Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses: Wie relativ ist eigentlich das Band zwischen Gläubiger und Schuldner? [1 ed.] 9783428467747, 9783428067749

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Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses: Wie relativ ist eigentlich das Band zwischen Gläubiger und Schuldner? [1 ed.]
 9783428467747, 9783428067749

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HORST -EBERHARD HENKE

Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 121

Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses Wie relativ ist eigentlich das Band zwischen Gläubiger und Schuldner?

Von Dr. Horst-Eberhard Henke Universitätsprofessor in Kiel

DUßcker & Humblot . Berliß

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Henke, Horst-Eberhard: Die sog. [sogenannte] Relativität des Schuldverhältnisses: wie relativ ist eigentlich das Band zwischen Gläubiger und Schuldner? / von Horst-Eberhard Henke. Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften 'zum Bürgerlichen Recht; Bd. 121) ISBN 3-428-06774-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-06774-6

Vorwort Die sog. "Relativität" des Schuldverhältnisses, ein Begriff, mit dem der Jurist die Grenzen dieser im Ausgangspunkt zwischenmenschlichen, in ihrer Verfeinerung aber vom Recht geprägten Beziehung zu bestimmen sucht, birgt auf den ersten Blick eine dogmatische Aussage in sich: Das Schuldverhältnis verbindet einen Berechtigten und einen Verpflichteten; Dritte, außerhalb dieses Bandes Stehende, berührt es nicht. Dringt man in die Lehre von der Relativität tiefer ein, so erschließt sie, was das "typisch juristische Denken" ausmacht: Wenn es die Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner aus dem Geflecht zwischenmenschlicher Bindungen herauslöst, in denen die beiden Partner stehen, so zeigt sich in dieser Isolierung die Stärke und Gebundenheit der rechtlichen Betrachtung: ihre Genauigkeit und Distanz. Wegen dieser Verbindung mit der Arbeitsweise des Juristen verwundert es nicht, daß das unverfänglich, ja unergiebig erscheinende Thema weit ausgreift und das ganze Schuld- mitsamt dem Zivilprozeßrecht auf die Probe stellt, daß seine Kühle aber auch das Empfinden des heutigen Juristen für sinnerfüllte Beziehungen zu stören vermag. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses - ein veralteter, weil heute sinnentleerter Begriff? Nein. Aber ein Begriff, mit dem der Jurist nicht mehr gedankenlos umzugehen vermag. Für ermutigende Anregungen und wertvolle Kritik danke ich meiner Assistentin Frau Ref. Frauke Wernecke, für das Schreiben des Textes meiner Sekretärin Frau Erika Mandau und für die großzügige Betreuung dieser Schrift im Druck und Verlag dem Hause Duncker & Humblot sowie seinem Leiter Herrn Rechtsanwalt Simon. Ich widme diese Schrift meinem Kollegen Karl Heinz Schwab zum 22. Februar 1990 in Dankbarkeit für die Zusammenarbeit in Erlangen. Kiel, im November 1989

Horst-Eberhard Henke

Inhaltsverzeichnis I. Vorbemerkung ...................................................................

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11. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses: Begriff und beispielhafte Verdeutlichung .......................................................................

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1. Begriffliche Bestimmung der "Relativität" ..................................

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2. Über die Wahl des richtigen Ausgangspunkts: Wie der Begriff der ,,Relativität" heute zu bilden ist ........................................................

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3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs der "Relativität" ................

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111. Wie sich die Relativität des Schuldverhältnisses im einzelnen auswirkt

24

1. Der nur "bestimmbare" Gläubiger: Eine ernsthafte oder trügerische Erweiterung des Schuldbandes? ......................................................

24

2. Die Relativität des Schuldverhältnisses auf der Seite der Verpflichtung...

28

a) Die Beschränkung der Gläubigerrechte auf den Vertragsschuldner kraft der isolierenden Betrachtungweise des Schuldrechts ...................

28

b) Die Erstreckung der Schuldnerpflichten kraft einer die Schuldverhältnisse verknüpfenden Betrachtungsweise ....................................

30

3. Die Relatitivät auf der Seite der Berechtigung ..............................

34

a) Alteri stipulari nemo potest - Niemand kann sich Leistungen zugunsten eines Dritten versprechen lassen: Welchen richtigen Kern enthält diese Aussage heute noch? .....................................................

34

b) Die Erstreckung der Gläubigerrechte durch Verknüpfung von Lebensund Rechtsverhältnissen ..................................................

34

4. "Exceptio ex iure tertii non datur: Die Einrede aus dem Rechtsverhältnis zu einem Dritten ist unzulässig" - Regel und Ausnahme .................

45

a) Die Regel .................................................................

45

b) Die Ausnahme ............................................................

49

c) Die Zulässigkeit der "Einrede aus fremden Recht" kraft der V~rknüpfung der Rechtsverhältnisse ....................................................

52

d) Die Zulässigkeit der ,,Exceptio ex iure tertii" kraft gesetzlicher Gestattung und kraft des Grundsatzes von "Treu und Glauben" ..............

53

e) ,,Exceptio ex iure tertii non datur": Wo liegt bei einer vernünftig-sachlichen Abwehr von Ansprüchen die Regel, wo die Ausnahme? .........

58

8

Inhaltsverzeichnis 5. Der Vertragsübergang im Miet-, Pacht- und Arbeitsrecht - eine erweiterte "exceptio ex iure tertii" .......................................................

59

6. Der Schutz des Schuldbandes gegen Eingriffe Dritter in begrifflicher und wertender Betrachtungsweise .................................................

64

a) Kann das Schuldverhältnis überhaupt von einem Außenstehenden "verletzt" werden? .............................................................

64

b) Der gezielte Angriff auf das Schuldverhältnis als "vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung" im Sinne des § 826 ...............................

67

c) Die vorsätzliche, sittenwidrige Handlungsweise des Außenstehenden und ihr Zusammenhang mit dem verletzten Schuldband ...............

70

IV. Die Relativität des Schuldverhältnisses: Herrschaft und Auflösung, Stärke und Schwäche des Trennungsdenkens ........................................

72

I. Die Zwei-Personen-Beziehung als Grundmuster des bürgerlichen Rechts und des Zivilprozesses ........................................................

72

2. Der Begriff der ,,Relativität" des Schuldverhältnisses ......................

76

a) Der Kern der Relativität: die persönliche Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner.............................................................

76

b) Die Erweiterungen der Relativität .......................................

77

c) Der Begriff der Relativität -

heute.....................................

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3. Die "industrielle Revolution", die "sozialen Bindungen" und die "gesteigerte Sensibilität zwischenmenschlicher Beziehungen": Welche Kräfte weiten das Schuldband? ...................................................................

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a) Von der Wertlosigkeit der "sozialen Motive" und anderer Schlagworte

81

b) Das empfindlicher gewordene Rechtsgefühl als Grund für die Erweiterungen des Schuldbandes .................................................

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4. Die Abkehr von der Relativität ...............................................

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V. Begrimiche Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wichtigstes Schrifttum ...............................................................

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I. Vorbemerkung Das Schuldverhältnis ist ein rechtlich geordnetes Lebensverhältnis, das zwei oder mehrere Personen - den oder die Gläubiger auf der einen und den oder die Schuldner auf der anderen Seite der Obligation - miteinander verbindet und so aus der großen Zahl anderer zwischenmenschlicher Beziehungen heraushebt. Der doppeldeutige Ausdruck des Schuld"verhältnisses" läßt eine isolierende und eine die einzelnen Bindungen zusammenfügende, synthetische Betrachtungsweise zu: Dementsprechend ist das Schuldverhältnis im engeren Sinn die auf eine Leistung des Verpflichteten an den Gläubiger gerichtete, im weiteren Sinn dagegen eine die Rechte, Pflichten und Befugnisse beider Seiten umfassende Beziehung. Die einzelne, juristisch-technische Beziehung wird in einer Art Momentaufnahme mit dem Blick auf die einverständliche Abwicklung oder die bei einem Gericht angebrachte Leistungsklage erfaßt. Aus dem Ganzen, dem sog. Inbegriff des Schuldverhältnisses, läßt sich andererseits der Sinn des jeweiligen Bandes erkennen, der bestimmt, wie die beiderseitigen Verbindlichkeiten zu erfüllen sind und welche Nebenpflichten sie ergänzen. Die isolierende und die ganzheitliche Betrachtungsweise entscheiden auch darüber, ob sich Schuldverhältnisse auf Personen erstrecken, die - technisch gesehen - außerhalb der Verbindung zwischen Gläubiger und Schuldner stehen. Die isolierende Auffassung wird einen solchen Einfluß im Prinzip verneinen, weil sog. Drittwirkungen mit den persönlichen Bindungen der Parteien und der Berechenbarkeit ihrer Pflichten schwer zu vereinbaren sind. Wer andererseits den Blick von den Förmlichkeiten des Vertragsabschlusses hinweg auf den wirtschaftlichen oder idealen Sinn der vereinbarten Leistungen richtet, wird ungeachtet der persönlichen Prägung vieler Schuldverhältnisse deren Ausdehnung, sei es auf der Schuldner-, sei es der Gläubigerseite, auf dritte Personen bejahen. Diese Erweiterung rechtfertigt sich aus einer zunächst lebensmäßigen, dann aber auch vom Recht anzuerkennenden Verknüpfung zwischenmenschlicher und rechtlicher Beziehungen. Ein solcher Zusammenhang zeigt sich sogar bei der Verletzung des Schuldverhältnisses durch außenstehende Personen: Zielt ein Dritter auf das Band, um den Gläubiger zu "treffen" - entzieht er ihm etwa den Leistungsgegenstand oder untergräbt die Loyalität des Schuldners - schaffen der Sinn und die Wirkung seines Angriffs die für eine Erstreckung von Pflichten nötige Verknüpfung.

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I. Vorbemerkung

Das Schuldband entfaltet seine Abwehrkraft gegen den hier "vorsätzlich und sittenwidrig" handelnden Schädiger; der Gläubiger hat das Recht, ihn für die Beeinträchtigung seiner Befugnisse schadensersatzpflichtig zu machen und ihm künftige Eingriffe zu verbieten. Die Relativität, in einer genaueren Ausdrucksweise den persönlichen Umfang des Schuldverhältnisses zu bestimmen, ist keine Sache der Spekulation. Geistige Gegebenheiten wie das Rechtsverhältnis, das eine Ordnung zwischen mehreren Menschen festlegt, entziehen sich der ungegenständlichen Betrachtungsweise. Auch die praktischen Aufgaben des Schuldrechts, die sich nur in einem Komprorniß zwischen den verschiedenen Auffassungen erfüllen lassen, machen ein konkreteres Vorgehen nötig: Es wird an Hand von Beispielen und einer Übersicht über die zulässigen Erweiterungen des Bandes zu ergründen suchen, in welchem Umfang die ,,Relativität" oder ,,zweipoligkeit" der Schuldverbindung heute noch gilt.

11. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses: Begriff und beispielhafte Verdeutlichung 1. Begriffliche Bestimmung der "Relativität" a) Die sog. Relativität, so definiere ich die Motive zum BGB und die einschlägige Literatur weiterdenkend I, ist eine dem Schuldverhältnis als einem Band zwischen mehreren Personen notwendig innewohnende Eigenschaft. Sie bringt dessen Ausrichtung auf einen übersehbaren 2 Kreis und die im Grundsatz persönliche, nicht nur gegenständliche Prägung des Bandes zum Ausdruck. Kraft seiner Relativität ist das Schuldverhältnis eine sich von anderen zwischenmenschlichen Beziehungen abhebende Sonderverbindung, die den Gläubiger und den Schuldner oder eine bestimmbare Zahl von Gläubigem und Schuldnern 3 einschließt, andere Personen von den im Schuldverhältnis festgelegten Rechten und Pflichten dagegen ausschließt. Kraft der Relativität des Bandes sind die aus fremden, unzusammenhängenden Rechtsverhältnissen hergeleiteten Einwendungen und Einreden, deren sich der Schuldner zur Abwehr von Ansprüchen des Gläubigers bedient, unbeachtlich 4 • Hinter der Relativität steht der Gedanke der Rechtssicherheit, das heißt der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit der vertraglich übernommenen oder gesetzlich auferlegten Pflichten 5. b) Die Vorstellung des Schuldverhältnisses als eines Bandes, in das Außenstehende nicht hineinzuregieren vermögen, das sie andererseits auch nicht in Pflicht nimmt, kommt, wenngleich mit unterschiedlicher Deutlichkeit, auch im römischen und französischen Recht zum Ausdruck.

I Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch (1899), Band 2, S. 2 (Motive); Palandt / Heinrichs, 48. Auf]. (1988), Einleitung 1 b vor § 241; Fikentscher, Schuldrecht, 7. Auf]. (1985), § 15, 1; Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Auf]. (1987), § 211. 2 Der Ausruf "Seid umschlungen Millionen" (Schiller, "An die Freude") schafft nach dem juristischen Maßstab der Bestimmtheit, mindestens der Bestimmbarkeit der verbundenen Personen, kein Schuldverhältnis. 3 Ehegatten als Miteigentümer eines Grundstücks vermieten eine Wohnung an ein Ehepaar. Die Vermieter sind, weil der Mietzins in eine gemeinsame Kasse gehört (§ 744 I), Gläubiger einer (rechtlich) unteilbaren Leistung (§ 432), die Mieter im Hinblick auf den Mietzins Gesamtschuldner im Sinne der §§ 421 und 427. 4 Zur sog. "exceptio ex iure tertii", der Verteidigung, gewonnen aus der Beziehung des Schuldners zu einem Dritten, unten S. 45 ff. 5 Des näheren unten, S. 14, 22 ff., 39 f., 72, 81.

II. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

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aa) Die Institutionen, ein mit Gesetzeskraft bekleidetes Lehrbuch des Justinianischen Rechtes, veröffentlicht als Teil der Justinianischen Kodifikation 6 , nennen das Schuldverhältnis in richtiger Erkenntnis seines Charakters ein "rechtliches Band": I. 3, 13 pr.:

"Obligatio est iuris vinculum quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura." "Die Verbindlichkeit ist ein rechtlich geordnetes Band, wodurch wir nach den Gesetzen unseres Staates zur Leistung einer bestimmten Sache (mit Notwendigkeit) verpflichtet werden." Die Tatsache, daß es Gläubiger und Schuldner umschließt, Dritten dagegen den Einfluß auf die Verbindung verwehrt, fallt an dieser Stelle zwar weniger ins Auge als die Strenge der Obligation: Hinter der Verpflichtung steht der Zwang (die "necessitas") der Gesetze 7. Die persönliche Auffassung des Bandes, kraft der das römische Recht fordert, daß ein bestimmter Schuldner an einen bestimmten Gläubiger leiste, läßt sich jedoch, den zitierten Satz unterstreichend, aus der Unzulässigkeit der Forderungsabtretung sowie dem Fehlen des Vertrags zugunsten Dritter und der Schuldübernahme erschließen 8. Das 19. Jahrhundert hat diese heute engherzig erscheinenden Beschränkungen, die sich aus dem harten Vollstreckungsrecht der römischen und der gemeinrechtlichen Zeit erklären 9 , überwunden. Die mit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts aufkommende Massenproduktion 10 mit ihrem erhöhten Kapitalbedarf, die ver6 Sohm / Mitteis / Wenger, Institutionen des römischen Rechts, 17. Aufl. (1928), § 21 II 1; Honsell / Mayer-Maly / Selb, Römisches Recht, 4. Aufl. (1987), § 23 III. 7 Ich verweise auf die Erläuterung durch Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt (1955), § 113 I und III. 8 Dazu Kaser, a. a. 0., § 115 III 5 und 163. 9 Der sog. Personalarrest, kraft dessen ein Schuldner bis zur Tilgung seiner Verbindlichkeit in Haft gehalten werden durfte, hielt sich in Deutschland bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts (Mittermaier, Die persönliche Haft als Vollstreckungsmittel im Civilprocesse, AcP Band 14, 1831, S. 110 ff, 124 ff; Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses, 3. Aufl., 1878, § 50, 2). Wechselschulden und die ,,nach den akademischen Gesetzen klagbaren Schulden der Studierenden" (Wetzell, a. a. 0., S.645) durften noch ein weiteres halbes Jahrhundert mit der persönlichen Haft beigetrieben werden. Den sog. "Schuldturm" beseitigten im ganzen ein Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 21. 5. 1868 (BGBI., S. 237) und ein Reichsgesetz vom 16.4. 1871 (§ 211 - RGBI., S. 63). Die Unpfandbarkeit der für den Beruf eines Schuldners unentbehrlichen Gegenstände konnten nach der Civilprozeßordnung des Jahres 1877 nur "Künstler, Handwerker, Handund Fabrikarbeiter sowie Hebammen" für sich in Anspruch nehmen (§ 715, Nr. 4). Erst die Novelle des Jahres 1898 erstreckte sie auf den heutigen, wenn auch elastischer formulierten Umfang, nämlich auf "allePersonen, welche aus Handarbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen" (§ 811, Nr. 5). 10 Die Industriegeschichte von L. Graf Schwerin v. Krosigk, Die große Zeit des Feuers (1957), nennt die Spanne von 1800 bis 1840 die "frühindustrielle Zeit" und hält das

1. Begriffliche Bestimmung der "Relativität"

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sachlichte Auffassung des Schuldbandes, wonach der Leistungsgegenstand unverwechselbar, die Person des Gläubigers und des Schuldners dagegen zweitrangig sei 11, und der Versorgungsgedanke, dem der nun entdeckte Vertrag zugunsten Dritter Rechnung trägt 12, lockern die Verbindung zwischen den Parteien. Das Schuldverhältnis wird auf der Aktiv- und Passivseite übertragbar 13 , überdies können Außenstehende kraft vertraglicher Abrede in den Genuß einer Leistung kommen. bb) Da sich die Gesetzgebung den sog. Verkehrsbedürfnissen auf die Dauer nicht zu entziehen vermag, ist klar, daß sich auch das französische Recht von dem Dogma befreit hat, das Schuldband sei eine unlösbare, nur durch die Erfüllung oder einen Erlaß zu beseitigende Fessel. Dem deutschen Recht vergleichbar kennt daher der Code Civil von 1804 die Rechtsgeschäfte, die dafür sprechen, daß sich das Schuldverhältnis nicht auf "den" Gläubiger und Schuldner, sondern den jeweiligen Partner erstreckt: die Abtretung ("Ie transport de la creance") 14, die Schuldübernahme ("cession de dette") 15 und den Vertrag zugunsten Dritter ("stipulation pour autrui") 16. Jahr 1840 für eine "echte Zeitwende", die den Weg zur Industrie "unwiderruflich einschlug". II Windscheid, Die Aktio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts (1856), S. 152-53: Die Person des Gläubigers gehöre nicht zum wesentlichen Inhalt der Obligation, sondern: "daß der Schuldner Jemandem 100 gebe ... " 12 Mugdan, Die gesamten Materialien, Band 2, S. 147 (Motive): "Es mag", so heißt es dort zu den wirtschaftlichen Bedürfnissen, ,,nur an besonders wichtige Erscheinungen im modemen Rechtsleben erinnert werden, wie die Lebensversicherungsverträge zu Gunsten Dritter ... " 13 Dazu wieder Mugdan, a. a. 0., S. 65 und 78. Beide Stellen argumentieren in rechtspolitischer Hinsicht mit dem "Verkehrsbedürfnis". 14 Art. 1689: "Dans le transport d'une creance, d'un droit ou d'une action sur un tiers, la delivrance s'opere entre le cedant et le cessionaire par la remise du titre." "Bei einer Übertragung einer Forderung, eines Rechtes oder einer Klage vollzieht sich der Akt zwischen dem Zedenten und dem Zessionar durch Aushändigung einer Urkunde." 15 So bezeichnet nach Mazeaud, Le90ns de Droit Civil, (1956) deuxieme tome, no. 1277 ss., und nach Ferid, Das französische Zivilrecht, Band I, (1971), 2 E 169. Der Code Civilläßt die Schuldübernahme nur in der Form der Novation, also der Aufhebung des alten und der Begründung eines neuen Schuldbandes, zu. Art. 1271: ,,La novation s'opere de trois manieres": 2° Lorsqu'un noveau debiteur est substitue a I'ancien qui est decharge par le creancier "

"Die Schuldersetzung vollzieht sich in drei Formen: 2° Wenn ein neuer Schuldner an die Stelle des alten tritt, den der Gläubiger aus der Verpflichtung entläßt." 16 Art. 1121: "On peut pareillement stipul!!r au profit d'un tiers, lorsque teile est la condition d' une stipulation que I'on fait pour soi-meme ou d'une donation que I'ou fait a un autre. Celui qui a fait cette stipulation ne peut la revoquer, si le tiers a dec1are vouloir en profiter." "Man kann sich in gleicher Weise (i.e. wie bei der Garantie für einen Dritten) die Leistung an einen Dritten versprechen lassen, wenn sie Anhang eines Vertrages ist, den man für sich selbst schließt, oder für den Fall einer Schenkung des Versprechensempfän-

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11. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

Wegen dieser Veränderungen des Schuldbandes ist der auch in der deutschen Literatur zitierte 17 Art. 1165 Cc nur eine auslegungsbedürftige Richtschnur 18. Sie gibt wörtlich genommen die römische Vorstellung vom "iuris vinculum" wieder. Wegen der Fortentwicklung des Rechts ist sie weiterzudenken und mit dem Vorbehalt zu versehen, daß sie dem Eintritt anderer Personen in das Schuldverhältnis nicht im Wege steht: "Section VI

De I'effet des conventions

a l'egard des tiers

Art. 1165: Les conventions n'ont d'effet qu'entre les parties contractantes; elles ne nuisent point au tiers, et elles ne lui profitent que dans le cas prevu par I' article 1121." "Sechster Abschnitt Wirkung der Verträge in Ansehung Dritter Art. 1165: Verträge wirken nur unter den Parteien, die sie eingehen. Dritten gereichen sie nicht zum Nachteil und zum Vorteil. Unberührt bleibt die Vorschrift des Art. 1121."

2. Über die Wahl des richtigen Ausgangspunkts: Wie der Begriff der "Relativität" heute zu bilden ist Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, so fasse ich die Einsichten aus dem deutschen, dem römischen und dem französischen Recht zusammen, ist eine dem Schuldverhältnis als einem rechtlich geordneten Band zwischen Personen notwendig innewohnende Eigenschaft. Sie bedeutet dessen Ausrichtung auf einen übersehbaren Kreis und seine im Grundsatz persönliche, nicht nur sachliche Prägung. Kraft der Relativität ist das Schuldverhältnis eine sich von anderen zwischenmenschlichen Beziehungen abhebende Sonderverbindung , die den Gläubiger und den Schuldner oder eine bestimmbare Zahl von Gläubigern und Schuldnern einschließt, andere Personen von den im Schuldverhältnis festgelegten Rechten und Pflichten dagegen ausschließt, und die Einwendungen sowie Einreden aus fremden Rechtsverhältnissen unberücksichtigt läßt 19. Der Grundsatz, daß Verträge nur unter den Parteien wirken, die sie geschlossen haben, steht nach heutiger Auffassung dem Eintritt anderer Personen in das Schuldband nicht entgegen w . gers an den Dritten. Die Berechtigung des Dritten kann nicht mehr aufgehoben werden, wenn der Dritte erklärt hat, sie annehmen zu wollen." 17 Kramer im Münchener Kommentar, 2. Aufl. (1985), Fußnote 24 der Einleitung vor § 241; Krasser, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter (1971), S. 11. 18 Colin / Capitant, Cours Elementaire de Droit Civil Francais, tome deuxieme, 10 e edition (1953), no. 178 (page 136): ,,La regle (i.e. des effects des contrats) n'est pas absolue. Il est necessaire, et d'ailleurs assez delicat, d'en preciser la portee exacte." "Die Regel (d.h. über die Wirkungen der Verträge) gilt nicht absolut. Es ist nötig, übrigens ziemlich heikel, ihre genaue Tragweite herauszuarbeiten." 19 Über Einwendungen und Einreden aus fremdem Recht im einzelnen unten S. 45 ff.

3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs

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Die römische Auffassung eines persönlichen Verhältnisses macht zwar immer noch den Kern der Relativität aus und hat deshalb die Aussagekraft einer Leitlinie. Wollte man jedoch das Schuldband auf die ursprüngliche Vorstellung beschränken, ließen sich die Erweiterungen des 19. und 20. Jahrhunderts nur als "Ausnahmen" von der Regel erfassen. Der zu eng gewählte Ausgangspunkt bewahrte zwar die Reinheit des Begriffs, er nähme ihm aber den Wert als Maßstab für den heutigen Juristen. Diese Einsicht bestätigen die anregenden Betrachtungen von Medicus über "Drittbeziehungen im Schuldverhältnis" 21 und über ,,Probleme um das Schuldverhältnis 22, die darauf angelegt sind, die Durchbrechungen des Grundsatzes bewußt zu machen: Medicus beginnt seine Abhandlung über die Drittbeziehungen mit dem "Scliuldverhältnis als Zweipersonenverhältnis" 23, er richtet den Blick alsbald auf die besagten "Drittbeziehungen" und beschließt die Darstellung mit der als "vereinfachend" bezeichneten Feststellung 24: "Die im Schuldverhältnis angelegte Isolation auf G (Gläubiger) und S (Schuldner), die Abkapselung gegenüber "dem Rest der Welt", befriedigt heute nicht mehr überall. Daher wird das Schuldverhältnis zunehmend durch Drittbeziehungen erweitert. Ein erheblicher Teil von ihnen trägt insbesondere den sozialen Bindungen Rechung, die über den rechtlichen Mikrokosmos des Schuldverhältnisses hinausreichen." Daß Medicus dessenungeachtet den Begriff der ,,Relativität" nicht für überholt, also für unbrauchbar hält, entnehme ich seiner jüngsten Stellungnahme: ,.zum Verzicht auf das Schuldverhältnis als zentrale Figur des 2. Buches des BGB wie auch des juristischen Denkens überhaupt besteht kein Anlaß"25.

3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs der "Relativität" Da Begriffe ohne Anschauung unfruchtbar sind, bedürfen die berichteten Aussagen der beispielhaften Verdeutlichung. a) Ich beginne mit Sachverhalten, die den geschichtlichen Ausgangspunkt verständlich machen, ja rechtfertigen: Der Vertrag hat persönliche Züge, weil sich die (juristisch-technisch aufgefaßte) ,,Leistung" des Schuldners nicht von seiner Leistungsbereitschaft und -fähigkeit trennen läßt 26; ist doch der Mensch eine Ganzheit auch dort, wo er "nur" verkauft, übereignet oder herausgibt. Im einzelnen unten S. 30 ff, 35 ff. 21 JuS 1974, S. 613. 22 Vortrag vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft, Heft 108 (1987). 23 JuS 1974, S. 613. 24 A.a.O., S. 622. 25 Probleme um das Schuldverhältnis, S. 25. 26 Das Kammergericht Berlin hatte im Jahre 1986 über den Schadensersatzanspruch eines Orientteppich-Händlers gegen einen Arzt zu entscheiden. Der Mediziner hatte einen "Kelim" im Werte von 11 000 DM zur Ansicht erhalten und ihn nach Hause mitgenommen, aber nicht gekauft. Die ihm obliegende Rückgabe führte er dadurch aus, daß er den Teppich, ohne ein Wort zu sagen, an eine Säule im Geschäft des Verkäufers lehnte und dann verschwand. Der Teppich wurde nicht mehr wiedergefunden. Das 20

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11. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

aa) In welchem Maße der Geschäftsabschluß von der Persönlichkeit des Partners und seines Personals beeinflußt wird, ist jedem bewußt, der sich über seine Entscheidung gerade in einer sachlich ungeklärten Lage Rechenschaft gibt. Mit der "Vernunft" so wenig erfaßbare Eigenschaften wie das Aussehen und Auftreten des anderen Teils geben solchenfalls den Ausschlag über das Zustandekommen oder Scheitern eines beabsichtigten Vertrags. Aus diesem Grunde müssen sich nach Erfahrungsberichten der Wirtschaftspresse Verkäufer und Mitarbeiter im Außendienst davor hüten, mit möglichen Kunden Streitgespräche zu führen - sie sollen überzeugen, nicht überreden 27 . Als entscheidendes Merkmal eines wirksamen Verkaufsgesprächs bezeichnet eine Untersuchung die Fähigkeit, "aktiv" (einfühlsam) zuzuhören, richtige, gezielte "Schlüsselfragen" zu stellen und dem Kunden dienliche Vorschläge zu entwickeln. Gutaussehende Personen machen, um die Psychologie des Geschäftsabschlusses mit einer allgemeinen, positiven Aussage zu beschließen, auch im Berufsleben den "besseren Eindruck" 28: Man vermutet bei ihnen einen ausgeprägteren Charakter und legt ihnen kraft dieses Vertrauensvorschusses ein ganzes Bündel sympathischer Eigenschaften bei: Sie seien interessanter, ehrlicher, warmherziger, umgänglicher, freundlicher, tatkräftiger, geistvoller und erfolgreicher als der farblose Geschäftspartner. bb) Nicht nur der Abschluß, sondern auch die Ausführung des Geschäfts, die in der Lehre von der Erfüllung im Mittelpunkt stehende "Leistung"29, ist nicht selten ganz mit der Person des Schuldners verknüpft. Die "höchstpersönliche" Leistung, bei der die Person des Verpflichteten und der Gegenstand ihrer Bemühungen eine Einheit bilden 30, so daß der Eintritt eines Dritten als Nichterfüllung des Geschuldeten angesehen wird 31 , prägt nicht nur den Dienstvertrag (§ 613)32, den Auftrag (§ 664), die Verwahrung (§ 691) und die Geschäftsführung einer Kammergericht hat die Schadensersatzklage des Händlers mit der Begründung abgewiesen: Da ein Kaufmann den Besitz an allen Sachen erlange, die in seine Geschäftsräume gebracht würden, habe der Kunde seine Pflicht zur Rückgabe erfüllt (MDR 1986, S. 933 und das mir übersandte Urteil vom 5. 6. 1986). Ich halte das Urteil für begriffsjuristisch und lebensfremd. 27 "Frankfurter Allgemeine Zeitung - Blick durch die Wirtschaft" vom 14. 1. 1988 ("Wie gut sind die Verkäufer in der Industrie? Mittel zur Motivation"), ebenso die entsprechende Ausgabe vom 12.2. 1988 ("Spitzenverkäufer"). 28 "Blick durch die Wirtschaft" vom 15.3. 1983 (,,Es lohnt schon, sich zu pflegen"). 29 Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Unterscheidung der "Leistungshandlung" und des "Leistungserfolgs". 30 Das Verhältnis zwischen dem Arzt und seinem Patienten lebt von der vertrauensvollen und uneingeschränkten Zuwendung beider Partner (Laufs, Arztrecht, 4. Aufl., 1987, Tz. 17). 31 OLG Celle, NJW 1982, S.2129; AG Hamburg, NJW 1987, S.716, und OLG Karlsruhe (15 U 160/86, zitiert in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Ausgabe vom 20. 6. 1987) - alle für den Arztvertrag. Es verbleibt dann der Honoraranspruch desjenigen, der die Dienste tatsächlich "geleistet" hat, etwa des Trägers des Krankenhauses. 32 Über den es in einer Glosse der ,JiAZ" vom 16.4. 1988 heißt, er nähere sich dem eheähnlichen Verhältnis "und darum prüfe, wer sich lange bindet."

3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs

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Gesellschaft (§ 713) auf der Seite desjenigen, der tätig werden soll. Auch bei dem an sich menschlich neutralen Werkvertrag kann die Person des Unternehmers im Sinne des § 631 wegen ihrer Fähigkeit und Vertrauenswürdigkeit nicht durch Dritte ersetzbar sein 33. (1) Beleuchten wir diese Einsicht an einem Beispiel: Im Jahre 1987 erhielt die Bremerhavener "Lloydwerft" von der norwegischen Reederei "Kloster Cruise Ltd." den Auftrag, den Kreuzfahrt-Luxusliner "Norway", das mit 70 202 Bruttoregistertonnen 34 derzeit größte Passagierschiff der Welt, umzubauen und zu modernisieren 35. Die Werft sollte eine neue Dampfturbinen-Anlage einbauen, 15 weitere Passagierkabinen einrichten, das Bordtheater erweitern sowie ein Cabaret, ein Casino, eine Bar und eine Tanzbar modernisieren; zusätzlich waren 20 000 qm Teppichboden neu zu verlegen. Die Auftragssumme belief sich auf rund 20 Millionen DM. Die Arbeit war innerhalb einer Liegezeit von 16 Tagen auszuführen. Die Werft hatte den Auftrag ihrem Ruf zu verdanken, eines der erfahrensten Unternehmen auf dem Gebiet des Passagierschiffsbaus zu sein. "Überdurchschnittliches Know how und unbedingte Termintreue bei äußerst enger Zeitplanung", so schilderte der Werftleiter den Ehrgeiz seines Betriebs, seien die einzige Chance, "auf diesem heiß umkämpften Markt die Nase vom zu halten". Auf das Unternehmen zugeschnitten war auch der im Jahre 1988 dem Kieler Steinmetzbetrieb Anton Barth gegebene Auftrag, einen achtzig Jahre alten sog. Flechtband-Fries, bestehend aus zwei Sphinx-Fabeltieren, zu restaurieren 36. Das Unternehmen, jetzt in der dritten Generation, versprach die "traditionelle Handwerksarbeit: Jede feine Sandstein-Kontur wird haargenau nachgearbeitet." Für die Steinmetzgesellen ist die Restauration "ein echter Bonbon" und "eine Traumarbeit, die es nur alle Jubeljahre einmal gibt". (2) Prüfen wir einmal, in welchem Umfang sich hier das erste Merkmal der Relativität, die persönliche Prägung des Vertragsverhältnisses, durchsetzt: Hält man sich an die Darstellung der Tageszeitungen, so konnte der jeweilige Auftrag nur dadurch ausgeführt werden, daß der Werkunternehmer Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 beschäftigte. Auf der Lloydwerft waren es 700 bis 800 Arbeiter, nicht gerechnet die Meister, Ingenieure und den sog. Chefkoordinator; in dem Kieler Steinmetzbetrieb Barth mindestens zwei Gesellen. Deren handwerkliche, technische oder organisatorische (nicht juristische!) "Leistung" hebt aber das Band zur Werft, nach meiner Vermutung einer Aktiengesellschaft, Soergel im Münchener Kommentar, 2. Aufl. (1988), 135 zu § 631. Maßeinheit der Schiffsvermessung, die den gesamten Schiffsraum, einschließlich der AntriebsanlaIen und des Platzes für die Betriebsstoffe, angibt. Eine Registertonne umfaßt 2,832 m (zitiert nach der Brockhaus Enzyklopädie von 1972). 35 Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18.9. 1987. 36 "Kieler Nachrichten" vom 29. 1. 1988. 33

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2 Henke

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II. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

beziehungsweise zu dem Steinmetz Anton Barth 37 , nicht auf, weil der Einsatz des Erfüllungsgehilfen den Schuldner mit der unbedingten Verantwortung für deren Fehler 38 und eine etwaige Verspätung 39 belastet. Die Leistungsfähigkeit der Lloydwerft schließt es auch nicht aus, daß sie Arbeiten durch andere, ihr auf bestimmten Gebieten überlegene Finnen ausführen läßt: Sie wird eine neue Dampfturbine ebenso von einem Zulieferer beziehen und einbauen lassen wie etwa das in dem Bericht erwähnte "Bordtheater für eine Las-Vegas-Show" und die neu verlegten 20 000 qm Teppichboden. Solche Spezialisten, sog. Subunternehmer im Sinne des Werkvertragsrechts, treten indessen nicht zwischen den Besteller und den die Leistungen zusammenfassenden Generalunternehmer, sondern sind, gleich den auf der Werft beschäftigten Arbeitnehmern, Erfüllungsgehilfen desjenigen, der für den Auftrag insgesamt verantwortlich ist 40 • Diese Einordnung erlaubt es, das Band der Werkleistung 41 für den Umbau der "Norway" wie die Restauration des Flechtband-Frieses deutlich zu bestimmen: Den Besteller und den Unternehmer verbindet ein Schuldverhältnis, das sich auf der Seite des Unternehmers 42 nicht auf andere übertragen läßt; der Eintritt eines neuen Auftragnehmers durch Schuld- oder Vertragsübernahme gäbe ihm einen anderen Inhalt 43. Die Relativität des Schuldverhältnisses will hier also besagen: Die Verpflichtung verbindet sich mit einem nicht ersetzbaren Schuldner, sie ist im Sinne des Werkvertragsrechts 44 "persönlich" geprägt. 37 Handelt es sich um einen Familienbetrieb ("in der dritten Generation"), ist Vertragspartner der Handwerksmeister selbst. 38 Der Werkunternehmer hat für jeden und nicht bloß für den verschuldeten Mangel einzustehen (§§ 633, 634). 39 Ge.~acht ist hier an die im Schiffsbau üblichen Konventional- oder Vertragsstrafen für die Uberschreitung des Ablieferungstermins (§§ 339, 341). Als die Lloydwerft das Fahrgastschiff "Queen Elisabeth 2" modernisierte, war diese auf 1 500 000 DM für jeden Tag Verspätung festgesetzt (,,Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 4. 5. 1987). 40 BGH NJW 1981, S. 1779; Palandt/Thomas, 48. Aufl., 1 d aa zu § 631. Ich gehe davon aus, daß die norwegische Reederei keine selbständigen Verträge mit sog. Nebenunternehmern geschlossen hat, weil sich dann die Beziehungen vervielfachen und komplizieren. 41 Der Umbau eines Schiffs unterfällt dem Typus des Werkvertrags, weil selbst die Dampfturbine im Vergleich zum Schiffskörper nur ,,zutat" im Sinne des § 651 II ist. Der Besteller erwirbt das Eigentum durch Einbau (§ 947 II) und nicht durch Übereignung des entsprechenden Bestandteils (§ 929). 42 Der Besteller seinerseits könnte den Auftrag "weitergeben", eine Möglichkeit, die bei Veräußerung des Schiffs oder des Grundstücks, für das der Flechtband-Fries bestimmt ist, von praktischer Bedeutung wäre. 43 Der Auftrag, einen Flechtband-Fries zu restaurieren, gründet sich ebenso auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens wie auf die Qualitäten des Inhabers. Der Übergang der Verpflichtung bei einer Veräußerung des Handwerksbetriebs oder dem Tod des Inhabers ist dessenungeachtet zu bejahen, weil der Auftrag mit dem Betrieb verbunden, gleichsam in das Unternehmen "eingebettet" bleibt. Handelt es sich um eine eingetragene Firma nach § 1 II, Nr. 2 und § 2 HGB, folgt das Ergebnis schon aus § 25 I HGB. Für eine juristische Person wie die Bremerhavener Lloydwerft, vermutlich eine Aktiengesellschaft, ist diese Frage ohne Belang.

3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs

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(3) Blicken wir nunmehr auf die andere Seite der Verträge, auf der sich die Verhältnisse versachlichen und damit vereinfachen: Hier kann der Anspruch auf die Werkleistung abgetreten werden, und gleiches gilt für die Forderung auf den Werk/ohn (§ 398)45. Obwohl damit zu rechnen ist, daß sich mit der Person des Zessionars der "Ton" im Schuldverhältnis ändert, daß ein Nachfolger also von seinen Befugnissen härter oder weicher Gebrauch macht, kann der Wechsel nicht von Gesetzes wegen 46 unterbunden werden. Da das Schuldrecht auf berechenbare Beziehungen Wert legt, bindet es den Übergang von Ansprüchen auf eine Sachleistung 47 , betrachtet man die Aktivseite, nicht an die Person des "vernünftigen", "maßvollen" Gläubigers, sondern geht davon aus, daß der Schuldner pünktlich und richtig leistet, der Gläubiger also keinen Anlaß hat, den Schuldner mit Mahnungen oder Klagen unter Druck zu setzen. Ein Grund für solche Abtretungen ist schnell gefunden: Der Werkunternehmer will den Auftrag vorfinanzieren und macht seinen Vergütungsanspruch "zu Geld", indem er ihn einem Kreditinstitut offen oder verdeckt 48 überträgt. Daß sich der Besteller, also die Reederei oder der Eigentümer des Grundstücks, für das der Flechtband-Fries bestimmt ist, seines Rechts begibt, ist nur im Zusammenhang mit der Veräußerung der ,,Norway" oder des Grundbesitzes denkbar. Da der Anspruch auf die Werkleistung und die Pflicht, sie zu vergüten, zusammenhängen, müßte die Zession dann aber zu einer förmlichen Vertragsübernahme ausgedehnt werden - eines Rechtsgeschäfts, an dem auch der Werkunternehmer zu beteiligen wäre 49. b) Das zweite Merkmal der Relativität, die Übersehbarkeit der beiderseitigen Beziehungen, ist damit bereits erkannt: Der mögliche Wechsel, sei es auf der Seite des Gläubigers, sei es des Verpflichteten (wie er sich bei einer Schuldoder Vertragsübernahme vollzieht)50 kann das Schuldband zwar inhaltlich verändern 51, aber er erweitert es nicht. 44 Also nicht im Sinne des Familienrechts, dessen Schuldverhältnisse die Person des Verpflichteten viel intensiver in Anspruch nehmen: Der Kontakt zwischen dem Besteller und dem Unternehmer des Werkvertrags ist im Grundton sachlich, der zwischen Eltern und Kindern gefühlsbetont. 45 Ich gehe in diesem Zusammenhang von der Geltung deutschen Rechts auch für den Vertrag zwischen der norwegischen Reederei "Kloster Cruise Ltd." und der Lloydwerft aus. 46 Anders bei Vereinbarung eines Abtretungsverbots nach § 399, einer Sperre, der sich Konzerne und öffentliche Auftraggeber zu ihrem Vorteil bedienen ("Frankfurter Allgemeine Zeitung - Blick durch die Wirtschaft" vom 6.8.1987; BGH WM 1977, S. 819 für die Vertragsbedingungen der Deutschen Bundespost). 47 Der Anspruch auf die Leistung von Diensten (§ 613, Satz 2) und auf die Ausführung eines Auftrags (§ 664 11) ist andererseits nicht übertragbar. 48 Sog. stille Zession mit der Wirkung einer Sicherungsabtretung: Der Übergang wird dem Schuldner erst dann mitgeteilt, wenn der Gläubiger gegenüber dem Kreditinstitut in Verzug gerät (Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 6 a, aa und bb zu § 398). 49 Zur Vertragsübernahme: Palandt / Heinrichs, a. a. 0., 10 zu § 398. 50 Über die Figuren der Schuld- und der Vertragsübernahme unten, S. 59 ff. 51 So bei einem Wechsel des Gläubigers: Der Nachfolger im Geschäft "übernimmt" den Hausanwalt der Firma und dessen laufende Prozesse (§§ 675,664 11) - oder des

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11. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

Eine Erweiterung bewirkt jedoch die Figur des Vertrags" mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter", deren Sinn es ist, den von den Vertrags wirkungen Betroffenen, sofern sie sich in "Leistungsnähe" befinden, - neben den Partnern vertragliche Ansprüche zu gewähren. So sinnreich diese Ausdehnung auf den Nicht-Gläubiger ist, so kann sie bei allzu großzügiger Anwendung die Begrenzung des Schuldbandes auf einen übersehbaren Kreis von Berechtigten und Verpflichteten aushöhlen 52. aa) Um diese Drittbeziehung plausibel zu machen, führe ich die Erfahrungen an, die Passagiere und Besatzung mit einer Vorgängerin der "Norway", der "Queen Elisabeth 2", auf der Jungfernfahrt machen mußten; die Lloydwerft hatte das Vorreiter-Schiff ein halbes Jahr zuvor ebenfalls in einem Wettlauf gegen die Uhr modernisiert 53. Das ehrgeizige Vorhaben konnte nicht ohne zahlreiche Pannen verwirklicht werden, welche die erste Reise zu einer "Versuchsfahrt" werden ließen: Kabinen waren wegen des Versagens der Klimaanlage unerträglich heiß oder kalt, Toiletten überschwemmt und Duschen funktionsunfähig; Passagiere wurden durch Leitungslecks in den Decken berieselt, und das Schiff hatte zeitweilig eine Schlagseite von 15 Grad. Die Schutzbedürftigkeit der Mannschaft und der Fahrgäste auf einem Seeschiff54, welche die berichteten Mißhelligkeiten nur noch unterstreichen, ist Anlaß genug, den Vertrag, wenn nicht im Hinblick auf den Umbau, so doch auf die dabei geschuldete Sorgfalt der Arbeit, über die Partner hinaus zu erstrecken und den von einer Schlechtleistung der Werft betroffenen Personen Schadensersatzansprüche, eben "Schutzwirkungen", zu gewähren 55. bb) Ich versage es mir, die Voraussetzungen und Wirkungen des erweiterten Bandes näher zu erörtern; es muß in diesem Zusammenhang genügen, den Blick auf den Kern der Sache, die sog. "Leistungsnähe " der Mannschaft und der Passagiere sowie die Schutzpf/ichten des Reeders ihnen gegenüber, zu richten. Da sie die Folgen eines Unfalls infolge schlechter Arbeit der Werft mindestens ebenso hart treffen wie den Reeder, da dieser kraft des Dienstvertrags einen Schuldners: Die Werft gibt im Einverständnis mit dem Auftraggeber Teile der geschuldeten Leistung an einen selbständigen sog. Nebenunternehmer weiter und entlastet sich von bestimmten Arbeiten. 52 Ein sprechendes Beispiel, entschieden vom Landgericht Frankfurt, zitiere ich unten

S.45.

Zutreffend Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, a. a. 0., S. 6: Der Vert~ag mit Schutzwirkungen beginne, die Dogmatik des Schuldverhältnisses zu erschüttern. 53 Dazu und zu den Betriebsstörungen auf der Jungfernfahrt die ,.Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Kieler Nachrichten" vom 4.5. 1987. 54 Man denke an die Enge des Raumes und die Schwierigkeit, Gefahren auszuweichen: Als Einzelner unter 2400 Passagieren ist man ein "Gefangener im goldenen Käfig". 55 Über diese Wirkungen Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Auf!. (1987), § 1711; Palandt/Heinrichs, 48. Auf!., 3 zu § 328; BGH 49,350/53-54; 51, 91/96; 70, 327/28-30.

3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs

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sicheren Arbeitsplatz und kraft der Passage "Obhut in gepflegter Atmosphäre"56 schuldet, muß sich auch der Werftunternehmer bewußt sein 57, was für seinen Vertragspartner auf dem Spiel steht: Das von ihm zugesagte "überdurchschnittliche Know how" erstreckt sich auf die Sicherheit der Mannschaft und der Passagiere. cc) Wenn sich aber an Bord der "Norway" auf einer einzigen Fahrt bis zu 3 000 Menschen befinden 58, die zum Teil wertvolle Kleidung und Schmuck, ja sogar Kraftfahrzeuge 59 mit sich führen, wie kann dann noch die Relativität des Vertrags zwischen der "Kloster Cruise Ltd." und der Lloydwerft im Sinne der Übersehbarkeit des Bandes bewahrt, das heißt das geldliche Risiko überblickt werden, das die Werft bei einem derartigen Umbau auf sich lädt? Haftet sie eigentlich für mögliche Unfälle, solange das Schiff überhaupt in Betrieb ist? Die Antwort kann nur verneinend ausfallen; wäre es anders, hätte man die Relativität als Begriff aufgegeben. Es ist also nötig, den Kreis der vertraglich Begünstigten einzuschränken, um die Beziehungen übersehbar zu halten. Der Maßstab hierfür läßt sich aus dem Merkmal der "Leistungsnähe"60 gewinnen, sofern man sie nur genau genug auf den Fall bezieht: Die "Norway" war unter Zeitdruck zu modernisieren. Die aus dem Wettlauf mit der Uhr entstehenden Gefahren für Passagiere und Besatzungsmitglieder sind m. E. nach der ersten, spätestens der zweiten Reise überwunden, wenn die Mannschaft das Schiff unter ihre Kontrolle gebracht hat. Vorher gilt allerdings der Satz: Erst auf See zeigen sich die Fehler 61 . dd) Von dem Zeitpunkt ab, von dem die Mannschaft das Schiff in der Hand hat, fällt auch die Veranlassung dafür weg, das Vertragsband über den Reeder hinaus auf die Personen an Bord zu erstrecken. Von nun an richtet sich der 56 Eine Pflicht, die der Reeder mit dem eleganteren Ausdruck des "Service" verhüllt, die jedoch bei der Verteilung von Schwimmwesten und Rettungsübungen an Bord offen zutage tritt. 57 Und ist sich dessen hier auch bewußt, so daß der literarische Streit darüber, ob sich der "Vertrag mit Schutzwirkungen" aus den Erklärungen der Parteien oder aus "Treu und Glauben" ableiten läßt (Larenz, a. a. 0., S. 227), bei klarer Sachlage müßig ist: Hier gibt der Reeder den Umbauauftrag für ein Schiff "mit äußerster Sicherheit". 58 Der Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 18.9. 1987 erwähnt bis zu 2 400 Passagiere und etwa 650 Besatzungsmitglieder. 59 Ein mir vorliegender Prospekt der "Cunard & NAC", Reeder der "Queen Elisabeth 2", bietet auch den Transport von Kraftfahrzeugen bis zu 3 628 kg Leergewicht an. 60 Im gleichen Sinne die letzte Antwort des Bundesgerichtshofs auf die Frage, wo noch ein "objektivierbares Merkmal" für die Schutzwirkungen zu finden sei, das die "uferlose Ausdehnung" des Vertragsbandes verhindere (JZ 1985, S. 196). Skeptisch dagegen Larenz, a. a. 0., S. 228 a.E.:Insgesamt sei die Rechtsprechung noch stark im Fluß und eine genaue Grenze lasse sich kaum ziehen. 61 "Kieler Nachrichten" vom 4. 5. 1987 über die Jungfernfahrt der "Queen Elisabeth 2".

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11. Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses

Vorwurf, nicht genug für die Sicherheit an Bord getan zu haben, nur noch gegen den Reeder. Passagiere und Besatzungsmitglieder sind im Verhältnis zur Werft nicht mehr schutzbedürftig 62 , weil sie den Reeder wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht verantwortlich zu machen vermögen 63. Der lehrreiche Sachverhalt macht klar, daß die Merkmale der "Leistungsnähe" und der "Schutzbedürftigkeit" des Dritten nicht immer scharf voneinander geschieden werden können 64. Im vorliegenden Fall bewirkt zwar die einzigartige Leistung der Werft - der forcierte Umbau des Schiffs - daß die beiden Gesichtspunkte zusammenfallen. Diese Erkenntnis trifft jedoch nicht zu, wenn man den Blick beispielsweise auf das Verhältnis des Untermieters zum (Haupt-)Vermieter richtet: Den Untermieter einer Lagerhalle schädigt das Überlaufen einer schlecht konstruierten Dachrinne stärker noch als den die Halle nicht gebrauchenden Hauptmieter (,,Leistungsnähe"), aber die Gewährleistungsansprüche gegen den Hauptmieter lassen den Untermieter im Verhältnis zum (Haupt-) Vermieter als vertraglich nicht schutzbedürftig erscheinen 65. c) Ich fasse zusammen, welche Erkenntnisse sich aus der beispielhaften Verdeutlichung des Begriffs von der "Relativität des Schuldverhältnisses" in seinen Merkmalen der persönlichen Prägung und der Übersehbarkeit der Beziehungen gewinnen lassen: Verträge haben persönliche Züge, weil sich die technisch aufzufassende "Leistung" des Schuldners nicht von seiner Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit trennen läßt 66 • Gerade der Abschluß eines Geschäfts wird von der Persönlichkeit des Kontrahenten und seiner Bevollmächtigten beeinflUßt 67 • Darüber hinaus kann auch dessen Ausführung ganz mit der Person des Schuldners verknüpft sein. Die Werkleistung und der Anspruch auf den Werklohn sind zwar an sich lebensmäßig und rechtlich neutral. Aber auch bei diesem sachlich geprägten Vertragstyp gibt es Fälle, in denen die Person des Unternehmers wegen ihrer Fähigkeit und Vertrauenswürdigkeit nicht durch einen Dritten ersetzbar ist 68 • Dessenungeachtet hebt die Beschäftigung von Erfüllungsgehilfen auf seiner Seite die persönliche Prägung der zugesagten Werkleistung nicht auf, weil sie den Unternehmer mit der unbedingten Verantwortung für Fehler seines Personals belastet 69 • Die Relativität des Schuldverhältnisses bedeutet in einem 62 Im Sinne des Urteils BGH 70, 327/30 vom Jahre 1978, das die Schutzwirkungen des Mietvertrages über eine Lagerhalle zugunsten des Untermieters nicht anders als mit dieser ,,Notbremse" verneinen konnte. 63 Auf schlecht verlegtem Teppichboden kommt ein Passagier zu Fall. Der Reeder haftet wegen eines jetzt zu vertretenden Mangels der Mietsache, nämlich des schwimmenden Hotels (§ 538 I BGB), wenn man deutsches Recht in Betracht zieht. 64 Die Beziehung, in der die beiden Merkmale zueinander stehen, ist nach meinem Eindruck noch nicht geklärt: Palandt / Heinrichs, 48. Aufl. 3 d ce zu § 328; Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 17 11 (S. 227 -28), und BGH 70, 329/30, stellen sie zusammenhanglos nebeneinander. 65 BGH 70, 329. Auch der hier in Betracht kommende Mangelfolgeschaden wird von der Vorschrift des § 538 erfaßt. 66 Oben, S. 15. 67 Oben, S. 16. 68 Oben, S. 16. 69 Oben, S. 18.

3. Beispielhafte Verdeutlichung des Begriffs

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solchen Fall: Die Verpflichtung verbindet sich mit einem nicht durch Dritte ersetzbaren Schuldner, sie ist im Sinne eines bestimmten Vertragstyps, hier des Werkvertrags, "persönlich geprägt"70. Die Relativität dieses Bandes darf andererseits nicht die Abtretung des Anspruchs auf die Werkleistung und auf die Zahlung des Werklohns hindern, weil die Übertragung der Forderung nicht anders als die Entgegennahme der Leistung den in ihr steckenden Wert in bare Münze umwandelt. Da das Schuldrecht nur auf berechenbare, nicht aber stets auf persönliche Beziehungen Wert legt, bindet es den Übergang von Ansprüchen auf eine Sachleistung nicht an die Person des "vernünftigen", "maßvollen" Gläubigers, sondern geht davon aus, daß der Schuldner pünktlich und richtig leistet, der Gläubiger also keinen Anlaß hat, den Schuldner mit Mahnungen oder Klagen zu bedrängen 71. Der mögliche Wechsel, sei es auf der Seite des Gläubigers, sei es des Verpflichteten (wie er sich bei einer Schuld- oder Vertragsübernahme vollzieht), kann das Schuldband zwar inhaltlich verändern, aber er erweitert es nicht. Eine Ausdehnung bewirkt jedoch die Figur des sog. "Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter "72, welche die Übersehbarkeit des Schuldverhältnisses auszuhöhlen, mindestens aber auf die Probe zu stellen vermag. Sie gibt dem Dritten zwar nicht das Recht auf die Leistung des Schuldners, wohl aber auf die sorgfältige Ausführung dessen, was ihm der Vertrag an Leistungen auferlegte, und dementsprechend keine Erfüllungs-, sondern nur Schadensersatzansprüche, wenn er durch eine Schlechtleistung oder durch Nichterfüllung 73 Einbußen erlitt ("Schutzwirkungen") 74. Um diese Begünstigung nicht über Gebühr auszudehnen und damit das finanzielle Risiko des Schuldners übersehbar zu halten, muß der Dritte seine "Leistungsnähe "und "SchutzbedürJtigkeit" in Anspruch nehmen können: Die Gefahren einer Schlechtleistung müssen ihn mindestens ebenso treffen wie den Gläubiger (Gesichtspunkt der "Leistungsnähe"), und er muß auf die Rechte gegen den Schuldner angewiesen sein, weil er sie gegen den Gläubiger nicht in gleichem Umfang geltend zu machen vermag (Gesichtspunkt der "Schutzbedürftigkeit") 75. Oben, S. 18. Oben, S. 19. 72 Oben, S. 20. 73 Auf den möglichen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung macht Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, S. 7, aufmerksam: Ein Rechtsanwalt hatte die Beauftragung eines Notars, der ein Testament beurkunden sollte, einfach verbummelt. Die in Aussicht genommene Erbin - keine Vertragspartnerin des Rechtsanwalts, wohl aber Begünstigte kraft der "Schutzwirkungen" der Abrede - gewann den Prozeß wegen des "durch die Nichterrichtung des Testaments entstandenen Schadens" (BGH JZ 1966, S. 141). 74 Oben, S. 20. 75 Oben, S. 22. 70 71

111. Wie sich die Relativität des Schuldverhältnisses im einzelnen auswirkt Hinter der Forderung, daß schuldrechtliche Beziehungen wenigstens übersehbar sein sollen, eine Leitlinie, die im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts an Boden gewonnen und die persönliche Bindung zwischen Gläubiger und Schuldner zwar nicht aufgehoben, wohl aber gelockert hat, steht der Gedanke der Rechtssicherheit: Wir erkennen eine Bindung nur dort an, wo wir uns in dem Bewußtsein verpflichtet haben, daß unser Wort gilt, seine Tragweite aber auch ihre Grenzen hat. Selbst die gesetzlich auferlegte, also nicht in ihrem Für und Wider abgewogene Verbindlichkeit muß auf einer zurechenbaren Handlung beruhen und in ihren Folgen berechenbar bleiben. Ein Flugzeugabsturz mit tödlichen Folgen für die Insassen, darunter sieben Mitarbeiter einer norddeutschen Meßgeräte-Firma, macht das Luftverkehrsuntemehmen nicht verantwortlich für die zeitweilige Betriebsunterbrechung und die Verluste des "nur" - wirtschaftlich - betroffenen Arbeitgebers 1: Es fehlt hier an einer deliktsrechtlich erfaßbaren "Verletzung" .

Da die "Übersehbarkeit" des Schuldverhältnisses gegenüber seiner persönlichen Prägung der weitere Begriff ist und auch der Darstellung die größeren Schwierigkeiten bereitet, sei die nun folgende Übersicht über die Auswirkungen der Relativität auf dieses nachgiebige und deshalb fruchtbare Merkmal gegründet. Bevor ich mich jedoch dieser Aufgabe widme, ist es nötig, den Blick von ablenkenden Randfragen zu lösen. 1. Der nur "bestimmbare" Gläubiger: Eine ernsthafte

oder trügerische Erweiterung des Schuldbandes?

a) "Das Forderungsrecht" , so liest man in den das Schuldrecht einleitenden Bemerkungen des Münchener Kommentars, "setzt die Existenz (mindestens) eines Gläubigers voraus. Gläubiger und Schuldner müssen bestimmte oder zu1 So geschehen im Jahre 1987 auf einem Flug von Mailand nach Köln, worüber die "Kieler Nachrichten" vom 17.10.1987 vermelden: "Das Firmentor der allmess-ConGermania in Oldenburg / Holstein war gestern nachmittag geschlossen; am Telefon lief der Anrufbeantworter, doch die Bitte um Rückruf blieb offenbar ungehört. Drinnen herrschte tiefe Betroffenheit: Sieben Mitarbeiter der Meßgeräte-Firma, die im November ihr zehnjähriges Bestehen feiern sollte, kamen von der Fachmesse in Mailand nicht zurück. Sie starben in den Trümmern der italienischen ATR-Maschine auf dem Rückflug nach Köln."

1. Der nur "bestimmbare" Gläubiger

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mindest bestimmbare Personen sein. Daß die Bestimmbarkeit des Gläubigers ausreiche, wurde etwa in RGZ 128, 246, 249 festgehalten"2. Der zitierte Satz scheint die Aussage zu bestätigen, daß sich die Relativität des Schuldverhältnisses heutzutage eher in der Übersehbarkeit als in der Individualität der Bindung erschließt. Hält dieser Satz jedoch einer genaueren Prüfung stand? Eine zeitnahe Bedeutung erlangte er in der Auslegung eines Garantieversprechens, das nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Hersteller einer "Isolar-" Fensterverglasung den Großhändlern zugunsten der Endabnehmer (der Bauherren) gegeben hatte 3. Da die betreffende Erklärung den Kunden nicht zugegangen war, konnten ihre Rechte gegen den Hersteller nur aus der Annahme eines "Vertrags zugunsten Dritter" im Sinne des § 328 hergeleitet werden. Wie aber kam eine solche Begünstigung zustande, wenn weder der Hersteller noch der Großhändler wußte, in wessen Hände die "I solar-Verglasung" mit ihrer besonders herausgestellten Widerstandsfähigkeit gegen Trübung und Staubablagerungen 4 einmal gelangen werde? Der Bundesgerichtshof antwortet: "Daß die Person des ,Dritten' bei der hier gegebenen Vertragsgestaltung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen der Beklagten (Le. der Herstellerin) und der Firma F. (Le. der Großhändlerin) noch nicht feststand, berührt das Ergebnis (eines Garantievertrags zugunsten Dritter) nicht. Für die vertrags schließenden Parteien spielte die Identität des künftigen Endabnehmers zunächst keine Rolle. Es genügte die Vereinbarung, daß der jeweilige Endabnehmer der Drittbegünstigte sein sollte. Damit war er ausreichend bestimmbar." b) Sind also Ansprüche (hier auf den Ersatz fehlerhaften Fensterglases), die nicht dem unbekannten 5 , sondern dem noch gar nicht feststehenden Gläubiger zustehen, denkbar? Stellen sie eine ernsthafte oder nur trügerische Erweiterung des Schuldbandes dar? Ich erstrecke die Frage auf weitere Sachverhalte, um eine möglichst sichere Antwort zu erhalten: 2 2. Aufl. (1985),2 zu § 241. Das angezogene Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1930 behandelt die Sicherung eines Rückauflassungsanspruchs für den "jeweiligen" Eigentümer eines Grundstücks. Der Anspruch sollte durch eine Vormerkung gesichert werden. 3 BGH 75, 75 vom Jahre 1979. 4 "Die Hersteller von Isolar-Glas garantieren - gerechnet vom Tag der ersten Lieferung an - für 5 Jahre, daß unter normalen Bedingungen weder durch Bildung eines Films noch durch Staubablagerungen im Scheibenzwischenraum die Durchsichtigkeit des Isolar-Glases beeinträchtigt wird ..." (BGH, a. a. 0., S. 76). 5 Daß Gläubiger und Schuldner einander nicht zu kennen brauchen, bewahrheitet sich bei der Straftat (50 Auto-Aufbrüche in einem Stadtteil in einer Nacht) und der Geschäftsführung ohne Auftrag: Ein Kieler Radfahrer bekam einen entlaufenen Schimmel-Hengst an der Mähne zu fassen. Das Pferd wurde dann mit dem Abschleppseil eines hilfsbereiten Autofahrers der Besitzerin, welche die Polizei ausfindig gemacht hatte, wieder "zugeführt" ("Kieler Nachrichten" vom 22.8. 1984).

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Von welchem Zeitpunkt ab kommen die Passagiere und Besatzungsmitglieder eines Schiffs in den Genuß der Schutzpflichten, die der Vertrag zwischen dem Reeder und der Werft entstehen läßt?6 Jemand gibt vier Ölbilder in Kommission, damit sie der Kommissionär für ihn verkaufe. Wann wird er "Versicherter"7 einer Geschäfts- und Brandschadensversicherung, die der Kommissionär für Rechnung "wen es angeht" abgeschlossen hatte?8 Ein Lagerhalter nimmt Tierhäute zur Aufbewahrung entgegen und stellt über ihren Empfang einen Lagerschein aus, worin er die Rückgabe an den berechtigten Inhaber des Scheins verspricht 9. Da wir uns auch hier mit der Vorstellung des "bestimmbaren" Gläubigers auseinanderzusetzen haben, ist zu fragen 10: Gibt es eine Anwartschaft auf die Aushändigung des eingelagerten Guts für den künftigen Inhaber des Scheins? Daß die angeführten Sachverhalte ohne Ausnahme dem Typus des Vertrags "zugunsten Dritter" oder "mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter" unterfallen, ist kein Zufall: In der Zwei-Personen-Beziehung ohne Begünstigung eines Dritten hat die Figur des "bestimmbaren Gläubigers" keinen Platz, weil die genaue Betrachtung hier nur Vertragsanträge an einen unbestimmten Kontrahenten, also noch keine Forderungsrechte auf ihrer Seite zu entdecken vermag 11. c) Die Antwort, die sich mithin auf die Stellung des begünstigten Dritten beschränken darf, ist in den berichteten Geschehnissen, gewissermaßen als "Vernunft der Sache", schon enthalten: Anerkennte man die Wirkung von Schutzpflichten vor "Leistungsnähe" der zu sichernden Personen (etwa vor der Aufnahme des Dienstes oder vor dem Antritt der Reise auf der "Norway") 12, ließe man den Eintritt in einen Versicherungsvertrag schon vor der Entstehung der zu deckenden Gefahr 13 und die latente Empfangsberechtigung aus einem Lagergeschäft schon vor Aushändigung des Lagerscheins an einen Erwerber des Guts 14 6 Oben, S. 20-21. 7 Das heißt Gläubiger einer auf den sog. "Versicherungsfall" gestellten, aufschiebend bedingten Berechtigung zugunsten eines Dritten (PröIss / Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 23. Auf!., 1984, 1 zu § 75 und 2 A zu § 1). 8 Sachverhalt eines Urteils des LG Berlin, VersR 1984, S. 250. Die Versicherung für Rechnung "wen es angeht" ist in § 80 11 VVG geregelt. 9 RG 78, 149 vom Jahre 1911. 10 So in der Tat Kramer in der 2. Auf!. des Münchener Kommentars (1985), Fußnote 2 zu § 241: " ... s. auch RGZ 78, 149, 154". 11 So richtig J. Schmidt in der 12. Auf!. des Staudingerschen Kommentars (1983), Bem. 412 der Einleitung zu §§ 241 ff. 12 Die Schutzpflicht entsteht bereits mit der Leistung, hier zum Beispiel mit der Verlegung von Teppichboden auf der ,,Norway", an sie heften sich aber erst in dem Augenblick Rechtsfolgen, in dem ein Begünstigter einen Schaden erleidet. 13 Das LG Berlin verbindet zutreffend den Versicherungsschutz mit der Annahme der Bilder als "Kommissionsware" (VersR 1984, S. 250/51 unter I, 1). 14 Deutlich RG 78, 154: "Das durch den Vertrag für den Dritten geschaffene und insoweit vom Rechte des ursprünglichen Gläubigers unabhängige Recht sollte nach der Vertragsabsicht für jeden späteren Erwerber im Augenblick des Erwerbs wirksam werden."

1. Der nur "bestimmbare" Gläubiger

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gelten, so wäre damit das Gebilde des "subjektiven" Rechts ohne Subjekt geschaffen, das zwar konstruierbar l5 , im Rahmen vertraglicher Beziehungen aber ohne praktischen Wert ist. Denn die Aufgabe, die das "subjektlose Recht" erfüllen soll: die Rücknahme einer Zusage zu verhindern, aus der Rechte - einmal zu entstehen vermögen, kann überzeugender gelöst werden: Man entscheide sich in diesem Zusammenhang für die Bindung des Versprechenden kraft des Vertrags zugunsten eines noch unbestimmten Dritten, der mithin noch nicht Gläubiger ist. Diese Bindung stellt sich dogmatisch als ein unbefristeter Antrag dar, den der Begünstigte ausdrücklich - durch Geltendmachung seiner Rechte - oder schlüssig - durch den Eintritt in die für ihn vorgesehene Rechtsstellung etwa des Passagiers, des Kommittenten, des Hinterlegers verwahrten Guts oder des Käufers von "Isolar-"Fenstern - annimmt l6 • Sie wird der erwarteten Klärung der Beziehungen besser gerecht als ein derart zweifelhaftes Denkgebilde wie das "Recht ohne Rechtsträger" 17. Ginge man nämlich so weit, die Forderung von der Person des Gläubigers zu lösen, so würde sie zu einer leeren Hülse, die nicht einmal der ursprünglichen Aufgabe des subjektiven Rechts genügen könnte: Eine Zuordnung auszusprechen und damit den Streit zu unterbinden, wer denn als berechtigter Gläubiger anzuerkennen ist. Die Redewendung von dem nur "bestimmbaren" Gläubiger, so kann ich die Erörterung dieser Figur beschließen, ist eine trügerische Erweiterung des Schuldbandes: "Gläubiger" wird man erst, wenn die eigene Berechtigung durch die Person oder ein sachliches Merkmal 18 gegenwärtig festgelegt werden kann; es gibt keine bestimmbaren, sondern nur bestimmte Gläubiger.

15 A. Blomeyer, Der unbestimmte Gläubiger, Festschrift für Rabel (1954), Band I, S. 307/09: Daß bei Schuldbegründung der Gläubiger nicht bestimmt, sondern nur bestimmbar sei, erscheine unbedenklich; einer sukzessiven Tatbestandsvollendung stehe nichts entgegen. 16 Seine Berechtigung entsteht mithin kraft eines zusätzlichen Vertrags mit dem Versprechenden. Ich folge in diesem Punkte den Überlegungen von Hadding in der Festschrift f. Zajtay (1982), S. 185 ffj208-09, die der unreflektierten, heute aber herrschenden ,,Anwachsungstheorie" entgegenhalten: Die Meinung, das Recht des Dritten entstehe ,,kraft Gesetzes", sei ein Bruch mit dem Vertragsprinzip des § 305 (S. 190, 201), sie verleite dazu, die Ablehnung des Erwerbs durch den Begünstigten mit einer lebensfremden und gedanklich nicht durchzuhaltenden Fiktion zu rechtfertigen, und vor allem: sie erkläre sich aus einer "Überinterpretation" von Autoritäten zur Zeit der Beratungen des BGB (S. 204). Hadding: Das Recht des Dritten entsteht durch Annahme eines für ihn reservierten Rechts! 17 Eine zusammenfassende Auseinandersetzung mit diesen Gedankengängen bei Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbband (1959), § 75 III, schließt mit der These: Wenn alle ,,natürlichen" Konstruktionen versagten, um einen zeitlichen Abstand zwischen dem Wegfall eines Berechtigten und dem Eintritt eines späteren Nachfolgers zu überbrücken, müsse man mit der Gebundenheit eines Vermögensteils arbeiten. 18 Wie die Stellung als Geschäftsführer ohne Auftrag (oben S. 25, Fußnote 5) oder als Grundstückseigentümer wie in dem oben (S. 25, Fußnote 2) zitierten Urteil RG 128, 246/49-50.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

2. Die Relativität des Schuldverhältnisses auf der Seite der Verpflichtung a) Die Beschränkung der Gläubigerrechte auf den Vertragsschuldner kraft der isolierenden Betrachtungsweise des Schuldrechts aa) Daß der Mensch ohne ein Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen allenfalls zu vegetieren, aber nicht zu "leben" vermag 19, daß eine Gesellschaft mit verfeinerter Lebensweise und höheren Leistungen die Arbeitsteilung, mithin die wechselseitige Abhängigkeit in den Beziehungen von Mensch zu Mensch, voraussetzt, ist eine immer wieder erfahrene Einsicht. Die Auflösung privater Bindungen endet in der Vereinzelung, derjenigen im Großen im Stillstand, ja Zerfall der zivilisierten Gesellschaft, ein Zustand, den wir bei Naturkatastrophen 20 und dem längeren Stromausfall in einer Großstadt 2 1 erleben. Auch kleinere soziale Gebilde gehen wie die großen Verbände zugrunde, wenn die sie zusammenhaltende Kraft schwindet und bildlich gesprochen "alles auseinanderläuft" . Das Ineinandergreifen der Beziehungen beeinflußt zwar die Blickrichtung der Sozial wissenschaft 22 und lenkt auch das Interesse des Gesellschafts- 23, des Arbeits- 24 und des Bankrechts 25, es ist jedoch kein Ausgangspunkt der traditionellen 19 Beschrieben in dem Roman von Daniel Defoe, The life and strange surprising adventures of Robinson Crusoe (1719). 20 Das Erdbeben, das im November 1980 die süditalienischen Regionen Kampanien und Basilikata heimsuchte und sie völlig desorganisierte, weckte die Frage: Wo war in den ersten Tagen der Staat - "in ritardo"? ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 20. 12. 1980). 21 Das große New Yorker "Blackout" im Juli 1977 mit seinen Massenplünderungen war eine "Nacht der Rache für die Zukurzgekommenen" ("FAZ" vom 18.7.1977). 22 Darüber R. H. Reichardt, Einführung in die Soziologie für Juristen (1981), S. 1415: Den Gegenstand der Soziologie bildet das Studium der Art und Weise, wie Menschen gegenseitig aufeinander einwirken und wie sich daraus auch größere und dauerhaftere Strukturen entwickeln ... Der Kunstsoziologe wird etwa die Wechselwirkung zwischen Künstler und Publikum untersuchen. 23 H. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I (1980), § I V I b: Die gesellschaftsrecht lichen Prinzipien und Normen sind auch ,,kollektivbezogen" . Ein Beispiel sind die sog. "SozialanspTÜche", welche die Gesellschafter mit der Gesellschafterklage geltend machen: Zahlen Sie Ihren Beitrag in die Kasse! (Wiedemann, a. a. 0., § 5 III, 2 b). 24 Etwa im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer (dazu Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., 1987, § 112) und den unten, S. 63 ff dargestellten Vertragsübergang auf den Erwerber eines Betriebs, der u.a. den Zusammenhalt der Mitarbeiter unter einer neuen Leitung sichern soll. 2S Der bargeldlose Zahlungsverkehr, das Lastschriftverfahren und der Einzug von Schecks bei dem bezogenen Kreditinstitut durchlaufen zwar eine Kette an sich selbständiger Schuldverhältnisse des Girovertrags; sie "springen" bildlich gesprochen von Bankvertrag zu Bankvertrag. Eine BTÜcke schafft hier die Konstruktion von übergreifenden Schutzpflichten: Im Lastschriftverfahren zugunsten des Zahlungsgläubigers gegen die Bank des Schuldners (BGH WM 1977, S. 1042/43 - und zwar wegen der nötigen

2. Die Relativität auf der Seite der Verpflichtung

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und typisch schuldrechtlichen, das heißt auf das einzelne Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ausgerichteten Verbindung. Hier gilt im Prinzip das Trennungsdenken, das die verflochtenen Lebenszusammenhänge entflicht 26 , um sie übersehbar, damit auch besser durchsetzbar, zu machen und die Inanspruchnahme von Außenstehenden, mit der die Betreffenden nicht zu rechnen brauchen, zu unterbinden. Auf die hier zu erörternde Stellung des Gläubigers angewandt, bedeutet das: Die Rechtssicherheit verlangt, daß sich seine Ansprüche allein gegen den ursprünglichen oder einen später eintretenden 27 Schuldner, nicht aber gegen einen außerhalb des Bandes stehenden Dritten richten. bb) Ein Berliner Reisebüro blieb den mit ihm vertraglich verbundenen Hotels und Pensionen an der Nord- und Ostsee sowie in der Lüneburger Heide 221000 DM für erbrachte Übernachtungen schuldig; seine Kunden hatten ihrerseits den Reisepreis vollständig bezahlt 28. Die Relativität des Schuldverhältnisses verbietet es den Hoteliers und Pensionsinhabern, die Richtung ihrer Ansprüche zu ändern und sich die - erbrachten - Leistungen von den Reisenden, statt von ihrem Vertragspartner bezahlen zu lassen. Allerdings hatten die Gastronomen, im Verhältnis zu den Reisenden sog. Versprechende in einem Vertrag zugunsten Dritter (§ 328)29, das Recht, die Aufnahme in ihr Haus von einer erneuten Bezahlung abhängig zu machen, um sich auf diese Weise gegen weitere Verluste zu sichern 30. Ein französischer Kaufmann schuldete seinem deutschen Geschäftspartner einen Betrag von rund 4000 DM3!. Die Überweisung nahm ihren Weg über eine Bank in Straßburg, deren deutsche Korrespondenzbank in Wiesbaden und die Bank des Gläubigers. Die Korrespondenzbank behielt von der Summe "Bearbeitungsgebühren und SpeRückgabe der nicht eingelösten Lastschrift innerhalb einer kürzeren Frist); bei der Einziehung eines Schecks zugunsten des Inhabers gegen eine vennittelnde Bank, wenn diese für die rechtzeitige Weiterleitung an die Bezogene zu sorgen hatte (BGH WM 1985, S.1391/93). 26 Überzeugend F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts (1934), S. 13: Die Rechtswissenschaft ist eine "Scheidekunst", die Ordnung schaffen will. 27 Man denke an die Schuld- und Vertragsübernahme sowie die in den §§ 1967 ff geregelte Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeiten. 28 "Kieler Nachrichten" vom 5. 10. 1987 ("Reisebüro Konrad bezahlte die Rechnungen nicht"). 29 Einschlägig hier BGH 93, 271/73 - 75; Palandt / Thomas, 48. Aufl., 4 zu § 651 a. Die Entscheidung betrifft die in einem Reisebüro gebuchte Flugreise und behandelt einen Schadensersatzanspruch des Reisenden wegen seiner nicht ausgeführten Beförderung. 30 Und zwar kraft der Einrede des nicht erfüllten Beherbergungsvertrags (§§ 535, 320), die nach § 334 den begünstigten Reisenden entgegengehalten werden kann. Die gegenteilige Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die einen "stillschweigenden Ausschluß" dieses Rechtsbehelfs in dem Vertrag mit dem Reiseveranstalter unterstellt (a. a. 0., S. 275/76), ist nur aus der Lage des im Ausland sitzengebliebenen Reisenden mit leerer Kasse zu verstehen. Sie ist nicht auf den Berliner übertragbar, der vor der Rezeption "seines" Hotels in der Heide steht und die Unterkunft wegen der Schulden des Reisebüros noch einmal bezahlen soll (so für einen anderen Flugreisefall auch LG Frankfurt, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1986, S. 586/88-90). 3! Sachverhalt eines Urteils des AG Wiesbaden, WM 1980, S. 175.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

sen" von insgesamt 7,58 DM ein 32 • Die gegen sie gerichtete Nachforderungsklage des Gläubigers scheiterte, weil den Gläubiger keine Geschäftsbeziehungen mit der Bank seines Schuldners verbanden. Der richtige Adressat für solche Nachforderungen war eben der Schuldner und nicht seine Erfüllungsgehilfin, die nicht gehalten war, dem Gläubiger, vertragsrechtlich gesehen eine Person, der sie nicht verantwortlich war, Rede und Antwort über ihr Geschäftsgebahren zu stehen 33 • Der lehrreiche Fall auf der Grenze zwischen dem Schuld- und dem Sachenrecht zeigt den Unterschied zwischen den absoluten und den relativen Rechten: Gäbe es so etwas wie das "Eigentum" an einer Gutschrift, hätte der Gläubiger die Erfüllungsgehilfin selbst in Anspruch nehmen und sich dazu auf die Verletzung eines gegen jedermann wirksamen Rechts stützen können 34.

b) Die Erstreckung der Schuldnerpflichten kraft einer die Schuldverhältnisse verknüpfenden Betrachtungsweise aa) Das Trennungsdenken macht, wie ausgeführt, die schuldrechtlichen Beziehungen übersehbar und besser durchsetzbar; es findet darin trotz des Abweichens von den Lebensverhältnissen seine Rechtfertigung. Der juristische "Formalismus" muß jedoch einer übergreifenden Handhabung weichen, wenn sich sein guter Sinn bei einem Festhalten an der Regel in das Gegenteil verkehren würde. Ein solcher Durchbruch durch das Schema kennzeichnet den Anspruch des Vermieters, Verpächters oder Verleihers auf die Rückgabe der überlassenen Sache: Hier ist die Erstreckung des Schuldverhältnisses auf alle diejenigen vorgesehen, denen der Mieter (§ 5561II), Pächter (§ 581 11) oder Entleiher (§ 604 IV) "den Gebrauch überlassen haben". Ohne diese Erweiterung müßte der Gläubiger in zwei Schritten zu erreichen suchen, was ihm das Gesetz in einem einzigen Anlauf ermöglicht 35. Das Trennungsdenken zwänge ihn nämlich, die Abtretung des Herausgabeanspruchs 36 oder, wo ihm diese nicht gewährt wird, dessen Pfan32 Eine Befriedigung, die sich nach einem Test des Europäischen Verbraucherverbandes die Banken in der Europäischen Gemeinschaft auch ohne Gestattung ihrer Kunden verschaffen ("Geldüberweisungen in der Gemeinschaft", "Blick durch die Wirtschaft" vom 26.4. 1988). 33 Die Haftung wegen einer vorsätzlichen, "sittenwidrigen" Verletzung des Forderungsrechts kam nicht in Betracht. Der Abzug von Bearbeitungsgebühren ist zwar ein für den Gläubiger ärgerlicher, aber kein sittenwidriger Eingriff. Außerdem war der Gläubiger nicht geschädigt, wenn er einen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch gegen seinen Schuldner behielt. 34 Ein Gesichtspunkt, den das Amtsgericht im Zusammenhang mit der vom Gläubiger behaupteten "Veruntreuung" des Betrags erörtert. 35 Auf das Eigentum des Vermieters, Verpächters oder Verleihers kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Rechtfertigte der Gläubiger den Anspruch auf Rückgabe aus seinem Eigentum, wäre ihm der Durchgriff gegen den Untermieter (etc.) vielfach verwehrt: Konkurriert nämlich der Herausgabeanspruch eines Vertragsgläubigers mit dem eines dritten Eigentümers, hat der schuldrechtliche Gläubiger den Vorrang, falls er vom Eigentümer den Ersatz von Verwendungen auf die Sache beanspruchen kann. Näher dazu unten, S. 50. 36 Und zwar kraft des § 281.

2. Die Relativität auf der Seite der Verpflichtung

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dung (§ 886 ZPO) zu erreichen, um sich mit dem Besitzer der Sache - dem Untennieter, -pächter oder -entleiher - auseinanderzusetzen 37 • Unter Berufung auf die Relativität der Schuldverhältnisse könnte dieser "Schuldner des Schuldners" dem abgetretenen oder gepfandeten Anspruch sogar die eigenen, an sich nur gegen den "Mittelsmann" wirkenden Vertragsrechte 38 entgegenhalten (§§ 404, 412)39. bb) Der gesetzlich gestattete Durchgriff des Gläubigers räumt diese Hindernisse aus dem Wege: Nicht nur, daß es keiner Abtretung oder Pfändung bedarf; ist der Rückgabeanspruch des Vennieters, Verpächters oder Verleihers entstanden, kann der Dritte die eigenen Rechte nur noch gegen seinen Vertragspartner, also nicht gegen den Vennieter usw. geltend machen. Die - teilweise 40 Verknüpfung der Schuldverhältnisse bewirkt also, was außerhalb der Miete, der Pacht und der Leihe der Vorteil des Trennungsdenkens ist: die bessere Übersehbarkeit und Durchsetzbarkeit eines Rückgabeanspruchs aus der Sicht des Gläubigers 41 • Zu seinen Gunsten und damit zu Lasten des Schuldners gibt das Gesetz an dieser Stelle die isolierende Abwicklung von Schuldverhältnissen auf. Die Erweiterung ist nur auf den ersten Blick system widrig, weil sie dem Verhältnis zwischen Vennieter und Mieter, Verpächter und Pächter, Verleiher und Entleiher einen weiteren Rückgabeschuldner hinzufügt: Vergleicht man sie mit der für das Eigentum geltenden Regelung des § 986, entspricht sie einer inneren Logik dieser und ähnlicher Rückgabeanspruche. Ein Besitzer kann dem Eigentümer (und dementsprechend dem Vennieter) keine Einwendungen aus der Beziehung zu einem Dritten entgegenhalten, wenn sie den Herausgabeberechtigten nicht bindet.

37 Schwierigkeiten, die schon der Gesetzgeber gesehen hat (Mugdan, Die gesamten Materialien, Bd. 2, S. 851), Protokolle. 38 Der übergreifende Anspruch setzt eine Überlassung zum "selbständigen" Gebrauch voraus (LG Düsseldorf, Zeitschrift für Miet- und Raumrecht 1957, S. 196; Staudinger / Sonnenschein, 12. Aufl., 1981,41 zu § 556). Ist der Dritte nämlich nur Besitzdiener, verfügt der Mieter, Pächter oder Entleiher über hinreichende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten, um dem Rückgabeanspruch in eigener Person zu genügen. Weigert sich der Besitzdiener, dem Mieter etc. Folge zu leisten, macht er sich selbst zum Besitzer. Der Vermieter hat solchenfalls einen auf die verbotene Eigenrnacht des früheren Besitzdieners gegründeten Rückgabeanspruch (§ 869). Der Dritte wird regelmäßig Vertragspartner eines Mieters sein, ein Grund, weshalb die Protokolle vereinfachend nur noch vom "Untermieter" sprechen (Mugdan, a. a. 0., S.850-51). 39 Die Pfändung wird dem gesetzlichen Forderungsübergang im Sinne des § 412 gleichgesetzt (Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 1 zu § 412). 40 Die sich nur auf die Rückgabepflicht bezieht, mithin in das Schuldverhältnis zwischen einem Mieter und Untermieter nicht eingreift. 41 Die Gesetzesverfasser rechtfertigen den übergreifenden Anspruch mit einem "dringenden praktischen Bedürfnis" (Mugdan, a. a. 0., S. 850).

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

cc) Technisch erklärt sich die vom Vermieter (usw.) auf den Untermieter übergreifende Beziehung aus einem gesetzlich 42 angeordneten Beitritt des Untermieters zur Rückgabeschuld des Mieters 43: Die Vorschrift des § 556 III (des § 581 11 und des § 604 IV) behandelt den Untermieter so, als habe er die Rückgabe der Sache - gesamtschuldnerisch mit dem Mieter - für den Fall zugesichert, daß der Hauptmietvertrag durch Kündigung, einverständliche Aufhebung oder den Tod des Mieters sein Ende findet. Da sich der Schuldbeitritt auf die Rückgabepflicht beschränkt, läßt er die Rechte aus der Untermiete (der Unterpacht, der Unterleihe) unangetastet. Der Dritte kann mithin Entschädigung wegen der Entziehung seines Besitzes verlangen. Ein mit einem Geschäftshaus bebautes Grundstück war auf die Dauer von 20 Jahren vermietet worden, das Erdgeschoß wurde alsdann auf 5 Jahre untervermietet 44 • Wegen des Zahlungsverzugs des Hauptmieters und des Räumungsverlangens des Vermieters sah sich die Untermieterin gezwungen, einen neuen Vertrag mit dem Vermieter zu schließen, der die Miete für das Erdgeschoß von 2 600 DM auf 4 000 DM im Monat erhöhte. Den Unterschied von monatlich 1 400 DM stellte sie dem Mieter als Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Rechnung - mit Fug und Recht (§ 541). dd) Der gesetzlich festgelegte Schuldbeitritt des Untermieters, -pächters oder -entleihers weist auf weitere Sachverhalte hin, in denen die Gläubigerrechte gegen "Dritte", das heißt gegen Personen erstreckt werden, die dem Gläubiger weder kraft eines Rechtsgeschäfts noch kraft sozialen Handeins (Geschäftsführung ohne Auftrag, Annahme einer Leistung ohne Rechtsgrund) noch kraft eines Eingriffs (ungerechtfertigte Bereicherung oder unerlaubte Handlung) verpflichtet sind, kurzum: die für fremde Verbindlichkeiten aufzukommen haben und aus diesem Grunde außerhalb des bestimmenden Schuldverhältnisses, jedoch in einer mit ihm verknüpften Beziehung stehen. Ich zähle zu ihnen den gesetzlich angeordneten Schuldbeitritt 45 des Vermögensübernehmers (§ 419), die auf ihren geschäftlichen Kredit gegründete 42 Also einer auch ohne oder gar gegen den Willen des Untermieters wirksamen Erweiterung des Anspruchs. 43 Staudinger / Sonnenschein, a. a. 0., 37 zu § 556. Beredt, wegen der unerwähnt gebliebenen Gewährleistungsansprüche des Untermieters jedoch nicht präzis: Reichei, Die Schuldmitübemahme (1909), S. 112-13. 44 Sachverhalt des Urteils BGH, WM 1974, S. 1180. 45 § 419 I: " ... so können dessen Gläubiger ihre Ansprüche auch gegen den Übemehmer geltend machen". Der heute überhand nehmenden literarischen Kritik an der "glatten" Anwendung des § 419 auf unentgeltliche wie auf entgeltliche Veräußerungen (zusammenfassend Möschel im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 1985,3 - 4 und 16-17 zu § 419) kann ich mich nicht anschließen: Sie wendet sich im Kern gegen die behauptete "Verdoppelung der Haftungsmasse": Verfüge doch der Veräußerer über das gezahlte Entgelt und der Erwerber über die ihm zugeflossenen Vermögensstücke (pointiert Eisemann, AcP Bd. 176, 1976, S. 487 - 88). Dabei sind jedoch die praktischen Schwierigkeiten der Unterscheidung von "entgeltlich", "noch entgeltlich" und "im wesentlichen unentgeltlich" vernachlässigt. Erstens: Wie

2. Die Relativität auf der Seite der Verpflichtung

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Haftung 46 der Gesellschafter einer OHG oder der Komplementäre 47 einer KG für die Verbindlichkeiten "der Gesellschaft" (§§ 128, 161 11 HGB), die dogmatisch ebenfalls als gesetzlicher Schuldbeitritt zu erfassen sind, und den sog. "Durchgriff' gegen die Mitglieder einer juristischen Person wegen der Verbindlichkeiten, die sie "eigentlich", nämlich nach der Benennung des bestimmenden Schuldverhältnisses, nichts angehen 48. Da sich bei diesen Gestaltungen, genau betrachtet, immer wieder der eine Gedanke durchsetzt: die Aufhebung der Relativität zugunsten des Gläubigers, aber zu Lasten des zunächst unbeteiligten Dritten, erübrigt sich die Anführung von Einzelheiten.

hoch ist - meß- und diskutierbar - der Verkehrswert einer verkauften Gasstätte "X", ist sie unterbezahlt, der Erwerber mithin noch haftbar? Zweitens: Wann zahlt er? (so RG Recht 1912, Nr. 203; BGH 33,123/26). Drittens: Ist nicht Kapital, wie Börsenkreise behaupten, "scheu wie ein Reh", für den Gläubiger mithin viel weniger greifbar als die auf den Erwerber übergegangene Immobilie oder die Geschäftsanteile eines Unternehmens? Wie hier die beharrende Auffassung von Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 1 a und 3 b zu § 419 mit Nachweisen. 46 Das Ansehen der persönlich haftenden Gesellschafter bestimmt das Vertrauen, das die Gesellschaft als ein nicht greifbares Gebilde in Anspruch nehmen kann. - Die Einordnung als gesetzlicher Schuldbeitritt ist in der Literatur nicht belegt. 47 Nach der gesetzlichen Ausdrucksweise der "persönlich haftende Gesellschafter" (§ 161 I HGB). 48 Da die Relativität des Schuldverhältnisses nicht an sämtlichen in Frage kommenden Gestaltungen erprobt, sondern nur beispielhaft dargestellt werden kann, muß hier die Skizze den ausgeformten Gedanken vertreten. Der "Durchgriff' erlaubt die Inanspruchnahme der hinter einer juristischen Person, besonders häufig einer GmbH, stehenden Gesellschafter. Sein Grund liegt in dem Mißbrauch der Form zu einem sachfremden und damit "Treu und Glauben" verletzenden Ziel: Riskante Geschäfte mit unzureichendem Kapital unter dem Mantel der juristischen Person zu tätigen und auf diese Weise die Haftung als Vertrags schuldner zu vermeiden. Prägnant dazu Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I (1980), § 4 III und III, 1; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht (1986), § 9 I 1. Einen lehrreichen Sachverhalt, die Haftung für rückständige Leasingraten von mehr als 700 000 DM, würdigt das Urteil BGH 95,330 vom Jahre 1985: In Anspruch genommen waren die in einem Konzern, einem verschachtelten Gebilde, herrschenden Gesellschafter wegen der Schulden der von ihnen beherrschten, vermögenslosen Unternehmen in der Rechtsform der GmbH. Über einen der verklagten Gesellschafter fällt der Bundesgerichtshof das Urteil (a. a. 0., S. 341): "Der Beklagte zu 1) hat die Leasingnehmer-Gesellschaften mit einer kaum zu übertreffenden Dichte seines Einflusses einheitlich geleitet". Er hatte trotzdem versucht, die Schulden von seinem privaten Vermögen auf die beschränkt haftenden Gesellschaften zu lenken. 3 Henke

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

3. Die Relativität des Schuldverhältnisses auf der Seite der Berechtigung a) Alteri stipulari nemo potest 49 - Niemand kann sich Leistungen zugunsten eines Dritten versprechen lassen: Welchen richtigen Kern enthält diese Aussage heute noch? Wie ausgeführt, steht jedermann in einer großen Zahl von rechtlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen, die ihm Halt geben und ihn in Pflicht nehmen. Das Schuldrecht kann diese Verflechtung jedoch nur in beschränktem Maße als für sich verbindlich anerkennen: Seine Beziehungen müssen im Grundsatz einfach und übersichtlich bleiben, sollen sie Konflikte lösen, ja vermeiden und nicht, wie dies unklare Verträge häufig mit sich bringen, vermehren 50. Daher legen Schuldrecht und Schuldverhältnis die Beteiligten auf die Stellung des "Gläubigers" und "Schuldners" fest und lassen die einer "interessierten Partei" 51 nicht gelten; daher bedarf eine das Zwei-Personen-Verhältnis überschreitende Beziehung, wie wir sie in dem Schuldbeitritt des Untermieters, des Vermögensübernehmers und der mithaftenden Gesellschafter kennengelernt haben 52, der besonderen Rechtfertigung, etwa der Feststellung, daß die übergreifende Verpflichtung in einem Schritt zu bewältigen vermag, wozu ein schulgemäßes Vorgehen zwei Etappen benötigte (Rückgabeanspruch gegen den Untermie49 Dig. 45, 1,38, 17 "de verborum obligationibus", wo § 17 des 38. Fragments (der 38. lex) in vollständiger Wiedergabe so lautet: "Alteri stipulari nemo potest, praeterquam si servus domino, filius patri stipuletur: inventae sunt enim huius modi obligationes ad hoc, ut unusquisque sibi adquirat quod sua interest: ceterum ut alii detur, nihil interest mea." "Über die Verbindlichkeit des gesprochenen Worts": ,,Niemand, mit Ausnahme des Sklaven für den Herrn und des Sohnes für den Vater, kann sich Leistungen zugunsten eines Dritten versprechen lassen, sind doch die Schuldverträge zu dem Zweck geschaffen worden, daß man Leistungen erwerbe, um das eigene Interesse zu befriedigen. An dem Erwerb eines anderen hat man aber selbst kein Interesse." Die sog. Hausangehörigen, das heißt die der Gewalt des Familienoberhaupts unterworfene Ehefrau mitsamt den Söhnen und Töchtern, waren, in dieser Hinsicht den Sklaven vergleichbar, nicht aktiv vermögensfähig, sondern handelten zu fremdem Recht (sie waren "alieni iuris"). Forderungen und dingliche Rechte, die sie erwarben, fielen dem Familienoberhaupt, dem "pater familias" zu, um das Familienvermögen möglichst in einer Hand zu vereinigen. Zur rechtlichen Gestalt der römischen Familie: Honsell/ Mayer-Maly I Selb, Römisches Recht, 4. Auf!. (1987), § 29 I-U. 50 Die oft umstrittene Stellung des Gläubigers eines Giro- oder Sparkontos macht in dem Großkommentar "Bankvertragsrecht" von Canaris Erläuterungen nötig, die sich über fast 9 Druckseiten erstrecken (2. Bearbeitung 1981, Textziffern 142-163). Wie verwickelt die Rechtslage sein kann, erhellt aus einem Spruch des Bundesgerichtshofs: Das Urteil, das einer Partei den Anspruch auf den Besitz eines Sparbuchs zuerkenne, entscheide ,,nicht ohne weiteres", wer Gläubiger des Guthabens sei (WM 1973, S. 39). 51 Zum Beispiel nach dem Vorbild des Nebenintervenienten der Zivilprozeßordnung (§ 66), dem das eigene ,,rechtliche Interesse" die Befugnis gibt, sich einem fremden Prozeß anzuschließen und durch Unterstützung des Klägers oder des Beklagten auch dem eigenen Standpunkt Gehör zu verschaffen. 52 Siehe oben, S. 30-33.

3. Die Relativität auf der Seite der Berechtigung

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ter), daß sie dem Gläubiger die Haftungsgrundlage erhält (Inanspruchnahme des Vennögensübernehmers), die Konsequenzen aus dem Vertrauen auf die Person eines Gesellschafters zieht oder daß sie schließlich die wabre Rechtslage gegen eine diese verschleiernde "Juristische Person" zur Geltung bringt. b) Die Erstreckung der Gläubigerrechte durch Verknüpfung von Lebens- und Rechtsverhältnissen

Wenn es einen Weg gibt, Verpflichtungen miteinander zu verknüpfen, so muß sich die entsprechende Möglichkeit auch für die GläubigersteIlung eröffnen, dergestalt, daß ein "Dritter" Forderungsrechte gegen den Vertragsschuldner erwirbt. Wegen der größeren Freiheit auf dieser Seite sind hier die Spielarten hinsichtlich der Verwendbarkeit der Figuren und - was auf der Passivseite überhaupt nicht in Betracht kommt - der Reichweite der Berechtigung feiner abstufbar. Ich spreche in diesem Zusammenhang von den Verträgen "zugunsten Dritter" (§ 328) und" mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter", jene zu definieren als Vereinbarung, daß der Schuldner, der sog. "Versprechende", die Leistung an einen vom Gläubiger, dem sog. "Versprechensempfänger", verschiedenen Dritten, den sog. "Begünstigten", zu erbringen hat 53, diese in der schwächeren Spielart 54 der bloßen Schutzwirkungen als Einbeziehung Außenstehender in die Sorgfalts- und Obhutspflichten eines zwischen anderen Personen geschlossenen Vertrags wegen ihrer Leistungsnähe und Schutzbedürftigkeit, mit der Folge, daß für sie bei Verletzung der entsprechenden Pflichten vertragliche Schadensersatzansprüche entstehen 55 • c) Beide Gestaltungen fügen dem Schuldband einen zweiten Gläubiger hinzu, der - bei dem Vertrag "zugunsten Dritter" - die ursprünglichen Gläubigerrechte zu schmälern und - in beiden Spielarten - die Schuldnerpflichten zu erweitern vermag. Indem sie die Relativität des Schuldverhältnisses von einer anderen Seite - der des Auftretens neuer Gläubiger - aus beleuchten, fordern sie Antwort auf die Frage: In welchem Verhältnis stehen die Verträge "zugunsten" und "mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter" im Vergleich zu den "einfach aufgebauten", das heißt nur zweipoligen Übereinkünften? Stellen sie wegen der Willens-, also Vertragsfreiheit der Parteien normale Vertragsgestaltungen dar, die immer dann zu bejahen sind, wenn die Leistung des Schuldners irgendeinen Bezug zu einem Dritten hat 56, oder handelt es sich trotz der Gestaltungsfreiheit In Anlehnung an Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., Einführung 1 vor § 328. Von dem im Vergleich zum Vertrag zugunsten Dritter "schwächeren Typus" spricht treffend Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 17 11 (S. 226). 55 Oben, S. 20-22. 56 Ist der Empfänger eines Geldbriefs (RG 43, 98) oder einer Postanweisung (RG 63, 337) berechtigter Dritter im Sinne des § 328, hat er also den Anspruch darauf, daß ihm die Post die Sendung aushändigt? Verneinend die beiden Entscheidungen des Reichsgerichts: Die Post leistet an den Empfänger nur, um ihre Verpflichtung gegenüber dem Absender zu erfüllen (§ 362 11 und RG 60,24/28). 53

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

der Partner um außergewöhnliche Spielarten 57 der "einfachen" Kontrakte des Kaufs, der Schenkung, der Miete, der Werkleistung und der Geschäftsbesorgung, die nur bei sicheren Anzeichen angenommen werden dürfen, die zum Beispiel in Frage kommen, wenn der Gläubiger seine Interessen denen des Begünstigten untergeordnet hat 58 oder wenn sich - für den Schuldner erkennbar - die Interessen des Gläubigers mit denen des Dritten verbinden 59? Wie es der Eigenart der Rechtswissenschaft als eines auf praktische Ziele ausgerichteten Fachs entspricht, darf man auch an dieser Stelle nicht spekulativ vorgehen. Es gilt, die Anwort an Hand wirklich geschehener Sachverhalte zu finden. d) Der Vertrag zugunsten Dritter verdrängt den sog. Versprechensempfänger aus der Stellung des einzigen und hauptsächlichen Gläubigers; er darf, wie aus § 335 hervorgeht, aus eigenem Recht 60 nur noch die Leistung an den Begünstigten fordem 61 • aa) Den Konflikt zwischen den heiden Gläubigern, den diese Gestaltung mit sich bringt, der m.E. neben anderen Gründen auch die ablehnende Auffassung des römischen Rechts erklärt 62 , mögen zwei gerichtliche Auseinandersetzungen beleuchten. Eine Mutter füllte einen Lotto-Spielschein mit dem Namen ihrer Tochter aus, die zu dem fraglichen Zeitpunkt, an einer Blinddarmentzündung leidend, im Krankenhaus lag 63. Sie bezahlte den Einsatz aus eigenen Mitteln. 57 So andeutende, aber nicht ausgeführte Formulierungen der Literatur: Eine "atypische inhaltliche Gestaltung" (Gottwald im Münchener Kommentar, 2. Auf!. 3 zu § 328); "gesetzliche Ausnahme" (Larenz, a. a. 0., S. 219; Palandt/Heinrichs, a. a. 0., Einführung I vor § 328). 58 So für den Vertrag zugunsten Dritter, wo der Außenstehende, wie aus § 335 erkennbar, der maßgebende Gläubiger ist. 59 So für den Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter, für den ein "erkennbares Interesse des Gläubigers an dem Schutz des Außenstehenden" gefordert wird (Larenz, a. a. 0., S. 227 -28). 60 Das Verlangen aus eigenem Recht unterscheidet ihn von der Stellung desjenigen, dem der Gläubiger eine sog. Einziehungsermächtigung gegeben hat. Zur Ermächtigung dieser Art: Palandt I Heinrichs, 48. Auf!., 8 a zu § 398. 61 Wer ein Grundstück verkauft und sich vom Käufer in Anrechnung auf den Preis die Übereignung eines anderen Besitzes an seinen elfjährigen Sohn zusichern läßt, um dessen Existenz nach dem Abschluß der Berufsausbildung zu sichern (so der Fall BGH WM 1980, S. 132), bleibt nur noch zusätzlicher Gläubiger. 62 So zutreffend Unger, Die Verträge zugunsten Dritter (1869), S. 3: Jeder handele für sich selbst und im eigenen Interesse! Auf andere Gründe weisen Heck, Grundriß des Schuldrechts (1929), § 48, 5, und Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter (1949), S.20, hin: Der Formalismus der Stipulation als eines abstrakten Schuldversprechens habe die Erweiterung nicht zugelassen (so Heck) und: Der Römer habe nicht das Bedürfnis empfunden, Frau und Kinder in einem Notfall zu sichern, diese Aufgabe hätten ihm die öffentlichen, unentgeltlichen Getreidespenden abgenommen (so Wesenberg - ?). 63 Sachverhalt des Urteils des OLG Koblenz, MDR 1958, S. 687, kritisch besprochen von Ohr, MDR 1959, S. 89.

3. Die Relativität auf der Seite der Berechtigung

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Auf den Schein entfiel ein erheblicher Gewinn, der Mutter und Tochter als Gegnerinnen vor Gericht brachte. Die Mutter behauptete, sich "aus einer gewissen abergläubischen Vorstellung heraus und weil Kinder Glücksbringer seien", des Namens ihrer Tochter bedient zu haben. Die Tochter nahm dagegen einen Vertrag zugunsten Dritter für sich in Anspruch, der i.hr das Recht gebe, den an sie ausgekehrten Gewinn als Gläubigerin zu behalten 64 • Mutter und Tochter verglichen sich schließlich - mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts 65 (!) - dahin, daß die Tochter ein Sechstel des Gewinns erhielt. Zu einem Prozeß unter Familienangehörigen gab auch die Anlage eines Spar- und Festgeldkontos mit der Bestimmung Anlaß, die Guthaben nach dem Tode der Gläubigerin ihrer Tochter auszuzahlen 66 : Gaben die Bezeichnung "Verfügungsberechtigte für den Todesfall ist meine Tochter" und ein entsprechender Brief an diese: "Alles habe ich auf Deinen Namen gegeben, wenn ich sterbe, so daß Du sofort rankommst" - ausreichend deutliche Hinweise auf einen Vertrag zugunsten der Tochter (§ 328 11), der die Guthaben nach § 331 dem Nachlaß entzog? War "diese Rechtsfolge", wie der Bundesgerichtshof prüft, "auch vom Vertragswillen der Bank (als der Versprechenden und Depotschuldnerin)67 umfaßt"? bb) Wenn der Vertrag zugunsten Dritter, wie auch aus den angeführten Entscheidungen zu ersehen 68 , seine Rechtfertigung dem "Willen" der Kontrahenten, der "Interessenlage" und in der weitesten Formulierung der Indizien einfach "den Umständen" entnimmt 69 , so verwundert es nicht, daß er auch den Versprechenden (und Schuldner) in Unsicherheiten hineinzieht: Wer ist der eig/!ntliche und wer nur der zusätzliche Gläubiger? Und weiter: Wen belastet die verweigerte 64 Die Lottogesellschaft hatte sich, vermutlich um nicht in den Streit hineingezogen zu werden, an ihre Teilnahmebedingungen gehalten. Diese erlaubten m.E. die Auszahlung "mit befreiender Wirkung an den auf dem Spielabschnitt mit persönlicher Anschrift eingetragenen Spielteilnehmer" (zitiert nach Ziffer 17.1 der "Teilnahmebedingungen des Nordwest-Lottos" Schleswig-Holstein). Ich gehe davon aus, daß sich auch die damals handelnde Lotto-Gesellschaft auf gleiche, sie entlastende Bedingungen zurückgezogen hat. Die Klage der Mutter mußte sich dann auf die Vorschrift des § 816 11 stützen. 65 So in der Tat § 1822, Nr. 12 in Verbindung mit § 1915 1. Für die Entgegennahme des Gewinns und die Prozeßführung mußte das Vormundschaftsgericht der Mutter die Vertretungsmacht entziehen und einen Pfleger bestellen, der die Rechte des Kindes gegen seine gesetzliche Vertreterin wahrnahm (§§ 1629 II, Satz 3, 1796 11, 1909). 66 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1983, S. 1355. 67 Kraft eines Darlehensvertrags i.S. des § 607 (Palandt / Putzo, 48. Auf!., Einführung 3 0 vor § 607). 68 Das Oberlandesgericht Koblenz ließ "die innere Einstellung und den Willen" der Mutter sprechen und entschied sich "auf Grund der glaubhaften eidlichen Bekundung" der klagenden Mutter, vernommen als Partei, für deren Berechtigung. Der Bundesgerichtshof stellte auf "die Umstände und insbesondere den Zweck des Vertrages" ab und deutete in seinem die Sache an das Kammergericht Berlin zurückverweisenden Urteil an, daß seiner Ansicht nach die Fakten für einen Vertrag zugunsten der Tochter sprächen. 69 Ich verweise auf die Kommentierung von Heinrichs in der 48. Auf!. des Kommentars von Palandt (1 b, cc zu § 328) und von Gottwald im Münchener Kommentar (2. Auf!., 26 zu § 328).

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Annahme der Leistung durch den Begünstigten den Versprechensempfanger?

den Versprechenden oder

Der Kaufvertrag über eine Datenverarbeitungsanlage zum Preise von rund 150000 DM machte die Leasingnehmerin, in diesem Fall eine Mieterin der Anlage, mobiPo. Sie leitete aus ihm Gewährleistungsansprüche zu ihren Gunsten in Höhe von rund 244 858 DM ab, ein Verlangen, das der Bundesgerichtshof mit der Bemerkung zurückwies, es behandele die Abmachung zwischen Verkäufer und Käufer wie "Scheinverträge" und "dränge die Kaufvertragspartner in eine Rechtsposition, die sie nicht hätten vereinbaren wollen"71. Daß sich der "Begünstigte" nicht als solcher fühlt und die Leistung ablehnt, ist das Schicksal mancher Ausbildungs- und Internatsverträge: Ein fünfzehnjähriges Mädchen vereitelte durch ihre Weigerung einen zweijährigen Anfängerkurs für Stenographie und Schreibmaschine, den ihre Mutter für sie abgeschlossen hatte 72, ein Vierzehnjähriger machte durch "grobe Disziplinlosigkeiten" einen zu seinen Gunsten geschlossenen Internatsvertrag zunichte 73, und ein gleichaltriger Schüler unternahm sogar einen Selbstmordversuch, um nicht in das Internat zurückkehren zu müssen 74. War in diesen Fällen das Honorar der Schule bzw. des Internats trotzdem geschuldet? 75 ce) Die Verträge, die außenstehende Personen begünstigen, sind nicht frei von Konflikten, auf welche die Kontrahenten beim Abschluß des Geschäfts keinen Gedanken verschwendeten, Konflikte, die das Reichsgericht mit der Wendung beim Namen nannte, ein Überweisungsauftrag begründe keinen Vertrag des Auftraggebers zugunsten seines Gläubigers, damit er die angegangene Bank nicht der Gefahr aussetze, ,,Prozesse gegen ihr völlig unbekannte und geschäftsfremde Personen führen zu müssen"76. Die möglichen Auseinandersetzungen in diesem auf andere Personen erstreckten Verhältnis bestätigen den richtigen, auch heute noch gültigen Kern des römischen Satzes, "alteri stipulari nemo potest": Es ist zwar nicht unzulässig, aber es wird auch nicht vermutet, daß man interes-

sierten Dritten vertragliche Rechte gegen den Schuldner verschafft.

70 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1977, S. 390. 71 A. a. 0., S. 391 unter 3 b, bb. 72 LG Tübingen, DRiZ 1978, S. 187. 73 BGH FamRZ 1984, S. 868. 74 BGH, a. a. 0., S. 870. 75 BGH, a. a. 0., S. 868: Ja, denn die Schüler seien Erfüllungsgehilfen ihrer Eltern, der Versprechensempfänger. Sie sind danach Gläubiger und Erfüllungsgehilfen des Versprechensempfängers in einer Person, eine bemerkenswerte Zwitterstellung. Schriever, DRiZ 1978, S. 305 im Hinblick auf das Urteil des LG Tübingen: Ja, weil die Mutter wegen ihrer ohne Zustimmung des Vaters erklärten Abmeldung der Tochter die Unmöglichkeit der Leistung "zu vertreten habe" (§ 324 I). BGH, a. a. 0., S. 870/71: Nein, der Selbstmordversuch falle nicht in das Risiko der Eltern; LG Tübingen, a. a. 0.: Nein, weil die einseitige Abmeldung der Tochter durch die Mutter nicht wirksam und daher von ihr auch nicht "zu vertreten" gewesen sei. 76 RG 102,65/68 vom Jahre 1921.

3. Die Relativität auf der Seite der Berechtigung

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dd) Wer sie dennoch in Anspruch nimmt, stellt die Relativität des Schuldverhältnisses in ihrem auf die heutigen Bedürfnisse zugeschnittenen Sinn der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit der Verpflichtung auf die Probe. Daher muß zu allererst feststehen, daß der Versprechende den etwaigen Gegenwert für seine Leistung vom Versprechensempfänger erhalten und sich nicht mit dem Begünstigten als Schuldner begnügen soll, womit klargestellt ist, daß der Versprechensempfanger nicht als berufener oder unberufener Stellvertreter des Außenstehenden handelt, sondern die Gegenleistung selbst schuldet. Kraft dieser Belastung darf auch nur er und nicht der Dritte von Rechten Gebrauch machen, die das Schuldverhältnis umgestalten. Es ist mithin seine Sache, vom Vertrage zurückzutreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Verbindlichkeit zu verlangen 77. Wegen der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit der Beziehungen muß die zugesagte Leistung weiterhin, für den Versprechenden und den Versprechensempfänger erkennbar, die geldlichen, beruflichen, gesundheitlichen, kulturellen oder allgemein menschlichen 78 Bedürfnisse des Begünstigten in der Weise befriedigen, daß er selbst als Gläubiger aufzutreten und das Schuldverhältnis zum Versprechenden aktiv zu gestalten vermag, mithin aus der Stellung eines Bevollmächtigten des Versprechensempfangers 79 oder eines Leistungsempfangers im Sinne des § 362 11 80 deutlich heraustritt. Unter welchen Voraussetzungen ist nun aber die vom Schuldner dem Gläubiger zugesagte Leistung derart auf einen Dritten bezogen, daß das Recht auf die 77 Der Eigentümer eines landwirtschaftlichen Besitzes verkaufte den Hof seinem Bruder. In Anrechnung auf den Preis verpflichtete sich der Käufer, "die 67 Jahre alte Mutter der Parteien in gesunden und kranken Tagen zu ernähren und zu unterhalten und ihr in dem verkauften Hause Obdach zu gewähren." Mit der Behauptung, der Käufer sei der übernommenen Unterhaltspflicht gegen die Mutter nicht nachgekommen, er habe sich ausdrücklich geweigert, diese Pflicht zu erfüllen, ist der Verkäufer von dem Vertrag zurückgetreten und hat die Rückauflassung des Grundstücks verlangt (Sachverhalt des Urteils RG 101,275/76). Daß der Versprechensempfanger für den Rücktritt oder den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung auf die Zustimmung des Begünstigten angewiesen sei, wie vielfach behauptet wird, halte ich mit Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl., § 17 I b (S. 223 mit Nachweisen), für unzutreffend: Der Begünstigte mag sich mit dem Versprechensempfanger intern auseinandersetzen, um nicht den Versprechenden in Differenzen zwischen den beiden Gläubigem über die Aufsagung des Vertrags hineinzuziehen. Das Reichsgericht zweifelte und konnte dem Druck der Interessenlage keine eindeutige Entscheidung entgegensetzen. 78 Etwa bei Buchung einer Augreise in die Karibik, die neben den Beziehungen zwischen dem Reisenden und dem Reiseveranstalter - einen Vertrag zwischen dem Veranstalter und der Fluggesellschaft zugunsten des Reisenden enthält (BGH 93, 271/ 73 und oben, S. 29, Fußnote 29). Sie dient der Erholung des Begünstigten und befriedigt wohl auch das Ziel des Reisenden, Land und Leute eines femen Kontinents kennenzulernen. 79 So Hellwig, Die Verträge auf Leistung an Dritte (1899), S. 93, für den sog. "unechten Vertrag zugunsten Dritter". 80 Etwa des oben, S. 35 Fußnote 56, erwähnten Adressaten einer Postsendung.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Erfüllung der Zusage aus dem Vermögen des Gläubigers mindestens auf Widerruf

ausgesondert (§ 328 II) und dem Begünstigten entsprechend zugewiesen ist, dieser mithin ein klagbares Recht auf sie erwirbt?

(1) Den Charakter des Vertrags zugunsten eines Dritten prägen, so antworte ich, technische und inhaltliche Züge.

Er ist zunächst, wie in diesem oder anderem Zusammenhang bereits angedeutet 81 , ein gedankliches Gebilde von erheblicherjuristisch-technischer, damit auch wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit 82 : Als eine Brücke über zwei an sich getrennte Rechtsverhältnisse vermag er - die sichere Festlegung der Personen unterstellt, die als begünstigter "Haupt-" und als die Zusage empfangender "Hilfsgläubiger" in Betracht kommen - den Umweg einer Leistung vom Schuldner zum Gläubiger und von diesem zu einem weiteren Gläubiger, zumindest einem Begünstigten mit (zunächst nur) sittlicher Berechtigung 83 , zu ersparen. Persönlich geprägte Leistungen an einen Außenstehenden, wie die Beförderung, Unterkunft, Verpflegung und Betreuung von Reisenden, die sich der sog. Reiseveranstalter von seinen Geschäftspartnern zusagen läßt (§ 651 a), oder die Ausbildung einer Tochter zur Fremdsprachenkorrespondentin auf dem Internat "Schloß Eringerfeld"84, lassen sich überhaupt nur durch einen Vertrag zugunsten Dritter bewirken, weil man sie nicht wie eine Sache von einem Verhältnis in das andere zu übertragen vermag. Der Vertrag zugunsten Dritter ist in dieser technischen Eigenschaft der Zession einer Forderung verwandt: Ein Außenstehender, unbeteiligt an der Abrede zweier Vertragspartner, kann das Gläubigerrecht nicht anders als durch eine ausdrückliche, mindestens eine "stillschweigende" Abtretung erwerben - so der Deutungsversuch, mit dem sich die Literatur und die Rechtsprechung bis in die heutige Zeit beschäftigen 85 . 81 S. 30 f (vorweggenommen bei der Erörterung des Herausgabeanspruchs des Vermieters gegen den Untermieter), unmittelbar angesprochen S. 39 f. 82 Hervorgehoben schon in den Motiven zum 1. ("Bedürfnisse des Rechtslebens") und den Protokollen zum 2. Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Mugdan, Die gesamten Materialien, Band 2, S. 147 -48 und 705). 83 Wie die Sprachferienreise nach England für einen zwölfjährigen Schüler, wenn sie über den Anspruch auf eine angemessene "Erziehung" (§ 1610 ll) hinausgeht. Sie gründet sich dann auf einen zunächst unverbindlichen (§ 518 I) Schenkungsvertrag, dessen Erfüllung die sittliche Verpflichtung fordert, ein gegebenes, das Wohl des Kindes förderndes Wort einzulösen. Mit dem Antritt der Reise wird die Zusage zu einer verbindlichen Schenkung (§ 51811). 84 In Geseke / Eringerfeld, Kreis Soest-Westfalen. Zitiert nach einer Anzeige in der "FAZ" vom 31. 3.1984. 85 Nachweise bei Gareis, Die Verträge zugunsten Dritter (1873), S. 89-103, und bei Hassold, Zur Leistung im Dreipersonenverhältnis (1981), S. 259. Ein praktischer Lösungsweg aus unserer Zeit findet sich in einem Urteil des OLG Köln, VersR 1984, S. 1165: Eine Versicherungsnehmerin "in ungeordneten Vermögensverhältnissen" tritt ihre Ansprüche auf Erstattung ärztlicher Liquidationen gegen den Krankenversicherer an den behandelnden Arzt ab. Sie will damit den Arzt gegen den zweckwidrigen Verbrauch von Erstattungsleistungen sichern.

3. Die Relativität auf der Seite der Berechtigung

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(2) Die Vorteile eines mehrere Lebens- 86 und Schuldverhältnisse zusammenfassenden Vertrags, der die Erfüllung vereinfacht, "persönliche" Leistungen sogar erst ermöglicht, können zwar das Verständnis dafür wecken, warum auch hier eine Ausnahme von der - ursprünglichen 87 - Relativität der Beziehungen angebracht ist: Die Eigenart der Verträge zugunsten Dritter bedarf indessen einer technischen und inhaltlichen Rechtfertigung. Daß eine Leistung, die den Umweg über mehrere Verhältnisse vermeidet, noch nicht auf einen echten Vertrag zugunsten Dritter hinweist, macht der besprochene LottoEinsatz unter dem Namen eines "Glücksbringers" klar: Die Teilnahmebedingungen einer Lottogesellschaft mögen die Auszahlung des Gewinns an den Dritten gestatten 88 - die GläubigersteIlung des "Glücksbringers" ist damit noch nicht erwiesen. Unter welchen Voraussetzungen erwirbt denn ein Dritter "unmittelbar das Recht, die Leistung zu fordern" (§ 328 I)? (3) Der Vertrag zugunsten Dritter ist - inhaltlich beschrieben - ein zweischichtiges Gebilde: Findet sich seine wirtschaftliche Grundlage in der Beziehung zwischen dem Versprechenden und dem Versprechensempfänger {sog. "Deckungsverhältnis"), so erhält er seine Zielrichtung 89 aus dem Verhältnis des Versprechensempfängers zum Begünstigten (sog. "Valutaverhältnis"). Ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das über die Folgen einer mißglückten Nierenoperation zu befinden hatte, legt daher den Akzent richtig auf diese geistige Ausrichtung: Bei dem Arztvertrag zugunsten eines Dritten stehe der Patient (und nicht der zahlende Versprechensempfanger) "im Mittelpunkt des Behandlungsverhältnisses" 90. Gehen wir davon aus, daß zwischenmenschliche und rechtliche Verhältnisse sinnvolle Beziehungen sind und dementsprechend die zur Begründung des Bandes nötige Handlung von einem bestimmten Sinn getragen ist, so wird sich auch

86 Ein bloßes "Lebensverhältnis" kommt in Frage, wenn der Begünstigte keinen Anspruch im technischen Sinn auf die Zuwendung eines Vorteils hat: "Alles habe ich auf Deinen Namen gegeben, wenn ich sterbe, so daß Du sofort herankommst", schrieb eine Mutter 19 Jahre (!) vor ihrem Tode ihrer Tochter, eine Ausdrucksweise, die Zweifel am Bindungswillen der Erblasserin übrig ließ (BGH WM 1983, S. 1355/56). 87 Im Sinne des römisch-rechtlichen "iuris vinculum" (oben, S. 12). 88 Ich beziehe mich auf die oben, S. 36, wiedergegebene Entscheidung des OLG Koblenz, MDR 1958, S. 687. 89 Art. 1121 des französischen Code civil spricht treffend von der ,,zusatzbedingung" (der "condition") eines Vertrags, eine Deutung, die das Badische Landrecht von 1809, eine Übersetzung des Code civil, mit dem Ausdruck "im Gefolge einer Zusage" wiedergibt: Art. 1121 Cc: "On peut pareillement stipuler au profit d'un tiers, 10rsque teIle est la condition d'une stipulation que 1'0n fait pour soi-meme ou d'une donation que 1'0n fait a un autre." Art. 1121 Bad. L.R.: "Man kann auch zum Vorteil eines Dritten etwas bedingen, wenn es im Gefolge einer Zusage geschieht, die man sich selbst bedingt, oder einer Schenkung, die man einem anderen (gemeint ist der Versprechensempfanger) macht." 90 BGH 89, 263/66 vom Jahre 1984.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

die Begünstigung eines Dritten auf einen derartigen Zweck festlegen lassen: Der Versprechensempfanger macht den Außenstehenden an seiner Stelle zum Gläubiger, um mit dieser als "Geschäftsführer" des anderen 91 getätigten Zuwendung

eine sittliche oder rechtliche Pflicht zu erfüllen.

Die Verkäufer eines Grundstücks lassen sich vom Käufer - in Anrechnung auf den Preis 92 - die Übereignung eines landwirtschaftlichen Besitzes an ihren elfjährigen Sohn zusagen, um dessen Existenz nach dem Abschluß seiner Ausbildung zu sichem 93 . Eltern sorgen mittels des Vertrags zugunsten Dritter für die Erziehung 94, Ausbildung 95, ärztliche Betreuung 96 und Beförderung 97 ihrer minderjährigen und volljährigen Kinder. Ein verschuldeter Bauherr beauftragt einen Rechtsanwalt mit der Sanierung seiner Verhältnisse und tritt ihm zur Befriedigung namentlich benannter Gläubiger eine Forderung von rund 100 000 DM unwiderruflich ab 98 • Es leuchtet ein, daß jeder dieser Gläubiger den Anspruch mindestens auf eine Quote, wenn nicht sogar den vollen Betrag seiner Forderung auch gegen den Rechtsanwalt (den sanierenden Treuhänder) erwarb, denn: "das mit dem Liquidationsvergleich erstrebte Ziel, die Gläubiger zu einem Stillhalten und evtl. auch zu einem Nachgeben zu veranlassen, läßt sich in aller Regel nur dann erreichen, wenn ihnen von vornherein zur Sicherstellung unmittelbare Ansprüche gegen den Treuhänder auf Befriedigung aus dem Treuhandverrnögen zugebilligt werden." (4) Wer einen Vertrag zugunsten eines Dritten schließt, gibt diesem zuliebe die Stellung des Gläubigers auf, ja er bezahlt vielfach den Einsatz für den Außenstehenden aus seinen Mitteln 99 • Dessen Berechtigung bürdet aber auch dem Schuldner, dem sog. Versprechenden, spürbare Lasten auf" Er hat im Streitfall auf eigenes Risiko zwischen zwei Gläubigern zu entscheiden. Verweigert der Dritte die Annahme der Leistung, ist sein Vergütungs anspruch gefährdet 100. Schließlich ist es nicht leicht, eine Leistung zu kalkulieren, deren Gläubiger nicht am Vertragsabschluß teilnimmt 101. 91 Auf eine "Geschäftsführung" des Versprechensempfangers zugunsten des Dritten (m.E. aber nur im untechnischen Sinn) weist ein Spruch der Würzburger Juristenfakultät aus dem Jahre 1845 hin (zitiert von Gareis, a. a. 0., S. 187). 92 Es handelt sich also um eine Leistung an Erfüllungs Statt im Sinne des § 364 I. 93 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1980, S. 132, bereits erwähnt oben, S. 36, Fußnote 61. Die Eltern gewähren hier dem Sohn eine sog. Ausstattung (§ 1624 I). 94 BGH FamRZ 1984, S. 868 und 870: Aufnahme eines 14 und 15 Jahre alten Schülers in ein Internat. 95 LG Tübingen, DRiZ 1978, S. 187: Teilnahme eines fünfzehnjährigen Mädchens an einem Anfangerkurs für Stenographie und Schreibmaschine. 96 Operation einer Doppelniere bei einem vier Monate alten Kind in einer urologischen Universitätsklinik: ein Vertrag der Eltern zugunsten des Kindes, kraft dessen, wie bereits angeführt, das Kind im Mittelpunkt des Behandlungsverhältnisses steht (BGH 89, 263/ 66). 97 Sprachferienreise nach England, oben, S. 40, Fußnote 83. 98 BGH WM 1971, S. 378. 99 Eltern buchen eine Sprachferienreise nach England für ihren zwölfjährigen Sohn . (oben, S. 40, Fußnote 83). 100 Eine Fünfzehnjährige weigert sich, an einem Kurs für Stenographie und Schreibmaschine teilzunehmen (LG Tübingen, DRiZ 1978, S. 187, und oben, S. 38).

3. Die Relativität auf der Seite der Berechtigung

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Wie nicht anders zu erwarten, wird an dieser Stelle die Relativität, das heißt die Übersehbarkeit, der Schuldverhältnisse zum entscheidenden Maßstab: Der Versprechende muß die Berechtigung des Außenstehenden gekannt und als auch für sich verbindlich akzeptiert haben. Ein privater Krankenversicherer ist demzufolge nicht Schuldner der behandelnden Ärzte seiner Versicherungsnehmer, weil er das damit verbundene Risiko nicht abzuschätzen vermag 102 und "ein erhebliches Interesse daran hat, daß besonders in Fällen der Insolvenz eines Versicherungsnehmers ein Auseinanderfallen von GläubigersteIlung und Versicherungsnehmer-Eigenschaft vermieden wird" 103. Aus ähnlichen Gründen hat der Empfanger einer Überweisung keinen Auszahlungsanspruch gegen die Bank seines Schuldners. Eine bejahende Konstruktion würde nämlich die Bank "der Gefahr aussetzen, Prozesse gegen ihr völlig unbekannte und geschäftsfremde Personen führen zu müssen" 104. Den Gedanken, Schuldverhältnisse nur bei klarer Sachlage auf einen außenstehenden Gläubiger zu erstrecken, bestätigt schließlich ein dritter Fall: Ein Rentenversicherungsträger kann überzahlte Leistungen nicht von der Sparkasse des Versicherten zurückverlangen, damit das Kreditinstitut keiner "garantieähnlichen Haftung ausgesetzt wird" lOS. (5) Wann darf dem Versprechenden also eine Verbindlichkeit gegenüber Dritten auferlegt werden? Ich antworte darauf mit einer zusammenfassenden Aussage: Wenn sie ihrem Sinne nach auf eine Leistung "nach außen" gerichtet und in diesem Sinn gebilligt ist, was im einzelnen besagt: Wenn die übernommene Verpflichtung kraft ausdrücklicher Abrede 106 oder wegen ihres Gegenstands 107 oder wegen des Entgelts, 101 Nach dem Verkauf einer Datenverarbeitungsanlage zum Preis von rund 150 ()()() DM erhebt der Mieter (Leasingnehmer) Gewährleistungsansprüche von rund 245 ()()() DM (BGH WM 1977, S. 390, und oben, S. 38). 102 Das OLG Köln (VersR 1984, S. 1165/66) meint: Für die Versicherung sei es nicht tragbar, wegen einer Krankheit ein Vielfaches des notwendigen Behandlungsaufwandes leisten zu müssen, wenn der Patient mehrere Ärzte aufgesucht hat, die samt und sonders mit ihren Honoraransprüchen an die Versicherung herantreten und sie in Prozesse verwickeln können. 103 Der Versicherer will rückständige Prämien von den Erstattungsleistungen absetzen. Die Aufrechnung gegenüber den Ärzten als Gläubiger würde an der fehlenden Gegenseitigkeit der Ansprüche scheitern (§ 387 und BGH MDR 1961, S. 481). 104 RG 102,65/68 vom Jahre 1921. Hier hatte der Kontoinhaber im Vorgriff auf eine ihm avisierte Überweisung das Guthaben gepl~dert und war dann flüchtig geworden. Zurück blieb sein Gläubiger, der sich auf den Uberweisungsauftrag für ihn (den Gläubiger) berief und mangels Ausführung die Bank verklagte. 105 BGH WM 1983, S.41O. 106 Ein Formular der Hamburger Vereins- und Westbank trägt die Überschrift: "Vertrag zugunsten Dritter" und legt im Text fest: ,,zwischen Herrn / Frau / Fräulein ... nachstehend Kunde genannt und der Vereins- und Westbank Aktiengesellschaft wird folgender Vertrag zugunsten Dritter gemäß §§ 328 ff BGB geschlossen ..." 107 Ausbildung, ärztliche Behandlung oder Beförderung eines Angehörigen, speziell eines Kindes, das wegen fehlender Mittel vom Versprechenden nicht als Schuldner der Gegenleistung betrachtet werden kann.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

das der versprechende Schuldner vom Versprechensempfanger für seine Leistung erhält 108, erkennbar drittbezogen ist. (6) Ich versage mir das weitere Eindringen in die Einzelheiten der Drittbegünstigung und nenne als Beispiel mit der wohl größten Aussagekraft den Arztvertrag, in concreto eine Übereinkunft, die Eltern im Jahre 1975 mit dem Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik der Universität Würzburg, einem Prof. Dr. "F." schlossen 109. Ihr Gegenstand war die Operation einer linksseitigen Doppelniere bei der damals vier Monate alten Tochter des Ehepaars. Hier wiesen die Unterhaltspflicht der Eltern, der Wortlaut der Abrede "für unsere Tochter" 110, die ärztliche Leistung und das Honorar des Professors 111 deutlich auf einen Vertrag zugunsten der Tochter hin. (7) Der Fall wirft sogar ein Licht auf die schwächere Spielart der "Schutzwirkungen zugunsten Dritter", hier zugunsten der Mutter des zu operierenden Säuglings, einer Lehrerin, welche die mißglückte Behandlung nach der Operation 112 zur Aufgabe ihres Berufs zwang. Für den Arzt war die Interessen verbindung zwischen dem Kind und der Mutter als wesentliche Voraussetzung der "Schutzwirkungen" erkennbar: Jeder schwerere Fehler belastete die (unterhaltspflichtige) Mutter mit der Pflege des Säuglings und entzog sie - vorübergehend oder dauernd - ihrem Beruf. Die ärztliche Fürsorge war hier auf die Patientin und auf ihre Eltern bezogen. Sie belastete den Urologen auch nicht mit unkalkulierbaren Verpflichtungen 113: Der Aufwand der Eltern für den Unterhalt und die Pflege 108 Ein Gesichtspunkt, auf den Gareis, Die Verträge zugunsten Dritter, S. 217 -19, aufmerksam macht. In Frage kommen hier die in § 330 erwähnte Schenkung unter einer Auflage und die dort angeführte Vermögens- sowie Gutsübernahme. Als praktische Beispiele führe ich an: Die hessische Landesärztekammer und die hessisehe kassenärztliche Vereinigung verpflichteten sich, dem Land Hessen zehn Jahre lang je 200 000 DM, insgesamt also 2 Millionen DM, schenkungsweise zur Verfügung zu stellen. Verbunden damit war eine Auflage zugunsten der Universität Frankfurt, aus der Schenkungssumme ein neu zu errichtendes ,Jnstitut für allgemeine Medizin" zu unterstützen ("FAZ" vom 13.9.1977). In einem Urteil des OLG Oldenburg aus dem Jahre 1883 heißt es: "Beklagter hatte sich gegen Überlassung des väterlichen Geschäfts seinem Vater gegenüber vertragsmäßig verpflichtet, den Klägerinnen, seinen Schwestern, nach des Vaters Tode jährlich eine bestimmte Rente zu zahlen" (Seufferts Archiv, Band 50, 1895, NT. 11). Urteile aus unserer Zeit sind, m.E. wegen der Selbständigkeit der Familienmitglieder durch Ausbildung und Beruf, nicht mehr ersichtlich. 109 BGH 89, 263 vom Jahre 1984 (angeführt schon oben, S. 41). 110 Es liegt auf der Hand, daß die Eltern das Honorar schuldeten, also Versprechensempfänger waren. 111 BGH 89, 264: "Bei der Aufnahme wurde vereinbart, daß die Kosten für die ärztliche Behandlung besonders zu bezahlen seien." 112 Eine in das Schlüsselbein gelegte "Verweilkanüle" war nicht entfernt worden. Als sich der Infusionsschlauch von der Kanüle löste, erlitt das Kind einen Entblutungsschock mit Herzstillstand, eine Gehirnschädigung und die Lähmung aller Gliedmaßen. 113 So ein richtiges, auf die Relativität der Schuldverhältnisse bezogenes Argument des Bundesgerichtshofs (a. a. 0., S. 267).

4. Exceptio ex iure tertii non datur

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ihres behinderten Kindes hätte ebensogut von dem Kind selbst geltend gemacht werden können (§ 249, Satz 2). e) Werfen wir noch einen Blick auf die immer stärker ausgedehnte Reichweite des Vertrags "mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter", die eine Urteilsbesprechung zu der Bemerkung veraniaßt, in ihr zeige sich eine "gefährliche Erosion der Grundstrukturen des Schuldrechts"114. Eine Kundin bestellte bei einem Pizzabäcker drei Pizzen und ließ sie durch ihre Tochter und deren Freund abholen 115. Ein Angestellter des Bäckers verpackte die Pasteten in Faltkartons mit offenen Eckschlitzen, die den Pizzasaft austreten und auf den Velourmantel des jungen Mannes tropfen ließen. Seine Schadensersatzklage gegen den Bäcker berief sich auf einen "Kaufvertrag mit Schutzwirkungen zu seinen Gunsten". Sie verlangte den Ausgleich für die Wertminderung des Mantels sowie für Reinigungs- und Imprägnierkosten von mehr als 1 500 DM. Das Landgericht strich diese Rechnung zwar - u.a. wegen eines erheblichen Mitverschuldens des jungen Mannes 116 - auf 166 DM zusammen, es akzeptierte aber den Standpunkt des Klägers in den Aussagen: "Die Verpackung einer Pizza muß so beschaffen sein, daß sie einen gewissen Schutz vor möglicherweise austretender Pizza-Flüssigkeit bietet. Wer im Auftrag des Bestellers eine Pizza abholt, ist in die Schutzwirkung der Vertragsbeziehungen einbezogen." Garantierte der Vertrag aber wirklich jedem, der mit der Pizza in Berührung kam, eine dichte Verpackung, also der Tochter der Kundin, deren Freund und etwaigen Gästen der Kundin? Wo lag hier die Grenze zwischen rechtlichen und bloß zwischenmenschlichen Beziehungen? 117

4. "Exceptio ex iure tertii non datur: Die Einrede aus dem Rechtsverhältnis zu einem Dritten ist unzulässig" Regel und Ausnahme a) Die Regel aa) Berechnen zu können, welche Pflichten das Schuldverhältnis den Partnern aufbürdet - dieser wesentliche Inhalt der sog. Relativität 118 zeigt sich auch in 114 Honsell, JZ 1985, S. 951/53 (unter 3), eine Schlußfolgerung aufgenommen von Strauch, JuS 1987, S. 947/48-49 und von Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis (1987), S. 6. 115 Sachverhalt eines Urteils des Landgerichts Frankfurt, NJW Rechtsprechungsreport 1986, S. 966, besprochen von Strauch, a. a. O. 116 Der die Kartons während der Rückfahrt auch noch auf seine Knie gestellt hatte. 117 So zutreffend Strauch, a. a. 0., S. 949. War nicht zu verlangen, daß die Kundin auf dem Wege zur Pizzabäckerei und zurück für das "Wohl und Wehe" des Freundes einzustehen hatte, und dies kraft einer Rechtspflicht, nicht bloß wegen der noch losen Verbindung zu ihrer Tochter und der den beiden Damen erwiesenen GefaIligkeit (Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 3 d, bb zu § 328)?

III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

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der Abwehr von Einreden aus einem fremden Rechtsverhältnis, eine Erkenntnis, die schlagwortartig formuliert in der Überschrift wiedergegeben ist: "Exceptio ex iure tertii non datur". Das heute noch zitierte 119 Rechtssprichwort will, seinem Sinne nach ausgelegt, besagen: Die einemfremden Rechtsverhältnis entnommene Einrede oder Einwendung 120 darf nicht ohne weiteres zur Abwehr eigener Verpflichtungen gebraucht werden. Eine Ausnahme gilt, wenn sich im Einzelfall ein Zusammenhang des eigenen und des fremden Verhältnisses nachweisen läßt 121. Der zuerst von dem Kommentator Bartolus de Ubaldis (1327 -1400) 122 geprägte und die lateinischen Sentenzen zur Relativität des Schuldverhältnisses 123 abrundende Lehrsatz soll die Verwicklungen, bisweilen sogar die Ausreden unterbinden, welche die Vermengung nicht zusammengehörender Rechtsverhältnisse erlauben würde. Ein 24-jähriger Soldat läßt sich von einer Bank den Kauf eines gebrauchten Personenwagens bei einem "Hinterhof-Händler" finanzieren. Das Fahrzeug ist gestohlen und muß an den Eigentümer zurückgegeben werden 124. Der Käufer kann den Rechtsmangel nicht der - unbeteiligten - Bank entgegenhalten und muß das für ihn wirtschaftlich nutzlose Darlehen auf Heller und Pfennig zurückzahlen.

Dargestellt, oben S. 39. Denck, Die Relativität im Privatrecht, JuS 19!0, S. 9. 120 Gemeint ist hier also die ,,Einrede" im Sinne des Zivilprozeßrechts als Berufung auf jede die Klage abwehrende Gegennorm (Rosenberg / Schwab, Handbuch des Zivilprozeßrechts, 14. Aufl., 1986, § 105 II 2). Die Erweiterung des Begriffs auf die ,,Einwendung" nach bürgerlichem Recht nimmt Rücksicht auf die Verteidigung des Beklagten im Rechtsstreit, der über alle Abwehrmittel, und nicht nur auf "Einreden" im engeren Verständnis, muß verfügen können. In diesem weiten Umfang ist auch die ,,Einwendung" im Sinne des § 404 aufzufassen: Der Schuldner einer abgetretenen Forderung darf sich gegenüber dem Zessionar auf die Einreden, etwa die des nicht erfüllten Vertrages, aber auch auf die Einwendungen, zum Beispiel das Erlöschen des Anspruchs, berufen, die ihm gegen den Zedenten zustanden (Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 2 zu § 404). 121 So die Deutung durch A. Rappaport, Die Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis (1904), S. 250 und 270. Daß dieser Zusammenhang bei einer vernünftigen Verteidigung im Rechtsstreit zur Regel wird und nicht mehr die Ausnahme darstellt, ist unten, S. 59, ausgeführt. 122 "De non suo iure nemo potest excipere. Nam ius tertii, nemo potest intentare, nec in iudicium deducere sine mandato. Si lex diceret contrarium esset lex fatua." ,,Niemand kann ein fremdes Rechtsverhältnis einredeweise vorbringen. Denn niemand kann sich, ohne den Berechtigten zu fragen, auf fremde Befugnisse berufen oder sie gerichtlich anhängig machen. Wollte ein Rechtssatz das Gegenteil behaupten, so wäre er blödsinnig." Mangels einer mir zugängigen Quelle zitiert nach Rappaport, a. a. 0., S.13. 123 "Obligatio est iuris vinculum", oben S. 12, und "alteri stipulari nemo potest", oben S.34. 124 "Kieler Nachrichten" vom 15.2.1989: "Geklaute Autos von privat: Den Schaden hat der Käufer." 118

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4. Exceptio ex iure tertii non datur

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bb) Ein besonders lehrreiches Beispiel der unzulässigen ,,Einrede aus einem fremden Recht" gibt die Verteidigung gegenüber einem obligatorischen Anspruch auf Rückgabe, die sich des Arguments bedient: Der beklagte Schuldner müsse Rücksicht auf den (dritten) Eigentümer der Sache nehmen, er habe aus diesem Grunde das Recht, ja die Pflicht, die Erfüllung der Klagebitte zu verweigern. Das Beispiel lenkt den Blick auf die Konkurrenz von schuldrechtlichen und dinglichen Ansprüchen, mit denen die Rückgabe einer Sache begehrt wird. Ein verliehenes, nach anderer Sachdarstellung in Verwahrung gegebenes Klavier 125 wurde den Entleihern bzw. den Verwahrern wieder abverlangt. Das verklagte Ehepaar berief sich auf das Eigentum seiner Tochter, eine Verteidigung, die es bis vor das Reichsgericht aufrechterhielt. Die Tochter habe das Klavier vor fünf Jahren durch die Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin erworben 126 und seit dieser Zeit in Besitz. Wegen des Besitzes der Tochter sei ihnen auch die Rückgabe an den Kläger unmöglich. Der auf das Eigentum der Tochter gestützte Einwand 127 war nach Auffassung des Reichsgerichts jedoch unbeachtlich: "Daraus, daß ein Dritter Eigentum an der geliehenen oder in Verwahrung genommenen Sache erlangt hat, kann der Entleiher oder Verwahrer seinem Vertragsgegner gegenüber eine Einrede nicht herleiten". Auch den Besitz der Tochter ließen die Richter nicht als Grund für das Erlöschen der Rückgabeverbindlichkeit gelten: Die Beklagten hätten ihr angebliches Unvermögen selbst herbeigeführt 128. Der Empfänger eines Darlehens hatte dem Darlehensgeber ein dem italienischen Maler "T."129 zugeschriebenes Gemälde "Die büßende heilige Magdalena" verpfändet 130. Der Klage auf Zahlung der Darlehenssumme hielt der Darlehensnehmer den Anspruch auf Rückgabe des verpfändeten Gemäldes entgegen, eine auf ein Zurückbehaltungsrecht gegründete Einrede 131, die der klagende Darlehensgeber durch Berufung auf das Eigentum einer Frau ,,sch." zu überwinden suchte. Wie vor ihm das Reichsgericht, so schenkte hier der Bundesgerichtshof der Verteidigung mit dem fremden Recht kein Gehör 132: 125 Sachverhalt des Urteils RG JW 1925, S. 472. Das Vertragsverhältnis ist hier offengelassen; die Entscheidung spricht von der Herausgabe einer Sache "auf Grund eines Leih- oder eines Verwahrungsvertrages". 126 Nämlich im Jahre 1919, während das Urteil des Reichsgerichts das Datum vom 7. 10. 1924 trägt. 127 Hier im Sinne der bürgerlich-rechtlichen Terminologie: Die Beklagten machten keine eigenen, sondern fremde Interessen geltend. Daher war ihre Verteidigung von Amts wegen zu berücksichtigen. Das Reichsgericht gebraucht die ,,Einrede" nach dem Verständnis des Zivilprozeßrechts (,,Einrede der Arglist"). 128 Ein Argument, das nur im entschiedenen Fall von Bedeutung war und der Sache nach besagt: Die Rückgabepflicht endet nur dann, wenn das Unvermögen nicht verschuldet war. Ist es dagegen von dem Beklagten zu vertreten, wird er durch Urteil zur Rückgabe angehalten, um seine mögliche Schadensersatzhaftung nach § 283 vorzubereiten (RG Warn. Rspr. 1929, Nr. 27 mit Berufung auf RG 54, 28/32). 129 Nach den von mir eingesehenen Prozeßakten Francesco Trevisani (1656-1746). In anderer Version heißt das Bild "Die heilige büßende Magdalena". 130 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1979, S. 617. 131 Im Sinne des § 273 I und in Verbindung mit § 1223 11. 132 In einem bereits abgeschlossenen Rechtsstreit zwischen der Eigentümerin, Frau "Sch.", und dem Darlehensgeber, dem Pfandgläubiger, hatte das Oberlandesgericht Nürnberg den gutgläubigen Erwerb des Pfandrechts festgestellt. Das Bild war dem Darlehens-

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Der Pfandgläubiger könne seiner Rückgabepflicht aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis zum Verpfänder nicht dadurch ausweichen, daß er die "vorgehenden" Rechte Dritter für sich in Anspruch nehme. Eine andere Entscheidung würde sich, so das Gericht, letztlich gegen das Pfandrecht selbst richten; es könnte dann auch von dem Verpfänder mit der "Einrede aus fremden Rechtsverhältnissen" - und gerade aus dem Eigentum eines Dritten - lahmgelegt werden. Mit sicherem Gefühl für das in der jeweiligen Prozeßlage Gebotene haben das Reichsgericht wie der Bundesgerichtshof die Beklagten abschlägig beschieden: Ihre Berufung auf das Eigentum eines Außenstehenden war mangels eines gegenwärtig erhobenen Herausgabeanspruchs nicht bloß unsubstantiiert 133, sondern auch unerheblich. cc) Auf dem Verbot der Einrede aus fremdem Recht beruht auch die das Gesagte bestätigende Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts 134: §§ 68, 69, 14 I:

"Bey erforderter Zurückgabe der Sache kommt es nicht darauf an: ob der Niederleger l35 wirklicher Eigenthümer, oder nur bloßer Inhaber gewesen ist. Der Verwahrer kann also unter dem Vorwande, daß einem Anderen ein besseres Recht auf die Sache zustehe, dieselbe dem Niederleger nicht vorenthalten." § 24, 14 I:

"Ohne Einwilligung des Niederlegers, oder ohne richterlichen Befehl, darf der Verwahrer die ihm anvertrauete Sache keinem Anderen ausantworten." dd) Selbst wenn der Eigentümer sein Recht in Konkurrenz mit dem Verleiher, Hinterleger, Vermieter, Verpfander usw. verfolgt, tritt dadurch nicht der dingliche vor den schuldrechtlichen Anspruch. Gewiß ist das Eigentum im Vergleich zur Obligation das "stärkere" Recht 136 , das nur von Fall zu Fall der Obligation und ihren Ausstrahlungen zu weichen hat: Jenes ist von Dauer, diese vorübergehend. nehmer zur Anfertigung einer Aufnahme übergeben worden; er hatte es dann in Kenntnis des fremden Eigentums verpfändet. Die Urteile der ersten und der zweiten Instanz hat mir der Herr Präsident des Landgerichts Nümberg-Fürth liebenswürdigerweise zugänglich gemacht. \33 Dieser Gesichtspunkt wird in der Anmerkung von Raape zum Urteil RG JW 1925, S. 472, in der Besprechung von Josef, LZ 1925, Spalte 1304, und in den Abhandlungen von Denck, JuS 1981, S. 9, sowie von Müller-Laube, AcP Bd. 183 (1983), S. 215/19 und 232/33, gar nicht oder zu wenig (Müller-Laube, a. a. 0., S. 232: der Schuldner "werde" den Anspruch aus dem Eigentum erfüllen) gewürdigt. Die Rezensenten geben sich m.E. zu schnell einer Theorie konkurrierender Herausgabe- und Folgeansprüche hin. 134 Auf sie macht Josef, LZ 1925, Spalte 1304, aufmerksam. Die zitierten Bestimmungen erläutern Förster / Eccius, Preußisches Privatrecht, 6. Auf!. (1892), Band I, § 109 (S. 743); Band II, § 135, S. 164; § 139, S. 293, mit Fußnote 43. 135 In heutiger Ausdrucksweise der Hinterleger. 136 BGH JZ 1952, S. 527/28 - eine Auffassung, der die eindringende Auseinandersetzung von Müller-Laube, AcP Bd. 183, S. 224, zu pointiert entgegentritt: Die These von der Vorrangstellung des Eigentümers . . . "ein schlicht gesetztes Postulat, das in den Strukturkomponenten des dinglichen Rechts keine Stütze findet."

4. Exceptio ex iure tertii non datur

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An den Eigentümer muß die Sache letztendlich zurückgelangen, den Gläubiger eines Rückgabeanspruchs darf sie passieren. Der Schadensersatz aus dem Eigentum geht auf das volle, der aus dem Besitz nur auf das Durchgangs- oder transitorische Interesse. Aber den Belangen des Eigentümers sind im Konkurrenzfalle die des Schuldners entgegenzuhalten 137: Ist die umstrittene Sache nicht gestohlen worden oder sonst abhandengekommen, hat sie der Schuldner- vermittelt durch einen Verleiher, Hinterleger, Vermieter, Verpfänder usw. - mit dem Willen, mindestens mit dem Zutun des Eigentümers in Besitz genommen. Einen später erhobenen Eigentumsanspruch zu überprüfen, ist für ihn nicht immer leicht 138, die Empfangsberechtigung seines Vertragspartners steht dagegen fest. Mag also der Eigentümer das Risiko des Rückrufs tragen - dem Schuldner darf die glatte Entlastung zu Händen des Gläubigers im Prinzip nicht genommen werden. b) Die Ausnahme

Der bisher entwickelte Widerstreit der Interessen macht deutlich: Der Rang zusammentreffender Herausgabeansprüche ist nicht schematisch, sondern interessengemäß zu bestimmen. Nach der Interessenlage richtet sich auch die Zulassung einer "exceptio ex iure tertii". Mithin wird in aller Regel gelten 139: aa) Tritt der Eigentümer an den Schuldner heran, darf sich dieser durch Herausgabe entlasten, ohne Ersatzansprüche des Gläubigers befürchten zu müssen. Zur Wahl steht ihm aber auch die Leistung an den Gläubiger, weil sie eine Erfüllung ohne Risiko gewährt 140. Beide Ansprüche sind in dieser Lage gleichrangig; eine "exceptio ex iure tertii" ist möglich. bb) Fordert andererseits der Gläubiger die Rückgabe, hat der Schuldner dem Verlangen vorbehaltlos zu entsprechen, weil sich ein Interesse, durch Befriedi137 Das ist der richtige, ja ernüchternde Kern der Abhandlung von Müller-Laube, a.a.O., S. 223 ff: Die Lehre vom Vorrang des Eigentümerrechts ignoriere die Interessen des herausgabepflichtigen Besitzers. Sie hat daher verdienterweise die Literatur beeinflußt, etwa: Palandt / Bassenge, 48. Aufl. (1988), Einf. 5 vor § 985; Medicus, Münchener Kommentar, 2. Aufl. (1986), 16 a zu § 990, mit Fußnote 30. 138 Wie kann man sein fortbestehendes Eigentum an einem Klavier, einem Gemälde oder einem Teppich belegen, wo es doch kein Register für die Rechte an beweglichen Sachen gibt? Zutreffend auch Müller-Laube, a. a. 0., S. 223. 139 Die folgenden Erkenntnisse gehen auf Überlegungen meiner Assistentin Frau Ref. Frauke Wernecke zurück, die sie in einer eigenen Schrift überprüfen und fortentwickeln wird. 140 So im Ergebnis auch Müller-Laube, a. a. 0., S. 235: "Das Lösungsrecht des herausgabepflichtigen Besitzers". Der Ersatzanspruch des Gläubigers scheitert an der fehlenden Rechtswidrigkeit und Schuld des Verpflichteten, grundsätzlich aber auch an einem belegbaren "Schaden" des Gläubigers.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

gung des Eigentümers die Vertragspflicht aufzuheben, nicht aus der Person des Schuldners rechtfertigen ließe - allein der Eigentümer wäre Gewinner. Als bloße "exceptio ex iure tertii" kann der Schuldner das Lösungsrecht nicht in Anspruch nehmen: Der Anspruch des Gläubigers hat den Vorrang 141. cc) Kennt der Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers 142 wegen getätigter Verwendungen auf die Sache, so hat er den Vertragspartner von dem Vorgehen des Eigentümers, also dem gegen ihn geltend gemachten Anspruch, zu unterrichten (§ 545 I, Satz 2 in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung) und die ihm nachgewiesenen Ansprüche interessewahrend zu verteidigen 143; enthält doch die Pflicht zur Rückgabe an den Verleiher, Hinterleger, Vermieter ... das Gebot, die fremden, mit der eigenen Verbindlichkeit verknüpften Belange nicht durch vorschnelle Befriedigung eines konkurrierenden Gläubigers zu vereiteln l44 • Der Anspruch des Gläubigers hat den Vorrang; die "exceptio ex iure tertii" ist gestattet. dd) Dem Vorrang des Vertrages in dieser besonderen Sachlage entspricht auf der anderen Seite der Vorrang des Eigentums, wenn der umstrittene Gegenstand abhandengekommen, vor allem, wenn er gestohlen war 145. Denn wenn dingliche Rechte solchenfalls nicht gutgläubig erworben werden können (§§ 935, 1032, 1207), wenn der unfreiwillige Verlust des früheren Besitzes den "Durchgriff' gegen einen gutgläubigen und selbst durch das Schuldverhältnis zu einem Dritten gedeckten Besitzer ermöglicht (§ 100711, Satz 1), muß der Bestohlene auch den Herausgabeanspruch des Vertragsgläubigers überwinden können 146. 141 So die oben zitierte Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts; ferner v. Tuhr, Allgemeiner Teil des Dtsch. Bürger!. Rechts, Bd. 11 / 2 (1918), § 94 IV; losef, LZ 1925, Spalte 1306. Weitere Stimmen bei Müller-Laube, a. a. 0., S. 218, Fußnote 3. 142 So im Falle BGH, MDR 1955, S. 279. Eine Erkundigungspflicht besteht m.E. nicht. 143 Durch Berufung auf das Besitzrecht des Gläubigers gegenüber dem Eigentümer in Anwendung des § 986 I, Satz 1. Der Schuldner handelt in dieser Lage als Treuhänder des Gläubigers und verteidigt das fremde Recht, um eigene Pflichten gegenüber seinem Gläubiger zu erfüllen. Das Verbot der "exceptio ex iure tertii" kann bei einer Verknüpfung der fremden mit den eigenen Belangen nicht gelten. Möglicherweise genügt es, wenn der Schuldner für eine Sicherheitsleistung des Eigentümers Sorge trägt (§ 273 III), eine Lösung der Konflikte, auf die das Urteil BGH MDR 1955, S. 279/80, hinweist. Läßt man die Zurückbehaltung nicht als Recht zum Besitz i.S. des § 986 I gelten (so Palandt / Bassenge, 48. Aufl., 2 d zu § 986 mit weiteren Stimmen), kommt die entsprechende Anwendung des § 986 I, Satz 1 in Betracht. 144 Richtig erkannt und formuliert von WetzelI, System des ordentlichen Civilprozesses, 3. Aufl. (1878), § 7,3 (S. 55). 145 Das ist der richtige Kern des Urteils BGH lZ 1952, S. 527/28: " ... Im Zusammentreffen beider Ansprüche ist der Eigentumsanspruch stärker ...". Wie hier Raape in der Anmerkung zu RG JW 1925, S. 472. Das oben, S. 47, erwähnte Gemälde "Die büßende heilige Magdalena" war ,,nur" unterschlagen!

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Die Unzuverlässigkeit des Gläubigers rechtfertigt ebenfalls die Herausgabe an den Eigentümer: Der Vorrang der vertraglichen Beziehungen darf nicht dazu führen, daß die umstrittene Sache dem Eigentümer ein für alle Mal entwunden wird 147. Die "exceptio ex iure tertii", hier das Argument, man sei dem Gläubiger zur Rückgabe verpflichtet, gilt in beiden Fällen nicht. ee) Hat der Eigentümer den Schuldner auf Herausgabe gerichtlich in Anspruch genommen oder treffen die Klagen des Eigentümers und eines Verleihers, Hinterlegers, Vermieters, Verpjänders usw. gegen den Schuldner zusammen, kann sich der Beklagte (der Herausgabeschuldner) mit Hilfe der sog. Urheberbenennung (§ 76 ZPO) 148 dem Rechtsstreit entziehen, wenn er keine eigenen Belange in ihm vertritt 149. Er erreicht damit, daß sich die konkurrierenden Gläubiger über das bessere Recht zum Besitz ohne seine dann nicht mehr notwendige Beteiligung auseinandersetzen, ja sogar, daß zwei ihn verurteilende und den Konflikt auf die Zwangsvollstreckung übertragende Erkenntnisse unterbunden werden. Die Entlassung des verklagten Herausgabeschuldners ist jedoch auf einen anhängigen Prozeß beschränkt und gibt kein Muster für die außergerichtliche Regelung der Verhältnisse 150. Der Schuldner kann auch durch das Gericht einen sog. Sequester bestellen lassen (§ 938 11 ZPO), der die umstrittene Sache in Verwahrung nimmt und ihn von deren Obhut bis zur endgültigen Klärung der Ansprüche entlastet 151.

146 Am frühen Morgen des 27. 6. 1988 wurde eine 430 000 DM teure Segelyacht aus einem Kieler Sportboothafen entwendet (,,Kieler Nachrichten" vom 7.7. 1988). Der Eigentümer, ein bestohlener Mieter, Entleiher, Verwahrer oder Werkunternehmer und die in dem Bericht des Blattes genannte Wasserschutzpolizei müssen das Boot auch gegen einen gutgläubigen Mieter, Käufer oder Werftbesitzer verfolgen dürfen. Verwendungsansprüche eines bösgläubigen Besitzers dürften an der strengen Regelung des § 994 11 scheitern: Die Investition muß dem mutmaßlichen Willen des Bestohlenen entsprochen haben (§§ 683, 670). 147 So zutreffend BGH WM 1979, S. 617/18: Eine Begrenzung der Rückgabepflicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. 148 Nach unangefochtener und richtiger Ansicht (Baumbach / Lauterbach / Hartmann, ZPO, 47. Aufl., 1989, 2 a zu § 76; Stein / Jonas / Leipold, ZPO, 20. Aufl., 1977,03 zu § 76) ist die Rechtsfigur der Urheberbenennung nicht anwendbar auf eine schuldrechtliche Klage, welche die Rückgabe der Sache verfolgt (§ 76 ZPO): "Wer als Besitzer einer Sache verklagt ist, die er auf Grund eines Rechtsverhältnisses der im § 868 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Art zu besitzen behauptet ..."): Der schuldrechtlichen Klage muß der Beklagte, wie oben, S. 49-50, ausgeführt, entsprechen. 149 Das Institut rechtfertigen die Gesetzesmaterialien (Hahn, Die gesamten Materialien zur epo 1880, S. 181). 150 Diese Beschränkung verkennt die Abhandlung von Picker, Hauptintervention, Forderungsprätendentenstreit und Urheberbenennung, Festschrift f. Flume (1978), Band I, S. 649/55: "Was bei klageweisem Vorgehen eines Prätendenten gilt, hat mit Selbstverständlichkeit auch in der vorprozessualen Phase zu gelten ..." Die Konkurrenten und ihr Schuldner müssen den Widerstreit doch auch ohne Prozeß beilegen können - und zwar nach den hier durchdachten Regeln des bürgerlichen Rechts. 151 Dazu Baumbach / Lauterbach / Hartrnann, a. a. 0., 2 A zu § 938. Auf den Sequester verweisen die Vorschriften der §§ 24 und 70, 14 I des Pr. ALR (oben, S. 48).

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ff) Der gleiche Rang oder der Vorrang eines konkurrierenden, das heißt eines ernsthaft betriebenen Herausgabeverlangens macht in letzter Konsequenz die unzulässige Einrede aus fremdem zu einer zulässigen Einrede aus eigenem Recht 152: Wer den Anspruch des einen Gläubigers erfüllen darf oder muß, kann die Befriedigung des anderen kraft eigener Befugnis verweigern. c) Die Zulässigkeit der "Einrede aus fremdem Recht"

kraft der Verknüpfung der Rechtsverhältnisse

aa) Wie muß nun aber der Zusammenhang der Rechtsverhältnisse beschaffen sein, soll die "exceptio ex iure tertii" 153 von der einen in die andere Beziehung übertragen werden dürfen? Die "Einrede aus fremdem Recht", so lautete die eingangs aufgestellte Regel, ist dem Schuldner oder dem Gläubiger 154 verwehrt, wenn sie die Beurteilung der Rechtslage zu verwirren und eine gerichtliche Auseinandersetzung zu verschleppen vermag. Der auf die Rückgabe eines Klaviers gerichtlich in Anspruch genommene Entleiher beruft sich auf das noch nicht geltend gemachte Eigentum seiner Tochter 155. bb) Sie muß folgerichtig gestattet sein, wenn sie - substantiiert vorgetragen - in der Verteidigung gegen einen schuldrechtlichen oder dinglichen Anspruch eine Schlüsselrolle einnimmt 156: Wenn die Aberkennung des geltend gemachten Rechts aus der Beziehung zu dem "Dritten" hergeleitet wird, wenn also in letzter

Konsequenz das dem Gericht unterbreitete Verhältnis von dem Bestand des "Drittverhältnisses" abhängt und die Partei infolgedessen befugt ist, zwei Rechtsverhältnisse zur Verteidigung des eigenen Standpunkts miteinander zu verknüpfen 157.

So aJt~ Raape, a. a. 0., S. 473. Hier wieder in dem oben, S. 46, Fußnote 120, gebrauchten prozessualen Sinn. 154 So in den Sachverhalten, in denen der Bundesgerichtshof über den Rücktritt (JZ 1952, S.527) oder den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (MDR 1955, S. 279) des gutgläubigen Käufers eines gestohlenen Kraftfahrzeugs zu befinden hatte: Hier berief sich der Käufer als Gläubiger auf die (vorgehenden) Rechte des bestohlenen Eigentümers, um sich gegen den Verkäufer (und Schuldner) die Anspriiche aus dem Rücktritt oder der Nichterfüllung des Vertrags zu erhalten, ohne das Fahrzeug an den Vertragspartner zuriickgeben zu müssen. 155 Eine Sachlage, die bemerkenswerterweise schon die Abhandlung von Stammler, Die Einrede aus dem Rechte eines Dritten, Festgabe Halle-Wittenberg für H. Demburg (1900), S. 91, befruchtete. 156 Prozessual ist hier auch eine Streitverkündung gegen den Eigentümer (§ 72 ZPO) und dessen Eintritt in den Prozeß mit der Begriindung gestattet: Würde der Beklagte zur Herausgabe an den Gläubiger verurteilt, hätte er bei Erfüllung des Anspruchs einen Schadensersatzanspruch des Eigentümers wegen der unberechtigten Weggabe der Sache zu besorgen (§§ 990,989). Die Rückgabe an den Gläubiger müßte der Eigentümer auf jeden Fall gegen sich gelten lassen, wenn er verpflichtet war, dem Gläubiger den Besitz der umstrittenen Sache zu überlassen (§ 986 I, Satz 1). 157 So im Ergebnis auch Rappaport, Die Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis (1904), S. 240-43,250-53 und 274, sowie Stammler, a. a. 0., S. 117 und 119-20. 152 153

4. Exceptio ex iure tertii non datur

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cc) Ich verwandele, um das Gesagte an einem Beispiel zu verdeutlichen, den aus einem Leihvertrag abgeleiteten Anspruch des Verleihers auf Rückgabe eines Klaviers (§ 604 I) in die entsprechende Abrede zugunsten eines Dritten (§§ 604 I, 328 I), die den "Durchgriff" einer Einwendung zur Folge hat: Der Entleiher verspricht dem Verleiher die Aushändigung des Instruments an den Eigentümer. Da bei dieser Gestaltung der Herausgabeanspruch zugunsten eines Dritten von der Übereinkunft zwischen Verleiher und Entleiher abhängt, hat der Entleiher die Befugnis, sich gegenüber dem begünstigten Eigentümer einer "exceptio ex iure tertii" zu bedienen, etwa: Durch Vertrag vom ... sei die Leihfrist um ... Wochen verlängert worden 158, oder: Er, der Entleiher habe wegen einer vom Verleiher gebilligten Reparatur des Klaviers einen Ersatzanspruch von ... DM (§§ 662, 670) und ein darauf gestütztes Zurückbehaltungsrecht (§ 273 11).

d) Die Zulässigkeit der "exceptio ex iure tertii" kraft gesetzlicher Gestattung und kraft des Grundsatzes von "Treu und Glauben" aa) Die Abhängigkeit des geltend gemachten von einem "dritten" Rechtsverhältnis kennzeichnet auch die Zession einer Forderung; sie beläßt dem Schuldner die Einreden, die ihm gegen den Zedenten zustehen (§ 404) und erhält ihm trotz fehlender Gegenseitigkeit der Ansprüche - die Möglichkeit der Aufrechnung (§ 406). Der den Einwendungsdurchgriff hier rechtfertigende Gedanke läßt sich kurz und knapp so ausdrücken: Die abgetretene Forderung soll nicht aus dem Rechtsverhältnis gelöst werden, das ihre Durchsetzbarkeit und ihren Umfang bestimmt 159. Um einen erhaltenen Kredit zu sichern, hatte das Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft seinen Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben von rund 4 500 DM, rallig nach dem Ausscheiden aus der Genossenschaft, an die Kreditgeberin, eine Darlehenskasse, abgetreten 160. Als der Kredit notleidend geworden war, hielt die Schuldnerin, die Baugenossenschaft, dem abgetretenen Anspruch ihre eigenen Forderungen an den Zedenten entgegen: "etwa 1 800 DM Mietrückstände, etwa 1 200 DM Anwaltskosten und etwa 1 200 DM Renovierungskosten" . Die Zeit bis zur Fälligkeit und Aufrechenbarkeit dieser Gegenforderung (§ 406 und § 387) überbrückte sie mit einem Zurückbehaltungsrecht (§ 404 mit § 273 I) 161. Der Bundesgerichtshof bemerkt zur Verknüpfung der beiden, zwischen verschiedenen Personen - dem Genossen und der Baugenossenschaft einerseits, der Darlehenskasse und der Baugenossenschaft andererseits - bestehenden Rechtsverhältnisse, was dem 158 Wegen der Verlängerung zu Lasten des Begünstigten ist hier auch § 328 11 anzuwenden (Befugnis der Vertragschließenden, das Recht des Dritten ohne dessen Zustimmung zu ändern). 159 v. Reinersdorff, Zur Dogmatik des Einwendungsdurchgriffs (1984), S. 16. 160 Sachverhalt des Urteils BGH WM 1972, S. 773. 161 Eine Verteidigung, die der Wortlaut des § 406 an sich nicht zuläßt, weil die Aufrechnungsforderung, die sog. "Gegenforderung", erst nach der Mitteilung von der Zession und später als die abgetretene Forderung fällig geworden war.

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IIl. Einzelne Auswirkungen der Relativität

geübten Blick selbstverständlich erscheint: Dem Schuldner müsse trotz der Abtretung die Stellung erhalten bleiben, die ihm die Tilgung seiner Verbindlichkeit ermöglicht hätte. Ich setze im Hinblick auf die der Baugenossenschaft gestattete Einrede aus dem Rechtsverhältnis zu ihrem Mieter hinzu: Die Durchsetzbarkeit des abgetretenen Anspruchs war von der Höhe der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung abhängig 162. bb) Der hier dargestellte ,,Einwendungsdurchgriff' , das heißt der Gebrauch eines Verteidigungsmittels, das der Schuldner dem Verhältnis zu einem Außenstehenden entnimmt, um Ansprüche seines Gläubigers abzuwehren 163 - ein Vorgehen, das die strikt aufgefaßte Relativität der Schuldverhältnisse nicht gestatten würde 164, hat nicht selten eine gesetzliche Norm für sich 165. Ein Beispiel dafür gibt die erwähnte Forderungsabtretung mit dem Recht des Schuldners, sich auch der Einwendungen zu bedienen, die ihm aus der Beziehung zu dem früheren Gläubiger erwuchsen 166 und erwachsen 167. cc) Schweigt das Gesetz 168, kann der Jurist den Einwendungsdurchgriff, eine Spielart der "exceptio ex iure tertii", auf das ungeschriebene Recht, etwa den Grundsatz von Treu und Glauben 169 gründen; er kann weiter auf die aus der Überlassung einer Sache abgeleitete Befugnis zurückgreifen, Verträge mit einer "Haftungsbeschränkung zu Lasten des Eigentümers" zu schließen 170. In beiden 162 Rappaport, a. a. 0., S. 83 - 84 und 253, gebraucht hier das Bild von dem "Mangel" des abgetretenen Anspruchs, den er in den fortbestehenden Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners sieht. Ob man die Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis mit der Abhängigkeit oder einem Mangel des zedierten Anspruchs gestattet, ist m.E. nur eine Geschmacksfrage. 163 So die richtige Definition durch v. Reinersdorff, a. a. 0., S. 14 und 25. 164 Zur Relativität als der ,juristischen Scheidekunst", welche die verflochtenen Lebenszusammenhänge entflicht, um sie übersehbar zu machen oben, S. 28 f. 165 Ich nenne aus der großen Zahl der gesetzlichen Gestattungen die Verteidigung des Schuldübemehmers (§ 417 I), der dem Gläubiger die Einwendungen aus seinem Verhältnis zu dem bisherigen Schuldner entgegensetzen darf; den mehrfach erwähnten Vertrag zugunsten Dritter mit der Möglichkeit, den Anspruch des Begünstigten mit den Mitteln abzuwehren, die das sog. Deckungsverhältnis dem Versprechenden gewährt (§ 334); das Privileg des Bürgen (§§ 768, 770), des Eigentümers des mit einer Hypothek belasteten Grundstücks (§ 1137) und eines Verpfänders (§ 1211), sich gegenüber einem Gläubiger auf dessen Verhältnis zu dem Schuldner zu berufen. 166 Der vom Schuldner vor der Abtretung erklärte Rücktritt. 167 Der dem Schuldner vorbehaltene und nach der Abtretung ausgeübte Rücktritt (BGH NJW 1986, S. 919). 168 Treffend Larenz, Schuldrecht, Besonderer Teil, 12. Auf!. (1981), § 63 I a (S. 445), zum finanzierten Abzahlungskauf: ,,Freilich ist es mit den bisherigen Mitteln der Dogmatik kaum möglich, die Zulässigkeit von Einwendungen gegen die Bank aus dem Rechtsverhältnis zu einem ,Dritten', dem Verkäufer, zu begründen." 169 v. Reinersdorff, a. a. 0., S. 31, 96-97 und 113 -114; BGH 83, 301/07 -08 (dazu Palandt / Heinrichs, 48. Auf!., Einführung 5 a vor § 305 "st. Rspr. "). 170 Beispielhaft die im folgenden zu besprechenden Sachverhalte OLG Breslau, JW 1924, S. 1185 (Inanspruchnahme eines fremden, mit einer Haftungsbeschränkung versehenen Frachtvertrags durch "Beiladung" eines Reisekorbs); AG Köln, NJW 1976, S. 2076 (Leihe eines Koffers, der während einer Flugreise des Entleihers beschädigt wird, Versäumung der Frist zur Anzeige des Schadens bei der Fluggesellschaft); BGH 54, 264

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Fällen ist es keine positive Nonn wie die des § 404, sondern der von dem Gläubiger gesetzte Anschein, der den Verkehrsschutz und mit diesem verbunden die über das Schuldverhältnis hinausgreifende Abwehr von Ansprüchen durch den Verpflichteten rechtfertigt; mit der Folge, daß die "exceptio ex iure tertii" hier wieder in ihr Recht tritt. dd) Bei der Fortbildung des Rechts kraft des Grundsatzes von Treu und Glauben stehen die sog. "finanzierten" Geschäfte, unter ihnen der Kauf von Möbeln 171, Teppichen 172, Kraftfahrzeugen 173 und technischen Geräten 174, bis hin zum Erwerb von Privatschulen 175, eines Fertighauses 176 und der stillen Beteiligung an einem Ingenieurbüro 177, die Ehevermittlung 178, ein Fernlehrgang in Gebrauchsgraphik 179, der Werkvertrag über die Anlage eines Tennisplatzes 180, ja sogar eine finanzierte Schlankheitskur 181 , im Vordergrund des Interesses: Sie sind in der Fülle ihrer Spielarten und dem Anreiz zum Konsum und geschäftlichen Risiko ein Spiegelbild des heutigen Wirtschaftslebens, vor dessen Undurchsichtigkeit der Verbraucher nach "Treu und Glauben" geschützt werden soll: Wer als Kreditgeber gegenüber dem Kreditnehmer den Anschein erweckt, als bildete das Finanzierungsgeschäft mit dem dadurch geförderten Kauf-, Ehemakler-, Fernunterrichts- und Bauvertrag eine wirtschaftliche Einheit, wird an dem geschaffenen Eindruck kraft einer "exceptio ex iure tertii" festgehalten 182. Mag eine Vertragsklausel auch die rechtliche "Selbständigkeit" des finanzierten und des Finanzierungsgeschäfts behaupten 183, so gilt dennoch der tatsächliche Befund: Wenn der Kreditgeber und der Geschäftspartner einem Konzern angehören 184 oder praktisch "Hand in Hand" arbeiten 185, bilden die Verträge im (Beschädigung eines dem Verkäufer überlassenen Kraftfahrzeugs durch einen Kaufinteressenten, Erstreckung der kurzen Verjährungsfrist aus Miete und Leihe auf den Schadensersatzanspruch aus dem Eigentum). 171 BGH 37, 94. 172 BGH 47, 217. 173 BGH 47, 233. 174 BGH, NJW 1979, S. 1593 (Kauf eines Folienschweißgeräts). 175 BGH, NJW 1987, S. 1813. 176 BGH, NJW 1984, S. 2816. 177 BGH 72, 92. 178 OLG Schleswig, NJW 1974, S. 648. 179 LG Augsburg, NJW 1973, S. 1704. 180 BGH, Der Betrieb 1982, S. 426. 181 LG Augsburg, NJW 1972, S. 637. 182 Zusammenfassend die Urteile des III. Zivil senats des Bundesgerichtshofs (BGH 83,301 vom Jahre 1982 und NJW 1987, S. 1813), dem nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Spruchkörper (BGH 83, 303: "ständige Rechtsprechung des Senats"). 183 BGH 83, 302: ,,Achtung! Auch bei Nichterhalt der Ware oder Erhalt mangelhafter Ware und bei wirksamer Anfechtung des Kaufvertrages hat der Käufer (Darlehensnehmer) das Darlehen voll zurückzuzahlen." 184 Sprechend ein Auszug aus dem Bundesanzeiger vom 29.4. 1988: "Landgericht Baden-Baden 2 0 117 /88:Es klagt die BMW Kredit Bank GmbH, vertreten

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Hinblick auf die "Einreden" 186 des Kunden eine Einheit: Der Schuldner darf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages 187, den Einwand der Minderung des Kaufpreises 188, die Gewährleistungsrechte aus dem Werkvertrag 189, das Verlangen, Schadensersatz wegen des Verschuldens beim Vertragsabschluß zu leisten 190 und die vollzogene Lösung vom Vertrag durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung 191 oder durch Kündigung 192 von dem finanzierten Kauf-, Werk- oder Vennittlungsvertrag auf den Kreditvertrag übertragen. ee) Die Einsicht, daß ein Vertrag "zu Lasten Dritter" nicht wirksam sein kann, folgt - wie so viele andere Erkenntnisse über die Tragweite der Obligation aus der Relativität der Schuldverhältnisse: Wer sich nicht selbst oder durch einen Stellvertreter (§ 164) gebunden hat, braucht die durch andere begründeten, für ihn im einzelnen schwer übersehbaren Pflichten nicht gegen sich gelten zu lassen 193: Der Assistent eines Universitätsprofessors, der mit dem Lehrstuhlinhaber zusammen den Dienst an einer neuen Hochschule aufnahm, ließ dem Möbelwagen einen Reisekorb mit eigenen Sachen "beiladen" 194. Der Frachtvertrag zwischen dem Professor und dem sog. Spediteur 195 wirkte zwar zugunsten (§ 425 HGB in Verbindung mit § 328 BGB) 196, aber ohne eine entsprechende durch den Geschäftsführer Klaus Jungheim, Heidemannstraße 164,8000 München 45, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Peter Ruge und J. Heinstein, Lichtentaler Straße 33,7570 Baden-Baden, gegen Georg J. Erhard, zuletzt wohnhaft in 7595 Sasbachwalden, Gaishöllpark 10, zur Zeit unbekannten Aufenthalts, wegen einer Forderung mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 7575,60 DM zuzüglich 12 % Zinsen seit dem 15. Mai 1987 zu zahlen. Der Beklagte wird zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Einzelrichter des Landgerichts Baden-Baden, Gutenbergstraße 17, vorgeladen auf Freitag, den 10. Juni 1988, 8.45 Uhr, Saal 320. Der Beklagte wird gleichzeitig aufgefordert, einen bei diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen. Zum Zwecke der öffentlichen Zustellung wird dieser Auszug der Klage und Terminsladung bekanntgemacht. Die öffentliche Zustellung ist bewilligt. Baden-Baden, den 14. April 1988. Geschäftsstelle des Landgerichts." 185 v. Reinersdorff, a. a. 0., S. 96: "Im typischen Fall kommt es zu keinerlei unmittelbarem persönlichen Kontakt zwischen dem Kreditgeber und dem Käufer; letzterer hat vielmehr bei dem Abschluß beider Verträge lediglich mit dem Verkäufer zu tun." 186 Dies in dem oben, S. 46, Fußnote 120, verwandten Sinn des Zivilprozeßrechts. 187 BGH 47, 217; LG Augsburg NJW 1972, S. 637 und 1973, S. 1704. 188 BGH 37, 94/102. 189 BGH NJYV 1984, S. 2816; Der Betrieb 1982, S. 4276. 190 BGH 72, 92/96. 191 BGH NJW 1979, S. 1593. 192 OLG Schleswig, NJW 1974, S. 648. 193 Zur Unwirksamkeit derartiger Verträge: Larenz, Allgemeines Schuldrecht, 14. Aufl. (1987), § 17 IV. 194 So der anschauliche Fall OLG Breslau, JW 1924, S. 1185. 195 Der bei Ausführung eines Transports Frachtführer ist (§ 412 II HGB).

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Bevollmächtigung nicht zu Lasten des Assistenten: Die sog. ,,Fracht", das Entgelt des Spediteurs für den Transport des Umzugsguts, war von dem Professor und nicht von demjenigen zu entrichten, der für seinen Teil Nutznießer fremder Abmachungen und Leistungen war. ff) Trotz dieser eindeutigen Richtung des Vertrags und seiner Pflichten kann sich die Relativität der Schuldverhältnisse auch einmal zu Lasten eines Dritten auswirken, damit das von dem Schuldner übernommene Engagement übersehbar und kalkulierbar bleibt: Ich spreche von den Haftungsbeschränkungen mit Wirkung gegen einen dritten Eigentümer 197 - ein Anwendungsfall der hier dargestellten Einrede. Überlegen wir: Wer die ihm gehörende Sache einem anderen zur Nutzung in Gestalt der Miete, der Pacht oder der Leihe, zur Reparatur und zum Transport kraft eines Werkvertrags oder Auftrags und zur Verwahrung überläßt, muß die damit verbundenen Risiken hinnehmen. Zu ihnen zählen der Verlust durch höhere Gewalt 198 oder durch strafbare Handlungen, den der Vertragspartner nicht "zu vertreten hat" (§ 276), die normale Verschlechterung des Gegenstands bei Miete und Leihe (§§ 548, 602) 199, die Befugnis zum Empfang einer Schadensersatzleistung mit Wirkung gegen den Eigentümer (§ 851) und die hier in Rede stehende Legitimation, das Eigentümerinteresse auf das in einem Vertrag zugestandene Gläubigerinteresse zu beschränken 2OO • Das objektive Recht, nämlich der von dem Eigentümer geschaffene Anschein einer Verpflichtungsmacht, nicht aber eine nur mühsam konstruierbare ,,zustimmung" des Betroffenen gestattet es solchenfalls dem Schuldner, Einwendungen aus seinem Verhältnis zum Mieter, Pächter, Entleiher usw. auch dem Eigentümer entgegenzusetzen. Im Hinblick auf die Beförderung und den Schutz des Guts. Im einzelnen v. Reinersdorff, a. a. 0., S. 34 ffund 118. Unklar und unentschlossen die handelsrechtliehe Literatur zum Speditions- und Frachtvertrag: J. G Helm im Staubsehen Großkommentar zum HGB, 4. Aufl. (1986), 5 zu § 414 und 26 der Einführung vor § 1 ADSp; 3. Aufl. (1982),93 zu § 429. 198 Etwa durch ein Großfeuer, das im Januar 1986 eine Halle mit elektronischen Ausrüstungen auf dem Messegelände in Hannover zerstörte ("Kieler Nachrichten" vom 11. 1. 1986). 199 Abweichend zum Teil bei der Pacht: § 582 I. 200 So im Ergebnis eine Kette von Entscheidungen des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs, beispielsweise: RG 70, 174/76/77 (beschränkte Haftung der Eisenbahn gegenüber dem Eigentümer von Umzugsgut und dem eines verbrannten Möbelwagens); BGH 54, 264/67 (die kurze Verjährung nach dem Recht des Miet- oder Leihvertrags wirkt "nach Sinn und Zweck der §§ 558, 606" gegen den dritten Eigentümer); BGH VersR 1984, S. 932/34 (die Haftungs- und Verjährungserleichterungen der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen gelten auch zu Lasten des Eigentümers eingelagerter Ware). Abweichend u.a. RG 95, 212/14 ("Die Anschauung der beschränkten Haftung ist in den beteiligten Verkehrskreisen nicht zum Durchbruch gekommen"), sowie AG Köln, NJW 1976, S. 2076 (Problem gar nicht erkannt). 196 197

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Das Oberlandesgericht Breslau hielt den Assistenten im Ergebnis zu Recht an dem von ihm gesetzten Anschein fest, den er mit dem vorteilhaften Anschluß an den fremden Vertrag gesetzt hatte. Es wies die Klage, für den Verlust seines Reisekorbs voll entschädigt zu werden, wegen der zwischen dem Spediteur und dem Professor vereinbarten Haftungsbeschränkung 201 ab: Da der Kläger seine Sachen lediglich "beigeladen" habe, müsse er sich gefallen lassen, daß er nicht großzügiger als der Professor behandelt werde. Das Argument, der Assistent habe sich dem fremden Vertrag "stillschweigend unterworfen", erscheint mir hier jedoch konstruiert und lebensfremd: Ein Theologe, Philosoph oder Germanist, um nur einige Disziplinen im akademischen "Elfenbeinturm" zu nennen, weiß mit den Bedingungen eines Spediteurs wenig anzufangen. Sie belasten ihn zwar wegen der geschaffenen Lage - letztlich also wieder kraft "Treu und Glaubens" -, aber nicht auf Grund einer irgendwo herausgelesenen ,,zustimmung". Der Vertragspartner haftet dem Eigentümer, wenn er Ersatzansprüche schuldhaft verfallen läßt 202 .

e) "Exceptio ex iure tertii non datur": Wo liegt bei einer vernünftig-sachlichen Abwehr von Ansprüchen die Regel, wo die Ausnahme? Rechtssprichwörter, Mittel rascher und anregender Verständigung unter den Juristen 203 , können im unüberlegten Gebrauch zu Schablonen werden, welche die Erkenntnis der wahren Verhältnisse verdunkeln. Überblickt man die zahlreichen Sachverhalte, in denen die Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis gestattet ist und Beachtung erheischt, wird die aufgestellte Regel fraglich: Sind nämlich zwei Beziehungen rechtlich miteinander verbunden, darf sich der Schuldner der über das Band zu seinem Gläubiger hinausgreifenden Einrede bedienen, um einen Anspruch oder eine Klage auch im eigenen Interesse abzuwehren. Der auf Herausgabe in Anspruch genommene Schuldner beruft sich auf die vorgehenden Rechte des bestohlenen Eigentümers und vermeidet damit die gegen ihn gerichtete Haftung aus dem Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer (§§ 990, 989)204. Die Fälle, in denen die Einrede aus zu mißbilligenden Erwägungen, etwa aus Verbohrtheit, Trotz und zur Verschleppung eines Prozesses vorgebracht wird 205 , 201 Auf die vereinbarte Fracht von 850 Mark bei einem angegebenen Interesse von 20000 Mark. 202 Eine Sachlage, die in der Entscheidung AG Köln, NJW 1976, S.2076, m.E. deutlich zu bejahen war: Der Entleiher eines Koffers stellte die Beschädigung am 4. 1. 1975 auf dem Flughafen fest, als ihm das Gepäck wieder ausgehändigt wurde. Seine Schadensanzeige ging am 22. 1. 1975, fast drei Wochen später, bei der Fluggesellschaft ein. 203 Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter (1982), S. 9-10. 204 Oben, S. 50.

5. Der Vertragsübergang im Miet-, Pacht- und Arbeitsrecht

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treten nach meinem Eindruck hinter dem vernünftigen und damit gerechtfertigten Gebrauch des Verteidigungsmiuels zurück. Damit bewahrheitet sich auch in der vorliegenden Untersuchung der vor rund acht Jahrzehnten aufgestellte Satz 206 : "Was man bisher als ,Ausnahme' von der Regel betrachtete, enthüllt sich uns als eigenstes Anwendungsgebiet der Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis, außerhalb dessen diese Einrede nicht unzulässig, sondern sinnlos wäre."

5. Der Vertragsübergang im Miet-, Pacht- und Arbeitsrechteine erweiterte "exceptio ex iure tertii" a) Die Relativität des Schuldverhältnisses ist, das zeigen die sie beschreibenden Rechtssprichwörter 207 , der Sache - nicht dem Begriff208 - nach eine römische Schöpfung, geboren aus der Idee der obligatio als eines "iuris vinculum". Die Übung, ein neues Kapitel der Relativität mit einer Regel des römischen Rechts zu beginnen, sei aus diesem Grunde hier wieder aufgenommen. Da das Arbeitsvertragsrecht in der Antike von geringer Bedeutung war 209 : die in abhängiger Stellung zu leistenden Dienste verrichteten rechtlose Sklaven - werden sich die einleitenden Bemerkungen auf das Miet- und Pachtrecht beschränken. aa) Hat der verklagte Mieter oder Pächter das Recht, sich mit "Einreden"210 aus dem Verhältnis zu einem Außenstehenden zu verteidigen? Die Frage spitzt sich in der juristischen Praxis auf die Veräußerung der vermieteten oder verpachteten Sache, im Zusammenhang mit dem Schutz des Beklagten regelmäßig eines Grundstücks 211, und auf das Verlangen zu, der Mieter oder Pächter möge dem 205 Ein Grundstückseigentümer wird von seinem Nachbarn daran gehindert, in der angestrebten Höhe zu bauen, und zwar nicht kraft des eigenen Rechts des Nachbarn, sondern mit Berufung auf eine fremde Grunddienstbarkeit, die mit dem Verhältnis der Parteien nichts zu tun hat (Rappaport, a. a. 0., S. 13, mit dem Hinweis auf eine Stelle aus den Digesten: D VIII, 5, 4, § 7. 206 Rappaport, a. a. 0., S. 274. 207 Oben, S. 12, 34 und 45. 208 Die Einteilung der subjektiven Rechte in ,,relative" und "absolute" Befugnisse stellt Dubischar, Über die Grundlagen der schulsystematischen Zweiteilung der Rechte in sogenannte absolute und relative, Diss. Tübingen (1961), dar. Seiner Auffassung nach, der ich hier folge, findet sich die Benennung ,,relativ" zum ersten Mal bei G. Hufeland, Institutionen des gesammten positiven Rechts (1798): Dubischar, a. a. 0., S. 73. Ich zitiere die §§ 202 und 204 aus der Schrift von Hufeland: § 202: ,,Alle Rechte sind entweder absolute, die gegen jeden anderen Menschen gelten, oder relative, welche nur gegen bestimmte Menschen (also nicht gegen alle) gelten." § 204: ,,Die relativen Rechte gehen entweder nur auf einzelne Handlungen, oder einzelne Klassen von Handlungen einer Person, oder aber auf alle Handlungen derselben in Ansehung eines bestimmten Zwecks." 209 Kurz und treffend A. Söllner, Grundriß des Arbeitsrechts, 9. Aufl. (1987), § 2 H. 210 Im prozessualen Sinn, der auch die ,,Einwendungen" umfaßt.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Erwerber Platz machen, damit dieser das Objekt, für das er als Käufer eine beträchtliche Summe aufgebracht habe, nach eigenen Vorstellungen zu nutzen vermöge. Die Antwort, daß nach römischer Auffassung - in einem Schlagwort ausgedrückt - ein "Kauf die Miete bricht"212, ist wegen ihrer Überwindung durch das heutige deutsche Recht nicht mehr allgemein bekannt 213 , jedoch in ihrer Konsequenz einsichtig: Die Berufung auf ein Besitzrecht, erwachsen aus dem Vertrag mit dem Voreigentümer, ist eine im Ausgangspunkt unzulässige "exceptio ex iure tertii"214. bb) Auf die Beschreibung der heutigen Rechtslage viele Worte zu verwenden, hieße langweilen: Das Miet- und Pachtrecht (§ 571 und § 581) redet eine klare Sprache. Es nimmt den Erwerber soweit in Pflicht, daß ihn kraft des Eintritts in das ganze Mietverhältnis selbst die von einem Voreigentümer gestattete Hundehaltung bindet 215 . Die Relativität des Schuldverhältnisses lenkt daher den Blick sogleich auf die hier gestattete "exceptio", ja "actio ex iure tertii" 216. Sind es allein "soziale Erwägungen", welche die gesetzliche Anordnung tragen, daß der Erwerber in die Rechte und Verpflichtungen des Vermieters und Veräußerers eintritt? 217 Und weiter: Wie läßt sich der Gesetzesbefehl wissenschaftlich deuten?

211 Die Vermietung von Sklaven (Handwerkern, Dienstpersonal, Künstlern und Schauspielern) und Tieren im Altertum und von Fahrzeugen, elektrischen Geräten und Möbeln in unserer Zeit ist für den Mieter nicht von lebenswichtiger Bedeutung und daher von geringem rechtspolitischen Interesse, auf das es hier ankommt. 212 Ich zitiere eine Konstitution des Kaisers Alexander Severus aus dem Jahre 234 n. ehr., die sinngemäß auch für die Miete galt: 4,65,9 "Emptori quidem fundi necesse non est, stare colonum, cui prior dominus locavit, nisi ea lege emit." "Der Käufer eines Grundstücks ist nicht verpflichtet, den Pächter im Besitz der Sache zu belassen (stare), dem es der vorige Eigentümer überlassen hatte, sofern er es nicht unter dieser Bedingung (d.h. des Fortbestehens des Vertrags) verkauft hat." Das Rechtssprichwort ,,Kauf bricht Miete" ist ungenau, weil die Stellung des Mieters oder Pächters auch bei einer Schenkung, einem Tausch, der Zwangsversteigerung, der Bestellung des Nießbrauchs sowie dem Vermächtnis von Herausgabeansprüchen des Erwerbers bedroht ist und der Vertrag mit dem Veräußerer (und Vermieter) nicht einseitig aufgehoben werden kann, sondern Schadensersatzansprüche des vertriebenen Mieters und Pächters wegen Nichterfüllung des Vertrags entstehen läßt. Auf den Schadensersatzanspruch und seine Verhütung bezieht sich die Digestenstelle D 19, 2, 25, 1. 213 Eine Erwähnung findet sich heute noch in den Erläuterungenvon Voelskow im Münchener Kommentar (1980), 1 und 2 zu § 571. 214 Man beachte im Hinblick auf die Vorschrift des § 986 I: Zwischen dem Verkäufer und Käufer eines Grundstücks besteht kein Besitzmittlungsverhältnis, aus dem der Mieter Rechte für sich ableiten könnte. 215 LG Mannheim, MDR 1962, S. 989. 216 Also die Ansprüche, die der Mieter oder Pächter gegen einen Erwerber gewinnt.

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cc) Daß das Gesetz für den Mieter und Pächter Partei ergreift und mit seiner Entscheidung für den oft 218 schwächeren Vertragspartner (nolens volens?)219 einen "sozialen" Geist atmet, ist unbestreitbar. Da es auf den Erwerber aber die Pflichten und die Rechte eines Vertrags übergehen läßt, kann es nicht nur sozial bewegt sein - es trägt auch den nüchternen wirtschaftlichen Notwendigkeiten Rechnung, die sich bei der Veräußerung eines Renditeobjekts in den Vordergrund drängen. Ich verdeutliche diesen Gedanken mit einer Anzeige aus der Tagespresse 220 : "Achtung Kapitalanleger / Bauträger - Von Privat zu verkaufen: Hannover, zentrale Lage, Wohn- und Geschäftshaus, 1 a Mieter. Jahresnettomietertrag ca. 235.000 DM, Kaufpreis 2,9 Mio ..." Gewährte das Mietrecht in solchen und ähnlichen Fällen nur eine reine "exceptio ex iure tertii" gegenüber dem Räumungsverlangen des neuen Eigentümers, wäre der Erwerb eines Grundstücks wenig sinnvoll. Ein Käufer, Nießbraucher oder Vermächtnisnehmer muß auch in den Genuß der Vertragsrechte kommen, um die Immobilie zu unterhalten; ein Käufer überdies, um das Geschäft zu finanzieren 221. Der Grundstücksmarkt spricht aus diesem Grunde treffend von einem ,,Renditeobjekt", wenn Immobilien als Kapitalanlage und nicht zum Wohnen angeboten und gesucht werden. Unbefangen betrachtet sanktioniert also auch die Vorschrift des § 571, was in den früheren nichtpreußischen Gebieten 222 in 217 So beispielsweise Palandt / Putzo, 48. Aufl., 1 a zu § 571: "Bezweckt Schutz des Mieters und Pächters"; Medicus, JuS 1974, S. 613/22: " ... Die §§ 571, 580, 581 II ... schützen Mieter und Pächter, indem sie deren Schuldverhältnisse verdinglichen." Sehr ausdrucksstark Eck in einem Gutachten über den Grundsatz "Kauf bricht Miete" für den 19. Deutschen Juristentag, 2. Band (1888), S.229/42: "Der Kaufmann, der Handwerker, die ihren Geschäftsbetrieb in eine ganz andere Stadtgegend haben verlegen müssen, der Pächter, der vielleicht erst nach Jahren wieder eine ihm zusagende Pachtung findet, der Gelehrte, der durch den Umzug wochenlang in seinen Arbeiten unterbrochen worden ist, der Kranke, dessen Lebensrettung an dem ruhigen Fortgenuß der gewählten Wohnung hing - sie alle werden vollkommen Ersatz ihres Schadens in Geld (i.e. gegen den Vermieter) kaum je erzielen ..." Wesentlich nüchterner die Gesetzesmaterialien bei Mugdan, Band 2 (1899), S.815 (Protokolle), nach denen die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite der Frage vielfach übertrieben worden sei. 218 Anders z. B., wenn ein Geschäft das ganze Grundstück trägt (Miete durch "McDonald's"). 219 Ich verweise auf die zurückhaltende Bemerkung der Protokolle, die Bedeutung des Mieter- und Pächterschutzes sei vielfach übertrieben worden. 220 ,YAZ" vom 7.9. 1988. Anders z. B. bei einem Einfamilienhaus, das man für das eigene Wohnen erwirbt. 221 Deutlich betont schon in dem Urteil RG 59, 177 /82 aus dem Jahre 1904. 222 Für die preußischen Landesteile gab die Vorschrift des § 106 I, 11 ALR einen Notnagel: "Miet- und Pachtzinsen werden zwischen dem Käufer und Verkäufer, nach Verhältnis ihrer Besitzzeit, geteilt." Den Eintritt des Erwerbers in den Vertrag dekretiert ein Urteil des Pr. Obertribunals aus dem Jahre 1853 (Amtl. Sammlung der Entscheidungen, Band 25, 1853, Nr. 65).

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mühseliger Detailarbeit und mit bisweilen zweifelhaftem Erfolg 223 ausgeführt worden sein muß: die Abtretung 224 der Miet- und Pachtzins ansprüche und der Gestaltungsrechte, hier allen voran der Kündigungsbefugnis. dd) Aus heutiger Sicht gilt es zwar als ausgemacht, daß der Vertrag auf den Erwerber ,,kraft Gesetzes" übergeleitet wird, daß "in seiner Person ein neues Mietverhältnis, freilich mit demselben Inhalt wie mit dem Veräußerer entsteht" 225, eine Deutung, welche die gestattete "exceptio ex iure tertii" mit dem Übergang von Ansprüchen und Gestaltungsrechten verbindet. Die Berufung auf einen nicht weiter erklärten und erklärbaren "Gesetzesbefehl" 226 weist freilich alle sachlichen Argumente zurück; auch die dem Erklärungsbedürfnis entgegenkommende Vorstellung einer am Grundeigentum haftenden ,,zustandsobligation" 227 ist dann nicht mehr diskutierbar. Folgt man der Rechtsprechung, wird das Bild des mit dem Grundeigentum "verbundenen" Vertrags der Rechtslage nicht bis in die letzte Konsequenz gerecht. Ihrer Auffassung nach müssen Veräußerer und Vermieter identisch sein, damit nicht der außenstehende Veräußerer durch den Übertragungsakt in fremde Rechte einzugreifen, ja den Vermieter - im untechnischen Sinn - zu "enteignen" vermag 228. Dieses außerge223 Ist auch ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht übertragbar? Ja: BGH NJW 1973, S. 1793/94; NJW 1985, S. 2640/41; nein: Larenz, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. (1983), § 13 H 7. 224 Die Annahme des Miet- oder Pachtzinses durch den Erwerber scheint die Praxis als stillschweigenden Abschluß eines neuen Vertrages gedeutet zu haben. Ich verweise auf die Andeutung in einem Urteil des Oberappellationsgerichts Jena (Seufferts Archiv Bd.6, 1853, Nr. 187, S. 251). 225 Staudinger / Emmerich, 12. Aufl. (1981), 6 zu § 571; Larenz, Schuldrecht, Besonderer Teil, 13. Aufl., Bd. H/ 1 (1986), § 48 IV zu Fußnote 113: "Heute h.L.". Daher die Unabhängigkeit des Erwerbers von Vorausverfügungen über den Miet- und Pachtzins (§§ 573, 574). 226 Auffallend ehrlich Enneccerus / Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearbeitung (1958), § 133 12, Fußnote 1: " ... ein gesetzlicher Übergang des zweiseitigen Schuldverhältnisses, der zwar dem bisherigen Recht fremd, aber in sich klar ist und daher keiner Zurückführung auf bereits bekannte Rechtserscheinungen bedarf." 227 Beredt verteidigt mit der Anführung weiterer Stimmen in dem Kommentar von Oertmann, 5. Aufl. (1929), 3 b zu § 571: ,,Das Verhältnis ist näher so aufzufassen, daß jeder Eigentümer als solcher für die Zeit seines Eigentums wegen der aus dem Mietverhältnisse entspringenden Rechte und Pflichten ohne weiteres wie berechtigt so verpflichtet ist. Nicht durch gesetzliche Abtretung und Schuldübernahme überkommt er sie, sondern als notwendigen Appendix seines Eigentums ... " Deutlich auch RG 102, 177/78 und RG 103, 166/67: Übergang der Mietverhältnisse als ,,Ausfluß des Eigentums". Die Gesetzesmaterialien "lehnen sich an den deutsch-rechtlichen Gedanken an, nach welchem gewisse Rechte und Pflichten mit dem Eigentum an einem Grundstück verbunden seien" (Mugdan, Die gesamten Materialien, Bd. H, S. 816, Protokolle). , 228 So im Ergebnis, aber ohne eingehende Begründung: BGH NJW 1974, S. 1551; LG Frankfurt, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1954, S. 112; Staudinger / Emmerich, a. a. 0., 24 a zu § 57l.

5. Der Vertragsübergang im Miet-, Pacht- und Arbeitsrecht

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setzliehe Erfordernis vernachlässigt jedoch den Schutz des Mieters und führt - zu Ende gedacht - nicht zu dem gewünschten Ergebnis, daß die Vermieterrechte gegen den Eingriff eines "Vertragsfremden" geschützt werden: Wenn nämlich der Mieter die Wohnung auf Verlangen des Erwerbers räumen muß, wird die Vertragserfüllung seitens des Vermieters unmöglich, so daß er mindestens den Anspruch auf den Mietzins verliert (§ 323), wenn nicht sogar dem Mieter schadensersatzpflichtig wird (§ 325).

Die Vorstellung der ,,zustandsobligation" vermag den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen der Immobilie und den auf ihr ,.ruhenden" Miet- und Pachtverträgen - die unter der Herrschaft des Preußischen Rechts sogar als beschränktdingliche Rechte galten 229 : - überzeugender auszudrücken als ein ominöser, überdies ganz aus dem System fallender "Gesetzesbefehl" . Dieser Zusammenhang - die schon an früherer Stelle erkannte " Verknüpfung" der Lebens- und Schuldverhältnisse 230 - rechtfertigt den Schritt über eine gestattete "exceptio ex iure tertii" hinaus: Das Miet- und Pachtrecht geht mit dem Grundeigentum zusammen auf einen neuen Eigentümer über, ein Vorgang, der die Relativität des Schuldverhältnisses in ihrem engen ursprünglichen Sinn aufhebt und auf die neue Bedeutung der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit des Bandes hin erweitert. b) Das im Miet- und Pachtrecht befriedigende Bild einer ,,zustandsobligation" läßt sich nur zurückhaltend auf die Veräußerung eines Wirtschaftsunternehmens übertragen, mit der das Arbeitsrecht den Eintritt in die mit dem Unternehmer (nicht mit dem Unternehmen!) geschlossenen Dienstverträge verbindet (§ 613 a): Der Arbeitnehmer "gehört" nicht zum Betrieb; als "Mitarbeiter" an einer gemeinsamen Aufgabe 231 verbindet ihn mit dem Arbeitgeber ein persönlicheres Band als es die Beziehung zwischen Mieter und Vermieter enthält. Obwohl die eingearbeiteten Kräfte für einen Erwerber oft das wichtigste "Kapital" bilden, obwohl die Betriebsangehörigen erfahrungsgemäß Wert darauf legen, nicht unter einer neuen Leitung auseinandergerissen zu werden 232 , nennt man den sog. Bestandsschutz des einzelnen Arbeitnehmers an erster Stelle der gesetzlichen Ziele: Der neue Inhaber soll keine "negative Auswahl" treffen dürfen 233 • 229 § 2 I 21 Pr. ALR: "Soweit der Berechtigte (d.h. Mieter oder Pächter) sich im wirklichen Besitze der zu gebrauchenden Sache befindet, hat seine Befugnis die Eigenschaft eines dinglichen Rechts." Näher dazu Jüttner, Zur Geschichte des Grundsatzes "Kauf bricht nicht Miete", Diss. Münster (1960), S. 50-51. 230 Oben, S.30-32 (Herausgabeanspruch des Vermieters gegen den Untermieter), S. 52 (gestattete Einrede aus einem fremden Rechtsverhältnis). 231 Heute ausgedrückt mit dem Schlagwort der "corporate identity". Das Urteil BAG AP Nr. 39 zu § 613 a BGB spricht von einer "Betriebs- und Produktionsgemeinschaft" (unter III, 3 b aa). 232 So richtig die Anmerkung von Herschel zu dem Urteil BAG AP Nr. 21, § 613 a BGB (I1I). 233 BAG AP Nr. 1 und 44 zu § 613 a BGB; Schaub im Münchener Kommentar (1980), 2 zu § 613 a ("Sozialstaatsprinzip"); Palandt / Putzo, 48. Aufl., 1 b zu § 613 a.

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

Setzt der Arbeitnehmer durch den (ihm außergesetzlich gestatteten)234 Widerspruch gegen die Übernahme seine Willensfreiheit und Menschenwürde ein, um nicht mit einem Betrieb "verkettet" und "veräußert" zu werden, zeigt sich freilich die Kehrseite eines zu sehr von der Person ausgehenden Denkens: Der - durch den Widerspruch von dem Betrieb gelöste, gewissermaßen im Raume schwebende - Vertrag kann leicht sinnlos werden und eine "betriebsbedingte" Kündigung (§ 1 11 KSchG) begründen 235. Eine Kassiererin der sog. "Berliner Ausstellungen" widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die ,,AMK Berlin, Ausstellungs-, Messe-Kongreßgesellschaft mbH"; sie verfolgte ihren Standpunkt sogar mit einer entsprechenden Feststellungsklage 236. Wie erfolgversprechend war ihre Aussicht, einen gleichwertigen Arbeitsplatz bei dem Land Berlin 237 zu erhalten? Sind nicht auch im Arbeitsrecht der Bestandsschutz und die wirtschaftliche Verknüpfung der Beziehungen Gründe für den Übergang eines Vertrags?

6. Der Schutz des Schuldbandes gegen Eingriffe Dritter in begrimicher und wertender Betrachtungsweise a) Kann das Schuldverhältnis überhaupt von einem Außenstehenden" verletzt" werden? aa) Ein Reichsgerichtsurteil aus dem Jahre 1913 238 befand über den Bruch eines Konkurrenzabkommens zwischen einer Brauerei und einem (früheren?)239 Brauereibesitzer. Der Schuldner, der erwähnte Brauereibesitzer, hatte sich unter Übernahme einer Vertragsstrafe 240 verpflichtet, nicht in den Dienst der Konkurrenz seiner Vertragspartnerin zu treten. Der Konkurrenz gelang es jedoch, den umworbenen Kaufmann 241 auf ihre Seite zu ziehen; sie erleichterte ihm den Vertragsbruch durch die Zusage, eine verwirkte Konventionalstrafe aus ihren Mitteln zu bezahlen. 234 BAG AP Nr. 1,21,37 und 55 zu § 613 a BGB. 235 Schaub, a. a. 0.,47 zu § 613 a; Herschel, a. a. 0., m 4 b: "Das Bundesarbeitsgericht sieht den Sachverhalt zu rosig." 236 Sachverhalt des Urteils BAG, AP Nr. 21 zu § 613 a BGB. 237 Die ,,Berliner Ausstellungen" sind nach dem angeführten Urteil ein sog. "Eigenbetrieb", das heißt ein Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit. 238 JW 1913, S. 866. 239 Das Urteil spricht lediglich von einem "Brauereibesitzer". Wird aber ein tätiger Unternehmer, wie hier geschehen, in fremde Dienste treten und sich durch Konkurrenzverträge die Hände binden lassen? 240 Für eine geschuldete Unterlassung im Sinne des § 339, Satz 2. 241 Das Reichsgericht erwähnt die "großen Aufwendungen", welche die Klägerin zur Gewinnung des Brauereibesitzers gemacht habe.

6. Der Schutz des Schuldbandes gegen Eingriffe Dritter

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Die reichsgerichtliche Entscheidung, die den Anspruch der Gläubigerin auf die Strafe und eine Schadloshaltung wegen sittenwidrigen Vorgehens der Konkurrenz bejahte, stellte an den Ausgangspunkt ihrer Erwägungen die Relativität der vertraglichen Bindung: "Die zwischen anderen Personen bestehenden Schuldverhältnisse können begrifflich von einem Dritten nicht verletzt und brauchen an sich von ihm nicht beachtet zu werden." In gleicher Schärfe formulierte noch im Jahre 1929 der Oertmannsche Kommentar 242: "Es muß entschieden bestritten werden, daß ein Dritter überhaupt imstande sei, das lediglich zwischen Schuldner und Gläubiger bestehende Rechtsband der Obligation zu verletzen." bb) Die Vorstellung, ein Schuldverhältnis ,,könne" gar nicht durch einen anderen als den Schuldner oder den Gläubiger 243 beeinträchtigt werden, besticht durch ihre vordergründige Logik. Sie entspricht überdies, worauf sich das Reichsgericht bezieht, der Relativität der Bindung in ihrem ursprünglichen Sinn: Das Schuldverhältnis ist ein dritte Personen ausschließendes "iuris vinculum"244. Wenn nämlich der eine Konkurrent dem anderen Arbeitnehmer oder freie Mitarbeiter ausspannt, nimmt der Eingriff zwangsläufig seinen Weg über den Willen des Schuldners, und es ist dessen Kündigung oder sein Vertragsbruch, welche die Bindung an den Unternehmer zerstört. Zur Vertiefung der Frage, ob ein Schuldverhältnis durch Dritte "verletzbar" ist, sei ein anderer, aus der Tagespresse berichteter Sachverhalt angeführt 245 : Auf dem Betriebshof einer Firma ,,Euro-Auto Import" in Norderstedt bei Hamburg wurden im Jahr 1988 zehn fabrikneue Fahrzeuge mit Säure überschüttet, aus Rache und Konkurrenzneid, wie der Geschäftsführer der Firma vermutete. Sieben Wagen waren bereits verkauft und wurden von den Käufern mehr oder weniger dringend erwartet. "Geschädigt" im Sinne der reichsgerichtlichen und der Oertmannschen Aussage war die Eigentümerin, nicht die Käufer, mochten die Fahrzeuge auch schon für sie bereitgestellt worden sein. cc) Aber gerade der zuletzt berichtete Sachverhalt zeigt, daß die begriffsjuristische Aussage nicht das letzte Wort sein kann: Es bedarf nicht der von der Zeitung nachempfundenen "Tränen eines jungen Mannes"246, um einzusehen, daß die Käufer der unbrauchbar 242 5. Aufl., 3 d ß zu § 823. 243 Dies im Falle des § 324: Ein Mieter schläft mit brennender Zigarette ein und verursacht dadurch einen Wohnungsbrand, der dem Vermieter die Erfüllung seiner Pflichten - je nach dem Grad der Zerstörung - ganz oder teilweise, für immer oder nur vorübergehend unmöglich macht. 244 Dazu oben, S. 12. 245 "Kieler Nachrichten" vom 8. 1. 1988. Einen ähnlichen Eingriff entnehme ich der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. 2. 1989: Unbekannte Erpresser haben von der Volkswagen AG 300 000 DM gefordert und als Druckmittel bei VW-Händlern Autos in Brand gesteckt. Der Schaden belief sich auf rund 330 000 DM. 246 "Ein junger Mann, der sein Auto heute morgen endlich mitnehmen wollte, fing laut an zu weinen, als er seinen Sportwagen in diesem Zustand sah ... " 5 Henke

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

gemachten Wagen - menschlich und wirtschaftlich gesehen - ebenso "Geschädigte" waren wie der angegriffene Auto-Importeur. Wenn es unter diesen Gesichtspunkten einleuchtet, daß auch Forderungen zum Angriffsziel Dritter werden, können es keine Denkunmöglichkeiten gewesen sein, von denen sich das Reichsgericht und Oertmann haben leiten lassen. Man gehe von der praktisch am nächsten liegenden Gestaltung aus und überlege: Waren die beschädigten Wagen noch nicht für die Käufer bereitgestellt 247 , verblieb diesen der Anspruch auf Nachlieferung; braucht man sich doch als Erwerber eines Neuwagens kein repariertes Fahrzeug aufdrängen zu lassen. Die Zeitspanne bis zur Erfüllung der Verträge mußte also überbrückt werden; bei den Käufern entstanden möglicherweise Verzögerungsschäden in nicht unbeträchtlicher Höhe 248 , die bei wirtschaftlicher Sicht der Dinge neben den Einbußen des Verkäufers und Eigentümers hätten liquidiert werden können. Übernähme der Jurist die Auffassung des Verkehrs, hätte der Täter folglich bei jedem Wagen mit zwei, bei einem denkbaren Weiterverkauf sogar mit einem dritten Schadensersatzgläubiger zu rechnen. Seine Verpflichtung wäre noch weniger, als dies bei einem Eigentumsschaden der Fall ist 249 , übersehbar und berechenbar. Was wollten das Reichsgericht und Oertmann "eigentlich" sagen? Ich bin überzeugt, daß das begriffliche Argument nur dazu diente, die hinter den erwähnten "Denkunmöglichkeiten" stehenden Wertungen zu verdecken: Auch die beiden Autoritäten würden nicht bestreiten, daß Schuldverhältnisse von Außenstehenden beeinträchtigt werden können. Schadensersatzverpflichtungen sollen sich indessen - von der Gläubigerseite aus gesehen - nicht über die in erster Linie betroffene Person, bei Eingriffen in Leib und Leben über den Verletzten, bei 247 Hat der Gläubiger, wie im vorliegenden Fall, den verkauften Gegenstand im Geschäft seines Vertragspartners abzuholen, so wird die Gattungsschuld zur Stückschuld (sog. Konkretisierung im Sinne des § 243 11), wenn er - wie sich das Reichsgericht im Zusammenhang mit dem Gläubigerverzug plastisch ausdrückte - "nichts weiter zu tun braucht, als zuzugreifen und die Leistung anzunehmen" (RG 85, 415/16; 109,324/ 28). Ob die hier erwähnten Verträge diese Entwicklungsstufe schon erreicht hatten, läßt sich dem Zeitungsausschnitt nicht mit Sicherheit entnehmen. Eine Ausnahme dürfte der für den "jungen Mann" bestimmte Sportwagen bilden, wenn die Zulassungsstelle die Fahrzeugpapiere bereits auf seinen Namen ausgestellt hatte. Die damit spätestens vollzogene "Absonderung" von dem übrigen Bestand des Händlers hob zwar den Anspruch auf die Nachlieferung eines unbeschädigten Wagens auf (§ 275). Der Anschlag befreite ihn aber auch von der Pflicht, den Preis zu entrichten (§ 323). Sein "Schaden" bestand in der verzögerten, möglicherweise auch verteuerten Lieferung auf Grund eines zweiten Vertrags. 248 Miete für ein Ersatzfahrzeug, Kosten für einen bereitgestellten, noch nicht in Anspruch genommenen Kredit. Bei Aufhebung des Vertrags war der erhöhte Preis zu erstatten, den der authorisierte Händler im Vergleich zu den "Euro-Importeuren" - Geschäftsleuten in einer "Grauzone" wie behauptet wird - berechnet. 249 Ich ziehe hier die Folgeschäden in Betracht: Den entgangenen Gewinn des Händlers (§ 252), wenn ein Vertrag rückgängig gemacht wird, andernfalls die Aufwendungen für den möglichst raschen Ersatz des beschädigten Fahrzeugs.

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Sachschäden über den oder die dinglich Berechtigten, bei Vertragsverletzungen schließlich über den Gläubiger, hinaus erstrecken 250. Sie sollen - auf der Seite der Verpflichtung - nicht das freie Spiel der Kräfte lähmen und Konkurrenten des Gläubigers davon abhalten, mit dem Schuldner neue Beziehungen zu knüpfen und ihn so, ungeachtet geschäftlicher Verluste des ursprünglichen Partners, ftir ihre Ziele zu gewinnen 251 • Deute ich die zitierten Aussagen richtig, so legen sie der Sache nach fest: Das Schuldverhältnis ist zwar nach seinen menschlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auch durch andere Personen als den Verpflichteten und den Berechtigten verletzbar. Ein Eingriff durch Außenstehende wird jedoch nicht als "Verletzung eines sonstigen Rechts" im Sinne des § 823 I gewertet.

b) Der gezielte Angriff auf das Schuldverhältnis als "vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung" im Sinne des § 826 aa) Die Verweigerung von Schadensersatzansprüchen wegen ihrer erschwerten Übersehbarkeit und Berechenbarkeit verliert ihre Überzeugungskraft, wenn ein Dritter die Obligation gezielt angreift 252 und sich aus diesem Grunde über die Konsequenzen seines Tuns im klaren sein muß: Wenn er entweder die Leistung mit einem feindseligen Blick auf den Gläubiger zu sabotieren oder die Loyalität des Schuldners zu untergraben sucht 253 , indem er sich zum Komplizen eines Vertragsbruchs macht. Die Konkurrenz der "Euro-Auto Import" läßt etwa fabrikneue Fahrzeuge auf dem Hof ihrer "Gegnerin" mit Säure überschütten, um Verkäufer und Käufer "dieser BilligJapaner zu bestrafen". 250 Beachtung fordert hier das grundsätzliche Verbot des Ausgleichs sog. Drittschäden (Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 27 IV b). Zutreffend insoweit auch Löwisch, Der Deliktsschutz relativer Rechte (1970), S. 9: "Wer auf die Frage nach dem Deliktsschutz relativer Rechte eine befriedigende Anwort geben will, muß zuerst die Spannung zwischen Schutzbedürfnis und Haftungsbegrenzung ... lösen." 251 Niemand ist gehalten, das eigene Interesse einem fremden, auch nicht den Erwartungen eines Gläubigers, nachzusetzen: RG JW 1922, S. 1390; BGH 12,308/17-18; BGH NJW 1981, S. 2184/85. Daher muß der sich "verletzt" fühlende Gläubiger ein "besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit" darlegen, um mit einer Schadensersatzklage gegen den (dritten) Konkurrenten Erfolg zu haben (BGH NJW 1981, S. 2185). 252 Eine Erkenntnis, auf die die zitierte Schrift von Löwisch, a. a. 0., S. 59 ff, 76 ff, 84 ff und 134 ff, aufbaut. Der gezielte Eingriff in ein Schuldverhältnis sei eine "gegen das Recht gerichtete Handlung" und als "Verletzung eines sonstigen Rechts" im Sinne des § 823 I zu werten. 253 In diesem Sinne auch K. Friedrich, AcP Band 178 (1978), S. 468/86, und Mertens im Münchener Kommentar, 2. Aufl. (1986), 125 zu § 826, beide mit dem Hinweis, daß der Dritte auf die Willensbildung des Schuldners "einwirke" (K. Friedrich) oder den Schuldner ,,manipuliere" (Mertens).

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Daß sich eine derartige Rache gegen das Eigentum der Verkäuferin und den Anstand im geschäftlichen Wettbewerb (§ 1 UWG) richtet, bedarf keiner näheren Ausführung 254. Aber ebenso klar zutage liegt m.E. der Eingriff in das Forderungsrecht der Käufer. Um die Vollstreckung eines Urteils zu durchkreuzen, das dem Anspruch auf Lieferung eines "Opel-Fahrzeugs" stattgab 255 , ließen sich der Verkäufer und Vollstreckungsschuldner, sein Vater und ein Bruder des Schuldners eine ganze Reihe juristischer Schachzüge einfallen 256 : Die Scheune, in welcher der Wagen untergestellt war, wurde an den Vater des Schuldners "vermietet", der nunmehr dem Gerichtsvollzieher den Zutritt und die Wegnahme des Kaufgegenstands 257 verweigerte 258 • Der notwendig gewordenen Pfändung und gerichtlichen Geltendmachung des Herausgabeanspruchs gegen den "Mieter" begegnete dieser "Besitzer", indem er das Fahrzeug seinem anderen Sohn, einem Bruder des Schuldners, "in Verwahrung gab". Nach einem wohl im Sande verlaufenen Prozeß wegen der Lieferung des Wagens verlangte der Gläubiger schließlich Schadensersatz, um sich den gewünschten Wagen an anderer Stelle zu verschaffen. Das Berufungsgericht geißelte mit Zustimmung des Reichsgerichts die "bewußten und gewollten Sabotageakte gegen einen rechtsgültigen Richterspruch" 259. Es verurteilte - mit Billigung des Reichsgerichts - die Mittäter, nämlich den Vater und den Bruder des Schuldners, den Käufer wegen des (durch die Schiebungen entgangenen) Wertes des Fahrzeugs und seiner lange Zeit vereitelten Nutzung zu entschädigen 260 • Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte ein Uniformfabrikant den für ihn gewinnträchtigen Abschluß über Heereslieferungen erreichen können. Die Zeitspanne bis zur Bestätigung des Vertrags durch die vorgesetzte Behörde benutzte ein Vizewachtmeister, um den mit den Vertragsverhandlungen beauftragten Offizier "zu bearbeiten", wie es in

254 Eine Anspruchskonkurrenz ist zugelassen (Baumbach / Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 14. Aufl. (1983), Einleitung 318 vor § 1 UWG. Der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb tritt als sog. "Auffangtatbestand" hinter die beiden anderen Schädigungen zurück (dazu Palandt/Thomas, 48. Aufl., 5 G zu § 823). 255 Sachverhalt des Urteils RG JW 1930, S. 1491. 256 Zergliedert man deren rechtliche Seite, fallen die "Verletzung" des zuerkannten Anspruchs aus dem Kaufvertrag und die -letztlich gelungene - Vereitelung des sog. Vollstreckungsverhältnisses zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner in den Blick. Das Urteil hatte dank seiner materiellen Rechtskraft die Forderung des Käufers unbestreitbar gemacht und das Vollstreckungsverhältnis vorbereitet, das mit dem ersten Vollstrekkungsantrag des Gläubigers wirksam wurde. Es verbot dem Schuldner, den Zugriff des Staates und des Gläubigers auf sein Vermögen zu sabotieren. Den Fragenkreis "Vollstrekkungsanspruch und vollstreckbarer Anspruch" sowie das Vollstreckungsverhältnis behandelt - wenngleich nicht mit genügender Schärfe - Rosenberg / Gaul / Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl. (1987), §§ 6 und 8. 257 Erforderlich zur Verschaffung des Eigentums: § 883 I ZPO. 258 Der Vater berief sich auf das Vollstreckungshindemis des Gewahrsams eines Dritten (§ 886 ZPO). 259 A.a.O., S. 1492. Die Haftung der Beklagten ergab sich aus einer "vorsätzlichen, sittenwidrigen Schadenszufügung" (§ 826) und aus "Sabotage gegenüber der Rechtspflege" (§ 82311 in Verbindung mit § 288 StGB - "Vereitelung der Zwangsvollstreckung"). 260 Die hier beschriebene "Sabotage gegen die Rechtspflege" ging auf das Jahr 1923 zurück, der sich anschließende Prozeß endete vor dem Reichsgericht erst 1929.

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einem Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1918 wörtlich heißt 261 . Es gelang ihm, den fast perfekten Vertrag zum Scheitern zu bringen und den Auftrag einer Firma zuzuschanzen, die ihm versprach, ihn zur Hälfte an dem von ihr erwarteten Gewinn zu beteiligen. Das Reichsgericht befand: "Der außenstehende Geschäftsmann, der in Kenntnis des Sachverhalts mit einer Militärperson zur Erreichung solchen unlauteren Zieles zusammenwirkt, handelt in gleicher Weise unehrenhaft und gegen die guten Sitten." bb) Ist der Gedanke einsichtig, daß Schuldverhältnisse "verletzbar" sind, sofern ein Konkurrent des Gläubigers oder Komplize des Schuldners die Leistung mit dem Blick auf den Berechtigten behindert - mithin auch das auf dem Spiel stehende Interesse erkennt - , so kann auf weitere, den Blick ablenkende Beispiele verzichtet werden. Es bleibt nur noch über die anzuwendende Norm zu entscheiden. Ist die Auffassung anzuerkennen, daß "alle Verleitungen und Veranlassungen zum Bruch der aus den relativen Rechtsbeziehungen folgenden Pflichten die Haftung aus § 823 I BGB auszulösen vermögen, sofern die Handlung des Verletzers die unmittelbare Richtung auf dieses Recht hatte"? 262 Ich halte die vorgetragene Meinung nichtfür richtig, vielmehr die Anwendung des § 826 BGB für geboten, und stelle dem Vorschlag einen praktischen und einen gedanklichen Einwand entgegen: (1) Ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1904, das sich mit dem Für und Wider seiner Antwort viel Mühe macht 263, war schon damals die Autorität, die dem Streit der Meinungen praktisch ein Ende bereitete 264 , indem es befand: "Die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 auf obligatorische Rechte ist zu verneinen" 265 • Heute, nach einer Tradition von über acht Jahrzehnten, kann nur noch wiederholt werden, was sich in einem Kommentar so liest: "Nicht als sonstige Rechte kommen Forderungen in Betracht - Ganz h.M."266. (2) Einen Umschwung der Auffassungen hin zu einem anderen Gesetzesverständnis vermag ich nicht zu erkennen 267. Selbst wenn aber der Jurist bereit

261 RG 95, 54/56. 262 Löwisch, a. a. 0., S. 91. 263 RG 57, 353. 264 Oertmann, a. a. 0.,3. und 4. Aufl. (1910) sowie 5. Aufl. (1929), jeweils 3 d ~ zu § 823: "Die Praxis steht fast durchweg auf dem herrschenden (das heißt den Schutz des Forderungsrechts durch § 823 I ablehnenden) Standpunkt, so besonders in nunmehr fester, ständiger Übung das RG ...". 265 a. a. 0., S. 355 (Hervorhebung dutch den Verfasser). 266 Mertens im Münchener Kommentar, 2. Aufl. (1986), 109 zu § 823 mit Fußnote 160. 267 Über gegenteilige Bemühungen in Schriften von Koziol, Löwisch und Mincke heißt es im Münchener Kommentar (a. a. 0.): "... doch haben diese Autoren keine ins Gewicht fallenden Rechtsschutzinteressen aufzeigen können, die einen so weitreichenden Umbau unseres Schuldrechtssystems notwendig machten."

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III. Einzelne Auswirkungen der Relativität

wäre, sich von der berufenen Tradition zu lösen 268, machte er sich den Umgang mit dem Gesetz nicht einfacher - im Gegenteil. Er spaltete die Vorschrift des § 823 I in kausale, nach dem Erfolg einer Handlung zu beurteilende und also erfahrungsmäßig festzustellende, und in finale, das heißt von einer rechtsfeindlichen Gesinnung geprägte "Verletzungen"269. Das beschriebene Attentat auf die Fahrzeuge der Firma "Euro-Auto Import" wäre danach ein glatter ,,Eingriff' in das Eigentum, dessen Annahme keine ungewöhnlichen Gedankengänge nötig machte. Für das Handeln "gegen die Käufer" würden andererseits die komplizierten Maßstäbe der Psychologie gelten: Wollte die Konkurrenz der Firma jemand "bestrafen"? Eine solche Einstellung läßt sich jedoch mit den Merkmalen der "vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung" im Sinne des § 826 zwangloser erfassen - sind diese doch wie geschaffen für das Eindringen in die Psyche des Täters. c) Die vorsätzliche, sittenwidrige Handlungsweise des Außenstehenden

und ihr Zusammenhang mit dem verletzten Schuldband

aa) Das Schuldband erstreckt sich auf einen Außenstehenden, so lautete die bisher gewonnene Erkenntnis, sofern es mit einem anderen, auf den Dritten bezogenen Rechts- oder Lebensverhältnis in Zusammenhang steht. Der Vermieter hat den Anspruch gegen den Untermieter (Unterpächter, Unter-Entleiher) auf Rückgabe seiner Sache kraft eines gesetzlichen Schuldbeitritts. Die dadurch bewirkte Verknüpfung zweier Schuldverhältnisse gewährt ihm die Rückgabe in einem Schritt, wohingegen bei isolierender Betrachtungsweise ein zweifaches Vorgehen nötig wäre 270. Der Vertrag zugunsten Dritter baut eine BTÜcke über zwei an sich getrennte Lebensoder Rechtsverhältnisse. Er hat dort seinen Platz, wo die Leistung des sog. Versprechenden erkennbar drittbezogen ist - wo die Vertragspartner den Ehegatten, die Kinder, die Gläubiger des sog. Versprechensempfängers im Auge haben 271 . Sind schließlich zwei Beziehungen voneinander abhängig und damit rechtlich miteinander verbunden, wie der Rückgabeanspruch eines Verkäufers, Vermieters, Hinterlegers usw. mit dem (vorrangigen) Herausgabeanspruch eines bestohlenen Eigentümers 272 , darf sich der Schuldner der Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis bedienen, um den 268 Ein Schritt, den das LG Braunschweig 1953 in einem auffallend emotional gefaßten Urteil vollzog (MDR 1953, S.678): ,,Der letzte Satz (d.h. der zitierten Entscheidung RG 57, 353/54) fordert gerade zum Widerspruch heraus." Die Entscheidung suchte einen Schuldner kraft unerlaubter Handlung, weil die eigentliche (Bereicherungs-)Schuldnerin in die damalige Ostzone entwichen war. 269 So in der Tat Löwisch, a. a. 0., S. 61, der an dieser Stelle die Verdienste der finalen Handlungslehre des Strafrechts hervorhebt. 270 Oben, S. 30-31. 271 S.43 und 44. 272 S.50.

6. Der Schutz des Schuldbandes gegen Eingriffe Dritter

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gegen ihn gerichteten Anspruch - hier aus dem schuldrechtlichen Verhältnis - zu Fall zu bringen 273. bb) Die aufgezeigte Verknüpfung ist auch bei dem Eingriff in ein fremdes Schuldband zu erkennen. Zielt jemand auf ein solches Verhältnis, um den Gläubiger zu "treffen", schaffen der Sinn und die Auswirkungen seines Angriffs den für eine Erstreckung der Pflichten nötigen Zusammenhang: Wenn sich der Dritte in eine Bindung eindrängt, die ihn nichts angeht, kann sie ihre Abwehrkraft auch gegen ihn entfalten. Der Gläubiger hat das Recht, ihn für die Beeinträchtigung seiner Befugnisse schadensersatzpflichtig zu machen und ihm künftige Eingriffe zu verbieten. Mit welcher Deutlichkeit der dargestellte Bezug bisweilen festgestellt werden kann, mag der Auszug aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf erweisen. Es berichtet 274 : "Der Beklagte versuchte ohne Erfolg, den Kläger, der als Rechtsanwalt seine geschiedene Ehefrau vertrat, zu einer Aussprache zu bewegen mit dem Ziel, eine gütliche Einigung in dem Rechtsstreit zu erreichen. Daraufhin überwies der Beklagte insgesamt 14mal 0,01 DM auf das Konto des Klägers, das jedes Mal mit 0,50 DM Buchungsgebühren belastet wurde. Die Unterlassungsklage hatte Erfolg m . Die Vornahme grundloser Überweisungen in einer Höhe von 0,01 DM stellt eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Verletzungshandlung dar, die zudem sittenwidrigen Charakter hat."

273 274 275

S.52. Betriebs-Berater 1988, S. 434. Aus § 1004 I in analoger Anwendung, wie das Urteil richtig ausführt.

IV. Die Relativität des Schuldverhältnisses: Herrschaft und Auflösung, Stärke und Schwäche des Trennungsdenkens 1. Die Zwei-Personen-Beziehung als Grundmuster des bürgerlichen Rechts und des Zivilprozesses a) Welche Eigenschaft kennzeichnet das zivilistische Denken?

in möglichster Kürze ausgedrückt-

Nach meiner Auffassung I ist es die "juristische Scheidekunst"2, der wir auch die Erkenntnis verdanken, daß Schuldverhältnisse relative, das heißt im Grundsatz isolierte Beziehungen zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner sind 3 • Diese Kunst ist die Fähigkeit, nach der Anweisung einer Rechtsnorm gedanklich scharfe Schnitte durch die Wirklichkeit zu legen, "Wichtiges" und "Unwichtiges" ("Relevantes" und "Irrelevantes" in der Bezeichnung der Fachsprache) zu sondern und so aus der ungeschiedenen Masse von Fakten einer lebensmäßigen Begebenheit ein sinnreiches Gebilde, den juristischen "Sachverhalt", herauszuarbeiten, der nicht nur die praktische Entscheidung 4, sondern auch die wissenschaftliche Erkenntnis 5 leitet. I Eine prägnante Darstellung ist in der heutigen Literatur nur Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis (1987), S.25, gelungen: Das Schuldverhältnis ist die "zentrale Figur des juristischen Denkens überhaupt." Man muß daher ebenso auf ältere Werke zurückgehen, um das Wesentliche des juristischen Denkens bestätigt zu finden: F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts (1934), S. 13; v. !hering, Geist des römischen Rechts, Bd. 11/2,5. Auf!. (1898), § 39, 1; Geny, Science et Technique en droit prive positif, vol. I, 2 e tirage (1921), § 55: "Ce qu'on peut appeler la verite proprement juridique, ne correspond, que sous une reserve essentielle, a la definition scolastique de la verite: adaequatio rei et intellectus ... C'est donc une verite, eminemment schematique, qui ne peut saisir les realites morales, economiques, sociales, que par les aretes vives qu'elles presentent au concept, donc en les deformant, ou, plutöt meme, en les transformant en entites ideales." "Das, was man als juristische Wahrheit im eigentlichen Sinne zu bezeichnen vermag, entspricht nur unter grundlegenden Abstrichen der scholastischen Defmition: die Übereinstimmung der Sache mit deren Erkenntnis ... Es handelt sich mithin um eine außerordentlich technische Wahrheit, welche die sittlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten nur durch die scharfen Kanten zu erfassen vermag, die in einem Begriff enthalten sind, mithin dadurch, daß sie diese Gegebenheiten verkürzt oder besser noch, indem sie diese in geistige Gebilde umformt." 2 Der plastische Ausdruck geht auf v. !hering, a. a. 0., S. 335 zurück: "Die juristische Technik läßt sich als die Chemie des Rechts bezeichnen, als die juristische Scheidekunst, welche die einfachen Elemente des Rechts aufzufinden hat." 3 Darüber schon oben, S. 11 und 28-29. 4 In Gestalt des Tatbestands eines Urteils, dem die Vorschrift des § 313 11 ZPO die Aufgabe zuweist, "die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und

1. Die Zwei-Personen-Beziehung als Grundmuster

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b) Die isolierende Beurteilung der Zivilistik zeigt sich in besonderer Schärfe an der Geldschuld, in den Begriffen des Fachs zu definieren als "Wertverschaffungs- oder Wertschuld" 6, die dem Schuldner nach einer gängigen Formel auferlegt, "dem Gläubiger die Verfügungsmöglichkeit über den durch den Nennbetrag der Schuld ausgedrückten Vermögenswert zu verschaffen" 7. Die menschlich, gesellschaftlich und rechtspolitisch brennende Frage, ob dauernde Zahlungsunfähigkeit als Folge von Schicksalsschlägen 8 oder von Kreditwucher eine Sanierung des Verpflichteten rechtfertigt, um ihn aus dem Schuldturm der Pfändungen zu befreien 9, ist kraft dieser Definition irrelevant, das heißt nicht zur Sache gehörig. Ein verbreiteter Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch vermag sie daher in einem einzigen Satz zu verneinen 10: "Der Grundsatz, daß Geldmangel den Schuldner nicht entlastet, ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz" 11. Die Geldschuld ist mithin durch ihre grundsätzliche 12 Unabhängigkeit von den persönlichen Verhältnissen des Schuldners 13 und insbesondere von den Ursachen und Folgen ("soziale Ausgrenzung") einer möglichen Illiquidität gekennzeichnet: Wer über den Anspruch auf Zahlung zu befinden hat, ist im Prinzip nicht befugt, die Forderung in einen Zusammenhang mit "vertragsfremden" Lebens- und Rechtsverhältnissen zu bringen, mögen sie auch nach Meinung des Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp darzustellen"(Hervorhebung durch den Verfasser). 5 Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 1711, zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte: " ... Es wurde beispielsweise durch das Verschulden eines Handwerkers, den der Hauseigentümer mit einer Reparatur am Hause beauftragt hatte, nicht nur der Mieter selbst, sondern auch seine Ehefrau, sein Kind oder seine Hausangestellte verletzt ... Die Rechtsprechung nahm daher an, der Mietvertrag sei ,stillschweigend' auch zugunsten aller dieser Personen geschlossen worden ..." 6 Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 2 zu § 245. 7 Larenz, a. a. 0., § 12 m. 8 Zum Beispiel von Arbeitslosigkeit. 9 So die Vorschläge von de With und Nack, Der modeme Schuldturm, Zeitschrift für Rechtspolitik 1984, S. 1/3. 10 Palandt / Heinrichs, a. a. O. 11 Medicus, "Geld muß man haben", AcP Bd. 188 (1988), S.489/93: "Dieser Satz klingt hart. Zumal angesichts seiner schwachen gesetzlichen Fundamentierung liegt es nahe, ihn anzuweifeln." 12 Ausnahmen, die das Sozialstaatsprinzip fordert, deren Berücksichtigung die Generalklausel des "sittenwidrigen Rechtsgeschäfts" und seiner Nichtigkeit (§ 138) gestattet, stelle ich unten S. 84 ff dar. 13 Zum Beispiel seiner Schul- und beruflichen Bildung sowie seiner gesellschaftlichen Position - Umstände, welche die Sittenwidrigkeit von Teilzahlungskrediten beeinflussen, die aus diesem Grunde auch bei der Sanierung notleidender Konsumentenkredite eine Rolle spielen können. In einem einschlägigen Urteil des Landgerichts Lübeck heißt es daher: "Bereits mit 18 Jahren hat der Beklagte Anfang 1970 seinen ersten Kredit aufgenommen. Ihm haben sich bis zum Abschluß des streitgegenständlichen Vertrages eine Vielzahl von weiteren Kreditverträgen angeschlossen. Der Lebensweg und auch die Lebensführung des Beklagten (und später der Beklagten als Ehegatten) war von Kreditverträgen geprägt ... " (NJW 1987, S. 959/61).

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IV. Herrschaft und Auflösung des Trennungsdenkens

Laien, des Soziologen oder eines Rechtspolitikers 14 die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten meßbar beeinflussen: Der Ausfall des eigenen Schuldners, dessen Zahlungsunfähigkeit sich fortpflanzt 15, anderweitige eigene Verpflichtungen 16 und die Gefährdung des Arbeitsplatzes, die Lohnpfändungen mit sich bringen können 17 - dies alles sind bürgerlich-rechtlich im Ansatz irrelevante Umstände. c) Die natürliche "Enge" der zivilistischen Betrachtungsweise prägt auch den Rahmen und den Ablauf des Zivilprozesses: Im Mahn- 18 und im Klageverfahren entscheidet das Gericht über Rechtsbehauptungen der Parteien 19, die sich - ist die Sache streitig 20 - in entgegengesetzten Anträgen niederschlagen. Da der Prozeßrichter Urteiler und nicht Vermittler ist 21 , bindet ihn ein starres, durch das materielle Recht und den sog. Verfügungsgrundsatz des Prozesses 22 vorgeschriebenes Urteilsschema. Er hat die Macht, den erhobenen Anspruch zuzusprechen, teilweise zuzusprechen oder abzusprechen - die Freiheit, das streitige 14 de With und Nack, a. a. 0., S. 3: "Das hier erörterte Problem des modemen Schuldturms wird in den nächsten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen ... Ebenso wie derzeit über die Sanierung von konkursreifen Unternehmen nachgedacht wird, sollten auch Überlegungen verfolgt werden in Richtung auf eine 'private Sanierung'." 15 Aus einer Anzeige der "Allgemeinen Kreditversicherung AG" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 7. 10. 1988: "Fast jeder dritte mittelständische Konkurs ist ein unverschuldeter Folgekonkurs - weil ein Kunde zahlungsunfähig wurde." Das Handelshaus Klöckner & Co. KG aA in Duisburg bekannte sich im Oktober 1988 zu einem Verlust von 600 bis 700 Millionen DM. "Dieser Betrag habe sich zum überwiegenden Teil aus der Besorgnis ergeben, daß bestimmte internationale Geschäftspartner im Rohölgeschäft die von ihnen eingegangenen Zahlungsverpflichtungen nicht pünktlich honorieren könnten" ("FAZ" vom 17.10.1988). 16 "FAZ" vom 9. 5. 1985 zum Thema "Das Häusle unter dem Hammer": Eine andere Quelle der Überschuldung gegenüber den Hypothekenbanken sei die leichtfertige Überschreitung ursprünglich geplanter Baukosten - "Die Bauherren leisten sich zu kostspielige Inneneinrichtungen". 17 Lohnpfändungen und Schulden rechtfertigen die ordentliche oder außerordentliche Kündigung, wenn sie das Arbeitsverhältnis inhaltlich und nicht nur verwaltungsmäßig - durch Inanspruchnahme der Buchhaltung - belasten: Wenn sie dem Ruf des Unternehmens abträglich sind oder das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers untergraben (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., 1987, § 125 VII, 24). 18 Im Mahnverfahren, das dem Gläubiger für voraussichtlich unstreitige Ansprüche ohne Sachverhandlung und -entscheidung zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Titel verhilft, unterwirft sich der Schuldner der Rechtsbehauptung des Gläubigers, wenn er dem Mahnbescheid keinen Widerspruch ( § 694 ZPO) und dem Vollstreckungsbescheid keinen Einspruch (§§ 700 I, 338 ZPO) entgegensetzt. 19 Dazu besonders deutlich: Baur, Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, 1Z 1957, S.193. 20 Anders im Mahnverfahren, bei Säumnis des Beklagten (§§ 331, 333 ZPO) und seinem Anerkenntnis des Klageanspruchs (§ 307 ZPO). 21 Der im Mahnverfahren tätige Rechtspfleger (§ 20, Nr. 1 RPflG) darf nur offensichtlich unbegründete Anträge zurückweisen, eine weitere Prüfung ist ihm versagt (Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., 1986, § 165 III 3 a). 22 § 308 I ZPO: Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist.

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Verhältnis außerhalb eines gesetzlichen Rahmens 23, "nach freiem Ermessen", zu ordnen, ist ihm dagegen versagt. So sehr der Prozeßordnung an einem Ausgleich ohne Urteil gelegen ist (§ 279 ZPO), so erfordert die vergleichsweise Regelung einen Vertrag; sie ist nur möglich, wenn sich die Parteien auf sie einlassen. Vergleichbar der Relativität des Schuldbandes, das Außenstehende nicht zu beeinflussen vermögen, das ihnen andererseits auch keine Pflichten auferlegt, gilt im Zivilprozeß das Prinzip der zwei Parteien: Das sog. Prozeßrechtsverhältnis hat wie das Schuldverhältnis nur zwei Pole. Es verbindet den (oder die) Kläger mit dem (oder den) Beklagten. Die Prozeßordnung verbietet dritten Personen, sich ohne zureichenden Grund in den Streit einzumischen (§ 66 ZPO), und gleichermaßen den Parteien, sie ohne eine solche Gestattung in die Auseinandersetzung hineinzuziehen (§ 72 ZPO): Parteien wie Dritte müssen dem Gericht ein mit der Klageforderung "zusammengehörendes" Verhältnis unterbreiten, um den Prozeß auf die rechtlich interessierte Nebenpartei zu erstrecken 24. Betrachtet man die Parteien 25, sind das Schuld- und das Prozeßrechtsverhältnis gleich aufgebaut: Sie sind aus dem Geflecht der Lebensverhältnisse herausgelöste Sonderverbindungen. Ihre auf den ersten Blick künstlich anmutende Isolierung dient der Berechenbarkeit und Übersehbarkeit der Pflichten, der Sicherheit des richterlichen Urteils und der Abwehr störender, weil nicht "zur Sache" gehörender Einflüsse. d) Beide Verhältnisse sind, so erlaube ich es mir zum Schluß mit einem politischen Reizwort auszudrücken, Stützen des ,,kapitalistischen Systems"26. Welche Wertbewegungen dieses Gebäude mit Hilfe unscheinbarer Rechtsfiguren ermöglicht, beleuchte ein Streiflicht aus der Welt des Kapitalverkehrs 27 : 23 Zum Beispiel bei der Herabsetzung einer überhöhten Vertragsstrafe auf den "angemessenen" Betrag (§ 343) oder der "Regelung" eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 940 ZPO). 24 Die Nebenintervention setzt Beziehungen zur unterstützten Partei voraus, die ein ungünstiger Ausgang des Prozesses rechtlich und nicht bloß wirtschaftlich oder persönlich beeinflussen könnte (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., 1989,2 C zu § 66), und die Streitverkündung Ansprüche der Partei gegen den Dritten oder des Dritten gegen die Partei für den Fall der Niederlage. Klagt der Gläubiger einen Kredit ein, bleibt der Arbeitgeber des Schuldners vom Prozeß ausgeschlossen, obwohl eine Lohnpfändung die Arbeitsmoral gefährdet und einen Wechsel des Arbeitsplatzes nahelegt. Andererseits haben Bürgen, Sicherungsgeber und Mitschuldner wie die Ehefrau ein Eintrittsrecht in den Prozeß. 25 Die Erkenntnis, daß sich das Prozeßrechtsverhältnis, von den Parteien ausgehend, auf den Staat als den Träger der Justizhoheit erstreckt (Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 2 II I), ist in dem Zusammenhang der Parteibeziehungen ohne Belang. 26 Ich verweise auf die Bemerkung Wieackers, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. (1987), S. 481: Die Einstellung auf die Interessen der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft beherrsche das Schuld- und Sachenrecht fast ausschließlich. 27 Brestel, ,JiAZ" vom 15. 10. 1988: "Der gezähmte Kollaps. Ein Jahr nach dem Börsenkrach."

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IV. Herrschaft und Auflösung des Trennungsdenkens "Der Kurswert aller internationalen Anleihen beträgt längst mehr als 1000 Milliarden Dollar. Die Umsätze am internationalen Devisenmarkt rund um die Uhr werden auf täglich 400 Milliarden Dollar geschätzt. Auf 600 Milliarden Dollar kann der globale Kurswert aller Aktien an den Weltbörsen geschätzt werden. Das gigantische Geld- und Kapitalgebäude wird durch gegenseitiges Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit aller Kontrahenten gestützt."

2. Der Begriff der "Relativität" des Schuldverhältnisses: Die Übersehbarkeit und Berechenbarkeit des Bandes a) Der Kern der Relativität: die persönliche Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner Mit welchem Recht läßt sich das Schuldverhältnis heute noch als "persönliche" Beziehung kennzeichnen, bestimmt durch die Leistungsfahigkeit und Verläßlichkeit der Partner? Ich sehe die Antwort in der richtigen Begrenzung des Begriffs "persönlich": Das Schuldband ist, obwohl auf einen ,,Partner" bezogen, versachlicht. Es nimmt die beiden Teile nur mit ihren vertragsbezogenen Eigenschaften, zum Beispiel des korrekten 28 "Verkäufers", "Vermieters", "Kreditgebers" und ,,-nehmers" in Pflicht und läßt andere Prägungen als "unerheblich" außer acht 29 • Unter diesem Vorbehalt zeigen sich in dem Entschluß, mit diesem und nicht mit einem anderen Interessenten zu kontrahieren, in der Beständigkeit einer Beziehung und der richtigen Art der Erfüllung, die ihrerseits wieder für eine Erneuerung des Bandes wirbt, die weiterhin gültigen Merkmale des "iuris vinculum". Gläubiger und Schuldner bleiben in aller Regel unter der Ordnung des Vertrags, bis die beiderseitigen Pflichten erfüllt oder wegen eines Hindernisses in der Abwicklung aufgehoben sind. Die zeitlich letzte Bindung in Gestalt sog. nachwirkender Pflichten kann die Beteiligten noch über mehrere Jahre nach Auflösung des Bandes in Anspruch nehmen 30.

28 § 276: Fahrlässig handelt, wer die "im Verkehr" erforderliche Sorgfalt vernachlässigt. "Verkehr" in diesem Sinne ist der durch den Vertrag festgelegte Lebenskreis: des Architekten, Arztes, Bauunternehmers usw. 29 Der Familienstand eines Vermieters etwa ist rechtlich im Prinzip ohne Belang. 30 Ein Arbeitgeber ist, um ein besonders sprechendes Beispiel anzuführen, auch nach Vertragsende gehalten, dem Arbeitnehmer in seinem Fortkommen durch Auskünfte behilflich zu sein (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., 1987, § 147,4). Unterlagen für die Lohnberechnung sind nach § 147 I Nr. 5 und III der Abgabenordnung sechs Jahre lang nach Anfertigung der Belege aufzubewahren.

2. Der Kern des Begriffs der ,,Relativität"

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b) Die Erweiterungen der Relativität aa) Die Verknüpfung von rechtlichen oder wenigstens sittlichen 31 Beziehungen erstreckt, wie ausgeführt, das Schuldverhältnis auf Dritte: Der "Sinn" der Leistung, der Verpflichtung oder einer Einrede weist auf einen Außenstehenden hin und macht ihn zum Gläubiger, Schuldner oder Einwendungsgegner. Der Sinn der Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin läßt etwa die Tochter zur Begünstigten eines Vertrags zugunsten Dritter werden 32 , den die Eltern für sie abschließen. Oder: Der Schutz des Eigentums bei abhandengekommenen Sachen gewährt nach seinem Sinn eine Einrede auch gegenüber dem Herausgabeanspruch des an sich privilegierten Vertragsschuldners 33 • Wegen dieser Wirkungen nach außen skizziere ich die in Frage kommenden Verhältnisse und bestimme, von ihnen ausgehend, abschließend den Begriff der "Relativität": bb) Der Miet-, Pacht- und Leihvertrag unterwirft diejenigen, denen Mieter, Pächter und Entleiher den Gebrauch einer Sache überlassen haben, dem Anspruch auf Rückgabe 34. In der Erstreckung kommt eine innere Logik von Herausgabeansprüchen zum Ausdruck: Der Schuldner soll sich gegen sie nicht mit der Beziehung zu einem Dritten verteidigen dürfen, die den Herausgabeberechtigten nicht bindet. Ein gesetzlich festgelegter Schuldbeitritt erstreckt sich wegen der Sicherung des Kredits und der seiner Haftungsgrundlage auf den Vermögensübernehmer und wegen ihres kaufmännischen Rufs auf die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft 35 ; wird die Form der juristischen Person zu riskanten Geschäften mit unzureichendem Kapital mißbraucht, hat der Gläubiger den Durchgriff gegen die hinter dem zweckentfremdeten Gebilde stehenden Personen 36 Fälle, in denen aus dem ,,sinn"der Sache die Verpflichtung des Dritten erwächst 37. Verträge können zugunsten Dritter geschlossen werden oder wenigstens "Schutzwirkungen" für Außenstehende entfalten, wenn sie drittbezogen, d.h. ihrem Sinne nach auf die Leistung oder Obhut "nach außen" gerichtet sind 38 • Der Schuldner darf sich gegen einen Anspruch mit einer Einrede aus fremdem Recht verteidigen, sofern das geltend gemachte Recht von der Beziehung zu einem Dritten abhängt, beide Verhältnisse mithin nach ihrem Sinn verknüpft sind 39 • 31 Die nur sittliche gebotene Finanzierung der Sprachferienreise nach England für einen zwölfjährigen Schüler. 32 Oben, S. 40. 33 Oben, S. 50. 34 Oben, S. 30-32. 35 S.32-33. 36 Oben S. 33. 37 Oben S. 3l. 38 Oben S. 43 -44; bei einem Vertrag mit bloßen Schutzwirkungen zugunsten Dritter bestimmt durch die Merkmale der "Leistungsnähe" und "Schutzbedürftigkeit" des Außenstehenden (S. 20,22 und 23). 39 S. 52, 58 fund 70.

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Schließlich entfaltet auch das sog. relative Recht seine Abwehr gegen einen Dritten, wenn es dieser gezielt, nach dem Sinn seines Angriffs, verletzt 40. Ich fasse diese Gestaltungen zusammen: Das Schuldverhältnis erstreckt sich mit Rechten, Pflichten und Verteidigungsmöglichkeiten auf einen Außenstehenden, wenn es drittbezogen, d.h. mit einem anderen rechtlichen oder sittlichen Verhältnis verknüpft ist, das den Dritten als Berechtigten oder Verpflichteten ergreift 41. cc) Der beschriebene "Sinn" des Schuldbandes, die Summe seiner Sachgesetzlichkeiten 42 , ist ein (sach-) logisches Merkmal. Es weist aus diesem Grunde auf bestimmte Dritte als Gläubiger, Schuldner oder Einwendungsberechtigte hin, wahrt also das Mindesterfordernis, daß Schuldverhältnisse übersehbare und berechenbare Verbindungen sind. Es ist beispielsweise sachlogisch, daß persönlich geprägte Leistungen wie die Erziehung, Ausbildung, ärztliche Betreuung und Beförderung minderjähriger und volljähriger Kinder den in einer Abrede "gemeinten" Jugendlichen und nicht seine zahlenden Eltern zum Gläubiger eines Vertrags zugunsten Dritter machen, sofern eine Bindung ihm gegenüber gewollt ist 43 . Es liegt in der Gesetzlichkeit von Herausgabeansprüchen, daß ein Vermieter die Rückgabe der überlassenen Sache auch von einem Untermieter muß fordern können, weil ihm dieser nach der Regelung solcher und ähnlicher Ansprüche (§ 986) keine Rechte aus der Beziehung zum Mieter entgegenhalten darf44 • Der Herausgabeanspruch des bestohlenen Eigentümers hat notwendigerweise den Vorrang vor dem Rückgabeanspruch eines Vertragsgläubigers 45, weil ein das ganze deutsche Recht durchziehender Grundsatz dahin geht, den Erwerb von Rechten an entwendeten Sachen zu unterbinden 46, sofern es sich nicht um Geld, Inhaber- oder Orderpapiere oder öffentlich versteigerte Sachen handelt 47 • Oben S. 67, 70 f. Oben S. 77. 42 Eisner, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 4. Aufl. (1930), beschreibt den Sinn u.a. als "geistigen Gehalt". Geht man von dieser Bedeutung aus, baut sich der geistige Gehalt aus den Sachgesetzlichkeiten auf, z. B.: Die Hochschule hat die Aufgaben der Forschung und der Lehre. Ihr "Gehalt" (ihr Zweck) besteht in der möglichst fruchtbaren Verbindung der beiden, oft schwer miteinander zu vereinbarenden Richtungen und Begabungen, beispielsweise: die Lehre sollte auf die "Wissenschaft" bezogen und die Forschung "zweckfrei" sein. H. Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl. (1977), § 30 11 2: "Mit dem Hinweis auf die Natur der Sache bringen wir das dem Seinsgegenstand innewohnende Wesenhafte und Sinnhafte zum Ausdruck." 43 Oben S. 40 und 43 f. 44 Oben S. 31. Wäre es anders, verschaffte eine Untermiete über zwanzig Jahre dem Untermieter ein quasidingliches Recht gegenüber dem Vermieter - ein unmögliches Ergebnis. 45 Oben S. 50. 46 §§ 935 I, 1007 11, 1032, 1207. 47 § 935 11 BGB, Artt. 1611 WG und 21 SchG. 40 41

2. Der Begriff der "Relativität" -

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Die Sachgesetzlichkeit fordert nach deutscher Auffassung, den Passagieren und Mannschaften eines Luxusschiffs während eines begrenzten Zeitraums 48 einen vertraglichen Schutz gegenüber der das Schiff herstellenden oder umbauenden Werft zu gewähren. Diese Sicherheit verlangen die Zeitnot, unter der solche Aufträge ausgeführt zu werden pflegen 49, die Geflihrdung infolge der Enge des Raumes auf einem Seeschiff und das in Aufträgen dieser Art geforderte und zugesagte "überdurchschnittliche Know how" der Werft 50. Sachgesetzlich bestimmte Berechtigungen können nicht nur vorgefunden, sondern auch geschaffen werden: Der erzieherische Einfluß der Rechtsprechung kann das Verkehrsleben dahin prägen, daß der Abholer einer über die Straße verkauften Pizza den Anspruch auf eine auslaufsichere Verpackung erwirbt - und nicht nur der Käufer 51 . Eine derartige Sachgesetzlichkeit kann sich freilich nur in dem Maße entwickeln, als sie die Übersehbarkeit des Schuldverhältnisses wahrt. Konstruiert man beispielsweise vertragliche Schutzwirkungen ohne einleuchtende ("sachlich" geforderte) Merkmale 52, droht die schon zitierte "Erosion der Grundstrukturen des Schuldrechts"53 - der Sinn wird zum Unsinn. Soll ein "auslaufsicherer" Pizzakarton auch den Begleiter der Abholerin davor schützen, daß der Saft auf seinen Mantel tropft? Sind solche Kartons wirklich dazu bestimmt, dem Wertpapier vergleichbar von Hand zu Hand zu gehen? c) Der Begriff der "Relativität" -

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aa) Spricht man von der Relativität eines Schuldverhältnisses, so ist damit eine juristisch-technische - keine (relativ) überzeitliche, ,,reine" 54 - Erkenntnis zum Ausdruck gebracht: Die Verpflichtung, eine "Leistung" zu erbringen, muß sich auf der Aktiv- und der Passivseite des Schuldbandes mit einer möglichst kleinen Zahl von Personen verbinden, damit sie übersehbar und kalkulierbar, mit einem Wort beherrschbar bleibt. Kraft ihrer Beschränkung soll sie dem Gläubiger, dem Schuldner und dem Prozeßrichter eine sichere Beurteilung der Rechtslage ermöglichen und aus diesem Grunde in den rechtlichen Formen des Anspruchs, Bestreitens und der Einrede sowie den Mitteln der bürgerlichen Justiz wie Klage, Klageleugnen, Beweis und Urteil bejaht oder verneint werden können. Oben S. 21, habe ich dafür die erste, spätestens die zweite Seereise vorgeschlagen. ,,Erst auf See zeigen sich die Fehler" ("KieJer Nachrichten" vom 4.5. 1987). 50 Oben S. 17. 51 Ich verweise auf das oben, S. 45, erörterte Urteil des Landgerichts Frankfurt. 52 Sachlich wie die Fürsorgepflicht des Gläubigers gegenüber dem Dritten oder der "bestimmungsmäßige Zweck der Leistung" (Palandt / Heinrichs, 48. Aufl., 3 d bb zu § 328). 53 Honsell, oben S. 45, Fußnote 114. Unbeweisend das oben angeführte Urteil des LG Frankfurt: " ... Da der Kläger nach dem Willen von Frau Dr. S. zusammen mit ihrer Tochter die bestellten Pizzen abholen sollte, kam er damit obligationsmäßigerweise mit der Leistung des Beklagten in Berührung, so daß die Schutz- und Sorgfaltspflichten aus dem Vertrag auch zu seinen Gunsten bestehen ... " 54 Wie "Wahrheit", "Gerechtigkeit", ,,Raum und Zeit", "Tod". 48

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IV. Herrschaft und Auflösung des Trennungsdenkens

bb) Die Relativität ist andererseits kein starres Schema, sondern wie jede Schöpfung der Rechtsvernunft dem Wandel der Verhältnisse und Anschauungen unterworfen. Die Gesetzgebung und schneller noch die Rechtsprechung können - auf das Datum ihrer Entscheidung bezogen - die "Eingleisigkeit" des Schuldbandes von einem Tag auf den anderen korrigieren, sei es, daß sie von ihr, wie meist, ein Stück abrücken, sei es, daß sie an ihr als einer Notwendigkeit juristischen Denkens festhalten. So geht auf das Jahr 1972 der Übergang der Arbeitsverträge auf den Erwerb eines Betriebs zurück, eine gesetzliche Regelung (§ 613 a), die sich zwar "an die einschlägige Rechtsprechung anlehnt, deren Grundsätze jedoch gleichmäßig auf alle Arbeitnehmer erstreckt"55; so legt ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1984 fest, daß die Haftungs- und Verjährungserleichterungen der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen auch zu Lasten des Eigentümers eingelagerter Ware gelten 56, und so isoliert andererseits ein amtsgerichtliches Urteil aus den siebziger Jahren den vertraglichen vom deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch in einem Fall, in dem ein Fluggast nur Entleiher, nicht aber Eigentümer eines auf dem Flughafen beschädigten Gepäckstücks war 57. Wegen ihrer verschiedenen und zeitgebundenen Aufgaben ist die Relativität ein dialektisches, die Gegensätze in sich vereinigendes Gebilde, ein "Begriff' mit weitgefaßten Merkmalen, eher eine Leitlinie denn eine feste Form des Denkens und der Entscheidung. Die Vorstellung, daß der Richter Urteiler und "Sozialingenieur"58 sei, kann zum Beispiel in Prozessen über Teilzahlungskredite dahin führen, daß neben der Forderung des Gläubigers die "Sozialbezüge" des Falles, wie die Lebens- und Vennögensverhältnisse des Darlehensnehmers, insbesondere die ,,Leidensgeschichte seiner Verschuldung" 59, zu den relevanten Umständen gehören 60 • Mag die Relativität in ihrem Kern die immer noch vorhandene "persönlichsachliche" Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner zum Ausdruck bringen und damit als "vernünftigen" Inhalt des Schuldverhältnisses voraussetzen 61 , sie 55 So die Begründung des § 613 a BGB in den Materialien des Betriebsverfassungsgesetzes vom 15. 1. 1972 (Drucksache VI/ 1786 des Deutschen Bundestages, S. 59). 56 VersR 1984, S. 932/34, angeführt schon oben, S. 57, Fußnote 200. 57 AG Köln, NJW 1976, S. 2076, zitiert schon oben, S. 58, Fußnote 202. 58 Ich verweise auf sinngemäße Äußerungen von Baur, JZ 1957, S. 193: Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, und Juristische Blätter 1970, S. 445: Zeit- und Geistesströmungen im Prozeß. 59 LG Lübeck, WM 1987, S. 955/58. 60 Medicus, "Geld muß man haben", schlägt in diesem Zusammenhang die Entlastung des Kreditnehmers durch die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage vor (AcP Bd. 188, S. 504-06): Lassen sich die Zins- und Tilgungsraten aus dem erfragten und mitgeteilten Einkommen errechen, hat der Darlehensgeber den Schuldner insbesondere mit der Werbung für einen ,,maßgeschneiderten Kredit" eingefangen, bilden die enttäuschten Erwartungen die aufgehobene Geschäftsgrundlage. Der Kreditvertrag ist an die Leistungsfähigkeit des Schuldners anzupassen.

3. Welche Kräfte weiten das Schuldband?

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hat sich - beginnend mit der Auffassung, daß die Forderung ein übertragbares Recht sei 62 - in jedem Jahrhundert ein Stück weiter von ihrem ursprünglichen Inhalt entfernt 63. Berücksichtigt man die Geschichtlichkeit des "Begriffs", so kann sie nur, wie durch diese ganze Betrachtung hindurch 64 , mit den elastischen Merkmalen der Berechenbarkeit und Übersehbarkeit des Schuldbandes beschrieben werden.

3. Die "industrielle Revolution", die "sozialen Bindungen" und die "gesteigerte Sensibilität zwischenmenschlicher Beziehungen": Welche Kräfte weiten das Schuldband? a) Von der Wertlosigkeit der "sozialen Motive" und anderer Schlagworte Die Auffassung, daß reale oder geistige Kräfte wie die "industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts mit ihrer Arbeitsteilung"6S oder die "Anerkennung sozialer Bindungen" 66 das Zwei-Personen-Verhältnis des Schuldbandes gesprengt hätten, halte ich für zu wenig eindringend: Schon die gängige Formel, der durch § 571 angeordnete Vertragsübergang auf den Erwerber eines vermieteten (und zum Gebrauch überlassenen) Grundstücks "schütze den Mieter", vereinfacht zu stark, was die "Wirklichkeit" des Mietrechts ausmacht: Die Vorschrift "schützt" ebenso den Nachfolger des Vermieters davor, sich den Grundstock für die Erhaltung einer Immobilie durch die Übernahme einzelner Verträge verschaffen zu müssen, ein Vorgehen, das wegen der Vielzahl der dafür nötigen Rechtsgeschäfte eine Quelle von Unsicherheiten und Fehlern sein kann 67 . 61 Überpointiert die Äußerung von Gernhuber im Vorwort zu H. Lange, Schadensersatz (1979): "Von den Grundlehren, die zu Beginn des Jahrhunderts die Schuldrechtsdogmatik beherrschten, hat schließlich keine standzuhalten vennocht: die Beschränkung des Schuldverhältnisses auf Gläubiger und Schuldner - das alles ist Vergangenheit." 62 Das deutsche Recht hat die Zession ohne Zustimmung des Schuldners schon im 15. Jahrhundert gelten lassen (0. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., 3. Band, 1898, § 226, 1). Die endgültige Anerkennung durch das gemeine Recht läßt sich dagegen erst auf die Mitte des 19. Jahrhunderts festlegen. Windscheid, Die Aktio des römischen Civilrechts vom Standpunkt des heutigen Rechts (1856), S. 160: ,,Es ist also auch mit diesem Versuche, die Unübertragbarkeit der Obligation aus ihrer juristischen Natur zu begründen, Nichts." 63 Eine Schrift von H. Dömer (1985) nennt den heutigen Zustand "Dynamische Relativität". 64 Oben S. 11, 19,24,29,45 f, 79. 65 Wieacker, Juristen-Jahrbuch, Band 9 (1968/69), S. 2 und 23. 66 Medicus, JuS 1974, S. 622: " ... Aber wenigstens bei den neueren Schöpfungen dürften doch soziale Motive überwiegen. Die §§ 571, 580, 581 H, 613 a schützen Mieter, Pächter und Arbeitnehmer ... Auch die Regelung beim Abzahlungsgeschäft und der Haftungsausschluß zugunsten Dritter dienen regelmäßig dem Schwächeren ... " 67 Oben, S. 61 f.

6 Henke

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Auch die "industrielle Revolution" ist in diesem Zusammenhang wenig mehr als ein Schlagwort. Die Massenproduktion mit ihrem erhöhten Kapitalbedarf hat zwar, wie ausgeführt, das Schuldband versachlicht 68 : Wer, wie ein niederbayerischer Fabrikant von Sitzmöbeln, seine Produktion in den letzten Jahren auf tausend Stühle in acht Stunden zu steigern wußte und gegenwärtig den Markt von Restaurant-Möbeln mit jährlich 500 000 Tischen, Bänken, Stühlen, Raumteilern, Garderoben, Blumenkästen und Anrichten beliefert 69 , wird ohne Forderungsabtretungen zur Finanzierung von Aufträgen nicht auskommen - eine Annahme, die doch aber nur einen Ausschnitt aus der "dynamischen Relativität" des heutigen Schuldverhältnisses erhellt.

b) Das empfindlicher gewordene Rechtsgefühl als Grund für die Erweiterungen des Schuldbandes aa) In einer heute noch zitierten Entscheidung aus dem Jahre 1930, dem sog. "Gasuhr-Fall", befand das Reichsgericht, daß der Werkunternehmer für eine fehlerhafte Arbeit auch den Hausangestellten des Bestellers nach Vertragsgrundsätzen einzustehen habe 70. Das Reichsgericht argumentierte nicht mit der "sozialen Stellung" der Zugehfrau, die in der entschiedenen Sache durch eine Gasexplosion erhebliche Verletzungen erlitten hatte, sondern mit dem "erkennbaren Zweck des Vertrages" und dem "gesunden Rechtsgefühl", welche die Gleichstellung der im Haushalt Beschäftigten mit dem Auftraggeber geböten 71: Wer die Reparatur einer Gasuhr durch einen Handwerker veranlasse, lege Wert darauf, daß die Personen, die als Hausgehilfen den Gefahren einer unsachgemäßen Arbeit ausgesetzt seien, die gleichen rechtlichen Garantien wie der Besteller erhielten. Diese Bedingung sei damals zwar nicht ausdrücklich gestellt und akzeptiert worden. Hätten die Kontrahenten aber die Möglichkeit einer Gasexplosion bedacht, so hätte "Frau M.", wie es in dem Urteil wörtlich heißt 72 , "die Übernahme einer solchen unmittelbaren Haftung zur Vertrags bedingung gemacht und die Beklagte, um die Bestellung zu erhalten, wäre auch auf eine solche Bedingung um so mehr eingegangen, als sie ohnedies das Werk mangelfrei abzuliefern hatte." bb) Die Entscheidung befand nur vordergründig über die Rechte einer verletzten Zugehfrau, sie wäre - wie ihre Hinweise auf den Schutz der Angehörigen eines Mieters und von Kindern innerhalb eines Zahnarzt-, Schul- und Beförderungsvertrags zeigen 73 - nicht anders ausgefallen, wäre ein Familienmitglied Oben, S. 76. ,YAZ" vom 7.3. 1988: "Tausend Stühle in acht Stunden - Kason International GmbH, Ortenburg, Landkreis Passau, ist vom kleinen Schreinerbetrieb zum Marktführer bei gastronomischen Sitzmöbeln gewachsen." 70 RG 127, 218 ff. 71 A.a.O., S. 220. 72 A.a.O. S. 225. 73 A.a.O. S. 223 - 224. 68

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3. Welche Kräfte weiten das Schuldband?

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durch das ausströmende und sich entzündende Gas zu Schaden gekommen. Die Richter des Reichsgerichts beriefen sich auf einen "durchaus gesunden, den Lebensverhältnissen gerecht werdenden und dem Rechtsgefühl entsprechenden Standpunkt"74. Was sie mit diesen mehr gefühlten als reflektierten Wendungen zum Ausdruck bringen wollten, war der im Vertrags abschluß verborgene, mit dem Unglücksfall ans Licht tretende Gedanke, der Werkunternehmer habe die Haftung für eine unsorgfältige Arbeit auf sich zu ziehen und seinem Auftraggeber die Auseinandersetzung mit Arbeitnehmern und Angehörigen zu ersparen 75; eine derartige Befreiung habe die eine Seite zur Vertragsbedingung gemacht und die andere akzeptiert. In dieser (hier) ergänzenden Vertragsauslegung 76 brach sich das entwickeltere Rechtsgefühl Bahn, das den Sinn solcher Schuldverhältnisse um einen Grad treffender als bis dahin ergründen und ausdrücken konnte. cc) Das im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts geschärfte Empfinden der Juristen für die den Dingen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten - eine Betrachtung über das bürgerliche Recht im Wandel der Gesellschaftsordnungen nennt es die stärker entwickelte "Sensibilität der zwischenmenschlichen Beziehungen"77, die Gesetzgebungsmaterialien zum Vertrag zugunsten Dritter erwähnen die "Anerkennung der im Rechtsleben herrschenden Intention"78 - haben das formale Denken, das noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Abtretung einer Forderung verwarf 79 , nach und nach auf den Sinn der Lebens- und Rechtsverhältnisse gelenkt: Der heutige Zivilist vermag durch die äußeren Erscheinungen besser hindurchzusehen. Er hält zwar daran fest, daß das Schuld- wie das Prozeßrechtsverhältnis eine im Kern und mit guten Gründen isolierte Beziehung ist, ohne doch die Erstreckung von Rechten, Pflichten und Einwendungen, dort, wo sie sinnvoll und übersehbar ist, zu leugnen. Es ist nicht die mit dem unreflektierten Ausdruck "sozial" belegte Verteidigung des Schwachen gegen den Stärkeren 80, welche die entsprechenden Schöpfungen, etwa die Angemessenheit der "exceptio ex iure tertii", hervorgebracht hat, sondern die Drittbezogenheit des Schuldver74 A.a.O. S. 224. 75 In diesem Sinne auch die heutige Rechtfertigung des Vertrags mit Schutzwirkungen

zugunsten Dritter durch Larenz, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. (1987), § 17 11 (S. 227): ,,Erkennbares Interesse des Gläubigers an dem Schutz des Dritten im Sinne der Ausgewogenheit der beiderseitigen Interessen." 76 In der heutigen Sicht eher eine richterliche Rechtsfortbildung, die sich nicht von einem angenommenen "Willen" der Vertrags schließenden abhängig macht (Larenz, a. a. 0.; Gottwald im Münchener Kommentar, 2. Aufl., 1985,62 zu § 328). 77 Wieacker, Hundert Jahre des deutschen Rechtslebens (1960), Bd. 11, S. 7. 78 Mugdan, Die gesamten Materialien, Bd. 2, S. 149 (Motive). 79 C. F. Mühlenbruck, Die Lehre von der Cession der Forderungsrechte (1836), S. 21: "Es läßt sich also der Grund, warum, genau genommen, die Veräußerung eines Forderungsrechts an Andere nicht geschehen kann, aus der Natur des Objekts selbst ableiten: Denn hier muß ein Aufgeben nothwendig ein Verschwinden des ganzen Rechtsobjekts zu Folge haben ... " 80 So aber die zu pauschale Deutung durch Medicus, JuS 1974, S. 613/22: " ... Aber wenigstens bei den neueren Schöpfungen dürften noch soziale Motive überwiegen ... " 6*

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IV. Herrschaft und Auflösung des Trennungsdenkens

hältnisses, die einmal für den Vermieter gegen den Untermieter, für den Gläubiger gegen den Vermögensübernehmer, den Gesellschafter eines Handelsunternehmens und den Hintermann einer juristischen Person, also für den "Stärkeren", dann aber wieder für das Kind als Drittbegünstigten einer Sprachferiemeise, den bestohlenen Eigentümer, den Mieter und Arbeitnehmer, mithin den "Schwächeren", und schließlich in einer eher neutralen Spielart für den Kunden gegen den Werkunternehmer Stellung nimmt.

4. Die Abkehr von der Relativität a) Die Geldschuld, eine allen persönlichen Beigaben entkleidete Obligation 81, ist ihrer Idee und dem geltenden Recht nach der stärkste Ausdruck ursprünglicher, strenger Relativität des Schuldverhältnisses. Geld hat man zu haben, so lautet ein von Generation zu Generation weitergegebenes Bonmot der Juristen 82. Die Beziehungen des Schuldners zu Außenstehenden können die Geldschuld daher nicht beeinflussen: Auch der arbeitslos gewordene, der von einer Scheidung betroffene oder über seine Leistungsfähigkeit zu wenig aufgeklärte Schuldner 83 - ich spreche nicht von ausgesprochenen "Verfehlungen" des Gläubigers wie der arglistigen Täuschung (§ 123) oder dem Wucher (§ 13811) - hat zu bezahlen, was er versprach. b) aa) Soziologisches und wirtschaftswissenschaftliches Denken, sofern es gesellschaftliche Zusammenhänge zu ergründen sucht 84 , rechtspolitisches Planen und auf sozialen Ausgleich zwischen wirtschaftlich Starken und Schwachen bedachtes richterliches Handeln werden andere Wege als der im isolierenden Denken geschulte Justizjurist einschlagen. Eine rechtssoziologische Studie über die Praxis des Konsumentenkredits macht zum Beispiel die volkswirtschaftlichen Nachteile der heutigen "Konsumkultur" bewußt 85 : Die wachsende Verschuldung der privaten Haushalte 86 zehre an den Ersparnissen, die den Unternehmungen

Oben S. 73. Treffend der Titel der Abhandlung von Medicus: "Geld muß man haben" (AcP Bd. 188, S. 489). 83 "Damit könnten Sie eigentlich bauen, Herr Fischerkeller. Was der gutgläubige Familienvater, aber auch der angeblich gewitzte Herr von der Wohnungsbaukreditanstalt übersehen hatten: Die 138 532 DM für das Fertighaus schlossen nicht die Kosten für Heizung, Elektroinstallation, Sanitäreinrichtungen, Maler- und Tapeziererarbeiten, Teppichböden und Fußleisten, Aiesen- und Keramikarbeiten, Erdaushub und Außentreppe ein ..." (aus einem Sonntagsblatt vom 6. 11. 1988). 84 Also nicht das bloße Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung in sog. Zweierbeziehungen, das K. F. Röhl, Rechtssoziologie (1987), S. 137-39, skizziert. 85 Holzscheck, Hörrnann und Daviter, Praxis des Konsumentenkredits (1982), S. 460: "Was an Erspamissen fehlt, kann seitens der Unternehmer nicht zur Fremdfinanzierung von Investitionen aufgenommen werden." 81

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4. Die Abkehr von der Relativität

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über die Kreditinstitute für Investitionen zugeführt werden könnten. Die als Ausweg gewählte Finanzierung über die Preise entwerte die Einkommen, fördere die Inflation und fange die Verbraucher in einem Teufelskreis von Verschuldung und Geldentwertung. bb) Eine zweite schädliche Seite leichtfertig gegebener Kredite ist der "Moderne Schuldturm", von dem im Zusammenhang mit der Härte der Geldschuld bereits die Rede war 87 : Wer in diesem Turm einsitze, so klagt eine rechtspolitische Abhandlung die Folgen der verantwortungslosen Kreditvergabe an, habe nur geringe Chancen, jemals oder nach erträglicher Zeitspanne wieder frei zu kommen, er müsse vielmehr auf Jahre hinaus an der Pfändungsgrenze leben. Die Gefangenen in diesem Turm seien mehrere hunderttausend überschuldete Kreditnehmer, darunter viele Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz durch Schicksalsschläge verloren hätten 88 • Die Abhandlung sieht einen Ausweg in richterlicher und sozialpädagogischer Vertragshilfe. Sei ein Schuldner zum Beispiel durch Arbeitslosigkeit in Bedrängnis geraten, müßten der Prozeßrichter und eine ihm an die Seite gesetzte Schlichtungsstelle die Macht erhalten, Zahlungserleichterungen zu gewähren und die Rückzahlungsfrist zu verlängern 89 • cc) Die hier vorgezeichnete Abkehr von der Strenge des juristischen Denkens kündigte sich bereits im Jahre 1929 an, einer Zeit mit noch unterentwickeltem Verbrauch auf Kredit: Ein Unternehmen zur Finanzierung von Kraftfahrzeugen handelte nach Auffassung des Reichsgerichts sittenwidrig, weil es sich die Tilgung eines Darlehens in Raten habe zusichern lassen, die der Schuldner, Käufer einer Taxe, "bestenfalls für einige wenige Monate pünktlich werde erfüllen können"90. Die Entscheidung hob die Mitverantwortung der Kreditgeberin hervor: Ihr habe nicht verborgen bleiben können, daß sich ihr Geschäftspartner, ein sog. ,,kleiner Mann", erst durch den Erwerb des Fahrzeugs eine Existenz aufzubauen hoffte und daß seine finanzielle Bewegungsfreiheit schon durch die Anzahlung beseitigt war 91 • 86 Juni 1980 Spareinlagen inländischer Privatpersonen 439419 Mio ausstehende Kredite 196 517 Mio, Juni 1988 Spareinlagen inländischer Privatpersonen 683 663 Mio, ausstehende Kredite 635 113 Mio. Quelle: Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Oktober 1980, Übersicht III, 19 a und 20 a, Oktober 1988, Übersicht 111, 20 a, und 21. 87 Oben S. 74. 88 de With und Nack, Zeitschrift für Rechtspolitik 1984, S. I. 89 A.a.O., S. 3. In dieselbe Richtung geht der Vorschlag von Medicus, a. a. 0., S. 504 ff., z. B. der Aufschub der Rückzahlungspflicht bis zu einer Besserung der Lage des Schuldners. 90 RG 128, 251/54. Das Geschäft war nach rund sechs Monaten, als sich die Gläubigerin in den Besitz der Taxe setzte, endgültig zunichte gemacht. Zurück blieb in der Sicht der Kreditgeberin eine Verbindlichkeit von rund 4 600 Reichsmark, für die Verhältnisse in den letzten Jahren der Weimarer Republik ein wahrer Schuldenberg.

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IV. Herrschaft und Auflösung des Trennungsdenkens

Richtet man sich nach den veröffentlichten Entscheidungen 92, so brach sich der ethisch anspruchsvolle, die Relativität der Geldschuld allerdings in Frage stellende Gedanke, ein Verkäufer oder Darlehensgeber müsse den Abschluß mit einem ersichtlich ungewandten, in seinem Vorhaben zum Scheitern verurteilten Kontrahenten verweigern, erst in den achtziger Jahren Bahn 93 : Von diesem Zeitpunkt ab entnahm die Rechtsprechung den Vorschriften der §§ 138 und 310 die Ermächtigung, Gegebenheiten außerhalb der Geschäftsbeziehung mit dem - an sich wertneutralen - Kreditverhältnis zu verbinden. dd) Ich zitiere als eine besonders klare, ja exemplarische Stellungnahme das bereits angeführte Urteil des Landgerichts Lübeck 94 : Es stellt die dogmatisch bisher für sich betrachtete Geldschuld eines Kreditnehmers in den Zusammenhang mit seinen anderen, die Lebensgrundlage bildenden Rechtsverhältnissen der Arbeit, des Familienstandes und der Wohnungsmiete, um in Anwendung der

entsprechenden "exceptiones ex iure tertii"95 zuJolgern 96 :

"Die Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Darlehensvertrags ergibt sich aus § 138 BGB. Sie ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung der den Beklagten obliegenden Verpflichtungen im Verhältnis zu ihrer der Klägerin bekannten Leistungsfähigkeit ... Die Beklagten verdienten zum Zeitpunkt der Kreditgewährung gemeinsam 2 507 DM netto. Hiervon hatten sie sich selbst und zwei kleine Kinder im Alter von ein und zwei Jahren zu unterhalten. Sie verfügten über kein Vermögen... Angesichts dieser Umstände waren die monatlichen Raten von 526 DM, die sich bei Verzugseintritt noch um die Verzugsgebühren erhöhten, zu hoch bemessen. Die monatlichen Raten lagen deutlich über dem pfändbaren Betrag gemäß § 850 c ZPO... Die Kaltmiete für eine 2V2-Zimmerwohnung im ersten Obergeschoß eines Zweifamilienhauses in Höhe von 650 DM ist nicht unangemessen. Sie entspricht durchschnittlichem Niveau und läßt den Vorwurf der Klägerin, die Beklagten würden einen 91 Ein zweites und drittes Urteil des Reichsgerichts befaßte sich wiederum mit dem Kauf eines Taxis (HRR 1934, Nr. 1906) und eines Lastzugs (RG 147,344). Auch hier waren die Pläne des Schuldners - dem Gläubiger erkennbar - irreal. 92 Eine Übersicht geben der Beschluß des OLG Stuttgart, WM 1987, S. 1422, und die Anmerkung von v. Rottenburg zu LG Lübeck, WM 1987, S. 955, in der Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht ("WuB"), Band 2, I E 2 b - 10.87. 93 Die zitierte Entscheidungssammlung nennt in bejahender Hinsicht: LG Lübeck, a. a. O. sowie WM 1988, S. 966; OLG Stuttgart, WM 1987, S. 1422 sowie WM 1988, S. 450. Dazu treten die hier nicht verzeichneten Urteile OLG Düsseldorf, WM 1984, S; 157; OLG Frankfurt, WM 1985, S. 116. Der Spruch BGH NJW 1966, S. 1451, setzt den Akzent in erster Linie auf den Leichtsinn und die Unerfahrenheit eines Studenten, der ohne nennenswerte Mittel eine Trockenreinigungsanlage zum Barpreis von 41 000 DM gekauft hatte. - Ablehnende Urteile sind unten, S. 88, Fußnote 109, vermerkt. 94 WM 1987, S. 955. 95 Das heißt Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Darlehensvertrags aus dem Arbeits-, Eltem- und Mietverhältnis der Schuldner. 96 A.a.O., S. 956-58.

4. Die Abkehr von der Relativität

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aufwendigen Lebenswandel führen, befremdlich und nicht verständlich erschei-

nen ... "

c) Ich setze die Ursachen dieser von der Relativität der Schuldverhältnisse abrückenden "Gesamtschau" als im großen und ganzen bekannt voraus 97 : Der Schuldner, ein Kontrahent in beengten Verhältnissen, ist bestrebt, sich mittels des Kredits eine Existenz aufzubauen 98 oder einen höheren Lebensstandard zu erreichen 99. Der Gläubiger andererseits nutzt die wirtschaftliche Schwäche 100, bisweilen die "Konsumorientierung" 101 des Interessenten zu seinem Vorteil aus, ohne sich von dem Risiko solcher Geschäfte, ihrer Unvernunft oder gar von einer Mitverantwortung für den voraussehbaren Ruin seines Partners beeindrukken zu lassen. Wie ungeniert man die Schwäche des Menschen für sich arbeiten läßt, zeigt sich besonders in einer dritten Spielart: Auf Verlangen des Gläubigers tritt eine Ehefrau, Verlobte oder Partnerin dem Vertrag als Gesamtschuldnerin oder Bürgin bei, obwohl sie zum Zeitpunkt des Abschlusses praktisch ohne Vermögen und Einkommen ist 102. Läßt man die Ethik und Vernunft des wirtschaftlichen Handeins sprechen, ist m.E. ein Fehlverhalten beider Seiten festzustellen. d) Könnte sich die ,,Aufweichung" der Geldschuld auf dem Gebiet der Konsumentenkredite durchsetzen? Welche Folgen für das zivilistische Denken und den Zivilprozeß wären damit verbunden? aa) Eine Notiz in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23. 11. 1988 besagt: "Mit der Begründung der Sittenwidrigkeit wies die 18. Zivilkammer des Bonner Landgerichts nach Angaben eines Justizsprechers vom Dienstag eine Teilklage der Dresdner Bank gegen eine Arzthelferin auf Rückzahlung von 10 000 Mark zurück. Die Arzthelferin hatte im Jahre 1985 für ihren inzwischen bankrott gegangenen Ehemann und dessen Firma "selbstschuldnerisch" gebürgt. Als das Amtsgericht den Konkurs des Unternehmens mangels Masse nicht eröffnete, ging das Geldinstitut gerichtlich gegen die Ehefrau vor und verlangte von ihr, 10 000 von insgesamt 80 000 Mark Schulden ihres Mannes zurückzuzahlen. 97 Aus dem Schrifttum zitiere ich das Gutachten von W. Hadding zum 53. Deutschen Juristentag 1980, Welche Maßnahmen empfehlen sich zum Schutz des Verbrauchers auf dem Gebiet des Konsumentenkredits? Bd. I, S. 137 -41. 98 RG 128,251; RG HRR 1934, Nr. 1906; RG 147,344. 99 Ausdrücklich erwähnt in OLG Düsseldorf, WM 1984, S. 157; LG Lübeck, WM 1987, S. 955, und WM 1988, S. 966. 100 "Kleiner Mann" (RG 128,254); ,,Philippinin, welche die deutsche Sprache nicht beherrscht" (OLG Frankfurt, WM 1985, S. 117). 101 OLG Düsseldorf, a. a. 0.; Erwerb einer Eigentumswohnung durch einen 19-jährigen Ehemann, dessen Frau ein Kind erwartete. Die Schulden ließen der Familie einen Lebensunterhalt von 400 DM im Monat! 102 OLG Frankfurt, a. a. 0.; OLG Stuttgart, WM 1987, S. 1422, und WM 1988, S. 450; LG Lübeck, WM 1988, S. 966 (Friseurlehrling mit 350 DM Vergütung im Monat).

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IV. Herrschaft und Auflösung des Trennungsdenkens Nach Auffassung des Gerichts war der nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Geldinstituts ausgehandelte Bürgschaftsvertrag aus mehreren Gründen "sittenwidrig". So hatte die Bank, obwohl von den Vermögensverhältnissen der Arzthelferin unterrichtet, bei Abschluß der Verhandlungen das Haftungsrisiko nach oben nicht begrenzt."

Die Notiz läßt ahnen, daß der Gedanke einer Mitverantwortung des Gläubigers für den unerfahrenen Schuldner, für das Schicksal eines Kreditvertrags und den "Modemen Schuldtunn" eines Tages die Rechtsprechung und Wissenschaft beherrschen könnte. bb) Ich gebe zu, daß der aufgestellte Satz - mit welchen Argumenten er auch immer verteidigt wird 103 - dogmatisch 104 und rechtspolitisch bedenklich ist 105: Können die Grenzen der Vertragsfreiheit eigentlich nach dem Zwangsvollstreckungsrecht bestimmt werden, das den Schuldner zwar gegen den Zugriff des Staates, nicht aber gegen eigene Fehlentscheidungen in Schutz nimmt? 106 Welchen Sinn hat ferner das Konkursrecht, wenn sich die Wirksamkeit von Verpflichtungen schon nach dem Leistungsvennögen des Schuldners beurteilt? 107 Und ganz allgemein: Kann sich die Rechtsordnung überhaupt auf die Frage einlassen, aus welchen Gründen dem Geldschuldner die Mittel fehlen, um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen? 108 Trotzdem wage ich die Prognose, daß diese Einwendungen und die noch entgegenstehenden Urteile 109 von dem Druck des "Modemen Schuldtunns" und dem empfindlicher gewordenen Rechtsgefühl hinweggespült werden. Die Mitverantwortung des Gläubigers für den ihm erkennbar undurchführbaren 103 Ein 1988 gefälltes Urteil des OLG Stuttgart leitet die Nichtigkeit eines Ratenkreditvertrags nicht, wie vor ihm das LG Lübeck, aus dessen Sittenwidrigkeit und diese, in dem eigentlich umwälzenden Schritt, aus den Freibeträgen bei Lohnpfändungen ab (WM 1987, S. 957). Das Stuttgarter Gericht argumentiert vielmehr mit der Nichtigkeit von Verträgen über künftiges Vermögen, zu dem es den pfändbaren Teil des künftigen Arbeitsverdienstes rechnet (§ 310 in entspr. Anwendung). Die Zusicherung, ihn an den Gläubiger abzuführen, sei unwirksam, wenn die Tilgungsraten (im entschiedenen Fall monatlich 587 DM), den Betrag, den der Schuldner über das Existenzminimum hinaus verdiene (hier 375 DM im Monat) überstiegen, so daß die Erfüllung der Schuld "an die Existenz gehe" und den Schuldner im "Modernen Schuldturm" enden lasse (WM 1988, S. 450/53). 104 Eckert in der Anmerkung zu einem zweiten Urteil des LG Lübeck: "Diese Rechtsprechung findet im System des Zivilrechts keine Grundlage" (Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht, "WuB", Band 2, I E 2 b 21.88). 105 Eckert in der Anmerkung zu einem zweiten Urteil des LG Lübeck, "WuB", Band 2, I E 2 b - 21.88). 106 Eckert, WM 1987, S. 945/48; v. Rottenburg in der Anmerkung zu LG Lübeck, "WuB", Band 2, I E 2 b - 10.87. 107 Emmerich in der Anmerkung zu OLG Stuttgart, "WuB", a. a. 0., Nr. 13.88. 108 Emmerich, a. a. O. 109 OLG Hamburg, WM 1986, S. 159; LG München, WM 1988, S. 81 und 938; OLG Bamberg, WM 1988, S. 1225; OLG Hamm, WM 1988, S. 1226.

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Vertrag 110 mit einem ungewandten, verführbaren Schuldner hat das Reichsgericht schon vor sechzig Jahren als rechtsverbindlich anerkannt 111. Die Verschuldung weiter Teile der Bevölkerung ist seitdem nicht besser, sie ist immer schlimmer geworden 112. Die dem richterlichen Eingriff entgegenstehende "Eigenverantwortlichkeit des mündigen Bürgers" 113 ist ein Postulat, das im Hinblick auf den kreditierten Konsum nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, ja nicht einmal für die Übernahme einer Bürgschaft unbedingte Gültigkeit haben sollte l14 • Übrig bleiben wird auf diesem Gebiet freilich eine moralisierende 115, nicht mehr berechenbare und übersehbare Rechtsprechung. Der Grundsatz der Relativität dt;r Schuldverhältnisse hat dann seine heilsame Wirkung eingebüßt. Die Überlastung der Gerichte wird zunehmen, nicht zuletzt deswegen, weil nun auch in ausgesprochen vermögensrechtlichen Streitigkeiten das menschliche Schicksal als Bündel von Verpflichtungen und Verstrickungen zum Angelpunkt juristischer Entscheidungen wird.

110 de With und Nack ziehen eine richterliche Vertragshilfe sogar für die unvorhergesehene Zahlungsschwierigkeit des Schuldners in Betracht. 111 RG 128, 25l. Dort auch mit dem bedeutungsvollen Hinweis:" ... Welchen Inhalt die in Amerika und England gebräuchlichen und als rechtswirksam angesehenen Verträge im einzelnen haben, ist dem Reichsgericht nicht bekannt. Darauf kommt es auch nicht an ... " 112 Siehe die Übersicht, oben S. 85. 113 OLG Hamburg, a. a. O. 114 Dies spricht, neben dem oben S. 87 zitierten Urteil des Landgerichts Bonn, entschieden gegen den vom Bundesgerichtshof ohne Einschränkung vertretenen Standpunkt, "die Freiheit der Vertragsgestaltung als Teil der Privatautonomie umfaßt für jeden voll Geschäftsfähigen auch die Rechtsmacht, sich zu Leistungen zu verpflichten, die er nur unter besonders günstigen Bedingungen erbringen kann" (WM 1989, S. 245/46). Der Bundesgerichtshof verschließt hier m.E. die Augen vor der Verantwortung eines Kreditinstituts für wirtschaftlich und persönlich "bürgschaftsunfähige" junge Leute. Der erfahrene und integre Geschäftsmann läßt sich nicht von einem 20 und 21 Jahre alten, berufs- und vermögenslosen Abiturienten bzw. Studenten die Zusage geben, für einen Kredit von 350 000 DM persönlich einzustehen. Vermittelnd wiederum BGH NJW 1989, S. 1665: "Die finanzielle Überforderung des Darlehensnehmers kann jedoch im Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 138 I BGB zusammen mit anderen Geschäftsumständen (z. B. der Ungewandtheit des Schuldners) von Bedeutung sein." 115 OLG Stuttgart, WM 1988, S. 450/54: " ... Das Streben nach Glück als unveräußerliches Menschenrecht ... Das Verbot des § 310 BGB hat auch eine individuelle Bedeutung, im Sinne der Erhaltung des unveräußerlichen Menschenrechtes auf Hoffnung, auf das Streben nach dem Glück ..."

V. Begriffliche Arbeit 1. Die sog. Relativität ist eine dem Schuldverhältnis als einem Band zwischen mehreren Personen notwendig innewohnende Eigenschaft. Sie bringt dessen Ausrichtung auf einen übersehbaren Kreis und seine im Grundsatz persönliche, nicht nur gegenständliche Prägung zum Ausdruck. Kraft der Relativität ist das Schuldverhältnis eine sich von anderen zwischenmenschlichen Beziehungen abhebende Sonderverbindung, die den Gläubiger und den Schuldner oder eine bestimmte Zahl von Gläubigern und Schuldnern einschließt, andere Personen von den im Schuldverhältnis festgelegten Rechten und Pflichten dagegen ausschließt. Kraft der Relativität des Bandes sind die aus fremden Rechtsverhältnissen hergeleiteten Einwendungen und Einreden, deren sich der Schuldner zur Abwehr von Ansprüchen des Gläubigers bedient, unbeachtlich I. 2. Der Satz, daß Verträge nur unter den Parteien wirken, die sie geschlossen haben, steht nach heutiger Auffassung dem Eintritt anderer Personen in das Schuldband nicht entgegen. Gleichwohl macht die römische Auffassung eines persönlichen Verhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner immer noch den Kern der Relativität aus und hat deshalb die Aussagekraft einer Leitlinie 2 • 3. Der Vertrag hat persönliche Züge, weil sich die Guristisch-technisch aufgefaßte ) "Leistung" des Schuldners nicht von seiner Leistungsbereitschaft und -fähigkeit trennen läßt 3• Gerade der Abschluß eines Geschäfts wird von der Persönlichkeit des Kontrahenten und seiner Bevollmächtigten beeinflußt. Darüber hinaus kann auch dessen Ausführung ganz mit der Person des Schuldners verknüpft sein 4 • 4. Die Beschäftigung von Erfüllungsgehilfen hebt die persönliche Prägung einer Leistung nicht auf, weil sie den Schuldner mit der Verantwortung für Fehler seines Personals belastet 5• Die Relativität des Schuldverhältnisses bedeutet in einem solchen Fall: Die Verpflichtung verbindet sich mit einem nicht durch Dritte ersetzbaren lOben, S. 11. S. 14-15. 3 S. 15. 4 S. 16-17. 5 S. 17 -18. 2

V. Begriffliche Arbeit

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Schuldner, sie ist im Sinne eines bestimmten Vertragstyps "persönlich geprägt" 6. 5. Der mögliche Wechsel, sei es auf der Seite des Gläubigers, sei es des Verpflichteten, kann das Schuldband zwar inhaltlich verändern, aber er erweitert es nicht. 6. Eine Ausdehnung bewirkt jedoch die Figur des sog. "Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter", welche die Übersehbarkeit des Schuldverhältnisses auszuhöhlen, mindestens aber auf die Probe zu stellen vermag. Sie gibt dem Dritten zwar nicht das Recht auf die Leistung des Schuldners, wohl aber auf die sorgfältige Ausführung dessen, was ihm der Vertrag an Leistungen auferlegte, und dementsprechend keine Erfüllungs-, sondern nur Schadensersatzansprüche, wenn er durch eine Schlechtleistung Einbußen erlitt ("Schutzwirkungen"). Um diese Begünstigung nicht über Gebühr auszudehnen und damit das finanzielle Risiko des Schuldners übersehbar zu halten, muß der Dritte seine ,,Leistungsnähe" und ,,schutzbedürftigkeit" in Anspruch nehmen können 7. 7. Das Gebilde des "subjektiven Rechts ohne Subjekt", in anderer Formulierung des "subjektlosen Rechts" oder des "Rechts ohne Rechtsträger" , ist zwar konstruierbar, im Rahmen vertraglicher Beziehungen aber ohne praktischen Nutzen. Die Aufgabe, die das "subjektlose Recht" erfüllen soll, kann durch die Bindung des Versprechenden kraft des Vertrags zugunsten eines noch unbestimmten Dritten, der noch nicht Gläubiger ist, überzeugender gelöst werdenS. 8. Das Ineinandergreifen der menschlichen Beziehungen beeinflußt zwar die Blickrichtung der Sozialwissenschaft und lenkt auch das Interesse des Gesellschafts- und des Arbeitsrechts, es ist jedoch kein Ausgangspunkt der typisch schuldrechtlichen, das heißt auf das einzelne Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner ausgerichteten Verbindung. Hier gilt im Prinzip das Trennungsdenken, das die verflochtenen Lebenszusammenhänge entflicht, um sie übersehbar, damit auch besser durchsetzbar, zu machen und die Inanspruchnahme von Außenstehenden, mit der die Betreffenden nicht zu rechnen brauchen, zu unterbinden 9• 9. Der juristische "Formalismus" des Trennungsdenkens muß einer übergreifenden Handhabung weichen, wenn sich sein guter Sinn bei einem Festhalten an der Regel in das Gegenteil verkehren würde. Ein solcher Durchbruch 6 7

S

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S. 18. S. 19-20, 23. S.27. Z.B. S. 28-29.

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V. Begriffliche Arbeit

durch das Schema kennzeichnet den Anspruch des Vermieters, Verpächters oder Verleihers auf die Rückgabe der überlassenen Sache: Hier ist die Erstreckung des Schuldverhältnisses auf alle diejenigen vorgesehen, denen der Mieter, Pächter oder Entleiher den Gebrauch überlassen haben. Ohne diese Erweiterung müßte der Gläubiger in zwei Schritten zu erreichen suchen, was ihm das Gesetz (§§ 556 I1I, 581 11, 604 IV) in einem einzigen Anlauf ermöglicht 10. Die sich auf die Rückgabepflicht beziehende Verknüpfung der Schuldverhältnisse bewirkt, was außerhalb der Miete, Pacht oder Leihe der Vorteil des Trennungsdenkens ist: die bessere Übersehbarkeit und Durchsetzbarkeit eines Anspruchs aus der Sicht des Gläubigers 11. Sie entspricht einer inneren Logik dieser und ähnlicher Rückgabeansprüche: Ein Besitzer kann dem Eigentümer und entsprechend dem Vermieter keine Einwendungen aus der Beziehung zu einem Dritten entgegenhalten, wenn sie den Herausgabeberechtigten nicht bindet 12. 10. Technisch erklärt sich die vom Vermieter (usw.) auf den Untermieter (usw.) übergreifende Beziehung aus einem gesetzlich angeordneten Beitritt des Untermieters zur Rückgabeschuld des Mieters 13 • 11. Auf einen gesetzlichen Schuldbeitritt gründet sich auch die Haftung des Vermögensübernehmers für die Verbindlichkeit des Veräußerers, der Gesellschafter einer Handelsgesellschaft für die Verpflichtungen des Unternehmens und der Mitglieder sowie der Anteilseigner einer juristischen Person kraft eines sog. "Durchgriffs" der Gläubiger wegen des Mißbrauchs der Rechtsform "juristische Person" 14. 12. Es ist zwar nicht unzulässig, aber es wird auch nicht vermutet, daß man mittels eines "Vertrags zugunsten Dritter" interessierten Außenstehenden Rechte gegen den Schuldner verschafft 15. 13. Wer sie dennoch für sich in Anspruch nimmt, stellt die Relativität des Schuldverhältnisses im Sinne der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit der Verpflichtung auf die Probe 16. a) Daher muß zuallererst feststehen, daß der sog. Versprechende den Gegenwert für seine Leistung vom Versprechensempfänger erhalten und sich nicht mit dem Begünstigten als Schuldner begnügen soll 17 • 10

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14 15

16

S.30. S.31. S.31. S.32. S.32-33. S.38. S.39.

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b) Wegen der Übersehbarkeit und Berechenbarkeit der Beziehungen muß die zugesagte Leistung weiterhin,für den Versprechenden und den Versprechensempfänger erkennbar, die geldlichen, beruflichen, gesundheitlichen, kulturellen oder allgemein menschlichen Bedürfnisse des Begünstigten in der Weise befriedigen, daß er selbst als Gläubiger aufzutreten und das Schuldverhältnis zum Versprechenden aktiv zu gestalten vermag, mithin aus der Stellung eines Bevollmächtigten des Versprechensempfangers oder eines bloßen Leistungsempfangers im Sinne des § 36211 deutlich heraustritt 18. c) Der Versprechensempfanger macht den Außenstehenden zum begünstigten Gläubiger, um mit einer als "Geschäftsführer" des anderen getätigten Zuwendung eine sittliche oder rechtliche Pflicht zu erfüllen 19. d) Der Versprechende muß in diesem Fall die Berechtigung des Außenstehenden gekannt und als für sich verbindlich akzeptiert haben 20 • e) Dem Versprechenden darf mithin eine Verbindlichkeit gegenüber Dritten auferlegt werden, wenn die übernommene Verpflichtung kraft ausdrücklicher Abrede oder wegen ihres Gegenstandes (Ausbildung, ärztliche Behandlung, Beförderung) oder wegen des Entgelts, das der versprechende Schuldner vom Versprechensempfanger für seine Leistung erhält, erkennbar drittbezogen ist 21 • 14. Die einemfremden Rechtsverhältnis entnommene Einrede oder Einwendung darf nicht ohne weiteres zur Abwehr eigener Verpflichtungen gebraucht werden, weil sie die Beurteilung der Rechtslage zu verwirren und eine gerichtliche Auseinandersetzung zu verschleppen vermag: "Exceptio ex iure tertü non datur". Eine Ausnahme ist angebracht, wenn sich im Einzelfall ein Zusammenhang des eigenen und des fremden Verhältnisses nachweisen läßt 22. 15. Verteidigt sich der auf Herausgabe einer Sache in Anspruch genommene Schuldner mit dem konkurrierenden Herausgabeanspruch eines anderen Gläubigers, einer Spielart der "Einwendung aus einem fremden Rechtsverhältnis" , ist der Rang der zusammentreffenden Rechte interessengemäß zu bestimmen 23: a) Tritt der Eigentümer einer Sache an den Schuldner heran, darf sich dieser nach seiner Wahl durch Rückgabe an den Eigentümer oder einen obliga17

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S.39. S.39. S.42. S.43. S.43-44. S.46. S.49.

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torischen Gläubiger entlasten; die "exceptio ex iure tertii" ist gegen den einen oder den anderen Gläubiger möglich 24 • b) Fordert andererseits der obligatorische Gläubiger die Rückgabe, hat der Schuldner dem Verlangen vorbehaltlos zu entsprechen; die "exceptio ex iure tertii" ist gegen ihn ausgeschlossen 25. c) Kennt der Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers wegen getätigter Verwendungen auf die Sache, hat der Anspruch des Gläubigers den Vorrang; die "exceptio ex iure tertii" ist gegen den Eigentümer gestattet 26. d) War die umstrittene Sache dem Eigentümer abhandengekommen, insbesondere gestohlen, oder ist dem Schuldner die Unzuverlässigkeit des obligatorischen Gläubigers bekannt, hat er dem Herausgabeverlangen des Eigentümers zu entsprechen; die aus dem Schuldverhältnis abgeleitete "exceptio ex iure tertii" ist dem Eigentümer gegenüber unbeachtlich 27 • 16. Die Einrede aus einem fremden Rechtsverhältnis ist gestattet, wenn sie substantiiert vorgetragen - in der Verteidigung gegen einen schuldrechtlichen oder dinglichen Anspruch eine Schlüsselrolle einnimmt: Wenn die Aberkennung des geltend gemachten Rechts aus der Beziehung zu dem "Dritten" hergeleitet wird, wenn also in letzter Konsequenz das dem Gericht unterbreitete Verhältnis von dem Bestand des "Drittverhältnisses" abhängt und die Partei infolgedessen befugt ist, zwei Rechtsverhältnisse zur Verteidigung des eigenen Standpunkts miteinander zu verknüpfen 28 •

17. Schweigt das Gesetz, kann der Jurist diese Verknüpfung, den sog. ,,Einwendungsdurchgrijf', aus dem ungeschriebenen Recht, etwa aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, ableiten; er kann weiter auf die aus der Überlassung einer Sache abgeleitete Befugnis zurückgreifen, Verträge mit einer "Haftungsbeschränkung zu Lasten des Eigentümers" zu schließen. In beiden Fällen ist es keine positive Norm wie die des § 404 (Einwendungsdurchgriff bei Zession), sondern der von dem Gläubiger gesetzte Anschein, der den Verkehrs schutz und mit diesem verbunden die über das Schuldverhältnis hinausgreifende Abwehr von Ansprüchen durch den Verpflichteten rechtfertigt; mit der Folge, daß die "exceptio ex iure tertii" hier wieder in ihr Recht tritt 29. 18. Bei einer vernünftig-sachlichen Abwehr von Ansprüchen, also nicht bei einem Gebrauch aus Verbohrtheit, Trotz und zur Prozeßverschleppung, ist die Zulässigkeit der "exceptio ex iure tertii" die Regel, nicht die Ausnahme 30. 24

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S.49. S.49-50. S.50. S.50-51. S.52. S.54-55.

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19. Der Vertragsübergang im Miet-, (§ 571), Pacht- (§ 58111) und Arbeitsrecht (§ 613 a) stellt sich als eine erweiterte "exceptio ex iure tertii" dar, weil der Erwerber eines vermieteten oder verpachteten Grundstücks (§§ 571, 58111) und eines Betriebs (§ 613 a) in die gesamte Stellung des Veräußerers eintritt und der Mieter, Pächter und Arbeitnehmer nicht bloß eine Einrede gegen den Herausgabeanspruch des Erwerbers sowie gegen sein Verlangen gewinnt, den Arbeitsplatz zu räumen 31. Der Vertragsübergang rechtfertigt sich aus dem Schutz des schwächeren Teils, dem sog. Bestandsschutz, aber auch aus einer wirtschaftlichen Verknüpfung der Lebensverhältnisse: Der Miet-, Pacht- und Arbeitsvertrag geht zusammen mit dem Grundeigentum bzw. dem Betrieb auf den Nachfolger über 32. 20. Das Schuldband erstreckt sich auf einen Außenstehenden, sofern es mit einem anderen, auf den Dritten bezogenen Rechts- oder Lebensverhältnis im Zusammenhang steht. Diese Verknüpfung ist auch bei dem Eingriff in ein fremdes Schuldband zu erkennen. Zielt jemand auf ein solches Verhältnis, um den Gläubiger zu "treffen", schaffen der Sinn und die Auswirkungen seines Angriffs den für die Erstreckung der Pflichten nötigen Zusammenhang. Der Gläubiger hat das Recht, den Handelnden schadensersatzpflichtig zu machen und ihm künftige Eingriffe zu verbieten (§§ 826, 1004, letzterer in entsprechender Anwendung)33. 21. Das zivilistische Denken zeichnet sich durch die sog. "Scheidekunst" aus, der auch die Erkenntnis zu verdanken ist, daß Schuldverhältnisse relative, das heißt im Grundsatz isolierte Beziehungen zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner sind 34. 22. Die isolierende Beurteilung der Zivilistik zeigt sich in besonderer Schärfe an der Unabhängigkeit der Geldschuld von den persönlichen Verhältnissen des Verpflichteten und den Ursachen sowie den Folgen seiner möglichen Illiquidität 35. 23. Die "Enge" der zivilistischen Betrachtungsweise prägt auch den Rahmen und den Ablauf des Zivilprozesses. Vergleichbar der Relativität des Schuldbandes gilt hier das Prinzip der zwei Parteien: Das sog. Prozeßrechtsverhältnis hat wie das Schuldverhältnis nur zwei Pole. 30 31 32 33 34

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S. 58 f. S. 60 ff. S. 61, 63. S. 70 - 71. S.72. S.73.

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Das Schuld- wie das Prozeßrechtsverhältnis sind aus dem Geflecht der Lebensverhältnisse herausgelöste Sonderverbindungen 36. 24. Das - "relative" - Schuldverhältnis ist in seinem Kern auch heute noch eine persönliche Beziehurig. Es nimmt die beiden Teile jedoch nur mit ihren vertragswesentlichen Eigenschaften in Pflicht und ist insoweit versachlicht 37 • 25. Das Schuldverhältnis erstreckt sich mit Rechten, Pflichten und Verteidigungsmöglichkeiten auf einen Außenstehenden, wenn es drittbezogen, das heißt mit einem anderen rechtlichen oder sittlichen Verhältnis verknüpft ist, welches den Dritten als Berechtigten oder Verpflichteten ergreift. Dieser Sinn des Schuldbandes als Summe seiner Sachgesetzlichkeiten ist ein sachlogisches Merkmal. Es weist aus diesem Grunde auf bestimmte Dritte als Gläubiger, Schuldner und Einwendungsberechtigte hin, wahrt also das Mindesterfordernis, daß Schuldverhältnisse übersehbare und berechenbare Verbindungen sind 38 • 26. Die Relativität ist kein starres Schema, sondern als Schöpfung der Rechtsvernunft dem Wandel der Verhältnisse und Anschauungen unterworfen 39. Die Erweiterungen des Schuldbandes erklären sich aus dem im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts geschärften Empfinden der Juristen für die den zwischenmenschlichen Beziehungen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten 4O • 27. Der ethisch anspruchsvolle, die Relativität der Geldschuld in Frage stellende Gedanke der Mitverantwortung des Gläubigers für den Vertrag mit einem geschäftsungewandten Partner besagt: Ein Verkäufer oder Darlehensgeber hat den Abschluß mit einem ersichtlich ungewandten, geschäftlich zum Scheitern verurteilten Kontrahenten zu verweigern, andernfalls er "sittenwidrig" handelt 41 • Der Gedanke der Mitverantwortung des Gläubigers könnte sich unter dem Druck des sog. "Modernen Schuldturms" und eines empfindlicher gewordenen Rechtsgefühls durchsetzen. Der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse hätte dann seine heilsame Wirkung, eine berechenbare, übersehbare und im Rechtsstreit zügige Beurteilung von Rechten und Pflichten zu sichern, eingebüßt 42 •

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S.75. S.76. S.78. S.80. S.83. S. 85 - 86, 88. S.89.

Wichtigstes Schrifttum Baur, Fritz: Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, Juristenzeitung 1957, S. 193. Dörner, Heinrich: Dynamische Relativität, Der Übergang vertraglicher Rechte und Pflichten, München 1985. Gareis, Karl: Die Verträge zugunsten Dritter, Würzburg 1873. Hahn, Carl: Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und zu dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877, Berlin 1880. Hellwig, Konrad: Die Verträge auf Leistung an Dritte, Leipzig 1899. Krasser, Rudolf: Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, Köln und Berlin 1971. Larenz, Karl: Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., München 1987. Löwisch, Manfred: Der Deliktsschutz vertraglicher Rechte, Berlin 1970. Medicus, Dieter: Drittbeziehungen im Schuldverhältnis, Juristische Schulung 1974, S.613. -

Probleme um das Schuldverhältnis, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 108, Berlin 1987.

-

"Geld muß man haben", Unvermögen und Schuldnerverzug bei Geldmangel, Archiv für die civilistische Praxis, Band 188 (1988), S.489.

Müller-Laube, Hans-Martin: Herausgabepflicht und Rückgewährschuld - Die Stellung des Besitzers zum Eigentümer und Obligationsgläubiger, Archiv für die civilistische Praxis, Band 183 (1983), S. 215. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., Band 2, München 1985, §§ 241-432 Mugdan, Benno: Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, Recht der Schuldverhältnisse, Berlin 1899, Nachdruck Aalen 1979. Palandt, Otto: Bürgerliches Gesetzbuch, 48. Aufl., zu § 241 und § 328 bearbeitet von Heinrichs, München 1989. Rappaport, AchilI: Die Einrede aus dem fremden Rechtsverhältnis, Berlin 1904. v. Reinersdorff, Wolfgang: Zur Dogmatik des Einwendungsdurchgriffs, Berlin 1984. Rosenberg, Leo/ Schwab, Karl-Heinz: Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., München 1986. Schulz, Fritz: Prinzipien des römischen Rechts, München und Leipzig 1934. 7 Henke

Wichtigstes Schrifttum

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Stammler, Rudolf: Die Einrede aus dem Rechte eines Dritten, Festgabe der Juristischen Fakultät Halle-Wittenberg ftir Demburg, Halle 1900.

Stein, Friedrich / Jonas, Martin: Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., Band 1, zu § 76 bearbeitet von Leipold, Ttibingen 1984.

de With, Hans / Nack, Armin: Der modeme Schuldturm, Zeitschrift für Rechtspolitik 1984, S. 1.