Anstellung zu erhalten, sondern um einen Ehemann zu finden, mit dem sie gut leben kann. Wir haben im Dorf viele Mädchen, die schon älter sind und längst verheiratet sein müßten. Aber sie sind es nicht, weil sie keine Schule besuchten, und die jungen Männer wollen solche Mädchen heute nicht mehr heiraten." 118

Auch die Mütter sind heute dafür, daß ihre Töchter die Schule besuchen. Nicht selten sind sie stolz auf eine Tochter, die lesen und schreiben kann. Aber die Arbeitslast der Frauen nimmt infolgedessen zu. Mädchen, die zur Schule gehen, helfen bestenfalls bei leichten Arbeiten im Haushalt und in der Wirtschaft. Schwere Arbeiten, oder solche, die viel Zeit erfordern, werden ihnen nicht mehr zugemutet. Auch dabei zeigt sich der komplizierte Charakter des neuen, sich herausbildenden gesellschaftlichen Bewußtseins. Diese "Mädchen haben viel mehr Freizeit als die anderen und auch viel mehr Freiheit in der Gestaltung ihres Tagesablaufs. Äußerlich unterscheiden sie sich von den anderen, indem sie fast ausschließlich Kleidungsstücke europäischer Art tragen. Trotz dieser Entwicklung hat sich das Mutter-Tochter-Verhältnis noch nicht grundlegend geändert. Auch die Schülerinnen bringen ihren Müttern die traditionelle Achtung entgegen. Trotz der noch hohen Zahl an Analphabeten liegt das Bildungsniveau in Al-Andrüse und Al-Muraiqeb höher als in den benachbarten Orten. Das hat seine Ursachen in der geschilderten, nun schon einige Jahrzehnte zurückreichenden Entwicklung. Von Bedeutung war dabei auch die Existenz der an der Bildung interessierten Saih-Linie. Die rasche Zunahme der Schülerzahl aus allen Bevölkerungsschichten führte Jahre später zu folgendem Ergebnis: Aus der Bevölkerung von Al-Andrüse gingen bis 1970 hervor: drei Hochschulabsolventen juristischer Fakultäten. An den Universitäten waren ein Anglistikstudent, ein Medizinstudent (in Spanien), ein Jurastudent, ein Student der Naturwissenschaften und ein Student der Geschichte. Das Pädagogische Institut hatten mit dem Lehrerexamen abgeschlossen zehn Studenten, darunter drei Mädchen. Mit dem Abitur oder eine das Abiturniveau in etwa einschließende Fachschulausbildung hatten abgeschlossen vierzehn ehemalige Schüler aus dem Ort, darunter zwei Mädchen. Aus der Bevölkerung von Al-Muraiqeb gingen bis 1970 hervor: fünf Hochschulabsolventen, zwei von ihnen hatten Arabistik und je einer Geschichte, Handelsökonomie und J u r a studiert. An einheimischen Universitäten studierten fünf Studenten und zwar zwei Geographie (darunter ein Mädchen) und je einer Ökonomie, Landwirtschaft und Medizin. Außerdem gab es noch fünf Studenten im Ausland (siehe S. 35). Das Pädagogische Institut hatten abgeschlossen drei weibliche und elf männliche Studenten. Außerdem hatten abgeschlossen: die allgemeinbildende Oberschule vierzehn, eine technische Fachschule fünf, eine landwirtschaftliche Fachschule vier und eine veterinärmedizinische Fachschule zwei Schüler bzw. Studenten.

119

III. Information der Bevölkerung und Rolle der neuen Organisationen

Bis zu Beginn der 50er Jahre gab es in A§-Saih-Badr kein einziges Radio, es gab keine anderen Massenmedien, und es gab keine gesellschaftlichen Organisationen. Keiner der Bauern war damals in der Lage, sich ein Radio kaufen zu können. Die Information der Bevölkerung und die Meinungsbildung über die Ereignisse in der weiteren Umgebung, in der Heimat und im ganzen Land erfolgte weitestgehend durch die suyüh und durch den muhtär. Auf Grund der religiösen und der richterlichen Stellung hatten besonders einige suyüh großen Einfluß auf die Meinungsbildung der Bevölkerung. Die politische Rolle einiger suyüh kam auch im Aufstand gegen die Franzosen, der von ihnen organisiert und geleitet wurde, zum Ausdruck. Sie konnten die Bauern um sich sammeln, diese kämpften unter ihrer Führung. Von großer Bedeutung war dabei d i e ' AsiraSolidarität. Auch bei den Wahlen zum Parlament wirkte sich die Stellung der suyüh aus. Sie sagten den Bauern, wen sie wählen sollten. Bei den Wahlen war das 'Asira-Bewußtsein ausschlaggebend. So wählten die Angehörigen der 'aslra Äl-Haddädiyün immer einen Kandidaten aus einem Ort, der etwa 10 km von A§-§aih-Badr entfernt liegt. I n diesem Ort leben Mitglieder mehrerer 'asa'ir. Die anderen 'asa'ir, die keine eigenen Vertreter aufstellten, legten sich mal auf diesen, mal auf jenen Kandidaten fest. I n vielen Fällen kauften die Kandidaten die Stimmen der Bauern. Es konnte dadurch geschehen, daß einflußreiche Männer, nach denen sich die anderen richteten, z. B. auch suyüh, Geldsummen für ihre Stimmabgabe bekamen. Zeitlich fiel der Rückgang der Rolle der §uyüh und des 'Asira-Bewußtseins, die ihre Ursachen in der neuen ökonomischen und politischen Entwicklung haben, mit dem Auftauchen neuer Informationsquellen in den Dörfern zusammen. Gegen Anfang der 50er Jahre wurden in Aä-Saih-Badr die ersten beiden CafeHäuser eröffnet. I n jedem Cafe-Haus stand ein Radio. Es waren die ersten im Ort. Sie übten auf die Bevölkerung eine starke Anziehungskraft aus. Beachtet werden muß hier, daß nur Männer das Cafe-Haus besuchen. Viele hörten dort stundenlang die Radiosendungen. Die Begeisterung war sehr groß und stieg oft auf den Höhepunkt, wenn ein Programm, das mit Volksliedern gemischt war, gesendet wurde. Sehr beliebt waren auch Koransendungen, besonders, wenn der bekannte ägyptische Koranleser 'Abdul Bäsit 'Abdu's-Samad vortrug. Einige Jahre danach wurde es sehnlichst erstrebtes Ziel einiger Männer, selbst ein Radio zu kaufen. 1955 tauchte das erste Radio in Al-Muraiqeb auf. Ein Einwohner des Dorfes, der mehrere Jahre lang als Freiwilliger in der Armee gedient hatte, brachte es bei seiner Rückkehr mit. Bald folgten einige weitere Apparate, ebenfalls im Besitz von Armeeangehörigen. Auch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre konnte sich kein Bauer ein Radio kaufen. Nur ein Schuster aus Al-Muraiqeb war 120

dazu in der Lage. Mehr Radioapparate kamen ins Dorf, als die Wanderarbeit nach dem Libanon zunahm und die Bauern sich für das dort verdiente Geld Transistorgeräte kaufen konnten. Die Preise lagen damals im Libanon bedeutend niedriger als in Syrien. Ein kleines japanisches Transistorgerät kostete etwa vier Tagesverdienste. Die Apparate wurden beim Grenzübergang versteckt. Anfänglich erhöhte der Besitz eines Radios das Ansehen des Besitzers, aber schnell wurde es zum Allgemeingut, und heute hat fast jede Familie in ihrem Hause ein Radio. Es wurde zur wichtigsten, für einen gewissen Zeitraum fast zur einzigen Informationsquelle, denn nur sehr wenige Einwohner der Dörfer lasen ab und zu eine Zeitung oder eine Zeitschrift. Unter den wenigen, die gut schreiben und lesen konnten, kursierte gelegentlich die Wochenzeitschrift „Algundi" („Der Soldat", heute „Gais as-sa'b" — „Volksarmee"). Sie wurde von Soldaten, die während des Urlaubs ihre Familien besuchten, mitgebracht. Die Ansichten vieler Menschen mit einer gewissen Bildung über den einen oder anderen Gegenstand entwickelten sich deshalb an der Darstellung dieser Zeitung. Ende der 50er Jahre gab es in den Dörfern von As-Saih-Badr eine Gruppe von etwa 20 bis 30 Oberschülern, die in Tartous lernten. Diese haben gemeinsam mit einigen älteren Jugendlichen, die bereits die Oberschule abgeschlossen hatten und an einer höheren Schule lernten, eine beachtliche Rolle bei der Beeinflussung des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in den Dörfern gespielt. I n AlMuraiqeb veranstalteten diese jungen Leute viele Kulturabende, auf denen Reden zu bestimmten sozialpolitischen Problemen gehalten wurden, und sie zeigten in mehreren Aufführungen einige Theaterstücke, in denen, oft in eine lustige Form verkleidet, ein sozialpolitisches Problem dargestellt wurde. So behandelte eines dieser Stücke das Leben der Bauern eines Dorfes, das von einem Feudalherren beherrscht wurde. Das Stück endete mit einem Aufstand der Bauern gegen den Feudalherren, dieser wird im letzten Akt mit seinem eigenen Gewehr erschossen. Ein zweites derartiges Theaterstück handelte von der Flucht der Bauern aus dem Dorf in die Stadt. Ein junger Mann aus dem Dorf verkaufte sein Stück Land, das er von seiner Familie ererbt hatte, und ging in die Stadt. Freunde und Verwandte rieten ihm davon ab, aber er hörte nicht auf sie. Bald entsprach das Leben in der Stadt seinen Erwartungen nicht. I n kurzer Zeit hatte er den Erlös aus dem Verkauf seines Landes verbraucht. Er fand keine Arbeit, er h a t t e nichts mehr zu essen, und er war froh, wieder zu seinen Verwandten zurückkehren zu können. Einige der aufgeführten Szenenfolgen wurden von den jungen Leuten selbst verfaßt. Diese Veranstaltungen wurden von fast allen Einwohnern der Dörfer besucht. Es kamen sowohl Männer als auch Frauen mit Kindern, und auch die suyüh und der muhtär waren unter den Zuschauern. Es gab übrigens seitens dieser traditionellen Autoritätsträger keinerlei Einwände gegen Form und Inhalt der Aufführungen. Seit diesen Jahren nahm die Aktivität der jungen Menschen mit Schulbildung zu, ihre Autorität stieg. In Al-Muraiqeb gründeten die jungen Leute eine Leih121

Bücherei. Jeder von ihnen spendete einige Bücher, die bald einen kleinen Schrank füllten. Ein Bauer, der früher die Schule bis zur 8. Klasse besucht hatte, übernahm die Ausleihe. Jeder Benutzer mußte eine Gebühr entrichten. F ü r das eingegangene Geld wurden neue Bücher gekauft. Diese kleine Bibliothek existiert heute noch, hat aber kaum Erweiterungen erfahren. Der überwiegende Teil der Bücher sind Romane, aber es gibt auch Gedichtbände, Dramen aus der arabischen Literatur und Bücher, die aus europäischen Sprachen übersetzt wurden. Der gleiche Personenkreis von Ober- und Hochschülern setzte sich auch für die Erhöhung des Bildungsniveaus im Ort ein. In den Sommerferien riefen sie die Schüler zu sich und gaben ihnen täglich 2 Stunden Unterricht. Das geschah im Freien unter einer der großen immergrünen Eichen und war als Vorbereitung für das nächste Schuljahr gedacht. Ganz besonders widmeten sich einige von ihnen der Bekämpfung des Analphabetentums. In den Abendstunden sammelten sie die Analphabeten um sich und unterrichteten sie im Lesen und Schreiben. Zu diesen Stunden kamen besonders Mädchen, die in der gleichen Altersgruppe waren wie viele Schüler, selbst aber die Schule nicht besuchen konnten oder durften. Die Ergebnisse eines solchen Unterrichts waren nur minimal, aber sie erregten doch die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und bereiteten auf die Lösung der Probleme vor, die später von den neu gegründeten Organisationen übernommen wurden. In den letzten J a h r e n wurden durch das Wirken der neugegründeten gesellschaftlichen Organisationen große Veränderungen im dörflichen Leben eingeleitet. Viele jüngere Männer und auch einige Mädchen sind Mitglieder der BaathPartei. Von den jungen Männern sind einige bereits seit Mitte der 50er Jahre in dieser Partei. Die ersten Mitglieder waren diejenigen jungen Männer, die in den 50er Jahren die Oberschule in Tartous besuchten. Sie verbreiteten die Gedanken der Partei in AS-Saih-Badr. Die Begeisterung für die Zielstellung der Baath-Partei war groß, und die Jugend glaubte, daß die Partei die Verhältnisse auf dem Lande ändern würde. Tatsächlich richteten sich die ersten Aktionen der Parteiführung gegen die Reste der zum Teil noch herrschenden feudalartigen Verhältnisse. Im Mittelpunkt der politischen propagandistischen Tätigkeit stand aber der Gedanke der arabischen Einheit. Die jüngeren Parteimitglieder machten ihre Heimatorte zum Feld ihrer gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten. I n diesem Zusammenhang fanden viele Kundgebungen statt. Dazu gehörte 1957 eine große Bauernkundgebung in A§-Saih-Badr, zu der 15000 Menschen kamen. Viele Bauern aus den benachbarten Orten der weiteren Umgebung marschierten mit Transparenten nach As-Saih-Badr. Sie forderten sozialpolitische Maßnahmen zugunsten der Bauern und den Bau von Straßen, Schulen und medizinischen Stationen. Bei dieser Kundgebung waren führende Persönlichkeiten der Partei aus den zentralen Leitungen anwesend. Nach der Gründung der Vereinigten Arabischen Republik, daß heißt, nach der Vereinigung Ägyptens und Syriens, wurde die Baath-Partei aufgelöst. Ihre Funktionen sollten von der neugeschaffenen nationalen Union (al-ittihäd alqauml) übernommen werden. Es waren dies Volksvertretungen, die in jeder Gemeinde aus drei Mitgliedern bestanden und die gewählt wurden. Eines der drei Mitglieder war der muhtär. Das war praktisch ein Schritt zurück zur tradi122

tionellen Autorität. Die Mitglieder der aufgelösten Baath-Partei konnten aber weiter aktiv im Ort tätig sein, wenn auch nicht in der Partei organisiert. Die Einheit mit Ägypten unter Führung des Präsidenten Nasser wurde auch von der bäuerlichen Bevölkerung befürwortet. Es war die Parole von der arabischen Einheit, die außerordentlich populär und weitverbreitet war, und diese Losung entsprach auch der verkündeten Zielstellung der Baath-Partei. So betrachteten manche Mitglieder der Partei die Vereinigung mit Ägypten auch als eine Frucht ihres Kampfes und ihrer Agitationen unter den Volksmassen. Nach der Auflösung der Vereinigten Arabischen Republik und der Gründung der Syrischen Arabischen Republik am 2g. September 1961 begannen sich die Mitglieder der Baath-Partei unter schwierigen politischen Verhältnissen in einer Periode der Herrschaft einer rechtsgerichteten Bourgeoisie wieder zu organisieren. Am 8. 3. 1963 übernahm die Baath-Partei die Macht, und es begann damit •eine neue Entwicklungsetappe. Nach diesem Datum stieg die Zahl der Mitglieder in As-Saih-Badr sehr rasch an. Sie wurden zu den Trägern der gesellschaftlichen Aktivitäten und der Autorität in den Dörfern. Sie sammelten die Bauern um sich und erläuterten ihnen in zahlreichen Agitationen das Programm der BaathPartei und der Regierung. Die Bauern konnten offen über alle Fragen, die sie interessieren, diskutieren. In zunehmendem Maße spielten aber nicht nur die Partei-Organisation eine gesellschaftliche Rolle, sondern auch andere Massenorganisationen. Im Januar 1968 wurde in As-Saih-Badr eine Sektion der Frauenunion gegründet. Ihre Arbeit dehnte sich auch auf die Dörfer in der Umgebung aus. Viele jüngere Frauen und Mädchen sind Mitglieder dieser Organisation. In einem Interview mit der Sekretärin der Frauenunion in A§-Saih-Badr faßte diese die Aufgaben ihrer Organisation wie folgt zusammen: Erstens: Die Hebung des Ansehens der Frauen in der Gesellschaft. Zweitens: Die Bekämpfung und baldige Beseitigung des Analphabetentums unter den Frauen. Drittens: Die Errichtung eines Kindergartens. Viertens: Die Ausbildung in den Grundlagen der Krankenpflege und im militärischen Sanitätsdienst und die Organisation von Kursen in der Maßschneiderei. Zur Zeit der Untersuchung war diese Organisation noch sehr jung, sie hat aber einige ihrer Aufgaben erfüllt. Im ersten Jahr traten ihr übrigens nur Mädchen und keine verheirateten Frauen bei. Das Mindestalter für die Aufnahme beträgt 18 Jahre. Das wichtigste Ergebnis der bisherigen Arbeit ist die Errichtung einer Abendschule, in der bei regulärem Unterricht analphabetische Mädchen lesen und schreiben lernen. Auch die Kurse in der Krankenpflege und im militärischen Sanitätsdienst werden in gutorganisierter Form in Zusammenarbeit mit dem Personal einer medizinischen Station durchgeführt. Mehrere Veranstaltungen, auf denen Vorträge zu den verschiedensten Problemen gehalten wurden, waren gut besucht. Inzwischen hat die Frauenunion Exkursionen mit dem Bus in verschiedene Gebiete Syriens organisiert. Es ist abzusehen, daß •die Frauenunion wesentlich zur Erweiterung des Bildungshorizontes der Frauen und zur Hebung ihres Selbstbewußtseins beitragen wird. Die oben genannten Ziele und Aufgaben der Frauenunion boten eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit der jüngeren Frauen und Mädchen in As-Saih-Badr. In vielen Fällen 123

sind die Eltern gar nicht von der Mitarbeit ihrer Töchter begeistert. Die traditionelle Vorstellung, daß die Frau in erster Linie an den Haushalt gebunden ist, spielt hier noch eine große Rolle. In der Praxis wirken sich aber diese traditionellen Vorstellungen kaum hemmend aus, denn fast alle Mädchen nehmen an der Arbeit der Frauenunion teil. Die Leitung der Frauenunion besteht aus 5 Mitgliedern, die ein administratives Komitee bilden. Dieses trifft sich jede Woche, um das Arbeitsprogramm festzulegen oder seine Erfüllung zu überprüfen. Alle Mitglieder des Komiteeshaben eine abgeschlossene Schulbildung mit Abitur, sie stammen alle aus As-Saih-Badr, und drei von ihnen sind als Lehrerinnen ausgebildet. Den aktiven Kern der Organisation bilden einige Mädchen und Frauen mit abgeschlossener Schulbildung, darunter auch einige, die noch nicht 19 J a h r e alt sind, aber dennoch mitarbeiten. Ihnen steht mehr passiv die Gruppe der analphabetischen Frauen und derjenigen gegenüber, die nur in einem Abendkursus etwas Lesen und Schreiben lernten. Sie sind in erster Linie Zuhörer und beteiligen sich z. B. wenig an den Diskussionen. Die Wortführung und alle Entscheidungen bleiben den „Gebildeten" überlassen. Problem und Aufgabe der Organisation bestehen für die Zukunft darin, den landwirtschaftlich tätigen Teil der weiblichen Bevölkerung zu aktiver Mitarbeit zu bewegen. Erst wenn diese Frauen und Mädchen aus ihrer wirtschaftlichsozialen Umwelt heraus Initiativen entwickeln und damit das gesellschaftliche Leben der Dörfer mitgestalten, wird die Frauenunion in den künftigen Entwicklungsetappen ihren Zweck voll erfüllen. Die Arbeit der Frauenunion mit ihren Erfolgen, Problemen und den Grenzen ihrer Wirksamkeit ist, wie die Arbeit anderer gesellschaftlicher Organisationen und der Genossenschaften auch, ein Beispiel für den dialektischen Charakter der Beziehungen zwischen Basis und Überbau. Die Arbeit der Organisation ist darüber hinaus ein Beispiel für die Möglichkeit und die Grenzen der Möglichkeiten, einen gesellschaftlichen Überbau zu schaffen und mit diesem die E n t wicklung der gesellschaftlichen Basis voranzutreiben. Diese muß — in neuer Qualität — in der Zukunft bestimmender F a k t o r der Entwicklung werden. Neben der Baathpartei und der Frauenorganisation wirkt jetzt auch die Union der Jugend der Revolution (ittihäd sabibat at-taura). I m Mai i960 wurde ein Zweig dieser Organisation in As-Saih-Badr gegründet. Die Aufgaben unterschieden sich nicht wesentlich von denen der Parteiorganisation. Beide arbeiten eng zusammen, und die übergroße Mehrzahl der Mitglieder der Jugendorganisation ist auch Mitglied der Baathpartei. Sie erklären der bäuerlichen Bevölkerung nicht nur viele ökonomische, politische und ideologische Fragen, sondern es werden zu bestimmten Anlässen auch Kulturveranstaltungen durchgeführt, so z. B. am 8. März, dem Tag der Revolution. Diesen Veranstaltungen wird von den Bauern großes Interesse entgegengebracht. Zum Programm der genannten Organisationen gehören auch Arbeitseinsätze, z. B. bei dem B a u von Straßen. So wurde bereits 1964 an der Straße von Aä-Saih-Badr nach Al-Muraiqeb gearbeitet. Einige Male wurden auch Arbeitseinsätze organisiert, bei denen Mitglieder der Jugendorganisation den Bauern bei der E r n t e auf den Feldern halfen. 124

IV. Rolle, der

Traditionen

Die Bedeutung, die heute die Traditionen in der Lebensweise haben, k a n n nur im R a h m e n der Gesamtentwicklung gesehen u n d verstanden werden. Die neuen wirtschaftlichen u n d gesellschaftlichen Gegebenheiten bilden die Basis, deren Veränderung sich auf die gesamte K u l t u r auswirkt. Die Beziehungen zwischen zahlreichen Elementen der materiellen und geistigen K u l t u r und der landwirtschaftlichen Tätigkeit, der hausgewerblichen und handwerklichen Produktion, der 'asira- und Großfamilienorganisation und der islamischen Religion waren so eng, daß sich in der Gegenwart überall Veränderungen ergeben mußten. Sie vollzogen sich aber nicht auf allen Gebieten gleichmäßig, die Gegenwart zeigt ein mosaikartiges Bild aus alten u n d neuen Erscheinungen. Der traditionellen bäuerlichen K u l t u r steht ein Komplex neuer Elemente gegenüber. Seine Träger sind die schulisch gebildeten Gruppen der Bevölkerung. Aber eine klare Abgrenzung der Verbreitung von Alt und Neu und eine entsprechende Zuordnung zu bestimmten Familien ist nicht möglich. I n einem Haushalt, in dem die Eltern Bauern sind und die Söhne eine Schulbildung erhalten haben, findet sich ein Nebeneinander der verschiedensten Erscheinungen. Vieles Neue im materiellen Bereich und ebenso viele neue Verhaltensweisen gehen auf die jungen Leute zurück, die eine Ausbildung in der S t a d t erhalten haben. Diese jungen Menschen, die weiterhin mit ihren Heimatorten in Verbindung bleiben, tragen alle europäische Kleidung. Sie kaufen f ü r ihren Haushalt und f ü r ihre Wohnungseinrichtung Industrieprodukte aus der S t a d t . Die Einführung dieser Elemente erfaßte auch die breite Gruppe der Bauern, deren materieller K u l t u r besitz heute sowohl aus traditionellen handwerklich und hausgewerblich gefertigten Gegenständen, als auch aus Industrieprcdukten besteht. Die jüngere Generation hat aber auch nicht vollständig mit den alten kulturellen Traditionen gebrochen, es ist vielmehr so, daß einige Dinge erhalten geblieben sind, vieles verloren ging und vieles neu hinzu kam. Jüngere Leute beteiligen sich auch bis zu einem gewissen Grade an den alten traditionellen Festen, Feiern und Bräuchen, wenn sie sich in ihrem Heimatort aufhalten, obwohl sie kein großes Interesse daran haben. Eine gewisse Hochachtung vor den suyüh, Verpflichtungen gegenüber den Verwandten, die Beteiligung an Beerdigungszeremonien und die E n t r i c h t u n g von zakät blieben teilweise aufrecht erhalten. Auch die jungen Leute zahlen hin und wieder zakät, aber sie geben das Geld meistens direkt einem ärmeren Bauern und nur selten einem saih. Wenn man ein reales Bild über die tatsächlichen kulturellen Verhältnisse in der Gegenwart gewinnen will, so erfordert das eine ausführliche Untersuchung und Darstellung. Sie soll im R a h m e n der vorliegenden Arbeit auf folgende Schwerpunkte beschränkt sein: 125

1. Traditionen im Lebenszyklus 2. Religiöse Feste 3. Verehrung hervorragender Persönlichkeiten und heiliger Stätten 1. Traditionen im Lebenszyklus Kindheit

Die Geburt des ersten Kindes ist ein wichtiges Ereignis in der Familie, besonders, wenn das Neugeborene ein Sohn ist. Vor der Geburt bereitet die Mutter die Kleidung und die Wiege (sarir) für ihr Kind vor. In den letzten Monaten der Schwangerschaft verrichtet die Frau keine schweren Arbeiten mehr. Sie bleibt zu Hause und erledigt nur leichtere Hausarbeiten. Vielfach nimmt sie ein besseres Essen zu sich als sonst. Bei der bäuerlichen Bevölkerung zeigt sich das besonders deutlich. Die Angehörigen anderer Gruppen nehmen öfter auch ohne besonderen Anlaß reichhaltigere und abwechslungsreichere Mahlzeiten ein. Bei der Geburt des Kindes bleiben nur die Frauen im Hause, und es kommen die Nachbarinnen und die weiblichen Verwandten aller Seiten. Vor allem aber wird eine Hebamme (däye) geholt. In Al-Muraiqeb gibt es eine alte Frau, die bei der Geburt eines Kindes hilft. Sie ist eine Bäuerin und hat nie eine Ausbildung als Hebamme erhalten, aber sie hat eine langjährige Praxis und deshalb viel Erfahrung. Die Männer begeben sich in dieser Zeit zu den Nachbarn und übernachten auch dort. Wenn das Kind geboren ist, geht die Hebamme zum Vater des Kindes und benachrichtigt ihn. Sie macht eine Mitteilung über das Kind und über die Gesundheit seiner Frau. Diese Nachricht wird von einem Bauern mit Freude und Genugtuung empfangen, wenn das Neugeborene ein Sohn ist. Kühler ist die Reaktion, wenn es sich um ein Mädchen handelt. Für die Nachricht erhält die Hebamme vom Vater ein Geschenk. Es sind außer dem Lohn für ihre Dienste 10 bis 15 Lira. Wenn ein Junge geboren wurde, erhält sie oft etwas mehr. Solange die Mutter im Bett liegt, kümmern sich die Hebamme und verwandte Frauen um das Kind. Nachbarinnen erledigen die Haushaltsarbeiten und bereiten das Essen für den Mann und die anderen Kinder. Sie übernehmen auch die Fütterung der Tiere. Nach zwei Tagen können die Eltern Nachbarn und Gäste empfangen. Diese kommen, um das Neugeborene zu sehen und den Eltern zu gratulieren. Die Frage nach der Gesundheit der Mutter ist ein wichtiger Bestandteil des Besuches, man sagt: „al-hamdu lil-läh 'assalämi" (Wir danken Allah für deine Gesundheit). Die Antwort lautet: „älläh-ysallmak" (Möge Allah dich gesund erhalten). Die Gäste bekommen Süßigkeiten vorgesetzt. Es ist dies ein fester Brauch mit der Bezeichnung „hilwän". In den ersten Monaten ist die Muttermilch die einzige Nahrung des Kindes. Später erhält der Säugling auch Ziegen-, Kuh- oder Schafsmilch und Weizenschleimsuppe. Familien aus der Gruppe der Angestellten und einige Bauern kaufen heute auch Trockenmilch in der Stadt. Über die Zusammenhänge der Namensgebung wurde schon kurz im Abschnitt 126

über die Beziehungen innerhalb der Familie berichtet. Alle diese Bräuche werden noch von vielen Bauern eingehalten, aber nicht mehr von der jüngeren ausgebildeten Bevölkerungsgruppe. Junge Ehepaare lassen eine Hebamme aus Tartous kommen, auch manche Bauern tun dies. Wenn eine schwere Geburt erwartet wird, kommt ein Facharzt aus der Stadt ins Dorf. Bei der jüngeren Bevölkerung spielt es heute keine so große Rolle mehr, ob das Neugeborene ein Junge oder Mädchen ist. Nur wenn ein Ehepaar bereits mehrere Mädchen hat und nun ein Junge geboren wird, wird wie in früherer Zeit die Geburt des Jungen besonders gefeiert. Der traditionellen Auffassung der Bauern widerspricht jede Begrenzung der Kinderzahl. Wer viel Kinder hatte, der hatte früher auch viele Arbeitskräfte, und viele Kinder bedeuteten f ü r die Zukunft mehr Ansehen im Dorf, da dann viele Männer zur Familie gehörten. J e t z t haben viele Bauern, wie bereits gesagt wurde, die Vorstellung, daß ihre Kinder einmal staatliche Anstellungen haben werden, und sie sehen in ihrer Kinderschar zukünftige Lehrer, Offiziere, Ingenieure usw. Die Beschneidung der Jungen ist nicht mit einer Feier verbunden. Oft wird die Beschneidung schon einige Wochen nach der Geburt vorgenommen, es kann aber auch mehr als ein J a h r vergehen. Der Beschneider kommt ab und zu ins Dorf und beschneidet die nach seinem letzten Besuch Geborenen. Es ist kein Mediziner, sondern ein Mann, der seine Tätigkeit von einem anderen Beschneider gelernt oder von seinem Vater oder Großvater geerbt hat. Er wandert von einem Dorf zum anderen mit einer Tasche, in der er seine Geräte trägt. Wenn er in ein Dorf kommt, so ruft er einige Male „mtahher", das heißt Beschneider. Dann bitten ihn die Leute, die ein Kind beschneiden lassen wollen, zu sich. Der Beschneider muß eine Urkunde haben, die ihm bestätigt, daß er staatlich anerkannt ist. Alle Jungen, ganz gleich, welchen wirtschaftlichen und sozialen Status ihre Eltern haben, werden beschnitten. Die Kinder werden vor allem im Familienkreis erzogen. Den stärksten Einfluß üben die Mutter und die Großmutter (Mutter des Vaters) aus. Sie sind am meisten zu Hause und beschäftigen sich deshalb auch häufig mit den Kindern. Der Vater ist auf Grund seiner Arbeit einen großen Teil des Tages nicht im Haus. I n seiner Freizeit hält er sich vielfach bei Freunden oder im Cafehaus auf und kommt deshalb weit seltener in Berührung mit seinem Kinde als die Mutter. Die Erziehung der Kinder wird als Frauenarbeit betrachtet. Wenn allerdings ein Kind krank ist, so kümmert sich auch der Vater um das Kind und sorgt dafür, daß ein Arzt kommt. Die starken patriarchalischen Züge, die das Leben in der Familie bestimmen, führen dazu, daß der Vater als Herr betrachtet wird. E r entscheidet über alle Familienangelegenheiten. Unter diesen Verhältnissen leben die Kinder in einem Gefühl des Respekts vor dem Vater. Häufig empfinden sie seine Anwesenheit als unangenehm, da sie sich dann äußerst diszipliniert verhalten müssen. Der Vater gibt seine Anordnungen, und jedes Kind hat diesen ohne Widerspruch zu folgen. Unartigkeit der Kinder wird oft mit Schlägen bestraft. Die Kinder fühlen sich deshalb immer ungezwungener, wenn der Vater nicht im Hause ist. Die Mutter ist für die Kinder die personifizierte Güte, und sie fühlen sich nie durch ihre Anwesenheit gestört. Wenn sich ein Kind der Mutter gegenüber ungezogen 127

verhält, so genügt es, daß sie ankündigt, es dem Vater zu sagen. Alle Kinder sind in der Regel daraufhin folgsam. Die Kinder sollen ihre Eltern hochachten. Eltern sind Personen, die eine gewisse Verehrung genießen. Man vergleicht ihre Stellung mit der Allahs, und häufig hört man folgenden Satz: „ya ridä älläh wa-ridal-wälidain" (Ich bitte um die Zufriedenheit Allahs und der Eltern). Die Vorstellung, daß persönliches Glück davon abhängt, ob die Eltern zufrieden sind, ist tief verwurzelt. Wenn ein Mann, der seine Eltern nicht gut behandelt hat, in eine schwierige Situation gerät, so wird dies von der öffentlichen Meinung als Strafe Allahs interpretiert. Die Verehrung der Eltern ist auch ein Kernsatz der islamischen Religion. Man berichtet, daß Mohamed auf die Frage nach den größten Sünden geantwortet h ä t t e : „Das ist der Glaube an andere Götter und ein widersprüchliches Verhalten gegenüber den Eltern". An anderer Stelle sagt Mohamed: „al-gannatu tahta äqdämi'lummahät" (das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter). Diese Worte sollen sagen, daß einer, der das Paradies sucht, seine Mutter hoch ehren muß. Die Kinder lernen, daß sie Gäste begrüßen müssen und die Hände angesehener Personen zu küssen haben, (z. B. die Hände der äuyüh). Wenn Gäste kommen, müssen sie auch für diese ihren Platz räumen. Kinder dürfen nicht sprechen, wenn die Älteren reden, und sie dürfen nicht essen, bevor die Gäste gegessen haben. Das kindliche Weltbild formt sich weitgehend nach dem, was ihm Mutter und Großmutter vermitteln, beide erzählen ihm Märchen und viele Dinge, die mit abergläubischen Praktiken zusammenhängen. Fast jeden Abend, wenn das Kind bereits im Bett liegt, erzählen ihm die Großmutter und die Mutter ein Märchen, in denen von Raubtieren, Heldengestalten usw. die Rede ist. Die Rolle der Großeltern bei der Erziehung der Kinder ist besonders in einer Großfamilie sehr bedeutend. Es gibt ein bäuerliches Sprichwort, das lautet: „Nichts ist wertvoller als das Kind, außer dem Kind des Kindes." I n diesem Sprichwort kommt die enge Beziehung der Großeltern zu den Enkeln zum Ausdruck. Großeltern vergessen es nie, ihren Enkeln von Zeit zu Zeit kleine Geschenke, meist handelt es sich um Leckereien, zu machen. Der Einfluß der anderen Verwandten bei der Erziehung der Kinder ist sehr gering. Waisenkinder werden von ihrem Onkel (dem Vaterbruder) erzogen. Auch der Großvater (Vaters Vater) kann die Erziehung übernehmen. Die Mutter trägt aber die größte Verantwortung für die Kinder, wenn deren Vater gestorben ist. Allerdings nur, solange sie nicht wieder heiratet. In diesem Falle nimmt sie ihre Kinder in der Regel nicht in die neue Ehe mit, sondern diese leben dann bei ihren väterlichen Verwandten. Verlobung

(al-hutüba)

Zur Verlobungsfeier werden alle Einwohner eines Dorfes in das Haus der Brauteltern eingeladen. Hinzu kommen Verwandte und Freunde des Bräutigams und der Braut aus den benachbarten Orten. Der Bräutigam und seine Familie übernehmen die Einladungen. Das Verlobungszeremoniell beginnt am Abend, etwa eine Stunde nach dem Sonnenuntergang. Essen und Getränke sind dann bereits auf den Tischen serviert. Die älteren Leute sitzen auf Teppichen oder Matratzen 128

am Boden, und nur jüngere nehmen auf Stühlen an den Tischen Platz. Die Eröffnung der Zeremonie übernimmt ein äaih, der von den Eltern der Braut und den Eltern des Bräutigams besonders geschätzt wird. Der äaih erhebt sich und ruft den Vater der Braut und den Bräutigam. Der Bräutigam erklärt, vor dem äaih stehend, daß er dieses Mädchen zur Frau nehmen möchte. Danach fragt der äaih den Vater der Braut, ob er einverstanden ist. Dieser antwortet mit „ja". Danach wird die Höhe des Brautpreises angegeben, und der äaih spricht an alle Anwesenden gewandt, daß sich dieser junge Mann und dieses junge Mädchen entschieden haben, eine Vereinbarung über ihre spätere Heirat zu schließen. Die beiden treten dann an den äaih heran und küssen seine Hand. Falls das Mädchen keinen Vater hat, nimmt der Vaterbruder oder ein anderer Mann aus der engeren väterlichen Verwandtschaft diese Stelle ein. Als nächstes wird nun das Mädchen vom äaih aufgerufen. Er fragt den jungen Mann, ob er dieses Mädchen zur Frau nehmen wird; der Bräutigam antwortet mit „ja". Danach wird das Mädchen gefragt, ob sie diesen Mann als Ehemann haben möchte; sie antwortet ebenfalls mit „ja". Beide küssen danach dem äaih die Hand. Nun übergibt der Bräutigam dem äaih die goldenen Eheringe und das Verlobungsgeschenk flame). Der äaih steckt beiden die Ringe an die Finger und gibt das Geschenk an die Braut weiter. Es besteht aus einem Stück Stoff oder einem schönen Kopftuch und einer Summe Geld (50 bis 100 Lira). Dieses Geschenk gehört aber nicht zum Brautpreis. Danach liest der äaih einige religiöse Texte, es gehören dazu Stellen aus dem Koran und Stellen aus einer der alten islamischen Überlieferungen. Damit ist die offizielle Zeremonie beendet. Der Mann und das Mädchen küssen wiederum dem äaih die Hand und nehmen Platz. Das Mädchen begibt sich danach in den Teil des Raumes oder Hauses, wo die Frauen sind, und der Bräutigam geht, um die Gäste zu bedienen. Der äaih erhält nach dieser Zeremonie von dem Bräutigam oder dessen Vater eine Geldsumme als zakät. Während dieser Zeit stehen oder sitzen die Frauen in einem anderen Teil des Raumes hinter den Männern und hören aufmerksam zu. Es folgen dann die Gratulationen an die Verlobten mit den Glückwünschen aller Anwesenden. Hierauf beginnt ein allgemeines Essen und Trinken. Die Gäste werden vor allem mit Hammel- und Hühnerfleisch, Reis, burgul und gekochtem Gemüse bewirtet. Als Getränk wird Arrak serviert. Besondere Leckerbissen sind Erdnüsse, Baumnüsse und Mandeln, Oliven-Konserven und andere Früchte. Essen und Trinken werden von dem Bräutigam besorgt. Während des Essens und Trinkens wird musiziert und gesungen. Das typische Musikinstrument bei einem solchen Anlaß ist die rabäba. 55 Zwischen den musikalischen Darbietungen werden lustige Geschichten erzählt. Eine Verlobungsfeier endet gegen Mitternacht oder in den ersten Morgenstunden. Das hier gezeichnete Bild hat in der letzten Zeit starke Veränderungen erfahren. Die Feiern bei der Verlobung sind nicht mehr so aufwendig, die Tradition 65

Die rabäba ist ein Saiteninstrument (einsaitig). Den Resonanzboden bildet ein Rahmen, der mit einer Tierhaut (Kalbsfell o. a.) bespannt ist.

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Sozialökonomische Verhältnisse

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geht stark zurück. Die jungen Leute mit Schulbildung weigern sich zunehmend, die alten, mit der Verlobung verbundenen Formen einzuhalten. Auch bei den heutigen Verlobungen ist aber immer ein Saih dabei. Der Teilnehmerkreis besteht jetzt überwiegend aus jungen Leuten, das heißt, aus den jungen Männern und jungen Mädchen des Ortes. Es gibt bei dieser Bevölkerungsgruppe keine Vereinbarungen über den Brautpreis mehr. Das Ganze hat mehr den Charakter eines fröhlichen Beisammenseins. Auch der Rabäba-Spieler tritt nicht mehr auf. An seiner Stelle wird oft Musik von einem Tonbandgerät oder Radiomusik gehört. Auch die Ringe werden nicht mehr vom Saih an die Finger der Verlobten gesteckt, sondern die Verlobten tun dies gegenseitig. Hochzeit

(al-urs)

Zwischen der Verlobung und der Heirat liegt eine gewisse Zeit, in den meisten Fällen etwa ein Jahr. Einige Monate vor der Hochzeit fahren Braut und Bräutigam mit anderen Verwandten in die Stadt, um den Stoff für das Hochzeitskleid zu kaufen. Das Kleid wird von einer Schneiderin im Dorf genäht. Parallel dazu beginnen die Vorbereitungen für die Hochzeit. Nach den traditionellen Ansichten ist nicht jeder Tag gleichermaßen dafür geeignet, sondern es gibt gute Tage (yaum tayyib) und schlechte Tage (yaum nahs). Der gute Tag kann von einem Saih gefunden werden. Aber nicht jeder Saih gilt als dafür geeignet. In Al-Muraiqeb gibt es zwei alte Männer, denen nachgesagt wird, daß sie die Fähigkeit haben, mit astrologischen Praktiken gute und böse Geschehnisse der Zukunft vorhersehen zu können. Bei jeder Hochzeit geht ein Angehöriger des Bräutigams zu einem dieser Saih, um sich zu erkundigen, welcher Tag der geeignetste ist. 56 Übrigens kommen auch aus anderen Dörfern zum gleichen Zweck Leute zu diesem Saih. Es scheint, daß es derartige Persönlichkeiten in der gesamten weiteren Umgebung nicht gibt. Wenn der günstigste Tag gefunden wurde, werden die Dorfbewohner und auch viele Einwohner benachbarter Dörfer zur Hochzeit eingeladen; ebenso auch die Vertreter der staatlichen Behörden, z. B. die Polizisten und der mudir. Die Feier beginnt am Vorabend des eigentlichen Hochzeitstages im Hause des Bräutigams. Die jungen Leute aus dem Dorf kommen zusammen und tanzen im Hof des Gehöftes oder auf dem Dorfplatz. Beim Tanz bilden die Tänzer einen Halbkreis, wobei in der Reihe junge Männer und Mädchen wechseln. Die guten Tänzer stehen an der Spitze der Reihe, einer von ihnen beginnt den Tanz, die anderen folgen seinen Schritten. In der Mitte des Halbkreises stehen drei Männer. Sie kommen aus einem etwa 15 km entfernten Dorf und werden zu jeder Hochzeit in der weiteren Umgebung eingeladen. Sie sind die Bewahrer der alten Musik und der alten Tänze. Einer von ihnen spielt auf einer doppelrohrigen Flöte aus Bambus (zamr), der andere hat eine große Trommel (tabl), die er mit einem Stab schlägt. Der dritte Mann ist der mSaubeS. Wenn ein Tanz beginnt, reichen ihm die Tänzer und Zuschauer kleine Geldstücke, und er ruft daraufhin das Wort 56

Auch für den Einzug in ein neues Haus gibt es gute und schlechte Tage. Ein Bauer wird sich bei einem solchen Anlaß bei einem saih nach dem geeignetsten Tag erkundigen.

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Sabüs,57 darauf folgt der Name einer Person (§abü§ ist ein Hochruf). Dieses „ H o c h " kann aber auch auf Organisationen, z. B. auf eine Partei und einzelne führende Persönlichkeiten, die nicht anwesend sind, ausgebracht werden. I n der Zeit stärkerer politischer Auseinandersetzungen am Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre zeigten die Sabüä-Rufer bei einer Hochzeit häufig den K a m p f der politischen Meinungen und die Sympathie der Bevölkerung für bestimmte Gruppen oder Parteien an. Die beiden Musikanten und der Sabüä-Rufer sind wichtige Personen bei einer Hochzeitsfeier. Ohne sie hat diese nicht die traditionelle Form. A m nächsten Tag vormittags versammeln sich die Dorfeinwohner und die von außerhalb gekommenen Gäste, und es beginnt erneut der Tanz in dem Gehöft des Bräutigams. Gegen Mittag ziehen sie alle zum Haus der Braut. I m Hause des Bräutigams bleiben nur einige Frauen, die das Essen und Trinken vorbereiten. Der Zug zum Brauthaus ist geordnet und gegliedert. Die Männer gehen in einer Reihe vorweg, ihnen folgen die Frauen. Der erste Mann hat die Bezeichnung "aqid. Dafür wird ein Mann ausgewählt, der großes Ansehen im Dorf hat, außerdem darf er nicht zur "aälra des Bräutigams gehören. Auf dem Wege spielen die Musikanten, und die Frauen singen Volkslieder. Wenn der Zug ins Haus der Braut kommt, wird er von deren Eltern und Verwandten begrüßt. Die Männer setzen sich an die Tische um etwas zu essen und zu trinken, die Mädchen und Frauen gehen ins Haus, wo die Braut wartet. Die Mädchen helfen mit, die Braut anzukleiden und zu schmücken. Der Braut wird ein weißer, durchsichtiger Schleier um K o p f und Gesicht gelegt. Danach nimmt die Braut von den Eltern und Verwandten Abschied, auch dann, wenn es eine Hochzeit innerhalb des Dorfes ist. Bei der Abschiedsszene weinen die Braut sowie ihre Eltern und Geschwister, weil ein Mitglied der Familie das Haus verläßt. Die Braut sitzt dann auf einem Stuhl vor dem Hause und erhält dort die Geschenke ihrer Eltern und Angehörigen, und zwar in Form von Bargeld. Dieses Geld wird erst an den mSaubeS gegeben, und dieser bringt einen Hochruf auf den Spender aus. Die Geldspende ist als Unterstützung für die künftige neue Familie gedacht. Sie kommt in die Hände des Ehemannes. Er erhält auf diesem Wege einen Teil der Kosten, die er für die Hochzeitsfeier aufwenden mußte, zurück. Die Geschenke, die die Braut von ihren Eltern bekommt, müssen vor ihr im Hause des Bräutigams ankommen. Sie bestehen aus einer großen Truhe (sandüq) und einem Bett. Manchmal gehören auch noch andere Gegenstände dazu, aber Holztruhe und Bett sind das wichtigste. Wenn sich die Braut von ihren Angehörigen verabschiedet hat und das Geldspenden beendet ist, kehrt der ganze Zug mit der Braut zum Hause des Bräutigams zurück. Die Braut reitet auf einem P f e r d und wird von zwei Personen, meist von ihren Verwandten, von beiden Seiten gestützt. Wieder schreitet der 'aqid voran; ihm folgen die Männer und die Frauen. Wenn auf dem Wege eine heilige Grabstätte liegt, muß die Braut vom Pferd steigen. Sie brennt dort Weihrauch ab und bittet den Heiligen, daß sie Freude in ihrem neuen Leben findet. Vor dem Hause des Bräutigams steigt die Braut ab und wird von den Eltern und Verwandten des Bräutigams in herzlicher Weise begrüßt. Die Eltern wiederholen fortwährend, daß sie glücklich sind, eine so hübsche und gute Schwiegertochter zu 57

9*

Sabüs ist kein arabisches Wort, es ist türkischen Ursprungs. 131

bekommen. Die Mädchen singen und loben die Schönheit der Braut und die Vernunft des Bräutigams. Bevor die Braut das Haus betritt, setzt sie sich wiederum auf einen Stuhl, und das Geldspenden beginnt erneut. Der erste Spender ist der Bräutigam, er gibt mindestens 100 Lira, dann folgen die Eltern, die Geschwister, die Verwandten und Freunde. Neben dem Sabüä-Rufer steht ein Mann und notiert auf einem Zettel, wieviel jeder gegeben hat. Der Spender oder ein Mitglied seiner Familie wird eines Tages von dem heute Beschenkten eine Gabe von etwa gleichem Wert zurückerhalten. Wenn die Braut das Haus des Bräutigams betritt, zerbricht sie am Eingang ein Glas. Damit soll das Unglück gebrochen werden. In anderen Fällen zerbricht die Braut kein Glas, sondern sie klebt ein Stück Teig über dem Hauseingang fest. Das heißt, die Felder sollen immer gute Erträge haben, und in diesem Hause wird es immer genügend zu essen geben. Danach geht der Tanz weiter. Auf Tischen werden Essen und Getränke bereitgestellt. Die Feier zieht sich bis gegen Mitternacht hin. Einige Tage vor der Hochzeit wird im islamischen Gericht in Tartous der Heiratsvertrag ausgefertigt. In diesem Vertrag wird die Höhe des Brautpreises festgelegt. Es wird nach den traditionellen Gepflogenheiten eine bestimmte Summe eingetragen, obwohl dieser Brautpreis in der Praxis kaum bezahlt wird. Wichtiger ist die Frage nach der Zahlung, die im Falle der Scheidung von der Seite des Mannes an die Frau geleistet werden muß. Außerdem ist die Anwesenheit von Zeugen notwendig. Bei der Unterzeichnung müssen der Bräutigam und ein Vertreter des Mädchens — normalerweise ihr Vater — dabei sein. Der Kadi führt die Trauungszeremonie durch. Es gibt dafür bestimmte islamische Texte, die von ihm vorgetragen werden. Außer diesem Vorgang gibt es noch eine amtliche Handlung im Ort des Bräutigams, die ohne Vorlage oder Unterzeichnung von Dokumenten erfolgt. Bei dieser Handlung fungiert ein äaih. Wenige Tage vor der Hochzeitsfeier begeben sich der Mann und ein Vertreter des Mädchens zu dem §aih. Dieser trägt einige Texte vor und bestätigt, daß die beiden Frau und Mann werden. In den letzten Jahren hat sich das geschilderte Bild von der Hochzeitsfeier stark verändert. Die jüngere Generation, vor allem diejenigen, die eine Schule besucht haben, feiern nicht mehr in der beschriebenen Art und Weise. Neue Gewohnheiten, die aus den Städten stammen, beeinflussen die Haltung der Bevölkerung auf dem Dorf. In den letzten Jahren gab es kaum mehr eine traditionelle Hochzeitsfeier, auch nicht bei den bäuerlichen Familien, wobei wir beachten müssen, daß es kaum noch jüngere Menschen, die nur bäuerlich tätig sind, gibt. Hochzeitsfeiern sind jetzt nicht mehr mit einer großen Feier verbunden. An zwei Beispielen aus den letzten Jahren in Al-Muraiqeb wird dies deutlich. 1969 heiratete ein junger Mann, dessen Eltern Bauern sind, der aber eine höhere Schule besucht hatte. Es gab keine Feier, nur die Eltern und einige Verwandte des Bräutigams gingen zum Braut haus, holten die Braut und geleiteten sie in das Haus des Bräutigams. Ein anderer jüngerer Mann, der ebenfalls eine höhere Schule besucht hatte, ließ am Hochzeitstag ein Taxi aus Tartous ins Dorf kommen. Die Brautleute stiegen ein und begannen auf diese Art eine Hochzeitsreise in einige syrische Städte. Die Hochzeitsreise ist eine früher vollkommen unbekannte Neuerung der 132

heutigen Zeit. Als sie nach einigen Tagen zurückkehrten, veranstalteten sie eine kleine Feier, bei der Verwandte und Freunde einige Geschenke überreichten. Bei der dritten Hochzeit, die 1969 in Al-Muraiqeb s t a t t f a n d , heiratete ein junger Mann aus diesem Dorf eine Lehrerin aus dem Nachbarort. E s gab nur eine kleine Feier f ü r wenige Verwandte u n d Freunde. Am Abend wurde gegessen, getrunken und gesungen. Am nächsten Tage f u h r das junge E h e p a a r in die Stadt, wo der Mann in einem Büro arbeitet. Tod und Beerdigung Über Tod u n d Begräbniszeremonien h a t S A ' U D in seiner Arbeit ausführliche Angaben gemacht. E r beschreibt die Feierlichkeiten u n d die Trauersitten der Gebirgsbevölkerung 5 8 und zeichnete einige Texte religiösen Inhalts auf, die bei diesem Anlaß vorgetragen werden. Seine Darstellung trifft im großen u n d ganzen auch auf die hier behandelten Orte zu. W e n n jemand schwer erkrankt ist, bleiben ständig einige Verwandte u m ihn. E r darf nach der traditionellen Sitte keinen Moment allein gelassen werden. W e n n die Verwandten glauben, daß der Tod unmittelbar bevorsteht, wird er so gelegt, daß er nach Süden blickt. E r soll mit dem Gesicht in R i c h t u n g Mekka-Medina sterben. Wenn der Tod eingetreten ist, legt m a n eine Decke über ihn. Neben ihm wird von den Verwandten Weihrauch abgebrannt. Die Kinder und Frauen klagen laut, und einige Männer lesen Koran-Texte. Dies zieht sich über einige Stunden hin. Verwandte u n d Nachbarn informieren den ganzen Ort. Wenn ein Mann gestorben ist, werden auch die Nachbardörfer benachrichtigt. Handelt es sich um eine bekannte Person, so erweitert sich der Kreis der Information. Der Tote wird an dem gleichen Tag beerdigt, an dem er gestorben ist. E r soll schnell zu Allah kommen. Eine Gruppe von Männern geht mit Hacke u n d Schaufel zum Friedhof u n d hebt dort das Grab aus. Andere Männer fertigen eine Bahre an, auf die der Tote gelegt wird. Vorher findet eine rituelle Leichenwaschung s t a t t . Diese wird von einem saih vorgenommen. Wenn eine F r a u gestorben ist, so wird die Leiche von einer F r a u aus dem Dorf gewaschen. Während des Waschens liest der saih einige Koranverse und betet zu Gott f ü r den Verstorbenen. Nach dem Waschen wird der Tote in ein ungenähtes weißes Kleid eingewickelt. Danach wird er auf der Bahre zum Friedhof getragen. An der Spitze des Zuges gehen immer die äuyüh, u n d die Bahre wird von vielen Männern auf den Handspitzen getragen. Den Männern folgen weinend und klagend die F r a u e n . Einige Männer lesen unterwegs laut aus dem K o r a n und suyüh tragen singend religiöse Texte vor. F o r t während t ö n t dazu der R u f : Allähu akbar, das heißt, Allah ist (sehr) groß. Häufig wird auch Weihrauch verbrannt. Auf dem Friedhof angekommen, wird das Gebet „salät el-ganäze" gesprochen. E i n saih leitet die Zeremonie ein, die anderen stehen in einer Reihe hinter ihm, alle mit dem Gesicht nach Süden. Vor ihnen steht die Bahre mit dem Toten. Nach dem Gebet wird die Leiche in das Grab gelegt, die F ü ß e nach Osten, der Kopf n a c h Westen, d a s Gesicht nach Süden gewandt. 58 S A ' Ü D , 1 9 5 9 , S . 4 9 f .

133

Am Abend treffen sich die Verwandten und Nachbarn im Hause des Verstorbenen. Einer von ihnen liest aus dem Koran vor.

2. Religiöse Feste I n As-Saih-Badr und den anderen Orten im Gebirge wird eine Reihe traditioneller Feste und Feiertage begangen. Es gehören dazu die im gesamten islamischen Orient üblichen Feiern, aber auch solche, die nur im Alawitengebiet begangen werden und die in ihrem Ursprung unter anderem auch auf christliche und iranische Traditionen zurückgehen. 59 Zu den wichtigsten Festen gehören 'Idramadan und 'Idal-adhä. Mit ersterem schließt der Ramadan (Fastenmonat) ab; das zweite liegt 70 Tage später. Beide Festtage sind nach dem Mondkalender festgelegt. Beide Male werden von den Bauern Schlachtopfer, vor allem Ziegen dargebracht. Vor 10 bis 20 Jahren war das noch allgemein üblich. Gewöhnlich werden zu diesen Festen Gäste aus dem Dorf und aus Nachbarorten eingeladen. Besonders wird darauf geachtet, daß sich unter den Eingeladenen einige suyüh befinden. Die Feste vereinigen über den Rahmen der Großfamilie hinaus eine größere Verwandtengruppe, oft die ganze Linie, im Hause ihres angesehensten Mitglieds. Wenn es in der Verwandtschaftsgruppe einen §aih gibt, so trifft man sich in dessen Haus. Das Festessen beginnt nach einem gemeinsamen Gebet. Zuerst essen die Männer, dann die Frauen und Kinder. Beide Feste können sich über zwei oder drei Tage hinziehen, denn häufig besteht der Wunsch, sich gegenseitig zu besuchen. Ein saih muß jedenfalls immer anwesend sein, da nur er die Texte, die zum Gebet gehören, kennt und das Opfer vollziehen kann. Während des Festes wird zakät an die Armen, die Witwen und die suyüh gegeben. Ein weiteres Fest ist "Idal-gadlr. Es findet am 18. des letzten Monats des Mondjahres statt. Nach einer Alawitenüberlieferung hat Mohamed an diesem Tage vor Pilgern eine Rede gehalten und'Ali-Ibn-Tälib zu seinem Nachfolger ernannt. Auch anläßlich dieses Festes wird ein Opfer gebracht und es gibt ein gemeinsames Festessen. Festlich begangen wird, allerdings nur von wenigen Familien im untersuchten Gebiet, auch der Gedenktag an die Verhandlungen zwischen dem Propheten Mohamed und den Christen von Nagran (einer Stadt im heutigen Saudi-Arabien). In Al-Muraiqeb gibt es zur Zeit noch einen Bauern, der an diesem Tage ein Opfer bringt und Gäste zum Essen einlädt. Ebenso ist der Fest- und Gedenktag 'Idel-fräs heute kaum noch von Bedeutung. Sein Anlaß ist ein Bericht aus der islamischen Überlieferung. Als Mohamed mit dem ersten Kalifen Abü bakr nach Medina floh (im Jahre 622), legte sich Ali in das Bett des Propheten und täuschte so die Verfolger, die glaubten Mohamed selbst vorzufinden. Weitere Festtage sind 'Id nusf Sa'bän am 14. des Mondmonats Sa'bän, das in der ganzen islamischen Welt begangen wird, und 'id 5'J

SA'ÜD,

blick. 134

1959,

S.

36f. A u c h

AS-SABIF,

1960, S. 193 gibt in seiner Arbeit einen Über-

'aSürä' am 10. des ersten Mondmonats (muharram). An diesem Tage fiel der ältere Sohn von 'Ali Husain im Kampf gegen die Omayaden. Auch Mohameds Geburtstag am 9. des 3. Mondmonats (rabi 'auual) wird festlich begangen. Von einer großen Bedeutung dieser Feier- und Gedenktage im Leben der Bevölkerung kann aber nicht mehr gesprochen werden. Bei allen diesen festlichen Gelegenheiten werden Tiere geopfert. Heute sind es in den meisten Fällen Hühner. Mit dem Darbringen eines Opfers ist die Vorstellung verbunden, daß der Opfernde näher zu Allah kommt. Für das Opfer wird man nicht im irdischen Leben, wohl aber nach dem Tode belohnt. Die Opferhandlung ist eine „gute Tat", die mithilft, einen Platz im Paradies zu sichern. Diese Gedankenwelt wirkt sich auf das Verhalten der Bauern auch heute noch aus. Sie betrachten die Opferriten als die Voraussetzung für die Errettung ihrer Seele. Das einzige, was den Menschen nach ihrem Tode vom Leben bleibt, sind die vollbrachten guten Taten. Jede Bauernfamilie opfert einige Male im Jahr. Aber es gibt beachtliche Unterschiede, das heißt, die einen opfern weniger, die anderen mehr. Dabei spielt die Tradition der betreffenden Familien eine große Rolle. Viele Bauern opfern zu den Anlässen, zu denen auch ihre Väter und Großväter geopfert haben. Es gibt aber auch wirtschaftliche Gründe. Familien, die viel Vieh besaßen oder besitzen, konnten unbedenklich einen Hammel oder einen Ziegenbock opfern. Mit dem Rückgang der Ziegenhaltung in den letzten Jahrzehnten ergab es sich, daß fast nur Hühner geopfert werden. Schließlich wirkt sich auf die unterschiedliche Haltung der Bauern zum Opfer die moderne Tendenz aus, alle diese Traditionen abzubauen. Der Einfluß der jungen Generation ist hier sehr stark. Das Opfer wird, wie gesagt, immer von einem äaih vollzogen. Wenn es sich bei dem Opfer nur um Hühner handelt, ist die Hilfe anderer nicht erforderlich, der saih braucht nur jemanden, der ihm das Huhn reicht. Werden Hammel oder Ziegenbock geopfert, so halten einige Personen das Tier fest. Wenn der saih das Opfer bringt, so steht er immer nach Süden gewandt. Mit einem scharfen Messer wird die Halsvene des Tieres durchgeschnitten, damit es völlig ausblutet. Es werden außer Geflügel keine weiblichen Tiere geopfert oder gegessen. Ähnlich wie beim Opfer werden bestimmte Handlungen vollzogen, die mit Versprechungen oder Gelübden im Zusammenhang stehen. Dazu gehören nutr, rism, fadü und hasne. Wenn ein Familienmitglied schwer und gefährlich erkrankt ist, so tut der Kranke selbst oder ein Angehöriger ein Gelübde, das etwa folgenden Wortlaut hat: „Wenn dieser Kranke gesund wird, werde ich ein Tier opfern (in dem Gelübde-Spruch wird die Art des Tieres genannt), und ich werde eine bestimmte Summe als zakät geben". Wird der Kranke gesund, so wird das Versprechen erfüllt. Das Gelübde bezieht sich aber manchmal nicht auf ein einmaliges Opfer und eine einmalige zakät-Gabe, sondern auf ein regelmäßig jedes Jahr zu erbringendes Opfer mit Geldspende. In diesem Falle wird die Zeremonie rism genannt. Fadü ist ein Gelübde, das ein Bauer ablegt, wenn er etwas Schweres geträumt hat, z. B. daß seinem Haus oder seiner Familie ein Unglück droht. Damit dieses nicht eintritt, wird ein Versprechen, ähnlich dem nutr, abgelegt. Diese Tradition ist in einer Stelle des Alten Testamentes begründet, die auch im Koran steht. Es ist die Geschichte von Abraham, der träumte, daß er seinen Sohn Ismail 135

Gott zum Opfer darbringen sollte. Vor dem Vollzug des Opfers wurde Abraham durch einen Engel aufgefordert, einen Hammel statt des Sohnes zu opfern. Zu den traditionellen Anlässen, die mit der islamischen Verpflichtung, zakät zu geben und Arme zu unterstützen, verbunden sind, gehört die hasne. Sie erfolgt nach dem Verkauf der Ernte auf dem Waqf-Land. Ein Bauer ist dafür verantwortlich (s. S. 95). Außer den genannten Festlichkeiten gibt es zwei Volksfeste, die mit großer Wahrscheinlichkeit einen christlichen Ursprung haben. Es sind dies al-barbära und al-miläde. Al-barbära ist der 3. Dezember des östlichen Kalenders (16. Dezember). An diesem Tage schlachten die Bauern Hühner und bereiten ein besonderes Essen aus Weizen zu. Bei dieser Gelegenheit werden keine Gäste eingeladen, nur die Familienmitglieder sitzen zusammen. Nach dem Abendessen zünden die Kinder außerhalb des Dorfes Feuer an, und in der Dunkelheit sieht man die Feuer der benachbarten Dörfer brennen. Das Fest al-miläde wird zum Gedenken an Christi Geburtstag am 1. Januar des östlichen Kalenders (14. 1.) begangen. An diesem Tage schlachtete früher jede Familie einen Hammel oder einen Ziegenbock, die extra für diese Gelegenheit gekauft oder gehalten wurden. Vor etwa 20 Jahren wurde während des almiläde-Festes auch noch getanzt und gesungen. Die Männer des Dorfes gingen zum Hause der angesehenen suyüh und sprachen diesen ihre Glückwünsche aus. In der kurzen Zeit zwischen al-barbara und al-miläde gibt es weitere Festtage, die aber mit den beiden genannten in ihrer Bedeutung nicht zu vergleichen sind. Das eine Fest ist al-hilwe, das heißt die Süße. An diesem Tage werden Süßigkeiten gekauft und gegessen. Der andere Festtag ist al-b5ära. An diesem Tage kochen die Frauen ein bestimmtes Gericht. Es sind Klöße aus burgul, die mit gekochtem Gemüse gefüllt sind. Sie werden in dieser Zubereitung nur zu diesem Anlaß gegessen. Zu den letztgenannten Feiern und Festen werden keine Opfer dargebracht.

3. Verehrung hervorragender Persönlichkeiten und heiliger Stätten Hervorragende suyüh und Persönlichkeiten von religiöser Bedeutung genießen nach ihrem Tode große Verehrung. Diese Verehrung der hervorragenden suyüh ist an zahlreiche heilige Stätten gebunden. In dem Dorf Al-Muraiqeb gibt es sechs heilige Stätten. Fünf von ihnen gehen auf die vergangenen Jahrhunderte zurück, die sechste Grabstätte wurde am Anfang unseres Jahrhunderts errichtet. Dort liegt einer der Ahnen der heutigen Saih-Linie begraben. Die ältesten Einwohner von Al-Muraiqeb kannten diesen saih noch. In Al-Andrüse ist die Grabstätte von As-Saih-Badr von großer Bedeutung und zwar nicht nur für die Einwohner des Ortes, sondern auch für die weitere Umgebung. Die Verehrung einer heiligen Persönlichkeit kommt in verschiedenen Riten zum Ausdruck. In ihrem Namen werden Tiere geopfert und mit der Nennung ihres Namens wird das nutr-Gelübde gesprochen. Die Grabstätten werden von der bäuerlichen Bevölkerung, besonders von Frauen und Mädchen, besucht. Sie brennen dort Weihrauch ab. Mit einem Besuch ist oft auch eine kleine Geldspende 136

(zakät) verbunden. Zur Grabstätte von A§-Saih-Badr kommen auch viele Besucher aus anderen Dörfern. Sie bringen Opfertiere mit und bereiten bei der Grabstätte ein Essen für die ärmeren Einwohner des Ortes und die äuyüh. Es gibt Besucher, die an der Grabstätte dieses berühmten Saih zwei Tage lang bleiben. Große Verehrung genießen aber nicht nur die einheimischen Grabstätten, sondern auch heilige Stätten außerhalb der engeren Heimat. So gilt als besonders heilig das Grab von 'All Zain el-'Abdin, einem Enkel von 'All Ibn Abi Talib. Dieses Grab liegt in der Nähe der Stadt Hama. Die Grabstätte wird von der bäuerlichen Bevölkerung, besonders von Fauen und Mädchen, besucht, um Tiere opfern zu lassen und Geldspenden als zakät zu geben. Hochverehrt wird auch al-Hidr (Al-Khädir). 60 E r genießt Verehrung nicht nur bei den Alawiten, sondern auch bei den anderen Sekten. Übrigens berichtet auch L U T F I Y Y A von der Bedeutung dieses heiligen Mannes für die Dörfer in Jordanien. 6 1 Es ist charakteristisch, daß die Grabstätten in erster Linie von Frauen besucht werden, die keine oder nur eine geringe Schulbildung haben. Männer gehen nur selten zu den Grabstätten. Die Einwohner der Dörfer von As-SaihBadr, die eine abgeschlossene Schulbildung haben, nehmen an den Zeremonien bei den heiligen Stätten nicht mehr teil, obwohl auch die Mehrzahl dieses Personenkreises ein Gefühl der Verehrung und des Respektes gegenüber den verstorbenen großen suyüh hat. In den letzten 15 Jahren hat die Zunahme der Schulbildung und der Kontakt mit den Städten zu einem starken Rückgang der traditionellen Vorstellungen und Sitten geführt. Die bäuerliche Bevölkerung ist der Träger der traditionellen Kultur, und es ist noch nicht abzusehen, welche Traditionen verschwinden werden und welche — möglicherweise auch mit gewandeltem Inhalt — erhalten bleiben. 60

N a m e einer bekannten Persönlichkeit aus der islamischen Überlieferung,

ei L U T F I Y Y A , 1 9 6 6 , S . 7 5 .

137

Summary

The present work is the result of field studies conducted in the summer months of 1968 and 1970. The author aims to describe the way of life of the rural population in a rugged coastal strip of the Syrian Arab Republic, as well as the prevailing socioeconomic conditions and the changes which have occurred in these conditions. The introduction mentions a number of studies on the social and cultural status of the rural population in Syria and some neighbouring Arab countries completed before 1970. The economic and political importance of these countries has considerably increased, particularly after they won their national independence, and so has the interest of research workers. Nevertheless, few investigations have been made of the social status of the peasantry which, in the Syrian Arab Republic, constitutes nearly 60% of the entire population. I n the light of these proportions, it will be appreciated t h a t a closer study in the direction indicated was felt to be a matter of prime importance. A number of economic and political measures undertaken by the Syrian government in recent years indicate t h a t the country is pursuing a course of development which is not aimed at a capitalist society along Western lines b u t m a y eventually result in a socialist system. Any changes in the social conditions of the peasant population will merit special attention in this context. The field studies centred on the As-Saih-Badr administrative district, east of Tartus, which consists of several villages. The community of Al-Andruse is the administrative centre of the exclusively rural district and is now described as As-Saih-Badr following the marking off of districts within the framework of government planning. The limited approach which is found in most of the earlier and some of the newer ethnological investigations which are concerned with individual villages, has been abandoned because it was felt t h a t the present situation calls for more advanced methods and a wider theoretical understanding. One aspect of t h e problem is the emergence of new relations between the peasantry and other groups of t h e population, and the formation of new classes and strata. A country town or rural administration and development centre and the surrounding area constitute a very suitable, and sometimes the only, object for a study of new relations of exchange between the peasants on the one hand, and the craftsmen and retailers on the other. The same applies to the relationship between the peasantry and government authorities, and the formation of new groups, classes and strata and their social activities. The fieldwork was facilitated by the fact t h a t the author was born in t h e area and spent his childhood there. This enabled him to see many results against the 138

background of his own experience, and relatives and friends were helpful in supplying additional data and in the verification, or otherwise, of results. The investigation in part describes and analyzes the socioeconomic status, and the way of life in general, of a number of peasant families, based on the following data: members of the family; age of husband, wife and children; main •occupation of the husband; educational background; ownership of land and animals ; quantity of agricultural produce ; quantity of produce sold ; sources of additional income; expenditure for food, household items and clothing; size of the house, and furniture etc. ; how do the parents see the future of their children. There were no large landowners in the area, and the life of the rural population was not revolutionized by a land reform, as happened in many other regions. I t emerged from the investigation that a family living in a typical village of the A§ Saih Badr district does not produce the quantities of basic foodstuffs (grain) necessary for subsistence. The state encourages the growing of tobacco, and this is the principal crop sold by the peasants. For many, the introduction of state-controlled tobacco growing has meant a regular source of modest income for the first time in their life. Some peasants sell animals at irregular intervals. Small sums are earned from the sale of fruit and vegetables. Other peasants secure a modest income from the sale of raw silk, from sericulture. All rural families depend on subsidiary earnings, primarily from seasonal work. This used to be done on the fields of large landowners in the Horns and Hama regions but now most peasants work in the construction of roads and buildings in the Lebanon, and in the plantations there. Many are away for periods ranging from six to eight weeks per year, and some even spend between three and four months on seasonal work. They are attracted by daily earnings of between 9 and 12 Lebanese pound, which is much more than what they can get from farming at home. However, the fluctuation of the rural work force across the Lebanese boarder will decrease as soon as certain schemes of regional development planned by the Syrian government will come into operation. The economic situation of some families is influenced by the fact that family members have emigrated to South America. The emigration of men to Latin American countries started in the twenties, and most of them established themselves as petty tradesmen. Some returned with their savings and bought lorries or buses, others opened small shops or had modern houses built. Many support their relatives. Emigration has now virtually ceased. Until a few decades ago the prevailing form of family organization was the patrilocal extended family which has now largely been superseded by the nuclear family. Seasonal work and other sources of income outside farming have contributed toward establishing the nuclear family as an independent economic and social unit. Another form of familial affiliation used to be the 'à'ila, i. e. a community of patrilineal descent whose members cooperated on many occasions and intermarried. The désintégration of 'â'ilat into patrilocal extended families, and of the latter into nuclear families has made itself felt in the pattern of settlement. The settlements of the past were a cluster of adjoining farmsteads and it was only a few 139

decades ago that extended and nuclear families began to build homes near their largest plot of land. Home-building today takes place along the modern roads, and it is realized that these homes, and those located in a compact settlement, will profit from vehicle traffic, a central water supply and electrification plans. The introduction of compulsory education was one of the deepest going social processes which took place in the past two decades. In the beginning, farmers were not willing to send their daughters to school, and it was not uncommon during the fifties that the majority of pupils were boys. The primary educational incentive is the hope to get state employment with a safe income, and most students who finish elementary school (6 grades) aim for secondary and college education, or at least for courses giving them some kind of a skill or qualification. Family bonds play a great role in education, and students get financial support from parents or older brothers. On the other hand, sons who get government employment invariably support their parents. A marriage problem was created by the fact that it took some time to persuade parents to send their daughters to school. Literate boys would not marry illiterate girls, and the difference in the age of married partners is sometimes as much as 10—15 years. Some illiterate girls are not married. There are now villages where none of the young men derive their main income from farming. In the past 10—15 years, a number of retail shops were opened in As-SaihBadr by locals and newcomers. Earlier, the villages had been visited by occasional pedlars. The peasants buy almost exclusively on credit, and goods are paid for after the harvest. Some tradesmen make considerable profits which they invest into their enterprise, while others buy lorries, cars buses or equipment for making olive oil. Some have modern houses built and rent them. A high prestige is enjoyed by some young men, and more recently a number of young women, who graduated from a Secondary School or College and are now employed in state-owned establishments in As-Saih-Badr or elsewhere. These are members of the Baath Party, the youth organization or the Women's League and activate the life of the community either as residents or when they come to visit their parents. They have succeeded in persuading the population to help build a road, and they have pressed for extending the school building and providing a central water supply. These young people have also encouraged the peasants to join in a farming cooperative, and their counsel is solicited in many private matters. Their authority is comparable to that of the local administration which consists of the Muhtar and two elders. The author describes in detail the efforts of the farming cooperative which are primarily directed toward increased market sales. While the individual farms remain intact, the cooperative provides better seeds and instruction on improved production methods. With cooperative morale developing at a slow pace, the main burden continues to be on the government officer who coordinates the work of a number of cooperatives. The role of the Islamic tradition is declining, and so is the number of engagements and weddings celebrated in the old way. On the other hand, some Moslem feasts are observed by many people. The younger generation seldom takes part in the religious acts. 140

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Glossar der im Text vorkommenden arabischen Begriffe

Ohne Eigennamen von Personen, Orten, Organisationen und islamischen Feiertagen abü 'ä'ila 'alawi pl. "alawiyin 'ammi 'ammti 'aqld 'aSira pl. ' a s ä ' ir bait burgul däye donum fadü fäs gll käfir gil al-qadim halti hamä hasne hutüba ittihäd kanne kisk 'lame mäkle mangal manküs mantiqa pl. m a n ä t i q masa'

matraka mawät mir! 142

Vater Familie, Großfamilie; u n d Gruppe von Menschen, die sich p a t rilinear a u f einen gemeinsamen Vorfahren z u r ü c k f ü h r t , Alawit(en), Glaubensrichtung im Islam Onkel von Vaterseite T a n t e von Vaterseite Anführer Große G r u p p e von Menschen, deren größter Teil in einem O r t oder b e n a c h b a r t e n Orten lebt u n d von denen viele über ihre Väter miteinander v e r w a n d t sind, H a u s ; Familie Weizenschrot u n d Speise, die a u s zerquetschtem Weizenkorn zubereitet wird Hebamme a u s d e m Türkischen, F l ä c h e n m a ß , im Untersuchungsgebieb ca. 1000 m 2 Versprechen, ein Opfer darzubringen, u m ein im T r a u m vorhergesehenes Unglück abzuwenden, vergl. n u t r kleine H a c k e z u m Lockern des Bodens ungläubige Generation alte Generation T a n t e von Mutterseite Schwiegermutter Gelegenheit, bei der Spenden a n Arme gegeben werden Verlobung Union Schwiegertochter Aus Sauermilch u n d burgul hergestelltes N a h r u n g s m i t t e l Verlobungsgeschenk Landanteil bei Verteilung von m a s a ' — (Land) u n t e r die Bauernfamilien Sichel Jäthacke Distrikt Bezeichnung f ü r L a n d in Gemeinschaftsnutzung eines Dorfes, das aber n a c h U r b a r m a c h u n g u n t e r die Familien aufgeteilt — zu P r i v a t b e s i t z wird Bezeichnung f ü r L a n d im Gemeinschaftsbesitz eines Dorfes Bezeichnung f ü r Ödland, N i e m a n d s l a n d Bezeichnung f ü r L a n d i m Besitz des S t a a t e s

msäubes m^ahher mudir muhäfaza pl. m u h ä f a z ä t muhtär pl. m a h ä t l r mulk nähiya pl. n a w ä h i naureg nasib nutr qaryaä pl. qur qazma qirs pl. q u r ü s rabäba rafs räwi rism sabüs sahm pl. a s h u m saih pl. s u y ü h samm sandüq sanklis sarlr sihr sikke tabl tabu tannür umm waqf yaum nahs yaum tayyib zaitün zakät

Ausrufer Beschneider Chef Verwaltungseinheit, entspricht Bezirk Dorfvorsteher Bezeichnung f ü r Land, das sich in P r i v a t b e s i t z b e f i n d e t Verwaltungseinheit, Kreis Dreschschlitten Schicksal Gelübde, z. B. Versprechen, ein Tier zu opfern, wenn ein K r a n k e r wieder gesund wird Dorf Rodehacke Piaster Saiteninstrument, einsaitig Schaufel Wassersack aus Leder oder G u m m i regelmäßig jährlich zu erbringendes Opfer u n d Geldspende (zakät), geht auf ein entsprechendes Gelübde zurück (siehe n u t r ) H o c h r u f (von einem t ü r k . W o r t abgeleitet) Anteil traditioneller Autoritätsträger, religiös gebildeter s u y ü h gehören zu bestimmten ' ä ' i l a t flüssige B u t t e r Truhe eine Art Käse, von den B a u e r n auf besondere Art u n d Gewürzen zubereitet Wiege Schwiegersohn eiserne Pflugspitze Trommel behördliche Registrierung des Landbesitzes Backofen Mutter Bezeichnung f ü r Land, das zu einer Moschee gehört schlechter Tag g u t e r Tag Olive(n) Almosensteuer, Spenden, die n a c h den Regeln des W o h l h a b e n d e n regelmäßig a n A r m e gegeben werden doppelrohrige Flöte a u s B a m b u s

Mann. Die

a u s Quark

Islam v o n sollen

143-

Bild 2

Ein modernes H a u s

Bild 4

Pflug und Joch

A b b . 2. H a n d m ü h l e f ü r d a s Z e r m a h l e n v o n G e t r e i d e

A b b . 4. A n s e i n g e f ä r b t e m S t r o h g e f l o c h t e n e T a b l e t t s , in S t r o h e i n g e f l o c h t e n e s Glasg e f ä ß u n d S c h a l e n einer H a n d w a a g e

A b b . 5. F e i g e n e r n t e . I n d e n K o r b w e r d e n die F r ü c h t e gelegt, in d e n S a c k k o m m e n die Blätter (Viehfutter)

A b b . 6. B e i d e r E r n t e d e r T a b a k b l ä t t e r

A b b . 8. Schwere Arbeit bei der Terrassierung eines Berghanges

A b b . 9. I n d e n l e t z t e n J a h r z e h n t e n w u r d e n i m U n t e r s u c h u n g s g e b i e t einige B e r g h ä n g e terrassiert

A b b . 10. K o k o n s der S e i d e n r a u p e n

A b b . 12. W a s s e r h o l e n a u s einer Z i s t e r n e

Abb. 14. Auto für den Personen- und Frachttransport

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A b b . 15. A b s c h l u ß z e u g n i s eines A l p h a b e t i s i e r u n g s k u r s e s d e r F r a u e n u n i o n

A b b . 16. N ä h - u n d S c h n e i d e r l e h r g a n g d e r F r a u e n u n i o n in A s - S a i h - B a d r

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