Die souveräne Nation: Zur Delegitimierung monarchischer Herrschaft in Frankreich 1788 - 1789 [1 ed.] 9783428527335, 9783428127337

Die Französische Revolution hat mit der Idee nationaler Souveränität das politische Denken der Moderne zur Entfaltung ge

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Die souveräne Nation: Zur Delegitimierung monarchischer Herrschaft in Frankreich 1788 - 1789 [1 ed.]
 9783428527335, 9783428127337

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 150

Die souveräne Nation Zur Delegitimierung monarchischer Herrschaft in Frankreich 1788 – 1789

Von

Skadi Krause

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

SKADI KRAUSE

Die souveräne Nation

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 150

Die souveräne Nation Zur Delegitimierung monarchischer Herrschaft in Frankreich 1788 – 1789

Von

Skadi Krause

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-12733-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Die Repräsentation der Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die repräsentative Rolle des Königs im Ancien Régime . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Veränderung der Vorstellung nationaler Repräsentation im Selbstverständnis der Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Diskurs über die Repräsentation der Nation im Vorfeld der Einberufung der Generalstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Das Wahlreglement von 1789 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Diskussion um die politische Bedeutung und soziale Stellung der Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Die endgültige Aufhebung des Repräsentationsverständnisses des Ancien Régime in der Assemblée Nationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 11

2 Die 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 3 Die 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

13 18 27 32 37

Legitimität politischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Legitimationsverständnis politischer Herrschaft im Ancien Régime . . Der Begriff der Nation im Legitimationsdiskurs der Parlamente . . . . . . . . . Der Legitimationsdiskurs politischer Herrschaft bei der Gründung der Assemblée Nationale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Legitimität politischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aufgabe des imperativen Mandates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das königliche Veto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Aufhebung der sozialen Basis der königlichen Legitimität in der Nacht des 4. August 1789 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 44 47

Genese einer nationalen Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der König als öffentliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Öffentlichkeitsdiskurs der Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Öffentlichkeitsverständnis der Gens de Lettres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Presse im Ancien Régime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Entstehen einer öffentlichen Sphäre im Vorfeld der Generalstände . . . Die Rolle der Presse bei der Bildung einer nationalen Öffentlichkeit . . . . .

72 72 73 78 80 83 87 91

51 56 59 62 65

4 Der Kampf um die Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1 Die Verfassung als deskriptiver Erfahrungsbegriff im Verständnis des Ancien Régime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.2 Eine Verfassung für das Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

6

Inhaltsverzeichnis 4.3 4.4 4.5 4.6

Verfassung und Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundlagen der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verfassungsrechtliche Funktion des Monarchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die verfassungsmäßige Gewalt des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 117 122 128

5 Die 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Projekt einer Rechteerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis von Rechteerklärung und Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiheit und Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Rechteerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 132 139 145 152 158

6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Arbeit des Fünfer-Ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Definition der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Religionsfreiheit und religiöse Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Der Schutz der Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.7 Ergänzungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.8 Die Überarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung . . . . .

163 163 169 170 173 181 185 193 196 201 203

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Die Französische Revolution ist von keiner der nachgeborenen Generationen als eine in sich abgeschlossene und insofern museumsreife Episode empfunden worden. Walter Markov

Einleitung Die Französische Revolution steht am Beginn eines neuen politischen Bewusstseins, für das wir gleich mehrere und sehr verschiedene Bezeichnungen gefunden haben: liberal und konservativ, demokratisch und elitär. Es scheint, so gesehen, als wäre das, was wir der Französischen Revolution zu verdanken haben, nicht nur der Bruch mit dem Ancien Régime, sondern zugleich die Pluralität des modernen politischen Denkens zu sein. Und tatsächlich finden sich für die verschiedenen politischen Ansätze und Argumentationsmuster, mit denen wir heute noch immer konfrontiert sind, Bezugspunkte in den Debatten von 1789. In dieser Arbeit über die politische Revolution, wie sie sich 1789 in der Assemblée Nationale vollzog, stehen all jene Auseinandersetzungen im Mittelpunkt, in denen es gelang, die theoretischen Grundlagen des Ancien Régime zu erschüttern und durch neue Rechtfertigungsmuster politischen Handelns zu ersetzen. Ein anderes Kriterium, das diese Arbeit leitet, ist der Umstand, dass das enge Verhältnis von politischem Protest und sozialer Revolte, das die Geschichtsschreibung stets hergestellt hat, nicht so selbstverständlich ist, wie man glauben mag. In den politischen Auseinandersetzungen von 1789 vollzieht sich der Wandel im politischen Denken in einer Radikalität, wie ihn der Protest auf der Straße zunächst nicht erreicht. Dennoch muss man sagen, dass das Verhältnis von politischer und sozialer Revolution ambivalent bestimmt werden muss, denn auch wenn in dieser Arbeit der theoretische Bruch im politischen Denken im Mittelpunkt steht, muss man doch einräumen, dass die politischen Resultate nicht ohne den Druck von der Straße erreicht worden wären. Die absehbare Frage ist deshalb: Warum wird der Bruch im politischen Bewusstsein in dieser Arbeit hauptsächlich über die Reden in der Assemblée Nationale dokumentiert? Die Antwort ist einfach. Weil es die Abgeordneten der Assemblée Nationale waren, die im Laufe der Ereignisse von 1789 gezeigt haben, wie aus einzelnen politischen Optionen neue Sinnzusammenhänge entstehen, die schließlich das ganze politische System des Ancien Régime hinfällig werden lassen und damit revolutionär im wahrsten Sinne des Wortes sind. Doch um ein mögliches Missverständnis von vornherein zu vermeiden: Es ist nicht die Absicht dieser Arbeit, die betreffenden Diskurse als Ausdruck eines

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Einleitung

revolutionären Bewusstseins zu deuten. Im Gegenteil. Die Arbeit sucht die Beschreibungen der Handlungsoptionen der Abgeordneten aus einer von ihnen als solchen geschaffenen und wahrgenommenen politischen Situation zu rekonstruieren. Aus ihrer Perspektive verstanden sich die Abgeordneten der Assemblée Nationale aber als Reformer und nicht als Revolutionäre. Dies sucht die Arbeit nicht nur anhand zahlreicher Selbstaussagen und Selbstbeschreibungen der Abgeordneten zu belegen, sondern auch durch die Rekonstruktion der von ihnen benutzten politischen Begründungsmuster und deren ideengeschichtlichen Quellen. Man kann sich der Dokumente, auf die man sich stützt, nie ganz sicher sein, und doch eröffnen die Reden in der Assemblée Nationale einen Bezugsrahmen, der über die Reichweite und die Intention der Argumente immerhin Folgerungen zulässt, wie sie vereinzelte Dokumente oder Niederschriften nicht ermöglichen. Deshalb wurden in dieser Arbeit literarische und politische Texte der Epoche weitgehend ausgeklammert, deren direkte politische Intentionen, aus dem Zusammenhang gerissen, oftmals im Dunklen bleiben. Stattdessen konturiert sie das Argumentationsgeflecht der Debatten in jener Institution, die zum politischen Zentrum eines neuen Staates und einer neuen politischen Epoche wurde: die Assemblée Nationale. Die Grundlage dieser Arbeit bilden demnach nicht die klassischen Texte der französischen Aufklärung. Vielmehr sind es jene Dokumente und Reden, die Bestandteil der politischen Auseinandersetzungen in der Assemblée Nationale waren bzw. diese argumentativ vorbereiteten. Zwar erreicht die politische Rationalität dieser Texte nicht oder nur selten das Niveau systematischer Theoriebildung. Doch sind sie gleichwohl wichtige Quellen des ideengeschichtlichen Diskurses, deren Analyse nicht auf die Rekonstruktion von Theoriebestandteilen, sondern auf ein Verstehen politischer Kontexte zielt. Denn die Arbeit geht von dem Prinzip aus, dass politische Ideen und Vorstellungen nie etwas Abstraktes und Starres sind, sondern in einer historischen Epoche, ja in einer politischen Situation, sobald sie als solche wahrgenommen wird, Gestalt gewinnen: dies gilt nicht nur für die Legitimierung des eigenen Handelns, sondern auch für die Absicherung des Erreichten. In diesem Sinne bemüht sich die Arbeit um den Nachweis, dass die vermeintlich revolutionären Akte und Dokumente des Sommers 1789 den Abgeordneten der Assemblée Nationale in erster Linie dazu dienten, ihr praktisches Tun auf tragfähige moralische und rechtliche Grundlagen zu stellen und argumentativ abzusichern. Denn eins gilt es bei der Lektüre der Dokumente immer wieder zu beachten: Die politischen Debatten und folgenreichen Beschlüsse der Assemblée Nationale des Jahres 1789 sind mehr aus politischem Handlungsdruck als aus planvollen Überlegungen geboren und in ihrer Form von praktischen Erfordernissen bestimmt.

Einleitung

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Dies soll unter anderem durch die Analyse der Stellungnahmen der Abgeordneten der Assemblée Nationale zu zentralen Themen belegt werden, die keineswegs in sich stimmige Argumentationsmuster aufweisen und sich teilweise sogar extrem widersprechen. Das damit verbundene Problem der argumentativen Inkohärenz etlicher Abgeordneter, das von einigen Biographen fälschlicherweise mit charakterlicher Labilität verwechselt wird, verweist auf ein konstitutives Moment der zu interpretierenden Quellen: Die Reden und Stellungnahmen der Abgeordneten sind nur in Ausnahmefällen klar durchstrukturiert und gut vorbereitet. Oft sind es spontane Beiträge zu hitzigen Wortgefechten, die auf eine bestimmte Stimmung und politische Konstellation in der Assemblée Nationale reagieren. Zudem dienen sie keineswegs nur dazu, persönliche Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, sondern gehorchen nicht selten rein strategischen Zwecken. Deshalb wurde in der Arbeit darauf verzichtet, sich ausschließlich auf das politische Vokabular dieser Zeit zu konzentrieren. Die Leitbegriffe der politischen Diskussion von 1789 wie citoyen, nation, liberté und souveraineté stellen kein festes Gerüst der Analyse dar, denn sie bringen ungeachtet ihrer inflationären Verwendung keine einheitliche Auffassung der Abgeordneten der Assemblée Nationale zum Ausdruck. Zwar zeigt das Spektrum politischer Glaubensbekenntnisse, dass viele der Abgeordneten in einem wesentlichen Ziel mehr oder weniger übereinstimmen, nämlich in dem Bemühen um eine Entschärfung oder Beseitigung der politischen Willkür des feudalabsolutistischen Staates. Gleichwohl werden damit ganz unterschiedliche Auffassungen von einer reformierten staatlichen Ordnung verbunden. So vermag die Tatsache, dass sich die Abgeordneten der Assemblée Nationale einer in vielem übereinstimmenden politischen Terminologie bedienen, nicht über grundlegende Unterschiede ihrer politischen Positionen hinwegzutäuschen. Im Zentrum der Arbeit stehen deshalb nicht einzelne Begriffe, sondern die Idee der nationalen Souveränität, die ein immer wiederkehrendes Motiv der einzelnen Kapitel bildet. Thematisch orientiert sich der Aufbau der Arbeit an den großen Auseinandersetzungen um Fragen der Repräsentation, der Legitimität politischer Macht und der Öffentlichkeit sowie an den Debatten um die Verfassung und die Erklärung der Menschenrechte, wie sie die Diskussionen in der Assemblée Nationale im Frühjahr und Sommer 1789 bestimmten. Gezeigt werden soll dabei, dass die Idee nationaler Souveränität, die 1789 gleichsam zum Schlüsselbegriff in den Debatten um die Fragen von Legitimität, Repräsentation und Legalität politischer Herrschaft wird, keiner einheitlichen Logik folgt. Die Arbeit ist denn auch bestrebt, jene semantischen Deutungskämpfe nachzuzeichnen, die verdeutlichen, dass es sich bei der Idee nationaler Souveränität um ein umkämpftes Konzept handelt, das nicht nur im Widerspruch zu anderen, vor allem überkommenen Legitimationsvorstellungen steht, sondern selbst in unterschiedlichen Ausprägungen existiert. Denn erklärtes Ziel der Arbeit ist es zu

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Einleitung

zeigen, dass die Idee der nationalen Souveränität sowohl inhaltlich als auch formal als Verkörperung eines neuen politischen Denkens und Selbstverständnisses betrachtet werden muss, dass sich im Laufe der Debatten des Frühjahres und Sommers 1789 erst herausgebildet und manifestiert hat und dessen Kern die Pluralität des politischen Diskurses ist.

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Die Repräsentation der Nation

1.1 Die repräsentative Rolle des Königs im Ancien Régime Wie Keith Michael Baker eindrücklich gezeigt hat, tritt die Nation im Ancien Régime, also im Frankreich des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, nur als eine marginale politische Größe auf. Nach der vorherrschenden traditionellen Auffassung von Repräsentation ist die Vielheit der Individuen nur dann eine politische Einheit, wenn sie durch eine Person oder eine Institution repräsentiert werden. Es ist mithin die Einheit des Repräsentanten, nicht die der Repräsentierten, welche kollektives Handeln ermöglicht. Die Einheit der Nation ist verbürgt durch die Singularität und Autonomie ihres Repräsentanten. Ja, sie existiert als politische Größe überhaupt nur, weil es diesen Repräsentanten gibt. Dieses theoretische Konstrukt, für das in der politischen Ideengeschichte immer wieder die politische Theorie von Thomas Hobbes herangezogen wird,1 gilt als eines der grundlegendsten Begründungsmuster der absoluten Monarchie. Gleichwohl mangelt es in der politischen Theorie des 17. und 18. Jahrhunderts nicht an Entwürfen, die die Repräsentation der Nation einem Gremium und damit einer Vielheit überantworten. Selbst der Leviathan des Thomas Hobbes gehört dazu. Doch wird auch diese Vielheit stets als eine moralische Person vorgestellt, die durch einen geeinten Willen gekennzeichnet ist. In Frankreich, wo die Idee der Repräsentation nahezu untrennbar mit der absoluten Monarchie verbunden ist, wird die Einheit der Vielheit dagegen ausschließlich mit der Person des Monarchen in Verbindung gebracht.2 Diese Auffassung kommt in verschiedenen Repräsentationsvorstellungen zum Ausdruck, die Jacques-Benigne Bossuet, der maßgebliche Theoretiker der absoluten Monarchie in Frankreich, systematisch aufgelistet hat. Nach Bossuet ist der König deshalb Repräsentant des Volkes, weil er erstens als Vertreter Gottes auf Erden handelt. „Die Prinzen handeln wie die Minister Gottes. Sie sind seine 1 „A multitude of men, are made one person, when they are by one man, or one person, represented [. . .]. For it is he unity of the representer not the unity of the represented, that maketh the person one. And it is representer that beareth the person, and but one person: and unity cannot otherwise be understood in multitude“. Hobbes, Thomas: Leviathan, ed. Michael Oakeshott, Oxford 1955, 107. Vgl. Pitkin, Hanna: The Concept of Representation, Berkeley 1972, 14–37; Schmitt, Eberhard: Repräsentation und Revolution. Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien Régime in Frankreich (1760–1789), München 1969. 2 Principes sur la constitution de la France et des Etats-Généraux, s. l. 1788, S. 11.

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1 Die Repräsentation der Nation

Befehlshaber auf Erden“, schreibt er. „Durch sie regiert Gott sein Reich“3. Wenn der Monarch von Gott autorisiert ist, in seinem Namen zu handeln, dann ist der Wille des Königs auch Gottes Wille. Seine Person ist heilig, und er ist ausschließlich Gott gegenüber rechenschaftspflichtig. Zweitens symbolisiert der König in seiner Person das Volk. Bossuet hat diese Vorstellung auf die Formel gebracht: „der ganze Staat ist in der Person des Königs“4. Diese Idee kommt vor allem in der Zwei-Körper-Lehre des Königs zum Ausdruck, wonach der König einen sterblichen und einen mystischen oder politischen Körper besitzt, der nicht sterben kann, und in dem die Nation versammelt ist. Stirbt der König, so bleibt sein politischer Körper bestehen und geht auf den neuen König über.5 Drittens verkörpert der Monarch aber auch die Einheit der Vielheit. Für Bossuet sind die Menschen „uneins durch die Kraft ihrer Leidenschaften und gespalten durch ihre charakterlichen Züge. Die Menschen können nur dann gemeinsam handeln, wenn sie sich alle zusammen einer Regierung unterstellen, die alle beherrscht“. Das Volk wird eins, wenn „alle Macht auf den Souverän übertragen wird, und jeder Einzelne auf seine Vorrechte verzichtet“6. Vor allem in diesem Punkt übernimmt Bossuet die Repräsentationsidee von Thomas Hobbes. Viertens schließlich verkörpert der Monarch die Einheit der Nation durch die Wahrung ihrer politischen und institutionellen Tradition. Die in den königlichen Erbfolgegesetzen festgelegte Traditionslinie verknüpft die persönliche Geschichte des Monarchen unauflöslich mit der des Landes und seiner Bevölkerung. Der König ist in diesem Sinne der Repräsentant des historischen Vermächtnisses einer Nation und ihrer Zukunft. Über ihn und seine Familie wird Geschichte geschrieben und gedacht. Die hier angeführten vier Elemente einer Rechtfertigungslehre monarchischer Herrschaft entspringen nicht, wie schnell sichtbar wird, einer kohärenten Theorie, sondern setzen sich vielmehr aus kurialistischen, traditionalistischen, naturrechtlichen und vertragstheoretischen Versatzstücken zusammen. Dennoch bilden sie den komplexen Rahmen, innerhalb dessen die repräsentative Rolle des Monarchen in Frankreich beschrieben wird. Denn in der partikularen Gesellschaft von Orden und Ständen im Ancien Régime verkörpert der König das 3 Bossuet, Jacques-Benigne: Politique tirée des propres paroles de l’écriture sainte à Monseigneur le Dauphin, Paris 1709, S. 65. 4 Ebd., S. 185. 5 Vgl. Giesey, Ralph E.: The King Imagined, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 41–59. 6 Bossuet, Jacques-Benigne: Politique tirée des propres paroles de l’écriture sainte à Monseigneur le Dauphin, Paris 1709, S. 20.

1.2 Veränderung der Vorstellung nationaler Repräsentation

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Ganze, nicht in dem Sinne, dass er von der Nation bestimmt worden wäre, in ihrem Namen zu handeln, sondern weil die Nation als Ganzes nur in der individuellen Person des Monarchen existiert, der zugleich Quelle wie Garant ihrer Einheit ist. Der König ist souverän, weil der Staat nur in seiner Person existiert. Sein Wille ist der einzige öffentliche Wille, da er die einzige öffentliche Person im Königreich ist, die für den Staat und im Namen des ganzen Volkes sprechen kann.7 Diese Vorstellung, für die wie kein anderer Ludwig XIV. steht, pflanzte sich auch auf seine Nachfolger fort. Das Selbstverständnis Ludwigs XV. über die Natur seiner königlichen Souveränität macht dies deutlich, wenn er von sich behauptet: „Man darf nicht vergessen, dass ausschließlich in meiner Person die souveräne Macht verkörpert ist, [. . .] dass die öffentliche Ordnung durch mich garantiert wird und alle Rechte und Interessen der Nation notwendig mit den meinen vereinigt sind“8. Der König ist der absolute Herrscher im Staat. Er ist Urheber wie Garant des Rechtes. Die Nation als politische und institutionelle Einheit gibt es nur, weil ein Monarch existiert, der ihre Einheit verbürgt.

1.2 Die Veränderung der Vorstellung nationaler Repräsentation im Selbstverständnis der Parlamente Diese Vorstellung von Repräsentation ändert sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts, insbesondere nach dem Tod Ludwigs XIV., als der König, der bis dahin Legislative, Exekutive und Judikative in seiner Person vereinigte, zunehmend exekutive und richterliche Aufgaben an die Parlamente abzutreten beginnt. Parlamente Die Parlamente, denen bis dahin vor allem Verwaltungsaufgaben zukamen, gehen infolge ihres administrativen und richterlichen Kompetenzzuwachses dazu über, sich als Repräsentanten des Königs gegenüber der Nation und als Repräsentanten der Nation gegenüber dem König zu verstehen. So beschreibt etwa das Pariser Parlament seinen eigensten Auftrag zur Mitte des Jahrhunderts mit folgenden Worten: „wir repräsentieren gegenüber Euren Untertanen Eurer Majestät die Gerechtigkeit und Nützlichkeit Eurer Gesetze, und wir repräsentieren Eure Untertanen gegenüber Eurer Majestät und überwachen die Einhaltung und Akzeptanz Eurer Anordnungen“9.

7

Ebd., S. 185. Rémontrance du parlement de Paris au XVIIIe siècle, ed. Jules Flammermont, Bd. 2, Paris 1888, S. 558. 9 Ebd., Bd. 1, Paris 1888, S. 528. 8

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1 Die Repräsentation der Nation

Die Ambivalenz einer solchen Selbstbeschreibung wird schnell sichtbar. Denn stehen die Parlamente zwischen dem König und der Nation, so dienen sie nicht nur der Auslegung eines eigenständigen Willens der Nation, unabhängig von dem souveränen Willen des Königs, sondern nehmen zugleich auch Anteil an der souveränen Macht des Königs, dessen Willen sie vollziehen. Zwei Jahre später, 1755, beschreibt sich das Pariser Parlament entsprechend als „Gerichtshof Frankreichs, als königlicher Gerichtshof, als zentraler und souveräner Gerichtshof des ganzen Königreiches, der die Person und Majestät unserer Könige repräsentiert“ und sich in dieser Rolle als „Spiegel, Quelle und Ursprung der Justiz im Staat, unter der Autorität des Souveräns“10 begreift. Das Parlament beansprucht hier, selbst Teil der souveränen Macht des Königs zu sein und repräsentative Funktionen zu übernehmen, insofern es beständig den souveränen Willen des Königs vollstreckt. Bringen die Parlamente den Willen des Königs zum Ausdruck, so sind sie auch untrennbar mit dessen Autorität verbunden. Diese geht in der Parlamentsideologie auf die Parlamente über, wenn „der König der erste Vorstand des Parlamentes ist“11. Der König steht jetzt nicht mehr über den Parlamenten, sondern ist integriertes Oberhaupt der Parlamente. Im Selbstverständnis der Parlamente des 18. Jahrhunderts bedeutet dies: ist der König der „Repräsentant Gottes auf Erden“, so ist das Parlament, als königlicher Gerichtshof, der „Repräsentant des Königs in dessen Reich“12. Zur Parlamentsideologie des 18. Jahrhunderts gehört es deshalb auch, die „untrennbare Einheit von König und Parlament“ herauszustellen.13 Was zunächst wie eine Betonung der repräsentativen Funktion des Königs aussieht, der sich die Parlamente vollkommen unterordnen, ist jedoch in Wahrheit die Infragestellung der ausschließlichen Repräsentativität des Königs. Denn die Betonung der Einheit von König, Parlament und Nation, wie sie nunmehr herausgestellt wird, ist nur dadurch möglich, dass man den König, seine Gerichtshöfe und das Recht als verschiedene Ausdrucksformen eines einheitlichen nationalen Willens konzipiert. Die Gesetze, heißt es, sind Ausdruck „des souveränen Willens des Königs“ und des „freien Willens der Nation“14. Die Formulierung unterstreicht nicht nur den öffentlichen Charakter des Rechts, sondern markiert auch eine bis dahin nicht gekannte Differenz von König und Volk. Neben den souveränen Willen des Monarchen tritt nichts anderes als der freie Wille der Nation. Gibt es auch keinen Unterschied zwischen „dem Prinzen und seinem

10 11 12 13 14

Ebd., Bd. 2, S. 28–30. Ebd., Bd. 1, S. 511, S. 529. Ebd., Bd. 1, S. 549. Ebd. Ebd.

1.2 Veränderung der Vorstellung nationaler Repräsentation

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Gerichtshof, zwischen dem Staat und dem Tribunal der Nation“15, so wird doch die Nation nunmehr als eigenständige politische Größe, unabhängig von der repräsentativen Rolle des Königs, beschrieben. War der König zuvor der alleinige Repräsentant der Nation, weil es deren politische Einheit nur aufgrund seiner Souveränität überhaupt gab, so wird er nunmehr zum Repräsentant der Nation, weil er deren Willen vollstreckt. Dies bedeutet jedoch eine Umkehrung der bis dahin geltenden Repräsentationslehre: „Wenn die Nation nur einen Körper bildet, können ihre Interessen nicht unabhängig von denen des Souveräns gedacht werden. Das Oberhaupt und die Mitglieder des Staates haben kein anderes Ziel als das Wohl aller.“16 Stärker könnte der Bruch in der Repräsentationsidee nicht beschrieben werden. Was auf den ersten Blick wie eine Fortsetzung der alten Repräsentationslehre und ihrer fingierten Einheit von König und Nation erscheint, bedeutet nichts anderes als deren Verabschiedung. Die Nation existiert nicht mehr dank einer königlichen Autorität, sondern der Monarch steht im Dienste der Nation, deren Willen er vollzieht und an den er gebunden ist. Die Betonung der Einheit von königlichem Willen und Willen der Nation, wie er durch die Parlamente vertreten wird, hat weitreichende politische Konsequenzen. So steigen die Parlamente zum gleichwertigen Repräsentanten der Nation neben dem König auf. Wird das Gesetz durch den König erlassen, so sind es die Parlamente, die den freien Willen der Nation, wie er im Gesetz verkörpert ist, überwachen und ausführen. Letztendlich sind sie sogar der „wahre“ Repräsentant der Nation, insofern sie es sind, die den Willen der Nation in ihrer judikativen und exekutiven Funktion tatsächlich vollstrecken. In der Selbstbeschreibung der Parlamente bedeutet dies: „Die Parlamente formen den einheitlichen Körper der Nation, der in verschiedene Stände unterteilt ist. Sie sind die Basis, das Tribunal und das Organ der Nation. Sie sind die Verteidiger und Beschützer der nationalen Freiheit, ihrer Interessen und Rechte. Sie erheben die Steuern, klagen jene an, die sich der öffentlichen Ordnung entziehen und beschäftigen sich mit allen Angelegenheiten des Gemeinwohls – nicht nur gegenüber dem König, sondern auch gegenüber der Nation. Sie sind die Richter zwischen dem König und seinem Volk.“17 In dieser Selbstrechtfertigung der Parlamente kommt die Ambivalenz ihrer politischen Rolle explizit zum Ausdruck: auf der einen Seite sind sie die „Basis“, das „Tribunal“ und das „Organ“ der Nation, d.h. die wahren Repräsentanten der Nation, auf der anderen Seite stehen sie genau zwischen „Nation und König“, sind also nicht unabhängig von der Autorität des Königs zu denken.

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Ebd., Bd. 2, S. 34–35. Principes sur la constitution de la France et des Etat-Généraux, s. l. 1788, S. 11. 17 Rémontrance du parlement de Paris au XVIIIe siècle, ed. Jules Flammermont, Bd. 3, Paris 1898, S. 258. 16

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1 Die Repräsentation der Nation

Der zunehmend deutlicher vorgetragene Anspruch der Parlamente, als gleichwertige Repräsentanten der Nation zu agieren, wird von königlicher Seite strengstens reglementiert. So werden in einem königlichen Edikt von 1770 die Parlamente einerseits beschuldigt, sich die Rolle des anderen „Repräsentanten der Nation“ anzumaßen.18 Und in einem Edikt vom 20. Juni 1788 heißt es sogar: „die Parlamente streben an, selbst einen nationalen Körper zu formen, so als ob sie nicht ausschließlich Bevollmächtigte des Königs wären, der den nationalen Körper in seiner Gesamtheit repräsentiert, sondern als ob die Bevollmächtigten des Königs die Repräsentanten der Nation wären“19. Andererseits werden die Parlamente durch die Betonung der Einheit von Nation, Monarch und Parlament noch stärker an die Autorität des Monarchen gebunden. „In der Person des Königs, dem alleinigen Gesetzgeber seines Königreichs, ist die Einheit und Unteilbarkeit der Souveränität verkörpert“, heißt es in einer parlamentarischen Ansprache von 1759, um dann zu ergänzen, „das Prinzip der Einheit der königlichen Autorität schließt das Prinzip der Einheit der Magistratur ein“20. Hier werden die Befugnisse der Parlamente, ganz nach der traditionellen Auffassung von Repräsentativität, ausschließlich an den Willen des Königs gebunden. Folglich gibt es auch keine von der Monarchie getrennte Repräsentation der Nation. Wie Pierre Nora deutlich gezeigt hat,21 wird von königlicher Seite deshalb auch in der Vorstellung der Einheit des nationalen Willens bis 1789 das Vehikel gesehen, mit dem die königliche Souveränität gestützt und die Nation an den souveränen Willen des Königs gebunden werden kann. „Alle Franzosen sind ein und demselben Souverän unterworfen“, heißt es 1788 in einer Flugschrift. „Sie dürfen nur ein identisches Interesse haben. Wird dieses einheitliche Ziel in Frage gestellt, bedeutet dies, in den Zustand der Anarchie zurückzufallen und Opfer unauflöslicher Wirren zu werden.“22 Die Parlamente befinden sich damit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einem prinzipiellen und machtpolitischen Rechtfertigungskonflikt. Auf 18 Bickart, Roger: Les parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIIIe siècle, Paris 1932, S. 140. 19 „[. . .] les parlements [. . .] prétendent qu’ils forment un corps national, comme sic e n’étaient pas des officiers du roi qui composaient tous ces corps, et que les officiers du roi pussent être les représentants de la nation“. Bickart, Roger: Les parlements et la notion de souveraineté national au XVIIIe siècle, Paris 1932, S. 141. 20 „Dans la personne du Roi, seul législateur dans son Royaume, réside l’universalité, la plénitude et l’indivisibilité de l’autorité“. „[. . .] le principe de l’unité de l’autorité royale renferme le principe de l’unité de la magistrature“. Zitiert nach Bickart, Roger, Les parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIIIe siècle, Paris 1932, S. 159. 21 Nora, Pierre: Nation, in: Furet, François/Ozouf, Mona: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1221–1237. 22 Principes sur la Constitution de la France et des Etats-Généraux, s. l. 1788, S. 19.

1.2 Veränderung der Vorstellung nationaler Repräsentation

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der einen Seite beanspruchen sie, die legitimen Repräsentanten der Nation neben dem König zu sein, können diese Rolle aber auf der anderen Seite nicht ohne seine Zustimmung oder gar gegen ihn einnehmen. Infolgedessen treiben sie zunehmend die öffentlich vorgetragene Spaltung von nationalem Willen und monarchischer Autorität voran. Ohne die Rückbindung des königlichen Willens an den Willen der Nation und an die überlieferten Gesetze und Traditionen, die zu wahren und umzusetzen die Aufgabe der Parlamente ist, so ihre Argumentation, werde der Monarch zum Despoten. Die Rolle des Königs als rechtmäßiger Repräsentant der Nation wird damit nicht bestritten, doch sie wird insoweit umgedeutet, als er nunmehr in seinem Handeln an die bestehenden Gesetze, deren Auslegung zum großen Teil den Parlamenten obliegt, und den Willen der Nation, den er über die Repräsentanten der Nation einzuholen berechtigt ist, gebunden wird. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts steht somit nicht die Notwendigkeit der Repräsentation in Frage, sondern ausschließlich die Modalitäten, in denen dies zu geschehen hat. Dabei sucht man von Seiten der Parlamente dem zunehmend deutlicher zu Tage tretenden begründungstheoretischen Dilemma durch neue diskursive Strategien zu begegnen. So streben sie nicht mehr an, ihre Legitimation aus der Souveränität des Königs zu ziehen, sondern belegen ihre repräsentative Rolle mit der geschichtlich tradierten Form nationaler Selbstverwaltung, indem sie sich zu den legitimen Nachfolgern der ersten „Versammlungen aller Franzosen zu Beginn der Monarchie“ erklären, „die die Nation repräsentierten“23. Damit knüpfen sie in der Tat an eine Traditon an, wonach sich die Parlamente vor der Regierungszeit Ludwig XIV. immer auch als Selbstverwaltungsorgane der Nation verstanden haben und durchaus auch gegen königliche Erlasse handelten.24 Richtungweisend beansprucht das Parlament von Metz 1756 „identisch mit jenem alten königlichen Gerichtshof zu sein, der das einzige Tribunal der Nation“ war.25 Diese Formel findet man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder. Auch das Parlament von Paris greift zunehmend auf diese Argumentationsform zurück, in der die Parlamente als Institutionen der nationalen Selbstverwaltung erscheinen.26 Da die Parlamente jedoch nicht die ganze Nation vertreten, sondern eben nur bestimmte Regionen, ist die gängige Argumentation der Parlamente im Vorfeld der Einberufung der Generalstände fol23 Zitiert nach: Bickart, Roger: Les parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIIIe siècle, Paris 1932, S. 112. 24 Hurt, John J.: Louis XIV and the parlements. The assertion of royal authority, Oxford 2002. 25 Bickart, Roger: Les parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIIIe siècle, Paris 1932, S. 125. 26 Rémontrance du parlement de Paris au XVIIIe siècle, ed. Jules Flammermont, Bd. 3, Paris 1898, S. 258.

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1 Die Repräsentation der Nation

gende: „Da die Nation als Ganze nicht versammelt ist, sind es die Parlamente, die ihre Beschwerden dem König vorbringen und ihre Rechte einfordern“. Sie sind das „einzige Organ, das sich die Nation bewahrt hat, solange sie nicht selbst versammelt ist“27. Diese Legitimationsformel rechfertig nicht nur den Selbstbehauptungsdiskurs der Parlamente, sondern appelliert zugleich an eine andere tradierte Form nationaler Repräsentation: die Generalstände. Sie gelten fortan als die Institution, die der Nation als Ganzer eine Stimme verleiht. Die Parlamente sind nur die „Sprachrohre“ der Nation, solange diese in Form der Generalstände nicht selbst zusammentritt. Einer der prominentesten Vertreter dieses Arguments ist Chrétien-Guillaume de Lamoignon de Malesherbes, Mitglied des Pariser Parlaments, der 1775 erklärt: „In Abwesenheit der Generalstände, kann die Nation ihre Stimme nur durch die Parlamente erheben, welche die Vermittler zwischen dem Souverän und seinem Volk sind“28. Die Formulierung zeitigt einen umgreifenden Erfolg. Sie ist fortan in fast allen Schriften zur Selbstrechtfertigung der repräsentativen Rolle der Parlamente zu finden und entwickelt sich zu einer politischen Forderung, die hinsichtlich der immer größeren politischen und finanziellen Handlungsunfähigkeit des Königs und der Parlamente mehr und mehr an Zuspruch gewinnt: der Einberufung der Generalstände. Die Generalstände werden dabei von den Parlamenten als unmittelbare Form nationaler Repräsentation begriffen, auf die sie in ihrem Rechtfertigungszwang zurückgreifen. Die Forderung nach einer Einberufung der Generalstände muss in dieser Hinsicht sowohl als Fortsetzung eines erfolgreichen Legitimationsdiskurses der Parlamente als auch als Folge der aus den Auseinandersetzungen zwischen Parlamenten und Krone hervorgegangenen machtpolitischen Pattsituation verstanden werden.

1.3 Der Diskurs über die Repräsentation der Nation im Vorfeld der Einberufung der Generalstände Auf Seiten des Königs wird die Frage der Einberufung der Generalstände 1788 als ein Akt königlicher Souveränität gewertet, der sich durch den Erlass des Einberufungsbefehls nicht an die Repräsentanten der Nation wendet, sondern an die Vertreter der Stände. Wie Ran Halévi gezeigt hat,29 lässt sich aus dieser Perspektive verstehen, weshalb die Generalstände im Ancien Régime 27 Bickart, Roger: Les parlements et la notion de souveraineté nationale au XVIIIe siècle, Paris 1932, S. 109. 28 Ebd. 29 Halévi, Ran: Generalstände, in: Furet, François/Ozouf, Mona: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 96–109.

1.3 Diskurs im Vorfeld der Einberufung der Generalstände

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nicht als eigene repräsentative Körperschaft des Königreiches betrachtet werden. Sie vertreten lediglich die Stände des Reiches insofern sie der König um Rat und Hilfe bittet. Sie bilden keine politische, die Nation repräsentierende Einheit, sondern eine Vielheit von Orden und Ständen, deren Befugnisse und Legitimation ausschließlich auf königlichem Erlass beruhen. Sie selbst verdanken ihre ganze Existenz der königlichen Souveränität. Alle drei Stände haben weder eine legislative Funktion, noch vollstrecken sie einen öffentlichen Willen. Die Stände kommen zusammen, um mit dem König zu beratschlagen und ihm bei der Festlegung der Steuern zur Seite zu stehen. Die Deputierten der Stände sprechen zudem nicht für die Nation als Ganze, sondern sie vertreten ausschließlich die partikularen Interessen ihres Standes und ihrer Gemeinden. Sie vertreten mithin auch nicht die Gesamtheit des Staates bzw. des Volkes, sondern lediglich die Summe seiner Teile. Ihren Niederschlag findet dieses Auffassung in den traditionellen Befugnissen und Instrumenten, die den Deputierten von Seiten des Hofes zugestanden werden: dem imperativen Mandat und den Beschwerdeheften (cahiers de doléances). Die Cahiers sind dabei das Instrument, mit dem der König über die partikularen Interessen der Stände informiert wird. Das imperative Mandat wiederum bindet die Deputierten an den partikularen politischen Auftrag ihrer Gemeinden, die sie vertreten. Sie fungieren dadurch als Repräsentanten eines Standes innerhalb eines Distriktes aber in keiner Weise als Repräsentanten der Nation. Diese Repräsentationsvorstellung wird von den Vertretern der Parlamente jedoch zunehmend in Frage gestellt. Die Nation, „welche selbst ihre eigensten Interessen vertreten muss“, aber „aufgrund ihrer Größe von 24 Millionen Menschen nicht selbst zusammenkommen kann“, so ihre Begründung, muss ihren Willen über ein gemeinsames Repräsentativorgan vertreten.30 In seiner historischen Form wurde dieses Repräsentativorgan nach Ansicht der Parlamente durch die Generalstände gebildet, „in denen die freien Vertreter der Nation“ gemeinsam über die Belange der Nation diskutieren.31 Die Generalstände werden so zu einem Organ nationaler Repräsentation stilisiert, das sie unter der absoluten Monarchie in Frankreich niemals gewesen sind. Möglich wird diese Stilisierung durch die lange Zeit ihrer Nichteinberufung – die letzten Generalstände wurden 1614 abgehalten. Der Mythos der Generalstände, der damit geweckt wird, und der verspricht, dass die Repräsentanten der Nation in der Lage sind, ihre Belange selbst und besser zu regeln, als dies in den letzten zweihundert Jahren unter einem absoluten Herrscher geschehen ist,

30 Volney, Constantin François de Chasseboeuf: Des Conditions nécessaires à la légalité des États généraux, Bd. 1, 1788, S. 14. 31 Ebd.

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1 Die Repräsentation der Nation

wird zum tragenden Argumentationsmuster in den letzten Jahren des Ancien Régime.32 Die Form der Generalstände, also die Repräsentation der Nation durch die drei Stände, wird dabei weder von Seiten des Königs noch der Parlamente in Frage gestellt. Sie wird eher sogar noch unterstrichen als die traditionelle Form der Vertretung bzw. Selbstverwaltung der Nation, wie sie die herkömmliche Organisation der Gesellschaft selbst schafft. Nach dieser Auffassung existiert der Mensch nur in einem organischen Ganzen, also in der Familie, in einer bestimmten Kooperation und in einem Stand. „Alle Eure Untertanen“, heißt es in einem Schreiben an den König, „sind in verschiedene Körperschaften gegliedert, so wie es die verschiedenen Stände im Königreich gibt. Die Geistlichkeit, der Adel, die souveränen Parlamente, die ihnen untergeordneten Gerichtshöfe und die in ihnen arbeitenden Beamten, die Körperschaften, die Akademien, die Finanz- und Handelsgesellschaften, sie alle existieren in jedem Teil des Staates.“33 Das Königreich wird hier selbst als ein Körper gedacht, der aus verschiedenen Teilen besteht und unterschiedliche soziale Hierarchien kennt. Ein Zuwiderhandeln gegen dieses Gefüge hieße, „die Ordnung der Welt zu schänden“. „Schon die Vorstellung“ einer solchen Zerstörung „wäre schrecklich“34, schreibt Turgot, Leiter des französischen Finanzministeriums nach der Thronbesteigung Ludwig XVI. und Reformer der öffentlichen Verwaltung in Frankreich. Die drei Stände verkörpern nach seiner Ansicht deshalb nicht nur eine funktionale Stellung im Staatsgefüge, sondern vor allem eine moralische Ordnung. Wenn jedoch die Stände den sozialen und moralischen Körper der Nation konstituieren, so beschreiben sie selbst ein Repräsentationsmodell, wonach unbeschadet der Anerkennung des Herrschaftsanspruchs des Königs, die Vorstellung einer innerweltlichen Legitimation von unten mitgedacht wird. Alle menschlichen Verbände und Körperschaften, von der Pfarrei bis zu den Parlamenten und letztlich auch die Generalstände, werden als rechtlich handelnde Körperschaften betrachtet, mit deren Konsens der König handeln muss. Diese Repräsentationsidee ist nicht neu, sondern stützt sich, wie Eberhard Schmitt nachgewiesen hat, auf die spätmittelalterliche Korporationslehre.35 Sie gewinnt jedoch im Vorfeld der Einberufung der Generalstände wieder an politischer Relevanz, die sie unter der absoluten Monarchie in Frankreich verloren 32 Vgl. Saige, Joseph: Code nationale ou Manuel françoi: à l’usage des trois Ordres et principalement des députés aux prochains Etats-Généraux; par l’auteur du Catéchisme du Citoyen, en France 1789, S. 52 ff. 33 Schelle, Gustav (Hg.): Œuvres de Turgot et documents le concernant, Bd. 5, Paris 1923, S. 287. 34 Ebd. 35 Vgl. Schmitt, Eberhard: Repräsentation und Revolution. Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien Régime in Frankreich (1760–1789), München 1969.

1.3 Diskurs im Vorfeld der Einberufung der Generalstände

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hatte. Denn die Betonung der repräsentativen Rolle der Stände verstärkt nur die Forderung nach einer Einberufung der Generalstände: Sind die Generalstände die Instanz, welche die Nation in ihrer konstitutionellen, sozialen und moralischen Gesamtheit repräsentiert, dann ist ihr Zusammentreten nicht nur das eigenste Recht der Nation, sondern ihr Ausbleiben Ausdruck des schlimmsten Despotismus: „Seit fast zwei Jahrhunderten“, heißt es im Vorfeld der Einberufung der Generalstände, „sind der Nation die Generalstände vorenthalten worden. Ihr wurde damit alle politische Macht genommen. Sie stand unter einer Willkürherrschaft, die die öffentliche Freiheit zerstört und die einzelnen Eigentumsrechte in Frage gestellt hat“36. Die organische Staatslehre, die einst zum Legitimationsdiskurs der Monarchie gehörte, richtet sich hier ganz offen gegen jede Form absoluter Monarchie. Als es im Jahr 1788 aufgrund der finanziellen und wirtschaftlichen Krise, vor allem aber durch den Widerstand der Parlamente, die sich jeder Ordnung der staatlichen Finanzen widersetzen, die nicht durch die Generalstände sanktioniert ist, tatsächlich zur Einberufung der Generalstände kommt, zwingt diese Entscheidung die königliche Administration in mehrfacher Hinsicht zu gravierenden politischen Entscheidungen. Denn ihrem Selbstverständnis nach muss die Einberufung der Generalstände nach den alten Traditionen erfolgen. Doch der Wunsch, den alten Traditionen nachzukommen, erweist sich schnell als unrealisierbar. Erstens liegt die Einberufung der letzten Generalstände fast 175 Jahre zurück, d.h. es existiert keine überlieferte institutionelle Praxis, was vor allem die Vertreter der Parlamente beklagen.37 Zweitens lassen sich die Regeln der Zusammensetzung der letzten Generalstände nicht einfach auf die Wahl- bzw. Verfahrensmodalitäten der einzuberufenden Generalstände übertragen. Zu unterschiedlich sind die gesellschaftlichen und politischen Ausgangsbedingungen.38 In einem Schreiben vom 5. Juli 1788 wendet sich der König daher an den Conseil d’Etat, um die Modalitäten der Wahl und des Zusammentretens der Stände zu erörtern.39 Damit bringt der König einen Stein ins Rollen, den er bald nicht mehr aufzuhalten vermag. Denn er ruft mit dem Conseil d’Etat gleichzeitig die gebildete Öffentlichkeit auf den Plan. Die Fragen der Repräsentation und Wahl werden nun auch in den Zirkeln der Aufklärer lebhaft diskutiert, denn es wird offensichtlich, dass die alten Repäsentationsvorstellungen den politischen Bedürfnissen der Zeit nicht mehr entsprechen.40 36 Saige, Joseph: L’ami des trois ordres, ou réflexions sur les dissentions actuelles; par l’auteur du Catéchisme du Citoyen, s. l. 1789, S. 9. 37 Arrété du conseil d’État du roi, Seconde Assemblée des Notables en 1788 (5. Juli), in: AP, 1, S. 390. 38 Ebd. 39 Ebd.; vgl. auch Arrêt du Conseil du 5 juillet 1788, in: Brette, Armand, Recueil de documents relatifs à la convocation des Etats-généraux de 1789, Bd. 1, S. 23–25. 40 Vgl. die Arbeiten von Condorcet: Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Lettres d’un bourgeois de New-Haven à un citoyen de Virginie, sur l’inutilité de par-

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1 Die Repräsentation der Nation

In seinem Aufruf macht Ludwig XVI. auf die politische Brisanz seines Handelns selbst aufmerksam. Zum einen fordert er den Respekt vor den alten Bräuchen (anciens usages), zum anderen formuliert er den Anspruch, nur die Regelungen in Betracht zu ziehen, „die mit den Forderungen der Zeit vereinbar sind“41. Doch was sind die neuen Gegebenheiten, deren Auswirkungen anzuerkennen der König bereit ist? Als der König am 6. November 1788 die Assemblée des Notables konsultiert, eröffnet Necker, Finanzminister des Königs und sein wichtigster politischer Berater in der Finanzkrise von 1788, die Sitzung mit einer Rede, in der er die Veränderungen, die sich seit 1614 vollzogen haben, auflistet: Necker nennt die neuen Industriezweige, das ernorme Wachstum des Handels und der Manufakturen und die Entstehung einer neuen bürgerlichen Schicht.42 Und er spricht von „einer fast zwei Jahrhunderte umfassenden Zeitspanne, in der sich in den politischen und moralischen Ansichten die größten Umbrüche (les plus grandes révolutions) vollzogen haben“43. Dazu zählt Necker nicht nur den Anspruch des Dritten Standes auf eine Verdopplung seiner Stimmen, sondern vor allem den Gedanken der Verhältnismäßigkeit von Repräsentierten und Repräsentanten.44 Und dies wird der entscheidende Punkt. Denn er fordert damit neben dem stabilen Verhältnis zwischen Delegierten und Zahl der Wähler vor allem den gleichen individuellen Zugang bei der Formation des politischen Willens und der Schaffung einer nationalen Versammlung. Ran Halévi hat gezeigt45, wie in der darauf folgenden Beratung der Notablen der Gedanke der Proportionalität immer wieder aufgegriffen wird. Man würdigt das Ansinnen Neckers nach einer Verhältnismäßigkeit von Delegierten und Wählern als „Folge der Prinzipien der Gerechtigkeit und der öffentlichen Nützlichkeit“, wie es zu Beginn der Einberufung heißt. „Man kann sich nicht hinsichtlich dieser augenfälligen Disproportion blind stellen, die den Wahlbezirken mit zwölftausend Einwohnern die gleiche Anzahl von Delegierten zugesteht wie sechshunderttausend Einwohnern eines anderen Wahlbezirkes. Man kann diesen Widerspruch mit dem Anspruch der Gleichheit der Bürger, der die Grundlage einer nationalen Versammlung bildet, unmöglich verbinden“46. tager le pouvoir législatif entre plusieurs corps, s. l. s. d.; in: Œuvres de Condorcet, Paris 1847, S. 3–93; Essai sur la Constitution et les fonctions des Assemblée provinciales, s. l. s. d. [1788]; Sur la forme des élections, par M. le marquise de Condorcet, s. l. s. d. [1789]. 41 Arrété du conseil d’État du roi, Seconde Assemblée des Notables en 1788 (5. Juli), in: AP, 1, S. 390. 42 AP, 1, S. 393. 43 AP, 1, S. 394. 44 Ebd., S. 395. 45 Halévi, Ran: Modalités, participation et luttes électorales en Frances sous l’Ancien Régime, in: Gaxie, Daniel (Hg.), Explication du vote. Un bilan des études électorales en France, Paris 1985. 46 AP, 1, S. 490.

1.3 Diskurs im Vorfeld der Einberufung der Generalstände

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Die Entscheidung, zwischen Tradition und öffentlichem Ansinnen zu wählen, fällt hier eindeutig zugunsten der öffentlichen Meinung aus. Necker fasst die Diskussion in seinem Bericht an den König noch einmal wie folgt zusammen: „es gibt nur die eine Meinung im ganzen Königreich, die zugunsten der Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeit ausfällt. Wenn es daher möglich ist, im Jahr 1788 die Proportionalität nach sicheren Erkenntnissen zu gewährleisten, dann wäre es unvernünftig, die Maßstäbe der Gerechtigkeit zugunsten der Tradition von 1614 fallen zu lassen“47. Praktisch bedeutet dies zunächst eine Neugewichtung der alten Wahlbezirke. Die durch die Tradition verbürgte Konsultierung des französischen Volkes wird von Necker damit ausdrücklich zugunsten einer am Prinzip der Proportionalität orientierten Vertretung der Bürger aufgegeben. Freilich impliziert der Maßstab der verhältnismäßigen Repräsentation auch eine Neugewichtung der Stimmen der einzelnen Stände. Necker hatte das Problem in seiner Eröffnungsrede bereits angesprochen. In den zwei Jahrhunderten seit der Einberufung der letzten Generalstände, so Necker, habe es einen erheblichen Wandel innerhalb der Bevölkerungsstruktur gegeben. Der Dritte Stand sei zu einer ökonomischen aber auch politischen Kraft geworden. Sein Ruf nach einer Verdoppelung seiner Stimmen entspringe daher der gleichen Rationalität wie der nach der Proportionalität von Wählern und Gewählten. Auch in diesem Punkt stehen sich also soziale Realität und politische Tradition unversöhnlich gegenüber. Allerdings impliziert die Argumentation von Necker keineswegs eine Aufhebung der drei Stände. Necker fordert lediglich eine Neubeurteilung ihrer Stimmgewichtung, insofern der dritte Stand zur führenden sozialen Kraft geworden ist. Die stimmenmäßige Gleichstellung des Dritten Standes mit den beiden ersten Ständen ist für ihn Ausdruck einer adäquaten Repräsentation des jeweiligen ökonomischen und politischen Gewichtes der drei Stände im sozialen Körper der Nation. Mit seinen Überlegungen setzt Necker eine Debatte in Gang, die Frankreich in den nächsten Monaten in bis dahin nicht gekannter Weise beherrschen wird. Überall wird die Frage nach den angemessenen Grundsätzen der Repräsentation aufgegriffen und weiterentwickelt. Dabei lassen sich drei verschiedene Kernpunkte der Debatten unterscheiden. Erstens wird das Verhältnis der drei Stände in Frage gestellt und die Forderung erhoben, dass der Dritte Stand den anderen beiden Ständen zahlenmäßig an Abgeordneten gleichgestellt wird. Zweitens wird ein Abstimmungsmodus nach Köpfen und eben nicht mehr nach Ständen gefordert, ein Verlangen, das gleichzeitig die Modalitäten des imperativen Mandats berührt. Beide Punkte lassen sich auch schon in der Rede Neckers finden. Drittens schließlich wird das Delegationsverfahren der Abgeordneten diskutiert, 47 Rapport fait au Roi dans son Conseil, par le ministre de ses finances, le 27. décembre 1788, AP, 1, S. 490.

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1 Die Repräsentation der Nation

welches nicht mehr eine Benennung, sondern die freie Wahl der Deputierten zur Voraussetzung haben soll. Dieser scheinbar nebensächliche Punkt wird im Vorfeld der Generalstände zum eigentlichen revolutionären Moment. Wenn die Vertreter der Nation, wie es immer wieder heißt, ausschließlich ihr verpflichtet sein dürfen, dann „ist die erste Bedingung, die an das Zusammentreten der Generalstände geknüpft werden muss, die freie Wahl der Deputierten“48. Die Forderung nach freien Wahlen taucht in einem Großteil der politischen Pamphlete von 1788 auf: „Wenn die Generalstände einer Nation die Versammlung der Repräsentanten der Nation sind, dann müssen die Modalitäten, durch die sie bestimmt werden, ihnen den unanfechtbaren Charakter der Repräsentativität verleihen. Dieser Charakter der Repräsentation hat zur Grundlage die freie Wahl“49 der Abgeordneten. Der dem Problem zugrunde liegende Gedanke, dass die Repräsentation der Nation die Wahl von Repräsentanten voraussetzt, war keineswegs neu. In Frankreich war er, wie Patrice Gueniffey gezeigt hat,50 bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts präsent. Seine bedeutendste Ausformulierung hatte er durch Diderot gefunden, der in seinem Artikel Représentants der Encyclopédie schrieb: „Die Repräsentanten einer Nation sind die Bürger, die in einer zeitlich begrenzten Regierung von der Gesellschaft gewählt sind, in ihrem Namen zu handeln, ihre Interessen auszuarbeiten, das zu verhindern, was sie unterjocht, und zu ihrer Administration zusammentreten.“51 Bei Diderot handelt es sich also um die Vertretung einer Nation im Ganzen, die von deren Bürgern zur Willens- und Interessenvermittlung sowie zur politischen Kontrolle und Teilhabe an der Staatsverwaltung des Königs gewählt werden soll. Die Repräsentation der Nation in Ständen stellt Diderot gleichwohl noch nicht in Frage.52 Genau dies geschieht aber immer häufiger im Vorfeld der Generalstände. Orientierte sich die allgemein erhobene Forderung nach Einberufung der Generalstände zunächst am Verfahren von 1614, als die drei Stände – der Adel, die Geistlichkeit und das Volk – zusammenkamen, um zuerst getrennt und dann gemeinsam mit je einer Stimme den nationalen Willen zu erörtern, so gerät dieses Verfahren Ende 1788 zunehmend in die Kritik. „Warum“, fragt etwa Constantin François Chasseboeuf, Comte de Volney, anerkannter Naturwissen48 Volney, Constatin François de Chasseboeuf: Des Conditions nécessaires à la légalité des États-Généraux, Bd. 1, 1788, S. 15. 49 Essai sur cette question. Est-il nécessaire ou untile que les Etats-Généraux de 1789 soient convoqués dans la forme de ceux de 1614, s. l. s. d. (1788), S. 6. 50 Gueniffey, Patrice: Wahlen, in: François Furet/Mona Ozouf: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, S. 295–315. 51 Diderot, Denis: Art. Représentants, Encyclopédie, Bd. 28, Lausanne, Bern 1780, S. 362. 52 Diderot spricht von fünf „classes“: dem Klerus, dem Adel, den Magistraten, den Kaufleuten und den Bauern.

1.3 Diskurs im Vorfeld der Einberufung der Generalstände

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schaftler und Weltreisender, fordert man „wohl die Generalstände in der Form von 1614? Aus Tradition? Gewiss, es ist die älteste Form – aber ist sie auch noch dem heutigen Zustand angemessen?“53 In der nun einsetzenden Diskussion lassen sich drei Lager unterscheiden. Erstens gibt es eine Gruppe von Denkern, die die Repräsentation der Nation in drei Ständen gänzlich in Frage stellt. Dabei nehmen sie das Argument der Proportionalität wieder auf. Je nach Autor etwas abweichend sieht die rechnerische Überlegung etwa so aus: „Es gibt 100 Tausend weltliche Geistliche, 20 Tausend Ordensgeistliche, 12 bis 19 Tausend Mönche und Nonnen, zusammen 135 Tausend. Der Adel, sowohl der alte als auch der neue, setzt sich aus mehr als 600 Tausend Individuen zusammen. Zusammen macht dies 735 Tausend. Um Diskussionen auszusparen, sagen wir 800 Tausend im Ganzen. Die Bevölkerung besteht aber aus 24 Millionen Individuen. Der Anteil der Privilegierten zu den Nichtprivilegierten steht daher in einem Verhältnis von 1 zu 30. Ist es nach dieser Rechnung gerecht, wenn die drei Stände den gleichen Status erhalten, wenn es eine so große Disproportion hinsichtlich der Anzahl der Individuen gibt, die sie vertreten? Oder muss man daraus schließen, dass von 30 Abgeordneten 29 den Dritten Stand vertreten und ein Delegierter den Adel und die Geistlichkeit?“54 Gilt es im Falle einer solch offensichtlichen Disproportionalität noch, „den Grundsatz der Proportionalität zu wahren“55? Diese rechnerischen Überlegungen streichen die Hinfälligkeit eines solchen Verhältnisses deutlich heraus. Darüber hinaus stellen solche Vorgaben die Idee in Frage, dass die Stände gemeinsam und in gleicher Weise die Nation repräsentieren. Sie greifen damit letztlich auch die Vorstellung von der Einheit und Unteilbarkeit der Nation an. Um diese Konsequenz zu vermeiden, tendieren die Publizisten des Dritten Standes hinsichtlich der Zusammensetzung der Generalstände mehrheitlich dahin, eine vollständige Aufhebung der separaten Beratung der Stände zu fordern. Die Generalstände, formuliert Simon-Nicolas-Henri Linguet, einer der einflussreichsten Journalisten des Ancien Régime, repräsentieren das „Land als einen toten Staat“. Um es wieder zu beleben, bedarf es der „Vereinigung der Nation“56. Und in einem Brief an den König heißt es: „Sire, die öffentlichen Bekanntmachungen kündigen die Einberufung der Generalstände an. Wenn die Versprechen ihrer Minister aufrichtig sind, warum beeilen sie sich dann, nur die alte Ordnung wiederherzustellen? Warum lassen sie nicht die Generalstände 53 Volney, Constantin François de Chasseboeuf: Des Conditions nécessaires à la légalité des États-Généraux, Bd. 1, 1788, S. 9. 54 Principes sur la Constitution de la France et des Etats Généraux, s. l. 1788, S. 23. 55 Ebd. 56 Linguet, Simon-Nicolas-Henri: Quelle est l’origine des États-Généraux, par M. Linguet, s. l. s. d. [1788], S. 5.

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1 Die Repräsentation der Nation

über das entscheiden, was an Veränderungen dringend notwendig ist? Und warum verändert man nicht, wenn man die Versammlungen einer Nation einberuft, um gemeinsam über ihre Interessen zu debattieren, ihren Status [. . .]. Wenn man ein freies Volk will [. . .], dann beginnt man nicht damit, ihm neue Barrieren in den Weg zu legen, die den Despotismus der Person und des Eigentums aufrechterhalten.“ 57 Was Linguet und andere hier fordern, ist die vollständige Aufhebung der Beratung in Ständen, d.h. die gemeinsame Beratung aller, vor allem aber die Abstimmung innerhalb der Generalstände nach Köpfen. Während die Notablen noch über die Proportionalität von Wählern und Gewählten beraten, jedoch an der alten Ständeordnung festhalten, verlangen einzelne Vertreter der Parlamente bereits die Wahrung der Proportionalität auch bei der Durchsetzung des politischen Willens. Dies bedeutet neben der Aufhebung einer Wahl nach Ständen, die gemeinsame Beratung und Abstimmung aller Abgeordneten. Damit ist bereits der Anspruch verknüpft, dass die Delegierten ausschließlich aufgrund ihrer Wahl als rechtmäßige Repräsentanten der Nation anzusehen sind, unabhängig ihrer Zuordnung zu einem Stand oder einer Region.58 Freilich gehen 1788 nicht alle Parlamentsangehörigen in ihren Forderungen so weit. Ein Teil der Vertreter der Parlamente ist der Ansicht, dass der Stimmenanteil der drei Stände in den Generalständen lediglich neu gewichtet werden muss. Der Adel und die Geistlichkeit, so ihre Argumentation, haben ihre repräsentative Funktion zunehmend eingebüßt. Zudem verlangt die Formel von der „angemessenen Repräsentation“, wie sie eine Wahl nahe legt, zumindest die Gleichstellung von Privilegierten und Nichtprivilegierten. Eine wesentliche Forderung besteht deshalb darin, dass die Anzahl der Delegierten des Dritten Standes der der beiden ersten Stände entsprechen müsse.59 Mit dieser Vorstellung, die in gleicher Weise der Idee der Proportionalität wie auch dem Prinzip der ständischen Repräsentation verpflichtet ist, greifen sie auf den von Necker im November 1788 gemachten Vorschlag zurück. „Sollte die Anzahl der Deputierten des Dritten Standes der der anderen beiden Stände entsprechen oder sollte sie nur ein Drittel der versammelten Stände ausmachen“, hieß die ihm damals vom König gestellte Frage. „Eure Majestät“, antwortete er, „die Generalstände können nicht mehr in der alten Form einberufen werden, denn sie entsprechen nicht mehr den Veränderungen, die sich seitdem in beiden privilegierten Ständen vollzogen haben, weshalb die 1.000 Abgeordneten, die man zu den Generalständen einberufen wird, so aufgeteilt werden sollten, dass 250 Sitze der 57 So in einem Brief an den König: Très-respectueuses Représentation des trois Ordres de la Province de Dauphiné, s. l. s. d., s. p. 58 Cadart, Jaques: Le régime électoral des états généraux de 1789 et les origines (1302–1614), Paris 1952, S. 81. 59 Volney, Constantin François de Chasseboeuf: Des Conditions nécessaires à la légalité des États-Généraux, s. l. s. d. [1788], S. 17.

1.4 Das Wahlreglement von 1789

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Geistlichkeit, 250 Sitze dem Adel und 500 dem Dritten Stand“60 zufallen. Diese Forderung Neckers findet vor allem auf Seiten des Adels Fürsprecher, die trotz und, wie Tocqueville später schrieb,61 auch wegen ihrer Privilegien von zunehmender Verarmung bedroht, ihre Interessen zunehmend durch den Dritten Stand vertreten zu sehen glauben. Darüber hinaus gibt es eine Gruppe, welche ungeachtet der Forderungen des Dritten Standes verlangt, die überlieferte Ungleichgewichtung der Stände in den États-Généraux beizubehalten. Dabei begnügt man sich allerdings nicht einfach mit dem Verweis auf das traditionelle Reglement der Stände von 1614. Vielmehr sucht man die Forderungen unter Rückgriff auf die korporatistische Repräsentationstheorie zu untermauern, die man daher auch mit dem Gedanken der Unteilbarkeit der Nation verknüpft, indem man auf das Konzept des politischen Körpers abstellt: „Ja, das einzige Prinzip, das unter den heutigen Umständen aufgegriffen werden darf, ist die Unteilbarkeit der Nation. Es darf keine Unterschiede zwischen Geistlichkeit, Adel und dem Dritten Stand geben, man muss sie stattdessen als Untertanen der Monarchie betrachten, die ein einziges und einheitliches Ganzes bilden, weil sie die Mitglieder eines unteilbaren natürlichen Körpers sind. Der politische Körper, damit er gut konstituiert ist, muss wie ein physischer Körper aufgebaut sein; alle seine Mitglieder unterstehen dem gleichen Regime und übernehmen die Funktion, die die Natur ihnen gegeben hat. Die Stände, die von Menschen geformt wurden, um in der Gesellschaft zu leben, bilden einen politischen Körper [. . .]. Jeder hat seine Funktion und alle unterstehen dem gleichen Ziel [. . .]. Sie alle verkörpern eine natürliche Harmonie.“62 Der Grundsatz der Harmonie verträgt sich mit keiner Überlegung, die auf ein den sozialen und politischen Gegebenheiten angemessenes Verhältnis der Stände setzt. Die Stände müssen dieser Ansicht nach, die vor allem von Teilen der Geistlichkeit aufgegriffen wird, vielmehr in einem gleichen Verhältnis zueinander stehen, denn nur so können die Autonomie und Einheit der Teile der Nation sowie ihre spezifischen Interessen gewahrt werden.

1.4 Das Wahlreglement von 1789 Der Unausweichlichkeit, in dieser Situation eine klare Entscheidung zugunsten eines Repräsentativmodells zu treffen, versucht, wie Ran Halévi zeigen konnte,63 das Wahlreglement von 1789 dadurch zu entgehen, dass man alle drei 60

AP, 1, S. 490 u. 494. Tocqueville, Alexis de: Die sozialen und politischen Verhältnisse Frankreichs vor und nach 1789, in: Alexis de Tocqueville, Kleine politische Schriften, hg. von Harald Bluhm, Berlin 2006, S. 81–108. 62 Principes sur la Constitution de la France et des Etats-Généraux, Bd. 1, 1788, S. 6–7. 63 Halévi, Ran: Generalstände, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 96–109. 61

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1 Die Repräsentation der Nation

Forderungen berücksichtigt. Nachdrücklicher als noch bei den Generalständen des 16. Jahrhunderts, ja selbst noch den Generalständen von 1614, bei denen es durchaus üblich war, dass der Adel mit dem Dritten Stand gemeinsam beriet,64 schreibt das Wahlreglement vom 24. Januar 1789 nun eine separate Beratung der Stände vor.65 Gleichzeitig kommt es der Forderung nach einer nationalen Vertretung insofern nach, als es im Gegensatz zu vorherigen Einberufungsschreiben, die eine schlichte formelle Vorladung waren, mit einem wirklichen Wahlkodex versehen ist, der den Anspruch erhebt, nicht nur alle Teile des Reiches paritätisch einzubeziehen, sondern auch die Deputierten der Stände zu gewählten Vertretern ihres Standes zu machen.66 Das Wahlreglement, dessen Komplexität und dessen Sorge nach Einheitlichkeit und Gleichheit eine gravierende Veränderung des öffentlichen Rechts bedeutet, verleiht schon durch die Betonung des Wahlmodus den Generalständen einen veränderten politischen Charakter. Denn die so benannten Vertreter können sich, auch wenn an den Ständen festgehalten wird, nunmehr als wahrhafte Repräsentanten ihres Standes und Wahldistriktes verstehen.67 Durch die Berücksichtigung der verschiedenen, ja gegensätzlichen Standpunkte bleibt das Wahlreglement von 1789 jedoch, wie es Ran Halévi treffend nennt, ein „doppeldeutiger Text“, der Tradition und Erneuerung gleichermaßen verbindet.68 Auf der einen Seite behält er den Rahmen früherer Einberufungen bei, indem er die Einberufung der großen Stände nach Körperschaften und Berufen vorschreibt und den früheren Repräsentationstyp des imperativen Mandats und das traditionelle Verfahren der Erstellung von Beschwerdeheften festlegt. Er bewahrt damit die Trennung der Stände und übergeht die zentrale Forderung nach gemeinsamer Wahl, Beratung und Abstimmung. Auf der anderen Seite wird jedem Bürger, der mindestens 25 Jahre alt ist und Steuern zahlt, das Stimmrecht zuerkannt. In dem Reglement heißt es: „Der König hat gewollt, indem er den verschiedenen Provinzen, die seinem Gehorsam unterworfen sind, 64 Chartier, Roger/Richet, Denis: Représentation et vouloir politique, autour des États-généraux de 1614, Paris 1982. 65 AP, I, S. 544–550. 66 Gueniffey, Patrice: Le nombre et la raison: la Révolution française et les élections, Paris 1993; Gueniffey, Patrice, Wahlrecht, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 920–935. 67 AP, 1, 544 ff. Vgl. Furet, François: La monarchie et le règlement électoral de 1789, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The political culture of the old Regime, Oxford 1991, S. 375–386; Halévi, Ran: La monarchie et les élections: position des problèmes, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The political culture of the old Regime, Oxford 1991, S. 387– 402. 68 Halévi, Ran: Generalstände, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 96–109.

1.4 Das Wahlreglement von 1789

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die Einberufungsbriefe zu den Generalständen übermittelt, dass all seine Untertanen an der Wahl der Deputierten, die diese große und festliche Versammlung bilden sollen, beteiligt sein sollen. Seine Majestät hat sicherzustellen gewünscht, dass – auch in den Randgebieten seines Königreichs und in den am wenigsten bekannten Siedlungen – die Wünsche und Beschwerden eines jeden vor den Thron gelangen können.“69 Jedes Individuum, das Zugang zu den Wahlversammlungen hat, erwirbt gleichzeitig die Möglichkeit, sich seinen Mitbürgern zur Wahl zu stellen. Das Volk erhält damit zum ersten Mal von Rechts wegen Zugang zum öffentlichen Leben. Aus den Untertanen des Königreiches werden im Namen des Königs Mitglieder des nationalen Körpers. Zudem suggeriert die versicherte Gleichheit der Rechte ein stabiles Verhältnis zwischen Repräsentanten und Repräsentierten. Doch auch hier bleibt das Reglement vom 24. Januar 1789, wie in vielen anderen Punkten auch, ungenau. Es sieht die Versammlung von etwa 1.000 Deputierten vor, was nahezu der doppelten Anzahl von Sitzen gegenüber dem Jahr 1614 entspricht. Das Problem der Verhältnismäßigkeit der Stände sucht es dahingehend aufzulösen, dass es dem Dritten Stand eine doppelte Repräsentation, also eine den ersten beiden Ständen gleichrangige Anzahl von Deputierten zugesteht. Damit versucht es auch noch der dritten Forderung, der Neugewichtung der Stände bzw. der Gleichgewichtung von Privilegierten und Nichtprivilegierten nachzukommen. Das Prinzip der Proportionalität ist damit jedoch nur im Hinblick auf die Deputierten, nicht aber mit Blick auf die Stände gewahrt. Unsicherheiten gibt es zudem auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Wahlversammlungen. Als Wahlbezirke greift man auf die schon 1614 genutzten Bailliages zurück, die jedoch keineswegs eine gerechte Verteilung hinsichtlich der Bevölkerungszahlen ermöglichen. Zudem können die lokalen Justizbeamten, die darum gebeten wurden, die exakte Ausdehnung ihrer Amtsbezirke anzugeben, diesem Gebot nicht ohne Weiteres entsprechen. Denn es existiert eine zu große Zahl von Jurisdiktionsbezirken, deren Grenzen sich keineswegs notwendigerweise mit den alten Bailliages decken. Die genaue Zahl der Wählerschaft ist dadurch oftmals überhaupt nicht bekannt. Zudem bestimmen die drei Stände ihre Delegierten in unterschiedlichen Wahlmodi, die in der Literatur eingehend untersucht wurden.70 Der entscheidende Punkt an dieser Stelle ist, dass der Wahlmodus des ersten Standes den Landeigentümern einen direkten Zugang zu den Wahlversammlungen ermög69

Ebd., S. 100. Halévi, Ran: La monarchie et les élections: position des problèmes, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The political culture of the old Regime, Oxford 1991, 387–402; Halévi, Ran: Modalités, participation et luttes électorales en France sous l’Ancien Régime, in: Gaxie, Daniel (Hg.): Explication du vote. Un bilan des études électorales en France, Paris 1985. 70

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1 Die Repräsentation der Nation

licht, während er dem dritten Stand allgemeine und freie Wahlen nur in mehreren Stufen ermöglicht.71 Auch die Beibehaltung des imperativen Mandates widerspricht dem Verständnis von gleichen Wahlen, insofern die Delegierten der Stände damit nicht als eigenverantwortliche Vertreter der Nation, sondern lediglich als Mandateure ihrer Region legitimiert sind.72 Doch die eigentliche Neuerung, nämlich die freie Wahl der Abgeordneten, die von den Vertretern der Parlamente allgemein begrüßt wird, hat erhebliche politische Konsequenzen. Denn sie führt letztendlich zu einer niemals dagewesenen Politisierung des Dritten Standes. Zum ersten Mal gibt es keine bereits im Voraus geregelten Wahlen, keine Abstimmungen ohne Beratung und Diskussion. Stattdessen herrscht eine nie dagewesene Politisierung der Wähler. Es kursieren Flugschriften; politische Forderungen und Losungen werden innerhalb weiter Bevölkerungsschichten bekannt. Aus den Parlamenten treten bekannte Kandidaten hervor, doch auch Neulinge betreten die politische Bühne.73 Die Mobilisierung der Wähler wie der Kandidaten, die sich ihrer neuen Wählerschaft erst einmal persönlich und inhaltlich vorstellen müssen, ist enorm. Augustin Cochins hat auf das fundamentale Paradox eines Verfahrens hingewiesen, das eine „demokratische“ Form der Abstimmung mit einer traditionellen Form der Beratung (die Einstimmigkeit in den cahiers de doléance) verbindet.74 Während die freie Wahl es erforderlich macht, dass sich die einzelnen Kandidaten durch ein besonderes personelles und politisches Profil von ihren Mitbewerbern unterscheiden, kommt es gleichzeitig zu einer „Entmündigung“ ihrer Person, 71 Der Dritte Stand stellt für sich etwas mehr als 40 Prozent der direkten Wähler, der Klerus und der Adel ein Drittel bzw. annähernd ein Viertel. Das bedeutet, dass die privilegierten Stände ungefähr 60% der Wähler stellen, ein Ungleichgewicht, das sich vor allem aus der Aufteilung in Haupt- und nachgeordnete Bailliages ergibt. Für das eigentliche Wahlverfahren hat dies jedoch keine Bedeutung, da die Stände grundsätzlich getrennt beraten und abstimmen. Vgl. Halévi, Ran: Generalstände, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 96–109, 106; Halévi, Ran: La monarchie et les élections: position des problèmes, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The political culture of the old Regime, Oxford 1991, S. 387–402; Halévi, Ran: Modalités, participation et luttes électorales en France sous l’Ancien Régime, in: Gaxie, Daniel (Hg.): Explication du vote. Un bilan des études électorales en France, Paris 1985. 72 Halévi, Ran: Modalités, participation et luttes électorales en France sous l’Ancien Régime, in: Gaxie, Daniel (Hg.): Explication du vote. Un bilan des études électorales en France, Paris 1985, S. 75–98. 73 Halévi, Ran: La monarchie et les élections: position des problèmes, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The political culture of the old Regime, Oxford 1991, S. 387–402. 74 Cochin, Augustin: La révolution et la libre pensée. La socialisation de la pensée (1759–1789) la socialisation de la personne (1789–1792) la socialisation des biens (1793–1794), Paris 1979, S. 119; Cochin, August: Comment furent élus des députés aux États généraux, in: Cochin, August, L’Esprit du jacobinisme, Paris 1979, S. 49–93.

1.4 Das Wahlreglement von 1789

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insofern sie nach der Wahlordnung nichts anderes sein sollen als die Überbringer von Beschwerdeheften, also Abgeordnete mit einem imperativen Mandat. Damit belohnt die Wahlordnung politische Talente, denen sie zugleich die weitere Ausübung ihrer Fähigkeiten untersagt. Diese Prinzipienkonfusion hat weitreichende Konsequenzen: die getrennte Abstimmung der Stände und die aufeinander folgenden Kandidatenausschlüsse, die dem Dritten Stand auferlegt sind, eröffnen das Feld für ein neues politisches Personal.75 Wie Ran Halévi eindrücklich aufzeigen konnte, breiten sich in dem zunächst entstehenden Vakuum politischer Führungskräfte neue Netze der Macht aus: die am Rande des Ancien Régime stehenden Philosophischen Gesellschaften, die gebildeten Kreise, Klubs und Patriotischen Gesellschaften, die Lesekabinette und Freimaurerlogen.76 In den Auseinandersetzungen, die sich durch die Einberufung der Generalstände entfalten, können diese Gesellschaften Strukturen, Programme und Personen bereitstellen, um eine unorganisierte Menge von Stimmberechtigten zu mobilisieren. Wählermobilisierung bedeutet hier gleichzeitig Meinungskampagne und die Profilierung von politischen Führern.77 Gleichwohl verbürgen Bindung und organisatorischer Rückhalt in den Gesellschaften noch nicht den gesicherten Zugang zu einem Deputat. Die Mehrheit der Abgeordneten der Generalstände sind weder glühende Gegner des Absolutismus noch Wegbereiter von Reformen. Über zwei Drittel der gewählten Deputierten des Dritten Standes tauchen namentlich bei den Diskussionen in der Assemblée Nationale nicht wieder auf, d.h. sie beteiligen sich nicht an den inhaltlichen Auseinandersetzungen der folgenden Monate, was die Schlussfolgerung nahe legt, dass sie ihre Wahl lange vor 1789 bestehenden sozialen Netzen abseits der politischen Debatten verdanken.78 Nichtsdestotrotz können alle Deputierten im Frühjahr des Jahres 1789 in dem Bewusstsein nach Versailles reisen, gewählte Vertreter ihres Standes zu sein. Für den politisierten Teil der Delegierten des Dritten Standes verbindet sich damit noch ein weiteres Selbstverständnis: Sie verstehen sich nicht nur als Abge-

75 Halévi, Ran: La monarchie et les élections: position des problèmes, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The political culture of the old Regime, Oxford 1991, S. 387–402. 76 Halévi, Ran: Generalstände, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 96–109. 77 Furet, François: Les élections de 1789 à Paris, le Tiers Etat et la naissance d’une classe dirigeante, in: Hinrichs, Ernst/Schmitt, Eberhard/Vierhaus, Rolf (Hg.): Vom Ancien Régime zur Französischen Revolution, Göttingen 1978; Cochin, August: Comment furent élus des députés aux États généraux, in: Cochin, August, L’Esprit du jacobinisme, Paris 1979, S. 49–93. 78 Vgl. Cochin, August: Comment furent élus des députés aux États généraux, in: Cochin, August, L’Esprit du jacobinisme, Paris 1979, S. 49–93.

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1 Die Repräsentation der Nation

ordnete des Volkes, sondern aufgrund des neuen Wahlmodus auch und vor allem als Repräsentanten der Nation.

1.5 Die Diskussion um die politische Bedeutung und soziale Stellung der Stände Mit den Wahlen der Generalstände werden die Diskussionen um die Modi einer nationalen Repräsentation nicht aufgehoben, sondern vielmehr noch einmal verstärkt. Da das Wahlreglement vom 24. Januar 1789 lediglich die Beratung, nicht aber die Abstimmung nach Ständen vorgeschrieben hatte, entflammt die Diskussion über die politische Bedeutung und soziale Stellung der Stände in der Folgezeit erneut. In seiner Abhandlung Nouvelles Observations sur les États-Généraux de France fasst Jean-Joseph Mounier, langjähriges Mitglied des Parlaments von Grenoble und 1788 Führer der parlamentarischen Revolte der Dauphiné, die zur Folge hatte, dass in Vizille zum ersten Mal die drei Stände gemeinsam tagten und mit einer einzigen Stimme die Wiedererrichtung der Provinzialstände und vor allem die Einberufung der Generalstände forderten, diese Debatten zusammen. Auf der einen Seite würdigt er die historische Stellung der drei Stände: In der langen Geschichte Frankreichs, so seine Argumentation, haben sich die drei Stände ganz allmählich herausgebildet. Ihnen kamen unterschiedliche politische aber auch wirtschaftliche Aufgaben zu, woraus sich unterschiedliche Privilegien ergaben. Auf der anderen Seite macht er bewusst, dass diese traditionelle Aufgabenteilung nicht mehr existiert. Die herkömmlichen Aufgaben des Adels, wie die Leitung des Heeres oder die politische Beraterfunktion am Hofe, wurden durch das Berufssoldatentum und das (Berufs)Beamtentum abgelöst, in das sich zunehmend das Bürgertum eingekauft hat. Die Eruption des einen Standes bedingte aber auch die Auflösung des anderen. Heute, so Mounier, hat die Aufteilung der französischen Nation in drei Stände weder einen sozialen noch wirtschaftlichen oder kulturellen Rückhalt. Eine Abstimmung nach Ständen lehnt Mounier deshalb kategorisch ab. Zur Begründung macht er ein sowohl historisches wie auch ein konstruktivistisches Argument geltend. Zum einen belegt er, dass „das Abstimmungsverhältnis der drei Stände niemals [in der langen Tradition der Generalstände] rechtlich fixiert wurde“. In den Lettres de Convocation, also den Briefen zur Einberufung der Generalstände, finde sich keine Festlegung ihrer „zahlenmäßigen Zusammensetzung“ bzw. ihres Abstimmungsmodus.79 Mit anderen Worten: die Stimmgewichtung der drei Stände sei historisch nicht verbürgt, geschweige denn legitimiert. 79 Mounier, Jean-Joseph: Nouvelles observations sur les états généraux de France. Par M. Mounier, s. l. s. d. [1789], S. 119.

1.5 Politische Bedeutung und soziale Stellung der Stände

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Zum anderen verweist Mounier darauf, dass der Dritte Stand nahezu 98 Prozent aller Wähler repräsentiere.80 Mounier schließt sich jedoch der Überlegung Neckers, dieses proportionale Ungleichgewicht dadurch zu lösen, dass man die Anzahl der Nichtprivilegierten denen der Privilegierten angleicht, nicht an: „Es ist nicht akzeptabel, dass man den nicht privilegierten Bürgern eine gleiche Zahl von Repräsentanten zugesteht, wie den beiden vereinten ersten beiden Ständen.“81 Denn, so Mounier, das proportionale Ungleichgewicht von fünfoder sechshunderttausend Wählern gegenüber dreiundzwanzig Millionen Wählern würde dadurch zwar minimiert, bliebe aber im Wesentlichen erhalten: „Ich sage nur, dass die fünf- oder sechstausend Personen, die zu den ersten beiden Ständen zu rechnen sind, sehr zufrieden sein müssten, über die gleiche Anzahl von Delegierten verfügen zu können, wie dreiundzwanzig Millionen Wähler. Wie sollte man sich auch über ein solches Verhältnis beschweren, dass nicht nur verführerisch ist, sondern auch noch die Möglichkeit eröffnet, sich als Vertreter des dritten Standes wählen zu lassen.“82 Letztendlich verwirft Mounier jede rechnerische Überlegung hinsichtlich der Proportionalität von Wählern und Gewählten unter den Bedingungen einer nationalen Repräsentation in drei Ständen. Das spezifische Argument von Mounier besteht darin, sowohl der Geistlichkeit als auch dem Adel jede Form von Repräsentativität abzusprechen. Zwar werden die Delegierten der Geistlichkeit und des Adels von ihren Orden und Familien gewählt, sie sind dadurch jedoch noch keine Delegierten der Nation.83 Für Mounier ist es unmöglich, Vertreter eines bestimmten Standes und zugleich Vertreter der Nation zu sein, sei es doch gerade die Einheitlichkeit der Nation, welche ihren Charakter bestimmt. Insofern sei eine freie und gleiche Wahl der Deputierten die erste Voraussetzung für die Konstituierung einer nationalen Versammlung. Unter den gegebenen Umständen der Wahl bedeutet dies für Mounier, dass sich die drei Stände bei ihrer Konstituierung zu einer nationalen Versammlung (Assemblée Nationale)84 vereinigen und in ihr nicht nach Ständen, sondern nach Köpfen (par tête)85 abstimmen müssen. Die Dauphiné, so Mounier, habe ihren Delegierten den Auftrag erteilt, sich nicht eher an den Sitzungen der Generalstände zu beteiligen, bis diese Form der gemeinsamen Beratung und Abstimmung aller Stände durchgesetzt werde. Sie forderten die Delegierten der Generalstände auf, sich an der Vereinigung der drei Stände zu beteiligen und sich nicht in Einzelversammlungen zu konstituieren. Sie unternähmen alle Anstrengungen, um zu beweisen, dass die Beratungen und Abstimmung nach Köp80 81 82 83 84 85

Ebd. Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S.

219. 220. 221. 233. 233.

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1 Die Repräsentation der Nation

fen notwendig seien, denn es sei unmöglich, gemeinsam zu beraten, wenn das Ergebnis der Verhandlungen von vornherein feststehe. Die Form der Beratungen könne nur durch den nationalen Körper bestimmt werden. Blieben die drei Stände dennoch bestehen, so kompromittiere man die Rechte der Nation.86 Aufgrund seines Verständnisses von nationaler Repräsentation lehnt Mounier auch die Einwände ab, welche besagen, dass die drei Stände in den Generalständen aufgrund ihres Vetorechtes, welches sie genießen, sehr wohl in der Lage seien, einen einheitlichen nationalen Willen zum Ausdruck zu bringen, insofern dieser nur zu Stande komme, wenn alle drei Stände einem Antrag zustimmten. Der von ihm unterstellte Standesdünkel und die ausschließliche Konzentration auf die Interessen des eigenen Standes werden nach Mounier jedoch niemals dazu führen, ein nationales Interesse entstehen zu lassen. Vielmehr werde das Veto zur Folge haben, dass sich die Stände gegenseitig blockieren, was notgedrungen die politische Handlungsunfähigkeit der Generalstände bedeute. Das bewiesen die historischen Beispiele und das bestätige auch die politische Bedeutungslosigkeit, welche den Generalständen bislang zugekommen sei. Als mahnendes Beispiel verweist Mounier auf die letzte Ständeversammlung von 1614, als der Adel und die Geistlichkeit solange auf den Ausbau ihrer Privilegien beharrten, dass der König schließlich kein anderes Mittel sah, als die Stände zu entlassen, sobald sie ihre Beschwerdehefte, an deren Inhalt keiner mehr gedacht habe, überreicht hatten.87 Auch die Überlegung, dass sich Adel und Geistlichkeit zu einer eigenen Kammer in der Form eines Oberhauses zusammenschließen, welche dem Dritten Stand oder dem Unterhaus (Chambre des Communes) wie im englischen Parlamentssystem gegenüberstehen soll, lehnt Mounier in dieser Form ab. Denn, so seine Argumentation, die beiden oberen Stände würden doch nichts anderes tun, als ihre jeweils eigenen – und eben nicht die nationalen – Interessen zu vertreten.88 Eine strukturelle Vergleichbarkeit des englischen und französischen Adels lehnt Mounier damit indirekt ab. Mouniers Kritik richtet sich aber nicht nur gegen die bestehende Wahlordnung und das Gebot einer Beratung in Ständen. Vor allem argumentiert er gegen die Form des Beschwerdeheftes und das imperative Mandat der Abgeordneten. Um zu einer einheitlichen Entschlussfähigkeit zu kommen, so Mounier, bedürfe es der freien Beratung der Abgeordneten über die dringendsten politischen Aufgaben, denen sich die Nation zu stellen habe. Nur so könne es zu einem nationalen Willen kommen. Werde der Abgeordnete stattdessen an sein Mandat gebunden, bliebe er ausschließlich regionalen und ständischen Interessen verpflichtet. Zudem zeige die Geschichte der Generalstände nur die Wir86 87 88

Ebd., S. 236. Ebd., S. 244 ff. Ebd., S. 244.

1.5 Politische Bedeutung und soziale Stellung der Stände

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kungslosigkeit der Beschwerdehefte. Ohne die Unterstützung aller Vertreter der Nation werden aus den Beschwerden keine politischen Forderungen abgeleitet werden können. Die Beschwerdehefte seien und blieben lediglich Empfehlungen an den König, die dieser entgegennehmen oder ablehnen könne. Sie seien Ausdruck partikularer, nicht nationaler Interessen. Die von Mounier vorgebrachten und hier referierten Argumente bestimmen die Forderungen des Dritten Standes nach der Eröffnung der Generalstände, die alle darauf hinauslaufen, nur die gemeinsame Beratung aller Stände zu akzeptieren. Doch die Weigerung eines Großteils der Geistlichkeit und des Adels, sich dem Anliegen des Dritten Standes anzuschließen, setzt die Vertreter des Dritten Standes, die, wie es bereits bei Mounier anklang, teilweise schon in ihren Beschwerdeheften den Auftrag mitgebracht haben, nur gemeinsam mit den anderen beiden Ständen zu beraten, zunehmend unter Handlungsdruck. Denn der Dritte Stand, der sich selbst als neue politische Kraft versteht, die den anderen beiden Ständen ebenbürtig ist, droht seine Handlungsfähigkeit zu verlieren, solange die privilegierten Stände sich weigern, gemeinsam mit ihm die nationalen Interessen auszuhandeln. Was damit ebenso bedroht ist, ist das bei den Wahlen zur Assemblée Nationale neu entstandene Verständnis der Nation als einer eigenen politischen Kraft, die unabhängig vom König, dank ihrer Repräsentanten, einen nationalen Willen aushandeln kann. Eine Handlungsoption eröffnet in dieser Situation eine Schrift, die zu Beginn des Jahres 1789 erschienen war: Abbé Sieyès’ Traktat Qu’est-ce que le Tiers État? (Was ist der Dritte Stand?). Der enorme Erfolg der Sieyèsschen Schrift – sie gehört zu den meist publizierten politischen Pamphleten der ersten Monate des Jahres 1789 – beruht nicht zuletzt darauf, dass es ihr gelingt, in dem entscheidenden politischen Augenblick die Delegierten des Dritten Standes zu den allein rechtmäßigen Repräsentanten der Nation zu erklären. Sieyès’ Umdeutung der nationalen Repräsentation ist in der Tat revolutionär, impliziert sie doch nicht weniger als einen theoretischen Paradigmenwechsel, der zusammen mit dem herkömmlichen Verständnis der Nation auch die überlieferte Vorstellung von Souveränität in Frage stellt. Die Nation ist für Emmanuel-Joseph Sieyès, vormals Vikar des Bischofs von Chartres und Mitglied der Provinzialversammlung des Klerus von Orléans, eine zu bestimmten sozialen und ökonomischen Zwecken organisierte Form der menschlichen Gemeinschaft. Dabei werden die Menschen nicht nur als frei und gleich, sondern auch als produktiv tätig vorgestellt. Die Pointe dieses funktionalen Ansatzes, der stark an physiokratischen Vorstellungen orientiert ist,89 besteht darin, dass er die Zugehörigkeit zur Nation an die Ausübung einer dem Gemeinwesen nützlichen Tätigkeit bindet und die traditionelle Einteilung der Gesellschaft in verschiedene 89 Vgl. Mirabeau, Victor Riqueti: L’ami des hommes, ou Traité de la population, par le Mis de Mirabeau, Avignon s. d. [1756].

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1 Die Repräsentation der Nation

Stände entbehrlich macht. Denn nach dieser Auffassung können allein die Angehörigen des Dritten Standes, die Handwerker und Bauern, die Unternehmer und Kaufleute, Anspruch darauf erheben, als vollwertige Mitglieder der Nation zu zählen. „Wer wagte es also zu sagen, dass der Dritte Stand nicht alles in sich besitzt, was nötig ist, um eine vollständige Nation zu bilden? Er ist der starke und kraftvolle Mann, der an einem Arm noch angekettet ist. Wenn man den privilegierten Stand wegnähme, wäre die Nation nicht etwas weniger, sondern etwas mehr. Also, was ist der Dritte Stand? Alles, aber ein gefesseltes und unterdrücktes Alles. Was wäre er ohne den privilegierten Stand? Alles, aber ein freies und blühendes Alles. Nichts kann ohne ihn gehen; alles ginge unendlich besser ohne die anderen.“90 Die Angehörigen des Adels und der Geistlichkeit, die, wie Sieyès sagt, „in totaler Untätigkeit“ lediglich aus ihren Ämtern Ehre und Gewinn ziehen, haben den Anspruch verwirkt, zur Nation gezählt zu werden: „Der Dritte Stand umfasst also alles, was zur Nation gehört, und alles, was nicht dritter Stand ist, kann sich nicht als Bestandteil der Nation betrachten.“91 Ausgehend von seinem Verständnis der Nation als einer zu sozio-ökonomischen Zwecken vereinigten Gemeinschaft freier und gleicher Individuen gelangt Sieyès in konsequenter Weiterführung dieses Gedankens zu einem veränderten Konzept nationaler Repräsentation.92 Der argumentative Kunstgriff, auf dem Sieyès’ Neuerung beruht, besteht dabei darin, dass er die Berechtigung zur Teilnahme am politischen Prozess von der Ausübung sozialer Funktionen abhängig macht. Da die Angehörigen des Adels und der Geistlichkeit, insofern sie keine mehr mit öffentlichen Aufgaben betraute Körperschaften darstellen, keine sozialen Funktionen erfüllen und somit folglich auch nicht als Angehörige der Nation gelten, können sie, Sieyès zufolge, auch nicht länger Anspruch auf Mitwirkung bei der Bildung des nationalen politischen Willens erheben. „Ich behaupte, dass die Abgeordneten der Geistlichkeit und des Adels mit der Nationalrepräsentation nichts zu tun haben, dass auf den Generalständen keinerlei Bündnis zwischen den Ständen möglich ist und dass diese nicht gemeinsam abstimmen können, also weder nach Ständen noch nach Köpfen.“93 Dem tradierten Verständnis einer nach Ständen gegliederten Repräsentation ist damit der Boden entzogen. Damit hat Sieyès die Grundlage geschaffen, die es den Vertretern des Dritten Standes erlaubt, die Handlungsunfähigkeit der ersten Monate des Jahres 1789 abzuschütteln und sich in Abwesenheit der Vertreter der beiden ersten Stände zu den „rechtmäßigen Repräsentanten der Nation“ zu erklären. Waren die Vertreter des Dritten Standes als Teil der Generalstände 90

Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers État? s. l. s. d. [1789], S. 6. Ebd., S. 9. 92 Baker, Keith Michael: Representation, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 469–492. 93 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers État? s. l. s. d. [1789], S. 100. 91

1.6 Aufhebung des Repräsentationsverständnisses des Ancien Régime

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unbefugt, Beschlüsse im Namen der Nation zu fassen, so sind sie als eigenständige nationale Körperschaft nunmehr in der Lage, politisch zu handeln. „Man wird sagen“, schreibt Sieyès, „der Dritte Stand allein könne keine Generalstände bilden. Nun, umso besser, dann wird er eben eine Nationalversammlung bilden.“94 Die Radikalität, mit der Sieyès in seiner wichtigsten politischen Schrift argumentiert, welche die Auflösung der Generalstände zugunsten einer Nationalversammlung nahe legt, ist einer konkreten Situation geschuldet und eher der Versuch, einer politischen Handlungsunfähigkeit zu entrinnen, als die Darlegung eines klaren theoretischen Verständnisses nationaler Souveränität. Dennoch enthält die Flugschrift die entscheidenden argumentativen Muster, die in den Sommermonaten des Jahres 1789, immer wieder aufgegriffen werden und in den folgenschweren politischen Debatten schließlich zur Aufhebung des Repräsentationsverständnisses des Ancien Régime und zu einem neuen Verständnis nationaler Souveränität führen.

1.6 Die endgültige Aufhebung des Repräsentationsverständnisses des Ancien Régime in der Assemblée Nationale Ausschlaggebenden Einfluss hat die Schrift Was ist der Dritte Stand? auf die Erklärung des Dritten Standes zur Nationalversammlung vom 17. Juni 1789, die ebenfalls von Sieyès stammt. Allerdings mildert er seine Argumentation nunmehr zugunsten der politischen Vernunft ab, insofern er zwar die Vertreter des Dritten Standes als die einzig rechtmäßigen Repräsentanten der Nation bestimmt, die Vertreter der beiden anderen Stände jedoch aufruft, sich an der nationalen Aufgabe, dem nationalen Willen eine Ausdrucksform zu verleihen, d.h. eine Verfassung zu schaffen, zu beteiligen: „Die Bezeichnung Nationalversammlung ist die einzige, die der Versammlung beim gegenwärtigen Stand der Dinge zukommt, sei es, weil die Mitglieder, die sie ausmachen, die einzig rechtmäßigen und öffentlich bestätigten und beglaubigten Repräsentanten sind, sei es, weil sie von beinahe der Gesamtheit der Nation abgeordnet sind, oder sei es schließlich, weil die Repräsentation einheitlich und unteilbar ist und keiner der Abgeordneten, in welchem Stand oder in welcher Klasse er auch gewählt sei, das Recht hat, seine Funktionen getrennt von der gegenwärtigen Versammlung auszuüben. Die Versammlung wird niemals die Hoffnung aufgeben, alle Abgeordneten in ihrer Mitte zu vereinigen, die heute abwesend sind; sie wird nicht aufhören, sie zu der ihnen auferlegten Verpflichtung aufzurufen, an der Abhaltung der Generalstände mitzuwirken. Sie erklärt im Voraus, wann immer die abwesenden Abgeordneten sich im Verlauf der beginnenden Sitzungsperiode einfinden werden, dass sie sich beeilen wird, sie aufzunehmen und sich 94

Ebd., S. 99.

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mit ihnen, nach Beglaubigung ihrer Vollmachten, die Fortführung der großen Arbeiten zu teilen, welche die Erneuerung Frankreichs herbeiführen sollen.“95 Mit der Erklärung des Dritten Standes zur Assemblée Nationale erheben die Deputierten gleichzeitig eine politische Forderung, die das Politikverständnis des 18. Jahrhunderts wesentlich verändert: die freie Beratung der Delegierten bzw. die Abschaffung des imperativen Mandates. Die Delegierten des Dritten Standes, so ihr Selbstverständnis, sind zwar die rechtmäßigen Repräsentanten der französischen Nation. Aber sie selbst verkörpern noch keinen nationalen politischen Willen. Um diesen „nationalen Willen zu formen“, ist es notwendig, das imperative Mandat aufzugeben und die freie Beratung der Delegierten zu ermöglichen, denn „der Allgemeinwille der Nation“ muss erst „erarbeitet, interpretiert und dargelegt“ werden.96 Die „Aufgabe eines Abgeordneten“ kann „nicht auf die eines bloßen Meinungsüberbringers beschränkt werden. Denn was ist das eigentliche Ziel dieser Versammlung? Doch wohl das, aus der Fülle der Einzelwillen einen gemeinschaftlichen Willen herauszukristallisieren. Und wie wäre das möglich, wenn einzelne Abgeordnete nichts von dem zurücknehmen könnten, was sie einmal gesagt haben? [. . .] Die Mitglieder einer stellvertretenden Versammlung verhalten sich genauso zueinander wie die Bürger eines kleinen Völkchens auf dem Marktplatz; sie versammeln sich nicht bloß, um die Meinung, die jeder schon am Tage vorher hatte, kennen zu lernen und danach wieder auseinander zu gehen; sondern sie versammeln sich, um ihre Meinungen gegeneinander abzuwägen, sie abzuändern, wechselseitig zu erläutern und aus den Einsichten aller schließlich eine Mehrheitsmeinung zu gewinnen – das heißt den gemeinschaftlichen Willen, der Gesetzeskraft hat. Die Vermischung der Einzelwillen, die Gärung, die sie gleichsam dabei erfahren, sind notwendig, um das erwartete Ergebnis zu bilden. Es ist also notwendig, dass die Meinungen sich verständigen, nachgeben, kurz sich wechselseitig ändern können; sonst wäre das nicht mehr eine beratende Versammlung, sondern ein Treffen abreisebereiter Kuriere, die nur ihre Depeschen abgeben.“97 Der Allgemeinwille ist nicht die Summe der individuellen Willen. Er ist außerhalb von ihnen zu suchen. „Es ist nicht mehr ein realer Allgemeinwille, der agiert, sondern ein repräsentativer Allgemeinwille.“ 98

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AP, 8, S. 127. Buchez, Philippe Joseph Benjamin/Roux-Lavergne, Pierre Celestin: Histoire parlementaire de la Révolution française. Ou journal des assemblées nationales, depuis 1789 jusqu’en 1815, contenant la narration des événements, les débats des assemblées, Bd. 1, Paris 1834–1838, S. 470. 97 Instruction donnée par S. A. S. M. le duc d’Orléans à ses représentant aux bailliages. Suivre de Délibérations à prendre dans les assemblées de bailliages, s. l. 1789, S. 62–63. 98 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers-Etat? s. l. s. d. [1789], S. 46. 96

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Mit der Forderung nach Aufgabe des imperativen Mandates gehen die Delegierten weit über das tradierte Verständnis von Repräsentation hinaus. So hatte selbst ein Reformer wie Nicolas Caritat Marquis de Condorcet noch 1788 die Idee verteidigt, nach der „die Deputierten nicht nach ihrem Wissen und Gewissen, sondern nach den Interessen ihrer Wähler abzustimmen haben“99. Sie seien nicht Repräsentanten der Nation, sondern die Delegierten und Vertreter ihrer Wahlbezirke und folglich deren spezifischen Interessen verpflichtet. Auch das königliche Wahlreglement vom 24. Januar 1789 hatte angemahnt, dass „das Verständnis einer repräsentativen Versammlung der Nation besagt, dass man den Delegierten keine Instruktionen mit auf den Weg gibt, die das Verfahren der gemeinsamen Beratung stören“100. Die Mandate, die ausdrücklich vorgeschrieben werden, sollten deshalb „allgemein gehalten und ausreichend sein, um Vorschläge unterbreiten, diese ablehnen oder ihnen zustimmen zu können“101. Noch am 23. Juni 1789 verurteilt der König alle Vorstellungen und Bestrebungen als „mit der bestehenden Verfassung unvereinbar, dem Einberufungsbefehl der Generalstände zuwiderlaufend und mit dem Interesse des Staates inkompatibel“, die die Aufgabe der Mandate zugunsten „des freien Wissens und Gewissens der Delegierten“ und damit die freie parlamentarische Debatte fordern.102 Denn entsteht der nationale Wille erst in der gemeinsamen und uneingeschränkten Debatte der Abgeordneten der Nation, dann ist er unabhängig von der repräsentativen Funktion des Königs, und der Monarch ist folglich nicht mehr seine Verkörperung. Diese politische Konsequenz, die mit der Forderung nach Aufgabe des imperativen Mandates verbunden ist, und die im Laufe des Frühjahrs 1789 nicht nur auf prinzipiellen Argumenten beruht, sondern auch verfahrenstechnischen Notwendigkeiten, nämlich der notwendigen Beratungs- und Beschlussfähigkeit der Generalstände Folge leistet, ist den Zeitgenossen durchaus bewusst. Bereits 1787 beschreibt Marie Joseph Marquis de La Fayette, gefeierter Held des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, eine politische Entwicklung, die eine von der Person des Königs unabhängige nationale Repräsentation voranbringen wird. Als Konsequenz dieser neuen Art von Repräsentation, so La Fayette, werde es zu einem „Abnehmen der königlichen Autorität“ kommen.103

99 Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Sur la forme des élections, par M. le marquise de Condorcet, s. l. s. d. [1789], 299; Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Essai sur la Constitution et les fonctions des Assemblées provinciales, s. l. s. d. [1788]. 100 Règlement fait par le roi pour l’exécution des lettres de convocation du 21 janvier 1789, AP, 1, 544. Vgl. Brette, Armand: Recueil de documents relatifs à la convocation des Etats-Généraux de 1789, Bd. 1, Paris 1894–1915, S. 66–68; 85. 101 Règlement fait par le roi pour l’exécution des lettres de convocation du 21 janvier 1789, AP, 1, S. 549. 102 Réimpression du Moniteur Universel, Bd. 1, Paris 1863–1870, S. 113.

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Vor allem von Seiten des Adels begegnet man dieser Entwicklung daher skeptisch. Ein Großteil seiner Repräsentanten lehnt die Teilnahme an den weiteren Debatten der Assemblée Nationale mit der Begründung ab, dass eine solche seinem imperativen Mandat widerspreche.104 Diese Haltung trifft auch auf Teile der Geistlichkeit und sogar des Dritten Standes zu.105 So fragt Malouet, ehemaliger Marineintendant in Toulon, überzeugter Monarchist und Delegierter des Dritten Standes, die Repräsentanten seines Standes, ob sie nicht mit ihrer Entscheidung, sich zur Assemblée Nationale, also zur Versammlung der Nation, auszurufen und das imperative Mandat abzuschaffen, weit über den Auftrag ihrer Wähler hinausgehen. Denn dieser fordere, „dass man seine Stimme nach Ständen“ abzugeben habe. „Dieser Auftrag ist weit von dem entfernt, sich als Vertreter der Nation zu verstehen und er ist ein direkter Angriff gegen die anderen Stände.“106 Mit der Zustimmung des Königs zu den Beschlüssen der Assemblée Nationale, das imperative Mandat aufzugeben, werden diese Einwände jedoch ein für allemal beiseite gewischt. Der König gesteht nicht nur zu, dass die Stände gemeinsam tagen dürfen.107 In der königlichen Erklärung vom 23. Juni 1789 heißt es weiter: „Seine Majestät legt fest, dass in den folgenden Sitzungen der Generalstände weder die Cahiers noch die Mandate als zwingend betrachtet werden dürfen. Sie sind nur simple Instruktionen bei der freien Meinungs- und Entscheidungsfindung der Abgeordneten.“108 Von nun an geht es in den Debatten der Assemblée Nationale darum, mit den Folgen der Entscheidung umzugehen, die, wie Charles Maurice de Talleyrand-Périgord, Bischof von Autun und Abgeordneter der Geistlichkeit, es formuliert, die „konstitutionellen Prinzipien der Gesellschaft“109 in Frage stellen und einen offensichtlichen Bruch mit der Wahlordnung bedeuten.110 Talleyrand-Périgord ist auch derjenige, der maßgeblich dafür sorgt, dass nun eine Debatte über die Idee der Repräsentation und die Aufgaben eines Deputierten in Gang gebracht wird, die freilich angesichts des neuen politischen wie rechtlichen Status der Deligierten überaus geboten ist. In seiner Rede vom 103 Motier, Gilbert, marquis de La Fayette: Mémoires, Correspondance et Manuscrits, Bd. 2, Paris 1837, S. 208–209. 104 30. Juni 1789, Le Moniteur, Bd. 1, S. 111. 105 Malouet, der den Selbstbehauptungsdiskurs des Dritten Standes zunächst aktiv befürwortet, lehnt den Titel Assemblée Nationale aus eben jenem Grund ab. 106 16. Juni 1789, AP, 8, S. 120. 107 Déclarations du Roi, concernant la présente tenue des États généraux, 23. Juni 1789, AP, 8, 143. 108 Le Roi, 23. Juni 1789, AP, 8, S. 143. 109 Talleyrand spricht von den „principes constitutifs des sociétés“. Talleyrand-Périgord, 7. Juli 1789, AP, 8, S. 200. 110 AP, 1, S. 544.

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7. Juli 1789 verweist er auf die Unteilbarkeit des kollektiven Ganzen. Ein Abgeordneter sei zwar der Delegierte eines Wahlbezirkes, doch als Vertreter seines Wahlbezirkes habe er zwischen den Interessen der verschiedenen Wahlbezirke zu vermitteln. Damit vertrete er nicht mehr nur die Interessen seiner Wähler, sondern letztlich auch die Interessen anderer Wahlbezirke. Er sei folglich ein „Repräsentant der ganzen Nation“111. Das imperative Mandat ist deshalb für Talleyrand unvereinbar mit der Idee einer nationalen Repräsentation. „Was ich über das imperative Mandat denke: erstens, dass jede von einem Wahlkreis festgelegt Meinung generell den Prinzipien [nationaler Repräsentation] widerspricht, denn die Assemblée Nationale muss frei verhandeln können, sowohl was das Resultat der Verhandlungen anbelangt als auch über die dazu notwendigen Mittel. Zweitens, dass die absolute Order eines Abgeordneten in sich schlecht ist. Denn sie ist unnötig, wenn die anderen Delegierten auch nicht verhandeln dürfen; sie ist hingegen tadelnswert, wenn die anderen verhandeln können, denn die Verhandlung gehört selbst zum Auftrag und damit auch die Möglichkeit, dass die Entscheidungen der Assemblée Nationale der eigenen Argumentation widersprechen. Drittens schließlich ist der Auftrag, sich aus [den Verhandlungen] der Assemblée zurückzuziehen, wenn die eigene Überzeugung nicht siegt, umso mehr zu verurteilen, als es darum geht, sich den Beschlüssen der Assemblée zu fügen.“112 Die politische Intention der Argumentation von Talleyrand ist klar: Verzichtet die Assemblée Nationale auf eine Legitimation durch den König und besinnt sich allein auf das Prinzip der nationalen Souveränität, dann muss sie ihre eigene Handlungsfähigkeit dadurch sichern, dass sie ihre Beschlüsse nicht wiederum von den Willen der einzelnen Wahlkreise bzw. Mandatsträger abhängig macht. Insofern drängt Talleyrand darauf, das imperative Mandat für immer aufzugeben. „Mein Vorschlag lautet: Wenn die Assemblée Nationale als ein Wahlkreis oder als Teil eines Wahlkreises betrachtet wird, dann hat sie nicht das Recht, den Gemeinwillen zu bilden oder ihn abzuwandeln. Der Gemeinwille kann nicht durch ein imperatives Mandat suspendiert werden, noch einen partikularen Willen bilden. Die Assemblée Nationale erklärt deshalb alle imperativen Mandate für nichtig [. . .]. Alle Beschlüsse der Assemblée Nationale gelten für alle Wahlkreise und müssen von ihnen ohne Ausnahme umgesetzt werden.“113 Auch hier ist die Forderung nach Aufhebung des imperativen Mandates, wie im Fall der Konstituierung einer Nationalversammlung, zunächst weniger ein Beleg für die bewusste Befürwortung nationaler Repräsentation als ein Beleg

111 112 113

Talleyrand-Périgord, 7. Juli 1789, AP, 8, S. 201. Ebd., S. 202. Ebd., S. 203.

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für die Sicherung der eigenen Handlungsfähigkeit – in diesem Fall für die neu konstituierte Assemblée Nationale. Damit ist die Debatte über das imperative Mandat aber noch nicht zu Ende. Eine der folgenreichsten Unterscheidungen wird von Barère de Vieuzac, Abgeordneter des Dritten Standes der Sénéchaussée de Bigorre, in die Debatte eingebracht, nämlich die Unterscheidung zwischen dem öffentlichen Interesse (l’intérêt public) und dem partikularen bzw. privaten Interesse (l’interêt particulier). Sind die einzelnen Abgeordneten allein ihrem partikularen Interesse verpflichtet, sind sie nicht in der Lage, ein öffentliches Wohl zu vertreten. Vielmehr vermögen sie grundsätzlich nur, ihre eigenen und damit zusammenhängend die Interessen ihrer Gemeinden und Bailliages zu verteidigen. Ihre Stimme in einer nationalen Versammlung käme gleichsam einem Veto gegen jedes öffentliche Anliegen gleich.114 Einzig die Delegierten, die aufgrund einer allgemeinen Wahl zu Repräsentanten der Nation ernannt worden sind, besitzen die Fähigkeit, ein öffentliches Interesse zu vertreten, müssen sie doch die gemeinsamen Interessen der verschiedenen Bailliages gemeinsam herausarbeiten. Nicht der Einzelne also, sondern nur das unteilbare Kollektiv der Delegierten ist folglich fähig, den nationalen Willen zu bestimmen.115 Die Forderung nach einer Aufhebung des imperativen Mandates gipfelt bei Barère nicht nur in einer nachträglichen Rechtfertigung freier und gleicher Wahlen, sondern auch in der Legitimierung der Nationalversammlung als dem einzigen rechtmäßigen Organ, das durch die Art seiner Konstituierung und Zusammensetzung in der Lage ist, einen nationalen Willen zu erarbeiten und die nationale Souveränität zu verkörpern. Die letztendliche Aufhebung des imperativen Mandates am 8. Juli 1789 durch die Abgeordneten der Assemblée Nationale116 markiert deshalb einen wesentlichen Bruch mit der Vergangenheit. Zum einen wird die Rolle des Königs als Repräsentant der Nation aufgehoben. Die von der Nation frei gewählten Abgeordneten, die in gemeinsamer Beratung den Willen der Nation erarbeiten, sind in ihrem Selbstverständnis von nun an die alleinigen Repräsentanten der Nation. Zum anderen wird die organische Vorstellung von Repräsentation, wonach die Gesellschaft aus verschiedenen Ständen besteht, die die Nation bilden, zerstört. An ihre Stelle rückt die Gleichheit und Unabhängigkeit der Individuen, die erst in ihrem gemeinsamen Handeln und in der gemeinsamen Auseinandersetzung einen politischen Willen erarbeiten und eben nicht nur verschiedene soziale Interessen verteidigen. Damit verändert sich aber auch das Verständnis 114

Barère, 7. Juli 1789, AP, 8, S. 205. Ebd.; Duguit, Léon: Traité de droit constitutionnel, Bd. 1, Paris 1928, S. 436; Malberg, Raymond Carré de: Contribution à la théorie générale de l’état. Spécialement d’après les données fournies par le droit constitutionnel français, Bd. 2, Paris 1920–1922, S. 179. 116 8. Juli 1789, AP, 8, S. 207. 115

1.6 Aufhebung des Repräsentationsverständnisses des Ancien Régime

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von Politik insgesamt. Politisches Handeln bedeutet fortan nicht mehr die Durchsetzung eines politischen Willens gegen verschiedene Akteure und auch nicht mehr nur das Aushandeln eines Kompromisses zwischen verschiedenen sozialen Interessengruppen, sondern in erster Linie die Formierung, Ausarbeitung und Durchsetzung eines nationalen Willens. Die neue Freiheit, heißt es bei Brissot, ist „die Freiheit der politischen Partizipation“117. Das daraus folgende veränderte Legitimitätsverständnis politischen Handelns soll nun beschrieben werden.

117 Brissot, Jaques-Pierre/Clavière, Etienne: De la France et des Etats-Uniss, Londres 1787, S. 45.

2 Die Legitimität politischen Handelns Im Zuge der politischen Debatten, die den Fortgang der Ereignisse in der Frühphase der Französischen Revolution begleiten, erfährt die Legitimation politischer Herrschaft eine radikale Umdeutung. Die Neuinterpretation der Legitimationsproblematik, die sich während der Französischen Revolution vollzieht und in deren Verlauf sich schließlich das moderne, auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhende Verständnis legitimer politischer Herrschaft herausbildet, erfolgt dabei keineswegs voraussetzungslos. Der Begriff der Nation (nation), der im Mittelpunkt des revolutionären Legitimationsdiskurses steht, gehört bereits zum festen Inventar im politischen Diskurs des Ancien Régime. Er wird von den Revolutionären jedoch aus seinem tradierten Bedeutungszusammenhang herausgelöst und unter Rekurs auf die politische Philosophie der Aufklärung mit einem neuen, veränderten Sinn aufgeladen. Der Bruch mit der überlieferten Tradition beruht also weniger auf einer wirklichen intellektuellen Neuschöpfung als auf einer kreativen Neubeschreibung der Tradition.

2.1 Das Legitimationsverständnis politischer Herrschaft im Ancien Régime Bereits im 16. und 17. Jahrhundert entwickelt sich in Frankreich ein Legitimationsverständnis politischer Herrschaft, das vor allem durch die machtpolitische Bestimmung der monarchischen Gewalt geprägt ist. Exemplarisch soll an dieser Stelle wieder Jacques Bénigne Bossuet herangezogen werden, der unter Ludwig XIV. zu den führenden Verfechtern des Gottesgnadentums seiner Zeit zählte. Bei ihm erscheint die königliche Gewalt als absolut und souverän. Die Gesetze des Königs sind ebenso wie er selbst göttlichen Ursprungs: „Gott hat die Könige als seine Minister eingesetzt. Über sie regiert er seine Völker.“1 Deshalb, so Bossuet weiter, „ist der königliche Thron nicht der eines Menschen, sondern der Thron Gottes [. . .]. Aus all dem wird deutlich, dass die Person des Königs heilig ist und jeder Angriff auf ihn ein Sakrileg.“2 Für Bossuet besitzt der König folglich auch die einzige legitime Befehlsgewalt im Staat. Sein Befehl ist legitim, weil er, von Gott eingesetzt, der einzige ist, der zu Recht befehlen darf und dem gehorcht werden muss. 1 Bossuet, Jaques Benigne: Politique tirée des propres paroles de l’écriture sainte à Monseigneur le Dauphin, Paris 1709, S. 81. 2 Ebd., S. 82.

2.1 Legitimationsverständnis politischer Herrschaft im Ancien Régime

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Bossuets legitimer Absolutismus stößt jedoch vor allem bei der aristokratischen Opposition auf Widerstand, deren intellektuelle Vertreter sich gegen die absolutistische Doktrin eines Königtums von Gottes Gnaden wehren. Einer ihrer bedeutendsten Repräsentanten, der Erzbischof François de Salignac de la Mothe-Fénelon, neben Bossuet der einflussreichste Theologe unter Ludwig XIV., wendet sich etwa mit folgenden Worten gegen die theokratische Doktrin: „Einige Autoren [. . .] wollten beweisen, dass Gott die einzige Quelle der Autorität ist, so als wollten sie nicht nur darauf aufmerksam machen, dass jemand aktuell die Souveränität inne habe, sondern dass seine Autorität auch noch legitim sei, weil sie mit göttlicher Erlaubnis ausgeführt werde.“3 Aus der Tatsache, dass die weltliche Gewalt ihren Ursprung in Gott hat, folgt für Fénelon jedoch noch kein legitimes Recht zur Regierung. Man müsse sich zwar, so Fénelon weiter, dem fügen, was Gott geschehen lässt, brauche es aber noch lange nicht als legitim anzuerkennen: „Es besteht ein großer Unterschied darin, dem König aus Vorsehung zu gehorchen oder sein Recht als legitim zu erachten.“4 Den Grundsatz, dass Recht und Ordnung in der Gesellschaft herrschen müssen, selbst wenn man den Gesetzen eines Emporkömmlings und Tyrannen Folge leisten muss, ist für Fénelon einer jener Grundsätze, die stets zu gelten haben. Damit spricht er sich klar gegen jede Auflehnung gegenüber staatlicher Gewalt aus. Aber dieser Gehorsam reicht für ihn nicht soweit, dass man diese Ordnung auch vor seinem Gewissen für gerecht und legitim halten muss. Das bei Fénelon zum Ausdruck kommende Legitimationsverständnis politischer Herrschaft hat deutlich andere Züge als bei Bossuet. Nicht ein Gottesgnadentum bildet die Grundlage legitimer Herrschaft, sondern die Einsicht, dass hergebrachte Herrschaftsformen die Vermutung der Dauer und Richtigkeit für sich haben. Um einen die Ordnung gefährdenden Streit um die Autorität im Staat zu vermeiden, möchte Fénelon deshalb auch die Staatsgewalt durch Erbfolge an eine altehrwürdige Familie gebunden wissen. Zwar gesteht er zu, dass am Beginn jeder Erbmonarchie ein Akt der Usurpation stehe, danach jedoch bestehe grundsätzlich die Hoffnung auf eine stabile politische Ordnung. Für Fénelon sind es die Tradition und der Besitz, die die Krone rechtfertigten.5 Wer die Souveränität seit langem innehat, besitzt auch die legitime Gewalt im Staat. Ein drittes Verständnis legitimer politischer Herrschaft kommt in dem Werk Cardin Le Brets De la souveraineté du roi zum Ausdruck. Le Bret, 1695 Präsident des Parlaments von Paris und Berater des Kardinals Richelieu, sieht in der Souveränität königlicher Herrschaft die Macht eines einzigen Willens, der sich aus sich selbst bestimmt und beschränkt. Der Wille des Königs gelte als recht3 Fénelon, François de: Essai philosophique sur le gouvernement civil, Oeuvres complètes, 7, Paris 1851–1852, S. 144. 4 Ebd. 5 Ebd., S. 117.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

mäßig, sobald er geäußert werde. Die konsequente Schlussfolgerung aus diesem Grundsatz besteht darin, dass die Könige staatliche Gewalt schaffen und die alten Gesetze und Verordnungen ihrer Staaten jederzeit verändern können müssen. Dazu gehören für Le Bret nicht nur die allgemeinen Gesetze, sondern auch „diejenigen für die Städte“ sowie die „besonderen Gewohnheitsrechte der Provinzen“; denn auch diese könnten sie ändern, wenn es „die Not und die Gerechtigkeit“ erforderlich machten.6 Die bei Fénelon so bestimmende Rückkopplung der souveränen Macht an überlieferte Traditionen und Gesetze spielt bei Le Bret also keine Rolle. Gleichwohl wird dem König von Le Bret die Forderung auferlegt, überall Gerechtigkeit walten zu lassen und jederzeit für das Glück der Untertanen zu sorgen.7 Zwar betont er, dass der König in seinem Reich der einzige Souverän sei, denn die Souveränität sei so wenig teilbar wie der Punkt in der Geometrie.8 Doch fordert er gleichzeitig, dass auch ein König stets daran gebunden sei, seine Gesetze und Erlasse durch seine Parlamente und andere Amtsträger des Königreiches billigen zu lassen.9 Le Brets Legitimationsdiskurs souveräner Macht integriert somit sowohl die Parlamente als auch die Generalstände als ständische und regionale Vertretungskörperschaften in das Gesetzgebungsverfahren – freilich nur solange diese Versammlungen nicht im Gegensatz zur Souveränität der Könige ständen, deren Autorität sie nicht mindern dürften.10 Die Monarchie dürfte von ihnen zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt werden.11 Le Brets Verteidigung der absoluten Monarchie, die freilich in ihren Grundzügen an die politische Theorie Thomas Hobbes erinnert, ist damit von den drei vorgestellten Rechtfertigungsmustern legitimer politischer Herrschaft die radikalste. Denn sie kennt keine andere Rückbindung des souveränen Willens als die an ihn selbst. Es ist gerade dieses abstrakte Verständnis von Souveränität, das am folgenreichsten für die politischen Entscheidungen des Jahres 1789 werden wird.

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Le Bret, Cardin: De la souveraineté du roi, Paris 1635, S. 69. Ebd., S. 1. 8 Ebd., S. 71. 9 Ebd. 10 Le Brets Argumentation, die entscheidenden Einfluss auf das Handeln von Kardinal Richelieu geübt hat, hat diesen gleichwohl nicht daran gehindert, unter Berufung auf die Notformel Gefahr im Verzug (Periculum in mora) 1635 Spanien den Krieg zu erklären, ohne die Generalstände bemüht zu haben. 11 Le Bret, Cardin: De la souveraineté du roi, Paris 1635, S. 644. 7

2.2 Begriff der Nation im Legitimationsdiskurs der Parlamente

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2.2 Der Begriff der Nation im Legitimationsdiskurs der Parlamente Ein erster Bruch mit dem ausschließlich auf die souveräne Herrschaft des Monarchen bezogenen Legitimitätsverständnisses politischer Herrschaft ereignet sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als Auslöser fungiert dabei der mit erheblichem rhetorischen Aufwand ausgetragene Konflikt zwischen den Parlamenten und der Krone, in dem es vor allem um die Frage der Mitwirkung der Gerichte und Parlamente am Prozess der Gesetzgebung und der Besteuerung geht, die ihnen unter Ludwig XIV. so erfolgreich entzogen worden war.12 In diesen Auseinandersetzungen wird der Begriff der Nation von den Vertretern der ständischen Opposition zur Legitimation ihrer Forderungen gegen den absoluten Souveränitätsanspruch des Königs kritisch in Stellung gebracht. Mit Blick auf die Verwendung des Nationbegriffs im politischen Legitimationsdiskurs der Französischen Revolution sind dabei drei Aspekte der Parlamentsideologie, wie Pierre Nora gezeigt hat,13 von besonderer Bedeutung. Erstens wird die Nation von den Wortführern der aristokratischen Opposition zum Inbegriff der übergreifenden Einheit eines politischen Gemeinwesens stilisiert, die auch den Monarchen als Souverän und Gesetzgeber gewissen unantastbaren Beschränkungen unterwirft.14 Zwar werden weder die legislative Gewalt noch die Souveränität des Königs in Frage gestellt, doch werden diese von den Parlamenten nicht länger als unumschränkte, sondern als rechtlich begrenzte Befugnisse des Königs aufgefasst, die dieser nur im Einklang mit dem Gesetz und zum Wohl der Nation ausüben dürfe.15 Dieser Bedeutungswechsel kommt zum einen in der Selbstbeschreibung der Parlamente als Repräsentanten der Nation zum Ausdruck, zum anderen in der Beschreibung der Rolle des Königs. So richtet sich beispielsweise der Erzbischof von Narbonne im Juni 1788 in Versaille mit folgenden Worten an den König: „Nehmen Sie, Sire, aus unserem Munde den unsterblichen Dank hin, der Ihnen gebührt, weil sie uns unsere alten Versammlungen versprochen haben. Ordnung und Frieden kann ohne diese Wohlthat nicht hergestellt werden; je schleuniger sie gewährt wird, desto nütz12 Hurt, John J.: Louis XIV and the parlements. The assertion of royal authority, Oxford 2002. 13 Nora, Pierre: Nation, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1221–1237. 14 Baker, Keith Michael: Souveränität, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, 1332–1353; Nora, Pierre: Nation, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1221– 1238. 15 Lettre. Ecrite par plusieurs Citoyens du Clergé, de la Noblesse & des Communes de Dauphiné, A Messieurs les Syndics-Généraux des Etats de Bárn, s. l. s. d. [14. Oktober 1788], S. 6.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

licher wird sie seyn; je eher Ew. Majestät sich den Titel eines Freundes der Menschheit, eines Wohlthäters der jetzigen und künftigen Generationen erwerben werden, desto eher werden sie die unbegränzte Ergebung ihres Volkes erfahren. Das Uebel ist groß: aber das Heilmittel ist größer; denn Ew. Majestät Ruhm ist nicht, König von Frankreich sondern König der Franzosen zu seyn: und die Herzen Ihrer Unterthanen sind ihre herrlichsten Domainen.“16 Die hier deutlich gemachte Differenz zwischen dem „König von Frankreich“ und dem „König der Franzosen“ bringt den Bedeutungswandel klar zum Ausdruck: Der „König von Frankreich“ ist niemandem außer Gott Rechenschaft schuldig, der „König der Franzosen“ hingegen ist seinem Volk verpflichtet. Zweitens dient der Rekurs auf die Nation den Vertretern der ständischen Opposition zur Rechtfertigung ihrer Behauptung von der Existenz historisch überlieferter Grundgesetze (lois fondamentales), die in ihrer Gesamtheit eine ungeschriebene Verfassung bilden und der Willkür des Monarchen schon deshalb enthoben sind, weil sie allein die rechtliche Basis für die Ausübung seiner Herrschaft darstellen. Die Einhaltung der historisch verbürgten Gesetze, Privilegien und Sitten zu gewährleisten und die Rechte der Nation gegen die Ansprüche des Souveräns zu verteidigen, ist in dieser Argumentation die Aufgabe der Parlamente und Gerichte, die in diesem Sinne als Sachwalter der Nation fungieren.17 Die Parlamente sind die Institutionen, in denen sich die Nation selbst, d.h. „ohne ihre Repräsentanten“ regiert, schreibt Condorcet. Ohne die Parlamente wären die Bürger „Sklaven und nicht länger eine Nation“18. Mit der Auffassung von den Parlamenten als den Anwälten der Nation ist zugleich eine andere Vorstellung von repräsentativer Politik verbunden, die sich nicht ausschließlich auf die Person des Königs konzentriert: „Nicht jedes Mitglied der Parlamente kann im Namen der Nation handeln“, heißt es ebenfalls bei Condorcet, „es sind die Parlamente als solche, und die verschiedenen Kammern, aus denen sie sich zusammensetzen, die kollektiv die Macht ausüben, die ihnen zur Erarbeitung der Gesetze übertragen wurde“19. Das hier von Condorcet formulierte Modell von Politik als Summe gemeinschaftlich erarbeiteter und kollektiv bindender Entscheidungen ist ein entscheidendes Argument in der Selbst-Legitimierung der Parlamente, insofern es ihnen erlaubt ist, sich als die wahrhaften Wortführer der Nation zu deklarieren, bei denen alle Regionen und alle Teile der Bevölkerung mit ihren Bedürfnissen und Besonderheiten zu ihrem Recht kommen. 16 Zitiert nach Gentz, Friedrich: Mounier’s Entwicklung der Ursachen welche Frankreich gehindert haben zur Freiheit zu gelangen. Mit Anmerkungen und Zusätzen von Friedrich Gentz. Vier Theile, Erster Theil, Berlin 1795, S. 88. 17 Godechot, Jacques Léon: Les institutions de la France sous la Révolution et l’Empire, Paris 1951, S. 233. 18 Réflexions d’un Citoyen, sur la Révolution de 1788, Paris 1789, S. 39. 19 Ebd., S. 41.

2.2 Begriff der Nation im Legitimationsdiskurs der Parlamente

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Drittens nehmen die Parlamentarier schließlich für sich in Anspruch, die traditionell rechtmäßigen Repräsentanten der Nation zu sein: „Die Gemeindeverwaltungen gab es bereits vor der Monarchie“20. Da die Generalstände, die nach traditioneller Auffassung die legitime Vertretung der französischen Nation darstellen, vom König nicht mehr einberufen würden, müssten nunmehr die Parlamente als die rechtmäßigen Repräsentationsorgane der Nation angesehen werden. So heißt es in einem Brief der drei Stände des Parlaments von Grenoble an den König vom 1. Juli 1788: „Man kann den Gemeindeverwaltungen nicht verbieten, über ihre Interessen zu debattieren, ohne die öffentliche Freiheit zu gefährden. Denn die Rechte des Bürgers ohne Behinderung zu überwachen und zu schützen ist eine heilige Aufgabe für die Mitglieder der Gemeindevertretung. Das erste dieser Rechte, denn ausschließlich dieses kann die anderen verbürgen, ist die Freiheit sich zu versammeln und gemeinsam zu beraten.“21 Viertens fällt den Parlamenten damit auch die Aufgabe zu, als Sprachrohr der öffentlichen Meinung zu fungieren. Der Rekurs auf die öffentliche Meinung ist insofern bemerkenswert, als damit eine weitere Legitimationsinstanz in den politischen Prozess eingeführt wird, die unberücksichtigt zu lassen, zukünftig schlichtweg unmöglich wird: Jedes neue Gesetz und jede öffentliche Anordnung verblassen in ihrer Wirkung, wenn sie sich „gegen die öffentliche Meinung der Nation“ richten.22 Im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den Parlamenten und der Krone rückt somit die immer öfter als Adressat für die jeweiligen Rechtfertigungsstrategien fungierende Öffentlichkeit, die zu repräsentieren sowohl der König als auch die Parlamente für sich beanspruchen, zunehmend in die Rolle einer kritischen Instanz, vor der sich die politischen Akteure zu bewähren und deren Urteil sie sich – zumindest in moralischer Hinsicht – zu beugen haben. Das Pathos und die mitunter aggressive Rhetorik, mit der die Vertreter der Parlamente ihre Kritik am absolutistischen Herrschaftsstil Ludwigs XVI. begleiten, darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass sich das von ihnen entwickelte Verständnis der Nation nach wie vor weitgehend an der Vergangenheit orientiert. Dies zeigt sich u. a. daran, dass die von ihnen als Eigentum der Nation proklamierten Grundgesetze nicht naturrechtlich, sondern historisch begründet werden. Ihre Argumentation zielt also nicht darauf zu behaupten, dass es ein natürliches Recht der Parlamente gebe oder ihnen gar ein verfassungsrechtlicher Rang zukomme, sondern darauf, die Ausübung eines seit Jahrhunderten besessenen und gepflegten Rechts zu behaupten.23 Ihre eigene Legitimität beziehen sie 20 Lettre de MM. du Clergé, de la Noblesse, & autres Notables Citoyens de Grenoble, au Roi, s. l. s. d. [1. Juli 1788], S. 14. 21 Ebd. 22 Très-respectueuse Représentation des trois Ordres de la Province de Dauphiné, s. l. s. d., s. p. 23 Godechot, Jacques Léon: Les institutions de la France sous la Révolution et l’Empire, Paris 1951, S. 245.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

daher ausschließlich aus einer konstruierten Tradition, wobei sie sich allerdings im Gegensatz zur Monarchie, die sich nach wie vor auch auf das Gottesgnadentum beruft, auf eine ausschließlich säkulare Legitimation politischen Handelns zu stützen vermögen. Die monarchische Legitimität wird von ihnen jedoch zu keinem Zeitpunkt grundsätzlich in Zweifel gezogen, sondern sie wollen sie lediglich gewissen Beschränkungen unterwerfen. Diese Absicht aber zeitigt weitreichende Folgen, insofern sie zusammen mit der absoluten Verfügungsgewalt des Königs zugleich das Fehlen rechtlicher Garantien und Verfahren bewusst macht und anklagt. Die Polemik gegen die Willkür des Monarchen bringt somit die Frage nach der Notwendigkeit einer schriftlichen Verfassung hervor. Sie erzeugt damit, wie JeanJoseph Mounier es später beschreibt, ein Legitimationsproblem, das weder die Position des Königs noch die der Stände unangetastet lässt.24 Die mit Blick auf die Autorität des Königs verheerenden Folgen dieser Auseinandersetzungen werden von Mounier vor allem in seiner Schrift Untersuchungen der Ursachen, die verhinderten, dass die Franzosen die Freiheit errangen, und der Mittel, die ihnen bleiben, die Freiheit zu erlangen25 luzide zusammengefasst. So musste, Mounier zufolge, auch „der unaufgeklärteste Bürger, der diese gewaltsamen Protokollierungen, und dieses unanständige Spiel-Gefecht [zwischen den Parlamenten und dem König, S.K.] mit ansah, [. . .] unvermeidlich auf folgendes Dilemma stoßen: Entweder der König hat das Recht, ohne die Parlamente Gesetze zu machen, oder er hat es nicht. Hat er es, so ist nicht abzusehen, warum er sich ohne alle Not in einen Krieg mit denen, für welche jedes seiner Worte ein Gebot sein muss, einlässt, und warum er durch das Erzwingen einer Bestimmung, die keinen Sinn hat, wenn sie nicht freiwillig ist, sein Recht offenbar verdächtig macht. Hat er es nicht, so ist alles, was er gegen die Parlamente unternimmt, umsonst.“26 Der unlösbare politische Konflikt, wie er sich am Abend vor der Revolution darstellt, ist damit präzise umrissen: Die absolute Monarchie kann die uneingeschränkte Staatsgewalt, auf der sie theoretisch fußt, praktisch nicht mehr durchsetzen. Die Regierung Ludwigs XVI. weist damit ein tiefgreifendes legitimatorisches Defizit auf. Der Machtanspruch des Königs wird durch den ideologischen Streit mit den Parlamenten und die damit einhergehenden rhetorischen Auseinandersetzungen um die Gunst der öffentlichen Meinung, deren Auswirkungen er sich nicht mehr entziehen kann, zunehmend in Frage gestellt. 24 Mounier, Jean-Joseph: Recherches sur les causes qui ont empêché les François de devenir libres, et sur les moyens qui leur restent pour acquérir la liberté, Genève 1792, S. 26 ff. 25 Ebd. 26 Mounier’s Entwicklung der Ursachen welche Frankreich gehindert haben zur Freiheit zu gelangen. Mit Anmerkungen und Zusätzen von Friedrich Gentz. Vier Theile, Erster Theil, Berlin 1795, S. 34.

2.3 Legitimationsdiskurs bei Gründung der Assemblée Nationale

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Vor diesem Hintergrund erweist sich der Versuch Ludwig XVI., den Konflikt durch Zugeständnisse zu seinen Gunsten zu entscheiden, als geradezu verheerend. Die Einberufung der Notablenversammlung (1787) und der Generalstände (1788) stellen die Legitimität seiner Herrschaft, die sie ja gerade stützen sollen, nur noch mehr in Frage. Indem der König der Forderung ihrer Einberufung nachkommt, um sich ihre ungeteilte Unterstützung zu sichern, macht er nicht nur die politische Ohnmacht des Hofes offenbar, sondern gibt zudem auch der Parlamentsideologie nach. Deutlich sichtbar kommt dies im Wahlverfahren zum Ausdruck, das der Einberufung der Generalstände vorausgeht. Ludwig XVI. lädt nicht mehr nur seine Beamten oder die Vertreter der Stände vor, sondern er lässt die Nation ihre Repräsentanten wählen, die er zu konsultieren gedenkt. Die absolutistische Legitimationsideologie ist damit, wie es Patrice Gueniffey beschrieben hat, bereits vor der Tagung der Generalstände heillos desavouiert.27

2.3 Der Legitimationsdiskurs politischer Herrschaft bei der Gründung der Assemblée Nationale Das gewandelte legitimatorische Verständnis kommt im Frühjahr 1789 vor allem bei den Abgeordneten des Dritten Standes zum Tragen, die, entgegen den Verfügungen des Königs, zunehmend auf eine gemeinsame Beratung der Stände drängen. Ein Deputierter der Generalstände, so die Argumentation von Le Chapelier, Delegierter des Dritten Standes der Sénéchaussée von Rennes, sei aufgrund der allgemeinen Wahl nicht länger ein Delegierter eines Standes oder einer Provinz, sondern „Repräsentant der Nation“28. Großteile des Adels und der Geistlichkeit sehen darin eine Gefährdung der ständischen Ordnung und der königlichen Souveränität. Sie lehnen jede Auflösung der Stände strikt ab. Dagegen argumentieren die Vertreter des Dritten Standes, wie bereits im vorherigen Kapitel gezeigt wurde, dass der Wille der Nation nur in einer einheitlichen Repräsentativkörperschaft zum Ausdruck gebracht werden könne, in der die gewählten Vertreter gleiche Rechte besitzen müssten und Privilegien keine Geltung haben dürften.29 Weder eine Kammer noch ein Stand oder eine Korporation könnten gleiche Autorität erlangen wie der Wille der Nation.30

27 Gueniffey, Patrice: Le nombre et la raison: la Révolution français et élections, Paris 1993; Gueniffey, Patrice: Wahlen, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 295–315; Gueniffey, Patrice: Wahlrecht, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 920–935. 28 Le Chapelier, 13. Mai 1789, AP, 8, S. 36. 29 Rabaut Saint-Etienne, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 113. 30 Ebd.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

Die Nation wird von den Vertretern des Dritten Standes damit als eine präkonstitutionelle Größe behandelt, deren Einheit nicht durch die privilegierten Stände gefährdet werden darf. Mit dem Bewusstsein, dass sie von der absoluten Mehrheit des Nation entsandt worden sind und mithin als deren legitime Repräsentanten gelten können,31 erklären sich die Abgeordneten des Dritten Standes in ihrer Sitzung vom 15. Juni 1789 schließlich zur alleinigen legitimen Vertretung der gesamten Nation – freilich nicht ohne die anderen Stände aufzufordern, sich ihnen anzuschließen.32 Der Umbruch im Legitimationsverständnis der Deputierten lässt sich in exemplarischer Weise an den Debatten zur Namensgebung ablesen, die der Proklamation der Nationalversammlung vorangehen. Dabei findet man drei divergierende Diskursstränge, die bereits Dolf Sternberger aufgezeigt hat.33 Erstens gibt es eine kleine Gruppe von Abgeordneten, die für die Beibehaltung des Namens Generalstände plädieren.34 Honoré-Gabriel Riquetti, Comte de Mirabeau, führender Redner der Assemblée Nationale und Abgeordneter des Dritten Standes der Sénéchaussée von Aix, der wie kein anderer auf die Feinheiten der Sprache achtet, macht in seiner Ansprache die Konsequenzen einer solchen Beibehaltung des Namens deutlich: „Generalstände? – Das Wort wäre unpassend, Sie fühlen es alle: es setzt drei Ordnungen, drei Stände voraus, und gewiss sind diese drei Stände nicht hier. Schlüge man uns vor, uns unter einem anderen Namen zu konstituieren, der schließlich mit dem der Generalstände synonym wäre? Ich würde stets fragen: Haben Sie die Billigung des Königs? Und können Sie darauf verzichten? Kann die Autorität des Monarchen auch nur einen Augenblick ruhen? Muss sie nicht bei Ihrem Beschluss mitwirken und mit ihm verbunden werden? Und wenn man gegen alle Grundsätze leugnete, dass die Billigung nötig sei, um jede Handlung außerhalb dieser Versammlung verbindlich zu machen, wird er dann den folgenden Beschlüssen eine Billigung geben, deren Unverzichtbarkeit man zugesteht, wenn sie auf eine verfassungsmäßige Weise erlassen werden, die er nicht anerkennen will?“35 Mit diesen Worten ist in nuce alles zusammengefasst, worum es bei der Konstituierung des Dritten Standes zur Assemblée Nationale geht: die Verabschiedung von den alten Verfahren der Generalstände. Dies erfordert gleichsam die Lossagung von der alten Ständeordnung und dem Verfahren der Bittstellung, die Selbsternennung der

31

Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers État? s. l. s. d. [1789]. Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution françoise: reconnaissance et exposition raisonnée des droits de l’homme & du citoyen, par M. l’Abbé Sieyès, s. l. [Paris] 1789. 33 Vgl. Sternberger, Dolf: Die Geburt der Assemblée Nationale (1968), in: Sternberger, Dolf, Herrschaft und Vereinbarung, Schriften III, Frankfurt am Main 1980, S. 305–336. 34 AP, 8, 110 ff. 35 Mirabeau, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 110. 32

2.3 Legitimationsdiskurs bei Gründung der Assemblée Nationale

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Vertreter des Dritten Standes zu Delegierten der Nation, die Schaffung einer nationalen Repräsentation sowie schließlich die Verabschiedung der Souveränität des Königs zugunsten der nationalen Souveränität. Eine zweite Gruppe um Rabaut Saint-Étienne und Malouet, beide Vertreter des Dritten Standes, tritt für den Namen „Volksversammlung“ (Assemblée du peuple) ein. In seinem Plädoyer begründet Malouet seinen Namensvorschlag mit dem Hinweis, dass der Dritte Stand vierundzwanzig Millionen Menschen, also das gesamte Volk repräsentiere, womit das Veto der zwei anderen Stände hinfällig sei.36 Dieser Argumentation schließt sich Mirabeau an.37 Der Begriff des Volkes bezeichnet für Mirabeau dabei zugleich weniger und mehr als der Begriff der Nation. Weniger, insofern er zunächst nur die Bezeichnung für den Großteil der Bevölkerung darstellt, mehr, insofern er über die Angehörigen des Dritten Standes hinausweist, ohne notwendig an den Fortbestand einer ständischen Ordnung als solcher gebunden zu sein. Gleichzeitig verkehrt seine Aufwertung zum politischen Begriff den politischen Sprachgebrauch der Zeit, wird mit dem Ausdruck „Volk“ (peuple) doch auch das Gesindel (canaille) oder der Mob (mob) der Straße bezeichnet, also gerade die unterste Schicht und der unpolitische Teil der Bevölkerung. Der damit ausgesprochene revolutionäre Anspruch ist Mirabeau durchaus bewusst. Das Volk sind für Mirabeau die Nichtprivilegierten, die zum ersten Mal das politische Mitbestimmungsrecht für sich beanspruchen: „Ja, weil der Name des Volkes in Frankreich nicht genügend geachtet wird, weil er verdunkelt ist, mit dem Rost des Vorurteils bedeckt, weil er uns eine Vorstellung gibt, über die der Hochmut sich erregt und die Eitelkeit aufsässig wird, weil er in den Zimmern der Aristokraten mit Verachtung ausgesprochen wird, gerade deshalb müssen wir uns vornehmen, ihn nicht nur zu erheben, sondern zu adeln und ihn von nun geachtet bei den Ministern und allen Herzen lieb zu machen. Wenn dieser Name nicht schon unserer wäre, müsste man ihn unter allen wählen und ihn als die kostbarste Gelegenheit ansehen, dem Volk, das da ist, zu dienen, dem Volk, das alles ist, dem Volk, das wir repräsentieren, dessen Rechte wir verteidigen und von dem wir die unseren empfangen haben und über das man zu erröten scheint, wenn wir unseren Namen und unsere Rechtstitel von ihm nehmen. Ach, wenn die Wahl dieses Namens dem geschlagenen Volk Stärke und Mut gäbe! [. . .] Seht ihr nicht, dass der Name ,Repräsentanten des Volkes‘ notwendig für euch ist, weil er euch mit dem Volk verbindet, dieser gewaltigen Masse, ohne welche ihr nur Einzelne wäret, schwache Schilfrohre, die man eines nach dem anderen bräche? Seht ihr nicht, dass ihr den Namen ,Volk‘ braucht, weil er dem Volk zu erkennen gibt, dass wir unser Schicksal mit dem seinigen verbunden haben, was es dazu brin-

36 37

Malouet, 8. Juni 1789, AP, 8, S. 79–81. Mirabeau, 5. Juni 1789, AP, 8, S. 70.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

gen wird, all seine Gedanken und alle seine Hoffnungen auf uns zu setzen.“38 Mirabeau begreift den Begriff des Volkes als wirksamen politischen Kampfbegriff, der dazu dienen soll, dass sich nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung mit der neu zu konstituierenden Assemblée identifiziert, sondern auch jene Schichten politisch mobilisiert werden, die bisher keine politische Größe darstellten. Gleichzeitig bleibt der Begriff des Volkes für Mirabeau an den der königlichen Souveränität gebunden. Es ist der König, der sich mit der Einberufung der Generalstände an sein Volk gewendet hat und es wird das Volk sein, das ihm in Form der neu gebildeten Assemblée antwortet. Der Begriff des Volkes verkörpert bei Mirabeau daher nur den Anspruch auf politische Mitbestimmung, nicht jedoch den auf politische Souveränität. Aus eben diesem Grund setzt sich drittens eine Gruppe um Sieyès für den Titel „Assemblée Nationale“ ein. Hatte Sieyès diesen Namen bereits in seinem Traktat Qu’est-ce que le Tiers État?39 als den einzig sinnvollen hinsichtlich des Anspruchs, die nationale Souveränität durchzusetzen, verwendet, so verteidigt er ihn nunmehr gegenüber der Argumentation Mirabeaus. Der Gebrauch des Wortes Volk, oder im Plural „peuples de France“, zeigt für ihn nur, dass dessen Einheit unausweichlich an den Begriff der Nation und das nationale Interesse gebunden bleibt.40 Sieyès erkennt zwar den Begriff des Volkes, so wie er bei Mirabeau gebraucht wird, als politischen Kampfbegriff an, doch verweist er unerbittlich auf dessen Schwächen: Das Volk verkörpere keine Einheit und was mit diesem Begriff heraufbeschworen werde, komme letztlich einem Bürgerkrieg nahe, beziehe sich der Begriff des Volkes doch zunächst faktisch nur auf den Dritten Stand. Allein der Begriff der Nation verbürge die nationale Einheit.41 In den sich daraufhin entfaltenden Diskussionen werden mehrere vermittelnde Vorschläge unterbreitet. Mounier, unterstützt von Barnave, schlägt am 16. Juni den wenig klangvollen Titel „Legitime Versammlung der Repräsentanten des Großteils der Nation in Abwesenheit einer Minderheit“ (Assemblée légitime des représentants de la majeure partie de la nation agissant en l’absence de la mineure partie)42 vor, der seinem Verständnis von Nation als einer politischen und nicht natürlichen Größe am nächsten kommt: Die Delegierten des Dritten Standes sind die gewählten Vertreter der Nation, die sich nunmehr in Abwesenheit eines Teils der Abgeordneten, nämlich der Vertreter des Adels und eines kleinen Teils der Geistlichen, zu einer nationalen Körperschaft zu38 39 40 41 42

Mirabeau, 17. Juni 1789, AP, 8, S. 125–126. Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers-État?, s. l. s. d. [1789]. Sieyès, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 112. Ebd., S. 109, S. 123. Banarve, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 113.

2.3 Legitimationsdiskurs bei Gründung der Assemblée Nationale

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sammenschließen.43 Gleichzeitig ist es ein provisorischer Titel, der den anderen beiden Ständen die Möglichkeit der Integration offen lässt. Sein Vorschlag kommt der Argumentation von du Berry und Legrand entgegen, die daran erinnern, dass die Bürger der drei Stände als Vertreter der Nation gewählt worden seien und dass sie nur in ihrer Einheit ihre repräsentative Funktion erfüllen könnten. Demnach sind die zwei privilegierten Stände zwar nicht allein die Nation, aber durchaus Bestandteil der Nation.44 Die Opposition gegen den Namensvorschlag „Assemblée du peuple“ wird im Laufe der Diskussion zunehmend stärker. Target und Bergasse wenden sich heftig gegen den Namensvorschlag Mirabeaus. Für Target, Abgeordneter des Dritten Standes aus Paris, ist der Begriff des Volkes der gegenwärtigen Situation vollkommen unangemessen: „Der Begriff des Volkes erfüllt nicht unsere Vorstellungen. Bezeichnet er nur die einzelnen Wahlkreise – dann drückt er zuwenig aus. Bezeichnet er die ganze Nation – dann sagt er zuviel. Wählen wir also die Mitte zwischen diesen beiden Extremen, so kompromittieren wir weder unsere Rechte noch unsere Prinzipien. Wir sind die versammelten Repräsentanten der Nation; genau das sind wir. Und aufgrund dieses Status’ sind wir authorisiert, die Rechte unserer Wähler zu erörtern.“45 Eine „Assemblée du peuple“ bliebe zudem dem Begriff nach Bestandteil der Generalstände oder trüge doch zumindest den Charakter der Separation.46 Allein die Vertreter der Nation seien dazu berechtigt, die politischen Aufgaben umzusetzen, denen sie sich nunmehr als Assemblée Nationale zu stellen hätten. Ein weiteres Argument gegen den Begriff des Volkes führt Lorraine an: Allein die Zweideutigkeit des Begriffes reiche aus, um ihn abzulehnen.47 Im Gegensatz zum altgriechischen oder englischen Volksbegriff sei der französische nicht Ausdruck einer souveränen Macht. Einzig die Nation, im Sieyèsschen Sinne, verkörpere den Anspruch auf Souveränität.48 Das Volk und die Kommunen besäßen kein Recht, sie seien nichts, als Nation jedoch seien sie alles.49 Deshalb, so Bergasse, sei der Titel „Assemblée Nationale“ der „einzig angemessene“50. Am 17. Juni schließlich wird der Antrag Legrands, Abgeordneter des Dritten Standes aus Berry, die zu konstituierende Körperschaft Assemblée Nationale zu

43 44 45 46 47 48 49 50

Mounier, Le Moniteur, 1, S. 79. Legrand, 16. Juni 1789, AP, 8, S. 122. Target, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 114. Bergasse, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 117. Lorraine, 16. Juni 1789, AP, 8, S. 117. Bouchot, 16. Juni 1789, Le Point du Jour, 1790, 1, S. 396. Camus, 16. Juni 1789, AP, 8, S. 121. Bergasse, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 117.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

nennen, mit 491 gegen 90 Stimmen angenommen. Die Deputierten des Dritten Standes erklären sich selbst zur Nationalversammlung (Assemblée Nationale).51 Diese Selbsternennung stellt einen beispiellosen Akt souveräner Gewalt dar, der sich nicht nur unabhängig vom Einfluss des Königs vollzieht, sondern sich in den Kategorien der existierenden politischen Ordnung gar nicht beschreiben lässt, denn sie ist weder auf einen formellen noch auf einen rechtlichen Akt zu reduzieren. Sie ist nach Sieyès eine politische Setzung, ein Akt nationaler Souveränität.52 Die Legitimität der Assemblée Nationale erwächst für Sieyès dabei ausschließlich aus dem Akt der Wahl. In letzter Konsequenz resultiert sie damit aus dem Naturrecht, nämlich aus der Autonomie jedes Individuums, seine Belange selbst zu vertreten. In dem Moment, in dem sich alle über die Modalitäten der Wahl einig sind und die Wahl regulär abgelaufen ist, hat der Gewählte den Status eines Repräsentanten der Nation. Keine weltliche Autorität, außer wiederum die Körperschaft der Repräsentanten, hat das Recht, seinen Status in Frage zu stellen.

2.4 Die Legitimität politischen Handelns Sieyès Argumentation bleibt aber vorerst Theorie. In der Praxis vermögen sich die Deputierten des Dritten Standes ihr noch nicht anzuschließen. Da sie als ein Teil der Deputierten der Generalstände diese nicht selbst verkörpern, weisen sie vielmehr jede Handlungsfähigkeit zurück. Ja sie öffnen noch nicht einmal die Briefe, die an den Dritten Stand adressiert sind.53 Ihren eigenen Status als Repräsentanten der Nation machen sie stattdessen von der Bestätigung durch den König abhängig.54 Diese in jeder Hinsicht neue und ungewöhnliche Situation, in der die Vertreter des Dritten Standes die Legitimität ihres eigenen Handels von der Sanktion durch den König abhängig machen, erfährt in den Debatten vom Mai und Juni 1789 eine grundlegende Veränderung. Der Akt der Verifikation, wie er vom König verlangt wird, soll nichts anderes symbolisieren als den Status eines kollektiven Seins und einheitlichen Handelns. Der König firmiert somit paradoxer51

AP, 8, S. 126 ff. Sieyès, 10. Juni 1789, AP, 8, S. 85. 53 6. Mai 1789, Le Moniteur, 1, S. 27. 54 In dieser Hinsicht sind auch die Namensvorschläge Versammlung der Repräsentanten des Volkes (Assemblée des représentants du peuple) und Versammlung der Repräsentanten der Nation (Assemblée des représentants de la nation) zu verstehen, bei denen es um die Betonung einer fehlenden kollektiven Einheit und Transzendenz geht, die ausschließlich durch den König gewährt werden kann. Eine Versammlung der Repräsentanten des Volkes (Assemblée des représentants du peuple) vertritt vierundzwanzig Millionen Individuen, eine Menge, die jederzeit wieder in diese Vielzahl von Einzelwillen zerfallen kann. Vgl. 11. Mai 1789, Le Moniteur, 1, S. 30. 52

2.4 Die Legitimität politischen Handelns

57

weise noch einmal als der Garant der nationalen Einheit, die nicht auf ihre Bürger oder Körperschaften zu reduzieren ist. Er gilt als die Verkörperung der zivilen Ordnung schlechthin.55 Damit existieren jedoch zunächst zwei Legitimitätskonzepte nebeneinander. Indem sich die Abgeordneten dazu entschließen, sich nicht zu Abgeordneten des Volkes, sondern zur Nationalversammlung zu erklären, beziehen sie ihre Legitimität zunächst aus dem Akt der Wahl. Gleichwohl erteilen sie der Legitimität königlicher Herrschaft noch keine grundsätzliche Absage,56 die somit ungeachtet aller theoretischen Widersprüche weiter besteht. Die implizite Herausforderung der königlichen Souveränität ist jedoch unübersehbar. Entsprechend reagiert Ludwig XVI. auf die Selbsternennung des Dritten Standes zur Assemblée Nationale mit der Schließung des großen Saales in Versailles, in dem der Dritte Stand tagt. Er verurteilt die Beschlüsse des 17. Juni und maßregelt sie als „illegal und verfassungswidrig“57. Kurz entschlossen beruft er die drei Stände ein und geißelt, als er sie am 23. Juni 1789 empfängt, das Vorgehen des Dritten Standes ausdrücklich mit Verweis auf die monarchische Legitimitätskonzeption: „Bedenken Sie, meine Herren, dass keines Ihrer Vorhaben und keine Ihrer Anordnungen einen Gesetzesrang ohne meine ausdrückliche Zustimmung erreichen kann. Ich bin der natürliche Bürge Ihrer jeweiligen Rechte; und alle Stände müssen sich meiner Überparteilichkeit beugen. Jedes Misstrauen auf Ihrer Seite wäre eine große Ungerechtigkeit. Ich bin es, der bis heute das Wohl meines Volkes bestimmt.“58 Daraufhin entlässt der König die Abgeordneten mit einem klaren Befehl: „Ich ordne an, meine Herren, dass Sie sich sofort trennen und morgen früh jeder in die seinem Stand angewiesenen Räume verfügen, um Ihre Sitzungen dort aufzunehmen.“59 Dies bedeutet die vollkommene Annullierung der Beschlüsse des Dritten Standes. Der Adel und ein Teil des Klerus folgen dem König. Die Abgeordneten des Dritten Standes und des niederen Klerus bleiben daraufhin bewegungslos auf ihren Plätzen. Als sich der Zeremonienmeister, Marquis de Brezé, an sie mit den Worten wendet: „Meine Herren, Sie haben die Absichten des Königs vernommen“60, antwortet ihm Mirabeau: „Ja, mein Herr, wir haben die Absichten vernommen, die man dem König eingegeben hat, und Sie, der Sie nicht sein Vertreter bei den Generalständen sein können, der Sie hier weder Sitz noch 55 56 57 58 59 60

Bergasse, 15. Juni 1789, AP, 8, S. 117. Necker, 5. Mai 1789, AP, 8, S. 12. AP, 8, S. 143. Le Roi, 23. Juni 1789, AP, 8, S. 146. 23. Juni, AP, 8, S. 146. Brezé, 23. Juni, AP, 8, S. 146.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

Stimme haben noch Rederecht, Ihre Sache ist es nicht, uns seine Worte in Erinnerung zu rufen. Um jedoch jeden Zweifel und jede Verzögerung zu vermeiden, erkläre ich Ihnen, wenn Sie den Auftrag haben uns auszuweisen, so müssen Sie Befehle verlangen zur Gewaltanwendung, denn wir verlassen unsere Plätze nur auf die Gewalt der Bajonette.“61 Indem die Delegierten der Assemblée geschlossen hinter der Antwort Mirabeaus stehen, weisen sie ausdrücklich eine Legitimierung bzw. Delegitimierung ihres Handelns durch den König zurück. Jeder, der keinen Sitz und keine Stimme in der Assemblée Nationale besitzt und damit kein Vertreter der Nation ist, wie eben genannter de Brezé, hat nicht das Recht, ihre Kompetenzen in Frage zu stellen. Und auch der König darf nicht eigenmächtig über sie verfügen. In dieser für sie alle neuen Situation leisten die Abgeordneten den Eid: „Wir schwören, die Nationalversammlung nicht zu verlassen, uns überall zu versammeln, wo die Umstände es erfordern, bis die Verfassung des Königreichs auf sicheren Grundlagen beschlossen und bestätigt ist.“62 Mirabeau meldet sich kurz darauf erneut zu Wort: „Heute segne ich die Freiheit dafür, dass sie in der Nationalversammlung so schöne Früchte reifen ließ. Sichern wir unser Werk, indem wir die Person der Abgeordneten der Generalstände für unverletzlich erklären. Das heißt nicht, Furcht zu bezeugen; das heißt mit Vorsicht handeln: es bedeutet, die gewaltsamen Ratschläge in der Umgebung des Thrones zu zügeln.“63 Damit verschiebt sich der Legitimitätsdiskurs politischer Herrschaft in der Assemblée Nationale eindeutig weg von einer Legitimation politischen Handelns durch den Monarchen. Indem die Immunität der Abgeordneten vor jeglichem staatlichen und damit auch königlichen Übergriff behauptet wird, wird sogleich die Unantastbarkeit des Selbstvertretungsrechts der Nation erklärt. Zudem sind die Repräsentanten der Nation in ihrem Selbstverständnis nunmehr niemand anderem verpflichtet als wiederum der Nation. Die Legitimität politischen Handelns hat ihren Ursprung ausschließlich in der Nation. Der Vorschlag Mirabeaus wird mit 493 zu 34 Stimmen angenommen.64 Indem sich die Assemblée damit letztlich doch die Sieyèssche Argumentation zu Eigen macht, verändert sie das Legitimationsverständnis grundsätzlich. Nicht mehr die historisch verbürgte Tradition der Parlamente oder Generalstände, die letztendlich immer an die Souveränität des Königs gekoppelt bleibt, dient hier der Legitimierung politischer Mitspracherechte, sondern der Akt der Wahl und damit die Idee nationaler Repräsentation bilden nunmehr die Grundlage legitimen politischen Handelns.

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Mirabeau, 23. Juni 1789, AP, 8, S. 146. AP, 8, S. 146. Mirabeau, 23. Juni, AP, 8, S. 147. 23. Juni 1789, AP, 8, S. 147.

2.5 Die Aufgabe des imperativen Mandates

59

2.5 Die Aufgabe des imperativen Mandates Das neue Legitimitätsverständnis wird schnell zu einer Selbstbehauptungsstrategie der Assemblée Nationale. So spricht sich Sieyès in jeder Hinsicht gegen eine Intervention des Königs in das Handeln der Assemblée Nationale aus, insofern der König kein gewählter Vertreter der Nation ist. Würden sich die Abgeordneten dem Befehl des Königs unterordnen, wären sie nicht mehr die gewählten Vertreter der Nation, sondern lediglich „Diener im Auftrag des Königs“65. Eine ähnliche Argumentation entwickelt Sieyès auch hinsichtlich des imperativen Mandates: Jede Festlegung der Abgeordneten auf einen partikularen Willen widerspreche ihrem Auftrag, im Interesse der Nation zu handeln, deren souveränen Willen sie ja allererst in ihren gemeinsamen Diskussionen zu ermitteln hätten.66 Barnave unterstützt ihn in beiden Forderungen. Für ihn dürfen die Delegierten von niemandem abhängig sein. Die Delegierten sind Repräsentanten der Nation und ausschließlich ihren Interessen verpflichtet: „Eure Ziele“, ruft er den Abgeordneten zu, „sind abhängig von eurer Situation, ihr seid einzig euch selbst verpflichtet. Ihr habt erklärt, was ihr seid. Ihr habt keinerlei Bestätigung notwendig. Die Steuergesetzgebung liegt in euren Händen. Von der Nation dazu bestimmt, ihr eine Verfassung zu geben, seid ihr dazu verpflichtet, solange zusammenzubleiben, wie ihr es im Interesse eurer Wähler für notwendig erachtet. Dies besagt bereits der Titel Assemblée Nationale.“67 Viele Abgeordnete der Nationalversammlung machen sich das neue Selbstverständnis allerdings nicht in derart radikaler Form zueigen. Ein Großteil der Repräsentanten des Adels weigert sich sogar weiterhin, die Legitimität der Nationalversammlung anzuerkennen. Zudem lehnen sie die Teilnahme an den Debatten über die Verfassung mit der Begründung ab, dass dies ihrem imperativen Mandat widerspreche.68 Diese Haltung trifft auch auf Teile des Zweiten und des Dritten Standes zu. Malouet, der den Selbstbehauptungsdiskurs des Dritten Standes zunächst aktiv befürwortet, lehnt den Titel Assemblée Nationale aus eben jenem Grund ab.69 Die Protagonisten sind sich der Bedeutung der Einwände bewusst, handelt es sich bei ihrer Entscheidung doch um eine Infragestellung der „bestehenden Verfassung“ und einen offensichtlichen „Bruch mit der Wahlordnung“70. 65 66 67 68 69 70

Sieyès, 24. Juni 1789, AP, 8, S. 146–147. Ebd. Barnave, 23. Juni 1789, AP, 8, S. 146. 30. Juni 1789, Le Moniteur, 1, S. 111. Malouet, 16. Juni 1789, AP, 8, S. 120. Le Roi, 23. Juni 1789, AP, 8, S. 143.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

Zum Schutz der institutionellen Autonomie der Assemblée Nationale und zur Verteidigung dieser Einrichtung als Forum nationaler Souveränität fordern daher sowohl Barnarve als auch Sieyès die Aufgabe des imperativen Mandats, also die Loslösung der Abgeordneten vom unmittelbaren Willen ihrer Wähler. Um diese Forderung entspinnt sich bald eine breite Diskussion. Hinsichtlich der Auflösung des imperativen Mandates ergeben sich für Sieyès zwei Handlungsmöglichkeiten. Die erste besteht darin, dass die Wahlbezirke die imperativen Mandate ihrer Abgeordneten annulieren und in freie Mandate umwandeln. Dieser Vorschlag, der bei den meisten Abgeordneten hohen Anklang findet, wird von Talleyrand kritisiert, weil das imperative Mandat auch eine rechtliche und moralische Verpflichtung des Einzelnen Abgeordneten gegenüber seinen Wählern sei.71 Sieyès verweist jedoch darauf, dass das imperative Mandat grundsätzliche eine Einschränkung der Freiheit der Abgeordneten darstelle, über die nationalen Belange zu verhandeln.72 Die zweite Möglichkeit, die Sieyès ins Auge fasst, beruht auf einer grundsätzlich anderen Argumentation. Danach ist die Nation jeder Gemeinschaft, dem gesellschaftlichen Zustand und jeder politischen Debatte vorgelagert. Der Einzelne ist immer schon Mitglied der Nation und kann nur im Einklang mit ihr handeln – oder er verliert das Recht auf seine Mitgliedschaft. Dann besitzt das imperative Mandat keine Berechtigung, da der nationale Wille nicht durch einen partikularen Willen eingeschränkt werden kann.73 Das imperative Mandat wird in diesem Sinne nicht zurückgenommen, sondern es wird rückwirkend für ungültig erklärt, insofern es den Wählern niemals zustand, den Prozess der nationalen Willensbildung zu beschränken. Nicht die Wähler verkörpern mithin den nationalen Willen, sondern es sind die Delegierten der Assemblée Nationale die ihn erarbeiten und repäsentieren. „Es gibt für einen Abgeordneten [. . .] kein anderes imperatives Mandat, ja keinen vorgeschriebenen Willen und kann ihn auch nicht geben, als den Nationalwillen; er ist nur insoweit an die Empfehlungen seiner Auftraggeber gebunden, wie sie dem Nationalwillen entsprechen. Wo anders aber ist dieser Wille zu treffen, wo anders kann man ihn erkennen, wenn nicht in der Nationalversammlung selbst? Nicht durch Nachschlagen in den einzelnen Beschwerdeheften, wenn es solche gibt, wird der Abgeordnete den Willen seiner Auftraggeber finden. Geht es hier doch nicht darum, die Einzelstimmen einer demokratischen Abstimmung auszuzählen, sondern darum, Vorschläge zu machen, zuzuhören, sich untereinander abzustimmen, seine Meinung zu berichtigen und schließlich gemeinsam einen gemeinschaftlichen Willen zu bilden [. . .]. Das Volk oder die Nation kann nur eine Stimme haben, nämlich die der nationalen Gesetzgebungskörperschaft [. . .]. In einem Land, das 71 72 73

Sieyès, 8. Juli 1789, AP, 8, S. 207. Ebd. Ebd.

2.5 Die Aufgabe des imperativen Mandates

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keine Demokratie ist (und Frankreich dürfte schwerlich eine sein) kann das Volk – ich wiederhole es – nicht anders als durch Stellvertreter sprechen und handeln.“74 Es ist das letztere Begründungsmuster, das sich schließlich durchsetzt.75 Dadurch verändert sich der Status der Delegierten enorm. Indem sich die Abgeordneten der Assemblée Nationale nun vom Auftrag ihrer Beschwerdehefte entbinden, erklären sie sich neben dem König zu den allein legitimen Repräsentanten der nationalen Souveränität, die nur ihrem Gewissen, nicht aber ihren Wählern verpflichtet sind. Mounier greift dieses Begründungsmuster wieder auf, als er am 4. September 1789 im Namen des Verfassungskomitees das imperative Mandat endgültig für nichtig erklärt: „Wenn sie wollen, dass die Wähler imperative Mandate vergeben können, fürchten sie dann nicht, dass das Königreich dadurch in Unsicherheiten und Streitereien gestürzt bzw. in unterschiedliche Willen gespalten wird, die sich direkt widersprechen? Fürchten sie nicht die turbulenteste Form der Demokratie? Wenn jede Gemeindeversammlung das Gesetz diktieren darf, dann hätte Eure ungeheure Versammlung nicht mehr den Namen Regierung verdient; sie würde sich in die schrecklichsten Konvulsionen verstricken.“76 Damit erklärt Mounier das imperative Mandat als unvereinbar mit der Natur der nationalen Souveränität. Es sei ein Fehler, so Mounier, den Ursprung der Souveränität bei den Wählern zu suchen, denn diese könnten gar „nicht souverän sein“. Die Einheit und Unteilbarkeit des nationalen Willens sei unabhängig vom Prozess der Wahl. Die Souveränität bleibe stattdessen an die Nation als Ganze (nation entière) gebunden, insofern die Nation ihre eigene Realität, unabhängig von der politischen Praxis, habe. „Ich weiß“, wendet er sich an die Abgeordneten, „dass das Prinzip der Souveränität in der Nation ruht [. . .]. Doch zwischen dem Prinzip der Souveränität und ihrer Ausübung besteht ein großer Unterschied. Und ich bin fest davon überzeugt, dass eine Nation schlecht beraten und keineswegs glücklich wäre, wenn sie die Souveränität selbst ausüben wollte. Denn sie ist eine unbegrenzte und absolute Macht. Wenn man also behauptet, dass die Nation souverän ist, dann heißt das, dass die Nation alle politische Macht besitzt, und niemand zweifelt daran, dass eine Nation alles durchzusetzen vermag, was sie nur will [. . .]. Doch weil eine Nation ein kollektiver Körper ist, steht sie im Dienste derjenigen, die sie ausmachen. Aber sie wird in Fraktionen gespalten und der Herrschaft der Gewalt erliegen, wenn sie keine Führer wählt, wenn sie nicht eine Regierung schafft und eine Öffentlichkeit institutionalisiert. Sie kann aber nur eine Regierung schaffen, indem sie ihre Souveränität an Vertreter dele74

Sieyès, 7. September 1789, AP, 8, S. 595. 23. Juni 1789, Déclaration du roi concernant la présente tenue des États généraux, art. 3 et art. 6, AP, 8, S. 143, S. 207. 76 Mounier, 4. September 1789, AP, 8, S. 560. 75

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2 Die Legitimität politischen Handelns

giert.“77 Die Legitimität politischen Handelns erwächst aus der nationalen Souveränität. Doch es ist nicht der unmittelbare Volkswille, sondern der über institutionelle Arrangements vermittelte nationale Wille, der den politischen Entscheidungen einen legitimen Rückhalt verschafft. Dadurch macht Mounier die Legitimität politischen Handelns nicht nur von gemeinschaftlich erarbeiteten Entscheidungen der nationalen Vertreter abhängig, sondern bindet sie zugleich an rechtstaatliche Formen.

2.6 Das königliche Veto Auch die Diskussion über das königliche Veto ist unlösbar an den Legitimationsdiskurs der Assemblée Nationale und die Entfaltung eines neuen Verständnisses nationaler Souveränität gekoppelt. So verweist Mounier in der schon eben zitierten Ansprache vom 4. August 1789 darauf, dass das königliche Veto die Einheit einer sonst bald in Faktionen zersplitterten Legislative garantiere.78 Eine vom König unabhängige politische Entscheidungsfindung und Formierung eines nationalen Willens weist er damit vehement zurück. Die Zusammenführung legislativer und exekutiver Funktionen in der Person des Königs, wie sie das königliche Veto nahe legt, verbürgt für Lally-Tollendal, Abgeordneter des Adels aus Paris und wie Mounier einer der Wortführer der Monarchisten, zudem das Zusammenspiel von Legislative und Exekutive,79 sei der König durch seine Doppelfunktion doch in der Lage, beide Gewalten zu harmonisieren: „Wenn diese Form der Sanktion nicht bestehen würde, wenn der König kein unbegrenztes Vetorecht hätte, dann gäbe es keinen einheitlichen legislativen Körper und es bestände kein Mittel, die Vorrechte des Königs zu schützen. Es bestände kein unüberwindliches Hindernis, dass die Legislative in die Verfügungsgewalt der Exekutive eingreife und dass die Gewalten zusammenfielen. Dies wäre jedoch der erste Schritt zur Zurücknahme der Verfassung und zur Unterwerfung des Volkes.“80 Indem der König beide Funktionen ausfülle, werde die Exekutive wesentlich besser durch seine legislative Kompetenz unterstützt, als dies durch eine autonome Exekutive geschehen würde.81 Einer Legitimation politischen Handelns, die sich ausschließlich auf das Prinzip nationaler Souveränität stützt, erteilen damit Mounier, Desèze und Lally-Tollendal eine klare Absage.

77

Ebd. Ebd., S. 563. 79 Ebenso: Malouet, 4. September 1789, AP, 8, S. 564; Mirabeau, 4. September 1789, AP, 8, S. 537–538; Desèze, 4. September 1789, AP, 8, S. 564. 80 Lally-Tollendal, 31. August 1789, AP, 8, S. 522. 81 Desèze, 4. September 1789, AP, 8, S. 564. 78

2.6 Das königliche Veto

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Die Mehrheit der Redner, die das aufschiebende Veto des Königs befürwortet, argumentiert jedoch aus einer anderen Perspektive. Ohne auf die repräsentative Funktion des Königs einzugehen, unterstützen sie die königliche Sanktion nicht als eine legislative Kompetenz des Königs, sondern als ein institutionelles Arrangement, sich im Zweifelsfall über die nationale Repräsentation hinwegzusetzen und sich mit einem direkten Appell an das Volk wenden zu können. Sie argumentieren dadurch für eine Reintegration des Volkes in den Prozess der Gesetzgebung, das durch die Ablehnung des imperativen Mandates und durch die Festlegung der Wahlordnung aus dem souveränen Diskurs gedrängt worden sei. Besonders deutlich kommt die grundlegend andere Begründung bei Rabaut Saint-Etienne zum Ausdruck. Für ihn folgt aus der Tatsache, dass die Legislative nicht geteilt und auch weder als Teil noch als Ganzes veräußert werden kann, dass auch dem König kein Veto zugestanden werden könne, welches dann einem Akt der Gesetzgebung gleichkäme. An die Abgeordneten gewandt erklärt er: „Wenn sie also sich dazu entscheiden, Vorkehrungen gegen ihre Repräsentanten zu treffen, dann könnten sie sich darauf einigen, dass der König die Ausführung eines Gesetzes solange verhindern darf, bis er sich des allgemeinen Volkswillens versichert hat [. . .]. Eine solche Handlung des Königs wäre nicht die eines Gesetzgebers, der in den Gesetzesentwurf eingreift, der das Gesetz gut heißt oder ablehnt, sondern die Handlung eines obersten Magistrats, der das Gesetz mit einer [kurzweiligen] Sanktion belegt [. . .]. Sie ist [. . .] ein Appell, der von den Repräsentanten der Nation an die Nation selbst ergeht.“82 Auch hier taucht also wieder die Doppelung auf, die in der Konzeption der nationalen Souveränität selbst begründet liegt: zum einen wird darunter das Volk verstanden, d.h. die Gesamtheit der wahlberechtigten Franzosen, zum andern ausschließlich die Repräsentanten der Nation, wie sie in der Assemblée Nationale zusammengetreten sind, um dort gemeinsam den nationalen Willen zu erarbeiten.83 Beide Konzeptionen bleiben bei Rabaut Saint-Étienne unauflösbar nebeneinander bestehen. Der Beschluss über das königliche Veto, mit dem die Debatte am 23. September vorübergehend zum Abschluss gelangt, bringt keine grundsätzliche Klärung. Ungeachtet der prinzipiellen Argumente von Rabaut Saint-Etienne führt die Assemblée Nationale den König als einen Vertreter der Legislative ein und bestätigt das Veto als Teil des Gesetzgebungsprozesses: „Kein Beschluss der Legislative darf als Gesetz betrachtet werden, wenn es nicht durch die frei und legal gewählten Repräsentanten der Nation geschaffen und durch den König sanktioniert wurde.“84 Damit schließen sich die Abgeordneten einem Vorschlag 82

Rabaud de Saint-Etienne, 4. September 1789, AP, 8, S. 571. La Rochefoucauld, 2. September 1789, AP, 8, S. 549; ebenso: Pétion, 1. September 1789, AP, 8, S. 537; Lameth, 4. September 1789, AP, 8, S. 573; Rabaut SaintÉtienne, 3. September 1789, AP, 8, S. 571. 83

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2 Die Legitimität politischen Handelns

des Verfassungskomitees an, das unter Leitung von Lally-Tollendal bereits Ende August unterstrichen hatte, dass der König „traditionell wie historisch der Repräsentant der Nation“ sei. Das königliche Veto sei insofern Bestandteil nationaler Souveränität und Garant nationaler Repräsentation, als es traditionell und geschichtlich diese Funktion verbürge.85 Das Verfassungskomitee gewinnt mit dieser Begründung die breite Mehrheit der Abgeordneten der Assemblée Nationale für das königliche Veto.86 Die kaum beendete Debatte flammt jedoch erneut auf, als der König schließlich am 5. Oktober 1789 zum ersten Mal von seinem Veto bei der Abstimmung über die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und die ersten Artikel der Verfassung, die ihm am 2. Oktober vorgelegt werden, Gebrauch macht. Sofort werden in der Assemblée Nationale Stimmen laut, die energisch vor den Risiken eines solchen königlichen Vorrechts warnen. Eine erste Reaktion besteht darin, die Notwendigkeit einer Bestätigung der Gesetzesvorlage durch den König in Frage zu stellen. Begründet wird dies mit dem besonderen Inhalt der Vorlage, nämlich den natürlichen Menschenrechten, die zu schützen jeder Gesetzgeber und auch jeder Monarch verpflichtet sei.87 Wenn die Exekutive, deren Vertreter der König traditionell sei, erst durch die Verfassung geschaffen werde, so Barrère, dann könne sie auch nicht die Verfassungsartikel kritisieren. Der König verdanke seine Stellung der Verfassung und solange das königliche Sanktionsrecht ein Vorrecht der Exekutive sei, dürfe er die Verfassung weder kritisieren noch ablehnen: „Man muss zwischen der Erklärung der Menschenrechte und den Artikeln der Verfassung unterscheiden [. . .]. Die Erste braucht nicht durch den König akzeptiert zu werden; die Rechte der Menschen sind ursprünglicher als die der Monarchen; sie bestehen unabhängig von jeder königlichen Autorität. Die Menschenrechtserklärung muss vom König nur veröffentlicht werden. Ausschließlich die Verfassung muss dem Fürsten zur Bestätigung vorgelegt werden, aber eben nur zur Bestätigung. Sie darf von ihm weder abgelehnt noch kritisiert werden, denn er bezieht seine Macht letztlich aus der Verfassung. Wie kann sich also die Exekutive die pouvoir nationale modifizieren, der sie ihre ganze Existenz verdankt? Wenn sie nur durch die Verfassung existiert, wie kann sie sie dann ablehnen? Ich muss auf den vom Verfassungsausschuss vergessenen Prinzipien bestehen [. . .], denn es sind die ewigen Prinzipien und Rechte der Nation: ein Volk kann auf die Weise existieren, die ihm gefällt; es kann sich auf die Art und Weise konstituieren, die ihm zu seinem eigenen Wohl am angemessensten erscheint. Wenn es umgekehrt wäre und der König die Bedingungen bestimmen dürfte, dann würdet ihr seit 6 Monaten ta84 85 86 87

23. September 1789, AP, 9, S. 124. Lally-Tollendal, 31. August 1789, AP, 8, S. 514–515. Vgl. AP, 8, S. 521, S. 538, S. 563, S. 564. 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 343–344.

2.7 Aufhebung der sozialen Basis der königlichen Legitimität

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gen um ihm schließlich zu sagen: Wählt, ob ihr unser König oder Despot sein wollt. Sie sind unser Herrscher, der uns in Fesseln legen lassen oder uns die Freiheit geben kann.“88 Die Nationalversammlung lehnt es jedoch ab, zu diesem Zeitpunkt eine eindeutige Entscheidung in Bezug auf das königliche Veto zu treffen. Doch sie verlangt, ganz im Sinne Barrères, dass die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sowie die fertigen Artikel der Verfassung durch eine einfache Bestätigung durch den König Gesetzesrang erhalten.89 Dieser scheinbar rein formale Akt, hat jedoch weitreichende Konsequenzen. Als der König die Gültigkeit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte anerkennt,90 tritt er seine gesamte monarchische Legitimität zugunsten der ihm durch die Verfassung zugestandenen politischen Rechte ab. Der Legitimationswandel ist damit vollzogen. Ludwig XVI. ist seit dem 5. Oktober 1789 nicht länger von Gottes Gnaden König von Frankreich. Das bedeutet, dass er fortan nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit oder aufgrund der überlieferten Tradition regiert, sondern aufgrund der von den Repräsentanten der französischen Nation erlassenen Gesetze, denen er unterworfen ist und die seine Kompetenzen umschreiben. Der König ist demnach ein König mit Billigung der Nation, er regiert nicht aus eigenem Recht, sondern mit der geliehenen Autorität eines Amtes.

2.7 Die Aufhebung der sozialen Basis der königlichen Legitimität in der Nacht des 4. August 1789 Dieser Legitimitätsverlust des Königs wurde für die Franzosen indes nicht erst im Oktober 1789 offenbar, sondern war für weite Bevölkerungsteile schon im Hochsommer 1789 deutlich spürbar. Gekoppelt war er vor allem an die Aufhebung der Privilegien der beiden ersten Stände. So wurde in der Nacht des 4. August 1789 die vollständige Zerschlagung der rechtlichen Strukturen des alten Feudalsystems beschlossen, als deren Garant der König bis dahin fungierte. Wie Michel Vovelle und andere gezeigt haben, sehen sich die Abgeordneten der Assemblée Nationale durch die Nachricht von brennenden Gutshäusern und Felder sowie immer weiter um sich greifenden Aufständen der Landbevölkerung im Juli und August 1789 mit der Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Besitzverhältnisse konfrontiert.91 Malouet trägt zugleich einen Plan zu einer groß angelegten Armenpolitik vor. „Beden88 89 90 91

Barrère de Vieuzac, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 344. 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 346. Ebd., S. 346 ff. Vgl. Vovelle, Michel: La chute de la monarchie 1787–1792, Paris 2002.

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2 Die Legitimität politischen Handelns

ken sie“, wendet er sich an die Abgeordneten, „dass zu allen Zeiten und in allen Ländern diejenigen, die nichts haben und für die das Leben eine Last ist, immer ihre Dienste und oftmals ihre Freiheit an jene verkauft haben, die sie bezahlen konnten“92. Solche Verhältnisse gefährdeten jedoch nicht nur die soziale Ordnung eines Landes, was den Abgeordneten angesicht der verheerenden Situation nur zu offensichtlich sei, sie zerstörten auch das Selbstbestimmungsrecht der Nation und damit die Errungenschaften der letzten Wochen und Monate.93 Was er deshalb vorschlägt, ist eine komplette Umstrukturierung der staatlichen Ausgaben, eine Erneuerung der Steuerpolitik, die Festlegung von Mindestlöhnen, die Reduzierung von Beamtenstellen sowie Festpreise für Lebensmittel.94 Sein Plan wird jedoch abgelehnt, da er in einer Situation, die schnelle politische Entscheidungen erfordert, ohne Wirkung bleiben würde. Gleichzeitig ist den Abgeordneten bewusst, dass einschneidende Schritte unternommen werden müssen, insofern der Erhalt aller Eigentums- und Rechtstitel nicht nur den Legitimationsdiskurs der Assemblée National gefährden, sondern ihr auch die Verantwortung für das politische und soziale Ungleichgewicht aufbürden würde. Die Konsequenz wäre, dass die königlichen Truppen, die in dieser Situation allein die Ruhe im Lande zu sichern in der Lage wären, erneut zu einem entscheidenden Machtfaktor avancierten und dem König mithin eine Schiedsrichterfunktion zukäme. Am Abend des 4. August eröffnen Vicomte de Noailles, Abgeordneter des Adels der Bailliage von Nemours und jüngstes Mitglied einer Familie ohne Vermögen, sowie Duc de Aiguillon, Abgeordneter des Adels der Bailliage von Argen und einer der reichsten Grundbesitzer Frankreichs, die Diskussion.95 Beide vertreten die Auffassung, dass die aufständischen Bauern die Verantwortung für die Situation tragen, dass aber die Gründe für ihr Handeln in der Unterdrückung zu suchen sind, die sie durch die Grundherren und deren Beauftragte erleiden. Mit seiner Rede weicht Noialles vom eigentlichen Thema der Debatte, der Sicherheit von Besitztümern und Personen ab,96 um der Empörung unter den Bauern Rechnung zu tragen. Gleichzeitig drängt er auf einschneidende Reformen: er fordert den Rückkauf der Feudalrechte, die entschädigungslose Abschaffung der Frondienste und die Auflösung der noch verbliebenen Leibeigenschaften. 97 Aiguillon, der in seiner Rede den Argumenten Noailles folgt, konkretisiert dessen Forderungen und schlägt einen Rückkauf der Feudalabgaben im Verhältnis „eins zu dreißig“ vor, d.h. die Feudalabgaben sollen zu einem Betrag zurückgekauft werden, der dem Dreißigfachen des jährlich fälli92 93 94 95 96 97

Malouet, 3. August 1789, AP, 8, S. 338. Ebd. Ebd., S. 338–339. 4. August 1789, AP, 8, S. 343 ff. Target, 4. August 1789, AP, 8, S. 343. Noialles, 4. August 1789, AP, 8, S. 344.

2.7 Aufhebung der sozialen Basis der königlichen Legitimität

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gen Betrags entsprechen würde.98 Angesichts des fehlenden Schutzes der Ländereien und der existierenden Besitzverhältnisse durch den König ist ein Teil des Adels bereit, sein gesamtes Vermögen in bares Geld umzuwandeln, das, wie François Furet argumentiert, gleichzeitig das Versprechen in sich birgt, dass der universelle Charakter des neuen Eigentums jedem zugänglich ist.99 In der anschließenden Diskussion spitzt sich die Kritik am Feudalsystem, das der größte Fluch der nationalen Vergangenheit gewesen sei und die Franzosen eher gespalten als geeint habe, weiter zu. Die Brandmarkung des Feudalsystems – Marquis de Foucault-Ladinalie, Abgeordneter der Sénéchaussée von Perigord, spricht auch von der „feudalen Anarchie“100 – beinhaltet aber nicht nur die Verurteilung des Lehnsrechts oder der Ständestruktur, sondern richtet sich auch gegen die Legitimität des absolutistischen Systems, dem ein einheitlicher rechtlicher wie politischer Zustand abgesprochen wird.101 Dergleichen Argumente finden sich freilich schon zu Beginn der Einberufung der Generalstände. So argumentiert Sieyès bereits in seinem Essai sur les privilèges, dass Privilegien keinen anderen Zweck hätten, als „entweder vom Gesetz zu entpflichten oder ein Sonderrecht“102 einzuräumen. Das „Wesen der Privilegien“ besteht demnach darin, dass sie den, der sie besitzt, „außerhalb des gemeinen Rechts“103 stellen. Dies widerspreche aber dem Grundgedanken der Nation, deren Bürger vor dem Gesetz gleich sein sollen. Damit hat Sieyès sein Urteil über die Privilegien gefällt.104 Alle Privilegien sind für Sieyès „ihrer Natur nach“ ungerecht und laufen dem „höchsten Zweck jeder politischen Gesellschaft“105 zuwider. Ja, Sieyès geht in seiner politischen Rhetorik noch weiter. Alle Privilegien „laufen nämlich auf eine Entwürdigung der ganzen Bürgerschaft hinaus, und man fügt den Menschen doch wohl kein schlimmeres Unrecht zu, als wenn man sie entwürdigt. Wer wird jemals begreifen, wie man so in die Erniedrigung von fünfundzwanzig Millionen achthunderttausend Menschen einwilligen konnte, nur um zweihunderttausend auf lächerliche Weise zu ehren!“106

98

D’Aiguillon, 4. August 1789, AP, 8, S. 344. Furet, François: Die Nacht des 4. August, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 146–158. 100 Foucault, 6. August 1789, AP, 8, S. 355. 101 Die Vereinheitlichung der Eigentumstitel als rationale Grundlage des Staates war bereits eine wesentliche Forderung der Physiokraten und erschien ihnen als eine Möglichkeit, die absolutistische Monarchie zu reformieren. 102 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Essai sur les Privilèges, s. l. s. d. (1788), S. 2. 103 Ebd. 104 Ebd., S. 4–5. 105 Ebd., S. 5–6. 106 Ebd., S. 6–7. 99

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2 Die Legitimität politischen Handelns

In der Nacht vom 4. August wiederholen sich nun diese Sieyèsschen Argumentationsmuster. Die Abgeordneten, egal welchen Standes und welcher politischen Richtung, betreten nacheinander die Rednerbühne, um der „Nation“ die Sonderrechte jener Gemeinden und Körperschaften zu „opfern“, von denen sie entsandt wurden.107 Doch es gibt auch Gegenstimmen aus allen Ständen. So verweist Mounier darauf, dass durch die Abschaffung der Privilegien nicht nur seit Jahrhunderten geltendes Recht und bestehende Verträge gebrochen würden, sondern ganze Familien zerstört werden könnten, womit letztlich das Fundament der Gesellschaft dem Zerfall anheim gegeben würde.108 In gleicher Weise warnt Dupont de Nemours, ebenfalls ein Abgeordneter des Dritten Standes, davor, geltendes Recht „über Nacht“ für ungültig zu erklären: „Eine universelle Unordnung erstreckt sich über den Staat [. . .]; keine politische Gemeinschaft kann einen einzigen Augenblick ohne Gesetze und Institutionen existieren, die die Freiheit und die persönliche Sicherheit des Einzelnen gewähren sowie das Eigentum schützen. Ich bestehe auf der Notwendigkeit, die bestehenden Gesetze zu bewahren und nicht aufzugeben, wie unvollkommen sie auch sein mögen, da nur sie die allgemeine Ordnung aufrechterhalten.“ 109 Anderen wird wiederum bewusst, dass mit der Aufgabe der Privilegien und, damit einhergehend, der Zerstörung der Stände die alte Vorstellung des im Sommer heiß umstrittenen imperativen Mandats, unwiderruflich ihre Gültigkeit verliert.110 Insofern verweisen sie darauf, dass alle folgenden Beschlüsse ihrem Mandat und damit ihrem Stimmrecht widersprechen.111 Dagegen appellieren andere Abgeordnete immer wieder an den Grundsatz der Gleichheit: „Alles, was ungerecht ist, darf keinen Bestand haben. Jede Wiedereinführung des Unrechts muss verhindert werden“. Dazu habe sich die Versammlung durchzuringen. „Alle feudalen Dienstverpflichtungen“ müssten abgeschafft und „alle Rechte, die sie beinhalten, in gleicher Weise aufgehoben“ werden.112 Unter dem Beifall aller Abgeordneten wird schließlich die über Jahrhunderte hinweg geformte Rechts- und Gesellschaftsordnung des Ancien Régime, die sich aus einer auf Privilegien gestützten Hierarchie der Stände, Körperschaften und Gemeinwesen zusammensetzte, zugunsten einer egalitären Bürgergemeinschaft aufgehoben. „Die Assemblée Nationale zerstört vollständig das feudale System; sie erklärt, dass alle sozialen und persönlichen feudalen Rechte und 107 108 109 110 111 112

4. August 1789, AP, 8, S. 343 ff. Mounier, 6. August 1789, AP, 8, S. 355–356. Dupont de Nemours, 4. August 1789, AP, 8, S. 344. 4. August 1789, AP, 8, S. 339 ff. 6. August 1789, AP, 8, S. 355. 4. August 1789, AP, 8, S. 349.

2.7 Aufhebung der sozialen Basis der königlichen Legitimität

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Pflichten abgeschafft sind. Alle anderen werden für rückkäuflich erklärt. Der Preis sowie die Rahmenbedingungen des Rückkaufs werden von der Assemblée Nationale festgelegt. Bis zum Rückkauf bleiben die alten Ansprüche erhalten.“113 Alle mit dem Feudalsystem verbundenen Vorrechte und Vergünstigungen, die Pfründe der Kirchen ebenso wie die exklusiven Jagdrechte des Adels, der Kirchenzehnt genauso wie die Käuflichkeit von Ämtern, werden damit mit einem Schlag für ungültig erklärt und ein für alle verbindlicher Eigentumstitel sowie der allgemeine Zugang zu allen Ämtern eingeführt. Die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, nach Sieyès das Wesensmerkmal der Nation, ist damit, buchstäblich über Nacht, Realität.114 Als Lally-Tollendal am 5. August um zwei Uhr morgens den Namen des Königs nennt, sind bereits alle Strukturen und Privilegien der alten Gesellschaft, die ihre Legitimität aus seiner Verfügungsgewalt bezogen, formal abgeschafft. Lally-Tollendal schlägt daher vor, Ludwig XVI. den Titel „Restaurateur de la liberté française“115 zu verleihen, d.h. seine Zustimmung zu den Beschlüssen der Assemblée wird auf der einen Seite eingefordert, auf der anderen Seite aber einfach vorausgesetzt.116 In seiner Rede beschwört Lally-Tollendal die „Einheit aller Stände, aller Provinzen und aller Bürger“ und betont damit neben der Zulassung aller Bürger zu allen Ämtern und der Gleichheit der Individuen vor dem Gesetz als Grundvoraussetzungen für den Zusammenschluss der Individuen zu einer Nation vor allem die politische und territoriale Einheit Frankreichs.117 Die wirkliche Arbeit der Abgeordneten setzt aber erst am nächsten Tag, dem 5. August, ein, als man beginnt, die Dekrete, die in der Nacht zuvor verabschiedet wurden, in eine rechtlich einwandfreie Form zu bringen.118 Dabei fällt auf, wie François Furet gezeigt hat, dass das Interesse der Gesetzgebung noch nicht die traditionelle Organisation des Handels und der Gewerbe berührt, deren Strukturen zunächst unangetastet bleiben.119 Der Abschlusstext, der in der Sitzung vom 11. August verabschiedet wird, unterstreicht noch einmal die vollständige Zerstörung des Feudalsystems. Daraufhin folgen detaillierte Angaben, die zum Teil schon am 4. August beschlossen worden waren. Hierzu zählt die

113

Le Président, 6. August 1789, AP, 8, S. 356. Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers État? s. l. s. d. [1789]; Sieyès, Emmanuel-Joseph, Essai sur les Privilèges, s. l. s. d. [1788]. 115 Lally-Tollendal, 4./5. August 1789, AP, 8, S. 350. 116 4./5. August, AP, 8, S. 350. 117 Lally-Tollendal, 4./5. August 1789, AP, 8, S. 350. 118 Wie delikat die Debatten im Einzelnen sind, lässt sich insbesondere am Beispiel der Kirchengüter deutlich verfolgen. 11. August, AP, 8, S. 395 ff. 119 So werden etwa die Zünfte erst 1791 abgeschafft. 114

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2 Die Legitimität politischen Handelns

entschädigungslose Abschaffung jener Rechtstitel, die die kostenlosen Dienste der Bauern betreffen, während alle anderen als rückkaufbar eingestuft werden (Art. 1–6). Der Artikel 7 des Erlasses vom 11. August schafft die Ämterkäuflichkeit vollständig ab und bestätigt die Unentgeltlichkeit der Rechtsprechung.120 Damit besiegelt die Nationalversammlung gleichzeitig das Ende der Parlamente, die in ihrem Kampf gegen die Krone die Einberufung der Generalstände und damit die Schaffung der Assemblée Nationale erst möglich gemacht haben. Mit den Ständen werden auch die Sonderrechte abgeschafft, über die sie verfügen. An die Stelle der Freiheiten, die die Untertanen des Königs besaßen, treten die Freiheiten eines jeden Bürgers. Artikel 9 verbietet für alle Zeiten finanzielle Privilegien in Form von personen- oder sachgebundenen „Subsidien“ und führt eine einheitliche Steuerpflicht ein.121 Artikel 10 beseitigt alle Arten von Gebührenbefreiungen oder Privilegien, die die verschiedenen Gebietskörperschaften genossen. Es gibt nunmehr nur noch ein allgemeines Recht, das ohne Unterschied für alle Franzosen gilt.122 Artikel 11 garantiert den gleichen Zugang aller Bürger ohne Unterschied der Geburt zu allen Ämtern und zu allen kirchlichen, zivilen und militärischen Würden – und „bei keinem nützlichen Beruf wird es eine Ausnahme von dieser Bestimmung geben“123. Doch auch wenn die Artikel die vollständige Beseitigung der alten Verwaltungs- und Rechtsstrukturen beinhalten, so stellen sie doch noch den Versuch dar, die Person des Königs und das Königtum von der Abschaffung des Feudalsystems zu trennen. In weiter Voraussicht plädiert Clermont-Tonnerre aus dem Lager der Monarchisten bereits am 7. August dafür, dass „alle Maßnahmen mit den Freiheiten des Königs und dem Respekt gegenüber seiner Majestät kompatibel sein müssen“124. Dagegen wendet sich jedoch noch am gleichen Tag Mirabeau, der als Verfechter gleicher Rechte für alle auftritt und fordert, die Vorrechte des Königs in „ganz normale Eigentumsrechte“ umzuwandeln: „Ich verstehe nicht, wie man der Assemblée vorschlagen kann, [alle Privilegien zu beseitigen, S. K.], und dann zu entscheiden, dass der König, der Bürge und Verteidiger aller Eigentumsrechte, eine Ausnahmeposition im Gesetz zum Schutz des Eigentums einnehmen soll. Ich begreife nicht, wie die ehrwürdigen Delegierten der Nation das Gesetz der Gleichheit aufgeben können. Ich erkenne nicht, wie sie Eigentümer zu seinen Gunsten vergeben können, die nicht einmal ihnen gehören.“125 120 121 122 123 124 125

11. August 1789, AP, 8, S. 397. Ebd., S. 398. Ebd. Ebd. Clermont-Tonnerre, 7. August 1789, AP, 8, S. 359. Mirabeau, 7. August 1789, AP, 8, S. 359.

2.7 Aufhebung der sozialen Basis der königlichen Legitimität

71

Im Gesetzestext schlägt sich diese Debatte jedoch nicht nieder. Artikel 15 wirbt lediglich um die aktive Unterstützung des Königs bei der Umsetzung der Gesetzesvorhaben: „die Versammlung wird sich Bericht erstatten lassen über die von Ludwig XVI. bewilligten Pensionen, Gnadenbeweise und Besoldungen“126. Auf der einen Seite „kündigt“ die Versammlung damit die vom Ancien Régime willkürlich gewährten Gunstbeweise und insbesondere die gegenüber dem Hof bewilligten Vergünstigungen, wobei die Person des Königs keine besondere Erwähnung findet. Das vom König gesetzte und durch die Tradition verbürgte Recht wird dadurch jedoch vollkommen außer Kraft gesetzt. Nicht nur, dass damit die vom König einmal getroffenen rechtsverbindlichen Verfügungen aufgehoben werden, es wird auch die gesamte durch ihn verbürgte rechtliche Ordnung des Staates, die allein durch die Legitimität seiner souveränen Macht gestützt wurde, zerstört. Auf der anderen Seite „wirbt“ die Assemblée Nationale weiterhin um die aktive Unterstützung des Königs. Doch weder Ludwig XVI. noch seine Umgebung billigen die Entscheidungen, die zwischen dem 4. und 11. August verabschiedet werden. Bis zum Herbst 1789 verweigert Ludwig XVI. jede Zustimmung. Als er im Oktober schließlich die Gesetze anerkennt, unterschreibt er die Löslosung der sozialen Ordnung von seiner königlichen Souveränität.127 Damit ist der Legitimation monarchischer Herrschaft nicht nur der theoretische Begründungszusammenhang abgesprochen, sondern auch die soziale Basis entzogen worden.

126

11. August 1789, AP, 8, S. 398. Furet, François: Die Nacht des 4. August, in: Furet, François/Ozouf, Mona, Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 146–158. 127

3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit 3.1 Der König als öffentliche Person Auch wenn der Begriff der Öffentlichkeit erst Ende des 18. Jahrhunderts zum politischen Kampfbegriff wird, wie Ludwig Hölscher argumentiert,1 so existiert doch bereits im Frankreich des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts ein ausgeprägtes Verständnis des damit bezeichneten Phänomens. Es bezieht sich zum einen auf den Staat und einen politisch-moralischen Herrschaftsanspruch des Königs, zum anderen auf die institutionelle und personelle Sphäre, wie sie sich zunehmend um die Figur des Königs herum entfaltet. Wesentliches Merkmal dieses frühen Öffentlichkeitsverständnisses ist, dass der öffentliche Raum als ein einheitlicher verstanden wird. Er ist untrennbar gebunden an die unteilbare Souveränität des Königs. „Wenn der König geurteilt hat, dann gibt es kein anderes Urteil“2, schreibt Bossuet in seiner Rechtfertigungsschrift der absoluten Monarchie. Der König, als die öffentliche Person schlechthin, bestimmt nicht nur, welche Themen öffentliche Themen sind, er diktiert auch, wer darüber spricht: „Allein der König hält das legitime Sprachrecht inne, und ihm allein kommt das Recht zu, andere zur Mitsprache aufzufordern.“3 Umgekehrt dehnt sich der öffentliche Raum in diesem frühen Öffentlichkeitsverständnis auf alle Bereiche der königlichen Machtentfaltung aus. Er bezieht sich in gleicher Weise auf den Ausbau des Heeres und der Verwaltung wie auf das Zeremoniell des Hofes und die auf den König personal zugeschnittene Repräsentation staatlicher Ordnung.4 Freilich fungiert auch hier der König als alleiniger Garant aller staatlichen Institutionen. „Der König gilt aufgrund seiner Stellung als Vater des Volkes, all seine Würde und sein natürliches Interesse besteht darin, dass das Volk Bestand hat; denn wenn das Volk fehlt, gibt es keinen König mehr. Es gibt also nichts Besseres, als alle staatliche Macht jenem zu überlassen, der das größte Interesse an seiner Erhaltung hat und die Würde des Staates selbst verkörpert.“5

1 Hölscher, Ludwig: Öffentlichkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried, Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984, S. 1131–1139. 2 Bossuet, Jacques-Benigne: Politique tirée des propres paroles de l’écriture sainte à Monseigneur le Dauphin, Paris 1709, S. 119. 3 Ebd., S. 121. 4 Ebd., S. 121 ff. 5 Ebd., S. 123.

3.2 Die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung

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Der König wacht im Verständnis der politischen Theoretiker des französischen Absolutismus über alle staatlichen Belange persönlich. Dies lässt sich auch institutionell belegen. Der König zeichnet nicht nur alle politischen Entscheidungen gegen und vergibt alle staatlichen Posten, sondern er fungiert auch als Richter und Sittenhüter und wacht über die moralischen Belange seiner Untertanen. Die lettres de chachet sind bis 1789, wie Forscher immer wieder gezeigt haben, der ebenso berüchtigte wie sinnfällige Ausdruck dieser moralisch verbrämten Allmacht.6 Der König ist mithin im Ancien Régime nicht nur die einzige öffentliche Person und somit Produzent von Öffentlichkeit, sondern auch der universale Rezipient der rein auf seine Person zugeschnittenen Öffentlichkeit. Alle Dokumente, Schriften, Briefe, seien sie rechtlicher oder privater Natur, haben, sobald sie publiziert werden, als Adressaten immer auch den König.

3.2 Die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung Verändert wird dieses frühe Öffentlichkeitsverständnis durch die verstärkte Rezeption der Vertragstheoretiker des 17. und 18. Jahrhunderts. Von entscheidender Bedeutung ist dabei der Gedanke der Volkssouveränität, den die Theoretiker des Absolutismus als Absurdität betrachtet und entsprechend verunglimpft haben.7 Die von der Vertragstheorie entwickelte Vorstellung, der zufolge der König seine Souveränität nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sonder als eingesetzter Repräsentant und Hüter des Staates genießt, bleibt jedoch nicht ohne Einfluss auf das Öffentlichkeitsverständnis des Ancien Régime.8 Etliche Publizisten konzipieren Öffentlichkeit nun in Abgrenzung zum absolutistischen Paradigma vor dem Hintergrund einer Politik im Interesse des öffentlichen Wohls. Es existiert eine allgemeine Regel, referiert Joseph Saige, Bürgermeister von Bordeaux, eine gängige politische Überzeugung, die besagt, dass alle Aufgaben und Mittel des Souveräns unter dem Gebot des Wohls des Volkes stehen.9 6 Strayer, Brian E.: Lettres de cachet and Social Control in the Ancien Régime, 1659–1789, New York 1992; Aragon, Henry: Lettres de cachet de Louis XIV au Conseil souverain de Roussillon (1662–1712), France 1925; Bernand, Marie-Paul: Histoire de l’autorité paternelle en France, Paris 1863; Chassaigne, André: Des Lettres de cachet sous l’Ancien Régime, Paris 1903; Desjardins, Albert: Les cahiers des Etats-Généraux en 1789 et la législation criminelle, Paris 1883; Funck-Brentano, Franz: Les lettres de cachet, Paris 1927. 7 Vgl. Bossuet, Jacques-Benigne: Politique tirée des propres paroles de l’écriture sainte a monseigneur le dauphin, Paris 1709, S. 127. 8 Baker, Keith Michael: Representation, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 469–492. 9 Code nationale ou manuel françois. A l’usage des trois Ordres, et principalement des députés aux prochains États-Généraux, par l’auteur du Catéchisme du Citoyen et

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Damit kündigt sich eine tiefgreifende Veränderung des Verhältnisses von Königtum und Volk an. Zwar handelt es sich nach wie vor um eine Politik „im Interesse des Volkes“ und nicht um eine, bei der das Volk seine Interessen selbst bestimmt. Doch wird das Wohl des Volkes zur neuen souveränen Richtschnur, an der sich die Gewalt des Königs ausrichten muss. „Diese Maxime muss sämtliche Handlungen des Monarchen bestimmen. Man hat ihm die souveräne Herrschaft unter diesem Gesichtpunkt anvertraut. Ihre Ausübung ist die Basis seiner Rechte und seines Gewaltmonopols.“10 Dieses gewandelte Öffentlichkeitsverständnis vermag sich in der realen politischen Praxis jedoch kaum durchzusetzen und lässt sich in der rechtlichen und institutionellen Praxis auch nicht nachweisen, denn das Zentrum der Öffentlichkeit repräsentiert weiterhin nur der König. Entsprechend wird auch die „Stimme des Volkes“ (voix du public), die nach wie vor allein der König repräsentiert, als eine singuläre begriffen. Die „Stimmen des Volkes“11 gibt es nicht. Dem entspricht lange Zeit auch, wie bereits gezeigt wurde, die Praxis der Parlamente, die ihrem Selbstverständnis nach eine einheitliche politische Meinung lediglich vorbereiten, diese jedoch nicht selbst bestimmen.12 Die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung ist nach Ansicht der politischen Autoren im Frankreich des 18. Jahrhunderts daher auch weiterhin das tragende Moment des gemeinschaftlichen Lebens.13 Die Einheit des staatlichen Willens wird selbst von den vertragstheoretischen Kritikern des Absolutismus nicht in Frage gestellt. Seinen deutlichsten Ausdruck findet diese Tendenz bei Rousseau, dessen Konzept darauf abzielt, die individuellen Bedürfnisse und Belange im Gesellschaftszustand vollständig zur Deckung zu bringen: „Jeder von uns unterstellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft der höchsten Leitung des Gemeinwillens, und als Körper nehmen wir jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen an.“14 Einheit und Staat bedingen sich wechselsei-

pour servir de suite à cet ouvrage, s. l. 1789, S. 9–10; vgl. Ozouf, Mona: „Public Opinion“ at the End of the Old Regime, in: The Rise and Fall of the French Revolution, hg. von T. C. W. Blanning, Chicago and London 1996, S. 90–110. 10 Code nationale ou manuel françois. A l’usage des trois Ordres, et principalement des députés aux prochains États-Généraux, par l’auteur du Catéchisme du Citoyen et pour servir de suite à cet ouvrage, s. l. 1789, S. 10. 11 Vgl. Henry, Charles (Hg.): Correspondance inedited de Condorcet et de Turgot (1770–1779), Paris 1883, S. 265. 12 Vgl. Baker, Keith Michael: Representation, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 469–492. 13 Saige, Joseph: Catéchisme du citoyen, ou élémens du droit public français, par demandes & reponses suivi de fragments politiques, s. l. s. d. [1788]. 14 Rousseau, Jean-Jacques: Du Contrat Social ou principes du droit politique, Amsterdam 1772, S. 23.

3.2 Die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung

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tig. Der Staat fungiert als Über-Ich, das die Heterogenität der Individuen absorbiert. „Augenblicklich bringt der Zusammenschluss anstelle der besonderen Person eines jeden Vertragschließenden einen moralischen und kollektiven Körper hervor, der [. . .] durch ebendiesen Akt seine Einheit, sein gemeinsames Ich, sein Leben und seinen Willen erhält.“15 Folgerichtig verwendet Rousseau zur „öffentlichen Kennzeichnung dieser Person, die auf diese Weise aus der Vereinigung aller anderen entsteht“, den überlieferten Begriff des „politischen Körpers“, den er wie folgt charakterisiert: „Er wird von seinen Mitgliedern Staat genannt, wenn er passiv, Souverän, wenn er aktiv ist, Macht, wenn er mit seinesgleichen verglichen wird. Die Assoziierten nehmen kollektiv den Namen Volk an, sie nennen sich als einzelne Staatsbürger, sofern sie an der souveränen Gewalt teilhaben, und Untertanen als den Gesetzen des Staates Unterworfene.“16 Die Einheit und Einheitlichkeit des politischen Körpers, wie sie neben Rousseau auch von anderen französischen Theoretikern des 18. Jahrhunderts formuliert wird, lässt die Belange der Öffentlichkeit unmittelbar mit denen des Staates und seiner Repräsentanten zusammenfließen – egal ob es sich dabei um eine Monarchie oder Republik handelt. Als Individuum wird dem Einzelnen zwar ein privater Wille zugebilligt, als politisch Handelnder ist er jedoch immer schon mit dem politischen Ganzen verbunden. „In der Tat kann jedes Individuum als Mensch einen besonderen Willen haben, der dem Gemeinwillen, den er als Staatsbürger hat, entgegengesetzt ist oder von ihm abweicht. Sein besonderes Interesse kann von ihm ganz anderes fordern als das gemeinsame Interesse; seine absolute und von Natur aus unabhängige Existenz kann ihm das, was er der gemeinsamen Sache schuldet, als entbehrlicher Beitrag erscheinen lassen, dessen Verlust für die anderen weniger schädlich ist, als ihn die Begleichung teuer ankommt. Betrachtete man die moralische Person, die den Staat ausmacht, als ein Vernunftwesen, weil sie eben nicht ein Mensch ist, käme er in den Genuss der Rechte des Staatsbürgers, ohne die Pflichten des Untertanen erfüllen zu wollen; eine Ungerechtigkeit, deren Fortschreiten den Staatskörper zerstören würde.“17 Die Konsequenz dieser Auffassung, die den politischen Willen nur als einen einheitlichen denken kann, ist, dass jede Form von öffentlicher politischer Opposition oder gar von spezifischer Interessenvertretung als unzulässig erscheint. Manifest wird diese Position in besonders klarer Form in der Auseinandersetzung der französischen Theoretiker mit dem parlamentarischen System in England, die vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wie Edouard

15 16 17

Ebd., S. 23–24. Ebd., S. 24–25. Ebd., S. 29.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Tillet gezeigt hat, intensiv geführt wird.18 In diesen publizistisch begleiteten Debatten wird die englische parlamentarische Praxis des Streits der Meinungen nicht nur als positiver Ausdruck der Diskussionsfreiheit, sondern vor allem auch als Zeichen der Instabilität und der gesellschaftlichen Zerrüttung interpretiert.19 So fehlt es denn auch nicht an Stimmen, die nicht England, wohl aber Frankreich zum Heimatland der öffentlichen Meinung (opinion public) ausrufen.20 Viele Kritiker des englischen Systems, die sich freilich nicht zuletzt auch an Montesquieus Lobesschrift der englischen Verfassungstradition, nämlich seinem Hauptwerk De l’esprit des lois, abarbeiten, beanstanden demnach die Gewaltenteilung als eine gefährliche Fiktion (fiction), die mit der politischen Realität nicht vereinbar sei.21 So wirft etwa Bonnaire Montesquieu vor, nicht „das englische Volk“, sondern vielmehr ein „Produkt seiner Einbildungskraft“ beschrieben zu haben, könne aus den verschiedenen Interessen, wie sie das Volk angeblich bestimmten, doch niemals eine einheitliche Meinung entstehen.22 Das englische Volk, so wie es bei Montesquieu dargestellt sei, nämlich als handlungsfähiger politischer Körper, kann für Bonnaire niemals wirklich Bestand haben.23 Zur Widerlegung der Thesen Montesquieus ziehen viele Autoren zudem die englische Geschichte heran, um anhand der Erfahrungen des Bürgerkrieges und der „Tausenden von Toten“ ebenfalls zu beweisen, dass „diese politische Freiheit nur in der Theorie existiert, nicht jedoch in der Praxis“24. Andere kritisieren die institutionellen Konsequenzen der Gewaltenteilung. Indem man die öffentliche Meinung von der des Königs trenne, so De Lavie, reduziere man die Person des Königs nicht nur auf ihre exekutive Funktion,25 sondern untergrabe ihre Autorität noch zusätzlich dadurch, dass man sie im Prozess der Gesetzgebung der Kritik geradezu aussetze.26 18 Tillet, Edouard: La Constitution anglaise, un modèle politique et institutionnel dans la France des Lumières, Aix-en-Provence 2001. 19 Vgl. Baranger, Danis: Parlementarisme des origines, Paris 1999; Burgess, Glenn: The Politics of the Ancient Constitution. An Introduction to the English Political Thought (1603–1642), Basingstoke u. a. 1992; Lutaud, Olivier: Des revolutions anglaises à la Révolution française, La Haye 1973. 20 Vgl. Abbé Launay, Henri Dubois de: Coup d’oeil sur le gouvernement anglais, n.l. 1786. 21 Vgl. Tillet, Edouard: La Constitution anglaise, un modèle politique et institutionnel dans la France des Lumières, Aix-en-Procenve 2001, S. 351–440. 22 Bonnaire, L’Esprit des lois quintessenciés, s. l. 1751, Bd. I, S. 327–331; Bd. II, S. 64. 23 Réal, Gaspart de: La science du gouvernement, Bd. II, s. l. s. d., S. 333. 24 Ebd., S. 371. 25 De Lavie: Des corps politiques et de leurs gouvernements, 4ème éd., Lyon 1767, Bd. III, S. 315–319. 26 Ebd., S. 323.

3.2 Die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung

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In ihrer Ablehnung des englischen Systems verklären viele Autoren die politische Situation in Frankreich zu einer Idylle. Ihre Kritik der englischen Verfassung führt sie daher nicht selten zu einer Verherrlichung der absoluten Monarchie. So erklärt etwa Jacob-Nicolas Moreau, der Gesellschaftsvertag übertrage den Königen die Autorität über ihre Völker. Er gründe eine unteilbare Souveränität, die notwendigerweise in den Händen eines einzigen Mannes liegen müsse.27 Die Herrschaft der Könige wird von Moreau dabei zunehmend paternalistisch begründet: Der Mensch sei nicht dazu bestimmt zu herrschen, sondern beherrscht zu werden. So wie in den Familien der Vater über die Kinder gebiete, so sei der König der Vater über den einzelnen Familien. Hätte er diese Rolle nicht inne, wäre sein Titel reine Konvention.28 Auf diese Weise werden in der Auseinandersetzung mit dem englischen Parlamentarismus die Argumente der Verteidiger des englischen Absolutismus, allen voran die Ableitungen Robert Folmers, neu rezipiert und aufgegriffen.29 Die Unteilbarkeit der königlichen Souveränität ist aber auch für andere, weit gemäßigtere Autoren wie Pierre-Samuel Dupont de Nemours, François Quesney, Victor Riqueti, Marquis de Mirabeau, Guillaume-François Le Trosne, PierrePaul-François-Joachim-Henri Le Mercier de La Rivière oder Nicolas Baudeau eine unhintergehbare Bedingung staatlicher Existenz.30 Ein System der Gewaltenteilung nach englischem Vorbild wird von ihnen als Form politischer Anarchie abgelehnt.31 Einzig in der absoluten Monarchie, in der die Macht des Königs durch seine Räte (les représentations de son conseil) und sein persönliches Interesse, das mit dem Staat in eins gesetzt wird (son intérêt personnel qui n’est autre que celui de l’État), bestimmt werde, sehen sie die Harmonie der öffentlichen Meinung gewahrt.32 Dieser Gedanke findet sich auch bei Jean Genet wieder, der in der Gewaltenteilung keinen Gewinn an Freiheit, sondern einen Verlust an Sicherheit sieht. Die Teilung der Souveränität, so seine Argumentation, die sich in diesem Punkt stark an jene von Thomas Hobbes anlehnt, sei schon immer der Auslöser natio27

Moreau, Jacob-Nicolas: Le moniteur françois, Avignon 1760, Bd. I, S. 126. Ebd., S. 15–16, S. 65. 29 Vor allem Filmers, Robert: Patriarcha and Other Political Works, London 1680. 30 Vgl. u. a. Baudeau, Nicolas: Exposition de la loi naturelle, Amsterdam/Paris 1767; Baudeau, Nicolas: Idées d’un citoyen presque sexagénaire, sur l’état actuel du royaume de France, comparées a celles de sa jeunesse, Paris 1787; Le Mercier de La Revière, Pierre-Paul-François-Joachim-Henri: De l’instruction publique ou considération morale et politique sur la nécessité, la nature et la source de cette instruction, Paris 1775; Le Mercier de La Revière, Pierre-Paul-François-Joachim-Henri: L’ordre naturel et essentiel des sociétés politique, Londres 1767; Mirabeau, Victor Riqueti: L’ami des hommes, ou Traité de la population, Paris s. d. [1756]. 31 Gin, Pierre-Louis-Claude: Les vrais principes du gouvernement monarchique (1777), Genève 1780, S. 158. 32 Ebd., S. 132. 28

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

naler Kriege und Katastrophen gewesen.33 Auch Pierre-Louis-Claude Gin erblickt im repräsentativen System Englands die Ursache für alle politischen Übel, da hier die Repräsentanten die wahrhaften Interessen des Volkes verfälschten. Einzig ein absoluter Monarch könne ihre Streitigkeiten kraft seiner Autorität beilegen und im Sinne des Gemeinwohls handeln.34 Wie schon das Beispiel Rousseaus gezeigt hat, wäre es verfehlt, in dem Beharren auf der Unteilbarkeit der Souveränität lediglich einen Ausdruck politischer Opportunität gegenüber dem Absolutismus sehen zu wollen. So findet der Gedanke einer starken, d.h. einheitlichen Monarchie gerade bei vielen Physiokraten Anklang, die sich auf diese Weise eine bessere Umsetzung der von ihnen verfolgten Reformen versprechen. In ihrem Namen schreibt Guillaume-François Le Trosne: „Frankreich tut gut daran, der Weisheit und dem ökonomischen Wissen seiner Regierung zu vertrauen. Es tut zudem gut daran, dem König alle notwendige Autorität zu verleihen, um eine Reform zu vollziehen, die seinen Staat auf einmal verändern wird; diese Reform scheitert heute in England an den unterschiedlichen Interessen, der Opposition der Parteien und dem fehlenden einheitlichen nationalen Interesse.“35 Gerade in dem Punkt der Einheit und Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung befinden sich die Reformer des politischen Systems in Frankreich im Einklang mit der Krone.

3.3 Der Öffentlichkeitsdiskurs der Parlamente Auch die Rhetorik der Parlamente kreist um die vermeintliche Einheit und Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung. In den Akten der Assemblée des Notables von 1767 wird die einheitliche Meinung in den Aussprachen der Stände ausdrücklich hervorgehoben. „Unsere Verhandlungen stützen sich auf die Einheit der Herzen und die Einheit der Prinzipien“, schreibt de Lamoignon,36 und de Brienne ergänzt: „Die Nation ist eins und alle Stände, alle Körperschaften und alle Assoziationen, obwohl verschieden zusammengesetzt, haben kein anderes Interesse als das der Nation.“37 Die Teilung der Gesellschaft in drei Stände entspringt nach Brienne einer alten Tradition. Die „Vielheit der Meinungen der Stände“ (pluralité des opinions des ordres) entspreche jedoch keiner realen Pluralität (pluralité réelle), sondern drücke nur den einheitlichen Willen einer Versammlung (le voeu d’une 33

Genet, Jean E.: État politique de l’Angleterre, Paris 1757–1759, V (1758), S. 256. Gin, Pierre-Louis-Claude: Les vrais principes du gouvernement monarchique (1777), Genève 1780, S. 135. 35 Le Trosne, Guillaume-François: De l’administration provinciale, Basle 1779, S. 287. 36 Discours de M. de Lamoignon, in: Discours prononcés à la dernière séance de l’Assemblée des Notables, tenue à Versailles le 25 mai 1767, n. p. 1767, S. 4. 37 Ebd., S. 11. 34

3.3 Der Öffentlichkeitsdiskurs der Parlamente

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Assemblée) aus.38 Nach dieser Argumentation ist es egal, wie viele Stände debattieren, ja es ist sogar ihre zahlenmäßige Zusammensetzung gleich, denn die drei Stände stehen jeder für sich und dann alle zusammen jeweils für einen gemeinsamen Willen. Die Forderung des dritten Standes nach einer zahlenmäßigen Gleichstellung mit den ersten beiden Ständen, wie sie schon vor der Einberufung der Generalstände im ganzen Land debattiert wird, wird von Brienne mit der Begründung zurückgewiesen, nicht das Interesse eines Standes, sondern das gemeinsame Interesse aller Stände sei von Bedeutung.39 Die Rhetorik der Parlamente darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Praxis gerade nicht auf die Stärkung der Monarchie, sondern auf ihre Einschränkung abzielt. Mit ihrem Anspruch, selbst Teil der Öffentlichkeit zu sein, insofern sie an der Konstituierung des einheitlichen Willens des Volkes mitwirken, stellen die Parlamente die Funktion des Königs als einzigem Repräsentanten des Volkes offen in Frage und damit letztlich auch dessen Souveränität, indem sie ihm die alleinige politische Entscheidungskompetenz streitig machen. Die Parlamente eröffnen damit einen folgenschweren Diskurs, der nicht nur das Wohl des Volkes als obersten Richtwert anerkennt, sondern auch die Frage nach den legitimen Repräsentanten der öffentlichen Meinung aufwirft. Der einstmals einheitliche öffentliche Raum ist damit zu einer Arena geworden, in der sich nun zumindest zwei Parteien gegenüberstehen: der König und die Parlamente.40 Dass es sich bei dieser Herausforderung der königlichen Allmacht nicht nur um eine rhetorische Provokation, sondern um eine tatsächliche Machtprobe handelt, dokumentiert das Verwaltungshandeln der Parlamente. So maßen sie sich zunehmend das Recht an, teilweise sogar mit Zustimmung des Königs, königliche Erlasse zu protokollieren, deren gesetzliche Gültigkeit zu prüfen und gegebenenfalls Einwände gegen sie zu erheben. Mitunter gelingt es den Parlamenten mit Hilfe dieses Rechts auf Remonstranz, die Eintragung missliebiger Gesetze ganz oder teilweise zu verhindern bzw. deren Umsetzungen langzeitig zu verschleppen. Sie generieren auf diese Weise eine neue Teilöffentlichkeit, als deren Publikum nicht mehr nur der König und seine Minister, sondern die Angehörigen der Parlamente selbst fungieren. Es entwickelt sich, wenn man so will, eine parlamentarische Öffentlichkeit. Beschlüsse, Diskussionen und Verfahrensregeln der Parlamente werden publik gemacht und weitergeleitet.41

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Ebd., S. 14. Ebd., S. 13. 40 Vgl. Baker, Keith Michael: Representation, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 469–492. 41 Doyle, William: The Parlements, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 157–167. 39

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Doch diese neue Teilöffentlichkeit, und diesen Punkt darf man nicht aus dem Blick verlieren, bleibt fast ausschließlich auf die Parlamente beschränkt, die neben dem König zum Adressaten ihrer Arbeit werden. Auch handelt es sich keineswegs um eine stetige oder gar permanente Form öffentlicher Auseinandersetzungen, insofern die Parlamente mit ihren Stellungnahmen und Publikationen in der Regel nur auf vorangegangene Anordnungen des Königs reagieren und somit an dessen Autorität gebunden bleiben. Durch die andauernde Finanzkrise des Königreiches und die immer häufiger und lauter diskutierte Notwendigkeit einer politischen Neuordnung des Staates gelingt es den Parlamenten jedoch, sich als konstanten Akteur in der öffentlichen Arena zu etablieren.

3.4 Das Öffentlichkeitsverständnis der Gens de Lettres Folgenreich für den Wandel des Öffentlichkeitsverständnisses ist schließlich der Diskurs, den die Literaten des Ancien Régime unterhalten. Sie verstehen ihre Werke insofern als Teil einer gebildeten Öffentlichkeit, vor deren Forum sie ihre Werke dem Urteil des Publikums unterstellen. Verbunden mit der Bereitschaft der Literaten, sich dem Urteil der allgemeinen Vernunft zu unterwerfen, ist ihr Anspruch, öffentlich moralische Urteile fällen zu dürfen. Gerade hierin sehen die Literaten denn auch ihr Vorrecht, aus dem sie die Forderung nach öffentlicher Diskussion ableiten. Um der moralischen Autorität des Publikums gerecht zu werden, schreibt Denis Diderot, bedarf es einer öffentlichen Sphäre, der Permanenz des geschriebenen Wortes. Und auch Marie Jean Antoine Nicolas de Caritat Hébert, Marquis de Condorcet unterstreicht in seinen Refléxions sur le commerce des bléds die Bedeutung der aufgeklärten Literaten bei der Herausbildung eines moralisch geschulten Auditoriums: „Sie klagen das Leid des Volkes an, ohne es jedoch zu verurteilen; sie wissen, das die Menschen gleich sind; sie wollen ihren Brüdern zeigen, wie man die wahren Werte des Menschen teilt, den Genuss und das Rechtsverständnis, die Freude an der Wahrheit und das tugendhafte Handeln. Dies sind die Wünsche der Schriftsteller.“42 Öffentlichkeit wird hier zum Forum für die sittliche und politische Erziehung der Nation, in dem sich die Herausbildung eines allgemeinen Interesses für gesellschaftliche und staatliche Angelegenheiten vollziehen soll: „Um das Volk zusammenzuschweißen, reicht es“, schreibt Condorcet weiter, „dass die öffentliche Meinung von der Freiheit [. . .] überzeugt ist, Respekt vor dem Eigentum hegt und die Öffentlichkeit der Vorteile bewusst wird, die daraus erwachsen.“43

42 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas de Caritat Hébert: Refléxions sur le commerce des bléds, London 1776, S. 131–132. 43 Ebd., S. 150.

3.4 Das Öffentlichkeitsverständnis der Gens de Lettres

81

Das veränderte Selbstverständnis der Literaten des 18. Jahrhunderts zeigt sich vor allem daran, dass sie zunehmend ihre eigene Rolle bei der Bildung einer aufgeklärten Öffentlichkeit reflektieren. „Hat ein einfacher Bürger das Recht, auch Fragen der Administration zu diskutieren“, fragt Condorcet die Aufklärer seiner Zeit, und beantwortet die selbst gestellte Frage mit folgenden Worten: „Wir sind nicht vom Gegenteil überzeugt, wie die Tyrannen, sondern haben die Ehre, solche Vorurteile zu widerlegen. Wir haben das Glück, unter einer Regierung zu leben, die die Sitten wieder beleben möchte und die Liebe zum Vaterland stärkt. Es ist vollkommen klar, dass es keine Erneuerung der Sitten in einem Land geben kann, in dem die Menschen nicht frei ihre Kräfte für nationale Projekte erheben. Es wird keine Liebe zum Vaterland entstehen, wenn die Nation nicht selbst ihre Interessen in die Hand nehmen kann. Haben die Gens de Lettres einen Anteil daran? Es ist eine Aufgabe für alle Bürger, vor allem aber für jene, die wie die Gens de Lettres in der Reflexion geübt sind und keine anderen Interessen haben, als die des Volkes.“44 Wie dieses Zitat belegt, schreiben sich die Literaten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts selbst eine Vorreiterrolle bei der sittlichen, wirtschaftlichen und auch politischen Neugestaltung der Gesellschaft zu. Ihre Zielgruppe sind dabei nicht mehr allein der König und dessen Hof, auch nicht mehr nur die Parlamente, sondern vor allem die gebildeten und finanzkräftigen Schichten des Adels und des Bürgertums. Gleichwohl resultiert auch aus ihren Bemühungen noch keine permanente öffentliche Sphäre.45 Denn die Medien, in denen sich ihr Diskurs vollzieht, erlauben keine Kontinuität. Neben Büchern sind es vornehmlich tagespolitische Traktate, Theaterstücke, wissenschaftliche Abhandlungen oder Beiträge für die Ausschreibungen der Akademien, in denen sie sich artikulieren. Zwar sind diese Medien dem Großteil der gebildeten Schichten prinzipiell zugänglich, doch schaffen sie kein geeintes Publikum, das sich seiner selbst als solches bewusst wäre und sich entsprechend verhielte oder gar organisierte. Auch ist der Adressat ihrer Schriften immer nur der einzelne aufgeklärte Mensch und eben nicht ganze soziale Gruppen. Mit anderen Worten: Der literarische Diskurs der Gens de lettres zielt nicht auf eine nationale Öffentlichkeit. Was den Literaten vor allem fehlt, ist ein offen stehender Markt für ihre Arbeiten. Die meisten leben deshalb von Sinekuren und Pensionen, nicht jedoch vom Verkauf ihrer Bücher und Schriften. Sie sind damit in ihren politischen Urteilen unmittelbar abhängig von ihren Gönnern.46 Dies gilt auch für jene, die es 44

Ebd., S. 220–221. Pellion, Maurice: Les Hommes de lettres au XVIIIe siècle, Paris 1911; Bertaut, Jules: La Vie littéraire au XVIIIe siècle, Paris 1954. 46 Darnton, Robert: The Literary Underground oft the Old Regime, Cambridge Mass./London 1982, S. 16 ff. 45

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

schaffen, zu den gehobenen gesellschaftlichen Schichten aufzusteigen. Diese Verschmelzung von Gens de Lettres und Grands, die selbst ein bevorzugtes Thema der philosophischen Schriften des Jahrhunderts ist,47 beschreibt jenen Prozess, der aus dem Schreiben einen eigenen Beruf macht, wodurch Männer von großem Talent aber mit bescheidener Herkunft einen herausgehobenen Stand erlangen konnten. Voltaire feiert ihn in seinem Artikel Gens de Lettres in der Encyclopédie, auch wenn er deutlich macht, dass es nie möglich sein werde, seine Herkunft zu verschweigen. Selbst d’Alembert nennt die Schriftstellerei einen stolzen Beruf, der freilich die Hierarchien der Gesellschaft nicht auf den Kopf stellen könne.48 Zudem kommt, dass nur wenigen ein solcher sozialer Aufstieg gelingt – und noch geringer ist die Anzahl derjenigen, die die Anerkennung als Gens de Lettres genießen können. Montesquieu, Voltaire, Buffon, Mably, Rousseau, Diderot, Condillac und d’Alembert, sie alle gehörten einer Generation an, die zwischen 1778 und 1785 aus dem öffentlichen Leben tritt und eine Lücke hinterlässt, die von den Jüngeren literarischen und philosophischen Talenten, die meist zwischen 1720 und 1740 geboren werden, nicht wieder gefüllt wird. Doch auch für die aufgeführten Literaten gilt: um ihren sozialen Aufstieg zu sichern, mussten sie einen Aufsatz im Mercure veröffentlichen, ihre Stücke auf die Bühnen der Comédie Française bringen, die Mitgliedschaft in einer Akademie anstreben, den Zugang zu einem Salon erwerben und eine Sinekure in der Bürokratie erlangen – mit anderen Worten: auch sie waren von Privileg und Protektion abhängig und konnten sich nicht auf ihr bloßes Talent verlassen. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts entsteht deshalb, wie verschiedene Forscher immer wieder herausgestrichen haben, eine zweite Gruppe von Literaten, denen trotz ihres Talentes diese Protektion nicht zuteil geworden ist: die Libelles.49 Nachdem ihnen der Lebensunterhalt als Literat und Philosoph verweigert wurde, gehen sie meist dazu über, Pamphlete und pornographische Abhandlungen zu schreiben und sich mit legalen und illegalen Mitteln und Geschäften über Wasser zu halten. Ihre Schriften sind denn auch ein Sittengemälde ihrer Zeit, das die soziale und moralische Fäulnis der Gesellschaft im Ancien Régime zum Inhalt hat, sie aber insofern nicht politisch deutet, als keine politischen Alternativen entwickelt werden. Sowohl für den Diskurs der Gens de lettres als auch für die Libelles gilt deshalb, dass ihre Arbeiten keine auf Dauer angelegten Institutionen einer aufgeklärten Öffentlichkeit zeitigen.

47

Vgl. Duclos: Considération sur les mœurs de ce siècle, s. l. 1750. D’Alembert, Jean: Essai sur la société des gens de lettres et des grands, sur la réputation, sur les Mécènes, et sur les récompenses littéraires, in: Mélanges de littérature, d’histoire et de philosophie, Amsterdam 1773, S. 367–403. 49 Darnton, Robert: The Literary Underground oft the Old Regime, Havard 1982, S. 40 ff. 48

3.5 Die Presse im Ancien Régime

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Ihrer prekären sozialen Situation und öffentlichen Stellung sind sich die Literaten des 18. Jahrhunderts deshalb auch stets bewusst. Beaumarchais, einer von ihnen, kritisiert die fehlerhafte Vorstellung, dass durch den Dialog der Schriftsteller eine einheitliche öffentliche Meinung entstehen könne. Die Öffentlichkeit ist für ihn lediglich eine „Fiktion“, nichts anderes als das moralische „Urteil einer geringen Zahl“. Was möglicherweise noch für die Literaturkritik gelte, nämlich das Abwägen rationaler Urteile, ende bei anderen Themen. Letztendlich unterliege die Literatur aber immer dem Geschmack und Gefühl der Leser, sei also keine politische Form der Auseinandersetzung.50 Die Konsequenz, die Beaumarchais und andere daraus ziehen, besteht darin, sich vornehmlich um die moralische Erziehung von Individuen und nicht um die Bildung des Volkes oder gar die Bildung eines Volkswillens zu bemühen.51 Gleichwohl stellt das Pathos der offenen Redlichkeit, das die Forderungen der Literaten nach öffentlichem Bekenntnis und Austausch der privaten Urteile und Meinungen bestimmt, die Vorstellung vom König als dem obersten Hüter der Sitten und der öffentlichen Moral in Frage. Der freie Diskurs über alle Themen des gemeinschaftlichen Lebens, den die Literaten fordern und zunehmend auch praktizieren, indem sie nicht nur über Literatur und Kunst schreiben, sondern auch über Fragen der Wirtschaft und des Handels debattieren, erweitert den Raum der täglichen Aufmerksamkeit. Das gesellschaftliche Urteil untersteht dadurch nicht mehr nur dem König; vielmehr unterliegt es der Aussprache potentiell aller interessierten Kreise. Dies setzt neue Mechanismen der Rechtfertigung und Selbstbehauptung in Gang. Nicht nur, dass sich zunehmend die reformorientierten Minister des Königs, die sich nicht selten selbst zu den Gens de lettres zählen, an die gebildete Öffentlichkeit wenden, um ihre Vorhaben zu erläutern und zu rechtfertigen. Auch die Literaten sehen sich in der Position, ihre Schriften und Pamphlete zu verteidigen und ihre gemeinnützige Relevanz aufzuzeigen. Damit schaffen sie eine Grundüberzeugung, die von der gemeinnützigen Relevanz öffentlicher Diskurse geprägt ist, auch wenn die gesellschaftliche Praxis ihr nicht entgegenkommt.

3.5 Die Presse im Ancien Régime Die Presse des Ancien Régime konzentriert sich bei der Darstellung politischer Ereignisse vor allem auf die Person des Königs, die damit in den regelmäßig erscheinenden Druckmedien gewissermaßen als einzige öffentliche Person des Königreichs fungiert. Inhalt der verschiedenen politischen Artikel der 50 Beaumarchais: Essay sur le genre dramatique sérieux, published in introduction to the first edition Eugénie, Paris 1767, in: Œuvres complètes de Beaumarchais, Paris MDCCCLXV, S. 2. 51 Ebd., S. 4.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Gazette de France, der führenden politischen Zeitschrift im Ancien Régime, die bereits 1631 gegründet wurde, sind Schilderungen des Hoflebens, der königlichen Routine oder verschiedener Hofzeremonien, die dazu dienen, die Souveränität des Königs zu unterstreichen. Hinzu kommen Berichte über die königliche Familie und die königlichen Akademien sowie Meldungen über die Siege der königlichen Armee. Geschildertes Ereignis und Bericht liegen dabei zeitlich zum Teil weit auseinander, was zum einen den technischen Möglichkeiten der Zeit geschuldet ist, zum anderen aber an dem ausschließlich passiven Interesse der breiten Leserschaft liegt. Es besteht einfach keine Notwendigkeit aktueller Berichterstattung, wenn Reaktionen von Seiten des Publikums sowieso nicht erwünscht, ja noch nicht einmal vorstellbar sind. Der Leser erfährt daher auch kaum etwas über die Art politischer Entscheidungsfindung, geschweige denn über die verschiedenen Standpunkte und ministeriellen Auseinandersetzungen.52 Die Zeitschriften, die alle unter der Zensur stehen und nur dank einer Lizenz oder anderer königlicher Privilegien publizieren dürfen, sind ausschließlich dem König verpflichtet, dessen Perspektive somit die Wahrnehmungen aller Leser von vornherein vorstrukturiert.53 Dennoch vollzieht sich, wie jüngere Forschungsarbeiten zeigen konnten, in den letzten Jahren des Ancien Régime ein bedeutsamer Wandel der Presselandschaft.54 Zusammen mit der Zahl der Zeitungen und Zeitschriften nimmt auch die Zahl der Leser stetig zu. Es entstehen Zeitschriften für den Landadel, Periodika für Hausfrauen, Offiziere und Angehörige anderer Berufsgruppen, Literatur- und Theaterzeitschriften sowie Magazine verschiedenster Interessengruppen.55 Insgesamt werden zwischen 1751 und 1788 nicht weniger als 252 neue Zeitschriften registriert.56 Unter den politischen Magazinen bekommt die Gazette de France in diesem Zeitraum Konkurrenz durch Zeitschriften wie das Journal de Bruxelles, die Wochenschrift Mercure de France und das Journal de Paris (1777), der ersten Tageszeitung. Mit dem Anwachsen der Zahl der Zeitschriften vervielfacht sich auch die Leserschaft. Die Gazette de France kann 1780, als das Interesse am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg besonders 52 Popkin, Jeremy D.: The Prerevolutionary Origins of Political Journalism, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the creation of modern political culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 206– 207. 53 Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990, S. 17. 54 Ebd.; Sgard, Jean: „La Multiplication des périodiques“, in: Histoire de l’Edition française, Roger Chartier u. a. (Hg.), Paris 1984. 55 Sgard, Jean: „La Multiplication des périodiques“, in: Histoire de l’Edition française, Roger Chartier u. a. (Hg.), Paris 1984, S. 2. 56 Sgard, Jean: „Journale und Journalisten im Zeitalter der Aufklärung“, in: Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich, hg. von Gumbrecht, Hans Ulrich/Reichardt, Rolf/Schleich, Thomas, Bd. 2, München 1981, S. 32.

3.5 Die Presse im Ancien Régime

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hoch ist, auf 12.260 Abonnenten verweisen. Aber auch Mitte der 1780er Jahre sind die Abonnentenzahlen im Vergleich zu England, wo die Zahl der Zeitschriftenexemplare niemals über 4.500 steigt, extrem hoch. So vertreibt das Journal de Bruxelles rund 20.000 Exemplare, die Gazette de France immerhin noch 7.000.57 Dennoch bleibt der politische Gehalt der Berichterstattung nach wie vor stark zensiert. So ist es verboten, über das Für und Wider von Regierungsentscheidungen zu berichten, geschweige denn politische Alternativvorschläge aufzuzeigen. Streitigkeiten unter den Ministern dürfen ebensowenig Gegenstand von Zeitschriftenbeiträgen sein wie private Hofintrigen. Auch die Auseinandersetzungen des Königs mit den Gerichtshöfen und Parlamenten, die das Land zwischen 1750 und 1774 stark erschüttern, werden kein Bestandteil der Berichterstattung. In der Gazette de France wird das Königreich als eine absolute Monarchie dargestellt, in dem alles vom Willen des Königs abhängig ist. Anders sieht es bei den ausländischen Periodika aus, die generell von einer konstitutionellen Monarchie sprechen, in der die Entscheidungen des Königs indirekt durch seine Minister gefällt werden und in der eine Anzahl von traditionellen Institutionen, allen voran die Parlamente, ein Mitspracherecht genießen.58 In ihnen findet damit das Bemühen der Parlamente, sich selbst als Akteur der Öffentlichkeit neben dem König zu positionieren, ein lebhaftes Echo. Doch auch die Inlandspresse findet Wege, dem interessierten Publikum Einblicke in die internen Mechanismen politischer Entscheidungen zu geben. Streitschriften, Karikaturen, politische Lieder und Einmalveröffentlichungen, die meist unautorisiert erscheinen, manchmal toleriert und manchmal verboten werden, beschäftigen sich mit den Hintergründen politischer Entscheidungen und Prozesse. Doch vermögen sie keinen öffentlichen Raum zu konstituieren, in dem politische Debatten kontinuierlich ausgetragen werden können. Dazu fehlt ihnen die Regelmäßigkeit fortgesetzter Argumentation. Auch gelingt es ihnen nicht, ihre kaum näher zu bestimmende Leserschaft zu einem politisierten Publikum zu formen.59 Andere Formen der politischen Berichterstattung kann indes die im Ausland gedruckte Presse entwickeln, die ihre konstante Leserschaft in den Abonnenten hat. Die in Leiden, Avignon, Köln oder London veröffentlichten Zeitungen, wie die Gazette de Leyde oder der Courrier du Bas-Rhin, ergänzen nicht nur die 57 Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990, S. 19. 58 Popkin, Jeremy D.: The Prerevolutionary Origins of Political Journalism, in: Baker, Keith Michael (Hg.): The French Revolution and the creation of modern political culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, S. 208. 59 Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990, S. 20.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Beiträge der Gazette de France, sondern stellen deren Berichterstattung häufig sogar in Frage. So berichten sie etwa immer wieder über die stetig schwelenden Auseinandersetzungen der Krone mit den Parlamenten, über den Seidenweberstreik in Lyon von 1786 oder ministerielle Auseinandersetzungen. Insofern stehen sie in dem Ruf, eine weit bessere Informationsquelle als die einheimischen Zeitungen zu sein. Dennoch liefern auch sie kein umfassendes Bild des politischen Frankreichs, dessen institutionelle Strukturen einen umfassenden Einblick in die politischen Mechanismen oftmals verwehren. Zudem sind auch sie auf die Protektion des Königs angewiesen, wenn sie den französischen Markt nicht verlieren wollen. Darüber hinaus sind sie für einen Großteil der interessierten Leser kaum erschwinglich. So kosten sie meist das Dreifache, wenn nicht gar Vierfache der Gazette de France.60 Ihre Auflage in Frankreich reicht während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges von 2.500 Exemplaren bei der Gazette de Leyde bis 4.000 Exemplaren beim Courrier d’Avignon.61 Auch wenn die Zahl der Zeitschriften sowohl im Inland als auch im Ausland Mitte des 18. Jahrhunderts stetig steigt, so ist der Markt doch begrenzt. Etwa die Hälfte der männlichen Bevölkerung kann nicht lesen, noch höher liegen die Zahlen bei den Frauen. Viele können sich zudem die regelmäßige Lektüre einer Zeitschrift nicht leisten. Zwar gibt es eine zunehmende Zahl von Leseräumen und fahrenden Bibliotheken, doch auch diese verlangen eine Nutzungsgebühr. Entsprechend stammen die meisten Leser der Zeitschriften aus den Kreisen der Aristokratie, dem gehobenen Klerus und dem Großbürgertum. Journalisten können daher davon ausgehen, dass sie für ein gebildetes Publikum schreiben, dass sowohl die antiken Klassiker als auch die gängigen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts kennt. Ihre Texte sind mit feinen Anspielungen geschmückt, deren kleine Nuancen nur von einem gebildeten Publikum überhaupt verstanden werden können, keineswegs aber dazu dienen, politische Überzeugungen zu vermitteln. Nicht Argumente, sondern Bon Mots, also diskrete Anspielungen, werden hier ausgetauscht. Insofern trägt die Presse des Ancien Régime nur begrenzt dazu bei, eine politisch interessierte Öffentlichkeit zu formen. Stattdessen praktiziert sie, wie die Aufklärer, einen Diskurs zwischen gebildeten Geistern.

60 61

Ebd., S. 22. Ebd.

3.6 Entstehen einer öffentlichen Sphäre im Vorfeld der Generalstände

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3.6 Das Entstehen einer öffentlichen Sphäre im Vorfeld der Generalstände Die bis dahin eher unterschwellig wirksamen Tendenzen und Bewegungen bei der Formierung einer nationalen Öffentlichkeit entladen sich schlagartig 1788 mit der Diskussion um die Einberufung der Generalstände. Bereits die Debatte darüber, wie sich die Generalstände zusammensetzen und auf welchem Wege ihre Deputierten bestimmt werden sollen, verändert grundlegend die herkömmliche Auffassung einer öffentlichen Sphäre. Indem sich der König an die Notablen, die Parlamente und die gebildeten Kreise mit der Frage wendet, wie eine adäquate Repräsentation des Reiches zu schaffen sei, appelliert er an ein gesellschaftliches Forum, das es zu diesem Zeitpunkt als anerkannte Realität überhaupt noch nicht gibt, das aber durch die beschriebene Entwicklung vorbereitet wurde und nun vom Monarchen gleichsam ins Leben gerufen wird.62 Die Art und Weise, wie der Appell des Königs von allen Seiten aufgegriffen wird, bestätigt diesen Befund. Dem Wandel des Öffentlichkeitsverständnisses korrespondiert eine neue (Selbst-)Wahrnehmung der Gesellschaft. War diese bisher lediglich als Adressat königlicher Repräsentation existent, konstituiert sie sich nun als Gemeinschaft partizipations- und urteilsfähiger Bürger. „Die zivile Gesellschaft“, heißt es etwa bei dem Journalisten Pierre-Louis Roederer, „ist das Resultat eines reflektierten Willens und nicht einer gebieterischen Notwendigkeit. Sie formiert sich durch die Hoffnung auf gewisse Vorteile, nicht durch die Unfähigkeit der Gewalten, für ihre Selbsterhaltung zu sorgen. Sie wird geformt, um die Vorraussetzungen der Arbeit zu vermehren und brüderlich die Früchte der Erde zu teilen. Sie setzt sich folglich aus den arbeitswilligen Menschen zusammen [. . .], die in Hinsicht auf ihre physischen Voraussetzungen gleich sind und unabhängig voneinander ihr Leben gestalten können. Sie wird zum Nutzen aller gegründet [. . .]. Unter gleichen Individuen kann die Gesellschaft nichts anderes sein als eine Übereinkunft; sie kann kein anderes Ziel haben, als die Einheit der Willen, keinen anderen Gegenstand, als die Gewissheit, die Ausübung der natürlichen Rechte des Menschen allen gleichermaßen zuzugestehen, keinen anderen Charakter, als die Reziprozität der Leistungen. Mit einem Wort, sie gleicht weder dem [hierarchisch organisierten] Staat noch dem Aufbau der Familie.“63 Freilich liegt auch dieser Vorstellung von Gesellschaft, bei der alle Individuen in gleicher Weise am Aufbau und Erhalt der Gesellschaft beteiligt sind, eine naturrechtliche Begründung zugrunde. Doch dient diese nun nicht mehr dazu, die Gesellschaft und ihre Institutionen über den Individuen anzusiedeln, sondern umgekehrt, den Staat und alle gesellschaftlichen Organisationsformen 62 63

Vgl. Roederer, Pierre-Louis: De la députation aux États-Généraux, s. l. 1788. Ebd., S. 4–5.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

in den Dienst der Individuen zu stellen. Das Versprechen des Königs, die Generalstände einzuberufen, versteht Roederer als den entscheidenden Moment, der Gesellschaft zu neuem Recht zu verhelfen. „Zum ersten Mal“, schreibt Roederer, „kann sich eine wirkliche nationale Versammlung formieren, eine freie Verfassung vorbereitet werden, die Rechte des Bürgers diskutiert, interpretiert und fixiert werden. Aus den Meinungen eines jeden kann sich eine gemeinsame öffentliche Meinung bilden, aus den privaten Interessen kann ein gemeinschaftliches Interesse entstehen. Einige Passagen des heiligen Vertrages, der alle Mitglieder der Gesellschaft vereint [. . .], können neu formuliert werden.“64 Zur Öffentlichkeit gehören diesem Verständnis nach nicht mehr nur der König oder gar nur wenige Privilegierte, sondern alle Teile der Gesellschaft, vor allem aber, wie es Sieyès in aller Deutlichkeit in seinem Traktat Qu’est-que le Tiers Etat? darlegt, alle arbeitenden Mitglieder der Gesellschaft. Das verändert das Verständnis der Gesellschaft grundsätzlich. Die Gesellschaft wird nicht mehr als eine mit einem einheitlichen Interesse betrachtet, sondern sie zeichnet sich in der nun vielfach publizierten Literatur gerade dadurch aus, dass die verschiedenen Willen und Interessen vermittelt werden müssen. „Die Vorstellungen und Überzeugungen der Menschen sind zu unterschiedlich und die Dinge zu kompliziert, als dass die Meinungen und Vorstellungen in einer gebündelt werden könnten“65, unterstreicht Roederer immer wieder. Das ist eine deutliche Absage an die tradierte Vorstellung von Öffentlichkeit, wonach die Nation nur mit einer einheitlichen Stimme sprechen kann. Das herkömmliche Argument, wonach die Individuen, sobald sie in den Gesellschaftszustand treten, nur noch als ein einheitlicher politischer Körper agieren können, womit unterstrichen wird, dass alle Individuen sich nunmehr der unteilbaren Souveränität zu beugen haben, wird damit massiv in Frage gestellt. Die Figur des Bürgers, die in der politischen Realität des Ancien Régime allenfalls als Fiktion der republikanischen und utopischen Literatur existierte, gewinnt im Zuge der veränderten sozialen und diskursiven Realität als Rollenmodell tatsächlich Plausibilität. Beispielhaft kann dies an Condorcets Traktat De la nature des pouvoirs politiques dans une nation libre gezeigt werden. So argumentiert Condorcet, dass die Vernunft, die er mit den Grundsätzen der Natur in eins setzt, von dem Einzelnen nicht mehr verlange, als seine Handlungen den gemeinschaftlich bestimmten Regeln unterzuordnen.66 Freilich bedeutet dies für Condorcet, im Einklang mit Rousseau, ausschließlich die Unterordnung unter das gemeinsam erhobene Gesetz und nicht die Unterwerfung unter einen Herrscher. Als Bürger soll der Einzelne nicht nach seiner Meinung (non d’après 64

Ebd., S. 10. Ebd., S. 13. 66 Œuvres de Condorcet publiées par A. Condorcet O’Connor et M. F. Arago, Bd. 10, Paris 1847, S. 589–590. 65

3.6 Entstehen einer öffentlichen Sphäre im Vorfeld der Generalstände

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son opinion), sondern nach seinem Willen (d’après sa volonté), der in das Recht, in die gemeinschaftlich erhobenen Regeln mit eingeflossen ist, handeln.67 Die Vernunft des Einzelnen gebietet ihm, sich dem Willen der Mehrheit (le voeu de la majorité), die für Condorcet das Recht (règles générales/législatif) ausmacht, unterzuordnen.68 Doch was geschieht, wenn die Ausführung des Gesetzes den Leidenschaften (passions) und Interessen (intérêts) seiner Bürger widerspricht? Auch dann, so Condorcet, befiehlt die Vernunft des Bürgers, sich dem Gesetz zu beugen. Nicht umsonst führt er das Beispiel Sokrates an, der sich, als er mit dem Gesetz in Konflikt gerät, diesem dennoch beugt und seine Verurteilung annimmt. Doch, so ergänzt Condorcet sofort, da man nicht annehmen könne, dass sich jeder freiwillig dem Gesetz unterordnet, bedürfe es einer Exekutive, die dem Rechnung trage.69 Damit die große Mehrheit des Volkes jedoch freiwillig und aufgrund eigener Einsicht von der Herrschaft des Gesetzes überzeugt ist, müssen, Condorcet zufolge, zwei Voraussetzungen geschaffen werden und zwei Bedingungen erfüllt sein, wie das Bespiel des Sokrates ebenfalls belege:70 Erstens müssen die Bürger die Gesetze als „ihr eigenes Werk“ (leur propre ouvrage) betrachten können und zweitens müssen die Gesetze die Gleichheit aller vor dem Gesetz (l’amour de l’égalité) garantieren.71 Das heißt, die Bürger müssen in den Prozess der Gesetzgebung miteinbezogen werden und sie müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, ihre Rechte in gleicher Weise einzuklagen. Dazu bedarf es nach Condorcet einer öffentlichen Sphäre. Da nicht alle Bürger am Prozess der Gesetzgebung beteiligt sein können, müssen sie über ihn informiert und durch die Medien an ihm beteiligt werden. „Die freie Presse“, zitiert er Voltaire, „ist heute die öffentliche Bühne der modernen Nationen.“72 Für die Diskussion um die Einberufung der Generalstände bedeutet dies: Sind die Generalstände das Repräsentativorgan des französischen Volkes, so verlangt ihre Einberufung eine möglichst breite Öffentlichkeit, damit die Deputierten des Volkes zu Vollstreckern des Volkswillens werden können. Condorcet fordert damit nicht nur die öffentliche Diskussion der anstehenden Reformvorhaben, um so die Deputierten mit entsprechenden Richtlinien (cahiers de doléance) ausstatten zu können, sondern auch eine freie Presse, die über den Prozess der Gesetzgebung berichten und darüber hinaus auch die Bürger stärker in die politischen Prozesse mit einbeziehen soll.

67 68 69 70 71 72

Ebd., Ebd. Ebd., Ebd., Ebd. Ebd.,

S. 591. S. 597. S. 602. S. 606.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Die Forderungen von Condorcet bringen zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung keineswegs mehr nur theoretische Überlegungen zum Ausdruck, sondern spiegeln sich bereits vollziehende Prozesse wider. Mit den Diskussionen, die sich an der Einberufung der Generalstände, den anstehenden nationalen Projekten oder der Wahl der Deputierten entzünden, entsteht tatsächlich innerhalb weniger Monate ein öffentlicher Raum, der durch die unterschiedlichsten Schichten und politischen Ansichten geprägt wird. Es kommt zu einer Flut politischer Schriften, die alle mehr oder weniger die anstehenden politischen Aufgaben und Reformen thematisieren. Jeremy D. Popkin erwähnt 767 Pamphlete, die zwischen dem 8. Mai und dem 25. September 1788, also auf dem Höhepunkt der Diskussion um die Einberufung der Generalstände, erscheinen. Hinzu kommen zwischen dem 25. September und dem 31. Dezember weitere 752 Titel. In den ersten vier Monaten des Jahres 1789 wächst ihre Zahl gar auf 2639.73 Darunter fallen auch solche Schriften, die, wie Sieyès’s Qu’est-ce que le Tiers Etat?, in mehreren Auflagen erscheinen.74 In dieser vorrevolutionären Phase wird die traditionelle politische Streitschrift mithin zum Massenmedium. Nichtsdestotrotz bleibt das Pamphlet eine irreguläre und singuläre publizistische Form, die, wie frühere Entwicklungen immer wieder gezeigt haben, in Zeiten der politischen Krise auftaucht und mit ihr verschwindet. Entscheidender als das Anschwellen der Traktatliteratur sind deshalb die Entwicklungen auf dem Zeitschriftenmarkt. Zwar wird Ende Juli zunächst die Gazette de Leyde, die meist gelesene ausländische Zeitschrift, aufgrund ihrer offenen Stellungnahme zugunsten der Parlamente verboten.75 Doch vermag dieser Akt absolutistischer Politik nicht darüber hinweg zu täuschen, dass mit der Einberufung der Generalstände ein Bedarf an politischen Informationen geweckt wurde, dem mit den bisherigen Mitteln staatlicher Reglementierung nicht mehr beizukommen ist. Selbst in königlichen Kreisen wird daher über die Freiheiten der Presse debattiert. Die in diesem Zusammenhang gewährten Erleichterungen und Vergünstigungen schlagen dabei zunächst noch zugunsten des Hofes zu Buche. „Vergessen wir niemals“, heißt es in einer Streitschrift von 1789, „dass Ludwig XVI. der erste war, der die Pressefreiheit forderte. Dieser noble Wille ist eine seiner großzügigsten Handlungen gewesen.“76 73 Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990, S. 25–26. 74 Popkin geht daher insgesamt von zehntausend Exemplaren aus, die im Mai 1789 in ganz Frankreich zirkulieren. Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990, S. 26. 75 Ebd. 76 La Liberté de la Presse. Et celle de vendre & délirer les ouvrages imprimés, concernant des affaires présentes, essentiellement unies à la Liberté Nationale, s. l., s. d. (1789), S. 7.

3.7 Rolle der Presse bei Bildung einer nationalen Öffentlichkeit

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Mit der Debatte um die Einberufung der Generalstände konstituiert sich also eine neue politische Öffentlichkeit. Doch bleibt diese neue Form der Öffentlichkeit insofern problematisch und instabil, als sie ausschließlich auf dem Ereignis der Einberufung beruht und vorläufig auch nur aus diesem ihre Legitimation schöpft. Die politische Öffentlichkeit, wie sie von den zahlreichen Autoren im Umfeld der Generalstände gleichermaßen gefordert wie geschaffen wird, bleibt somit vorerst ein prekäres Novum. Dies kommt auch in den Forderungen der cahiers de doléance zum Ausdruck, die den Abgeordneten auf ihrem Weg nach Paris mitgegeben werden. Zwar verlangen diese unverblümt die Pressefreiheit. Vor allem die Cahiers des Adels und des Dritten Standes stimmen in dieser Forderung überein.77 Doch was hier unter Pressefreiheit verstanden wird, bleibt weit hinter einem modernen Verständnis freier Information zurück. Ihre Forderungen beziehen sich ausschließlich auf die freie Kommunikation innerhalb der Generalstände. Was ihnen fehlt, ist ein generelles Verständnis für eine nationale Öffentlichkeit und deren Bedürfnisse.

3.7 Die Rolle der Presse bei der Bildung einer nationalen Öffentlichkeit Als die Generalstände im Mai 1789 zu tagen beginnen, verstetigt sich jedoch die bisherige Entwicklung. Es erscheinen die ersten beiden unautorisierten politischen Zeitschriften: Jacques-Pierre Brissot de Warvilles Patriote françois und Honoré- Gabriel Riqueti, comte de Mirabeau’s Etats-Généraux. Sowohl JacquesPierre Brissot de Warville, der jahrelang seinen Lebensunterhalt mit literarischen und politischen Artikeln für den Courrier de l’Europe verdiente, als auch Honoré-Gabriel Riquetti, comte de Mirabeau, hatten zuvor verschiedene Streitschriften veröffentlicht. Beide sind mit dem Pressewesen vertraut und beide haben eine klare Vorstellung davon, welche Rolle die Presse im Zuge des durch die Generalstände eröffneten politischen Prozesses zukünftig spielen soll. Sollte den Generalständen ein Teil der Legislative zukommen, so Brissot, brauche es eine freie Presse, die die politischen Debatten einem breiten Publikum zugänglich machen könne, umso aus den Beschlüssen wahre Bekundungen des Volkswillens werden zu lassen. Es müsse der Presse gestattet werden, Tag für Tag die Debatten der Generalstände zu verfolgen und darüber zu berichten.78 In der Presse sieht Brissot „das große, einzigartige Mittel der Kommunikation zwi-

77

AP, 2–7. Brissot de Warville, Jacques-Pierre: Mémoire aux États-Généraux. Sur la nécessité de rendre, en ce moment la presse libre, et surtout pour les journaux politiques, s. l. juin 1789, S. 50–51. 78

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

schen den Delegierten des Volkes und dem Volk selbst“79. Mit Hilfe der Presse könnten die Delegierten augenblicklich die einzelnen Schritte ihrer Arbeit ihren Wählern vermitteln, worauf diese wiederum die Möglichkeit hätten, mit Hilfe der Presse zu reagieren, so dass ein einheitlicher Volkswille entstehe, bei dem auch die Meinung des Einzelnen gleichwohl Beachtung finde.80 Die Presse dient hier sowohl als Vermittler verschiedener politischer Überzeugungen als auch als Forum der politischen Partizipation seiner Leser. Brissot ist fest davon überzeugt, dass die Presse das einzige Instrument ist, um aus einem politisch ungeübten Volk eine aktive Gemeinschaft (peuple actif, pénétrant, plein d’énergie) zu schmieden.81 Nur durch sie könne aus der Vielzahl der politischen Überzeugungen ein allgemeiner Wille entstehen. Denn nur durch das Medium der Presse könnten die einzelnen politischen Argumente, die sonst im Tumult der Debatten der Assemblée Nationale untergingen oder falsch verstanden würden, detailliert betrachtet und in Ruhe von allen im gleichen Augenblick reflektiert und debattiert werden.82 Die freie Presse ist für ihn mithin das wichtigste Organ deliberativer Politik: „sie spricht zu allen Bürgern und alle haben ein Recht, unterrichtet zu werden“83. Doch obwohl sowohl Brissot als auch Mirabeau die freie Presse als das wichtigste Organ für den freien Meinungsaustausch der Bürger halten, ignorieren sie in gleicher Weise, dass eine freie Presse noch in keiner Weise einen gleichen Informationszugang für alle Bürger bedeutet, von denen ein Großteil weder lesen noch sich eine Zeitschrift leisten kann. Diejenigen, die zunächst hauptsächlich von der neuen Freiheit der Presse profitieren, sind daher die Abgeordneten der Assemblée Nationale, die nicht nur als Produzenten, sondern auch als Konsumenten der Tageszeitungen die Themen der Presse bestimmen. Das ist auch Brissot bewusst, der die Pressefreiheit als das eigenste Interesse der Generalstände begreift und entsprechend argumentiert: Wenn die Abgeordneten ihrer Rolle gerecht werden wollen, wenn sie diejenigen sein wollen, die eine neue Verfassung ausarbeiten, dann müssten sie als erstes die Bedingungen schaffen, die es ihnen ermöglichen, miteinander in einen freien Meinungsaustausch zu treten. Ihr Forum könne sich dann aber nicht mehr nur auf die Versammlung der Abgeordneten beschränken, sondern müsse auch vor allem die Presse als täglichen Berichterstatter der Debatten in der Assemblée Nationale und als Spiegel der sonst vereinzelt publizierten Redebeiträge und Streitschriften berücksichtigen.84 Hier wird eine Besonderheit von Öf79 80 81 82 83 84

Ebd., Ebd. Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 8. S. S. S. S.

9. 10. 9. 21.

3.7 Rolle der Presse bei Bildung einer nationalen Öffentlichkeit

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fentlichkeit besonders deutlich. Zur Öffentlichkeit gehören gleichmaßen die Produzenten wie Rezipienten politischer Themen, die sich in einem liberalen Politikverständnis zudem decken. Dessen ist sich Brissot insofern bewusst, als sich sein Verständnis von Öffentlichkeit zunächst nur auf die Abgeordneten der Gerneralstände bzw. der Nationalversammlung beschränkt, eine prinzipielle Ausweitung auf alle Bevölkerungsteile aber einfordert. Interessant ist deshalb die Kritik, die Brissot an der nach wie vor als unzureichend empfundenen Publikationspolitik des Hofes übt. So kritisiert er, dass der König 10.000 anonyme Streitschriften zulasse, eine freie Presse aber verbiete, obwohl diese, patriotisch gestimmt, nicht nur die verschiedensten politischen Standpunkte, sondern auch die unterschiedlichen Provinzen des Landes, vertreten durch ihre Abgeordneten, verbinden und so im wahrsten Sinne ein politisch wie geographisch geeintes Volk schaffen könne.85 „Will man behaupten, dass die Schriftsteller ihre Einsichten nur durch Bücher und Pamphlete kommunizieren könnten? Aber wer soll denn diese Bücher und Schriften lesen? Doch nicht etwa die Abgeordneten, die von ihrer Arbeit in den Kommissionen und den ermüdenden Debatten der Assemblée erdrückt werden? Diese lesen nämlich keine Bücher; sondern sie lesen die Tagespresse!“86 Eine Beschränkung der öffentlichen Debatte auf die Produkte des Buchmarktes ist aus dieser Perspektive eine massive Beschneidung der Kommunikationsmöglichkeiten und damit des öffentlichen Raumes. Einzig eine entfaltete Presselandschaft könne den Bedürfnissen deliberativer Politik genügen. Wie viele andere fordert Brissot daher ein vorläufiges Gesetz der Pressefreiheit (une loi provisoire sur la liberté de la Presse), welches dann durch die Generalstände Eingang in die neu auszuarbeitende Verfassung finden soll.87 Denn, so Brissot, „wie sonst sollte eine Versammlung von mehreren hundert Personen arbeiten können?“88 Auch wenn Brissot seine konkreten Forderungen immer wieder an die parlamentarische Öffentlichkeit der Generalstände bindet, die für ihn ja auch im Frühsommer 1789 das Verständnis von Öffentlichkeit zunächst ausmacht, so besteht doch kein Zweifel daran, dass sie über die gegenwärtige Situation hinaus zielen und ein grundsätzlich und dauerhaft geändertes Verhältnis zwischen politischen Akteuren und bürgerlicher Öffentlichkeit anstreben. Denn die Forderung nach einer rechtlichen, ja verfassungsrechtlichen Absicherung des öffentlichen Raumes und damit das Verlangen nach einer Entkopplung der Öffentlichkeit von den Verfügungen des Königs, offenbaren bereits ein völlig neu entstande-

85 86 87 88

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

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33. 66. 60. 53–54.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

nes Verständnis von Öffentlichkeit, das sich auch in den politischen Entscheidungen des Sommers 1789 niederschlägt. So trägt der Dritte Stand bereits im Mai 1789 an die beiden anderen Stände den Antrag heran, alle Tageszeitungen und Periodika zuzulassen, die über die Debatten der Assemblée berichten.89 Im Zuge dieses Antrags entflammt eine breite Diskussion über die Vor- und Nachteile der Pressefreiheit, in der sich auch der Bedeutungswandel des Souveränitätsbegriffs manifestiert: „Kein Franzose darf sich mehr gegen die Pressefreiheit wenden“, heißt es bei JacquesJean-Louis-Guillaume Besongne. Denn sie alleine könne „die nationale Freiheit garantieren, da sie unteilbar mit den Rechten der Nation, der Souveränität und der Individuen verbunden sei“90. In diesem Moment, in dem die Nation alle Wünsche, Ratschläge und Hinweise besonders nötig habe, dürfe nichts und niemand die freie Zirkulation und Kommunikation der Gedanken und Ideen aufhalten. „Dies ist das Recht und das Interesse aller.“91 Bei Besongne geht das Verständnis von nationaler Öffentlichkeit damit weit über das der Assemblée Nationale hinaus. Die Pressefreiheit wird explizit als ein Recht der Nation begriffen, das mehr beinhaltet, als nur das Recht auf freie Meinungsäußerung der Individuen. Die Presse richtet sich an alle Bürger als Glieder des nationalen Publikums. Die Öffentlichkeit, die so entsteht, ist nicht einfach politisch oder gar mit dem Staat und seinen Organen gleich zu setzen, sondern bezieht sich vornehmlich auf das, was alle Bürger angeht: die gemeinsamen Verhältnisse, Rechte und Pflichten, Bedürfnisse und Interessen des Volkes im Sinne einer handlungsfähigen Gesellschaft. Als Öffentlichkeit gilt das wachsame gemeinsame Bewusstsein, Gewissen und Wollen der Bürger, das sich mittels der freien Presse nicht nur unabhängig von den staatlichen Institutionen artikuliert, sondern sich sogar zu deren Kontrollorgan aufschwingt. Die ungehinderte Freiheit der Presse wird als notwendig erachtet, damit sich die aktuellen politischen Ansichten positionieren und konsolidieren können. Nur so, schreibt Besongne, werde aus „Frankreich eine große, glücklich vereinte Familie mit der Assemblée Nationale als ihrem Zentrum“92. Obwohl der freie Meinungsaustausch und die freie Zirkulation von Druckartikeln, d.h. die Meinungs- und Pressefreiheit nunmehr von einem Großteil der Autoren als Schlagworte in die Diskussion gebracht und als eigenste Rechte der Nation verstanden und verteidigt werden,93 nimmt die Entwicklung auf dem Zeitschriftenmarkt zunächst andere Wege. Die beiden Zeitschriften, der Patriote 89

Ebd., S. 75–76. Besongne, Jacques-Jean-Louis-Guillaume: La liberté de la Presse, et celle de vendre & délirer les ouvrages imprimés, concernant les affaires présentes, essentiellement unies à la Liberté Nationale, s. l. s. d. (1789), S. 7–8. 91 Ebd., S. 13. 92 Ebd. 90

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françois und die Etats-Généraux, werden sofort nach Erscheinen ihrer ersten Nummer verboten. Brissot stellt daraufhin die Auflage ein und beginnt mit der Publikation erst wieder nach dem 14. Juli 1789. Mirabeau indes reagiert anders: Die Behörden könnten zwar seine Zeitschrift verbieten, so seine Argumentation, sie könnten ihm jedoch nicht untersagen, als Abgeordneter mit seinen Wählern zu kommunizieren. Als gewählter Abgeordneter eines bestimmten Wahldistriktes habe er das Recht und die Pflicht, über sein Tun in der Assemblée Nationale Rechenschaft abzugeben. Als Abgeordneter der Nation habe er darüber hinaus die Verpfichtung, sich an ein nationales Publikum zu wenden. Kurzerhand nennt er die Etats-Généraux in Lettres du Comte de Mirabeau à ses commettans um und veröffentlich die nächste Ausgabe. Andere Abgeordnete folgen ihm, wenn auch die wenigsten wie er den Anspruch haben, tatsächlich für ein nationales Publikum zu schreiben.94 Da schnell klar ist, dass diese Form politischer Berichterstattung kaum zu unterbinden ist, veröffentlicht die Regierung am 19. Mai 1789 ein Dekret, dass zwar nicht die Pressefreiheit gewährt, wohl aber alle Formen der politischen Berichterstattung über die Generalstände für zulässig erklärt.95 Die von Necker stammende offizielle Begründung der Maßnahme weist dabei bemerkenswerte Parallelen sowohl zur Verteidigung der Pressefreiheit bei Brissot als auch bei Mirabeau auf. „Die erste Bedingung“, schreibt Necker, „dass eine Nation nicht im Zustand der Sklaverei verharrt, ist die freie Kommunikation der Ideen. Und diese Freiheit setzt die Pressefreiheit voraus.“96 Die freie Kommunikation der Ideen sei notwendig, damit die Generalstände ihrer Aufgabe als Repräsentation des französischen Volkes gerecht werden könnten. Sie sei weiterhin notwendig, damit sich das Volk mit ihren Beschlüssen identifiziere. Deshalb, so Necker, seien auch „alle Schriften, die die Öffentlichkeit über das informieren, was in der Assemblée, die die Nation repräsentiere, diskutiert wird, absolut notwendig.“ Denn, „die Generalstände müssen wie die Nation im Kleinen betrachtet werden [. . .]. Deshalb haben die Bürger das Recht, über das informiert zu werden, was in ihrer Assemblée geschieht.“97

93 Vgl. Pour et Contre sur la Liberté de la Presse ou dialogue entre un Auteur et un Censeur sur l’objet le plus important dont puissent s’occuper les États-Généraux avec un digression sur la Noblesse, par un homme du Tiers-Etat, s. l. juin 1789. 94 Lemay, Edna H.: Ecouter et renseigner: le journalisme du député-constituant, 1789–1791, in: La Révolution du Journal, 1789–1794, hg. von Rétat, Pierre, Paris 1989. 95 Coup-d’œil sur le discours prononcé par M. Necker à l’ouverture des États généraux; avec un Essai sur la liberté des journaux relatifs à ces mêmes États, s. l. s. d. (1789), S. 34. 96 Ebd. 97 Ebd., S. 35–36.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

Ungeachtet der rhetorischen Überschneidungen werden anhand von Neckers Stellungnahme aber auch die Differenzen deutlich, die ihn von Brissot, Condorcet und Mirabeau trennen. So nimmt er zwar die Idee einer nationalen Öffentlichkeit auf, will sie aber doch nur auf die Dauer der Generalstände beschränkt wissen. Eine in Permanenz wirkende politische Öffentlichkeit als tragendes Element des nationalen politischen Lebens ist für ihn zu diesem Zeitpunkt völlig undenkbar. Indes wird die Entwicklung des Pressemarktes einer ganz eigenen Dynamik unterworfen. Mirabeau, der sich durch die zeitweilige Aufhebung des Publikationsverbotes in seinem Anspruch, eine nationale Leserschaft über den Diskussionsstand in den Generalständen zu informieren, bestätig sieht, veröffentlicht die nächsten Nummern seiner Lettres. Andere Publikationen von Abgeordneten erscheinen oft ohne Titel, Datum, Adresse und Preisangabe. Sie gleichen in dem existierenden unsicheren politischen und rechtlichen Rahmen eher wertenden (Teil-)Kommentaren zu den politischen Debatten der Stände als berichtenden Zusammenfassungen oder Schilderungen. Und es gibt Zeitschriften, wie Bertrand Barère’s Point du Jour, die lediglich den genauen Diskussionsverlauf darstellen und sich aber jeden Kommentars enthalten. Die Leser und insbesondere die Abgeordneten werden dadurch gezwungen, sofern sie sich ein umfassendes Bild der Diskussion erarbeiten möchten, mehrere Zeitschriften heranzuziehen. Gleichzeitig weitet sich der Kreis der Journalisten, der nun nicht mehr nur auf die Abgeordneten der Assemblée Nationale, die sich zunehmend auch von dieser Doppelfunktion überfordert fühlen, beschränkt bleibt. Auf diese Weise vervielfältigen sich die Darstellungsformen. Nicht nur die verhandelten Themen werden immer vielschichtiger, auch die politischen Positionen der Journalisten, die hinter den Beiträgen stehen, treten stärker hervor. Zudem kristalisieren sich in der Assemblée Nationale immer mehr einzelne herausragende Sprecher heraus, die sich mit ihren unterschiedlichen und zum Teil stark differierenden Vorstellungen mit aller rhetorischen Gewandtheit voneinander abgrenzen. Ihre Positionen darzustellen, erfordert daher mehr als nur ein Wiedergeben ihrer Worte. Die Journalisten beanspruchen, den politischen Prozess dieser Tage und Wochen selbst zu reflektieren, neue Argumente einzuordnen und entsprechend zu gewichten sowie Abstimmungen in der Assemblée Nationale in ihren Auswirkungen einzuschätzen und politisch zu bewerten. Dieses Arbeiten verlangt mit anderen Worten, den komplexen politischen Prozess, wie er sich in der Assemblée Nationale vollzieht, einzufangen und zu erläutern. Auf die Weise verändert sich aber das Bild von Politik, die von nun an nicht mehr ein starres Korsett überlieferter Traditionen und Regeln bildet, sondern als lebendiger Prozess mit unterschiedlichen Teilnehmern erscheint, dessen Ausgang keineswegs abschätzbar und gesichert ist. So entsteht ein vielfältiges und widerspruchsvolles Bild der politischen Diskussionen dieser Tage.

3.7 Rolle der Presse bei Bildung einer nationalen Öffentlichkeit

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Einen weiteren Anstoß erhält der Wandel der Presse schließlich durch die revolutionären Ereignisse. Spätestens nach dem Sturm auf die Bastille ist das Interesse eines breiten Publikums, das weit über die Abgeordneten der Assemblée Nationale hinausgeht, geweckt. Viele Bürger wollen nun auch detailliert über die Geschehnisse informiert werden. Die existierenden Zeitschriften gehen zu den Vorgängen um den 14. Juli zunächst auf Distanz. Barère’s Point du Jour konzentriert sich ausschließlich auf die Diskussionen in der Assemblée Nationale und Mirabeau publiziert zwischen dem 9. und 24. Juli überhaupt nicht. Dafür reagieren andere und nutzen das machtpolitische Vakuum, das die zurückhaltende Politik Ludwigs XVI. erzeugt. Jacques Beffroy de Reigny, ein bekannter Bühnenautor, eilt zum Hotel de Ville, sucht Augenzeugen und veröffentlicht kurzerhand einen Bericht über die Einnahme der Bastille.98 Eine der wichtigsten späteren revolutionären Zeitschriften, die Révolutions de Paris, wird infolge des Sturms auf die Bastille ins Leben gerufen.99 Weitere folgen: Brissot’s Patriot erscheint (wieder) am 28. Juli 1789. Die erste Nummer der Chronique de Paris wird am 24. August veröffentlicht. Jean-Paul Marat gibt seinen Publiciste parisien, bald besser unter dem Titel Ami du Peuple bekannt, erstmals am 12. September heraus. Am 1. Oktober erscheinen die Annales patriotiques von Jean-Louis Carra und Louis-Sébastien Mercier. Schließlich geht die meistgelesenste Zeitschrift der Epoche, die Gazette nationale ou Moniteur universel, am 24. November erstmals in Druck. Eine Woche später wird die Gazette universelle veröffentlicht. Insgesamt werden 1789 in Paris 140 Zeitschriften gegründet.100 Diese Entwicklung hat die Diskussion um die Frage nach Dauer und Umfang der Pressefreiheit damit innerhalb weniger Monate überholt. Die Öffentlichkeit hat sich nicht nur konzeptionell, sondern auch institutionell vom Hof emanzipiert und ihre Eigenständigkeit behauptet. Man spricht in der Literatur deshalb auch davon, dass es Ende des Jahres 1789 einen etablierten Zeitschriftenmarkt gibt.101 Die Leser können zwischen Zeitungen unterschiedlicher politischer Couleur wählen. Sie alle berichten über die Debatten in der Assemblée Nationale, über die neuesten Entwicklungen in Paris, aber auch aus den französischen Provinzen und selbst über politische Reaktionen aus dem Ausland. Gleichzeitig stehen sie in einer breiten Konkurrenz, reagieren aufeinander und nehmen sich selbst als Bestandteil des revolutionären Prozesses war. Zu den führenden Zeitschriften gehören neben dem Moniteur, der Logographe, die Bulletin de l’Assemblée Nationale, die radikalen 98 Kurz danach entsteht ein weiterer Bericht, der unter dem Titel Supplément nécessaire au Précis exact de la prise de la Bastille, avec des Anecdotes curieuses sur le même sujet (Paris, 24. Juli 1789) erscheint. 99 Rétat, Pierre (Hg.): Révolutions du Journal 1788–1794, Paris 1989, S. 141–142. 100 Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990, S. 33. 101 Ebd.

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Blätter Ami du Peuple und Orateur du Peuple, Camille Desmoulins’s Révolutions de France et de Brabant, pro-revolutionäre Zeitschriften wie Brissot’s Patriote françois, die Chronique de Paris und die Annales politique, aber auch konterrevolutionäre Blätter wie Abbé Royou’s Ami du Roi oder die Gazette de Paris. Die mit Abstand meisten Zeitschriften erscheinen in Paris, aber auch in den Provinzen entsteht ein zunehmend umfangreicheres Presseangebot.102 Die meisten provinziellen Zeitungen konzentrieren sich dabei ebenfalls vorrangig auf die jüngsten politischen Ereignisse in und außerhalb der Assemblée Nationale, manche kommentieren sie, andere, wie das Journal du Soir, berichten nur darüber. Je größer jedoch der Zeitschriftenmarkt wird, umso größer werden auch die stilistischen und vor allem politischen Unterschiede zwischen den einzelnen Zeitungen. Es beginnt ein Prozess zunehmender Radikalisierung der Sprache und Positionen. Insofern verwundert es nicht, dass die Herausgeber und Journalisten der neuen Presse bald zu den bekanntesten und oft auch angesehensten öffentlichen Persönlichkeiten der Revolution gehören. Namen wie die von Camille Desmoulin, Jacques-Pierre Brissot und Thomas-Marie Royou sind 1789 bekannter als die Namen der meisten Abgeordneten der Assemblée Nationale. Natürlich gab es, wie Jeremy Popkin anführt,103 auch vor der Revolution schon bedeutende Jounalisten (vor allem Simon-Nicolas-Henri Linguet), doch deren Ruf verblasst gegenüber dem Ruhm, den die führenden Journalisten und vor allem die Herausgeber ab 1789 genießen. Nicht unerheblich für die Etablierung einer vielfältigen Presselandschaft sind auch die Produktionsbedingungen der Zeitungen. Einige Zeitschriften, wie Marats Ami du Peuple, sind wahre „ein-Mann-Betriebe“. Die meisten arbeiten jedoch mit Angestellten, jenem neuen Typ des Journalisten, der entweder als Beobachter auf der Straße, in der Assemblée Nationale sowie in den Clubs und Versammlungen arbeitet oder Informationen aus anderen in- und ausländischen Blättern zusammenträgt. Diese Journalisten zeichnet vor allem eins aus: sie können Informationen schnell und prägnant verarbeiten. Sie müssen daher zu einer neuen intellektuellen Elite gezählt werden, die nicht nur einen feinen Sinn für den klassischen Bildungskanon besitzt, sondern vor allem ein Gespür für politische Veränderungen mitbringt und dieses mit einem flüssigen und schnellen Schreibstil verbinden kann. Was sie auszeichnet, ist ihr Selbstverständnis als politische Vermittler. Die meisten von ihnen betrachten ihre Arbeit denn auch als einen Dienst für das Vaterland und die „gute Sache“. Sie verstehen sich als

102 Gough, Hugh: The Newspaper Press in the French Revolution, London 1988, S. 65–67. 103 Vgl. Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France, Durham and London 1990.

3.7 Rolle der Presse bei Bildung einer nationalen Öffentlichkeit

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„Sprachrohre“ des Volkes oder der Nation.104 So bezeichnet sich nicht nur Marat als „Volksfreund“ (ami du peuple). Auch Constantin François Volney beschreibt seine Rolle als „Wachtposten des Volkes“ (sentinelle du peuple).105 Und Camille Desmoullins identifiziert sich bereits 1789 ganz mit dem Kampf um Freiheit. Freilich gehören nicht alle 1789 tätigen Publizisten zu diesem neuen Typ des Journalisten. Einige, wie der Abbé Royou, betrachten ihre Zeitungsprojekte als Plattform zur Fortsetzung alter philosophischer Auseinandersetzungen, im Falle Royous etwa mit dem Herausgeber des Journales Année littéraire, Elie Fréron.106 Überhaupt sind die Übergänge von vorrevolutionären Ansichten und revolutionären Überzeugungen nicht immer deutlich zu trennen, denn nicht wenige unter den neuen Journalisten (Mirabeau, Marat, Brissot usw.) haben auch schon unter dem Ancien Régime gegen dessen Unfreiheiten und Unzulänglichkeiten geschrieben. Obwohl das Arbeitsethos der Journalisten ganz der Revolution verpflichtet scheint, ist der Pressemarkt, und das darf man nicht vergessen, eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle für seine Protagonisten, woraus sich wiederum ein Teil ihrer Bekanntheit und sozialen Anerkennung speist. So verdient Pierre Louis Lacretelle mehr als 3.000 livres pro Jahr für seine anonym erscheinenden Artikel. Noch weit höher liegen die Gehälter und Einnahmen anderer Journalisten und insbesondere der Herausgeber und Verleger. So wird das Einkommen von Camille Desmoulins auf 10.000 livres geschätzt, das von Jacques Mallet du Pan beim Mercure de France auf 12.000 und das von Elysée Loustallot bei den Révolutions de Paris gar auf 25.000.107 Sie verdienen pro Jahr damit oft das Doppelte, wenn nicht gar Mehrfache von dem, was anerkannte Autoren im Ancien Régime erhielten.108 Politisch relevant werden deshalb die informativen und materiellen Einflussmöglichkeiten bei Journalisten, die gleichzeitig Abgeordnete der Assemblée Nationale sind. Zu ihnen gehören Mirabeau, Bertrand Barère, Brissot, Condorcet, Jean-Baptiste Louvet und Pierre-Samuel Dupont de Nemours, um nur die bedeutendsten zu nennen. Journalistischer Erfolg schlägt sich jedoch nicht automatisch in politischem Einfluss nieder. So verkörpert zwar Brissot in gleicher Weise den neuen erfolgreichen Typ des Journalisten und Politikers, doch gibt es andere, die beides keineswegs so gewinnbringend verbinden: Mirabeau beginnt 104

Ebd., S. 47. Ebd. 106 Murray, William J.: The Right-Wing Press in the French Revolution: 1789– 1792, London 1986, S. 31–34. 107 Popkin, Jeremy D.: Revolutionary News. The Press in France 1789–1799, Durham and London 1990, S. 50. 108 Ebd. 105

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

ebenso aussichtsreich wie Brissot als Journalist und Politiker, doch sein journalistischer Einfluss schwindet in dem Augenblick, als er seine journalistischen Texte immer mehr Etienne Dumont und Jacques Du Roveray, seinen Schreibgehilfen, überlässt und sich zunehmend dem politischen Geschäft zuwendet. Condorcet ist dagegen ein begabter Schriftsteller und leistet hervorragende Arbeit in den Ausschüssen der Legislative, aber er ist kein begnadeter Redner auf den politischen Bühnen. Umgekehrt verhält es sich bei Robespierre, der sich als erfolgloser Journalist umso mehr als Parlamentarier hervortut. Desmoulins hingegen scheint zu wissen, dass er niemals als Parlamentarier so viel politischen Einfluss nehmen könnte, wie durch seine Zeitungskolumnen. Aber auch wenn die Journalisten nicht wie Mirabeau und Brissot beides verkörpern, so pflegen sie doch alle Kontakt zu den führenden politischen Köpfen und Rednern der Assemblée Nationale. Selbst Mirabeau bezahlt Dumont und Roveray dafür, den Kontakt zu anderen Politikern herzustellen.109 Die Presse bildet im Jahr 1789 mithin eine unschätzbare Verbindung sowohl zwischen den Delegierten der Assemblée Nationale und ihren Wählern als auch zwischen den Delegierten selbst. Sie wird zum Berichterstatter und Kommentator der politischen Prozesse und Debatten jener Monate und mithin zum Spiegel der politischen Umbrüche schlechthin. Die Presse bildet nach Jeremy D. Popkin nicht weniger als das „Herz der neuen politischen Kultur“110. Sie stellt sicher, dass eine informierte politische Öffentlichkeit zum Wächter des Volkswillens wird. So ist es vielleicht nicht übertrieben, wenn die führenden politischen Köpfe des Jahres 1789 die Presse und das von ihr verkörperte Recht der Meinungsfreiheit als Garanten des revolutionären Projektes betrachten. Die Öffentlichkeit, so formuliert es Jean-Sylvain Bailly im August 1789, ist der einzige demokratische Schutz des Volkes.111 1789 wird die Presse somit nicht nur zum Symbol, sondern zum tatsächlichen Bestandteil einer in dieser Form und Breite bis dahin nicht gekannten öffentlichen Meinung. Sie tritt machtvoll neben die Assemblée Nationale und die politischen Zirkel und Gesellschaften, die bis dahin einzigen institutionellen Strukturen einer nunmehr zunehmend bürgerlich geprägten Öffentlichkeit. Mit Hilfe von Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen werden die sich ständig wechselnden politischen Debatten und Ereignisse kommentiert, gewertet und einem breitem Publikum vermittelt. Die Presse ermöglicht zudem den Abgeordneten, sich als Wortführer der öffentlichen Meinung darzustellen. Gerade darin besteht ein wesentlicher Unterschied zum Ancien Régime. Zwar waren im Zuge der Auseinandersetzungen um die Einberufung der Generalstände sowohl der König 109

Ebd., S. 56. Ebd., S. 2. 111 Bailly, Jean-Sylvain: Erklärung vom 13. August 1789, zitiert nach Rétat, Pierre: Les journaux de 1789: Bibliographie critique, Paris 1989, S. 195. 110

3.7 Rolle der Presse bei Bildung einer nationalen Öffentlichkeit

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wie auch seine Gegner dazu übergegangen, ihre politischen Ziele mit Hilfe der Presse öffentlich zu rechtfertigen. Doch fiel es zu diesem Zeitpunkt, wie es Keith Michael Baker herausgearbeitet hat, noch keiner der beiden Seiten ein, sich selbst als „Stimme des Volkes“ darzustellen.112 Vom Sommer 1789 an ist jedoch eben dies der Fall. Als Begleiterin der Prozesse in der Assemblée Nationale verschafft die Presse den legislativen Handlungen der Abgeordneten öffentlichen Rückhalt. Denn schon durch die Art ihrer Berichterstattung, durch die Dokumentation der Vielstimmigkeit politischer Entscheidungen und die Darstellung der Vielfältigkeit der politischen Überzeugungen, wie sie durch die Kommentatoren zum Ausdruck gebracht werden, verwandeln sich die Zeitungen zu wirksamen Organen der Agitation. Bereits die Auflistung der politischen Debatten, die Darstellung von Pro und Kontra, das Abwägen politischer Argumente und individueller Standpunkte, wie sie in der Assemblée Nationale vertreten werden, lassen ein neues Bild von Politik, aber auch von Souveränität hervortreten. Denn alle politischen Entscheidungen von 1789 werden in der Presse nicht nur als Resultate eines Diskussionsprozesses in der Assemblée Nationale dargestellt, sondern zugleich als Manifestationen eines öffentlichen Volkswillens, wie er sich auch und gerade in den revolutionären Ereignissen auf der Straße entäußert. Aber nicht nur Gegenstand und Stil der Berichterstattung ändern sich. Die Vielstimmigkeit der Presse bewirkt auch einen Wandlungsprozess auf Seiten des Lesers, der nun nicht mehr nur passiver Konsument interessanter Neuigkeiten ist, sondern zum politisch informierten Leser wird. Die veränderte Berichterstattung bewirkt also nicht weniger, als den allmählichen Wandel vom Untertan zum Bürger, so jedenfalls hat es Mona Ozouf beschrieben.113 Die Öffentlichkeit, wie sie 1789 entsteht, ist damit keineswegs mehr eine zeitlich auf die Dauer der Generalstände und dann der Assemblée Nationale begrenzte. Der öffentliche Raum gilt nunmehr als prinzipiell und dauerhaft offen und jedermann zugänglich. Nach Auffassung zahlreicher Abgeordneter der Assemblée Nationale und vieler freier Autoren muss Publizität denn auch als ein jederzeit geltendes Grundrecht in der Verfassung verbürgt werden. Paradoxerweise findet die uneingeschränkte Pressefreiheit in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, wie sie zunächst von den Abgeordneten der Assemblée Nationale diskutiert wird,114 keine Nennung. Die Debatte zugunsten der Pressefreiheit verschiebt sich dagegen von einer ausdrücklichen Erwähnung der Pressefreiheit hin zu einer Ein112 Baker, Keith Michael: Politics and Public Opinion under the Old Regime: Some Reflections, in: Press and Politics in Pre-Revolutionary France, hg. von Censer, Jack R./Popkin, Jeremy, Berkeley 1987, S. 213. 113 Ozouf, Mona: La Révolution française et l’idée de l’homme nouveau, in: Political Culture of the French Revolution, hg. von Lucas, Colin, Oxford 1988, S. 213–232. 114 AP, 8, S. 282.

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3 Die Genese einer nationalen Öffentlichkeit

schränkung dieser Freiheit, sobald diese die Freiheitsrechte der anderen oder das öffentliche Wohl gefährdet. Und obwohl viele Abgeordnete jede Regelung zur Einschränkung der Pressefreiheit ablehnen,115 können die Gegner der Pressefreiheit auf ihre cahiers verweisen, die die Pressefreiheit nur „unter Berücksichtigung der Sitten, der Religion und des Staatswohls“116 zulassen wollen. Damit sprechen sie sich offen für die Beibehaltung der Zensur aus. So lautet der Vorschlag von Machault hinsichtlich der Etablierung der Pressefreiheit: „Jeder Bürger ist frei zu reden, zu schreiben und zu drucken, solange er nicht die Ehre, die Sitten, die Religion oder die öffentliche Ruhe stört.“117 Damit wird in alter Form die Einheit, wenn auch nicht mehr die Einheitlichkeit der öffentlichen Meinung gefordert. Diese Forderung ist zu diesem Zeitpunkt freilich mehr Ausdruck des Strebens nach einem politischen Konsens als der Ruf nach staatlicher Kontrolle. Die Mehrheit der Abgeordneten nimmt deshalb am 24. August 1789 folgenden Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte an: „Die freie Kommunikation der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen. Jeder Bürger kann folglich frei reden, schreiben und drucken, unter dem Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.“118

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AP, 8, S. 483. Ebd. Ebd. Ebd.

4 Der Kampf um die Verfassung Die Frage nach der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Verfassung ist das große Thema, das sämtliche politischen Debatten seit der Diskussion um die Einberufung der Generalstände beherrscht. Sie ist damit zugleich der Kulminationspunkt für die Genese und Entfaltung eines neuen Souveränitäts- und Politikverständnisses.1 In ideengeschichtlicher Hinsicht ist dabei vor allem der inhaltliche Wandel des Verfassungsbegriffs von entscheidender Bedeutung, der sich im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen vollzieht. In den Debatten der Nationalversammlung findet die Tendenz zur Verrechtlichung staatlicher Herrschaft, die sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem in den Werken der politischen Theorie des angelsächsischen Sprachraums2 bemerkbar machte und in der Verabschiedung der amerikanischen Bill of Rights von 1776 ihren ersten Höhepunkt fand, ihre konsequente und – mit Blick auf die kontinentaleuropäische Entwicklung – auch wirkmächtigste Fortbildung.3

4.1 Die Verfassung als deskriptiver Erfahrungsbegriff im Verständnis des Ancien Régime Im Verständnis der älteren, wiederum vor allem durch englische Autoren geprägten politischen Theorie des 17. und frühen 18. Jahrhunderts fungiert der Begriff der Verfassung, wie Wolfgang Schmale und andere gezeigt haben, vornehmlich als ein deskriptiver Erfahrungsbegriff, mit dem weniger die rechtliche Ordnung, als vielmehr der politische und sittliche Gesamtzustand eines politischen Gemeinwesens beschrieben wird.4 Nach diesem Verständnis besitzt 1 Baker, Keith Michael: Verfassung, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 896–919. 2 Vgl. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970; Sandweg, Jürgen: Rationales Naturrecht und revolutionäre Praxis. Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789, Berlin 1972; Schmale, Wolfgang: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich 1715–1794, Berlin 1988. 3 Vgl. Egret, Jean: La révolution des notables: Mounier et les monarchiens 1789, Paris 1950; Baker, Keith Michael: Verfassung, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 896–919. 4 Vgl. Schmale, Wolfgang: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich 1715–1794, Berlin 1988; Baker,

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4 Der Kampf um die Verfassung

Frankreich seit mehreren Jahrhunderten eine ungeschriebene Verfassung. Das geltende Recht und die institutionelle Ordnung des Staates sind dadurch gerechtfertigt und legitimiert, dass sie, wie es zu Beginn der Einberufung der Generalstände heißt, seit mehr als „hundert Jahren“ gelten bzw. über „vier Generationen“ ihre Gültigkeit bewahrt haben.5 Zwar gestehen selbst die Verteidiger dieser ungeschriebenen Verfassung zu, dass in ihr geltendes Recht nicht eingeklagt, sondern allein durch moralische Appelle an den König und dessen Gerichtshöfe eingefordert werden könne. Doch verweisen sie darauf, dass sowohl das paternalistische System der absoluten Monarchie als auch der materielle Reichtum des Amtsadels beide in ihrem eigenen Interesse verpflichten, stets im Sinne des Gemeinwohls, der guten Ordnung und der Prosperität des Staates zu handeln.6 Politik, so könnte man sagen, ist hier der Ausdruck der moralischen Verfasstheit eines Staates. Nach dieser Auffassung, die nicht die Rechte des Einzelnen, sondern das Wohl Frankreichs in den Mittelpunkt rückt, ist die verfassungsmäßige Ordnung des Staates untrennbar mit dem Fortbestand der absoluten Monarchie verbunden. In ihr gilt niemand anderes als der Monarch selbst als die Verkörperung von Recht und Ordnung und damit auch der Verfassung, d.h. der guten Ordnung des Staates. Das aber bedeutet auch: „wenn der Monarch Recht gesprochen hat, dann gibt es keine andere rechtliche Instanz“7, die die Ordnung im Staat in Frage stellen darf. So heißt es schon bei Bossuet, „dass die anfängliche Vorstellung von Herrschaft, wie sie unter den Menschen entstanden ist, die der väterlichen Vorherrschaft war, und dass man die Herrschaft der Könige nach eben jenem Modell der Väter geschaffen hat“8. Der Monarch steht mithin nicht nur für den Staat, er ist die Verkörperung seines moralischen Zustandes. Diese Auffassung wandelt sich im 18. Jahrhundert insofern, als sich nunmehr die Überzeugung durchsetzt, dass ein Monarch, der nicht selbst an das von ihm geschaffene Recht gebunden ist, jederzeit zum Despoten werden kann. Ein solcher Monarch gefährdet jedoch nicht nur das Ansehen der Monarchie, sondern zugleich die moralische Verfasstheit des Staates.9 Denn, so Montesquieu, unter Keith Michael: Verfassung, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 896–919. 5 Observations sur les principes de la Constitution des États de Dauphiné; contentant leur examen & leur développement pour servir aux États-Généraux, s. l. 1788, S. 34. 6 Ebd., S. 65 ff. 7 Bossuet, Jacques-Benigne: Politiques tirées des propres paroles de l’écriture sainte à monseigneur le dauphin, Paris 1709, S. 119. 8 Ebd., S. 89. 9 Baker, Keith Michael: Verfassung, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 896–919; Schmale, Wolfgang: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich 1715–1794, Berlin 1988.

4.1 Die Verfassung als deskriptiver Erfahrungsbegriff

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einer despotischen Herrschaft sind es die Bräuche bzw. Missbräuche des Monarchen, „die man anstatt der Gesetze verehrt“10. Ein Monarch, der durch nichts mehr an das geltende Recht gebunden ist, stellt mit seinem Handeln den sittlich-moralischen Zudstand des Staates immer schon in Frage. Viele Autoren beschreiben daher in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und insbesondere im Vorfeld der Einberufung der Generalstände das Recht als eine Übereinkunft des Königs mit der Nation, die der Zustimmung beider bedarf. Insofern fordern sie nicht nur ein Zustimmungsrecht der Nation bei der Erhebung von Steuern, dass traditionell den Generalständen zugeschrieben bzw. in deren Abwesenheit von den Parlamenten reklamiert wurde, sondern eine gleichberechtigte Mitwirkung und Zustimmungspflicht der Nation oder ihrer Vertreter bei der Ausarbeitung aller anstehenden Gesetze.11 Politisch fordern sie damit zweierlei. Zum einen verlangen sie die Einberufung der Generalstände, um, wie sie schreiben, die tradierte und insofern legitime Form der Mitwirkung der Nation bei der Ausarbeitung der Steuergesetzgebung wieder aufleben zu lassen. Zum anderen bestehen sie auf der Ausarbeitung einer Verfassung durch die Generalstände, um die Rechte der Nation, sprich die regelmäßige Einberufung der Generalstände, ihren Anteil an der Legislative und die sich konsequenter Weise daraus ergebende Trennung der Gewalten schriftlich zu garantieren.12 Das tradierte Argument, dass allein eine absolute Monarchie Stabilität und Ordnung garantiere, insofern allein der Wille des Königs die Geltung des Rechts verbürge, verkehrt sich damit freilich in sein Gegenteil. So heißt es bei Mounier, der im Sommer 1789 zum führenden Verteidiger der Monarchie wird, dass die einzig mögliche Regierungsform für Frankreich die monarchische ist. Doch, schränkt er ein, er verstehe „unter einer Monarchie keineswegs alle Regierungen, die man gewöhnlich darunter zählt, dass heißt alle, bei denen der Wille des Monarchen Gesetz ist“. Vielmehr begreife er „die Monarchie als eine Regierungsform, wo ein Einziger nach dem Gesetz regiert, wo ein Einziger damit beauftragt ist, das Gesetz auszuüben und wo es keinen Zweifel darüber geben kann, dass die Exekutive in den Händen eines Einzigen liegt bzw. keine Zeit von einer Körperschaft vergeudet wird, wenn es darum geht zu handeln. Die wirkliche Monarchie ist daher eine Regierung des Rechts [. . .] und es wird solange keine Freiheit für den Bürger geben, solange nicht das Gesetz über der Autorität des Königs steht.“13

10 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat: Lettres persanes, Bd. 1, Paris 1873, S. 73. 11 Vgl. Marquis de Casaux: Simplicité de l’idée d’une Constitution, et de quelques autres qui s’y rapportent. Application et conséquences, Paris 1789. 12 Vgl. À la Nation Française. Sur les vices de son Gouvernement; sur la nécessité d’établir une Constitution; et sur la composition des États-Généraux, s. l. 1788. 13 Mounier, 12. August 1789, AP, 8, S. 411–412.

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4 Der Kampf um die Verfassung

Einzig unter einer Verfassung, so das Argument der Reformer, werden alle Formen der Willkür ausgeräumt und der Rahmen politischen Handelns auf eine rechtsstaatliche Grundlage gestellt. „Nach einer langen Zeit der Unordnung und Unterdrückung“, heißt es in einer anonymen Schrift von 1788, „steht die französische Nation heute vor dem Moment, ihr Wohl und ihre Freiheit auf Grundlage einer regulären und rechtskräftigen Verfassung zu errichten [. . .]. Die Nation ist nicht nur aufgerufen, dieses große Werk zu errichten, sondern auch dessen Stabilität zu verbürgen. Der Monarch ist dazu angehalten, das Volk einzuberufen, nicht einmal, sondern jedes Mal, wenn die Staatsangelegenheiten es verlangen.“14 Dies festzuhalten, sehen viele Delegierte der Generalstände als den eigentlichen Inhalt der von ihnen eingeforderten Verfassung. Was sie damit im Vorfeld der Einberufung der Generalstände einklagen, besteht letztendlich darin, deren Beratungen und Entscheidungen einen rechtskräftigen, sprich legislativen Rang zu verleihen. Damit wenden sie sich gegen die überlieferte Form der Generalstände, die ihnen zwar Legitimität dadurch verschaffte, dass es sie seit Beginn der Monarchie in Frankreich gab, aber keinen eigenen Rechtsstatus einräumte. Die Forderung nach einer Verfassung und das Projekt ihrer Ausarbeitung stehen 1789 damit zunächst unter dem Zeichen der Selbstbestimmung und Legitimierung der Assemblée National, deren Entscheidungen ohne eine rechtliche Absicherung ihres Status in keiner Weise bindend für den Monarchen wären. Unter dieser Prämisse ist es auch verständlich, weshalb es unter den Delegierten zwar verschiedene Auffassungen der Verfassungsreichweite und viele Kritiker der verschiedenen Verfassungsartikel gibt, sich jedoch keine Gegner des Verfassungsprojektes als solchem ausmachen lassen.

4.2 Eine Verfassung für das Königreich Bereits mit der Einberufung der Generalstände machen sich viele Delegierte daran, unterschiedliche Verfassungsentwürfe auszuarbeiten bzw. zusammenzutragen. So verschieden im Einzelnen die konkreten Verfassungskonzepte auch sind, um deren Durchsetzung die Abgeordneten der Generalstände und der Assemblée Nationale in den Debatten während des Frühjahrs und Sommers 1789 dann ringen, eines ist ihnen gemeinsam: Die Einsicht in die essentielle Bedeutung der Verfassungsproblematik für das eigene politische und legislative Handeln. Sie verbindet Befürworter wie Kritiker einer neuen Verfassung gleichermaßen. Ungeachtet aller Differenzen, die die Abgeordneten insbesondere in politiktheoretischer und weltanschaulicher Hinsicht trennen, herrscht Einigkeit darüber, dass sich an der Frage der Verfassung und damit auch der legislativen

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Régénération de la France par les États Généraux, s. l. 1788, S. 1–2.

4.2 Eine Verfassung für das Königreich

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Arbeit der Assemblée Nationale das weitere Vorankommen der Reformen entscheidet.15 Der außerordentliche Stellenwert, der der Verfassungsfrage im politischen Denken der Französischen Revolution zukommt, wird bereits in der konstituierenden Sitzung der Nationalversammlung am 17. Juni 1789 deutlich, in der sich die Vertreter des Dritten Standes neben dem König zu legitimen Repräsentanten der souveränen Nation erklären.16 So stellen sie sich nicht nur der Aufgabe, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen und die wahren Grundsätze der Monarchie zu verteidigen, sondern bestehen auch darauf, gemäß ihrem Auftrag und ihrem Selbstverständnis eine Verfassung des Königreiches (constitution du royaume) zu entwerfen und zu verabschieden.17 Mit dem Schwur im Ballhaus, bei dem die Delegierten einander feierlich geloben, zusammen zu bleiben, bis die Verfassung des Königreiches ausgearbeitet ist und auf festen Grundlagen steht, bekräftigen sie den Ernst ihrer Absichten.18 Das von den Delegierten definierte Ziel, der Form der Assemblée Nationale Verfassungsrang einzuräumen und eine stabile rechtliche Ordnung zu errichten, ist dabei mehr als nur eine gezielte Provokation der königlichen Autorität – es ist der offene Protest gegen die bestehende Ordnung des Ancien Régime und die willkürliche Herrschaftspraxis des Absolutismus. „Wir haben geschworen“, ruft Sieyès den Abgeordneten zu, „dem französischen Volk wieder einen Rechtsstatus zu verleihen“19. Nicht mehr die Autorität des Monarchen soll fortan die moralische Verfasstheit des Staates garantieren, sondern das Recht, über das nicht mehr ein Einzelner, sondern das ganze Volk wacht. Doch die Entschlossenheit, mit der die Abgeordneten der Nationalversammlung ihr Ziel erklären, darf nicht über die zum Teil tiefgreifenden Differenzen hinwegtäuschen, die zwischen ihnen hinsichtlich des Umfangs und der Reichweite der angestrebten Verfassungsordnung existieren. So wendet sich Clermont-Tonnerre, Abgeordneter des Pariser Adels, am 27. Juli 1789 hinsichtlich der unterschiedlichen und sich häufig widersprechenden Mandate und Standpunkte der Abgeordneten mit folgenden Worten an die Delegierten: Man könnte annehmen, dass sich alle „über die notwendige Erneuerung des Staates“ einig sein müssten. Doch „die einen erwarten sie von der einfachen Reform der Missbräuche“ und der Besinnung auf die „seit dem 14. Jahrhundert existierenden

15 Schmale, Wolfgang: Entchristianisierung, Revolution und Verfassung. Zur Mentalitätsgeschichte der Verfassung in Frankreich 1715–1794, Berlin 1988. 16 AP, 8, S. 126 ff. 17 Mounier, 20. Juni 1789, AP, 8, S. 138. Vgl. auch: Rapport du comité chargé de préparer le travail de la constitution, den Mounier am 9. Juli 1789 vorstellt. AP, 8, S. 214. 18 AP, 8, S. 146–147. 19 AP, 8, S. 147.

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Verfassung“. Andere dagegen betrachten „das momentane gesellschaftliche System als so verderbt“, dass sie eine Neuordnung des Staates fordern. Diese verlangen nun, „mit Ausnahme der Regierung und der monarchistischen Form, die zu lieben und respektieren eine Herzenssache jedes Franzosen ist“, eine „grundsätzliche Änderung des politischen Systems und die Schaffung einer Verfassung“20. Trotz allem Gespür für die politischen Differenzen in der Rede ClermontTonnerres entscheiden sich die Delegierten der Nationalversammlung zunächst dafür, die Meinungsverschiedenheiten so gering wie möglich zu halten und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dieses Bemühen findet seinen sinnfälligen Ausdruck darin, dass die traditionelle Verehrung der Franzosen für die Monarchie als der historisch gewachsenen Regierungsform betont21 und der übereinstimmende Wunsch hervorgehoben wird, eine stabile Regierungsform zu begründen, in welcher die verschiedenen Gewalten deutlich getrennt und die Grenzen ihrer jeweiligen Vorrechte festgelegt sind. Dass die Rolle des Königs hinsichtlich seiner legislativen Rechte und Aufgaben ein weitgehend umstrittener Punkt ist, wird zu diesem Zeitpunkt nur von wenigen offen zugestanden.22 Die Einigkeit, die herzustellen man sich bemüht, ist in drei Punkten auch tatsächlich gegeben: erstens in dem Protest gegen jede Form von Willkürherrschaft und die Unordnung und Rechtlosigkeit, die aus der tyrannischen Ausführung eines unberechenbaren Herrscherwillens resultieren. Zeitens besteht sie in dem Streben nach einer stabilen und überschaubaren gesetzlichen Ordnung, die die Rechte des Einzelnen stärkt und den allgemeinen Rechtsschutz gegen Übergriffe der Staatsgewalt verbessert, eine Forderung, die die logische Konsequenz aus dem ersten Anspruch ist. Einig ist man sich drittens in der Forderung, der Nation bzw. ihren Abgeordneten einen legislativen Status einzuräumen, was wiederum die Voraussetzung dafür ist, die beiden ersten Vorhaben zu verwirklichen – nämlich „eine Verfassung“ zu erarbeiten, „die exakt die Rechte des Monarchen und die der Nation bestimmt“. Sie wäre, fasst Mounier die Grundüberzeugung der meisten Abgeordneten zusammen, „in gleicher Weise bedeutend für den König wie für uns Mitbürger“23. Doch bereits bei der Frage, wie diese Ziele am besten zu verwirklichen seien, gehen die Meinungen stark auseinander. Soll man an die in den Urteilen der Gerichtshöfe überlieferte Rechtstradition als einer ungeschriebenen Verfassung anknüpfen, deren Prinzipien es lediglich zu erinnern und wieder in Kraft zu setzen gilt, um sie zur Grundlage des künftigen Staatslebens zu machen? Oder ist es erforderlich, sich von allen überlieferten, aber nicht länger lebendigen 20 21 22 23

Clermont-Tonnerre, 27. Juli 1789, AP, 8, S. 283. AP, 8, S. 283. Ebd. Mounier, 9. Juli 1789, AP, 8, S. 214.

4.3 Verfassung und Staatsgewalt

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Traditionen zu verabschieden, um an ihrer Stelle eine neue, auf den Prinzipien der Vernunft gegründete gesetzliche Ordnung zu errichten? Dies würde nicht nur alle bestehenden Rechtstraditionen in Frage stellen, sondern auch die historisch gewachsene sittlich-moralische Verfasstheit Frankreichs zerstören. Es bedeutete letztendlich die Absage vom überlieferten Politikverständnis des Ancien Régime. Mounier, der durchaus anerkennt, das Frankreich eine Verfassungstradition besitzt, drängt die Abgeordneten, eine Verfassung zu schaffen, die klar den Kompetenzbereich der Gewalten bestimmt und den Bürgern ein Grundgesetz gibt, auf das sie sich jederzeit berufen können. Das bedeutet jedoch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. „Denn trotz klarer Vorstellungen“, wendet sich Mounier an die Angeordneten, „haben wir keine ausgearbeitete Verfassung. Wir haben solange keine Verfassung, bis alle Gewalten vollständig getrennt sind und ihre Grenzen eindeutig benannt wurden. Bis heute existiert keine klare Trennung von Judikative und Legislative. Die Macht ist verstreut, die verschiedenen Teile sind ständig im Widerstreit; und in ihrer permanenten Blockade werden die verworrenen Rechte des Bürgers verraten. Die Gesetze werden offen verraten und oftmals ist man sich noch nicht einmal darüber einig, was man Gesetz nennen soll.“24 Die bloße Bestätigung der Monarchie, wie sie die Royalisten fordern, verbürgt in seinen Augen damit noch nicht die Rechte der Bürger, hat sie doch stets die Tendenz, die absolutistischen Züge anzunehmen, unter denen die Franzosen seit Generationen leiden. „Die Etablierung der königlichen Autorität reicht nicht aus, um eine Verfassung zu schaffen“ fährt Mounier fort, „wenn diese Autorität kein rechtliches Fundament besitzt, dann bewirkt sie das Gegenteil – und nichts ist gegensätzlicher gegenüber einer rechtlichen Ordnung als eine despotische Herrschaft. Frankreich muss den Mangel einer Verfassung eingestehen.“25 Damit fasst Mounier eine der Grundüberzeugung zusammen, die zu Beginn der Verfassungsarbeit die Mehrheit der Abgeordneten eint. Sie bedeutet die Absage von einer rein sittlich-moralischen Auffassung von Politik und die Betonung ihrer notwendigen Verrechtlichung.

4.3 Verfassung und Staatsgewalt Doch welche Rechte der Bürger soll die Verfassung garantieren? Welche von den alten Rechten der Franzosen sollen durch die Verfassung wiederhergestellt werden? Oder sollen die Franzosen durch die Verfassung gar neue Rechte erhalten? Einige Abgeordnete warnen bei diesen Fragen vor der Aufgabe alter Rechte und verweisen auf die Gefahr eines rechtsfreien Zustandes, der sofort entstehe, sobald man die alten Gesetze für nicht rechtskräftig erkläre: „Eine 24 25

AP, 8, S. 214. Ebd.

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4 Der Kampf um die Verfassung

universelle Unordnung ergießt sich über den Staat“, erklärt Dupont de Nemours den Abgeordneten, „keine politische Gemeinschaft kann einen einzigen Augenblick ohne Gesetz und ohne Gerichte auskommen, wenn sie die Freiheit, die Sicherheit der Person und das Eigentum schützen will. Ich bestehe auf der Notwendigkeit, die bestehenden Gesetze, so unvollkommen sie auch seien, zu erhalten und nicht aufzugeben, denn sie dienen der Erhaltung der allgemeinen Ordnung.“26 Die entscheidenden Punkte, die hinter Dupont de Nemours Argumentation stehen, gehen jedoch viel weiter. Sie lassen sich auf folgende Fragen komprimieren: Darf eine Gesellschaft den existierenden Staat auflösen, um ein neues staatliches Gebilde zu schaffen? Und welchen Status hätten die Akteure, die ein solches Gebilde schaffen würden? Diese Fragen, die in der Vertragstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts ausgeblendet oder unzureichend beantwortet wurden, dienen bei Dupont de Nemours, wie schon bei Thomas Hobbes, als Drohung vor dem Bürgerkrieg. Das entscheidende Problem, bei dem die Ansichten am weitesten auseinander gehen, ist jedoch nicht ein ungeklärtes theoretisches Problem, sondern eine ganz konkrete politische Frage: In welchem Verhältnis sollte die Verfassung zum Monarchen stehen? Soll sie den König in der Ausübung seiner souveränen Gewalt lediglich an die gesetzliche Ordnung binden oder dem Wirkungskreis seiner Macht grundsätzliche Grenzen auferlegen und ihn damit in seiner Souveränität beschränken?27 Einen bereiten Konsens gibt es lediglich darin, dass der König selbst an die Verfassung gebunden werden muss. „Es ist wahr“, schreibt Mounier, „dass Frankreich bis heute keine Verfassung hat. Aber man darf deshalb nicht daraus schließen, dass es keine Regierung besitzt. Die Assemblée Nationale ist dazu verpflichtet, die Autorität des Königs zu respektieren. Wenn sie das Recht hätte, eine Verfassung zu schaffen und zu bestätigen, ohne dass der König einen Teil daran hätte, so könnte man daraus schließen, dass sie auch über alle Vorrechte der Krone frei zu verfügen vermag. Ich bin weit davon entfernt, den Einfluss, den der König auf die Verfassung ausüben kann, mit dem zu vergleichen, der ihm von Rechts wegen zusteht. Er kann alle Gesetze ohne Begründung ablehnen; dahingegen hat er nicht das Recht zu erklären, dass er gegen die Ausarbei26

Dupont de Nemours, 4. August 1789, AP, 8, S. 344. Über all diese Fragen sind die Abgeordneten geteilter Ansicht. Der Streit über die Existenz einer traditionellen monarchischen Verfassung, der bereits in den Auseinandersetzungen zwischen den Parlamenten und der Krone während der vorrevolutionären Zeit zwischen 1750 und 1760 die öffentliche Debatte beherrscht und in der Kontroverse zwischen Louis-Adrien Le Paige, dem Verteidiger der Idee einer in der Rechtspraxis überlieferten Verfassung, und Gabriel Bonnot de Mably, seinem prominentesten Kritiker, ihren ersten Höhepunkt erlebt hatte, wird damit in der Nationalversammlung fortgesetzt. 27

4.3 Verfassung und Staatsgewalt

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tung und Einsetzung einer Verfassung ist. Nachdem er an die Freiheit seiner Untertanen appelliert hat, kann er nicht mehr sagen, ich möchte nicht, dass sie frei sind [. . .]. Es ist notwendig, dass der König die Verfassung unterzeichnet und ratifiziert.“28 In seiner Argumentation hat Mounier scheinbar einen Kompromiss zwischen der sittlich-moralischen Ordnung, wie sie traditionell der Monarch verkörpert, und dem neuen Rechtsverständnis von Politik, dem auch der König unterworfen wird, gefunden. Der König ist in seinem Verständnis zugleich Garant und Unterworfener des Gesetzes. Doch bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass die Rolle, welche dem König bei der Ausarbeitung der Verfassung bzw. der Gesetze zukommt, keineswegs hinreichend geklärt ist. Auch ist unklar, was geschehen soll, wenn sich der König nicht an die Verfassung gebunden fühlt und die Nation ihr Recht verwirkt, weiterhin zusammenzutreten. Dann wären die Reformvorhaben von vornherein gescheitert und die Delegierten der Assemblée Nationale nichts weiter, als ein Haufen von Rebellen. Mit diesem Bewusstsein drängen die Delegierten der Assemblée National deshalb immer mehr auf eine Lösung der Frage, welche Rolle der Monarch in Bezug zur Verfassung einnehmen kann und soll. Der radikalste und im Hinblick auf seine Konsequenzen für die existierende staatliche Ordnung weitreichendste Vorschlag in dieser Kontroverse stammt von Sieyès. Das von ihm propagierte präskriptive Verfassungsverständnis sieht in der Verfassung in erster Linie den schriftlich fixierten Ausdruck der rechtlichen Grundordnung des Staates, dessen normativen Vorgaben die Einrichtung und Ausübung der Staatsgewalt genügen muss. „Die Verfassung“, schreibt Sieyès, „umfasst die innere Organisation und das innere Gefüge der verschiedenen öffentlichen Gewalten, ihre notwendige Verbindung und ihre gegenseitige Unabhängigkeit. Schließlich erstreckt sie sich noch auf die politischen Vorsichtsmaßregeln, mit denen man die Gewalten klugerweise umgibt, damit sie stets Nutzen hervorbringen und niemals gefährlich werden können. Das ist die wahre Bedeutung des Wortes Verfassung; sie bezieht sich auf das Gefüge und auf die Trennung der öffentlichen Gewalten.“29 Im Zentrum der Verfassungsproblematik steht für Sieyès, der sich u. a. an den theoretischen Entwürfen von Emer de Vattel30 und Jean-Jacques Rousseau31 28

Mounier, 12. August 1789, AP, 8, S. 415. Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution Françoise. Reconnaissance et Exposition raisonnée des Droits de l’Homme et du Citoyen, s. l. 1789, S. 34–35. 30 In seinem Werk Droit des gens von 1758 definiert Vattel die Verfassung als eine Regierungsform, die von einer Gesellschaft oder Nation eingesetzt worden ist, um sich die Vorteile eines politischen Zusammenschlusses zu sichern, woraus für ihn folgt, dass die Nation grundsätzlich das Recht besitzt, sich selbst eine Verfassung zu geben, sie beizubehalten, zu vervollkommnen und nach ihrem Willen alles zu regeln, was die Regierung anbelangt, ohne dass irgendjemand das Recht hat, dies zu verhindern. Die 29

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4 Der Kampf um die Verfassung

orientiert, die Frage, nach welchen Regeln die verfassungsgebende Gewalt eingesetzt werden soll und gemäß welcher Verfahren die Regierungsgewalt eines Staates ihre Herrschaft auszuüben berechtigt ist. In seiner Antwort auf diese Frage knüpft Sieyès an das von ihm in seiner Schrift Qu’est-ce que le Tiers État? entwickelte Konzept der politischen Nation an. Ebensowenig wie das zur politischen Nation vereinigte Volk seine Souveränität an eine exekutive Gewalt abtreten könne, sondern ihr lediglich das jederzeit widerrufbare Recht zur zeitweiligen Ausübung derselben zu übertragen vermöge, ebensowenig dürfe sie sich durch eine Verfassung unwiderrufliche Beschränkungen in der Ausübung ihres souveränen Willens auferlegen: „Eine Nation darf und kann sich nicht an bestimmte Verfassungsformen binden“, schreibt er, „denn beim ersten Konflikt zwischen den verschiedenen Teilen dieser Verfassung, was würde da aus einer Nation, die so eingerichtet und geordnet wäre, dass sie nur nach der umstrittenen Verfassung handeln könnte? Beachten wir doch, wie wesentlich es in einer bürgerlichen Ordnung ist, dass die Staatsbürger in einem Zweige der handelnden Gewalt eine Autorität finden, die ihre Streitigkeiten rasch beendet. Ebenso müssen bei einem freien Volke auch die verschiedenen Zweige der handelnden Gewalt die Freiheit besitzen, bei allen unvorhergesehenen Streitigkeiten die Entscheidung der gesetzgebenden Gewalt anzurufen. Wenn aber eure Gesetzgebungskörperschaft selber zerstritten ist, wenn die verschiedenen Teile jener ers-

Verfassung wird damit zum „grundlegenden Gesetzestext, der beschreibt, wie die öffentliche Macht auszuüben ist. Sie beschreibt damit die Form, unter welcher die Nation als politischer Körper handelt, wie und wer das Volk regiert sowie die Rechte und Aufgaben dessen der regiert. Diese Verfassung ist im Grunde nichts anderes, als die Etablierung der Ordnung, in der die Nation als Einheit handelt, um die Vorteile, die die politische Gemeinschaft ermöglicht, zu erhalten“. Vattel: Les Droit des Gens ou Principes de la Loi Naturelle, Appliqués à la conduite & aux affaires des Nations & des Souverains, London 1758, S. 31. Ähnliche Ansätze finden sich auch in der von Barthélmy de Félice herausgegebenen Schweizer Ausgabe der Enzyklopädie und in dem von Jean-Nicolas Démeunier verfassten Abschnitt über die politische und diplomatische Ökonomie der Encyklopédie méthodique. 31 Rousseau unterstreicht in seinem Gesellschaftsvertrag, dass der Staat eine politische Schöpfung ist, ausschließliches Produkt des Willens der Nation, ein Akt der Setzung, durch welchen ein souveränes Volk sich seine spezifische Regierungsform schafft. Dieser Akt der Setzung ist für Rousseau jedoch niemals vollendet. Selbst wenn eine Verfassung durch die Entscheidung des versammelten Volkes festgelegt sei, müsse die souveräne Instanz sich in regelmäßigen Abständen zusammenfinden, um ihre Kraft und Präsenz zu manifestieren. In diesen Momenten ist die Verfassung in ihrer Wirkung aufgehoben: In dem Moment, wo das Volk in legitimer Weise als Souverän versammelt ist, endet jegliche Jurisdiktion der Regierung. Die Exekutivgewalt ist aufgehoben und die Person des letzten Bürgers ist ebenso unverletzlich wie die des ersten Magistrats, denn wo sich der Repräsentierte einfindet, gibt es keinen Repräsentanten mehr. Daraus folgt, dass die Verfassung des Staates nicht nur von einer ursprünglichen Handlung des Einsetzers ausgeht, sondern einer beständigen Bestätigung bedarf. Da es für Rousseau in einem Staat kein grundlegendes Recht gibt, das nicht widerrufen werden kann, nicht einmal der Gesellschaftsvertrag, bleibt die Verfassung nur so lange in Kraft, wie sie direkter Ausdruck des Allgemeinwillens ist.

4.3 Verfassung und Staatsgewalt

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ten Verfassung nicht miteinander harmonieren, wer ist dann der oberste Richter? Denn einen solchen muss es immer geben, oder die Ordnung weicht der Anarchie.“32 Das Urteil von Sieyès ist damit deutlich ausgesprochen: Der politische Wille der Nation muss sich zu jeder Zeit und unabhängig von allen existierenden rechtlichen, sozialen oder politischen Traditionen, Institutionen und Verfahren artikulieren und Geltung verschaffen können. Und er ist und gilt unabhängig vom Monarchen. Damit räumt Sieyès das aus dem Lager der königstreuen Abgeordneten vorgebrachte Argument beiseite, wonach Frankreich in der Gesamtheit der bestehenden Privilegien und der überlieferten Rechtspraxis bereits über eine Verfassung verfüge, deren Vorgaben auch für die Nationalversammlung verbindlich seien. Denn selbst wenn eine solche Verfassung existierte, wäre sie nicht in der Lage, den in der Gesamtheit der Abgeordneten repräsentierten Willen der politischen Nation zu binden. Nach Sieyès haben die Abgeordneten vielmehr in jedem Fall das Recht, eine neue, mit den natürlichen Rechten eines jeden Einzelnen besser zu vereinbarende Verfassung zu schaffen. Eine Nation, schreibt er, „darf sich nicht die Fesseln einer bestimmten Verfassungsform anlegen. Dadurch würde sie sich der Gefahr aussetzen, ihre Freiheit unwiederbringlich zu verlieren, denn die Tyrannei bedürfte nur eines Augenblicks des Erfolgs, um die Bevölkerung unter dem Vorwand einer Verfassung einer solchen Form zu unterwerfen, dass sie ihren Willen nicht mehr frei äußern und so die Ketten des Despotismus nicht mehr abschütteln könnte. Man muss sich die Nationen auf der Erde als Individuen ohne gesellschaftliche Bindung oder, wie man sagt, als im Naturzustand befindlich vorstellen. Die Ausübung ihres Willens ist frei und unabhängig von allen gesetzlichen Formen. Da er sich im Naturzustand befindet, braucht ihr Wille zu seiner vollen Wirkung nur die natürlichen Merkmale eines Willens. Auf welche Art und Weise eine Nation auch will, allein die Tatsache, dass sie will, ist ausreichend; dazu sind alle Formen gut, und ihr Wille ist immer das höchste Gesetz [. . .]. Scheuen wir uns nicht, es noch einmal zu wiederholen: Eine Nation ist von jeder Form unabhängig; und auf welche Art und Weise sie auch will, die bloße Äußerung ihres Willens genügt, um gleichsam angesichts der Quelle und des obersten Herrn jedes positiven Rechts alles positive Recht außer Kraft zu setzen.“33 Der politische Wille der Nation ist bei Sieyès freilich immer ein durch eine repräsentative Körperschaft vermittelter Wille. Die verfassungsgebende Gewalt tritt somit stets in repräsentativer Gestalt auf. Die Nation ist zwar Schiedsrichter bei Unstimmigkeiten der verschiedenen Faktoren der Verfassung, aber für die verfassungsgebende Funktion selbst werden Repräsentativorgane, außerordentliche Stellvertreter mit Spezialmandat bestellt. Da sich eine große Nation 32 33

Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers-Etat?, s. l. 1789, S. 80–82. Ebd., S. 79–80.

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4 Der Kampf um die Verfassung

nicht jedes Mal, wenn außerordentliche Umstände es möglicherweise erfordern, wirklich selbst versammeln kann, muss sie, so Sieyès, die in solchen Fällen notwendigen Vollmachten außerordentlichen Stellvertretern anvertrauen. An die Stelle der Versammlung dieser Nation tritt die Körperschaft der außerordentlichen Stellvertreter. Diese vertritt „die Nation in ihrer Unabhängigkeit von allen Verfassungsformen“34. Für Sieyès ist ein Machtmissbrauch nahezu ausgeschlossen, sind jene Stellvertreter doch nur für eine einzige Angelegenheit und für eine begrenzte Zeit abgeordnet.35 Die verfassungsgebende Gewalt äußert sich also nur in der Rechtsform der Delegation an außerordentliche Stellvertreter, deren gemeinschaftlicher Wille dann als Wille der Nation anzusehen ist. Die wesentliche Konzession, die Sieyès dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der verfassungsgebenden Gewalt macht, liegt darin, dass er sie außerordentlichen Stellvertretern anvertraut, die so handeln, als ob sie die Nation selbst wären und die dem persönlichen Willen der Nation insofern näher sind, als ihre Wahl und Bestellung ausdrücklich mit Rücksicht auf die von ihnen zu leistende Verfassungsarbeit erfolgt ist. Die unmittelbare Anteilnahme der Gesamtheit an der Ausübung der verfassungsgebenden Gewalt ist somit praktisch lediglich auf den Wahlakt der neuen Delegierten beschränkt und es gibt keinen stärkeren Beweis für die Intensität, mit der Sieyès dem Repräsentativgedanken anhängt, als die Tatsache, dass die verfassungsgebende Gewalt nicht einmal nach Erlöschen des Mandats der augenblicklichen Inhaber an die Gesamtheit zurückfällt, sondern dass diese für eine neuerliche Änderung wiederum Stellvertreter bestellen muss, so dass also höchstens der Wahlakt als Symbol für die virtuell der Gesamtheit zustehende verfassungsgebende Gewalt angesehen werden kann. Damit hat sich Sieyès in aller Deutlichkeit von der monarchischen Herrschaft und der alten Politikvorstellung distanziert und ein neues Verständnis nationaler Souveränität formuliert. Der König, der selbst kein Abgesandter des Volkes ist, hat bei der Ausarbeitung der Verfassung und ihre Inkraftsetzung keine Stimme. Gegen dieses Politikverständnis von Sieyès wendet sich vor allem Jean-Joseph Mounier aus dem Lager der gemäßigten Monarchisten. Gegen Sieyès beharrt er auf der Verbindlichkeit der überlieferten staatlichen Ordnung und verweist auf die normative Kraft der Tradition, die den etablierten und seit alters her bestehenden Rechtsinstituten eine eigene, vom Willen einer gesetzgebenden Versammlung unabhängige Form der Legitimität verleihe. Mounier zufolge kann die Verfassung eines Landes nicht in einem abstrakten Werk von Prinzipien zum Ausdruck kommen; sie findet ihre Verkörperung vielmehr in der überlieferten Form der Regierung.36 Denn was sollten die Franzosen anderes sein, 34 35 36

Ebd., S. 83. Ebd., S. 82 ff. Mounier, 9. Juli 1789, AP, 8, S. 214.

4.3 Verfassung und Staatsgewalt

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als das historisch gewachsene Volk, das unter einer Monarchie vereint und gewachsen ist. „Seit mehr als vierzehn Jahrhunderten ist Frankreich eine ständisch gestufte Monarchie mit einem König an der Spitze, der Kraft eines nationalen Willens regiert“, schreibt er. „Erinnern wir uns daran, dass die Franzosen kein neues Volk sind, das gerade die Wälder verlässt, um eine Gemeinschaft zu formen. Die Franzosen sind eine große Gesellschaft von 24 Millionen Menschen, die ihre gemeinsamen politischen Grundsätze formulieren wollen, die alle Teile des Landes verbinden wollen, die das Königreich erneuern möchten und für die die wahren Prinzipien der Monarchie immer heilig sind. Vergessen wir nicht, dass wir der Nation jederzeit Rechenschaft schuldig sind, dass wir zu Respekt und Treue gegenüber der königlichen Autorität verpflichtet sind und dass wir verantwortlich sind, sie gegenüber allen Angriffen zu verteidigen.“37 Und trotz mangelhafter oder fehlender Grundrechte gebe es dank dieser langen Tradition eine Verfassungsgeschichte, die die Grundsätze der Monarchie beinhalte, wozu Mounier u. a. auch die Zustimmungspflicht der Franzosen zur Steuererhebung zählt.38 Nicht das eigenmächtige Handeln der Repräsentanten der Nation, sondern allein die Tradition verleiht den Delegierten der Assemblée Nationale einen Verfassungsstatus. Mounier ist kein Gegner des Verfassungsprojekts. Im Gegenteil: Die Notwendigkeit der schriftlichen Ausarbeitung einer Verfassung wird von ihm immer wieder ausdrücklich zugestanden. „Wir haben solange keine Verfassung“, ruft er den Abgeordneten abermals zu, „bis alle Gewalten im Staat nicht klar voneinander getrennt sind und ihre Grenzen bestimmt wurden. Man hat bis heute nicht die Judikative von der Legislative getrennt [. . .]. Die Autorität ist vereinzelt und die verschiedenen Gewalten sind ständig im Widerspruch zu ihr [. . .]. Die Gesetze werden missbraucht und oftmals ist man sich uneins über das, was man Gesetze nennen soll.“39 Hier wird noch einmal der Spagat, den Mounier zwischen dem alten und neuen Politik- und Rechtsverständnis vollzieht, in aller Schärfe deutlich: Frankreich besitzt für ihn zwar eine moralisch verbindliche Verfassungstradition, doch kann diese seiner Meinung nach solange keine Rechtsgeltung beanspruchen, wie nicht die „verschiedenen öffentlichen Gewalten, ihre notwendige Verbindung und ihre gegenseitige Unabhängigkeit“ fixiert und die Rechte der Bürger in positives Recht umgewandelt wurden. Die Tatsache, dass die königliche Autorität Verfassungsrang besitzt, reicht in seinen Augen nicht aus, um eine Verfassung zu schaffen, kann sie doch jederzeit in ihr Gegenteil verkehrt werden und in eine Despotie umschlagen. „Die Einrichtung der königlichen Autorität reicht zweifellos nicht aus, um eine Verfassung zu schaffen: wenn diese Autorität keine Grenzen kennt, ist sie notwendigerweise 37 38 39

AP, 8, S. 215. AP, 8, S. 214. Ebd.

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4 Der Kampf um die Verfassung

willkürlich, und nichts ist einer Verfassung stärker entgegengesetzt als die despotische Gewalt. So muss man eingestehen, dass das Fehlen einer Verfassung bisher für die Krone nicht von Vorteil war. Oft haben waghalsige Minister ihre Macht missbraucht.“40 Die Folge davon sind ein schlechter Ruf der Krone, eine Vielzahl von Privilegien und der Zerfall der sittlichen Ordnung des Königreiches. Um die staatliche Ordnung auf eine ebenso breite wie feste Grundlage zu stellen, so Mounier, bedarf es einer Verfassung, welche die Rechte des Monarchen und die der Nation gleichermaßen bestimmt. Wogegen sich Mounier in seiner Argumentation somit mit Entschiedenheit wendet, ist das von Sieyès und anderen verfolgte Ziel eines radikalen politischen Neuanfangs. Der Zweck einer Verfassung kann für Mounier nur darin bestehen, die überlieferten Rechte erneut in Geltung zu bringen und ihre allgemeine Anerkennung rechtlich zu sichern. Eine Verfassung, die darüber hinaus das Ziel einer politischen Neuordnung Frankreichs, womöglich sogar eine Abschaffung der Monarchie verfolgt, lehnt er kategorisch ab.41 Dennoch gibt es zwischen den theoretischen Ansätzen von Mounier und Sieyès zwei entscheidende Gemeinsamkeiten. Erstens sind sich beide einig über die notwendige Verrechtlichung von Politik. Die Verfassung, als Ausdruck des politischen Willens einer Nation, muss den rechtlichen Rahmen bieten, in dem sich alle weiteren politischen Prozesse vollziehen. Zweitens äußert sich die verfassungsgebende Gewalt für beide in der Rechtsform der Delegation an außerordentliche Stellvertreter, deren gemeinschaftlicher Wille dann als Wille der Nation anzusehen ist. Die verfassungsgebende Gewalt wird außerordentlichen Stellvertretern anvertraut, die so handeln, als ob sie die Nation selbst wären, insofern ihre Wahl und Bestellung ausdrücklich mit Rücksicht auf die von ihnen zu leistende Verfassungsarbeit erfolgt. Auch die unmittelbare Anteilnahme der Gesamtheit an der Ausübung der verfassungsgebenden Gewalt bleibt somit lediglich auf den Wahlakt der neuen Delegierten beschränkt. Im Gegensatz zu Sieyès ist für Mounier jedoch auch der König als traditioneller Repräsentant der Nation Träger der gesetzgebenden Gewalt. Für Mounier muss ihm daher die Rolle zukommen, die erarbeitete Verfassung zu bestätigen und in Kraft zu setzen.42 Mit ihrer Auseinandersetzung haben Sieyès und Mounier damit die beiden entscheidenden Punkte bei der Ausarbeitung einer Verfassung in aller Deutlichkeit hervorgehoben. Wie immer die Verfassung auch im Einzelnen aussehen mag, sie wird nicht nur den legislativen Status der Assemblée Nationale rechtlich sichern müssen, sie wird auch ein Urteil darüber zu fällen haben, ob der König Teil der Legislative ist oder nur exekutive Funktionen hat. 40 41 42

Ebd. Mounier, 27. Juli 1789, AP, 8, S. 285. Mounier, 31. August 1789, AP, 8, S. 523.

4.4 Die Grundlagen der Verfassung

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4.4 Die Grundlagen der Verfassung Die Mitglieder des am 9. Juli von der Nationalversammlung gewählten Verfassungsausschusses, der zunächst unter der Leitung Mirabeaus tagt, bemühen sich zunächst um eine Versöhnung der beiden konkurrierenden Vorstellungen. So ist man von Seiten des Ausschusses bereit, die Monarchie als die historisch überlieferte und damit legitime Regierungsform der Franzosen anzuerkennen, betont jedoch gleichzeitig die Notwendigkeit und die Absicht, eine stabile Herrschaftsordnung zu begründen, in welcher die verschiedenen Gewalten deutlich getrennt und die Grenzen ihrer jeweiligen Vorrechte festgelegt sind. Damit wird die Nationalversammlung als Repräsentativorgan der französischen Nation mit der Legislative betraut. Die strittige Frage, ob der König Anteil an der Legislative hat oder nur exekutive Funktionen ausübt, wird zunächst ausgespart. Freilich wird sie in veränderter Form weiterdiskutiert, nämlich im Hinblick auf die zeitgleich verhandelte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des droits de l’homme et du citoyen). So will man das in erster Linie von den Vertretern des Dritten Standes gebildete Lager der Reformer zufrieden stellen, die, geprägt von der neuzeitlichen Philosophie des Naturrechts, eine prinzipielle Erklärung unantastbarer individueller Menschenrechte fordern, die ebenfalls in der Verfassung verankert werden sollen. Über den Status dieser Rechte herrscht aber nicht einmal unter den Reformern Einigkeit. Während eine Gruppe sie in positives Recht überführen will, um aller zukünftigen Gesetzgebung verbindliche Schranken zu setzen, will eine zweite Gruppe ihnen lediglich einen unverbindlichen moralischen Status einräumen. Stellvertretend für diese Gruppe erklärt Barrère de Vieuzac, ganz im Sinne der Aufklärungsphilosophie und der Naturrechtstheorie: Die Menschenrechtserklärung „besteht bereits in allen Köpfen; sie wird nicht das Ergebnis einer aufwendigen Erarbeitung sein. Vielleicht ist sie das Werk eines Tages, denn sie ist das Produkt des Jahrhunderts der Aufklärung.“43 Für diese Gruppe stellt „die Menschenrechtserklärung einen wesentlich eigenständigen Gegenstand dar, welcher der Verfassung voraus liegt“44, der jedoch selbst kein Bestandteil von ihr sein kann. Eine weitere Gruppe will die Erklärung der Menschenrechte nach Art eines neuen Gesellschaftsvertrages gestalten. Diese Gruppe um Sieyès gehört zugleich zu den stärksten Befürwortern einer neu zu schaffenden Verfassung, bei deren Ausarbeitung und Bestätigung der Monarch keine Rolle mehr spielt. Doch auch in der Frage des Status der Menschen- und Bürgerrechte sind sich die Delegierten uneins, will man doch den vornehmlich auf Seiten des Adels versammelten Skeptiker entgegenkommen, die den abstrakten Prinzipien von Freiheit und Gleichheit als rechtsverbindlicher Grundlagen einer politischen 43 44

Barrère de Vieuzac, 14. Juli 1789, AP, 8, S. 231. Garat, 14. Juli 1789, AP, 8, S. 233.

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4 Der Kampf um die Verfassung

Ordnung misstrauen und für die Malouet stellvertretend erklärt: „Die Rechteerklärung darf sich nicht an metaphysischen Grundsätzen orientieren“45. Um ihren Bedenken zu begegnen, schlägt der Ausschuss daher vor, die Menschenrechtserklärung lediglich als Präambel der zu entwerfenden Verfassung zu konzipieren und sie nicht als eigenständigen Text zu veröffentlichen. Die Vermittlungsbemühungen des Ausschusses können die zwischen den verschiedenen Lagern existierenden Gegensätze, die sich mehr und mehr ins Prinzipielle steigern, jedoch nicht dauerhaft überbrücken. So klagt Lally-Tollendal am 14. Juli 1789 erneut über die Gefahr, die eine eigenständige Erklärung der Menschenrechte berge. In einem Land wie den Vereinigten Staaten, so seine Argumentation, habe man eine neue Nation gegründet. Hier habe eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte quasi den Status eines Gesellschaftsvertrages. In einem alten Land wie Frankreich, sei dies jedoch unmöglich, könne es doch nicht darum gehen, eine neue Gesellschaft zu gründen, sondern nur darum, in einer bestehenden Gesellschaft neue rechtliche Rahmenbedingungen zu setzen. Folglich sei es absurd, abstrakte natürliche Rechte einzufordern. Vielmehr müsse man sich auf die eigentliche Arbeit der Assemblée Nationale besinnen, die darin liege, positives Recht zu schaffen. Ganz im Sinne Lally-Tollendals ergänzt Grandin, Abgeordneter der Geistlichkeit und wie Lally-Tollendal ein Vertreter der gemäßigten Monarchisten: „Es geht nicht um die Rechte, die der Mensch im Naturzustand besitzt, sondern darum, die Prinzipien der Monarchie zu bestimmen und festzuschreiben.“46 Und Delandine, Abgeordneter des Dritten Standes und enger Vertrauter von Rabaut Saint-Etienne, fügt hinzu, dass es sich bei der Verfassung nicht um ein theoretisches, sondern ein praktisches Projekt handele, weshalb es nicht darum gehen könne, über eine allgemeingültige Regierungsform zu philosophieren. Nicht das Schicksal der Menschheit, sondern die politische Entwicklung Frankreichs werde hier entschieden: „es handelt sich [. . .] nicht um Theorie, sondern um unsere politische Praxis; nicht um die Allgemeingültigkeit von Regierungen, sondern um die Einrichtung unserer Staatsmacht“47. Malouet warnt sogar vor der Gefährlichkeit abstrakter Prinzipien, die in der Politik oder bei der Schaffung eines Grundgesetzes fehl am Platze seien. Um die Tyrannei zu überwinden, bedürfe es keiner gesonderten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Hierzu bräuchte es lediglich einer guten, d.h. auf dem Prinzip der Gewaltenteilung gegründeten Verfassung.48 Dagegen erhebt sich nun von Seiten der Reformer starker Widerspruch. Durand de Maillane wendet ein, dass ein Volk, das seine Rechte verloren hat und 45 46 47 48

Malouet, 3. August 1789, AP, 8, S. 338. Grandin, 1. August 1789, AP, 8, S. 321. Delandin, 1. August 1789, AP, 8, S. 324. Malouet, 3. August 1789, AP, 8, S. 337.

4.4 Die Grundlagen der Verfassung

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neue einklagt, sich erst einmal darüber verständigen müsse, auf welche Grundsätze sich diese Rechte stützen sollen. Diese Grundsätze seien die grundlegenden Prinzipien, auf denen die Verfassung ruhen müsse. Nur ein Volk, das mit diesen „elementaren Wahrheiten“ vertraut sei, werde sich infolge dessen später auch an das positive Recht halten.49 Die Franzosen, so Duquesnoy, seien ein Volk von Sklaven oder Despoten gewesen. Deshalb sei es notwendig, die Menschenrechte, die jeder bisher nur in seinem Herzen getragen habe, nun zur Grundlage einer neuen Verfassung zu machen.50 Denn deren Artikel, so Desmeuniers seien nur die logische Konsequenz aus den Menschen- und Bürgerrechten. „Die Erklärung wird die wahren Prinzipien des Menschen und Bürgers enthalten. Und die Artikel der Verfassung werden nichts anderes seien als die natürlichen Ableitungen.“51 Die Argumentation der Gegner einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wird somit in ihr Gegenteil verkehrt: Gerade weil die Franzosen ein altes Volk seien und lange Zeit in Knechtschaft gelebt hätten, müssten sie sich nunmehr auf ihre elementaren Grundrechte neu besinnen. Der zu machende Neuanfang wird nicht als ein historischer, sondern als ein politischer begriffen. Demnach geht es nicht darum, sich als Volk neu zu konstituieren oder über abstrakte natürliche Rechte zu debattieren, sondern darum, ein neues politisches Selbstund Rechtsverständnis zu stiften.52 Nur dieses „öffentliche Selbstverständnis“53 und nichts anderes soll die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zum Ausdruck bringen. Den Gegnern einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wird dabei zugestanden, dass der Mensch im Naturzustand weder über Rechte und Freiheiten noch über Eigentum verfüge, ja das es im Naturzustand, wie Gaultier de Biauzat es formuliert, noch nicht einmal Sklaverei gebe.54 Gerade deshalb aber, weil der Mensch nur in der Gesellschaft überhaupt Rechte besitze, sei es notwendig, sich über die elementaren rechtlichen Prinzipien einer jeden und insbesondere der eigenen Gesellschaft zu verständigen.55 Und das neue Politikverständnis beginne bei der Frage, welches die unhintergehbaren Rechte des Einzelnen bzw. des Bürgers seien. Die Menschen- und Bürgerrechte werden also keineswegs als naturgegebene Rechte des Menschen betrachtet, die es in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten gilt, sondern als die grundlegenden rechtlichen Prinzipien der neu zu konstitu49 50 51 52 53 54 55

Durand de Maillane, 1. August 1789, AP, 8, S. 317. Duquesnoy, 3. August 1789, AP, 8, S. 337. Desmeuniers, 3. August 1789, AP, 8, S. 334. AP, 8, S. 334. AP, 8, S. 334. Biauzat, 3. August 1789, AP, 8, S. 334. Antraigues, 3. August 1789, AP, 8, S. 334.

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4 Der Kampf um die Verfassung

ierenden Gesellschaft, als Ausdruck des Selbstverständnisses der eigenen politischen Gemeinschaft und als gemeinsame politische Errungenschaft.56 Sie sollen mithin den unantastbaren rechtlichen Rahmen für alle weitere Gesetzgebung bilden. Die Gesetze sind dann nur insofern gültig, als sie nicht die Grundrechte des Menschen einschränken oder gar verletzen. Als sich die Abgeordneten in der Debatte am 4. August schließlich mit 570 zu 433 Stimmen dafür aussprechen, der Verfassung eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte voranzustellen, ist der Streit über den Status der zu erarbeitenden Erklärung entschieden. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wird von nun an als jene unhintergehbare rechtliche Grundlage betrachtet, der die weitere Gesetzgebung nicht widersprechen darf. Die Abgeordneten beginnen deshalb sofort nach der Abstimmung mit der Ausarbeitung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, noch bevor sie sich der Verfassung, die selbst nicht im Widerspruch zu den Menschen- und Bürgerrechten stehen darf, zuwenden. Mit der Verfügung einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ist zugleich – ob gewollt oder nicht – auch die Rolle des Königs bei dem Verfassungsprojekt entschieden. Nicht die Rückschau auf die Tradition soll von nun an die Abgeordneten leiten, sondern die Besinnung auf die für alle verbindlichen moralischen Grundsätze und die Bestimmung der politischen Grundlagen der Gesellschaft. Damit wird ausschließlich dem politischen Willen der Nation, wie er durch die Entscheidungen der Abgeordneten der Assemblée Nationale verkörpert wird, ein legislativer Rang zugebilligt. Die in der Erklärung niedergelegten Prinzipien, nach denen der Neuentwurf der Verfassung durchgeführt werden soll, sind jedoch, wie Marcel Gauchet gezeigt hat, keineswegs eindeutig und rufen neue Unstimmigkeiten hervor.57 Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen dabei vor allem die in den Artikeln 3, 6 und 16 der Erklärung aufgeführten Prinzipien der nationalen Souveränität, der gesetzlichen Verkörperung des Allgemeinwillens und der Gewaltenteilung. Artikel 16 – „Eine Gesellschaft, deren Rechte nicht sicher verbürgt sind und bei der die Teilung der Gewalten nicht durchgeführt ist, hat keine Verfassung“58 – ist Ausdruck des vorrevolutionären Anliegens, die Gefahr des Despotismus durch schriftlich fixierte Gesetze und eine klare Trennung der Gewalten zu bannen. Für die Reformer bedeutet der Artikel, der sich an die Argumentation von Mounier anlehnt, das Eingeständnis, dass Frankreich bislang keine Verfassung im vollen Wortsinn hatte. Für ihre Gegner hingegen artikuliert sich in ihm die Ab56

AP, 8, S. 337 ff. Gauchet, Marcel: Menschenrechte, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1180–1197. 58 AP, 8, S. 487. 57

4.4 Die Grundlagen der Verfassung

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sicht, die Freiheit auf den Grundmauern der alten Monarchie nach englischem Vorbild zu errichten. Da der Artikel jedoch weder die Gewalten noch die Art ihrer Trennung benennt, ergeben sich auch andere Deutungen. Artikel 16 kann auch so gelesen werden, dass die Trennung der legislativen und der exekutiven Gewalt nach rousseauschem Vorbild als Grundvoraussetzung für die richtige Ausübung des Allgemeinwillens gelten soll. Letztere Interpretation kann sich zudem auf die von Rousseau übernommene Formulierung des Artikels 6 der Erklärung stützen, in dem es heißt: „Das Gesetz ist Ausdruck des Allgemeinwillens.“59 Stellt dieser erste Satz des Artikels 6 die Rolle des Monarchen als Teil der legislativen und exekutiven Gewalt in Frage, so lässt sich der zweite Satz als Aufforderung verstehen, eine Verfassung zu schaffen, die den direkten Ausdruck des Allgemeinwillens sichern kann: „Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Schaffung mitzuwirken.“60 Dieser wiederspricht der theoretischen Konzeption des Allgemeinwillens bei Rousseau, der die Möglichkeit der Repräsentation ausdrücklich verworfen hat. Artikel 3 der Erklärung: „Jegliche Souveränität liegt im Prinzip und ihrem Wesen nach in der Nation. Keine Körperschaft, kein Individuum kann eine Autorität ausüben, die sich nicht ausdrücklich von ihr herleitet“61 bringt hier keine Klarheit. Die Bestätigung, dass jegliche Souveränität in der Nation angesiedelt ist, bedeutet nicht notwendig, dass die Ausübung der Souveränität direkt von der Nation als solcher ausgehen muss. Nach dem von Sieyès entwickelten Ansatz ist sie auch dann gewährleistet, wenn sie von Delegierten, die dank eines freien Wahlverfahrens als Vertreter der Nation zu gelten haben, ausgeübt wird. Die Souveränitätsfrage ist damit in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte nicht eindeutig geregelt. Sie ist deshalb das grundsätzliche Problem, mit dem sich die Abgeordneten Ende August und Anfang September 1789 in der nunmehr fortgesetzten Debatte über die Verfassung erneut auseinander zu setzen haben. Dabei ist es weniger das Prinzip der nationalen Souveränität selbst, das den Grund der Differenzen abgibt, als vielmehr die Frage seiner richtigen Auslegung. So bekennt sich die Versammlung zwar zur Souveränität der Nation, ist sich aber uneins in der Frage, ob der Monarch Teil an jener Souveränität habe. Damit wird erneut die Frage auf die Tagesordnung gesetzt, ob die französische Verfassung die bereits existierende Monarchie bestätigen oder ihr ein gänzlich neues, von der Tradition entbundenes Fundament geben soll.

59 60 61

AP, 8, S. 487. Ebd. Ebd.

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4 Der Kampf um die Verfassung

4.5 Die verfassungsrechtliche Funktion des Monarchen Als die Abgeordneten dazu übergehen, die Verfassung auszuarbeiten, vertreten einige unter ihnen abermals vehement die Ansicht, dass man ihnen, als man sie in die Generalstände schickte, nicht die Anweisung gab, eine neue Verfassung zu schreiben, sondern die alte zu erneuern. Was sie damit betonen, ist ihr Bekenntnis zur monarchischen Souveränität. Andere hingegen bekennen sich zu dem Auftrag, eine neue Verfassung auszuarbeiten und damit zu einem neuen Souveränitätsverständnis, nämlich der Nation die Legislative zuzuschreiben. Bereits in der Diskussion des ersten Verfassungsartikels, der Vorlagetext lautete: „die französische Regierung ist eine monarchische Regierung“62, sind sich die Abgeordneten uneins über die Form der monarchischen Regierung in Frankreich. Ist es die alte, traditionelle Form der Monarchie, die nur „bestätigt“ wird, oder handelt es sich um eine neue monarchische Regierungsform, die sich das französische Volk gibt, ohne damit seine ungeteilte Souveränität in Frage zu stellen. In der Debatte, die sich nun entspinnt, beharren Lally-Tollendal, Rhédon und Mounier u. a. darauf, dass die Nationalversammlung einzig und allein dazu legitimiert sei, die bestehende monarchische Ordnung durch die Beseitigung von Missständen zu erneuern und den Staat vor dem Abgleiten in despotische oder anarchische Zustände zu bewahren, dass es aber ihre Befugnisse überschreite, die Prinzipien der politischen Ordnung selbst zu verändern, sprich, die Frage der Souveränität komplett neu zu entscheiden.63 „Wir haben, so sagt man, das Recht, alles zu fordern; aber wir haben nicht das Recht, neues Recht zu schaffen und niemand von uns hat das Recht, es in Kraft zu setzen. Niemand kann also behaupten, dass er Frankreich in einen monarchischen Staat verwandle, sondern wir müssen sagen, dass Frankreich eine Monarchie ist. Und weshalb? Weil es der Wille unserer Wähler ist. Wir haben nichts Neues zu schaffen, sondern wir müssen uns nur offen zu unseren politischen Grundsätzen bekennen. Das gleiche gilt für die königliche Sanktionierung. Sie ist kein Recht, das wir zu schaffen haben, sondern sie ist ein Recht, dessen wir uns besinnen müssen. Wir brauchen uns nur auf unser Rechtsverständnis zu stützen und unsere Cahiers zu konsultieren. Sie besagen, dass die Gesetze nur dann rechtsgültig sind, wenn sie von der Nation geschaffen und durch den König sanktioniert wurden.“64 Die von Sieyès und anderen Vertretern des radikalen Flügels propagierte Vorstellung, es gäbe eine von der Regierung und den herrschenden Gesetzen unabhängige Existenz der politischen Nation, deren Wille der Quell aller Souveräni62 63 64

AP, 8, S. 504. Mounier, 4. September 1789, AP, 8, S. 555. Rhédon, 29. August 1789, AP, 8, S. 509.

4.5 Die verfassungsrechtliche Funktion des Monarchen

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tät sei, lehnen die Monarchisten auch an dieser Stelle ab. Ihrer Auffassung nach ist die Nationalversammlung von der Anerkennung des Königs abhängig, dessen ihr vorgeordneter Autorität sie sich auch bei der Realisierung ihrer Aufgaben zu fügen und dessen Willen sie entsprechend zu respektieren habe.65 Als legitimer Inhaber der Staatsgewalt und Repräsentant der Nation müsse er nicht nur mit Rücksicht auf seine faktische Macht, sondern auch aufgrund der erst zu etablierenden Konstitution vorausliegenden Rechts unter allen Umständen bei der Umsetzung des Verfassungsprojekts beteiligt werden.66 Da der König ebenso wie die Nationalversammlung als rechtmäßiger Repräsentant der Nation zu gelten habe, könne keine Verfassung Legitimität beanspruchen, die vom König nicht ausdrücklich anerkannt und ratifiziert worden sei: „Der König kann nicht das Recht haben, sich gegen eine Verfassung, d.h. gegen die Freiheit seines Volkes, auszusprechen; er muss deshalb für sich und seine Nachfolger die Verfassung unterzeichnen und ratifizieren.“67 Den aussichtsreichsten theoretischen Ansatz, um das von ihnen erstrebte Ziel eines Ausgleichs zwischen den überlieferten Ansprüchen der Krone, der historischen Erfahrung und den Grundsätzen der praktischen Vernunft zu verwirklichen, sehen die reformbereiten Monarchisten um Mounier und Lally-Tolendal in einer auf der Idee der Gewaltenteilung gegründeten konstitutionellen Monarchie. In den klassischen Werken von Charles-Louis de Secondat de Montesquieu, William Blackstone, Jean-Louis de Lolme, John Adams und Robert R. Livingston, auf deren Autorität sie sich bei der Ausarbeitung ihrer verfassungstheoretischen Argumente immer wieder berufen, sehen sie die Bestätigung für ihre Annahme, dass nur eine Teilung der staatlichen Gewalt hinreichenden Schutz gegen Willkür und Amtsmissbrauch zu bieten vermag. Die größte Gefahr für ein Abgleiten des Staates in einen neuerlichen Despotismus geht in ihren Augen dabei nicht vom König, sondern von einer einheitlichen gesetzgebenden Versammlung aus, die von niemandem gezwungen werden kann, ihre eigenen Entscheidungen über längere Zeit hinweg zu respektieren. „Und wie soll man in einer einzigen Versammlung zukünftig Fehler, Überstürzungen und Schwärmereien verhindern? Wie soll man hoffen, dass ihre Macht vor der Verfassung halt machen und sie im Fall von Differenzen mit ihr oder dem Thron weder den einen noch die andere umstürzen wird? Männer, die man zur Gesetzgebung berufen hat, Männer, die durch das öffentliche Vertrauen geehrt sind, die als Wächter, als Treuhänder der Freiheit des Volkes gelten, hätten eine so große Macht, dass es ihnen ein leichtes wäre, ihre Grenzen täglich weiter auszudehnen; und das Veto, das der Monarch gegen ihre Resolutionen erheben könnte, wäre ein nahezu vollkommen machtloses Mittel. Mit welchen geringen 65 66 67

Lally-Tollendal, 31. August 1789, AP, 8, S. 512. AP, 8, S. 514 ff. Lally-Tollendal, 31. August 1789, AP, 8, S. 522.

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4 Der Kampf um die Verfassung

Anstrengungen könnte eine einzige Kammer über ein solches Hindernis hinweggehen! Die Ablehnung der Steuern, mit der sie das Volk immer gewänne, würde dem König kaum erlauben, sich ihr zu widersetzen.“68 Deshalb plädieren Lally-Tollendal und Mounier für eine Teilung und ein Gleichgewicht zwischen den Gewalten. Sie fordern eine starke Exekutive, repräsentiert durch die Person des Monarchen, und eine funktionierende Legislative, die sie zwischen dem Monarchen und einer repräsentativen Versammlung ansiedeln. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage des königlichen Vetorechts (sanction royale), mittels dessen das Gleichgewicht von Exekutive und Legislative garantiert werden soll, für Lally-Tollendal und Mounier entscheidende Bedeutung. Denn nur durch das Vetorecht vermag der König als integraler Bestandteil der gesetzgebenden Körperschaft zu fungieren. Um nicht in Widerspruch zu dem in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte formulierten Prinzip der nationalen Souveränität zu geraten, unterscheidet Mounier zwischen dem Prinzip der nationalen Souveränität und ihrer Ausübung: Zwar habe die souveräne Macht ihren Ursprung und ihre Rechtfertigung in der Nation, doch könne sie nicht unmittelbar von ihr ausgeübt werden. Hier deckt das Prinzip der repräsentativen Demokratie die konstitutionelle Monarchie: „Es ist eine unbezweifelbare Wahrheit“, schreibt er, „dass das Prinzip der Souveränität in der Nation ruht, dass alle Gewalt von ihr ausgeht; aber die Nation kann sich nicht selbst regieren“69. Dies könne vielmehr nur auf dem Weg der Repräsentation geschehen. Um aber sicher zu stellen, dass die Repräsentanten auch wirklich den Willen der Repräsentierten zum Ausdruck bringen und nicht vielmehr nur ihr eigenes partikulares Interesse, sei es nicht nur klug, sondern geradezu notwendig, die gesetzgeberische Kompetenz zwischen zwei Gewalten, dem König und dem Parlament, zu teilen, da sie nur gemeinsam den Willen der Nation verkünden könnten. Aber auch das Parlament soll nach englischem Vorbild aus zwei Kammern bestehen. Dabei soll die eine aus den frei und direkt gewählten Repräsentanten des Volkes,70 die andere hingegen aus erblich bestimmten Mitgliedern besetzt werden.71 Auch an diesem Punkt kommen die beiden widersprüchlichen Politikvorstellungen, denen Mounier so sehr verpflichtet ist, zum Ausdruck. Auf der einen Seite fühlt er sich voll und ganz den sittlich-moralischen Grundsätzen der historisch gewachsenen französischen Gesellschaft verpflichtet, wie er sie durch den König aber auch den Geburtsadel verkörpert sieht. Diese treffen nach seiner Argumentation politische Entscheidungen nicht aus Interesse, sondern aus ei68 69 70 71

Mounier, 4. September 1789, AP, 8, S. 555. Ebd. Ebd. Ebd.

4.5 Die verfassungsrechtliche Funktion des Monarchen

125

nem am Gemeinwohl orientierten gesellschaftlichen Bewusstsein und historischer Verantwortung. Auf der anderen Seite fordert er die rechtliche Verankerung und Begrenzung ihrer Kompetenzen, womit er die Unzulänglichkeit eines an sittlich-moralischen Grundsätzen orientierten Politikverständnisses betont. Sein Lösungsansatz bleibt indes dem sittlich-moralischen Ansatz von Politik verpflichtet. So handelt für Mounier der Monarch in seinem Ideal einer konstitutionellen Monarchie keineswegs nur als Korrektiv gegenüber einer in ihrem politischen Wollen ansonsten maßlosen nationalen Körperschaft. Da die Nationalversammlung überhaupt erst vom König zusammengerufen worden sei, verfüge dieser mithin über eine von der Legislative unabhängige Gewalt. Nicht der König habe die Nationalversammlung zu kontrollieren, sondern umgekehrt sei das Parlament dazu bestellt, die Monarchie vor dem Abgleiten in den Despotismus zu bewahren. Ansonsten aber sei sie verpflichtet, im Einklang mit der Krone zu handeln. Nach der Logik dieser Argumentation kann der König seinen Platz in der politischen Ordnung nicht erst durch die Verfassung erhalten. Vielmehr muss er selbst an ihrer Errichtung beteiligt werden. Mit dieser Begründung erreicht Mounier zweierlei: Zum einen zieht das Parlament seine ganze Legitimität aus der Person des Königs, zum anderen steht der König nur insofern unter der Verfassung, als er ihr auch zugestimmt hat. Der König kann damit zwar nach Mounier die Verfassung nicht mehr ablehnen, aber er kann doch Änderungen fordern, bevor er den Verfassungstext ratifiziert. Ja, er hat für Mounier sogar das Recht auf ein aufschiebendes Veto bei der Einsetzung der Verfassung. Nach Mouniers Meinung ist der König ohne eine solche Regelung kein integraler Bestandteil der gesetzgebenden Körperschaft, sondern nur ein Magistrat unter ihrem Befehl. Eine solche Regierung, die ihrem Wesen nach dann allerdings nicht mehr monarchisch, sondern republikanisch wäre, lehnt er strikt ab. Der Widerspruch der Abgeordneten des radikalen Flügels, die darin eine Abwertung des Geltungsanspruches der auszuarbeitenden Verfassung sehen, bleibt nicht aus. Beeinflusst von den Ideen der volonté générale und der Souveränität der Nation ist es vor allem der Gedanke eines Vertrages zwischen König und Nation, wie er bei Mounier zum Ausdruck kommt, gegen den sich ihr Widerspruch richtet. Im Gegensatz zu den Anhängern der konstitutionellen Monarchie bestehen sie auf dem Erfordernis einer einheitlichen Repräsentation. So fordern Jean-Baptiste Salle, Jérôme Pétion de Villeneuve, Abbé Henri-Baptiste Grégoire und Jean-Paul Rabaut Saint-Etienne, die Wortführer der Radikalen im Verfassungsausschuss, die Schaffung einer neuen Verfassung, die die beständige Ausübung der Souveränität der Nation auf der Grundlage des Allgemeinwillens zum Ziele habe.72 Damit erteilen sie dem von Mounier propagierten Modell 72

Salle, 4. September 1789, AP, 8, S. 565.

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4 Der Kampf um die Verfassung

einer konstitutionellen Monarchie und dem königlichen Vetorecht eine klare Absage.73 Als bereits konstituierte Macht müsse die Monarchie durch die Verfassung erst wiedererschaffen werden und könne nicht an ihrer Entstehung mitwirken. Dies könne allein das Werk der Nationalversammlung sein, die als Verfassungskonvent im Auftrag des Volkes handle.74 Die Legislative müsse jedoch wie die Nation eins und unteilbar sein.75 Dabei gehen die Radikalen von der namentlich durch Rabaut Saint-Etienne propagierten Vorstellung einer grundsätzlichen Dichotomie zwischen den Repräsentanten der Nation und dem Volk aus. Dies impliziert seiner Vorstellung nach allerdings die Gefahr, dass die Entscheidungen der Repräsentanten der Nation nicht mit dem in der Gesamtheit der Bürger verkörperten wahren Willen der Nation übereinstimmen. Für den Fall, dass dies geschieht, muss die Verfassung Vorsorge treffen, weshalb Saint-Etienne, wie die Monarchisten, für ein königliches Vetorecht plädiert, freilich nur für eines mit aufschiebender Wirkung. Dieser oberflächlichen Übereinstimmung mit den Forderungen Mouniers liegt allerdings eine tiefgreifende Differenz zugrunde. Beruht für Mounier und die ihm folgenden Anhänger einer konstitutionellen Monarchie die Notwendigkeit eines königlichen Vetos auf der Anerkennung der legitimen gesetzgeberischen und repräsentativen Funktion des Monarchen, so erwächst sie für die Anhänger des Prinzips der nationalen Souveränität um Rabaut Saint-Etienne allein aus dem pragmatischen Erfordernis, einem möglichen Missbrauch der gesetzgeberischen Gewalt der Nationalversammlung entgegenzuwirken. Dahinter steckt eine starke Skepsis hinsichtlich der Beziehung zwischen dem Allgemeinwillen und der Repräsentationspraxis. Gibt es berechtigte Gründe, an der Übereinstimmung des von der gesetzgebenden Körperschaft formulierten Willens und dem allgemeinen Willen der Nation zu zweifeln, so soll der König von seinem aufschiebenden Veto Gebrauch machen und damit an das Volk appellieren können, seinen wahren Willen zu bekunden. Das Vetorecht des Königs ist demnach nicht Ausdruck seiner legislativen Gewalt, sondern lediglich eine ihm übertragene Kompetenz, derer er sich im Rahmen der ihm verliehenen Exekutivgewalt zum Wohle und im Dienst der Nation bedienen soll. Es erwächst ihm nicht aus eigenem Recht, sondern ist Ausdruck geliehener Autorität. Weil die legislative Macht nicht geteilt und weder als Ganzes noch in ihren Teilen übertragen werden kann, folgt für Rabaut Saint-Etienne, dass man auch dem König kein absolutes Veto zubilligen darf, das immer schon ein Akt der Legislative wäre. „Gleichwohl werden sie“, wendet er sich an die Abgeordneten, „sofern sie es für notwendig erachten, Vorkehrungen gegen ihre Repräsentanten zu treffen, der Überlegung zustimmen, dass der König die Ausführung eines Gesetzes ver73 74 75

Rabaud Saint-Etienne, 4. September 1789, AP, 8, S. 569. AP, 8, S. 570. Ebd.

4.5 Die verfassungsrechtliche Funktion des Monarchen

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schieben können muss, um so besser dem allgemeinen Willen des Volkes gerecht zu werden. Es scheint mir daher offensichtlich, dass man einem anderen Prinzip folgen muss [. . .]: es besagt, dass dem König die Ausübung des Gesetzes zusteht und sie ihm in dieser Funktion das Recht einräumen müssen, ein Gesetz in seiner Ausführung verhindern zu können, indem er es nicht sanktioniert. Ein solcher Akt des Königs wäre kein Akt des Gesetzgebers [. . .], sondern der Akt eines höchsten Verwaltungsbeamten, der die Sanktion nur verschiebt [. . .]. Es ist, um es mit anderen Worten zu sagen, ein Appell der Repräsentanten der Nation an die Nation selbst.“76 Auch bei Rabaut Saint-Etienne führt die Bejahung des Prinzips nationaler Repräsentation zur Verteidigung der konstitutionellen Monarchie, freilich nur im Sinne einer Regierungsform und nicht, wie bei Mounier, als Teilung der nationalen Souveränität. Genau an diesem Punkt setzt die Kritik von Sieyès an, der in dieser Debatte eine dritte Position einnimmt. Gegen die Gruppe der gemäßigten Monarchisten um Mounier beharrt auch er darauf, dass der Person des Königs im Rahmen einer auf dem Prinzip der nationalen Souveränität beruhenden Ordnung allein die exekutive, nicht aber die legislative Gewalt zukommen könne. Im Unterschied zu Rabaut Sant-Etienne bekennt sich Sieyès jedoch aus grundsätzlichen und nicht bloß pragmatischen Erwägungen zum Prinzip der Repräsentation und lehnt die Vorstellung eines in der Gesamtheit des Volkes verkörperten nationalen Willens ab. Der entscheidende Fehler in den Ansichten Rabaut Saint-Etiennes und seiner Gefolgsleute liegt für ihn in der irrigen Annahme, es könne einen vom Willen der gewählten Repräsentanten unterschiedenen, „eigentlichen“ oder „wahren“ Willen der Nation geben, den die in der gesetzgebenden Versammlung versammelten Vertreter bei der Ausübung ihrer legislativen Gewalt zu berücksichtigen hätten. So beklagt Sieyès, dass man sich in der Diskussion immer mehr dazu verstiegen habe, „den nationalen Willen so zu betrachten, als könne er etwas anderes sein als der Wille der Stellvertreter der Nation: so als ob die Nation anders als durch ihre Stellvertreter sprechen könne“77. Er lehnt nicht nur die bei den intellektuellen Erben Rousseaus populäre Idee der Volksbefragung ab, sondern widersetzt sich auch den immer wieder erhobenen Forderungen nach einem imperativen Mandat der Abgeordneten. Ihm zufolge kann der Wille der Wähler eines Wahlkreises weder in dem einen noch in dem anderen Fall verbindlich sein, da er mit Blick auf die Nation stets nur einen partikularen Willen zum Ausdruck zu bringen vermag, keinesfalls aber den allein bindenden Willen der ganzen Nation.78 Wollte man jede strittige legislative Entscheidung von der Zustimmung der Wahlkreise abhängig machen, so würde dies zu nichts anderem führen, als Frankreich in eine Unmenge kleiner Demo76 77 78

AP, 8, S. 571. Sieyès, 7. September 1789, AP, 8, S. 593. AP, 8, S. 595.

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4 Der Kampf um die Verfassung

kratien zu zerschneiden, die sich dann nur zu einem allgemeinen Bund zusammenschließen könnten. „Frankreich aber“, so Sieyès, „ist keine Ansammlung von Staaten; es ist ein aus zusammengehörigen Teilen bestehendes einheitliches Ganzes“79. Und als solches könne es nur von einer einheitlichen gesetzgebenden Körperschaft – mithin der Nationalversammlung – repräsentiert werden. Damit wendet er sich nicht nur entschieden gegen jegliche Form eines königlichen Vetos, sondern widerspricht auch der bei den Rousseauisten verbreiteten Vorstellung, dass das Prinzip der nationalen Souveränität verlange, das Volk zum Träger des nationalen Willens zu machen. Das Volk oder die Nation kann nur eine Stimme haben, und dies ist die der nationalen gesetzgebenden Körperschaft. Ein Appell an das Volk, wie es das Veto des Königs nach Rabaut SaintEtienne darstellen soll, kann nach Sieyès daher nichts anderes bedeuten, als dass die ausführende Gewalt im Auftrag der Nation an eben diese Nation appelliert, die doch wiederum nur durch ihre Stellvertreter sprechen kann. Der Ausdruck „Appell an das Volk“ ist für Sieyès daher nicht nur schlecht gewählt, sondern politisch inakzeptabel, da in einem Land, das keine Demokratie ist, das Volk nur durch seine Stellvertreter sprechen und handeln kann.80 Damit ist Sieyès der einzige Abgeordnete der Nationalversammlung, dem es gelingt, seine Anschauungen in der Verfassungsfrage zu einer kohärenten Theorie der politischen Repräsentation und nationalen Souveränität zusammenzufassen. Einzig und allein die gewählten Repräsentanten der Nation können deren politischen Willen in einer Verfassung zum Ausdruck bringen, mit der sie gleichsam ihrem politischen Handeln einen rechtlichen Rahmen setzen. Auf diese Weise spricht sich Sieyès klar gegen jede Form eines königlichen Vetos aus und stellt die konstitutionelle Monarchie als unhintergehbares politisches Bekenntnis in Frage.

4.6 Die verfassungsmäßige Gewalt des Staates Als sich die Abgeordneten Ende August und Anfang September 1789 zur Beratung der Verfassungsfrage zusammenfinden, haben sie also zwischen drei Optionen zu wählen: Entweder sie sprechen sich für eine verbesserte Form der tradierten Verfassung aus, in welcher die Person des Königs und die Nationalversammlung als gleichermaßen legitime Vertreter der Nation anerkannt und einander in einem System der Gewaltenteilung als Gegengewichte gegenübergestellt werden; oder sie beschließen auf der Basis des Prinzips der nationalen Souveränität die Ausarbeitung und Einsetzung einer neuen Verfassung, was impliziert, dass sie sich zu den alleinigen Repräsentanten der Nation erklären und dem Monarchen lediglich eine untergeordnete Rolle zuweisen; oder aber sie 79 80

AP, 8, S. 593. AP, 8, S. 595.

4.6 Die verfassungsmäßige Gewalt des Staates

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brechen mit der rousseauistischen Vorstellung der volonté générale und begreifen sich nicht nur als Repräsentanten, sondern als tatsächliche Träger des Allgemeinwillens, denen nicht nur das Recht, sondern vielmehr geradezu die Pflicht obliegt, eine neue Verfassung und Regierungsform zu schaffen. Einen eindeutigen Sieg in diesem Streit der Meinungen, der für lange Zeit die inhaltlichen Auseinandersetzungen in und außerhalb der Nationalversammlung bestimmt, trägt allerdings keine der drei Auffassungen davon. Vielmehr bildet das Verfassungswerk von 1789, das nach langen Auseinandersetzungen auch erst 1791 zum Abschluss gelangt, in vielerlei Hinsicht einen Kompromiss. In den entscheidenden Punkten vermag sich jedoch die Gruppe um Rabaut Saint-Etienne durchzusetzen. So votieren die Abgeordneten sowohl für eine einheitliche legislative Körperschaft als auch für eine ihr untergeordnete, von der Krone repräsentierte Exekutive und für ein aufschiebendes Veto des Königs. Als die bereits angenommenen Verfassungsartikel samt der ihnen vorangestellten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte Ludwig XVI. am 5. Oktober 1789 vorgelegt werden, stimmt er ihnen nicht zu, sondern nimmt sie lediglich an – unter dem Vorbehalt, dass in der vollständigen Verfassung die Exekutivgewalt, mit all den damit verbundenen Vorrechten, weiterhin ihm überlassen bleibt. „Die neuen Verfassungsartikel können nur in ihrer Gesamtheit richtig gewertet werden“, schreibt Ludwig XVI. in seiner Antwort. „Deshalb finde ich es natürlich, dass in einem Moment, in dem wir die Nation in einem Akt des Vertrauens und des Patriotismus einladen, dem Staat Beistand zu leisten, wir Sie hinsichtlich ihres wichtigsten Anliegens beruhigen. In dem Wissen, dass die ersten Verfassungsartikel, die Sie mir präsentiert haben, den Willen meines Volkes erfüllen und das Wohl und den Wohlstand des Königreiches sicherstellen, stimme ich diesen Artikeln zu; jedoch mit einer Bedingung, auf die ich niemals verzichten werde, und die darin besteht [. . .], dass die Exekutive in den Händen des Monarchen verbleibt. In Folge der Umstände, die Ihnen bekannt sind, werden Sie wissen, dass ich weder die Ordnung der Dinge, noch die Steuererhebung, die Lebensmittelversorgung oder den individuellen Schutz des einzelnen Bürgers wirksam schützen und aufrechterhalten kann. Ich möchte deshalb den Pflichten des Königtums wieder ganz nachkommen können und mich um das Wohl meiner Untertanen, die öffentliche Ruhe und die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung kümmern. Deshalb verlange ich, dass Sie zusammen alle Hindernisse beiseite räumen, die diesem wünschenswerten und notwendigen Ziel im Wege stehen [. . .]. Es bleibt mir Ihnen gegenüber mit Aufrichtigkeit zu bezeugen, dass ich meine Zustimmung zu den verschiedenen Verfassungsartikeln, die Sie mir eigenhändig vorgelegt haben, nur gebe, nicht weil sie mir perfekt erscheinen, sondern weil ich glaube, dass es im Moment lobenswert ist, nicht zwischen den gegenwärtigen Wünschen der Abgeordneten der Nation und den alarmierenden Umständen, die Sie hierher führten, zu unterscheiden, geht es doch darum, den Frieden, die Ordnung und das Vertrauen wieder herzustellen.

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4 Der Kampf um die Verfassung

Ich äußere mich nur kurz zu Ihrer Menschen- und Bürgerrechtserklärung: sie enthält sehr gute Maximen, die geeignet sind, Ihre Arbeit anzuleiten. Doch die zur Anwendung geeigneten Prinzipien und ihre verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten dürfen solange nicht angewendet werden, bis ihr wirklicher Sinn nicht in jenen Gesetzen fixiert wurde, deren Basis sie bilden sollen.“81 Hinter dieser Antwort, die mehrere Forderungen enthält, sehen viele Abgeordnete sofort die Gefahr einer nachträglichen Modifizierung oder gar Ablehnung der Verfassung durch den König. „Dies ist nicht die Antwort, die die Nation erwartet hat“, wendet sich Muguet de Nanthou an die Abgeordneten. „Denn sie legt nahe, dass die Verfassung in Zukunft verändert werden kann. Wenn wir jedoch dem König das Recht zugestehen, die Verfassung modifizieren zu können, bedeutet dies nicht auch, ihm das Recht zu geben, sie abzulehnen? Und wenn er sie ändern kann, kann er sie dann nicht auch zerstören? Diese Möglichkeit vernichtet die Freiheit und führt den Despotismus wieder ein.“82 Noch klarer formuliert es Robespierre: Derjenige, erklärt er, der Bedingungen an eine Verfassung stellen kann, kann diese Verfassung auch verhindern; „er stellt seinen Willen über das Recht der Nation“83. Abermals wird die Vorstellung von der Verfassung als einem gegenseitigen Vertrag zwischen König und Nation zurückgewiesen. Pétion bekräftigt die Vorherrschaft der verfassungsgebenden Macht vor der verfassten Macht. Damit lehnt er den Gedanken eines Gesellschaftsvertrages zwischen dem König und der Nation nachdrücklich ab. Der König kann nur nach den Gesetzen regieren, die ihm die Nation vorgibt.84 Die Versammlung beschließt daraufhin, dass vom König lediglich eine „einfache und schlichte Zustimmung“ zu den Verfassungsartikeln gegeben werden solle. Ludwig XVI. nimmt, die Unruhen in Paris vor Augen, das Verfassungswerk, das noch keineswegs abgeschlossen ist, schließlich im Herbst 1789 an. Damit ist zwar die Frage der Souveränität nicht eindeutig entschieden, aber der entscheidende Schritt von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie getan. Ludwig XVI., der ehemals unumschränkt herrschende Monarch, ist von nun an nicht mehr König von Gottes Gnaden, sondern König der Franzosen allein durch das verfassungsmäßige Gesetz des Staates.85 Damit gelingt es den Abgeordneten der Assemblée Nationale das Problem der Begründung politischer Herrschaft in einer Situation, in der es gleichzeitig um die Delegitimation der Souveränitätsrechte des Königs wie um die Legitimation der nationalen Souveränität geht, mit einem Rechtsinstrument zu lösen. 81 82 83 84 85

Le Roi, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 342–343. Muguet de Nanthou, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 343. Robespierre, 3. Oktober 1789, AP, 9, S. 343. Pétion de Villeneuve, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 344. AP, 9, S. 343–347.

4.6 Die verfassungsmäßige Gewalt des Staates

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Die Verfassung verbindet damit, wie Keith Michael Baker gezeigt hat,86 zwei Diskursstränge von Herrschaft, die bereits im Ancien Régime diskutiert wurden, nämlich die Legitimation von Herrschaft und die Bindung von Herrschaft, und formuliert sie in einem neuen Politikverständnis um. Die Formbestimmung und Legitimation politischer Herrschaft als positives, d.h. gesatztes Recht, hat jedoch weitreichende Folgen. Die Verfassung ist nun nicht mehr nur ein Instrument zur Modifikation oder Begrenzung politischer Herrschaft, sie begründet sie zugleich. Sie greift daher nicht nur auf die Ausübung von Souveränität zu, wie dies die Fundamentalgesetze im Souveränitätsdiskurs des 17. und 18. Jahrhunderts tun, indem sie den König an bestimmte Rechtstraditionen und Erbfolgegesetze binden, sondern sie begründet sie und regelt ihre Form neu. Die Verfassung ist daher auch nicht länger ein Vertrag zwischen dem König und der Nation. Stattdessen verlangt die Verfassung, insbesondere auch durch die Integration der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die zu schützen und zu verwirklichen sie beansprucht, eine dauerhafte Gültigkeit, insofern sie behauptet, die Grundsätze einer politischen Ordnung zu formulieren. Die Verfassung ist damit wie kein zweites politisches Dokument Ausdruck der nationalen Souveränität des Volkes.

86 Baker, Keith Michael: Verfassung, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.): Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 1, Frankfurt am Main 1996, S. 896–919.

5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte Wohl kein anderes Dokument in der Geschichte des politischen Denkens ist mit einem derartig mythischen Ansehen behaftet, wie die Déclaration de l’homme et du citoyen der Französischen Revolution.1 In noch weit stärkerem Maße als ihre historische Vorgängerin, die amerikanische Verfassung von 1787, gilt die von den Abgeordneten der Nationalversammlung am 26. August 1789 verabschiedete Menschenrechtserklärung mit ihrem universalen Versprechen von Freiheit und Gleichheit als das Gründungsdokument des modernen westlichen Politikverständnisses. Doch es wäre ebenso verfehlt, die französische Menschenrechtserklärung als Ausdruck des revolutionären Willens einer zu politischem Selbstbewusstsein erwachten Nation zu verstehen, wie es falsch wäre, sie als Ausformulierung naturrechtlicher Prinzipien oder als ein bloßes Produkt der Aufklärungsphilosophie zu begreifen.2 Die Motive, von denen sich die Abgeordneten der Nationalversammlung bei ihrer Auseinandersetzung mit der Frage der Menschenrechte leiten ließen, waren vordringlich pragmatischer Natur und nicht zuletzt von tagespolitischen Notwendigkeiten diktiert.3 Die Rechte fangen daher eher die politischen Debatten in der Assemblée Nationale des Sommers 1789 ein, als philosophische Maximen, und sie sind Ausdruck eines neuen Verständnisses der politischen Gemeinschaft und nicht metaphysischer Ansichten über die menschliche Natur.

5.1 Das Projekt einer Rechteerklärung Den Grund wie den Zweck der Bemühungen, eine eigene Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu formulieren – unabhängig von der amerikanischen – bildet für die Abgeordneten der Assemblée Nationale die Absicht, der neu zu schaffenden Verfassung eine Erklärung ihrer normativen Grundlagen sowie ihrer legitimen Ziele beizulegen und die mit der Verfassung erstrebte Herrschaft des Gesetzes auf ein sicheres, der Gefahr des Despotismus und der Will1 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970. 2 Gauchet, Marcel: Menschenrechte, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1180–1197. 3 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970; Sandweg, Jürgen: Rationales Naturrecht und revolutionäre Praxis. Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789, Berlin 1972.

5.1 Das Projekt einer Rechteerklärung

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kür entzogenes Fundament zu stellen.4 Die Erklärung soll damit zweierlei erfüllen. Einerseits soll sie die rechtlichen Grundlagen und die Gemeinschaft stiftenden politischen Ziele formulieren, andererseits soll sie die Basis eines neu zu bildenden Nationalbewusstseins der Franzosen, ein „catéchisme national“ wie Barnarve es nennt, werden.5 Raubaut de Saint-Etienne prägt in diesem Zusammenhang den Ausdruck vom nationalen „Alphabet“, mit dem die Kinder in der Schule das lesen lernen sollen.6 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ist demnach nicht Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins der Nation, sondern soll diesem erst eine Grundlage liefern. Dennoch gehen die Deutungsmuster hinsichtlich der Rechteerklärung weit auseinander. Von den revolutionären Kräften der Assemblée Nationale wird das Projekt einer Menschenrechtserklärung als ein zu schreibender Gesellschaftsvertrag betrachtet, der die Nation neu vereint und ihr ein neues Fundament gibt. „Jede soziale Gemeinschaft, und folglich jede politische Verfassung, kann als Ziel nur die Manifestation, Erweiterung und Sicherung der Rechte des Menschen und Bürgers haben“7, heißt es bei Sieyès, der seinem Entwurf explizit die Form eines Gesellschaftsvertrages verleiht. Von den Gemäßigten wird das Projekt einer Rechteerklärung stattdessen als Ausdruck eines göttlichen Willens oder als Auflistung jener allgemeinen Prinzipien angesehen, die jeder menschlichen Gemeinschaft zugrunde liegen.8 Sie hat in ihrem Sinne keine neu geschaffene Ordnung zu begründen, sondern nur eine bereits bestehende Ordnung zu manifestieren. Nichtsdestotrotz wird dadurch die menschliche Gesellschaft in ihren politischen Zügen als Werk einer konkreten Gemeinschaft gewertet. Für die erste Strömung liefert die amerikanische Menschenrechtserklärung, die bereits 1776 ausgearbeitet wurde, wichtige Ansatzpunkte. Seit Georg Jellineks wegweisender Studie Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ist in der Forschungsliteratur immer wieder auf die beispielhafte Rolle hingewiesen worden, die die amerikanische Verfassung für die Ausarbeitung der französischen Menschenrechtserklärung gehabt hat.9 Und tatsächlich mangelt es dafür 4 Vgl. Condorcet: Idées sur le Despotisme, à l’usage de ceux qui prononcent ce mot sans l’entendre, s. l. 1789, in: Œuvres de Condorcet, Paris 1847, 9, S. 147–173. 5 Barnave, 1. August 1789, AP, 8, S. 322. 6 Rabaud de Saint-Etienne, 18. August 1789, AP, 8, S. 453. 7 Sieyès, 21. Juli 1789, AP, 8, S. 256–261. 8 Vernier, 18. August 1789, AP, 8, S. 461. 9 Jellinek, Georg: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte (1895), Schutterwald/Baden 1996, S. 60. „Die französische Erklärung“, schreibt Jellinek, „ist selbstverständlich keine sklavische Nachahmung der amerikanischen, schon deshalb nicht, weil die politischen Verhältnisse Frankreichs im Jahre 1789 ganz andere waren als die Amerikas im Jahre 1776. Ein Volk, das fremde Einrichtungen und Gesetze rezipiert, tut dies nie, ohne die fremden

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

nicht an Belegen. So ist es kein geringerer als Marquis de Lafayette, der gemeinsam mit Thomas Jefferson, dem maßgeblichen Autor der amerikanischen Verfassung und damaligen Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris, der Nationalversammlung den ersten bedeutenden Entwurf zu einer Erklärung der Menschenrechte vorlegt.10 Neben Comte Mathieu de Montmorency, Abgeordneter der Noblesse der Bailliage von Montefort-l’Amanry und namhafter französischer Teilnehmer des Unabhängigkeitskrieges, tut sich Lafayette auch als Redner in der Assemblée Nationale hervor.11 Mit Jean-Nicolas Désmeuniers12, späteres Mitglied des „Ausschuss der Fünf“, der mit der Ausarbeitung einer Vorlage für die Menschenrechtserklärung beauftragt wird, und Pierre-Samuel Dupont de Nemours13 beteiligen sich zudem zwei weitere Kenner der amerikanischen Verhältnisse an den Debatten der Nationalversammlung. Ihre Haltung zu den politischen Prozessen in Amerika ist geprägt von einer großen Bewunderung für das politische Projekt, eine eigenständige amerikanische Nation zu schaffen. Doch nicht nur in den Reihen der Abgeordneten, auch unter den Intellektuellen und den Vertretern der gebildeten Schichten, den Repräsentanten der öffentlichen Meinung, wird das amerikanische Beispiel bereits lange vor der Konstituierung der Assemblée Nationale diskutiert. Mirabeau14, in Zusammenarbeit mit dem Publizisten Sébastien-Roch-Nicolas Chamfort, widmet dem Thema Amerika große Aufmerksamkeit. In seinen Considérations sur l’ordre de Cincinnatus preist er jedoch nicht einfach die verschiedenen Verfassungen der Staaten Neuenglands, denen er durchaus auch kritisch gegenübersteht, sondern hebt deren europäische Wurzeln hervor. Vor allem die drei Grundsätze der Freiheit, der Gleichheit und des Eigentums erscheinen bei ihm als die allgemeingültigen

Gedanken der nationalen Eigenart entsprechend umzubilden.“ Vgl. zur Ausarbeitung der amerikanischen Bill of Rights: Rutland, Robert Allen: The Birth of the Bill of Rights 1776–1791, Chapel Hill 1955. 10 11. Juli 1789, AP, 8, S. 221–222. 11 1. August 1789, AP, 8, S. 320; 26. August 1789, AP, 8, S. 488 ff. 12 Vgl. Démeunier, Jean-Nicolas: L’esprit des usages et des coutumes des différents peuples: ouvrage dans lequel on a réuni tout ce qu’ont imaginé les Hommes sur les alimens & les repas, les femmes, le mariage, la naissance & l’éducation des enfants, les chefs & les souverains, la guerre, la distribution des rangs, la servitude, l’esclavage, la pudeur, la parure, les modes, la société & les usages domestiques, les loix pénales, les supplices, la médecine, la mort, les funérailles, les sépultures, etc., Paris 1785; 3. August 1789, AP, 8, S. 334; 18. August 1789, AP, 8, S. 454; 19.–22. August 1789, AP, 8, S. 458 ff. 13 Dupont de Nemours, 3. August 1789, AP, 8, S. 333. 14 Mirabeau: Considérations sur l’ordre de Cincinnatus ou Imitation d’un pamphlet anglo-américain par le comte de Mirabeau, suivies de plusieurs pièces relatives à cette institution; d’une lettre signée du général Washington, accompagnée de remarques par l’auteur français: et d’une lettre de feu Monsieur Turgot, ministre d’État en France, au docteur Price sur les législations américaines, Londres 1784.

5.1 Das Projekt einer Rechteerklärung

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Grundlagen jeder Gesellschaft: „Das erste Recht der Menschheit ist die Freiheit, das zweite die Gleichheit, das dritte das Eigentum, legitime Frucht des gleichen Gebrauchs der Freiheit.“15 Dabei ist sich Mirabeau durchaus bewusst, dass es nicht darum geht, philosophische und politische Wahrheiten zu postulieren, sondern die natürliche Gleichheit der Menschen zur Grundlage der rechtlichen und politischen Gleichheit der Bürger in der Gesellschaft zu erheben.16 So schreibt er: „Die Delegierten, die Repräsentanten und Gesetzgeber des amerikanischen Volkes haben die Gleichheit zur Grundlage ihrer Erhebung, ihrer Arbeiten, ihrer Rechte und ihrer Gesetze gemacht [. . .]. Alle Staaten der Konföderation haben in ihren Verfassungen erklärt, dass die Menschen frei und gleich geboren werden und natürliche, wesentliche und unveräußerliche Rechte besitzen.“17 Zwar kritisiert Mirabeau durchaus die Unzulänglichkeit, mit der diese Grundsätze in die politische Realität Amerikas überführt wurden, wobei er vor allem den Puritanismus und die fehlende religiöse Freiheit missbilligend hervorhebt. Gleichwohl hält er die politische Ausgestaltung der Menschenrechte für eine insgesamt gelungene Umsetzung der Idee des Gesellschaftsvertrags im Rousseauschen Sinne. Nach Mirabeaus Lesart der verschiedenen amerikanischen Verfassungen unterzeichnet „jeder Bürger einen Vertrag mit dem Volk, so dass alle dem gleichen Gesetz unterstehen“. Das Volk hat die Legislative inne, während die „Regierung ihre Rechte ausschließlich vom Volk erhält“18, usw. Die einzelnen Punkte, die Mirabeau dann auflistet, lesen sich wie ein Kommentar des „Gesellschaftsvertrages“ und sind auch ganz im Stil einer philosophischen Abhandlung konzipiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass vornehmlich andere Schriften, allen voran Condorcets Traktat De l’influence de la révolution de l’Amerique sur l’opinion et la legislation de l’Europe19 (in dem Condorcet auch auf Mirabeaus Amerika-Buch eingeht), der Diskussion in- und außerhalb der Nationalversammlung neue Impulse gegeben haben, insofern sie sich nicht auf die philosophischen Wurzel, sondern auf die politische Umsetzung der Rechteerklärungen konzentrieren. So kritisiert Condorcet in seiner Analyse der amerikanischen Verfassung vor allem die seiner Meinung nach rein philosophische Betrachtung der Menschenrechte: „Das, was man allgemein als Volk bezeichnet“, schreibt er spöttisch, „ist eine Klasse von Menschen, die in Europa nicht existiert und des15

Ebd., S. 65. Ebd., S. 36. 17 Ebd., S. 31–32. 18 Ebd., S. 32–34. 19 Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: De l’influence de la Révolution d’Amérique sur l’Europe. A M. le marquis de la Fayette, qui, à l’âge ou les hommes ordinaires sont à peine connus dans leur société, a mérité le titre de bienfaiteur des deux mondes. Par un habitant obscur de l’ancien hémissphère, s. l. 1786, in: Œuvres de Condorcet, Paris 1847, 8, S. 2–113. 16

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

halb auch nicht in unserem Regierungssystem existieren kann“20, weil sie Individuen beschreibt, nicht jedoch eine politische Gemeinschaft mit konkreten Traditionen und Bräuchen. Ungeachtet seiner bisweilen bissigen Polemik liefert Condorcets Traktat eine ernst zu nehmende Interpretation und Beurteilung der amerikanischen Verfassung und des föderativen Systems, die von ihm als eine politische Herausforderung für Frankreich und England dargestellt werden. „Wenn man die Regierungsgeschichte der Vereinigten Staaten seit der Unabhängigkeitserklärung betrachtet“, schreibt er zu Beginn seiner Analyse, „dann wird man feststellen, dass keineswegs alle Bereiche der Verfassungen gleichermaßen gut durchdacht sind. Es ist durchaus nicht so, dass sich keine Fehler feststellen lassen; nicht alle Gesetze, die seit der Erklärung der Unabhängigkeit erlassen wurden, sind gleichermaßen gerecht und weise, aber kein Teil der politischen Gesetzgebung oder der Strafgesetzgebung zeigt schwerwiegende Fehler, despotische oder verheerende Prinzipien. Ganz im Gegenteil deutet gerade in den Bereichen der Finanzen und des Handels nahezu alles auf einen konstanten Kampf zwischen den alten Vorurteilen Europas und den Prinzipien der Gerechtigkeit und Freiheit hin, wie sie diese respektable Nation auszeichnen. Zwar tragen die vorgefassten Meinungen noch oft den Sieg davon. Dennoch, auch in Anbetracht dieser Fehler, werden die Liebe der Amerikaner zur Gleichheit, ihr Respekt vor der Freiheit und vor dem Eigentum sowie die Form ihrer Konstitution es ohne Frage verhindern, dass hier jemals exklusive Handelsprivilegien allen Bürgerrechten widersprechen, barbarische Gesetze gegen den Schmuggel oder exklusive Korporationen der Händler und Handwerker errichtet werden. Sie werden verhindern, dass sich der Geist des Merkantilismus, die Wut, alles regeln oder unterdrücken zu wollen, durchsetzen, die in Europa so maßlose Blüten treiben. Das Beispiel Amerikas wird dafür sorgen, dass man die Unnützlichkeit all dessen einsieht und ein Gefühl für die Ungerechtigkeit entwickelt.“21 Die Schlussfolgerungen, die Condorcet aus seiner Analyse der amerikanischen Verfassung und Menschenrechtserklärung mit Blick auf Europa im Allgemeinen und Frankreich im Besonderen zieht, liegen damit auf der Hand: die Abschaffung aller feudalen Strukturen und sozialen Abhängigkeiten, die Erhebung des Einzelnen zum vollwertigen Bürger und die Etablierung eines freien Marktes. Ähnlich argumentiert Condorcet auch in dem 1789 erscheinenden Traktat Idées sur le despotisme, in dem er sich ebenfalls als ein ausgezeichneter Kenner der amerikanischen Verhältnisse erweist. In dieser Schrift, in der die Formen des politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und religiösen

20 21

Ebd., S. 49. Ebd., S. 41–42.

5.1 Das Projekt einer Rechteerklärung

137

Despotismus, wie sie das Frankreich des Ancien Régime bestimmen, aufgelistet werden, sucht Condorcet nach politischen Mitteln und Strukturen, die jede Art von Despotismus institutionell verhindern. Dabei greift er auf die amerikanische Menschenrechtserklärung und Verfassung zurück und schreibt: „Eine Deklaration der Rechte wäre ein nützliches Werk für die Menschen; aber man findet vielleicht kein Volk, selbst unter denen nicht, die die Tyrannei am meisten hassen, dass diese übernehmen könnte, ohne den Menschen mit seinen Ketten vertraut gemacht zu haben“22, d.h. ohne die realen Auswirkungen des Despotismus erlitten zu haben. Folglich müsse es das vordringlichste Ziel einer solchen Erklärung sein, eine Wiederholung des Unrechts, dessen Erfahrung zu ihrer Entstehung geführt habe, zu verhindern. Nicht an der Verwirklichung abstrakter Rechte, sondern der Vermeidung konkreter Missbräuche müsse man daher die Ausgestaltung eines entsprechenden Dokumentes orientieren. Condorcets Analyse der amerikanischen Verfassungen ist denn auch deutlich geprägt von den Erfahrungen der Missbräuche des Ancien Régime. „Die erste Deklaration der Menschenrechte, die diesen Namen verdient, wurde 1776 in Virginia geschrieben“, holt Condorcet weiter aus. „Doch keine dieser Menschenrechtserklärungen kann als vollständig gelten. 1. Keine thematisiert die Grenzen der souveränen Macht hinsichtlich der Strafgesetzgebung. Denn es ist augenscheinlich, dass die Legislative kein Recht hat zu strafen, es sei denn in Fällen, in denen es eine direkte und schwere Verletzung der zivilen Rechte des Menschen und der Gesellschaft gibt. 2. Keine nennt die Grenzen der Legislative hinsichtlich der Zivilgesetzgebung und der Polizeigesetze. 3. Eine erklärt jede Form der Steuer, die Armen auferlegt wird (ein Ausdruck, der Kenntnisse auf diesem Gebiet voraussetzt) als den natürlichen Rechten des Menschen zuwider, aber keine schließt indirekte Steuern aus, die aufgrund ihrer Natur ungleich verteilt sind und nicht ohne eine mehr oder weniger direkte Beeinträchtigung der Freiheit der Person und des Eigentums einhergehen [. . .]. 4. Wenn einige von ihnen alle exklusiven Privilegien abschaffen, dann räumt keine der Freiheit einen Platz unter den Menschenrechten ein, die der Menschen im Gebrauch seiner Kräfte und seines Eigentums schützen muss, will er nicht die Rechte des Menschen verletzen; eben die Freiheit, die die unendliche Freiheit der Industrie und des Handels zur Voraussetzung hat. 5. Einige erlauben die Einführung einer Kirchensteuer [. . .], aber jede Steuer in dieser Hinsicht steht im Gegensatz zu den Rechten des Menschen, die die Freiheit wahren müssen, keinem Kultus zu folgen und für keinen zu bezahlen. 6. Man hat allgemein das Recht benannt, nur von einer Jury verurteilt werden zu können, die dies einstimmig tut. Aber es ist nicht erwiesen, 1. Dass die Einstimmigkeit nach englischem Muster der Wahrheit näher kommt, als ein mit einer Mehrheit von 8 oder 10 Richtern ge22 Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Idées sur le Despotisme, à l’usage de ceux qui prononcent ce mot sans l’entendre, s. l. 1789, in: Œuvres de Condorcet, Paris 1847, 9, S. 147–173, S. 167.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

fälltes Urteil. 2. Es ist auch nicht festgelegt, ob diese Geschworenen Richter sein müssen, um mehr Vertrauen zu verdienen als gewählte Vertreter, die für eine mehr oder weniger lange Zeit mit dieser Aufgabe betraut werden. Doch die Wahl zwischen verschiedenen Verfahren ist keine Frage des Rechts, sondern eine der vernüftigen Abwägung. Die Legislative muss also die Autorität haben, jene Form zu wählen, die ihr als die angemessene zum Schutz der persönlichen Sicherheit erscheint. Und man muss aus der Rechteerklärung alles ausschließen, was ihr entgegensteht und nicht die Wahl zwischen verschiedenen Verfahren zulassen, die als gleichwertig zugelassen werden [. . .]. 7. In mehreren Rechteerklärungen nimmt man jene von der Wehrpflicht aus, die es aus Gewissensgründen verweigern, Waffen zu tragen. Das ist ein Privileg an jene, die eine bestimmte Meinung hegen, und folglich eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Dennoch sollte die generelle Freistellung von der Wehrpflicht Teil der Menschenrechtserklärung sein. Der Wehrdienst muss freiwillig sein und die Strafe der Verweigerer ist die Schmach der Furchtsamkeit.“23 Diese Sieben-Punkte-Kritik Condorcets an den amerikanischen Menschenrechtserklärungen, die als beispielhaft für weitere Kommentare stehen kann,24 zeigt eindrucksvoll, wie die Erfahrungen des Despotismus die Analyse der amerikanischen Texte bestimmt und leitet. Sie unterstreicht zudem die kritische Distanz, mit der die Franzosen dem amerikanischen Modell bei aller Bewunderung gleichwohl begegnen. So unbestreitbar es deshalb ist, dass sich die Franzosen am amerikanischen Beispiel orientieren, so unleugbar ist es auch, dass dieses Beispiel von ihnen nicht als zu übernehmendes Vorbild angesehen wird: „Wenn die Nationalversammlung sich für eine Deklaration entscheidet, dann darf sie nicht sklavisch und sich selbst beschränkend dem Beispiel der Vereinigten Staaten folgen“25, wendet sich Rabaut de Saint-Etienne im August 1789 an die Nationalversammlung. Ein klares Bewusstsein von den unterschiedlichen sozialen und politischen Bedingungen in beiden Staaten und den daraus resultierenden differenten Anforderungen eint sowohl die Befürworter wie Gegner des Projekts einer allgemeinen Menschenrechtserklärung.26

23

Ebd., S. 167–170. Vgl. Fitzsimmons, Michael P.: The Remaking of France: The National Assembly and the Constitution of 1791, Cambridge 1994; Richet, Denis: L’esprit de la constitution, 1789–1791, in: Lucas, Colin, The French Revolution and the Creation of modern political culture, Bd. 2: The political culture of the French Revolution, Oxford u. a. 1988, S. 63–68; Gauchet, Marcel: Menschenrechte, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1180–1197; Maritain, Jacques: Les droits de l’homme et la loi naturelle, New York 1942; deutsch: Die Menschenrechte und das natürliche Gesetz, Bonn 1951. 25 Rabaud de Saint-Etienne, 18. August 1789, AP, 8, S. 452. 26 Malouet, 1. August 1789, AP, 8, S. 322. 24

5.2 Das Verhältnis von Rechteerklärung und Verfassung

139

So unterscheidet etwa Mirabeau, nunmehr in Anlehnung an Condorcets Idées sur le Despotisme, zwischen einer Erklärung der einfachsten politischen Wahrheiten und den Prinzipien der Freiheit in einer bestimmten Gesellschaft, die es gilt, in Gesetze umzuwandeln. Was die Franzosen im August 1789 zu schaffen haben, ist nach Mirabeau keine philosophische Erklärung der Menschenrechte, sondern eine „Kriegserklärung an die Tyrannen“27, das heißt eine den gegebenen Umständen angemessene politische Erklärung der allen Bürgern gemeinsamen Rechte innerhalb der französischen Gesellschaft. Die Menschenrechtserklärung wird von Mirabeau fortan als Fundament eines zu schaffenden Rechtsstaates verstanden, das die unantastbaren Grundrechte des Menschen enthält und für jeden Bürger einklagbar macht. Dabei geht es Mirabeau jedoch nicht darum, eine neue Ordnung zu errichten, sondern darum, der bestehenden Ordnung einen rechtlichen Rahmen zu geben, der den größtmöglichen Schutz für den Einzelnen vor jeglichen willkürlichen oder gar despotischen Übergriffen bietet. Es geht ihm, mit anderen Worten, um den Übergang von einer absoluten Monarchie zu einem Rechtsstaat (für Mirabeau freilich eine konstitutionelle Monarchie), in dem die Verfassung den Rahmen aller politischen Entscheidungen bildet.

5.2 Das Verhältnis von Rechteerklärung und Verfassung Die weit verbreitete politische Einsicht in die Notwendigkeit, sich vom Beispiel der amerikanischen Verfassung zu lösen, bleibt nicht nur auf den Inhalt der geplanten Erklärung beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf deren Form. Insbesondere die Gegner einer Rechteerklärung schärfen in diesem Punkt das Problembewusstsein. Zu nennen ist hier La Luzerne, Bischof von Langres, der sich mit der Begründung, eine Verfassung sei ein Gesetzestext und alles was nicht den Status eines Gesetzes habe, insbesondere die simple Erklärung von Rechten, sei von einer Verfassung auszuschließen, gegen jede Form einer allgemeinen Rechteerklärung wendet: „Die Verfassung ist ein Gesetzbuch und ein Gesetzeskörper; alles, was kein Gesetz ist, gehört nicht zur Verfassung. Die Prinzipien sprechen zur Vernunft, um sie zu überzeugen, die Gesetze sprechen zum Willen, um ihn zu unterwerfen. Es gibt viele Menschen, die nicht in der Lage sind, die Maximen zu verstehen, die sie ihnen offenbaren. [. . .] Ich schlage deshalb vor, dass die Menschenrechtserklärung nicht in die Verfassung aufgenommen wird; man sollte ihr nur eine einfache und klare Präambel hinzufügen, die nicht mehr enthält als unbestreitbare Maximen.“28

27 Mirabeau spricht von einer „déclaration de guerre aux tyrans“. 17. August 1789, AP, 8, S. 438. 28 La Luzerne, 1. August 1789, AP, 8, S. 322.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

La Luzerne wirft damit die zentrale Frage nach dem Zusammenhang von einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und der geplanten Verfassung auf. In der weiteren Diskussion entspinnt sich ausgehend von dieser Frage eine Debatte darüber, ob es zweckmäßig sei, Erklärung und Verfassung voneinander zu trennen,29 die bald die Abgeordneten spaltet. Für diejenigen, die entschieden gegen eine Trennung sind, betont Rabaut Saint-Etienne den neuartigen Charakter des von den Abgeordneten der Assemblée Nationale begonnenen Unterfangens. Im Gegensatz zu den Amerikanern hätten sie nicht nur eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu schaffen, sondern eine Verfassung auszuarbeiten, die diese Rechte auch in positives Recht umwandle. Insofern müsse eine entsprechende Erklärung konsequenterweise „die Einleitung zur Verfassung“30 bilden. Der Abgeordnete d’André, Abgeordneter des Adels der Sénéchaussée von Aix und wie Rabaut Saint-Etienne ein Gegner der Trennung, gibt daraufhin zu bedenken, dass die Erklärung der Menschenrechte nur unter einer Verfassung Geltung erlangen könne, weshalb sie Bestandteil einer Verfassung sein müsse.31 Dagegen wendet nun Duquesnoy ein, dass eine Erklärung der Menschenrechte zu allen Zeiten und für alle Völker gelten müsse.32 Erst in ihrer Abstraktheit biete sie die Chance für politische Ansprüche. Die Franzosen könnten ihre Grundrechte nur dann einklagen, wenn sie dem Anspruch genügten, für alle Menschen gleichermaßen zu gelten. Sie brauchten dann nicht bereits verbürgte Rechte anführen, sondern könnten auf deren Universalität verweisen. Ein solches Vorgehen aber, so Duquesnoy, sei nur insofern möglich, wenn man Rechte und Gesetze genau unterscheide: die Gesetze müssten den Sitten und Gebräuchen einer Gesellschaft angepasst werden, sie trügen stets nationalen Charakter. Die Rechte hingegen seien immer die gleichen, weshalb sie auch unabhängig von einer bestimmten Verfassung Geltung beanspruchen könnten.33 Duquesnoy, der sich hier klar für eine eigenständige und abstrakte Erklärung der Menschenrechte stark macht, tut dies aus rein politischen Erwägungen. Weil es bei der Verfassungsfrage nicht nur darum geht, alte Rechte schriftlich zu verankern, sondern zugleich darum, neue Rechte zu schaffen, die neue Formen der Freiheit ermöglichen, kann deren Legalität nicht aus der Tradition abgeleitet, wohl aber aus als universal gültig erklärten Menschenrechten hergeleitet werden, die den Anspruch verbürgen, der Freiheit des Individuums zu dienen. Duquesnoys Forderung nach einer klaren Trennung von Menschenrechtserklärung und Verfassung wird auch auf Seiten der Monarchisten von Malouet und Delandine aufgenommen, aber dahingegen umgedeutet und zugespitzt, dass 29 30 31 32 33

AP, 8, S. 332 ff. Rabaut Saint-Etienne, 18. August 1789, AP, 8, S. 452–453. D’André, 20. August 1789, AP, 8, S. 463. Duquesnoy, 20. August 1789, AP, 8, S. 457. Ebd.

5.2 Das Verhältnis von Rechteerklärung und Verfassung

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sie die Gefahr hervorheben, die aus dem Gegensatz einer allgemeinen Menschenrechtserklärung und einer konkreten Verfassung entspringen kann. Verleihe man einer entsprechenden Deklaration Gesetzeskraft, so Malouet, so schaffe man damit ein Instrument, mittels dessen die Verfassung als solche immer wieder in Frage gestellt werden könne. Doch das wichtigste, was die Franzosen nun anzugehen hätten, sei die Ausarbeitung einer Verfassung, die die Gewaltenteilung regle und die Grundrechte des Einzelnen verbürge. „Eine Deklaration der Rechte des Menschen ist nicht notwendig [. . .]. Eine Verfassung reicht aus. Metaphysische Maximen können dagegen gefährlich sein.“34 Im Anschluss an Malouet und Delandine warnt Mounier gar vor einem Auseinanderdriften von Menschenrechtserklärung und Verfassung. Sollte die eine die andere in Frage stellen, so wird die Erklärung der Menschenrechte zur Quelle sozialer Unruhe und politischer Anarchie.35 Aber auch der intendierte Rechtscharakter der Erklärung trennt die Abgeordneten in verschiedene Lager. Insbesondere für die gemäßigten Monarchisten um Mounier und Lally-Tollendal, die sich in der Verfassungsdebatte um eine schriftliche Fixierung der überlieferten Rechte der Franzosen bemühen und dem Projekt einer neuen Konstitution skeptisch gegenüberstehen, wird die Idee einer abstrakten, von ihrer konkreten Umsetzung unabhängigen Rechteerklärung unter Verweis auf die überkommenen Traditionen und die damit verbundenen sozialen Hierarchien entschieden zurückgewiesen.36 Im Gegensatz zu den Amerikanern, die darum bemüht gewesen seien, die Bindungen an eine weit entfernte Regierung zu lockern und sich gerade erst anschickten, eine Nation zu werden, so Lally-Tollendal, sei ein solches Vorhaben für ein altes und traditionsreiches Volk wie die Franzosen, das sich bereits vor 1400 Jahren konstituiert habe, vollkommen unangemessen.37 Die ablehnende Haltung der Monarchisten speist sich dabei vor allem aus der Sorge, dass eine Bewilligung egalitärer Rechte in einer sozial differenzierten Gesellschaft wie der französischen desintegrierende, wenn nicht gar zersetzende Wirkungen zur Folge haben und das bestehende Ordnungsgefüge und den sozialen Körper der Gesellschaft zerstören könne. Deutlich artikuliert wird diese Sorge etwa von Pierre-Victor Malouet, dem zufolge es sich die Amerikaner erlauben konnten, den Menschen in seinem natürlichen Zustand, unabhängig seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen, zu nehmen und ihn der Welt in seiner ganzen primitiven Selbstherrlichkeit zu präsentieren, da dies in einer neugeschaffenen und egalitären Gesellschaft von Grundbesitzern für die politischen und sozialen Strukturen ohne Folge blieb. In einem traditionsreichen Land wie 34 35 36 37

Malouet, 3. August 1789, AP, 8, S. 339. Mounier, 13. Juli 1789, AP, 8, S. 224. Lally-Tollendal, 11. Juli 1789, AP, 8, S. 222. Ebd.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Frankreich jedoch, in dem der Einzelne eine festgefügte soziale Stellung inne habe, komme es weit mehr darauf an, den Menschen die gerechten Grenzen ihrer Freiheit aufzuzeigen, als ihnen deren Ausdehnung zu versprechen.38 Was die Befürworter und Gegner einer Rechteerklärung mithin unterscheidet, ist ihr zugrunde liegendes Gesellschaftsmodell. Für die einen bietet sich 1789 die politische Chance, eine alte Gesellschaft samt ihrer verbürgten Rechte zu stürzen und einen neuen Gesellschaftsvertrag zu gründen, der die Gleichheit aller seiner Mitglieder und die Souveränität der Nation garantiert. Für die Kritiker und Gegner der Rechteerklärung geht es hingegen darum, die bestehende soziale Ordnung maßvoll zu reformieren und neu zu bekräftigen. Dieser Gegensatz ist den Protagonisten durchaus bewusst. Er wird von den Abgeordneten beider Richtungen immer wieder deutlich formuliert – nicht zuletzt in den unterschiedlichen Bewertungen der amerikanischen Bill of Rights. Beklagen die einen an der Bill gerade den radikalen Bruch mit den ständischen Traditionen Europas, so geht für die anderen dieser Bruch noch längst nicht weit genug. Zu den leidenschaftlichsten Befürwortern eines Neubeginns zählt Rabaut Saint-Etienne. Auch er erinnert die Delegierten der Nationalversammlung daran, dass die Umstände der Französischen und der Amerikanischen Revolution nicht vergleichbar seien, da es sich bei den Amerikanern, im Gegensatz zu den Franzosen, um ein neues Volk handele, das keine alten Bindungen habe zerstören müssen, um sich selbst zu schaffen. Doch die Schlussfolgerung, die er daraus zieht, ist eine andere als die von Malouet oder Lally-Tollendal. Seiner Meinung nach müssten es die Franzosen nämlich wagen, die Schranken, an denen die Amerikaner stehen geblieben wären, indem sie zwar die Rechte des Einzelnen formuliert, aber die volle Souveränität des Volkes verhindert hätten, nunmehr vollständig zu überwinden.39 Rabaut de Saint-Etienne bringt damit ein Argument vor, das seine wirkmächtigste Formulierung in dem Entwurf findet, den Sieyès dem Verfassungsausschuss am 20. und 21. Juli vorlegt.40 In seinem Manuskript distanziert sich Sieyès zum großen Erstaunen vieler Abgeordneter plötzlich vom Beispiel der amerikanischen Verfassung, der er, nachdem er zuvor stets ihre Verdienste gelobt hat, ein Festhalten an überholten Vorstellungen von der Ausübung politischer Macht und den Möglichkeiten ihrer Begrenzung vorhält. Sieyès zufolge muss die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte als Äußerung des souveränen Willens der Nation verstanden werden, weshalb sie weder die Form eines Zugeständnisses noch den Charakter eines Kompromisses annehmen dürfe. Statt Vorrechte aufzuzählen, habe sie vielmehr die universal gültigen Prinzipien der 38 39 40

Malouet, 1. August 1789, AP, 8, S. 323. Rabaut Saint-Etienne, 18. August 1789, AP, 8, S. 452–453. AP, 8, S. 256–261.

5.2 Das Verhältnis von Rechteerklärung und Verfassung

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bestmöglichen Verfassungsordnung zu erläutern und zu garantieren.41 Sein Entwurf gleicht denn auch weniger einer für alle Menschen gültigen Rechteerklärung als vielmehr einem neuen ausschließlich auf die Souveränität der Nation zielenden Gesellschaftsvertrag. Er schreibt: „Alle öffentlichen Gewalten leiten sich ausnahmslos aus dem Gemeinwillen ab; alle kommen vom Volk, das heißt von der Nation. Diese beiden Ausdrücke müssen synonym sein [. . .]. Der Inhaber eines öffentlichen Amtes, welche Position auch immer er in den verschiedenen Bereichen der öffentlichen Einrichtungen inne haben mag, übt also keine ihm eigene, sondern die Gewalt aller aus; sie ist ihm nur anvertraut worden; sie kann nicht veräußert werden, denn der Wille ist unveräußerlich; die Völker sind unveräußerlich; das Recht zu denken, für sich zu wollen und zu handeln, ist unveräußerlich; man kann nur die Ausübung dieser Gewalt denen übertragen, die unser Vertrauen besitzen – und die wesentliche Eigenschaft dieses Vertrauens liegt darin, dass es frei ist.“42 So abstrakt und universal Sieyès’ Entwurf auch anmuten mag, so ist er doch nicht mehr und nicht weniger als eine offene Kriegserklärung an die französische Monarchie. Der aus eigener Machtvollkommenheit regierende König von Frankreich ist in diesem Entwurf nicht mehr als ein Amtsträger im Namen des Volkes, das ihm sein Amt zudem jederzeit entziehen und dem Staat eine neue konstitutionelle Grundlage schaffen kann. Die Rechteerklärung fungiert hier also vor allem als Garant für die theoretische Absicherung der souveränen Rolle der Nation. Der Entwurf findet jedoch nur bei einer kleinen radikalen Minderheit der Abgeordneten ungeteilte Zustimmung. In der Frage der formalen Gestaltung der Menschenrechtserklärung vermag er sich gar nicht durchzusetzen. Zu sehr gleicht er einem Gesellschaftsvertrag im Rousseauschen Sinne, der mehr auf die Prinzipien einer Gesellschaft als auf einklagbare Rechte des Einzelnen abhebt. Nichtsdestotrotz gibt Sieyès mit seinem Entwurf den Abgeordneten einen wichtigen Grund, an dem Projekt einer Menschen- und Bürgerrechtserklärung zusammen mit der Ausarbeitung einer Verfassung festzuhalten. So schreibt er: „Nicht die Nation, sondern ihre politische Ordnung wird durch die Verfassung begründet“. „Die Nation ist das Ganze der verbundenen Glieder, die alle vom Gesetz, dem Werk ihres Willens, regiert werden und ihm unterworfen sind, die alle in ihren Rechten gleich und in ihrem Umgang und in ihren wechselseitigen Verbindungen frei sind. Im Gegensatz dazu bilden die Regierenden in dieser Hinsicht eine von der Gesellschaft geschaffene politische Körperschaft. Jede Körperschaft aber muss organisiert, begrenzt usw. und folglich auch konstituiert 41 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution Françoise. Reconnaissance et exposition raisonnée des Droit de l’homme & du citoyen, s. l. 1789, S. 22. 42 Ebd., S. 38–40.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

werden. Um es zu wiederholen: die Verfassung eines Volkes ist also und kann nur sein die Verfassung seiner Regierung und der Gewalt, die beauftragt ist, dem Volk wie der Regierung Gesetze zu geben [. . .]. Eine Verfassung setzt vor allem eine verfassungsgebende Gewalt voraus.“43 Damit beschreibt Sieyès nicht nur die Aufgaben der zu schaffenden Verfassung, sondern macht auch auf das verfassungsmäßige Defizit aufmerksam, in dem sich die Assemblée Nationale befindet. Nach der bestehenden Ordnung ist allein der König für die Legislative zuständig. Beanspruchen die Delegierten der Assemblée Nationale nun, als die rechtmäßigen Vertreter des Volkes der Nation eine neue Verfassung geben zu dürfen, so müssen sie als allererstes ihren eigenen Status als einen rechtskräftigen gestalten. Sie haben sich selbst als verfassungsgebende Versammlung Verfassungsrang einzuräumen. Nicht mehr und nicht weniger muss für Sieyès die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte leisten. In seinem Entwurf heißt es denn auch: die verfassungsgebende Gewalt ist „nicht von vornherein einer bereits gegebenen Verfassung unterworfen. Die Nation, die damit ihre höchste und wichtigste Gewalt ausübt, muss in dieser Funktion von jeglichem Zwang und jeglicher Form, ausgenommen derjenigen, die sie annehmen will, frei sein. Es ist indes nicht notwendig, dass die Glieder der Gesellschaft persönlich die verfassungsgebende Gewalt ausüben, sie können vielmehr ihr Vertrauen Stellvertretern schenken, die sich allein zum Zweck der Verfassungsgebung versammeln.“44 Mit anderen Worten: Die Abgeordneten der Assemblée Nationale sollen mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ihre eigene Rechtsgrundlage schaffen, die sie zu allererst zur Ausarbeitung der Verfassung legitimiert. Damit spricht er den strategisch entscheidenden Punkt an, der die Abfassung einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte unter den gegebenen politischen Konstellationen unauflöslich an das Projekt der Ausarbeitung einer Verfassung knüpft. Sieyès fordert, dass die Abgeordneten der Assemblée Nationale zuerst dazu übergehen müssen, eine Erklärung der Menschenrechte auszuarbeiten, die der Nation und ihren Stellvertretern die souveräne Macht als allgemeingültiges Recht zuschreibt, bevor sie sich mit der Abfassung der einzelnen Verfassungsartikel beschäftigen können. In den Augen Sieyès’ besteht mithin gar nicht die Option, frei zu wählen, ob eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte Bestandteil der Verfassung wird oder lediglich ein Dokument bleibt, das die politischen Prinzipien der Abgeordneten der Assemblée Nationale auflistet. Erst wenn die Erklärung Bestandteil der Verfassung ist, wird es den Abgeordneten möglich sein, ihrer Verfassungsarbeit politische und rechtliche Gültigkeit zu verschaffen. Eine gesonderte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wäre hingegen ein nutzloses Dokument, insofern sie 43 44

Ebd., S. 34–35. Ebd., S. 35–36.

5.3 Rechte und Pflichten

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nicht zum Rechtskorpus des neu zu bildenen Staates gehören würde. Sie wäre dann lediglich Ausdruck des politischen Selbstverständnisses einer Gruppe von Delegierten, deren Rechtsstatus selbst nicht geklärt wäre.

5.3 Rechte und Pflichten In der Vorphase der Diskussion um die Menschenrechtserklärung entspinnt sich noch eine weitere entscheidende Diskussion, die ebenfalls von grundsätzlicher Bedeutung für den Charakter der Erklärung wird. Dabei geht es um die prinzipielle Frage, ob man den Menschen als autonomes, mit individuellen Rechten ausgestattetes Subjekt betrachten soll oder ob man stattdessen die Vielzahl seiner sozialen Verankerungen in den Blick nimmt und zum Gegenstand rechtlicher Hegung macht. Diese Frage, die in ihrer Komplexität die Differenz zwischen dem traditionellen und dem neuen Politikverständnis ausmacht, welches in der Französischen Revolution schließlich einen rechtlichen Status erhält, wird gerade bei der Ausarbeitung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte entschieden. Aufgeworfen wird die Debatte über individuelle Rechte und soziale Bindungen insbesondere durch die Vertreter des monarchistischen Lagers und des Klerus, die die nivellierenden Folgen einer radikal egalitären Rechteerklärung fürchten und darin eine Gefahr für den Bestand der sozialen Ordnung sehen. Da die geplante Erklärung der Menschenrechte nicht den Menschen im Naturzustand, sondern vielmehr das vergesellschaftete Individuum in seiner sozialen Eingebundenheit zum Gegenstand habe, fordern sie, die Erklärung der Rechte durch eine Aufzählung der sozialen und moralischen Pflichten zu ergänzen. „Man schlägt ihnen vor, die Verfassung mit einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte einzuleiten. Ein solches Werk ist ihrer würdig. Doch diese Erklärung wäre unvollkommen, wenn sie nicht auch eine Erklärung der Pflichten wäre. Rechte und Pflichten bedingen sich gegenseitig. Sie verlaufen parallel. Man kann die einen nicht anführen, ohne von den anderen zu sprechen. Die einen können ohne die anderen nicht bestehen [. . .]. Man kann also keine Erklärung der Rechte ohne Aufzählung der Pflichten anfertigen. Es ist unabdingbar, eine Deklaration der Pflichten zu schaffen, um den Menschen die Grenzen ihrer Rechte aufzuzeigen [. . .]. Man muss ein Gleichgewicht schaffen, man muss den Menschen den Bereich zeigen, den sie ausschreiten können, und man muss die Barrieren nennen, die sie nicht überschreiten dürfen.“45 Seine grundsätzliche Bedeutung erhält das Problem des Zusammenhangs von Rechten und Pflichten, das nicht nur die konservativ ausgerichteten Zirkel, sondern auch viele sozial engagierte Mitglieder der Nationalversammlung, allen voran den eben zitierte Abbé Grégoire beschäftigt, durch die mit ihm verbun45

Grégoire, 4. August 1789, AP, 8, S. 340–341.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

dene Frage, ob das Leben in der Gesellschaft eine Einschränkung der natürlichen Freiheit des Menschen erforderlich macht, ein Postulat, wie es die Vertragstheorie seit ihrem Entstehen immer wieder nahegelegt hatte. Im Mittelpunkt dieser Debatte steht wiederum der Entwurf von Sieyès. So behauptet Sieyès, dass der Mensch, der sich in die Gesellschaft eingliedert, seine Freiheit in keiner Weise verliert. Da der Mensch im Gesellschaftszustand nicht nur über mehr Sicherheit, sondern auch über größere Möglichkeiten zur Entfaltung seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten verfüge, bedeute der Eintritt in die bürgerliche Form der Existenz gegenüber dem Dasein im Naturzustand viel mehr einen Gewinn als einen Verlust an Freiheit. „Der Mensch opfert also durch den Eintritt in die Gesellschaft keinen Teil seiner Freiheit“, heißt es bei Sieyès. „Selbst außerhalb des gesellschaftlichen Bandes besaß keiner das Recht, einem anderen zu schaden. Dieser Grundsatz gilt für alle Verhältnisse, in denen man sich die Menschheit vorstellen kann: das Recht zu schaden hat niemals zur Freiheit gehören können [. . .]. Weit davon entfernt, die individuelle Freiheit zu schmälern, erweitert und sichert der Gesellschaftszustand ihren Genuss; er beseitigt eine Fülle von Hindernissen und Gefahren, denen sie unter dem bloßen Schutz der eigenen Kraft des Einzelnen nur zu sehr ausgesetzt wäre, und er vertraut sie dem allmächtigen Schutz der ganzen Gemeinschaft an. Da also der Mensch im Gesellschaftszustand einen Zuwachs an geistigen und körperlichen Fähigkeiten erfährt und da er sich gleichzeitig der Unsicherheiten entzieht, die ihren Gebrauch begleiten, muss man sagen, dass die Freiheit in der wahren Gesellschaftsordnung größer und vollständiger ist, als sie es in dem Zustand sein kann, den man den natürlichen nennt. Man übt die Freiheit nun über gemeinschaftliche und über eigene Sachen aus.“46 Gegen diese Argumentation begehren die Anhänger des Pflicht-Gedankens auf. Für den Abbé Grégoire, wie für viele andere Abgeordnete auch, ist eine Feststellung der Pflichten des Menschen aus sozialintegrativen Motiven unbedingt erforderlich. Ohne die ausdrückliche Anerkennung individueller Pflichten, so ihr Einwand, ließen sich keinerlei soziale Bindungen und damit letztendlich auch der Zusammenhalt der Gesellschaft als ganzer nicht aufrechterhalten. Wenn überhaupt Gesellschaft sein soll, so müsse der Einzelne seine natürlichen Rechte und seine ursprüngliche Unabhängigkeit mit dem Eintritt in den Gesellschaftszustand ablegen und als Bedingung seiner bürgerlichen Existenz auch die Existenz unverzichtbarer sozialer Pflichten anerkennen.47 Was Sieyès der Gemeinschaft damit als Ganzer zumutet, nämlich das friedliche und soziale Zusammenleben ihrer Mitglieder zu organisieren, wird von den Anhängern des Pflicht-Gedankens jedem einzelnen Bürger auferlegt. 46 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution françoise. Reconnaissance et exposition raisonnée Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 25–26. 47 Vgl. die Rechteerklärung von Mounier, 12. August 1789, AP, 8, S. 407–422.

5.3 Rechte und Pflichten

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Dies hat jedoch weitreichende Folgen für die Staatsvorstellung beider Lager. So fordern die Verteidiger des Pflicht-Gedankens die Schaffung eines starken Rechtsstaates. „Um zu verhindern“, schreibt Mounier, „dass ein Bürger die Freiheiten eines anderen angreift, muss man die Rechte und Pflichten aller bestimmen; man muss die für alle schädlichen Handlungen verhindern und Strafen festlegen gegen diejenigen, die sich schuldig machen. Um die Rechte und Pflichten zu bestimmen, muss man Regeln erlassen, die die Bürger kennen und an die sie sich halten müssen. Diese Regeln nennt man Gesetze, weil sie alle Mitglieder der Gesellschaft binden und verpflichten. Es ist die Autorität des Gesetzes, die die allgemeine Freiheit sichert. Es ist das Gesetz, das die Herrschaft der Gewalt zerstört. Es allein kann alle Rechte schützen; ohne das Gesetz kann es keine Freiheit geben.“48 Es ist die Herrschaft des Gesetzes, die die Auswirkungen jeglichen Despotismus, sei es der Despotismus eines Einzelnen oder der Despotismus der Mehrheit, verhindert. Mit Hilfe des Rechtsstaates soll also nicht nur individuellen Übergriffen, sondern auch möglichen anarchistischen Konsequenzen einer an zu starken Prinzipien der Volkssouveränität orientierten Ordnung entgegen gesteuert werden. Ist für Sieyès die uneingeschränkte Souveränität der Nation Ausdruck und Garant der größtmöglichen Freiheit des Volkes, so ist für die Verteidiger der sozialen Pflichten allein eine auf unabänderliche Regeln und feste Kompetenzen gegründete rechtsstaatliche Ordnung in der Lage, die Freiheit aller zu garantieren: „Ich wiederhole es noch einmal“, schreibt Mounier, „die wirkliche Freiheit [. . .] hat keine andere Grundlage, als den Respekt vor dem Gesetz. Ungebundenheit und Anarchie sind die größten Feinde der Freiheit. Die Ungebundenheit ist nichts anderes als eine willkürliche Gewalt, als ein Vermögen, ungestraft zu schädigen; und in diesem Sinne besteht kein Unterschied zwischen dem Despotismus eines absoluten Monarchen und der Ungebundenheit der Masse.“49 Damit ist die doppelte Frontstellung Mouniers und der von ihm geführten Monarchisten klar umrissen: Ihr Widerstand richtet sich sowohl gegen die bestehende absolute Monarchie, als auch gegen eine Republik im Rousseauschen Sinne, in der im Namen des Allgemeinwillens auch die Freiheitsrechte des Einzelnen eingeschränkt werden dürfen. Allein ein Verfassungs- und Rechtsstaat, der sowohl die Rechte wie die Pflichten des Einzelnen verbürgt, ein angemessenes Strafmaß auf alle Delikte festlegt und auf einer Form von Gewaltenteilung beruht, die jegliche Form von Amtsmissbrauch und Korruption vorbeugt und politische Entscheidung transparent gestaltet, kann seiner Ansicht nach die Freiheiten des Bürgers und der Nation am besten schützen.50

48 49 50

Mounier, 12. August 1789, AP, 8, S. 408. AP, 8, S. 409. AP, 8, S. 409–412.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Nun bestreitet Sieyès allerdings nicht die Existenz von Pflichten, sondern leugnet lediglich ihren eigenständigen Charakter. Seiner Ansicht nach gibt es für den Menschen nur natürliche Rechte, aber keine natürlichen Pflichten. Pflichten hat der Mensch nur insofern, als sie ihm aus der wechselseitigen Anerkennung der Rechte erwachsen, zu der ihn seine Vernunft im Gesellschaftszustand nötigt. Demnach sind die Mitglieder der Gesellschaft einander nur insoweit verpflichtet, wie sie ihren Mitbürgern die gleichen Rechte zugestehen wie sich selbst. „Die Grenzen der persönlichen Freiheit“, schreibt er, „beginnen erst dort, wo sie die Freiheit eines anderen zu beeinträchtigen beginnt. Es ist die Aufgabe des Gesetzes, diese Grenzen festzustellen und zu bezeichnen“51. Man sollte meinen, dass die Differenz zwischen Mounier und Sieyès keine allzu große ist. Doch der Eindruck weitgehender Übereinstimmung trügt. Tatsächlich geht es bei der Auseinandersetzung um den originären oder den abgeleiteten Status der Pflichten um mehr als bloß philosophische Differenzen. Indem Sieyès die Gleichursprünglichkeit von Rechten und Pflichten leugnet, konzipiert er ein Staatsmodell, das der Möglichkeit des Fortbestandes ständischer Privilegien von vornherein einen Riegel vorschiebt und damit viel konsequenter am Grundsatz der politischen Gleichheit der Bürger festhält, als dies die Anhänger des Pflichtgedankens tun. Sieyès zufolge kann allein die garantierte politische (und rechtliche) Gleichheit aller Bürger verhindern, dass zusammen mit dem Schutz der Freiheiten des Einzelnen auch soziale Schranken manifestiert werden, die dem Gedanken einer aus Freien und Gleichen zusammengesetzten Nation entgegenstehen und ihren Fortbestand auf lange Sicht gefährden. Demgegenüber schützen die Verteidiger des Pflichtgedankens mit ihrer Argumentation gerade hierarchische Strukturen innerhalb der Gesellschaft. Je nach den sozialen Pflichten (und dem entsprechenden Pflichtbewusstsein) einzelner Schichten innerhalb der Gesellschaft könnten ihnen auch unterschiedliche politische Freiheiten zugestanden werden. So hat etwa der Adel für Mounier seine herausgehobene soziale Stellung weitgehend eingebüßt. Nichtsdestotrotz verfügt er für ihn durch sein Selbst- und Plichtverständnis hinsichtlich seiner Tradition und der politischen Kultur Frankreichs über jene Fähigkeiten, die ihn für herausgehobene politische Ämter immer noch prädestinieren. Und es gibt noch einen zweiten Punkt, der die Gegner und Verteidiger des Pflichtgedankens trennt. So beharren im Gegensatz zu Sieyès, für den das Projekt einer Neugestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf der alleinigen Basis natürlicher Rechte durchaus realistisch erscheint, Abbé Grégoire und die anderen Vertreter des Pflichtgedankens auf dem Erfordernis einer transzendenten, nicht allein auf den egalitären Rechtsstatus der Bürger gegründeten Rechtfertigung der sozialen Ordnung. Um zu verhindern, dass sich das Ganze der 51 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution française. Reconnaissance et exposition raisonnée Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 27.

5.3 Rechte und Pflichten

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Gesellschaft in die Summe ihrer einzelnen Teile auflöst, ist in ihren Augen eine dem egoistischen Freiheitsstreben der Einzelnen Schranken setzende Gewalt erforderlich, deren Legitimität sich aus historischen Quellen und Modellen einer guten Ordnung schöpft und sich eben nicht allein aus dem seiner Natur nach wandelbaren Willen des Volkes herleitet, der jederzeit auch in einen Despotismus der Mehrheit abgleiten kann. Kann sich Sieyès zufolge eine Nation jederzeit eine neue Verfassung geben und geltendes Recht brechen, wenn es nur im Namen des Allgemeinwillens geschieht, so fordern die Verteidiger des Pflichtgedankens demgegenüber die Kontinuität sozialer und politischer Gefüge ein. „Ich denke“, schreibt Mounier in seiner Rechteerklärung, „dass die Verfassung eines Volkes nicht ewig währen kann, aber man muss alles tun, dass sie dauerhaft ist, denn die geringste Veränderung in der Organisation der Gewalten kann Unruhen und die Vereinigung der Gewalten in einer Hand, das heißt den Despotismus hervorrufen. Man muss also, wenn die Verfassung erst einmal geschaffen wurde, diese auch respektieren und sie keiner Veränderung unterziehen, die nicht auf gründlicher Überlegung und offensichtlicher Notwendigkeit beruht.“52 Insofern plädieren die Vertreter des Pflichtgedankens auch für eine institutionelle Regelung, die jede Verfassung nur dann für gültig erklärt, wenn sie von einem „Hüter der Verfassung“, der nicht identisch mit dem allgemeinen Volkswillen ist, bestätigt worden ist. Für die Monarchisten kommt für dieses Amt nur der König in Frage. Erst wenn dieser, als der andere Vertreter der Nation, einer Veränderung der Verfassung zustimmt, soll diese rechtsgültig werden können. Insofern sind die Verteidiger des Pflichtgedankens auch die namhaften Fürsprecher einer konstitutionellen Monarchie, während sich Sieyès und die Befürworter der natürlichen Rechte des Menschen bereits zu diesem Zeitpunkt zumindest dem Gedanken nach klar für eine Republik aussprechen. Zudem macht der Verweis auf die unterschiedlichen Quellen der Legitimität deutlich, dass der Auseinandersetzung über die Frage nach dem Zusammenhang von Rechten und Pflichten nicht nur eine politische, sondern auch eine metaphysische Dimension innewohnt. In den unterschiedlichen Ansichten über das Verhältnis von Freiheit und Ordnung, die in der Debatte zum Ausdruck kommen, treffen nicht nur divergierende politische Meinungen, sondern vor allem unterschiedliche Gemeinschafts- und Geschichtsverständnisse aufeinander. So suchen die Vertreter des monarchistischen Lagers zusammen mit dem Gedanken der Gleichursprünglichkeit von Rechten und Pflichten auch die theozentrische Vorstellung einer dem menschlichen Gestaltungswillen entzogenen Seinsordnung zu bewahren, wohingegen Sieyès und die Anhänger der Naturrechtslehre zugleich mit der Idee der natürlichen Rechte die anthropozentrische Vorstellung vom Primat des menschlichen Willens verteidigen. „In die Natur hineingestellt“, 52

Mounier, 12. August 1789, AP, 8, S. 416.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

schreibt Sieyès zu Beginn seines Entwurfes einer Menschenrechtserklärung, „erntet der Mensch ihre Gaben; er wählt sie aus, vermehrt sie und verfeinert sie durch seine Arbeit. Gleichzeitig lernt er, all das zu vermeiden, was ihm schaden kann, und ihm vorzubeugen; er schützt sich sozusagen gegen die Natur mit den Kräften, die er von ihr erhalten hat; ja er wagt sogar, sie zu bekämpfen. Seine Geschicklichkeit vervollkommnet sich ständig, und man sieht, wie die in ihrem Fortschritt unbegrenzte Macht des Menschen die Kräfte der Natur immer mehr den eigenen Lebensbedürfnissen unterwirft.“53 Diesem auf den individuellen Gestaltungswillen des Menschen bezogenen Gesellschaftsmodell setzen die Verteidiger des Pflichtgedankens, allen voran Mounier, die Vorstellung einer immer schon fest gefügten gesellschaftlichen Ordnung entgegen, ohne die der Mensch nicht existieren kann und die zu verändern nicht in seiner Verfügungsmacht steht. Der Einzelne lebt mithin immer schon in einer menschlichen Gesellschaft, die er nicht geschaffen hat und deren Sitten, Gebräuchen und Traditionen er verpflichtet bleibt, selbst wenn er sich von ihnen lossagen möchte.54 Diese unterschiedlichen Standpunkte können in den Diskussionen der Assemblée Nationale keineswegs vermittelt oder gar ausgeräumt werden. Es wäre jedoch verfehlt, wollte man in der Menschenrechtserklärung, die in ihrer am 27. August verabschiedeten Fassung auf eine Formulierung der Pflichten verzichtet, deshalb das Dokument eines radikalen Individualismus sehen, wie es in der Forschungsliteratur zuweilen geschieht.55 Weit davon entfernt, den Bestand sozialer Bindungen zu zerstören, verändert die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte lediglich ihren Charakter, indem sie an die Stelle transzendent und historisch begründeter Vorrechte und Pflichten die Geltung allgemeiner, auf freier Vereinbarung beruhender Rechte setzt. Sie markiert damit jedoch die entschiedene Abkehr vom religiös fundierten Verständnis des Staates als einer sich über die Untertanen erhebenden politischen Gesamtordnung hin zur Auffassung vom Staat als einem auf gesetzlicher Grundlage operierenden Willensverband, dessen Handeln Berechtigung wie Begrenzung an den individuellen Rechten seiner Bürger findet.56 Außerdem impliziert die Debatte über Rechte und Pflichten Überlegungen zur Sozialgesetzgebung, die ebenfalls einen breiten Raum der Diskussion inner53 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution Française. Reconnaissance et exposition raisonnée Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 20–21. 54 Vgl. Mouniers Erklärungsentwurf, 12. August 1789, AP, 8, S. 408 ff. 55 Vgl. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970; Sandweg, Jürgen: Rationales Naturrecht und revolutionäre Praxis. Untersuchungen zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789, Berlin 1972. 56 Vgl. Slavin, Morris: The French Revolution in Miniature: Section Droits-del’Homme (1789–1795), Princeton N.J. 1984; Gauchet, Marcel: Menschenrechte, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1180–1197.

5.3 Rechte und Pflichten

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halb der Nationalversammlung einnehmen. Nicht von ungefähr ist Sieyès, der radikalste Verfechter des Rechtegedankens, auch der maßgebende Fürsprecher des Solidaritätsgedankens. Sieyès zufolge impliziert die in der Menschenrechtserklärung enthaltene Verpflichtung des Staates, die volle Entfaltung der natürlichen Rechte des Einzelnen zu garantieren, eine soziale Gewährleistungspflicht der Gesellschaft für diejenigen ihrer Mitglieder, die nicht in der Lage sind, die Grundlagen ihrer Existenz aus eigenen Mitteln zu sichern. „Die Vorteile, die man aus dem Gesellschaftszustand ziehen kann“, so Sieyès, „beschränken sich nicht auf den wirkungsvollen und vollständigen Schutz der persönlichen Freiheit; die Bürger haben außerdem noch Anspruch auf alle Wohltaten des gesellschaftlichen Zusammenschlusses. Diese Wohltaten werden sich in dem Maße vervielfachen, in dem die Gesellschaftsordnung sich die Einsichten zunutze macht, welche Zeit, Erfahrung und Überlegung in der öffentlichen Meinung verbreiten werden. Die Kunst, aus dem Gesellschaftszustand alle nur möglichen Vorteile zu ziehen, ist die vornehmste und wichtigste aller Künste. Eine Vereinigung für das größtmögliche Wohl aller wird das Meisterwerk des Verstandes und der Tugend sein.“57 Zwar räumt Sieyès mit Rücksicht auf den Umfang der Erklärung ein, „dass eine Erklärung der Rechte [. . .] nicht die Liste aller Wohltaten enthalten [muss], die eine gute Verfassung der Bevölkerung verschaffen kann. Es reicht hier aus zu sagen, dass die Bürger gemeinschaftlich auf alles Anspruch haben, was der Staat zu ihren Gunsten tun kann.“58 Entscheidend für die Bedeutung des von Sieyès gemachten Vorschlags ist denn auch nicht die Zahl der sozialen Rechte,59 sondern das in dieser Form erstmals klar formulierte Prinzip der Sozialstaatlichkeit. Auch wenn dieses Prinzip aufgrund des zeitlich begründeten Abbruchs der Beratungen am 26. August 1789 keinen Eingang in die am Ende verabschiedete Fassung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gefunden hat, bringt es doch eine weitere maßgebliche Neuerung zum Ausdruck, die für den Charakter des politischen Denkens der Französischen Revolution kennzeichnend ist. So impliziert die von Sieyès empfohlene Regelung, den Staat zum Garanten der sozialen Ansprüche und Bedürfnisse der Bürger zu machen, nicht weniger als die Auflösung der persönlichen Fürsorge- und Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie für das soziale Bindungsgeflecht des absolutistischen Feudalsystems kennzeichnend gewesen sind, um an deren Stelle ein entpersonalisiertes, auf den Staat bezogenes Konzept sozialer Verantwortlichkeit und gemeinschaftlich geübter Bürgersolidarität zu setzen. 57 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution française. Reconnaissance et exposition raisonnée Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 32. 58 Ebd., S. 33. 59 Sieyès zählt dazu die Kranken- und Altenpflege, ein öffentliches Erziehungs- und Bildungssystem und den umfassenden kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit anderen Völkern.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

5.4 Freiheit und Gleichheit Die Debatte um Rechte und Pflichten hat maßgeblich auch die Begriffe und Vorstellungen von Freiheit und Gleichheit bestimmt, wie sie in der Menschenrechtserklärung Eingang gefunden haben. Als handlungsorientierende normative Maßstäbe sind sie 1789 in den politischen Reden und Traktaten nahezu aller Abgeordneten der Assemblée Nationale präsent. Die allgemeine Verbreitung und die enorme Popularität der Begriffe in der politischen Rhetorik der Abgeordneten darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur hinsichtlich der Gewichtung der mit den einzelnen Begriffen verbundenen Werte grundlegende Differenzen bestehen, sondern dass mit demselben Schlagwort oftmals ganz unterschiedliche, mitunter sogar gegensätzliche inhaltliche Vorstellungen verbunden werden.60 Im Wesentlichen lassen sich zwei unterschiedliche Freiheitsverständnisse unterscheiden. Die erste, vorrangig unter den gemäßigten und monarchistisch orientierten Abgeordneten verbreitete Vorstellung ist maßgeblich durch das ständische Freiheitsverständnis geprägt. Dieser Auffassung zufolge existiert die Freiheit in politisch-praktischen Zusammenhängen nur im Plural historisch überlieferter und legitimierter Rechte und Freiheiten (iura et libertates), die dem Einzelnen entsprechend seines sozialen Umfeldes den Umfang seiner konkreten politischen und sozialen Berechtigungen zuweisen.61 Vor allem Mounier macht bei der Diskussion um Artikel 1 der Rechteerklärung dieses Freiheitsverständnis stark. Wie Rhedon62 formuliert er ein prinzipielles Defizit zwischen Menschen- und Bürgerrechten. Denn die Freiheit des Menschen und die des Bürgers sind für ihn prinzipiell verschieden. Die eine bezieht sich auf die natürlichen Prinzipien, während die andere auf gesellschaftlichen Vorschriften oder gesellschaftlichen Konventionen beruht. In der Existenz einer Vielzahl miteinander widerstreitender, mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ausgestatteter Individuen, Familien und Körperschaften, die sich in ihrer Machtentfaltung gegenseitig neutralisieren, sieht er als einer von der Gesellschaft getragenen und bewahrten Freiheit daher den besten Schutz gegen jegliche Form staatlicher Willkür.63

60 Ozouf, Mona: Freiheit, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1103–1121. 61 Dieses Argumentationsmuster findet sich bereits bei Boulainvilliers, Henri de: Histoire de l’ancien gouvernement de la France: avec XIV lettres historiques sur les parlements où états généraux, 1, La Haye 1727; Montesquieu, Charles Louis de Secondat de: De l’ésprit des loix, ou rapport que les loix doivent avoir la Constitution de chaque gouvernement, les mœurs, le climat, la religion, le commerce, Geneve s. d. 62 Rhédon, 21. August 1789, AP, 8, S. 464. 63 Mounier, 21. August 1789, AP, 8, S. 463–465.

5.4 Freiheit und Gleichheit

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In direktem Gegensatz zu diesem ständisch geprägten Freiheitsverständnis steht das zweite Freiheitskonzept, das man mit dem Begriff der bürgerlichen Freiheit bezeichnen kann. Für die Anhänger dieses Konzepts,64 die sich überwiegend aus dem Zirkel um Sieyès rekrutieren, findet die Freiheit ihre sicherste Grundlage im Schutz der Bürger durch ein gemeinsames und einheitliches Gesetz. Anders als das ständische Freiheitskonzept, das auf die neutralisierende Wirkung des Widerstreits kollektiver und individueller Akteure setzt, rechnet das bürgerliche Freiheitskonzept mit der Möglichkeit der friedlichen Koexistenz und einheitlichen Willensbildung vernünftiger und verständiger Bürger, die begreifen, dass sie selbst nicht mehr Rechte für sich beanspruchen können, als sie anderen zuzugestehen bereit sind. „Eine Gesellschaft“, schreibt Sieyès, „in der ein Mensch mehr oder weniger frei wäre als ein anderer, wäre ganz gewiss sehr schlecht geordnet: sie würde aufhören, frei zu sein, und man müsste sie neu errichten.“65 Von nicht minder großer Bedeutung für den revolutionären Freiheitsdiskurs sind schließlich die unterschiedlichen Interpretationen, die den beiden Konzepten im politischen Meinungskampf im Sommer 1789 beigelegt werden. Im Zentrum dieses Konflikts steht dabei die Frage, ob man in der Idee der Freiheit einen positiven, von der Gesamtheit der politischen Gemeinschaft aktiv zu verwirklichenden Wert sehen soll, wie die Verteidiger des Pflichtgedankens dies tun, oder ob sich ihre Bedeutung in der rein negativen Funktion erschöpft, mittels geeigneter institutioneller Arrangements und Verfahren ein Maximum an persönlicher Sicherheit vor staatlichen Übergriffen zu gewährleisten, wie es Sieyès in seinem Entwurf beschreibt.66 Für die Anhänger des hauptsächlich durch die liberalen Klassiker der neuzeitlichen Naturrechts- und Vertragstheorie geprägten negativen Freiheitsverständnisses besteht die Freiheit des Einzelnen in politisch-sozialen Zusammenhängen demnach wesentlich in der Abwesenheit äußerer Zwänge. Dieser Auffassung zufolge, als deren Fürsprecher in der Nationalversammlung vor allem Mirabeau und Sieyès fungieren, besteht die vordringliche Aufgabe der Regierung nicht in der Verwirklichung bestimmter gemeinschaftlicher Ziele, sondern in der rechtsstaatlichen Garantie individueller Unabhängigkeit vor willkürlichen oder illegalen Übergriffen. Der Gesellschaftszustand, schreibt Sieyès, muss „die Gleichheit der Rechte vor dem natürlichen, aber schädlichen Einfluss der Ungleichheit der 64 Dieses Argumentationsmuster findet sich bereits bei Rousseau, Jean-Jacques: Du contrat social ou principes du droit politique, Amsterdam 1762; Mably, Gabriel de: Observation sur l’histoire de France, Paris 1797; Mably, Gabriel de: Le droit de l’europe, fondé sur les traités conclus jusqu’en l’année 1740, 1, Amsterdam 1748; Mably, Gabriel de: Des droits et des devoirs du citoyen, s. l. s. d. [1789]. 65 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution française. Reconnaissance et exposition raisonnée. Des droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 28. 66 Ebd.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Mittel“ schützen. „Das Gesellschaftsgesetz wurde nicht gemacht, um den Schwachen zu schwächen und den Starken noch zu stärken; sein Anliegen ist es im Gegenteil, den Schwachen vor den Übergriffen des Starken zu schützen – und indem es mit seiner schützenden Autorität die Gesamtheit der Bürger umschließt, verbürgt es allen den Vollbesitz ihrer Rechte.“67 Freilich ist sich Sieyès bewusst, dass dies wiederum nur durch einen starken Staat möglich ist: „Vergeblich würde man erklären, dass die Freiheit das unveräußerliche Recht eines jeden Bürgers ist; vergeblich würde das Gesetz Strafen gegen Gesetzesbrecher aussprechen, wenn es nicht zur Aufrechterhaltung des Rechts und zur Vollziehung des Gesetzes eine Gewalt gäbe, die fähig wäre, beides zu gewährleisten. Die Sicherung der Freiheit wird nur dann gut sein, wenn sie hinreichend ist, und sie ist nur hinreichend, wenn die Schläge, die man ihr versetzen kann, nichts ausrichten gegenüber der Gewalt, die zur Verteidigung der Freiheit bestimmt ist. Kein Recht ist vollkommen gesichert, wenn es nicht von einer verhältnismäßig unwiderstehlichen Gewalt geschützt wird.“68 Demgegenüber betonen die Anhänger des positiven Freiheitsverständnisses, dass die Individuen ihre Freiheit nur in dem Maß zu realisieren vermögen, wie sie ihre privaten Interessen hinter den höheren Zielen der Gemeinschaft zurückstellen. „Als unvermeidbare Folge der neuen Gesetze müssen sie erst in Kraft gesetzt und mit dem Herzen ausgefüllt werden; schließen sie sich uns bei der Ausübung sozialer Dienste an, nehmen sie sich derer an, die auf sie angewiesen sind und sie werden die unschätzbare Milde zu spüren bekommen, die an die öffentliche Wertschätzung geknüpft ist.“69 Nicht die ungehinderte Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, sondern die Mitgestaltung des Wohls der Gesamtheit und das institutionalisierte Recht zur Teilhabe an staatlicher Herrschaft stehen für sie im Vordergrund. Damit sind die Pole abgesteckt, die den spannungsvollen Rahmen vorgeben, in dem sich der revolutionäre Diskurs über die Idee der Freiheit 1789 vollzieht. Auch wenn sich eine einfache Zuordnung der unterschiedlichen Freiheitsvorstellungen für die Gesamtheit der Abgeordneten der Assemblée Nationale verbietet, da sich die eben idealtypisch rekonstruierten Auffassungen in den verschiedenen Positionen der Verfassungs- und Menschenrechtsdebatten wechselseitig durchdringen, so lassen sich doch, wie Mona Ozouf gezeigt hat, zwei gegenläufige Tendenzen voneinander unterscheiden.70 Zu Beginn der Diskussionen über die Menschenrechte kann man ein Vorherrschen der negativen Ausle67

Ebd., S. 25. Ebd., S. 29. 69 Adresse aux bonnes citoyennes. Par la Société des Amis de la Constitution, s. l. s. d., S. 6. 70 Ozouf, Mona: Freiheit, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1103–1121. 68

5.4 Freiheit und Gleichheit

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gung des bürgerlichen Freiheitskonzepts in den Beschlüssen der Nationalversammlung konstatieren; so bestimmt etwa Artikel 2 der Menschenrechtserklärung Ziel und Zweck politischer Zusammenschlüsse als die Wahrung der natürlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen: „Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unverjährbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen Unterdrückung.“71 Die individuelle Freiheit rangiert damit vor der öffentlichen Freiheit, die private Autonomie vor dem Gesetz. Das Gesetz wird nicht in erster Linie als Ausdruck einer gemeinsam geteilten Lebensform, sondern als Bollwerk zum Schutz des Einzelnen verstanden. Im Gegensatz zum politischen Denken des Absolutismus wird die Freiheit zudem nicht als Mittel staatlicher Gewaltausübung begriffen, sondern zu deren bestimmendem Zweck erklärt. Auch das Prinzip der Gewaltenteilung, das im Artikel 16 der Erklärung zur essentiellen Voraussetzung jedes verfassten Staates erklärt wird, hat seinen Ursprung in dem Bedürfnis der Abgeordneten, staatlichen Übergriffen auf die persönliche Freiheit der Bürger entgegenzuwirken: „Jede Gesellschaft, in der die Verbürgung der Rechte nicht sicher gestellt und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung.“72 Zudem verhindern mehrere Artikel die Etablierung von erblichen Titeln, Ämterkauf, religiösen Orden und die Einrichtungen ständischer Zusammenschlüsse, wie sie das Ancien Régime kennzeichneten, insofern sie eine Gefahr für die individuelle Freiheit darstellen.73 Allerdings wäre es verfehlt, in den Beschlüssen der Nationalversammlung den Ausdruck einer gemeinsamen politisch-philosophischen Orientierung der Abgeordneten zu sehen. In der Betonung der individuellen Rechte und der immer wieder gebrauchten Integrationsformel von der „Herrschaft des Gesetzes“ äußert sich eher die gemeinsam gehegte Opposition gegen die Willkür des absolutistischen Systems und eine darauf beruhende Kompromissbereitschaft, die in diesem Stadium der Revolution noch auf nahezu allen Seiten vorhanden ist. So lassen die Erfahrungen mit den Missbräuchen des Ancien Régime und dessen Despotismus, die den Gegenstand der Anklage unzähliger Flugschriften, Zeitungen und Reden der Zeit bilden, auch viele der Gemäßigten unter den Abgeordneten für eine starke Sicherung bürgerlicher Freiheitsrechte in der Verfassung stimmen. Je weiter die Abgeordneten jedoch bei der Abfassung der Deklaration der Menschenrechte vorankommen, desto mehr wird ihnen bewusst, dass nicht nur individuelle, sondern auch öffentliche Freiheiten garantiert werden müssen, selbst wenn diese im Hinblick auf die natürlichen Rechte sekundär sind. Die 71 72 73

21. August 1789, AP, 8, S. 463. 27. August 1789, AP, 8, S. 489. 26. August 1789, Artikel 12–16 der Rechteerklärung, AP, 8, S. 487 ff.

156

5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Debatten um die Pressefreiheit, Religionsfreiheit und das Briefgeheimnis gelten als Beleg dafür.74 Dass sie bei der Verankerung dieser Freiheiten scheitern, liegt in dem spezifisch ständischen Freiheitsverständnis der gemäßigten Abgeordneten begründet. Die Menschen, so deren Begründung, leben nicht mehr im Naturzustand, sondern sind an den Gesellschaftszustand gebunden, der bestimmte Einschränkungen, Vorsichtsmaßnahmen und Ausnahmen von der individuellen Freiheit verlangt.75 Demnach bedeutet jeder Missbrauch der Freiheit einen Angriff auf den Staat und die Gesellschaft.76 Mit diesem Argument setzen sich im Laufe der Diskussion zunehmend die Verteidiger des Pflichtgedankens durch. So sprechen sich die Verteidiger des freien Austausches der Meinungen in der Debatte über die Pressefreiheit gegen jede Reglementierung aus, die immer auch zur Überwachung und gezielten Ausgrenzung von Personen oder ganzen Gruppen werden kann.77 Doch sie verlieren, wie Marcel Gauchet gezeigt hat, in dem Augenblick die Oberhand, in dem die Idee auftaucht, dass es erlaubt sein müsse, die Gesellschaft schädigende oder zersetzende Ansichten zu verbieten.78 Diese Gleichzeitigkeit von Schutz der Sicherheit der Gemeinschaft sowie Wahrung der Freiheit des Individuums, die in gleicher Weise den modernen Staat begründen, bleibt ein in sich unauflöslicher Widerspruch bei der Grundlegung der Menschenrechte. Folgenschwer für die weitere politische Diskussion, über die Erklärung der Menschenrechte hinaus, ist auch die Debatte um den Begriff der Gleichheit, die sich parallel zur Auseinandersetzung um die Idee der Freiheit vollzieht. Der Begriff der Gleichheit impliziert für die Anhänger der Naturrechtslehre nicht nur die natürliche Gleichheit der Menschen, sondern auch die Gleichheit aller vor dem Gesetz sowie die Gleichheit bei der politischen Mitbestimmung. „Die Gleichheit der politischen Rechte ist ein Grundprinzip“, schreibt Sieyès. „Sie ist wie die Gleichheit der gesellschaftlichen Rechte heilig. Aus der Ungleichheit der politischen Rechte entstünden bald Privilegien. Ein Privileg ist entweder Befreiung von gemeinschaftlicher Last oder ausschließliche Gewährung eines gemeinschaftlichen Gutes. Jedes Privileg ist somit ungerecht, verabscheuungswürdig und widerspricht dem wahren Ziel der Gesellschaft. Da das Gesetz ein gemeinschaftliches Werkzeug, das Werk eines gemeinschaftlichen Willens ist, kann seine Bestimmung auch nur in einem gemeinschaftlichen Interesse liegen.“79 Die Gleichheit bei der politischen Mitbestimmung verspricht daher 74 Vgl. das Kapitel Die Ausarbeitung der Menschen-und Bürgerrechtserklärung der Arbeit. 75 23. August 1789, AP, 8, S. 477. 76 Ebd., S. 472. 77 Ebd., S. 477. 78 Gauchet, Marcel: Menschenrechte, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 1180–1198.

5.4 Freiheit und Gleichheit

157

nicht nur die Gleichheit im Gesetzgebungsverfahren, sondern auch die gleiche Beteiligung aller an der Bildung des nationalen Willens. Der sich an das Versprechen der Gleichheit der Bürger anschließende Diskurs über die Ausweitung des Wahlrechts wird von den radikalen Verfechtern der natürlichen Gleichheit der Menschen im Laufe der Diskussion, wie in den aufklärerischen Zirkeln längst üblich, auf alle gesellschaftlich Ausgeschlossenen angewendet, also auch auf Protestanten und Juden, auf die Kolonialbevölkerung sowie Arme (nicht Steuerpflichtige) und Frauen.80 Dass sich die Mitglieder der Assemblée Nationale des Unterschieds zwischen der formalen rechtlichen Gleichheit und der verweigerten realen Gleichheit bei diesen Gruppen durchaus bewusst sind, belegen viele Beiträge.81 Die Verteidiger des Pflichtgedankens, die darin durchaus ein Problem sehen, weisen darauf hin, dass es bei den existierenden großen materiellen Ungerechtigkeiten zunächst darauf ankomme, durch das öffentliche Unterrichtswesen ein geistiges Niveau bzw. gesellschaftliches Bewusstsein zu erzielen, das allen Bevölkerungsschichten die Wahrnehmung der hergestellten formalen Gleichheit überhaupt erst ermögliche.82 Sie unterstreichen damit die Differenz zwischen dem formulierten Ideal und einer gesellschaftlichen Praxis, die davon weit entfernt ist.

79 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution française. Reconnaissance et exposition raisonnée des Droits de l’Homme et du Citoyen, s. l. 1789, S. 37. 80 Vgl. de Gouge, Olympe: Les droits de la Femme. A la Reine, s. l. s. d. [1791]; Condorcet, Marie-Jean-Nicolas de Caritat: Réflexions sur les affaires publiques par une société de citoyens, s. l. s. d. [1789]; Condorcet, Marie-Jean-Nicolas de Caritat: Sur la nécessité d’établir en France une Constitution nouvelle, s. l. s. d.; Palm d’Aelders, Etta: Appel aux Françaises sur la régénération des mœurs et nécessité de l’influence des Femmes dans un gouvernement libre, par Etta Palm, née d’Aelders, Paris s. d. [179–?]; Avis aux dames, s. l. s. d. [1788]; Cahier des doléance des demoiselles aux Etats généraux de France, de 1789, s. l. s. d. [1789]; Catéchisme patriotique, par une bonne citoyenne, s. l. s. d. [1788]; De l’influence des femmes dans l’ordre civile et politique, s. l. s. d. [1789]; Coicy, Madame de: Demande des femmes aux Etats-Généraux, par l’auteur des „Femmes comme il convient de les voir“, s. l. s. d. [1789]; Fumelh, Madame de: Discours à la nation française, par Madame de Fumelh, s. l. s. d. [1789]; Du sort actuel des femmes, s. l. s. d.; Paris s. d. [179–?]. 81 Vgl. vor allem die Schriften von Condorcet, insbesondere: Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: Idées sur le despotisme, à l’usage de ceux qui prononcent ce mot sans l’entendre, s. l. s. d.; in: Œuvres de Condorcet, Paris 1847, 147–173; Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Caritat: La République française aux hommes libres, par Condorcet, s. l. s. d.; Paris s. d. [179–?]. 82 Vgl. Morisse: Essai sur la nature et l’exercice de l’autorité du peuple dans Etat, s. l. s. d. [1789]; Villier, Joseph: Nouveau plan d’éducation et d’instruction publique dédié à l’Assemblée Nationale, Paris 1789; Ménard de La Groye, François: Plan d’éducation nationale, tracé à l’occasion des Mémoires présentés à l’Académie de Charlons-sur-Marne, touchant les moyens de perfectionner l’éducation de collèges en France, Paris 1789; Mounier, Jean-Joseph: Plan d’éducation nationale adressé aux Etats généraux, s. l. s. d. [1789]; Projet d’éducation nationale, Paris 1789.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Wenn wir eine Erklärung der Menschenrechte schaffen, erklärt Mirabeau zu Beginn der Ausschussarbeit in dem Versuch, beide Lager zu versöhnen, dann müssen wir uns „an den Tatsachen und nicht an Erwägungen der Vernunft“ orientieren.83 „Dieser Unterschied ist schwerwiegend“; doch weder die Freiheit noch die Gleichheit können „das Produkt einer im philosophischen Duktus ausgearbeiteten Doktrin“ sein, sondern müssen sich im „täglichen Vollzug äußern“84. „Eine Erklärung der Rechte, die sich an einem Ideal orientieren würde, [. . .] wäre nicht nur unmöglich umzusetzen, sondern auch inhaltlich absurd, und würde jeden Rahmen einer Verfassung sprengen. Weder die Menschen noch die Umstände sind in diesem Land genügend darauf vorbereitet.“85 Bewusst drängen die Anhänger des Pflichtgedankens deshalb auf den Verzicht der Formulierung von der natürlichen Gleichheit des Menschen und setzen an ihre Stelle auf die Formel von der Chancengleichheit entsprechend der Fähigkeiten und Talente des Einzelnen, wie sie in die Rechteerklärung eingegangen ist.86 Beide Debatten um die Freiheit und Gleichheit des Menschen unterstreichen daher in eindringlicher Weise, dass die in der Menschen- und Bürgerrechtserklärung verankerten Begriffe von Freiheit und Gleichheit nicht einer einheitlichen Grundlegung folgen, sondern das Produkt eines formelhaften Kompromisses darstellen, der den ursprünglichen Intentionen der Verteidiger der Naturrechtslehre in keiner Weise gerecht wird, dafür aber Rücksicht auf die existierende politische Situation nimmt.

5.5 Die Bedeutung der Rechteerklärung Die Menschen- und Bürgerrechtserklärung macht in der Gestalt, die sie im August und September 1789 erhält, zwar viele verfassungsrechtliche Vorgaben, lässt aber auch etliche Frage offen. Vor allem die verfassungsrechtliche Position des Königs bleibt in mehrfacher Hinsicht ungeklärt. Deshalb entspinnt sich im September und Oktober 1789 eine Debatte in der Assemblée Nationale über die Frage, ob die Rechteerklärung der Sanktion oder nur einer einfachen Zustimmung durch den König bedarf. Die Debatte wird insofern vom Handeln des Königs beeinflusst, als dieser am 5. Oktober 1789 seine Zustimmung zu den ihm von Mounier vorgelegten 17 Artikeln der Rechteerklärung und 19 Artikeln der Verfassung gibt, freilich unter der Bedingung, dass ihm am Ende der Beratungen die vollziehende Gewalt uneingeschränkt zuerkannt werde.87 Außerdem 83 84 85 86 87

Mirabeau, 17. August 1789, AP, 8, S. 438. Ebd. Ebd. AP, 8, S. 463. Le Roi, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 342–343.

5.5 Die Bedeutung der Rechteerklärung

159

betont er in seinem Schreiben, dass nicht alle Artikel vollkommen seien, aber im Interesse einer schnellen Wiederherstellung von Frieden, Ordnung und Vertrauen seine Zustimmung nicht ausbleiben solle.88 Die Frage, ob eine solche brüske Zustimmung des Königs ausreicht, um die Erklärung und die Verfassung in Kraft treten zu lassen, bestimmt am 5. Oktober die Debatten der Assemblée Nationale. Muguet de Nanthou, Abgeordneter des Dritten Standes der Bailliage von Amont en Franche-Comté, betont nach der Verlesung des königlichen Schreibens, dass eine einfache Zustimmung (acceptation pure et simple) ausreiche, um die Beschlüsse der Assemblée rechtskräftig werden zu lassen, denn die Menschenrechtserklärung enthalte all die Rechte, die für alle Menschen und alle Nationen gleichermaßen gelten.89 Er wird darin von aktiven Befürwortern der Menschenrechtserklärung wie Prieur, Duport und Goupil de Préfeln unterstützt.90 Dagegen behauptet Robespierre ganz im Rousseauschen Sinne, dass keine irdische Macht ein Volk daran hindern könne, sich eine neue Verfassung zu geben. Eine Zustimmung des Königs zu der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sei deshalb nicht notwendig. Das am 11. September 1789 beschlossene aufschiebende Vetorecht des Königs gelte nur für Gesetzgebungsfragen (actes législatifs), nicht jedoch für solche mit Verfassungsrang.91 Andere Abgeordnete weisen wiederum daraufhin, dass eine Bestätigung durch den König erst nach Abschluss der Verfassung möglich sei und beantragen damit eine Vertagung der Debatte.92 Bouche, Abgeordneter des Dritten Standes der Sénéchaussée von Aix, schlägt daraufhin vor, die Verfassung als einen Vertrag zwischen der Nation und dem König zu betrachten.93 Entsprechend verteidigen auch zwei weitere Royalisten, nämlich André Boniface Louis de Riquetti, Abgeordneter des Adels von Haut-Limousin, und Virieu, Abgeordneter des Adels der Dauphiné, die königliche Antwort, nicht ohne zusätzlich zu betonen, dass sie die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ohnehin für unnütz halten, richte sie sich doch an alle Völker, weshalb sie unmöglich Bestandteil der französischen Verfassung sein könne.94 Beide sprechen sich gegen eine Gegenzeichnung mit der Begründung aus, dass sich die Versammlung selbst gegen einen Vertrag zwischen sich und dem König ausgesprochen habe.95

88 89 90 91 92 93 94 95

Ebd., S. 341. Muguet de Nanthou, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 343. AP, 9, S. 344. Robespierre, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 343. AP, 9, S. 343–344. Bouché, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 343. Mirabeau, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 344. Ebd.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Dieser Schlussfolgerung folgt auch Barère de Vieuzac, freilich mit einer anderen Begründung. Er unterscheidet in seiner Argumentation zwischen der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und der Verfassung. Die in der Erklärung angesprochenen Menschenrechte seien unabhängig von den Rechten des Monarchen gültig. Die Aufgabe des Königs sei es lediglich, sie zu proklamieren. Die Verfassungsartikel hingegen bedürften seiner Zustimmung, sind sie doch Bestandteil eines Vertrages zwischen der Nation und dem König. Aber auch in diesem Falle könne der König die Verfassung nicht ablehnen, regle doch erst die Verfassung seine Machtkompetenzen.96 Auch Abbé Maury versucht in seiner Rede zu beweisen, dass die Rechteerklärung, da sie nur sittliche Normen fixiere, keiner königlichen Zustimmung bedürftig sei.97 Nach weiteren heftigen Diskussionen, ob die Antwort des Königs ausreichend sei oder nicht, meldet sich Mirabeau zu Wort. Er beantragt, den König um eine Klarstellung seiner Antwort zu bitten. Es bedürfe der konkreten Feststellung, dass der König die Verfassungsbeschlüsse der Nationalversammlung akzeptiere und lediglich wegen der gegenwärtigen Umstände Einwände erhebe.98 Bei der anschließenden Abstimmung, wird der Antrag von La Galissonnière99, dass die Versammlung mit der Antwort des Königs zufrieden sei, ebenso abgelehnt, wie Chevalier Alexandre de Lameths100 Antrag, auf eine zweite Antwort des Königs zu drängen. Mirabeau wehrt sich im weiteren Abstimmungsverfahren gegen Zusätze zu seinem Entschließungsantrag. In seiner Rede weist er daraufhin, dass die Rechteerklärung ein philosophisches, fehlerhaftes und unvollkommenes Werk sei, dessen Vorlage beim König verfrüht sei. Deutlich verweist er darauf, dass die déclaration, selbst in ihrer idealsten Form, nur einen politischen Kompromiss und nichts anderes darstelle. Diesen Standpunkt hatte Mirabeau bereits in seiner Rede zur Verteidigung der Arbeit des Fünfer-Ausschusses vertreten, in der er betont hatte, dass die Erklärung weder das Ergebnis der Vernunft, d.h. der reinen Kontemplation, noch einer historischen Ableitung sein könne, sondern lediglich das Resultat einer politischen Debatte darstellen werde.101 Die déclaration könne nur das zeitweilige Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen politischen und sozialen Lagern spiegeln. Eine ideale, für alle Zeiten und alle Völker geltende Rechteerklärung könne es niemals geben. Nicht nur, dass sie der inneren Spannungslage der politischen Kräfte nicht gerecht werden könne, es gebe auch keinen „Idealtyp“

96

Barrère de Vieuzac, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 344. Maury, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 345–346. 98 Mirabeau, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 345. 99 La Galissonnière, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 346. 100 Chevalier, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 346. 101 Mirabeau, 18. August 1789, AP, 8, S. 454–455. 97

5.5 Die Bedeutung der Rechteerklärung

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einer Rechteerklärung, die für alle Staaten in gleicher Weise zutreffen könne bzw. sollte. Das Plenum beschließt daraufhin, dass der Präsident der Assemblée beim König lediglich auf eine einfache Zustimmung (acceptation pure et simple) drängen müsse.102 Diese Entscheidung erweist sich sowohl für den wirkungsgeschichtlichen Erfolg der Menschenrechtserklärung wie auch für die Legitimation der Nationalversammlung als außerordentlich bedeutungsvoll. Indem die Abgeordneten der Nationalversammlung die Prinzipien der Déclaration für sich selbst sprechen lassen und sich so mit der Rolle eines Mittlers statt der eines Gesetzgebers zufrieden geben, statten sie die in dem Dokument niedergelegten Rechte mit dem Nimbus allgemeiner Geltung aus. Sie verschaffen auf diese Weise auch sich selbst eine Legitimation, über die sie als Angehörige der Nationalversammlung, die sich selbst als solche proklamiert hatte, bisher nicht verfügten. Indem der König lediglich aufgefordert wird, die Erklärung zu akzeptieren, wird er aufgefordert, deren allgemeine Geltung anzuerkennen. Damit wird es dem König unmöglich gemacht, die Legitimität der Nationalversammlung und die Verbindlichkeit ihrer Beschlüsse in Zukunft anzuzweifeln. Ausgehend von der von Sieyès proklamierten Prämisse, dass jede gesellschaftliche Vereinigung und folglich jede politische Verfassung keinen anderen Zweck habe als die Erklärung, Erweiterung und Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte,103 erlangt die Nationalversammlung auf dem Umweg über die Erklärung der Menschenrechte und deren Akzeptanz durch den König das Recht zur Ausübung der von ihr in der Menschen- und Bürgerrechtserklärung reklamierten verfassungsgebenden Gewalt. Der an den König gerichtete Antrag, die Rechteerklärung zu akzeptieren, gehorcht damit den Erfordernissen einer durch die Notwendigkeit zur Legitimationsbeschaffung gekennzeichneten politischen Situation. Nicht der Wunsch nach Verkündung abstrakter natürlicher Wahrheiten, sondern die Einsicht in die erforderlichen Maßnahmen zur Überwindung eines prekären Legitimationsdefizits ist mithin für das Gesuch zur Bestätigung der Menschenrechtserklärung durch den König verantwortlich. Die Verankerung der Menschenrechtserklärung in „einfachen und unbestreitbaren“ Prinzipien bietet dabei den Abgeordneten die Möglichkeit, sich selbst als neue Gewalt im Staat zu etablieren, ohne Gefahr zu laufen, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt mit der alten Gewalt, der Autorität des Königs, in Konflikt zu geraten und damit die ohnehin schmale Basis für ein gemeinsames Handeln der unterschiedlichen Gruppierungen aufs Spiel zu setzen.

102 103

AP, 9, S. 347. Sieyès, 12. August 1789, AP, 8, S. 422.

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5 Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

Ludwig XVI. akzeptiert noch am gleichen Tag die Menschenrechtserklärung. Mounier, dem die Aufgabe zukommt, die Antwort des Königs zu verlesen, trägt kurz vor Mitternacht folgende Erklärung des Königs vor: „Ich akzeptiere die mir von der Assemblée Nationale vorgelegten Artikel der Verfassung und der Menschenrechtserklärung.“104 Die nationale Souveränität, die durch die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte begründet wird, erhält dadurch den Status gesetzten Rechts.

104

Le Roi, 5. Oktober 1789, AP, 9, S. 348.

6 Die Ausarbeitung der Menschenund Bürgerrechtserklärung Die von der Nationalversammlung bereits am 4. August getroffene Entscheidung, die Menschenrechtserklärung als einen eigenständigen, die Prinzipien der Verfassung begründenden Text zu konzipieren, geht einher mit dem Entschluss, eine neue schriftlich fixierte Verfassung zu schaffen und die politische Debatte an feste Grundsätze zu binden. Die politische Gemeinschaft soll damit von vornherein an bestimmte unverfügbare Normen gebunden werden, die sowohl die verfassungsgebende Gewalt als auch die Staatsorgane als Machtträger und die Bürger als Machtadressaten gleichermaßen verpflichten. Dass die Diskussion um die einzelnen Menschenrechtsartikel von divergierenden und oft entgegengesetzten politischen und weltanschaulichen Vorstellungen geprägt war, hat das vorangegangene Kapitel zu beschreiben versucht. Nun soll gezeigt werden, dass die bis heute bekannte Fassung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 auch in ihren einzelnen Artikeln nicht mehr als ein vorläufiges Resultat darstellt, dessen Zustandekommen sich zum Großteil der parlamentarischen Geschäftsordnung verdankt. Außerdem soll gezeigt werden, dass die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte kein in sich geschlossenes politisches und rechtliches Gründungsdokument bildet, sondern das kontingente wie umkämpfte Ergebnis unversöhnlicher Ansichten, die teilweise unvermittelt in der Menschenrechtserklärung ihren Niederschlag gefunden haben.

6.1 Die Arbeit des Fünfer-Ausschusses Am 12. August 1789 beschließt die Assemblée Nationale, einen Ausschuss aus fünf Abgeordneten zu bilden, der bis zum 17. August 1789 eine Vorlage für eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte entwerfen muss, die dann als Grundlage für alle weiteren Diskussionen dienen soll.1 Dem Ausschuss dürfen jedoch nach dem Beschluss der Versammlung nur Abgeordnete angehören, die noch keinen eigenen Entwurf einer Menschenrechtserklärung vorgelegt haben. Am 13. August werden Démeunier, La Luzerne, Trochet, Mirabeau und Redon in den Ausschuss gewählt.2 Aus der Vielzahl der eingegangenen Entwürfe,3 die

1 2

Desmeuniers, 12. August 1789, AP, 8, S. 399. AP, 8, S. 434.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

der Fünfer-Ausschuss unter dem Vorsitz Mirabeaus in wenigen Tagen zu sichten hat, wird schließlich, nicht zuletzt auf Betreiben der Anhänger des monarchistischen Lagers, der Entwurf von Anne-Louis-Henri de La Fare als Grundlage für die weiteren Beratungen ausgewählt. Als Mirabeau am 17. August 1789 seinen Bericht über die Arbeit des Ausschusses vorlegt, geht er noch einmal auf alle wesentlichen Punkte der Auseinandersetzungen ein, die der Arbeit des Ausschusses vorausgegangen waren und diese maßgeblich bestimmt hatten. Eine „Erklärung der Rechte des Menschen in der Gesellschaft“, so Mirabeau, „ist eine Aufstellung allgemeiner Grundsätze für alle politischen Zusammenschlüsse und Regierungsformen.“4 Über ihren Inhalt könne es keine Meinungsverschiedenheiten geben. Dennoch müssten die Grundsätze dem alten Staatswesen, wie Frankreich es nun einmal sei, angepasst werden. Die Redaktion gestalte sich jedoch insofern besonders schwierig, als die Erklärung als Präambel einer noch nicht bekannten Verfassung konzipiert werden müsse: „Es gereicht ihr zum Vorteil, dass es die Präambel einer Verfassung ist, deren Inhalt noch nicht bekannt ist“5. Anschließend stellt Mirabeau den Entwurf des Ausschusses vor, nicht ohne zu beklagen, dass die Franzosen seiner Ansicht nach noch nicht genügend auf die Freiheit vorbereitet sind.6 Im einzelnen fordert der Ausschuss: Gleichheit und Freiheit unter Berücksichtigung der Gleichheit und Freiheit der Mitmenschen (Art. 1), den „Gemeinwillen“ als einziges Legitimitätskriterium (Art. 2), das Recht des Volkes zur Verfassungsgebung und -revision sowie zur Gesetzgebung (Art. 3–4), den gesetzlichen Schutz von Freiheit, Eigentum und Gleichheit (Art. 5), die Freiheit der Person und die Berechtigung zum Widerstand gegen Unterdrückung (Art. 6), rechtsstaatliche Garantien (Art. 7), Pressefreiheit (Art. 8), das Recht zur Ausreise (Art. 9), Versammlungsfreiheit (Art. 10), Berufsfreiheit (Art. 11), Eigentumsrecht (Art. 12), Steuergleichheit (Art. 13), sparsame öffentliche Haushaltsführung (Art. 14–16), gleicher Zugang zu zivilen, kirchlichen und militärischen Ämtern, Würden und Rängen (Art. 18) sowie schließlich die Unterordnung des Militärs unter zivile Interessen (Art. 19).7 Die Kritik an dem Entwurf des Fünfer-Ausschusses ist enorm. In der Sitzung am 18. August beanstandet zunächst Crénière, dass nicht genügend zwischen den notwendigen Rechten (droits nécessaires) und den möglichen Rechten des

3 Samwer spricht von 57 dem Ausschuss vorliegenden und über 110 in Form der cahiers und vorrevolutionären Druckschriften kursierenden Rechteerklärungen. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 133. 4 Mirabeau, 17. August 1789, AP, 8, S. 438. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd., S. 438–439.

6.1 Die Arbeit des Fünfer-Ausschusses

165

Menschen (droits possibles) unterschieden worden wäre.8 Nur die ersten seien für eine Rechteerklärung relevant. Indem sich der Ausschuss an dem amerikanischen Modell orientiert hätte, habe er die Möglichkeiten des Menschen mit seinen Rechten gleichgesetzt.9 Crénière fordert damit, konkrete rechtliche Garantien und nicht abstrakte moralische Prinzipien zur Grundlage der Erklärung zu machen. Dieser Argumentation schließt sich indirekt auch Duport an, der behauptet, dass einer Rechteerklärung nur die Formulierung der immer und überall gültigen Menschenrechte zustehe. Der Verfassung bleibe es dann vorbehalten, die notwendigen Modifikationen vorzunehmen. Um eine Erklärung allgemein verständlich und übersichtlich zu gestalten, sei es notwendig, nur jene Rechte zu berücksichtigen, ohne die niemand frei sein könne.10 Dem Ausschussentwurf macht Duport zwar das zweifelhafte Kompliment, der bisher am wenigsten misslungene Versuch zu sein,11 doch fehlt ihm in seinen Augen noch die nötige Klarheit und Festigkeit. Weitere Redner nehmen an einzelnen Formulierungen Anstoß.12 In all ihren Argumenten wird deutlich, dass es darum geht, den größten allgemeinen Konsens herzustellen und den Inhalt der Menschenrechtserklärung auf ein Mindestmaß allgemein zustimmungsfähiger Grundsätze zu beschränken. Jede Debatte über eine bestimmte Staatsform oder die eindeutige Beantwortung der Souveränitätsfrage wird abgelehnt. Doch man stimmt darin überein, dass mit der Menschenrechtserklärung jede Form von Despotismus verurteilt werden müsse und jene Bedingungen zu nennen seien, die notwendigerweise einem Rechtsstaat zugrunde liegen. Zu den wenigen entschiedenen Gegnern einer solchen Beschränkung gehört Marquis de Bonnay. Er warnt ausdrücklich vor einer verkürzten Debatte, die sich nur mit den Rechten des Bürgers befasst und die er als Zeitverschwendung bezeichnet. Der Entwurf des Ausschusses hat nach seiner Ansicht die generellen Erwartungen nicht erfüllt. Insbesondere in der Klärung der Souveränitätsfrage habe der Ausschuss versagt. Man sei offensichtlich seit dem 12. August nicht weitergekommen: „Dieser Ausschuss hat ihnen seine Vorlage vorgestellt, aber sie ist nicht perfekt, sie erfüllt nicht unsere Erwartungen. Ich wage sogar zu sagen, dass sie nicht dem entspricht, was wir gefordert haben.“13 Deshalb schlägt er vor, stattdessen den Entwurf von Sieyès Artikel für Artikel durchzugehen und über diesen zu beraten.14 8

Crèniere, 18. August 1789, AP, 8, S. 451. Ebd. 10 Duport, 18. August 1789, AP, 8, S. 451. 11 Ebd. 12 AP, 8, S. 452 ff. 13 Bonnay, 18. August 1789, AP, 8, S. 452. 14 Ebd. 9

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

Auch Rabaut Saint-Etienne, Abgeordneter des Dritten Standes der Sénéchaussée von Nimes und Beaucaire, verteidigt den Entwurf von Sieyès. Die Beschwerdehefte, so Rabaut Saint-Etienne, hätten eine Rechteerklärung nach amerikanischem Vorbild gefordert. Doch das amerikanische Beispiel könne nicht einfach nachgeahmt werden, weil die Begleitumstände völlig verschieden seien: „Wenn die Nationalversammlung sich für eine Menschenrechtserklärung entscheidet, dann darf sie sich nicht weiter an dem Beispiel der Vereinigten Staaten orientieren“15. Die bisherigen Entwürfe litten alle unter der Indifferenz von Rechten und Grundsätzen. Deshalb sei eine generelle Beschränkung der Diskussion auf die politischen Grundsätze, d.h. die Frage der Souveränität und Gewaltenteilung angebracht. Rabaut Saint-Etienne plädiert deshalb für den Entwurf von Sieyès,16 in dem es um eben jene Prinzipien gehe, die erst die Einhaltung der Rechte des Menschen möglich machten, und dessen Erkenntnisse in den Entwurf des Fünfer-Ausschuss eingearbeitet werden müssten.17 Erst nach weiteren Wortmeldungen kann Mirabeau auf die Kritik an der Arbeit des Fünfer-Ausschusses antworten. In seiner Rede wehrt sich Mirabeau zunächst mit der Behauptung, dass es immer einfacher sei, einen Text zu kritisieren als ihn selbst zu erarbeiten.18 „Die Zielsetzung des Ausschusses ist es gewesen, aus den vorangegangenen Entwürfen die allgemeinen Grundsätze herauszuarbeiten und nicht einen Entwurf auszuwählen. Doch bin ich nicht der Überzeugung“, so Mirabeau weiter, „dass ein altes Volk mit unsozialen Einrichtungen sich einfach philosophischen Grundsätzen anpassen kann, sonst würde ich nicht zögern, den Entwurf von Sieyès zu befürworten.“19 „Bereits mein Vater hat zusammen mit Quesnay an eben diesen Grundsätzen gearbeitet, die wohl kein anderer als Sieyès mit solcher Klarheit und Eleganz zum Ausdruck gebracht hat“. Die Arbeit des Ausschusses könne jedoch nur ein Kompromiss sein, der den verschiedensten Auffassungen Rechnung tragen müsse. Jetzt gehe es darum zu entscheiden, ob der Entwurf des Fünfer-Ausschusses verworfen oder gebilligt werden soll: „Es geht darum, den Entwurf des Ausschusses abzulehnen oder anzunehmen, und im Falle der Annahme Artikel für Artikel durchzugehen.“20 Nach weiterer lebhafter Diskussion beantragt Clermont-Tonnerre, der Präsident der Versammlung, ganz im Sinne Mirabeaus, entweder den Entwurf des Fünfer-Ausschusses Artikel für Artikel zu beraten oder ein anderes Projekt zur Grundlage der Einzeldebatten zu bestimmen.21 In der sich nun anbahnenden 15 16 17 18 19 20

Rabaut Saint-Etienne, 18. August 1789, AP, 8, S. 452. Ebd., S. 453. Ebd. Mirabeau, 18. August 1789, AP, 8, S. 453. Ebd. Ebd., S. 454.

6.1 Die Arbeit des Fünfer-Ausschusses

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Verwirrung treten die Abgeordneten abwechselnd für die eine oder andere Variante ein.22 Inmitten dieser Diskussion ergreift Mirabeau erneut das Wort. Unter dem Beifall der Konservativen und Monarchisten beantragt er, die Rechteerklärung als integralen Bestandteil der Verfassung bis zur Vollendung der anderen Teile der Verfassung zurückzustellen: „Ich schlage vor, als Individuum und nicht als Mitglied des Fünferausschusses, aufs Neue abzuwarten, denn die Menschenrechtserklärung muss ein integrierter, unabtrennbarer Bestandteil der Verfassung werden, deren erstes Kapitel sie bilden soll.“23 Den sich erhebenden Protestrufern entgegnet er, dass diese Vertagung keineswegs bezwecke, die Rechteerklärung unter den Tisch fallen zu lassen. Dies sei sowieso nicht möglich, nachdem die Nationalversammlung feierlich deren Ausarbeitung beschlossen habe, dreißig Entwürfe vorgelegt worden wären und sich die Mehrheit der Abgeordneten auch über die Grundsätze einig sei. Doch zur Ausarbeitung, so Mirabeau, biete der gegenwärtige Augenblick keine politisch vorteilhafte Ausgangssituation.24 Daraufhin sprechen sich Pétion, Gleizen, Chapelier und Duport vehement gegen eine Vertagung der Beratungen aus.25 Die Nationalversammlung, so ihr Credo, könne ihren Grundsatzbeschluss vom 4. August nicht einfach wieder umstoßen. Außerdem müssten zuerst die politischen Prinzipien festgelegt werden, bevor in der Verfassung die rechtlichen Folgerungen niedergelegt werden könnten. Andere Abgeordnete erinnern Mirabeau daran, dass er selbst den Grundsatzbeschluss vom 4. August 1789 unterstützt hatte.26 Mirabeau verteidigt sich daraufhin zunächst mit dem Verweis, dass er, wie bereits betont, keineswegs den Grundsatzbeschluss vom 4. August in Frage stellen wolle.27 Seine Bedenken hinsichtlich einer Fortsetzung der Grundrechtsdebatte seien lediglich derart, dass er die Zeiten für zu unruhig halte, um eine gute Redaktion der Erklärung gewährleisten zu können.28 Um dies zu unterstreichen, stellt er einen Artikel vor, den er selbst im Fünfer-Ausschuss bei der Diskussion um Artikel 10 vorgetragen habe: „Jeder Bürger hat das Recht, Waffen zu besitzen und zu gebrauchen, um einerseits seine Gemeinschaft, andererseits sich selbst gegen jede illegale Aggression zu verteidigen, die sein Leben oder das Leben eines anderen bedroht.“29 Seine Kollegen hätten dieses Recht 21 22 23 24 25 26 27 28 29

Clermont-Tonnerre, 19. August 1789, AP, 8, S. 457–458. AP, 8, S. 459 ff. Mirabeau, 18. August 1789, AP, 8, S. 454. Ebd. AP, 8, S. 454. Gleizen/Rewbell, 18. August 1789, AP, 8, S. 454. Mirabeau, 18. August 1789, AP, 8, S. 455. Ebd. Ebd.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

für evident gehalten, gleichwohl den Vorschlag unter Berücksichtigung der Zeitumstände abgelehnt. Deshalb könne unter Rücksicht auf die allgemeine Lage die Debatte nur verschoben werden, müsse eine Erklärung doch von dauerndem Zustand sein. Heute jedoch sei sie inhaltlich nur ein Kompromiss.30 Mit dieser Argumentation erreicht Mirabeau geschickt, die Diskussion wieder auf die Rechte des Einzelnen, weg von der Staatsform und den politischen Grundsätzen der Gesellschaft zu lenken. Die heftige Debatte über den eigentlichen Inhalt der Rechteerklärung findet damit jedoch noch keineswegs einen Abschluss. Am nächsten Tag, dem 19. August 1789, eröffnet Bonnefoy die weitere Beratung der Rechteerklärung, indem er sich für den Entwurf von Lafayette einsetzt und damit die Entscheidung vom Vortag, den Ausschussentwurf einem gesonderten Gremium zur Prüfung zu überweisen, erneut in Frage stellt.31 Weitere Abgeordnete wenden sich gegen den Entwurf des Fünfer-Ausschusses.32 Notgedrungen entwickelt sich deshalb eine Diskussion über einen neuen Vorlagetext. Den Ausgang dieser Diskussion fasst am Nachmittag aus Sicht der Monarchisten Lally-Tollendal wie folgt zusammen: „die Nationalversammlung hat bestimmt, dass eine Menschenrechtserklärung der Verfassung vorangehen soll; man kann nun nicht mehr hinter die Entscheidung zurückgehen“33. Vielmehr müsse man nun entscheiden, auf welcher Grundlage die Einzelberatungen stattfinden sollen. Die Artikel müssten klar und eindeutig sein, damit sich keine weiteren Auseinandersetzungen an ihnen entzündeten. Die Engländer hätten bewiesen, dass mit einer Rechteerklärung Tatsachen (vérité de fait) geschaffen werden. Als sie beschlossen haben, dass niemand ohne Richterspruch verhaftet oder eingesperrt werden dürfe, hätten sie gefühlt, dass sie frei seien und niemand das Recht habe, sie an der Ausübung ihrer Freiheit zu hindern. An diesem Beispiel müsse sich die französische Erklärung orientieren.34 Damit greift Lally-Tollendal zugleich einen Redebeitrag von Pellerin auf, der geäußert hatte, dass die Rechteerklärung und die Verfassung nichts anderes seien, als die Grundlage des neu zu schaffenden Verfassungs- und Rechtsstaates: Mit der Inkraftsetzung der Rechteerklärung und der Verfassung, so Pellerin, müsse dem Volk deutlich gemacht werden, dass es von diesem Tag an seine Rechte nicht mit Gewalt, sondern nur durch Anrufung der Gerichte verteidigen könne.35 Nach der Durchsicht der Erklärungsentwürfe, so Lally-Tollendal weiter, sei er zu der Auffassung gelangt, dass der Entwurf des Ausschusses mit Ausnahme 30 31 32 33 34 35

Ebd. Bonnefoy, 19. August 1789, AP, 8, S. 457. AP, 8, S. 547–458. Lally-Tollendal, 19. August 1789, AP, 8, S. 458. Ebd. Pellerin, 19. August 1789, AP, 8, S. 457.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

169

von Art. 3 voll großer Ideen sei. Der von Mounier überarbeitete Entwurf von La Fayette sei jedoch der beste. Lally-Tollendal schlägt deshalb vor, diesen Vorschlag um die Präambel des Fünfer-Ausschusses und den Religionsartikel von Pison du Galland zu ergänzen. Für die gesamte Diskussion weitaus entscheidender ist jedoch sein anschließender Vorschlag, die Rechteerklärung unter den gegebenen Umständen auf die Diskussion der Rechte des Einzelnen zu beschränken und die Artikel im Einzelnen für die Plenarabstimmung freizugeben.36 Damit spricht er sich klar dafür aus, eine Debatte über die Regierungsform bei der Ausarbeitung der Erklärung der Menschen- und Bürgerechte zu vermeiden, wie er überhaupt dafür plädiert, jede weitere inhaltliche Diskussion zu umgehen und sich auf die Überarbeitung der sprachlichen Unebenheiten des Ausschussentwurfes zu konzentrieren. In der darauf folgenden Abstimmung einigt man sich auf einen der vorliegenden Entwürfe, der fortan zur Diskussionsgrundlage für die Plenarsitzung wird. Als Verfasser des Entwurfes gilt Champion de Cicé37, Erzbischof von Bordeaux, der eine der Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung der Menschenrechtserklärung im Juli 1789 leitete. Das von ihnen vorgelegte Projet de déclaration des droits de l’homme et du citoyens enthält eine Präambel und vierundzwanzig Artikel, die die Rechte des Menschen, wie sie auch in den anderen Erklärungsentwürfen immer wieder dargelegt wurden, relativ präzise zusammenfassen.38

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung Nachdem die Auseinandersetzung über die Form der Déclaration mit der Entscheidung vom 19. August 1789 ihr Ende gefunden hat, konzentriert sich die weitere Diskussion vor allem auf das Problem ihrer inhaltlichen Ausgestaltung. Auch hier sind es weniger philosophische, als vielmehr politisch-praktische Überlegungen, die sich im Verlauf der Debatte als ausschlaggebend erweisen. Über die Grundsätze, denen nunmehr die Rechteerklärung in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung folgen soll, herrscht zwischen den verschiedenen Gruppierungen der Abgeordneten im wesentlichen Einvernehmen: Die Gewährleistung von Freiheit, Gleichheit und Eigentum steht im Mittelpunkt des Interesses. Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch hinsichtlich des Umfangs der zur Verwirklichung dieses Zwecks als notwendig erachteten Rechte. Die erste Schwierigkeit, der sich die Abgeordneten in den abschließenden Debatten zwischen dem 20. und 27. August 1789 gegenübersehen, besteht 36

Lally-Tollendal, 19. August 1789, AP, 8, S. 459. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 171–173. 38 Nach Samwer sind es vor allem die Religionsartikel 16–18, die den Ausschlag dafür geben, dass dieser konservative Entwurf als Vorlage gewählt wird. Ebd., S. 173. 37

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

darin, aus der Vielzahl der verschiedenen, für die Gewährleistung des individuellen Glücksstrebens in der Gesellschaft als unerlässlich angesehenen Einzelrechte auszuwählen und zu gewichten. Dennoch nimmt die Erörterung der einzelnen Artikel insgesamt nur eine Woche in Anspruch, was nicht zuletzt der drängenden Verfassungsarbeit mit der anstehenden Verankerung der Gewaltenteilung sowie der Anerkennung des Eigentumsrechts geschuldet ist.39 Die Debatte verläuft aber auch deshalb zügig, weil das Ringen um Formulierungen und das Einbringen von Einzelvorschlägen und Ergänzungsanträgen keine vorbereiteten Reden erlaubt, sondern ein schnelles Eingreifen und ein manuskriptfreies Debattieren erfordert. Die Redebeiträge werden deshalb von der Versammlung auch auf 5 Minuten beschränkt. Dadurch gestaltet sich die Debatte lebendiger als die vorangegangenen Diskussionen, auch wenn sie von den gleichen Rednern dominiert wird. 6.2.1 Präambel Am 20. August 1789 beginnt die Diskussion über die sprachliche Ausgestaltung der Rechteerklärung. Zu Beginn der Plenardebatte stellt Chassebeuf de Volney den Antrag, die politischen Umstände, die zur Rechteerklärung gedrängt haben, mit in der Präambel zu erwähnen.40 Sein Vorschlag findet jedoch keine weitere Beachtung.41 Anschließend wenden sich die Abgeordneten der Frage zu, ob in der Präambel der Zusatz „in Gegenwart des höchsten Wesens“ aufgenommen werden soll42 oder nicht43. Pellerin gibt zu bedenken, dass die Gesetzgeber seit den Zeiten Roms auf den ersten Seiten ihrer Gesetzbücher immer das höchste Wesen angerufen hätten, weshalb man von dieser Tradition nicht abweichen dürfe. Damit verweist er auf die mutmaßlich transzendenten Ursprünge des Rechtes, die nicht allein in den Händen der Nation lägen und ihrer Willkür entzogen bleiben müssten. Der Vorlagetext hinsichtlich der Präambel kommt diesem Antrag bereits entgegen: „Die Repräsentanten des französischen Volkes, die in der Assemblée Nationale versammelt sind und beraten, um gemeinsam die Verfassung des Staates zu erneuern und die Rechte, ihre Ausübung und die Grenzen von Legislative und Exekutive zu bestimmen, sind der Überzeugung, dass jede soziale Ordnung 39 Immer wieder wird von Seiten der Abgeordneten auf den drängenden tagespolitischen Handlungsbedarf hingewiesen. AP, 8, S. 232–503. 40 Volney, 20. August 1789, AP, 8, S. 462. 41 AP, 8, S. 462. 42 Dafür sprechen sich u. a. Virieus, Grégoire, René des Monstiers de Merinville, Pison du Galland, Cortois de Balore, Goupil de Préfelne, Blin und Mounier aus. 20. August 1789, AP, 8, S. 462 ff. 43 Hier nehmen u. a. Laborde de Méréville und Mougins de Roquefort Stellung. 20. August 1789, AP, 8, S. 462 ff.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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und jede gute Verfassung folgende unveränderliche Prinzipien zur Grundlage haben muss: dass der zur Freiheit geborene Mensch sich der Gewalt eines Staates nur unterwirft, um frei zu sein und um seine natürlichen Rechte dem Schutz der Gemeinschaft zu unterstellen. Die Repräsentanten erklären feierlich in Gegenwart des obersten Gesetzgebers des Universums, dass die Rechte des Menschen und des Bürgers auf folgenden Wahrheiten ruhen.“44 Folgerichtig verteidigt Virieu die Präambel des Vorlagetextes, die die „einfachen Wahrheiten sehr würdig formuliert und das höchste Wesen anruft“45. Zusammen mit Tessier, Baron de Marguerittes, legt er einen Präambelvorschlag vor, der im Wesentlichen dem Entwurf des Vorlagetextes folgt: „Die Repräsentanten des französischen Volkes, die in der Nationalversammlung vereint sind, sind der Überzeugung, dass die soziale Ordnung und jede gute Verfassung folgende unveränderliche Prinzipien zur Grundlage haben muss: dass der Mensch, geschaffen mit Fähigkeiten und Bedürfnissen, das Recht hat, die einen auszuüben und die anderen zu befriedigen und sich nur zu dem Zweck der Gewalt eines Staates unterwirft, um seine Rechte dem Schutz einer Gemeinschaft anzuvertrauen. Sie sind ferner der Überzeugung, dass eine Regierung nur den Interessen der Regierten, niemals jedoch dem Interesse der Regierenden zu dienen hat, dass es von entscheidender Bedeutung ist, allen Mitgliedern der Gemeinschaft dieselben unveräußerlichen und unverjährbaren Rechte zuzusprechen und dass bei ihrer Inanspruchnahme die Gesetze und das Glück aller nicht angetastet werden dürfen. Im Namen des Volkes und im Beisein Gottes beruhen die Rechte des Bürgers auf den folgenden Wahrheiten.“46 Dagegen stellt der Antrag von Laborde de Méréville eine Mischung aus Anrufung des höchsten Wesens und einer ausschließlichen Verankerung des Rechtes in der Volkssouveränität dar. So erklärt Laborde de Méréville, dass er an der Präambel vor allem den Grundsatz vermisse, dass die Gesellschaft zum obersten Ziel das Glück aller habe.47 Diesen Vorsatz könnten jedoch nur die Bürger selbst verwirklichen. Es liege in den Händen der Nation, die Ziele und Mittel zu bestimmen, die ihr eigenes Wohl bewirken. Sein Vorschlag lautet daher: „Die Repräsentanten der französischen Nation haben sich in der Assemblée Nationale versammelt, um unter Anleitung des höchsten Wesens die Verfassung des Staates zu erneuern. Sie sind der Überzeugung, dass es das Ziel jeder Gesellschaft ist, die Rechte des Menschen und des Bürgers zu begründen, zu erweitern und zu sichern, und dass keine politische Institution die Grenzen ihrer Macht überschreiten darf.“48 44 45 46 47 48

AP, 8, S. 463. Virieu, 20. August 1789, AP, 8, S. 462. Ebd. Laborde de Méréville, 20. August 1789, AP, 8, S. 462. Ebd.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

Duquesnoy, der den Antrag von Méréville unterstützt,49 ergänzt ihn um zwei Prinzipien, womit er den Zusatz „unter Anleitung des höchsten Wesens“ hinfällig werden lässt: „1. Der Mensch begibt sich in die Gesellschaft um [an Rechten] zu gewinnen und nicht, um [seine Rechte] zu verlieren. 2. Jede Gesellschaft ist das Resultat einer freien Übereinkunft.“50 Damit spricht er sich entschieden gegen den göttlichen Ursprung des Rechts aus und folgt dem Vorbild Sieyès’. Auch André Boniface Louis de Riquetti, ein überzeugter Royalist, verzichtet in seinem Antrag auf die Anrufung Gottes, karikiert seinen Vorschlag aber gleichzeitig, indem er ironisch von sich selbst behauptet, dass er auch die zehn Gebote als Präambel akzeptieren würde, wäre eine Pflichtenerklärung nicht verworfen worden. Sein Vorschlag lautet, nur die Begriffe „Freiheit, Eigentum und Sicherheit“ in die Präambel aufzunehmen, weil sie bereits alle Rechte umschließen würden. Auf metaphysische Spitzfindigkeiten sollte man hingegen verzichten, weil sie nur von den wenigen Menschen begriffen würden, die man bewundere, weil sie niemand verstehe.51 Bei der abschließenden Abstimmung wird von der Mehrheit der Abgeordneten schließlich doch die Präambel des Fünfer-Ausschusses gewählt. Nach der vorangegangenen Debatte erhält sie allerdings den Zusatz „in Gegenwart und unter der Schirmherrschaft des Höchsten Wesens“ (en présence et sous les auspices de l’Etre suprême), so dass sie wie folgt lautet: „Durchdrungen von der Überzeugung, dass die Unkenntnis, das Vergessen oder die Missachtung der Menschenrechte die alleinigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind, haben die in der Assemblée Nationale zusammengeschlossenen Vertreter des französischen Volkes beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten Rechte des Menschen darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft ständig gegenwärtig ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert, damit die Handlungen der gesetzgebenden und der ausübenden Gewalt in jedem Augenblick mit dem Endzweck jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und hierdurch mehr geachtet werden, damit sich die fortan auf einfache und unbestreitbare Grundsätze gegründeten Ansprüche der Bürger immer auf die Erhaltung der Verfassung und das Allgemeinwohl richten. Infolgedessen anerkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter der Schirmherrschaft des Höchsten Wesens die folgenden Menschenund Bürgerrechte.“52

49 50 51 52

AP, 8, S. 462. Duquesnoy, 20. August 1789, AP, 8, S. 462. Vicomte de Mirabeau, 20. August 1789, AP, 8, S. 462. AP, 8, S. 463.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob sich mit der Anrufung des höchsten Wesens die theozentrische Vorstellung einer transzendenten, dem menschlichen Gestaltungswillen entzogenen Seinsordnung durchgesetzt hat, selbst wenn man auf eine religiöse Terminologie verzichtet und stattdessen einen metaphysischen Begriff wählt. Tatsächlich liegt das argumentative Hauptgewicht der Präambel aber auf der Idee der natürlichen Rechte des Menschen, die bei der Gestaltung der zu schaffenden Verfassung gewahrt und geschützt werden sollen. Damit unterstreicht sie letztlich die anthropozentrische Vorstellung vom Primat des menschlichen Willens. An die Stelle transzendent und historisch begründeter Vorrechte und Pflichten setzt sie somit die Geltung allgemeiner, auf freier Vereinbarung beruhender Rechte. Sie markiert damit eine entschiedene Abkehr vom religiös fundierten Verständnis des Staates als einer sich über die Untertanen erhebenden politischen Gesamtordnung hin zur Auffassung vom Staat als einem auf gesetzlicher Grundlage operierenden Willensverband, dessen Handeln Berechtigung wie Begrenzung an den individuellen Rechten seiner Bürger findet. 6.2.2 Definition der Freiheit Als am darauf folgenden Tag die Artikel 1 bis 6 und der Artikel 10 des Vorlagetextes verlesen und zur Erörterung gestellt werden,53 entflammt eine turbulente Debatte über die Begriffe Freiheit und Gleichheit.54 Insbesondere die in den Wortbeiträgen stets wiederkehrende Formulierung, „der Mensch ist frei und gleich geboren“, stößt im konservativen Lager auf erheblichen Widerstand. Dementsprechend kritisiert Rhédon an den betreffenden Artikeln des Entwurfs vor allem die mangelnde Beachtung des Unterschieds zwischen Naturzustand und Gesellschaftszustand. Die Rede von der natürlichen Freiheit des Menschen ist seiner Ansicht nach irreführend. Zwar sei der Mensch im Naturzustand mit einer natürlichen Freiheit ausgestattet, doch sei es verfehlt, hier von Freiheit überhaupt zu sprechen. Die wirkliche Freiheit erwachse erst aus den in gesellschaftliches Recht umgewandelten natürlichen Rechten (droits naturels) oder eben aus den gesellschaftlichen Konventionen (conventions). Sie sei also entweder rechtlich oder sozial verankert.55 Rhédon formuliert hier eine prinzipielle Differenz zwischen den Menschenund den Bürgerrechten. Die Freiheit des Menschen und die Freiheit des Bürgers 53

AP, 8, S. 463–464. AP, 8, S. 464–465. 55 Rhédon, 21. August 1789, AP, 8, S. 464. D’André erwidert darauf, dass es auch eine Freiheit im Naturzustand gebe, die ihre Grenze da habe, wo die Freiheit des anderen gefährdet sei. Insofern gebe es keinen Unterschied zwischen Natur- und Gesellschaftszustand, gelte es doch auch in letzterem, die Freiheit eines jeden zu wahren. D’André, 21. August 1789, AP, 8, S. 464. 54

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sind demnach nicht identisch. Die eine beruht, wie Rhedon formuliert, auf natürlichen Prinzipien, die andere auf gesetzlichen Vorschriften oder gesellschaftlichen Konventionen. Eins wird in dieser Argumentation besonders deutlich. Es zeigt sich, dass Rhédon ein individualistisches Freiheitsverständnis strikt ablehnt und vielmehr von der Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen den konkurrierenden Ansprüchen des Einzelnen und der Allgemeinheit überzeugt ist. Gleichzeitig spricht er sich gegen eine Idee von Freiheit aus, die diese als eine von der Gesamtheit der politischen Gemeinschaft aktiv zu verwirklichende Tugend betrachtet. Stattdessen begreift er Freiheit als eine persönliche Garantie, die es durch institutionelle Arrangements und Verfahren zu gewährleisten gilt. Damit formuliert er ein negatives Freiheitsverständnis, wie es für einen Großteil der Delegierten der Assemblée Nationale maßgebend ist. Auch Mounier kritisiert an dem Vorschlag des Vorlagetextes die Unterstellung einer natürlichen Gleichheit der Menschen. Man könne unmöglich behaupten, die Menschen hätten alle die gleichen Fähigkeiten. Lediglich ihre Chancengleichheit, unabhängig von ihrer Geburt, könne legitimer Weise gefordert werden. Doch auch dann würden sich die Menschen noch durch ihr Talent und ihre Begabung voneinander unterscheiden.56 Damit wiederholt Mounier noch einmal die Grundsätze, die für die Beschlüsse vom 4. August ausschlaggebend wurden, als die Assemblée Nationale die vollständige Abschaffung aller Institutionen, Titel und Privilegien des Ständesystems und die Einführung gleicher Zugangsrechte für alle beschlossen hatte. Die Menschen, so der Grundsatz von damals, seien nicht frei und gleich an sich, sondern sie sind frei und gleich an Rechten. Darüber hinaus fordert Mounier in seiner Rede jedoch nicht nur die Gleichheit aller vor dem Gesetz, sondern auch die gleichen Möglichkeiten für alle, ihre Rechte in gleicher Weise vor Gericht einzuklagen. Es gelte, alle Einrichtungen und Zusammenschlüsse zu verhindern, die eine Gefahr für die individuelle Freiheit darstellen könnten. Mounier ist ein Verfechter formaler, nicht aber auch sozialer Gleichheit. So kommt in seiner Rede auch die Sorge um die Stabilität einer sozialen und politischen Ordnung zum tragen, die durch den Grundsatz der Gleichheit zerstört werden würde. Sein Entwurf, der sich vor allem an die Vorlage von La Fayette57 anlehnt, enthält daher folgenden Formulierungsvorschlag: „Art. 1. Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren. Die sozialen Unterschiede müssen durch den gemeinen Nutzen (l’utilité commune) begründet sein.“58 Mounier spricht sich damit wie Rhédon für die notwendige Vereinbarkeit von persönlicher Freiheit und öffentlichem Wohl aus. Gleichzeitig formu56 57 58

Mounier, 21. August 1789, AP, 8, S. 465. La Fayette, 11. Juli 1789, AP, 8, S. 221. Mounier, 21. August 1789, AP, 8, S. 463.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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liert er damit ein gemäßigt monarchistisches Freiheitsverständnis, nach der die Freiheit in politisch-praktischen Zusammenhängen nur im Plural historisch überlieferter und legitimierter Rechte und Freiheiten existiert, die dem einzelnen entsprechend seinem Stand den Umfang seiner konkreten sozialen Berechtigungen zuweisen. In der Existenz einer Vielzahl miteinander widerstreitender, mit unterschiedlichen sozialen Rechten und Pflichten ausgestatteter Individuen und Körperschaften, die sich in ihrer Machtentfaltung gegenseitig neutralisieren, sieht Mounier den besten Schutz gegen jegliche Form staatlicher Willkür. Démeunier, Abgeordneter des Dritten Standes aus Paris, unterstützt diesen Vorschlag Mouniers, der von verschiedenen Seiten kritisiert wird. Vor allem hinsichtlich der Formulierung: „die Menschen werden frei geboren“ (les hommes naissent libres), gibt es heftige Auseinandersetzungen. Nach Rückfrage des Präsidenten bleibt Mounier jedoch bei seiner Formulierung und spricht sich damit gegen den Vorschlag: „die Menschen sind frei geboren“ (les hommes sont nés libres) aus,59 der für ihn die Möglichkeit einer späteren Rücknahme der natürlichen Freiheiten des Menschen eröffnet. Lanjuinais und Pétion schlagen in diesem Sinne den Zusatz „und sterben frei“ (et demeurent libres) vor, um jeden Zweifel am Fortbestand der Freiheit auszuschließen.60 Beschlossen wird daraufhin folgende Fassung: „Art. 1. Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und sterben frei und gleich. Die sozialen Unterschiede können nur im Gemeinwohl (gemeinen Nutzen) begründet sein.“61 Damit verbindet die Rechteerklärung zwei unterschiedliche Konzeptionen von Freiheit, wie sie nicht klarer in den beiden Sätzen zum Ausdruck kommen könnten. Zum einen formuliert sie einen Begriff bürgerlicher Freiheit, nach dem die Freiheit ihre sicherste Grundlage im Schutz der Bürger durch ein gemeinsames und einheitliches Gesetz findet, bei dem die Bürger nicht mehr Rechte für sich in Anspruch nehmen, als sie anderen zuzugestehen bereits sind. Zum anderen verteidigt sie ein ständisch geprägtes Freiheitsverständnis, welches dem Einzelnen entsprechend seiner sozialen Stellung unterschiedliche politischsoziale Ansprüche zuweist. Einigkeit unter den Abgeordneten herrscht hingegen bei der Frage, welche individuellen Rechte für alle gleichermaßen gelten müssen. Artikel 2 der Menschenrechtserklärung, der zusammen mit dem ersten Artikel angenommen wird, lautet: „Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unverjährbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der Widerstand gegen Unterdrückung.“62 In der Ein59 Samwer, Sigmar-Jürgen, Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 179. 60 Ebd., S. 180. 61 AP, 8, S. 463. 62 AP, 8, S. 463.

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stimmigkeit bei der Formulierung der individuellen Rechte äußert sich die alle Abgeordneten vereinende Opposition gegen die Willkür des absolutistischen Systems. So lassen die Erfahrungen mit den Missbräuchen des Ancien Régime und dessen Despotismus, die den Gegenstand nahezu aller Cahiers bilden, die Abgeordneten für eine starke Sicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte und gegen jede Form von Unterdrückung stimmen. Einvernehmen herrscht auch bei der Formulierung des dritten Artikels,63 der ebenfalls zusammen mit den ersten beiden Artikeln debattiert wird. Er wird in folgender Fassung angenommen: „Art. 3. Das Prinzip der Souveränität ruht ausschließlich in der Nation. Keine Körperschaft und kein Individuum kann sich eine Macht aneignen, die nicht ausdrücklich von ihr ausgeht.“64 Die Souveränität wird hier als der Nation direkt und unmittelbar eigen verstanden. Damit spricht sich die Nationalversammlung eindeutig gegen die tradierte Form absolutistischer Monarchie aus. Die Souveränität des Volkes wird als eine freie Willensgemeinschaft gleichberechtigter Staatsbürger definiert. Gegen die naturrechtlichen Souveränitätstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts, die dem Volk ebenfalls eine ursprüngliche Souveränität einräumen, diese aber gewöhnlich im Staatsvertrag enden lassen, der dem Fürsten die ganze Souveränität überschreibt,65 bekräftigt die Assemblée Nationale die prinzipielle Unveräußerlichkeit souveräner Macht. Damit spricht sie sich noch keineswegs für die Staatsform der Demokratie aus, wie dies bei den radikalen Theoretikern der Volkssouveränität des 18. Jahrhunderts der Fall war, sondern behauptet zunächst nur die Unabhängigkeit der souveränen Nation von jeder Regierungsform. Die Idee der Volkssouveränität, wie sie sich etwa bei Rousseau66 findet, wird nämlich in zweifacher Hinsicht modifiziert. Zum einen wird die Souveränität der Nation, als deren Vertreter sich die Delegierten der Assemblée Nationale betrachten, durch Repräsentanten ausgeübt, zum anderen wird, wie es auch die Diskussion der vorangegangenen Artikel deutlich gemacht hat, der Kompetenzbereich des Gesetzgebers durch die Freiheitsrechte des Einzelnen begrenzt. Die damit einhergehenden politischen Forderungen nach einer konstitutionellen Verankerung des Parlamentarismus und der Gewaltenteilung wird von der Mehrheit der Abgeordneten mitgetragen und als Aufgabe der Verfassung betrachtet.67 Am 21. August 1789 werden die Artikel 7 bis 10 des Vorlagetextes verlesen: „Art. 7. Um seine Fähigkeiten im Gesellschaftszustand frei und legal ausüben zu können, muss der Mensch die Fähigkeiten der anderen anerkennen, respek63

Vgl. Mounier, 21. August 1789, AP, 8, S. 463. AP, 8, S. 463. 65 Vgl. Grotius, Hugo: Le droit de la guerre et de la paix, 1, Amsterdam 1724, S. 121. 66 Rousseau, Jean-Jacques: Du contrat social ou principes du droit politique, Amsterdam 1762, S. 368, S. 3,15, S. 429. 67 AP, 8, S. 461 ff. 64

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tieren und fördern. Art. 8. Aus dieser reziproken Notwendigkeit resultiert in der menschlichen Gemeinschaft die doppelte Relation von Rechten und Pflichten. Art. 9. Ziel jeder Gemeinschaft ist es, diese doppelte Relation zu erhalten und in Gesetze umzuwandeln. Art. 10. Aufgabe des Gesetzes ist es, folglich alle Rechte zu garantieren und die Beachtung aller Pflichten sicherzustellen.“68 Damit ist die Diskussion um die Rechte und Pflichten der Bürger auf die Tagesordnung gesetzt. Charles de Lameth beantragt, die Artikel durch folgende Paragraphen zu ersetzen: „Die Freiheit eines jeden besteht darin, alles zu tun, was anderen nicht schadet; so hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen offensichtlich nur die Grenzen, die allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.“ Und: „Das Gesetz darf nur die der Gesellschaft offensichtlich schädlichen Handlungen verbieten. Alles, was nicht durch das Gesetz verboten ist, darf nicht verhindert werden, und niemand kann gezwungen werden zu tun, was es nicht befiehlt.“69 Mounier, der die Eleganz und Genauigkeit des Alternativvorschlags lobt, unterstützt sofort den Antrag Lameths70. Auch Barnarve, La Rochefoucauld und Garat schließen sich an.71 Andere, unter ihnen Camus, Blin und Mougins de Roquefort, beantragen die Streichung der Formulierung „offensichtlich“ (évidemment) im Antrag von Lameth, insofern sie dem Gesetzgeber die Erlassung von Polizeigesetzen (lois de police) unmöglich mache, deren Ziel es sei, schädlichen Handlungen vorzubeugen und sie nicht erst bei Eintritt zu bestrafen.72 Lameth willigt schließlich in die Streichung ein, sofern sichergestellt sei, dass bei der Durchsetzung gesetzlicher Verbote die Freiheit der Person keinen Schaden nehme.73 Martineau, Abgeordneter des Dritten Standes von Paris, der ebenfalls für die Streichung von „évidemment“ eingetreten war, fordert eine weitere Formulierungsänderung im Antrag Lameths. So solle anstelle von „das Gesetz darf nicht verbieten“ (le loi ne peut pas défendre) die Formulierung „das Gesetz hat nur das Recht zu verbieten“ (la loi n’a le droit de défendre) stehen.74 Die neue Formulierung diene dazu, so Martineau, die Bindung des Gesetzgebers an die

68

AP, 8, S. 464. Ebd. 70 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 181. 71 AP, 8, S. 464. 72 Ebd. 73 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 181. 74 Martineau, 21. August 1789, AP, 8, S. 465. 69

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Verfassung hervorzuheben. Der Antrag wird daraufhin von Virieu, Pison du Galland, Du Port und Rewbell unterstützt.75 In der abschließenden Abstimmung wird Lameths Vorschlag im ersten Teil unverändert, im zweiten Teil geringfügig geändert angenommen. Die Artikel lauten nun: „Die Freiheit eines jeden besteht darin, alles zu tun, was anderen nicht schadet; so hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen offensichtlich nur die Grenzen, die allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden.“76 Und „Das Gesetz hat nur das Recht, die für die Gesellschaft schädlichen Handlungen zu verbieten. Alles, was nicht durch das Gesetz verboten ist, darf nicht verhindert werden, und niemand kann gezwungen werden zu tun, was es nicht befiehlt.“77 Indem die Rechteerklärung auf eine explizite Erwähnung der Pflichten verzichtet, wird die Existenz von Pflichten zwar nicht bestritten, doch deren eigenständiger Charakter geleugnet. Die Abgeordneten schließen sich damit der Argumentation von Sieyès an, nach der es für den Menschen nur natürliche Rechte gibt, aber keine natürlichen Pflichten. Pflichten habe der Mensch nur insofern, als sie ihm aus der wechselseitigen Anerkennung der Rechte entspringen. Demnach seien die Mitglieder der Gesellschaft einander nur insoweit verpflichtet, wie sie ihren Mitbürgern die gleichen Rechte zugeständen wie sich selbst.78 Rechte und Pflichten des Menschen sind demzufolge nicht, wie die Anhänger des Pflichtgedankens unterstreichen, gleichursprünglicher Natur. Vielmehr folgen die Pflichten nur als Konsequenz der natürlichen Rechte des Menschen. Damit haben sich die Vertreter des Pflichtgedankens, die die nivellierenden Folgen einer radikal egalitären Rechteerklärung fürchten und darin eine Gefahr für den Bestand der sozialen Ordnung sehen, nicht durchsetzen können. Zwar weist Rhédon in der Diskussion der Artikel 4 und 5 daraufhin, dass die Erklärung der Menschenrechte nicht den Menschen im Naturzustand, sondern vielmehr das vergesellschaftete Individuum in seiner sozialen Eingebundenheit zum Gegenstand habe, und fordert dementsprechend, die Erklärung der Rechte durch eine Aufzählung der Pflichten zu ergänzen.79 Doch die damit verbundene Frage, ob das Leben in der Gesellschaft eine Einschränkung der natürlichen Freiheit des Menschen erforderlich mache, wird von den Abgeordneten nicht diskutiert. Als 75 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 181–182. 76 AP, 8, S. 464. 77 AP, 8, S. 464. 78 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution française. Reconnaissance et exposition raisonnée Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 27. 79 Rhédon, 21. August 1789, AP, 8, S. 464.

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Konsequenz wird auch Artikel 11 des Vorlagetextes verworfen, der wie folgt lautet: „Art. 11. Die erste Pflicht jeden Bürgers ist es, der Gesellschaft nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten zu dienen. Es ist möglich, ihn auf jedes öffentliche Amt zu verpflichten.“80 Daraufhin werden vom Präsidenten die Artikel 12, 13 und 15 des Vorlagetextes zur Diskussion gestellt, die folgenden Wortlaut haben: „Art. 12. Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Jeder Bürger darf an seinem Zustandekommen unmittelbar mitwirken. Art. 13. Das Gesetz muss für alle gleich sein. Es gibt keine politische Autorität, deren Befehle für den Bürger verpflichtender wären, als die, die im Namen des Gesetzgebers ergehen. Art. 15. Wenn das Gesetz straft, muss die Strafe stets dem Verbrechen angemessen sein, ohne Ansehen von Rang, Stellung oder Vermögen des Bestraften.“81 Mehrere Abgeordnete unterbreiten daraufhin eigene Gegenentwürfe (u. a. Camus, Target und Bonnay) bzw. Formulierungsvorschläge (Delandine, Lanjuinais, Du Port, Sallé de Chou, Ramel-Nogaret, Le Grand).82 Mounier macht schließlich geltend, dass die Rechteerklärung nicht den Gesetzgeber behindern dürfe. Deshalb dürfe es nicht heißen, „dass jeder Bürger das Recht hat, ernannt zu werden, sondern dass sie ohne Unterschied ihrer Geburt, ausschließlich nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten ernannt werden können.“83 Deschamps unterstreicht diesen Punkt der Kritik, indem er anführt, dass nicht alle Bürger gleich befähigt seien.84 Daraufhin unterbreitet Talleyrand-Périgord einen Antrag, der die Artikel 12, 13 und 15 des Vorlagetextes ersetzen soll: „Das Gesetz verkörpert den Ausdruck des Gemeinwillens. Alle Bürger können persönlich oder durch Vertretung an seinem Zustandekommen mitwirken. Es soll für alle gleich sein, mag es beschützen, mag es bestrafen. Alle Bürger sind vor ihm gleich. Sie sind gleicherweise zu allen Rängen und öffentlichen Stellungen entsprechend ihrer Tugend und Begabung geeignet.“85 Mounier, der den Antrag unterstützt, beantragt, „geeignet“ (susceptibles) durch „zulässig/zugelassen“ (admissibles) zu ersetzen, um die Irrelevanz der sozialen Zugehörigkeit bei der Ämterbesetzung hervorzuheben.86 Duport spricht sich hingegen ganz gegen eine Erwähnung des sozialen Status aus.87 80

AP, 8, S. 465. Ebd. 82 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 183–186. 83 AP, 8, S. 465. 84 Deschamps, 21. August 1789, AP, 8, S. 465. 85 Talleyrand, 21. August 1789, AP, 8, S. 465. 86 Mounier, 21. August 1789, AP, 8, S. 466. 87 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 185. 81

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

Talleyrands Antrag, der auf Gesuch von Barnave als erster zur Abstimmung gestellt wird, bietet schließlich die Grundlage einer lebhaften Debatte, an der sich u. a. Andrieu, Crouppé, Long, Defermon des Chapellières, Virieu, Démeunier und Laborde de Méréville beteiligen.88 Folgende Änderungsvorschläge stehen danach zur Diskussion: „das Gesetz ist Ausdruck des allgemeinen Willens“ (la loi est l’expression de la volonté générale) an Stelle von „das Gesetz verkörpert den Ausdruck des allgemeinen Willens“ (la loi étant l’expression de la volonté générale); „alle Bürger haben das Recht mitzuwirken“ (tous les citoyens ont droit de concourir) anstatt „alle Bürger können mitwirken“ (tous les citoyens doivent concourir) (Crouppé); „durch ihre Vertreter“ (par leurs représentants) an Stelle von „durch Vertretung“ (par représentation) (Virieu); „zugelassen“ (admissibles) anstatt „geeignet“ (susceptibles) (Mounier, Virieu); sowie die Ergänzung „nach ihren Fähigkeiten“ (selon leur capacité) (Mounier).89 Bei der Abstimmung finden alle Änderungsvorschläge eine breite Mehrheit. Dennoch bricht eine heftige Debatte aus. Der Unmut der Abgeordneten richtet sich dabei zum einen gegen die Geschäftsordnung, die ein vorzeitiges Ende der Diskussion verlangt, obwohl bislang nur über einen einzelnen Antrag abgestimmt wurde; zum anderen entzündet sich ein Streit an der Frage der Auslegung des Wortes „Fähigkeit“ (capacité). Die Wortführer der Kritiker (Emmery, Lanjuinais, Buzot und Rewbell) lehnen den Begriff ab, weil sie die Beibehaltung erniedrigender Diskriminierungen befürchten. Lally-Tollendal plädiert daher für den Zusatz „und ohne Unterschied außer ihrer Tugend und ihrer Talente“ (et sans autre distinction que celle de leurs vertus et de leurs talents), der sich gegenüber einem anderen Vorschlag durchsetzt, der den Zusatz „ohne Unterschied der Geburt“ (sans distinction de naissance) zum Inhalt gehabt hat.90 Der Zusatzantrag von Corroler Du Moustoir, vor „Rängen“ (places) das Wort „Würden“ (dignités) einzufügen, wird ebenfalls gebilligt.91 Nicht ohne Widerspruch92 beschließt das Plenum schließlich folgende modifizierte Fassung des Vorschlags von Talleyrand: „Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seinem Zustandekommen mitzuwirken. Es soll für alle das gleiche sein, mag es beschützen, mag es bestrafen. Da alle Bürger vor ihm gleich sind, sind sie in gleicher Weise zu allen Würden, Rängen und Stellungen entsprechend ihrer Befähigung zugelassen, und zwar ohne Unterschied als den ihrer Tugend und ihrer Talente.“93 88

Ebd., S. 186–187. AP, 8, S. 466. 90 Ebd. 91 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 186. 92 Ebd., S. 187. 89

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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In der Rückbindung der staatlichen Gewaltausübung an die Herrschaft des im Anschluss an Rousseau als „Ausdruck des Gemeinwillens“ verstandenen Gesetzes liegt die erstaunliche Kompromissfähigkeit begründet, die den widerstreitenden Lagern der Nationalversammlung insbesondere in der Auseinandersetzung über die Menschenrechte eignet. Lameths definitorischer Kunstgriff, der es gleichermaßen gestattet, die Gewährleistung der individuellen Freiheit auf dem Weg ihrer gesetzlichen Regelung sowohl in allgemein vorgeschriebene Bahnen zu kanalisieren, wie auch sie vor willkürlichen Einschränkungen zu schützen, bildet die Voraussetzung dafür, das radikalreformerische Streben nach voller Entfaltung der Menschenrechte und die konservative Sorge, ihre Entfaltung zu reglementieren, miteinander zu vereinbaren. Gleichzeitig legen die Abgeordneten mit Artikel 6 der Rechteerklärung die Legislative endgültig in die Hände der Repräsentanten der Nation, wobei Formen der direkten Demokratie nicht ausgeschlossen werden. Damit beschreiben sie nicht nur die anstehende Aufgabe, Frankreich eine neue Verfassung zu geben, sondern lösen auch das rechtliche Defizit der Assemblée Nationale, als Repräsentativorgan der französischen Nation legislative Aufgaben zu übernehmen. Denn nach der bestehenden Ordnung ist immer noch ausschließlich der König für die Rechtssprechung zuständig. Mit dem Artikel 6 der Rechteerklärung schaffen sich die Abgeordneten somit ihre eigene Legitimationsgrundlage als verfassungsgebende Versammlung. 6.2.3 Rechtsstaatlichkeit Am 22. August 1789 steht der Artikel 14 des Vorlagetextes zur Diskussion: „Jeder Mensch kann nur in den vom Gesetz bestimmten Formen und in den Fällen, die es beschreibt, angeklagt, im Umgang mit seinem Eigentum gestört und in seiner Freiheit eingeschränkt werden.“94 Target, Abgeordneter des Dritten Standes von Paris, unterbreitet folgenden Gegenvorschlag: „Jeder Mensch kann nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in den Formen, die es vorschreibt, angeklagt, verhaftet oder gefangen gehalten werden. Jeder willkürliche Befehl gegen die Freiheit muss bestraft werden. Diejenigen, die willkürliche Befehle anregen, ausfertigen, ausführen oder ausführen lassen, sollen bestraft werden.“95 Target macht mit seinem Änderungsvorschlag deutlich, worum es bei der Diskussion des Artikels zur Strafgesetzgebung geht. Jede Form von despotischer oder willkürlicher Herrschaft soll ausgeschlossen werden. Vor allem das verhasste Instrument der lettres de cachet, die seit den 1770er Jahren immer mehr in Verruf gekommen waren96 und private, ohne rechtliche Grundlage 93 94 95

AP, 8, S. 465. AP, 8, S. 470. Target, 22. August 1789, AP, 8, S. 470–471.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

getroffene Haftbefehle des Königs und seiner Familie darstellten, soll dem Monarchen aus der Hand geschlagen werden. Die Abgeordneten greifen damit nicht nur eine der zentralen Forderungen der cahiers auf; sie wollen darüber hinaus auch sicherstellen, dass die Exekutive des Staates dem Gesetz vollständig unterworfen und dem Grundsatz der Rechtstaatlichkeit genüge getan wird. Doch damit nicht genug. Auf den aktuellen politischen Zustand Frankreichs bezogen, sieht Bonnay das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen als eines der grundlegenden Prinzipien der Freiheit im Staat an.97 Bei einer Neuordnung der Gesellschaft und ihrer rechtlichen Grundlagen dürfe es nicht zu einer nachträglichen Verurteilung einst rechtsgültiger Handlungen kommen. Deshalb schlägt er anstelle von Artikel 14 und Artikel 16 bis 19 des Vorlagetextes folgende Grundsätze vor: „Kein Gesetz darf rückwirkend eingesetzt werden. In dem Moment, in dem es bekannt gemacht wird, ist es in gleicher Weise für alle Bürger verpflichtend. In dieser Unterwerfung unter das gemeinsame, für alle gleiche Gesetz existiert die zivile Gleichheit.“ „Niemand darf angeklagt werden, es sei denn vor den durch das Gesetz etablierten Gerichtshöfen. Niemand darf verhaftet, gefangen oder in Haft gehalten werden, es sei denn im Namen des Gesetzes und durch die Formen, die es vorschreibt.“98 Auch Duport hebt in seinem Redebeitrag, der von Lally-Tollendal unterstützt wird, auf die Strafgesetzgebung ab. Seiner Meinung nach ist das französische Straf- und Vollzugssystem seinem Wesen nach barbarisch. Eine Gesellschaft dürfe zwar in schweren Fällen Menschen einsperren, sie dürfe sie aber niemals misshandeln. Die Rechteerklärung müsse daher eine erste Schranke gegen diese Exzesse schaffen. Sie solle für den Gesetzgeber das sein, was das Gesetz für die Bürger symbolisiere. Sie müsse die Gleichheit vor dem Strafgesetz etablieren und die Milde des Strafgesetzes vorschreiben. „Allein eine milde und menschliche Strafgesetzgebung gereicht den Staaten zum Ruhm und den Völkern zur Ehre.“99 Sein Vorschlag lautet daher: „Das Gesetz darf nur die unbedingt notwendigen Strafen festlegen und niemand darf verurteilt werden, es sei denn nach den durch ein zuvor verabschiedetes und rechtmäßig angewandtes Gesetz [. . .]. Jeder Mensch muss bis zu seiner Verurteilung als unschuldig betrachtet werden. Ist es erforderlich, ihn zu inhaftieren, muss alle Gewalt, die nicht notwenig ist, um seiner Person habhaft zu werden, strikt unterbunden werden.“100 Daraufhin wird der Artikel 14 des Vorlagetextes, der von allen Abgeordneten als unzureichend eingeschätzt wird, als Diskussionsgrundlage einstimmig ver96 Vgl. Strayer, Brian E.: Lettres de cachet and Social Control in the Ancien Régime, 1659–1789, New York 1992, S. xi–xxiv. 97 Bonnay, 22. August 1789, AP, 8, S. 471. 98 Ebd. 99 Duport, 22. August 1789, AP, 8, S. 471. 100 AP, 8, S. 471.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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worfen, wodurch die Vorschläge von Target und Duport in den Mittelpunkt der nachfolgenden Beratungen rücken. Lachèse macht sich in seinem Redebeitrag für die Formulierung „ein Angeklagter muss bis zu seiner Verurteilung als unschuldig“ betrachtet werden (qu’un accusé doit être présumé inocent jusqu’à ce qu’il a été condamné) stark, die auch von Sèze befürwortet wird.101 Martineau hält Targets zweiten Satz für überflüssig, wenn doch ohnehin gelten soll, dass der Mensch prinzipiell dem Gesetz unterworfen ist.102 Moussinat und La Gallissonnière bemängeln an Targets Vorschlag, dass die Vollstrecker willkürlicher Zwangsbefehle mit deren Urhebern quasi auf eine Stufe gestellt werden.103 Daraufhin entwickelt sich eine lebhafte Diskussion über die Frage der Verantwortlichkeit von Staatsdienern. Mirabeau spricht sich dafür aus, dass mit Ausnahme des Königs alle Staatsdiener, vom ersten Minister bis zum letzten Schergen (le premier ministre jusqu’au dernier sbire), für ihre Amtsführung verantwortlich sein müssen. Andernfalls gäbe es nur Sklaverei.104 Das bedeutet für Mirabeau jedoch nicht, dass der Untergebene Befehle auch inhaltlich überprüfen muss, sondern lediglich, dass er die vom Gesetz vorgeschriebene Form solcher Befehle zu beachten habe.105 Châtelet de Paris (Marquis de Boulainvilliers) spricht sich in diesem Sinne für die Form des englischen „warrant“ aus, die freilich durch den Redebeitrag von Démeunier wieder in Frage gestellt wird.106 Durch einen „warrant“, so Châtelet, übernehme der Befehlsgeber Gewähr für die Rechtmäßigkeit seiner Anordnungen. Rabaut Saint-Etienne, Mounier, Delandine, Bouchette und Robespierre sprechen sich daraufhin ebenfalls für die uneingeschränkte Verantwortung aller Staatsdiener aus.107 Rabaut Saint-Etienne schlägt anstelle des zweiten Satzes von Target vor: „Alle willkürlichen Befehle sind strafbar. Alle die, die sie angeordnet haben, sind gegenüber dem Einzelnen und der Gesellschaft zur Verantwortung zu ziehen. Alle die, die sie ausführen, ohne die gesetzlichen Maßgaben zu beachten, verhalten sich strafbar.“108 Malouet109 dagegen spricht sich für die Artikel 19 bis 21 aus Sieyès’ Entwurf vom 20./21. Juli aus: „Jeder im Namen des Gesetzes vor Gericht geladene oder verhaftete Bürger muss sofort gehorchen. Durch Widerstand macht er sich schuldig [. . .]. Niemand darf vor Gericht geladen, verhaftet und gefangen gesetzt werden als in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und in den darin bestimmten For101 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 188. 102 Martineau, 22. August 1789, AP, 8, S. 471. 103 Moussinat/La Gallissonnière, 22. August 1789, AP, 8, S. 474. 104 Mirabeau, 22. August 1789, AP, 8, S. 472. 105 Ebd. 106 Châtelet de Paris, 22. August 1789, AP, 8, S. 472. 107 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 189. 108 Ebd. 109 Malouet, 22. August 1789, AP, 8, S. 472.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

men [. . .]. Jede willkürliche oder gesetzwidrige Anordnung ist nichtig. Wer sie fordert oder unterzeichnet, macht sich schuldig. Wer sie überbringt, ausführt oder ausführen lässt, macht sich schuldig. Sie alle müssen bestraft werden.“110 Barnave setzt sich daraufhin noch einmal für den Vorschlag von Duport ein, da dieser seiner Meinung nach bereits alle Punkte von Sieyès’ Vorschlag enthält.111 Martineau beantragt stattdessen, alle Fragen bezüglich der Beamtenverantwortlichkeit erst in der Verfassung zu regeln. Da die Erklärung so genau wie möglich sein soll, seien alle Einzelheiten gefährlich. Wenn jeder Beamte einen Befehl in Frage stellen könne, gebe es keine Garantie mehr für deren Vollzug. Alles werde in Anarchie verfallen.112 Mirabeau widersetzt sich jedoch sofort dem Verweisungsantrag. Das Prinzip der Verantwortlichkeit aller Staatsdiener sei Gegenstand der Rechteerklärung, lediglich die Realisierung dieses Grundsatzes müsse der Verfassung vorbehalten bleiben.113 Malouet und Démeunier treten schließlich dafür ein, den Antrag Targets um Artikel 19 aus Sieyès’ erstem Entwurf zu ergänzen. Der Antrag wird weiterhin von André befürwortet, von Lameth jedoch in Frage gestellt.114 Démeunier beantragt die Formulierung „verhaftet im Namen des Gesetzes“ (saisi au nom de la loi) durch „verhaftet Kraft des Gesetzes“ (saisi en vertu de la loi) zu ersetzen.115 Hierdurch soll den Anhängern des Despotismus jede Möglichkeit genommen werden, ihr Verhalten durch den Verweis, dass sie nur im Namen des Gesetzes gehandelt hätten, zu rechtfertigen.116 Durch die nun folgenden Abstimmungen erhalten die Artikel 7 bis 9 der Rechteerklärung folgende endgültige Form: „7. Jeder Mensch kann nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in den Formen, die es vorschreibt, angeklagt, verhaftet oder gefangen gehalten werden. Diejenigen, die willkürlich Befehle anregen, ausfertigen, ausführen oder ausführen lassen, sollen bestraft werden; aber jeder Bürger, der aufgrund des Gesetzes vorgeladen oder ergriffen wird, muss sofort gehorchen. Er macht sich durch Widerstand schuldig. 8. Das Gesetz darf nur solche Strafen festsetzen, die unbedingt und offensichtlich notwendig sind; und niemand darf aufgrund eines Gesetzes bestraft werden, das nicht vor der Tat erlassen und verkündet sowie rechtmäßig angewandt worden ist. 9. Jeder Mensch soll solange für unschuldig gehalten werden, bis er für

110 AP, 8, 472; Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschenund Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 189. 111 Ebd., S. 190. 112 Ebd. 113 Mirabeau, 22. August 1789, AP, 8, S. 473. 114 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 190. 115 Demeunier, 22. August 1789, AP, 8, S. 472. 116 Ebd.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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schuldig erklärt worden ist; wenn seine Verhaftung für unumgänglich erachtet wird, soll jede Härte durch das Gesetz streng vermieden werden, die nicht notwendig ist, um sich seiner Person zu versichern.“117 Damit verurteilt die Versammlung die Rechtspraxis des Ancien Régime und spricht sich gegen jede Form willkürlicher Herrschaft aus. Nur die durch das Gesetz bestimmten Straftaten gelten fortan als Vergehen. Das für sie festgelegte Strafmaß muss für alle Bürger gleichermaßen zur Anwendung kommen. Jeder Bürger hat zudem das Recht, seine Unschuld vor Gericht zu beweisen. Ihm steht ein ordentliches ziviles Gerichtsverfahren zu. Willkürliche Verhaftungen, Folter und ein Strafvollzug ohne Prozess werden damit selbst unter Strafe gestellt. Gleichzeitig wird die Rolle des Königs als oberster Richter des Landes maßgeblich beschnitten. Sowohl die Rechtsprechung im Einzelfall als auch die Ansetzung der Höhe des Strafmaßes für Straftäter werden ihm entzogen und der Rechtsprechung ordentlicher Gerichte überantwortet. Damit verliert der König nicht nur sein Begnadigungsrecht, er büßt auch seine Rolle als sittlicher „Vater der Nation“ ein, der das Recht besitzt, seine „Landeskinder“ selbst zu maßregeln. Noch am selben Tag gehen die Abgeordneten, ohne noch einmal auf die vorangegangene Diskussion Bezug zu nehmen, zu den Artikeln 16, 17 und 18 des Vorlagetextes über. 6.2.4 Religionsfreiheit und religiöse Toleranz Ihren Ausgang nimmt die Debatte über die Religionsfreiheit von der Frage, ob die Rechteerklärung lediglich ein Bekenntnis zum Schutz der freien Religionsausübung enthalten oder aber die Toleranz gegenüber jeder Art von religiösem Bekenntnis zum Prinzip erheben soll. Dahinter steht zugleich die Frage, ob eine Staatsreligion oder lediglich die Freiheit religiöser Überzeugungen gesetzlich verankert werden soll. Über diese Frage gehen die Meinungen der Abgeordneten weit auseinander. Einigkeit besteht lediglich in der Auffassung, dass man die Religion als „wesentlich und unabdingbar“ für den Aufbau und Zusammenhalt des Staates betrachtet und man sie daher eines besonderen gesetzlichen Schutzes zur Garantie ihrer freien Ausübung bedürftig erachtet. Im Hinblick auf die genaue Formulierung und die konkrete Umsetzung dieses Ziels bestehen jedoch tiefgreifende Differenzen, weshalb die Diskussion des Religionsartikels auch die kontroverseste der ganzen Menschenrechtserklärung ist. Für die Traditionalisten unter den Abgeordneten geht es bei der Frage nach der rechtlichen Ausgestaltung des religiösen Lebens in erster Linie darum, die Vorherrschaft der katholischen Religion im öffentlichen Leben zu bewahren. 117

AP, 8, S. 472.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

Andere religiöse Bekenntnisse sollen nur toleriert werden. Dagegen fordern die Reformer, die vor allem aus dem Lager der Protestanten kommen, nicht weniger als die uneingeschränkte Glaubens- und Meinungsfreiheit, die sie als ein unveräußerliches Menschenrecht verankert sehen wollen. Dieses Freiheitsrecht, so argumentieren sie, sei das heiligste von allen. Es sei das einzige natürliche Recht, das die Menschen nicht den Gesetzen des gesellschaftlichen Zusammenschlusses unterworfen hätten. Deshalb verwerfen sie von Anfang an die am 23. August 1789 verlesenen Artikel 16 bis 18 des Vorlagetextes, die folgenden Wortlaut haben: „Artikel 16. Das Gesetz kann keine Glaubensfragen (geheimen Verfehlungen) bestrafen. Das gilt sowohl für die Religion, als auch für die Moral. Deshalb ist es von wesentlicher Bedeutung für die gute Ordnung innerhalb der Gesellschaft, dass sowohl die eine als auch die andere respektiert werden. Artikel 17. Die Aufrechterhaltung der Religion erfordert einen etablierten Kult. Die Achtung des öffentlichen Kultes ist deshalb unerlässlich. Artikel 18. Jeder Bürger, der nicht den öffentliche Kult stört, darf nicht weiter bedrängt werden.“118 Comte de Castellane beantragt darum diese Artikel zu folgendem Grundsatz zusammenzufassen: „Niemand darf wegen seiner religiösen Überzeugungen bedrängt und an der Ausübung seiner Religion behindert werden.“119 Dagegen opponiert jedoch sofort Bonnal, Bischof von Clermont, der an den Vorschlägen des Vorlagetextes würdigt, dass sie die Religion als Grundlage der öffentlichen Ordnung anerkennen. Jeder Angriff auf Religion und Kult sei immer auch ein Angriff gegen den Staat und die Gesellschaft.120 Andere Abgeordnete wiederum bekräftigen die Notwendigkeit religiöser Freiheit und schließen sich dem Vorschlag von Castellane an.121 Jede staatliche Einmischung in Glaubensfragen, so der Tenor ihrer Argumentation, bedeute „grausamsten Despotismus“122. Der Staat habe lediglich dafür zu sorgen, dass kein Kult gestört werde.123 In der nun immer heftiger werdenden Debatte plädieren Abbé Eymar und Rabaut Saint-Etienne dafür, die Artikel getrennt zu beraten, da Artikel 16 und 17 Pflichten deklarierten und folglich als Bestandteil der Verfassung angesehen werden müssten, während Artikel 18 ein Recht beschreibe.124 Daraufhin ergreift Mirabeau das Wort für den Vorschlag Castellanes und gegen den Einwand Bonnals.125 Bonnal, so Mirabeau, argumentiere im Sinne reli118

AP, 8, S. 475. Castellane, 23. August 1789, AP, 8, S. 476. 120 Bonnal, 23. August 1789, AP, 8, S. 472. 121 Castellane ergreift selbst immer wieder das Wort, um seine Position zu stärken. AP, 8, S. 477. 122 Laborde, 21. August 1789, AP, 8, S. 492. 123 AP, 8, S. 472. 124 Eymar/Rabaut-Saint-Etienne, 23. August 1789, AP, 8, S. 473. 125 Mirabeau, 23. August 1789, AP, 8, S. 473. 119

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giöser Toleranz. Doch die Religionsfreiheit sei ein so geheiligtes Recht, dass allein das Wort Toleranz schon tyrannisch sei. Bereits das Bestehen einer duldenden Autorität, beeinträchtige die Gedankenfreiheit, insofern die Ordnung jederzeit widerrufen werden könne. Artikel 16 und 17 besagten, dass es ein Recht des Menschen ist, die Religion zu achten und zu wahren. Dies sei aber kein Recht, sondern eine Pflicht. Der Kult entstehe erst in der Gemeinschaft. Er sei also eine „rein soziale und konventionelle Einrichtung“ (une institution purement sociale et conventionelle) und somit eine Pflicht. Aus dieser Pflicht entstehe ein Recht, „nämlich dass niemand in seinem Glauben behindert werden“ dürfe (que nul ne peut être troublé dans sa Religion). Gestehe die Menschenrechtserklärung die Meinungsfreiheit zu, müsse sie auch die Religionsfreiheit akzeptieren. Denn durch die verschiedenen Meinungen werde es auch immer verschiedene Religionen geben. Diese Verschiedenheit dürfe nicht angetastet werden. Die freie Ausübung jedweden Kultes sei das Recht eines jeden, das als solches ebenso wie der Kult geachtet werden müsse. Nur dieses Recht gehöre in die Rechteerklärung.126 Dagegen fordert Gouttes, ein Geistlicher aus Argelliers, die katholische Konfession in der Rechteerklärung als Staatsreligion festzulegen. Andere religiöse Bekenntnisse sollten lediglich toleriert werden.127 Dafür spricht sich auch Camus aus. Allerdings ist für ihn die Verfassung der Ort, an dem eine solche Festlegung verankert werden muss. In der Rechteerklärung zähle nur die Beziehung des Einzelnen zu Gott.128 Aufgrund der zunehmenden Unruhe beschließt das Plenum schließlich, die Debatte am nächsten Tag fortzusetzen. Démeunier und Mirabeau versuchen vergeblich, die Debatte auf den übernächsten Tag zu verlegen, da sie befürchten, dass am 23. August, einem Sonntag, viele Abgeordnete, darunter auch viele Gemäßigte und Tolerante, nicht erscheinen werden. Doch vergeblich weist Mirabeau darauf hin, dass sich am 23. August die Bartholomäusnacht zum 217. Mal jähre. Denn André macht den Antrag von Démeunier und Mirabeau mit dem Zwischenruf zunichte, dass die Abgeordneten sich versammelt hätten, um über das Wohl des Volkes zu beraten und nicht um spazieren zu gehen.129 Am 23. August spricht sich Pétion de Villeneuve als Erster dafür aus, Artikel 16 und 17 des Vorlagetextes zurückzustellen, insofern man immer noch darum ringe, eine Menschenrechtserklärung zu schaffen, die für alle Menschen und nicht nur für die Franzosen gelten solle.130 Dagegen opponieren Maillot, Bou126

Ebd. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 192. 128 Ebd. 129 Ebd., S. 193. 130 Villeneuve, 23. August 1789, AP, 8, S. 475. 127

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che und Eymar,131 die in ihren Beiträgen daraufhin weisen, dass die Religion das feierlichste und heiligste Gesetz menschlicher Gemeinschaften sei und als lebensbestimmendes Prinzip des Menschen auch in der Rechteerklärung ihren Platz finden müsse.132 André Boniface Louis de Riquetti und Périsse du Luc sprechen sich daraufhin für die Festschreibung der katholischen Konfession aus, da die Religion sonst zu einer Sache der jeweiligen Umstände, Moden und Geflogenheiten (religion de circonstances) werde.133 Auch Marquis de Clermont-Lodève äußert sich im Sinne einer Festlegung der Konfession in der Rechteerklärung, insofern das Gesetz lediglich Verbrechen bestrafen könne und somit keinen ausreichenden Schutz der Religion biete.134 Lediglich Talleyrand-Périgord spricht sich trotz seines Amtes (immerhin ist er als Bischof von Autun zu den Generalständen entsandt worden) gegen eine Festschreibung der Konfession in der Rechteerklärung aus. Jeder Artikel einer Rechteerklärung, so seine Argumentation, müsse mit der Formel beginnen können: Jeder Mensch in der Gesellschaft hat das Recht (tout homme vivant dans une société quelconque, a le droit de). Deshalb könne die Rechteerklärung nur die „Freiheit der religiösen Überzeugungen“ fordern, die Hervorhebung der katholischen Konfession dagegen gehöre in die Verfassung.135 Das Plenum beschließt daraufhin mit großer Mehrheit, die Artikel 16 und 17 des Vorlagetextes zurückzustellen und lediglich Artikel 18 sowie Castellanes Alternativvorschlag136 zu diskutieren.137 Die nun anschließende Debatte eröffnet diesmal Mirabeau.138 Seine ausschweifende Rede richtet sich gegen die Formulierung „herrschender Kult“ (culte dominant). Der Kult, so Mirabeau, sei eine Ansammlung von Gebeten, Liedern und Predigten. Er sei Gegenstand des zivilen Umgangs (un objet civil) und eine soziale Einrichtung (une institution humaine), also keine göttliche Institution (institution divine), und mithin auch immer dem menschlichen Irrtum und der Täuschung unterworfen. Aus diesem Grunde könne die öffentliche Gewalt nur verhindern, dass jemand die öffentliche Ordnung und den Frieden stört. Sie dürfe nicht gegen eine wie auch immer geartete religiöse Gemein131

AP, 8, S. 475. Ebd. 133 Vicomte de Mirabeau, 23. August 1789, AP, 8, S. 476. 134 Clermont-Lodève, 23. August 1789, AP, 8, S. 476. 135 Talleyrand, 23. August 1789, AP, 8, S. 476. 136 Castellane reformuliert ihn daraufhin in folgender Version: „Niemand darf wegen seiner religiösen Überzeugungen bedrängt noch in der Ausübung seines Glaubens behindert werden“. Castellane, 23. August 1789, AP, 8, S. 476. 137 23. August 1789, AP, 8, S. 476. 138 Mirabeau, 23. August 1789, AP, 8, S. 476–477. 132

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schaft vorgehen. Mit „herrschender Kult“ könne also unmöglich ein Zwangskult (culte oppresseur) gemeint sein. Denn, so Mirabeau, was solle man darunter verstehen? Den Kult des Fürsten? Das sei absurd. Der Fürst könne nicht Gewissen beherrschen oder Meinungen vorschreiben. Oder meine man den Kult der Mehrheit? Dies mache ebenfalls keinen Sinn. Denn wenn der Kult das Ergebnis einer Überzeugung sei, dann könne man ihn nicht wie das Ergebnis einer Abstimmung behandeln. In Glaubensfragen, unterstreicht Mirabeau zum Schluss seiner Rede, könne es kein Mehrheitsprinzip geben.139 Comte de Castellane beschränkt sich daraufhin, den zweiten Teil seines Vorschlages zu verteidigen.140 Die Freiheit des Kultes ergebe sich notwendig aus der Meinungs- und Religionsfreiheit. Die französischen Religionskriege seien kein Argument gegen diese Freiheit, sondern das Resultat der persönlichen Ambitionen einiger Führer, die den Fanatismus des Volkes für sich zu nutzen gewusst hätten. Die Kultfreiheit sei auch kein Argument gegen die katholische Konfession. Denn kein überzeugter Katholik sehe sich dadurch genötigt, seinem Glauben abzuschwören. Kein Kult dürfe verboten werden. Denn kein Mensch dürfe in seinen religiösen Überzeugungen und in der Ausübung seiner Religion gestört werden. Dieser Grundsatz gehöre in die Rechteeklärung oder das Gegenteil werde gelten.141 Die Debatte wird daraufhin immer stürmischer.142 Mehrere Abgeordnete (u. a. Lachèse und Gaultier de Biauzat) drängen darauf, endlich abzustimmen. Leclerc de Juigné, Erzbischof von Paris, beantragt, auch Artikel 18 als Folge der Abstimmung zu Artikel 16 und 17 zu verwerfen. Artikel 18 des Vorlagetextes wird daraufhin einstimmig abgelehnt.143 Um seinen Vorschlag zu retten, nimmt Castellane den zweiten Teil seines Entwurfes zurück. Zur Debatte steht nunmehr der Antrag: „Niemand darf wegen seiner religiösen Überzeugungen bedrängt werden.“144 Pellerins Anregung, den Antrag um den Zusatz: noch an der privaten Ausübung seiner Religion gehindert werden (ni troublé dans l’exercice privé de sa religion), zu erweitern, scheitert in der Abstimmung.145 Bouchotte, der sich gegen eine unbegrenzte Religionsfreiheit ausspricht, beantragt, Castellanes Antrag durch folgenden Zusatz einzuschränken: solange sie nicht darauf abziele, den nationalen Glauben zu ändern (tous les fois qu’elles 139

AP, 8, S. 477. Castellane, 23. August 1789, AP, 8, S. 477. 141 Ebd. 142 AP, 8, S. 477. 143 AP, 8, S. 477; vgl. auch: Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 197. 144 AP, 8, S. 477. 145 Ebd. 140

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tendront point à altérer la croyance nationale).146 Dillon unterstützt dieses Gesuch mit der Begründung, dass nur so der öffentliche Friede erhalten werden kann.147 Robespierre, der sich gegen jede Einschränkung von Castellanes Vorschlag ausspricht, warnt daraufhin vor der Gefahr einschränkender Auslegungen.148 Virieu hingegen unterstützt Dillons Zusatz, hätten doch vor allem religiöse Sekten gezeigt, dass durch die öffentliche Verhinderung ihrer Lehren Unheil entstehe. Sein Vorschlag für den einschränkenden Nebensatz lautet daher: „solange ihre Manifestation nicht die durch das Gesetz etablierte öffentliche Ordnung stört“149. Das Gesuch polarisiert die Abgeordneten endgültig. Auf Seiten der Reformer und Gemäßigten löst es einen Sturm der Entrüstung aus. Auf Seiten der Traditionalisten findet es begeisterte Zustimmung. Zu den namhaftesten Gegnern des Antrags gehört Rabaut Saint-Etienne, der in seiner Rede den Abgeordneten die Konsequenzen eines solchen Artikels vor Augen führt.150 Dem Antrag, so Rabaut Saint-Etienne, fehle nur noch ein Tribunal zur Überwachung nicht-katholischer Konfessionen und Religionen. Er sei ein Beispiel größter Intoleranz. Bereits die Inquisition habe argumentiert, dass jeder in seinen Gedanken frei sei, solange er sie nicht manifestiere. Ihre Rolle sei jedoch die jahrhundertelanger Kontrolle von Gewissen und Meinung gewesen. Nach diesen Worten spricht Rabaut Saint-Etienne in eigener Mission. Seine Wähler, mehr als 120.000 Protestanten aus dem Wahlbezirk Nîmes, hätten ihn gedrängt, auf eine Vervollkommnung des Protestanten-Edikts hinzuarbeiten. Die Freiheit sei ein Gemeingut (bien commun), auf das alle Bürger das gleiche Recht hätten. Es herrsche Einstimmigkeit darüber, dass die Gedanken- und Meinungsfreiheit ein unveräußerliches und unverjährbares Recht sei. Dieses Freiheitsrecht sei das heiligste von allen, denn es sei das einzige natürliche Recht, auf das die Menschen bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft nicht verzichteten. Das Protestanten-Edikt habe den Nicht-Katholiken keine Kultfreiheit gebracht. Noch immer bildeten die Protestanten „eine in Ungnade gefallene Kaste“ (caste disgraciée). Strafgesetze bedrohten die öffentliche Ausübung ihres Kultes. Um ihres Glaubens willen seien sie täglich zum Gesetzesbruch gezwungen. Doch die Protestanten erfüllten wie ihre katholischen Mitbürger ihre staatsbürgerlichen Pflichten. Deshalb, so Rabaut Saint-Etienne, appelliere er hier im Namen von zwei Millionen Bürgern an das französische Volk, ihnen nicht nur Toleranz, sondern Religionsfreiheit zu gewähren. Toleranz, Hilfe, Vergebung und Milde seien die falschen Einstellungen gegenüber Andersgläubigen. Nie146 147 148 149 150

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Rabaut Saint-Etienne, 23. August 1789, AP, 8, S. 477–480.

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mand könne sich der Freiheit erfreuen, wenn sie zwei Millionen Bürgern vorenthalten bliebe, nur weil sie denselben Gott auf andere Weise anbeteten. Deshalb fordere er im Namen aller Nicht-Katholiken Religionsfreiheit, Kultfreiheit, Schutz vor Verfolgung aus religiösen Gründen und Sicherheit bei der Ausübung ihres religiösen Bekenntnisses. Das Vaterland, so seine abschließenden Worte, habe sich der wieder gewonnenen Freiheit würdig zu erweisen und sie allen Bürgern in gleichem Maße zukommen zu lassen, ohne Unterschied von Rang, Herkunft und Religionszugehörigkeit.151 Sein Formulierungsvorschlag für die Religionsfreiheit lautet deshalb: „Jeder Mensch ist frei in seinen Meinungen; jeder Bürger hat das Recht, seinen Kult frei auszuüben und niemand darf aufgrund seiner Religion bedroht werden.“152 Die Rede Rabaut Saint-Etiennes hinterlässt bei den meisten Abgeordneten großen Eindruck. Dillon zieht augenblicklich seinen einschränkenden Zusatz zu Castellanes Antrag zurück, eine Geste, die von den Abgeordneten nach SigmarJürger Samwer stürmisch begrüßt wird.153 Doch das Ringen um den Religionsartikel ist damit noch nicht zu Ende. Bonnal bittet darum, Zeit zu gewähren, damit von Seiten der Bischöfe auf die Rede entsprechend geantwortet werden könne.154 Gobel entgegnet Rabaut Saint-Etienne, dass die religiöse Freiheit dort ihre Grenze findet, wo die öffentliche Ordnung in Gefahr sei. Deshalb sei es notwendig, einen Kompromiss zu finden, der den Nicht-Katholiken entgegenkomme, die herrschende Religion aber auch nicht gefährde. Dementsprechend erneuert er den einschränkenden Zusatz: „solange ihre Ausübung nicht die öffentliche Ordnung stört“155. Abermals wird daraufhin der Antrag gestellt, dem Artikel folgende Form zu geben: „Niemand darf wegen seiner religiösen Überzeugungen bedrängt werden, solange ihre Ausübung nicht die durch das Gesetz etablierte Ordnung stört.“156 Damit ist die Diskussion wieder dort angelangt, wo sie vor der Rede von Rabaut Saint-Etienne gewesen war. Weitere Anträge (so das Wort „religiösen“ im Glaubensartikel zu streichen (La Luzerne), oder „einschließlich religiösen Überzeugungen“ zu ergänzen (Duval d’Eprémesnil), ändern, wie Samwer es schildert, nichts an der grundsätzlichen Spaltung des Plenums in Befürworter und Gegner der uneingeschränkten Religionsfreiheit.157

151

Ebd., S. 479. Ebd., S. 480. 153 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 200. 154 Ebd. 155 Gobel, 23. August 1789, AP, 8, S. 480. 156 Ebd. 157 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 201. 152

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Auf Seiten der Befürworter der Glaubensfreiheit bemüht sich Mirabeau vergeblich, dass Wort zu ergreifen.158 Pison du Galland und Volney, denen es gelingt, sich an das Plenum zu wenden, versuchen, die Debatte auf den nächsten Tag zu verschieben, von dem sie sich eine ruhigere Atmosphäre und andere Mehrheitsverhältnisse versprechen. Doch beide werden niedergeschrien. Volney entgegnet daraufhin den Gegnern der Religionsfreiheit, dass der zur Abstimmung stehende Glaubensartikel in Spanien die Inquisition autorisiert habe.159 Seinen Höhepunkt erreicht die Auseinandersetzung schließlich, als der Präsident Clermont-Tonnerre seinen Rücktritt mit der Begründung anbietet, dass er sich außer Stande sehe, die nun nach der Geschäftsordnung anstehende Frage zu entscheiden, ob abgestimmt werden soll oder nicht. Die Situation sei nicht nur für ihn schmerzlich, sondern in seinen Augen auch für die Nationalversammlung unwürdig. Beide Parteien, ungleich an Stimmen aber ebenbürtig in ihren Argumenten, seien nicht zu versöhnen. Sein Gesuch, die Abstimmung zu vertagen, wird niedergebrüllt.160 Hierauf sieht Clermont-Tonnerre keine andere Möglichkeit, als der Geschäftsordnung Folge zu leisten und über den modifizierten Antrag von Castellane abstimmen zu lassen. Gleichzeitig bittet er darum, ihn am nächsten Tag von seinem Amt zu entbinden.161 Das Plenum billigt den umstrittenen Artikel der Rechteerklärung daraufhin in folgender Fassung: „Niemand soll wegen seiner Meinungen, selbst religiöser Art, belangt werden, solange ihre Äußerung nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stört.“162 Viele der Abgeordneten und vor allem auch die revolutionären Zeitschriften beklagen, wie Samwer gezeigt hat,163 das Resultat der Sitzung. So schreibt das Journal des Etats généraux: Es war eine Sitzung, „in der Unordnung und eine Minderheit dominierten, in der die Natur, die Vernunft und die Menschenrechte missachtet wurden, in der der Präsident aus Gewissensgründen zweimal seinen Rücktritt einreichte. Ungeachtet seiner Selbstzweifel, der Mann der Stunde zu sein, tat er alles, um die Assemblée zur Vernunft zu bringen, um zu verhindern, dass sie inkonsequent handelt. Seine Ermahnungen, sein tiefer Zweifel, nichts machte Eindruck auf die Nationalversammlung: sie wollte unter allen Umständen ein Dekret verabschieden, dass den von ihr verabschiedeten ersten Menschenrechtsartikeln widerspricht.“164 158

Mirabeau, 23. August 1789, AP, 8, S. 481. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 201. 160 Clermont-Tonnerre, 23. August 1789, AP, 8, S. 481. 161 Ebd. 162 AP, 8, S. 481. 163 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 201 ff. 159

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Am folgenden Tag gehen Périsse du Luc und Bergasse-Laziroule mit dem Antrag in die Debatte, erst dann über ein Begehren abzustimmen, wenn sechs Abgeordnete für und sechs gegen es gesprochen haben.165 Damit ziehen sie für sich die Lehren aus den vorangegangenen Tagen. Brostaret, Madier de Montjan, La Poule und Eymar verweisen daraufhin auf die Gefahr einer unzulänglichen Verzögerung der Verfahren.166 Trotz der Einwände von Robespierre und Mirabeau lehnt die Versammlung den Antrag von Périsse du Luc und Bergasse-Laziroule ab.167 Auch eine Wiederaufnahme der Debatte vom Vortag wird strikt abgelehnt. Selbst Rabaut Saint-Etienne bekennt sich zu dem Beschluss, alle Kultfragen bis zur Verfassung zurückzustellen, weil ihm nicht an einer Verschärfung der Standpunkte gelegen sei.168 Lediglich Lévis äußert weiterhin Kritik an dem Beschluss des Vortages.169 Wenn eine Mehrheit die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung erkenne, müsse sie diese korrigieren. Eine solche Tat kompromittiere nicht die Versammlung, sondern stärke das Vertrauen in ihre Gerechtigkeit. Denn einzig Vernunft und Wahrheit dürften ihr Handeln leiten. Für einen Gesetzgeber gebe es keine unwiderruflichen Beschlüsse. Einzig Tyrannei und Unwissenheit maßten sich das Dogma der Unfehlbarkeit an. Jede Manifestation des Glaubens für den Fall einer Störung der öffentlichen Ordnung zu verbieten, ohne diesen Fall selbst näher zu konkretisieren, bedeute, alle Handlungen, Schriften und Reden der Bürger einer willkürlichen Prüfung zu unterwerfen. Dies könne jedoch nicht Sinn und Zweck der Menschenrechtserklärung sein. Unbeirrt der vielen Protestrufe unterbreitet Lévis daher folgenden Vorschlag: „Jeder Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten hat das Recht, eine religiöse Überzeugung gemäß seines Gewissen zu hegen, unter der einen Bedingung, den anderen nicht in seinem Recht zu beeinträchtigen.“ 170 Die weitere Diskussion nimmt auf diesen Antrag jedoch nicht weiter Bezug. 6.2.5 Pressefreiheit Am 24. August 1789 kreist die Diskussion um das Thema Pressefreiheit, welche von den meisten Abgeordneten schon im Interesse ihrer eigenen Arbeit als eine der wichtigsten Freiheiten betrachtet wird.171 Zur Verlesung kommt Artikel 19 des Vorlagetextes: „Die freie Kommunikation der Gedanken ist ein Recht des Bürgers. Sie darf nicht eingeschränkt werden, solange sie nicht die Rechte 164 165 166 167 168 169 170 171

Journal des Etats Généraux, Paris 1789, s. p. AP, 8, S. 481–482. Ebd., S. 482. Ebd., S. 483. Rabaut Saint-Etienne, 24. August 1789, AP, 8, S. 482. Lévis, 24. August 1789, AP, 8, S. 482. Ebd. AP, 8, S. 482 ff.

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anderer beeinträchtigt.“172 Cardinal de La Rochefoucauld, Erzbischof von Rouen, kritisiert an diesem Artikel, dass dieser mehr Gewicht auf die Einschränkung als auf die Ausdehnung der Pressefreiheit lege.173 Sein alternativer Formulierungsvorschlag lautet daher: „Die freie Kommunikation der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte für den Menschen. Jeder Bürger kann folglich frei reden, schreiben und drucken, unter dem Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen.“174 In einem anderen Alternativvorschlag von Anson heißt es: „Niemand darf in seiner Kommunikation seiner Gedanken, sei sie verbal oder schriftlich, gestört werden, solange diese Freiheit nicht das Recht anderer beeinträchtigt.“ 175 Rabaut Saint-Etienne lobt beide Alternativvorschläge, insofern der Artikel 19 des Vorlagetextes viel zu vage ausfalle und den Wunsch der vielen cahiers nach Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses unberücksichtigt lasse.176 Dagegen fordert Barrère de Vieuzac die Abgeordneten auf, die Rechteerklärung nicht mit unnötigen Überlegungen zu überlasten. Damit bezieht er sich vor allem auf den Beitrag von Target, der noch einmal den Missbrauch der Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und in der Beeinträchtigung der Freiheit anderer betont.177 Ohne Pressefreiheit gäbe es keine öffentliche Freiheit. Ausschließlich die Rücksichtnahme auf die Rechte anderer lasse eine Begrenzung zu. Barrères Vorschlag lautet: „Jeder Mensch hat das Recht, seine Gedanken zu kommunizieren und zu publizieren; die Freiheit der Presse, die für die öffentliche Freiheit unerlässlich ist, darf nicht beeinträchtigt werden, es sei denn bei Missbrauch dieser Freiheit in den vom Gesetz bestimmten Fällen.“178 Die weitere Debatte konzentriert sich auf zwei Punkte: zum einen auf die ausdrückliche Erwähnung der Pressefreiheit, zum anderen auf die Einschränkung dieser Freiheit durch das Gesetz bzw. die Freiheitsrechte der anderen. Robespierre lehnt alle Regelungen zur Einschränkung der Pressefreiheit mit der Begründung ab, dass diese Sache der Verfassung seien.179 Für ihn gelte, dass die Freiheit der Presse untrennbar verbunden sei mit dem Recht auf freie Kommunikation der Gedanken.180 Diese Rechte zuzugestehen und im gleichen Au172

AP, 8, S. 482. Rochefoucauld, 24. August 1789, AP, 8, S. 482. 174 Ebd. 175 Anson, 24. August 1789, AP, 8, S. 482. 176 Rabaut Saint-Etienne, 24. August 1789, AP, 8, S. 482. 177 Barrère, 24. August 1789, AP, 8, S. 482. 178 Ebd. 179 Robespierre, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. 180 Sein Vorschlag lautet: „La libre communication des pensées, soit par parole, soit par écrit, soit par la voie de l’impression, étant un des droits imprescriptibles de l’homme, et d’ailleurs le plus fort rempart contre les entreprises du despotisme, ne 173

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genblick durch einen Nachsatz wieder einzuschränken, erinnere an die Zeiten des Despotismus, denn nur dieser bringe Restriktionen hervor. Nur ein Tyrann könne einen solchen modifizierten Artikel unterzeichnen.181 Dagegen unterbreitet Thibault, ein katholischer Pfarrer, mit Verweis auf sein cahier den einschränkenden Zusatz: „unter Berücksichtigung der Sitten, der Religion und des Staatswohls. Der Buchhandel unterliegt weiterhin der Zensur“182. Einschränkend ist auch der Vorschlag von Machault, Bischof von Amiens: „Jeder Bürger ist frei zu reden, zu schreiben und zu drucken, solange er nicht die Ehre, die Sitten, die Religion oder die öffentliche Ruhe stört.“183 Desmontiers de Mérinville, Bischof von Dijon, unterbreitet daraufhin den wieder weitergefaßten Vorschlag: „Die freie Kommunikation der Gedanken und Meinungen ist ein Recht des Menschen; sie darf nur in den Fällen eingeschränkt werden, in denen sie die Rechte des anderen beschränkt.“184 Weitere Formulierungsvorschläge (Mirabeau, Dupont, Pétion) beziehen sich wieder stärker auf den Vorschlag von La Rochefoucauld.185 Mit Mehrheit wird schließlich der Art. 19 des Vorlagetextes verworfen. An dessen Stelle wird der Vorschlag von La Rochefoucauld als Artikel 11 der Rechteerklärung gewählt, wobei auf Bouchés Antrag die Formulierungen „kostbarsten Rechte für den Menschen“ (à l’homme) durch „kostbarsten Rechte des Menschen“ (de l’homme) und „durch das Gesetz vorgesehenen Fällen“ (prévus) durch den Alternativvorschlag „durch das Gesetz bestimmten Fällen“ (déterminés) ersetzt werden.186 Er lautet: „Die freie Kommunikation der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen. Jeder Bürger kann folglich frei reden, schreiben und drucken, unter dem Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen“. Damit findet die ausdrückliche Erwähnung der Pressefreiheit keinen Niederschlag in der Rechteerklärung, was für viele Abgeordnete einen herben Rückschlag bedeutet. Auch Targets Antrag,187 die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses in der Rechteerklärung zu verankern, wird nicht angenommen. Damit setzen sich auch bei der Diskussion um die Pressefreiheit jene gemäßigten saurait être restreinte“. Zitiert nach: Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 204. 181 Robespierre, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. 182 Thibault, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. 183 Machault, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. 184 Desmontiers de Mérinville, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. 185 AP, 8, S. 483. 186 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 205. 187 Target, 24. August 1789, AP, 8, S. 483.

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Kräfte durch, die die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft höher bewerten, als die individuellen Freiheiten des Einzelnen. Die Menschen, so deren Begründung, leben nicht als Einzelne, sondern sind an eine bestimmte Gemeinschaft gebunden, welche bestimmte Einschränkungen, Vorsichtsmaßnahmen und Ausnahmen von der individuellen Freiheit verlangt. Sprechen sich die Anhänger der individuellen Freiheitsrechte klar für den freien Austausch der Meinungen und gegen jede Reglementierung aus, die ihrer Meinung immer auch zur Inquisition werden kann, so setzen sich die Anhänger des Pflichtgedankens schließlich mit der Begründung durch, dass es erlaubt sein müsse, die Gesellschaft schädigende Ansichten zu verbieten. Die Sicherheit und Sittlichkeit der Gemeinschaft stehen für sie an erster Stelle; individuelle Freiheiten sind ihr nachzuordnen. 6.2.6 Der Schutz der Freiheiten In vielen der zahlreichen Entwürfe zu einer Rechteerklärung, die den Abgeordneten vorliegen, findet sich die Auffassung, dass die Freiheiten der Bürger nur dann zu verteidigen sind, wenn es eine staatliche Macht gibt, die diese schützt und garantiert. Im Anschluss an die Debatte um die Pressefreiheit kommt es deshalb zur Verlesung des Artikels 20 des Vorlagetextes: „Die Garantie der Menschen- und Bürgerrechte erfordert eine öffentliche Macht. Diese Macht ist also zum Vorteil aller eingesetzt und nicht für den besonderen Nutzen derer, denen sie anvertraut ist.“188 Diese Formulierung bezeichnet Marquis de Gouy d’Arcy, Abgeordneter aus Saint-Dominique, als „diffus, lang und unverständlich“ (diffus, long et inintelligible).189 Er unterbreitet an Stelle des Artikels 20 des Vorlagetextes folgenden Alternativvorschlag: „Aus der Notwendigkeit, Steuern zu erheben, die zum Unterhalt einer öffentlichen, die Rechte der Bürger garantierenden Macht hinreichen, folgt das Recht, der Besteuerung zuzustimmen, ihre Notwendigkeit zu konstatieren, ihre Häufigkeit, ihren Umfang und ihre Dauer festzulegen und schließlich von jedem Staatsbediensteten darüber Rechenschaft verlangen zu können.“190 Damit wird das Budgetrecht, das traditionell immer in den Händen der Nation lag, eindeutig der Exekutive zugeschrieben und damit dem Verfügungsrecht der Nation entzogen. Malouet, Robespierre und auch Bouche setzen sich deshalb für die Artikel 12, 27, 30 und 31 aus Sieyès erstem Entwurf ein: „Die Ordnung im Innern muss so eingerichtet und durch eine innere gesetzliche Macht so gewährleistet sein, dass es niemals notwendig wird, auf die gefährliche Unterstützung der 188 189 190

AP, 8, S. 483. D’Arcy, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. Ebd.

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militärischen Gewalt zurückzugreifen [. . .]. Keiner muss andere Steuern zahlen als solche, die die Repräsentanten der Nation frei beschlossen haben [. . .]. Ein öffentliches Amt kann niemals Eigentum dessen werden, der es ausübt; seine Ausübung ist kein Recht, sondern eine Pflicht [. . .]. In allen Bereichen der öffentlichen Gewalt sind die Beamten für ihre Pflichtverletzung und für ihr Verhalten verantwortlich. Nur der König muss von dieser Bestimmung ausgenommen werden. Seine Person ist stets heilig und unverletzlich.“191 Für die Abgeordneten hat Sieyès Entwurf viele Vorteile. Zum einen verbleibt das Budgetrecht in den Händen der Nation. Alle öffentlichen Ämter werden als Berufungsoder Wahlstellen betrachtet und nicht, wie im Ancien Régime, als Eigentum des Inhabers. Sie können damit auch nicht finanziell erworben oder vererbt werden. Alle Stelleninhaber sind rechenschaftspflichtig und können rechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Damit fordert Sieyès indirekt die Ausarbeitung eines Verwaltungsrechts. Nur der König ist formal von diesen Bestimmungen ausgenommen, solange sein Status desjenigen ist, der über dem Gesetz steht. Es folgen weitere Formulierungsvorschläge für Artikel 12 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung, darunter die von Broglie192, Target193, Marguerittes194 und Laborde de Méréville195. Ihnen allen gemeinsam ist die Formulierung einer Steuerpflicht jedes Bürgers, an deren Gestalt er selbst oder seine Vertreter mitzuwirken berechtigt sind. Nachdem sich derart der Schwerpunkt der Debatte verschoben hat, greift Le Chapelier ein und kritisiert seine Vorredner mit dem Hinweis, dass sie sich über den Gegenstand des Artikels 20 des Vorlagetextes offenbar nicht bewusst seien. So gehe es zunächst ausschließlich um die Gefahr des Missbrauchs der öffentlichen Macht.196 Boisgelin de Crucé, Erzbischof von Aix, schließt sich diesem Einwand an, indem er betont, dass es nunmehr darum gehe, das Recht der Bürger, gleichen Einfluss bei der Errichtung und Unterhaltung der öffentlichen Macht zu haben, zu formulieren. Alle Bürger müssten die gleichen politischen Rechte haben. Sie dürften sich darin genauso wenig wie in ihren natürlichen Rechten unterscheiden.197 Madier de Montjan und Lally-Tollendal von Seiten der Monarchisten drängen daraufhin darauf, Artikel 20 des Vorlagetextes in seiner Form zu belassen und alle weiteren Fragen, in den folgenden Artikeln zu klären.198 Die Versammlung 191 192 193 194 195 196 197 198

AP, 8, S. 483–484. Broglie, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. Target, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. Marguerittes, 24. August 1789, AP, 8, S. 483. Laborde de Méréville, 24. August 1789, AP, 8, S. 484. Le Chapelier, 24. August 1789, AP, 8, S. 484. Boisgelin de Crucé, 24. August 1789, AP, 8, S. 484. AP, 8, S. 484.

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billigt den Artikel danach mit großer Mehrheit.199 Der Artikel 12 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung lautet demzufolge: „Die Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte erfordert eine öffentliche Macht. Diese Macht ist also zum Vorteil aller eingesetzt und nicht für den besonderen Nutzen derer, denen sie anvertraut ist.“200 Auch Artikel 21 des Vorlagetextes,201 der daraufhin verlesen wird, findet nach kurzer Debatte mit leichten Modifikationen eine Mehrheit. Er lautet: „Für den Unterhalt der öffentlichen Macht und für die Kosten der Verwaltung ist eine gemeinsame Abgabe unumgänglich. Sie muss gleichmäßig auf alle Bürger unter Berücksichtigung ihres Vermögens verteilt werden.“202 Am 26. August kommt es zur Verlesung des Artikels 22 des Vorlagetextes: „Die öffentlichen Abgaben bestehen aus dem Abzug eines Teils des Eigentums jedes Bürgers. Er hat das Recht, ihre Notwendigkeit festzustellen, ihnen freiwillig zuzustimmen, ihre Verwendung zu überprüfen und ihre Höhe, Veranlagung, Einziehung und Dauer zu bestimmen.“203 Duport drängt darauf, den Zusatz „durch ihn selbst oder seine Repräsentanten“ (par lui-même ou par ses représentants) einzufügen.204 Der Antrag findet allgemeine Zustimmung. Ein zweites Gesuch von Périsse-du-Luc, Abgeordneter des Dritten Standes aus Lyon, bezieht sich auf die Streichung des ersten Halbsatzes von Artikel 22, da die Begriffsbestimmung, so Périsse-du-Luc, Missverständnisse hervorrufen könne.205 Die Steuer sei eine Schuld oder Erstattung, ein Vorschuss oder Austausch von Diensten für den Schutz des Einzelnen durch die Gesellschaft. Wer diesen Dienst nicht bezahle, begehe Diebstahl an der Gesellschaft. Sein Formulierungsvorschlag lautet daher: „Die Steuern zur Begleichung der öffentlichen Ausgaben sind eine Schuld jedes Bürgers; alle haben das Recht, sie persönlich oder durch ihre Repräsentanten zu bewilligen, zu bestimmen und festzulegen.“206 Villeneuve-Bargemont, Domherr von Saint-Victor und Abgeordneter der Geistlichkeit der Sénéchaussée von Marseille, und Robespierre heben daraufhin die Souveränität des Volkes in Fragen der Steuergesetzgebung hervor.207 Robespierre bemängelt dabei insbesondere an seinen Vorrednern, dass sie das Steuerbewilligungsrecht zu einem bloßen Vetorecht des Volkes gemacht hätten. Sein 199

Ebd. Ebd. 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Ebd., S. 487. 204 Duport, 26. August 1789, AP, 8, S. 487. 205 Périsse-du-Luc, 26. August 1789, AP, 8, S. 487. 206 Ebd.; Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 208. 207 Robespierre, 26. August 1789, AP, 8, S. 487. 200

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Vorschlag lautet: „Jede öffentliche Abgabe besteht aus einem Teil der Vermögen der Bürger. Sie wird erhoben, um die öffentliche Sicherheit zu finanzieren. Einzig die Nation hat das Recht, die Steuer, ihre Verwendung und Dauer festzulegen.“208 Lachèse argumentiert dagegen, dass die Rechte des Volkes nicht in die Rechteerklärung, sondern in die Verfassung gehörten.209 Nach weiteren Rednern stellt Le Roux, Alterspräsident der Versammlung, den Antrag, den Begriff „Steuer“ (impôt) anstatt „öffentliche Abgabe“ (contribution publique) im Artikel 22 des Vorlagetextes einzuführen, der jedoch abgelehnt wird.210 Das Plenum nimmt daraufhin fast einstimmig den Artikel 22 in der folgenden gekürzten Fassung an: „Alle Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Vertreter die Notwendigkeit der öffentlichen Abgaben festzustellen, sie frei zu bewilligen, ihre Verwendung zu überprüfen und ihre Höhe, Veranlagung, Erhebung und Dauer zu bestimmen.“211 Artikel 23 und 24 des Vorlagetextes werden gemeinsam verlesen: „Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen Amtsträger Rechenschaft über seine Amtsführung zu fordern.“212 Und: „Jede Gesellschaft, in der die Verbürgung der Rechte nicht sichergestellt und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine wahrhafte Verfassung.“213 Lameth, wie später auch Rewbell214, kritisiert an den Artikeln, dass sie der Gewaltenteilung zu wenig Aufmerksamkeit schenken.215 Ohne sie könne es aber keine echte Freiheit geben. Despotismus sei nichts anderes als die Konzentration aller Gewalten in einer Hand. Sein Vorschlag lautet: „Kein Volk kann sich seiner Freiheit erfreuen, wenn die öffentlichen Gewalten nicht unterschieden und getrennt und die Vertreter der Exekutive gegenüber ihrer Administration nicht verantwortlich sind.“216 Einen anderen Akzent erhält die Frage der Verantwortlichkeit der Staatsdiener durch Duport. In seinem Formulierungsvorschlag hebt er vor allem die Rechenschaftspflicht der gewählten Beamten gegenüber der Wählerschaft hervor: „Jeder Vertreter der Exekutive ist verantwortlich für seine Amtsführung, und die Nation hat das Recht, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.“217

208

Ebd. Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 209. 210 Ebd. 211 AP, 8, S. 487. 212 Ebd. 213 Ebd. 214 Rewbell, 26. August 1789, AP, 8, S. 488. 215 Lameth, 26. August 1789, AP, 8, S. 488. 216 Rewbell, 26. August 1789, AP, 8, S. 488. 217 Duport, 26. August 1789, AP, 8, S. 488. 209

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Gegner der Gewaltenteilung, wie die Royalisten Lachèse, André Boniface Louis de Riquetti und auch Redon, sprechen sich dagegen für ein Veto des Königs bei der Gesetzgebung und damit gegen eine klare Trennung von Legislative und Exekutive aus.218 Gegenüber dieser Position setzen sich Comte Mathieu de Montmorency, Anhänger der Monarchisten, und Target noch einmal für eine klare Trennung der Gewalten ein. Ohne Gewaltenteilung, so Montmorency, gebe es keine Sicherheit für Eigentum, Freiheit und Leben.219 Target unterbreitet daraufhin den Formulierungsvorschlag: „Die Rechte des Menschen sind solange nicht gesichert, wie die öffentlichen Gewalten nicht deutlich und vernünftig getrennt sind.“220 Auch André, Clermont-Lodève und Mounier sprechen sich für die Gewaltenteilung und Beamtenverantwortlichkeit aus.221 Mouniers Vorschlag lautet: „Die politische Freiheit setzt die Gewaltenteilung und die Verantwortlichkeit der Vertreter der Exekutive für ihre Amtsführung voraus.“222 Bei der Abstimmung wird der Artikel 23 des Vorlagetextes schließlich einstimmig angenommen. Artikel 15 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung lautet insofern: „Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen Amtsträger Rechenschaft über seine Amtsführung zu fordern.“223 Lameth verweist noch einmal darauf, dass der dort erwähnte Begriff des „Amtsträgers“ (agent) auch auf den König Anwendung finden kann,224 der damit seine über dem Gesetz stehende Position, wie sie etwa auch Sieyès verteidigt, verliert. Es kommt jedoch zu keiner Neuaufnahme der Diskussion. Artikel 24, zu dem noch weitere Wortmeldungen und Änderungsvorschläge225 angenommen werden, wird schließlich unter Streichung von „véritable“ (Bouche) und weiteren sprachlichen Änderungen angenommen. Seine endgültige Fassung lautet: „Jede Gesellschaft, in der die Verbürgung der Rechte nicht sichergestellt und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung.“226 Mit der Diskussion des Artikels 24 ist die Vorlage erschöpft. Durch die Beschlussfassung der Artikel 12–16 fixieren die Abgeordneten der Assemblée noch einmal den politischen Auftrag, zu dem sie sich bereits am 218 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 210. 219 Montmorency, 26. August 1789, AP, 8, S. 488–489. 220 Target, 27. August 1789, AP, 8, S. 488. 221 AP, 8, S. 489. 222 Mounier, 27. August 1789, AP, 8, S. 489. 223 AP, 8, S. 487. 224 AP, 8, S. 489. 225 AP, 8, S. 489; Colbert de Seignelay, 27. August 1789, AP, 8, S. 489. 226 AP, 8, S. 489.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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20. Juni (Ballhausschwur) und 9. Juli mit ihrer Selbsternennung zur Assemblée Nationale bekannt haben: die Schaffung einer Verfassung, die Durchsetzung der Gewaltenteilung, die Einführung der Beamtenverantwortlichkeit, die Abschaffung des Ämterbesitzes und -verkaufs sowie die Schaffung einer einheitlichen Steuerpflicht für alle Bürger. Die Stellung des Königs als Teil der Legislative wird damit einmal mehr in Frage gestellt. Zudem wird seine Rolle als Oberhaupt der Exekutive stark beschränkt, insofern er in dieser Rolle nur mit einem Amt betraut und gegenüber den Vertretern des Volkes rechenschaftspflichtig ist. 6.2.7 Ergänzungsanträge In der sich nun anbahnenden Diskussion werden weitere ergänzende Anträge gestellt. So schlägt Montmorency vor, das Recht des Volkes zur Verfassungsrevision zu deklarieren und die Modalitäten im Voraus festzulegen.227 In Anlehnung an den Entwurf von La Fayette formuliert Montmorency seinen Antrag wie folgt: „Aufgrund des Missbrauchs und der Interessen der nachfolgenden Generationen ist eine regelmäßige Erneuerung aller menschlichen Einrichtungen notwendig. Ein Volk hat jederzeit das Recht, seine Verfassung neu zu gestalten. Es ist wichtig, die friedlichen und konstitutionellen Mittel festzulegen, um dieses Recht auszuüben.“228 Bergasse, Jessé, Foucauld-l’Ardmalie, Madier de Montjan und weitere Abgeordnete sprechen sich gegen diesen Artikel aus und verweisen darauf, dass dieses Recht in der Verfassung verankert werden müsse.229 Das Plenum beschließt, trotz der Einwände von Démeunier, Rabaut Saint-Etienne und Mirabeau, über diesen Antrag nicht weiter zu beraten.230 Duport beantragt daraufhin, noch folgenden Zusatzartikel in die Menschenrechtserklärung aufzunehmen: „Das Eigentum ist ein unverletzliches und geheiligtes Recht, es kann niemandem entzogen werden, es sei denn, dass dies die gesetzlich konstatierte, öffentliche Notwendigkeit augenscheinlich erfordert und dass eine gerechte und vorherige Entschädigung geleistet wird.“231 Nach anhaltendem Wortwechsel über die Frage der Notwendigkeit der Aufnahme dieses Artikels in die Menschenrechtserklärung, setzt sich André Boniface Louis de Riquetti dafür ein, „vorherig“ (préalable) zu streichen. Denn, so seine Begründung, in dringenden Notfällen, etwa der Zerstörung eines Dorfes in Kriegszeiten, sei es unmöglich, die Betroffenen zuvor zu entschädigen.232 Custine macht 227

Montmorency, 27. August 1789, AP, 8, S. 489. Ebd. 229 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 212. 230 Ebd. 231 Duport, 27. August 1789, AP, 8, S. 489. 232 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 213. 228

202

6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

darauf aufmerksam, dass das Wort „gerecht“ (juste) der Regelung von Einzelsituationen nicht entgegen stehe und auch Ausnahmesituationen der Fixierung eines allgemeinen Grundsatzes nicht widersprächen.233 Daraufhin wird der Vorschlag Duports allgemein als 17. Artikel der Rechteerklärung gebilligt.234 Als der Präsident zu weiteren Ergänzungen der Rechteerklärung auffordert, beantragt Bouche folgenden Beschluss zu fassen: „Die Nationalversammlung, wissend, dass die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte noch nicht abgeschlossen ist, wendet sich umgehend der Verfassung unter der Bedingung zu, dass sie, falls sie auf noch zu ergänzende Artikel stößt, diese nach der Fertigstellung der Verfassung diskutiert und der Erklärung hinzufügt.“235 Einen ähnlichen Antrag unterbreitet auch Mougins de Roquefort, Priester und Abgeordneter der Geistlichkeit der Sénéchaussée von Draguignan, dessen Wortlaut in dieser Fassung überliefert ist: „Die Nationalversammlung erklärt, dass sie im Moment die Erklärung der Menschen- und Bürgerrecht auf 17 Artikel beschränkt, um ohne Verzögerung an die Ausarbeitung der Verfassung Frankreichs zu gehen und das öffentliche Wohlergehen zu sichern. Sie erklärt nach der Arbeit an der Verfassung jene Artikel zu ergänzen, die sie zur Vervollständigung der Rechteerklärung für notwendig erachtet.“236 Beide Anträge finden im Plenum hohe Zustimmung. Damit ist die Debatte um die Menschen- und Bürgerrechte am 27. August 1789 zunächst abgeschlossen.237 Am 15. September erhält der sich neu konstituierende Verfassungsausschuss (Thouret, Sieyès, Target, Talleyrand-Périgord, Démeunier, Rabaut Saint-Etienne, Le Chapelier und Lally-Tollendal) den Auftrag, die Artikel der Rechteerklärung (und Verfassung) sprachlich zu überprüfen. Am 2. Oktober unterbreitet daraufhin Démeunier den Vorschlag, Artikel 4 der Rechteerklärung umzuändern. Statt: „Die Freiheit besteht darin, alles zu tun, was anderen nicht schadet“238 soll es nunmehr heißen: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was anderen nicht schadet“239. Der Antrag wird angenommen. Weitere Änderungen finden nicht statt. Der schnelle Abschluss der Debatten verdeutlich einmal mehr: Die Abgeordneten der Assemblée Nationale sehen in der Rechteerklärung zunächst nur die Präambel ihrer Verfassung und nicht mehr. Dass viele von ihnen sie zudem als die fortschrittlichste und damit auch für andere Staaten Vorbildfunktion über233

Ebd. AP, 8, S. 489. 235 Bouche, 27. August 1789, AP, 8, S. 492. 236 Samwer, Sigmar-Jürgen: Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789/91, Hamburg 1970, S. 214. 237 AP, 8, S. 492. 238 Demeunier, 2. Oktober 1789, AP, 9, S. 334. 239 Ebd. 234

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

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nehmende Textgrundlage werten, widerspricht dieser Einsicht in keiner Weise. Denn dass die Rechteerklärung für die Abgeordneten einen durchgehend revolutionären Charakter trägt, liegt darin begründet, dass sie im Gegensatz zur amerikanischen Rechteerklärung einen zukünftigen politischen Zustand beschreibt, der erst geschaffen bzw. durchgesetzt werden muss. Insofern ist sie wie kein anderes Dokument dieser Zeit das Zeugnis nationaler Selbstbewusstwerdung und politischer Selbstbestimmung. 6.2.8 Die Überarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung Erst am 5. August 1791 legt schließlich der Verfassungs- und Revisionsausschuss (Target, Briois de Beaumez, Thouret, Du Port, Barnarve, Le Chapelier, Lameth, Talleyrand-Périgord, Démeunier, Rabaut Saint-Etienne, Sieyès, Pétion, Buzot und Clermont-Tonnerre) einen Gesamtentwurf von Rechteerklärung und Verfassung vor. Danach behält die Rechteerklärung ihre ursprüngliche, im September 1789 geschaffene Form. In seiner Erklärung erläutert Thouret diesen Beschluss: Die Ausschüsse hätten keine Änderungsvorschläge für notwendig erachtet. Ja, sie hätten sich sogar gegen Änderungen ausgesprochen, insofern die Erklärung in der Zwischenzeit einen geheiligten und religiösen Charakter angenommen habe. Vor diesem Hintergrund sei eine zweite Erklärung geradezu gefährlich, selbst wenn die Unterschiede nur redaktioneller Art wären. Denn das Volk wisse sonst nicht mehr, welches die wahren Menschenrechte sind. Eine Überarbeitung sei daher nur für die Verfassung angemessen. Hier sollten auch alle Ergänzungen zur Erklärung ihren Niederschlag finden.240 Roederer, der Thouret im Prinzip zustimmt, drängt gleichwohl auf eine sprachliche Verbesserung von Artikel 17. Dort müsse es „das Eigentum“ (la propriété) statt wie bisher „die Besitztümer“ (les propriétés) heißen, weil nur das Eigentum, aber nicht die Besitztümer ein Recht seien.241 Thouret schiebt die sprachliche Ungenauigkeit daraufhin auf einen Druckfehler.242 Roederer widerspricht ihm jedoch. In allen ihm bekannten Druckversionen trete dieser Fehler auf. Er fordert deshalb erneut, den Artikel zu überarbeiten.243 Nun ergreift der Präsident das Wort. Er stellt zu Diskussion, entweder dem Vorschlag Thourets, die déclaration in ihrer jetzigen Form zu belassen, Folge zu leisten, oder Dupont de Nemours das Wort zu erteilen, der ebenfalls einen Änderungsvorschlag vorbringen möchte.244

240 241 242 243 244

Thouret, 6. August 1791, AP, 29, S. 266 f. Roederer, 6. August 1791, AP, 29, S. 267. Thouret, 6. August 1791, AP, 29, S. 267. Roederer, 6. August 1791, AP, 29, S. 267. AP, 29, S. 267.

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6 Die Ausarbeitung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung

Dupont erhält schließlich das Wort. Er stellt in der erneuten Debatte um die Menschenrechtserklärung den Antrag, folgenden, im August 1789 nicht angenommenen Artikel dennoch zuzulassen: „Jeder Mensch hat das Recht auf Hilfe durch die anderen; auf kostenlose Hilfe, wenn er im Zustand der Krankheit oder Bedürftigkeit ist, auf gegenseitige Hilfe im Zustand der Demenz.“245 Damit nimmt er eine ursprünglich von Sieyès stammende Argumentation wieder auf. So hatte Sieyès behauptet, die in der Menschenrechtserklärung enthaltene Verpflichtung des Staates, die volle Entfaltung der natürlichen Rechte des Einzelnen zu garantieren, beinhalte eine soziale Gewährleistungspflicht der Gesellschaft für diejenigen ihrer Mitglieder, die nicht in der Lage sind, die Grundlagen ihrer Existenz aus eigenen Mitteln zu sichern. Die nun von Dupont empfohlene Regelung, den Staat zum Garanten der sozialen Ansprüche und Bedürfnisse der Bürger zu machen, stellt jedoch genau besehen keine einfache Reformulierung dar, sondern geht über die Vorlage von Sieyès in doppelter Hinsicht hinaus: Auf der einen Seite impliziert sein Vorschlag nicht weniger als die endgültige Auflösung der persönlichen Fürsorge- und Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie für das soziale Bindungsgeflecht des absolutistischen Feudalsystems kennzeichnend gewesen sind, um an deren Stelle ein entpersonalisiertes, auf den Staat bezogenes Konzept sozialer Verantwortlichkeit und gemeinschaftlich geübter Bürgersolidarität zu setzen. Auf der anderen Seite betont er jedoch stärker die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen, die gerade nicht außer Kraft gesetzt, sondern mit Hilfe staatlicher Organisationen vielmehr langfristig gesichert werden soll. Außerdem beantragt er, dass einige der Artikel eine klarere Fassung erhalten sollen. So schlägt er vor, dass es in Artikel 14 statt „frei zu bewilligen“ „über den öffentlichen Anteil abzustimmen“ heißen soll, weil man selbst über die öffentlichen Aus- und Abgaben entscheide. Die gesamte Erklärung solle in diesem Sinne überprüft werden.246 Auf den Antrag von André hin, der sich gegen das Gesuch von Dupont ausspricht und fordert, endlich darüber abzustimmen, ob die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in ihrer jetzigen Fassung belassen werden soll oder nicht,247 beschließt das Plenum in der abschließenden Abstimmung, die Rechteerklärung mit Ausnahme der redaktionellen Änderungen in Artikel 17 unverändert zu übernehmen.248 Damit findet das Prinzip der Wohlfahrtsstaatlichkeit, wie es Dupont eingeklagt hat, keinen Eingang in die Rechteerklärung.249 Auch wird deutlich, dass die Delegierten der Assemblée 1791 nicht mehr bereit sind, 245 246 247 248 249

Dupont, 6. August 1791, AP, 29, S. 267. Ebd., S. 268. André, 6. August 1791, AP, 29, S. 268. AP, 29, S. 268. Ebd., S. 268–269.

6.2 Die inhaltliche Ausgestaltung der Rechteerklärung

205

die Diskussion von 1789 noch einmal aufzunehmen und die Artikel auf ihre Stringenz hin zu überprüfen. Umsonst erinnert Dupont die Abgeordneten daran, sich bewusst zu machen, dass man 1789 die Diskussion um die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte mit dem Argument unterbrochen hat, endlich an die Ausarbeitung der Verfassung gehen zu können. Doch nach deren Abschluss, so Dupont, wollte man die Diskussion um die Menschenrechtsartikel wieder aufnehmen, die keineswegs als vollständig angesehen worden wären und es auch nicht sind.250 1791 schließen sich die Abgeordneten jedoch der Auffassung Andrés an, dass die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in den zwei Jahren ihres Bestehens einen mythischen Charakter angenommen habe. Jede Überarbeitung, und sei sie nur redaktionell, werde ihren Nimbus zerstören. Jedes Kind lerne die Artikel heute in der Schule. Sie bildeten nunmehr das, was sich die Abgeordneten von 1789 erhofft hätten: einen nationalen Kanon und die Wurzel eines nationalen politischen Selbstverständnisses, welches nicht wieder zerstört werden dürfe. Zwei Jahre nach ihrer Ausarbeitung wird die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte damit von ihren eigenen Vätern ihrem konkreten politischen Entstehungskontext entzogen und mystifiziert. Sie wird fortan nicht mehr als ein politisches und historisches Dokument betrachtet, sondern als allgemeingültige Erklärung der natürlichen Rechte des Menschen, deren Wahrung und Sicherung sich die französische Verfassung auferlegt hat. Sie wird damit zum neuen Gesellschaftsvertrag aller Franzosen erklärt und zu einem Dokument nationaler Souveränität gemacht.

250

Dupont, 6. August 1791, AP, 29, S. 268–269.

Schlussbetrachtung Ziel der Arbeit war es zu zeigen, dass das Prinzip der nationalen Souveränität das zentrale Motiv der politischen Revolution von 1789 ist. Und gleichzeitig sollte durch die Rekonstruktion der Debatten in der Assemblée Nationale deutlich werden, dass der Souveränitätsbegriff seine Eindeutigkeit, die er unter dem Ancien Régime und der absoluten Monarchie in Frankreich hatte, verlor und an seine Stelle ein vieldeutiger Begriff nationaler Souveränität trat. Rückblickend kann man in den Debatten von 1789 drei verschiedene Auffassungen nationaler Souveränität idealtypisch unterscheiden. Erstens die Auffassung von einem der Nation innewohnenden souveränen Willen, der sich jederzeit und unabhängig von allen institutionellen Arrangements äußert. Zweitens die Auffassung von einem nationalen Willen, der ausschließlich durch die gewählten Repräsentanten der Nation bestimmt werden kann. Und drittens die Auffassung vom souveränen Willen der Nation, der sich in der Verfassung manifestiert und auch nur mit verfassungsrechtlichen Mitteln neu bestimmt werden darf. Vor diesem Hintergrund soll es zum Abschluss dieser Arbeit darum gehen, den unauflösbaren Konflikt, den die Abgeordneten der Assemblée Nationale bei der Etablierung der neuen politischen Ordnung schließlich konstitutionell verankerten, prägnant zu beschreiben. Denn die konkurrierenden Auffassungen nationaler Souveränität, über die die Abgeordneten der Assemblée Nationale 1789 diskutierten, trugen nicht nur zur Delegitimierung monarchischer Herrschaft bei und machten damit den in der Arbeit beschriebenen politischen Wandel möglich. Sie hatten auch maßgeblich Anteil an der ideologischen Struktur jenes Konflikts, der 1792 zum Einsturz der 1789 neu geschaffenen politischen Machtverhältnisse führte. Drei Deutungsmuster nationaler Souveränität Das sich im Frühjahr und Sommer 1789 durchsetzende Verständnis nationaler Souveränität und seine theoretische Grundlegung lassen sich exemplarisch anhand von drei Schriften belegen, die alle aus der Feder von Sieyès stammen und in denen sich die ganze Widersprüchlichkeit des im Entstehen begriffenen Konzepts nationaler Souveränität entfaltet. Dass sie verschiedenen politischen Kontexten entstammen, soll dabei ausgeblendet werden. Paradigmatisch kommt das Verständnis eines in der Nation ruhenden politischen Willens in Sieyès’ Traktat Qu’est-ce que le Tiers État? zum Ausdruck.

Schlussbetrachtung

207

Die erste Umdeutung, die Sieyès in seiner Schrift vornimmt, betrifft den Begriff der Nation. Diese entspricht nach der vorherrschenden Vorstellung des 18. Jahrhunderts einer in Ständen geordneten politischen Hierarchie mit dem König an ihrer Spitze. Sieyès deutet die Nation im Gegensatz dazu als eine zu bestimmten sozialen und ökonomischen Zwecken organisierte Form der Gemeinschaft. Ihre Angehörigen werden nicht nur als frei und gleich, sondern auch als produktiv tätig vorgestellt. Dieser funktionale Ansatz macht die traditionelle Einteilung der Gesellschaft in verschiedene Stände entbehrlich. Privilegien jeder Art werden von Sieyès aufs schärfste verurteilt, insofern sie die Einheit der Nation als Gemeinschaft freier und gleicher Individuen gefährden. Auf diese Weise setzt Sieyès der alten Vorstellung einer in Stände gegliederten Gesellschaft das Konzept einer egalitären Gesellschaft der Staatsbürger entgegen, das die Gleichheit aller vor dem Gesetz fordert.1 Der von Seiten der Parlamentsaristokratie vorgetragenen historischen Beweisführung wird auf diese Weise eine konsequent naturrechtliche Begründung entgegengestellt. Demnach sind die Grundgesetze der Verfassung nicht als Produkte eines historischen Überlieferungsprozesses zu verstehen, sondern als Ausdruck des souveränen Willens der Nation. Wie das Volk bei Rousseau2 wird die Nation als gegenüber jedem staatlichen Zustand und damit auch gegenüber der Verfassungsordnung vorgängig begriffen. Die Konsequenzen dieses Verständnisses von Nation liegen auf der Hand: Wird die Geltung jeder positiven Rechtsund Herrschaftsordnung, wenn auch nur der Idee nach, auf die freiwillige Vereinbarung der im vorgesellschaftlichen Zustand mit unveräußerlichen natürlichen Rechten ausgestatteten Mitglieder der Nation zurückgeführt, so muss sie durch eben denselben vereinigten Willen, der sie ins Leben rief, auch wieder veränderbar sein. Kraft der natürlichen Rechte ihrer Angehörigen besitzt die Nation die Legitimation, jederzeit souverän über sich selbst zu bestimmen und handlungsmächtig in den historischen Prozess einzugreifen. Das meint nichts anderes, als dass sie sich jederzeit eine neue politische Ordnung geben und mithin die alte zerstören kann.3 Aber Sieyès geht noch weiter. So hat die Nation seiner Meinung nach nicht nur jederzeit das Recht, die existierenden Machtverhältnisse im Staat in Frage zu stellen, sondern sie kann nach der gleichen naturrechtlichen Überlegung ihren souveränen Willen auch niemals an einen Dritten delegieren. Damit greift Sieyès auch die höfische Legitimationsstrategie der Monarchie direkt an und entzieht ihr die auf Religion und Herkommen gestützte Basis.4 1

Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers État? s. l. 1789, S. 116–117. Rousseau, Jean-Jacques: Du Contrat Social ou principes du droit politique, Amsterdam 1772, S. 29 ff. 3 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers-Etat?, s. l. 1789, S. 80. 4 Ebd., S. 79 ff. 2

208

Schlussbetrachtung

Die politischen Konsequenzen aus Sieyès’ Konzeption der nationalen Souveränität sind im Kapitel über Legitimität ausführlich beschrieben worden. Souverän ist einzig und ausschließlich die Nation als Ganze. Ihr Wille ist frei und unabhängig von allen gesetzlichen Formen. Eine Regierung indes übt nur insofern wirkliche Gewalt aus, als sie verfassungsmäßig ist und das von der Nation gesetzte positive Recht befolgt. Diesem Recht ist auch der König verpflichtet. Sieyès’ Schrift ist jedoch alles andere als ein Plädoyer für Volkssouveränität im Sinne Rousseaus. Sie fordert nationale Selbstbestimmung, aber keine Demokratie. Für sich betrachtet lässt die Schrift mehr Fragen offen als sie klärt. In welcher Weise soll etwa die Nation die ihr zuerkannte Souveränität ausüben? Und wie konstituiert sich der nationale Wille? Wenn die Souveränität als der Nation direkt und unmittelbar eigen verstanden werden muss, wie ist dann die direkte und unmittelbare Ausübung eines einheitlichen souveränen Willens in einer Gesellschaft sicherzustellen, deren Größenordnung allein schon jede Form direkter Demokratie unmöglich macht? Tatsächlich weist die theoretische Anlage des Konzepts deutliche Analogien zum Souveränitätsbegriff der absoluten Monarchie auf. Die Nation als souveräne Macht im Staat ist eins und unteilbar. Allein ihr momentaner Wille ist Gesetz, weshalb sie sich jederzeit über das bestehende Recht hinwegsetzen kann, um neues zu schaffen. Es ist der der Nation innewohnende politische Wille, der ihre Souveränität verbürgt. Und in der Ausübung dieses Willens ist die Nation niemand anderem Rechenschaft schuldig als allein sich selbst. Nicht anders als im Fall des souveränen Monarchen stellt sich damit jedoch die Frage, wie der Gefahr der Willkür und des Despotismus begegnet werden kann. Wie kann sich der souveräne Wille der Nation äußern? Wer darf ihn auslegen? Und wer kann beanspruchen, den souveränen Willen der Nation zu vollstrecken? Sieyès vertritt im Laufe des Frühjahrs 1789, als es darum geht, die Legitimität der sich konstituierenden Assemblée Nationale zu begründen, die These, dass sich der nationale Wille nur in einer repräsentativen Versammlung angemessen bilden kann.5 Nur in einem solchen Rahmen ist es Sieyès zufolge möglich, durch die Diskussion zwischen den Abgeordneten der ganzen Nation einen Allgemeinwillen zu formulieren, der nicht den Einzelinteressen einer Vielzahl von Wahlkreisen oder den Sonderinteressen der Stände gehorcht.6 Denn der Allgemeinwille ist nicht als die Summe individueller Willen zu verstehen. Er ist vielmehr außerhalb von ihnen zu suchen. Er ist mit anderen Worten „repräsentativer Allgemeinwille“7.

5 Vgl. Instruction donnée par S. A. Monseigneur Le duc d’Orléans, à ses Représentants aux Bailliages. Suivie de Délibérations à prendre dans les Assemblées, s. l. 1789. 6 Ebd., S. 62–63. 7 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Qu’est-ce que le Tiers-Etat? s. l. s. d. [1789], S. 46.

Schlussbetrachtung

209

Entgegen den Argumenten aus Qu’est-ce que le Tiers-Ètat? bedeutet dies, dass der Allgemeinwille nicht als positiver, unabhängiger und allem vorausliegender Wille betrachtet werden darf, der sich mittels von Urwählerversammlungen ermitteln lässt. Stattdessen behauptet Sieyès nun, dass ein gemeinsamer Wille nur in der Nationalversammlung entstehen kann. Erst die einheitliche repräsentative Körperschaft verleiht der Nation als kollektiver Person eine Einheit. Der nationale Wille äußert sich also nur in der Rechtsform der Delegation an außerordentliche Stellvertreter, deren erarbeiteter Wille dann als Wille der Nation anzusehen ist. Die wesentliche Bedingung, die Sieyès an den Grundsatz der Repräsentation knüpft, besteht also darin, dass die Delegierten der Nation so handeln sollen, als ob sie die Nation selbst wären, insofern ihre Wahl ausdrücklich mit Rücksicht auf den von ihnen zu ermittelnden nationalen Willen erfolgt. Die unmittelbare Anteilnahme der Gesamtheit des Volkes an der Ausübung der souveränen Gewalt wird von Sieyès damit ausdrücklich auf den Akt der Wahl von Delegierten beschränkt. Damit erteilt Sieyès jeder Form von direkter Demokratie eine klare Absage. Der Allgemeinwille ruht nicht in der Nation, sondern er muss über die politischen Prozesse der Delegation und der gemeinsamen Beratung der Abgeordneten erst erarbeitet werden. Eine dritte Deutung nationaler Souveränität entwickelt Sieyès schließlich in seinem Preliminaire de la Constitution von 1789, als es darum geht, die Rechtskräftigkeit der Verfassung zu behaupten. Hier formuliert er, dass die Souveränität ausschließlich durch die Verfassung begründet wird.8 Als Nation gilt „das Ganze der verbundenen Glieder, die alle vom Gesetz, dem Werk ihres Willens, regiert werden und ihm unterworfen sind“9. Erst durch die Verfassung als Ausdruck des Allgemeinwillens konstituiert sich für Sieyès die Nation als politische Gemeinschaft, die gleichsam die nationale Souveränität legitimiert wie begründet. Dementsprechend bilden auch die Regierenden in seinen Augen nur eine von der Gesellschaft „geschaffene politische Körperschaft“, die durch die Verfassung definiert und begrenzt werden muss.10 Das heißt die Ausübung der Souveränitätsrechte der Nation ist selbst wiederum an die Verfassung gebunden. Mit dieser Auffassung grenzt sich Sieyès von Vattels Verfassungsbegriff ab, auf den er sich in seiner Schrift sonst stark bezieht. Emer de Vattel hatte 1758 die Verfassung als das fundamentale „Gesetzeswerk“ definiert, das all jene Formen bestimmt, in denen die öffentliche Autorität ausgeübt werden darf. Die Verfassung schafft demnach den Rahmen, in welchem die Nation als politischer

8 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution Françoise. Reconnaissance et Exposition raisonnée. Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 34. 9 Ebd. 10 Ebd., S. 34–35.

210

Schlussbetrachtung

Körper agiert.11 Die Nation erscheint bei Vattel dabei als naturrechtliche Größe, die allen staatlichen Strukturen vorausgeht.12 Der Vorrang der Nation als souveräne Macht bedeutet, dass nur sie eine Verfassung schaffen und erlassen darf.13 Damit entzieht Vattel die Verfassung jedem Eingriff, der nicht von der Nation selber ausgeht.14 Gleichzeitig leugnet Vattel im Sinne Montesquieus die Möglichkeit einer für alle Völker allgemeingültigen Verfassung.15 Auf diese Weise gesteht Vattel der Nation zu, sich entsprechend ihrer sozialen und politischen Rahmenbedingungen jederzeit eine neue Verfassung geben zu können. Indem Sieyès die Nation nunmehr an die Verfassung selbst bindet, insofern für ihn die Nation erst durch ihre Verfassung als souveräne Macht begründet und begrenzt wird, spricht er ihr im Gegensatz zu Vattel einen naturrechtlichen Status, den er ihr in seinem Traktat Qu’est ce-que le Tiers Etat? noch gegeben hatte, ab. Die Nation steht damit nicht mehr über der Verfassung, vielmehr ist die Verfassung Ausdruck der Formierung der Nation und ihres nationalen Willens. Die Nation kann sich nach Sieyès deshalb auch nicht mehr jederzeit eine neue Verfassung geben, sondern das Recht zur Verfassungsänderung muss durch die Verfassung selbst begründet und geregelt werden. Drei Deutungskämpfe nationaler Souveränität Diese drei Deutungen nationaler Souveränität, mit denen Sieyès auf jeweils unterschiedliche politische Situationen im Laufe des Jahres 1789 reagiert und die darum nicht als abstrakte Theorieentwürfe gelesen werden dürfen, finden, wie die einzelnen Kapitel der Arbeit gezeigt haben, in den Debatten der Assemblée Nationale in verschiedenen politischen Kontexten Verwendung. Vor allem anhand der Diskussion um das königliche Veto lässt sich exemplarisch zeigen, wie alle drei Deutungen nationaler Souveränität gleichzeitig von unterschiedlichen Seiten stark gemacht werden. So warnen sowohl die Monarchisten um Jean-Joseph Mounier und Trophimée-Gérard de Lally-Tollendal als auch die eher republikanisch orientierte Gruppe um Rabaut Saint-Etienne vor einer grundsätzlichen Dichotomie zwischen den Repräsentanten der Nation und dem Volk. Sie äußern damit die ihnen gemeinsame Skepsis gegenüber der Auffassung, dass die Entscheidungen der Repräsentanten der Nation dem in der Gesamtheit der Bürger verkörperten wahren Willen der Nation entsprechen. Beide Seiten fordern deshalb, dass die Verfassung für den Fall der Entfremdung der

11 Vattel, Emer de: Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, s. l. 1758; Paris 1863, 1,3, § 29, S. 157. 12 Ebd. 13 Ebd., § 31, S. 164. 14 Ebd. 15 Ebd., § 29, S. 158.

Schlussbetrachtung

211

Repräsentanten vom Willen der Nation durch die Verankerung des königlichen Vetos Vorsorge leisten soll. Dieser gemeinsamen Forderung liegt allerdings, wie im Kapitel über die Verfassung dargelegt, eine tiefgreifende theoretische Differenz zugrunde. Sehen Mounier und seine Mitstreiter im König einen Repräsentanten der Nation, dem sie das Recht zuschreiben, die Beschlüsse der Assemblée Nationale zurückzuweisen,16 so sehen die Abgeordneten um Rabaut Saint-Etienne im Vetorecht vor allem die Möglichkeit eines königlichen Appells an das Volk,17 dem damit die Möglichkeit gegeben werden soll, seinen wahren Willen zu bekunden. Während die Monarchisten um Mounier somit dem Repräsentationsgedanken verpflichtet sind, stellen Rabaut Saint-Etienne und seine Gefolgsleute diesen gerade in Frage. Sieyès kritisiert an dieser Debatte die Ansicht Rabaut Saint-Etiennes, es könne einen vom Willen der gewählten Repräsentanten unterschiedenen „eigentlichen“ Willen der Nation geben, den die in der Assemblée Nationale versammelten Vertreter bei der Ausübung ihrer legislativen Gewalt zu beachten hätten. Abermals betont er, dass der nationale Wille nichts anderes sein kann, als der Wille der Stellvertreter der Nation. Gleichwohl lehnt er die Vorstellung der Monarchisten ab, die im König ebenfalls einen Repräsentanten der Nation erblicken. Da der König kein gewählter Vertreter der Nation ist, kann er für Sieyès auch keine legislativen Aufgaben übernehmen. Gleichzeitig spricht sich Sieyès, wie die Monarchisten um Mounier, für die Ausarbeitung einer Verfassung aus, die die Legislative an feste Rechtsgrundsätze binden soll.18 Auch in der Debatte um die Aufhebung des imperativen Mandats tauchen alle drei Deutungen nationaler Souveränität wieder auf. So lehnt Barnave das imperative Mandat mit der Begründung ab, dass die Festlegung der Abgeordneten auf einen partikularen Willen ihrem Auftrag widerspricht, einen nationalen Willen auszuarbeiten.19 Talleyrand betrachtet dagegen das imperative Mandat als die einzige Möglichkeit, die Beziehung von Repräsentanten und Repräsentierten zu wahren, insofern das imperative Mandat eine rechtliche wie moralische Verpflichtung des einzelnen Abgeordneten gegenüber seinen Wählern beinhaltet.20 Dagegen wendet Sieyès ein, dass es den Wählern nicht zusteht, den Prozess der Willensbildung zu beschränken. Nicht die Wähler verkörpern den nationalen Willen, sondern es sind die Delegierten der Assemblée Nationale, die ihn erarbeiten und repräsentieren. Dem gegenüber behauptet Mounier, dass der nationale Wille vollkommen unabhängig vom Prozess der Wahl ist. Dabei 16

AP, 8, S. 504 ff., S. 555, S. 570. AP, 8, S. 571. 18 Sieyès, Emmanuel-Joseph: Préliminaire de la Constitution Française. Reconnaissance et Exposition raisonnée. Des Droits de l’Homme & du Citoyen, s. l. 1789, S. 34. 19 AP, 8, S. 146. 20 AP, 8, S. 207. 17

212

Schlussbetrachtung

unterscheidet er zwischen dem Prinzip der Souveränität und ihrer Ausübung. Die Souveränität ruht in der Nation, doch diese kann sie nicht selbst ausüben. Es ist der über institutionelle Arrangements vermittelte nationale Wille, dessen Bildung durch die Verfassung bestimmt wird, der für Mounier den politischen Entscheidungen einen legitimen Rückhalt verschafft. Damit ist die Bildung und Artikulation des nationalen Willens nicht mehr ausschließlich an die Delegierten der Nation geknüpft, sondern kann in einer konstitutionellen Monarchie, wie sie Mounier fordert, eben auch durch den König erfolgen.21 Einen eindeutigen Sieg in diesen Debatten um die Ausdeutung nationaler Souveränität kann 1789 keine der konkurrierenden Meinungen davontragen. Auch die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sowie die Verfassung geben, wie die entsprechenden Kapitel belegen, auf diese Frage keine eindeutige Antwort. So heißt es in Artikel 3 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte: „Jegliche Souveränität liegt im Prinzip und ihrem Wesen nach in der Nation. Keine Körperschaft, kein Individuum kann eine Autorität ausüben, die sich nicht ausdrücklich von ihr herleitet.“22 Damit wird, ganz im Sinne Rousseaus, ein der Nation immanenter politischer Wille formuliert. Dagegen heißt es jedoch in Artikel 6: „Das Gesetz ist Ausdruck des Allgemeinwillens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Schaffung mitzuwirken.“23 Auf der einen Seite wird damit die Möglichkeit der Repräsentation, die Rousseau ausdrücklich verworfen hatte, eigens hervorgehoben. Auf der anderen Seite lässt sich der erste Satz so verstehen, dass nur die Verfassung als direkter Ausdruck des Allgemeinwillens diesen auch sichern kann. Auch wenn Artikel 6 also bestätigt, dass jegliche Souveränität in der Nation angesiedelt ist, bedeutet er nicht notwendig, dass die Ausübung der Souveränität direkt von der Nation als solcher ausgehen muss. In dem von Mounier und den Monarchisten entwickelten Ansatz ist sie auch dann gewährleistet, wenn sie von einem Monarchen, der wiederum an die Verfassung gebunden ist, ausgeübt wird. Ähnlich mehrdeutig ist auch der Verfassungstext. So formuliert die Verfassung von 1791 das Prinzip der unveräußerlichen Souveränität des Allgemeinwillens: „Die Souveränität ist einheitlich, unteilbar, unveräußerlich und unverjährbar. Sie gehört der Nation. Kein Teil des Volkes und keine einzelne Person kann sich ihre Ausübung aneignen.“24 Gleichzeitig bekennt sie sich zur Repräsentationspraxis: „Die Nation, von der allein alle Gewalten ihren Ursprung haben, kann sie nur durch Übertragung ausüben. Die französische Verfassung ist

21 22 23 24

AP, 8, S. 560. AP, 8, S. 463. AP, 8, S. 465. Titre III, Article premier, AP, 29, S. 409 ff.

Schlussbetrachtung

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eine Repräsentativverfassung.“25 Zudem nennt die Verfassung den König als rechtmäßigen Vertreter der Nation, denn deren „Repräsentanten sind die gesetzgebende Körperschaft und der König [. . .]. Die gesetzgebende Gewalt ist einer Nationalversammlung übertragen, die aus Abgeordneten besteht, die durch das Volk frei und auf Zeit gewählt werden, um sie mit Billigung des Königs [. . .] auszuüben.“26 Damit führt sie das königliche Veto ein, das den Graben zwischen Volkssouveränität und Repräsentation schließen soll, indem es einen Appell an die Nation mit Entscheidungskraft erlaubt: „Die Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaft werden dem König vorgelegt, der ihnen seine Zustimmung verweigern kann. [. . .] Im Falle, dass der König seine Zustimmung verweigert, ist diese Verweigerung nur von aufschiebender Wirkung.“27 Auf diese Weise sind in den ersten drei Artikeln der Verfassung die drei konkurrierenden und sich ausschließenden Vorstellungen nationaler Souveränität fest verankert worden. Das 1789 ins Leben gerufene Staatsgebilde einer auf dem nationalen Souveränitätsprinzip beruhenden konstitutionellen Monarchie erweist sich deshalb nicht von ungefähr nach kürzester Zeit als instabil. Denn es zeigt sich, dass der in der Verfassung von 1791 festgelegte Grundsatz, demzufolge die Nation das Recht besitzt, ihre Verfassung zu ändern, der den Abgeordneten 1789 zur Rechtfertigung der Einsetzung einer neuen Verfassung diente, auch zu deren Aufhebung verwendet werden kann: Wenn eine Verfassung, allein aufgrund des souveränen Willens der Nation neu geschaffen werden kann, kann sie auch aufgrund desselben Prinzips wieder abgeschafft und durch eine andere ersetzt werden. Und wenn der Wille des Volkes die Annahme von Verfassungsprinzipien im Namen der Nation erzwingen kann, so kann die Nation auch ihre Revision oder ihre Abschaffung erwirken, nachdem sie angenommen wurden. Zwar legt die Verfassung von 1791 fest, dass das Revisionsrecht nur solche Artikel betreffen soll, „von denen die Erfahrung gezeigt hat, dass sie nachteilig sind“28. Auch soll eine solche Revision nur möglich sein, wenn sich drei aufeinander folgende gesetzgebende Versammlungen dafür aussprechen und die Mitglieder der vierten Legislaturperiode speziell für diese Aufgabe gewählt werden.29 Und schließlich erlaubt sie dem Monarchen nur für zwei Legislaturperioden sein Veto gegen die gesetzlichen Dekrete einzulegen.30 Doch so vorausgreifend diese Zusätze zur Verfassung auch sein mögen – die unauflösbaren, der Verfassung inhärenten Widersprüche zwischen den Prinzipien der nationalen 25 26 27 28 29 30

Titre III, Articles 2–3, AP, 29, S. 409 ff. Ebd. Section III, Articles 1–2, AP, 29, S. 409 ff. Titre VII, Article premier, AP, 29, S. 409 ff. Titre VII, Article 2, AP, 29, S. 409 ff. Section III, Articles 1–2, AP, 29, S. 409 ff.

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Schlussbetrachtung

Selbstbestimmung, der Repräsentation und des Konstitutionalismus können sie nicht auflösen. Dementsprechend birgt die Verfassung von 1791 einen Widerspruch, der, wie schon Keith Michael Baker31 gezeigt hat, letztendlich zu einer konstitutionellen Ausweglosigkeit führt. Gemäß den politischen Debatten und Umständen, denen sie entsprang, begründet die Verfassung, um die nationale Souveränität vor den Gefahren der Repräsentation zu wahren, ein Vetorecht des Königs gegen alle gesetzlichen Dekrete. Um die hart errungene Verfassung und den neu konstituierten Staat vor direkten Aktionen des Volkes zu schützen, wird die Unantastbarkeit der Verfassung für drei Legislaturperioden festgelegt. Doch weil man in der Verfassung nicht die Nationalversammlung, sondern die Gesamtheit der im Volk versammelten Bürger zu den Trägern des souveränen nationalen Willens erklärt, vermag man den Wortführern dieses Willens in dem Augenblick, als sie sich im Sommer 1792 gegen die Verfassung und die von ihr geschützten Institutionen wenden und für die Absetzung des Königs demonstrieren, nicht einmal in argumentativer Hinsicht etwas entgegenzusetzen. Der in der Verfassung verkörperte Anspruch auf Legalität vermag gegenüber dem im Prinzip der nationalen Souveränität manifestierten Anspruch auf Legitimität im Kampf um die politische Herrschaft nicht zu überzeugen. Im Zuge des Aufstands vom 10. August 1792 wird die Verfassung von 1791, mitsamt den in ihr verankerten restriktiven Dispositionen, die für den Fall einer Verfassungsänderung vorgesehen waren, kurzerhand außer Kraft gesetzt.32 Abermals beginnt der Kampft um die Ausdeutung nationaler Souveränität. In der Sitzung vom 25. Juli 1792 betrachtet Isnard die Möglichkeit einer Außerkraftsetzung der Verfassung als Illustration dafür, dass alle Völker der Erde noch nie ihre Souveränität delegieren konnten, ohne dass diejenigen, die sie dazu bestimmten, nicht versucht hätten, sie zu fesseln.33 Eine Nation, die sich jedoch den unveränderbaren Artikeln ihrer Verfassung unterwerfe, habe ihre Souveränität verloren.34 Chabot formuliert daraufhin den Anspruch der Revolutionäre, dass das französische Volk immer das unbestreitbare Recht haben wird, seine Verfassung zu ändern, sobald es dies wünsche.35 Dieser Überzeugung schließt sich auch Goujon an, der noch einmal betont, dass das souveräne Volk jederzeit das Recht habe, seine Verfassung zu ändern. Zwar hätten die Verfassungsväter es für nützlich erachtet, die Bedingungen einer Verfassungsänderung 31 Baker, Keith Michael: Verfassung, in: Furet, François/Ozouf, Mona (Hg.), Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution, Bd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 896–919. 32 AP, 74, S. 634 ff. 33 Isnard, 25. Juli 1792, AP, 74, S. 128. 34 AP, 74, S. 128–129. 35 Chabot, 25. Juli 1792, AP, 74, S. 128.

Schlussbetrachtung

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in die Verfassung mit aufzunehmen, doch wenn der erste Grundsatz ein unumstößliches Recht des Volkes sei, dann könnten die Bedingungen der Verfassungsänderung nur noch als ein politischer Ratschlag aufgefasst werden.36 Damit formuliert er eine Überzeugung, der sich die Mehrzahl der Abgeordneten im August 1792 anschließt: Die Verfassung selbst kann nicht mit verfassungsrechtlichen Mitteln geschützt werden. Sie muss vielmehr als gegenwärtiger Ausdruck des Allgemeinwillens betrachtet werden. Die Zerstörung der Verfassung von 1791 am 10. August 1792 ist die radikale Konsequenz dieses Gedankens, der besagt, dass die Gesetze der Republik Ausdruck des uneingeschränkten Willens der vereinigten Bürger sein müssen. Der spannungsvolle Widerspruch zwischen den Prinzipien der nationalen Selbstbestimmung, der rechtsstaatlichen Herrschaftsausübung und der Repräsentation wird damit 1792 zugunsten des ersten aufgelöst. Die Mehrdeutigkeit und interpretatorische Unbestimmtheit der Idee der souveränen Nation wird in diesem Prozess eindringlich vor Augen geführt.37 Zwei verschiedene Auffassungen des politischen Raumes Die drei konkurrierenden Modelle nationaler Souveränität, wie sie 1789 formuliert und verankert werden, gehorchen freilich den legitimatorischen Zwängen, denen sich die Abgeordneten nach der Einberufung der Generalstände und der anschließenden Gründung der Assemblée Nationale gegenübersehen. Sie folgen der Logik politischer Auseinandersetzungen, die sich erst in einer spezifischen politischen Situation entfalten. Zwei konträre politische Zielrichtungen lassen sich in diesen politischen Kämpfen exemplarisch unterscheiden. Für die Monarchisten geht es 1789 darum, eine nationale Repräsentation zu schaffen, die zusammen mit dem König die Geschicke des Landes lenkt. Mit anderen Worten, es geht um nichts Geringeres, als den Versuch, eine absolute Monarchie (mit ihrer permanenten Tendenz zum Despotismus) mit friedlichen Mitteln in eine konstitutionelle Monarchie zu überführen. Nach dieser Ansicht ist es der Auftrag der Generalstände, eine Verfassung zu erarbeiten, die das Verhältnis der Gewalten im Staat klar regelt. Für Sieyès hingegen ist der Monarch dem souveränen Willen der Nation untergeordnet. Die Radikalität dieses Ansatzes besteht demnach darin, dass die Frage der Staatsform als eine offene behandelt wird. Nach dieser Auf36

Goujon, 25. Juli 1792, AP, 74, S. 129. Die beständige Spannung zwischen direkter Demokratie, nationaler Repräsentation und Konstitutionalismus, die sich aus den unterschiedlichen Legitimationsmustern nationaler Souveränität ergibt und die Karl Loewenstein 1922 als den Nachlass der Französischen Revolution bezeichnet hat, den jede Generation für sich neu verhandeln muss, bestimmt bis heute unser Verständnis nationaler Souveränität. 37

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fassung ist in letzter Konsequenz jede Form der Monarchie, also auch eine konstitutionelle, abzulehnen, da der souveräne Wille der Nation unveräußerlich ist und folglich niemals dauerhaft übertragen werden kann. Diese verschiedenen politischen Konsequenzen ergeben sich aus den unterschiedlichen Konzeptionen von Nation, nationaler Willensbildung und politischem Handeln. Ist die Nation für die Monarchisten eine ständisch gegliederte politische Körperschaft, so ist sie für Sieyès eine zu bestimmten sozialen und ökonomischen Zwecken organisierte Form der Gemeinschaft. Dementsprechend verschieden sind auch die Vorstellungen nationaler Willensbildung. Während sich für die Monarchisten der souveräne Wille der Nation erst durch die Wahl der nationalen Vertreter und ihre gemeinsame Beratung in einer nationalen Versammlung bildet, wird der nationale Wille von Sieyès als gegenüber jedem staatlichen Zustand und damit auch gegenüber der Verfassungsordnung vorgängig gedacht, liegen seine Wurzeln doch in den sozialen und ökonomischen und gerade nicht in den politischen Zusammenhängen. Ist die Nation für die Monarchisten also prinzipiell eine politische Größe, die jeweils nur unter spezifischen historischen Rahmenbedingungen handeln kann, so ist sie für Sieyès ein jedem politischen Zustand vorgelagertes naturrechtliches Phänomen. Insofern hat sie nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar das Recht, die existierenden Machtverhältnisse im Staat jederzeit in Frage zu stellen – eine Vorstellung, die die Monarchisten in jeder Hinsicht verwerfen. Die Gegensätzlichkeit beider Anschauungen offenbart sich aber auch, sobald man nach den Möglichkeiten nationaler Willensbildung fragt. Für die Monarchisten, die die Nation niemals unabhängig von ihren spezifischen Formen der Repräsentation betrachten, gibt es außerhalb dieser Formen keine Möglichkeiten nationaler Willensbildung und -äußerung. Für Sieyès ist der Prozess nationaler Willensbildung und -äußerung hingegen unabhängig von staatlichen Strukturen. Insofern gibt es keine gesicherte Einheit von Repräsentanten und Repräsentierten: die Nation ist jederzeit in der Lage, sich gegen ihre Repräsentanten zu entscheiden. Was beide politischen Positionen also letztlich prinzipiell unterscheidet, ist ihr unterschiedliches Verständnis von politischem Handeln. Für die Monarchisten ist Politik die Kunst, verschiedene Interessen zu vermitteln, Traditionen zu schützen und dabei den Prozess gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung unterstützend zu lenken. Für Sieyès und seine Anhänger bedeutet Politik hingegen die Überführung der natürlichen Rechte des Einzelnen in positive Gesetze und deren Sicherung. Da für jeden Einzelnen prinzipiell und jederzeit die gleichen Rechte gelten, gibt es für sie keinen grundsätzlichen Interessengegensatz zwischen den Individuen, keine unlösbaren historisch und sozial bedingten Gruppenunterschiede, die einer Vermittlung bedürften, und auch keine Verantwortung des Staates hinsichtlich der sozialen Folgen gesellschaftlichen Han-

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delns. Der Staat muss lediglich dafür sorgen, dass die rechtliche Gleichheit aller Bürger gewahrt ist. In die Beschlüsse des Sommers 1789 fließen beide politischen Positionen ein. So setzt sich die Überzeugung durch, dass die natürlichen Rechte des Einzelnen das unhintergehbare Fundament jeder Gesellschaft bilden und insofern auch rechtlich geschützt werden müssen. Gleichwohl wendet sich ein Großteil der Abgeordneten gegen eine rein naturrechtliche Begründung des politischen Raumes, mit der Sieyès das Handeln der Assemblée Nationale zu legitimieren sucht. Deren Kritiker, unter ihnen vor allem Jean-Joseph Mounier, TrophiméeGérard de Lally-Tolendal, Pierre-Victor Malouet und Nicolas Bergasse, sehen in dem bewussten Verzicht auf den Versuch eines neuerlichen Anknüpfens an alte, in der Zeit des Absolutismus zwar unterdrückte und vergessene, aber historisch überlieferte und einstmals auch bewährte Traditionen nicht nur das größte Manko der politischen Reformen von 1789, sondern auch die bereits in ihrem Ursprung angelegte Ursache für das von ihnen erwartete Scheitern derselben. Für sie stellt jede Gesellschaft das Produkt einer über Generationen hinweg organisch gewachsenen Ordnung dar, die im Einvernehmen mit den überlieferten Traditionen sowie den mentalen und sittlichen Besonderheiten eines Volkes zwar weiterentwickelt und reformiert werden kann, die sich aber nicht allein nach abstrakten naturrechtlichen Prinzipien neu schaffen lässt. Die durch die Revolution proklamierte Gleichheit der Menschen erscheint vor diesem Hintergrund als eine fehlgeleitete Abstraktion mit verheerenden Konsequenzen, da sie alle durch die Tradition überkommenen und in der Praxis bewährten Formen der sozialen und sittlichen Integration in Frage stellt, ohne in der Lage zu sein, funktionale Äquivalente für die delegitimierten Bindekräfte bereitstellen zu können. Das von ihnen propagierte Bild der Gesellschaft, welche sich stets aus verschiedenen Gemeinschaften zusammensetzt, deren Interessen vermittelt werden müssen, belebt 1789 ein Verständnis von Politik, das unter der absolutistischen Herrschaft in Frankreich nahezu ausgelöscht worden war und das auch die Kreise um Sieyès nicht auszufüllen vermögen, insofern sie mehrheitlich dem Politikverständnis des Ancien Régime verhaftet bleiben, das sich an der Vorstellung eines gruppenübergreifenden Gemeinwohls orientiert und an der Fiktion eines einheitlichen und unteilbaren Willens festhält. Insofern kann man davon sprechen, dass nicht nur Sieyés und seine Anhänger mit ihrer Überzeugung, dass die neue soziale Ordnung in ihren Grundlagen den natürlichen Menschenrechten entsprechen und in ihrer Orientierung national sein müsse, sondern ebenso deren Kritiker das sich 1789 entfaltende moderne Politikverständnis vorangetrieben haben. Der Konservatismus erscheint unter diesem Blickwinkel nicht als eine Reaktion auf die Französische Revolution, sondern, was seinen argumentativen Gehalt anbelangt, bereits als eine Gegenbewegung zum französischen Absolutismus. Dies erklärt auch, warum 1789 so viele spätere vermeintlich Konservative, zu denen vor allem die Monarchisten von 1789

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Schlussbetrachtung

gezählt werden, die Revolution, die zu diesem Zeitpunkt noch keine totale war, unterstützten. Entscheidend für die Entstehung des neuen Politikverständnisses sind insofern nicht allein die Erklärungen und Dokumente von 1789, sondern die unter ihrer Wirkung möglichen neuen Formen politischer Praxis. Die politische Praxis von 1789, die vor allem an die neue Institution der Assemblée Nationale gekoppelt ist, setzte schließlich einen Prozess in Gang, in dessen Verlauf die ideengeschichtlichen, aber auch die sozialen und mentalen Grundlagen, die 1789 das Fundament der Assemblée Nationale bilden, radikal verändert wurden.

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– „La représentation populaire de la monarchie“, in: Baker, Keith Michael (Hg.), The French Revolution and the Creation of Modern Political Culture, Bd. 1: The Political Culture of the Old Regime, Oxford u. a. 1987, 77–86. – Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, Frankfurt am Main 1982 – La chute de la monarchie 1787–1792, Paris 2002. – Les métamorphoses de la fête en Provence, 1750–1820, Paris 1976. Vovelle, Michel/de Baecque, Antoine (Hg.): Recherches sur la Révolution française. Un bilan des travaux scientifiques du Bicentennaire, Paris 1991. Walzer, Michael (Hg.): Regicide and Revolution. Speeches at the Trial of Louis XVI, Cambridge/Mass. 1974. Wasserstorm, Jeffrey N./Hunt, Lynn Avery/Young, Marilyn Blatt: Human rights and revolutions, Lanham u. a. 2000. Yalom, Marilyn: Blood Sisters: The French Revolution in Women’s Memory, New York 1993. Zenz-Kaplan, Jochen: Das Naturrecht und die Idee des ewigen Friedens im 18. Jahrhundert, Bochum 1995.

Personenverzeichnis Aiguillon 66, 67 André 73, 140, 159, 172, 173, 184, 187, 188, 200, 201, 204, 232, 237 Barnarve 60, 133, 177, 203 Beaumez 203 Bergasse 55, 57, 193, 201, 217, 220 Biauzat 119, 189, 219 Bonnaire 76 Bonnal 186, 191 Bossuet 11, 12, 44, 45, 72, 73, 104, 220 Bouche 159, 188, 196, 200, 202 Brezé 57 Brienne 78 Brissot 43, 91–93, 95–99, 219–220 Buzot 180, 203 Cahiers 19, 40, 91, 122, 176 Camus 55, 177, 179, 187 Castellane 186, 188, 189, 192 Chamfort 134 Châtelet 183 Clermont-Lodève 188, 200 Clermont-Tonnerre 70, 107, 108, 166, 167, 192, 203, 221 Clermont-Tonnerres 108 Condillac 82 Condorcet 21, 39, 48, 74, 80, 81, 88–90, 96, 99, 133, 135–137, 157, 221–223, 241 d’Alembert 82 d’Arcy 196 Delandine 118, 140, 179, 183 Démeunier 112, 134, 163, 175, 180, 183, 184, 187, 201–203 Desmoulins 98 Diderot 24, 80, 82

Dillon 190, 191 Du Port 178, 179, 203 Dumont 100 Dupont de Nemours 68, 77, 99, 110, 134, 203, 223 Eymar 186, 188, 193 Fénelon 45, 46, 222 Galland 169, 170, 178, 192 Genet 77, 78 Gin 77, 78 Hobbes 11, 12, 46, 77, 110, 222, 237, 241 Isnard 214 Jacques-Benigne Bossuet 11 Juigné 189 La Fayette 39, 40, 169, 174, 201, 222 Lachèse 183, 189, 199, 200 Lally-Tollendal 62, 64, 69, 118, 122– 124, 141, 142, 168, 169, 180, 182, 197, 202, 210, 222 Lameth 63, 177, 184, 199, 200, 203 Lamoignon 18, 78 Lanjuinais 175, 179, 180 Le Bret 45, 46, 223 Le Chapelier 51, 197, 202, 203 Linguet 25, 26, 98, 220, 223 Ludwig XIV. 13, 17, 44, 45, 47, 230 Maillot 187 Malouet 40, 53, 59, 62, 65, 66, 118, 138, 140–142, 183, 184, 196, 217, 223 Marguerittes 171, 197 Martineau 177, 183, 184

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Personenverzeichnis

Méréville 170–172, 180, 197 Mirabeau 35, 52–54, 57, 58, 62, 70, 77, 91, 92, 95–97, 99, 134, 135, 139, 153, 158–160, 163, 164, 166–168, 172, 183, 184, 186–188, 192, 193, 195, 201, 224, 230, 238 Montesquieu 76, 82, 104, 105, 123, 152, 210, 224, 230, 231, 235 Moreau 77 Mounier 32–35, 48, 50, 54, 55, 61, 62, 68, 103, 105, 107–111, 114–116, 120, 122–127, 141, 146–150, 152, 157, 158, 162, 169, 170, 174–177, 179, 180, 183, 200, 210–212, 217, 220, 224, 229, 232 Noailles 66 Périsse-du-Luc 198 Pétion 63, 125, 130, 167, 175, 187, 195, 203 Quesney 77 Rabaut Saint-Étienne 53, 63, 232 Rewbell 167, 178, 180, 199

Rhédon 122, 152, 173, 174, 178 Riquetti 52, 91, 159, 172, 188, 200, 201 Rochefoucauld 63, 177, 194, 195 Roederer 87, 88, 203, 219, 225 Rousseau 74, 75, 82, 88, 111, 112, 121, 153, 176, 181, 207, 212, 226, 227, 235, 241 Roveray 100 Sieyès 35, 36, 128, 143, 144, 172, 183, 184, 206, 208 Talleyrand-Périgord 40, 41, 179, 188, 202, 203 Target 55, 66, 179, 181, 183, 194, 195, 197, 200, 202, 203, 226 Thouret 202, 203 Trosne 77, 78 Turgot 20, 74, 134 Vattel 111, 209, 210 Vieuzac 42, 65, 117, 160, 194, 220 Villeneuve-Bargemont 198 Virieu 159, 171, 178, 180, 190