Die Räume der Kreativszenen: Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin [1. Aufl.] 9783839406793

Die strukturelle Transformation im Berlin der Nachwendezeit beförderte neben wirtschaftlichen auch kulturelle Innovation

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Die Räume der Kreativszenen: Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin [1. Aufl.]
 9783839406793

Table of contents :
Inhalt
Einführung: Die Räume der Kreativszenen
Thema, Begriffe, Fragen und Forschungsdesign
Konstitutionen des Städtischen
Urbane Berliner Nachwende- und Populärkulturen
Culturepreneur – Kreativwirtschaft – Place-Making
Culturepreneur – Emergenz eines neuen Sozialraumtypus?
Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung
Neue Stadtkulturen durch neue kulturelle Produzenten
Place-Making – Spacing – Mikropolitiken des Ortes
Berlin: Struktur- und Entwicklungsindikatoren
Forschungsdesign, Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Arbeit und Entrepreneurship in der Kreativwirtschaft – Diagnosen, Perspektiven und Forschungsansätze
Modernisierungsanforderungen und Individualisierungsaufforderung
Individuum und Arbeit in modernisierungstheoretischen Diagnosen
Posttraditionale Gemeinschaften
De-, Ent- und Reterritorialisierung des Sozialen
Kultur in der New Economy
Gesellschaftliches Leitmotiv Kreativität?
Kreativität und das Neue
Kreativität, Innovationsprozesse und Management im Unternehmen
Verwissenschaftlichung der Dimension „Kreativität“
Kreativität als gesellschaftliches Leitmotiv
Individuum und Arbeit in hegemoniekritischen Zeit-Diagnosen
Großbritanniens Politikfokussierung auf „Talente“
Kreativwirtschaft und Entrepreneurship
Zum Begriff Kreativwirtschaft: Kulturindustrie – Kulturökonomie – Cultural Industries – Creative Industries
Typologien des Unternehmers
Entrepreneurship und Kontexte
Entrepreneurship und (Sozial-)Raum
Soziale Netzwerke
Milieus
Szenen
Exkurs: Von den Creative Industries zur Creative Class?
Städte als „breeding places“ für Mikrounternehmen in der Kreativwirtschaft? Eine erste Zwischenbilanz
Handlungen – Praktiken – Raum: Theorieentwicklungen
Vorbemerkungen zur Konvergenzthese
Vom Begriff „Handlung“ zum Konzept „soziale Praktiken“?
Konvergenzen zwischen „Struktur“ und „Subjektivität“?
Körper- und Leibdimension bei sozialen Praktiken
Soziale Praktiken und Raum: Erklärungsansätze in den Sozial- und Raumwissenschaften
Geographical/Spatial Turn in den Sozialwissenschaften
Cultural Turn in der Geographie und der Raumforschung
Theoriekonzepte von Handlungen und sozialen Praktiken in den Raumwissenschaften – eine zweite Zwischenbilanz
Methodik: Strukturparameter, Fallanalysen und Typenbildung
Methodologische Vorbemerkungen
Methoden zur Datenerhebung
Vorgehensweise, Datengenerierung und Interpretationspraxis
Struktur- und Kontextbestimmung: Situation von Designbüros
Kontextsituation der Akteure
Felderhebung und Datengenerierung
Interpretationspraxis
Interpretationsprozess
Unternehmer: Fälle – Muster – Strukturtypiken
Fall 1: Entdecker, Narrateure und Designer des neuen „Berlins“
Vorinformation
Neu-Berliner
Berufseinstieg
Unternehmensgründung im Bezirk Friedrichshain
Fazit
Fall 2: Plattformer
Vorinformation
„Universali Dilettanti“
Unternehmensgründung
Unternehmenswege
Flexible Räume
Fazit
Fall 3: Microglobalizer
Vorinformation
Clubs als Start-up-Kontext
Professionalisierungen
Strukturkrise
Automatismus
Fazit
Fall 4: Transformatoren und Reflektoren
Vorinformation: Professionalisierung durch Projekte
Selbstverständnis, Struktur- und Organisationsformen
Standortwahl – flexibler Buchladen
Milieu-, Szene- und Stadtteilzugehörigkeiten
Fazit
Strukturmerkmale und Variationen der Fälle
Professionalisierungswege der Akteure
Unternehmensorganisation und -struktur
Sozial-unternehmerische Praktiken und räumliche Positionierung
Flexibler und situativer Urbanismus
Fazit der Fallanalysen
Strukturlage der Fälle „Etablierte Berliner“
Strukturlage der Fälle „Neu-Berliner“
Unternehmer- und Raumtypologien: Szenen des posturbanen Berlins
Culturepreneurs? Strukturtypiken, Variationen und Figuren
Space- und Place-Relationen: Spacingprozesse der Culturepreneurs
Szene als ökonomisches (Arbeits-)Modell
Vergleich, Einordnung und Diskussion der ermittelten Strukturtypiken
Zusammenfassung
Literatur
Danksagung

Citation preview

Bastian Lange Die Räume der Kreativszenen

Materialitäten | Hg. von Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser | Band 4

Bastian Lange (Dr. phil.) forscht am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Creative and Knowledge Industries, Milieu- und Szeneforschung, Entrepreneurship, Raumtheorien und Governance.

Bastian Lange

Die Räume der Kreativszenen Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin

D.30

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Bastian Lange Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-679-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Einführung: Die Räume der Kreativszenen

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Thema, Begriffe, Fragen und Forschungsdesign Konstitutionen des Städtischen Urbane Berliner Nachwende- und Populärkulturen Culturepreneur – Kreativwirtschaft – Place-Making Culturepreneur – Emergenz eines neuen Sozialraumtypus? Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung Neue Stadtkulturen durch neue kulturelle Produzenten Place-Making – Spacing – Mikropolitiken des Ortes Berlin: Struktur- und Entwicklungsindikatoren Forschungsdesign, Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

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Arbeit und Entrepreneurship in der Kreativwirtschaft – Diagnosen, Perspektiven und Forschungsansätze Modernisierungsanforderungen und Individualisierungsaufforderung Individuum und Arbeit in modernisierungstheoretischen Diagnosen Posttraditionale Gemeinschaften De-, Ent- und Reterritorialisierung des Sozialen Kultur in der New Economy Gesellschaftliches Leitmotiv Kreativität? Kreativität und das Neue Kreativität, Innovationsprozesse und Management im Unternehmen Verwissenschaftlichung der Dimension „Kreativität“ Kreativität als gesellschaftliches Leitmotiv Individuum und Arbeit in hegemoniekritischen Zeit-Diagnosen Großbritanniens Politikfokussierung auf „Talente“ Kreativwirtschaft und Entrepreneurship Zum Begriff Kreativwirtschaft: Kulturindustrie – Kulturökonomie – Cultural Industries – Creative Industries Typologien des Unternehmers Entrepreneurship und Kontexte Entrepreneurship und (Sozial-)Raum Soziale Netzwerke Milieus Szenen Exkurs: Von den Creative Industries zur Creative Class?

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Städte als „breeding places“ für Mikrounternehmen in der Kreativwirtschaft? Eine erste Zwischenbilanz

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Handlungen – Praktiken – Raum: Theorieentwicklungen Vorbemerkungen zur Konvergenzthese Vom Begriff „Handlung“ zum Konzept „soziale Praktiken“? Konvergenzen zwischen „Struktur“ und „Subjektivität“? Körper- und Leibdimension bei sozialen Praktiken Soziale Praktiken und Raum: Erklärungsansätze in den Sozial- und Raumwissenschaften Geographical/Spatial Turn in den Sozialwissenschaften Cultural Turn in der Geographie und der Raumforschung Theoriekonzepte von Handlungen und sozialen Praktiken in den Raumwissenschaften – eine zweite Zwischenbilanz

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Methodik: Strukturparameter, Fallanalysen und Typenbildung Methodologische Vorbemerkungen Methoden zur Datenerhebung Vorgehensweise, Datengenerierung und Interpretationspraxis Struktur- und Kontextbestimmung: Situation von Designbüros Kontextsituation der Akteure Felderhebung und Datengenerierung Interpretationspraxis Interpretationsprozess

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Unternehmer: Fälle – Muster – Strukturtypiken Fall 1: Entdecker, Narrateure und Designer des neuen „Berlins“ Vorinformation Neu-Berliner Berufseinstieg Unternehmensgründung im Bezirk Friedrichshain Fazit Fall 2: Plattformer Vorinformation „Universali Dilettanti“ Unternehmensgründung Unternehmenswege Flexible Räume Fazit Fall 3: Microglobalizer Vorinformation Clubs als Start-up-Kontext Professionalisierungen Strukturkrise Automatismus Fazit Fall 4: Transformatoren und Reflektoren Vorinformation: Professionalisierung durch Projekte

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Selbstverständnis, Struktur- und Organisationsformen Standortwahl – flexibler Buchladen Milieu-, Szene- und Stadtteilzugehörigkeiten Fazit Strukturmerkmale und Variationen der Fälle Professionalisierungswege der Akteure Unternehmensorganisation und -struktur Sozial-unternehmerische Praktiken und räumliche Positionierung Flexibler und situativer Urbanismus Fazit der Fallanalysen Strukturlage der Fälle „Etablierte Berliner“ Strukturlage der Fälle „Neu-Berliner“

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Unternehmer- und Raumtypologien: Szenen des posturbanen Berlins Culturepreneurs? Strukturtypiken, Variationen und Figuren Space- und Place-Relationen: Spacingprozesse der Culturepreneurs Szene als ökonomisches (Arbeits-)Modell Vergleich, Einordnung und Diskussion der ermittelten Strukturtypiken

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Zusammenfassung

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Literatur

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Danksagung

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Grafiken und Ta be llen Grafik 1: Gründungsjahre der Designbüros Grafik 2: Umsatzgrößen der Designbüros im Jahr 2003 Grafik 3: Betriebsgrößen von Designbüros im Jahr 2003 Grafik 4: Kundenstruktur der Designbüros im Jahr 2003 Grafik 5: Räumliche Verteilung der Designbüros nach Bezirken Grafik 6: Methodik – Analyse – Interpretationsprozess Grafik 7: Fall 1 „Substrat“ Grafik 8: Fall 2 „Greige“ Grafik 9: Fall 3 „Automatenbar“ Grafik 10: Fall 4 „pro-qm“

40 40 41 42 43 173 189 205 227 240

Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4:

194 208 231 251

Fall 1: Zusammenfassung und Thesen Fall 2: Zusammenfassung und Thesen Fall 3: Zusammenfassung und Thesen Fall 4: Zusammenfassung und Thesen

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Einführung: Die Räume der Kreati vszenen

Europäische Metropolen sind Schauplätze von kulturellen und sozialen Innovationsprozessen. Unter den Bedingungen der Nachmoderne geben sie sich als neue Knoten in einem global aufgespannten Beziehungsnetz zu erkennen, in dem Wissen, Güter und Menschen zirkulieren. Die Beobachtung dieser neuen Geographien führte zum einen zu der Behauptung, dass sich gerade in global verbundenen Städten Kulturen, Ökonomien und Lebensstile angleichen würden. Zum anderen zeigen Sozio- und Ethnografien des Urbanen, dass sich Städte vor dem Hintergrund einer kulturellen Globalisierung individuell ausdifferenzieren und eigene Profile, Stile und Charaktere entwickeln. Dieser Prozess der Profilbildung ist komplex und vielschichtig. Dabei ringen lokale Eigenheiten, gegebene Bilder und historische Vorprägungen mit neuen kulturellen Repräsentationen, urbanen Stilen und Bildern. Städtische Profile sind nicht per se gegeben, sondern sie müssen wahrgenommen, erfahren, hergestellt und ausgehandelt werden. Dabei artikulieren sich habituelle Eigenschaften, die wiederum Narrative des Städtischen begründen. Sie müssen keine strukturelle Deckungsgleichheit mit dem geographischen Raum aufweisen. Bei der Vermittlung des Urbanen haben sich in letzter Zeit vermehrt professionelle Symbolanalysten hervorgetan, die diese Konstrukte für andere Akteure reproduzieren oder für ihre eigenen Zwecke modifizieren. Sie arbeiten, wie im Verlauf dieser Arbeit am Fall der Berliner Kreativwirtschaft gezeigt wird, an neuen Formen der Repräsentation des Städtischen. Berlin als Stätte der politischen Teilung war seit den 1960er Jahren Symbol für eine getrennte Nation. Ihrer früheren ökonomischen Potenzialität beraubt, wurde sie durch beide Systeme aber kulturell und finanziell mit wichtigen, auch administrativen und repräsentativen Funktionen ausgestattet. Selbständig konnte sie in dieser Phase nicht sein, wenngleich sich in dem politisch-historischen Schatten ideologisch stabile kulturelle Milieus in ost- wie westdeutschen Nischen der Stadt einrichteten. Der politische Neuanfang im Jahr 1990 verband sich für die Stadt auch mit der Möglichkeit, neue Wirtschafts- und Produktionsfelder zu erschließen. 11

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die Industriestadt der 1920er und 1930er Jahre stellte die Vorlage bereit, mit der die Stadt ihre Wachstumshoffnungen in Form von neuen Zukunftstechnologien zu realisieren versuchte. Als „Stadt des Wissens“ hat Berlin mit seinem direkten Umland zweifelsohne schon seit geraumer Zeit eine hohe Dichte an Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen und damit eine zukunftsfähige Basis. Beschäftigungsrelevante Effekte aus den hochsubventionierten Forschungsschwerpunkten aber haben sich auch 15 Jahre nach der Wiedervereinigung der Stadt noch nicht nachhaltig eingestellt. Dagegen gibt sich ein neues Feld zu erkennen: Aus den vormals ideologisch stabilen Subkulturen in Ost- wie West-Berlin haben sich im Zuge der Ausbreitung Neuer Medien vielfältige Arbeits- und Beschäftigungsfelder im Bereich der sog. „Creative Industries“ eingestellt. In diesem Dienstleistungssegment arbeiten wissensbasierte Trägergruppen an mehrheitlich immateriellen Aufgabenbereichen. Sie repräsentieren dabei neue Arbeits- und Lebensstile, haben einen veränderten Bedarf an Raum und praktizieren neue Interaktionskulturen. Vorbereitet wurden diese stadtspezifischen Stile und ihre Arbeitskulturen durch die Erfahrungen der Nachwendezeit. Die Stadt Berlin entpuppte sich aufgrund ihres kulturell offenen, ökonomisch und politisch unbestellten Kontextes als ein definierbarer Raum. Nach der politischen Vereinigung wurde Berlin zum Schauplatz für junge, experimentierfreudige, aber zugleich realistische Macher. Eine neue „Generation Berlin“, so der Soziologe Heinz Bude, wollte nicht nur eine sog. „Bonner Generation“ ablösen, sondern ganz entschieden Wirklichkeitsbehauptung betreiben. Die Stadt war von den frühen 1990er Jahren an ein weltweit bekanntes Laboratorium für neue erlebnisbasierte Tanz-, Club- und Musikstile in einem gestaltbaren urbanen Raum. Diese Aktivitäten vollzogen sich in voller Breite und Intensität im Windschatten der wirtschaftlichen und demografischen Wachstumshoffnungen. An wechselnden Orten in der Stadt konnten sich bislang unbekannte Aktivitäten frei entfalten und eigene Kulturen mit eigenen Narrativen, Praktiken und Produkten sowie neuartigen und temporären Ortsbindungen ausbilden. Gerade die ungeregelten Raumfragen von Industriebrachen sowie Wohnungsleerstände begründeten und eröffneten neue Verwertungsformen. Zahlreiche Akteure erkannten und erspürten die Stadt als Experimentierräume für ihre eigenen Ziele. In die neuen kulturellen und erlebnisbasierten Vergemeinschaftungsprozesse waren aber frühzeitig ökonomische Prozesse eingewoben. Mit geringen finanziellen Mitteln konnten unter der Überschrift „Kunstgalerie“ ein Gewerbe und ein Club geführt werden. Aus Partykulturen entwickelten sich Professionswege, die weniger auf expliziten Qualifikationen und sozialer Herkunft basierten, als vielmehr auf individuellem Geschick und Selbstbehauptungswillen. Die in losen Netzwerken Agierenden waren aber von Anfang an neuen Flexibilisierungsmustern unterworfen. Sie repräsentier12

EINFÜHRUNG

ten individualisierte unternehmerische Existenzstrategien, die seit dem Jahr 1998 gesellschaftspolitisch explizit als positiv bewertet werden. Die Vorlage dieser Bewertung lieferte aber nicht Berlin, sondern Großbritannien. Ab Mitte der 1990er Jahre griff die britische Labour-Partei unter der Führung von Tony Blair das Beschäftigungspotenzial der sog. „Cultural Industries“ auf und transformierte diesen Sektor zu den sog. „Creative Industries“. Davon ausgehend formulierte Blair ein landesweites Modernisierungsprogramm, bei dem neue, selbständig operierende Kulturproduzenten als Vorbild für Flexibilisierungsanforderungen herangezogen wurden. Der Staat förderte und bezuschusste zahlreiche Kulturprojekte und Kulturproduktionen. Sie erwiesen sich als ein attraktiver Marketingeffekt, um den Rückzug des Staates in anderen Bereichen voranzutreiben und eine ebenso dynamische Gruppe von selbständig operierenden Kreativproduzenten als gesellschaftliches Vorbild in den Mittelpunkt seiner Politik zu stellen. Von der Hauptstadt Berlin ging 1998 für kurze Zeit ein ähnliches Signal aus. Die Praxis des politischen Reformprogramms ist mit dem Großbritanniens strukturell vergleichbar, man vermisst aber die Symbolik und Imageeffekte von Raumbildern wie dem britischen „Cool Britannia“. Der Senat der Stadt Berlin dagegen förderte lange Zeit finanzintensive Technologien. Erst im Jahr 2005 zeigten sich in Berlin neue stadtpolitische Aktivitäten der Beförderung des Segments der Kreativwirtschaft: Berlin legte einen Kulturwirtschaftsbericht vor und wurde als eine der ersten Städte in Kontinentaleuropa als „City of Design“ in das Netzwerk der UNESCO „Global Alliance for Cultural Diversity“ aufgenommen. Das Netzwerk will Kreativität als Bestandteil einer ökonomischen Entwicklung von Städten fördern. Die Auswahl wurde ermöglicht, weil Berlin „has demonstrated remarkable social, economic and cultural achievements in the field of design, and as a crossroad of diverse backgrounds and histories, Berlin’s design tradition and contemporary creation have influenced both national and international movements“.1 Der Senat erkennt an, dass in Berlin im Jahr 2005 knapp 12.000 Menschen im Bereich Mode, Design und Kunst arbeiten, also in einem Teilsegment der Creative Industries (Senatsverwaltung 2006 S. 19).2 Das umfasst 6.700 Kleinstfirmen und Mikrokollektive, die zusammen einen Jahresumsatz von ca. 1,5 Milliarden Euro erwirtschaften (ebd.) „Die Umgebung“ bzw. „der Raum“ der Stadt, so der Begründungstext der Presseerklärung der UNESCO, 1 2

Vgl. Presseerklärung der UNESCO vom 09.12.2005. Zugriff am 18.01.2006 unter http://www.unesco.org Diese Angabe resultiert aus der Umsatzsteuer- und Beschäftigtenstatistik des Statistischen Landesamts Berlin 2002. Die Zahl bezieht sich auf Beschäftigte in Architekturbüros, Design- und Fotoateliers inklusive Werbegestaltern und bildenden Künstlern.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

biete exzellente Bedingungen, um kreativ zu arbeiten und innovative Produkte herzustellen. Zu dieser „Umgebung“ zählen auch die designorientierten Studiengänge in der Stadt, die von ca. 5.000 Studierenden besucht werden. Die Begründung der UNESCO attestierte Berlin ein Alleinstellungsmerkmal hinsichtlich seiner Kreativwirtschaft und Innovationsfähigkeit. Gleichwohl erkennt diese Auszeichnung auch den Stellenwert einer kulturalisierten Ökonomie an, die fast ausschließlich durch Kleinstunternehmen und individuell agierende Akteure getragen wird. Die Kreativwirtschaft wird in Berlin ganz wesentlich durch einen neuen Sozialraumtypus getragen, einen kulturellen Unternehmer, der stellvertretend für urbane Modernisierungsprozesse eine ambivalente gesellschaftliche Rolle einnimmt: Er weist eine hohe Bindung an Szenen und ihre eigenwilligen Verfahrens-, Positionierungs- und Produktionslogiken auf. Als Unternehmer seines Selbst bietet er sein Erfahrungs- und Symbolwissen Dienstleistern an und erfüllt dadurch eine Brückenfunktion zwischen den vormals tendenziell eher getrennt voneinander operierenden Subsystemen Wirtschaft und Kultur. Dieser Typus wird als sog. „Culturepreneur“ bezeichnet. Der Begriff wurde zum ersten Mal von Anthony Davies und Simon Ford im Jahr 1999 vorgestellt (Davies/Ford 1999). Zur Präzisierung und Differenzierung dieses bisher unbestimmten Begriffs werden im Folgenden fallgestützte Lebens- und Arbeitsbedingungen in Teilsegmenten der Kreativwirtschaft analysiert. Im Fokus dieser Arbeit stehen dabei Fragen der Bildung von Kreativszenen und -milieus sowie deren Beziehungslogiken und Positionierungspraktiken (Grabher 2001; 2002b, Lange 2005a; 2005b). Analytisch betrachtet ist Entrepreneurship konstitutiv für dieses Dienstleistungssegment (Neff 2004; Neff/Wissinger/Zukin 2005, McRobbie 2002a; 2005), in dem sich eine neue Subjektivierung von Arbeit artikuliert (Voswinkel/Kocyba 2005, Bröckling 2002a; 2002b, Döhl/Kratzer/Sauer 2000; Kratzer 2003). Hochgradig flexibilisierte Arbeit entgrenzt sich zugleich in (quasi) private und familiare Sozialräume, die wiederum durch eben diese getragen und bewältigt werden (Hirschfelder/Huber 2004; Mayer-Ahuja 2005). Das utopische Projekt der selbstbestimmten Arbeit könnte sodann endlich ans Ziel gekommen sein. Technologien des Selbstmanagements und der Selbstkontrolle verwischen dabei aber gekonnt die sich immer eindrücklicher aufdrängende Frage nach sozialer Sicherheit und der Kontrolle über die Produktionsressourcen. Neben der individuellen Überantwortung der eigenen Existenzsicherung ist Entrepreneurship als sozialer Prozess immer eingebettet in kommunikative Beziehungsnetze. Culturepreneurs nehmen bei der Übermittlung von Wissen, Stilen und Informationen in Kreativszenen eine zentrale Rolle ein. Diese unternehmerischen Subjekte operieren nie allein, sondern immer in kommunikativ errichteten Wissensnetzen. Die Zugänge zu diesen Netzen eröffnen 14

EINFÜHRUNG

den Zugang zu Erwerbs- und Auftragsarbeit. Netzwerke, Milieus und Szenen sind aber nicht per se gegeben, sondern werden kommunikativ hergestellt und gesteuert. In Zeiten der Computerisierung der immateriellen Produktion zeigt sich gerade in diesem Segment der Kreativwirtschaft eine Hinwendung zu vielschichtigen sozialen Interaktionen, zur Erfahrbarkeit seiner Selbst, des Anderen sowie der Überprüfung von Stilen, Trends und Informationen in sozialen Arenen. Orte werden im Zeitalter einer reflexiven Moderne als relationale Systeme angesprochen. Funktionseliten in Kreativszenen erlangen Steuerungsfähigkeiten, indem sie den Zugang zu Orten explizit und subtil lenken. Durch die Programmierung von Orten bzw. deren gezielte Ausformung mit Atmosphären erweisen sich die Akteure der Kreativwirtschaft als Raumproduzenten und soziale Architekten des Post-Urbanen. Der versierte Umgang der Produktion von Orten – in Form von Ausstellungsorten, Galerien, Arbeitsorten mit Galerieannex und temporär umprogrammierten Orten des Feierns – knüpft an die Kultur der Raumaneignung der frühen 1990er Jahre an und verschafft den Akteuren wichtige Distinktionsgewinne. Im Spiel mit den Signifikanten sind Orte daher das umkämpfte Feld in der postindustriellen Stadt. Das Erfahrungswissen der Akteure um die Konstituierung von Orten verschafft ihnen insofern Autonomiegewinne. Orte sind kommunikative Plattformen, von denen aus Kreativszenen geformt und soziale Teilnahme verhandelt wird. Gerade Symbolproduzenten sind auf die Überprüfung ihrer immateriellen Produkte und deren Erlebnisdimension angewiesen. Die Akteure praktizieren einen kundigen und zugleich reflexiven Umgang mit Orten, der ihnen eine ökönomische Positionierung auf einem emergierenden Markt eröffnet. Kreativszenen geben sich somit als ein hybrides Vergesellungsgebilde zu erkennen, das durch lokale Narrative gespeist und auf lokale Mythen angewiesen ist. Das ursprünglich lokal ausgerichtete Berliner Narrativ der Ortspolitik in Form von Hausbesetzung, der Übernahme von Industriebrachen, der Umprogrammierung von leer stehenden Gewerberäumen in den frühen 1990er Jahren hat sich als Narrativ der Berliner Raumaneignung in Kreativszenen frühzeitig globalisiert. Es hat sich dabei über den lokalen Raum der Stadt hinaus entgrenzt. Vermittelt über neue Entrepreneure aus der Kreativwirtschaft – „etablierte Berliner“ oder aber auch „Neuankömmlinge“ in Berlin – wird das Modell der Positionierungspolitik von Symbolproduzenten heute in der Phase der Unternehmerwerdung weiterentwickelt und dabei modifiziert, ohne seinen Kern gänzlich aufzugeben. Darin, so die These dieser Arbeit, liegt das innovative Potenzial der Kreativwirtschaft: Jenseits der Verlockungen von billigen Mieten für Gewerbe- und Wohnraum, die dann der Kreativität freien Lauf lassen, jenseits von Äußerungen, wonach abstrakte und dann wiederum essenzielle Raumangebote in der Stadt 15

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

kreative Menschen geradezu magisch anziehen, und jenseits von Kreativitätsverheißungen, die sich aus der „Ökonomie der Not“ einstellen, geben sich die hier im Fokus stehenden Symbolproduzenten von Kreativszenen als krisenerprobte Problemlöser zu erkennen. Ihre Praktiken zeigen dabei innovative Verfahrensweisen und eine gemeinschaftliche Projektsteuerung, die sich als Teil eines gesellschaftlichen Phänomens lesen lassen. Ihre Projekte sind temporär ausgerichtet und haben zweifelsohne instabile Finanzierungsgrundlagen; doch ihre international ausgerichteten Arbeitsnetze zielen nicht nur auf symbolischen Gewinn ab, sondern begründen auch einen zweiten Sicherheitsboden, der in existenziellen Krisen greifen kann: Berlin fungiert als eine Art „Mutterschiff“, eine sog. „Homebase“, von der aus überregionale Kooperationsbeziehungen aufgebaut werden. Die Projektthemen der Symbolproduzenten setzen dabei an den perforierten Stellen der Stadt an, wo sie an der Umprogrammierung, Neudefinierung und Wiedererfindung von Orten, Identitäten, aber auch Produkten wirken. Die Entrepreneure der Kreativwirtschaft brauchen „Berlin“ als Ort für die atmosphärische und symbolische Aufladung ihrer eigenen Identität sowie ihrer Produkte. Sie sind Bestandteil eines kreativen Berliner Milieus und benötigen dieses symbolische, aber auch Wissenskapitel für die gewinnbringende Vermittlung ihrer Produkte. Da die Stadt und ihre Szenen von „außen“ als kreativ bewertet werden, brauchen sie „Berlin“, müssen sich aber auch als „Berliner“ zu erkennen geben. Verkürzt heißt dies, dass die Entrepreneure auf das geographisch-symbolische Kapital des Topos Berlin angewiesen sind, wie sie wiederum in der Lage sind, dieses reflexiv für ihre Unternehmensstrategie in Wert zu setzen und dabei zu formen. Ist Berlin eine Stadt mit Unternehmergeist? Ja, Berlin hat durchaus Unternehmer- und Gründergeist: Neue Entrepreneure folgen einer eigenen habituellen Form der Unternehmensgründung im Bereich der Kreativwirtschaft. Formal mag dieser Prozess zwar in Städten wie Hamburg, London, Paris und München ähnlich ablaufen. Die konkrete Ausgestaltung der global gültigen Flexibilisierungsanforderung erfolgt in Berlin – place matters! – berlinspezifisch. Ihre habituelle Praxis konstituiert sich in der Stadt Berlin nach eigenen Regeln, Prozessen und Narrativen. Diese werden im Folgenden konzeptionell vorbereitet, kontextualisiert und empirisch untersucht.

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Thema, Be griffe, Fragen und Forschungsdesign

Konstitutionen des Städtischen Die Frage der Verfasstheit von sozialen und kulturellen Räumen in metropolitanen Städten bestimmt in den letzten Jahren eine sozial- und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Raumforschung (Schroer 2006, Hasse 2002c; Löw 2001). Das neu entdeckte Reden, Schreiben und Denken über die Konstituierung von Räumen in den Zentren der globalen Dienstleistungsökonomien verbindet sich mit unterschiedlichsten Formen von urbanen Arbeitskulturen (Sassen zit. in McRobbie 2005, S. 82). Peter Noller und Klaus Ronneberger haben exemplarisch für Frankfurt am Main neue Berufsmilieus in Verbindung mit spezifischen Stadtstrukturen analysiert (Noller/Ronneberger 1995). Dieter Läpple und Joachim Thiel haben die Herausbildung des Arbeitsmarktes der Werbewirtschaft sowie neue Professionen in Hamburg und ihre strukturierende Kraft anaylsiert (Läpple/Thiel 2002; Thiel 2005). Die zeitdiagnostisch als postfordistisch bezeichneten Bedingungen von medienbasierter Arbeit verbinden sich mit Fragen der Bindung von Akteuren an Ort und Raum sowie der Sesshaftigkeit dieser Arbeitskulturen in Stadträumen (McRobbie 2005, S. 82). Helmuth Berking hat entgegen sämtlicher Auflösungstendenzen des Ortes durch globale Entgrenzungsprozesse nach der Konstituierung von Orten gefragt. Er wies dabei darauf hin, dass Orte einem simultan verlaufenden Prozess der De- und Reterritorialisierung unterliegen (Berking 1998, S. 387). Wenn Arbeitsprozesse in unternehmensbezogenen Dienstleistungsökonomien auf sozialen Interaktionsbeziehungen basieren, welche Bedeutungen weisen die Akteure dann den Orten und Räumen zu? Gerade mit den wissensbasierten Kreativunternehmen, den sog. symbolintensiven Dienstleistern, geht die implizite These der Beschleunigung der Arbeits- und Innovationsprozesse dieser kreativen Ökonomie einher. Dies bezieht sich ebenso auf die dabei konstituierten Räume. Ein Motor dieser Dy17

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

namik in diesen Produktionsbereichen ist die exponentiell und rapide abnehmende Gültigkeit von Wissen um den Gebrauch und die Verwendung von Trends, Stilen, Codes und Symbolen. Dadurch artikulieren sich Fragen der Verfasstheit von Arbeitsprozessen und Produktgenerierungen und deren Verhältnis zu Orten, Räumen und „Stadt“ neu. Peter Bender zufolge vollziehen sich diese Prozesse der Wissensproduktion in globalen Netzen unter einem grundsätzlich neuen Modus, dem sog. Mode 2-Modus (Bender 2004, S. 149-150). Die Politik in den Städten hat in den vergangenen Jahren durch den Abbau des öffentlichen Sektors die Herausbildung von neuen Unternehmerkulturen indirekt befördert. In die Produktionsprozesse und Produkte der sog. kreativen Wissensökonomien sind Affekte und Emotionen eingeschrieben. Es verbinden sich vielschichtige Erwartungshaltungen an die Arbeitsform in diesen Produktionsbereichen. Kritische Stimmen aus den Sozialwissenschaften haben in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass diese Arbeitsbedingungen durch ungesicherte und prekäre Arbeitsverhältnisse bestimmt sind (McRobbie 2005, S. 84, Verwoert 2003a, Boltanski/Chiapello 2003). Analytisch lassen sich für den Fall der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der politischen Formierung einer „Neuen Mitte“ seit 1998 Bezüge zwischen Politikstrategien und Modernisierungsanforderungen, unternehmerischen Strategien von kreativen Akteuren und sozial-kulturellen Stadtentwicklungsprozessen herstellen. Einhergehend mit diesem Paradigmenwechsel werden individuell-unternehmerische Eigenschaften artikuliert, die in einer neuartigen Wechselwirkung mit dem Urbanen stehen. Ein möglicher Träger dieser Entwicklungen ist ein im akademischen Bereich der Sozial- und Raumwissenschaften noch nicht näher definierter Typus, der „Culturepreneur“ oder auch „Cultural Entrepreneur“ (Davies/Ford 1999, McRobbie 2002c und Lange/Steets 2002a). Als „Culturepreneur“ wird ein städtischer Akteur bezeichnet, der Transfer- und Übersetzungsleistungen zwischen vormals getrennt voneinander operierenden Kultur- und dem Dienstleistungsbereichen in einer postfordistischen Ökonomie erbringt. Er könnte sich in erster Linie dadurch auszeichnen, als kreativer Unternehmer, als Betreiber von Clubs, Musik-, Mode- und anderen Shops sowie insbesondere im Medien- und Designbereich mit neuen sozialen und räumlichen Praktiken Lücken im Urbanen zu schließen. Damit geht die Vermutung einher, dass er als hybrider Akteur professionell Einbettungsarbeit für neue Lebensstile im Städtischen herstellt. Eine Ästhetik des Urbanen und eine Atmosphäre des Machbaren stellen den Nährboden für diese neuen Kreativunternehmer dar, auf dem viele ihre eigenen Unternehmens- und Stadtwelten entwerfen. Damit geht auch eine stärkere Betonung des subjektiven Erlebens einher. Während die Bildstrategien in Magazinen, Filmen und Medien die visuellen Codes und Raumbilder liefern, zu denen man sich zwecks Identifikation positioniert, haben diese Bil18

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

der nur eine Existenzberechtigung und einen belastbaren Sinn, wenn ihnen tragfähige räumlich-sinnliche Erlebniskontexte gegenüberstehen. Die Politik der „Neuen Mitte“ wirkt an der Entwicklung dieses neuen kulturellen Unternehmertypus visuell mit. Die Adressaten der (Bild-)Politik sind Repräsentanten einer entstrukturierten städtischen Gesellschaft, deren Lebenswirklichkeit nicht nur über Gebühr individualisiert, sondern auch hochgradig ambivalent ist: Wegen zahlreicher Unberechenbarkeiten, verlorener gemeinschaftlicher Verlässlichkeiten und einer angeblichen Multioptionalität hinsichtlich der biografischen und professionellen Lebensführung werden dem Individuum neue Handlungsentscheidungen abverlangt, um sich gesellschaftlich zu verorten. Harald Funke und Markus Schroer weisen darauf hin, dass die notwendige Integration in neue Vergemeinschaftungsformen nicht als wahlfrei und rein emotional oder ästhetisch bedingt zu beurteilen ist. Beide sind der Auffassung, dass die „Souveränität in Fragen des Lebensstils kein überflüssiger Luxus, sondern eine überlebenswichtige Kompetenz ist“. Das sozial differenzierende Kriterium ist weniger eine scheinbar frei wählbare subjektive Stilisierung, als vielmehr ein „zwangloser Zwang zur notwendigen Stilisierung“ des Selbst (Funke/Schroer 1998, S. 225-227). Der spielerisch praktizierte Umgang mit dieser Individualisierungsaufforderung findet sein räumliches Experimentierfeld in der Stadt.

U r b a n e B e r l i n e r N a c hw e n d e - u n d P o p u l ä r k u l t u r e n In der Nachwendezeit in den frühen 1990er Jahren avancierte Berlin zur neuen kulturellen Hauptstadt. Die Stadt Berlin stieg, neben der Altindustriestadt Detroit, nach der politischen Wende zum Zentrum des minimalistischen, puren, harten Musikstils Techno auf (Poschardt 2002, S. 84). Beide Städte praktizierten einen Ideologie- und Personaltransfer. Die graue bleierne Härte von Berlin galt als „inspirierend“ und „zeitgemäß“, und die Härte des Musik- und Tanzstils Techno hatte ein Bühnenbild bekommen (Vogt 2005, S. 44-45). Die Technobewegung markierte einen Kristallisationspunkt der neuen Berlinisierung der Subkultur. In Schüben folgten nahezu die gesamte Kunstund Galerienszene sowie Sinnsucher und Selbstfinder aus allen Teilen der Welt. Dies waren zahlreiche „Bürgerkinder aus der Provinz, die sich eine aufregende Studienzeit in einer Stadt des Umbruchs und eines neu erwachsenen nationalen Bewusstseins versprachen“ (Poschardt 2002, S. 84). Die für Westwie Ost-Berlin ideologisch relativ stabilen Nischen-, Sub-, Kiez- und Milieukulturen wurden dadurch auf ihre Grundpositionen und Interaktionskulturen hin überprüft. Die Stadt avancierte zu einer Projektionsfläche neuer unterschiedlicher Lebensentwürfen. 19

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Gerade die ungeregelten Raumfragen von aufgelassenen Industrie-, Verwaltung-, Lager- und Wohnräumen eröffneten neue Nutzungsmuster und wurden von zahlreichen Gruppen als Experimentierräume identifiziert. Retrospektiv hat die Berliner Clubkultur in der Praxis dieser „Raumaneignung“ ihren wesentlichen Ursprung (Oswalt 2000, S. 278 ff.). Lose soziale Verbände und Freundeskreise entwickelten mit geringsten finanziellen Mitteln ein Gewerbe und konnten so unter dem „Deckmantel der Kunstgalerie […] als neue Betreiber von Clubs, die oft nicht größer waren als eine Zweiraumwohnung, die für eine Diskothekengastwirtschaft nötige Konzession beim Gewerbeaufsichtsamt umgehen“ (Vogt 2005, S. 46). Die dabei im Keim zu beobachtenden Professionswege entwickelten sich sukzessive aus dieser Experimentierphase. Titel und Herkunft hatten keine Bedeutung. Was in dieser frühen Phase subkultureller Artikulationen zählte, waren vielmehr individuelles Talent und Selbstbehauptungswille. Berlin avancierte in der Folge zu einem Ort, an dem man seine eigenen Entwürfe vermarkten kann. Sie verstand sich als ein soziales und kulturelles Laboratorium für eigene Ideen. Gerne übersah man dabei, dass die vereinzelt Agierenden neuen Flexibilisierungsmustern und sozialen Desintegrationsprozessen unterworfen waren. Das Motiv des Urbanen, die Idee der Simmelschen anonymen Großstadt, nährte die latente Hoffnung, dass die „Stadt“ sie letztendlich auffangen werde. Individualisierte unternehmerische Existenzstrategien – und als nichts anderes sind die Lebensentwürfe einer neuen „Generation Berlin“ zu verstehen – sind aber gesellschaftspolitisch spätestens seit 1998 positiv codiert. Dabei wird die von der politischen Seite geforderte Selbständigkeit galant übertüncht und als etwas durchaus Positives bezeichnet. Sie geht mit dem allmählichen Ausschluss aus den sozialen Sicherungssystemen in Form der Überantwortung dieser Sicherungsaufgaben einher. Eine positive, zugleich aber auch ironische Lesart könnte diesem neuen Unternehmertypen die im ökonomischen Segment der Stadt dringend benötigte Funktion zuweisen, Brückenbildner zwischen den Teilsystemen Wirtschaft und Kultur zu sein (Bude 2001, S. 30-32). An diesen Kommunikationsknotenpunkten, deren physisch-räumliche Entsprechung Club-Events, Galerie- und Ausstellungseröffnungen, Lesungen, Vorträge und Start-up-Launch-Partys sind, wird über die Form des städtischen Modernisierungsprozesses sowie neue Urbanitätsmodelle verhandelt. Der offensichtlich performative Charakter solcher Aktionen ist aber weniger als individuelle Selbstinszenierung zu werten, denn – so die These – als eine notwendige unternehmerische Mikro- und Körperpolitik des unternehmerischen Selbst. Im Fokus der folgenden Ausführungen steht die Frage: Wie werden „Orte“ und „Sozialräume“ des neuen Sozialtypus „Culturepreneur“ als soziale Interaktions- und Transfer-Plattformen konstruiert? Wie werden mit Hilfe der vorhandenen urbanen Materialien gleichzeitig neue soziale Beziehungen ge20

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testet, neue Produkte geprüft, strategisch entwickelt, Identitäten codiert, vermittelt und kommuniziert?

C u l t u r e p r e n e u r – K r e a t i vw i r t s c h a f t – P l a c e - M a k i n g Culturepreneur – Emergenz eines neuen Sozialraumtypus? Der Begriff „Culturepreneur“ ist eine Zusammensetzung aus „cultural“ und „entrepreneur“ (übersetzt: „kultureller Unternehmer“). Er wurde von Anthony Davies und Simon Ford erstmals 1999 in Anlehnung an Pierre Bourdieu für die Emergenz eines neuen Sozialtypus in der Metropole London definiert (Davies/Ford 1999, S. 9-11). Im Kontext einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Raumforschung stellen diese Akteure mit den ihnen zugeschriebenen Organisations- und Produktionsweisen sowie unternehmerischen Praktiken eine für städtische Entwicklungsprozesse zunehmend bedeutender werdende Trägergruppe dar (Büttner/Lange/Jähnke et al. 2004, S. 76 und Krätke 2004a). Davies und Ford umschreiben dabei eine Gruppe von Akteuren, die strukturell gesehen auf kommunikative Art Transferleistungen zwischen den Subsystemen „unternehmensbezogene Dienstleistungen“ und „Kreativszene“ übernimmt und dabei einen offensichtlichen Bedarf zu decken scheint. Die semantische Konstruktion „Culturepreneur“ greift Handlungs- und Arbeitszusammenhänge von Akteuren auf, deren Tätigkeitsprofile und Praxismuster zwischen verschiedenen und vormals weitestgehend getrennt voneinander agierenden Subsystemen zu verorten sind. Die Konstruktion geht mit der Überprüfung einher, inwiefern in der semantischen Zusammenführung zweier lange Zeit nicht passfähiger Sozialtypen – „Unternehmer“ und „Kulturproduzent/Künstler“ – Aufschlüsse und Erkenntnisse über neue Professions-, Organisations- und sozialräumliche Praktiken zu erlangen sind. Wenn der Begriff „cultural“ lexikalisch auch nicht zwingend auf den Typus „Künstler“ verweist, dabei aber die Sphäre der Kulturproduktion in den Blick nimmt, so führt der Hybridbegriff „Culturepreneur“ ein zentrales Problemfeld ein: Flexibilisierte Arbeits-, Lebens- und Organisationsformen in Städten und Metropolregionen sind am offenkundigsten in den symbolintensiven Produktions- und Dienstleistungsbereichen zu verorten und haben in den letzten Jahren stetig zugenommen. Angela McRobbie weist unter Berufung auf das Dokument der Greater London Assembly (GLA) aus dem Jahr 2003 hin, dass der Sektor der Kulturindustrie zwar den drittgrößten Sektor der etwa 5 Mio. Arbeitsplätze im Jahr 2003 in London ausmacht und allein in London zwischen 1995 und 2000 110.200 Arbeitsplätze schuf. Diese „Wachstumserzählung“ lässt aber außer Acht, dass die Größe der 21

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Unternehmen sehr kleine Organisationen mit weniger als 25 Personen sind und dass ein Drittel der dort beschäftigten Akademiker sind (McRobbie 2002a, McRobbie 2005, S. 82 und GLA 2004). Das Segment der „unternehmensbezogenen symbolintensiven Dienstleistungen“ ist dabei unhinterfragt als stadtökonomisch zukunftsfähiger, innovativer und imagebildender Bereich immer stärker in den Blick von Politikern und Beratern geraten. Unter dem Stichwort „Ich-AG“ wurde ein Arbeits- und Beschäftigungsmodell durch den Staat eingeführt und propagiert, das – so die Behauptung – seine Herkunft sowie normativen Muster am offenkundigsten in den Erwerbs- und Tätigkeitsbereichen der heutigen Kreativwirtschaft hat. Diese Politik erklärt sich u.a. durch den Umbau des Sozialstaates und einer verstärkten Fokussierung auf individualisiert zu praktizierendes Unternehmertum. Der Staat knüpfte seinen faktischen Rückzug aus den sozialen Sicherungssystemen an die Herausstellung neuer unternehmerischer Akteure. Diese werden als „unternehmerische Pioniere“ zu neuen Rollenvorbildern erklärt. Cornelia Koppetsch und Günter Burkart haben gezeigt, dass diesen Akteuren die Aufgabe zugesprochen wird, professionelles Handeln in symbolintensiven Dienstleistungsbereichen nicht nur auf die Erzeugung und Umwertung von Wertorientierungen und Wissensgrundlagen zu richten. Sie wirken vielmehr als soziale und kulturelle Elite an der Reproduktion von expressiven Funktionen des Konsums für Identität und Lebensstile (Koppetsch/Burkart 2002, S. 531). Dabei betreiben sie das, was Hansfried Kellner und Peter Berger in dem Begriff des sog. „life style engineering“ zusammengefasst haben (Kellner/Berger 1992, S. 1 ff.). Diese Akteure sehen ihren gesellschaftlichen Auftrag weniger in der Bewahrung eines moralischen Ethos, denn als Treuhänder expressiver Werte: Dies beinhaltet Selbstverwirklichung, Individualität, Autonomie und Kreativität (Koppetsch/Burkart 2002, S. 531). In dieser Rolle übernehmen sie über ihre Profession hinaus Verantwortung für die Implementierung expressiver Werte in ein ökonomisches System. Sie sind nicht nur bspw. Marketingexperten, sondern, so die Schlussfolgerungen von Koppetsch und Burkart, ebenso Sinnstifter einer dynamischen Alltagskultur. In dieser werden neue Konsumgüter, symbolische Zugehörigkeiten, Identitäten und Lebensstile formuliert, gegeneinander abgegrenzt und neu verhandelt. Die dabei artikulierten Werte und Wertbindungen müssen ständig reproduziert, situativ mobilisiert und zeitlich eng rhythmisiert in sozialen Arenen überprüft werden. Diese Individualisierungsaufforderung ist somit eingebunden in eine erlebnisorientierte Kultur. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass neue alltagsrelevante Professionsgruppen in den Mittelpunkt der symbolischen Politik gestellt wurden: Aufgrund ihrer gesellschaftlichen und populärkulturellen Funktion war eine enorme Prägekraft für weitere Teile der Gesellschaft zu erwarten. Der Aufbau einer beruflichen Existenz sollte in der Folge durch ausgeprägte „Selbstän22

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digkeit“ gerade im kreativen Bereich ermöglicht werden. Als Arbeitsfelder dienten vor allem die Bereiche Popmusik, Grafik, Mode, Film und neue Medien (Brasse 2003; Mayer-Ahuja 2005). Während symbol- und formgebende Aufgaben und Produkte traditionellerweise der Professionsgruppe der Künstler vorbehalten war, zeigt sich nun eine zentrale Verschiebung: Künstler wechseln über zu den unternehmensbezogenen Dienstleistern. Diese faktischen Verschiebungen mündeten Ende der 1990er Jahre in die „Crossing Boundaries“-Debatte (Davies/Ford 1999; 2000, Lash/Urry 1994). Sie gründete auf der Beobachtung, dass die New Economy in einer ersten Phase symbolproduzierende Dienstleister benötigte, um damit die Informatisierung des Warenvertriebs und des Verkaufs zu eröffnen und zu gestalten. Nach dem Scheitern dieses Wirtschaftszweigs an der Börse griffen sog. „alte“ Dienstleistungsbereiche auf die dabei versammelten Gestaltungsfunktionen und Potenziale zu. Sie reformierten sich betrieblich und organisatorisch-strukturell von innen heraus. Die frühen Entwicklungsschritte der New Economy Mitte der 1990er Jahre stellen eine Vorlage für die Ausrichtung der britischen und später auch bundesrepublikanischen Arbeits- und Sozialpolitik dar. Insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre praktiziert und formuliert die britische Labour-Partei eine Beschäftigungspolitik, die sich von ihrer traditionellen sozialdemokratischen Arbeitnehmer- und Beschäftigungspolitik entfernt. Sie setzt verstärkt auf das Individuum und somit nicht auf ein gewerkschaftlich organisiertes Kollektiv von Arbeitnehmern. Die in der Bundesrepublik Deutschland 1998 neu an die politische Macht gekommene 68er-Generation verfuhr in ähnlicher Weise. Sie lenkte ebenso engagiert wie das Vorbild in Großbritannien den öffentlichen Diskurs einer als notwendig erachteten Realpolitik zunächst auf zunehmende unternehmerische Individualisierung. Die Entscheidungsträger in beiden Ländern wussten, dass der gewünschte politische Neuanfang nicht in erster Linie mit einem radikalen Umbau der sozialen und wirtschaftlichen Realitäten zu erreichen war. Vorab ging es um die Veränderung der Diskurse: Dort musste − mit Unterstützung der sprachgewandten Gesellschaftsdeuter − die Definitionshoheit erlangt werden. Ein neues sprachliches Gewand sollte über veränderte wohlfahrtsstaatliche Transferleistungen sowie die neoliberalen Deregulierungen gelegt werden, die alsbald den bundesdeutschen Alltag prägen würden. Das Ergebnis war eine Politik der sprachlichen Bilder und der Neudefinition von Symbolen. Dazu mussten Bilder und Symbole sowie räumliche Metaphern gefunden werden, die weniger von Möglichkeiten als von Wirklichkeiten zeugten, Ideen statt Umsetzungen und Einstellungen statt Gelegenheiten verkündeten. Wirtschaft als Abenteuer, so die Chefredakteurin der Zeitschrift Econy, Gabriele Fischer, nach der Bundestagswahl 1998, sei die Formel, die wieder Lust machen solle auf das Projekt „Arbeit“ und Existenzent23

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faltung weniger als Last und Lebensaufgabe, denn als Spaß und individuelle Wirklichkeitsoption proklamiere. Diese Art von Politik spreche Personen an, heißt es weiter, „die aufbrechen, etwas unternehmen wollen, die Wirtschaft noch als Abenteuer begreifen und nicht ständig über Steuerlast und Bürokratie klagen“ (Fischer 1998, S. 1). In der Gewissheit, dass nach der Kohl-Ära ein politischer Neuanfang nicht direkt realisierbar sein würde, hatten sich die neuen Machthaber an der Vorgehensweise und den Strategien von Großbritanniens Premierminister Tony Blair orientiert. Dessen politische Praxis bot die Vorlage für den anvisierten bundesrepublikanischen Neubeginn: Blair warf die politischen Ideale der britischen Labour-Partei, einer traditionellen Arbeiterpartei, nicht achtlos über Bord, sondern entwickelte die Vision eines neuen Großbritanniens, das er auch semantisch vorbereitete. Slogans wie „Cool Britannia“ markieren diese Praxis; in der BRD waren Begriffe wie „Neue Mitte“ und „Generation Berlin“ lange Zeit vorherrschend, wobei letzteren Begriff Heinz Bude prägte (Bude 2001, S. 7 ff.). Die Labour-Partei und ihre „Spin Doctors“ (engl. Bezeichnung für einen „politischen Medienberater“) bezogen sich bei der Suche nach Vorbildern und zukunftstauglichen Funktionsträgern auf eine der dynamischsten städtischen Wachstumsbranchen, die Kreativwirtschaft. Ausgangspunkt dieser Entwicklung in Großbritannien war der Bedeutungswandel, der sich im Verhältnis der Regierung und der Administration zur Rolle und Funktion der Kunst für das Land spiegelte. Übernahm die Kunst die Rolle und Aufgabe von Kritik, so erkannte man in ihr die Möglichkeit, ein neues Bild zu schaffen wie auch sich neue Wirtschaftszweige zu erschließen. Politische Berater und politiknahe Wirtschaftsförderer wie Charles Leadbeater wiesen Mitte der 1990er Jahre den kreativen Berufsfeldern im Zeitalter des Übergangs der Ökonomie zur New Economy eine wichtige Rolle zu (Leadbeater 1997; 1999; Landry 1996; Florida 2002). Die faktische Individualisierung innerhalb der Sphäre der Kulturproduktion wurde als offizielle Regierungsposition angenommen und bezog sich dabei auf einen traditionellen Begriff von „Talent“. Mit der Fokussierung auf die Beförderung von individuellem Talent und dessen kreativen Ressourcen verbanden sich aber auch sozialstaatliche Interessen: Der Staat ging davon aus, dass zur Entfaltung individueller Fähigkeiten und Talente eher weniger als mehr Regulierung vonnöten sei. Viel wichtiger seien ein hohes Maß an Flexibilität und Eigenverantwortung. Die Ausdehnung und Überantwortung „künstlerischer“ Tätigkeiten auf breite Teile der Gesellschaft verband sich aber auch mit dem (diffusen) Ziel, sozial Benachteiligte und fern von regelmäßiger Erwerbsbeschäftigung lebende Menschen „künstlerischen Tätigkeiten“ zuzuführen. Somit erfüllte die Politik mehrere Ziele: Zum einen wollte man über die Aufforderung zu „krea24

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tiver Betätigung“ gesellschaftliche Integration praktizieren, was in letzter Konsequenz hieß, wirtschaftliche Aktivität zu stimulieren und den Verantwortungsrückzug des Staats voranzutreiben. Zum anderen markiert die vehemente Instrumentalisierung von in allen Personen- und Altersgruppen vorzufindender individueller Kreativität und Talents eine Politik, die den Übergang von in fordistischen Produktionssystemen Beschäftigten hin zu sich weitestgehend selbst überantworteten Freiberuflern vorbereitet. Da die Wirtschaftszweige der symbolintensiven Dienstleistungen inklusive der Kulturindustrie zu den dynamischsten Wachstumszweigen gerechnet werden, war es nur nachvollziehbar, dass die Staatsregierung Großbritanniens auf diesen Sektor setzte (und nach wie vor setzt). Großbritannien wies in den 1990er Jahren mehrfach zweistellige Wachstumsraten im Bereich der Creative Industries auf. Dieser Trend setzte sich bis 2004 fort. London bündelt in 2004 40 % der Jobs im Sektor der Creative Industries (GLA 2004, S. 1). Das Land Berlin ermittelt bspw. im Zeitraum 1998 bis 2002 ein Wachstum von 8 % im Bereich der Kulturwirtschaft (Senatsverwaltung 2005, S. 25). Durch Neuformulierungen und Umdeutungen bestehender, aber auch neu zu schaffender sozialpolitischer Realitäten wurde von Tony Blair zunächst auf sprachlicher Ebene ein zukunftsorientiertes Bild entworfen. Zeitlich versetzt – und oftmals überraschend – offenbarten sich dann Deregulierungspraxen auf der politischen Tagesordnung: Im sprachlichen Gewand von Gesellschaftsbildern, die man damals als zukunftstauglich bewertete, zeigten sich dabei neoliberale Realitäten. Es bleibt festzuhalten, dass sich im Zuge dieser gesellschaftlichen Modernisierung eine Kultur des „unternehmerischen Selbst“ zu erkennen gibt (Verwoert 2003b, S. 45-46). Das Modell „Unternehmertum für alle“ hat seine originär strukturelle Herkunft in individuell aufgefasstem Talent und persönlicher Begabung. Diese Fähigkeiten verbinden sich kulturgeschichtlich mit gesellschaftlich hervorgehobenen Personen: Dazu zählen Unternehmer, Künstler, Militärs und Geistliche. Durch die Pluralisierung der westlichen Gesellschaft und ihre funktionale Ausdifferenzierung aber haben sich diese Wert- und Normkategorien aufgelöst, und die Verflüssigung der personalen Typiken hat zu neuen gesellschaftlichen Sortier- und Verortungsprozessen geführt. Neue Akteure mit neuen Attributen – bspw. aus neu aufkommenden Technikbereichen („Internetpioniere“) oder aus dem Gesundheitsbereich („Gesundheitspapst“) – nehmen gesellschaftliche Leit- und Orientierungsfunktionen ein. So haben die Annäherung und Austauschprozesse zwischen vormals getrennt operierenden Bereichen, wie Dienstleistung und Kreativszene mit ihren professionsspezifischen Normierungen, neue Funktionseliten entstehen lassen. Sie finden unter dem Schlagwort „unternehmerisches Individuum“ sowie den jeweiligen politischen Programmatiken ihre realpolitische Entsprechung: Als gesellschaftli25

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ches Rollenmodell repräsentieren sie für die Durchführung ihrer Arbeits- und Lebenspraxis notwendige Werte wie Flexibilität, Durchsetzungsvermögen, Innovationsbereitschaft und individuelle Autonomie. Die Ausdehnung dieser Werte auf die Gesellschaft verbindet sich zum einen mit der (wenig belastbaren und klischeehaften) Idee, jeder Mensch könne ein „Künstler seiner eigenen Lebenspraxis“ sein und dabei sein geniales und kreatives Potenzial aktivieren. Zum anderen verbindet sie sich mit der Aussicht auf selbstbestimmtes Arbeiten: ein vordergründiges Versprechen nach Autonomie und Selbstbestimmung sowie gleichzeitig ein emanzipatorisches Ideal, da Arbeit selbständig organisiert und praktiziert werden kann. Jan Verwoert diagnostiziert an dieser Stelle die „Kultur einer Gesellschaft, die diese Form des Individualismus zugleich zum Ideal erhebt und als Norm realpolitisch zu verankern sucht“ (Verwoert 2003a, S. 7). Werte und Normen der „revolutionären Lebensführung“, die vormals der Bohème, den Künstlern und Intellektuellen zugeordnet wurden, sind in den Geist des Spätkapitalismus der Gegenwart und des Prototyps des Unternehmers eingeschrieben worden. In diesem Typus bündelt sich der Gegenentwurf zum Angestellten und Bürokraten. Mit ihm werden Attribute wie Selbständigkeit, Autonomie und Innovationskraft verbunden. Die Kultur des Individualismus erklärt sich aus einem dialektischen Prozess: zum einen aus der Struktur der Wirtschaft, die in zunehmender Zahl Produzenten, Vermittler, Konsumenten und letztlich Produkte benötigt, da Käufer als Individuen angesprochen werden – was ihnen wiederum die Möglichkeit gibt, eine Identität als Subjekt zu entwickeln. Zum anderen hat sich für diesen Prozess der Vermittlung eine neue Gruppe von professionellen Arbeitskräften gebildet, die für die konstante Produktion und Zirkulation der neuen symbolintensiven Waren zuständig ist. Insbesondere Scott Lash und John Urry haben auf den Modus der Zirkulation von Waren und Bildern sowie deren räumliche Produktionsbedingungen aufmerksam gemacht (Lash/ Urry 1994). Für den Aufschwung dieser Wirtschaftsbereiche war eine funktionale Elite vonnöten, die im Bild der urbanen Professionellen kulminierte (Verwoert 2003a, S. 10). Der Begriff „Elite“ bezieht sich aber nicht auf einen gesamtgesellschaftlichen oder machtspezifischen Referenzpunkt, sondern auf soziale Einzelsegmente. Differenzierungstheoretisch gesprochen heißt dies, dass Funktionssysteme im sozialen Raum nicht mehr „absolut“ und eindeutig zu verorten sind (Hitzler/Pfadenhauer 2004, S. 315). Die Wirtschaftsstruktur des Spätkapitalismus zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sich die neuen Eliten an den Schnittstellen unterschiedlicher Funktionssysteme und somit an den strukturellen Kopplungsstellen angesiedelt haben. Armin Nassehi konzipiert aus systemtheoretischer Sicht „Eliten ohne Gesellschaften“ und leitet damit eine Relativierung der Funktionszuweisung „Elite“ ein (Nassehi 2004, S. 25 ff). In der Form, wie diese funktionale 26

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Eliten im Bereich der symbolintensiven Dienstleister gesellschaftliche Entwicklungen repräsentieren, sind ihnen besondere und bisher kaum benannte Leistungen und Qualifikationen zuzuschreiben. Verwoert wendet kritisch ein, dass diese neuen Eliten sich aber nur ungern zu ihrem neuen sozialen und elitären Status bekennen (Verwoert 2003a, S. 11). Vielmehr unternehmen sie den Versuch, sich auf die gesellschaftskritische Tradition des modernen Individualismus zu berufen. Dies erhält ihnen den Kontakt zu (v.a. subkulturellen) Milieus und ihren Sozialräumen, für die sie aus ihrer professionellen Position heraus Produkte und Rollenvorbilder entwickeln. Somit stehen sie in einem relativ abhängigen Verhältnis zu ihnen. Die sozialstrukturelle Durchlässigkeit wie Beständigkeit zwischen Funktionseliten und vormals subkulturellen Milieus ist durch die Demokratisierung der Kulturproduktion und des Bildungswesens seit den 1960er Jahren erheblich erweitert worden. Rückwirkend erklärt sich die Emergenz der neuen Funktionseliten aus einer Auflösung vormals relativ kontaktdichter und ideologisch stabiler Subkulturmilieus. Spätestens seit Tom Holerts und Mark Terkessidis’ Popstandardwerk Mainstream der Minderheiten aus dem Jahr 1996 ist daher die Trennschärfe zwischen Sub- und Popkultur massiv in Frage gestellt (Holert/Terkessidis 1996). Die Autoren beschreiben die 1990er Jahre als geprägt von schnellen Umschichtungs- und Recodierungsprozessen zwischen kulturellem Mainstream und subkulturellem Underground. Dabei hat sich ein hybrider, aus Minderheiten bestehender Mainstream formiert. Das in dieser kategorialen Zuweisung lange Zeit existierende klassen- oder schichtenspezifische Modell wird folglich durch das Lebensstil- und Szene-Modell ersetzt. Diese Zugehörigkeitskategorien mit ihren entsprechenden Symbolwelten und Bindungsformen werden aber nicht als frei wählbar verstanden, sondern werden, wie von Harald Funke und Markus Schroer beschrieben, neu verhandelt (Funke/Schroer 1998). Soziologische Kategorien wie Stil, Szene, Trend und Moden gewinnen dadurch als Mittel der sozialen Distinktion an Alltagsrelevanz. Das Erreichen individueller Differenz markiert daher eine zentrale Triebfeder des postmodernen Konsums. Diese Differenzierungen und Abgrenzungen (von der Offizialkultur) waren spätestens ab der Mitte des letzten Jahrhunderts in Form von unterschiedlichen Taktiken und Praktiken genuin mit dem subkulturellen Underground verknüpft. Die Kulturindustrie jedoch zeigt sich in all ihren Verwertungsfeldern interessiert, spürte jede noch so subtile Verweigerung und Umwertung auf und machte sie sich zunutze. So wurden musikalische und subkulturelle Stilrichtungen des Punk, des Grunge und in Teilen auch die Rave- und Technoszene zunächst als Haltungen massenkompatibel ausgebaut und ihrer sozial differenzierenden Funktion entzogen – was sie veranlasste, sich ständig weiterentwickeln zu müssen. Auf diese Weise demonstriert die Popkultur das rege27

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nerierende Potenzial sozialer und ästhetischer Haltungen und zugleich die Kraft ihrer Differenzierungsoptionen. Ähnlich verhält es sich mit der Relation zwischen Pop- und Hochkultur. Die elitären Ausgrenzungsstrategien der bürgerlichen Hochkultur (denen sich die Elitarismen der Subkultur strukturell angeglichen hatten) wurden aufgeweicht: Wer heute gebildet erscheinen will, geht nicht mehr nur ins Theater oder in die Oper, sondern beweist seine kulturelle Kompetenz auch auf dem Gebiet der populären Kultur. Neben dem sonntäglichen Besuch im Museum ist der regelmäßige Konsum der „Harald-Schmidt-Show“ wichtig, um im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Überblick zu behalten. Stilsicherheiten sowie -definitionen für unterschiedlichste Gruppierungen verbinden sich mit der Emergenz neuer Professionsgruppen. Ohne diese wäre die thematische Fokussierung der jeweiligen Vergemeinschaftung nicht gewährleistet.

Neue Professionsfelder in der Stadt Berlin? Vermittelt über die Emergenz neuer Professionen soll sich eine politisch motivierte Modernisierungspraxis in der strukturell offenen Situation der Stadt Berlin anbahnen. Flankiert durch einen Bedeutungsgewinn der global vernetzten urbanen Kulturindustrien sowie die Berliner Populärkulturen erklärt sich die Funktion neuer professioneller Trägergruppen zum einen als lebensweltliche Einbettungsstruktur für weitere wissensbasierte Trägergruppen und deren Wissensmilieus. Zum anderen gibt sich diese neu entfaltende Wirtschaftsstruktur auch als Option zum Aufbau einer in diesem Segment angesiedelten Berufskarriere zu erkennen. Erste Versuche der Herstellung von Passfähigkeiten und Kombinatoriken zwischen der New Economy und den Variationen einer Berliner Kulturszene und neuen kulturindustriellen Verwertungen verlaufen dabei über bespielte und inszenierte Orte in der Stadt Berlin. Die kulturelle Dimension von Globalisierung und deren systemische Veränderungen einer zunehmend kulturalistischen städtischen Dienstleistungsökonomie zeigen sich bspw. in der Kooperation der Bertelsmann-AG und der Investitionsbank Berlin bei den Medientagen mit Medienkünstlern, Designern und Kritikern im Rahmen der Veranstaltung „BerlinBeta“ in Berlin im Jahr 2001. Andere Formate sind die alle ein oder zwei Jahre stattfindenden Veranstaltungen wie „Urbandrift“ und die „Transmediale“. Relevanz hinsichtlich dieser neuen unternehmerischen Praxis erfährt dieses Thema in Berlin nicht nur bei der administrativen Wirtschaftsförderung und der Beschäftigungspolitik, sondern zusätzlich auch auf der Imageebene der Stadt: Schlagworte wie „Capital of Talents“ oder „Young Creative Industries“ greifen – ähnlich in anderen europäischen Metropolregionen – eines der dynamischsten Potenziale Berlins auf (Gdanic 2000 und Grésillon 2004, S. 28

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197). Hinter Begriffen wie „Cool Britannia“ und „Generation Berlin“ stehen aber bisher unhinterfragte Zusammenhangsformen von neuen, zunächst weitestgehend als örtlich flexibel verstandenen Professionsgruppen und Symbolträgern sowie deren temporäre Verankerungen in neuen räumlichen Strukturmustern. Ihnen müssen zudem neue Raumbedarfe sowie Raumaneignungsund Differenzierungsstrategien zugewiesen werden. Ihre Stadt setzt sich, so die These, nach neuen Verfahren und Prozessen zusammen. Der erste kulturelle wie ökonomische Aufschwung in der Mitte der 1990er Jahre weckte die Hoffnung, dass sich Berlin als kulturelle und wirtschaftliche Metropole des 21. Jahrhunderts entwickeln werde. Dieser Neuanfang wurde medial eingeleitet. Es wurden neue Bilder, neue Werte, neue Symbole nach der politischen Wende gesucht, um den alten West- wie Ostberliner Mentalitäten zu einer gemeinsamen bundespolitischen Rolle zu verhelfen. Dabei musste sich die Stadt neu positionieren: lokal, national sowie im europäischen Raum. Neue Bilder, neue Narrative und neue Symbole mussten dabei an tragfähige Akteursgruppen gebunden werden (Binder 2001; 2003). Gleichwohl vollzog sich dieser Prozess der Herausschälung eines neuen Stadtmodells vor dem Hintergrund, dass keine belastbaren Vorbilder und urbanen Repräsentationsformate vorlagen, auf die man sich hätte beziehen können. Ende der 1990er Jahre, als der Berliner Senat den Rückgriff auf die städtische Geschichte als neue Grundstruktur des Wiederaufbaus nach historischen Stadtstrukturen bestimmte, war eine mögliche Reaktion, die Stadt als eine „Stadt ohne Form“ (Oswalt 2000) anzusprechen. Andere physische, soziale und kulturelle Architekturen kämpften gegen den Prozess dieser „kritischen Rekonstruktion“, wie er von Senatsbaudirektor Hans Stimmann vorangetrieben wurde. Ausbleibende Investitionen, gescheiterte Großprojekte, finanzielle Haushaltskrisen ab den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts sowie die wirtschaftliche Krise der New Economy im Jahr 2000/01 markierten strukturelle Eckpunkte der Suche nach gangbaren städtischen Entwicklungsoptionen (Büttner/Lange/Jähnke et al. 2004). Der Zusammenbruch des Hoffnungsträgers „Neuer Markt“ und dem damit einhergehenden Versuch der Kapitalisierung und Vereinnahmung kreativer Tätigkeitsfelder durch die New Economy führte zu einer Kritik an der Verwertungspraxis von Arbeit dieses Segments. Etikettiert als neue „kulturelle Produzenten“, setzten sich Künstler seit dieser Krise kritisch mit den eigenen Arbeits- und Lebensverhältnissen auseinander, so z.B:. im Rahmen der Ausstellungen und dem Symposium Be Creative! Der kreative Imperativ 2003 in Zürich am Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst sowie in München AtelierEuropa 2004, begleitet von Angela McRobbie. Künstler untersuchten dabei mit künstlerischen Mitteln ihre funktionale sowie kulturelle Rolle in der New Economy (McRobbie 1998, McRobbie 2002c, Ellmeier 2001, 29

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Boltanski/Chiapello 2003; Bröckling 2003; Osten 2003). Das Segment der New Economy war aber, so Osten (ebd.), wie kaum ein anderes vielfältigen mikrostrukturellen Krisen ausgesetzt und hat darauf zwischen den Jahren 1996 bis 2004 mitunter eigenwillige wie innovative Antworten entwickeln müssen. Spätestens im Jahr 2004 zeigte sich in der kulturellen und sozialwissenschaftlichen Gemeinschaft ein Perspektivenwechsel in der Bewertung des Verhältnisses zwischen selbstorganisierter kreativer Tätigkeit und den überwiegend politisch instrumentalisierten und monetär definierten Kulturökonomien. In verschiedenen europäischen Städten wie Paris, Barcelona, London, München, Zürich und Madrid waren es v.a. die alltäglichen Erfahrungen der neuen „kulturellen Produzenten“ und ihre politische Instrumentalisierung, die kontinuierliche Unterbezahlung sowie die fehlenden Sicherungssysteme, welche sie zu Reaktionen veranlassten. Motiviert wurde diese Auseinandersetzung u.a. durch feministische Positionen, die informelle Arbeitsverhältnisse und Vergeschlechtlichung der neuen flexiblen und mobilen Arbeitsmodelle thematisiert haben: z.B. affektive oder technologisch determinierte Arbeit wie etwa Telearbeit (Schmidt 2003, S. 25-44). Andere haben auf die durch den allmählichen Rückgang der staatlichen Versorgungsleistungen ausgelöste zunehmend informelle Dimension – Vertrauen und Risiko – dieser Akteure hingewiesen, die sich notgedrungenerweise in Form von Solidarnetzen einstellt (Banks/Lovatt/O’Connor et al. 2000, S. 453 ff.). Dies vollzog sich u.a. vor dem Hintergrund, dass kulturelle, in der Regel un- oder unterbezahlte Tätigkeiten und kreative Berufe – ehemals als Ausnahmetätigkeiten zur Lohnarbeit angenommen – in postfordistischen Gesellschaften zu Modellen selbstbestimmter Arbeit stilisiert worden sind. Dadurch konnte einerseits der Rückzug und Verantwortungsabbau des Staates weiter vorangetrieben und andererseits eine auf das Unternehmerische ausgerichtete Selbstoptimierung des Individuums erzielt werden. Der unter dem Oberbegriff „Creative Industries“ zusammengefasste Versuch der Kapitalisierung kreativer Arbeit und der direkten Kontrolle und Steuerung von Kapitalisierungsprozessen scheint nach dem erstmaligen Scheitern der New Economy und dem Ich-AG-Sektor zwar an öffentlichkeitswirksamer Bedeutung verloren zu haben; der gesellschaftliche Umbau hin zu einem eigenverantwortlichen Kreativunternehmer, der seine Leidenschaft und sein Talent erfolgreich vermarktet, findet aber weiterhin statt, allerdings weitaus unglamouröser als in der ersten Phase der 1990er Jahre.

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Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung Aufmerksamkeit erlangte der Typus „cultural entrepreneur“ darüber hinaus im städtischen Kontext durch die Herausbildung kultureller Cluster, die mit dem Begriff „cultural“ bzw. „creative industries“ bezeichnet wurden. Unter den Vorzeichen von „Kreativität“ und „Stadt“ stellt sich eine kaum mehr zu überblickende Vielzahl internationaler Beiträge ein (Drake 2003; Florida 2004; 2005a; Franke/Verhagen 2005; Gibson 2005; gesellschaftskritische Positionen bei Bröckling 2002a, McRobbie 2002b; nationale Beiträge, insbesondere auch zur Situation in Ostdeutschland und nicht zuletzt Berlin: Franz 2004; Fromhold-Eisebith 1999; Liebmann/Robischon 2003; Priller 2005). Eine kategoriale Definierung dieses Dienstleistungs- und Kultursegments ist, so man nicht dem kulturkritischen und -pessimistischen Verständnis von Theodor W. Adorno folgt, aufgrund seines hybriden Charakters in der Phase des Spätkapitalismus laut Justin O’Connor weder erkenntnisleitend noch möglich (O’Connor 1999, S. 5). Positiv gewendet repräsentieren die Cultural Industries „Aktivitäten, die vorzugsweise symbolische Güter generieren, also Güter, deren primärer ökonomischer Wert sich von ihrem kulturellen Wert“ her ableitet (ebd.). Dieses äußerst breite Verständnis von Kreativwirtschaft bezieht die „klassischen“ Kulturindustrien (Medien, Film, Verlage, Design, Architektur und neue Medien) sowie die „traditionellen“ Künste (Theater, Konzerte, Literatur, Museen und Galerien) mit ein. Eine Grenzziehung zwischen diesen Teilbereichen hätte eher eine ideologische denn analytische Begründung. Die Wirkungen des Marktes, von Marktinteressen und von Verwertungsmechanismen treffen für beide Segmente in relativ ähnlicher Art und Weise zu. Der Versuch der kategorialen Definition des Phänomens „Kreativwirtschaft“ entfaltet sich gewöhnlicherweise vor dem Hintergrund der wachsenden Verfügbarkeit von Freizeit, Einkommen und Bildung in breiten Teilen der Gesellschaft. Der Zugang zu und der Konsum von Freizeitgütern und kulturellen Produkten wurde durch verfüg- und gestaltbare Zeit überhaupt erst möglich. Doch nicht nur die Akkumulation sowie der Besitz von ästhetischen und symbolischen Waren zählen, sondern auch der (mehr oder minder) gekonnte Umgang mit diesen Produkten und den in sie eingeschrieben kulturellen Techniken und Praktiken. Die Betrachtung der Sphäre der Kreativwirtschaft eröffnet somit Veränderungen in der Bewertung von „Kultur“, „Identität“, „Erwerbsarbeit“ und formalen wie informellen Interaktionspraktiken sowie dem dazugehörigen Territorialverständnis und dem Bedarf an Räumen. Aus der Perspektive der Stadt ist der Begriff Kreativwirtschaft Ausdruck des in den letzten zehn Jahren gewachsenen Stellenwerts sowie Konkurrenzkampfs von wissens- und informationsbasierten Dienstleistern innerhalb global ausgerichteter städtischer Dienstleistungsökonomien (Scott 1999). Ange31

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

sichts des Stellenwerts der Ko-Evolution zwischen wissens- und informationsbasierten Dienstleistern und ihrem Bedarf an Räumen stellen sich mehrere, bisher unhinterfragte Zusammenhangsformen ein: • die Reurbanisierung des Wissens sowie die Reurbaniserung durch wissens- und informationsbasierte Dienstleister; (Matthiesen 2004, S. 18-20; Helbrecht 1996; Ahrens 2004, S. 57-58); • der Bedeutungsgewinn des codierten (physischen) Ortes über Prozesse des Place-Makings (Bürkner 2004, S. 159-160); und • die These der Enträumlichung, d.h. der konstante Bedeutungsverlust von Sozialräumen in Städten durch neue Medien, neue Technologien und Mobilitätsformen, bei der Helmut Willke bspw. von der „Exterritorialisierung der Gesellschaft“ spricht (Willke 2001, S. 72 ff). Unstrittig aber ist, dass Städte in einem zunehmend forcierten nationalen wie internationalen Konkurrenzkampf um hochqualifizierte und talentierte Beschäftigte stehen. Deren Tätigkeiten in innovativen, flexiblen und zukunftsträchtigen Ökonomien werden als Hoffnung für ökonomisches Wachstum und symbolischen Imagegewinn verstanden. In diesem Zusammenhang rücken die Cultural Industries immer stärker in den Blick. Sie sind Ausdruck eines stetig wachsenden städtischen hybriden und vielfältigen Dienstleistungssektors. Während ihnen in der Stadt Berlin unstreitbar eine wichtige Rolle zukommt, die im weiteren Verlauf noch erläutert wird, so werden die quantitativen Darstellungen der Cultural Industries – bspw. in Form von Kulturwirtschaftsberichten wie im Fall der Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen und Berlin – nicht dem qualitativen und mitunter auch neuartigen Kern der jüngsten Entwicklung der Städte gerecht: Es schälen sich nicht nur differenzierte Profile heraus (z.B. Medien-, Mode-, Musik-, Design- und Clubkulturstadt), sondern auch unterschiedliche charakterliche Formen, Atmosphären und Repräsentationen des Städtischen. Einerseits – so die Vermutung der Kulturwirtschaftsberichte und Vertreter der Stadt – hat die Akkumulation von kulturellen Einrichtungen und „kulturellem Kapital“ an einem Ort einen positiven Einfluss auf die Ansiedlungspolitik ortsungebundener Dienstleistungsökonomien. Andererseits avancieren die Cultural Industries unter diesem Blickwinkel zu einer sozial-kulturellen Einbettungs- und Attraktorstruktur für weitere technische, gewerbliche und wissenschaftliche Wissensträger. Ann Markusen hat die Struktur und Effekte dieser Orte als sog. „sticky knowledge places“ (Markusen 1996, S. 293) angesprochen, d.h „klebrige“ Orte, die, so ihre Beobachtung, weitere Trägergruppen an diese Orte zieht. So verschafft die Struktur dieser Orte weiteren wissensbasierten Trägergruppen Optionen der sozialen Interaktion und Kommunikation und dadurch die dringend benötigten „kritischen Massen“ (Matthiesen 2004, S. 13-15). 32

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

Im politischen Bereich entwickeln sich die Cultural Industries sukzessive zu einem Instrument der Stadtpolitik. Dies wird dadurch bestimmt, dass die in der Symbolproduktion tätigen „Neuen Kreativen“ – so die Annahme beispielsweise von Ilse Helbrecht – für ihre berufliche Tätigkeit eine sozialräumliche Einbettungsstruktur erwarten und benötigen. Ein „kreatives Milieu“, so ihre Einschätzung, eröffnet ihnen überhaupt erst Entfaltungs-, Handlungs- und produktspezifische Gestaltungsoptionen (Helbrecht 2004, S. 192-193). Allan Cochrane und Andrew Jonas bündeln dies, indem sie die Bedeutungssteigerung von Orten als zentrales Ziel einer Stadtentwicklungspolitik auffassen: „Every place wants to be someplace, and some places want to be world cities. Urban politics has increasingly become a politics of growth“ (Cochrane/Jonas 1999, S. 145). Diese Stadtentwicklungspolitik, so die beiden Stadtforscher, ist zunehmend an unternehmerische Trägergruppen gebunden: „The rise of urban entrepreneurialism can be seen in the intense inter-urban competition for high profile events and feature developments“ (ebd.).

Neue Stadtkulturen durch neue kulturelle Produzenten Die bei Allan Cochrane und Andrew Jonas im Fokus stehenden neuen professionellen Kreativszenen verorten sich generell im Bereich der elektronischen Medien, des Designs, der Werbung, aber auch in der Musik- und Clublandschaft. Diese Professionsfelder repräsentieren verstärkt „Kultur“ und somit einen Widerspruch zum traditionellen Kulturkonzept. Die globalen Vernetzungen und neuartigen Projektökologien (Grabher 2004a) dieser Professionsfelder überschreiten den klassischen Werkbegriff, sie definieren das Verhältnis von Kunst zu Ökonomie, von Subkultur zu Mainstream und von Stadt zu Individuum neu. Diese „neuartigen Bereiche“, so Alex Demirovic, „bündeln ein enormes gesellschaftliches Kreativitätspotenzial und verkörpern eine Vergesellschaftung der kulturellen Praxis sowie einen ästhetischen Schub“. Der sei, so Demirovic weiter, „vergleichbar mit dem der Herausbildung der Kulturindustrie in den dreißiger und vierziger Jahren vor allem in den USA“ (Demirovic 1994, S. 62). Seine Forderungen gipfeln in den 1990er Jahren – in Anlehnung an den Siebziger-Jahre-Slogan „Kultur für alle“ – in der Forderung nach „Kultur durch alle“. Dass damit das Professionsmodell eines unternehmerischen Individualisten, trotz geringer Akzeptanz in den sozialen Herkunftsmilieus – den Kunstproduktionen –, auf den Weg gebracht wurde, erklärt sich auch durch die politische Programmatik der vergangenen Jahre. Eine breit angelegte Arbeitsmarkt-, Sozial- und Ausbildungspolitik orientiert sich seit dem politischen Wechsel 1998 mit dem Konzept der Ich-AG am Modell des „unternehmerischen Individualismus“. Es ist seinem Ursprungskontext entlehnt, implemen-

33

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

tiert es per Gesetz und führt es somit an breite Teile der Gesellschaft als zukünftige Beschäftigungspolitik heran. Seit Ende der 1990er Jahre lassen sich im europäischen Kontext wirtschafts- und sozialpolitische Programmatiken identifizieren, die einen Unternehmertypus in das Zentrum ihrer Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik stellen. Insbesondere Akteure und Entrepreneure aus dem Kreativbereich, d.h. dem Wirtschaftssegment der unternehmensbezogenen symbolintensiven Dienstleister, sollten im Anschluss an ordnungspolitische Strukturbrüche eine wegweisende Vorreiterrolle übernehmen. Cornelia Koppetsch und Günter Burkart weisen darauf hin, dass „Berufe an Profil gewonnen haben, die sich an der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Kultur befinden und zu ihrer wechselseitigen Durchdringung beitragen. Dazu gehören z.B. neue Kulturvermittler in der Unternehmensberatung, Public-Relations, Kulturmanagement, Coaching und Werbung“ (Koppetsch/Burkart 2002, S. 531-532). Wie sie sich dabei in einem äußerst schnell umbrechenden und hochgradig unbestimmten Marktsegmente positionieren, welche Strategien der Vernetzung, der sozialräumlichen Aneignung sowie der Produktion von Orten und Räumen sie wählen, ist zum einen weitestgehend unklar. Zum anderen stellt es eine projektionsaufgeladene Black Box dar: Formulierungen wie „this place gives me space“ (Helbrecht 2004) geben zweifelsohne einen vordergründigen Bedeutungsgewinn des Ortes wieder. Es geht dabei um das, was Ilse Helbrecht als das ‚look and feel‘ of the location“ formuliert hat (ebd.). Es interessiert aber darüber hinaus auch die Struktur und „Chemie“ dieser „locations“ sowie ihre strukturierende Wirkung auf Trägergruppen. „Location“ zu setzen und vorschnell als Stimulus für Gefühle zu konzipieren führt zu einer regelrechten Re-essenzialisierung von Geographie und Ort und lässt dabei die Formier-, Politik- und Codierpraxis des Ortes unbegründet aussen vor. Darüber hinaus interessieren aus der Perspektive einer Kulturanalyse Fragen der sich dabei vollziehenden kulturellen Differenzierungen, ihren Artikulationen, Formierungen und Repräsentationsformen sowie ihren territorialen und sozialen Verortungspraktiken. Eingeordnet wird diese Perspektive im Zusammenhang mit der Feststellung, dass nicht zuletzt gesellschaftliche sowie kulturelle und sozialräumliche Ausdifferenzierungsprozesse im Zeitalter einer globalen kulturellen Ökonomie zu vielschichtigen Territorialisierungsformen abseits der bekannten nationalstaatlichen (Be-)Grenz- und Ordnungssysteme geführt haben. Technologisch explosive Entwicklungen, wie die der Computerisierung und des Datenaustauschs, haben zudem ungleiche Geschwindigkeiten der Aneignung, Verwendung, Interpretation und Nutzung neuer Produktionsmittel ermöglicht und dabei neue Geographien produziert. Analytische Diagnosen der De- oder Entterritorialisierung des sozialen Daseins (soziale Mikro- und Mesoebene) sind aber nicht ausschließlich aus 34

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

der Perspektive eines nationalstaatlichen Systems und seiner Transformation zu entwickeln, sondern vielmehr aus einer Vielzahl von global operierenden Fundamentalismen: Dies gilt auch für soziale, berufliche und gemeinschaftliche Integrationspraktiken und Migrationsprozesse. Unter den veränderten Rahmenbedingungen beschreiten diese nämlich grundsätzlich andere Wege mit anderen sozialräumlichen Bindungsformen, als dies bisher im westeuropäischen Kontext der Fall war. Entwertete traditionelle Sicherheiten stellen für Individuen sodann subjektiv neu zu bewertende Optionslagen der beruflichen und lebensweltlichen Sinnstrukturierung dar. Flexiblere und vielschichtigere Lebensführungen und -praktiken müssen dabei gegen den Zwang der Entscheidung zu neuen individuellen, sozialen und beruflichen Entwicklungswegen abgewogen werden. Dies trifft im Besonderen für die hier im Fokus stehende Frage von neuen Professionen und ihrer gesellschaftlichen Rolle als Protagonisten neuer Vergemeinschaftsformen zu: Wenn Berufswege und Berufsbilder keinen Vorbildcharakter haben und durch neue Rollenmodelle ersetzt werden müssen, auf was beziehen sich neue Unternehmer in der Spätmoderne bei der Frage der beruflichen Entwicklung und Verwirklichung? Dieser Sachverhalt lenkt den Blick auf situative Komponenten der unternehmerischen Selbständigkeit und das sich artikulierende Gründungsgeschehen. Welche Leitmotive und Handlungsvariationen zeigen sich dabei als jeweils konstituierendes Element in Statuspassagen der beruflichen Selbständigkeiten?

Place-Making – Spacing – Mikropolitiken des Ortes Aus der Perspektive eines neuen Sozialtraumypus stellt sich die Frage nach dessen Urbanitätsmodell in der Phase des Spätkapitalismus. Als analytischer Begriff muss dieser zunächst einmal mit einem konzeptionellen und methodischen Verfahren verbunden werden, damit er in der Lage ist, Prozesse der Aneignung und Wahrnehmung von symbolisch codierten Orten zu beschreiben. „Place-Making“ bündelt dabei grundlegende Prozesse der sozialen Konstruktion eines mehrdimensionalen Raums. Entgegen eines essenzialistischen Raum- und Ortsverständnisses ist in den Akteursbereichen der „kulturellen Produzenten“ davon auszugehen, dass sie als handelnde, sinnstiftende Individuen sowie Kollektive in der Lage sind, physische und nicht-physische Entitäten den Kategorien „Ort“ und „Raum“ zuzuordnen (Bürkner/Kuder/Kühn 2005, S. 37). In diesem Prozess stellen sich Bedeutungszuweisungen und Codierungen sozialer Beziehungen ein. Funktionen, Symbole, Praktiken und Identitäten müssen neu definiert und deren kombinierende Verfahren in Teilen erst wieder neu erfunden werden. Solche Codierungspraktiken schließen physische Bestandteile und die Wirkungsmächtigkeit der jeweiligen Materialität von Orten jeweils explizit mit ein 35

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

(Keim 2003, S. 81). Aus dieser Perspektive ist der Prozess des „PlaceMaking“, ähnlich dem Prozess des „Spacing“ bei Martina Löw, ein alltäglicher sozialer Konstruktionsprozess (Löw 2001, S. 158, Schroer 2006, S. 114116). Löws Auffassung zufolge laufen Raumkonstitutionsprozesse weitaus vielschichtiger ab, als dies bisher in Konzepten der Sozialraumanalyse vorgestellt wurde. Konzeptionell hat Martina Löw darauf hingewiesen, dass Konstitutionsprozesse von Räumen durch „strukturierte (An-)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen an Orten im Handeln geschaffen werden“. Ihr zufolge werden „Objekte und Menschen synthetisch und relational angeordnet“ (Löw 2001, S. 204). Demnach seien Räume zwar nicht immer sichtbare und in ihrer Materialität dinghafte Gebilde, dennoch stofflich wahrnehmbar. Räumen weist sie eine Potenzialität zu, die sie mit dem Begriff „Atmosphäre“ charakterisiert. Mit der sozialkonstruktivistischen Herangehensweise von Martina Löw rückt ein verändertes Verhältnis zwischen Körper und Raum in den Mittelpunkt. Entsprechend gilt es die dem leiblichen Körper innewohnenden Erlebnis- und Gefühlslagen anzusprechen, die in einer Wechselwirkung mit dem gebauten Raum stehen. Spricht man Räumen eine Potenzialität zu, so fasst man sie als ein körperliches Gegenüber und misst ihnen aufgrund ihrer Ausstrahlungskraft eine relevante Größe bei der Analyse der Konstituierungsprozesse von neuen Vergemeinschaftungsformen bei. Der distinktive Ort ist eben weniger – wenngleich auch – ein (rein) physischer Ort, als vielmehr eine Variable, die Individuen bewusst auswählen, weil dort passende Inszenierungsmöglichkeiten für Gruppenbildungsprozesse herstellbar sind. Deren Wirkungsweise kann rückwirkend erst affektive Identifizierungsprozesse generieren. Die sprachliche Analogie der soziologischen Kategorie „Szene“ und der räumlichen Kategorie „in Szene setzen“ koppelt und verschweißt die Mesokategorie „Szene“ mit der Ausstrahlungskraft des physischen Ortes. Eine Szene erfährt sich sodann selber in ihrer Körper- und Leiblichkeit erst – so Löws Schlussfolgerung – durch die emotionale Präsenz an und mit den von ihr ausgewählten Orten. Eingerahmt in ein sozial konstruiertes atmosphärisches Netz generiert und ermöglicht dieses soziale Netz gleichzeitig sinnstiftende Bedeutungskonstrukte. Es erfährt seinen Sinn, wenn die Akteure ihren Körper und die Bereitschaft zur Erfahrbarkeit dieser Situation mit in das temporäre Kräftefeld integrieren. Orte, so eine im Folgenden zu überprüfende Behauptung, spielen dabei in der Konstituierung von Vergemeinschaftungsformen eine zentrale Rolle. Zu fragen ist daher nach den angewandten Ortspolitiken und Politiken des Ortes, die bestimmte Personengruppen bewusst und intentional in einem bestimmten sozioökonomischen, kulturellen und urbanen Kontext entwickeln. Die im Folgenden vorgestellten Strukturparame36

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

ter ergeben ein erstes Bild der Situation der unternehmensbezogenen symbolintensiven Dienstleister in Berlin.

Berlin: Struktur- und Entwicklungsindikatoren Anhand zentraler Indikatoren wird im Folgenden auf der Grundlage von Sekundärdaten ein Strukturbild der Entwicklung ausgewählter symbolintensiver Dienstleister in Berlin vorgestellt. Stefan Krätke hat auf der Grundlage der Umsatzsteuerstatistik 1994-1998 für Berlin in einer 5-stelligen Gliederung der Wirtschaftsaktivitäten ermittelt, dass die „Zahl der Unternehmen in der Kulturproduktion und Medienwirtschaft in der BRD zwischen 1994-1998 um 6 % gewachsen ist, […] im gleichen Zeitraum in Berlin um 9,85 %“ (Krätke 2002, S. 138).1 Bis 1998 umfasste die Kulturökonomie 9.103 Unternehmen, das entspricht einem Anteil von 8,31 % aller Unternehmen und Freiberufler in Berlin. Krätke zufolge weist die Stadt Berlin eine relative Konzentration bei den geringqualifizierten Unternehmensdiensten auf. Im Vergleich zu anderen Metropolregionen der BRD weist Berlin einen deutlichen Rückstand bei höherqualifizierten Unternehmensdiensten auf. Grundsätzlich verweist Krätke aber auf eine „starke und dynamische Position im Bereich der Kulturökonomie“ (Krätke 2002, S. 138-139). Die thematische Spannbreite des Begriffs „Kulturökonomie“ macht weitere Beschreibungen der Entwicklung von Subsegmenten notwendig. In Berlin sind, gegenüber anderen Metropolregionen, Branchen im Bereich Film und TV-Wirtschaft mit ca. 20 % Anteil an der Kulturökonomie (gemessen an der Zahl der Unternehmen) und einem zwischen 1994 und 1998 um über 30 % gestiegenen Umsatz überdurchschnittlich vertreten. Die Musikwirtschaft weist mit ca. 6% einen vergleichsweise geringen Anteil an der Kulturökonomie auf sowie einen im Betrachtungszeitraum 1994-1998 nur gering angestiegenen Umsatz (1 %). Die Printmedien weisen einen Anteil von knapp 30 % an der Kulturökonomie auf, dabei aber einen Umsatzrückgang im Betrachtungszeitraum von über 55 %. Einen weiteren Wachstumsbereich stellt die Werbewirtschaft dar, die im Betrachtungszeitraum eine Umsatzsteigerung um über 15 % sowie eine Zuwachs der Unternehmenszahl um knapp 20 % verzeichnet hat (Krätke 2002, S. 145-152). Krätke kommt daher zu dem Schluss, dass „die gesamte Werbewirtschaft Berlin im Verhältnis zur Entwicklung im Bundesgebiet einen überdurchschnittlichen Zuwachs an Unternehmen und Umsätzen“ verzeichnet (Krätke 2002, S. 150, Krätke 2004b, S. 60).

1

Die folgenden Daten basieren auf Krätke 2002 sowie dem Statistischen Landesamt Berlin sowie dem Senat für Wirtschaft, Arbeit und Frauen Berlin.

37

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Jüngere Indikatoren zeigen den gewachsenen Stellenwert der Kulturwirtschaft Berlins, wobei Kulturwirtschaft den erwerbswirtschaftlichen Sektor umfasst und damit alle Unternehmen und Selbständigen, die kulturelle und symbolische Güter produzieren, vermarkten, verbreiten oder damit handeln sowie Kulturgüter bewahren, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet und in einer privaten Rechtsform organisiert sind. In Berlin waren dies im Jahr 2005 über 21.000 zumeist kleine und mittelständische Unternehmen der Kulturwirtschaft. Sie erwirtschafteten ein Umsatzvolumen von über 8 Mrd. EUR. Damit erreichten die Unternehmen der Berliner Kulturwirtschaft einen Anteil von über 11 % am Bruttoinlandsprodukt der Berliner Wirtschaft. Die Kulturwirtschaft stellt mit ihren über 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen relevanten Arbeitsmarktfaktor in Berlin dar. Über 8 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne Freiberufler und freie Mitarbeiter) arbeiten in den verschiedenen Teilmärkten der Kulturwirtschaft . Die meisten Unternehmen der Kulturwirtschaft waren 2004 im Kunstmarkt (24 %), dem Buch- und Pressemarkt (22 %) und dem Teilmarkt Architektur (13 %) tätig. Die starke Position des Kunstmarktes erklärt sich u.a. durch die große Anzahl an Designateliers und selbständigen Bildenden Künstlern. Die Anzahl der Unternehmen stieg von 1998 bis 2004 um rund 4.000 Neugründungen (rd. 18 %) an. Insbesondere die Teilmärkte Software (+1.280 Unternehmen/ +109 %), Presse- und Buchmarkt (+1.120 Unternehmen/ +31 %) Film- und Fernsehwirtschaft (+312 Unternehmen/ +25 %) und Musikwirtschaft (+300 Unternehmen/ +26,5 %) verzeichneten Zuwächse, während sich die Anzahl der Architekturbüros deutlich verringerte. Berlin weist mit 6 % – bezogen auf die Einwohnerzahl – die höchste Dichte an selbständigen Künstlern in Deutschland auf. Die Anzahl der selbständigen Künstler in Berlin ist seit 2000 um über 40% angestiegen. In Berlin existierten im Jahr 2005 über 21.000 zumeist kleine und mittelständische Unternehmen der Kulturwirtschaft. Sie erwirtschafteten ein Umsatzvolumen von über 8 Mrd. EUR. Damit erreichten die Unternehmen der Berliner Kulturwirtschaft einen Anteil von über 11 % am Bruttoinlandsprodukt der Berliner Wirtschaft. Die Kulturwirtschaft stellt mit ihren über 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen relevanten Arbeitsmarktfaktor in Berlin dar. Über 8 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Berlins arbeiten in den verschiedenen Teilmärkten der Kulturwirtschaft. Der Kulturwirtschaftsbericht Berlin aus dem Jahr 2005 weist des Weiteren darauf hin, dass Berlin mit 12 % der Designateliers in Deutschland die Hauptstadt des Designs ist (Senatsverwaltung 2005, S. 67). Regelmässig stattfindende Messen und dabei bespielte Ausstellungsorte unterstreichen dies. Detaillierter analysierte das Internationale Design Zentrum Berlin (IDZ) im Jahr 2003 mit einer repräsentativen Studie das Segment der Berufsgruppe der Designer. Es lieferte Informationen über die Struktur der Betriebe, Be38

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

triebsgrößen, die Gründungsentwicklung seit 1993, Umsatzgrößen und die räumliche Verteilung von 1.153 im Verein IDZ Berlin e.V. registrierten „Designern/Designbüros“ in Berlin (IDZ 2003). Der grundsätzlich zu beobachtende quantitative Zuwachs an Unternehmen im Bereich der Werbe- und Medienwirtschaft weist aber in seiner Binnenstruktur Differenzierungen sowie in den vergangenen Jahren (1998-2004) aufschlussreiche Entwicklungsmerkmale auf. Die Berufs- und Arbeitsbezeichnung „Designer/Designbüros“ kann nicht als keine trennscharfe Kategorie herangezogen werden, die eine klare Zuordnung innerhalb der Wirtschaftsstatistik ermöglicht. Die Studie des IDZ (IDZ 2003, S. 20) fasst daher verschiedene Tätigkeitsfelder des „Design“-Bereichs zusammen. Sie integrieren ebenso „Design Management“, das im Bereich Wirtschaftskommunikation auch Bestandteil der Ausbildung von (betriebs-)wirtschaftlichen Studiengängen ist. Des Weiteren wurde der Bereich „Design für elektronische Medien“ integriert. 21,5 % der Befragten stuften ihren Tätigkeitsbereich unter „Sonstiges“ ein, das Sounddesign, Setdesign, Bühnenbild und Ausstellungsgestaltung, Illustration und Designanalyse sowie Architekturvisualisierung beinhaltet. Diese Gruppierung ist in sich heterogen und bündelt als Berufsgemeinschaft vielschichtige Professions- und Tätigkeitsfelder. Sie deckt aber einen Bereich in der Kategorie „unternehmensbezogene symbolintensive Dienstleister“ ab und wird daher als aussagefähig erachtet, um eine erste Einschätzung hinsichtlich der Binnenstruktur dieses Segments in der Stadt Berlin im Zeitverlauf vornehmen zu können. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass der überwältigende Teil der Designer als Selbständige bzw. in Büros mit ein bis fünf Mitarbeitern tätig ist. Grafik 1 auf der folgenden Seite zeigt, dass knapp 20 % der Büros in den letzten drei Jahren gegründet wurden. Weitere 31,5 % existieren seit mehr als zehn Jahren. Dies, so das IDZ Berlin e.V., bestätigt lediglich, dass die Etablierung größerer Einheiten in der Regel etliche Jahre in Anspruch nimmt. Es mag zudem ein Hinweis darauf sein, dass die momentane wirtschaftliche, eventuell auch spezifische Berliner Situation die Arbeit in kleineren Einheiten mit wenigen Beschäftigten begünstigt (IDZ 2003, S. 14). Dies, so das IDZ Berlin e.V., bestätigt lediglich, dass die Etablierung größerer Einheiten in der Regel etliche Jahre in Anspruch nimmt. Es mag zudem ein Hinweis darauf sein, dass die momentane wirtschaftliche, eventuell auch spezifische Berliner Situation die Arbeit in kleineren Einheiten mit wenigen Beschäftigten begünstigt (IDZ 2003, S. 14).

39

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Grafik 1: Gründungsjahre der Designbüros Gründungsjahre der Designbüros (N=1153 im Jahr 2003) 350

337 300

Anzahl

250

200

178

150

101 100

85

78

50

41

37

37

1994

1995

1996

26

77

59

49

48

0 bis 1993

1993

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

keine Angaben

Gründungsjahr

Quelle: IDZ 2003 Die folgende Grafik 2 zeigt die Verteilung der Umsatzgrößen. Dabei zeigt sich, dass ca. Drittel der befragten Firmen weniger als 25.000 € pro Jahr Umsatz aufweisen. Grafik 2: Umsatzgrößen der Designbüros im Jahr 2003 Umsatzgrößen der Designbüros (N=1153 im Jahr 2003) 344

350

300

250

215 197

Anzahl

200

151 150

128

118

100

50

0 > 251

101 bis 250

51 bis 100

26 bis 50

Umsatz in Tausend Euro

Quelle: IDZ 2003

40

bis 25

keine Angaben

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

Setzt man dieses Ergebnis in Beziehung zu der Strukturverteilung der Betriebsgrößen, so liegt die Vermutung nahe, dass ein erheblicher Anteil der Kleinstunternehmen mit einer Größe von 1-5 Beschäftigten einen sehr geringen Jahresumsatz aufweisen. Die Ergebnisse der Befragung bzgl. der Umsatzgrößen der folgenden Grafik 2 auf der nächsten Seite ermöglichen anhand der feinteiligen Gliederung eine klare Benennung der problematischen ökonomischen Situation der mehrheitlich kleinen Büros und kleinteiligen Arbeitseinheiten. Die Ergebnisse der Analyse bringen des Weiteren das Verhältnis der Umsätze zur Betriebsgröße zum Ausdruck. Daran wird ersichtlich, dass die Anzahl der Mitarbeiter nur bedingt für die Höhe der Umsätze ausschlaggebend ist (IDZ 2003, S. 18). Die folgende Grafik 3 zeigt die Verteilung und die Struktur der Betriebsgrößen. Von 1153 befragten Unternehmen weisen 962 eine Betriebsgröße von 1-5 Mitarbeitern auf. Zudem ist auffallend, dass äußerst wenige große (>50 Mitarbeiter) Unternehmen in Berlin ihren Standort haben. Grafik 3: Betriebsgrößen von Designbüros im Jahr 2003 Betriebsgrößen (N=1153 im Jahr 2003) 1000

Anzahl der Designbüros je Betriebsgrößengruppe

962 900 800 700 600 500 400 300 200

91

100

7

13

> 50

21 bis 50

47

33

0

11 bis 20

6 bis 10

1 bis 5

keine Angaben

Betriebsgrößengruppen

Quelle: IDZ 2003 Diese Dominanz der Kleinstunternehmen ist ein zentrales Kennzeichen der generellen Struktur des unternehmensbezogenen symbolintensiven Dienstleistungssegments Berlins. Die folgende Grafik 4 zeigt die Kundenstruktur der hier ausgewählten Untersuchungsgruppe. Die geringe Anzahl von Großunternehmern in Berlin

41

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

spiegelt sich generell im verhältnismäßig geringen Vorhandensein von industriellen, finanzdienstleistenden Großunternehmen wieder. Weniger anhand der Aussagen der einzelnen Grafiken als aus den Gesamtanalysen und -rechnungen des IDZ e.V. zeigt sich, dass Auftraggeber großer Designbüros mit 21 und mehr Mitarbeitern vor allem Großunternehmer (70 %) sind. Auftraggeber kleiner Designbüros mit ein bis fünf Mitarbeitern sind vorzugsweise kleine Unternehmen und Privatkunden (69,9 %). Die Herkunft der Auftraggeber zeigt, dass 38,9 % überwiegend regional gelagert sind und 34,7 % überwiegend national. Auch hier zeigt sich eine Parallelität zwischen der Größenstruktur der Auftraggeber und der Größenstruktur der Designbüros: Kleinunternehmer und Privatkunden bevorzugen dagegen generell kleine Designbüros. Grafik 4: Kundenstruktur der Designbüros im Jahr 2003 Kundenstruktur (N=1153 im Jahr 2003) 496

500 450

383

400

358 350

Anzahl

300

242

250 200

180

164

150 100 50 0

Großunternehmen

Mittlere Unternehmen

Kleinunternehmen

Privatkunden

Kulturbereich

öffentliche Auftraggeber

Kunden

Quelle: IDZ 2003 Die Analyse der räumlichen Verteilung der Designbüros (siehe folgende Grafik 5 auf Seite 43) zeigt eine eindeutige Konzentration auf die Innenstadtbezirke Berlins. Zudem zeigt sie, dass die Verteilung zwischen ehemaligen West- und Ostbezirken relativ gleichmäßig ist. Gut 70 % aller Büros nennen zentrale Innenstadtbezirke als ihre Geschäftsadresse, die meisten Büros befinden sich in Mitte (190), gefolgt von Kreuzberg (162), Charlottenburg (141) und Prenzlauer Berg (123). Betrachtet man getrennt davon die Entwicklungsraten der letzten Jahre, dann haben die Bezirke Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Mitte die höchsten absoluten Zuwachsraten zu verzeichnen; deutlich geringer sind sie in Charlot42

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

tenburg. Die höchste Zuwachsrate hat Friedrichshain, wo zwischen 2000 und 2003 ein Zuwachs von 30 % zu verzeichnen war. Zusammenfassend kann zum einen anhand der statistischen Auswertungen von Krätke geschlussfolgert werden, dass der Anteil der unternehmensbezogenen Dienstleister im Bereich der Kulturproduktion und Medienwirtschaft bundesweit generell gestiegen ist. Im Verhältnis zum Bund weist das Land Berlin überdurchschnittliche Zuwachsraten in diesem Segment auf, die sich durch einen Nachholeffekt erklären lassen. Die Binnenstruktur des Segments „Designbüros“ zeigt aber, dass in den vergangenen Jahren insbesondere in zentral gelegenen Bezirken Unternehmen mit 1-5 Beschäftigten gegründet wurden. Dieses Segment weist Umsatzzahlen auf, die eher auf kritische als auf saturierte Einkommensverhältnisse schließen lassen. Grafik 5: Räumliche Verteilung der Designbüros nach Bezirken Designbüros nach Bezirken (N=1153 im Jahr 2003) 200

190

180

162 Anzahl Dessignbüros je Bezirk

160

141 140

123 120 100 80

70

60

58

51

44

40

36

29

29

23

21 20

itt e

Pa nk ow

M

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0

Bezirk

Quelle: IDZ 2003

Das „Ich“ als Unternehmensform Von Mitte bis Ende der 1990er Jahre wurden durch die Förderpolitik der EU und des Bundes Unterstützungsleistungen für Existenz- und Unternehmensgründer bereitgestellt. Diese fanden ihren Niederschlag in Beschäftigungspolitiken, die sich mit dem Stichwort Ich-AG, Existenzgründer und Überbrückungsgeld verbinden lassen. Beschäftigungslosen wurde für unterschiedliche Zeiträume eine finanzielle Unterstützung zum Aufbau einer neuen selbständigen Beschäftigung angeboten (Doppler 2001; Koch/Wiessner 2003).

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Auch im Bereich der unternehmensbezogenen symbolorientierten Dienstleister schöpfte man zunächst Hoffnung, dass eine symbolproduzierende Branche daran partizipiere. Nach der Krise der New Economy in den Jahren 2000/01 formuliert Oliver Herwig im Branchenmagazin Design-Report: „Nichts aber illustriert den brutalen Absturz in die Krise so plastisch wie der Wechsel zweier Worthülsen. Zwischen Start-Up und Ich-AG liegen nur wenige Jahre, aber zugleich Welten. Die Fallhöhe vom Entrepreneur und Weltenbummler zum Alleinunterhalter im Abseits zeigt die Fieberkurve von Hoffen und Bangen hierzulande“ (Herwig 2003, S. 82). Erste Evaluierungen über den Erfolg der Ich-AG sind im Jahr 2004 oder im Verlauf des Jahres 2005 vorgelegt worden (Kleinen 2004; May-Strobl 2005; Wiessner 2005, S. 1-2). Helmut Kleinen kommt zu dem Schluss, dass „die Förderung der Bundesagentur in vielen Fällen – insbesondere bei den Ich-AGs – eine Art Initialzündung für den Schritt in die Selbständigkeit darstellt. Entsprechend bewirken diese Programme vermutlich eine große Anzahl von zusätzlichen Gründungen“ (Kleinen 2004, S. 23). Die im Mai 2005 addierten Ich-AGs beliefen sich im gesamten Bundesgebiet auf 235.936, wobei diese Gründungen, so Eva May Strobl, mehrheitlich den Dienstleistungsbereich betrafen (May-Strobl 2005, S. 5 u. S. 20). Über den Verbleib und die Nachhaltigkeit dieser Gründungen gibt es jedoch nur bedingt tragfähige und verlässliche Aussagen. Lakonisch kommentiert der Mitarbeiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, Frank Wiessner, im Jahr 2005 den Verbleib der Ich-AGs: „Nicht jeder Abbruch ist eine Pleite. Noch immer ist das Gros der neuen IchAGs in der laufenden Förderung. Doch auch die Geschäftsaufgabe muss nicht immer das Ende sein, der Förderabbruch nicht immer die Pleite. Selbständigkeit kann auch wertvolle Erfahrungen vermitteln“ (Wiessner 2005, S. 1-2). Detaillierte und breit angelegte Analysen zum Gründungsgeschehen und Verbleib nach Erhalt der Ich-AG-Förderung, des Überbrückungsgeldes und des Existenzgründerdarlehens im Bereich der symbolorientierten unternehmensbezogenen Dienstleister liegen nicht vor. Der Fokus bei Analysen des Gründungsgeschehens richtete sich meistens auf technische oder forschungsbasierte Gründungen und deren räumliche Effekte (z.B. bei Menzel/Fornahl 2005). Nicht nur in den Parteiprogrammen werden Anforderungsprofile an „neue Akteure“ artikuliert und programmatisch für die Stadt- und Wirtschaftspolitik Berlins vorgegeben. Ebenso wird in verschiedenen Printmedien Berlins ein neuer Typus von „Unternehmer“ vorgestellt. Katja Winkler und Jochen Becker beschreiben im Jahr 2001 Berlin als „Capital of Talents“ (Winkler 2001, Becker 2001), Mirko Heinemann die Ausbreitung der Ich-AG im Kulturbereich der Stadt Berlin (Heinemann 2002). Berlin gibt sich (noch) nicht explizit als „Stadt der Unternehmer“ zu erkennen. Das Handeln tonangebender Akteu44

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

re ist nach wie vor von einer Mentalität der staatlichen Subvention geprägt. Es schält sich jedoch sukzessive eine neue Form unternehmerischer Existenzentfaltung heraus, die durch den Staat und seine Förderinstrumente oder durch die Praktiken und Projekte „neuer“ Akteuren angestoßen wurde.

Fragestellung der Arbeit Es stellt sich daher die Frage, wie sich in Berlin Kultur- und Symbolproduzenten verorten. Im Zentrum steht dabei der Aspekt, wie an der Statuspassage „Unternehmensgründung“ „Place-Making“-Strategien organisiert und praktiziert werden. Das Ziel der Arbeit ist es, nach den subjektiven Bedeutungszusammenhängen zwischen Symbolproduzenten und ihren Vergemeinschaftungsformen in Berlin zu fragen. Die aus der Sicht der Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeographie sowie Raumsoziologie interessante Frage ist nun, welche Handlungsstrategien man aufgrund welcher impliziten und expliziten Wissensbestände diesen neuen kulturellen Unternehmern zusprechen kann. Welche örtlichen Vermittlungsagenturen benötigen sie – oder schaffen sie sich selbst –, um sich zu vernetzen, zu treffen und auszutauschen? Kurz, welche urbanen Orte brauchen sie oder stellen sie in Ermangelung geeigneter selber her? Welche Orte brauchen sie abseits traditioneller Verhandlungsinstanzen wie Arbeitsamt und Arbeitsmarkt, Berufs- und Career-Messen oder korporatistischen Vereinigungen, um Zugänge zu einem informell und uneinsehbar operierenden Markt herzustellen? Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass durchkapitalisierte Konsumorte keine nachhaltigen Gelegenheiten darstellen, um untereinander zu kommunizieren, sich zu vernetzen und präsentieren zu können. Neue kulturelle Unternehmer könnten – so eine leitende Argumentation – Sinnstifter einer dynamischen Alltagskultur sein. In der ist auch das Wissen um soziale und physische Räume der symbolischen-körperlichen Zugehörigkeit von zentraler Bedeutung. An diesen Orten grenzen sich professionelle Identitäten ab, formieren sich und entwickeln sich neu. Es gilt dabei nach den Handlungsvariationen zu fragen, die diese Akteure durch den Prozess der (An-)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen an den Tag legen. Zwei Thesen werden eingeführt und im weiteren Verlauf kontextualisiert sowie in eine Forschungsstrategie überführt: • Die versierte Verdichtung des Raums über Mikropolitiken an speziellen Orten spielt eine zentrale Rolle in der Positionierungspraxis der Akteure. • Prozesse der Vergemeinschaftung und die Integration in eine Szene erfolgen über die Lesbarkeit sowie die Erlebbarkeit räumlicher Codierungen – auch und gerade in dem Segment der kreativen Professionen.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die vorliegende Arbeit untersucht, inwiefern sich das Heraustreten eines neuen unternehmerischen Typus von Akteuren im Städtischen gerade durch die Einbeziehung des geographischen und imaginierten Raums erklären lässt. Ausgehend von einem jungen, äußerst heterogenen und noch weitestgehend unklaren Phänomen wird auf einer breiteren Basis analysiert, aufgrund welcher Rahmenbedingungen es zur Herausbildung dieses Typus kommen konnte. Dabei wird analysiert, inwiefern er eine Rolle bei der Herausbildung von neuen Ansatzpunkten und Verhandlungsweisen städtischer, ökonomischer und kultureller Modernisierungsprozesse einnimmt.

Konstruktion und Funktion der Räume der Entrepreneure – Interdisziplinäre Zugänge Der Bereich der heutigen Kreativwirtschaft entwickelte sich aus der Notwendigkeit unternehmensbezogener Dienstleistungsanforderungen, Identitäts- und Lebensstilfragen. Er repräsentiert dabei nicht nur einen hybriden Kulminationspunkt künstlerischen wie unternehmerischen Agierens, sondern muss auch als ein Vorreiter gesellschaftlicher Veränderungen und Normierungen angesprochen werden. Aus diesem Grund, so die Argumentation, eignet er sich exemplarisch für einen erweiterten und integrierenden Fokus auf die Untersuchung zum gesellschaftlichen Stellenwert von Entrepreneurship: Die Entscheidung, Unternehmer zu werden, sowie deren Vollzug eröffnen aus der Sicht des Akteurs empirische Fragen nach der Verräumlichung und der Vernetzung seiner sozialen wie unternehmerischen Praxis. Chris Steyaert und Jerome Katz schlagen eine konzeptionelle Betrachtung von „Unternehmertum“ vor, bei der „entrepreneurship is part of how societies, communities, and worlds are created, taking into account, besides economic criteria, social, cultural, political and ecological realities“ (Steyaert/ Katz 2004, S. 179 ff). Dabei wird offenkundig, dass die Erforschung des Phänomens „Entrepreneurship“ konzeptionell in einen sozialen Kontext eingebettet sein muss, so dass „society as a sociological abstract becomes […] translated in a spatiality and geography of entrepreneurship, pointing to such spaces as ,neighboorhoods‘, ,communities‘ or ,circles‘“ (ebd.). Ähnliche Ansätze, auf die im weiteren Verlauf noch detaillierter eingegangen wird, zeigen sich bei insbesondere Dieter Bögenhold (Bögenhold 1987; 1989; 1999a; 1999b; aber auch Faltin 2001). Im Zuge einer extensiven Transformationsforschung sind im Umfeld des Berlin-Brandenburger Instituts BISS zahlreiche Analyse der Rolle von Selbständigen und Unternehmer in Ostdeutschland entstanden (v.a. Hodenius 1997; Koch/Woderich 1992; Thomas 1997a; Woderich 1997). Silke Steets und Bastian Lange haben exemplarisch die Rolle von kulturellen Unternehmer in Metropolregionen analysiert (Lange 2005c; Lange/Steets 2002a; für Leipzig Steets 2005). 46

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

Die Stadt Berlin weist seit dem Jahr 2000 bis dato eine konstant hohe Beschäftigungslosigkeit zwischen 17-19 % auf und hat im Jahr 2005 einen mit 60 Milliarden Euro verschuldeten Finanzhaushalt, der im Grunde genommen kaum Spielraum für Investitionen lässt. In der Situation dieser sozioökonomischen Strukturkrise verweist das Schlagwort „neues Unternehmertum“ zum einen auf individualisierte Existenzstrategien, zum anderen aber auch auf das gekonnte Ausbalancieren zwischen staatlichen Transferzahlungen, kurzfristigen Jobs und Selbständigkeitsstrukturen. Diese müssen von immer mehr jungen Akteuren aus dem Bereich der Kulturproduktion praktiziert werden. Gerade der Beginn sowie die Startphase eines unternehmerischen Projekts lässt die Vermutung zu, dass diese mit einem jeweils veränderten Raumbedarf sowie finanziellen und sozialen Entwicklungsanforderungen verbunden sind. Durch die biografische Passage der Unternehmerwerdung verändern sich, so die Vermutung, die Vernetzungsbedingungen des personen- wie milieugebundenen Wissens. Unternehmensgründungen stellen somit eine Art Mikrokosmos dar. An ihm kann analysiert werden, mit welchen Sinnstrukturierungen und Sinnstiftungen, mit welchen unternehmerischen Praktiken und territorialen Verortungspolitiken im Kontext einer krisenbehafteten Rahmung das Projekt einer Unternehmungsgründung entwickelt wird. Dieses Moment eröffnet sodann analytische Einblicke in Vergemeinschaftungsformen und Mobilisierungspraktiken unterschiedlicher wissensbasierter und sozialer Ressourcen. Der Modus operandi jener Symbol- und Wissensproduktionen unterscheidet sich dabei radikal von den Verfahren traditioneller Universitäten, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Planungsinstitutionen. An deren Stelle treten zunehmend neue Formen der Wissensproduktion. Diese arbeiten mit „flüssigen“ Strukturen in Form von temporären und vernetzten Projekten, interdisziplinären Arbeitsgruppen, intermediären Akteuren sowie Arbeitsgruppen mit flachen Hierarchien. Darüber hinaus nehmen diese neuen Projektnetze auch für Wissensreproduktionspraktiken in den traditionellen Wissensinfrastrukturen eine Vorreiterrolle ein (Grabher 2004a; 2004b). Akteure, die in dem Kontext der Kreativwirtschaft arbeiten, neigen aufgrund ihrer intensiven sozialen Interaktion dazu, milieuartige Netzwerke zu bilden. Bei diesen kreativen Wissensmilieus handelt es sich um Vergemeinschaftungsformen, die eine erhöhte Binnenkommunikation aufweisen. Die Beteiligten an diesen Interaktionszusammenhängen sind sowohl beruflich oder durch eine bestimmte Form der Lebensführung wie durch neue wissensbasierte Handlungsfelder geprägt, z.B. durch gestaltungs- und anwendungsbezogene Wissenskulturen und Technologien. Hinzu kommt, dass sie verschiedene Lebensstile und Konsumorientierungen entwickeln. Diese wiederum erzeugen bestimmte Anforderungen an Wohn- und Lebensstandorte in Städten und beeinflussen kurz- und mittelfristig deren Strukturen. 47

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Von dem neuen Raumbedarf sowie der tendenziellen Befriedigung dieser sozioökonomischen und soziokulturellen Anforderungen an die Stadtstruktur (Wohnumfeld, Freizeit, Kultur, Urbanitätsbedürfnisse etc.) sind standortbildende Effekte zu erwarten. Diese wirken sich sowohl auf die wirtschaftliche als auch auf die gesellschaftliche Entwicklung in den Städten und ihr Image aus. Insofern sind die Wechselwirkungen zwischen diesen neuen Raumansprüchen und entsprechenden Raumangeboten als Chance für entwicklungsplanerisches Handeln im Rahmen einer integrierten, wissensbasierten Stadtentwicklung pro-aktiv zu nutzen. Im Fokus dieser Perspektive stehen damit neue, zum Teil überraschende Gegenläufigkeiten zwischen dem „Raum als Kontaktraum“ in Form von Face-to-face-Kontakten und den funktionalen und systemischen Räumen mit vielfältigen virtualisierten und medialen Raumformen, wie z.B. den „space of flows“. Die damit einhergehenden Raumtypen werden im Kontext der Herausbildung einer „Neuen Kulturgeographie“ im weiteren Verlauf ausführlicher diskutiert und behandelt.

Forschungsdesign, Vorgehensweise und Au f b a u d e r Ar b e i t Forschungsdesign Mit der Emergenz eines neuen Akteurs im städtischen Raum sind seine habituellen sowie sozialtypologischen Ausprägungsweisen, seine unternehmerischen Handlungspraktiken, seine subjektiven Wertzuschreibungen und seine generelle Strukturtypik nur unklar und empirisch nicht differenziert benannt. Es gilt einen geeigneten forschungsstrategischen Zugang zur Präzisierung des Begriffs „Culturepreneur“ zu entwickeln. Dabei ist die Frage zu beantworten, was anhand des jungen Gegenstands neu im Sinne des „Neuen“ ist? Wie verhält (oder unterscheidet) sich dieser Typus zu (bzw. von) bisherigen Konzeptionen und Repräsentationen wie „Avantgarde“, „Subkultur“ und „Künstlertum“? Welche darin eingeschriebenen Verständnisse von Ort und Raum geben sich hinsichtlich von, bzw. anhand der Typik des „Culturepreneurs“ zu erkennen? Aufgrund der relativen Breite und der definitorischen Ungenauigkeit wird „Culturepreneur“ als analytischer Suchbegriff verstanden. Es soll dadurch vermieden werden, eine fertige Meinung oder ein vorgefasstes Verständnis auf die Artikulationen dieses Akteurs zu übertragen. Dieses Verfahren ermöglicht, die dahinter stehenden funktionalen und lebensweltlichen Zuschreibungen des Typs „Culturepreneur“ präziser zu ermitteln. Es geht weniger darum, eine möglichst passfähige und unstreitbare Definition zu erarbeiten, als da48

THEMA, BEGRIFFE, FRAGESTELLUNG

rum, die Beziehungsnetze, die sich im Spannungsfeld zwischen kulturellen und sozialen Modernisierungsanforderungen, zwischen Stadträumen und örtlichen Konstituierungsprozessen innerhalb einer zunehmend postfordistischen Dienstleistungsökonomie entfalten, aus einer Akteursperspektive systematisch aufzuschließen. Die ökonomischen, kulturellen und sozial-räumlichen Praktiken und Ortspolitiken der neuen unternehmerischen Akteure werden als explorative Testfälle innerhalb einer offenen urbanen Laborsituation verstanden, in der sich insbesondere die Stadt Berlin befindet. In diesem Kontext könnte der im Fokus stehende Strukturtyp eine entscheidende Rolle als Inkubator und Attraktor für die Formierung neuer kreativer Szenen und Milieus einnehmen. So könnten deren kreative, künstlerische und innovative Unternehmenspraktiken gerade in deindustrialisierten, stagnierenden und problembehafteten Stadtteilen lokale Begabungen mit neuen kreativen Wissensbeständen und neuen Ideen kombinieren. Mit dieser feldaufschließenden Forschungsperspektive offenbaren diese „Testfälle“ aber ebenso Einblicke in die subjektiven Dispositionen dieser Akteursgruppe, ihre „Selbst“- und „Wir“-Zuschreibungen, die sich vor dem Hintergrund ihrer biografischen und lebens-weltlichen Sozialisationsmuster aufschichten.

Vorgehensweise und Aufbau Die Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, in einem ersten Schritt eine geeignete Forschungsperspektive zur empirischen Analyse eines neuen Sozialtypus zu erarbeiten. Die Diskussion zentraler gesellschaftlicher Diagnosen bezieht sich in Kapital Arbeit und Entrepreneurship in der Kreativwirtschaft zum einen auf modernisierungstheoretische Ansätze, zum anderen auf hegemoniekritische Ansätze zur Beschreibung des gesellschaftlichen Stellenwerts „kultureller Produzenten“. Die These der Individualisierung und Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktions- und Strukturbestandteile kann aber nur bedingt die Formen und Strategien der territorialen und sozialen „Wiedereinbettung“ im Giddens’schen Sinne erklären. Posttraditionale Vergemeinschaftungen orientieren und organisieren sich nach erlebnis- und lebensweltlichen Kriterien. Sie repräsentieren aufgrund ihrer strukturellen „Offenheit“ und „Eigenwilligkeit“ eine eigene Auffassung von „Welt“. Die Vereinnahmung gerade neuer Selbständiger in den Kreativbereichen für betriebliche Organisationsprozesse (Kreativität!), die Prekarität der höchstgradig individualisierten Lebenslagen sowie der mitunter hohe gesellschaftliche Stellenwert dieser expressiv ausgerichteten Akteursgruppe wurde insbesondere von hegemoniekritischen Gesellschaftsdiagnostikern analysiert. Vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel diskutierten Diagnosen zeigt sich, dass eine integrierte Analyseperspektive als notwendig und er49

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

kenntnisleitend erachtet wird. Sie muss sich auf subjektorientierte Beschreibungen der unternehmerischen Praxis beziehen sowie diese mit Fragen und Formen der Vergemeinschaftungen auf der sozialstrukturellen Mesoebene verknüpfen. Zur Erklärung von Entrepreneurship rücken, so wird im Kapitel Entrepreneurship und sozialräumliche Kontexte gezeigt, Netzwerke, Szenen und Milieus in den Fokus. Die Gründung eines Unternehmens, bspw. durch ein Individuum oder ein Mikrokollektiv, entfaltet sich in eine weitestgehend offene Struktursituation. Soziale Netze, Kundenkontakte und Informationskanäle müssen mitunter neu generiert oder neu definiert werden. Somit gilt es soziale Interaktionssysteme auf einer mikro- sowie mesologischen Ebene zu analysieren. Die dabei zum Tragen kommende Basiskonzepte „Praktiken“, „Handlung“, „Raum“ werden im Kapitel Handlungen – Praktiken – Raum vorgestellt. Das Resultat dieses Kapitels ist ein konzeptionelles Grundgerüst, von dem aus Fragen der lebensweltlichen Entfaltung in Form der Statuspassage „Unternehmensgründung“ vorgestellt und somit zielführend einer empirischen Überprüfung zugeführt werden können. Im anschließenden Kapitel wird das methodische Vorgehen der empirischen Feldarbeit vorgestellt. Dabei wird die erklärende Funktion der Empirie gegenüber den vorbestimmten Kategorien der herangezogenen Theorie diskutiert. Es wird zum einen erklärt, warum eine Positionierung der empirischen Untersuchung an der Statuspassage der Unternehmensgründung aufschlussreich ist. Zum anderen wird erläutert, wie der individuell-subjektive Vollzug einer Unternehmensgründung immer mit der Einbettung und Positionierung der dabei angewandten Praktiken auf einer mesokategorialen Ebene in soziale und professionelle Vergemeinschaftungsarenen verknüpft ist. Im Zentrum des darauf folgenden Kapitels stehen Fallanalysen, die das Feld aufschließen. Diese Fälle werden anhand ausgewählter minimaler und maximaler Kontrastierungen einer Überprüfung unterzogen. Die Fallrekonstruktionen stellen Variationen und Merkmalsausprägungen unternehmerischer Praktiken dar. Anhand durchgeführter Plausibilitätsüberprüfungen werden belastbare und empirisch begründete Aufschlüsse über Raumkonstruktionen von Symbolproduzenten in der Stadt Berlin vorgestellt. Die beiden letzten Kapitel fassen die Interpretationen zusammen und stellen die dabei gewonnenen Ergebnisse zum einen in den Kontext von Berliner Beschreibungen von Szenen und ihren Binnenlogiken. Zum anderen wird anhand der rekonstruierten territorialen Praxis dieser Akteure der Formenreichtum der Konstituierung von Orten und Szenen diskutiert. Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst.

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Ar beit und Entrepreneurship in der Kreati vw irtschaft – Diagnosen, Perspektiven und Forschungsansätze

Der Begriff Culturepreneur charakterisiert einen neuen unternehmerischen Typus. Die darin eingelassene Hybridität und Diffusität erfordert es, ihn als heuristischen Begriff anzusprechen. Um ihn genauer beschreiben zu können, wird in diesem Kapitel zunächst ein analytisches Suchkonzept vorbereitet. Arbeit und Entrepreneurship organisieren sich in einer globalisierten Kreativwirtschaft nach neuen Kriterien und Verfahren. Diese Veränderungen werden anhand paradigmatischer modernisierungs- und kulturtheoretischer sowie hegemoniekritischer Gesellschaftsdiagnosen diskutiert. Dabei stehen die Wechselbeziehungen zwischen Individuum und (Erwerbs-)Arbeit, Subjekt und Produktion im Vordergrund. Der Figur des Entrepreneurs und ihren veränderten Rollen- und Wertzuschreibungen im Bereich der Kreativwirtschaft kommt eine zentrale Stellung zu. Sie repräsentiert den Übergang von dauerhafter (Erwerbs-)Arbeit zu flexiblen Einkommensformen sowie einen neuen Modus der Existenzermöglichung im Kontext von Modernisierungsprozessen. Dabei geben sich Transformationsprozesse von einer Gesellschaft der (Erwerbs-)Beschäftigten und Angestellten hin zu Formen, Praktiken und Technologien des unternehmerischen Selbst (Bröckling 2002a; 2002b) zu erkennen. Zunächst wird im ersten Teilkapitel vor dem Hintergrund modernisierungstheoretischer Ansätze nach den professionellen Erfordernissen an Akteure der Kreativwirtschaft gefragt. Kreativität repräsentiert in diesem Zusammenhang ein gesellschaftliches Leitmotiv und Paradigma, das neue Anforderungen an das Individuum und dessen Selbst-Verständnis richtet. Dadurch wird ein einen zentralen Aspekt beleuchtet: die vielfältige Integration

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

des kreativen individuellen Potenzials diffundiert in organisatorische, betriebswirtschaftliche und unternehmerische Steuerungspraktiken. Gesellschafts- und hegemoniekritische Ansätze verweisen dagegen auf die Ausstrahlung und Folgen der Diffusion der Kreativität in weite Teile der heutigen Ökonomie. Kreativität war an Trägergruppen von nicht-konformen Denk-, Artikulations- und Expressionsweisen gekoppelt. Diese Ansätze weisen darauf hin, dass die Verwendung künstlerischer Positionen sowie Kreativität generell für die Etablierung eines gesellschaftlich getragenen und akzeptierten unternehmerischen Selbst in der Phase des Spätkapitalismus konstitutiv und systemstabilisierend ist. Die Funktion des Entrepreneurs wird von politischer und wissenschaftlicher Seite oft als Inkubator für städtische und regionale Entwicklung aufgefasst. In einem weiteren Teilkapitel werden verschiedene Entrepreneurtypologien differenziert und die in diesen Entrepreneurkonzeptionen verankerten normativen und personalen Zuschreibungen herausarbeitet. Entrepreneure im Bereich der wissensbasierten Kreativwirtschaft – so die These – geben sich als strukturelle Entrepreneure ihrer Selbst zu erkennen.

Modernisierungsanforderungen und Individualisierungsaufforderung Individuum und Arbeit in modernisierungstheoretischen Diagnosen Modernisierungstheoretische Diagnosen basieren im Wesentlichen auf Beobachtungen und Analysen der Gesellschaft, bei denen ein signifikant neues Verhältnis zwischen Individuum, Gemeinschaft und Staat erkennbar ist. Ausgangspunkt jeglicher Frage nach Prozessen der Vergemeinschaftung ist die von Ulrich Beck formulierte Diagnose einer „Individualisierung der Gesellschaft“ in der Spätmoderne. Er spricht dabei eine entstrukturierte, städtische Gesellschaft an, deren Lebenswirklichkeit nicht nur hochgradig individualisiert und subjektiviert, sondern auch ebenso hochgradig ambivalent ist (Beck 2001, S. 17 ff., Beck/Giddens/Lash 1994, Hitzler/Honer 1994, S. 307 ff.). Aufgrund zahlreicher sozialstruktureller Unberechenbarkeiten, verlorener gemeinschaftlicher Verlässlichkeiten und einer oberflächlich betrachteten Multioptionalität sieht sich das Individuum einer Vielzahl von Handlungsalternativen und -entscheidungen ausgesetzt, die ihm gesellschaftliche Verortungen ermöglichen sollen. Becks Diagnose zufolge ist das Individuum aus den bekannten sozialstrukturellen Sicherheiten wie Kirche, Gewerkschaften und Verbänden und zunehmend auch aus dem Familienbund herausgefallen. Es muss sich mit dem nun umfangreicher zur Verfügung stehenden Zeitvolu52

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

men für sinnhafte und -strukturierte soziale Zusammenhänge entscheiden. Diese garantieren ihm zeitlich flexible soziale Integrationsmöglichkeiten. Diese Diagnose wird gestützt durch die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Individuum und (Erwerbs-)Arbeit in der Spätmoderne. Erwerbsarbeit war als wesentlicher Stützpfeiler von Identität lange Zeit ein unhinterfragter Konsens der Leistungsgesellschaft. Die Annahme eines gesellschaftlich anerkannten Berufs, die Aufnahme in eine entsprechende Ausbildung und berufliches Fortkommen ermöglichten wirtschaftliche Unabhängigkeit, Familiengründung und gesellschaftliche Integration. Gegen dieses bürgerliche sowie zugleich männliche Normalmodell und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung setzen sich weibliche Emanzipationsbestrebungen im Rahmen der Gleichberechtigung der Arbeitswelt politisch zur Wehr. Die wirtschaftlichen Rezessionen in Europa in den 1990er Jahren sowie die Identifizierung der Arbeitslosigkeit als das bestimmende Zukunftsproblem der Jugendlichen markierten eine zentrale Veränderung in der Bewertung von Erwerbstätigkeit gerade von jüngeren Menschen (Shell 1997, S. 293 ff.). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die für die Organisation von Arbeit relevanten Institutionen innerhalb des „Modells Deutschland“ noch auf Vollbeschäftigung ausgerichtet sind, setzten diese lange Zeit eine bestimmte Art gesetzlich typisierter Arbeitsbiografie voraus (Beck/Giddens/Lash 1996, S. 87 ff). Es ist bisher nicht gelungen, diese Institutionen auf die veränderten Arbeitsbedingungen einzustellen. Kurz vor Auslaufen des „Modells Deutschland“ sind daher auch die sozialen Sicherungssysteme in eine Krise geraten, die sich systemimmanent kaum noch bewältigen lässt (Plumpe 2005, S. 12– 13). Erwerbstätigkeit, so eine Schlussfolgerung, kann als alleinige Quelle der Identitätsbildung in der Phase der Spätmoderne analytisch daher nicht in Frage kommen. Diskontinuierliche Berufsverläufe, individuell begründete Statuswechsel, Rückgriffe auf traditionelle Rollenmuster und diffuse Identitätsstrategien sprechen für vielfältige Reaktionen auf diese strukturelle Krise. Diese Handlungsvollzüge haben das Ziel, flexibel auf neue, externe und nicht selbst gelenkte Situationen innerhalb eines heterogenen Arbeitsmarkts zu reagieren. Der strukturelle Wandel der Erwerbsmuster und der beruflichen Lebensprojekte beim Übergang zur nachindustriellen Gesellschaft führt dazu, dass der/die Einzelne immer mehr zum „Handlungszentrum und Planungsbüro“ seiner selbst werden muss (Beck 1986, S. 217). Das Individuum wird zur zentralen Instanz der eigenen Lebensführung. Rudolf Woderich zufolge wächst dem „Dispositiv beruflicher Selbständigkeit in seiner Musterhaftigkeit und handlungsleitenden Orientierungsfunktion auch dann eine neue, bislang nicht gekannte gesellschaftliche Bedeutung zu, wenn der einzelne die Option einer Existenzgründung nicht wahrnimmt“ (Woderich 1997, S. 213). Damit bringt Rudolf Woderich zum Ausdruck, dass veränderte Erwerbsbiografien 53

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

und berufliche Selbständigkeiten nicht nur als Resultat veränderter Wirtschafts- und Produktionsstrukturen sowie sozialstaatlicher Deregulierungen anzusprechen sind. Sie sind das Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses, der in Materialisierungen (z.B. Printmedien) an Akzeptanzbedingungen neuer gesellschaftlicher Formationen – in diesem Fall der breiten beruflichen Selbständigkeit als Erwerbsmöglichkeit – arbeitet. Der beruflichen Selbständigkeit kommt somit aus modernisierungstheoretischer Position eine erklärende Aufgabe zu: In einer Phase des gesellschaftlichen Systemumbruchs, wie dies am Beispiel der Erwerbsarbeit skizziert wurde, vermittelt sie das Entstehen neuer beruflicher Gelegenheitsstrukturen. Sie verhandelt die Konzeptionalisierung von neuen beruflichen Entwicklungspfaden in breite gesellschaftliche Teile hinein. Dabei gewinnen neue fachliche Qualifikationen und soziale Ressourcen in der Bewältigung dieser Aufgaben an Relevanz. Von der Perspektive einer gesellschaftlichen Transformation und einer Umbruchphase von Erwerbsarbeit auszugehen heißt dann, berufliche Qualifikationen gegenüber nicht-beruflichen, aber im Erwerbsleben erworbenen Qualifikationen neu zu gewichten. Dies gilt ebenso für die Einbeziehung von in der Freizeit erworbenen Ambitionen, Stilsicherheiten und Aktivitätsmustern, die im Zuge des gesellschaftlichen Wertewandels neu in Wert gesetzt werden können und bisweilen müssen. Fragen des sozialen und kulturellen Kapitals in Form von Kontaktnetzwerken fungieren gerade bei beruflich Mobilen und Quereinsteigern als „Einstiegsbillet“ in die wirtschaftliche Selbständigkeit (Woderich 1997, S. 231). Dieser Sachverhalt ist maßgeblich durch Mark Granovetter vorgestellt worden, der früh die Bedeutung und den Stellenwert von formellen und informellen Kontaktnetzen für das Auffinden einer Erwerbsquelle thematisiert hat (Granovetter 1974). Gerade beim Aufbau einer beruflichen Identität stehen also nicht nur Qualitäten von objektiven Ressourcenlagen, wie z.B. kodifiziertem Wissen, erworbenen Qualifikationen, absolvierten Bildungswege und formalen Zertifikate zur Disposition. Gerade aufgrund der zum einen diagnostizierten fragilen wie pluralen beruflichen Verwirklichungsoptionen stehen ganz wesentlich Fragen des sozialen Ressourcenfundus im Vordergrund: Dies können entwickelte soziale Netze und kontaktdichte Vergemeinschaftungsformen sein, denen aus einer analytischen Perspektive eine wegweisende Erklärungsfunktion zukommt. Unter den Bedingungen forcierter technologischer und kultureller Umbrüche sowie des ordnungspolitischen wie institutionellen Umbaus des Staates (Transformationsstadt Berlin!) stellt Heinz Bude fest, dass neue unternehmerische Praktiken der Erwerbsexistenz ein hochrelevantes Lebensereignis offenbaren. Dies führt auch zur Neuausrichtung biografischer Projekte und Konstrukte (Bude 1985, S. 84 ff).

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ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

Posttraditionale Gemeinschaften Aus der Perspektive neuer Professionalisierungswege erfahren individuelle und kollektive Fähigkeiten der Generierung, der Pflege und der Verstetigung von sozialen Netzen einen neuen erklärenden Stellenwert. Insbesondere Ronald Hitzler und Manuela Pfadenhauer konstatierten im Anschluss an Zygmund Bauman „posttraditionale Gemeinschaften“ (Bauman 1995, S. 19) als ein Gesellungsgebilde, das konzeptionell und analytisch im Anschluss an die Behauptung einer individualisierten Gesellschaft zu erklären versucht, nach welchen Regeln, Praktiken und Verfahrensweisen sich Prozesse der Vergemeinschaftung vollziehen. Posttraditionale Gemeinschaften unterscheiden sich von „eingelebten und überkommenen Gemeinschaften“ insofern, so Ronald Hitzler und Manuela Pfadenhauer, als die Mitgliedschaften jederzeit kündbar seien und auf einem freien Entschluss basierten (Hitzler/Pfadenhauer 1998, S. 83 ff. sowie das Kapitel „Szene“). Diese neuen Formen bilden, laut Zygmunt Bauman, eine „vorgestellte beziehungsweise ästhetische Gemeinschaft“. Sie bietet kurzfristig die Illusion, kohärent hinsichtlich der Urteilsbildung zu sein, und besitzt, da sie wenig institutionelle Sanktionspotenziale aufweist, Autorität, so lange ihre Mitglieder ihr diese Autorität zuweisen. Der von Zygmunt Bauman formulierte veränderte Machtaspekt basiert auf dem Potenzial der Verführung bzw. auf der per Definition freiwilligen emotionalen Bindung der sich selbst als Mitglieder verstehenden Akteure.

De-, Ent- und Reterritorialisierung des Sozialen Das Auseinanderbrechen lebensweltlicher Bezüge auf der gesellschaftlichen Mikro- und Mesoebene wird von Kulturtheoretikern als ein Resultat der Entnationalisierung der Produktion, des globalen Kapitalverkehrs sowie der transnationalen Arbeitsmigration angesprochen. Die Konstituierung und Neuformierung sozialer Bezüge vollzieht sich unter nach-traditionalen Bedingungen der Spätmoderne nach neuen sozialen und räumlichen Einschluss- und Ausschlusskriterien. Die sukzessive Entkoppelung von Territorium und wirtschaftlichen Produktionsprozessen, Raum und Kommunikation sowie Nationalstaat und politischen Handlungsspielräumen kann nicht mehr eine kohärente nationale Identität bereitstellen. Ein sich nicht mehr durch seine Landesgrenzen legitimierendes kulturelles Konstrukt Staat erfuhr in der Vergangenheit einen Souveränitätsverlust. Er musste neue politische Narrative und veränderte kulturelle Identitätspolitiken artikulieren und entwickeln. Auf dieser übergeordneten Maßstabsebene haben Kultur- und Globalisierungstheoretiker, wie z.B. Arjun Appadurai, auf Konstituierungsprozesse von Nation, Kultur und Staat hingewiesen. In modernen Nationalstaaten haben es55

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senzialistische Kategorien wie Sprache, Blut, Boden und Rasse bei der Herausbildung einer individuellen, staatlichen oder institutionellen Identität keinen derart konstitutiven Charakter mehr. An deren Stelle sind inzwischen kulturelle Produkte und kollektive Imaginationen getreten (Appadurai 1992, S. 297). Diese können zweifelsohne für nationalistische Interessen und politische Regime Verwendung finden. Aus der Perspektive einer Kulturanalyse aber interessieren Fragen der kulturellen Differenzierung, deren Artikulationen sowie die sich dabei vollziehenden territorialen und sozialen Verortungspraktiken. Gesellschaftliche sowie kulturelle und sozialräumliche Ausdifferenzierungsprozesse haben im Zeitalter einer globalen kulturellen Ökonomie zu vielschichtigen Beziehungsnetzen abseits der bekannten nationalstaatlichen (Be-)Grenzungs- und Ordnungssysteme geführt. Technologisch explosive Entwicklungen haben zudem ungleiche Geschwindigkeiten der Aneignung, Verwendung, Interpretation und Nutzung neuer Produktionsmittel ermöglicht und dabei andere Geographien produziert. Daran knüpft auch die Feststellung von Helmuth Berking an, der darauf hinweist, dass die „Auflösung der heiligen Einheit von Territorialität und staatlicher Souveränität“ durch die „Rekonfiguration von Territorialität bestimmt“ ist (Berking 1998, S. 387). Orte, Lokalitäten und ortsbezogene Wissensbestände und Handlungsmuster sind nicht nur hinsichtlich ihrer Verfasstheit von verschiedenen Kontexten und Rahmungen abhängig. Die Globalisierung erzählt von der Auflösung von Orten und der Durchlässigkeit von Grenzen. Sie ist somit als ein machtvoller Diskurs um die Wirkungsmächtigkeit von Orten und lokalen Wissensbeständen aufzufassen, spricht aber nicht vom faktischen Verschwinden des Ortes, sondern von Formen seiner veränderten Konstitution (Berking 2006). Die Behauptung der Neukonstituierung von sozialen und sozialräumlichen Beziehungen hat Auswirkungen auf die weitaus flexibler und vielschichtiger sich vollziehenden Lebensführungen und -praktiken. Sie gehen mit subjektiv neu zu bewertenden Optionslagen der beruflichen und lebensweltlichen Sinnstrukturierungen einher. Dies gilt im Besonderen für zunehmend destandardisiert verlaufende Lebensentwürfe und berufsbiografische Diskontinuitäten. Sie sind empirisch belegte Diagnosen im Bereich der Berufswelt des Postfordismus (Keupp 2002, S. 8-12, Voswinkel/Kocyba 2005, S. 73-75). Die sich dabei artikulierenden strukturellen Prekaritäten sind Bestandteil einer Arbeitswelt, in der berufsbezogene Grenzen und Grenzen festgelegter Stellenanforderungen sich auflösen (Voswinkel/Kocyba 2005, S. 75). Diese sachliche Entgrenzung heißt aber auch, dass multifunktionaler Einsatz und flexible Arbeitsbereitschaft erwartet werden. In Erwartung dieser Arbeitswelt gestaltet sich die Wahl eines Berufs nach neuen Kriterien. Gerade Akteure in neuen Dienstleistungssegmenten sind als Vorreiter für neue Berufsmuster zu verstehen und nehmen die Funk56

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

tion eines Rollenmodells ein. Dies gilt ganz wesentlich für die medial hervorgehobenen Akteure aus dem Dienstleistungssegment der urbanen Kreativwirtschaft. Die Analyse dieser Entwicklungsverläufe muss, so zeigte das vorangegangene Kapitel zum Stellenwert von sozialen Praktiken, ebenso subjektivbiografische Bedingungen wie strukturelle Rahmungen berücksichtigen (Löw 2001, S. 219). Dabei müssen sie gegen den Zwang der Entscheidung zu eben neuen individuellen, sozialen und beruflichen Entwicklungswegen aufgrund entwerteter Sicherheiten der bekannten Traditionsbestände abgewogen werden (Funke/Schroer 1998). Der dabei im Zuge der modernisierungstheoretischen Diagnosen artikulierte Rückzug des Staates ist ambivalent zu bewerten: Zum einen vollzieht sich gesellschaftlicher Wandel zeitlich betrachtet permanent, wenngleich in den vergangenen Jahren zunehmend schneller und subtiler. Man muss daher präziser nach den neuen Dynamiken dieses Wandels und seiner Konsequenzen fragen. Zum anderen verweist die Metadiagnose des Rückzugs des Staates nicht auf dessen vollständiges Verschwinden. Vielmehr lässt sich feststellen, dass parallel zum Abbau staatlicher Leistung dieser im Gegenzug dazu dem Bürger den Aufbau neuer selbst organisierter Leistungen abverlangt. Dies ist im Kern das Programm der modernisierungstheoretischen Ansätze, bei denen Modernisierung als Handlungsproblem verstanden wird (Hitzler/ Honer 1994). Vor diesem Hintergrund wurden notwendige soziale Regulative und Gewissheiten partiell delegitimiert und außer Kraft gesetzt. Neue Institutionen und Ordnungsmuster der beruflichen Integration allerdings sind noch nicht hinreichend etabliert. Die diagnostizierten Modernisierungsprozesse sind an zahlreiche Aufforderungsoptionen auf der Ebene des Individuums und der sozialen Mesokategorien gekoppelt. Dies trifft im Besonderen auf den Stellenwert von neuen Formen der beruflichen Selbständigkeit zu. Wenn ehemals vorgezeichnete Berufswege und Berufsbilder nicht mehr Vorbildcharakter haben und als Rollenmodell fungieren, auf was bezieht man sich in der Spätmoderne bei der Frage der beruflichen Entwicklung und Verwirklichung? Diese Frage lenkt den Blick auf situative Komponenten der unternehmerischen Selbständigkeit und das sich dabei artikulierende Gründungsgeschehen. Das gesellschaftliche Leitmotiv der Kreativität markiert ein wesentliches Element der Bewältigung von Statuspassagen im Verlauf der beruflichen Sozialisation sowie – als Spezialfall – der unternehmerischen Selbständigkeit. Diese artikulieren sich in neuen Ökonomiefeldern.

Kultur in der New Economy Der Begriff New Economy steht für eine Vielzahl von Unternehmensgründungen mit reichhaltigen Kapitalbeständen im Bereich Informations- und 57

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Kommunikationstechnologien. Diese gaben zwischen den Jahren 1995 und 2000 Hoffnung für einen ökonomischen Aufschwung. Die Erwartungen endeten mit dem Zusammenbruch des Neuen Markts in den Jahren 2000 und 2001. Insbesondere das Land Berlin hatte sich davon beschäftigungswirksame Effekte erhofft, die aber nicht eingelöst wurden. Die New Economy wurde als eine technologisch determinierte Form des Wirtschaftens verstanden, ebenso aber als Projekt, eine Erzählung über neue Verhältnisse von Arbeit, Konsum und Handel, das durch vielfältige Repräsentation und medial vorgetragene Diskurse vermittelt wurde. Von diesen Diskursen waren, ähnlich vom Metanarrative Globalisierung, wirkungsmächtige Effekte auf die Formen der Arbeit und der Vergemeinschaftungen, kurz, auf die (Arbeits-)Kulturen einer Gesellschaft zu erwarten. Forciert wurden diese Diskurse der New Economy durch unterschiedliche gesellschaftliche Akteure, von Politikern, Akademikern, Künstlern und Intellektuellen, von den Medien und vor allem von den Praktikern in der Industrie, von Management- und Unternehmensberatern. Sie erzählen von der Entwicklung der dot.com-Firmen, des e-commerce und von der Neuformierung industrieller Sektoren. Im Vordergrund steht dabei eine nachhaltige Transformation der gesamten Wirtschaft. Der Kern dieser Transformation besteht darin, dass sich die Ökonomie zunehmend in „Kulturen“ auflöst, in Arbeits- und Firmenkulturen, in Branding, Marketing und Public Relations, d.h. in immaterielle Vermögenswerte. Kommunikation, Information, Wissen und intellektuelles Eigentum erhalten in der New Economy einen neuen, herausgehobenen Stellenwert. Im Mittelpunkt stehen Symbole, Zeichen und Codes sowie die Kommunikation und Erfahrbarkeit dieser Produkte in neuen sozialen Beziehungsstrukturen, wie bspw. Netzwerken, Milieus und Szenen (Drucker 1993, Leadbeater 1999 und v.a. Scott 1999). Bisweilen wurde in den Repräsentationen ein utopisches Bild der New Economy gezeichnet. Begriffe wie Kultur und Kommunikation blieben undefiniert und wurden konzeptionell nicht beleuchtet. Gerade diese aber bilden einen zentralen Kern des neuen Handlungsfeldes der New Economy. Wolfgang Kaschuba hat kritisch darauf hingewiesen, dass die Kulturalisierung dieses neuen Handlungsfeldes soziale Gegensätze und soziale Konflikte unter dem Deckmantel der Kultur verschwinden lässt (Kaschuba 1995). Die damit einhergehende Hinwendung zur These der Auflösung von Ökonomie in Kultur ist bisher nur in ihren Konturen thematisiert worden (Götz/Wittel 2000; Wittel 2001). In der vorliegenden Arbeit werden Merkmale eines neuen Unternehmerstrukturtypus vorgestellt. Sie zeigen vor dem Hintergrund empirisch zu ermittelnder Merkmalsausprägungen, wie sich Prozesse der (Re-)Kontextualisierung von Kultur und Stadt vollziehen. Ein analytischer Zugang zu Kultur stellt sich ein, wenn gefragt wird, wie es in einem Prozess der Reflexion über Kultur zur Produktion von Kultur kommt. Eine Analyse fokussiert dabei we58

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

niger auf sich vollziehende Veränderungen, als vielmehr auf die Frage, wie politische, wirtschaftliche und unternehmerische Strategien zur Wegbereitung von zukünftigen soziokulturellen und urbanen Veränderungen vollzogen werden. Eine rein kulturalistische Perspektive würde Gefahr laufen, institutionelle und politische Veränderungen als kulturelle Veränderungen anzusprechen. Gleichwohl lassen sich kulturelle Artikulationen in Form von partikularen Organisationsformen und -praktiken als etwas ansprechen, was eingebunden ist in ein übergeordnetes Wertesystem und dabei Aufschluss über institutionelle Neuordnungen gibt. Kultur wird in Anlehnung an Zygmunt Bauman als grundsätzlich ambivalent aufgefasst (Bauman 1999, S. xiii). Sie ist immer zugleich Struktur und Praxis, Kontinuität und Wandel, Ordnung und Chaos, determiniert und nicht determiniert, Muster und Kontingenz, Routine und Kreativität. Diese Paradoxie ist Bauman zufolge in allen kulturtheoretischen Diskursen seit der Aufklärung angelegt. Beide Seiten waren aber nicht immer gleichberechtigt erkennbar. In den strukturalistisch ordnungspolitisch geprägten Raumanalysen wurde eher die beschränkende, das heißt die beständige, stabilisierende und ordnende Funktion von Kultur in den Vordergrund gestellt. Aspekte wie Routine und Alltag, Struktur und Tradition, Kontinuität waren wichtiger als ihre Gegenüber, also Kreativität, Praxis, Kontingenz und Chaos. Die sich im Zuge der New Economy ausbreitende Definition von Kultur artikuliert sich bspw. im zeitgenössischen Kulturmanagement. Es betont insbesondere die andere Seite der Ambivalenz, die Freiheit und Machbarkeit von Kultur. Die New Economy forcierte, neben ihrer technologischen Innovation, einen wirkungsmächtigen Diskurs, aber auch eine konkrete Praxis, in dem sie die Kulturalisierung der Industrie beschreibt. Der Begriff „Kulturalisierung der Industrie“ bedeutet, dass innerhalb der Industrie bzw. des ökonomischen Feldes Kultur – ebenso wie Technologie und Arbeit – als Produktivkraft eingesetzt wird und dabei die Rolle eines sog „change agent“ zur Maximierung von Produktivität zugewiesen bekommt (Strathern 1995, S. 2). Die Produktivkraft Kultur erfährt insbesondere in der Analyse der kulturellen Logik des Spätkapitalismus von bspw. Fredric Jameson eine herausgehobene Beachtung (Jameson 1991). Die Phase, die er als Spätkapitalismus bezeichnet, unterscheidet sich von ihren beiden Vorgängerinnen Marktkapitalismus und Imperialismus durch eine „prodigious expansion of capital into hitherto uncommodified areas“ (Jameson 1991, S. 36). Jameson meint, dass sich das Kapital in Bereiche ausdehnt, die bislang nicht dem Verwertungsprozess unterworfen waren. Diese sind Bereichen der Kultur zuzuordnen, wobei Kultur hier in einem umfassenderen und anthropologischen Sinn gemeint ist. Die Produktivkraft Kultur bezieht sich auf einen Prozess, der sich nicht im Sinne von Pierre Bourdieu in der Sphäre der Stile und des Geschmacks orientiert, sondern vor allem die bewusste Konstruktion, Veränderung und Manipulation 59

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

von Kultur betont. Aufgrund des konstruktiv-manipulativen Charakters erfährt die Produktivkraft Kultur eine zu formende soziale Gestaltungsgröße, die Bedeutungen zu produzieren in der Lage ist. Darüber können Distinktionen, aber auch Nivellierungen und soziale Integrationen gezielt gesteuert werden. Aus dieser Perspektive ist Kultur nicht nur eine Bestimmungs- und Steuerungsgröße zur Steigerung des Konsums von kulturellen Gütern. Sie wird vor allem als kulturelles Wissen zur Gewinnverbesserung von Unternehmen eingesetzt und angewandt. Dadurch gibt sich eine Entwicklung zu erkennen, in der sich die vormals getrennt gegenüberstehenden Felder Kultur und Ökonomie in ein neues Verhältnis setzen. Es wäre jedoch verkürzt, den Wandel des Verhältnisses von Kultur und Ökonomie als Prozess einer zunehmenden Auflösung der Ökonomie in Kultur zu beschreiben. Ebenso ist eine Ökonomisierung der Kultur zu beobachten. Im Zeitalter der New Economy hat die Kommerzialisierung auch die anthropologischen Dimensionen von Kultur erfasst. Das heißt, die Kommerzialisierung von Kultur erstreckt sich nicht nur auf materielle Kulturleistungen, wie z.B. auf kulturelle Güter, Waren und Produkte. Dieser erweiterte Kulturbegriff definiert die immateriellen Bereiche von Kultur neu: Gemeint sind nun Bedeutungen, Werte und Normen, Ideen, Diskurse und Informationen, soziale Beziehungen, alltägliche Routinen sowie Praxen und Wahrnehmungen. Diese immateriellen Bereiche von Kultur sind zur Ware und zur Produktivkraft geworden. Die skizzierte Dualität artikuliert sich in einem verstärkten Interesse von Unternehmen an Kultur: Unternehmenskulturkonzepte beziehen sich sowohl auf Bedeutungsproduktion, v.a. auf innerorganisatorische Gemeinschaftsbildung, Teamgeist und ethische Werte, aber auch auf sog. „social engineering“. Diese Praktiken zielen darauf ab, Differenzen zwischen Individuen mit unterschiedlichen Interessen und der Organisation bzw. den Organisationsleitenden kulturell in einen gemeinschaftlichen strategischen Wertekanon einzubetten. Ist dieser gesetzt, ergeben sich daraus strategische und disziplinierende Steuerungsressourcen. Das ist nicht grundsätzlich neu, doch ist das Interesse am Aufkommen der Unternehmenskulturdebatte Anfang der 1980er Jahre laut George Marcus auf einer neuen Ebene angekommen: „Now with a particular value given to the notion of ,corporate culture‘, human relations seem no longer to be just the ,soft‘ framework for the discourse of liberal experts and social critics of corporations in relation to how they treat labor, nor only the preserve of public relations departments and corporate philanthropy in the effort to present capitalism with an ethical, socially responsible face. Rather, values, norms, collective ethos, authority in personal relations, and participatory structures of groups now seem to be a salient and very serious frame of thinking for corporate managers at all levels. What was once primarily the intellectual capital of opposi-

60

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

tional groups or critics of corporations now seems to be appropriated by corporate leadership as integral yet ambivalent characteristic of their own thinking“ (Marcus 1998, S. 5).

Unternehmenskultur- und neuere Managementkonzepte sind, Marcus zufolge, zu Steuerungs- und Disziplinierungsinstrumenten avanciert. Eine gezielte Praxis der Verflachung von Hierarchien in neuen Organisationen und Unternehmen bringt am augenfälligsten die Ambivalenz der nach wie vor hierarchisch strukturierten Unternehmenseinheiten zum Ausdruck. Gerade in dieser Kultur der Hierarchieausgleichung verbindet sich ein utopisches Moment der New Economy, die mit innerbetrieblichen Kulturalisierungsstrategien eine sog. „corporate culture“ generieren wollte, um indirekt Leistungsbereitschaft zu erhöhen und Widerständen gegen Arbeitszeitentgrenzungen zu begegnen. Der Kern der Produktivkraft Kultur gibt sich in der Gestalt von vielfältigen neuen Professionen zu erkennen, die an medialen und nach außen gerichteten Bedeutungsproduktionen arbeiten. Der Prozess des sog. „branding“ bspw. beschreibt Codierungsprozesse von Gegenständen, Unternehmen, Städten, Orten, Institutionen, Waren und Personen, an deren Image, Identität und Identifizierungsform gearbeitet wird. Daran lagern sich Werte, Weltanschauungen und Lebensstile, aber auch Produktionsbedingungen an. Die ab Mitte der 1990er Jahre schnell aufstrebenden dot.com-Firmen verkörperten diese Kulturproduktionen. Sie brachten aber nicht nur neue Produkte auf den Markt, sondern verbanden ihren Auftrag auch mit dem Anspruch, als Repräsentanten des neuen Markts sinnstiftend zu wirken. Dabei deutete sich ein fundamentaler Richtungswechsel an. In der New Economy gerät nicht Management, sondern Sinnproduktion zur Hauptaufgabe von Führungskräften. Die Produktivkraft Kultur bezieht sich in der Phase des Spätkapitalismus auf eine Produktivitätsmaximierung durch die Integration von soziokulturellem Wissen in den Arbeitsprozess, der zunächst von betriebswirtschaftlichem und technischem Wissen dominiert wurde. Kulturelles und soziales Wissen erfuhren in dieser Phase des Aufstiegs der New Economy einen Bedeutungsgewinn. Dabei bestand die Aufgabe darin, technisches Expertenwissen mit sozialem, betriebswirtschaftlichem Verfahrenswissen und mit kulturellem Wissen zu verkoppeln. Unternehmen wurden als Familienverband, als Wertegemeinschaft, kurz als soziale Gebilde mit einem eigenen Binnenleben, mit Regeln, Normen und Ritualen soziologisiert. Es galt mehrheitlich immaterielle Vermögenswerte, sog. „intangible assets“, also Ideen, Informationen und Beziehungen zu entwickeln, die als Motor der New Economy weder planbar noch technizistisch steuer- und formbar sind. Dadurch erfuhren Fähigkeiten um das Wissen zur Lenkung von Organisationen und der inner- und zwischenbetrieblichen Beziehungen einen zunehmend hohen Stellenwert. Im Vordergrund steht dabei die Produktion von so61

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

zialen Figurationen, welche die Zusammenarbeit und Kommunikation in und zwischen Unternehmen verbessern. Organisationen und Unternehmen transformieren ihre traditionellen Organisationsstrukturen dahingehend, dass sie in Netzwerken und Projektstrukturen organisiert sind. Insbesondere Gernot Grabher hat die Formen der sozialen und räumlichen Einbettung von projektbasierten Arbeitsprozessen in der Werbeindustrie Londons analysierte (Grabher 2001). Darüber hinaus darf die technische Seite in der Formierung von Netzwerksozialitäten nicht übersehen werden. Das Wissen über Technologiekonsum und Interaktion mit technologischen Schnittstellen erfährt einen herausgehobenen Stellenwert. Fragen der Organisation von Datenbanken, des Zugangs zu Informationen und der Offenheit des Zugriffs verbinden sich in einem umfangreichen Sinne mit Fragen der Benutzerfreundlichkeit und der Verständlichkeit dieser Technologien. Technische Verständlichkeit muss für eine kleinteilige und ausdifferenzierte Wissensgesellschaft vorbereitet werden. Es ist deshalb keineswegs überraschend, dass zahlreiche Firmen andere Firmen dabei unterstützen, sich auf die New Economy einzustellen, und dabei genuin sozial- und kulturwissenschaftliches Wissen integrieren. Technischer Wandel kann nicht mehr kulturlos und isoliert von sozialstrukturellem Wandel verstanden werden. In der New Economy ist eine solche Trennung aufgehoben, weil sozial- und kulturwissenschaftliche Expertise bereits im Entwicklungsstadium einfließen und somit das technologische Endprodukt in entscheidendem Ausmaß mitkonstruieren. In der New Economy sind Technologie und Kultur sodann auf komplexe Weise verflochten. Jeder technologische Wandel ist zugleich von einem kulturellen Wandel begleitet. Und umgekehrt gilt: Es gibt keine Aspekte, Felder und Domänen von Kultur, die gegenüber technologischen Entwicklungen immun sind.

Gesellschaftliches Leitmotiv Kreativität? Insbesondere die New Economy reklamiert unterschiedlichste Formen von Kreativität für die Bewerkstelligung ihrer Personal- und Organisationsentwicklung (Florida 2002; kritisch dazu Peck 2005, Lange 2005d). Dabei vollzieht sich ein signifikanter und paradigmatischer Wandel des Verständnis sowie Einsatzes von Kreativität. Die Benennung von individuellen und originär personenbezogenen kreativen Fähigkeiten in Form des Genies oder Künstlers hat sich in einer kulturalisierten wissensbasierten Gesellschaft hin zu programmatisch unternehmerischen Losungen und betrieblich-kollektiven Sozialtechniken verschoben (Teece 2003, S. 895 ff; kritisch dazu Bröckling 2003, S. 19 ff., Bröckling 2004, S. 139-144). Dabei artikulieren sich neue normative Zuschreibungen im Verständnis von individueller Arbeit und der betrieblichen Inwertsetzung der Ressource Humankapital. Dieser Prozess ist 62

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

bei der Herausbildung der Kreativwirtschaft äußerst markant und kulminiert in einem veränderten Verständnis zwischen individueller und organisationseigener Kreativität. Das Wort Kreativität geht auf das lateinische „creare“ (lat. für erschaffen, hervorbringen) zurück. Der Brockhaus definiert Kreativität als „schöpferisches Vermögen, das sich im menschlichen Handeln oder Denken realisiert und einerseits durch Neuartigkeit oder Originalität gekennzeichnet ist, andererseits aber auch einen sinnvollen und erkennbaren Bezug zur Lösung technischer, menschlicher oder sozialpolitischer Probleme aufweist“ (Brockhaus 1996, S. 476). Kreativität bezieht sich nicht mehr nur auf künstlerische Produktionen, sondern auch auf wissenschaftliche Entdeckungen, technische Erfindungen und soziale Problemlösungsansätze. Es wird allerdings als Eindeutschung des englischen Begriffs creativity betrachtet. Seit den 1950er Jahren entstand dieser durch die von den USA ausgehende Kreativitätsforschung. „Schöpferische Begabung“, „Schöpferisch sein“, so Hartmut von Hentig, können als Umschreibung für kreatives Denken und Handeln dienen (Hentig 2000, S. 14 u. S. 32). Die Beforschung der Kreativität führte dazu, dass das elitäre Verständnis sowie der elitäre Begriff von Genie im Laufe des 20. Jahrhunderts durch den weniger elitären Begriff Talent ersetzt und dabei entmystifiziert wurde. Gleichwohl hat sich trotz Verwissenschaftlichung und vermeintlich rational-objektiver Kreativitätsforschung bis heute ein „vormodernes“ Verständnis bzgl. des Sozialverhaltens, des Wirkens und Agierens kreativer Menschen erhalten und als stabil erwiesen. Ihnen wird nach wie vor ein besonderes Verhältnis zur Gesellschaft, zur Arbeit, zum Sein und zur sozialen Welt eingeräumt. Gleichwohl hat die traditionelle Domäne und Hochburg der Kreativität – die Künste – v.a. durch die nordamerikanische Pop-Art von Andy Warhol sowie durch Manifeste wie das von Joseph Beuys – „Jeder ist ein Künstler“ im Jahr 1972 auf der Dokumenta 5 in Kassel – daran gearbeitet, die exklusive gesellschaftliche Position der Künste und der Künstler zu relativieren.

Kreativität und das Neue Kreativität, verstanden als Aktivität, die etwas Neues durch die Kombination und Transformation von bereits existierenden kulturellen Praktiken oder technischen Entwicklungen generiert, stellt einen handlungsbasierten Vorgang dar (Liep 2001, S. 2). Sie eröffnet ein Kontinuum von habitualisierten bis hin zu besonders intensiven Kontexten, in denen sich kreative Bewältigungen vollziehen. In dieses Verständnis ist eingeschrieben, dass der jeweilige soziale Kontext das kreative Verfahren und seine Äußerungen akzeptiert. Innovation kommt Kreativität insofern nahe. Die soziale und organisatorische Strukturierung von Innovation wird zunehmend von unternehmensbezogenen Dienst63

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

leistern übernommen, die spezifische professionelle Fähigkeiten zur Entwicklung von Kreativität bündeln. Die Kulturalisierung der (Gebrauchs-) Waren, die Ästhetisierung des alltäglichen Lebens und der Bedeutungsgewinn von Symbolen als soziales Distinktionsmittel im Zeitalter des Spätkapitalismus hat wiederum die Perspektive auf Kreativität verändert. Mike Featherstone hat darauf hingewiesen, dass die Kommodifizierung der Kultur zur Herausbildung neuer sog. „professionals“ geführt hat. Sie sind für die mediale, performative und ästhetische Vermittlung von Produkten der Kulturökonomie verantwortlich (Featherstone 1991a, S. 43 ff.; ähnlich Bourdieu 1987a). Dadurch geht mit der globalen Kommodifizierung der Kultur, so schlussfolgert John Liep, eine radikale Pluralisierung von Kreativität einher, deren Repräsentation nicht mehr Eliten vorbehalten ist (Liep 2001, S. 5). Gerade gesellschaftskritische Ansätze haben dagegen oftmals den forschungsstrategischen Versuch unternommen, Kreativität als die „Waffe der Schwachen“ und der Unterdrückten zu verstehen (Certeau 1988, S. 127). Michel de Certeau differenziert zwischen Strategien und Taktiken: Taktiken werden dabei als kleine, Freiräume schaffende Praktiken des Alltags von einfachen Menschen verstanden. Demgegenüber stehen die Strategien der strukturell Mächtigen (ebd.). Kreativität per se als etwas Gutes und Richtiges zu bezeichnen, versperrt aber den Blick auf die individuell-biografischen Bedingungen, verfahrensspezifischen Methoden und kontextuellen Begründungszusammenhänge, in denen sich Kreativität artikuliert und entfalten kann.

Kreativität, Innovationsprozesse und Management im Unternehmen Der Bedeutungsgewinn von Werbung und neuen Medien mit ihren Symbolwelten in neuen (spät-)modernen Zeichensystemen war dafür verantwortlich, dass Kreativität sowie kreative Akteure zu einem Wettbewerbsfaktor in das Blickfeld von Wirtschaft und Politik rückten. Kreativität wurde insbesondere Akteurs- und Trägergruppen zugewiesen, die in zunehmend komplexeren Produktionsprozessen Problemlösungen anbieten. Sie kombinieren dafür situativ, passfähig und problemadäquat erlerntes Wissen. Galt dies in der Phase der industriellen Revolution v.a. für die Anwendung des Wissens auf den Faktor Maschinen, so gilt für die Produktivitätsrevolution die Anwendung des Wissens auf den Faktor Arbeit. In den Veränderungen des Managements in der Phase des Spätkapitalismus ist es die Anwendung des Wissens auf das Wissen, d.h. auf systemische Innovationen, die eine Erhöhung der Produktivität versprechen. Dies artikuliert sich in zahlreichen Managementlehrbüchern, die Kreativität zu den gegenwärtig wichtigsten Produktionsfaktoren zählen (Krause 1996, Drucker 2000, Backerra/Malorny/Schwarz 2002; Kniess 1995). 64

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

Die dabei angewandten Methoden sind nicht zwingend neu. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts organisierte bspw. Alfred Krupp in seinem Unternehmen ein „betriebliches Vorschlagswesen“, das man heutzutage als Ideenmanagement ansprechen würde (Krause 1996). Im Kontext einer ausdifferenzierten Wirtschaftsstruktur haben sich aber spezifische Dienstleister auf die systematische Generierung von kreativem Kapital für unterschiedliche Kunden spezialisiert. Deren Aufgabe forciert den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer wissensbasierten Gesellschaft. Die Schaffung von neuen Ideen und Innovationen nimmt einen zentralen Stellenwert ökonomischer Aktivitäten ein. Verkürzt schlussfolgert Richard Florida, dass Kreativität den entscheidenen Wettbewerbsvorteil von Personengruppen, Städten und Regionen darstellt (Florida 2002, S. 4 ff.). Kritischere Auseinandersetzungen des gesellschaftlichen Stellenwerts in Kulturökonomien vollziehen sich im Kunstkontext. Marion von Osten und Beatrice von Bismarck waren maßgeblich an der Ausstellung „Be Creative! Der kreative Imperativ“ 2003 in Zürich am Institut für Theorie der Gestaltung und Kunst (ith) beteiligt (Osten 2003). Die Feststellung, dass betriebliche und technologische Innovationsprozesse bereits früher auf kreativen Problemlösungen und Optimierungsprozessen basierten, erhob die Träger dieser Fähigkeiten auch in der New Economy zu einem Kult- und Geniestatus. So z.B. der Computergründer und heutige Firmenleiter von Apple, Steve Jobs. Dieses Innovationsverständnis orientiert sich an Joseph Schumpeters Idee des dynamischen Wirtschaftsführers, der besondere Fähigkeiten aufweist (Matis 2002). In den Wirtschafts- und Technikbereichen kristallisierte und verfestigte sich eine Fortführung des Genie-Modells über die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert bis in die Jetztzeit hinein. Im Bereich der Künste dagegen sprach man sich gegen ein einzig diesem System und dieser Domäne zuzuordnendes personales Kreativitätsverständnis aus. Auf die Veränderung dieser Transformation in den Künsten kann hier nicht genauer eingegangen werden (siehe Rothauer 1996; 2005). Weitere systematische Forschungen über betriebliche und technologische Innovationsprozesse führten u.a. zu einer Verwissenschaftlichung und Entmystifizierung der lange Zeit vorherrschenden Auffassung des personalen Genius. Rothauer und Krause führen neben wirtschaftlichen Wettbewerbsinteressen auch politische und militärische Bestrebungen der Nationalstaaten an, die an der Ausschöpfung der Kreativität als menschlicher Ressource interessiert sind (Rothauer 2005, S. 45 und Krause 1996, S. 128-134). In der Folge, und als ein Resultat der Erforschung von innovativen Prozessen, stellten sich vielfältige Methoden der Generierung von kreativem Potenzial als strategische Instrumente der Maximierung des Faktors Arbeit ein: Die dabei vorgestellten kommunikativen Verfahrens-, Mobilisierungs-, Anwendungs- sowie Implementierungsprozesse werden wiederum von Profes65

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sionsgruppen geleitet, deren Fähigkeit in der Organisation dieser Durchführungen liegt. Darüber hinaus, so zeigt u.a. Richard Caves, avancierte die Kreativwirtschaft zum Vorreiter und zum Experimentierfeld für Managementpraktiken und Innovationsprozesse in Organisationen (Caves 2000).

Verwissenschaftlichung der Dimension „Kreativität“ Im Zuge der gesellschaftlichen und realpolitischen Erwartungen an technologische Innovatoren erfolgte parallel eine noch systematischere Beforschung und Verwissenschaftlichung der relevanten Bedingungen von Kreativität und kreativ-innovativen Durchbrüchen, insbesondere im technologischen Bereich. Angetrieben durch einen wirtschaftlichen wie geopolitischen Wettstreit der Nachkriegszeit im 20. Jahrhundert konzentrierte sich die Erforschung auf personal-kognitive, kontextspezifische und soziale Bedingungen von Kreativität. Ihr Ziel war es, effizienter und adäquater individuelle Fähigkeiten ermitteln zu können. Als ein Vorbereiter dieser heute v.a. in der Psychologie verankerten Forschung muss der Psychologe Joy Paul Gilford angesprochen werden, der mit seinem Konzept des divergent thinking in den 1940er und 1950er Jahren eine konzeptionelle Alternative zum konvergenten Denken vorstellte. Sein Konzept folgte der Idee, dass für die Lösung eines Problems nicht eine einzige, sondern mehrere Möglichkeiten bestehen (Ulmann 1973, S. 25-43). Dadurch sollten passfähigere Entwicklungsprozesse im technologischen Bereich erzielt werden, die wiederum die Genese innovativer Ergebnisse in technischen Produktionsprozessen versprach. Die Nachfrage nach innovativen Lösungen führte zur Herausbildung von wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, wie bspw. dem International Center for Studies in Creativity in New York, das 1954 als Stiftung etabliert wurde; 1967 wurde Kreativitätsforschung zum Universitätsfach erhoben. Die Verwissenschaftlichung erklärte sich durch internationale Konkurrenzen. Gleichwohl weist Karl-Heinz Brodbeck darauf hin, dass Individuen nicht prinzipiell kreativ seien, sondern jeweils unterschiedlich kreativ (Brodbeck 1999). Ebenso seien belastbare Zusammenhänge zwischen Intelligenz, ihren Bemessungen und Kreativitätserwartungen relativ fragwürdig geworden. Eine regelrechte Wiederentdeckung der Dimension Kreativität zeigt sich hingegen in den Managementstudien sowie der Entrepreneurshipforschung.

Kreativität als gesellschaftliches Leitmotiv Die Ressource Kreativität ist für Managementprozesse zunehmend wichtiger geworden. Darüber hinaus entwickelte sich in den letzten Jahren der leitmotivische Begriff Kreativität durch eine gesellschaftliche Aufwertung zu einem Lifestyle. Das gegenwärtige gesellschaftliche Wertesystem förderte nicht nur die Herausbildung von spezifischen kreativitätsbasierten Lifestyles im Profes66

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sions- und Alltagsbereich, es fordert und benötigt sie auch: Damit gehen nämlich Fähigkeiten im Bereich der beruflichen Selbstoptimierung, der sozialen Flexibilität und der individuellen Selbstverantwortung einher. Diese werden im Leitbild des unternehmerischen Selbst begrifflich gebündelt (Rothauer 2005, S. 46-47; für den Begriff unternehmerisches Selbst Bröckling 2002a, S. 178 ff.). Wie in kaum einem anderen Wirtschaftszweig besteht im Bereich der Kreativwirtschaft die Möglichkeit für Individuen, kurzfristig gesellschaftlichen Statusgewinn zu erreichen. Professionen mit hohen Kreativitätsanforderungen haben in der Spätmoderne sodann den Effekt, ein hohes gesellschaftliches Prestige zu erlangen. Sie verkörpern expressive Werte und wirken an der Vermittlung und Formulierung von gesellschaftlichen Rollenmodellen mit (Koppetsch/Burkart 2002, S. 531-533). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Kreativität eine leitmotivische Gesellschaftsfunktion eingenommen hat. Kreativität bündelt heutzutage Aspekte, die vormals mit Persönlichkeitsattributen wie Flexibilität, Erfindungsreichtum, Gestaltungsfreiheit, Autonomie sowie Selbstverwirklichung verbunden waren. Auf dem Weg vom Rand der Gesellschaft in deren Mitte wurde Kreativität systematisch entmystifiziert. In diesem Prozess hat sich der Begriff Kreativität mit kollektiven Sozial-, professionsspezifischen Optimierungs- und normativen Repräsentationstechniken verknüpft. Er ist an unternehmerische und gesellschaftliche Sozialtechnologien gekoppelt. Parallel erfolgt im Zuge dieser Entgrenzung aber auch eine subkutane Übernahme der Normen und Wertzuschreibungen der strukturellen Lebensund Berufsbedingungen des Künstlers. Deren flexible und unvorhersehbare Entwicklungswege wurden nicht als notwendiges Übel angesehen, sondern vielmehr positiv zum Gegenstand gesellschaftlicher Maximen der Berufsbedingungen gerade von Arbeitsbereichen in der Kreativwirtschaft erklärt (Rothauer 2005, S. 8 und ebd, S. 24-30 zur Geschichte des Begriffs Kreativität). Kritisch wendet Hartmut von Hentig ein, dass sich die wissenschaftliche Kreativitätsforschung ausschließlich auf Persönlichkeitsmerkmale konzentriere und zwei polare Typen konstruiert habe: kreativ – nicht kreativ. Dabei hat sie, seiner Auffassung zufolge, externe kreativitätsförderliche oder -hinderliche Faktoren nicht berücksichtigt (Hentig 2000, S. 20 ff.). Er verweist dabei auch auf die grundsätzliche Problematik der Messbarkeit und Benotung von Kreativität (ebd., S. 24). Unstrittig aber ist, dass sich das umgangssprachliche Verständnis von Kreativität in den letzten Jahren vom Inbegriff künstlerischen Schaffens und Arbeitens hin zu einem strategischen Kampfbegriff gewandelt hat: Als strategisches Leitbild der betrieblichen Personalentwicklung, der Verfahrens- und Organisationsentwicklung im unternehmensbezogenen Dienstleistungsbereich sowie als politische Maxime der Stadt- und Regionalentwicklung mutierte es 67

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zum fast unangreifbaren diskursiven Schlagwort. Bilton und Leary haben dies am Fall der Verwendung von Kreativität als Ressource der Personal- und Organisationsentwicklung in den Creative Industries analysiert und dabei auf das Verhältnis von routinierter Arbeit und unkonventionellen-kreativen Denkweisen in Arbeitsgruppen fokussiert (Bilton/Leary 2002; Sutton 2002). Im Bereich von Stadtpolitiken haben u.a. Richard Florida und Charles Landry den Versuch unternommen, städtische Steuerungs-, Verfahrens- und Zielgruppenpolitiken über die Ressource Kreativität zu formulieren (Florida 2002; Landry 2001). Die Praxen der professionellen Leitfiguren sowie das Vorhandensein und Wirken symbol- wie imageproduzierender Dienstleistungsbereiche versprechen Imagewirkung, Modernität und Zukunftsorientierung. Die gehandelten Protagonisten wirken als kreative Dienstleister an der Vermittlung von beruflichen Werten über den Kernbereich ihrer produktiven und betrieblichen Tätigkeit hinaus in breitere Teile der Gesellschaft hinein (Koppetsch/Burkart 2002, S. 531). Als Mittler dieser diagnostizierten Wertewanderung fungierten Professionen und Akteure der symbolintensiven Dienstleistungs- und Werbewirtschaft. In diesem Dienstleistungssegment wurde frühzeitig das vormals personenbezogene Kreativitätsverständnis systematisch auf die Ebene der Organisations- und Arbeits(gruppen)einheiten transformiert. Kreativität und Flexibilität markieren und repräsentieren darin neue Anforderungen und Bedingungen an die Bewältigung von Aufgaben innerhalb neuer Professionen. Die Auflösung bisheriger dauerhaft gültiger Normalarbeitsverhältnisse wird nicht nur durch andere strukturelle Beschäftigungs- und Organisationsoptionen abgelöst. An ihre Stelle treten neue Technologien der beruflichen Praxis, die sich insbesondere auf der Ebene des Subjekts durch neue Selbsttechnologien zu erkennen geben. Der Bereich der Kreativwirtschaft wirkte als ein Vorreiter und hat prägenden Einfluss auf die gesellschaftliche Bewertung von Kreativität. Exemplarisch zeigt sich dies bei Richard Florida, der Wissen und Information als Instrumente der Kreativität bezeichnet und dadurch eine neue sog. „kreative Klasse“ für die Transformation der Gesellschaft in die Pflicht nimmt (Florida 2005b, S. 241-245).

I n d i v i d u u m u n d Ar b e i t i n h e g e m o n i e k r i t i s c h e n Zeit-Diagnosen Modernisierungsprozesse wurden im vorangegangenen Kapitel als Handlungs- und Sinnstrukturierungsprobleme vorgestellt. System- und kapitalismuskritische Ansätze dagegen haben das Verhältnis zwischen Individuum und Arbeit einer anderen Bewertung unterzogen. Sie haben in den vergange68

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

nen Jahren über die Auseinandersetzung mit Akteuren der immateriellen Produktion ihre theoretisch-diagnostischen Ansätze weiterentwickelt (v.a. Lazzarato 1998b, Boltanski/Chiapello 2001; 2003, Osten 2003, Bröckling 2002b). Diese Analysen identifizieren postfordistische Formen der Arbeitsorganisation, in denen der Begriff immaterielle Arbeit im Vordergrund steht. Er umschreibt die „neue, die informationelle und kulturelle Dimension der Ware hervorbringenden Qualität von Arbeit“ (Lazzarato 1998a, S. 39). Maurizio Lazzarato verweist auf zwei unterschiedliche Aspekte des Begriffs immaterielle Arbeit: Zum einen benennt er die Veränderungen der Arbeit im Dienstleistungssektor selbst. Zum anderen die Tätigkeiten, die in der Regel gesellschaftlich (lange Zeit) nicht als Arbeit – verstanden als Erwerbsarbeit – erkannt werden und die im „Bereich kultureller und künstlerischer Normen operieren, die auf Moden, Geschmack und Konsumgewohnheiten Einfluss nehmen“ (Lazzarato 1998a, S. 39–40). In der historischen Perspektive der (neo-)marxistischen Bewertung von künstlerischer Arbeit galt diese in der bürgerlichen Gesellschaft als statusbefördernd, wenngleich mittel- und brotlos. Doris Rothauer zufolge setzt im „19. Jahrhundert der Mythos um die Leidenswehen des Künstlertums und um den Künstler als Märtyrer ein“ (Rothauer 2005, S. 27). Doris Rothauer erkennt die Figur und das soziale Konstrukt des „Künstlers als Märtyrer“ bis zum 19 Jh. Es verbindet sich ihrer Auffassung nach mit dem Bild des Genies, das „physische und materielle Entbehrungen“ erdulden muss (ebd.). Seit dem 19. Jh. vollziehen sich ihrer Auffassung nach aber Prozesse der Entmystifizierung und Entbiologisierung des Künstlers. Im Zuge einer Verwissenschaftlichung der Kreativitätsforschung werden seit dem 20. Jh. kontextsensitive Differenzierungen bspw. in der Form von „Hochtalentierten“ und „Eliten“ vollzogen. Außergesellschaftliche Positionen und Außenseiterrollen stellten im Verlaufe des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts eine Vorlage und ein reichhaltiges Reservoir von verschiedenen zu adaptierenden Lebensstiloptionen dar. Neumann weist dagegen auf die Erwartungshaltung der Gesellschaft an Künstler wie auf das von Kunstschaffenden noch immer freiwillig und bewusst gelebte Bild des „Künstlers als Außenseiter“ hinweist (Neumann 1986, S. 132). Verknüpft waren diese Lebensentwürfe mit einem spezifischen Verhältnis zur Kunstproduktion und zum Kunstvertrieb. Auch hier gilt es festzuhalten, dass bspw. in der Epoche der Renaissance der Künstler ein Auftragskünstler war und das Verhältnis zwischen Künstler und seiner Arbeit auf der Grundlage einer klar definierten Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer basierte. Erst die Moderne führte und forderte die soziale Autonomie des Künstlers ein, sodass neben die Stelle der Mäzene auch das gebildete Bürgertum als Empfänger und als Financier von Kunst trat. 69

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

In westeuropäischen kapitalistischen Systemen verband sich im weiteren Zeitverlauf die Funktion des Künstlers mit einem distanzierten Verhältnis zur breiten Gesellschaft. Getragen und befördert war sie durch ein Vertriebs- und Rezeptionssystem von Sammlern und Galeristen. Mit der Figur des Künstlers vereinigten sich traditionell nicht-konforme Lebensstile und Artikulationsweisen. Er stand in einem spannungsreichen Verhältnis zur Gesellschaft. Mit dieser Lebenssituation verbanden sich prekäre individuelle Existenzen. Dadurch haben sich Vorstellungen von der gesellschaftlichen Figur des Künstlers mit faktisch ambivalenten Lebenslagen mythenreich und ebenso persistent im kollektiven Gedächtnis verwoben. Diese Gemengelage, die aus einer Mixtur von sozioökonomischer Prekarität und fiktiven Vorstellungen über die Lebenswelt des Künstlers bestand, stellt das Fundament sowie einen zentralen Quellgrund für heutige gesellschaftliche Vereinnahmungen dar: In der spätkapitalistischen Phase vollzog sich ein technologisch-programmatischer Prozess des gesellschaftlichen Zugriffs auf die Vorstellungs-, Daseins- und Lebenswelten des Künstlers. In einem fortgeschrittenen spätkapitalistischen Gesellschaftssystem werden – so die leitende Argumentation dieses Teilkapitels – aus diesem Reservoir wesentliche Begründungszusammenhänge hervorgeholt, gesellschaftlich instrumentalisiert und auf eine breite normative Basis gestellt. Es vollzieht dabei sich ein Import der sozialen Randlage der Künstler in das gesellschaftliche Zentrum. In diesem Prozess werden nicht nur die Lebenslagen der Künstler „importiert“, sondern v.a. die existenziellen Funktionsweisen der vormals randständigen Lebenslage zur gesellschaftlichen Maxime erkoren. Die vormals individualistische Lebensführungen sowie sozioökonomische Selbständigkeit dieser Akteure konnte vortrefflich mit zahlreichen Lebensstiloptionen und Lebenslagen in der Phase des Spätkapitalismus verkoppelt werden. Sprachlich nur leicht gewendet zeigen sich in zahlreichen Diagnosen innerhalb der letzten Jahre programmatische Losungen, die individuelle Selbstüberantwortung (Selbst) an sozioökonomische Existenzbewältigung (unternehmerisch) zu koppeln. Maurizio Lazzarato verweist, ähnlich wie Andrea Bührmann und Ulrich Bröckling, mit dem Begriff „unternehmerisches Selbst“, oder Heinz Bude mit dem Begriff „unternehmerischer Einzelner“, auf ein hegemoniales und in vielen Lebensbereichen dominantes Selbstverständnis der quasi-unternehmerischen Lebensführung hin (Bührmann 2004, S. 1; Bröckling 2002b, S. 672 ff.; Bröckling 2002a; Bude 2001, S. 30; Lazzarato 1998a, S. 40). Maurizio Lazzarato schließt daran an und positioniert die neomarxistische Gesellschaftskritik im Feld der umherschweifenden Produzenten, d.h. der unternehmensbezogenen symbolintensiven Dienstleister und deren Produktions- und Arbeitsbedingungen: Er fragt nach den Produktionsverhältnissen, gesellschaftlichen Verwertungsmechanismen und Verteilungslagen. Welche 70

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

Fähigkeiten müssen von den individuell Agierenden sowie den unternehmerischen Mikroeinheiten erbracht werden? Lazzarato bezieht die realen Flexibilisierungspraktiken in der ökonomischen Arbeitswelt auf die sozialen Bedingungen einer Trägergruppe, die in den letzten Jahren gesellschaftliche Vorbildfunktion eingenommen und verbreitet hat. Er diagnostiziert in den neuen immateriellen Produktionsbereichen Subjekte, die aufgrund der wirtschaftlichen Diversifikation und Spezifikation sowie der sich am Arbeitsplatz vollziehenden Tätigkeiten zur selbstbestimmten kommunikativen Artikulation gezwungen sind. Sie stehen aber durch die Überantwortung der Selbstkontrolle und Selbstverantwortung inmitten eines Arbeitsteams in einer widersprüchlichen Situation (Lazzarato 1998a, S. 44): Die Produktionsprozesse benötigen aktive Subjekte, gleichwohl haben sie nicht die Autonomie über die Produktionsmittel und ihre Verwendung in den eigenen Händen. Die Verschiebung von Produktionsverfahren im unternehmensbezogenen Dienstleistungsbereich war untrennbar mit der Überantwortung neuer Aufgaben auf der Subjektebene verbunden. Sie eröffnet ihm neue Optionen der beruflichen Verwirklichung. Gleichwohl vollzogen sich diese unter dem Vorzeichen der Selbsttäuschung, da die Frage der strukturellen Macht entweder nach wie vor auf einer höheren Ebene angesiedelt war oder radikal individualisiert und subjektiviert wurde. Lazzarato weist darauf hin, dass dem individuell agierenden Produzenten im Bereich der immateriellen Produktion handwerkliches Geschick, Kreativität, Imagination, technische Kenntnisse sowie zugleich unternehmerische Fähigkeiten abverlangt werden (Lazzarato 1998a, S. 46). Diese Fähigkeiten werden parallel zu seinen intellektuellen, die sich als kultureller und informationeller Gehalt niederschlagen, erwartet. Die Arbeitsprozesse dieser Akteure lassen sich aufgrund der Parallelität und Überlagerung mehrerer Kompetenzen aber weitaus besser in dezentralen Netzwerken organisieren. Sie haben ihren strukturellen Ort unmittelbar in der Gesellschaft und weisen eine territoriale Dimension auf, die Lazzarato als „Bassin der immateriellen Arbeit“ (Lazzarato 1998a, S. 46 ff.) bezeichnet. An diesem lagern sich kleine und kleinste produktive Einheiten an, die sich in Ad-hoc-Projekten organisieren und temporär zusammenarbeiten. Die Überlagerung mehrerer Tätigkeiten zur Existenzsicherung, die Kurzfristigkeit der Projekte sowie das hohe Maß an Flexibilität führen zu prekären Beschäftigungssituationen, hoher Mobilität und letztlich doch wieder hierarchischen Abhängigkeiten. Unter dem Vorzeichen nicht-abhängiger und selbstbestimmter Arbeit verbirgt sich seiner Auffassung nach „ein intellektuelles Proletariat“ (Lazzarato 1998a, S. 47). In diese ambivalenten Arbeitsprozesse sind unternehmerische Kompetenzen eingeschrieben, bspw. die Fähigkeit, soziale Beziehungen nicht nur zu organisieren, sondern gestaltend in sie einzu71

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

greifen. Die Aufgaben von neuen Professionen z.B. in der Werbewirtschaft wurden modernisierungstheoretisch von Kellner und Berger mit der gesellschaftlichen Rolle des Vermittlers neuer Werte sowie mit dem Begriff des sog. „lifestyle-engineering“ beschrieben (Koppetsch/Burkart 2002, Kellner/ Berger 1992). Maurizio Lazzarato greift eine ähnliche Perspektive auf, wenngleich unter einem anderen Vorzeichen, und zieht daraus andere Schlussfolgerungen: Die Qualität dieses Typs von Arbeitskraft liegt seiner Auffassung nach nicht in seiner professionellen und vermittelnden Fähigkeit, sondern in der „Kompetenz, im Management der eigenen Betätigung und in der Koordination der immateriellen Arbeit anderer zu agieren“ (Lazzarato 1998a, S. 47). Immaterielle Arbeit weist eine Doppelfunktion auf und befindet sich an einem Kreuzungspunkt. Sie definiert ein neues Verhältnis zwischen Produktion und Konsumtion. Michael Hardt weist in seiner Analyse der affektiven Arbeit darauf hin, dass kapitalistische Produktionsprozesse bewusst die Grenzen zwischen Ökonomie und Kultur aufgelöst haben, um dadurch das subtile Kontrollpotenzial des Subjekts in der Tätigkeit seiner immateriellen Arbeit in einem postmodernistischen Regime zu erlangen (Hardt 2003, S. 219-220). Immaterielle Produkte erfahren ihren kulturellen informativen Gebrauchswert nicht erst und ausschließlich im Prozess der Konsumtion. Sie erfahren ihren spezifischen Wert auch im Prozess der kulturellen Verwendung und in der Interaktion mit einem kulturellen Milieu der Konsumierenden. An dieser Stelle schöpfen viele hegemoniekritischen Diagnostiker Hoffnungen: Durch den Prozess der Verwendung immaterieller Produkte besteht die Möglichkeit, individuelle Hoheit über die Verwendung und ihres spezifisch situativen Zusammenhangs der immateriellen Produkte zu erlangen. Ebenso ist auch ein Dilemma festzustellen: Da die neoliberale Wirtschaftsordnung auf einem permanenten Wandel und der kontinuierlichen Erschaffung von Ausnahmesituationen basiert, sind die klassischen Ausnahmesubjekte der Moderne, d.h. Künstler, Musiker, Nonkonformisten und Bohèmiens, im Rahmen dieses aktuellen Regimes zu zukunftstauglichen Rollenvorbildern stilisiert worden. Diesen Subjekten kommt eine entscheidende Aufgabe zu: Von ihnen wird eine erfolgreiche Verkettung von unbegrenzter Ideenvielfalt, abrufbarer Kreativität und geschickter Selbstorganisation als gesellschaftliche Vorlage formuliert. Vormals gesellschaftskritische Akteure werden zum stabilisierenden Element der Gesellschaft und ihrer ökonomischen Produktionsbedingungen. Die Erosion vormals stabiler institutioneller und organisatorischer Strukturen sowie die Entgrenzung der Arbeitszeit in den Privatbereich haben das Arbeitsund Lebensverhältnis zu einem produktiven Verhältnis verschweißt. Dabei müssen private Unternehmungen zunehmend auf wirtschaftliche Verwertbarkeit hin ausgerichtet sein. Der Arbeitskraftunternehmer, so die Diagnose der 72

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

Hegemoniekritiker, soll zugleich Künstler des eigenen Lebens sein (Voss/ Pongratz 1998, S. 131 ff.).

Großbritanniens Politikfokussierung auf „Talente“ Aufbauend auf den neomarxistischen Gesellschaftsanalysen und Zeitdiagnosen hat Angela McRobbie die Vereinnahmung und Verwendung kreativer Professionsgruppen in den gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsprozess eines Landes ausführlich empirisch und ideologiekritisch analysiert (McRobbie 2002b, S. 37 ff.). Sie stellt fest, dass in Großbritannien die Landespolitik „Talent“ zu einem Modell wirtschaftlichen Handelns stilisiert hat. Dabei wurden die Lebensbedingungen der kreativ selbständig arbeitenden Medienschaffenden, Multimedia-, Sound- und Grafik-Designer zum einen systematisch ausgeblendet, zum anderen diskursiv idealisiert. Marion von Osten zufolge vollzog sich durch staatliche Regierungspraktiken eine „Mythisierung des mit einer spezifischen Arbeitsrationalität verkoppelten Images des Ausnahmesubjekts ,artist‘“ (Osten 2003, S. 11). Dabei wurden Normalitätsstandards, v.a. relativ schlechte und unregelmäßige Bezahlung, hohe Flexibilität und die unstete Auftragslage dieser Akteure, als Vorlage für den breiten Arbeits- und Erwerbsdiskurs in Großbritannien herangezogen. Das Rollenmodell des Künstlers diente dazu, die Arbeitsverhältnisse und beziehungen der IT- und Medienindustrien durch „Anleihen bei der Bohème“ aufzuwerten (ebd.). In diesem Arbeitssubjekt zeigten sich im Foucault’schen Sinne die Fluchtlinien von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, die er mit dem Begriff des Dispositivs zusammenfasst. „Dispositiv“ heißt nach Foucault eine Diskursformation, in der Macht, Recht sowie Wahrheit verknüpft und Praktiken institutionalisiert sind und dabei menschliches Begehren (désir) und gesellschaftliche Not (urgence) befriedigt wird (Foucault 1986, S. 105 ff.). Michel Foucault definiert den Ausdruck Dispositiv als „ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst. Das Dispositiv ist dabei das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann“ (Foucault 1978, S. 119–120). Alexander Meschnig identifiziert ein Dispositiv der New Economy, bei der sich „Arbeit als Privileg im engeren Sinn zu einer kulturellen Tätigkeit“ gewandelt hat (Meschnig 2003, S. 75–76). Arbeit wird totalisiert und zum Event auf die Spitze getrieben, die Trennung von Arbeit und Freizeit gehe verloren, die „Äquivalenz von Leistung und Entlohnung“ schwinde (ebd., S. 78). Weitere Merkmale des Verhältnisses zwischen Dispositiv, Wissen und 73

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Macht bestehen darin, dass ein Dispositiv Machtbeziehungen koordiniert und es aus einer Vielzahl unterschiedlicher Elemente wie Aussagen, Regeln, Praktiken, Institutionen etc. besteht. Der zentrale Effekt dieser Koordination von Machtbeziehungen ist, dass zu Diskursen angereizt wird, die ein bestimmtes Wissen erzeugen. Dieses Wissen bringt die Individuen dazu, sich auf bestimmte Weise zu sich und der Welt zu verhalten. Das Dispositiv stützt sich wiederum, indem es die Praktiken und Kontrollmöglichkeiten auszubauen hilft. Es kann allgemein bestimmt werden als ein Ensemble von komplexen Vorkehrungen, das den beständigen Umschlag von struktureller Macht in Wissen und Wissen in strukturelle Macht ermöglicht (Foucault 1978, S. 119120). Durch Foucault konzeptionell gestützt, hat Angela McRobbie Untersuchungen in der kleinteilig organisierten Modebranche Londons vorgenommen und dabei zwei Diskurse identifiziert: Zum einen dient das Motiv des Handwerks dazu, individuelle Befähigung und ökonomische Relevanz zu behaupten, zum anderen dient die Integration in eine Künstlergemeinschaft der Erzeugung gesellschaftlicher Bedeutung und Avanciertheit und garantiert somit einen Distinktions- wie Autonomiegewinn (McRobbie 2002b, S. 37 ff.). Sie zeigt dabei, dass ein hohes Maß an Identifikation mit den in diesen Ökonomien Tätigen zu beobachten ist. Im Sinne (neo-)marxistisch motivierter Kritik kann also nicht zwingend und einseitig nur von entfremdeten und selbstausbeuterischen Beschäftigungsformen ausgegangen werden. Die von ihr untersuchten Individuen verbinden das hohe Maß der Identifikation mit ihrer Tätigkeit auch damit, Möglichkeiten zu erzielen, gesellschaftliche Status- und individuelle Autonomiegewinne einzulösen. Gleichwohl zeigt McRobbie, dass Motive der Selbstbeschreibung kursieren und situativ herangezogen oder wieder abgestoßen werden, die sich im Sinne Foucaults als eine Art Selbsttechnologie zu erkennen geben. Folglich konnte durch reflexives Verhalten und Deuten von ökonomisch-kulturellen Mustern ein Spiel- und Artikulationsraum geschaffen sowie Autonomiegewinne erzielt werden (McRobbie 2005, S. 92–93). Das politisch-programmatische Modell „Unternehmertum für alle“, das in ersten Konturen durch die Regierung des britischen Premierministers Tony Blair ab 1997 propagiert wurde, hat aber nur dann eine reale Basis, wenn Bildungsangebote, Wissensressourcen und Zugang zu Information und Wissen gesellschaftlich gleich verteilt sind. Da von dieser Gleichverteilung nicht auszugehen ist, sondern vielmehr von sozialen, bildungsspezifischen und sozial-räumlichen Ungleichverteilungen, stehen zwei Fragen bei der Analyse von neuen kulturellen Unternehmern im Vordergrund: zum einen, wie sich faktische Strukturen der Selbständigkeit sozial und räumlich manifestieren und welchem Modus Operandi sie unterliegen; zum anderen, welche Metanarrative und gesellschaftlichen Diskurse den rele-

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ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

vanten Resonanzboden und gesellschaftlichen Rahmen darstellen, vor dem sich Prozesse und Dispositive des unternehmerischen Selbst vollziehen.

K r e a t i vw i r t s c h a f t u n d E n t r e p r e n e u r s h i p Beide skizzierten Gesellschaftsdiagnosen weisen auf die Emergenz eines unternehmerischen Selbst hin. Versteht man diese Figur als ein Dispositiv, so ist sie in breiten gesellschaftlichen Teilen sowie in normativ-politischen Programmatiken in Form von sozialen Technologien verankert. Insbesondere aus dem Bereich symbolintensiver Dienstleistungswirtschaft stellen sich Hybridbegriffe wie Kreativwirtschaft, Cultural Industries oder Creative Industries ein. In diesem Segment bündeln sich unterschiedliche kreative Professionen, die Effekte auf die soziale Gestaltung und Konstituierung von Stadträumen sowie auf Beschäftigungskontexte in diesen Dienstleistungsbereichen haben. Die zunehmende Überschneidung zwischen Kulturproduktion und Ökonomie ist – insbesondere im Bereich der (Erwerbs-)Arbeit – unzweifelhaft mit dem Bedeutungsgewinn des unternehmerischen Selbst sowie mit Konzeptionen und Zuschreibungen der Figur des Unternehmers verbunden.

Zum Begriff Kreativwirtschaft: Kulturindustrie – Kulturökonomie – Cultural Industries – Creative Industries Die enge begriffliche Kohärenz, die sich möglicherweise in der Überschrift zu erkennen gibt, spiegelt sich nicht im definitorischen Verständnis der Begriffe wider. Mit diesen Begriffen gehen zum einen akademische Diskurse, zum anderen politische Implikationen und programmatische Setzungen einher. Sie verfolgen jeweils für sich spezifische Intentionen und setzen sich auch bewusst mit einem neuen Begriff von bisherigen Programmatiken ab. Dadurch versuchen sie neue Politiken und Programmatiken in bisher nicht erschlossenen Teilen der Gesellschaft zu etablieren. Am deutlichsten zeigt sich diese Praxis bei der Labour-Partei Ende der 1990er Jahre: Sie griff in den Jahren 1996 und 1997 für den Wahlkampf zunächst den Begriff Cultural Industries auf und veränderte ihn nach der gewonnenen Wahl zu Creative Industries. Dabei wurden nicht nur begriffliche Etiketten ausgetauscht, sondern auch konzeptionelle und politische Grundpositionen neu definiert. Dies hatte weitreichende Folgen für die Beschäftigungs-, die Sozial-, die Bildungs- und die Kunstpolitik des Landes Großbritannien und wird im Folgenden dargestellt (Garnham 2005, S. 15; DCMS 1998; Hughson/Inglis 2001). Im Fokus stehen dabei weniger kohärente und abgegrenzte Definitionen dieser Metabegriffe,

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

als vielmehr die Frage, welche strategische Verwendung der jeweilige Begriff aufweist und welche wirkungsmächtigen Effekte sich an ihn anlagern.

Kulturindustrie Der Begriff Kulturindustrie umschreibt einen Kernbereich der Arbeiten Theodor W. Adornos und Max Horkheimers. Ihr Begriff „Kulturindustrie“ tritt zum ersten Mal in der Veröffentlichung Dialektik der Aufklärung im Jahr 1947 auf. Darin wird eine frühe Definition der Kulturindustrie von ihnen vorgestellt: Kulturindustrie sei die „willentliche Integration ihrer Abnehmer von oben“ (Adorno 1975, S. 337). Mit Kulturindustrie verweist Adorno auf die gesellschaftlichen Implikationen von kulturellen Ereignissen und Erzeugnissen. Die Folgen der Kulturindustrie auf die geistige Haltung der Gesellschaft sind nicht nur die geistige Stagnation. Er diagnostiziert einen nachhaltigen Einfluss auf das Subjekt: Kulturindustrie wirkt als Vermittler zwischen Industrie und Publikum. In dieser Vermittlerposition hat die Kulturindustrie auch einen Einfluss auf die Bewusstseinsbildung der Menschen, denn was durch Kulturobjekte nicht verbreitet wird, geschieht heutzutage nicht. Somit vollzieht sich eine Wirkung im Subjekt: Durch die mangelnde Fähigkeit, kritisches Denken zu betreiben, wird auch verhindert, dass der Mensch dieser Kulturindustrie mit Widerspruch entgegentritt. Die Kulturindustrie ist folglich auch herrschaftsstabilisierend. Und diese Herrschaftsstabilisierung ist nicht ein Mitläufer der Wirkungen der Kulturindustrie, sondern ihr eigentliches Wesen. Sie erreicht mit ihrer Suggestivkraft, dass sie selbst den Menschen die Maßstäbe definiert, nach denen diese die Kulturindustrie bemessen sollen. Dies ist der Verblendungszusammenhang, den Theodor W. Adorno und Max Horkheimer immer wieder konstatieren und der ihrer Auffassung nach undemokratisch ist. Neben dem herrschaftsstabilisierenden Moment der Kulturindustrie ist ihr auch immanent, dass sie die Aufmerksamkeit des Menschen vom Wesentlichen (dem Kulturobjekt) hin zum Sekundären lenkt. Anstelle des Genusses tritt ein Dabeisein und Bescheidwissen. Nicht also der Inhalt kultureller Ereignisse oder Kulturprodukte steht im Vordergrund, sondern deren Effekte auf die Öffentlichkeit und darauf, wie das Wissen um kulturelle Ereignisse oder Kulturprodukte die subjektive gesellschaftliche Stellung beeinflusst. Diese Form der Kulturkritik ist mit Fragen der individuellen Autonomie im Verhältnis zu ihrem gesellschaftlichen Rahmen verbunden. Der Begriff und seine konzeptionelle Verankerung ist dabei aber immer ein wirkungsmächtig akademischer.

Kulturökonomie Der Begriff Kulturökonomie ist – ähnlich wie der Begriff Kulturindustrie bei Adorno und Horkheimer – akademisch-analytisch, zusätzlich aber auch de76

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

skriptiv-strategisch. Er beschreibt die verstärkt einsetzende Ökonomisierung und ökonomische Inwertsetzung von kulturellen Produkten in der Spätmoderne. Mit ihm geht eine Vorstellung von Kultur einher, der durch die kulturkritischen Arbeiten der Frankfurter Schule geprägt wurde und seinen Ausgangspunkt in der These der Kommodifizierung kultureller Produkte hat (Zukin 1989; 1998; aus kulturwissenschaftlicher Sicht Wynne/O’Connor 1998, S. 841 ff.). Das dazugehörige Programm beschreibt den Aufstieg der Massenkultur, also der Musik-, Film, TV-Industrien, zu einem Teil der Kulturproduktion, der dabei zu einem Erfolg versprechenden Wirtschaftssektor herangewachsen ist. Er bündelt verschiedenste Aktivitäten: von der Musikindustrie über die Medienproduktion bis zum Kunsthandel. Mit dem Begriff Kulturökonomie verbinden sich die Hoffnungen lokaler, regionaler und nationaler Eliten, die in ihr eine neue Industrie mit großem Beschäftigungspotenzial sehen. Sharon Zukin bündelt diesen Prozess, in dem sie beschreibt, dass „with the disappearance of local manufacturing industries and periodic crises in government and finance, culture is more and more the business of cities – the basis of their tourist attractions and their unique, competitive edge“ (Zukin 1995, S. 2). Bedingt durch die Kulturalisierung der Ökonomie ist Kultur zunehmend zu einem Vehikel wirtschaftlicher Verwertungsprozesse geworden. Das Design von Produkten übernimmt die Funktion der Vermittlung von Inhalten und Identitäten in passfähige Milieus und soziale Gemeinschaften. Produkte und Dienstleistungen werden mit Zeichen oder Codes versehen, welche als Symbole gesellschaftliche Verhältnisse, Zugehörigkeiten zu Stilgruppen, sozialen Schichten oder ethnischen Kulturen repräsentieren. Konsumgüter stellen für ihre Besitzer in der Verwendung als Statussymbole, als Kultgegenstände oder als Abgrenzungssymbole symbolisches Kapital um gesellschaftliche Anerkennung dar. Die Art und Beschaffenheit der Produkte rückt durch ihren Zeichengehalt in den Hintergrund, ein Prozess, der in der These der Ökonomie der Zeichen zusammengefasst wurde (Lash/Urry 1994).

Kulturwirtschaft Der Begriff Kulturwirtschaft, in den Disziplinen der Wirtschaftswissenschaften auch als „Kulturökonomik“ bezeichnet, erfuhr in den 1990er Jahren durch die Kulturwirtschaftsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen breite Aufmerksamkeit (Nordrhein-Westfalen 1995). Das Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen beauftragte bereits Anfang der 1990er Jahre Forscher, die Potenziale von Kultur und Wirtschaft zu analysieren. Sie wollten das Verhältnis von öffentlich geförderten Kulturbereichen und einer der Privatwirtschaft zugerechneten Kulturwirtschaft genauer analysiert haben. Aber nicht die in den 1980er Jahren wichtig gewordene Frage nach der Umwegrentabili77

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tät öffentlicher Kulturausgaben stand im Zentrum, sondern die aktuell prosperierende Wirtschaft mit Kultur als handelbarem Produkt. Eine der Grundannahmen war, dass die private Kulturwirtschaft sehr stark von dem durch öffentliche Kulturausgaben geförderten kreativen Potenzial profitiere. Seit dem ersten Kulturwirtschaftsbericht aus dem Jahr 1992 wurden in den Jahren 1995, 1998 und 2002 weitere vorgelegt, die detailliert über das starke Wachstum des gesamten Sektors berichten. Der Begriff Kulturwirtschaft bezieht sich auf die Kultur- und Medienwirtschaft als ausdifferenzierte Gruppe von oft miteinander verflochtenen Wirtschaftsbranchen, sog. Wirtschaftsclustern. Der Bericht bezieht alle Wirtschaftsbetriebe und erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten in die Analyse mit ein, die für die Vorbereitung, Schaffung, Erhaltung und Sicherung von künstlerischer Produktion, Kulturvermittlung und/oder medialer Verbreitung wesentliche Leistungen erbringen (Nordrhein-Westfalen 1995, S. 11; ARCult 1992; Benkert 1995 für die ersten beiden Kulturwirtschaftsberichte des Landes Nordrhein-Westfalen). Mittlerweile haben Hessen sowie Berlin nachgezogen und ebenso Kulturwirtschaftsberichte vorgelegt (Berlin: Senatsverwaltung 2005). Im dritten Kulturwirtschaftsbericht des Jahres 1998 werden Aktivitäten angeregt, wie die Zustandsbeschreibungen über die Entwicklung „euroregionaler“ Handlungsebenen oder integrierte Entwicklungsprogramme und Gründungsoffensiven wie GoKULT. Letzteres ist eine Gründungsoffensive für Kulturschaffende, die sich an Absolventen von Hochschulen und Kunstakademien richtet. Diese Entwicklung auf Länderebene zeigt, dass der wachsende Sektor der Kulturproduktion systematisch mit dem Handlungsfeld der Beschäftigtenpolitik verbunden werden sowie zu deren Stimulation beitragen soll. Der Senat der Stadt Berlin definiert Kulturwirtschaft im Jahr 2006 als den erwerbswirtschaftlichen Sektor, in dem Unternehmen und Selbständigen erfasst werden, die kulturelle und symbolische Güter produzieren, vermarkten, verbreiten oder damit handeln sowie Kulturgüter bewahren, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet und in einer privaten Rechtsform organisiert sind.

Von den Cultural Industries zu den Creative Industries Im Unterschied zum Begriff Kulturindustrie im Adorno’schen Sinn hat der Begriff Cultural Industries seit Mitte der 1990er Jahre in Großbritannien eine stark politisch motivierte und insbesondere strategische Wende erfahren. Er hat in den letzten Jahren breite Aufmerksamkeit erlangt, da er Mitte bis Ende der 1990er Jahre ein generationsspezifisches Reservoir von neuen Formen der Arbeit an neuen Arbeitsorten sowie gleichzeitig innovativen Märkten repräsentierte (Banks/Lovatt/O’Connor et al. 2000, S. 453). Die aus der Populärwie Popkultur kommenden Produkte, Stile und Trends wurden von der La-

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bour-Partei seit Mitte der 1990er Jahren als mögliches Feld für die Neuformierung ihrer Kulturpolitik aufgegriffen. Die Kulturindustrien bündelten alternative ästhetische Vorstellungen und begründeten einen Begriff von Kultur, der den Mainstream der Minderheiten zur Maxime erhob und die Differenzierung zwischen Hoch- und Subkultur zunehmend aufweichte (Holert/Terkessidis 1996). Dieser Begriff von „Kultur“ verband sich mit Marktwerten und dadurch mit der Möglichkeit, mit Kulturprodukten komplexe Wertschöpfungsketten zu generieren. Eine traditionell ausgerichtete Kulturpolitik war gegenüber diesem kulturellen Verständnis denkbar schwach positioniert. Die Verflüssigung vom rigiden und zugleich umkämpften bürgerlichen Kulturverständnis nahm ihren Lauf. Da sich das traditionelle Verständnis der bürgerlichen (Hoch-)Kultur in klaren Abgrenzungen und Opposition zu Sub-, Pop- und Alternativkulturen befand, musste die Regierung von Tony Blair ein neues Kulturverständnis entwickeln, wenn er die Akzeptanz- und Beschäftigungseffekte der Popkultur nutzen wollte. So versuchte die Regierung Ende der 1990er Jahre systematisch, ihren Begriff von Kultur zu modifizieren und neue Kulturfelder anschlussfähig für ihre Sozial- und Beschäftigungspolitik zu gestalten. Es galt eine Kulturpolitik für das Land Großbritannien zu entwickeln, welche die aufstrebenden, zunehmend heterogenen kulturindustriellen Segmente mit den neuen Produktionsbedingungen, vornehmlich den neuen digitalen Technologien und Medien, konzeptionell zu verbinden im Stande war. Um dies zu erreichen, beauftragte Blair im Jahr 1997 nicht den Wirtschaftsminister, sondern den Staatssekretär für Kultur, Medien und Sport, Chris Smith, mit der Einrichtung einer sog. „Creative Industries Task Force“. Sämtliche Minister der Labour-Regierung sollten mit Vertretern aus den etablierten Großindustrien darüber nachdenken, wie und warum gerade die Creative Industries einen zentralen Part in der britischen Wirtschaft spielen bzw. wie die Basis dieser Industrien durch eine intelligente Politik weiter befördert und verbessert werden könnte. Die von der britischen Regierung eingesetzte „Creative Industries Task Force“ arbeitete auf zwei Ebenen: zum einen analysierte sie Erfahrungen und aktuelle Aktivitäten in den einzelnen Branchen und ermittelte dabei insbesondere künftige Wachstumspotenziale, zum anderen identifizierte sie essenzielle Schlüsselbereiche, die zum Wachstum des gesamten Sektors bzw. von Teilsektoren beitragen könnten. Seit 1998 werden daher vom Department for Culture, Media and Sport (DCMS) die Resultate dieser inter- bzw. transministeriellen Kooperation über das ökonomische und Arbeitsmarkt-Potenzial der Creative Industries in Form von „mapping documents“ vorgelegt (DCMS 1998). Diese „mapping documents“ beantworten die Fragen, welche Sparten und Bereiche zu den Creative 79

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Industries gezählt werden: Dazu zählen Werbung, Architektur, Kunst- und Antiquitätenmarkt, Kunsthandwerk, Design, Designer-Mode, Film, interaktive Freizeit-Software, Musik, darstellende Künste, Verlagswesen, Software, TV und Radio. Es handelt sich um eine Mischung traditioneller Sparten der Kulturindustrie mit Teilen des Telekommunikationssektors, also um die Integration der durch die digitale Revolution entstandenen neuen Produktionsund Distributionsformen. Die dabei formulierte Kulturpolitik der Labour-Partei veränderte im Jahr 1997 nicht nur den Begriff Cultural Industries in den Begriff Creative Industries. Sie justierte mit diesem neuen Begriff über die Neuformierung einer Kulturpolitik ihre bisherige Beschäftigungs- und Sozialpolitik (Pratt 2005, S. 32). Dabei klammerte sie kreative Industrien, bündelte also die Knowledge Industries, die Information Industries und die Intellectual Property Industries, ungeachtet ihrer empirischen Bedingungen, strukturellen Heterogenitäten und spezifischen Verfahrensweisen innerhalb ihrer jeweiligen Kunst- oder Mediensegmente. Nicholas Grabham und Andy Pratt weisen darauf hin, dass die konservative Regierung zwischen 1979 und 1997 nachhaltig an der Förderung der Information- und Knowledge-Ökonomien arbeitete (Garnham 2005, S. 16; Pratt 2005, S. 33 ff.). Begrifflich konnte somit von der Labour-Partei nicht mehr auf diese Bezeichnungen zurückgegriffen werden, da ihnen das Stigma der konservativen Partei anhaftete. Sie brauchte neue Begriffe und fand diese mit dem Begriff „Creative Industries“ (Oakley 2004). Das Modell der Kulturindustrien wurde als eine komplexe Wertschöpfungskette verstanden. Die Kontrolle von Schlüsselpunkten innerhalb dieser Kette ermöglichte die Distribution der jeweiligen Produkte sowie der eingesetzten Arbeitskraftressourcen. Dies, so Nicholas Garnham, war durch die strukturell hochgradig ungleichen Kraftverhältnisse in den Kulturindustrien möglich (Garnham 2005, S. 20). In diesen Industrien bestehen Möglichkeiten, enorme monetäre Gewinnspannen zu erzielen, wobei die eigentlichen Produzenten meistens die geringsten Einkommen aufweisen. Die neu aufstrebenden digitalbasierten Medientechnologien wurden – Nicholas Garnham zufolge – durch die semantische Umbenennung der Cultural Industries zu den neuen Creative Industries gerechnet. Dabei wurden insbesondere die existierenden Bedingungen in der vormaligen Kulturindustrie als Vorlage für die Bereiche der Beschäftigungs-, Sozial- und Einkommenspolitik herangezogen (ebd., S. 20-21). Das vorrangige Ziel war dabei die Bündelung heterogener kultureller Verwertungen unter einem administrativen Dach. Es galt aber, sich einen Handlungsrahmen aufzubauen, um die Aufwertung der eigenen, nationalen Kultur zu forcieren (Hesmondhalgh/Pratt 2005, S. 4).

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Programmatisch unterstützt wurde dieser neue kultur- und sozialpolitische Kurs durch sog. „spin doctors“1, wie beispielsweise die Regierungsberater Charles Leadbetter und Charles Landry. Ersterer entwarf Mitte der 1990er Jahre den Begriff „social entrepreneur“. Darunter verstand er einen sozialen Unternehmer, einen in den sozialen Hilfsdiensten selbständig agierenden Unternehmer, der Beschäftigungsoptionen infolge der Privatisierung der sozialen staatlichen Infrastrukturen (Krankenhaus, Pflegedienste etc.) übernehmen sollte (Leadbeater 1997). Wenig später wurde dieser unternehmerische Beschäftigungsstrukturtyp programmatisch auf den kulturellen und kreativen Dienstleistungsbereich und die dort operierenden Akteure ausgedehnt. Dass es nicht nur bei einer beschäftigungspolitischen Ausdehnung blieb, zeigt der politische Berater Charles Landry (Leadbeater 1999). Er bezog das politische Deregulierungsprogramm für die Kunstproduzenten zunächst auf die Städte (Creative City), dann auf das gesamte Land (Creative Britain) (Landry 1996; 2001 und Smith 1998). Den semantischen Umprogrammierungsprozess von Cultural zu Creative Industries erklärt Andy Pratt auch durch einen Abgrenzungsprozess. Die Labour-Regierung versuchte sich auf dem Weg zum politischen Zentrum von den Aktivitäten der links gerichteten metropolitanen Councils zu trennen (Pratt 2005, S. 32-33). Diese richten kulturkritisch motivierte Vorwürfe an die Labour-Partei, sie würde die Kultur des Landes kommodifizieren und funktionalisieren. Gerade die councils wollten daran festhalten, Kultur als rein öffentliches Gut anzusprechen, das allen gleich zugänglich sein soll. Sie wendeten sich gegen monetäre Werte kultureller Produkte und weisen Kultur einen zivilisierenden Effekt zu. Kurz, sie hielten daran fest, Kultur als ein Projekt der Aufklärung und Zivilisierung anzusprechen. Aus modernisierungstheoretischer Perspektive muss aber darauf verwiesen werden, dass der Widerstreit um traditionelle oder moderne Kulturpolitiken von stabilen Grundannahmen getragen ist: Kultur und ihre Akteure werden romantisiert und idealisiert, sie arbeiten weiterhin mit einem isolierten begrifflichen Verständnis des Künstlers als Genie. Die Creative Industries repräsentieren dagegen ein kulturpolitisches Konzept, bei dem es nicht um autonome Kunst und Kultur als öffentliches Gut geht, sondern um direkt kommerziell verwertbare kreative Leistungen einerseits und um die Modifizierung des in den Kulturindustrien vorherrschende Verständnis von vormals auf breiter Basis staatlich geförderter Kultur andererseits. Eine an dieser Spitze selbständig operierende kleine Gruppe von Kulturproduzenten und Künstlern sollte zum normativen Maßstab der neuen Beschäftigungs- und Sozialpolitik ausgerufen werden. Man ging davon aus, dass die Creative Industries ein vielschichtiges Reservoir an Beschäftigungstypologien beherbergten, auf das sich Strategiekonzepte und Förderstrukturen der 1

Engl. Bezeichnung für einen politischen Medienberater.

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Labour-Regierung bezogen. Damit konnte man dem Land einen aus ihrer Sicht notwendigen Modernisierungsschub verpassen. Die Fortführung des durch Blairs Vorgängerin Margaret Thatcher eingeführten Wirtschaftsliberalismus orientierte sich an einer Neubewertung der Pop- und Populärkultur. Die sich verwischenden Grenzen zwischen Hoch- und Subkultur konnten geschickt genutzt werden, um neue Beschäftigungsoptionen für beschäftigungsferne Milieus zu eröffnen. Die Creative Industries stellten zudem das notwendige personale Repräsentationsarsenal bereit, um dem Staat zu einem neuen Image zu verhelfen. Sie gründete dies auf dem Repräsentationspotenzial des Pop, in dessen Folge Slogans wie „Cool Britannia“ dem Land ein neues Image zu verordnen versuchten (Lange/Steets 2002b; Volkerling 2001). Das Konzept der Creative Industries ist zunächst ein politisches Konstrukt; es entstammt nicht, wie die Begriffe und analytischen Konzepte Kulturindustrie und Kulturökonomik, dem akademischen Diskurs, sondern ging aus politischen Erwägungen hervor.

Typologien des Unternehmers Im weiteren Verlauf wird dargestellt, wie sich die sozialwissenschaftliche und sozialräumliche Forschung im Bereich Entrepreneurship in den vergangenen Jahren thematisch ausgeweitet hat. Sie hat sich dabei strategisch wie konzeptionell neu positioniert. Im Fokus stehen die paradigmatischen Auffassungen sowie axiomatischen und normativ-konzeptionellen Zuschreibungen, die sich in verschiedenen kapitalistischen Epochen mit der typologischen Figur und dem strukturellen Rollenmodell „Unternehmer“ verknüpfen. Dabei lassen sich grundsätzlich mehrere Typiken aufgrund spezifischer Wert- wie Rationalitätszuschreibung identifizieren. Die Differenzierung der Begriffe Erfinder, Gründer und Unternehmer repräsentiert zugleich einen (idealtypischen) Verlauf, bei dem die Entwicklung einer innovativen Idee (Erfindung) übergeht in den (re-)produktiven Gründungsprozess einer durch eine oder mehrere Personen getragenen unternehmerischen Einheit (Gründer). Diese wird dann unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten von einer (oder mehreren) verantwortlichen Person(en) (Unternehmer) geleitet.

Homo Oeconomicus Die Funktionszuschreibungen und normativen Setzungen bzgl. des Unternehmers sowie der gesellschaftliche Stellenwert von Entrepreneurship basierten lange Zeit auf rein betriebswirtschaftlich-ökonomischen Annahmen. Diese Konzepte stützten sich auf einen in seinem Denken ausschließlich rational ausgerichteten Idealtypus, den Homo Oeconomicus (Sellien/Arentzen 1992). Das Akteursmodell Homo Oeconomicus ist als eine Hypothese im Sinne eines 82

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

Best-practice-Modells anzusprechen: Das Verständnis eines zweckrational denkenden Individuums ist vor allem für die neoklassische Modellbildung theoriekompatibel (Schamp 2003, S. 148). Handlungsbestimmend sind seine Fähigkeit zu uneingeschränkt rationalem Verhalten sowie das Streben nach Nutzenmaximierung. Dies wird für Konsumenten und Produzenten in der speziellen Ausprägung der Gewinnmaximierung gleichermaßen angenommen. Des Weiteren wird ihren Trägern lückenlose Information über sämtliche Entscheidungsalternativen und deren Konsequenzen zugewiesen.

Max Webers Typus des Unternehmers Dagegen basiert die Konzeption und Typisierung des Unternehmers bei Max Weber auf einer soziologischen und kulturellen Perspektive. Milieu- und kontextspezifische Parameter werden für ökonomisches Handeln als konstitutiv erachtet. Webers argumentativer Ausgangspunkt basiert auf der Feststellung, dass das Handeln der neuzeitlichen Unternehmer der westlichen Welt durch Verhaltensmuster getragen wird, die zusammengenommen ein „Ethos“ konstituieren (Weber 1947; orig. 1920/21, S. 37 ff.). Unter einem Ethos versteht Weber ein tatsächlich gegebenes, typisches – in diesem Fall protestantisches – Verhaltensmuster einer Persönlichkeit oder einer Gruppe von Persönlichkeiten. Dieses ist an Werte und Verhaltensmaximen geknüpft. Für das Verhalten des neuzeitlichen Unternehmers ist seiner Auffassung nach ein rastloses Erwerbsstreben, die strenge Legalität hinsichtlich der Auswahl und Nutzung der Erwerbschancen, eine über das verbindliche Recht hinausgehende „sittliche Redlichkeit“ gegenüber den Geschäftspartnern, ein rational berechnendes, durch Kalkulation abgesichertes Handeln kennzeichnend. Dies ist stets für effizienzsteigernde Innovationen offen und fußt auf der Unterordnung der eigenen Person unter ihre Aufgabe (ebd.).

Joseph Schumpeters schöpferischer Wirtschaftsführer und Innovator Der Ökonom Joseph A. Schumpeter prägte den Begriff „schöpferische Zerstörung“. Seine Kernaussage lautet, dass jede ökonomische Entwicklung auf einem Prozess der schöpferischen bzw. kreativen Zerstörung aufbaut. Durch die Zerstörung von alten ökonomischen und institutionellen Strukturen werden die Produktionsfaktoren immer wieder neu geordnet. Die Zerstörung ist also notwendig, damit Neuordnung zum Zweck des Fortbestands stattfinden kann. Auslöser für die schöpferische Zerstörung sind Innovationen, die von den Unternehmern in ihrer Rolle als Innovatoren mit dem Ziel vorangetrieben werden, sich auf dem Markt durchzusetzen (Petersen 2000, S. 117-120). Schumpeter zufolge zielt die Kraft der schöpferischen Zerstörung auf die Eröffnung neuer fremder oder einheimischer Märkte ab. Die Wirtschaftsstruktur 83

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muss unaufhörlich von innen heraus revolutioniert werden, die alte Struktur unaufhörlich zerstört, damit eine neue geschaffen werden kann. Dieser Prozess der schöpferischen Zerstörung stellt nach Schumpeter das für den Kapitalismus wesentliche Faktum dar (Schumpeter 1980, S. 134 ff.). Ökonomischer Eigennutz begründete in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung die individuellen Pionierleistungen. Schumpeter zufolge ist jeder Erfinder zunächst Monopolist. Erst wenn Nachahmer auftreten, verblasst die Stellung der Erfinder. Schumpeter erkannte das Wechselspiel aus Erfindung und Imitation als Triebkraft des Wettbewerbs. In den wenigen Eckpunkten des Schumpeter’schen Verständnis der wirtschaftlichen Entwicklung kommt eine sozialdarwinistische Logik zum Ausdruck, die in einem engen Verhältnis zum gesellschaftlichen Dispositiv des unternehmerischen Selbst steht. Die neoliberalen Deregulierungen haben das Interesse im Schumpeter’schen Sinne kreativ zerstörerischer Unternehmer wiedererkannt.

Der verantwortliche Unternehmer Neben zunehmend intensiveren Forschungen über die Entstehung von personaler Kreativität zeigen sich aber auch andere Auffassungen von Innovation und Kreativität. Darin stehen nicht ausschließlich das Individuum und ein Innovator sowie Unternehmer im Mittelpunkt. Diese Ansätze betonen ein Kollektiv, das in unterschiedlicher Form und Ausprägung in einen sozialen Kontext eingebunden ist und von dem aus sich Innovationen entfalten. Insbesondere großindustrielle Unternehmerpersönlichkeiten verstanden es, kreatives Denken und Handeln bei ihren Arbeitern und Angestellten zum Wohle des gesamten Unternehmens zu aktivieren. Bspw. initiierte Alfred Krupp 1872 mit dem Konzept des Generalregulativs ein betriebliches Vorschlagswesen. Ähnliche innerbetriebliche Regelungen und Regulierungen wurden von den Unternehmern Borsig und Siemens initiiert. Dieser Unternehmergeneration wurde aufgrund ihrer sozialpolitischen Leistungen, wie bspw. Siedlungsbzw. Wohnungsbau und Sozialeinrichtungen, ein hohes Maß an Verantwortungskompetenz gegenüber ihren Mitarbeitern und Arbeitern zugesprochen.

Unternehmer als Gründer Die Betrachtung des unternehmerischen Leitbilds des Gründers verbindet sich jedoch in jüngster Zeit wieder mit dem klassischen Theorem des Schumpeter’schen Unternehmers. Es spricht den Unternehmer als Risikoträger und Risikogestalter an (Mohn 1988, S. 44). Der Gründer wird als eine „herausragende Persönlichkeit“ verstanden, die „Dynamik, Innovationskraft und Pioniergeist“ verkörpert (Hodenius 1997, S. 84

ARBEIT UND ENTREPRENEURSHIP

132-133). Damit werden Werte wie individuelle Leistungsbereitschaft gesellschaftlich positiv bewertet, verbindet sich doch mit der Hervorhebung individueller Leistungsbereitschaft die Option auf hohe soziale wie berufliche Karrieremobilität. Durch die Hervorhebung dieser Leistungsindikatoren ist auch weniger von einer empirisch motivierten Figur des Gründers zu sprechen als vielmehr von einem Leitbild, das gesellschaftlich normative Werte transportieren soll. Übernahmen großindustrielle Unternehmer noch zusätzlich zu ihrer Aufgabe als Gründer und Innovator soziale Verantwortung, so verbindet sich der jüngste Gründerdiskurs seit Mitte der 1990er Jahre nur noch selten mit Fragen der sozialen Verantwortung gegenüber Arbeitnehmern. Allein die Tatsache, dass die Figur des Gründers Arbeitsplatzangebote schafft, ermächtigt ihn nicht die die Verfügungsmacht über Produktionsmittel zu haben sowie deren Einsatz und ihre Verteilung.

Der Unternehmer als Genie Aufbauend auf den Ideen und Betrachtungsweisen zur Rolle der unternehmerischen Innovatoren bei Schumpeter breitete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder die Idee des Genies als wirtschaftlichem Motor aus. Man ging davon aus, dass der Intellekt als zentrale Bestimmungsgröße anzusprechen sei, um den kreativen Genius zu beschreiben. Im Bereich der Erforschung von Erfinder-Unternehmern zeigt sich eine Rückbesinnung auf den geradezu genialen Erfinder-Unternehmer (Mieg 2005). Laut Harald Mieg sind „ErfinderUnternehmer […B.L.] Menschen (nicht Netzwerke oder Unternehmer), die kreativ sind und unternehmerisch handeln. Sie verkörpern in ihrer Person den Innovationsprozess, von der Erfindung bis zur Marktdurchsetzung […B.L.], und erschaffen dabei Standorte“ (Mieg 2005). Der soziale und räumliche Kontext, in dem sie operieren, wird relativ undifferenziert als „reich an Komplexität“ verstanden, ist technizistisch steuer-, präg- und gestaltbar, es dominiert die „seltene Spezies des Erfinder-Unternehmers“ mit großem Innovations- und Aktivitätspotenzial, das ihm hilft, „soziale und technologische Komplexität“ zu meistern (ebd.). In diesem sozialpsychologischen Verständnis artikuliert sich eine Verkörperung des Innovationsprozesses in der Person des Unternehmers, der diesen Prozess von der Erfindung bis zur Marktdurchsetzung durchläuft. Individuell verankerte kreative Kräfte und Fähigkeiten werden als eine Begründung für im Nachhinein erfolgreiche Unternehmensgründungen angesprochen. Aus analytischer Perspektive zeigt sich ein Rückgriff auf ein Kreativitätsverständnis, das herausragende Fähigkeiten in der Person des genialen Menschen lokalisiert.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Künstler als Unternehmer Weitere sozialpsychologische Erklärungsansätze haben zur Frage der Hervorbringung von Erfindungen auf ein Konzept von personaler Kreativität zurückgegriffen, das lange Zeit in Verbindung mit der Kunst stand. Künstlern wurde aufgrund ihrer Tätigkeiten das Attribut zugewiesen, genial sowie kreativ hinsichtlich ihrer individuellen Fähigkeit zu sein. Neben der gesellschaftlichen Perspektive auf die soziale Gruppe der Künstler zeigt sich, dass diese Rollen- und Funktionszuschreibungen relativ wenig mit der faktischen Arbeits- und Lebenspraxis gemein haben. Aus der Binnensicht des Künstlers muss seine künstlerische Tätigkeit – ähnlich wie die von betrieblichen Unternehmern – als eine organisatorische, mikrounternehmerische und ebenso sozioökonomisch eingebettete Struktur verstanden werden. Aus der Perspektive und der Selbstbeschreibung des Künstlers zeigt sich, dass der Künstler seit der Renaissance, und in Teilen schon in früheren Epochen, als Auftragskünstler agierte. Dem Verhältnis lag eine klar definierte Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zugrunde. Erst später kristallisierte sich im Zuge der aufkommenden Moderne die soziale und gesellschaftliche Autonomie des Künstlers heraus, in deren Verlauf sich die Produktionsund Vertriebsweisen der Kunst generell änderten (Rothauer 2005, S. 35). Waren es vormals feudale, kirchliche oder weltliche Mäzene, so traten später ein gebildetes und wirtschaftlich solventes Bürgertum sowie Mittler (Galeristen, Kritiker und Produzenten) an deren Stelle. Letztere garantierten den Vertrieb und das finanzielle Auskommen der Künstler. Moderne Reproduktionstechniken führten zu einer Verbreitung dessen, was man gesellschaftlich als Kunst bewertete. Damit ging aber auch ein neues Verständnis für die Wirkungskraft des nun beliebig reproduzierbaren Originalkunstwerks einher. In der Folge kam es zu einer Entkoppelung des nicht mehr an das Original gebundenen Begriffs vom genialen und kreativen Künstler. Eine zentrale Richtung der Pop-Kunst erklärt die Kunst zur Ware, wiewohl die beliebig reproduzierbare Ware zur Kunst umdefiniert wurde. Die Zuschreibung von Kunst als beliebig reproduzierbare massenkompatible Ware löste nicht vollständig den Genius-Anteil von der Person des Künstlers ab, die Entmystifizierung des Künstlers erhielt aber einen kräftigen Schub und schritt weiter voran.

Kreativität und Entrepreneurship Zahlreiche behavioristische Studien im Bereich der Betriebswirtschaft und der Managementwissenschaften greifen bei der systematischen Erforschung der Bedingungen von Entrepreneurship auf (bekannte) und mitunter traditionelle Konzepte von personaler und individueller Kreativität zurück. Das Studien-

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fach „Creativity and Entrepreneurship“ an der University of Nottingham in Großbritannien zeigt dies exemplarisch. Zahlreiche Definitionen in der Managementliteratur fassen Entrepreneurship als einen Prozess auf. Entrepreneurship bedeutet in dieser Perspektive, eine Gelegenheit ohne Rücksicht auf die zu diesem Moment kontrollierbaren Ressourcen wahrzunehmen (Faltin 1998, Ripsas 1997, Matis 2002). Entrepreneure kreieren dadurch in einem kurzen Zeitfenster einzigartige Werte, Sachverhalte und Produkte. Ihnen wird die Fähigkeit zugeschriebenen Chancen, Perspektiven und Optionslagen zu erkennen, wo andere sie nicht sehen. Um die erkannten Marktchancen auszunutzen, schaffen sie Zugang zu den benötigten Ressourcen und bauen eine neue Organisation bzw. ein neues Unternehmen auf. Und dieses Verständnis von Entrepreneur repräsentiert eine enge Verbindung zwischen Wandel, Innovation, Wachstum und Kreativität. Kreativität und Innovation beschränken sich – folgt man der hier ausgewählten Literatur – nicht ausschließlich auf das geniale „Moment“, den Durchbruch einer Erfindung beispielsweise. Die notwendigen individuellen Fähigkeiten und Ressourcen ziehen sich im Verständnis zahlreicher Managementtechniken durch die gesamte Wertschöpfungskette und beschränken sich nicht nur auf die Erfindung und Einführung neuer Produkte. Entrepreneurship spielt nicht nur bei Start-ups eine wichtige Rolle, auch für etablierte und am Markt operierende Unternehmen gewinnt Entrepreneurship als strategischer Prozess an Bedeutung. Manager müssen – so die Ideologie ausgewählter Unternehmensphilosophien – diese personalen Qualitäten aufweisen, um zukünftig Risiken und Chancen besser antizipieren zu können. Um den dabei benötigten „Entrepreneurial Spirit“ innerhalb einer bestehenden Organisation zu erhalten, zu wecken und auszubauen, müssen dynamische, interne und innerbetriebliche Märkte für Ideen, Kapital und Talente geschaffen werden. Das zeigt die radikale Subjektivierung von Erwerbsarbeit durch das Paradigma der Kreativität innerhalb innerbetrieblicher Subjektverwertungen. Die diesen Organisationsverfahren zugrunde liegenden Managementkonzepte formulieren Sozialtechniken der Mobilisierung, Verwertung und Optimierung der vorhandenen menschlich-intellektuellen und technischen Ressourcen. Während es in den großbetrieblichen Unternehmensstrukturen noch kollektive Effektivitäts- und Innovationsprogramme gab, so weisen die jüngeren Ansätze aus der Betriebswirtschaft ein neues Leitbild auf: Ihre programmatischen Praktiken artikulieren und fordern nicht nur effizientere Planung, höhere Effektivität und bessere Arbeitsbewältigung auf der kollektiven Ebene des Unternehmens, sondern zeichnen auch ein neoliberales Leitbild auf der Ebene eines Subjekts (Osten 2003, S. 7-18). Permanente Kreativitätsaufforderungen als unabdingbare Voraussetzung für das Bestehen des gesamten wie des innerbetrieblichen Arbeitsmarktes kehren diese Bedingung zu einer wichtigen Fähigkeit um. In ihrer Unbe87

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

stimmtheit und fehlenden Kontrollmöglichkeit gibt sie sich aber als ein Paradoxon zu erkennen. Das dabei zum Tragen kommende Verständnis von Kreativität richtet sich mehr an einem emphatischen Konzept des Individuums aus. Kreatives Sein ist zu einem gesellschaftlichen Imperativ avanciert und stellt eine Grundvoraussetzung dar, der alle Individuen unterworfen sind. Die Dominanz des kreativen Imperativs kann aus dieser Perspektive als ein gesellschaftliches Dispositiv mit Regelsystemen und Selbsttechnologien verstanden werden, dem ein implizites gesamtgesellschaftliches Einverständnis zugrunde liegt: Die Integration vormals individualistischer Werte der künstlerischen Artikulation ist auf der einen Seite marktkonform geworden. Auf der anderen Seite gründen diese Prozesse (noch) auf dem breiten Zugang zu den demokratisch verteilten Ressourcen, wie z.B. Wissen, Bildung, Infrastrukturen etc. Karl-Heinz Brodbeck fasst diese Ambivalenz zusammen, indem er auf der einen Seite auf die „Vermassung des Schöpferischen“ hinweist, zum anderen auf deren emanzipatorisches Potenzial, d.h. auf deren Demokratisierungspotenzial, um das verschiedenste Akteure ringen (Brodbeck 1999, S. 4 ff.).

„Gründer aus der Ökonomie der Not“? Unternehmensgründung und Institutionsökonomie Der Begriff eines Gründertyps, der aus einer „Ökonomie der Not“ heraus gründet, geht auf Dieter Bögenhold zurück (Bögenhold 1989, S. 269; Bögenhold 1987). Er bezieht sich auf den umgangssprachlichen Satz „Not macht erfinderisch“, der im Kern dem Satz ähnelt: „Wenn dir niemand mehr hilft, helfe dir selbst“. Diese Paraphrasierungen haben einen zentralen Ausgangspunkt in der Debatte um relative und objektive (sozioökonomische) Armut. Materielle Not, die Anstrengungen ums tägliche Überleben sowie die sich daraus ergebenden Selbsterhaltungspraktiken haben diese verkürzte Darstellung einer notwendigen Lösungsaufforderung auf den Weg gebracht: Institutionsökonomisch haben in der Mitte der 1990er Jahre insbesondere Sozialwissenschaftler Entwicklungsfragen, Handlungspotenziale und biografischen Ressourcen von neuen Unternehmern in Ostdeutschland analysiert (Hodenius 1997; Koch/Woderich 1992; Thomas 1997a; Valerius 1997, Woderich 1996). Da der Typus des Unternehmers in der Staatsideologie der DDR per Definition nicht existent war, muss, aus der Perspektive der Gründung eines Unternehmens, von einer einzigartigen Situation ausgegangen werden (Woderich 1997, S. 211): Alte Regulative und institutionelle Gewissheiten wurden durch den Systembruch delegitimiert und außer Kraft gesetzt. Neue Institutionen und Ordnungsmuster dagegen waren erst später partiell funktionsfähig, mitunter auch nicht kompatibel. Sie mussten in Teilen auch erst neu erfunden, passfähig justiert und im Verlaufe der Zeit auf ihre Prakti88

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kabilität hin überprüft werden. Im Übergangszeitraum galt es situative und eigenwillige Lösungen an den Tag zu legen, da vorgefertigte und überprüfte Lösungswege nicht vorlagen. Aus dieser Perspektive ist weniger – im Sinne von Bögenhold – von Not-Situation zu sprechen, als von einer strukturell und systemisch offenen Situation, in die sich ein Prozess der Erfindung, der Unternehmensgründung und der identifikatorischen Werdung eines Unternehmers ohne vorhandenes Handlungsskript hinein entfaltet. Auch das soziale Milieu der „alten Neugründer“, die 1972 als damalige Mittelständler in der DDR enteignet wurden – noch Rückkehrer aus dem Westen oder andere externe Akteure –, bestimmen, so Rudolf Woderich, das Gros der „Bottom-up-Gründungen“ (Woderich 1997, S. 212). Es sind „Neue Selbständige“, die aus abhängiger Erwerbstätigkeit und ohne nachweisbaren wirtschaftsbürgerlichen Hintergrund ihre Existenz neu aufbauten (ebd.). Die umfassende empirische Anlage zahlreicher Studien zur Unternehmerentwicklung in Ostdeutschland zeigt zudem, dass alle sozialen Schichten des Volkes Erwerbstalente hervorbringen. Sozialdemografisch heterogene Herkunft ist kein fundamentales Defizit, sondern begründet geradezu den Reichtum der neuen Sozialform in ihrer strukturellen Vielfalt (ebd.). Die institutionsökonomische Perspektive erkennt den neuen systemischen Kontext an, in dem sich der Prozess der Gründung und der unternehmerischen Praxis vollzieht. Er verortet die Trägergruppen dieses Prozesse aber nicht in einer Stunde Null: Biografische Prägungen, lebensgeschichtliche Sedimentierungen und milieuspezifische Handlungsmuster sind nicht einfach annulliert, sondern müssen als handlungsrelevante Resonanzböden verstanden werden, vor deren Hintergrund sich die Ausformung einer unternehmerischen Praxis entfaltet. Es bedarf subjektiver Voraussetzungen, biografischer und sozialer Ressourcen, um den –„Übergang ins neue Handlungsfeld […] Stück für Stück kreativ“ zu erarbeiten (ebd.). Einfache Adaptionen von Rollen oder Verhaltensfolien waren nicht möglich, ein Umstand, der für die Analyse der Passagen neuer kultureller Unternehmer in dem spezifischen Fall der Transformationsstadt Berlin zu berücksichtigen sein wird. Wesentliche Schlussfolgerungen der institutionsökonomischen Perspektive auf Gründungsgeschehen bestehen darin, dass sie spezifische Kontextveränderungen benennen (z.B. Transformation der Systeme und Implementierung von neuen Institutionen in marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen). Die Wirkungsmächtigkeiten dieser Rahmungen beziehen sie auf die Entwürfe der beruflichen Selbständigkeiten und ihre jeweiligen Eigenheiten. Durch diese handlungsoffene Situation kann zum einen nach den eigenwilligen Handlungs- und Strukturpassungen der Neuen Selbständigen gefragt werden und zum anderen nach dem wirkungsmächtigen Verhältnis zwischen lebensweltlichen Aufschichtungen und deren Relevanz für die Passagen, die Unternehmensgründer durchlaufen (Thomas 1997b, S. 35). 89

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Somit verlieren Differenzierungen zwischen „Gründungen aus einer Ökonomie der Not“ und „Gründungen aus einer Ökonomie der Selbstverwirklichung“ an Erklärungskraft, da Anlass, Motivkonstellation, Art und Weise sowie Konsequenzen für den neuen Modus der Selbständigkeit, so Michael Thomas, als „überaus vielfältig“ bewertet werden müssen (Thomas 1997b, S. 39). Die Passagen der Neuen Selbständigen müssen aus dieser Sicht als berufliche, professionelle und soziale „Schlüsselereignisse“ verstanden werden, dem sich typologische Vereinfachungen (im Grunde genommen) entziehen (ebd.). Aus dieser Perspektive ergeben sich Konsequenzen für die Dimension und die Qualität der im Verlauf einer Statuspassage relevanten individuellen Ressourcen und lebensweltlichen Lagen (Mikroebene). Michael Thomas fasst die Konfrontierung von Akteuren mit der Optionslage „Unternehmensgründung“ als eine Statuspassage und eine „Aufwertung der Empirie“ auf (Thomas 1997b, S. 38-39). Er verweist dabei auf die prinzipiell neue Situation, die sich darstellt und für die Lösungen getroffen werden müssen. Dabei, so Thomas, artikuliert sich der „kreative Eigensinn der Passagen“ (ebd., S. 39). Ebenso ist die Dichte der sozialen Beziehungen von zentraler Bedeutung, der in Form von Unternehmenskulturen, wieder neu erfundenen bekannten Traditionen, informellen, milieuartigen Netzstrukturen (Mesoebene) eine hohe und gleichsam tragende Funktionalität zukommt.

Unternehmer seiner Selbst Die konzeptionellen Ansätze der unternehmerischen Entwicklungswege und der dabei durchlaufenen Statuspassagen von Neuen Selbständigen gerade in Ostdeutschland sowie deren Ergebnisse können auch für die Analyse anderer Systemtransformationen – wie die der Kreativwirtschaft in Metropolräumen – stark gemacht werden. In den herangezogenen Studien von Rudolf Woderich, Michael Thomas u.a. zum Sozialstrukturtypus der Neuen Selbständigen kommt zum Ausdruck, dass sie aufgrund der handlungsoffenen Situation als intermediäre Institutionen und funktionale Äquivalente anzusprechen sind. In ähnlicher Gestalt zeigen sich – so die Analyse der jüngsten Fachliteratur – aus der Perspektive der Kreativwirtschaft neue selbständig operierende Akteure im Übergangsbereich zwischen Kunst und Kultur bzw. Wirtschaft. Sie haben im europäischen Raum zwischen den Jahren 1998 und 2004 zahlreiche Namen erhalten: Social Entrepreneurs (Leadbeater 1997), Cultural Entrepreneurs (Leadbeater/Oakley 1999) und Culturepreneurs (Davies/Ford 1999, Lange 2005c, S. 81-98). Politische Programme unterstützen berufliche Verselbständigung, wie beispielsweise das Programm der Ich-AG. Seit dem 1. Januar 2003 besteht in Deutschland die Möglichkeit, sich mit einer sog. Ichbzw. Familien-AG selbständig zu machen. Die Förderung richtet sich an vormalige Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe oder Beschäftig90

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te in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen, die eine selbständige Tätigkeit aufnehmen. Der Zuschuss wird in abnehmender Höhe für maximal 3 Jahre gewährt, so lange das Einkommen 25.000 Euro im Jahr nicht überschreitet. Der Zuschuss beträgt nach Auskunft des Arbeitsamtes im ersten Jahr 600, im zweiten Jahr 360 und im dritten Jahr 240 Euro monatlich. Die Leistung wird jeweils für ein Jahr bewilligt. Vor erneuter Bewilligung ist vom Existenzgründer nachzuweisen, dass die Förderungsvoraussetzungen weiter vorliegen. Die Förderung muss vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit beim zuständigen Arbeitsamt des jeweiligen Wohnortes beantragt werden. (www.bmwa.bund.de, Zugriff am 01.08.2005). Ein anderer Begriff ist Arbeitskraftunternehmer (Pongratz/Voss 2004; Voss/Pongratz 1998), die Ethnologie arbeitet mit dem Begriff Cultural Broker (Welz 1996, S. 2629). Im Unterschied zu den bekannten traditionellen Unternehmertypen bündeln sich in diesen Gestalten programmatische Politiken, die auf der Subjektebene neue soziale, unternehmerische und berufliche Verfahren zu positionieren versuchen. Aus der Perspektive der hier vorgestellten Unternehmertypologien nehmen die in den vergangenen Jahren neu hervorgetretenen gewissermaßen eine strukturelle Sonderposition ein. Ihre Emergenz erklärt sich vor dem Hintergrund neuer angebotsspezifischer Optionen, Dienstleistungs- und Arbeitsmarktanforderungen, Individualisierungsansprüche sowie fehlender Anschlüsse der von Erwerbsarbeit. Die sich dabei vollziehenden Entgrenzungen der Arbeitsformen – in temporären, netzwerkartigen Gruppen- und Projektarbeiten – stellen diese Akteure vor neue Anforderungen. Welche Verhältnisse aber entwickeln sie zu Raum und Ort und wie können sozialräumliche Kontexte für die Analyse der Emergenz Neuer Selbständiger in der Kreativwirtschaft stark gemacht werden?

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Entre pre ne urship und Kontexte

In diesem Kapitel werden konzeptionelle Ansätze vorgestellt, die das Verhältnis zwischen Entrepreneurship und ihren sozialräumlichen Kontexten beschreiben. Im Fokus steht dabei der sozialstrukturelle Einbettungskontext dieser Akteure, aber auch die sozialräumlichen Rahmungen werden als Erklärungsgrundlage für unternehmerisches Handeln im Bereich der Kreativwirtschaft herangezogen. Dabei wird gezeigt, wie sich Forschungsansätze in den vergangenen Jahren aus dem Bereich der Entrepreneurshipforschung dem sozialen Kontext sowie Ort und Raum zugewendet haben und sich auf diese Weise ein sog. „Spatial Turn“ in der Entrepreneurshipforschung vollzogen hat. Eine vom Phänomen Entrepreneurship ausgehende Perspektive ist von Chris Steyaert und Jerome Katz vorgestellt werden (Steyaert/Katz 2004). Dieser wird konzeptionell durch jüngere neoinstitutionsökonomische Ansätze getragen. Die empirischen und konzeptionellen Ergebnisse von Mark Granovetter haben ab den 1970er Jahren auf die Relevanz des Kontextes hingewiesen, in dem sich unternehmerisches Handeln abspielt. Jüngere Ansätze aus dem skandinavischen aber auch dem niederländischen Raum machen sich für eine integrierte Perspektive des Phänomens Entrepreneurship sowie für die Einbeziehung der Dimension Raum stark: Soziale Netzwerke, Milieus und Szenen repräsentieren unterschiedliche Interaktionsformen sowie spezifische sozialräumliche Rahmungen, die analytisch im Verlauf des Kapitels diskutiert sowie gegeneinander abgegrenzt werden können. Ein Exkurs veranschaulicht die strategische Inwertsetzung des Potenzials einer neuen kreativen Klasse. Abschließend erfolgt eine erste Zwischenbilanz. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass die Rolle, die Potenzialität und die Funktion des Raums, zugespitzt in der Metapher des „breeding places“ (Masurel/ Nijkamp/Vindigni 2004, S. 77), nach wie vor eine „Black Box“ in der Entrepreneurshipforschung darstellen. 93

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Entrepreneurship und (Sozial-)Raum Der Zusammenhang zwischen Entrepreneurship und (Sozial-)Raum stellt ein disziplinäres Fundament der Human- und Wirtschaftsgeographie, der Regionalökonomie sowie der Arbeits- und Organisationspsychologie dar (Bathelt/ Glückler 2003, S. 175-177; Sternberg/Bergmann 2003; Malecki/Nijkamp/ Stough 2004; Nijkamp 2003; Feldman 2001; Basu/Altinay 2002; Berger 1991; Faltin 2001; Hjorth 2004; Hjorth/Johannisson/Steyaert 2003; Kirzner 1998; Nuissl 2001; Yurchak 2002; Hubbard/Hall 1998; Jessop 1998; O’Connor 1998; Rae 2004, McRobbie 2002b, Lange/Steets 2002b). Infolge der Kritik des traditionell neoklassisch ausgerichteten „spatial approach“ der Raumwirtschaftslehre zeigen sich vielfältige Ansätze, welche die „Rolle des Akteurs – verstanden als soziales Wesen, das u.a. auch ökonomisch handelt – bei der Bildung von räumlichen Strukturen“ hervorheben (Schamp 2003, S. 148). Konzeptionelle Ansätze des „behavioural approach“ und der Wahrnehmungsgeographie erklären individuelle Handlungen auf der Grundlage von Menschenbildern mit nicht-ökonomischen Prämissen. Jüngere Ansätze der durch die Wirtschaftssoziologie inspirierten Ansätze der Wirtschaftsgeographie beziehen sich auf den „interaktiven Akt“ zwischen verschiedenen Akteuren auf der Grundlage sozialer Netzwerke (Schamp 2003, S. 149). Diese interaktive und kommunikationsbasierte Perspektive und ihre Konsequenzen haben Harald Bathelt und Johannes Glückler im Jahr 2003 in der Wirtschaftsgeographie ausführlich dargelegt. Die systematische Einbeziehung des sozialen Kontextes vollzieht sich im Zusammenhang mit einer Fokussierung auf der Ebene der Mikroanalyse (Bathelt/Glückler 2002, S. 27). Diesen Ansätzen liegt ein konzeptionelles Verhältnis zwischen Akteur und sozialem Kontext zugrunde, mit und in dem der Unternehmer interagieren kann und muss. Die sozialen Kontexte werden als Netzwerke und Milieus jenseits von Mikro- und Makroebene als eine Mesoebene dazwischen positioniert. Welche Ausdrucksgestalten diese Interaktionsgeflechte im Bereich der Kreativwirtschaft und bei deren Unternehmern aufweisen, inwiefern diese zeitlich befristet sind, welche Einschluss- und Ausgrenzungsregeln sie aufweisen, wie stabil oder fragil sie sind, dies ist bislang wenig berücksichtigt worden. Ebenso wenig ist über das wirkungsmächtige Verhältnis zu den lebensweltlichen Aufschichtungen und system- wie kontextspezifischen Prägungen der handelnden Akteure im Prozess der Kontextgenerierung bekannt. Erste konzeptionelle Anschlüsse zur Erklärung des Verhältnisses von Sozialräumen und der Emergenz von Entrepreneurship zeigen sich bei Chris Steyaert und Daniel Horth.1 Empirische Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen indi1

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Siehe das Sonderheft „Entrepreneurship and space in the network age“ der internationalen Zeitschrift Entrepreneurship & Regional Development, 16. Ja-

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viduellem Handeln und Institutionenbildung in dem Bereich der Kreativwirtschaft klarlegen, stehen aber noch aus (Schamp 2003, S. 152). Neben der Berücksichtigung des sich dabei vollziehenden Paradigmenwechsels für die Wirtschaftsgeographie haben insbesondere die Arbeiten von Chris Steyaert und Jerome Katz (2004), Daniel Hjorth (2003 u. 2004), Edward Malecki und Peter Nijkamp (2004) und Peter Nijkamp (2003) eine explizit interdisziplinär angelegte Betrachtungsweise der sozialen und räumlich eingebetteten unternehmerischen Praktiken gefordert (Steyaert/Katz 2004, Hjorth 2001; 2004; Hjorth/Johannisson/Steyaert 2003; Malecki/Nijkamp/ Stough 2004; Nijkamp 2003). Aus einer geographischen, diskursiven und sozialen Perspektive wird Entrepreneurship als ein zentrales gesellschaftliches Phänomen angesprochen: Wie erschließen und konstituieren sich Unternehmer für sie passende und zugängliche Sozial- und Wirtschaftsräume? Zum anderen stehen zur Beschreibung der durch Interaktionen erzeugten Milieus, Netzwerke und Szenen kategoriale sozialstrukturelle Bestimmungsgrößen der Verräumlichung zur Verfügung. Sie weisen jeweils eigene Erklärungsreichweiten auf. Somit kündigt sich, entgegen der vormals individualistischen Erklärungsdominanz von Formen und Emergenzen von Entrepreneurship, eine relationale und gesellschaftlich integrierte Theorie- wie Empirieperspektive der Verräumlichung von Entrepreneurship an. Steyaert und Katz stützen diese Behauptung, da „there is no self-evident geography of entrepreneurship as it is not clear what constitutes our spatial preferences in entrepreneurship research“ (Steyaert/ Katz 2004, S. 185). Ähnlich wie sich der soziale Raum generell durch verschiedene Praktiken und Mikropolitiken konstituiert, so ist auch Entrepreneurship, wie Steyaert und Katz darlegen, als soziale Konstruktion oder Konzept zu verstehen (Steyaert/Katz 2004, S. 188). Entrepreneurship unterliegt gesellschaftlichen Bewertungen und Konjunkturen. Dabei, so Anthony Giddens, wurde Entrepreneurship von linken Positionen als egoistische Profitmaximierung verstanden, während neoliberale Theoriepositionen – wie in den vorangegangenen Ausführungen vorgestellt – die Rationalität des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs betonten. Dabei aber übersahen sie, dass diese unternehmerischen Innovatoren „spot possibilities, that others miss, or take on risks that others decline, or both“ (Giddens 2000, S. 75). Giddens schlussfolgert daraus, dass jedwede kreative Idee von welchem unternehmerischen Typus auch immer eine relevante Form der ökonomischen Energie generiert. Er artikuliert dabei aber nicht nur den vorschnellen Rücknuary 2004, sowie darin den konzeptionellen Artikel Chris Steyaert und Jerome Katz (Steyaert, Chris/Katz, Jerome (2004) "Reclaiming the space of entrepreneurship in society: geographical, discursive and social dimensions". Entrepreneurship and regional development. 16/3, S. 179-196.).

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fall in allein ökonomische Erklärungen von Entrepreneurship und ihre ökonomischen Notwendigkeiten. Vielmehr reichert er diese Erklärungen mit diffusen weichen Erklärungs- und Bestimmungsgrößen wie Kultur und Kreativität zur Beschreibung der Emergenz von Entrepreneurship an. Dies gilt, so Steyaert und Katz, auch für die Sphäre des Sozialraums und der Vergemeinschaftungsformen, in die der Unternehmer eingebettet ist. Zur Erklärung dieser Einbettungsform kommen verschiedene Beschreibungskategorien wie Gemeinschaften, Nachbarschaften, „circles“ sowie Netzwerke, Milieus und Szenen optional in Frage. Steyaert und Katz weisen auf die Verwendung von ungenauen und vorschnellen begrifflichen Zusammenhangsformen von z.B. Kreativität und Kultur in der Analyse von Unternehmertum (Steyaert/Katz 2004, S. 188). Entrepreneurship soll, Steyaert und Katz zufolge, nicht nur über ökonomische Theorien oder Management-Ansätze erklärt werden (und in diesem Sinne ausschließlich modernisierungstheoretisch). Beide weisen vielmehr darauf hin, dass gesellschaftlich bedingte oder durch politische Programme, lokale Initiativen, ethnische Gruppen oder ausgewählte professionelle Akteursgruppen erzeugte Rahmungen als je spezifisch geformte sowie sozial konstruierte Phänomene aufgefasst werden müssen (ebd., S. 182). In der Beschreibung von Entrepreneurship nehmen konzeptionelle Verständnisse und Formen der Interaktion als notwendige Bedingung zur Erklärung der Emergenz von Entrepreneurship eine zentrale Stellung ein. Daher werden sie im Folgenden einer gesonderten überblicksartigen Betrachtung unterzogen. Es erfolgt eine Orientierung auf die wohl systematischsten Ansätze zur institutionell-kontextuellen sowie lebensweltlichen Analyse von „Neuen Selbständigen“ durch die Berlin-Brandenburgische Arbeitsgruppe um Michael Thomas und Rudolf Woderich. Fokussiert und eingeengt wird diese Betrachtung – wenn möglich – auf den Bereich der Kreativwirtschaft.

S o z i a l e N e t z w er k e Unternehmerische Akteure sind in verschiedenste Beziehungsformen und Netzwerke eingebunden. Netzwerke wachsen zwischen den Akteuren und stellen eine zentrale Ressource des unternehmerischen Operierens dar. Akteure sowie generell Menschen, die sich in Netzwerken bewegen, praktizieren dabei neue Formen von Sozialität (Wittel 2001, S. 51-53). Der Begriff Netzwerk-Sozialität ist gegen den Begriff Gemeinschaft abzugrenzen. Gemeinschaft indiziert Dauerhaftigkeit und Stabilität sowie Kohärenz, Lokalität, Kontext, Eingebundenheit, Verwurzelung, Integration und eine gemeinsame und geteilte Biografie. Netzwerk-Sozialitäten dagegen sind nicht dauerhaft, sondern kurzfristig, dafür aber intensive Formen der Vergemeinschaftung. Netzwerkbeziehungen 96

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sind, so Andreas Wittel, nicht biografisch, sondern informationell. Es sind flüssige Beziehungen, die mit Hilfe von Medien und Informations- und Kommunikationstechnologien geführt werden. Netzwerkbeziehungen sind rekontextualisierte und re-lokalisierte Beziehungen. Sie basieren nicht auf Gemeinschaft, sondern auf Individualisierung. Die Antwort auf die Frage, wie diese neuen Formen der Vergemeinschaftung funktionieren, wie in diesen Beziehungskonstellationen Kapital, Arbeit, Informationen, Klienten und Objekte zirkulieren, wie Integrations- und Ausschlussmechanismen funktionieren, wie sich in Netzwerken Macht und Hierarchie ausdrückt, steht gerade in dem Bereich der Kreativwirtschaft noch am Anfang einer Klärung. Das Vorhandensein und die Gestalt von sozialen Netzwerken stellt eine zentrale Bestimmungsgröße der Struktur und Emergenz von Entrepreneurship, ihren Interaktionsradien und Kunden- wie Zulieferkontakten dar. Soziale Netzwerke stellen Interaktionsgeflechte zwischen unterschiedlichen Akteuren auf unterschiedlichen räumlichen Maßstabsebenen dar. Netzwerke werden hier als formalisierte Interaktionsstrukturen verstanden und grenzen sich in diesem Aspekt von sozialen Milieus ab, die per Definition informellere und latentere Interaktionsbedingungen aufweisen (Matthiesen 1998, S. 22-23). Entgegen dem Verständnis von individualistisch und geradezu atomistisch agierenden Unternehmern hat insbesondere Mark Granovetter mit seiner These der „sozialen Eingebettetheit“ an einer sozialen Perspektive zur Erklärung von ökonomischem Handeln gearbeitet (Granovetter 1974; 1985, S. 487). Thomas zufolge „entscheiden soziale Beziehungen […B.L.] mehr als sozialer Status oder ökonomische Kalküle“ darüber, ob man eine Beschäftigung erhält, ob die Karriere erfolgreich ist oder eine Firmengründung und eine Etablierung am Markt gelingt“ (Thomas 1997b, S. 44). Er weist somit den informellen sozialen Beziehungen gegenüber bspw. formalisierten Qualifikationen eine erhebliche empirische Qualität bei der Bewältigung von beruflichen Statuspassagen zu. Wenn dichten sozialen Beziehungen eine hohe Funktionalität zukommt, ergeben sich daraus aber auch theoretische Konsequenzen. Lebensweltliche und sozialisatorische Dimensionen erhalten z.B. eine tatsächliche Relevanz, wenn es gilt, den Verlauf einer beruflichen Entwicklung zu erklären. In Transformationskontexten wie dem der vormals geteilten Stadt Berlin entfalten sich diese in handlungsoffene und erfahrungsarme Situationen hinein, für die kein vertrautes oder bekanntes Handlungsskript vorliegt. Eigensinnige Logiken und eigenwillige soziale Beziehungen der beruflichen Statuspassagen sind nicht als anormal oder abseitig zu verstehen, sondern stellen den inneren und zeitlich logischen Kern einer sich neu konstituierenden beruflichen Selbständigkeit dar (Thomas 1997b, S. 33). In Anerkennung dieser heuristischen Tatsache, der empirische Analysen zugrunde liegen, haben verschiedene Autoren auf den zentralen Zusammen97

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hang zwischen Mikrounternehmen und deren Stellung innerhalb von neu emergierenden sozialen Netzstrukturen hingewiesen (Bender 2004; Nuissl/ Schwarz/Thomas 2002; Reichwald/Baethge/Brakel et al. 2004). Letztere haben mit dem Kürzel SOHO (Small Offices-Home Offices) die Ausdehnung der Arbeitsbereiche gerade von Mikrounternehmern in den privaten Wohnund Lebensbereich empirisch analysiert. Durch den Bedeutungsgewinn der Mesokategorie soziale Netzwerke liegt der Schluss nahe, dass die Beschreibung von personalen Vertrauens- und Kooperationsbeziehungen Rückschlüsse auf besondere Kooperationsneigungen und Mentalitäten innerhalb bestimmter Regionen oder kleinerer Funktionsräume zulässt. Die für die Belastbarkeit von sozialen Netzwerken wichtige Variable Vertrauen kann durch formalisierte Beziehungen zwischen Netzwerkpartnern im Zeitverlauf ebenso zu latenten, kontaktdichten und dabei hermetisch abgeschlossenen Interaktionsstrukturen führen. In der Folge können soziale Netzwerke auch die Aufnahme von neuen Akteuren, neuen Wissensformen und neuen Verfahren behindern und abwehren. Empirische Erkenntnisse über Netzwerkbildung und ihre Probleme z.B. in Altindustrieregionen wie dem Ruhrgebiet, führten zu der These der „Stärke von schwachen Beziehungen“ sowie dem Umkehrschluss der „Schwäche von zu starken (Netzwerk-) Beziehungen”. Daraus erklärt sich auch die Behauptung des Lock-ins innerhalb eines technologischen oder regionalen Entwickungspfades (Granovetter 1973, S. 1360 ff.). Gleichwohl hat der Sozialtypus „Netzwerk“ in jüngster Zeit enorme Aufmerksamkeit erfahren: Er wird bspw. gern zur Erklärung von verschiedenen Wissensformen in konkurrierenden Dienstleistungsbereichen herangezogen (Grabher 2001). Soziale Netzwerke werden hier letztlich als formalisierte soziale Beziehungsform verstanden, die sich abgrenzt von sozialen Milieus.

Milieus Das Konzept von Milieus erklärt, wie Individuen aufgrund jeweils charakteristischen Einstellungen und Lebensorientierungen verbunden sind. Es fasst soziale Gruppen zusammen, deren Wertorientierungen, Lebensziele, alltagsästhetische Identitätsbildungen und Konsummuster ähnlich sind. Milieustudien zielen auf die Analyse vielfältiger Eigenschaften des Individuums ab und ermöglichen, die subjektiven wie objektiven Merkmale der empirischen Analyse zugänglich zu machen. Sozialästhetische Merkmale konstituieren die Identität des Einzelnen, bspw. im Bereich Wertorientierungen, Lebensziele, Arbeitseinstellungen und Freizeitmotive. Soziale Milieus fassen Gruppen Gleichgesinnter zusammen, deren Mentalitäten, Werthaltungen, Prinzipien der Lebensgestaltung sowie Beziehungen zu Mitmenschen einander ähnlich sind. 98

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Soziale Milieus Diejenigen, die dem gleichen sozialen Milieu angehören, interpretieren und gestalten ihre Umwelt in ähnlicher Weise und unterscheiden sich dadurch von anderen sozialen Milieus. Kleinere Milieus, zum Beispiel Organisations- oder Stadtviertelmilieus, weisen darüber hinaus häufig einen inneren Zusammenhalt auf, der sich in einem gewissen Wir-Gefühl und in verstärkten Binnenkontakten äußert (Hradil 2001, S. 425 ff.). Die Milieuanalyse unternimmt also nicht den Versuch, wie z.B. die Schicht- und Klassenanalyse in der soziologischen Sozialraumanalyse, ein einziges oder einige wenige objektive Merkmale typisierend für einen vorgegebenen Raum zu verdichten. Umgekehrt isoliert sie auch nicht ein einziges oder einige wenige subjektive Merkmale des Konsums, des Geschmacks oder des Lebensstils, um die Sozialwelt als strukturlose Agglomeration von Individuen und Subkulturen erscheinen zu lassen. Soziale Milieus werden hier als relativ homogene Interaktionsformen mit erhöhter Binnenkommunikation definiert. Sie sind zugleich durch ein zumindest implizites, geteiltes MilieuWissen um gemeinsame Praxisformen geprägt (Matthiesen/Bürkner 2004. S. 77).

Kreative Milieus Das Konzept der kreativen oder innovativen Milieus wurde von der Forschergruppe GREMI (Groupe de Recherche Européen sur les Milieux Innovateurs) entwickelt. Sie betrachtet regionale Netzwerke unter Einbeziehung von soziokulturellen Faktoren. Roberto Camagni definiert ein kreatives bzw. innovatives Milieu als „the set or the complex network of mainly informal social relationships on a limited geographical area, often determining a specific external ,image‘ and a specific internal ,representation‘ and sense of belonging, which enhance the local innovative capability through synergetic and collective learning processes“ (Camagni 1991, S. 3; Fromhold-Eisebith 1999, S. 169). Im Unterschied zu Konzepten der (Politik-)Netzwerke ergeben sich somit Unterschiede. Ein regionales Milieu ist nicht nur ein einzelnes soziales Netzwerk, sondern besteht aus einem komplexen System, das auch mehrere und heterogene Akteursnetzwerke zusammenfassen kann. Die Interaktionsstruktur in einem regionalen Milieu ist durch eine höhere Binnenkommunikation geprägt, als dies bei politikwissenschaftlichen Akteursnetzwerken der Fall ist. Soziale Milieus grenzen sich gegenüber meistens finalisierbaren sozialen Netzwerken ab. Diese werden aufgrund ihrer Steuerbarkeit und Instrumentalisierung auch mitunter als strategische Ressource in Stadtpolitiken herangezo-

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gen, was mit sozialen Milieus aufgrund ihrer meistens nur eingeschränkt möglichen Finalisierbarkeit schwieriger ist. Entscheidend in einem regionalen Milieu ist eine gemeinsame Kultur der Kooperation, Kommunikation und des gegenseitigen Vertrauens. Diese Faktoren stehen mit den persönlichen und sozialen Beziehungsebenen in einer Wechselwirkung. Diese Ebene der Informationen, des Informationsaustauschs und des gemeinsamen Wissens stellt die nichtmaterielle Ebene des kreativen Milieus dar. Als ein klassisches Beispiel für ein erfolgreiches kreatives Milieu werden in der Literatur die Regionen des sog. Dritten Italiens aufgefasst (Bathelt 1999, S. 247 ff.): Im Textildistrikt von Florenz hat sich seit den 1950er Jahren nach dem Niedergang der Großbetriebe eine Vielzahl von spezialisierten Kleinbetrieben gebildet, die untereinander ein enges Netzwerk darstellen. Die aktive Rolle der Netzwerkbildung und -koordinierung wurde dabei von sog. Impannatori übernommen, die auch die Verbindungen nach außen organisieren und damit für den notwendigen Wissensinput gesorgt haben. Auch die örtlichen Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Banken waren mit eingebunden. Derlei Interaktionskulturen werden nun von außen als kreativ bewertet, da sie regionale Innovationen systematisch befördern. Weitere Übertragungen des innovativen Milieuansatzes erfolgen bspw. von Peter Franz auf ostdeutsche Städte (Franz 2004, S. 109-122, v.a. S. 117). Er fragt nach Trägergruppen aus einer „kreativen Klasse“ und deren Effekte auf die Attraktivität von städtischen Orten. Ihn interessiert bspw. auch deren Raumbedarf. Grundsätzlich kann in dem hier vorliegenden Verständnis von Milieu als Sozialtypus nicht von einer Deckungsgleichheit zwischen Milieu und Raum ausgegangen werden. Als hochdynamische Vergemeinschaftungsform ist ein Milieu in der Lage, neue Orte der Vergemeinschaftung zu generieren und diese für ihre Trägergruppen zu „entdecken“. Bspw. hat Jörg Dürrschmidt am Fall Londons die Entkoppelungen zwischen sozialen Milieus und dem Lokalen im Kontext von Globalisierungsprozessen diagnostiziert sowie soziale Neuformierungen untersucht (Dürrschmidt 2000). Milieuanalysen können Raumbedarfe von Akteuren über deren Interaktionspraktiken neu ausweisen. Die Voraussetzungen, die für das Entstehen und das Wirken eines kreativen Milieus erfüllt sein müssen, bringen es mit sich, dass ein kreatives Milieu nicht „top-down“ erzeugt und geplant werden kann. Die Gründe hierfür liegen in erster Linie darin, dass ein kreatives Milieu vor allem durch Interaktionspraktiken der Beteiligten untereinander und nach außen bestimmt wird. Auch lassen sich persönliche und soziale Beziehungsnetzwerke sowie daraus entstehende Vertrauensbeziehungen nicht verordnen, ebenso wenig ein regionales Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Konstituierungen von milieuspezifischen Vergemeinschaftungen fußt ganz wesentlich auf regional differenzierten Interaktions- und Vertrauenskul100

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turen, d.h. letztlich auf dem Vorhandensein von sozialem Kapital. Das regelrechte „Feiern“ von personalen Vertrauensbeziehungen in regionalen Milieus als Bedingung ihrer Emergenz ist aber – ähnlich wie in den Netzwerkanalysen – mehrfach kritisch reflektiert worden. Zum einen haben Alistar Anderson und Sarah Jack auf die Ambivalenz von sozialem Kapital in Unternehmernetzwerken hingewiesen. Des Weiteren hat Gernot Grabher auf die Schwäche von starken (Vertrauens-)Beziehungen aufmerksam gemacht, die vielerorts auch zur Sklerotisierung sowie wenig innovativen und kreativarmen Beziehungsformen führen kann (Anderson/Jack 2002; Grabher 1997, S. 533 ff.). Fasst man soziale Milieus nicht als einen finalisierten, sondern als nur teil-finalisierbaren Sozialtypus auf, so weist man ihnen weitaus flexiblere Entwicklungsmöglichkeiten zu, als dies in dem relativ rigiden und fixierten Verständnis von regionalen oder kreativen Milieus häufig der Fall ist. Ulf Matthiesen (Matthiesen 1998, S. 72; Matthiesen/Bürkner 2004, S. 77) weist darauf hin, dass Milieus nur teilfinalisierbar sind gegenüber bspw. Dieter Läpples (Läpple 1991) Verständnis von finalisierbaren Milieus. Aus der Perspektive der Teilfinalisierung geben sich kreative Milieus als kommunikative Vermittlungsinstanz von Informations-, Material- und Dienstleistungsströmen in Akteursnetzwerke zu erkennen. Ihr Vorhandensein und ihre versierte Handhabung kann Innovation generieren. Das Vorhandensein dieser sozialkulturellen Bedingungen, der dichten Interaktionskulturen sowie der kritischen Massenbildungen stellt eine zentrale Bestimmungs- und Erfolgsgröße von Unternehmensgründungen dar. Der Mesostrukturtypus Milieu hat dadurch, jenseits der für Unternehmensgründungen notwendigen Netzstrukturen, gerade in Wissensinfrastrukturen einen gehobenen analytischen wie anwendungsorientierten Stellenwert im Bereich der Aus- und Neugründungen erfahren: Der Begriff Milieu bündelt informelle und latent wirksame Interaktionspraktiken sowie gemeinsame identifikatorische Werte, die intersubjektive Verständigung nicht nur ermöglichen, sondern befördern (Sternberg/Wagner 2004). Existieren diese Bedingungen innerhalb eines regionalen Kontextes, so bestehen berechtigte Hoffnungen auf Spillover-Effekte sowie auf Aus- und Neugründung in Form von Start-up-Unternehmen.

Szenen Regionalökonomische Diskussionen um den Zusammenhang zwischen Milieu und Raum verorten soziale Milieus oftmals innerhalb eines vordefinierten containerartigen Sozialraums. Am offensichtlichsten wird dies in dem Begriff des regionalen Milieus. Der Begriff Szene entzieht sich dieser vorschnellen Zusammenhangsbeschreibung, wenngleich auf noch deutlichere und markan101

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tere Art und Weise, als dies – wie vorgestellt – bei sozialen Milieus konzeptionell möglich ist. Der Begriff Szene hat im alltäglichen Umgang in den letzten Jahren einen weiteren Aufschwung zur Beschreibung relativ diffuser und schwer zu beschreibender sozialer Vergemeinschaftungsphänomene erlebt: z.B. rechte Szene, Szenetreffpunkt, in der Szene usw. Clemens beschreibt anhand neuer Berliner Szenen, dass „es den Jungen gelungen ist, Akzente zu setzen. Berlin gelang es, ein Place-to-be zu sein. Das Erfolgsgeheimnis der Szene bestehe darin, dass sie „Trendspotting“ betrieb, denn sie hatte den „High Hipness Factor”. Zur Szene zählen Vertreter aus Architektur, bildender Kunst sowie Literatur und Musik, die sich als Kenner der Stadt ausgeben (Clement 2003, S. 13-27). Der Begriff Stamm (engl. tribe), dem Vokabular der Ethnologie entlehnt, ist ein weiterer, der versucht, ephemere, diffuse und vordergründig eigenwillige Vergemeinschaftungen zu umschreiben (Maffesoli 1996). Im Folgenden wird Szene zunächst anhand ausgewählter Kategorien definitorisch gegen den Begriff Milieu abgrenzt (1). „Szene“ ist insbesondere in der Jugend- und Sozialisationssoziologie ausführlich thematisiert worden (2). Darüber hinaus stellt „Szene“ ein im weitesten Sinne sozialräumliches Konzept dar. In der Architektur, der Geographie und den Kulturwissenschaften wird es bei sozialphänomenologischen und ethnografischen Beschreibung von Stadträumen und den Praktiken der Vergemeinschaftungen herangezogen. Relativ diffus ist die Verwendung dieses Begriffs im Sinne einer geteilten gemeinsamen Situation im Bereich Entrepreneurship, bei der aufgrund der Konkurrenz- und Wettbewerbslage szenespezifische soziale Beteiligungs-, Kontroll-, Artikulations- und Verfahrenspraktiken zu erwarten sind (3). Um diese konzeptionell vorzustellen, wird der Begriff Szene im Folgenden in seinen bisherigen Zusammenhängen vorgestellt.

(1) Milieu vs. Szene Die sozial- und kulturwissenschaftliche Stadtforschung hat versucht, unter dem Stichwort „Creative City“ neue Vergemeinschaftungsformen von neuen Akteuren sowie deren ökonomische Praktiken und sozialräumlichen Bedarfe herauszuarbeiten (Landry 2001; Smith 1998, aber auch Lange/Steets 2002a; Steets 2005). Als Ausgangspunkt für städtische Identitätsprozesse wurden bisher meistens traditionelle Orte, lokale Identitäten und Historien essenzialistisch herangezogen. Diese Kategorien stellen ein zunehmend problematisches urbanes Fundament dar, auf das sich eine Stadt im Zeitalter globaler Wirtschafts- und Kulturverflechtungen perspektivisch beziehen kann. Insbesondere neue Professionsgruppen aus dem Bereich der Kreativwirtschaft arbeiten aber an neuen Verhandlungs- und Kommunikationsebenen des 102

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Städtischen. Diese neuen symbolintensiven Berufsgruppen haben einen wachsenden Stellenwert für die städtische postfordistische Dienstleistungsökonomie erhalten. Insbesondere die in diesen Branchen arbeitenden Professionen erwarten, benötigen und produzieren für ihre berufliche Tätigkeit neue soziale und kommunikative Möglichkeitsräume. Insbesondere bei der Beschreibung und Erklärung von neuen professionellen Trägergruppen im Städtischen, ihrer städtischen Verortung und Ortspraxis, häufen sich die Begriffe Szene und Milieu. Sie lassen sich heuristisch, wie folgt, differenzieren: nach Vergemeinschaftungspraktiken, Zeitmustern sowie dem Verhältnis zu Raum und Ort (Lange 2005b, S. 8). Bezogen auf die Dimension der Vergemeinschaftungspraktiken zeichnen sich beide Begriffe zunächst dadurch aus, dass sie eine informelle Ebene der Beziehungsnetze zum konstitutiven Ausgangspunkt nehmen. Milieus zeichnen sich durch Interaktion aus, weisen eine erhöhte Binnenkommunikation auf und sind nur teilweise finalisierbar (Matthiesen 1998, S. 72). Sie weisen eine biografisch begründete Alltagsrelevanz auf und stellen aufgrund ihrer jeden Tag gelebten Kulturpraxis ein oftmals unhinterfragtes Interaktionsgeflecht in der Stadt dar. In ihnen artikulieren sich zum einen die Auswirkungen von Problemen, Krisen und Bedrohungen. Zum anderen – Stichwort Sozialkapital und Vertrauen – manifestieren sie im positiven Fall aber auch zivilgesellschaftliche Institutionenbildung und lokale Selbstorganisation. Szenen dagegen definieren sich über ihren transgressiven Charakter, d.h. sie stellen ein Identifikationsangebot außerhalb der alltäglichen Routinen dar. Sie sind nicht an vorangegangene gemeinsame Lebenslagen gekoppelt, fungieren aber nach Ronald Hitzler gleichwohl als thematisch fokussierte vergemeinschaftende – und somit soziale – Erlebnis- und Selbststilisierungsräume (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 17). Sie weisen als soziale Formation starke, sich unregelmäßig wandelnde Ein- und Ausschlusskriterien auf, wodurch der ephemere Kern ihrer Formierung erkennbar wird. Die dabei zu Tage tretenden symbolischen und sich schnell wandelnden Innovationspraktiken (z.B. Kleidung, Stile, Musik, Grafik etc.) machen sie interessant für kulturproduzierende und -vermarktende Segmente bzw. Produktionssysteme und somit für stadtökonomische Zukunftsoptionen. Bezogen auf die Dimension Zeit zeigt sich, dass Milieus eine mittelfristige Stabilität und Konstanz aufweisen. Szenen dagegen stellen ein weitaus flüchtigeres, wandlungsbereiteres und kurzfristigeres Gesellungsgebilde dar. Gleichwohl erzeugen sie ein Netz von kulturellen, materiellen Formen der kollektiven Selbst-Stilisierung sowie eine vorgestellte ästhetische Gemeinschaft. Sie manifestiert sich kurzfristig und weist geringe institutionelle Sanktionspotenziale auf. In dieser Temporalität von Vergemeinschaftung zeigt sich 103

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aber auch der performative Kern – Alan Blum spricht von sozialer Zeremonie – einer Szene (Blum 2003, S. 171). Als soziale Formation „performt“ sie sich nach eigenen zeitlichen und örtlichen Regeln. Dadurch wird auch klar, dass das Konzept „Szene“, entgegen ihrer alltagssprachlichen Nähe zur (Theater-) Bühne, eben nicht als zeitlich schnell rhythmisiertes Oberflächenphänomen zu verstehen ist, sondern vielmehr eine temporäre, aber gleichwohl belastbare Identifikationsfigur für ihre Teilnehmer darstellt. Bezogen auf die Dimension Ort und Raum zeigt sich, dass lokale Milieus relativ homogene, durch Interaktionen erzeugte und symbolisch codierte Sozialräume sind. Szenen steigern in ihrer Strukturierungskraft das Tempo von Vergemeinschaftungen und generieren dabei territoriale Diskurse, die sich von der Ausgangsterritorialität, der Begrenzung einer örtlichen Codierungspraxis und der einer Ursprungsszene gelöst hat. Individuen betrachten aber distinktive Orte und Territorien nicht nur als eine Variable, die Individuen bewusst auswählen, weil dort kompatible Inszenierungsmöglichkeiten für Gruppenbildungsprozesse herstellbar sind. Die Kombinatorik von physischem Ort und Szene generiert emotionale Identifizierungsprozesse. Club-Events sind beispielsweise Inszenierungen und temporäre Verortungen von Szenen auf der urbanen Bühne, auf der die Akteure mit der urbanen Materie – dem Stadt- oder Gebäudekörper – ein vernetztes Kraft- und Spannungsverhältnis herstellen. Szenen erfahren sich selber in ihrer Körper- und Leiblichkeit erst durch die emotionale Präsenz an und mit den von ihr ausgewählten Orten (Lange/Steets 2002a, S. 209). Aus dieser Perspektive kann heuristisch geschlussfolgert werden, dass gerade neue Professionsgruppen als zukünftige soziale Schaltzellen und intermediäre Institutionen in einer individualisierten Gesellschaft anzusprechen sind. Sie testen Neuformierungen, bilden und öffnen Szenen, probieren neue Produkte aus, die in diesen Situationen auf ihren performativen Wert hin überprüft werden. Unternehmerische Tätigkeiten von Szeneproduzenten würden sich somit nicht nur durch eine marktbedingte schnelllebige räumliche Codierpraxis von Orten auszeichnen. Auch die bewusste Temposteigerung, ebenso wie bewusste Verlangsamung und Entschleunigung um soziale, örtliche und identifikatorische Differenz und Innovation, könnte durch kulturelle Unternehmer gewährleistet werden.

(2) Szeneverständnis in der Soziologie Der Begriff Szene verweist, in Anlehnung an Ronald Hitzler, auf ein Gesellungsgebilde, das nicht aus früheren gemeinsamen Lebenslagen oder Standesinteressen der daran Teilhabenden entsteht (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 19-30, hier S. 19; Pfadenhauer 2005). Als Bedingung der Teilhabe weisen Szenen einen signifikant geringen Verbindlichkeitsgrad und Ver104

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pflichtungscharakter auf. Sie fungieren als thematisch fokussierte vergemeinschaftende Erlebnis- und Selbststilisierungsräume. Von Subkulturen unterscheiden sich Szenen wesentlich durch ihre Diffusität im Hinblick auf Inklusion und Exklusion. Von Cliquen differenzieren sie sich wesentlich durch deutlich geringere Altershomogenität, durch geringere Interaktionsdichte und durch geringe Orts- und Sozialraumbindung, d.h. durch Translokalität (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 19–30). Szenen stellen für juvenile Menschen komplexe soziale Allianzen für Leidenschaften, Interessen, Neigungen und Vorlieben dar, die sie in ihrem alltäglichen sozialen Interaktionsraum nicht erfüllt und verwirklicht sehen. Szenen bieten die Option, Gleichgesinnte zu finden, sie sind im weitesten Sinn auf einen thematischen Kern hin fokussiert. Über dieses Thema hinaus lagert sich eine mehr oder minder kohärente Deutung von Welt an. Ihre Szenemitglieder entwickeln dabei eine eigene Kultur (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 22). Soziologisch gesprochen teilen Szenemitglieder das Interesse am jeweiligen Szene-Thema und darüber hinaus auch typische Einstellungen, Werte, Verhaltensweisen und Praktiken. Eine Szene lässt sich als eine Form der Vergemeinschaftung von Akteuren charakterisieren, die bestimmte materiale und mentale Formen der kollektiven Selbst-Stilisierung teilen, um diese Teilhabe wissen und diese Gemeinsamkeiten kommunikativ stabilisieren, modifizieren oder transformieren. Szenen sind sodann soziale Bezugssysteme, die aber nur durch die individuelle Teilhabe eingelöst wird, d.h. die nur durch die eigene aktive und gestaltende Teilhabe ihren je spezifischen Sinn erfahren. In dieser Flüchtigkeit und Labilität stellen sie gewissermaßen eine intermediäre soziale Institution dar, ein funktionales Äquivalent zu etablierten und herkömmlichen Agenturen wie Kirche, Familie etc., die an Bedeutung verloren haben, das den Teilnehmern und Gestaltern der Szenen eine Sinnstruktur anbietet und ihnen eine Sinn- und Identitätsstrukturierung ermöglicht. Szenen sind demnach im Stande, den Bedarf nach sozialer Geborgenheit einzulösen. Infolgedessen entwickeln, verstetigen und vermehren sich – wie Ronald Hitzler et al. darlegen – diese neuen Vergemeinschaftungsformen. Deren wesentlichstes Kennzeichen besteht darin, dass sie auf der Verführung prinzipiell hochgradig individualitätsbedachter Einzelner zur habituellen, intellektuellen, affektuellen und vor allem ästhetischen Gesinnungsgenossenschaft basieren. Dem voluntaristischen Selbstorganisationspotenzial von Szenen widersprechend, weisen Hitzler/Bucher/Niederbacher aber darauf hin, dass sich Szenen um einerseits physische Orte, andererseits um eine funktionale Organisationselite anordnen (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 27; Hitzler/Pfadenhauer 2004 zu den Machern einer Szene). Orte entsprechen physisch-räumlichen Treffpunkten, die der Labilität der sozialen Bindung zwischen Szenemitgliedern ein temporär stabiles und in die105

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

sem Sinne reales Identifikations- und Kommunikationsangebot gegenüberstellen. Organisationseliten garantieren und strukturieren klare wie bewusst diffuse Ab- und Begrenzungen innerhalb der Szenetreffpunkte sowie die Durchlässigkeit zu anderen Szenen und Gruppierungen.

(3) Szeneverständnis in der geographischen und kulturwissenschaftlichen Raumforschung Die hochdynamische Konstituiertheit und temporäre Verfasstheit von Szenen findet und benötigt ein zentrales Repräsentations- und Vergemeinschaftungsterrain in den Stadträumen. Unter dem Vorzeichen von neuen szenografischen Erlebniswelten wird Stadt als eine Bühne für performative Praktiken zur Attraktivitätssteigerung errichtet (Janson 2004, S. 21). Ähnlich wie Alban Janson diagnostiziert Jürgen Hasse, dass Stadträume zunehmend auf „das subjektive Erleben“ ausgerichtet sind und dadurch der Fokus auf die „eigene Situation“ gerichtet wird (Hasse 2002c, S. 19-25). Situative Qualitäten nehmen in Städten einen höheren Stellenwert ein als eine rein funktional ausgerichtete Raumorganisation. Fragen des „menschlichen Erlebens“ haben den Charakter des „szenischen Erlebens, in dem wir Akteure und Zuschauer zugleich sind“ (Janson 2004, S. 21). In ähnlicher Art und Weise hat Alan Blum vor einem sozialphänomenologischen Hintergrund eine Theorie der Szene zur Beschreibung von Stadträumen entwickelt (Blum 2001; 2003). Aus dem Verständnis der „Stadt als Bühne“ und einer urbanen Theatralität erkennt Blum urbane Anordnungen (Settings) im Sinne eines sich selbst Erlebens, Sehens, Spürens und zugleich Gesehenwerdens. Sie ermöglichen nicht nur, sondern intensiveren gar Emotionen in der Stadt. Ein existenzielles „Sich Entziehen“ dieser Situationen und Anordnungen ist nicht möglich. Auch als (orts-)fremder und mit den spezifischen urbanen Situationen nicht vertrauter Mensch muss man sich zu bestimmten Situationen positionieren und in diesem Sinn performativ agieren. Alle performativen Aktionen unterliegen einer Grammatik: einer Grammatik des Szenischen und der Szenen (Blum 2001, S. 10). Szenen werden durch Blum in diesem Sinn sozialphänomenologisch anhand der folgenden Kriterien beschrieben (ebd., S. 1030): Regelmäßigkeit, Reichhaltigkeit, Vergänglichkeit, Vergemeinschaftung, Performanz, Transgression, Schauspiel und das Verhältnis Öffentlichkeit vs. Privatheit stellen zum einen Subjekt-Objekt-basierte Weltbeschreibungen dar. Zum anderen weisen sie in zahlreichen Beschreibungen einen relativ idealtypischen, wenig durch andere, wie bspw. administrative, historische oder politische, Kontexte markierten und strukturierten Raum auf. Die Kategorien „Political Economy of the Scene“ sowie „Creative City“ werden von Blum da-

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gegen als „relentless circulation of capital in search for markets“ übersetzt, die sich über die Zwänge des Lokalen hinwegsetzen (Blum 2001, S. 25). Szenen werden, Blum zufolge, aus marktwirtschaftlicher Sicht zwecks Profitmaximierung bewusst kalkuliert, konstruiert und entworfen. „Szene“ könnte daher auch als ein ökonomisches Modell angesprochen werden, das aber nicht dem originären Konzept der Zielgruppe entspricht. Blum versteht „Szene“ dagegen als ein dialektisches Phänomen: Ihre Vitalität kann zu einer Ware werden, wiewohl die unternehmerische und korporative Absorbierung der Szene in kapitalistische Verwertungsprozesse ein integraler Bestandteil ihrer sozialen Mobilisierungskräfte sowie ihrer Anziehungskraft ist (ebd., S. 26). Der Bezug zum Kriterium der kreativen Stadt liegt – Blum zufolge – darin, dass Szenen in ihrem Wesenskern das Versprechen in sich tragen, durch die Teilnahme an Szenepraktiken zum Bestandteil der Bohèmien’schen Aktivitäten der Stadt zu werden. Diese Kernpraktiken diffundieren im Verlauf der Zeit zu mundanen Praktiken, in deren Folge der ästhetische, originäre und spielerische Charakter von Szenen sukzessive vermindert wird. Verallgemeinern und lösen sich Szenepraktiken in breitere gesellschaftliche Segmente auf, so transformieren sich diese und diffundieren unter Umständen zu massenkompatiblen Phänomen. Oder sie werden mythologisiert, d.h. ihres ursprünglichen authentischen Erfahrungsraums beraubt. Städtische Kreativität basiert somit im Verständnis von Blum auf Szenen und in diesem Sinn sozialen Vergemeinschaftungen, die als Generator permanent neue Kultur-, Deutungs- und Sinnmuster, Identifikationsangebote und stilbildende Verortungen hervorbringen. Die Vergänglichkeit von Szenen erlaubt ihren Mitgliedern, sich neu zu erfinden und sich so kulturell über einen Zeitverlauf zu transformieren (Blum 2003, S. 183). Szenegänger wählen Orte aus, der Prozess der Vergemeinschaftung aber ist an deren Erfindung und Codierung gekoppelt. Auch an der Erfindung sowie am Wiederaufbau der Stadt Berlin haben nach der politischen Wende 1990 zahlreiche Gestalter und Architekten mitzuwirken versucht. Die hohe Attraktivität dieser unfertigen und städtebaulich differenten Stadt hat viele urbane Professionen – resp. Professionen des Urbanen wie bspw. Architekten – aus dem In- und Ausland in die Stadt geführt. Schon früh schälte sich – auch aufgrund des absorbierenden Verhaltens der dominanten kapital- und prestigeintensiven Global-Player-Architektur – eine zunächst randständige Szene von Architekten und Stadtgestaltern der anderen Art heraus. Deren heterogene urbanistische Perspektive erfuhr durch eine offensive Thematisierung als professionelle Gemeinschaft in den beiden Themenheften der Architekturzeitschrift Archplus Anerkennung. Der kulturellen, sozioökonomischen und professionellen Situation widmete die in Berlin operierende Architektur Zeitschrift Archplus im Jahr 2003 zwei Themenhefte, einmal Nr. 166 („Off-Architektur 1 Szene“) und zudem Nr. 167 („Off107

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Architektur 2 Netzwerke“) (Archplus 2003a; 2003b). Welche professionellen Strategien, unternehmerischen Mikropolitiken und identifikatorischen Praktiken sie dabei aber vollziehen, muss im weiteren Verlauf konzeptionell vorbereitet und empirisch erschlossen werden.

E x k u r s : V o n d e n C r e a t i ve I n d u s t r i e s z u r C r e a t i ve C l a s s ? Der folgende Exkurs zeigt, wie neue Berufsgruppen aus dem Kreativbereich zu Leitfiguren von neuen Stadtentwicklungspolitiken werden. Sie werden maßgeblich von dem Regionalökonom Richard Florida vorgetragen. Er diagnostiziert eine global operierende Ökonomie, in der Regionen nur dann erfolgreich überleben können, wenn sie in der Lage sind, als örtliche Magneten hochqualifizierte und zugleich mobile Wissensarbeiter anziehen zu können. Er schlussfolgert daraus, dass attraktive Standorte und ihre spezifischen Potenziale die Zuwanderungsbereitschaft in diese Regionen erhöhen wie ebenso die Neigung der Abwanderung verringern. Einer von ihm diagnostizierten „kreativen Klasse“ werden zentrale Innovationsdurchbrüche und unternehmerische Umsetzung zugeschrieben. Die Gruppe der kreativen oder wissensbasierten Dienstleister hat in den letzten Jahren einen zunehmend dominierenden Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen der USA erwirtschaftet. Die Funktionen und Aufgaben der in diesen Bereichen operierenden sog. symbolic analysists, knowledge brokers, Forscher, Medienarbeiter und Gestalter werden im Wesentlichen durch ihr kreatives Kapital bestimmt. Die intrinsische menschliche Fähigkeit zur Schaffung und Entwicklung neuer Ideen, neuer Technologien, neuer Geschäftsmodelle und neuer kultureller Praktiken steht bei Florida im Zentrum (Florida 2005a, S. 32). Kreative sind – Florida zufolge – gesellschaftlich akzeptiert, sie verkörpern seiner Auffassung nach das Neue, sodass man mit ihnen an der Bedeutungsveränderung der städtischen Orte arbeiten muss. Dies erkennt zunehmend auch die städtische Immobilienwirtschaft. Denn Kreative lassen sich nicht nur da nieder, wo Beschäftigungsmöglichkeiten sind, sie lassen sich vielmehr an den sozialkulturellen Zentren der Kreativität sowie den attraktiven Wohn- und Lebensorten nieder (Florida 2005a, S. 158 ff.). Vorgelebte neue Wertvorstellungen von Arbeit und Sozialität, Lebensstilen und Konsumgewohnheiten führen konsequenterweise zur Herausbildung von neuen innerstädtischen Raumbedarfen und -angeboten. Zunehmend horizontale Berufs- und Patchworkbiografien stellen dabei neue Anforderungen an lokale Arbeitsmärkte. Städte, so Florida, müssen einen „thick labour market“ bereitstellen (Florida 2002, S. 224). Sie sollen nicht ausschließlich den ersten Ort (privater Raum) funktional mit dem zweiten Ort (Arbeitsort) pass108

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fähig miteinander raumstrukturell organisieren, sondern verstärkt an der Integration eines dritten Ortes arbeiten: Kommunikative Interaktions-, Vergemeinschaftungs- und Bildungsräume sollen Bestandteile qualitativ hochwertiger Räume und Stadtstrukturen werden. Kritische Massenbildung an attraktiven Orten ist das Ziel, das als indirekt innovationsfördernd und direkt attrahierend für sog. Fokusgruppen verstanden wird. Belegt wird dieser errechnete Zusammenhang auf Grundlage einer hohen statistischen Korrelation zwischen der kreativen Klasse und einem hohen Messwert an High-Tech-Firmen (Florida 2002, S. 355-367; Florida 2005b, S. 190). Eingeschrieben in diesen Kreativitätsindex ist die Vorgabe, die Potenziale und Fähigkeiten von sog. New Outsiders (Immigranten und Andersdenkenden) nicht als arbeitsmarktspezifisches oder soziales Hindernis zu sehen, sondern vielmehr als zentralen Kern der US-amerikanischen Wachstumsideologie. Denn Außenseiter waren es, die das Land seit dem 19. Jahrhundert wirtschaftlich, wissenschaftlich und militärisch entwickelten. Florida fordert, vor dem Hintergrund seiner Städtevergleiche, aus einer regionalökonomischen Perspektive Institutionen, Verbände, Firmen und städtische Akteure eindrücklich dazu auf, städtische Toleranz und soziokulturelle Diversität zu ermöglichen. Nur eine liberale Integrationspolitik kann das Ziel der dringend benötigten (Arbeits-)Immigration einlösen. Ebenso ist es nur im US-amerikanischen Kontext nachvollziehbar, dass eine Politik der breiten Akzeptanz und Toleranz gegenüber Homosexuellen überfällig ist. Ungeachtet der fragwürdigen Messtechnik des von ihm eingeführten „Gay Index“ (Florida 2002, S. 255 ff.) erhält das Thema Toleranz in weiteren Verlauf durch die Terroranschläge des 11. September eine erneute Brisanz. Verschärfte Einreisebestimmungen, restriktive Visaerteilung, Verschleppung von Aufenthaltsverlängerungen sind nur wenige, aber markante Hinweise auf eine US-Politik der Abschottung, der Angst vor Fremden und unkontrollierbaren Städten. Die Wiedererrichtung von neuen Grenzen mittels Einreise- und Bleibebestimmungen wird von Florida als ein immenser Standortnachteil der US-amerikanischen Städte im Wettbewerb um innovative Köpfe bewertet. Seinen Berechnung zur Folge verzeichnen Firmen zwischen 2002 und 2004 bis zu 30 Milliarden US-Dollar Verlust durch die restriktive Visapolitik des Landes. Des weiteren löste die Verweigerung von Bleiberechten für hochqualifizierte Menschen, in die u.a. auch Bildungsinvestitionen geflossen sind, die Abwanderung von sog. Human- und Brain-Kapital und potentiellen Anschlussoptionen aus: Die dramatisch veränderte Talentlandschaft führt nicht nur zu ausbleibenden Unternehmensgründungen durch ausländische Universitätsabsolventen, sondern zur temporären oder dauerhaften Abwanderung USamerikanischer Wissensökonomien: Universitäten, Firmen und Global Player halten Konferenzen im Ausland (z.B. Tijuana in Mexiko) ab, wenn sie führende Forscher aufgrund innenpolitischer Einreisebestimmung nicht auf das 109

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US-amerikanische Territorium einladen können. Oder sie eruieren Teilverlagerung. Es zeigen sich somit weiter verschärfte rechtliche Anforderungen an die Qualität der Orte sowie den Zugangsoptionen zu ihnen. An dieser Stelle schließt sich der Kreis, erwächst Bindung an und Identifikation mit einem Ort nicht durch funktional vorhandenen Bestand, sondern durch die sozial-kulturellen Erfahrungen und die räumlichen Atmosphären. Das von Florida proklamierte Projekt des Wettbewerbs der Regionen um kreative Wissensarbeiter arbeitet mit der Idee, dass die Qualität der Räume und die in sie eingeschriebenen Optionen der Stadt und der Region einen Wettbewerbsvorsprung ermöglichen. Die Fokussierung auf eine Stadtpolitik für Kreative und Wissensarbeiter birgt, so Richard Floridas Schlussfolgerung, die Chance, bestehende und in den USA stetig wachsende Klassenunterschiede auszugleichen (Florida 2005b, S. 190). Dass eine Bildungspolitik als soziale Aufstiegs- und Nivellierungsoption aber gerade Entwicklungen der sozialräumlichen Polarisierung verschärfen kann und nicht zwingend minimieren muss, verbindet sich nur bedingt mit der Vorstellungswelt von Florida. Ebenso wenig passt zum einen die Fokussierung auf mehrheitlich staatliche Bildungs- und Forschungsprogramme in sein Konzept des unternehmerischen Einzelnen. Ebenso wenig auch die Erkenntnis, dass zur Bildung einer kreativen Gesellschaft nicht mehr einzig und alleine auf den Staat und seine Akteure zu setzen ist, sondern nur auf einen breiten, alle Kräfte integrierenden kreativen New Deal. Nicht Stadtpolitik für die Menschen, sondern Stadtpolitik von den Menschen lautet aber sein Credo. Offen bleibt, wer die ja nicht wenigen Menschen zur Stadtpolitik bringt, die aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten mit den Kreativen nichts zu tun haben wollen, oder die feinen, aber wirkungsmächtigen Unterschiede nicht erkennt und in die stilbildenden Gruppen nicht aufgenommen wird. Die Ausdehnung eines Kreativitätsbegriffs auf sämtliche Wirkungs- und Ausdrucksgestalten sowie die Verwendung der Kreativen als zentrale städtische Problembewältiger sowie Möglichkeitsmenschen ist die jüngste Spitze eines neuen Versuchs, Stadtentwicklung an neue unternehmerische Trägergruppen und deren Imagewirkungen zu koppeln. Ihr Stellenwert und ihre Funktion in einer postmateriellen Gesellschaft ist die zentrale Referenz, von der aus Fragen des Sozialen, der ökonomischen Existenzsicherung und der gesellschaftlichen Verteilung neu definiert und verhandelt werden. Denn um nichts anderes geht es; die geringer werdenden kommunalen und städtischen Haushaltsbudgets müssen unter neuen Codes, neuen Narrativen und mit neuen urbanen Strategien kommuniziert werden. Was aber machen die, die mehrheitlich andere Fähigkeiten und andere individuelle Neigungen haben? Die Freisetzung der moralischen Produktivkräfte für höhere gemeinschaftliche Ziele basiert auf der Idee, wie die Mannigfaltigkeit des Individuellen 110

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(Eigeninteresse, Autonomie, Selbstverwirklichung) dem Allgemeinen (Wohlstand, Sicherheit, öffentliche Ordnung, Nation, Gesellschaft) dienen kann, ohne dass die Individuen direkt zu ihrer Freiheit, Selbstbestimmung, Autonomie gezwungen werden müssen. Das dazugehörige Skript heroisiert Arbeit, Spiel und Konsumtion der Kreativen, was jedoch, wie Peter Marcuse einwendet, nur durch eine Armada von „low-end jobs“ ermöglicht wird, „that pay poorly because they are not creative jobs“ (Marcuse 2003, S. 40-41). Diese Akteure werden im Projekt des kreativen New Deal geflissentlich übergangen. Befördert werden soll dagegen eine neue konsumorientierte Mittelklasse, die sich zugleich politisch artikuliert sowie ihre Belange selbst organisiert. Das angestrebte authentische kreative Leben entpuppt sich unter dieser Perspektive als ein Programm für „creative people first“. Es gibt sich eine zielgruppenorientierte Politik zu erkennen, die, ungeachtet der prekären Existenzbedingungen ihrer Trägergruppe, vorgibt, eine neue städtische Integrationswie Innovationsmaschine zu sein. Integrierte Stadtentwicklungsansätze, Nachfrageorientierung und stadtpolitische Konsensverfahren rücken in weite Ferne. In westeuropäischen Gesellschaften vollzieht sich durch den Rückzug des Wohlfahrtsstaates und seiner leeren Kassen sowie der Destandardisierung von professionellen Karrieren auf individuelle Berufsverantwortung eine Entwicklung zu einem neuen individuellen Unternehmertum (Lange/Steets 2002b, Lange 2005c). Heinz Bude skizzierte Ende der 1990er Jahre eine „Generation Berlin”, die, so Bude, „ganz entschieden aus unternehmerischen Wirklichkeitsmenschen” besteht (Bude 2001, S. 8). Die analytische Diagnose sowie der programmatische Entwurf des unternehmerischen Einzelnen als neues Leitbild für den Arbeits- und Sozialbürger ist in Westeuropa von der programmatischen Vorbildebene schon lange in die gesellschaftliche Realität gewechselt. Positiv codiert experimentiert eine neue Generation an kulturell und gesellschaftlich-ökonomischer Teilhabe: Dabei testet, entwirft und realisiert eine neue Generation in zeitlich höchst flexibeln und vernetzten Projektökologien komplexe Medien- und Kommunikationsprodukte und verantwortet sich dabei ihrer selbst. Realökonomisch betrachtet agiert diese diskursiv und medial bekannte Klientel von urbanen Kreativproduzenten aber am Ende einer unternehmensbezogenen Kette von Dienstleistern mit mehreren parallelen Job- und Möglichkeitsbedingungen in fragilen Netzstrukturen am existenzgefährdenden Rand der städtischen Ökonomie.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Städte als „breeding places“ für Mikrounternehmen i n d e r K r e a t i vw i r t s c h a f t ? E i n e e r s t e Zw i s c h e n b i l a n z In den vorangegangenen Ausführungen wurde das Ziel verfolgt, von gegenwärtigen Gesellschaftsdiagnosen aus zum einen den Stellenwert eines hier im Fokus stehenden Dienstleistungsbereichs – die Kreativwirtschaft – zu beschreiben. Zum anderen wurde dabei die Figur des Unternehmers anhand unterschiedlicher typologischer Verständnisse erläutert. Die Attribute und Werte von Unternehmertum überlagern sich mit den gesellschaftlichen Rollenbildern des Künstlers: Flexibilität, Autonomie, Eigenwilligkeit und Selbstüberantwortung verbinden sich auf eindrückliche Weise mit beiden Professionen und bilden die Grundlage zur Formierung eines neuen Leitmodells. Es gibt sich im Zuge der Generierung von neuen Sozial- wie Beschäftigungsfeldern zu erkennen und repräsentiert den Umbau des Sozialstaats hin zu einem neuen Leitbild des unternehmerischen Selbst. Die Inwertsetzung der Eigenschaften dieses Typus auf der Subjektebene wird durch Politikprogramme, gesellschaftliche Diskurse und zugleich lebensweltliche Vorreiter (role models) vorangetrieben. Gerade neue medien- und technikbasierte Dienstleistungsbereiche im Bereich der New Economy repräsentieren die notwendigen neuen Arbeits- und Produktionskulturen sowie die dazugehörigen Lebensstile. Neu an diesen Überschneidungsbereichen ist, dass neue Akteure systematisch an der professionellen Vermittlung dieser Transgressionen arbeiten und sich strategisch positioniert haben. Sie befördern dabei die Hybridisierung beider Bereiche, den der Ökonomie und den der Kultur. Im Anschluss an die Diagnose einer Kulturalisierung der Ökonomie muss davon ausgegangen werden, dass den Trägergruppen der Kultur-, Waren- und Symbolproduktion ein hoher sozialer Status zugesprochen wird. Diese Kulturund Symbolproduzenten sehen in dieser Lebens- und Erwerbspraxis eine Möglichkeit, expressive Lebensstile mit Erwerbspraktiken zu verweben. Sie geben sich selbst als gesellschaftliches Rollenmodell zu erkennen. Sie beziehen sich in ihrer Lebenspraxis auf ein Reservoir an Erfahrungen, von denen Überschneidungen zwischen Freizeitstilen, Technisierung, Stadtleben und (Erwerbs-)Arbeit zu erwarten sind. Aus vielfältigen lebensweltlichen Aufschichtungen und Erfahrungskontexten stellt sich eine Hybridisierung ihrer Lebenswelt ein. Von diesen Aufschichtungen aus entwickeln sich Entwürfe der Erwerbsund beruflichen neuen Selbständigkeit. Somit, so ein thesenartiges Fazit des Kapitels, verbindet sich die Frage nach der Gestaltung einer Unternehmensgründung im Bereich der Kreativwirtschaft mit und durch Fragen des Lebensstils, der subjektiven Identitätsbildung, der strategischen Vergemeinschaftung sowie der kulturellen Codierung von Territorien. Vielschichtige Interaktions112

ENTREPRENEURSHIP UND KONTEXTE

arenen – so die These – sind notwendig, um sich zusammenzuschließen sowie gegen andere symbolisch abzugrenzen. Aufbauend auf den Gesellschaftsdiagnosen setzen sich verstärkt Ansätze konzeptionell und empirisch mit der Figur und dem Leitbild des Unternehmers in unterschiedlichsten Dienstleistungsbereichen auseinander. Überblicksdiagnosen zu unterschiedlichsten Formen von Entrepreneurship durch Chris Steyaert und Jerome Katz (2004) münden in folgende Prämisse: Das Phänomen Entrepreneurship kann nur durch die Integration gesellschaftlicher, diskursiver und sozialräumlicher Analyseperspektiven in seiner Besonderheit und inneren Logik adäquat erklärt werden. Entrepreneurship hat darüber hinaus seit Mitte der 1990er Jahre einen zunehmend wichtigen Stellenwert in nationalen Politiken und Beschäftigungsprogrammen erfahren. Die Trägergruppen der symbolintensiven Dienstleister stützen sich dabei auf Wissen, Medien und Märkte sowie die Fähigkeit zur Entwicklung emotionaler, sinnlicher und ästhetischer Produkte. Dabei haben Berufe an Profil gewonnen, die sich an der Schnittstelle zwischen Dienstleistung und Kulturproduktion befinden und zu ihrer wechselseitigen Durchdringung beitragen. Dazu gehören z.B. neue Berufsbezeichnungen von vermittelnden Akteuren in der Unternehmensberatung, in den Bereichen Public Relations, Kulturmanagement, Coaching und Werbung, aber auch Symbolproduzenten, Grafikdesigner, Künstler, Galeristen, Mode-Label-Betreiber etc. Gerade aus dem Kunst-Kontext drängen sie in neue Bereiche des Dienstleistungssektors hinein und erbringen dabei systematisch Übersetzungsleistungen. Die Lebens- und Arbeitswelt in der Kreativwirtschaft setzt sich aus einem Amalgam von selbstcharismatisierenden Beschreibungen (kreativ!), faktisch prekären Existenzbedingungen (Flexibilität!), zugleich aber hohem gesellschaftlichem Status und Prestige (Pioniere!) zusammen. Sie stellt zudem ein diskursives Leit- und Vorbild für jüngere Politik- und Regierungsprogramme dar, wie dies am Fall Creative Industries vorgestellt wurde. In dieser Folge gibt sich eine äußerst ambivalente Figur im normativen Zentrum der faktischen Beschäftigungs- und Erwerbslandschaft des Spätkapitalismus zu erkennen. Unter dem Stichwort Neues Unternehmertum zeigen sich neue individualisierte berufliche Handlungsstrategien, dynamische berufliche Aufstiege und rasante Abbrüche, aber auch das gekonnte Wechseln zwischen verschiedenen Institutionen resp. institutionellen Verankerungen wie bspw. Arbeitsagentur, Arbeitnehmerverhältnissen und Selbständigkeitsstrukturen. Empirisch sind Strategien und Praktiken zu erwarten, die notgedrungen Abweichungen von standardisierten Erwerbsbiografien repräsentieren. Gleichwohl operieren diese Akteure in neuen, bisher wenig analysierten sozialen und territorialen Interaktionsräumen.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Im ersten Teilkapitel wurde erläutert, dass Modernisierungstheoreme gesellschaftliche Transformationen aus der Sicht des Individuums als zu bewältigende Handlungsprobleme auffassen. Dagegen sind hegemoniekritische Gesellschaftstheoreme gestellt worden, die im Foucault’schen Sinn von einem sich immer deutlicher herausschälenden gesellschaftlichen Dispositiv ausgehen: Ihre Diagnosen zum Stellenwert der immateriellen Arbeit weisen auf subjektspezifische Praktiken und Sozialtechnologien und demzufolge auf ein unternehmerisches Selbst hin. Einerseits kommt diesem die radikal subjektivierte Bewältigung von Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Sozialität zu. Andererseits verbindet sich die Emergenz eines unternehmerischen Selbst mit der bekannten Forderung nach strukturellem Autonomiegewinn in der Durchführung der Arbeits- und Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig offenbart sich im Prozess der radikalen Subjektivierung von Arbeit aber der fehlende Zugriff auf die strukturell machtvollen Entscheidungs- und Kapitalressourcen. Dieser generelle Befund baut auf der Diagnose einer zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft auf. Daraus ergibt sich für das Individuum die Notwendigkeit, neue Vergemeinschaftungsformen einzugehen. Ähnliches gilt auch für neue unternehmerische Akteure in der Kreativwirtschaft. Entrepreneurship als eine atomistische Praxis einzig und alleine durch ökonomischrationales Verhalten erklären zu wollen, würde makro-gesellschaftliche Prämissen, subjektive Vorprägungen und situative Rahmungen, in die das Phänomen Entrepreneurship eingebettet ist, bewusst ausblenden. Daher wurde es heuristisch als wichtig erachtet, Perspektiven und Kategorien von möglichen Vergemeinschaftungs- und Interaktionsformen konzeptionell vorzustellen. Sie formulieren und erklären die unterschiedlichsten Praktiken und Verfahren der sozialen, kulturellen und sozialräumlichen Einbettung von Entrepreneurship. Motiviert durch die Studien zu Passagen der „Neuen Selbständigen“ (1997) in Ostdeutschland durch Michael Thomas werden diese Einbettungskontexte als maßgeblich für die Formulierung und Gestaltung einer unternehmerischen Praxis verstanden. Dies gilt im Besonderen für die kleinteilige Dienstleistungsstruktur des hier im Vordergrund stehenden symbolintensiven Dienstleistungsbereichs – die Kreativwirtschaft. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass beide Grundbefunde – gesellschaftliche Modernisierungen als Handlungsprobleme auf der einen Seite und hegemoniekritische Gesellschaftsdiagnose auf der anderen Seite – im Anschluss an ihre Befunde heuristische Angebote vorstellen. Erstere zielen auf den Bedeutungsgewinn von neuen Formen der posttraditionalen Vergemeinschaftungen ab. Letztere weisen darauf hin, dass der gesellschaftliche Ort dieser (mikro-)unternehmerischen Praxis – und dies gilt insbesondere für die Beschäftigten in den urbanen immateriellen Kreativwirtschaftsbereichen – sich in Form von kleinen und kleinsten Produktiveinheiten materialisiert. 114

ENTREPRENEURSHIP UND KONTEXTE

Diese sind wiederum vielfältig vernetzt, was ihnen die Möglichkeit eröffnet, neue Handlungsspielräume zurückzugewinnen. Thematische und temporäre Projektnetzwerke mit eigenwilligen Binnenlogiken können als intermediäre Institutionen angesprochen werden. Mikrounternehmer agieren gerade im Kreativwirtschaftsbereich weder solitär noch ausschließlich atomistisch, sondern in quasi-familiaren sowie informellen Interaktionsgeflechten. Aus der Perspektive eines Unternehmers aber zu beschreiben, wie etwas „unternommen“ wird und wie diese Praxis in einen Sozial- und Stadtraum eingebettet ist, bedeutet nicht nur, nach der Verfahrenspraxis eines wirtschaftlichen Unternehmens zu fragen. Die unternehmerische Praxis stellt vielfältige Anforderungen an das sozial eingebundene Individuum und sein neu zu erwerbendes Rollenverständnis dar: Biografischen Vorprägungen und lebensweltlichen Erfahrungen kommt eine erklärende Rolle bei der Analyse ihrer Unternehmerwerdung zu. Zu fragen ist, wie sich unter städtischen Transformationsbedingungen berufliche Handlungsoptionen und -strategien zeigen, die auf die skizzierten Prozesse dieser kulturellen und wissensbasierten Systemtransformation reagieren und zugleich dadurch bedingt sind. Es ist nach Darstellung bisheriger Forschungsarbeiten unklar, welche Fähigkeiten den neuen Unternehmern gerade im Bereich der Kreativwirtschaft abverlangt und zugesprochen werden. Professionelles Handeln wird durch übergreifende Wertorientierungen und Wissensgrundlagen und somit durch übergeordnete gesellschaftliche Strukturen gestaltet. Der Prozess der Gründung eines Unternehmens eröffnet aus analytischer Perspektive nicht nur die Möglichkeit, explorativ auf die Qualitäten, den Formenreichtum, die Strukturvariationen sowie die angewendeten unternehmerischen Logiken hinsichtlich ihrer sozialräumlichen Einbettung hinzuweisen. Da sich diese Entwicklungen in handlungsoffene, nicht per se determinierte Situationen hinein entfalten, gilt es aus einer analytischen Perspektive zunächst zu fragen, welches Verständnis mit den Begriffen Handlungen und Praktiken einhergeht. Erst ihre Konzeptionalisierung kann ein zielgerichtetes empirisches Vorgehen leiten.

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Ha ndlungen – Praktiken – Raum: Theorieentw icklungen

In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Begründungszusammenhänge vorgestellt, die der Kreativwirtschaft in Städten eine zentrale Funktion zuweisen. Die Argumentation in den Kapiteln fokussierte auf neue professionelle Akteursgruppen, deren Selbstverständnis und Interaktionskulturen ebenso wie deren Bedarf an Raum. Dabei zeigte sich, dass in diesen Erklärungsansätzen ein in und mit der Stadt handelnder Akteur im Vordergrund steht: Die Stadt ist nicht mehr für ihn per se gemacht, sondern wird durch soziale Praktiken hergestellt. Von zunehmendem Interesse ist, wie und durch welche Akteure das geschieht. Bezogen auf die Fragestellung dieser Arbeit heißt dies zu untersuchen, wie ein kultureller Unternehmer in der Stadt Berlin handelt. Vorbereitend wird im Folgenden auf das theoretische Verständnis bzgl. Handlung in jüngeren Kultur- wie Raumtheorien eingegangen. Es mündet in die Fokussierung auf Konzepte der sozialen Praktiken. Diese wiederum werden durch jüngere Theoriearbeiten erklärt, wie bspw. die von Andreas Reckwitz (2000). Aufgrund der zunehmenden Bedeutung kultureller Codierungen und sozialer Praktiken bei der Konstituierung von Räumen diagnostiziert Reckwitz theoretische Weiterentwicklungen, die sich vor dem Hintergrund einer lange Zeit vorherrschenden Dichotomie von theoretischen Grundpositionen zur Erklärung menschlichen Handelns vollziehen: Strukturalismus vs. Sozialphänomenologie und Individualismus vs. Holismus. Reckwitz’ Ausführungen zufolge lösen sich aber nicht die Grundpositionen dieser Theoreme auf, vielmehr geben sich neue Anschlüsse zu erkennen, die auf diesen Grundpositionen aufbauen. Ausgehend davon sind Berührungspunkte zwischen neuen Theorieelementen zu beobachten: Sie münden, so Reckwitz, in die These einer Konvergenz, die in den folgenden Teilkapiteln kritisch auf ihre Anschlussfähigkeit für Raumanalysen überprüft wird. 117

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

V o r b e m e r k u n g e n z u r K o n ve r g e n z t h e s e Die These besagt, dass eine Konvergenz zwischen einerseits weiterentwickelten Konzeptionen der strukturellen objektiven Ordnungssystematiken (Strukturalismus) und andererseits weiterentwickelten Konzeptionen der individuell-subjektiven Handlungsweisen (Phänomenologie) zu beobachten sind. Indem Andreas Reckwitz auf die Cultural Studies verweist, zeigt er, dass in zentralen jüngeren Kulturkonzeptionen, wie z.B. den theoretischen Konzeptionen eines sog. „Cultural Turn“, offenkundig eine Konvergenzbewegung zweier philosophischer Grundströmungen auszumachen ist. Es wird aber nicht von einer kühnen Behauptung der Konvergenz von Strukturalismus mit Phänomenologie ausgegangen, als vielmehr davon, dass, aufbauend auf den Grundströmungen und den jeweiligen Grundannahmen, sich theoretische Weiterentwicklungen vollzogen haben. Dabei stellt sich ein recht wildes und oftmals nur bedingt nachzuvollziehendes „Namedropping“ ein, mit zahlreichen „post-“Theoremen. Darauf wird an dieser Stelle verzichtet und vielmehr der Versuch unternommen, auf eine der Fragestellung wie dem Forschungsziel angemessene Art und Weise nach den inhaltlich Konwie Divergenzen eines schmalen Segments dieser von manchen, als nachhaltig bewerteten Konvergenzbewegung zu suchen (Reckwitz 2000). Um diese These zu erläutern und kritisch zu überprüfen, wird im Folgenden gezeigt, worin sich Phänomenologie auf der einen Seite und Strukturalismus auf der anderen Seite unterscheiden lassen: Die von Edmund Husserl formulierte Phänomenologie arbeitete gegen das cartesianisch-galileische Ideal der neuzeitlichen objektivistischen Wissenschaften. Sie zeigt, wie die vermeintlichen Strukturen der Welt durch das Bewusstsein als ein sinnhaftes Korrelat hervorgebracht werden. Ziel war es, zu erkennen, wie das Cogito – also die Sicherheit der inneren Erfahrung – sich in seinen intentionalen Akten die Welt sinnhaft erwirbt (Reckwitz 2000, S. 87). Grundbefund war die von Husserl vorgestellte Erkenntnis, dass die Art und Weise, in der dem Einzelnen die Welt als gegeben erscheint, von einer gemeinsamen, im impliziten Wissen sedimentierten Lebenswelt abhängt. Von diesen Beständen aus vollziehen sich intentionale Sinnzuschreibungen und eben entsprechende Handlungen. Dagegen stand der französische Strukturalismus, dessen Ausgangspunkt Sinnsysteme sind, die als übersubjektive Entitäten beschrieben werden. Diese sind aus der Perspektive des intentionalen Bewusstseins kategorisch nicht zu erfassen und stehen dem phänomenologischen Standpunkt konträr gegenüber. Sinn erscheint nicht als Produkt einer subjektiven Sinnzuschreibung des Bewusstseins, sondern als immanentes Produkt von symbolischen Differenzierungssystemen, die einer eigenen übergeordneten Logik folgen. Dieser Logik unterliegt auch die Sprache, die sich in die Leitdifferenz von „langue“ und „parole“ teilt und als handlungsleitende Struktur symbolische Differenz er118

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

zeugt. Die in der Praxis sich vollziehenden Sprechakte werden als ein Produkt einer über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg existierenden universalistischen Struktur von Unterscheidungen verstanden. Die im weiteren Verlauf vorgestellten exemplarischen Ansätze bauen auf den skizzierten traditionellen Theorieverständnissen auf. Dabei vollziehen sich, wie Reckwitz erläutert, Konvergenzen zwischen den verschieden weiterentwickelten Theorieansätzen. Die von Reckwitz vorgestellten Konvergenzbewegungen werden exemplarisch an den Begriffen Handlung sowie soziale Praktiken im ersten Teilkapitel vorgestellt. Im zweiten Teilkapitel wird überprüft, inwiefern die in der Kultursoziologie im Fokus stehende Konzeption von sozialen Praktiken in Verbindung mit einem konzeptionellen Programm der Raumanalyse erweitert werden kann. Diese Erweiterung erfolgt durch die Diskussion der Theoriebausteine der sozialen Praktiken in Verbindung mit jüngeren Theoriepositionen der Raumsoziologie. Daran schließt sich die Darstellung des konzeptionellen Projekts einer sog. „Neuen Kulturgeographie“ in der Geographie und den Raumwissenschaften an. Die Neue Kulturgeographie wird v.a. durch die jüngste Veröffentlichung von Hans Gebhardt und Paul Reuber geprägt (Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer 2003a; 2003b), das Projekt einer Raumsoziologie hingegen durch Martina Löw (Löw 2001). Die Diskussion in diesem Teilkapitel beleuchtet, inwiefern die im ersten Kapitel eingeführten handlungserklärenden Ansätze von Pierre Bourdieu und Erving Goffman mit ihrem nicht immer hinlänglich klaren Raumbezug in ihrer analytischen Schärfe qualifiziert werden könnten. Dies erfolgt durch eine Gegenüberstellung diese Theorieverständnisse und -projekte mit einem jüngeren Ansatz in den Raumwissenschaften, der von Martina Löw entwickelt wurde. Ziel dieses Kapitels ist es, einen heuristischen Rahmen zur Erklärung von Handlungen, Raumaneignungen und -konstruktionen durch soziale Praktiken von kulturellen Unternehmern in Berlin zu entwickeln.

Vom Begriff „Handlung“ zum Konzept „soziale Praktiken“? Die Fragestellung der Arbeit sowie der Untersuchungsgegenstand weisen dem Begriff Handlung eine herausgehobene Stellung zu. Im Folgenden wird der Zugriff auf den Begriff expliziert und kontextualisiert. Er kann zum einen anhand strukturalistisch-orientierter und zum anderen anhand subjektivistischorientierter Handlungstheorieansätze definiert werden. In den folgenden Ausführungen werden theoretische Bezugspunkte zwischen den beiden Ansätzen benannt, die konvergierende Aspekte und Argumente bei der Konzeption des Begriffs Handlung aufweisen. Diese Diskussion führt, so der Ausblick, zu einem Handlungsbegriff, der kognitive und 119

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körper-leibliche Dimensionen zu erfassen im Stande ist. Er wird in einem synthetisierenden Kapitel im Anschluss expliziert und für die weitere, auch empirische Verwendung in dieser Arbeit zusammengefasst. In die Diskussion des Begriffs Handlung ist die These eingeflochten, dass von zwei zentralen philosophischen Grundströmungen sowie deren konzeptionellen Weiterentwicklungen aus eine Konvergenzbewegung zur Erklärung sozialer Praktiken vollzogen wird. Anhand dieser Darlegungen wird ein begrifflicher Erklärungsapparat erläutert, der das Verhältnis zwischen Handlung und sozialen Praktiken vorstellt. Er zeigt, dass sich jüngere theoretische Ansätze bei der Erklärung von Handlung im Spannungsfeld von strukturalen, hermeneutischen und sozialphänomenologischen Theoriebeständen bewegen. Ein erstes Fazit fasst zusammen und leitet über zur Überprüfung dieses Zwischenergebnisses anhand zweier jüngeren raumwissenschaftlichen Theorieschulen.

Konvergenzen zwischen „Struktur“ und „Subjektivität“? Ein theoretischer Hintergrund zur Erklärung von Handlung ist mit dem Schlagwort „Erklären/Verstehen-Kontroverse“ benannt. Ein zentraler Aspekt dieser Debatte war die Frage, wie Handlung und Verhalten sowie die Konzepte Erklären und Begründung auszulegen seien. Grundsätzlich standen dabei ontologische Erklärungen im Vordergrund, und zwar einerseits naturalistische, andererseits geisteswissenschaftliche. Erstere behaupteten eine Gleichartigkeit von Natur- und Geistes- wie Sozialwissenschaften und somit die Einheitlichkeit von Erklärungen aller Wissenschaften, letztere plädierte für einen besonderen Stellenwert der Erklärung von Handeln gegenüber Erklärungen anderer Ereignisse. Die Kontroverse ist auch unter dem Stichwort Holismus vs. Individualismus bekannt (Reckwitz 2000, S. 98 ff.; ebd., S 174 ff.). Weitere Benennungen dieser Kontroverse finden sich im angelsächsischen Sprachraum unter der Überschrift von „Structure – Agency“ wieder (Ritzer 1991, S. 207 ff.). Hintergrund dieser Debatte ist, dass Handeln sich als ein Produkt von Strukturen darstellt und Strukturen als unüberschreitbare Voraussetzung von Handeln erscheinen. Sie zwingen den Akteur zu bestimmten Handlungsweisen und schließen andere Optionen für ihn aus. In den Ansätzen, die individualistischen und subjektivistischen Erklärungsmodellen zuzuordnen sind, werden soziale Strukturen dagegen nicht als unhintergehbare Handlungsbedingungen dargestellt. Handeln ausschließlich über den subjektiv gemeinten Sinn zu erklären hieße, Strukturen einzig und allein als Aggregationsergebnis mehrerer individueller Handlungsakte zu verstehen, nicht aber als unhintergehbare Handlungsbedingung von Bedeutung. In modernen sozialphänomenologischen Kulturtheorien zeigt sich, dass Erklärungen von menschlichen Handlungen einer Beschreibungsform bedürfen. Alltagsweltlich vorausgesetzte Intentionalitäten und Sinnhaftigkeiten des 120

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Handelns im Unterschied zur Nicht-Sinnhaftigkeit natürlicher Ereignisse rücken in den Mittelpunkt. Dadurch stellt die Sozialwissenschaft ein „intentionales Vokabular“ vor, d.h. ein Set von Erklärungen von Handeln über intentionale Zustände wie Beweggründe, Reize und Wünsche etc. (Reckwitz 2000, S. 106). Das dazugehörige Beschreibungsvokabular fällt trotz einer klaren Hinwendung zu sinnorientierten Handlungserklärungen nicht in einen ontologisch-begründeten Geist/Natur-Dualismus zurück. Dies erklärt sich dadurch, dass sich prinzipiell nicht eine physische und eine geistig-kulturelle Welt gegenüberstehen, sondern ein naturalistisch begründetes und ein sinnorientiert-intentionales Beschreibungsvokabular, d.h. zwei Wissensordnungen. Damit kann angedeutet werden, dass Wissensordnungen als eine Strukturdimension benennbar sind. Sie übernehmen die Funktion einer erklärenden Aussage und ermöglichen sowohl holistische als auch subjektivistische Beschreibungsformen von Welt. Wissensordnungen und ihre Sinnmuster können dann sowohl als subjektive Eigenschaft eines intentionalen Bewusstseins als auch als ein übersubjektives Unterscheidungssystem beschrieben werden (Reckwitz 2000, S. 177). Repräsentationen und Erklärungen von Wissen zeigten im Marx’schen Basis-Überbau-Schema und den normativ abgeleiteten Kulturbegriffen immer eine Differenz von Kultur und Gesellschaft. Dies erscheint für das Wissensverständnis moderner Kulturtheorien nicht mehr zentral – sie verstehen Wissen im Zusammenhang dieser theoretischen Diskussion nämlich zunächst als die gesamte symbolische Organisation der Wirklichkeit. Wissen geht immer mit einer „kognitiven Operation mit Selektivitätsfunktion“ einher (Matthiesen/Bürkner 2004, S. 68). Es ist mit einem Entscheidungsprozess verbunden, impliziert Vergleiche, Konsequenzen, Verknüpfungen und dialogische Praktiken und hat daher mit Sinn im strukturlogischen Verständnis zu tun. Es wird offensichtlich, dass Wissen immer an Lernprozesse gekoppelt und gleichzeitig dessen Resultat ist. Lernprozesse sind demzufolge kommunikativ-konstituierte und bestätigte wie bewährte Praktiken. Passende Informationen werden an passender Stelle eingebaut. Sie verdichten sich in sozialen Praktiken zu handlungsbezogenen und handlungsleitenden Mustern (Willke 2002, S. 17). Mit dieser systemtheoretisch orientierten Definition kann zunächst ein relativ weites Feld verschiedener Wissensbegriffe (wissenschaftliches bis hin zu alltagsrelevantem Wissen) eröffnet werden. Gleichwohl lassen sich dadurch noch keine Regeln der Wissenserzeugung ableiten, was im weiteren Verlauf gezeigt (und diskutiert) wird, da soziale Praktiken aber immer eine Körperdimension beinhalten. Darin liegt ein Aspekt der zu beschreibenden Konvergenzthese. Ein kulturtheoretisch informierter Begriff von Wissen sowie die sich daraus anschließenden Ordnungsmuster verlieren daher ihren nur abgeleiteten Status gegenüber einer separat gedachten sozialen Struktur. Dadurch 121

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stellt sich ein Perspektivwechsel ein: Während vormals nach den sozialstrukturellen Bedingtheiten des Kulturellen und somit des Wissens gefragt wurde, wird nun nach der kulturellen Bedingtheit des Sozialen und nach der Abhängigkeit der Verhaltensweisen von bestimmten Wissensordnungen und deren Sinnsystemen gefragt. Dadurch rückt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wissensordnungen und Handeln in den Vordergrund. Entscheidend ist dann, wie kulturelle Sinnmuster real menschliches Handeln anleiten. Damit stellt sich auch eine „Totalisierung des Wissenskonzeptes“ (Reckwitz 2000, S. 164) ein, das sich in der Hinwendung zum Alltag und der Lebenswelt des Alltags zeigt (Lippuner 2003). Der Begriff Alltag wurde von de Certeau in seinen Beschreibungen der „Prozesse des Machens“ immer als ein relationaler Begriff verstanden. Er ermöglichte ihm, individuelle Aneignungsweisen und Bedeutungszuschreibungen von Akteuren im Verhältnis zu einem übersubjektiven strukturell machtvollen System zu beschreiben (Certeau 1988, S. 179 ff.). In dieser theoretischen Betrachtung von Handlungserklärungen können Wissensordnungen als komplexe Systeme verstanden werden. Sie knüpfen an die Konzipierung von sozialen Sinnsystemen in beiden philosophischen Denktraditionen – der Phänomenologie und der Hermeneutik einerseits sowie des Strukturalismus und der Semiotik andererseits – an. Pragmatisch verbinden sie die Oppositionsbegriffe „Structure – Agency“ und verweisen in dieser Folge auf theoretische Verbindungslinien. Beide Denktraditionen werden im weiteren Verlauf anhand des Begriffs der sozialen Praktiken diskutiert. Aus der Diskussion kann ein analytisches Begriffsvokabular für die Beschreibung von sozialen Praktiken vorgestellt werden. Es kann anschließend auf die empirische Analyse von kulturellen Unternehmern in Berlin und ihre Praktiken angewendet werden. Zunächst wird aus strukturalistischer Sicht die Entstehung einer Theorie der sozialen Praktiken mit Hilfe Bourdieus vorgestellt. Anschließend wird dies aus der Sicht der sozialphänomenologischen Theorie exemplarisch durchgeführt. Diese Fokussierung stellt zweifelsohne eine Einengung dar. Andere Theorieansätze und deren Weiterentwicklung, wie z.B. die Philosophie Wittgensteins oder auch der Pragmatismus USamerikanischer Prägung, spielen eine wichtige Rolle, können hier aber nicht weiter berücksichtigt werden.

Bourdieus Theorie sozialer Praktiken Anknüpfend an und aufbauend auf dem französischen Strukturalismus versuchte Pierre Bourdieu, subjektive Faktoren mit objektiven Gegebenheiten zu verbinden. Bekanntermaßen versucht die strukturalistisch-semiotische Denkweise, menschliches Verhalten als ein Produkt zu betrachten und zu erklären, 122

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wie soziale Kollektive ihre Wirklichkeit symbolisch organisieren. Dieser Organisationsprozess wird durch Unterscheidungssysteme und bedeutungsgenerierenden Regeln gelenkt. Sie strukturieren unbewusst menschliche Handlungen und Aktivitäten. Es sind übersubjektiv strukturierende Wissensordnungen, die über Sprache wirken und dabei Bedingungen festlegen, unter denen sie eine Bedeutung erfahren. Nicht das Subjekt als sinnstiftendes Zentrum geht voraus, es stellen sich vielmehr mentale Strukturen als eindeutige Bedingungsverhältnisse dar, in denen sich Verhaltensweisen einordnen. Dieser traditionelle Dualismus zwischen der objektiven Perspektive einer strukturalen Analyse und der subjektiven Perspektive der intentionalen Verstehensakte konnte aber nicht erklären, wie sich beispielsweise kulturelle Codes und Symbole interpretationsfrei im Handeln manifestieren. Konsequent setzen sich Bourdieu und auch Michel Foucault mit möglichen Konvergenzen zwischen Subjekt und Struktur auseinander. Bourdieu versucht mit seinem Konzept der Praxis zu erklären, dass Praktiken nicht ausschließlich eine geistige Aktivität darstellen. Seiner Auffassung nach müssen körperliches Verhalten und Artikulationsweisen, die vom Körper hervorgebracht werden, mitberücksichtigt werden (Bourdieu 1970; Bourdieu 1976, S. 195 ff.). Daher wird der Habitus bei Bourdieu als ein Medium zwischen bestimmten sozialstrukturellen Lebensbedingungen und kollektiven wie individuellen Handlungen verstanden. Der Habitus wird als ein System von (sozialen) Dispositionen angesprochen, das in der Alltagspraxis als Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschema wirkt (Gugutzer 2002, S. 110). Praxis ist dann die Schnittstelle, an der Struktur und Habitus zusammentreffen. Ebenso ist Praxis für Bourdieu der Ort der Dialektik von objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Bedingungen und damit von Strukturund Habitusformen. Diese Praxis stellt eine Vermittlungsinstanz zwischen den objektiven Existenzbedingungen einerseits und den konkreten, kontextabhängigen Handlungen andererseits dar. Er wirkt als praktischer Sinn und stellt eine relative, subjektive Zukunftsoffenheit in seiner Anwendung dar. Mit praktischem Sinn wird sodann ein know-how-artiges Wissen angesprochen, über das der Akteur verfügt. Diese Handlungsakte sind räumlich-zeitlich situiert. Auf der Grundlage der Sinnmuster eines Habitus kann im sozialen Feld, im sozialen Raum, entsprechend gehandelt werden. Dagegen wirkt die Wissensordnung Zeit weitestgehend flächendeckend an unterschiedlichen Orten. Für Bourdieu sind soziale Praktiken also routinisiert hervorgebrachte und in diesem Verständnis immer körperlich verankerte Verhaltensmuster. Sie werden von habituellen übersubjektiven Wissensordnungen ermöglicht. Wissensordnungen werden durch implizite, auf die Umwelt reagierende und sie zugleich strukturierende Sinnzuschreibung angeleitet. Der Akteur wird in seiner Theorie der sozialen Praxis als ein körperlicher Akteur verstanden. Aber 123

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er ist auch als mentaler Träger von sozialen Praktiken zu verstehen, wodurch er sich weder als ein beobachtendes Bewusstsein oder Subjekt noch als ein prozessierender Geist zu erkennen gibt. Der Akteur ist ein körperlicher und sinnverstehender Träger sozialer Praktiken (Reckwitz 2000, S. 356). Bourdieus Theorie der sozialen Praxis will nicht intentionale Verstehensakte als Eigenschaften eines beobachtbaren Bewusstseins und dessen immanenter Struktur nachvollziehen. Vielmehr will er die Frage klären, wie sich übersubjektive Wissensordnungen in das praktische Handeln umsetzen.

Goffmans Theorie sozialer Praktiken Traditionell versucht die sozialphänomenologische Theorieschule die Welt als ein sinnhaftes Korrelat der Bewusstseinsintentionen der Subjekte aufzufassen. Ihr Ziel ist es aber nicht, sich auf einen reduzierten Sinnbegriff zu beziehen, sondern zu rekonstruieren, welche subjektiven Verstehensleistungen und Deutungsmuster den Akteur dazu bringen, so und nicht anders zu handeln. Eine Beschreibung von kollektiven Wissensordnungen vorzunehmen, stellt sich jedoch theorieimmanent als problematisch dar, da kollektives Wissen ausschließlich aus der subjektiven Perspektive des Handelnden interpretierbar ist. Erving Goffman wird in diesem Teilkapitel hinsichtlich seines Konzepts des Rahmens (frame) beachtet. Er bezieht sich mit seinem Konzept des Rahmens zum einen auf die Schütz’sche Sozialphänomenologie. Zum anderen ist aber nicht das subjektive Bewusstsein der Bezugspunkt seines Konzepts, sondern die öffentliche sowie gemeinsame soziale Praxis der Interaktion. Die dabei angewandten Schemata werden nicht dem Subjekt zugerechnet, sondern sind Bestandteil kollektiver, konstitutiver Regeln. Diese aktiviert der Akteur im Zusammenspiel mit zu erkennenden Zeichen. Dabei stellen sich Bedeutungsrahmen ein, die dem Akteur ermöglichen, an sozialen Praktiken zu partizipieren und dabei einerseits eine soziale Rolle wie andererseits auch sich selbst sichtbar zu produzieren. Goffman löst sich dabei von einer Zentrierung auf die reine Subjektphilosophie und integriert Theorieelemente wissensgeleiteter, sinnhaft gerahmter sozialer Praktiken, die mit dem Begriff „framing“ umschrieben werden können. Goffmans analytisches Verständnis von „Rahmen“ (Goffman 1977, S. 11 ff.) zeigt, dass in einer Handlungssituation der Akteur adäquates handlungsleitendes Wissen nur hervorbringen und artikulieren kann, wenn er die Situation auf der Grundlage seines Rahmenwissens in Rahmen stellt. Goffman geht davon aus, dass „wir gemäß gewissen Organisationsprinzipien für Ereignisse – zumindest für soziale – und für unsere persönliche Anteilnahme an ihnen Definitionen einer Situation aufstellen; diese Elemente […] nenne ich ,Rahmen‘“ (Goffman 1977, S. 16). So kann der Akteur, Goffman zufolge, so124

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zialen Ereignissen überhaupt Bedeutung zuschreiben. Entgegen der Position eines radikalen subjektiven Situationismus entwickelt Goffman durch diese kontextsensitive Perspektive eine holistische Position. Die von ihm eingeführten „Rahmen“ sind immer als kollektive Bedeutungsrahmen zu verstehen, die keinesfalls in der jeweiligen Situation immer neu geschaffen werden. Ein in der Situation hervorgebrachtes und angewandtes Wissen ist in der Regel kein reines Produkt der äußeren Situation, d.h. es sind vielmehr vorgegebene, gleichsam kulturelle und somit variable und veränderbare Rahmen, die auf eine Situation einwirken. Der situative Rahmen und das ihm jeweilige kulturelle Wissen sind somit für den Akteur eine Aufforderung, diesen Rahmen zu dechiffrieren. Darüber hinaus ist es aber auch eine Aufforderung, adäquat auf die äußeren Umstände zu reagieren. Die Akteure können ihre Handlungssequenzen nur dadurch vollziehen, dass sie einzelne Elemente der Szenen und Situationen, mit denen sie konfrontiert werden, in einen Deutungsrahmen stellen und gleichzeitig dabei ihr Rahmungswissen mobilisieren (Goffman 1982, S. 274). Der „Rahmen“ benennt ein Organisationsprinzip, das sich nicht allein interpretierend durch den Akteur erschließt, sondern ihm durch die Handlungssituation regelrecht aufgezwungen wird. Wie aber soll der Akteur wissen, welches das adäquate Interpretationsschema für eine Situation ist? Laut Goffman lösen die in einer sozial-kulturell Welt agierenden Akteure dieses Problem, indem sie sich mit Hilfe von „Informationszeichen“ und „Markierungen“ über angemessene Bedeutungszuschreibungen verständigen (ebd.). Dies müssen nicht explizierte sprachliche Codes sein, sondern können auch inkorporierte „Körperzeichen“ sowie andere institutionelle Arrangements und deren wirkungsmächtige Regeln sein. Körperzeichen sind somit Mimiken, Gestiken, Haltungen des Körpers, leibliche Bewegungen, die vor dem Hintergrund bestimmter Wissensbestände Ausdruck „sozialer Informationen“ einer Person sind. Diese können wiederum von anderen dechiffriert werden. In dieser interaktionsbasierten Perspektive ist somit deutlich zu erkennen, dass Rahmenwissen immer nur in seiner Anwendung in öffentlichen Kontexten existiert. Doch gerade das öffentlich zur Schau gestellte Rahmenwissen nebst seinen Handlungsakten ist der Ausdruck bestimmter subjektiver Sinnmuster. Goffmans Theorie weist eine Erweiterung des sozialphänomenologischen Programms auf, insofern sie die Wissensvorräte nicht auf der Basis ihrer immanenten subjektiven Struktur verortet, sondern in der Mobilisierung ihrer öffentlichen Mechanismen. Sozial geteilt vorhandenes Wissen kann somit sichtbar gemacht werden. Gleichwohl kann sich der Akteur zwischen verschiedenen Rahmen hin und her bewegen, was ein gewisses Maß an Fragilität kognitiver Ordnung offenbart.

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Des Weiteren nimmt der Körper für die Analyse rahmengestützter Praktiken bei Goffman eine zentrale Rolle ein. Soziale Praktiken sind seinem Konzept zufolge Muster von Körperbewegungen in öffentlichen Rahmungen, wodurch Wissensbestände über routinisierte Verhaltensweisen in Situationen decodiert werden können. Mit dem Körper werden intendierte oder unintendierte Zeichen und Codes hervorgebracht und in einer Situation produziert. Es zeigt sich, dass Bourdieu und Goffman exemplarisch aus ihren jeweiligen traditionellen Denktraditionen heraus Theorieelemente mit eigenen Begrifflichkeiten weiterentwickelten, die auffallende Parallelen darstellen. Bourdieu versteht das handelnde Individuum als Träger sozialer Praktiken, wobei übersubjektive Wissensordnungen sich in das praktische Handeln umsetzen. Goffman dagegen spricht den öffentlichen Charakter von Praktiken und Körperbewegungen an. Er führt mit dem Konzept der Rahmungen eine nicht-subjektive Dimension ein, auf die sich das Subjekt hin aber mitpositioniert.

Körper- und Leibdimension bei sozialen Praktiken Erklärungen von Handlungen und sozialen Praktiken sind, dies zeigte sich bei Bourdieu und Goffman, immer an die Dimension Körper gebunden. Routinisierte Handlungen und habitualisierte Praktiken verweisen implizit immer auf ein ausgewiesenes Verständnis von Körper. Die Dimension Körper hat in den vergangenen Jahren gerade auch in den Raumwissenschaften eine Neubewertung erfahren (Duden 1991, zit. in Löw 2001, S. 115 ff. ). Im Folgenden wird daher überprüft, welche Ergebnisse dieser Theorieentwicklung sich auf dem Weg der Qualifizierung des Handlungsbegriffs für die Raumwissenschaft als fruchtbar erweisen können. Diskutiert werden dekonstruktivistische Konzepte, aber auch die Körperkonzepte von Michel Foucault. Es werden auch die phänomenologischen Körper-Leib-Theorien angesprochen.

(De-)Konstruktivistische Körperkonzepte Historische Vorstellungen wiesen dem Körper in jeweils verschiedenen gesellschaftlichen Epochen unterschiedliche Begrenzungsmarkierungen zu. Eine erste fließende Begrenzung des Körpers stellte die Haut dar. Das, was unter der Haut ist, war verborgen, sodass das unsichtbare Körperinnere als ein Quellgrund von Mysterien, Fremdbestimmungen und Macht verstanden wurde. Im Zuge der naturwissenschaftlichen und medizinischen Beschreibung von körpereigenen Prozessen stellte sich eine andere Körperauffassung ein: Der Körper wird als Disziplinierungsraum abschließbar und somit mit Behälter und Gefäßmetaphern versehen (ebd.). Mit dieser Körpervorstellung geht also immer eine Vorstellung des Identitäts- und Menschenbildes einher. Da126

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rüber hinaus zeigt sich, dass sich auch weitere ethnische, soziale und kulturelle Rollenbilder an Körpervorstellungen anlagern und mit ihnen assoziiert werden. Körpervorstellungen können als natürlich angesprochen werden, unterliegen aber gewissen Deutungs- und Bewertungsmustern. Daraus lassen sich gesellschaftlich zu differenzierende Vorstellungen von bspw. Arbeit, Reproduktion und Öffentlichkeit ableiten. „Körper“ und seine natürliche Dimension unterliegen somit diskursiven Zuschreibungen: Es sind hergestellte soziale Konstruktionen, an denen sich unterschiedliche Vorstellungswelten wie mikroräumliche Zuweisungen anlagern. Die Ausdifferenzierung und Auflösung der traditionellen Vorstellungen von insbesondere Frauenkörper als Behälterkörper wurde durch Judith Butlers Differenz des zwischen gender (soziale Klassifizierung und Identifizierung des Körpers) und sex (biologische Ausstattung) eingeführt (zur kritischen Diskussion siehe Löw 2001, S. 123 und 126). Dekonstruktivistische Ansätze weisen auf den sozialen Konstruktionsprozess hin sowie auf diskursive, materielle und soziale Praktiken, mit denen natürliche Körper einem bestimmten Geschlecht, bestimmten Räumen und bestimmten Strukturen zugeordnet und entsprechend markiert werden (Foucault 1994; 1996). Dadurch kommt die Autorin Elisabeth Grosz zu dem Schluss, dass Körperlichkeit immer eine instabile, veränderten Markierungen unterworfene Kategorie ist. Der Körper wird als eine relationale Anordnung angesprochen, in die verschiedene individuelle und gesellschaftliche Merkmale eingeschrieben sein können (Löw 2001, S. 127-128). Durch den Verweis auf Begründungszusammenhänge von nicht-statischen Vorstellungen von Körper (und Identität) gehen in unterschiedlicher Art und Weise Vorstellungen und Konzepte von Körperräumen und in dieser Folge auch von gesellschaftlichen Räumen einher. Diese erscheinen dann auch nicht mehr als homogene und abgeschlossene Räume, sondern aufgrund der theoretischen und lebensweltlich-empirischen Befunde als durch Verknüpfungsleistungen hergestellte Konstrukte.

Körper-Leib-Theorien Dem Konzept des dinglichen und materialen Körpers wird in phänomenologischen Ansätzen die Dimension des nicht dinglichen, aber wirkungsmächtigen Leibs entgegengestellt. Gerade jüngere Theorieentwicklungen und Konzeptionisierungen versuchen über den Zugang zum Körper- und Leibverständnis die Herausbildung personaler Identität zu benennen (Gugutzer 2002). Die Dimension „Leib“ nimmt dabei einen konzeptionellen Ort für Gefühle, Reize und Regungen ein (ebd.). Robert Gugutzers strikt phänomenologischer Ansatz zur Neukonzeptionalisierung des Körpers aus der Sicht der personalen Identität klammert kategorisch Identitätstheorien aus entwicklungs127

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psychologischer Sicht aus der Sicht des symbolischen Interaktionismus, der Sozialpsychologie sowie ebenso postmoderne Identitätskonzepte aus, und zwar ungeachtet deren jeweiligen Weiterentwicklungen. Die folgende Frage steht im weiteren Verlauf im Zentrum: Inwiefern können theoretische Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem Bereich personaler Identität und Körpertheorien für die Qualifizierung eines erweiterten, für die Raumforschung relevanten Handlungsbegriffs herangezogen werden? Zentral in diesem Zusammenhang der Körper-Leib-Konzepte ist der Begriff Atmosphäre. Er wird in der Be- und Zuschreibung von Räumen sowie in der phänomenologischen Körper- und Leibtheorie thematisiert. Der Begriff der Atmosphären wird u.a. in der Philosophie der Ästhetik bei Gernot Böhme (Böhme 1995, S. 34; Böhme 1998), in der Human- und Stadtgeographie bei Jürgen Hasse (Hasse 2000; Hasse 2003b) zur analytischen, zeitdiagnostischen und kritischen Zu- und Beschreibung urbaner (Aneignungs-)Räume in der Architektur verwendet. Robert Gugutzer bspw. fasst das Bourdieu’sche Habitus-Konzept als Einverleibung und Verkörperung gesellschaftlicher Strukturen auf. Das heißt, dass der Habitus Gugutzer zufolge als eine Art Spürsinn für die soziale Praxis zu verstehen ist (Gugutzer 2002, S. 109). Die Rezeption von Bourdieu in der phänomenologischen Studie zu Körper-, Identitäts- und Leibtheorien kann als ein weiterer Beleg der Konvergenz vormals einander diametral gegenüber stehender Theorieschulen gelesen werden. Dem Habitus wird dabei eine systematische Verbindung zwischen sozialstrukturellen Lebenslagen sowie kollektiven wie individuellen Handlungen zugewiesen. Es zeigt sich, dass im Habitus nur ein bestimmtes Maß der Freiheit – im Sinne freien und selbstbestimmten Handelns – angelegt ist. Aus der Sicht von Phänomenologen ist es konzeptionell die leibliche Disposition, durch die bestimmte Denk- und Wahrnehmungsschemata in der Praxis wirksam werden. Bei Bourdieu ist der Habitus eines Individuums die einverleibte Geschichte. Diese erwirbt das Individuum im Laufe seiner Sozialisation und seiner Erfahrungs- und Lernprozesse. Sie ist dem Individuum, wie Gugutzer bei Bourdieu hervorhebt, im „wahrsten Sinne in Fleisch und Blut übergegangen“ (Gugutzer 2002, S. 112). Die Prozesse der Einverleibung spielen sich bei Bourdieus Konzeption in der alltäglichen Praxis als eine „praktische Mimesis“ ab. Dies artikuliert sich als ein bewusstes Bemühen um Reproduktion eines explizit gemachten Aktes, Objektes oder des Sprechens (Bourdieu 1987b, S. 135). Der Leib wird als ein Gedächtnis verstanden, in dem die vergangenen Erfahrungen enthalten sind und durch Handeln wirkungsmächtig werden. Der Leib „ruft sich nicht die Vergangenheit ins Gedächtnis, sondern agiert die Vergangenheit aus“. In diesem Verständnis hat der Leib ein Gedächtnis, in dem er sich affektive Erfahrungen aufbewahrt, welche somit die natürliche Seite des Habitus für 128

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den praktischen Sinn einnimmt. Daraus schlussfolgert Gugutzer, dass der praktische Sinn ein leiblich-praktischer Sinn ist (Gugutzer 2002, S. 117). Er fasst ihn als eine Instanz der Selbstvergewisserung auf, die dem Individuum anzeigt, welche Handlungen und Erfahrungen zu ihm passen und welche nicht. Im Vergleich zu seinem (impliziten) Leibverständnis stellt sich das Körperverhältnis bei Bourdieu anders dar. Für ihn unterliegt die Wahrnehmung des Körpers gesellschaftlich und kulturell dominanten Vorstellungsmustern. Diese werden von sprachlich vermittelten Diskursen und Wertmaßstäben geprägt (Bourdieu 1987b, S. 144). Aus der Sicht dieser diskursiv erkennbaren und zu benennenden Werte kann dem Körper – entsprechend der individuellen Handlungsentscheidungen – Zeit, Aufmerksamkeit, Mühe, also letztlich Arbeit, entgegengebracht werden (Bourdieu 1983, S. 196). Die Arbeit am Körper stellt sich als eine reflexive Praxis dar, als eine konkrete, schnell zugängliche Sinninstanz, bei der Einwirkungen kontrollier- und steuerbar sind. Der Körper ist dadurch ein Bezugspunkt des Erlebens, des Handelns und kann in seiner Formbarkeit soziale Zuordnung und Sicherheit erzeugen. Zur Ausbildung der eigenen Identität kann die Konvertierbarkeit des eigenen Körperkapitals in Symbolkapital entscheidend sein. Dieser Schritt ist für die Argumentation dieses Kapitels und die Konvergenzthese zentral: Er erklärt, wie für Individuen die Möglichkeit besteht, aus körperbezogenem Kapital sowie den dabei artikulierten Praktiken zunächst eine individuelle Identität zu entwickeln. Sie gewährleistet ihnen soziale Zuordnung und ermöglicht soziale Anerkennung. In diesem Sinne setzt körperorientiertes Handeln im Grunde genommen immer auf Unterscheidung. Der Körper kann als ein Medium der Herausbildung von Identität verstanden werden. Körperverständnisse und Artikulationen des Körpers werden von Gugutzer in die Nähe des symbolischen Interaktionismus geführt. Er bezieht sich in seiner Diskussion des symbolischen Interaktionismus auf George H. Mead und kommt zu folgendem Schluss: Der Körper ist in der Theorie des symbolischen Interaktionismus reduktionistisch aufgefasst worden. Er meint, dass der Körper, z.B. von Goffman, auf den sich Gugutzer aber nicht explizit bezieht, einzig und alleine als Körperding aufgefasst wird (Gugutzer 2002, S. 36). Gugutzer lässt dabei außer Acht, dass Goffman die Techniken und Strategien der Selbstdarstellung, die das Individuum im Alltag immer wieder an den Tag legt, thematisiert. Der Körper spielt insofern für Goffmans Konzeption eine zentrale Rolle, als er das prädestinierte Medium der Identitätsarbeit ist. Damit kann eine Person in sozialen Interaktionen den intendierten Effekt erreichen (Cohen/Taylor 1977, zit. in Gugutzer 2002, S. 40). Zwischen Leib und Körper, so diagnostiziert Gugutzer, trennt Goffman aber nicht.

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Diese Differenzierung erfährt bei Hermann Schmitz in der Form eines Leib-Körper-Dualismus sowie in seiner Verwendung des Begriffs Atmosphären eine ausführliche Thematisierung. Schmitz trennt analytisch den Leib vom Körper und ergänzt die beiden Begriffe um die Dimension des Gefühls. Er differenziert zwischen einem relativen Ort, der durch ein System von Lageund Abstandsbeziehungen bestimmt ist, und einem absoluten Ort unabhängig von räumlicher Orientierung. Diese Differenzierung erlaubt es ihm, von einer ontologisch absoluten Leibesinsel zu sprechen (Schmitz 1964-1980, II, 2, S. 12 ff., zit. in Gugutzer 2002, S. 91). Er unterscheidet zwischen dem Gefühl selbst und dessen leiblich-affektiver Betroffenheit. Gefühle finden als Atmosphären mit oder ohne leiblichaffektives Betroffensein statt. Atmosphären sind leiblich lokalisiert. Als leibliche Disposition wird dann eine basale leiblich-affektive Anlage einer Person verstanden, die nicht nur die Befindlichkeit einer Person prägt, sondern darüber hinaus auch eine anhaltende Grundstimmung. Diese Grundstimmung repräsentiert Schmitz zufolge eine Persönlichkeit (Gugutzer 2002, S. 107). In ähnlicher Weise beschreibt Gernot Böhme Atmosphären. Er fasst sie als „gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen“ (Böhme 1995, S. 34 ff.) auf. Dabei wird offensichtlich, dass Böhme Gefühle nur in Beziehungen auf die äußere Umwelt konzipiert. Diese lokalisiert er dann als Gefühle im Körper. Atmosphären entstehen immer zwischen materiellen Dingen (Gebäuden, Räumen, Körpern) und menschlichen Regungen, zwischen Ausstrahlungen von physischen Orten und Materialien sowie den leiblichen Dispositionen. Sie aber ausschließlich in einem essenzialistischen Verständnis an Dinge zu binden, würde außer Acht lassen, dass sie an die Herstellung und die Konstitution von Orten gebunden sind. Sie können instrumentalisiert, gerichtet und inszeniert werden, kurz, intentional ausgerichtet sein. Sie sind immer in Verbindung zu zusätzlichen nicht dinghaften, nicht personalen, aber sehr wirkungsmächtigen Strukturebenen zu setzen (Gugutzer 2002, S. 94 und Löw 2001, S. 208). Kritisch anzumerken ist bei Böhme, dass Individuen bei ihm weitestgehend keine soziale und gesellschaftliche Prägung aufweisen. Der universelle Charakter von Körper-Leib-Wahrnehmungen stellt somit eine Differenz zu den eingangs formulierten Konvergenzbewegungen dar. In diesem Theorieverständnis von Körper und Leib zeigen sich somit keine konzeptionellen Konvergenzbewegungen. Rahmungen spielen bei ihm keine Rolle. Ebenso entzieht sich bei Böhme der vorstrukturierte Charakter von Dingen, von körperlichen und dinglichen Wahrnehmungen sowie Empfindungen des Leibes. Gerade aber die sozial-gesellschaftlichen und historischen Bedingungen sind bei Bourdieu und Goffman hinsichtlich ihrer Fokussierung auf ihr Körperverständnis erweitert worden. Ein Zwischenfazit zieht im Folgenden Schlüsse daraus. 130

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

Ein Zwischenfazit Das Ziel dieses Teilkapitels war die Erklärung, Benennung und Verortung der Begriffe Handlung und soziale Praktiken in jüngeren Theorieentwicklungen. In den angesprochenen Theorien zeichnen sich Konvergenzbewegungen zwischen vormals konträr gegenüberstehenden Positionen ab: Handeln wird zum einen durch kognitiv-konstruktivistische und zum anderen durch anthropologische Begründungszusammenhänge beschrieben. Die vorgestellte Argumentation erfolgte unter der Fokussierung auf den Handlungsbegriff. Mit ihm konnte gezeigt werden, wie Vertreter beider Seiten unterschiedliche Begriffsund Konzeptangebote entwickelt haben. Anhand der Verwendung des Begriffs „soziale Praktiken“ konnte demonstriert werden, wie sich konstruktivistische und körperbezogene Beschreibungselemente konzeptionell aufeinander zu bewegen. Für Bourdieu ist die Praxis der Ort der Dialektik von objektivierten und einverleibten Ergebnissen der historischen Bedingungen; also von Strukturen und Habitusformen. Sie stellen die Grundlage, mit der handelnde Menschen Strukturen schaffen. Sie weisen aber keine unabhängige und kontextlose Daseinsberechtigung auf. Vielmehr lassen sich beide Positionen – Struktur und Habitus – im Begriff des sozialen Raums zusammenfassen. Darin besteht Bourdieus konzeptionelle Konvergenzbewegung. Er wendet sich einer verstehenden Konzeption der Logik der Praxis zu. Sein Verständnis des sozialen Raums ermöglicht ihm, soziale Praktiken als körperliches und routinisiertes Hervorbringen zu begreifen. Dies ermöglicht ihm auch, das praktische Verstehen der Akteure zu erfassen. Sich daran anschließende sinnverstehende Handlungselemente ergeben sich erst über ihren Stellenwert innerhalb eines Sinnsystems. Die vormals im Strukturalismus geführte Unterscheidung zwischen übersubjektiven Wissensordnungen und den situativen Handlungsakten unterliegt daher nicht mehr einer Differenz zwischen Teil und Ganzem. Sie gibt sich als eine zeitliche und räumliche Differenz zwischen Struktur und Prozess zu erkennen. Goffmans „frame–framing“-Differenzierung ähnelt in gewisser Weise der Giddens’schen Unterscheidung von Struktur – Strukturierung. Sie fokussiert aber auf Prozesse der angemessenen Bedeutungszuschreibung mit Hilfe von körperlich hervorgebrachten Informationszeichen und Markierungen. Diese müssen nicht ausschließlich explizierte sprachliche Codes sein. Es können vielmehr inkorporierte Körperzeichen oder andere institutionelle Arrangements sein. Die daraus erwachsenen Handlungsoptionen basieren auf einem Prozess des „sense making“. Dies ist als ein Akt zu verstehen, in dem sich der Akteur in jedem Moment seines Handlungsvollzugs die Handlungsumwelt verständlich macht.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Dabei produziert er seine Wirklichkeit. In diesem Aneignungsprozess von Wirklichkeit sind immer Bedeutungsrahmen eingeschlossen. Sie orientieren sich an kulturellen Modellen und Hintergrundwissen. Die artikulierten Praktiken weisen somit eine Doppelstruktur von einerseits körperlichen Verhaltensroutinen und andererseits Sinnzuschreibungsroutinen auf. Der öffentliche Charakter der sozialen Mobilisierung von Wissenselementen repräsentiert eine Loslösung von mentalistischen Geist-Vorstellungen und zeigt eine Hinwendung zu sozialen Praktiken. Das Hervorbringen von Handlungsmustern durch Akteure wird auch öffentlich ausgedrückt und kann ritualisierten Charakter haben. Aus dieser Perspektive schließen sich Fragen nach dem Wie an. Wie werden soziale Praktiken reproduziert und artikuliert? Wie generieren und wenden Akteure im Kontext ihres Bedeutungsrahmens prozedurales Wissen an? Beide Ansätze zeigen unterschiedliche Versuche der Integration von Struktur- und Subjektivitätsbedingungen im Verständnis von Handlung. In beiden Ansätzen zeigt sich eine Hinwendung zu einem Theorieverständnis, das auf situationsangemessenen und kontexteinbeziehenden Sinnkonstruktionen aufbaut, für das sich ein Konzept von sozialen Praktiken zu erkennen gibt. Diese Fortentwicklung gilt auch bei individuellen subjektivitätsbasierten Sinnkonstruktionen. Beide Ansätze, hier vorgestellt durch Bourdieu und Goffman, führen zu der Erkenntnis, dass diese Konstruktionsleistungen in einem sozialen Feld ablaufen und durch dieses (mit)konstituiert werden. Von diesem Standpunkt aus erscheint es plausibel, dass analytisch betrachtet eine subjektorientierte Handlungstheorie Handlungen zunächst auch über den Begriff der Körperbewegungen zu definieren versucht. Wenn man beobachtbare Körperbewegungen als Handeln neu beschreibt, dann weist man Handelnden intentional-mentale Ausdrucksweisen zu. Als Sinngrundlage, im Sinne motivationalen Wissen, können dann Wünsche, Impulse, Reize etc. dahingehend gedeutet werden, dass sie als auf Handlungen bezogene Einstellungen eines Handelnden gedeutet werden können. Dieser vorgestellte Begriff von Handlung überspringt somit die Dichotomie zwischen Struktur und strukturellem Überbau auf der einen und rein subjektiv begründeten Handlungsakte gegenüber objektiv-übersinnlich vorstrukturierten auf der anderen Seite. Der hier vorgestellte Begriff von Handeln geht über Verständnisse von Handlung hinaus, die auf norm- wie zweckorientierten Handlungsmodellen basieren. Ihm liegt eine Rekonstruktion der Sinnmuster der Wissensordnungen zugrunde, auf der die Handelnden ihre Umwelt und Welt erst auf eine Art und Weise bedeutsam machen. Somit werden Wissensfragen konzeptionell von Wahrheitsfragen wie ebenso von der Bedingtheit der sozialstrukturellen Basis entkoppelt. Absolutierungen von Ich und Welt schließen sich folgerichtig aus.

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HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

Soziale Praktiken und Raum: Erklärungsansätze in d e n S o z i a l - u n d R a u mw i s s e n s c h a f t e n Die Konzeption von sozialen Praktiken erklärte sich vor dem Hintergrund von konvergierenden kultur- und sozialtheoretischen Erklärungen. Soziale Praktiken vollziehen sich immer zwischen einer Körperdimension und einer Rahmung, d.h. einem sozialen Raum. Zwei Teildisziplinen – einmal die Raumsoziologie und einmal die sog. „Neue Kulturgeographie“ – beziehen sich in ihrer Theorieentwicklung des Raums auf die vorgestellten konzeptionellen Verständnisse von Handlung, sozialen Praktiken und sozialem Raum. Sie vollziehen dabei ebenso eine Konvergenzbewegung, die in den Sozial- und Raumwissenschaften unter dem Schlagwort Inter- oder Transdisziplinarität firmiert. Zum einen diskutieren Disziplinzweige der Soziologie verstärkt ein verändertes Verhältnis zum Raum. Dies wird im folgenden ersten Teilkapitel vorgestellt. Zum anderen analysiert und thematisiert die Sozial-, Wirtschaftsund Humangeographie unter dem Stichwort „Neue Kulturgeographie“ ihr Verhältnis zu einem neuen und veränderten Begriff von Kultur. Dies wird im anschließenden Teilkapitel vorgestellt. Dadurch stellen sich Konsequenzen für einen neuen Begriff von Raum ein. In diesem relativ unübersichtlichen Feld erfolgt in dieser Arbeit eine Fokussierung auf folgende Aspekte: In welchem theoretischen Verhältnis stehen soziale Praktiken zu Konzeptionen von Raum? Und inwiefern sind kulturelle, symbolische Codierungen von Orten und Räumen immer an praxeologische Wissensordnungen, gleichzeitig aber auch an räumlich-dingliche Materialitäten gekoppelt? Flankiert werden diese Fragen durch zwei Theoriediskurse: Die Sozialwissenschaften entdecken den Raum wieder, und die Raumwissenschaften vollführen einen sog. Cultural Turn. Letzteres ist für den Begriff „Neue Kulturgeographie“ verantwortlich. Die folgenden Ausführungen überprüfen, wie der Begriff Handlung nicht nur Handlungen konzeptionell erfasst, sondern auch Konstitutionsprozesse von Raum erklären kann. Zentrales Ziel der folgenden Ausführungen ist es, für die Fragestellung dieser Arbeit einen Handlungsbegriff für die Analyse von Räumen einzuführen. Dieser soll plausibel und nachvollziehbar einen dem empirischen Forschungsgegenstand angemessenen Begriffsapparat bereit- und vorstellen.

Geographical/Spatial Turn in den Sozialwissenschaften Komplementär zur (Rück-)Besinnung auf die theoretischen Fundamente einer interpretativen Sozialwissenschaft praktizieren und thematisieren Teile der Soziologie einen „Geographical“ oder „Spatial Turn“ (Massey/Allen/Sarre 1999, S. 3 ff; Löw 2001; Schroer 2006). Die erneute Hinwendung zum Raum 133

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

und den räumlichen Bedingtheiten sozialer Strukturierungsmechanismen erfolgt vor dem Hintergrund bestehender Auseinandersetzung und Verständnisse der Soziologie von Raum. Raum wurde oftmals als eine essenzielle und absolutistische Bedingung aufgefasst und neben das Soziale gestellt. Er wurde als eine materielle Gegebenheit sowie als ein Objekt und vorschnell als Umweltfaktor angesprochen (Löw 2001, S. 9). Neben deterministisch-essenzialistischen Haltungen zeigt sich eine reduktionistische Auffassung von Raum. Räumlichen Strukturen kommt darin keine Erklärungs- und Wirkungskraft zu. Dies mündet in die Rede von der Raumblindheit der dominanten Gesellschaftswissenschaften (Läpple 1991). Es zeigen sich aber auch zahlreiche gesellschaftliche Diagnosen, die von einer Auflösung räumlicher Bedingungen und Begrenzungen sprechen. Dabei wird einer medienbasierten Entortung und Ortlosigkeit das Wort geredet (Virilio 1983, Bolz 2001, Willke 2001). Infolge der These der Raum- und Ortlosigkeit zeigt sich auch ein regelrechter Hype um eine machtvolle Re-Territorialisierung v.a. aufgrund jüngerer geopolitischer Situationen (Maresch/Werber 2002, Kretzschmar 2002, Schroer 2006, S. 252 ff.). Jüngere Theoriedebatten zeigen eine verstärkte Betrachtung von Raum sowie seinen Merkmalen und fordern eine systematischere Entwicklung des Begriffs Raum ein (Löw 2001, S. 12–13). Martina Löw hat im Jahr 2001 einen Entwurf zur Raumvorstellung, zum Raumbegriff und zum Raumbild für die Soziologie vorgelegt. Hierbei handelt es sich um einen umfassenden Ansatz, andere stammen von u.a. Helmuth Berking, Thomas Schroer und Norbert Stichweh (Berking 1998; 2002; 2004, Schroer 2003a; 2003b, Stichweh 2000). Das Ziel ihrer Arbeit ist es, eine Soziologie des Raums zu formulieren. Ihr Begriff von Raum gründet auf einem prozessualen Raumbegriff: Fragen nach dem Wie bei der Entstehung und Verfasstheit von Räumen stehen im Vordergrund. Der Fokus der folgenden Darstellung liegt auf ihrem Beitrag zur theoretischen Konzeption der Analyse von Räumen im Verhältnis zu sozialen Praktiken. Diese Vorstellung führt das Ziel der Fokussierung auf soziale Praktiken fort und richtet dabei den Blick auf Konzepte von Raum.

Das Projekt einer Raumsoziologie Zeit und Raum sind aus Sicht von Löw die zwei zentralen Grundannahmen, die Gesellschaft strukturieren. Während Zeit als soziale Konstruktion erkannt und benannt wird, diagnostiziert sie ein weit verbreitetes „essentielles Verständnis von Raum“ (10).1 Raum wird aus ihrer Sicht als „materielles Objekt“ angesprochen, gleichzeitig aber konzeptionell vernachlässigt (12). Ihr Projekt

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Im weiteren Verlauf werden die Seitenangaben von Löw 2001 in Klammern im Text zitiert.

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HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

einer Raumsoziologie hat sich zum Ziel gesetzt, die verschiedenen Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung zur gesellschaftlichen Organisation von Räumen durch einen theoretisch konsistenten Begriff von Raum zu definieren. Ihr Ziel ist es, einen prozessualen Raumbegriff zu entwickeln, der das Wie der Entstehung von Räumen erfasst. Dabei unternimmt sie den Versuch, die Dualität von einem sozialen Raum gegenüber einem materiellen Raum konzeptionell in den Verlauf von Handlungen zu integrieren. Vor dem Hintergrund einer wissenschaftshistorischen Analyse des Begriffs Raum stellt sie fest, dass zum einen eine „dualistische Körper und Raum trennende Vorstellung von Raum“ vorliegt, bei der „Raum unabhängig vom Handeln existiert“. Zum anderen liegt eine relativistische Position vor, die davon ausgeht, dass sich „Raum und Körper (Handeln) aus der Struktur der relativen Lage der Körper“ ergibt (17–18). Die erste, von Löw angesprochene Konzeption, geht von einem kontinuierlichen und für sich existierenden Raum aus. Die zweite Konzeption erklärt Raum aus dem Lageverhältnis der Dinge untereinander. Bei Bourdieu wird dies als relationales Feld im Rahmen seiner Konzeption des sozialen Raums bestimmt. Bisher weit verbreitete und bekanntere Raumkonzeptionen lassen sich ihrer Auffassung nach unter dem Signum einer „absolutistischen Tradition“ zusammenfassen (33). Ein erster ortsbezogener Raumbegriff wird als ein „konkreter Ort“ verstanden. Im Verständnis von Anthony Giddens ist dies ein ontologisch gegebener, der aber nur in seinem „Ortsbezug soziologisch relevant“ ist. Ein zweiter „territorialer Raumbegriff“ beschreibt die „Verdinglichung von Räumen“, die dann als Territorien angesprochen werden (ebd.). Ein dritter Begriff von Raum orientiert sich am Formbegriff Kants und weist „Raum keine eigene Realität“ zu (34). In ihrer kritischen Diskussion der Verwendung dieser drei Begriffskonzepte in der Stadtsoziologie kommt Löw zu dem Schluss, dass weitestgehend von zwei völlig getrennten Realitäten ausgegangen wird (64): Raum steht auf der einen und Handeln/Mensch/Körper auf der anderen Seite. Somit wird immer nur eine Seite als soziologischer Gegenstand verhandelt, oder aber es wird, wie bei Giddens Systembegriff von Raum, nur ein Berührungspunkt definiert. Der Prozess der Konstitution von Raum wird ihrer Auffassung nach in der Stadtsoziologie nicht systematisch erarbeitet. Ihr Fokus liegt weitestgehend auf der Handlungsebene, wobei hier nicht der Einfluss von auch unterschiedlichen Räumen auf die Handlungsfähigkeit von Akteuren untersucht wird. Vielmehr wird ihrer Auffassung nach Raum im Rahmen von empirischen Untersuchungen vorab per rigoroser Vorentscheidung festgelegt. In diesem vollziehen sich Handlungen, d.h. „Räume werden zu Orten“ verdinglicht (64-65). Die Begriffe Raum und Zeit werden in der Soziologie konzeptionell ungleichgewichtig verwendet. Mit Georg Simmel zeigt Löw, dass es sehr wohl 135

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

prominente Strömungen in der Soziologie gibt, die vorgeben, dass „Räume als solche erst ihre Wirkungen entfalten“ können, wenn ihnen durch Konstituierungsprozesse eine Form gegeben wird (66). Gleichwohl weist sie darauf hin, dass Simmel – in Bezugnahme auf Kant – „Raum dann nur euklidisch denkt“. Er spricht ihn als einen geometrischen Raum an. In dieser kritischen Würdigung schlussfolgert Löw, dass eine handlungstheoretische Konzeption zu entwickeln ist, die systematisch Fragen der sozialen Organisation unter Berücksichtigung der sozialen Konstruiertheit als auch der Materialisierung beantworten kann. Aufgrund der ihrer Auffassung nach ungenügenden Bezugnahme auf Fragen und Konzepte der Konstituierung von Räumen als sozialen Prozess, schlägt sie vor, dass Handeln auch als raumbildend verstanden werden kann: „Raum“, so Löw, kann sich „auch aus der Anordnung von Körpern“ ergeben (66-67). Grundlage dieser Schlussfolgerungen stellen Überprüfungen gesellschaftlicher Entwicklung dar, die weitestgehend mit einer räumlichen Dimension in Verbindung gebracht werden (z.B. Globalisierungsprozesse, sozialbiografische Verinselung, neue Technologien etc.). Die Beschreibung der sich dabei vollziehenden Prozesse kann aber mit dem dabei „verwendeten absolutistischen Begriff von Raum (Behälterraum) nicht adäquat erfasst“ werden (130). Löw bietet ein Verständnis von Raum an, bei dem Raum als eine „relationale (An)Ordnung von Körpern, […,B.L.] unaufhörlich in Bewegung ist“ (131). Damit legt sie ein Grundverständnis vor, in dem „Raum und Körperwelt“ miteinander verwoben sind (ebd.). Der Begriff (An-)Ordnung soll ihrer Auffassung nach Räumen eine „gesellschaftlich bedingte Ordnungsstruktur wie gleichzeitig eine Handlungsdimension“, im Sinne eines Prozesses des Anordnens, zum Ausdruck bringen. In dieser Verschränkung zeigt sich zunächst eine systematische Differenz zum Begriff der Raumkonstituierung bei Benno Werlen (Werlen 1997). Dieser weist auf den Vorgang des „Raumschaffens“ im Sinne einer alltäglichen Regionalisierung, als ein rein soziales Element und damit auf einen Prozess der sozialen Konstituierung hin. Menschen stellen mit ihren Körpern Geographien her. Löw weist aber darauf hin, dass Werlen die theoretische Aufmerksamkeit von Raum auf das räumliche Handeln legt und sich auf die Dichotomie sozialer gegenüber materieller zurückzieht (134). Dagegen führt Löw eine systematische Betrachtung der Prozesse der Konstitution von Raum an. Das Ziel ihres Vorhabens ist es, „den Raum nicht ausschließlich über die relationale Anordnung und somit über das Lageverhältnis“ zu bestimmen, sondern den „Prozess des Anordnens auch an Fragen der Dinge, Ereignisse, an Fragen der Macht und der Legitimationen“ sowie an Fragen der Herstellung generell zu koppeln (151). Dabei nimmt Löw eine sys-

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HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

tematische Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Prozessen der Raumkonstitution vor. Zum einen konstituiert sich Raum durch das „Plazieren von sozialen Gütern und Menschen oder durch symbolische Markierungen“, das sie als „Spacing“ bezeichnet. Darunter versteht sie das Errichten, Bauen oder Positionieren (158). Dieses Positionieren erfolgt in Relation zu anderen Platzierungen. Zum anderen ist die „Konstitution von Raum auch an eine Syntheseleistung gekoppelt“, worunter sie „Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse“ versteht. Anhand dieser werden „Güter und Menschen zu Räumen“ zusammengefasst (ebd.). Anhand dieser systematischen Trennung versucht Löw alle wesentlichen Dimensionen der Konstitution von Räumen zu erläutern. Die Begriffe Spacing und Syntheseleistung stellen Konzeptangebote von Löw dar, um Routinehandlungen, Körperdimensionen und strukturelle, symbolische und materielle Dimensionen des Räumlichen angemessen zu verhandeln. Diese Theorieangebote werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels vorgestellt, diskutiert und in Verbindung mit den angesprochenen Konvergenzbewegungen sowie sozialen Praktiken gebracht. Handlungen, Handlungsvarianten und -abweichungen werden dabei von Löw in Verbindung mit alltäglicher Praxis gebracht. Im Giddens’schen Sinn liegt ihnen ein diskursives sowie ein praktisches Bewusstsein zugrunde. Dieses weist unterschiedliche Formen der Wissensordnungen sowie der Ausdrucksfähigkeit auf (161). Repetitives Handeln bspw. erzeugt gesellschaftliche Institutionen und ist zudem konstitutiv für die Reproduktion der Persönlichkeitsstrukturen der Akteure in ihrem Alltagshandeln, wie sich ebenso das eigene Handeln habitualisiert (163). Löw argumentiert, dass dieser Prozess auch umgekehrt erfolgen kann. Räumliche Strukturen müssen nicht als dauerhaft und unumstößlich rigide und determinierend aufgefasst werden. Vielmehr ermöglichen oder verhindern räumliche Strukturen Handlungen, sie bleiben letztlich aber immer an den Handlungsverlauf gekoppelt (166). Räumliche Strukturen nun konzeptionell gegen ein gesellschaftliches Verständnis zu stellen, wird aber nicht möglich sein, da das „Räumliche […, B.L.] nicht gegen das Gesellschaftliche“ (167) und in diesem Sinne nicht gegen eine akteursbezogene Handlungsperspektive abzugrenzen ist. Es ist, Löw zufolge, eine „spezifische Form des Gesellschaftlichen“ (ebd.). Ihr Begriff von Struktur ist unabhängig von Zeit und Raum zu verstehen und differenziert zwischen Strukturen als anzusprechende Regeln und Ressourcen und Struktur als Gesamtheit von Strukturen. Löw behandelt den Strukturbegriff als losgelöst von Ort und Zeitpunkt (168). Dadurch ermöglicht es der Begriff von Struktur, räumliche und zeitliche Strukturen in einen gesellschaftlichen Begriff von Struktur zu überführen. Gesellschaftliche Strukturen ermöglichen oder beschränken raumkonstituierendes Handeln, wie sie wiederum die gesellschaft137

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

lichen Strukturen reproduzieren (169-170). Ebenso sind Widersprüche zwischen Strukturen möglich. Für die Konzipierung eines Raumbegriffs ist diese offenkundige Zusammenführung eines Struktur- wie eines Handlungsbegriffs von Bedeutung. Bei Bourdieu wird dies als Habitus bezeichnet. Es zeigt sich, dass sich die These der Konvergenzbewegung vormals divergenter Theorieblöcke gerade bei der Analyse von Raumstrukturen im Löw’schen Sinne als anschlussfähig erweisen könnte. Im weiteren Verlauf ihrer Argumentation unternimmt Löw eine systematische Integration des Bourdieu’schen Begriffs des sozialen Raums (180-181). Dessen Verständnis fasst symbolische wie wirtschaftliche Praktiken als Strategien im Zuge der Konkurrenz um die Position im sozialen Raum auf. Dabei wird die relationale Dimension des Raums erläutert, die oft synonym mit Feld verwendet wird (Schultheis 2004, S. 15). „Feld“ und „sozialer Raum“ sind durch ihre Relationalität zwischen Positionen auch von Menschen gekennzeichnet. Dabei unterliegen sie Bewegungen und sind nicht statisch, wie dies Roland Lippuner und Julia Lossau in einer Kritik an Löw behaupten (Lippuner/Lossau 2004, S. 50-51). Gleichwohl räumt Löw ein, dass der Bourdieu’sche Begriff vom sozialen Raum nur metaphorisch ermöglicht, die Gesellschaft oder gesellschaftlichen Teilbereiche als „Raum“ zu konzeptionalisieren (181). Gegen den sozialen Raum stellt Bourdieu den sozial angeeigneten geographischen Raum. Löw stellt dabei fest, dass sich für Bourdieu soziale Prozesse in einen starren und angeeigneten physischen Raum einschreiben (182). Sie schlussfolgert – unter Bezugnahme auf das Bourdieu’sche Zitat „es ist der Habitus, der das Habitat macht“ –, dass es ihm nicht gelingt, Raum, außer im „(metaphorischen Sinn) durchgängig relativistisch oder relational“ zu denken (183). Die Konstitution des sozialen Raums durch menschliches Handeln ist aber ebenso von der Handlungssituation abhängig und in diesem Sinne von dem, was mit Goffmans Rahmungen beschrieben wurde. Dies können materielle und symbolische Faktoren sein. Materielle Güter können Menschen sein, ebenso aber Dinge, die neben ihrer symbolischen Wirkungsweise eine Außenwirkung oder eine Ausstrahlung aufweisen (194). Die Wahrnehmung dieser Wirkungskräfte ist ihrer Auffassung nach „nicht ausschließlich etwas natürlich gegebenes, sondern ebenso durch Bildung und Sozialisation informiert und geprägt“ (197). Der Aspekt der „Ausstrahlungskraft der Dingwelt“ erinnert an (geo-) determinierende Verständnisse der Individuum-Welt-Beziehungen. Unter Einbeziehung des Begriffs Atmosphäre versucht Löw zudem nicht nur einen vernachlässigten Begriff in ihr Raumkonzept zu integrieren. Sie zeigt, mit Verweis auf Gernot Böhme und Jürgen Hasse, dass Atmosphären nicht als Projektionen aufzufassen sind, sondern als „gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen“ (Böhme 1995, S. 34, 138

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

zit. in Löw 2001, S. 206). Auch hier wendet sich Löw gegen den Vorwurf, Atmosphären würden aufgrund der Projektion von Gefühlen eine natürliche Disposition aufweisen und auf einem essenzialistischen Verständnis gründen. Vielmehr unterliegen diese, wie Löw mit Verweis auf Schmitz zeigt, auch „sozialhistorischen (vor-)konstruierten Dispositionen“ und können nur als solche angesprochen werden (206-207). Am Begriff Atmosphäre zeigt sie, dass er analytisch in unterschiedliche Dimensionen zu trennen ist. Es gibt einen „Bereich der Machbarkeit und Inszenierungsleistung von Atmosphären“, der auf der „szenischen Funktion sozialer Güter basiert“. Zudem gibt es einen, der die „Produktivität von Atmosphären“ der Menschen „quasi gegen ihren Willen in Stimmung versetzen kann“ (ebd.). Aufbauend auf dieser systematischen Trennung der Konstituierungsweise von Atmosphären erläutert Löw, dass Atmosphären an die Konstitution von Räumen gebunden sind (ebd.). Sie zeigt, dass Spacing-Prozesse auch Inszenierungsarbeit beinhaltet, um „das Positionierte für die Wahrnehmung vorzubereiten“ (208). Daran ist deutlich zu erkennen, dass die Positionierungsleistungen eindeutig handlungsleitenden Skripten und Vorstrukturierungen unterliegen, also nicht voluntaristisch funktionieren oder „natürlicherweise“ vorhanden sind. Atmosphären folgen nicht universalistischen Vorgaben, sondern unterliegen ebenso sozialisatorischen und kulturellen Differenzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Löw eine systematische Analyse des Begriffs Raum vollzieht. Aufschlussreich und gewinnbringend ist die Konzeptionalisierung des Begriffs Raum bei Löw für die vorliegende Argumentation in mehrerlei Hinsicht: Die Kritik gegen absolutistische Raumverständnisse erklärt sich aus dem mangelnden Aussagegehalt und der voreingenommenen Verwendung hinsichtlich des Begriffs Raum. Systematischer als Bourdieu, wenngleich in starker Anlehnung an ihn, versteht Löw Raum als eine relationale (An-)Ordnung sozialer Güter und Menschen an Orten und in diesem Sinne als soziale Räume. In Anlehnung an den Giddens’schen Strukturbegriff kann an die argumentationsleitende These der Konvergenz vormals dichotomer Theoriestränge angeknüpft werden. Dabei lässt sich zeigen, dass der Konstitutionsprozess von Raum, Löw zufolge, analytisch als einerseits strukturbildend und andererseits strukturreproduzierend zu verstehen ist. Syntheseleistung und Spacing sind prozessbasierte Begriffe, die auf den Konstitutionscharakter von Raum verweisen. Zugleich integrieren sie Aspekte von Wahrnehmung und Vorstellung. Dadurch kann die Platzierungspraxis in Form von routinisierten, habitualisierten oder auch abweichenden Handlungsvollzügen konzeptionell erfasst werden. Zudem beinhalten „Räume aber immer neben ihrer sozialen Dimension eine materielle Qualität“ (228), die objektivierbar ist. Ihre Wirkung kann wahrgenommen werden. Die-

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se Wirkungsweisen werden subjektiv aufgenommen und in kulturell differenzierte Handlungsverläufe überführt. Anknüpfend an den Begriff soziale Praxis bzw. sozialer Raum bei Bourdieu konnte ein systematischer Anschluss einer differenzierten Darstellung des begrifflichen Umgangs mit Raum in der Soziologie vorgestellt werden. Hilfreich für die begriffliche Vorstrukturierung erwies sich die Einführung der Begriffe Syntheseleistungen und Spacing. Sie informieren und explizieren einen Handlungsbegriff, der im weiteren empirischen Verlauf der Arbeit die Analyse von sozialen Praktiken anschlussfähig für räumliche Dimension und deren Analysen macht. Gleichwohl wurden kritische Aspekte an das Konzept der Raumsoziologie von Löw herangetragen. Diese richten sich an das angeblich neu entdeckte Interesse der Soziologie am Raum und dabei auch explizit an ihr Projekt der Raumsoziologie (Lippuner/Lossau 2004, S. 48). Ronald Lippuner und Julia Lossau treten mit der Behauptung an, dass die Soziologie in eine Raumfalle geraten sei und „Gesellschaft mit Physischem (Raum) zu verknüpfen“ versuche. Diese würde ihrer Auffassung nach darauf abzielen, Produkte sozialer Praktiken mit scheinbar natürlichen „geographischen Gegebenheiten“ auszuweisen. Irritierend an der Kritik von Lippuner und Lossau ist, dass ihre aus der geographischen Disziplin vorgetragene Kritik konstruktiv kaum bis gar nicht auf die inhaltlichen Begriffsarbeiten anderer Disziplinen eingeht. Sie richtet vorschnell die in der geographischen Disziplin bekannte Pauschalkritik eines Geodeterminimus an die andere Disziplin. Ein weiterer Kritikpunkt kann an die von Löw vorgestellten und eingeführten Begriffe Syntheseleistungen und Spacing gerichtet werden. Der Verweis, dass sich durch Platzierungsarbeiten zu beobachtende Praktiken und Handlungsabläufe vollziehen, benennt zwar den eigentlichen Vollzug der Raumkonstitution auf der Grundlage von Handlungsskripten, Wissensordnungen und individuellen wie gesellschaftlichen Vorstrukturen. Er benennt aber nur bedingt den Prozess. Welche Kombinatoriken von präpositionalen individuellen Wissensbeständen, symbolisch-räumlichen Codierungspraktiken und kollektiv-gesellschaftlichen Strukturbedingungen dabei zusammenwirken, kann nicht hinreichend aufgelöst werden.

Cultural Turn in der Geographie und der Raumforschung Im vorangegangenen Kapitel wurden mit Unterstützung von Löws begriffssystematischem Projekt der Raumsoziologie die konzeptionellen Verbindungen zwischen Handeln/Struktur und Raum ausgeführt und vorgestellt. Im Folgenden wird umgekehrt gefragt, welche Begriffs- wie Theorieapparaturen die Geographie und Raumforschung zur Konzeptionalisierung von Raumkonstruktionen und Raumaneignung in jüngster Zeit entwickelt hat. 140

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

Für die Ausgangsfragestellung dieser Arbeit ist es wichtig, welche Konzeptangebote aus der Disziplin der Geographie für die Analyse von Ort und Raum am Fall der neuen kulturellen Unternehmer in Berlin heranzuziehen sind. Dafür wird im Folgenden zunächst auf die konzeptionellen Ansätze eines Cultural Turn in den Raumforschungen sowie dessen Entstehungszusammenhänge eingegangen.

Konzeptionelle Hintergründe einer „Neuen Kulturgeographie“ In den 1950er und 60er Jahren wirkten Clifford Geertz, Alfred Schütz und Thomas Luckmann an einer Neubestimmung der Sozialwissenschaften mit. Diese schienen damals die konstitutive Bedeutung von kollektiven Sinnsystemen für menschliches Handeln nicht mehr gebührend wahrzunehmen. Geertz kritisierte das in den Wissenschaften des Sozialen vorherrschende mechanistische Bild zur Erklärung menschlichen Verhaltens (Geertz 1973, S. 208 ff.). Er forderte damit eine Öffnung zu kontinentalen Ansätzen aus Philosophie und Geisteswissenschaften in der Tradition der Sozialphänomenologie von Alfred Schütz (Berger/Luckmann 1972). Geertz sprach in seiner Theoriebildung die ideelle Dimension der sozialen Welt nicht als Überbauphänomen an, sondern als die konstituierende Sinngrundlage. Auf diesem Fundament erst erklären sich für ihn Handeln, Praktiken und Kommunikation. Damit löste er sich von der unidirektionalen Erklärung der Faktizität des Verhaltens und der sozialen Gebilde. Gleichzeitig rückte er die sinnhafte Organisation der Wirklichkeit in den Mittelpunkt. Diese konstruktivistische Wende stellt den Hintergrund dar, vor dem sich eine Neuorientierung der kulturwissenschaftlichen Sozialwissenschaften im weiteren Verlauf vollzog: Codes, Symboliken, Deutungsschemata, Semantiken und kulturelle Modelle wurden nicht mehr als Epiphänomene, sondern als notwendige Bedingungen aller sozialen Praxis wahrgenommen (Giddens 1976). Grundsätzlich greifen die v.a. im angloamerikanischen Sprachraum breit vorgetragenen Theorieansätze zentrale Elemente der deutschsprachigen Kultursoziologie auf, wie bspw. die von Max Weber mit dem ihm zugeschriebenen Programm der verstehenden oder interpretativen Soziologie. Auf diese Weise hat in den weiteren Jahren eine konzeptionelle Verschiebung zugunsten kulturwissenschaftlicher Argumente und Verfahren stattgefunden. James Clifford und Goerg Marcus sowie Georg Soeffner haben gegen die Dominanz der quantitativen Methoden ein heterogenes Feld alternativer qualitativer Methoden entwickelt und begründet (Clifford/Marcus 1986, Soeffner 1989). Eine Grundannahme dabei ist, dass nicht Bedeutungen über Gegenstände, sondern Bedeutungen über Bedeutungen angemessen interpretiert werden müssen. Dabei wurden Fragen der gesellschaftlichen Differenzierung anhand von Kulturtechniken, Lebensstilen, Symboliken sowie Ästhetisierungen behandelt. 141

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Diese Fragen wurden durch zwei Beobachtungen ausgelöst: Erstens wird weiterhin an einer Trennung in verschiedene Subsysteme festgehalten, bei denen Kultur thematisch sektoralen Bereichen wie Wirtschaft, Gesellschaft, Verwaltung etc. zugeordnet wird. Zweitens hat diese sektorale Sichtweise auf Kultur nicht dazu geführt, den im Zuge des Cultural Turn mitgeführten Begriff von Kultur zu klären. Normative Festschreibungen von Kultur sind aufgrund ihres kollektivbezogenen Ansatzes, wie z.B. Nation oder Ethnie, kaum in der Lage, dem Kulturbegriff eine heuristische Dimension zu verleihen (Reckwitz 2000, S. 65 ff.). Eine konzeptionelle Neubestimmung der Verankerung von Kultur erfolgte durch das Projekt der britischen Cultural Studies. Der von Stuart Hall in den 1950er und 1960er Jahren entwickelte Ansatz war durch die gelebten und erlebten Erfahrungen ihrer Protagonisten in Bildungsinstitutionen motiviert. Die Protagonisten thematisierten anhand ihrer eigenen Situation die Beziehung zwischen ihrer Kultur und sozialem Wandel (Lindner 2000, S. 20-23). Die offizielle Kultur Englands wurde von den Gründern der Cultural Studies in Beziehung zur eigenen Lebensführung gesetzt. Ihre eigene gelebte Kultur war eine andere als die der Offizialkultur. Von ihren Lebenserfahrungen leiteten sie einen neuen Begriff von Kultur ab, der sich somit „gegen das Zurschaustellen von Kultur als Gebaren“ abgrenzt (ebd., S. 21). Das erlebte Spannungsfeld zwischen ihrer individuellen Lebensführung und der fehlenden oder ausbleibenden Integration in weiterführende Bildungs- und Kulturinstitutionen wurde von den Cultural-Studies-Vertretern thematisiert und analysiert. Ihre Analysen konzentrierten sich auf Populärkulturen und die Hervorbringung von sozialen Identitäten aus den Arbeiterkulturen Großbritanniens. Die kategoriale Zuordnung von Kultur z.B. zur Hochkultur, wie es im Zuge einer ausdifferenzierten Gesellschaft nahe liegend erschien, wurde von postmodernistischen Soziologen wie Scott Lash und John Urry als limitierend bewertet (Lash/Urry 1994, Jameson 1991, Featherstone 1991b; 1995a; 1995b). Sie verweisen darauf, dass ein eindeutig zu identifizierendes Feld einer ästhetischen Hochkultur mit ihren jeweiligen sozialen Praktiken in der modernen Gesellschaft im Begriff ist, sich aufzulösen. Sie stützen sich in ihrer Diagnose auf eine wachsende Ästhetisierung des Alltagslebens in weiten Teilen der westlichen Gesellschaft. Dies markiert, neben der Expansion des Kulturellen über die Hochkultur sowie die höheren Künste hinaus, dass diese vormals diskursführenden Instanzen einen anderen, erweiterten Kulturbegriff benötigen. Alltägliche Lebensführungen von bspw. sozialen Milieus verwenden in popularisierter Form Bedeutungszuschreibungen, die vormals dem klassischen künstlerisch-ästhetischen Feld und ihren Trägergruppen vorbehalten waren.

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Mit einem theoretisch begründeten Kulturbegriff können aber nur bedingt gesellschaftliche Veränderungen untersucht werden. In den Aussagen der Cultural Studies zeigte sich, dass Kultur nicht allein in den popularisierten ästhetisch aufgeladenen Bedeutungen von Gegenständen festzumachen ist, sondern auch in den Bedeutungen, die sie innerhalb eines geteilten Sinn- und Bedeutungssystems erhalten. Rainer Winter weist darauf hin, dass „Bedeutungen“ nicht willkürlich anzueignen sind, sondern immer symbolisch in einem sozialen Feld errungen werden müssen. Sie können strukturell machvollen Kontexten ausgeliefert sein (Winter 1999). Damit eröffnete sich ein bedeutungs- und somit wissensorientierter Kulturbegriff. Im Gegensatz zu Disziplinen wie der empirischen Kultursoziologie wird Kultur von den Cultural-Studies-Vertretern nicht als ein Subsystem der Gesellschaft verstanden. Sie fassen Kultur als ein Komplex von Sinnsystemen und symbolischen Ordnungen auf, mit denen sich Handelnde ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen. Intentionale Zuweisungen von Bedeutungen basieren auf implizit vorhandenen Wissensordnungen. In Gestalt von strukturellen Rahmungen sowie Institutionen und ihren Regelwerken können intentionale Zuweisungen ermöglicht, befördert oder eingeschränkt werden. Vom Begriff der Bedeutung, der in diesem Fall dem Begriff des Sinns gleichgesetzt wird, werden somit Kultur und kulturelle Praktiken auf der Ebene kollektiver Sinnsysteme angesiedelt. Kultur orientiert sich immer an strukturierenden Sinnsystemen, sie leiten Handeln an. Dadurch erscheint es nahe liegend, den Begriff (von) Kultur mit dem Begriff (des) Wissen(s) zusammenzuführen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass Kultur dann als eines jener Sinnsysteme anzusprechen ist, über die handelnde Akteure im Sinne geteilter Wissensordnungen verfügen (Reckwitz 2000, S. 84-85).

„Neue Kulturgeographie“ Seit einigen Jahren wird in der deutschsprachigen Geographie sowie anderer Raum- und Planungswissenschaften das Konzept Cultural Turn thematisiert. Zentral steht dafür die Tagung am 31.01.2004 in Leipzig, „Neue Kulturgeographie“, organisiert vom Leibniz-Institut für Länderkunde, in dessen Folge mehrere Sammelbande vorgelegt wurden (u.a. Gebhardt/Reuber/Wolkersdorfer 2003b). Diese Diskussionen erfolgten parallel zum sog. „geographical“ oder „spatial turn“, also der Wiederentdeckung und konzeptionellen Überprüfung der Verwendung des Begriffs Raum in Ökonomie, Soziologie, Politikwissenschaften und Kulturwissenschaften. Der „Turn“, also die paradigmatische Wende, wies kulturellen Codierungen und Bedeutungen von Räumen, also Bewertungsprozessen und Inwertsetzungen, eine zentrale Gelenkstelle von Raumentwicklungen, Raumanalysen 143

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

wie Raumpolitiken zu. Vorbereitet wurde diese Entwicklung seit Anfang der 1990er Jahre unter dem Signum einer „Neuen Kulturgeographie“ in den angelsächsischen Forschungsräumen (USA, Kanada, GB) durch ein Wachstum von Arbeiten der sog. „new cultural geography“ (Duncan/Ley 1993; Crang 2004; Cook/Crouch/Naylor et al. 2000; Philo 2000). Von da aus lassen sich erhebliche inter- und transdisziplinäre Ausstrahlungen feststellen. Ein wesentlicher Ausgangspunkt dieser theoretischen Ansätze war durch die Arbeiten der Cultural Studies motiviert und begründet (Sahr 2003, S. 237 ff.). Dabei wurde die alte Leitdifferenz zwischen dem Eigenen und dem Fremden durch das Postulat einer inneren Differenz sowie der kulturellen Vielfalt abgelöst. Fragen der Identitätskonstruktion und der kulturellen Repräsentation erklärten sich dann z.B. durch dialogische und interaktive Beziehungen zum Anderen (Hall 1997). Diese Debatte verband sich mit der Emanzipation der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften. Sie wurde mit der Forderung verbunden, dass das „Verstehen für die Erforschung aller von Menschen hervorgebrachten Äußerungen […] als das angemessene Verfahren der Sinnerschließung“ zu verstehen ist (Werlen 2003, S. 252). Historisch verknüpfte sich die Verstehens-Debatte in der Geographie bei der Analyse von Kultur und ihren Elementen wie Religion, Rasse, Brauchtum und Sitten mit einer holistischen und essenzialistischen Vorstellung. Kultur und ihre Normen, Regeln und Strukturen wurden immer mit einer räumlichen Einheit verknüpft. Im Behälter „Raum“ wurden Lösungen hinsichtlich natur-, raum- und ortsspezifischer Probleme entwickelt. Die Geographie verschrieb sich im Rahmen ihrer traditionellen Länderkunde darauf, Kultur und Kulturlandschaftsräume als Ausdruck natürlicher Bedingungen zu verstehen. In dieser Folge wurde das Ethnische und Kulturelle immer in eindeutiger Wechselwirkung mit dem Natürlich-Räumlichen aufgefasst. Der Geodeterminismus in der Disziplin Geographie war eine weit verbreitete Kritikfigur und ist fast schon ein „geflügeltes Wort“ (Blotevogel 1999, S. 2 ff.). Durch global verlaufende räumliche, soziale und ökonomische Neuordnungen in spätmodernen Gesellschaften wurde die essenzialistische Triade Kultur – Raum – Gesellschaft konzeptionell einer kritischen Überprüfung unterzogen. Das Projekt der sog. „new cultural geography“ versuchte unter dem Eindruck dieser neu zu beobachtenden kulturellen Vielfalt nicht mehr haltbare Zusammenhangsformen des traditionellen geodeterministischen Mensch-Umwelt-Verhältnisses zu erklären (Duncan/Ley 1993; Pile/Thrift 1995). Einem angemesseneren analytischen Begriff Kultur kommt dabei die Rolle zu, die Bedeutung der räumlichen Dimension für kulturelle Wirklichkeiten in Rechnung zu stellen. Dies erfolgt aber nicht in der Form eines unidirektionalen und kausalen Weltbezugs. Kultur wird dabei als Ausdruck und Bedin-

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gung von (Alltags-)Praxis erfahren, in die politische und ökonomische Konstellationen und Strukturen eingeschrieben sind (Werlen 2003, S. 257-258). In dieser Diskussion wird von Werlen ein Praxisbegriff eingeführt, der an Bourdieu angelehnt ist. Vollzogene Praktiken im Alltag stellen einen analytisch-konzeptionellen Bezugspunkt zum Prozess der Welt-Bindung, d.h. der sozialen Ent- wie Wiederverankerung dar. Werlen schlägt vor, diese WeltBindung als „kulturell, sozial und ökonomisch ungleich ausfallenden Vermögensgrad der Beherrschung räumlicher und zeitlicher Bezüge zur Steuerung des eigenen Tuns und der Praxis“ aufzufassen (Werlen 2003, S. 260). In diesem Sinne führt Werlen einen Begriff des „Geographie-Machens“ ein. Im Zusammenhang mit verschiedenen Formen „alltäglicher Regionalisierungen“ fasst er ihn zu einer handlungstheoretischen Grundlage in der Sozialgeographie zusammen (Werlen 2000, S. 337). Dieser Theoriediskurs in der Geographie kommt zu folgendem Schluss: „Raum ist nicht als ein Objekt zu begreifen, sondern als eine Form der Anschauung oder als eine Konfiguration der gedanklichen Repräsentation der Dinge“ (Lippuner 2003, S. 16, bezugnehmend auf Werlen 1995, S. 235). Als Konsequenz dieser Wende wendet sich ein Teil Disziplin einem radikalen kognitiven Konstruktivismus zu, der dadurch motiviert wurde, dass Kultur als semiotischer Begriff verstanden wird. Kulturelle Praktiken werden als eine Form begriffen, durch die soziale Wirklichkeit sinnhaft konstruiert wird. Inspiriert und konzeptionell unterstützt durch die Arbeiten der Cultural-StudiesVertreter wird das Erkenntnisinteresse verfolgt, die Beziehungen zwischen Diskursen, Alltagsleben und den Maschinerien der Macht zu rekonstruieren (Grossberg 1999, S. 17). In diesem Verständnis erfahren die Begriffe Alltag und Alltäglichkeit eine konzeptionell-analytische Hervorhebung. Beide Begriffe wurden aufgrund der Abkehr von essenzialistischen Raum-Kultur-Verständnissen eingeführt. Das Konzept „Alltag“ beschreibt nicht die Gestaltung des (umgangssprachlichen) Alltags, sondern die sinnhafte Strukturierung der sozialen Wirklichkeit. „Alltag“ meint bei Lippuner auch nicht einen nach historischen oder soziologischen Gesichtspunkten abgegrenzten Bereich des Lebens. Ebenso wenig das, was Menschen jeden Tag tun. Vielmehr geht es um routinisierte soziale Praktiken, die im Alltag erzeugt und in der Alltagswelt wirksam werden. „Alltag“ bezieht sich auf das Außen der wissenschaftlichen Beobachtung, also auf einen Wirklichkeitsbereich, der in natürlicher Einstellung erfahren wird: „ein besonderer Typus der Erfahrung, des Handelns und des Wissens“ (Soeffner 1989, S. 15). Es muss aber gefragt werden, anhand welcher routinisierten und habitualisierten Handlungsvollzüge eine soziale Konstruktion von Raum erfolgt (Lippuner 2003, S. 3–4)? Zur Beschreibung des Prozesses der Alltäglichkeit greift Ronald Lippuner auf strukturationstheoretische Aspekte von Anthony 145

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Giddens zurück. Das Konzept des Alltags legt den Fokus nicht ausschließlich auf die Konstruktionspraktiken von und durch andere. Es bezieht den eigenen Beobachtungsstandpunkt mit in den Konstruktionsprozess von sozialer Wirklichkeit ein. Anthony Giddens verweist dabei auf die Reziprozität zwischen Alltags- und wissenschaftlichen Theorien. Ausgehend von diesem Zusammenhang wird zwischen einem ersten Beschreibungsgrad (Alltag) und einem zweiten Beschreibungsgrad (Wissenschaft) differenziert. Zentral an diesem Punkt (siehe dazu auch folgendes Kapitel) ist die reflexive Dimension, da die dem ersten Beschreibungsgrad zugehörigen Akteure ebenso qua Ausbildung oder beruflicher Sozialisation Sprach- und Denkakte vollziehen, die dem zweiten Beschreibungsgrad zuzuordnen sind. In der Fokussierung auf Handlungskonzepte des Alltags und der Alltäglichkeit des „Geographie-Machens“ zeigt sich ein Rückgriff auf die Schütz’sche phänomenologische Sozialtheorie. Auch diese betont die individuelle Körperdimension und den eigenen körperlichen Standpunkt. So ist es auch im Konzept des Alltags wiederum der Körper, von dem aus sich das „Geographie-Machen“ vollzieht. Werlen fasst den Körper als einen „Durchgangsort von Erkenntnis“ und „Ausdrucksfeld des Bewusstseins“ auf. Seiner Auffassung nach wird die „Welt“ über die „Berührung mit dem Körper des Subjekts als dinghaft erlebt“ (Werlen 1997, S. 236–238). Der Körperbegriff wird von Werlen als ein „persistenter Koordinatennullpunkt“ verstanden, von dem aus sich Handelnde in ihren Alltagspraktiken „auf einen außerleiblich subjektiv gesetzten Orientierungsnullpunkt“ beziehen (Werlen 1987, S. 179–180). Werlen begrenzt seinen an Schütz angelehnten Handlungsbegriff, den er als die umfassendste Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit betrachtet (Werlen 1997, S. 256). Er verkürzt dabei aber mehrere Dimensionen des Körpers. Zum einen unterstellt er eine Zusammenhangsform von Körper als Gegenstand, der zum anderen aber zugleich auch der Ort des Körperlichen sowie der Ort der Emotionen und Regungen sein soll. Andere wahrnehmungsgeographische Konzeptionen haben einen Begriff von Handlung entwickelt, der über zweck-, normen- und verständigungsorientierte Bezugspunkte hinausgeht (Hasse 2002c, S. 19 ff., Hasse 2002b). Hasse weist darauf hin, dass „Symbole, Bedeutungen, Gefühle […] im Lebensvollzug von Individuen“ gemacht werden (Hasse 2002a, S. 15). Ihm zufolge gilt es ein differenziertes Verständnis von Handlung zu entwickeln, bei dem Handeln nicht als restlos rationalistisch, also beherrschend und erkennend, verstanden wird. Gerade kulturpolitisch oder ökonomisch hergestellte Symbole städtischen Leben, so Hasse, können nur verstanden werden, wenn ihre erlebnismäßigen Grundlagen freigelegt werden (ebd.). Dabei rücken Affekte, Gefühle, Neigungen und Sinnliches in den Fokus von Wahrnehmungsprozessen.

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Seiner Auffassung nach können diese dann nicht systematisch parallel zur Dingwelt betrachtet und ihr gegenübergestellt werden (Hasse 2002c, S. 24). In diesem phänomenologischen Sinne stellt sich die Wirkungsweise bspw. eines Raums als ein Gesamterlebnis dar; Atmosphären als Emotionen in urbanen Strukturen erhalten den Stellenwert eines „Zwischenproduktes leiblicher Kommunikation“ (ebd., S. 24). Die sich dabei einstellenden Wahrnehmungen sind aber nicht nur als ein Aspekt des Handelns anzusprechen. Es gilt den Kontext und den gesellschaftlichen Rahmen anzuerkennen, in dem ein Mensch seine eigenen Sinnbezüge herstellt. Die dabei sich vollziehenden und zu analysierenden Wahrnehmungen sind aber auch gesellschaftlich vorstrukturiert und nicht universell gültig (ebd., S. 27). Vor dem Hintergrund der Analyse des Zusammenhangs zwischen Handlungsvollzügen und Alltag wird bei Lippuner einerseits „Alltag als Sphäre des natürlichen, spontanen, naiven, ideologischen, wahren Erlebens und Denkens“ angeführt. Dieser steht andererseits die „Sphäre des reflektierten, künstlichen, echten, unspontanen und besonders auch des wissenschaftlichen Erlebens und Denkens“ gegenüber. Somit verwundert es nicht, dass stark rationalistisch-kognitiv ausgerichtete Handlungstheorien im Kontext der Debatte der Sozialgeographie verschiedene alltägliche Wahrnehmungsartikulationen und -weisen in das Feld der „natürlichen“, „naiven“ und angeblich „wahrhaftigen“ Wahrnehmung legen (Lippuner 2003, S. 73). Dass von einer naiven, quasi „natürlichen“ Erlebnisdimension gesprochen und sich nicht gegen diese verwehrt wird, verwundert. Ebenso, dass dabei nicht nach dem Sinnkonstruktionscharakter von natürlichen Erlebnissen gefragt wird. Die in den jüngeren Ansätzen insbesondere von Werlen vorgetragene handlungsorientierte Sozialgeographie bezieht sich durch die Formulierung eines heuristischen Alltagssowie Alltäglichkeits-Konzepts auf einen kognitiven Handlungsbegriff. Mit der Einführung einer Theorie der alltäglichen Regionalisierung zeigt sich in zentralen Theoriedebatten der Geographie eine Hinwendung zur einer handlungs- und nicht raumzentrierten Sozialgeographie. Sie lehnt sich stark an die Giddens’schen Gesellschaftstheorie an.

Kritik am Cultural Turn und der „Neuen Kulturgeographie“ Ein zentraler Kritikpunkt an den Konzeptionen des Cultural Turn verweist darauf, dass, bei genauerer Betrachtung des Stellenwerts von kulturellen Praktiken und ihren Artikulationen, die Akteure nicht an einem Diskurs per se interessiert sind. Sie sind vielmehr an charakteristischen Artikulationen, Formationen, Strategien und Sicherungen mit dem Ziel des Erhalts von struktureller Macht interessiert (Grossberg 1999, S. 18). Der forschungsseitige Prozess der Rekonstruktion von kulturellen Praktiken konzentriert sich dagegen auf Repräsentationsweisen von Geographien und Räumen und übersieht dabei (mit147

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

unter), so Grossberg, strukturell machtvolle Rahmungen. Motiviert durch die sog. „Neue Kulturgeographie“ werden linguistisch und literaturwissenschaftlich motivierte Dekonstruktionsprozesse von bestehenden Raumkonstruktionen betrieben (Sahr 2003). Diese wiederum kritisiert man, weil sie die soziale Welt als Produkt diskursiver Praktiken verstünden (Lippuner 2003, S. 55). Die angelsächsische Debatte wehrt sich gegen Vorwürfe, dass Arbeiten mit direktem Bezug zum Cultural Turn ökonomische Kontexte missachten würden und dass im Zuge einer Kulturalisierung auch von Themen wie Armut die zentralen Fragen nach Bewertung, Qualität und Wahrheit außer Acht gelassen werden (dazu Thrift 2000, S. 1 ff.). Sie verbinden sich mit der Annahme, dass das soziale Leben auf Systemen der Signifikation gründe. Parallel zu der von Nigel Thrift (Thrift 2000, S. 1-2) artikulierten und geäußerten Kritik führt David Harvey an, dass die Reduktion jeglicher sozialer Prozesse auf symbolische Codierungspraktiken, Texte und Diskurse eine „totalisierende Geste“ darstellt. Sie steht im krassen Widerspruch zur antitotalisierenden Rhetorik dieser Ansätze (Harvey 1996, S. 87). Eine ähnlich motivierte Kritik richtet sich an ein Verständnis von kulturellen Praktiken als übergeordnetes und allumfassendes Erklärungssystem gerade für ökonomische und politische Strukturen (Matthiesen 2002, S. 30-31). Ebenso wird aus der Disziplin der Geographie grundsätzliche Kritik am Projekt eines Cultural Turn geäußert. Durch ihre konzeptionelle und systematische Überbewertung von Kultur würde sie, so Harvey, die sich anschließende Dimension Raum im Forschungsprozess (methodologisch) nicht adäquat berücksichtigen. Sie würde oftmals noch mit klaren statischen Raumeinheiten operieren. Harvey argumentiert von einer marxistischen Position aus, dass die soziale Konstruktion von Raum aus unterschiedlichen Formen von materiellem Raum hervorgeht, denen sich die Menschen in ihrem Kampf ums materielle Überleben ausgesetzt sehen (Harvey 1996, S. 210, zit. in Lippuner 2003, S. 56). Er fordert dazu auf, Diskurse und sprachlich-signifikante Konstrukte hinsichtlich ihrer Einbettung in institutionalisierte Momente des sozialen Lebens sowie hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die materiellen Praktiken zu untersuchen (Harvey 1996, S. 80). Lippuner behauptet dagegen, dass „die (neuerdings wieder deutlicher vernehmbare) Rede von Alltag und alltäglichen Praktiken […B.L.] über weite Strecken von der Idee getragen ist, die (vermeintliche) Beliebigkeit kulturtheoretischer Ansätze mit einer Thematisierung der konkreten, realen, alltagsweltlichen Fragen (und vor allem) Probleme der Akteure „on the ground“ zu konfrontieren (Lippuner 2003, S. 58). Aber, so muss dagegen eingewendet werden, auch gerade diese Problemlagen sind nicht real – im Sinne von nicht-sinnstrukturiert –, sondern vielmehr zu differenzierende kulturelle, soziale, politische und ökonomische Praktiken. Als solche sind sie überhaupt erst gemacht. 148

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Ein weiterer Kritikpunkt wird von Peter Meusburger von institutionstheoretischer Seite aus vorgetragen. Seine Kritik bezieht sich grundsätzlich auf den subjektzentrierten Handlungs- und Wahrnehmungsbegriff bei der Analyse von Handlungen. Er weist darauf hin, dass „Subjekte viel stärker von sozialen Einheiten, Organisationen, Milieus und Strukturen geprägt, in seinen Handlungen beeinflusst und in Pfadabhängigkeiten gedrängt werden, als dies die subjektzentrierte Handlungstheorie annimmt“ (Meusburger 1999, S. 103). Sie würde, so Meusburger, ignorieren, dass andere Systeme, Institutionen und Organisationen etc. eindeutige Möglichkeiten aufweisen, Handlungen zuzuweisen (ebd., S. 106). Die Bedeutung von organisationssoziologischen Fragen der Handlungspraxis wird für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit als wichtig bewertet, wenn Themen wie Arbeit, Kommunikation in professionellen Milieus und beruflichen Kontexten analysiert werden. Wenn mittels Schlüsselakteuren arbeitsteilige Prozesse in der Dienstleistungswirtschaft analysiert werden, ist es wichtig, systematisch offen für soziale Interaktionen sowie z.B. auch das Zusammenwirken von Individuen und intermediären Institutionen zu sein. Diese Schlüsselakteure sind in bestimmten Bereichen ihres Tätigkeitsvollzugs in strukturelle Macht- und Steuerungsprozesse, Verpflichtungen und Bedingungen eingebunden. Sie ermöglichen ihnen nur einen bestimmten – gleichwohl einnehmbaren – Spielraum für Handlungen und Wahrnehmungen. Nicht-subjektive Prägekräfte von wirkungsmächtigen Institutionen müssen ebenso berücksichtigt werden. Des Weiteren wird von Harvey u.a. eine Rückbesinnung auf Raum als nicht ausschließlich sinnstrukturierte Entität eingeforderte. Dieser Kritik wird durch einen sog. dosierten Cultural Turn in den Raumwissenschaften Rechnung getragen. Dieser Perspektivwechsel fokussiert auf das Zusammenspiel von kulturellen Codierungen mit relativ persistenten physischen Raumstrukturen. Ebenso fokussiert er auf Raumkulturen mit widerständigen Wert- und Machtbeziehungen, auf Wissens- und Lerndynamiken mit lebensweltlichen sowie systemischen Verflechtungen, auf Milieus und Organisationen sowie auf materialisierte Raumkonstrukte mit kulturell codierten Leitbildern (Keim 2003; Matthiesen 1998). Auch methodologisch lässt sich ein dosierter Cultural Turn in den Raumwissenschaften gut begründen: Raumrelevante Handlungsmuster, Akteursnetze und Institutionenbildungen werden immer über die Vermittlung von Symbolen, Sinnbezügen, Kommunikationsprozessen und Steuerungsmedien koordiniert. Ein uni-direktionaler Raum- und Weltbezug ist gleichwohl prinzipiell auch in seiner dosierten Anwendung nicht möglich – wenngleich viele der Eingriffsmetaphern bspw. in der Planungspraxis das nahe legen mögen: z.B. die Begriffe „Stellschrauben“, „Planungsinstrumente“ etc. Solche Metaphern erweisen sich als zweckgebundene Abkürzungsbegriffe für vor allem kulturell 149

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

vermittelte Welt- und Raumverhältnisse. In starken Wechselbezügen zu diesem eher forschungs- und wissenschaftsinduzierten Cultural Turn erhalten seit Mitte der 1990er Jahre auch auf der Ebene der Stadtpolitik und der Governance-Formen „kulturell kodierte“ stadtregionale Entwicklungskonzepte ein zunehmendes Gewicht. Einige Beispiele verdeutlichen dies: Place-MakingStrategien in der Stadtplanungspolitik ohne eine kulturell kodierte „InwertSetzung von Räumen“ nicht denkbar. Kreative Stadt-Ansätze im Kontext von städtischen Wettwerben mobilisieren ihre Innovationspotenziale durch Umkodierungen von raumbezogenen Problemsichten, um auf diese Weise zukunftsfähige Handlungsstrategien zu entwickeln (Matthiesen 2002, S. 25-34). Zusammenfassend zeigt sich, dass sich die deutschsprachige Theoriedebatte unter dem Signum des Cultural Turn im Bereich einer „Neuen Kulturgeographie“ zunächst semiotischen Ansätzen zuwendet. Sie folgt dabei den zugrunde liegenden Analysen kollektiver Sinnsysteme in der Tradition der Sozialphänomenologie. Der Einfluss der Cultural Studies ist ebenso zentral, wenn es gilt, den kulturalistischen Essenzialismus des Menschenbildes in der Geographie zu dekonstruieren (Sahr 2003, S. 232-233). Bemerkenswert ist zudem die Hinwendung zu Fragen der handlungszentrierten Sozialgeographie. Werlen bietet, im Anschluss an die Giddens’sche Strukturationstheorie, einen handlungstheoretischen Vorschlag im Anschluss an die interpretative sowie kulturelle Wende in den Sozialwissenschaften an. Er lenkt dabei den Fokus auf das Konzept der alltäglichen Regionalisierungen, die er nach produktiv-konsumtiven, normativ-politischen und informativ-signifikanten Regionalisierungen differenziert. Der dabei im Vordergrund stehende Handlungsbegriff orientiert sich analytisch betrachtet an einem kognitivistischen Menschenbild. Aus diesem Blickwinkel werden Mensch-Umwelt-Beziehungen als wechselseitige Beziehung formuliert. Dagegen steht ein Handlungsbegriff, der sich an einem anthropologischen Menschenbild orientiert. Er spricht Objekte als körperhafte Dinge an und Subjekte als nicht nur sinnstrukturierende, sondern auch als erlebende Wesen (Hasse 2003a, S. 19). Beide Perspektiven steuern mit ihrem Subjektbegriff das Verständnis von Raum. Dies vollzieht sich aber nicht in einem ausschließlich begriffstheoretisch konkurrierenden Sinn, sondern in disziplinär-wissenschaftssoziologischer Form. Hans Heinrich Blotevogel kritisiert die inhaltliche Rigorosität des Werlen’schen Argumentations- und Diskursstils als Hauptvertreter einer konstruktivistisch-modern angelegten sozialgeographischen Theorieschule. Er wirft ihm vor, eine „einzig mögliche und sinnvolle Art Sozialgeographie zu betreiben“ (Blotevogel 1999, S. 3-7). Zweifelsohne zeigt sich in den modernen deutschsprachigen Handlungstheorien mitunter eine Vermischung von Raum und Körper. Der Körper wird quasi als eine Extension des sinnstrukturierten Raums verstanden. Er wird aber nicht ausschließlich unter seinem Konstruktionsgesichtspunkt betrachtet, 150

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

sondern wiederum unnötigerweise substantialisiert. Dies verwundert, zeigt sich doch im internationalen Diskurs eine starke Thematisierung und Konzeptionalisierung hinsichtlich des Körpers (body). Er wird als Ort der sinnlichen Erfahrung angesprochen, der wahrnehmen und mit seinem Sensorium den Zugang zur Welt und den Objekten erfahren und herstellen kann (Pile/Thrift 1995, S. 6-7). Für die Fragestellung dieser Arbeit zeigt sich, dass zur Erklärung von sozialen Praktiken nicht zwingend einzig und alleine ein anthropologischer Begriff von handlungsleitenden Raum- und Körperwahrnehmungen tragfähig ist. Ebenso wenig ist aber ein sozialkonstruktivistischer Handlungsbegriff im Stande, Fragen und Analysen der Konstituierung eines Sozial- und Handlungsraums vollständig vorbereitend zu konzeptionalisieren. Die Berücksichtigung organisationssoziologischer Perspektiven auf die Handlungspraxis von Akteuren weist darauf hin, dass die zu untersuchende Akteure in arbeitsteilige Zusammenhänge, in professionelle Milieus und Berufsszenen mit eigenen Kommunikationsstrukturen sowie in ein System der Wirtschaft eingebettet sind. Diese Kontexte sind als wirkungsmächtig anzusprechen und als solche aufzufassen. Mit Ausblick auf die Handlungs- und Gestaltungsspielräume von kulturellen Unternehmern könnte sich aber gerade die Kombination aus subjekt- und z.B. strukturzentrierten Wahrnehmungsund Handlungsspielräumen als fruchtbar erweisen. Diese Option muss in einem empirischen Forschungsprozess berücksichtigt werden. Dadurch, dass diese Akteure prägekräftigen Milieus und Szenen zugehörig sind, diese sowohl reproduzieren als auch selbst auf sie angewiesen sind, ist zu erwarten, dass übergeordnete Rahmungen eine Rolle spielen. An diese Schlussfolgerungen schließt sich folgende Frage an: Wie vollziehen sich Prozesse der Regionalisierung von Kleingruppen, Milieus, Szenen und informellen wie formellen Institutionen? Und wie lassen sich diese anhand unternehmerischer Schlüsselakteure am Fall Berlin empirisch analysieren?

T h e o r i e k o n z e p t e vo n H a n d l u n g e n u n d s o z i a l e n P r a k t i k e n i n d e n R a u mw i s s e n s c h a f t e n – e i n e z w e i t e Zw is c h e n b i l a n z Der zweite Teil dieses Kapitels nahm die Ergebnisse des ersten Zwischenfazits auf. Dieses Fazit stellte vor, dass mit Bourdieu und Goffman ein Handlungsbegriff konzipiert werden kann, der zwei Dimensionen ausfüllt: Zum einen ist dies ein situationsangemessener konstruktivistischer Begriff von Handlung; er bezieht den Kontext, in Form von „Rahmung“ und „Feld“ mit in den Prozess der Sinnkonstruktion ein. Zum anderen zeigt sich ein subjektivitätsbasierter Handlungsbegriff; er beschreibt körperliche und leibliche Wahrnehmungen sowie die daraus erwachsenen Handlungen in einem sozialen 151

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Feld. Es konnte bei beiden Theoretikern darauf hingewiesen werden, dass Handlungen in einem sozialen Feld (Rahmen) ablaufen und durch dieses (mit-) konstituiert werden. Somit stellt sich durch die theoretische Weiterentwicklung ein mehrperspektivischer Begriff von Handlung ein. Dies unterstützt die im vorangegangenen Kapitel eingangs benannte These der Konvergenz vormals einander gegenüberstehender phänomenologischer bzw. strukturalistischer Theorieapparate (Bormann 2001, S. 117). In diesen Handlungstheorien zeigte sich, dass eine stärkere Hinwendung zur Dimension Körper konzeptionell wie auch analytisch erfolgt und aufschlussreich ist. Dabei wird Körperräumen und mit Körpern erzeugten und wahrgenommenen Räumen eine konstitutive Dimension zugewiesen. Im Anschluss an das erste Fazit wurden im weiteren Verlauf des Kapitels zwei jüngere zentrale Projekte der Raumtheorie vorgestellt: einmal das Projekt der Raumsoziologie von Martina Löw und einmal Teilelemente der Entwicklung der sog. „Neuen Kulturgeographie“ innerhalb der Disziplin der Geographie. An beide Ansätze wurde die Frage gerichtet, mit welchen Begriffs- und Theorieapparaturen ein integrativer Schritt zur Analyse von Handlung und Raum unternommen wurde. Löw setzt sich mit strukturalistischen sowie sozialphänomenologischen Konzeptionen auseinander und formuliert aus dieser Diskussion eine integrative Theorieposition. Die von ihr vorgestellten Begriffe Spacing und Syntheseleistung werden als dynamische Konzepte verstanden. Sie grenzen sich von Bourdieus tendenziell statischer Konzeption der sozialen Praktiken ab. Dessen vorgestellter Zusammenhang von routinisierten körperlichen Verhaltensmustern, übersubjektiven Wissensschemata und routinisierten Sinnzuschreibungen ist nicht zwingend mit der dynamischen Komponente des Spacings vereinbar. Diese aber wird gerade für den Prozess der Raumkonstruktion durch neue Akteure in Berlin als zentral erachtet. Die sog. „Neue Kulturgeographie“ rezipiert im deutschsprachigen Raum auf breiter Basis Theorieströmungen unterschiedlichster Provinz. Dazu gehören die Giddens’sche Gesellschaftstheorie, aber auch interpretative Ansätze aus den Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Werlens Entwurf einer subjektbasierten Handlungstheorie, der eine breite Rezeption erfährt. Sie geht mit einer vordergründigen Abkehr vom Raum als Dingraum einher. Werlens Ansatz der „Regionalisierung der alltäglichen Lebensführung“ nimmt die Bourdieu’sche Theorie der sozialen Praxis auf. Raum ist bei Werlen aber vollständig entmaterialisiert und ein reines Produkt der Sinnkonstruktion. Die Vehemenz seiner inhaltlichen Argumentation klammert systematisch andere, ebenso rational und begründbar ablaufende Subjektbildungs- und Handlungsprozesse aus. Gleichzeitig werden die Wirkungsweisen von institutionalisierten und bereits organisierten, wirkungsmächtigen sozialen Systemen, wie Milieus, Szenen und anderen Vergemeinschaftungen, ausgeklammert. 152

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

Vor dem Hintergrund der Konvergenz vormals einander gegenüberstehender Theoriestränge werden zwei Schlussfolgerungen aus diesem Kapitel gezogen: (1) Die Diskussion zeigte, dass die Analyse sozialer Praktiken von einem mehrdimensionalen Subjekt- und strukturellen Handlungsbegriff im Kontext der Forschungsfrage ausgehen muss. (2) Ein gewendetes Verständnis von Raum im Zuge des Cultural Turn geht immer mit kulturellen Weltdeutungen einher. An diese Weltdeutungen sind Wissensbestände gekoppelt. Deren soziale Wirkungskraft beruht nicht auf einer kategorischen Wirkungsmacht. Die analytische Dimension Raum muss daher mit Fragen der strukturellen Macht und somit an Aneignungs-, Zugangs- und Verteilungsoptionen gerade auf der subjektiven wie auch auf der Ebene sozialer Systeme verbunden werden. Vor dem Hintergrund dieses zweiten Zwischenfazits wird abschließend auf der Grundlage der vorangegangenen Diskussion ein mehrdimensionaler Handlungsbegriff zur Analyse der Raumkonstruktionen der kulturellen Unternehmer in Berlin vorgestellt.

(1) Theoriekonvergenz und der Stellenwert der sozialen Praktiken Die vorgestellten Konzeptionen von sozialen Praktiken bei Bourdieu und Goffman zeigen, wie die Umsetzung von metasubjektiven Sinnmustern in subjektive Sinnzuschreibungen erfolgt. Der zentrale Punkt ist, dass routinisierte sowie körperliche hervorgebrachte Praktiken eine Doppelstruktur aufweisen: Einerseits setzen sich Handlungsvollzüge und ihre Muster von Handlungen immer in Beziehung zu einem öffentlichen Bezugspunkt. Andererseits sind Handlungen immer körperlich verankert. Sie treten als Handlungsmuster auf und haben aufgrund ihrer repetitiven Struktur auch einen kollektiven Charakter. Eine rein mentalistische Analyse schließt sich aus, da soziale Praktiken immer körperlich hervorgebrachte und daher von anderen beobacht- und beschreibbar sind. Praktiken sind nicht individuell-mentalistisch, sie sind immer an kollektive Verhaltensmuster und Wissensordnungen gebunden. Daraus leitet sich ab, dass Akteure während des Vollzugs ihrer Praktiken immer in einen dialektischen Prozess der Sinnzuschreibung und des Handelns eingebunden sind. Sie haben ein „hermeneutisches“ Verhältnis zur Welt (Bormann 2001, S. 566). Demzufolge weisen Akteure in ihren Handlungen immer ein implizites Wissen sowie Handlungswissen auf. Es ermöglicht ihnen, die jeweiligen frames auf sich wirken zu lassen und sie situationsangemessen zu definieren. Reckwitz weist darauf hin, dass einer Wahrnehmung und einer Handlung immer Sinnmuster zugrunde liegen. Diese besitzen nicht „alleine eine kognitive Dimension […], sondern umfassen […] gleichfalls eine evaluative Di153

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

mension […]. Phänomene werden […] mit einer bestimmten […B.L.] Bewertung verknüpft“ (Reckwitz 2000, S. 580). Reckwitz schlussfolgert daraus, dass von einer einzigen Sphäre, einem Kontinuum auszugehen ist, in dem soziale Praktiken „körperlich vollzogen werden und […] gleichzeitig ein Wissen“ ausdrücken (ebd., S. 593). Ein sich somit an sozialen Praktiken ausrichtender Handlungsbegriff ist analytisch betrachtet konsequenterweise mehrdimensional. Er muss mentale Wissensordnungen und subjektive Beschreibungen einfassen und ebenso die Wirkungs- und Prägekraft von nicht-subjektiven sozialen Systemen einbeziehen. Nur so kann er sich als Konzept von Praxis tragfähig erweisen.

(2) Raum in den Raumwissenschaften Raum wird im weiteren Verlauf als konstruierter und codierter Sozialraum verstanden. Dieses Verständnis von Raum ist prozessbezogen. Er konstituiert sich im Zusammenspiel und der Auseinandersetzung mit sozialen Aneignungsformen, physischen Widerständen und interessengeleiteten Aushandlungsprozessen. Dies schließt die Wirkungs- und Ausstrahlungskräfte von Orten und Räumen explizit mit ein. Inszenierte und bewusst gestaltete Atmosphären in Stadträumen verdeutlichen dies. Daraus kann aber nicht geschlussfolgert werden, dass sich die Wirkungen von Räumen einzig und alleine durch eine uni-direktionale Wirkungsmacht in der Gestalt einer Ich-Welt-Beziehung erklären. Um Verfügung über, Zugänge zu, Aneignungen und Ausschlüsse von Räumen zu analysieren, müssen die regionalisierten Deutungs-, Erklärungs- und Prägekräfte von systemischen Strukturen mit in den Konstitutionsprozess von Räumen integriert werden.

(3) Soziale Praktiken und Unternehmer – Konsequenzen für die Fragestellung Die Diskussion von Theorieansätzen im Feld der Praxeologie und des Handlungsbegriffs erwies sich forschungsstrategisch als fruchtbar. Die kulturtheoretischen Debatten zeigen, dass es plausibel erscheint, einen mehrdimensionalen Handlungsbegriff der empirisch ausgerichteten Fragestellung dieser Arbeit zugrundezulegen. Eine integrative Konzeption von Handlungen stellt subjektiv ausgerichtete Zuschreibungen mit übersubjektiven Struktur- und Kontextdimensionen auf eine gleichberechtigte Stufe. Das Konzept „Praktiken“ eröffnet sodann die Möglichkeit, mit diesem mehrdimensionalen Handlungsbegriff kontextsensitiv die Raumkonstruktionen von kulturellen Unternehmern in Berlin empirisch zu analysieren. Ziel muss es dabei sein, die Logiken dieser mehrdimensionalen Prozesse zu rekonstruieren. Folgende Fragen können nun im Anschluss an die im Eingangskapitel aufgeworfenen Fragen 154

HANDLUNGEN – PRAKTIKEN – RAUM

präziser an das empirische und methodische Forschungsdesign herangetragen werden:

Biografische Ausgangsbedingungen der Unternehmer • •

Welche individuellen Ausgangsbedingungen sind konstitutiv für die Hinwendung zu einer Unternehmensgründung? Wie benennen die Akteure ihre subjektive Ausgangssituation sowie ihre sozial-biografische und berufliche Lage? Welche Konsequenzen erwachsen daraus für die unternehmerische Praxis?

Unternehmung •



Mit welchen strategischen Praktiken reagieren sie auf sozioökonomische und kulturelle Kontexte und deren Wirkungskräfte in der Stadt Berlin? Wie gestalten sie im Zuge ihrer Unternehmensgründung soziale, professionelle und örtliche Rahmungen? Welchen Zweck verbinden sie damit? Welche Rolle weisen diese Akteure Freiräumen zu? Welche urbanen und unternehmerischen Narrative sind anhand ihrer Praxis zu rekonstruieren?

Raumproduktion •



Mit welchen Strategien und Taktiken entwickeln und besetzen sie Orte? Welche atmosphärisch-performativen Erwartungen haben sie daran, welche sozialen Einschluss- und Ausgrenzungsmechanismen verlangen sie einem Raum ab, und welche Logiken weisen ihre Räume auf? Welche Wahrnehmungsleistungen zeigen sich im Verhältnis zu welchen symbolischen Codierungen, und welche Dimension weisen sie dabei dem Räumlichen für ihre Praxis zu?

155

Methodik: Strukturparameter, Fallanal yse n und Typenbildung

Eine empirische Erhebungsmethode muss grundsätzlich in der Lage sein, eine analytische Rekonstruktion der Herstellung von Raum durch Symbolproduzenten zu bewältigen. Sie muss zwei analytischen Ausgangsbedingungen und zwei daraus erwachsenen Leitfragen begründet Rechnung tragen. Zunächst stellt sich aufgrund der unklaren Zusammenhangsformen zwischen neuen wissensbasierten kulturellen Unternehmern und deren Konstitution von sozialen, symbolischen und codierten Räumen folgende Frage zur Dimension Raum: • Welche Bedarfe haben Symbolproduzenten an Orte, wie eignen sie sich Orte an, und wie konstituieren sie Räume? Zum anderen muss ein zu wählendes Methodendesign auf soziale und unternehmerische Praktiken fokussieren und eine Vorgehensweise zu empirischer Beantwortung der zweiten Fragestellung entfalten: • Wie handeln diese Symbolproduzenten, welche sozialen Praktiken demonstrieren sie, und welche Repräsentation von „Stadt“ zeigt sich an ihren Praktiken am Fall Berlin? Die Forschungsmethodik zielt darauf ab, zu zeigen, dass die empirische Analyse von sozialen Praktiken die Dichotomie von strukturbedingten gegenüber subjektivbasierten Erklärungsansätzen von Handeln erkenntnisleitend für die Stadtforschung zu verbinden im Stande ist. Die Statuspassage Unternehmensgründung wird als eine Möglichkeit verstanden, diesen Fragen systematisch nachzugehen. Dazu beschreibt das erste Teilkapitel Erhebungsmethoden, die sich aus den theoretischen Vorannahmen ableiten. Es werden Anschlüsse und Perspektiven für die folgende empirische Analyse benannt. Dabei werden geeignete 157

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

sozial- und raumwissenschaftliche Erhebungsinstrumente zur Beantwortung der Fragestellungen vorgestellt. Im zweiten Teilkapitel werden diese auf ihre Tauglichkeit, Durchführbarkeit und Reichweite hin überprüft. In einer synthetisierenden Darstellung wird im darauf aufbauenden dritten Teilkapitel eine methodische Vorgehensweise formuliert. Sie ermöglicht es, die vorliegende Fragestellung einer empirischen Operation zuzuführen. Ebenso wird das interpretative Instrumentarium zur Analyse des Datenmaterials erläutert und vorgestellt. Zentrales Ziel der Interpretation des qualitativen Datenmaterials ist, eine systematische Typisierung an Fällen durchzuführen.

Methodologische Vorbemerkungen Nachdem in den 1970er und 1980er Jahren quantitative Methodiken im Zuge der Computerisierung und dadurch schnelleren Auswertung großer Datenmengen an Bedeutung gewonnen hatten, haben seit den 1990er Jahren methodisch qualitativ ausgerichtete Analysen wiederum breite Aufmerksamkeit erhalten. Es setzte sich sukessive die Auffassung durch, dass sie gerade neue Lebenswelten und Lebensstilen adäquater gegenüber den Verfahren der quantitativen Methoden erfassen konnten. Sie erfuhren sodann eine neue hervorgehobene Stellung. Die „Wiederentdeckung der Kultur“, als eine bestimmende Triebkraft der sozialen Welt des Menschen im 20. Jahrhundert, ging ebenso mit einem (Rück-)Griff auf interpretative und hermeneutische Methoden zur Bestimmung der Sinnstrukturierung von Weltbezügen einher (Bormann 2001, S. 9 ff.). In der Folge rückten in den Sozial- und Raumwissenschaften verstärkt Methodologien (wieder) in den Vordergrund, die nach den individuellen Sinnkonstruktionen des Menschen fragen. Im Kontext der interpretativen Sozialforschung stehen daher paradigmatisch Fragen im Vordergrund, die sich damit befassen, wie „Menschen in der kommunikativen Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt zu ihrer Vorstellung der Welt und zu ihren Einschätzungen der in dieser Welt vorfindbaren Phänomene kommen“ (Froschauer/Lueger 2003, S. 179). Dem schließt sich konsequent eine weitere Wie-Frage an: „Wie strukturieren Menschen ihr soziales Handeln unter Berücksichtigung des jeweiligen Handlungskontextes und der situativen Bedingungen“ (ebd.)?

Methodenwahl Von neuen Akteuren innerhalb eines relativ jungen Dienstleistungssegments zu sprechen heißt, neue und ggf. neu zu bestimmende methodische Anforderungen sowie neue Kombinatoriken zur Beantwortung der Fragen zu entwi158

METHODIK – FALLANALYSEN

ckeln und vorzustellen. Prioritär stehen Fragen nach den Handlungslogiken, den Erfahrungsdimensionen sowie den räumlich-strategischen Sinnkonstruktionen von kulturellen Unternehmern an der Statuspassage einer Unternehmensgründung im Vordergrund. Zur Beantwortung dieser Frage bieten sich qualitative Erhebungsmethoden an, die elementare Auskünfte zu alltäglichen, regelgeleiteten oder regelabweichenden Orientierungs- und sinnstiftenden Strukturierungsmustern geben. Eine empirische Analyse muss sich zum einen auf den Prozess konzentrieren, der dazu geführt hat, dass bestimmte Akteure an der Formulierung, Konzipierung und Durchführung einer Unternehmensgründung arbeiten. Zum anderen muss sie in der Lage sein, herauszuarbeiten, wie diese Handlungsleistung entsprechend inhaltlich-symbolisch, kollektiv-vernetzt und produktorientiert formuliert wird. Zur Erfassung des hier im Fokus stehenden neu emergierenden Marktes in Berlin muss eine zum Gegenstand passende Erhebungsmethodik herangezogen werden. Eine Methode muss dabei dem jungen Forschungsgegenstand Rechnung tragen und daher eine große thematische und inhaltliche Offenheit an den Tag legen. Wie eingangs herausgearbeitet wurde, existieren wenig empirisch plausible Ergebnisse über diesen Sozialraumtypus, seine internen sozialen Verfahrenslogiken und seine ökonomischen Strategien in urbanen Krisenkontexten. Es ist von einem weitestgehend „verschlossenen“ und unbekannten (Forschungs-)Feld auszugehen. Anerkennt man dies, so stellt sich auch die Frage, wo sich das soziale und räumliche Feld dieser Akteure manifestiert. Wie verfährt eine Raumforschung, wenn es keine verräumlichte Handlungsmatrix dieser Akteure Ex-Ante einführen kann? Aufgrund der unbekannten räumlichen Positionierungsweisen von Symbolproduzenten im städtischen Raum erscheint es geboten, nicht mit voraussetzungsvollen Theoremen und Behauptungen dem Forschungsgegenstand zu begegnen. Dies würde gleichsam von außen per rigoroser Vorentscheidung die Akteure sowie ihre Praktiken in einen vorgegebenen Raum einschließen. Mit feldaufschließenden Erhebungsverfahren zu arbeiten bedeutet, weniger theoriegeleitet und nicht mit thesenartigem Vorwissen dem Forschungsgegenstand gegenüberzutreten. Diese Verfahren entwickeln und richten, in Anlehnung an die Grounded Theory, Interpretationsangebote aus der empirischen Analyse an bestehende Theorie- und Wissensverständnisse. Interviewdaten, die z.B. durch themenzentrierte Experteninterviews generiert werden, können im weiteren Verlauf mit rekonstruktiven Auswertungsverfahren Ergebnisse von professionsbiografischen Verläufen ermitteln (Kruker/Schier/von Streit 2002, Schier 2005). Sie können aber darüber hinaus auch Aufschluss über die Verfahrensweisen und Binnenlogiken von Professionsmilieus geben.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Forschungspraxis – Forschungsperspektive – Fallerhebung Eine methodologische Forschungspraxis, die von der Ebene des Individuums Rückschlüsse auf Milieus und Szene ziehen will, muss davon ausgehen, dass strukturelle Rahmungen, wie z.B. Arbeitsmarkt, Kultur, nationale und europäische Förderpolitiken für Start-ups und Existenzgründer, in einem ersten Schritt individuell wahrgenommen werden. Sie unterliegen einer subjektiven Interpretation. Diese Interpretationsleistungen schaffen die Voraussetzungen, um sie überhaupt erst als Erfahrung anzusprechen. Darauf aufbauend stellt die Erfahrung den Ausgangspunkt eines Handlungsverlaufs dar. In dieser Festlegung zwischen objektiven Realitäten und subjektiven Erfahrungen zeigt sich eine lange Zeit vorherrschende epistemologische Leitdifferenz, bei der den zu „Beforschenden“ stillschweigend vorgegeben wurde, welche „objektive Realität“ konstitutiv für sie zu sein hat (Bohnsack 1998, S. 119-120). Ausgehend von einer reflexiven Position des „methodischen Zweifelns“ an vordergründig klarem und objektiv-kanonisiertem disziplinären Orientierungswissen, schlussfolgert Ronald Hitzler, dass „nicht ein wie auch immer als ,objektiv‘ hypostasierter Sachverhalt, sondern das Erleben des Akteurs […] maßgeblich für dessen Situationsdefinition – und für die für ihn daraus folgenden (Handlungs-)Konsequenzen ist“ (Hitzler 1999, S. 474-475). Anknüpfend an die Tradition der phänomenologischen Sozialforschung fordert er, den Fokus darauf zu richten, wie „Bedeutungen entstehen und fortbestehen, wann und warum sie ,objektiv‘ genannt werden können, und wie sich Menschen die gesellschaftlich ,objektivierten‘ Bedeutungen wiederum deutend aneignen, daraus ihre je ,subjektiven‘ Sinnhaftigkeiten herausbrechen“ (ebd., S. 475). Empirisch generierte Texte, wie bspw. narrative Interviews und themenzentrierte Experteninterviews, stellen somit keinen schlichten, uninterpretierten Sachverhalt dar. Interviews und die durch Transkription generierten Texte stellen keinen, auf objektiven „biografischen Fakten“ aufbauenden Erzählgegenstand dar, welcher der Forscherin oder dem Forscher einen bereits rekonstruierten Zugang zur „Welt“ verschafft (Bohnsack 1999, S. 121). In Interviews explizierte und vertextlichte Aussagen sind als „Erzählungen eigenerlebter Erfahrungen“ anzusprechen, die „Orientierungsstrukturen des faktischen Handelns“ darstellen (Schütze 1987a, S. 2, zit. in Bohnsack 1999, S. 121). Diese Orientierungsstrukturen basieren auf einer „Wissensordnung“, die „von der zum Zeitpunkt der Erzählung sich vollziehenden Erfahrungsrekapitulation überformt ist, wenngleich aber als solche erkennbar bleibt“ (Bohnsack 1999, S. 121). Gegenstand von Erzählungen und Selbstbeschreibungen in Interviews sind Erfahrungen des Erzählers auf unterschiedlichen Niveaus der persönlichen Biografie.

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METHODIK – FALLANALYSEN

Im Umkehrschluss müssen Interpretationsverfahren immer davon ausgehen, dass die jeweilige „Grundstruktur eines Falles, eines Individuums oder auch einer Kollektivität (sich, B.L.) in den unterschiedlichsten Aktivitätsbereichen dieses Falles überhaupt erst konstituiert“ und diesen überhaupt erst repräsentiert (ebd., S. 122). Daher ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Fallanalysen immer mit der Annahme zu verbinden sind, dass gesellschaftliches Sein und gesellschaftliche Lagerung „nicht jenseits der Erfahrungen oder des Erlebens der Erforschten“ angesiedelt wird (Bohnsack 1998, S. 120). Ralf Bohnsack versteht gesellschaftliches Sein so, dass es sich durch „Gemeinsamkeiten des biografischen Erlebens, Gemeinsamkeiten der Sozialisationsgeschichte […] und durch konjunktive Erfahrungen, überhaupt erst konstituiert“ (ebd.).

Mesoebene Handeln ist dadurch auch bei Symbolproduzenten nicht ausschließlich aus einer subjektorientierten Tätigkeit aufzufassen. Vielmehr müssen aus der subjektiven Perspektive des Handelnden die von ihm ausgehenden kommunikativen Beziehungs- und Interaktionspraktiken identifiziert und rekonstruiert werden. Dies können Kontakt-, Kunden-, Informations- und Distributionsnetze sein, in denen Waren, Wissen und kulturelle Trends verhandelt werden. Die daran angelagerten Praktiken setzen sich zu meso-kontextuellen Ordnungs-, Verfahrens- und Regelsystemen in Beziehung. Handlungs- und Interaktionsverläufe sowie soziale Praktiken dieser Akteure sind auf die Verständigung innerhalb eines konjunktiven Erfahrungsraums angewiesen. Dies gilt auch für die Verständigung zwischen verschiedenen Erfahrungsräumen. Die soziale wie sozialräumliche Dimension dieses kommunikativen Erfahrungsraums ist weder gesetzt noch vorgegeben. Kommunikative Interaktions- und Beziehungsstrukturen müssen zunächst aus der Sicht der Akteure durch eine empirische Analyse rekonstruiert werden. Die Dimension des Erfahrungsraums verweist auf eine strukturelle Mesoebene. Sie ist zwischen der subjektiven Wahrnehmung von einzelnen Akteuren und einer metastrukturellen Ebene objektiver Mechanismen (z.B. Markt) angesiedelt. Zwischen diesen beiden Polen vollziehen Individuen im Prozess des Handelns immer alltägliche Begriffs- wie Typenbildungen und erschließen sich dabei ihre Lebenswelt. Sie selektieren, interpretieren und bewerten Information und überführen sie zu körperlichen und/oder verbalisierbaren Handlungsvollzügen. Diese Vollzüge beziehen sich zugleich auf beide Bedeutungsdimensionen: diejenige des konjunktiven sowie die des kommunikativ-generalisierenden Denkens. Dadurch entsteht „als Ergebnis faktisch eine Doppelheit der Verhaltensweisen an jedem einzelnen, sowohl gegenüber Begriffen als auch Realitäten“ (Mannheim 1980; orig. 1922-1925, S. 296). 161

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Übertragen auf eine empirische sozial- und raumwissenschaftliche Forschungspraxis bedeutet dies, dass die Beschreibung der unternehmerischen Praxis immer einen doppelten Charakter aufweist. Sie verweist auf die Selbstbeschreibung ihrer Berufspraxis, ihre Identität, ihre Ziele und erfahrungsbedingten Vorprägungen. Parallel dazu verweist sie auf die strukturellen Bedeutungen des Begriffs Unternehmer oder Selbständiger oder Kreativer etc. Diese Begriffe sind in einen übergeordneten Bedeutungszusammenhang einzuordnen, in dem z.B. ein Symbolproduzent in einer kulturellen Epoche sowie in einem Rahmen einer Stadt agiert. Beide Bedeutungsebenen stehen immer in einem Spannungsverhältnis zueinander. Die zu analysierenden Handlungsvollzüge von Individuen basieren auf Erfahrungen, Wahrnehmungen und ihren alltagshermeneutischen Sinnkonstruktionen. Erfahrungen verknüpfen sie zu einem typisierenden, abstrahierenden und methodisch-strukturierenden Vorstellungsbild von der sozialen Welt (Bohnsack 1999, S. 24, Froschauer/Lueger 2003, S. 180). Die sich vollziehenden alltäglichen sozialen Handlungen und Praktiken sind auf unterschiedlichen Ebenen durch sinnhafte Konstruktionsleistungen vorstrukturiert. Empirisch-sozialwissenschaftliche Forschung behandelt prinzipiell immer bereits vom Forschungsgegenstand praktizierte Interpretationsleistungen (Giddens 1984, S. 95). Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Konstruktion dieser alltäglichen und routinisierten Handlungsvollzüge des Forschungssubjektes werden sie als implizite Interpretationen ersten Grades angesprochen (ebd.). Eine Forschungsleistung der Sozialwissenschaftler bestehen darin, die implizierten Interpretationsmethoden zu rekonstruieren, um im Anschluss daran eigene Thesen, Theorien und Modelle zu überprüfen oder zu entwickeln. Erschließt man Akteure über ihre Handlungspraktiken, dann müssen geeignete Verfahren herangezogen werden, die ihnen die Möglichkeit einräumen, ihre Erfahrungen, Praktiken und Handlungen rückwirkend kommunikativ zu beschreiben. Dazu bieten sich zum einen Experteninterviews, zum anderen Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren an. Neben einem interaktionsbasierten kommunikativen Zugang zu sinnhaften Welten, der sich zwischen Forscher und Forschungsgegenstand einstellt, zeigt sich auch, dass ein systematischer, methodisch vorbereiteter Perspektivenwechsel des Forschers gerade bei der Analyse von Konstitutionsprozessen von Raum notwendig erscheint. Da soziale Praktiken nicht ausschließlich verbal kommuniziert werden können, sondern ebenso körperbasiert sind, gilt es mit geeigneten Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren Datenformate zu generieren, die interpretierbar sind: Feld- und Beobachtungsprotokolle können dies einlösen. Anschließend können durch Triangulationsverfahren Handlungs- und Strukturierungspraktiken ausgesuchter Akteure aus mehreren Perspektiven fallspezifisch rekonstruiert werden. Die Perspektivenvielfalt berücksichtigt bei der Analyse der Konstitutionsprozesse von Raum die Tatsa162

METHODIK – FALLANALYSEN

che, dass ein singulärer Blick dem konzeptionellen Fokus der relationalen Raumkonstituierung nicht Rechnung tragen würde. Eine empirische Interpretation muss die im vorangegangenen Kapitel vorgestellten sozialen Praktiken mit den Bedingungen und Folgen konjunktiver Erfahrungen verkoppeln. Dabei lautet die Frage, inwiefern die im Zentrum stehenden Symbolproduzenten auf dem Weg des organisierten wie situativen Aktionismus, des gemeinsamen Unternehmens eine soziale Gestalt darstellen, die als Gestalt mit einem Wesenssinn ausgestattet ist. Grundlage dieses Sinns sind habituelle Übereinstimmungen und Stilbildungen, die aus dem Prozess des Machens Aufschluss geben über verbindende, d.h. konjunktive Elemente der Stilbildungen. Diese „Unternehmungen“ der Symbolproduzenten sind nicht einzig und alleine unter ökonomisch-erfolgsorientierten Gesichtspunkten zu betrachten. Ebenso relevant sind die zu Tage tretenden sozialen „Eigengesetzlichkeiten probehafter Entfaltungen und Ausdifferenzierungen des kollektiven Habitus“ (Bohnsack 1998, S. 122). Ein derart erweiteter prozessualer Begriff unternehmerischen Handelns und Entwickelns muss Handlungspraktiken unter dem analytischen Gesichtspunkt der Distinktion, also dem Trennenden, sehen. Ebenso ist aber der Aspekt der Konjunktion, d.h. das Verbindende, zu berücksichtigen (ebd., 123). Methodisch eröffnet sich daher die Möglichkeit, faktische Strukturindikatoren, von z.B. politischen oder sozioökonomischen Veränderungen, mit den konjunktiven Erfahrungen und den Erlebnisschichten der Symbolproduzenten zusammenzuführen. Gerade die Analyse von gemeinsamen Erlebnisvollzügen, gemeinsamen Handlungspraktiken, geteilten kommunikativen Interaktionen und kollektiven Wahrnehmungen eröffnet die Möglichkeit, milieuspezifische Stile und Orientierungsmuster dieser Akteure zu benennen. Die Fokussierung auf kollektive Handlungspraktiken ist immer im Rahmen von Metarahmungen der Wirtschaft, der Kultur und der Wissensproduktion zu betrachten. Doch auch diese sind, wie in Kapitel „Arbeit und Entrepreneurship“ vorgestellt, markanten Strukturbrüchen unterworfen und modifizieren sich. Diese Rahmungen sind nicht objektiv vorgegeben, auch sie unterliegen Narrativen und somit sozialen Konstruktionen. Gerade soziale Praktiken sind, so zeigte das Zwischenergebnis des Kapitels „Handlung – Praktiken – Raum“, geeignet, um analytisch zwischen individuellen Handlungsoptionen und übersubjektiven Strukturparametern positioniert zu werden. Gerade sie eröffnen die Rekonstruktion von Erfahrungs-, Erlebnis- und Handlungszusammenhängen dieser Akteure, die geradezu als Problemlöser im Kontext von sich wandelnden Metarahmungen einen gangbaren Weg entdecken und aufspüren müssen. Sie vollziehen diese Lösungen nicht ausschließlich auf einer Individualebene, sondern ebenso in Relation zu sozialen Mesoebenen.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die in Kapitel „Entrepreneurship und Kontexte“ vorgestellte Konzeption von Milieu und Szene schließt nicht an kategoriale Begriffe wie bspw. soziale Gruppe oder Klasse mit sich daraus ergebenden Verräumlichungsstrukturen an. Die Formierung von kollektiven Handlungs- und Strukturmustern ist konzeptionell zunächst von der Dimension des Raums entkoppelt. Methodisch und analytisch ist dies die Voraussetzung, um die Kategorien Raum und Vergemeinschaftungen überhaupt erst wieder neu in Beziehung zu setzen. Betrachtet man biografische Diskontinuitäten und die damit einhergehenden habituellen Verunsicherungen, so kann man schlussfolgern, dass Zugehörigkeiten zu professionellen Vergemeinschaftungen zunehmend reflexiven Bearbeitungen von Individuen unterliegen (müssen). Dabei müssen die Handelnden praktische Sondierungsprozesse durchführen. Methodisch heißt dies, dass ein geeignetes empirisches Instrumentarium herangezogen werden muss, um Selbstbeschreibungen des eigenen Biografieverlaufs sowie der eigenen Biografieentwicklungen im Übergang zu einem neuen beruflichen Status einem rekonstruktiven Interpretationsprozess zuzuführen. Die Operationalisierung der empirischen Frage nach dem Wie der unternehmerischen wie sozialräumlichen Praktiken muss eine mehrdimensionale Perspektive einnehmen. Dieser Übergang ist als Statuspassage angesprochen worden und muss als mehrschichtig und komplex verstanden werden. Er ist von zahlreichen Entscheidungsprozessen begleitet. Bei diesem Übergang können sich neue Optionslagen und Brückenpraktiken zwischen verschiedenen Lebensphasen mit entsprechenden Wert- und Normzuschreibungen in Abweichung von gesellschaftlichen Normalitätsverständnissen wie wissenschaftlichen Vorannahmen zeigen. Ralf Bohnsack weist darauf hin, dass die an die Standards der Ausbildung und des Berufs gebundenen Biographieverläufe keine Sicherheiten und Gewissheiten mehr bieten können (Bohnsack 1988).

Methoden zur Datenerhebung Ausgehend von den vorgestellten Strukturindikatoren von Designern in Berlin ist es möglich, ein erstes Strukturbild zur Entwicklung und Situation dieser Dienstleister zu entwerfen. Die Entwicklung der Zahl der Unternehmensgründungen von Designern im Zeitverlauf, die Zahl ihrer Beschäftigten sowie die Kunden- und Standortstrukturen seit Mitte der 1990er Jahre geben ein erstes Bild dieser Dienstleister zu erkennen. Zudem ist eine bundes-, landes- und stadtpolitische Strukturebene angesprochen worden, die auf die gezielte Förderung von Unternehmensgründungen, wie bspw. Ich-AG, mit entsprechenden Strukturfördermitteln hinwirkt. Neben ihren finanziellen Unterstützungsleistungen sind sie auch als Techno164

METHODIK – FALLANALYSEN

logien einer strukturell machtvollen Politik anzusprechen. Sie werden auf der subjektiven Ebene reflektiert, adaptiert und interpretiert. Als diskursives Leitbild repräsentieren sie ein unternehmerisches Selbst. Aufbauend auf den Erkenntnissen der Strukturdaten und Strukturanalysen des vorbereitenden ersten Analyseschritts entfaltet sich in einem zweiten die qualitative Analyse. Fallspezifisch wird nach unternehmerischen und sozial-kulturellen Handlungsvariationen bei der Bewältigung der Statuspassage Unternehmensgründung anhand ausgesuchter Akteure gefragt. Die erhobenen empirischen Daten ermöglichen somit die Rekonstruktion von sozialen, räumlichen und unternehmerischen Praktiken. Anhand dieser Daten erfolgt eine Typisierung am Fall. Diese mehrdimensionale Forschungsperspektive folgt nicht einer MakroMikro-Analyse. Vielmehr stellen die vorgestellten Sekundärdaten einen ersten Analyseschritt dar, der die weitere Forschungsperspektive strukturiert. Diese Struktur- und Kontextparameter werden als unstrittig verstanden. Von diesen kann zielgerichteter nach den individuellen sowie kollektiven dynamischen Verfahrenswegen gefragt werden, die die Akteure eingeschlagen haben. Die Rekonstruktion der Spacingprozesse muss berücksichtigen, dass Handlungsaktivitäten hinsichtlich ihrer Verräumlichung nicht per se auf einen klar umrissenen Ort oder ein Territorium begrenzt sind. Sie können ebenso an mehreren Orten oder zwischen Territorien, also „multi-sited“, ablaufen. Dadurch schließt sich eine prinzipielle Auswahl von Untersuchungsorten und Akteuren per rigoroser Vorentscheidung aus (Marcus 2000, S. 13 ff.). Es gilt zunächst das Muster der territorialen Bezugspunkte bestimmter Akteursgruppen ethnografisch zu rekonstruieren und demzufolge von mehreren „Lagen“ (resp. Perspektiven) Beziehungskonstruktionen zwischen Handlungspraktiken und Orts- und Raumbeziehungen zu analysieren. Die dabei praktizierten Methoden folgen „Fallspuren“ sowie Kommunikationswegen und orientieren sich an ethnografischen Datenerhebungsmethoden.

Experteninterviews Experteninterviews weisen forschungspraktische bzw. -ökonomische Vorzüge auf. Sie ersparen lange Wege der Explorationsphase und ermöglichen zielführend eine dichte Datengewinnung gegenüber anderen Verfahren, wie bspw. quantitativen Verfahren (Bogner/Menz 2002, S. 9). Mit dem Begriff Experteninterview stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien ein Experte zum „Experten“ wird. Entgegen eines wissenssoziologisch orientierten Expertenbegriffs schlagen Alexander Bogner und Wolfgang Menz vor, den Begriff an Personen zu binden, die „ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzten Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend zu strukturieren“ (ebd., S. 45). 165

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Das Experteninterview stellt nicht die Gesamtperson als den zentralen Gegenstand der Analyse dar. Vielmehr wird ein Experte als Träger von bestimmten Funktionen und Aufgaben verstanden. Als Experten verfügen sie Erfahrungs- und Handlungswissen über ihre organisationale Umwelt. Aus dieser Beobachtungsperspektive können sie über interne Wissensstrukturen und -konstruktionen Auskunft geben. Gleichwohl wendet Manuela Pfadenhauer kritisch ein, dass diese Besonderheit der theoretischen Fundierung des Experteninterviews aufgrund der Interaktionsverhältnisse zwischen „Experten und Quasi-Experten“ nicht zwingend forschungsökonomisch sein muss. Ihrer Auffassung nach taugt das Instrument „weit weniger als Instrument zur ,schnellen‘, die Zeitaufwendungsbemühungen der Teilnahme sozusagen kompensierenden Datengenerierung […], denn als eine Art ,Surplus‘-Verfahren, dessen kompetente Verwendung hohe Feldkompetenzen – und hohe Feldakzeptanzen – bereits mehr oder weniger (voraussetzt)“ (Pfadenhauer 2002, S. 128). Ein weiterer Einwand bezieht sich auf die Situiertheit und die besondere Gesprächssituation des Experteninterviews. Sie entfaltet sich zwischen zwei Experten unterschiedlichster Wissens- und Erfahrungsbereiche. Dadurch weisen die Daten eine begrenzte Aussagekraft auf. Die von Pfadenhauer angesprochene „hohe Feldkompetenz“ weist auf die interaktiven Bedingungen des Forschungsfeldes hin. Der Forscher sollte mit den Regeln, Verfahrensweisen und Interaktionspraktiken des Feldes vertraut sein oder diese Vertrautheit im Laufe der Zeit entwickeln.

Feldprotokolle Neben den Experteninterviews zielen ethnografische Methoden auf die Beschreibungen von individuellen Beobachtungen ab. Damit gehen methodische Fragen der subjektiven Forschungsperspektive und somit Fragen zum Feldzugang einher. Die Kernfrage lautet: Inwiefern ist es möglich, den subjektiv gemeinten Sinn anderer Erfahrungen zu verstehen? „Perspektivübernahme“, und das „Wechseln auf die andere Seite“, so eine Antwort von Ronald Hitzler, bedeutet, den forschungstechnischen Versuch zu unternehmen, an der Lebenswelt des Forschungssubjekts teilzunehmen und dabei zu beobachten (Hitzler 1999, S. 477). Der Versuch der lebensweltlichen Dokumentation bezieht sich auf ethnografische Methoden und fordert dazu auf, dass man Phänomene versucht in ihrem ursprünglichen Erfahrungsbereich zu verstehen. Aufgrund der nichtverbalisierbaren Körperdimension von sozialen Praktiken erscheint es angebracht, ethnografische (Beobachtungs-)Verfahren in den empirischen Forschungsprozess zu integrieren. Die Beobachtung von körperorientierten Prak-

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METHODIK – FALLANALYSEN

tiken und routinisierten Handlungen eröffnet die Chance, diese individuell gelagerten, nicht-verbalisierten Dimensionen zu erschließen. Feldbeobachtungen und schriftlich verfasste Feldprotokolle sind dabei Erhebungsinstrumente, welche die Aufnahme eines räumlichen Inventars sowie deren (An-)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen strukturiert erfassen können. Diese (An-)Ordnungen in Räumen können kartiert und dokumentiert werden. Sie repräsentieren dann eine Datenquelle, die einem Auswertungsprozess zugeführt werden kann. Feldprotokolle und Interviews stellen zwei Datengrundlagen dar und eröffnen eine mehrperspektivische Interpretation an Fällen. Da der Forscher den Zugang zu bedeutungsstrukturierten Daten nur gewinnt, wenn er eine Kommunikationsbeziehung mit dem Forschungssubjekt eingeht, stellen Experteninterview und Feldprotokolle den Kern der Datenerhebung dar.

Raumanalyse Die empirische (Feld-)Analyse der Konstitutionsweise von Räumen muss mehrere Aspekte berücksichtigen: Wenn die Konstitution von Räumen sozialen Gütern und Menschen unterliegt, so gilt es, im Anschluss an Martina Löw, die einzelnen Konstitutionselemente zu erheben. Ebenso müssen die Beziehungen der jeweiligen Elemente untereinander benannt werden. Martina Löw weist darauf, dass man sich „meist auf die materiellen Elemente des Relativs konzentriert und Beziehungen nur aus Vergleichen abgeleitet“ hat (Löw 2001, S. 218, bezugnehmend auf Sturm 2000, S. 151). Das bedeutet, dass ein methodisches Design zu entwickeln ist, das den Blick auf die „Beziehungen zwischen den Elementen von der Kenntnis der Elemente“ wirft und einen auf „die Bestimmung der Elemente, ausgehend von der Kenntnis der Relationen“ (Löw 2001, S. 219). Ein Analyseprozess muss, so schlussfolgert Löw, in einem ersten Schritt die Verknüpfungsleistungen als singuläre Einheit empirisch erheben. Die daraus generierten Resultate müssen anschließend auf einer Strukturebene analysiert werden. Die Verfasstheit dieser Resultate erklärt sich nicht ausschließlich auf der Fallebene, sondern auch auf einer kontextsensitiven Strukturebene. Löw schlägt daher vor, mit der „Untersuchung der sozialen Güter und Menschen in ihren Anordnungen zu beginnen“, gefolgt von der „Analyse der Syntheseleistungen“ und der „Bearbeitung der Spacingprozesse“, und zuletzt die „Erforschung der räumlichen Strukturen“ vorzunehmen (ebd., S. 223). Übertragen auf die Fragestellung bedeutet dies, in einem ersten empirischen Schritt Akteure mit Hilfe von offenen und themenzentrierten Experteninterviews nach ihren ausbildungsbiografischen sowie sozialisatorischen Verläufen zu befragen. Dabei erfolgt eine Fokussierung auf die sozialen, materiellen und symbolischen Raumzuschreibungen, die sich in ihrer Rückschau 167

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

sowie ihrer momentanen Situation ergeben. In einem weiteren Schritt wird empirisch ermittelt (wie gleichsam interpretativ rekonstruiert), wie in die Vorstellungen der Akteure verschiedene Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erlebnisdimensionen eingeschrieben sind. Diese lassen Rückschlüsse auf Habitusformen und Raummuster der Akteure zu. In einem sich anschließenden Schritt wird nach den Spacingprozessen gefragt, die diese Akteure zur Durchführung einer unternehmerischen Praxis an den Tag legen. Die Logik ihrer Arbeitsorte, die Funktionsweise ihrer Mikroräume und ihre generellen Bedarfe und Ansprüche an Raum werden mit den Biografie- und Interaktionsverläufen der Akteure verkoppelt. Die Zusammenführung der beiden empirischen Stränge fokussiert auf die unternehmerische Praxis, die Organisation von Arbeit und Ort sowie die dabei angewandte Politik der Gestaltung des Ortes. Dabei spielen strategische, intendierte, zeitlich rhythmisierte Handlungsoptionen, die anhand sozialer Praktiken rekonstruiert wurden, eine wichtige Rolle. Der Interpretationsprozess zielt darauf ab, unternehmerische wie räumliche Strukturmuster und Strukturformationen über die in den Ort eingeschriebenen Reproduktionspraktiken und Produktionslogiken zu rekonstruieren.

V o r g e h e n sw e i s e , D a t e n g e n e r i e r u n g und Interpretationspraxis Im Folgenden wird ein mehrdimensionales und 3-stufiges Forschungsdesign vorgestellt. Es entfaltet sich vor dem Hintergrund der diagnostizierten kulturell-wissensbasierten und urbanen Transformation und berücksichtigt die Emergenz neuer professioneller Akteure. Insbesondere ihre sozialen Praktiken geben Auskunft hinsichtlich ihrer sozialen, unternehmerischen und räumlichen Konstituierungsweise.

Struktur- und Kontextbestimmung: Situation von Designbüros Die empirische Vorgehensweise wird sich in einem ersten Schritt auf die Ergebnisse sekundärer Strukturdaten von Berliner Designern aus dem Jahr 2003 beziehen. Andere Indikatoren sind: Betriebsgröße, Umsatz, Kundenstruktur, Standorte und Gründungsjahr. Die Anzahl der Unternehmensgründungen wie die Entwicklung der Zahl der Beschäftigen im Zeitverlauf gaben Auskunft über Fluktuation und Persistenz dieser Kleinstunternehmen. Die Benennung der Beschäftigtenzahlen der gegründeten Firmen sowie die Reichweiten ihrer Absatz- und Kundenmärkte hingegen gaben Auskünfte über die Struktursituation dieses Dienstleistungssegments. Der Umfang ihres Umsatzvolumens ist ein weiterer Indikator und erlaubt die Darstellung eines ersten ökonomi168

METHODIK – FALLANALYSEN

schen Strukturbildes. Auf der Grundlage dieser Indikatoren konnte eine erste Strukturbeschreibung vollzogen werden. Ebenso wurden staatliche Rahmenprogramme im Bereich der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen in Dienstleistungssegmenten hinsichtlich ihrer Zielrichtung und Intension benannt. Es wurden weitere Strukturbeschreibungen des Segments der Berliner Kulturökonomie vorgestellt. Benannt wurden auch erste Erwähnungen von neuen Professionsgruppen in Stadtmagazinen sowie die Attribute, die ihre Selbständigkeit, ihre Rolle und ihre Professionspraxis vorstellen. Im Verbund mit den quantitativen Strukturparametern lassen sich somit erste aussagekräftige Anhaltspunkte hinsichtlich der Struktursituation von Symbolproduzenten in Berlin vorstellen.

Kontextsituation der Akteure Staatliche Beschäftigungsförderprogramme (Ich-AG) und normative Setzungen (Selbständigkeit) sind aus der Sicht der Akteure als wirkungsmächtige staatliche Technologien sowie kommunikative und mediale Diskurse anzusprechen. Sie stellen neben den faktischen Rahmensetzungen auch diskursive Parameter dar. Die vorgestellten Strukturbeschreibung von Berliner Symbolproduzenten zeigen landes- und stadtspezifische Besonderheiten und Differenzierungen gegenüber generellen Beschreibungen von Symbolproduzenten in Städten auf. Die Berliner Kulturökonomie wächst insbesondere im Bereich von kleinstunternehmerischen Symbolproduzenten. Ihre Umsätze sind als gering, die Mieten ihrer Arbeitsräume im Vergleich zu anderen Metropolen als durchschnittlich niedrig und die Fluktuation generell als hoch zu beschreiben. Gleichsam ist ihre Außendarstellung und Wirkung jenseits der Stadtökonomie sowie außerhalb der Stadtgrenzen als sehr hoch einzustufen: Die Stadt Berlin wurde am 19. Januar 2006 als „Stadt des Designs“ in die Liste der UNESCO aufgenommen. Neben Berlin sind Buenos Aires (Argentinien), Aswan (Ägypten), Santa Fe (Mexiko), Popayan (Kolumbien) und Edinburgh (Schottland) in einem „Creative Cities Network under the framework of UNESCO’s Global Alliance for Cultural Diversity“ mit unterschiedlichen Stadtprofilen zusammengefasst.

Felderhebung und Datengenerierung Die eingangs vorgestellten Parameter beschreiben die Struktursituation, den faktischen sowie diskursiven Kontext, in dem sich die unternehmerische Praxis von Symbolproduzenten entfaltet. Diese Basisindikatoren eröffnen erst die Möglichkeit, eine analytische Fokussierung auf die Verlaufssituation der Symbolproduzenten vorzunehmen.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Mit offenen themenzentrierten Experteninterviews, Feldprotokollen und mikrokartografischen Situationsaufnahmen der Büro- und Arbeitsräume werden probate methodische Erhebungsverfahren herangezogen, um multiperspektivische Felddaten zu gewinnen. Das zentrale Forschungsvorhaben wird durch die Aussagen der Strukturparameter des ersten Auswertungsschrittes gelenkt. Dieses operiert dann mit qualitativen Erhebungsverfahren. Das dabei praktizierte empirische Vorhaben eröffnet zielgenau und forschungseffizient das soziale Feld der Akteure. Es schließt es gleichsam systematisch auf. Strukturanalyse und Kontextparameter sind grobmaschige Feldbeschreibungen und lenken die Fallauswahl sowie die Fragestellungen. Vor dem Hintergrund erster Kontextinformationen durch die Ergebnisse der Strukturdaten wird ein Einstiegsfall ausgewählt. Die Auswahl von Fällen ist in qualitativen Verfahren nie absolut objektiv und frei von Vorwissen zu steuern. Sie unterliegt der Perspektive des Forschers sowie seinem Zugang zum Forschungsfeld, in dem sich die Akteure bewegen. Die Auswahl dieses ersten Falles erfolgte aber nicht willkürlich, sondern durch im Voraus festgesetzte Kriterien, die sich systematisch aus der Forschungsfrage ergeben: Die im folgenden Empiriekapital analysierten vier Fälle wurden anhand folgender Kriterien ausgewählt: Sie mussten a) zwischen 1999 und 2002, d.h. innerhalb von vier Jahren, eine Unternehmensgründung praktiziert haben und weitestgehend formal selbständig agieren; des Weiteren b) mussten die beruflichen Haupttätigkeiten der Akteure mehrheitlich im Feld der symbolintensiven unternehmensbezogenen Dienstleister, d.h. der Symbolproduktion, angesiedelt sein; ebenso mussten sie c) eine Niederlassung in Form eines Büros oder Arbeitsortes in der Stadt Berlin aufweisen. Diese Kriterien fokussieren auf die Statuspassage, die sich mit der Gründung eines Unternehmens einstellt. In dem Übergang von einer Ausbildungs-, Angestellten- oder auch Erwerbslosenphase in eine neue Berufsformation und -konstellation stellen sich neue Options-, aber auch Risikolagen ein. Es müssen neue Entscheidungen und Bewertungen getroffen wie ebenso ökonomische, kulturelle, soziale und organisatorische Investitionen getätigt werden. Diese Passage wird für den Erkenntnisprozess der Arbeit als ein „Fenster“ verstanden, durch das Auskünfte über die sozialen, unternehmerisch-identifikatorischen und strategisch-räumlichen Konstituierungsprozesse dieser Akteure erschlossen werden können. Es ist zu erwarten, dass dieser Entscheidungsprozess und dieser Umbruch sowie die daraus folgenden Handlungen ein Licht auf die Interpretation der räumlichen Kontexte, das unternehmerische Feld, die ökonomischen und kulturellen Logiken sowie die kommunikativen Bedingungen wirft, in dem die Akteure agieren. Die kategorialen Kriterien, die die Auswahl von vier Ausgangsfällen bestimmt hat, gewährleistet bei allen Fällen eine vergleichbare Ausgangsstruktur. Dies gilt zudem für die Position als Unternehmensgründer sowie für die 170

METHODIK – FALLANALYSEN

Marktbereiche, in denen sie operieren. Es sind jedoch ebenso klare Differenzen innerhalb der Fälle zu erwarten: Sozial-organisatorische Verfahrensweisen, Territorialverständnisse und heterogene sozial-kommunikative Unternehmenspraktiken können Eckpunkte darstellen, die Aufschlüsse über den Formenreichtum dieser Passage und ihre Effekte geben. Die Durchführung der Interviews erstreckt sich über den Zeitraum von Juni 2002 bis Januar 2003. Ausgehend von einem ersten analyisierten Fall erschlossen sich durch das Bewegen des Forschers im Feld drei weitere Fälle, die in daran anschließenden Kapiteln einer Analyse unterzogen wurden. Entsprechend des vorgegebenen mehrdimensionalen und multiperspektivischen Forschungsdesigns wurden im Verlauf der Feldforschung unterschiedliche Datentypen generiert. Während die quantitativen Sekundärstatistiken im weitesten Sinne frei zugänglich waren, wurden in der sich anschließenden Phase der Feldforschung und der Interviews andere Datenformate ermittelt. Anvisierte Gesprächspartner wurden mit einem Brief informiert und telefonisch angefragt, ob sie sich für ein Interview bereit erklären würden. Im Rahmen der durchgeführten Interviews wurden Tonbandmitschnitte und im Anschluss an das Gespräch Verlaufsprotokolle angefertigt. Im Zuge der Feldarbeit konnten die Räumlichkeiten fotografisch aufgenommen werden. Die Anfertigung einer Skizze der Verteilung und Anordnung der in den Räumlichkeiten befindlichen Gegenstände, Materialien und Medien stellt eine zusätzliche Datengrundlage dar. Darüber hinaus stellte sich schrittweise eine Integration in die Beziehungsstrukturen und die Kontaktnetze der Symbolproduzenten ein. Dies eröffnete zusätzliche Informationen zu weiteren unternehmerischen und sozialen Praktiken der Akteure. Der Zugang zu diesen fallspezifischen Aktivitäten erfolgte durch digitale Übersendung von Einladungen zu Ausstellungen, Feiern, Produktvorstellungen, Diskussionsveranstaltungen etc. Somit konnten vor dem Hintergrund des ersten intensiven Gesprächs weitere Aktivitäten teilnehmend beobachtet und diese wiederum über Feldprotokolle dokumentiert werden. Im Anschluss an die erste Kontaktaufnahme muss retrospektiv angenommen werden, dass ich durch mein Forschungsinteresse an der Lebenswelt der Akteure sukzessiv Bestandteil einer zunächst unbekannten kollektiven Netzstruktur wurde. Strukturierung, Rhythmisierung, Regeln, Verhaltensweisen, räumliche Verteilungen und weitere Netzstrukturen waren zunächst unbekannt. Die Feldbeobachtungen folgten konsequenterweise nicht mehr meinen individuellen Zeit- und Arbeitsvorhaben sowie meinen „Wegstrecken“, sondern den Geographien, Praktiken und Zeitabläufen des sozialen Feldes sowie ihrer Akteure. Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass spätestens im Sommer 2003 eine dokumentierende empirische Erhebung der Aktivitäten

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

des Feldes beendet wurde. Weitere Aktivitäten, Erkenntnisse und Hinweise fanden nur einen punktuellen und ergänzenden Eingang in die Arbeit.

Interpretationspraxis Der Interpretationsprozess zielt darauf ab, aus den vorliegenden empirischen Daten systematisch Typologien zu bilden. Vier Fälle stellen dabei den Ausgangspunkt der Interpretation dar. Deren Auswertung ergab zunächst fallspezifische thesenartige Ergebnisse. Da die Interpretation des qualitativen Datenmaterials den komplexesten Bereich der Interpretation und Analyse einnimmt, wird im Folgenden erläutert, nach welchen methodischen Grundlagen das empirische Fallmaterial ausgewertet wurde, um das Ziel einer systematischen Typisierung an Fällen einzulösen. Die im weiteren Verlauf explizierten Auswertungsschritte sind in der Grafik 6 auf der folgenden Seite in Form eines Ablaufschemas zusammengefasst.

Interpretationsprozess Ausgangspunkt sind die kontextbeschreibenden Strukturparameter (siehe Grafik 6, Analyseebene 0 auf der folgenden Seite). Darauf aufbauend konzentriert sich die Interpretation auf die qualitativen Daten. Die vorliegenden Datentypen werden in einem ersten Schritt zunächst auf ihre biografischen sowie bildungsbiografischen Merkmale hin geordnet. Die dabei offenkundigen und expliziten Sequenzen werden identifiziert und in ihrer Verlaufsform organisiert (siehe Grafik 6, Analyseebene 1) (Bohnsack 1999, S. 112). Vor dem Hintergrund der Fokussierung auf die Statuspassage Unternehmensgründung wurden die Textaussagen systematisch nach weiteren biografisch-unternehmerischen Verlaufsbeschreibungen hin untersucht. Dabei ist für die Rekonstruktion der Statuspassage Unternehmensgründung von einer chronologischen Vorbereitungs-, Eintritts-, Verweil- und eine Austrittsphase auszugehen. Sie kann charakteristische Elemente des individuellen Umgangs sowie Zuschreibungen an soziale Rahmungen, markante Erlebnisse, Brüche und Besonderheiten aufweisen. Dabei werden sich im Prozess der Lebensentwicklung Begründungsangebote und Selbstbeschreibungen zu erkennen geben, die Erkenntnisse über die Verfahrensweisen dieser Akteure und ihrer Milieus zeigen. Aus diesen Darstellungen der eigenen Biografie lassen sich Themen und Topoi identifizieren und rekonstruieren, sodass über deren isolierte Darstellung systematische Schlussfolgerungen über die Konstitution eines jungen, im Entstehen befindlichen sozialen Systems gezogen werden können.

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METHODIK – FALLANALYSEN

Grafik 6: Methodik – Analyse – Interpretationsprozess Fragestellung - Analyse der Entwicklungsdynamiken Analyseebene 0 Operation

Analyseebene 1

Zwischenergebnis

Struktur- u. Beschäftigtendaten unternehmensbezogener Dienstleister (IHK, IDZ u.a.) Politikprogramme sowie Medienberichte (Zitty, Tipp etc.) Ziel:Vergleichende Struktur- und Beschäftigten- und Medienanalyse

Fallanalyse (strukturiert nach Berufssozialisierung, Unternehmensgründung, Verortungs- und Positionierungsstrategien, Projektsteuerung). Auswertungsmethode, orientiert an „Systemanalye“: Paraphrasierung, Äußerungskontext, Wirkungskontext

„Entdecker“

„Plattformer“

„Microglobalizer“

„Transformator“

Thesenartige Fallskizzen und Falltypiken

Operation

Minimale oder maximale Kontrastierung der in der Analyseebene 1 gewonnenen thesenartigen Fallstrukturen mit weiteren Fällen

Analyseebene 2

Differenzierung der Fallstrukturen: (Zentrale Merkmalausprägungen der in der Analyseebene 1 generierten Fälle werden durch minimale oder maximale Kontrastierung präzisiert, differenziert oder variiert).

Zwischenergebnis

Konstitutionsprozesse

„Entdecker 1.0“

„Plattformer 1.0“

Rekonstruktionsprozesse

„Microglobalizer 1.0“ „Transformator 1.0“

Fälle und Falltypiken

Operation

Analyseebene 3

Zusammenführung der Fallausprägungen

Falltypik: (Zusammenführung der Fallstrukturen, Rekurierung auf die spezifische Strukturlage der Transformationsstadt Berlin: Generation Berlin?).

Interpretation

„Culturepreneurs“: Typologien - Ausprägungen - Varianten Ergebnis

Systemlogiken - Dynamiken

Quellen: eigene Darstellung, orientiert an Froschauer/Lueger 2003, S. 142158 und Flick 2000, S. 252 ff.

Instrumente der Interviewauswertung Ausgangspunkt sind die kontextbeschreibenden Strukturparameter (siehe Grafik 6, Analyseebene 0, aber auch Kapitel 2.3). Darauf aufbauend konzentriert sich die Interpretation auf die qualitativen Daten. Die vorliegenden Datentypen werden in einem ersten Schritt zunächst auf ihre biografischen sowie bildungsbiografischen Merkmale hin geordnet. Die dabei offenkundigen und expliziten Sequenzen werden identifiziert und in ihrer Verlaufsform organisiert (siehe Grafik 6, Analyseebene 1) (Bohnsack 1999, S. 112).

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Vor dem Hintergrund der Fokussierung auf die Statuspassage Unternehmensgründung wurden die Textaussagen systematisch nach weiteren biografisch-unternehmerischen Verlaufsbeschreibungen hin untersucht. Dabei ist für die Rekonstruktion der Statuspassage Unternehmensgründung von einer chronologischen Vorbereitungs-, Eintritts-, Verweil- und eine Austrittsphase auszugehen. Sie kann charakteristische Elemente des individuellen Umgangs sowie Zuschreibungen an soziale Rahmungen, markante Erlebnisse, Brüche und Besonderheiten aufweisen. In diesen Ablaufmustern können aber auch Neuorientierungen, Umbewertungen, Umkehrungen oder Kontinuitäten zum Ausdruck kommen. Gerade existenzielle Veränderungen wie die Gründung eines Unternehmens lassen es nahe liegend erscheinen, dass dabei retrospektiv sowie prospektiv Bewertungen vollzogen und ebenso artikuliert werden.

Instrumente der Interviewauswertung Sind in den Textpassagen des Datenmaterials explizite Benennungen und Zuschreibungen identifizierbar, so können diese themenanalytisch aufgearbeitet werden (Froschauer/Lueger 2003, S. 158, Mayring 2003). Mit dieser Methode können die Textmenge reduziert und die zentralen Themen benannt werden. Zudem lassen sich dabei die benannten Charakteristika des Themas herausarbeiten sowie die Abfolgen der Themen im Gesprächsverlauf zur Sprache bringen. Auf diese Weise werden Unterschiede zwischen einzelnen Fällen herausgearbeitet sowie offensichtliche Besonderheiten analysiert. Die diesem Verfahren nahestehende Variante ist die Inhaltsanalyse (Mayring 2003). Die bei dieser Auswertungsvariante im Vordergrund stehende Auswertungspraxis konzentriert sich auf die Codierung von wiederkehrenden Themen und praktiziert über eine sich daran anschließende Begriffshierarchie eine quantitative Verdichtung und Überprüfung von Hypothesen. Diese Variante erscheint nicht zwingend notwendig, da die subsumierende Logik durch eine quantitative Verdichtung nur bedingt einen Erkenntnismehrwert für die Fragestellung erwarten lässt. Die fallspezifische Inhaltsanalyse, von Froschauer und Lueger auch Themenanalyse genannt, paraphrasiert somit in einem ersten Schritt (siehe Grafik 6, Analyseebene 1) den manifesten Gehalt der Textaussagen. Dabei wurden erlebnis- und erfahrungsbezogene Artikulationen als strukturierender Ausgangspunkt der Paraphrasierung von Biografie und Unternehmensgründung genommen. Die Paraphrasierung filtert die zentralen Themen von Interviewpassagen heraus und reduziert sie auf den wesentlichen Anteil des explizierten Sachverhalts. In einem sich anschließenden Schritt wird nach den Deutungen der strukturellen Rahmung des Handlungsfeldes gefragt.

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METHODIK – FALLANALYSEN

Da ein durchgängig themenanalytisches Auswertungsverfahren eine eher geringe analytische Tiefe mit sich bringen würde, musste an zentralen Interviewstellen auf eine detaillierte Analysevariante zurückgegriffen werden. Froschauer und Lueger schlagen eine Systemanalyse vor, die auf den latenten Sinngehalt von schriftlich niedergelegten Aussagen eingehen kann. Diese ermöglicht ein höheres Abstraktionsniveau (Froschauer/Lueger 2003, S. 142). Die Systemanalyse hat den Vorteil, prozessdynamische Aspekte der von den Akteuren eingenommenen und benannten Felder zu rekonstruieren. Der interpretative Fokus liegt auf den impliziten Zuschreibungen des sozialen Systems, in denen der Interviewte interagiert. In diesem Interpretationsprozess werden Lesarten generiert, d.h. plausible Deutungen, aus denen auch Vermutungen und erste Thesen abgeleitet werden können (Froschauer/ Lueger 2003, S. 149). Diese beziehen sich dann nicht mehr ausschließlich auf den individuell-biografischen Verlauf, sondern auf die Meso-Kategorie eines „konjunktiven Erfahrungsraums“ (Bohnsack 1998, S. 120–121). Im Anschluss wird nach den möglichen Folgen der Aussagen sowie den Auswirkungen gefragt, die diese Äußerungen auf den systemischen Zusammenhang eines Milieus oder einer Szene haben können. Neben den vorliegenden Text- und Bilddokumenten wurden – im Sinne der mehrperspektivischen Erhebung – weitere Datenquellen organisiert und in den Auswertungsprozess integriert. Dazu wurden erstellte Lageskizzen der Büro- und Arbeitsräume herangezogen, die sich an Dokumentationsverfahren im Rahmen von ethnografischen Workplace Studies orientieren. Workplace Studies stehen in enger Beziehung zu ethnografischen Methoden sowie Kontextanalysen (Knoblauch 1996; 2000). Sie richten die Aufmerksamkeit auf die Praktiken und die praktischen Begründungen, mit denen bestimmte Handlungen sinnstiftend im Vollzug mit anderen Akteuren und Materialitäten durchgeführt werden. Weiteres Material wurde in Form der erstellten Produkte (Webseiten, Flyer, Prints, Layouts etc.) der jeweiligen Gesprächspartner zur Unterstützung der jeweiligen Fallanalysen herangezogen. Somit konnte in dem ersten Schritt eine Falltypik thesenartig vorgestellt werden (siehe Grafik 6, Analyseebene 1). Grundsätzlich handelt es sich bei der Erstellung einer ersten Typologie um das „Ergebnis eines Gruppierungsprozesses, bei dem ein Objektbereich anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen bzw. Typen“ eingeteilt wird (Kluge 1999; 2000, S. 2). Die gruppierten Elemente innerhalb eines Typus weisen eine interne Homogenität auf der „Ebene des Typus“ auf und zeichnen sich durch Ähnlichkeiten und Passfähigkeiten aus. Ebenso können sich die Typen voneinander stark unterscheiden, in dem sie eine externe Heterogenität auf der „Ebene der Typologie“ aufweisen (Kluge 1999, S. 26). Mit dem Begriff Typus werden die gebildeten Teil- oder Unterelemente einer Fallanalyse bezeichnet. Sie weisen gemeinsame Eigenschaften auf und 175

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

können anhand der Konstellation dieser Eigenschaften beschrieben und charakterisiert werden. Jeder Falltypus kann – trotz all der Unterschiede, die zwischen Falltypen hinsichtlich formaler Eigenschaften wie dem Grad der Abstraktheit, der Komplexität, des Zeit-Raum-Bezugs, des Realitätsbezugs etc. bestehen können – inhaltlich durch die Kombination seiner Merkmalsausprägungen definiert werden (Kluge 2000, S. 2). Die in dem ersten Analyseschritt entwickelten thesenartigen Falltypiken bestehen aus einer Kombination von Merkmalen. Zwischen den einzelnen Merkmalsausprägungen müssen jedoch nicht nur empirische Kausalbeziehung, sondern auch inhaltliche Sinnbeziehungen bestehen.

Plausibilitätsprüfung Zur Überprüfung dieser Interpretamente im Anschluss an die Analyseebene 1 wird eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt. Sie orientiert sich nach minimalen und maximalen Kontrastierungsregeln auf der Ebene der vier Fallanalysen (Flick 2002, S. 308-316). Eine minimale Kontrastierungsregel besagte z.B., die Ergebnisse und Thesen von Fällen zu vergleichen, die ihren Standort im gleichen Bezirk und innerhalb der vergangenen zwei Jahre eine Unternehmensgründung vollzogen haben, diese aber einem anderen Subsegment (bspw. Printmedien) zuzuordnen sind. Aufbauend auf den zentralen Erkenntnissen der ersten vier Fallanalysen wurden also mit minimalen und maximalen Kontrastierungsregeln Fallelemente des ersten Typisierungsschrittes überprüft. Die thesenartigen Fallrekonstruktionen des ersten Auswertungsschrittes wurden dadurch einer systematischen Plausibilitätsprüfung unterzogen. Der Auswertungsvorgang dieser Prüfung orientiert sich am Verfahren der „fallvergleichenden Kontrastierung“ (Gerhardt 1991, S. 435-439). Die Analyse der inhaltlichen Sinnzusammenhänge und Typenbildung orientiert sich an der Suche nach signifikanten „widersprechenden“ und „abweichenden“ Strukturmerkmalen in den herangezogenen Fallelementen. Dadurch konnte die thesenartige Falltypik des ersten Analyseschrittes kontextuiert und kritisch reflektiert werden. Die Charakterisierung der gebildeten Typen basiert deshalb auf inhaltlichen Sinnzusammenhängen. Sie zielt darauf ab, das Typische anhand von Mustern, Regeln und Beziehungen zu erfassen. Im dritten Schritt löst sich die Interpretation von den Äußerungsgestalten und -formen der ersten und zweiten Analyseebene. Sie diskutiert die rekonstruierten Typiken und Fallausprägungen im Kontext der Einbeziehung von Strukturerkenntnissen von Analysen im Feld der Berliner Kulturökonomie (siehe Grafik 6, Analyseebene 3). Die Typisierung anhand von Fällen liefert dadurch Antworten auf individuelle Verfahrensweisen der Unternehmensgründung in einem städtischen Kontext. Die Typisierung liefert zudem Er176

METHODIK – FALLANALYSEN

gebnisse, wie sich wissensbasierte kulturelle Unternehmer territorial verorten und an der Konstitution einer neuen professionellen Szene mitwirken. Es zeigen sich Prozesse und Verfahren der sozialräumlichen Vergemeinschaftung, aber auch Strategien der Raumaneignung sowie generell Strategien der mikround mesoräumlichen Ortspolitik. Die Analyse von unternehmerischen Milieus und Szenen weist eine Differenz zu den analytisch davon zu trennenden Erfahrungsräumen von Gruppen, Vereinen, Firmen und Firmennetzen auf. Sie ermöglicht die Analyse der sozialen Zugehörigkeit und Teilhabe der untersuchten Akteure auch auf einer übergemeinschaftlichen, neu emergierenden Strukturebene. Es bleibt der Interpretation geschuldet, inwiefern diese im Entstehen begriffenen Vergemeinschaftungsprozesse den Charakter einer gemeinsam geteilten „sozialen Welt“ im Sinne der Tradition der Chicagoer Schule darstellen. Die abschließende Interpretation des empirischen Materials wird zudem darauf fokussieren, inwieweit diese Prozesse der Herausbildung von professionellen Szenen eine Vorstufe von sozialen Professionsmilieus mit eigenen, schnell umbrechenden generationsspezifischen Unternehmens- und Ortspraktiken darstellen.

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Unternehmer: Fälle – Muster – Strukturt ypiken

In den folgenden Teilkapiteln werden die Ergebnisse von vier Fallrekonstruktionen vorgestellt.1 Sie bauen auf drei Datentypen auf, deren Erhebung und Ermittlung sich in allen vier Fällen nach identischen Vorgaben vollzog: • Interviews, • Feldprotokolle und • Mikrokartografien. Die einzelnen, fallspezifischen Interpretamente wurden für die Darstellung in dieser Textform um die Großkategorien (a) Vorinformationen, (b) professionelle Identität, (c) Unternehmensgründung und (d) Ortspolitik gegliedert. Diese Großkategorien resultieren aus der Fragestellung sowie der damit einhergehenden Gesprächsstruktur der Interviews und wurden, insbesondere in der Frage der Wahrnehmung und der (An-)Ordnung und Gestaltung des Ortes, durch Feldprotokolle und Mikrokartografien der Orte und ihrer symbolischen Bedeutungszuweisung ergänzt. Es werden – ebenso wie in den weiteren Fallanalysen – im Folgenden themenzentrierte Lesarten generiert. Aus dem vorliegenden empirischen Material werden fallgestützte Antworten in Form von sozialen Praktiken, unternehmerischen Strategien sowie Ortspolitiken rekonstruiert und dann als thesenartige Strukturmuster vorgestellt. In einem zusammenfassenden vorletzten Teilkapitel erfolgt eine erste Typisierung, in einem abschließenden Teilkapitel sind die Ergebnisse zusammengefasst.

1

Die Namen der Interviewpartner wurden mit „IP“ anonymisiert. Der Name der jeweiligen Unternehmen konnte mit der Zustimmung der Interviewpartner zum Gegenstand der Interpretation gemacht werden.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Fall 1: Entdecker, Narrateure und Designer des neuen „Berlins“ Vorinformation Die beiden Gesprächspartner (eine Frau und ein Mann) sind 26 bzw. 27 Jahre alt. Sie stammen aus Luzern (Schweiz), wo sie eine Ausbildung zum GrafikDesigner (Hochschule) absolvierten. 1998 zogen sie nach Berlin, wo sie zunächst als freie Mitarbeiter und Selbständige in verschiedenen Agenturen im Bereich Grafik-Design arbeiteten. Im Jahr 2000 fungierte einer der beiden Akteure für drei Ausgaben als Art Director eines Magazins mit dem Titel Berliner. Seit Januar 2002 arbeiten die beiden Akteure zusammen unter einem gemeinsamen Label in einem vormals leer stehenden Ladengeschäft im Bezirk Friedrichshain (Berlin). Die gemeinsame Unternehmensgründung erfolgte im Jahr 2000. Ihre Unternehmensgründung war im Jahr 2002 Bestandteil des Quartiersmanagement-Projektes Boxion, welches wiederum Bestandteil des Senatsprojekts „Soziale Stadt“ ist. Das Stadtteilkulturförderungsprojekt „Boxion“ soll leer stehende Einzelhandelsläden um den Boxhagener Platz im östlich gelegenen Stadtteil Friedrichshain wiederbeleben und Existenzgründern im Bereich Kunst und Kultur den Start erleichtern. Die Produkte der beiden Akteure sind im Bereich Grafik-Design und Printbereich sowie in letzter Zeit verstärkt im Webdesign angesiedelt. Neben kleineren Aufträgen waren sie im Jahr 2000 – unter einem anderen institutionellen Dach und mit unterschiedlichen Aufgaben – für das Design des Magazins Berliner zuständig und verantwortlich. Drei Ausgaben dieses aufwändigen und qualitativ hochwertigen Magazins wurden veröffentlicht, dann scheiterte das Projekt in der Hochphase der New Economy an einer weiteren Finanzierung. Das Hauptinteresse dieses Magazins bestand darin – nomen est omen –, „Berlin“ neu zu entdecken.

Neu-Berliner Auf die Frage nach der Motivation, überhaupt in die Stadt Berlin zu kommen und dort unternehmerisch tätig zu werden, wird zunächst auf eine enge Verbindung zwischen praktizierter Ausbildungsform, unhinterfragter Ortsauswahl sowie individuellem Erfahrungsanspruch verwiesen: IP 1: Ja, ich mein, also es war für uns nach dem Studium, also du hast eben weiter studiert, ich hab dann, nach dem Studium war klar eben, ich muss nach Berlin. Und wollte mich da so ein bisschen ausprobieren, was, wie ich mit meinem Job, gelernten Job sozusagen Fuß fasse, und hatte da irgendwie aufgrund von auch irgendwie

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Leuten, die davon wussten und so weiter schon Möglichkeiten, Angebote bekommen. Und dann war ich da sehr locker drauf und hab dann gehört, dass sie gerade in der Stadt ist. Und sie hat mir damals vom, also eben vom Magazin, von diesem Projekt erzählt“ (Z. 71-77).2

Sequenzen wie: „…ich muss nach Berlin. Und wollte mich da so ein bisschen ausprobieren…“ (Z. 72-73) stellen auf der einen Seite eine unspezifische, Ichbezogene, wenngleich erfahrungshungrige Experimentieraufforderung dar. Auf der anderen Seite artikuliert sich eine prinzipielle Offenheit und Flexibilitätsbereitschaft, aufbauend auf dem bisher Erlernten neugierig neue berufliche Optionen und Wege auszutesten. Berlin scheint der geeignete Ort zu sein, repräsentiert eine „Projektionsfläche“ und einen Gegenhorizont, auf die man die eigenen Erwartungshaltungen überträgt. Das Moment der Unbestimmtheit und der „Ich-Zuschreibung“ wird durch Attribute wie „locker“ (Z. 76) bestärkt und zeigt somit die Bereitschaft zu einem hohen Maß an individueller Flexibilität, die regelrecht als Normalitätsstandard verstanden wird. Schon während der Ausbildung wird erkannt, dass nach einem formalen und festgelegten Lernprogramm („Studium“) mit klaren Regeln und Strukturen, sich eine regelrecht alternative, strukturell offene Lebensphase anschließen muss. Dieser Anspruch muss, so die These, mit einer passfähigen territorialen Entsprechung verkoppelt werden, von der aus berufliche Optionslagen überhaupt erst entwickelt werden können. Die Dimension Ort und Beruf sind retrospektiv mit perspektivischen Offenheiten verzahnt und zudem an ein informelles und noch unklares Beziehungsnetz von „Leuten“ (Z. 74) gekoppelt. Diese stellen Ansatzpunkte dar, um über dieses Beziehungsnetz Einstiege in Arbeit und Aufträge zu ermöglichen. Die strukturelle Offenheit über den weiteren und sicherlich unklaren Verlauf wird aber an eine Lebensphase gekoppelt, die mit „locker“, „irgendwie“ und „ausprobieren“ umschrieben wird und weniger von Schwierigkeiten und Bedrohungen ob der neuen undefinierten zukünftigen Situation sprechen. Die Strukturbedingungen, als „Schweizer“ nach einer Berufsausbildung in die Stadt „Berlin“ zu kommen, lassen die Stadt als regelrecht extraterrestrische Enklave in einem Niemandsland erscheinen. Das Motiv der Insel verweist in seinem objektiven Sinn auf ein entferntes Territorium. In der dabei konstruierten Distanz wird ein Maximum an Projektionsspielraum in und über die Stadt gelegt. Die in der Stadt existierenden faktischen sozioökonomischen Bedingungen kümmern beide Akteure nicht, vielmehr sehen sie die Möglichkeit, schnell aus einem strukturell überregelten Kontext „Schweiz“ in einen neu zu entdeckenden und neu zu gestaltenden offenen Strukturkontext mit neuen Herausforderungen zu gelangen: 2

Die folgenden Sequenzen entsprechen dem transkribierten Wortlaut. Die Zeilenangaben sind fallspezifisch. „IP“ ist die Abkürzung für „Interviewpartner“.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

IP 1: Also jetzt finde ich es nicht mehr so komfortabel, aber einfach so, ja, für wenig Geld in diesem Ruhesessel, der total unbequem ist, halt einfach, ja genau, die Nacht durch und das ist wie so eine Beam-Station. Das ist einfach in Zürich einsteigen, du kriegst die Reise gar nicht mit und bist dann da in dieser Stadt. IP 2: Auf der Insel, ja. IP 1: Ich dachte auch jetzt, ich wäre irgendwie in der Nähe vom Meer, wenn ich in Berlin bin. Ich hab mich, ich hab nie die Karte angeguckt und hatte immer das Gefühl, das ist mehr wie Hamburg. (Z. 353-361)

Die Stadt erscheint aus der Sicht der Akteure „beziehungslos“, regelrecht „ortlos“ und „antigeographisch“, eine „Terra inkognita“ und gerade dadurch – aus der Sicht der Akteure – optionsgeladen und gestaltungsreich. Diese erkannte Optionslage Berlin kann auch dadurch bestätigt werden, dass die beiden Akteure zu Vertretern gehören, die an einer neuen symbolischen Beschreibung der Stadt arbeiten und denen das „angebotene“ Material, in Form einer Berliner Materialität (Codes, Symbole etc.) den zentralen Stimulus bietet, den sie benötigen, um diese Wahrnehmung in ein Produkt zu überführen. In der dabei zum Tragen kommenden Identität eines „neuen Berliners“ wird der Bruch zu bekannten Identitätsverständnissen der Stadt offenkundig. In der Beschreibung der Stadterkundigungen nehmen die Akteure die Rolle eines Ethnographen ein, indem sie das kulturell Fremde beschreiben, das Nebensächliche hervorheben und über diesen „Blick“ zum einen eine Position einnehmen, die ihnen die Generierung eines Produktes ermöglicht, sowie zum anderen die Konstituierung einer zumindest temporären Identität als „NeuBerliner“ gewährt. F: Was bedeutet es einem ein Berlin-, in Berlin als Berliner Designer den „Berliner“ zu machen? IP 2: Na eben, das ist ja das Lustige, dass (man) nicht mal Berliner ist. (lacht) F: […] IP 2: Das ist so ein Wunschdenken dann, oder eben halt (dieser bewusste Schritt) […] nach Berlin zu gehen, weil man unbedingt in dieser Stadt leben will. (Das ist natürlich dann) so eine neue Seite entdecken an dieser Stadt, weil das Magazin nimmt ja nicht Leute auf, was, also die schon bekannt waren, (mit) Thematiken, die jeder kannte. Sondern das waren eher solche Hinterhofgeschichten von der alten Oma, ihr Leben, oder dann hatten wir per Zufall einen Architekten kennen gelernt, der die Fernsehturmkuppel gebaut hatte. Oder dann irgendwie so ein Rock’n’ RollClub in Berlin, den es inzwischen schon nicht mehr gibt irgendwie. Einfach so, eigentlich so eher die Randgeschichten. Das war dann halt irgendwie auch so ein schöner Weg (eben) diese Stadt auf eine andere Art und Weise zu entdecken und vor allem auch Leute kennen zu lernen, die hier arbeiten. […] (Z. 596-609).

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

In den Beschreibungen zeigt sich eine breite Angebotslage von situativer Alltäglichkeit Berlins wie Außeralltäglichkeiten, die die beiden Akteure zu einer breiten Wahrnehmungs- und in der Folge zur unternehmerischen Angebotspalette zusammenschnüren. Als Soziographen des Städtischen bietet ihnen die Mischung des städtischen Angebots die Möglichkeit, Sichtweisen zu entwickeln und daraus Ressourcen für designbasierte Produkte zu generieren. Dieser strukturelle Zusammenhang zwischen der Situationsbewertung einer offenen, undefinierten und zu codierenden territorialen Raumsituation in der Lebensphase „Berufseinstieg“ ist als Ausdruck eines aus der Sicht der Akteure relativ ungeregelten und äußerst dynamischen Moments zu bewerten. Er ermöglicht ihnen, in strukturell krisenbehafteten Zeiten eine berufliche Entwicklung nach ihren Ansprüchen zu entwickeln. Die erste Phase zwischen 1999 und 2000, in der beide in unterschiedlichen Positionen an der Herausgabe eines Magazins arbeiteten, erfolgt in der Hochphase der New Economy (und endet somit auch mit dem Niedergang im Jahr 2001). Die beiden Akteure müssen nach der Einstellung des Magazins umdisponieren. Sie erkennen in der individuellen Positionierung als „Stadtbeobachter“ und „städtische Ethnographen“ ihre Aufgabe als Vermittler und Katalysatoren zwischen dem Besonderen des Alltäglichen und der Normalität des Außeralltäglichens und entwickeln daraus ihre berufliche und unternehmerische Identität. Institutionell nach dem Scheitern des Magazins nicht zwingend mit einem sozial-professionellen Kontext verbunden, stellt sich die Frage, wie die Akteure aus der bloßen, sich selbst beschreibenden identifikatorischen Idee eine Fortführung ihrer professionellen Tätigkeit bewerkstelligen. Aus der Einnahme der Beobachterperspektive werden – so die These – nicht nur systematisch neue Produkte generiert, sondern diese parallel auch mit einem sich dynamisch entwickelnden Kontaktnetz verbunden. Das gescheiterte Magazin mit seinen Mitarbeitern zerfällt nicht in anonyme individuelle Einzelteile, vielmehr wird das latente und durch Vorerfahrungen geprägte Beziehungsnetz der unterschiedlichen Mitarbeiter des Magazins über das „neue Berlin“ retrospektiv als eine soziale und professionelle Beziehungs-„Plattform“ verstanden, von der aus die strukturell offene Situation mit noch unklaren Beziehungs„Ankern“ aufgebaut, behutsam gesteuert und über milieuspezifische Aspekte sukzessive in eine weitere Anschlussform sowie Arbeitsform gegossen wird. Dieser Sachverhalt wird zunächst als „sehr freie Plattform“ beschrieben (Z. 82-83). IP 2: Ja, interessiert mich. Weil das ist eben halt eine, weil das eine sehr freie Plattform war, um eben (halt) unsere Sprache zu sprechen, ein eigenes Design zu machen, nicht so auftrag-, also kundengebunden und so auftragsorientiert, sondern

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

eben halt, wir haben uns so ein eigenes Forum geschaffen und das war (halt) im Kontext mit einer Agentur in Mitte … (Z. 82-86)

Die berufliche Einstiegsphase wird mit Attributen beschrieben, die von gestalterischer und struktureller „Freiheit“ sprechen, von Suchbewegungen und Optionslagen, die in der Aufstiegsphase der New Economy in den Jahren 1997– 1999 in Berlin-Mitte sehr prominent waren und sich mit dem Stadtteil sowie einer bestimmten Generation verknüpften. Dabei verbindet sich die „Suche“ mit einem deutlichen „Autonomiegewinn“ und der Vorstellung, in einem relativ entregelten Struktur- und Stadtkontext, wie dem von „Berlin“, sich selbst beruflich zu „finden“ und zu entwickeln. Von der „Einstiegsposition“ aus entwickelte sich ein „eigenes Forum“, ein soziales Beziehungsnetz beruflich ähnlich Gesinnter. Der in der Agentur im Bezirk Mitte eingenommene Status eines tarifvertraglich Angestellten – in der Phase der Herausgabe des Magazins Berliner als Art Director – wird nicht expliziert. Der Berufseinstieg in und durch die Agentur wird mit selbstverwirklichenden, individualistischen und geradezu traditionell künstlerischen Attributen beschrieben. IP 1: (Mit) viel Engagement und, und wenig Geld von allen Beteiligten. Und, ja eben, das war halt schwierig zu etablieren zu der Zeit. Die Leute, die das, die das gestartet haben, waren jetzt nicht Fachleute, Profis aus dem Medienbereich, also jetzt so aus dem Verlagsbereich zum Beispiel, und das war dann halt schwierig, irgendwie aufrechtzuerhalten. (Z. 90-95)

Die Bedingungen, unter denen der Eintritt in die Arbeitswelt vorgenommen wird, sind mit Zuschreibungen versehen, die das fehlende Erfahrungswissen über professionelle Arbeits- und Verfahrensstrukturen in Kombination mit geringem Einkommen in diesem relativ neuen Dienstleistungssegment vor dem Hintergrund extrem hoher Leistungsbereitschaft neu bewerten und zugleich zu kompensieren versuchen. Des Weiteren wird fehlendes Expertenwissen sowie damit verbundene Arbeitsroutine nicht als Mangel bewertet, sondern vielmehr mit hoher Leistungsbereitschaft aufgefangen.

Berufseinstieg Über die künstlerische Leitung und die Herausgabe des Berliner LifestyleMagazins Berliner hat sich für die Akteure eine informelle „Plattform“ eröffnet. Dabei haben die Akteure ihre eigenen Erfahrungen in und mit der Stadt in Teilen zum Gegenstand der Produkte gemacht. Sie produzierten dabei mit dem Magazin Orientierungswissen für Gleichgesinnte. Für ihnen kulturell und lebensweltlich nahe stehende Menschen haben sie zunächst ein Produkt und

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

darüber hinaus eine zentrale Wissens- und Kontaktressource für das weitere Berufsleben geschaffen. IP 2: … gleichzeitig war der Vorteil für uns, dass wir natürlich eine Riesenpublizität damit erreicht haben. In Berlin, wo alle Leute natürlich scharf, oder viele Leute scharf drauf sind, was geht, was ist neu, was passiert, und wir haben da so eine Plattform geschaffen und haben da eigentlich ein Riesennetzwerk damit aufgebaut. Also eben, was uns natürlich jetzt in der Praxis wieder zugute kommt … (Z. 98-102)

Die Verwendung des Begriffs Praxis wird mit einer neuen Berufsphase verknüpft, die die erste Phase in der Rolle des Art Directors ablöst. Gleichzeitig verweist sie auf eine Gleichstellung, bei der die beruflichen „Einstiegsjahre“ auch als Lehr- und Lernjahre aufgefasst werden. Vorhandenes Produkt- und Zeichenwissen sowie Netzwerkkenntnisse und -ressourcen werden als zentral und konstitutiv erachtet. Deren Generierung stellt aber keineswegs eine Garantie für weitere Alleinstellungsmerkmale sowie professionelle Bekanntheit dar. Vielmehr zwingt das berufliche Selbstverständnis des Grafik–Designers zu permanenten, sich selbst überprüfenden Reflektionen. Dies erklärt sich durch das hohe Maß an lokaler und regionaler Konkurrenz um knappe Aufträge sowie den Anspruch, symbolische Definitionshoheit zu erlangen. Somit soll das Ziel erreicht werden, ein Alleinstellungsmerkmal, ein sog. „brand“, zu generieren, das Abgrenzung zu anderen Kollegen und Konkurrenten zulässt. Diese Aktivitäten und notwendigen Verfahren sind aber eingebunden in ökonomische Verbindlichkeiten, die auf die harten Konkurrenzen und tendenziell eher mageren Auftragslagen verweisen: IP 1: … und wie stellen wir uns selber dar und was sind wir eigentlich genau? Sind wir eben so wie alle anderen Dienstleister im grafischen Bereich oder sind wir anders oder –. Sind wir definitiv, aber wo genau und wie kommuniziert man das und so was. (Z. 108-111)

Der Einstieg in diesen Fall thematisiert zum einen die bewusst gewählte Berufseinstiegssituation „Berlin“, auf die sie sich trotz zunächst schwacher und wenig belastbarer berufs- und auftragsrelevanter sozialer Netze einlassen. Zum anderen wird die strukturell offene Berufseinstiegssituation in Bezug zu Dienstleistungsbereichen gesetzt, die in den Jahren 1998–2000 über die Ortsgrenzen der Stadt Berlin hinaus bekannt und von Prosperität gekennzeichnet waren. Trotz der geringen bis kaum vorhandenen Einbindung in die beruflichen Netze der Stadt, wie z.B. Verbände, Vereine und Kammern etc., kann durch enormes Engagement und mitgebrachte Fertigkeiten von außen schnell ein beachtlicher Erfolg verzeichnet werden. Dieser „Erfolg“ stellt einen gewissen Garant dar, von dem aus sich die Möglichkeit eröffnet, durch die Kon185

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

takte zu Kollegen, Kunden und Akteuren ein erstes belastbareres Kontaktnetz aufzubauen. Abseits professioneller und eingespielter Unternehmensabläufe erfolgte die schnelle Einnahme einer Position. Das Produkt „Magazin“ wird strategisch als Vernetzungsmöglichkeit gesehen und bietet eine Kommunikations- wie Vernetzungsressource. Eine zweite Phase der beruflichen Verwirklichung wird dadurch eröffnet, verknüpft sich aber mit dem Anspruch, professionelle Alleinstellungsmerkmale zu entfalten. Die in dem ersten Schritt zu beobachtenden Praktiken werden konstant mit lebensweltlichen Attributen umschrieben und verweisen somit auf die hohe Kohärenz zwischen individuellem Verwirklichungsanspruch, symbolischen Produktionspraktiken und Differenzierungsansprüchen in einem beruflichen Terrain, das durch hohe Konkurrenz, geringe Auftragslage und starke, unvorhersehbare sowie schnelle Marktschwankungen gekennzeichnet ist. Der Berufseinstieg erfolgt abseits traditioneller Vermittlungsinstanzen, er ist perspektivisch offen und zielt darauf ab, nicht nur soziale Netze aufzubauen, sondern sich mit der Gründung gestaltend in das Zentrum dieser Sozialbeziehungen zu postionieren. Dieses soziale Netz fußt zunächst auf latenten Beziehungsstrukturen und erfordert – aufgrund seiner Labilität – passfähige Strategien der Stabilisierung.

Unternehmensgründung im Bezirk Friedrichshain Die Aufgabe bzw. das Scheitern des Magazins setzte die beiden Akteure im Jahr 2001 jedoch zunächst „frei“. IP 1: Dann kamen drei Ausgaben raus, und dann war es leider pleite, und das war dann auch der ausschlaggebende Punkt, weshalb wir heute wirklich zusammen arbeiten. Dass nach diesem Ende des Magazins wir uns halt zusammen getan haben und uns selbständig gemacht haben zu einer Zeit, wo es […] (noch) richtig schwierig war.

Die plötzliche Krise durch die finanzielle Pleite des Magazins ist als Initialmoment zur Gründung eines eigenen Unternehmens zu verstehen. Im Rahmen des Senatsprojekts „Soziale Stadt“ können sich die Akteure im Kontext des im Bezirk Friedrichshain angesiedelten Projekts Boxion in ein leer stehendes Geschäftslokal einmieten. Das eingangs als These vorgestellte strukturelle „Ankunfts“-Muster der beiden Akteure in der Stadt Berlin setzt sich auch in der Beschreibung der Unternehmensgründung fort. Die bewusst offene Strukturlage zwischen dem Besonderen des Alltäglichen und der Normalität des Außeralltäglichen perpetuiert sich auch in der folgenden Aussage, in welcher der Bezirk Friedrichshain thematisiert wird: 186

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

IP 1: Also es ist interessant, manchmal, klar, so neue Kontakte, neue Geschichten von verschiedensten Menschen. Und es ist einfach eine ganz andere Welt. Also, schon, schon okay. […] Einfach so die Leute im Haus selber, der Hauswart, der seine Geschichten erzählt, und wie das hier abläuft […]. Auch wie du informiert wirst über die Geschehnisse hier […]. (Z. 134-137)

Die Zuschreibung bzgl. des Bezirks Friedrichshain, in dem ihre Büroräume lokalisiert sind, erfolgt zunächst unspezifisch, „eigenwillig“ und mit ambivalenten Signalen ausgestattet. Die Attribute pendeln wenig spezifisch zwischen mikrolokalen („Leute im Haus“) und totalisierenden („ganz andere Welt“) Zuschreibungen. Gleichwohl zeigen die Äußerungen ein hohes Maß an Gespür, Alteritätszuschreibungen und Neugier für erlebte Besonder- und Eigenheiten an ihrem neuen örtlichen Standort. IP 2: Und nach diesen zwei Jahren Magazin-Machen und immer dauernd (pustet) hundertachtzig, so ein bisschen runterkommen. Und deshalb Friedrichshain, weil wir dachten, okay, das ist ein bisschen anders, ein bisschen ruhiger. (Z. 142-145)

Die Gründe, um aus ihren „angestammten“ Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg in den für sie neuen Bezirk Friedrichshain zu wechseln, basiert auch auf der Überhitzung der in den Jahren 2001 und 2002 stattfindenden Entwicklungsdynamik in Form von Kommerzialisierung, steigenden Mietpreisen und Tourismus, die sich v.a. in dem Bezirk Mitte vollzogen haben. Gleichzeitig wird der Entschluss gefasst, eine neue Differenzierungslinie zu der ersten beruflichen Einstiegsphase zu vollziehen und an einem neuen Standort in einem neuen Terrain einen unternehmerischen Neuanfang zu starten. Gleichwohl wird dabei erkennbar, dass der Bezirk Friedrichshain noch nicht von der rasanten positiven wie negativen Entwicklungsdynamik der kreativen Trägergruppen und ihren Folgeeffekten tangiert wurde. Das Signal „bisschen“ markiert aber, dass der Bruch zur Lebenswelt „Mitte“ nicht vehement und zu hart ist. Dies belegt insbesondere die folgende Sequenz: IP 1: Es ist auch, also obwohl hier so eine Atmosphäre herrscht von so, wie Prenzlauer Berg vor sechs, sieben Jahren, also es wird ganz viel saniert und man hat so den (Ein-), Wismarplatz ist neu gemacht worden und ach, offizielle Einweihungsfeier und-, ist schön, ist toll. Und dann hört man aber (jetzt), hört man dann so Stimmen aus den Ein-, von den Einwohnern, die schon länger hier sind so: ja, der geht sowieso in Arsch, da ist ja kein Geld da, um den auch zu pflegen. (Z. 389-394)

Vor dem Hintergrund des erlebten und erfahrenen Raumgefühls „Mitte“ und „Prenzlauer Berg“ wird von dieser erlebten Position aus eine Erwartungshaltung in Form von neuen Zuschreibungen die Lebenswelt „Friedrichshain“ formuliert. Gleichwohl zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den eigenen anti187

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

zipierten positiven Erwartungshaltungen auf die soziale Raumstruktur auf der einen und den negativen Perspektiven der Anwohner auf die baulichen Aufwertungen sowie die „Neuankömmlinge“ auf der anderen Seite. Der Enthusiasmus der „Neuankömmlinge“ wird auch durch die äußerlichen Aufwertungsmaßnahmen im Stadtviertel nicht geteilt. In dieser Differenz zeigt sich die Selbstzuschreibung von Vertretern erfolgreicher Entwicklungen, mit sicherlich selbstcharismatisierenden Zügen, gegenüber den eher skeptischen Einschätzungen der lokalen Bewohnerschaft. Diese werden lokal kulturalisiert und regelrecht ethnisiert sowie als eigene Spezies angesprochen. Diese Konstruktion des Anderen verschafft den beiden Protagonisten nicht nur soziale Distinktionsgewinne, sondern eine Projektionsfläche für die eigene unternehmerische Praxis. Von Anbeginn ihrer unternehmerischen Tätigkeit sind die beiden Akteure in Aktivitäten des lokalen Boxion-Projekts eingebunden, welches mit medialen Vernetzungsaktivitäten, Informationsaustausch, Rundgängen im Quartier und anderen Veranstaltungen die neuen Akteure und Unternehmensgründer mit dem Stadtteil bekannter machen will. Vor diesem Hintergrund offerieren die Akteure während einer gemeinsamen Veranstaltung, dem „Boxionfest“, an dem andere Unternehmensgründer im Rahmen des Boxion-Projekts mitwirken, vor und in ihrem Ladenlokal Eis. Eingeleitet wird diese Sequenz durch die Frage, was sie denn dem Stadtteil zurückgeben. Die folgende Ausdrucksgestalt behandelt die Vermutung, dass die Akteure – so die These durch die bisherige Fallrekonstruktion – den örtlichen „neuen“ Kontext des ehemaligen Arbeiterbezirks Friedrichshain einzig und alleine als Stimulanzfolie verstehen, der ihnen die Generierung von neuen Geschichten, Narrativen, Codes und Bildern ermöglicht: IP 1: Und, so, was geben wir Friedrichshain? Ja, das ist so unser Beitrag, so unser Engagement zur Verschönerung der Umgebung sozusagen. Und was noch? IP 2: Na unsere Eisdiele. IP 1: Genau. Also im Rahmen von diesen, es gibt ja diese vier öffentlichen Anlässe im Rahmen von Boxion als Auflage sozusagen, gewünscht wäre natürlich viel mehr, aber wir sind schon irgendwie dabei (Z. 453-459) […] IP 2: Allerdings haben wir zu wenig, so nicht zu vielen Leuten, die hier leben und die, die aus einem anderen Bereich kommen, außer jetzt unser Martin, der Hauswart, haben wir jetzt nicht so viel Kontakt eigentlich mit Leuten aus dem, direkt aus dem Kiez. Außer Leuten in einem ähnlichen Alter. Insofern weiß ich nicht genau, aber –, wir haben dann eben dann unsere Bar, unsere „Süßes für alle“, das war unsere Gelati-Bar, auch, (um) wieder aufmerksam zu machen auf uns, dass es uns noch gibt trotz Baustelle. Und haben, und konnten das gut nutzen, um hier halt so einen Bartresen zu machen und haben dann halt Freunde eben, Fotografen, also Leute aus unserem Bereich so eingeladen und die, die kommen wollten. Und das war auch interessant […] (Z. 471-481)

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Die Äußerung dieser Praxis dokumentiert eine orts- und raumbezogene Aktivität mit den neu angemieteten Büroräumen. Sie organisieren an einem Wochenende eine Eisbar in ihren Arbeitsräumen. Die temporäre Angliederung einer Eisbar soll Freunde und Interessierte an die neuen Büroräume heranführen. Diese Aktivitäten werden durch das Projekt Boxion angeregt. Sie sollen kurzfristig die neuen, weitestgehend individuell agierenden Akteure aus ihrer alltäglichen Routinen herausführen und als neue Trägergruppe in dann auch neuen territorialen Strukturen wahrnehmbar machen. In Projektumfeldern des Quartiersmanagements sind diese Aktivitäten ein probates Mittel, um den Nutzungswandel ehemaliger Geschäfte des täglichen Bedarfs zu Büros neuer Trägergruppen zu dokumentieren und gleichzeitig über ein außeralltägliches Angebot („Eisbar“) auf die neuen Nutzer sowie ihre mitgebrachten Bedarfe und Angebote zu verweisen. In den sprachlichen Zuschreibungen sowie ihren Ausdrucksgestalten zeigt sich ein Verweis auf die italienische Bezeichnung für Eis – „Gelati“. In diesem sie neu umgebenden Milieu stellt sich mit dieser Codierpraxis eine weitere Bedeutungsanreicherung ein. Somit kann geschlussfolgert werden, dass durch diese Praxis temporär soziale Aufmerksamkeit generiert werden soll, und zwar mit Hilfe einer markanten Differenzierungsstrategie zur Alltäglichkeit (vgl. Grafik 7). Grafik 7: Fall 1 „Substrat“

Quelle: eigene Kartierung Dies erfolgte aber mit einfachsten finanziellen Mitteln und geringem Budget sowie bereits vorhandenem Material in ihrem Bürointerieur. Sie erweitern und transformieren ihren Arbeitsraum durch einen markanten Bruch mit der normalen Nutzungsprogrammatik. Als Interaktionseffekt zeigt sich somit eine Strategie, über eine temporäre Nutzungserweiterung a) ein Angebot an Kollegen und Freunden aus der „Community“ zu machen, und b) sich als Bestand189

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

teil des Verbundprojekts „Boxion“ zu verstehen. Dieses Angebot arbeitet dann eben nicht mit Normalitätsverständnissen (Büro + Eisbar = ?), sondern provoziert durch diesen temporären Nutzungsbruch eine Aufmerksamkeit, die den Ort wiederum in das Gedächtnis der Kollegen und Freunde ruft. Dass diese Praxis nur partiell direkte Anwohner anspricht, ist zentral, markiert doch die Kombinatorik von Büro + Eisbar eine Verbindung, die, so die Vermutung, nur punktuell mit den Normalitätserwartungen der Bewohner einhergeht. Die Strategie dieser Mikropolitik, so die These, zielt weniger auf die Annäherung an die lokale Bewohnerschaft, als vielmehr auf die Notwendigkeit, sich durch diese Aufmerksamkeit wieder in ihre eigene lose Gemeinschaft zu integrieren und somit Vergemeinschaftungsarbeit über die Umprogrammierung der Büroräume zu vollziehen. Diese bringt auch das folgende Feldprotokoll zum Ausdruck: Jeden Sonntag versammeln sich um den Boxhagener Platz im Bezirk Friedrichshain zahlreiche Flohmarktverkäufer. Ein Strom von Menschen dreht auf diesem Platz seine Runden. Ein Stand erweckt meine Aufmerksamkeit: Sie vertreten ein Projekt mit dem Namen „Boxion“ und verweisen auf einen an diesem Abend stattfindenden Quartiersrundgang. Am Abend zwischen 20–24 Uhr findet der offizielle Auftakt für ein weiteres Jahr des Ladenprojektes „Boxion – kreative Unternehmen für Leerläden“ mit Rundgang, Ausstellungen und Aktionen in 17 Ladenlokalen im Boxhagener Kiez statt. Der Rundgang führt durch alle Läden des Projektes. Geboten wird ein Einblick in die künstlerischen und kulturellen Aktivitäten der Nutzer. Das Faltheft stellt das Projekt, ihre Organisatoren und Mitglieder vor. Es unterstützt Unternehmensgründer, in dem es ihnen kostengünstige Räume für ein Jahr anbietet. Auf der beigefügten Karte sind die Orte verzeichnet, an denen die Projektteilnehmer mit ihren Unternehmen zu identifizieren sind. Am Abend wird ein Rundgang angeboten. Konzentrisch um den Boxhagener Platz lagern sich die Orte der neuen Kreativen und ihre neuen Arbeitsorte an. Ich entferne mich von dem Mühlstrom des Flohmarktes und folge der neuen Route durch die Randbereiche des Boxhagener Platzes. Hinter einem Baugerüst, versteckt hinter Folien und Baumaterial, weist ein Schild „Gelati-Bar“ zu einem Projektort. Ein Designbüro, so der Plan, soll dort arbeiten. Doch recht wildes Geschrei von mehreren Stimmen bietet Eis an, die Mitstreiter bedienen sich selbst ausgiebig an mehreren Sorten. Auffällig unberlinerische Sprache schafft sich Raum, die alsbald als Schweizer Dialekt zu erkennen ist. Warum im Spätherbst eine Eisbar? Mitten in einem alten und mittlerweile deprivierten ehemaligen Arbeiterviertel tummeln sich Schweizer und, so scheint es, laden ihre Freunde ein, um bei Eis ein wenig südländisches Flair zu verbreiten. Die um den Eingang versammelten Menschen werfen sich mit flapsigen Kommentaren die Bälle zu. Sie scheinen sich zu kennen, tauschen sich aus, amüsieren sich und bitten um mehr Café. Ich erhalte kleine Papierausschnitte und eine Aufforderung, dass ich diese mitnehmen könne. Im inneren Bereich der Arbeitsräume hängen expressive Ausdrucke an den Wänden, auf den freien Arbeitstischen stapeln sich Magazine, technisches Gerät und CD-Hüllen. Alles wirkt sehr provisorisch, ein wenig chaotisch, ein

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Panoptikum ihrer Arbeit entfaltet sich. Zwischen den Materialien und Arbeitsorten flitzen die beiden Betreiber immer wieder hin und her, präsentieren sich und erklären ihre jüngeren Arbeiten. Ein gewisse Ähnlichkeit zeichnet die versammelten Akteure aus: Haarmode, Kleidung, Sprache gleichen sich. Umso vehementer und eindrücklicher erklären sie ihre eigenen Produkte, ihre eigenen Stile, ihre Strategien. (Protokoll am 21.09.2002)

Dafür sprechen auch weitere Aussagen, die auf Abwehr, Ablehnung und fehlende Integration der neuen Bewohner hinweisen. Somit kann geschlussfolgert werden, dass sich das temporäre Angebot vielmehr an bekannte Kollegen richtet sowie an Mitkonkurrenten aus dem Umfeld des Quartiersmanagementprojekts gekoppelt ist. IP 1: Und ich denke, es gibt ein paar Leute, denen sind wir (wie so ein) Dorn im Auge und die wollen gar nicht so genau wissen, wer wir sind. (Z. 514-515)

Diese ablehnende Haltung durch die traditionell ansässigen Bewohner des Stadtteils Friedrichshain stellt jedoch, aufgrund der Ausrichtung ihrer Tätigkeitsfelder auf andere Trägergruppen, kein Problem dar. In die „Kollegenund Freundeskreisstrukturen“ sind aber auch Konkurrenzverhältnisse eingeschrieben. Sodann erscheint es widersprüchlich, die Büroöffnung zu einer „Gelati-Bar“ umzuwandeln: Gerade diese Öffnung bietet doch auch Einblicke in die Arbeitsergebnisse der beiden Grafiker. Die folgende Ausdrucksgestalt thematisiert die Spannung zwischen Auftragslage in Berlin in einer zeitlich bestimmten, die Arbeits- und Ortspraxis determinierenden Phase sowie das Verhältnis zu Konkurrenten: IP 2: … ich glaub, das hat einfach selbst irgendwie die, mit der eigenen Einstellung zu tun. Wie, es gibt niemanden, den ich als Konkurrenz –, es gibt Leute, die ich irgendwie beneide um ihre Jobs, die sie haben. Wo ich denke, das hätte ich auch mal gern, das würde ich auch gerne mal erreichen, und dafür können wir auch viel arbeiten und was dafür tun. Aber jetzt, dass wir das selbst spüren, dass Konkurrenz da ist oder wir Konkurrenzgefühle haben, nee, überhaupt nicht. Also es gibt ja auch keinen Grund dazu. Außer man (würde) den Grund nehmen, dass die Auftragslage in Berlin ganz schön scheiße ist für Grafiker und wir uns gegenseitig die Jobs wegnehmen müssen, damit wir überhaupt Brötchen verdienen können. (Z. 666-675)

In den Äußerungen kommen Widersprüchlichkeiten zum Ausdruck: Zum einen wird auf Mitstreiter verwiesen, die an äußerst begehrlichen und lukrativen Aufträgen arbeiten, gleichzeitig wird aber eine grundsätzliche Konkurrenzsituation verneint. Zum anderen wird auf eine geradezu freundschaftliche Stimmungslage unter Grafikern verwiesen, die auf einem hohen Maß an Solidarität beruht. In dieser Strukturbeschreibung des beruflichen Handlungsfel191

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

des ist aber auch eine klare Aufstiegsperspektive eingeschrieben: dass nämlich über ein enormes Maß an Arbeit die strukturell schwierige Lage überwunden werden kann. Vor diesem Hintergrund einer extrem Ich-bezogen angelegten Arbeitsweise erklärt sich auch der Anspruch, in der bewussten Positionierung in einem Ladenlokal und über die dort praktizierten Codierungspraktiken einen Interaktionseffekt zu erzielen, der neben der mikrolokalen Aufmerksamkeit sowie der systemimmanenten Aufmerksamkeit im Kontext des Stadtteilprojekts auch im Freundes- und Bekanntenkreis weitere Beachtung generiert. In diese Umprogrammierungen des Büroraums sind somit soziale Kommunikationspraktiken eingeschrieben, die die Neu-Berliner immer wieder daran arbeiten lassen, ihr neues soziales Netz zu bestätigen, zu modifizieren und zu vergegenwärtigen. IP 1: Ja. Ja, und das war, das war schon irgendwie, die Stadt, weil eben so vieles noch den Eindruck (hat), es geht noch viel. Es ist wirklich auch sichtbar Raum da, richtige Lücken, wo Häuser weg sind und so. Also das –, und alle machen, irgendwas, erzählen sich ganz viel und ja, und dann gibt es eben die, die wirklich machen, und die, die einfach nur davon reden. Und wir, wir machen, glaub ich, gerade. […] Ja. Und Friedrichshain ist echt, ist so, ein armes Pflaster. Ist echt eine andere Welt. (Z. 363-370)

Fazit Bezeichnend ist der Anspruch der beiden Protagonisten, etwas in einer Unternehmensformation zu bewegen. Dieses Moment der Bewegung und des sich Bewegens in einem Raum setzt einen Raum voraus, der zum einen – aus ihrer Sicht – nicht vor-gestaltet ist, zum anderen überhaupt vorhanden ist. Diese Sinnkonstruktion eines Raums, der nicht in ihrem Verständnis vorgestaltet ist, zwingt die Akteure dazu, Strategien zu entwickeln, mit denen sie sich selbst in Beziehung zum Raum setzen sowie darin behaupten können. Sie müssen ihr eigenes Territorium entdecken, symbolisch nicht nur besetzen und „einfach“ codieren, im Sinne einer Programmierung. Vielmehr müssen sie eine Codierpraxis an den Tag legen, die nicht nur den Ort umcodiert, sondern sogleich auch für ihre assoziierten Trägergruppen einer bestimmten Szene diesen immer wieder ins Gedächtnis ruft. Der dabei zum Tragen kommende Gegenhorizont der Stadt Berlin wird prozessual als eine „Terra incognita“ formuliert und stilisiert, als ein no land, das aus dem morbiden Charme des früheren Arbeiterbezirks Friedrichshains besteht, kulturellen Artefakten der ehemaligen DDR-Bürger und ihren Wissensbeständen, sozialen Praktiken und kommunikativen Verhaltensweisen. Die Selbstzuschreibung der Akteure zeigt zudem ethnografische Züge. Die beiden Akteure nehmen dabei systematisch die strukturelle Rolle eines 192

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Fremden in der Stadt Berlin ein, eines Ethnographen. Mit diesem kulturellen Vehikel haben sie die Möglichkeit, die sozialen Beziehungen zwischen lokalen Bewohnern und Außenseitern sowie zwischen Altem und Neuem neu zu bewerten und neu zu definieren. Dabei verwenden sie eine breite Palette von lokalen Zuschreibungen der romantischen Situation der Stadt Berlin, einer räumlichen Besonderheit. Der symbolische Raum der Stadt erscheint den beiden Akteuren, die ursprünglich aus der Schweiz kommen, als ein Projekt, ein Raum für Bewegungen, der zudem eine hohe Kohärenz zu ihrer sozialen und beruflichen Lebensphase darstellt. Diese sinnstiftende Rolle demonstriert aber nicht nur besondere selbstreferentielle Aspekte, sondern beinhaltet klare Signale einer gestalteten Berufspraxis mit netzwerkartigen Verankerungen: Beide Akteure entwickeln ein Produkt, das Magazin Berliner, das auf einer grafischen Basis eine disparate mentale Kartografie der Besonderheiten des Alltäglichen aus der Perspektive und Sichtweise der beiden Akteure vorstellt. In anderen Worten, dieses Produkt bündelt soziales und psychogeographisches Orientierungswissen und verteilt es an eine fluide Gemeinschaft von ähnlich orientierten Akteuren. Dieser Prozess vermittelt das Bild eines beweglichen Ereignisraums innerhalb der neuen Lokalität Friedrichshain, einem bekannten Szene- und Kneipenbezirk, der gerade in den vergangenen Jahren starken Zuspruch erfahren hat. Neben den atmosphärischen Attraktivitätszuschreibungen des Raums haben sich seit 2000 auch einige lokale, vom Senat finanziell unterstützte Quartiersprojekte auf die Gründung und Ansiedlung von neuen Trägergruppen aus dem Bereich von Kulturproduktion, Kulturvermittlung und generell auf unternehmensbezogene Dienstleister in leer stehenden Geschäftslokalen spezialisiert. Sie markieren daher auch den Übergang zu einer zunehmend kleinteilig organisierten sowie wissens- und kreativ ausgerichteten Wirtschaftsstruktur. Die Akteure sind in ihrer Rolle jedoch Protagonisten sowie Szeneexperten einer neuen Raumkultur, die systematisch semantisches, grafisches und ereignisorientiertes Expertenwissen produziert, importiert und wiederum neu codiert in verschiedenen Medien zu einem weit gestreuten Kundenstamm, nicht nur im Bezirk Friedrichshain, sondern weit darüber hinaus, verteilt. An dieser Schnittstelle geben sich die beiden Akteure als funktionale Äquivalente zu erkennen, indem sie ihre Fähigkeit, sozial-räumliche Potenziale zu erkennen, zwingend mit einer ökonomischen Verwertung zu einer unternehmerischen Philosophie zusammenschnüren. Dabei ist der Name des Unternehmens, „Substrat“, Programm, bündelt und überführt er nicht nur die unternehmerisch-kulturellen Praktiken in ein Produkt, sondern stellt er doch zugleich auch die identitätsstiftende Lebensmikrowelt der Akteure dar.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Diese Konstruktionsprozesse und situationsbezogenen Selbstzuschreibungen formen sich zu einer sozialen Bohème-ähnlichen Randposition (die wiederum sicherlich auch einem Klischee entspricht). Von dieser aus können sie sich selbst als Künstler definieren, wie sie gleichzeitig auch einen professionellen Nutzen aus diesem Standpunkt ziehen können. Die offensichtliche Positionierung und Selbstzuschreibung zeigt auffällige Passfähigkeiten mit der räumlich bestimmten Ortswahrnehmung von Friedrichshain: Die disparate Transformationsstruktur (ehemalige Arbeiter vs. neue Designer; anonyme vs. idealisierende, sozialistisch anmutende Vergemeinschaftungspraktiken) bietet ihnen einen Nährboden an, den sie in ihren Grafikprodukten reflektieren und zum (produktiven) Ausdruck bringen. Was sie nicht ansprechen und nur in Widersprüchlichkeiten zu erkennen geben, sind die reinen ökonomischen und sozialen Bedingungen, welche die Unternehmung am Laufen halten. Vielmehr werden eine ungefilterte und eindringliche Härte des Lokalen sowie die symbolisch noch nicht vollständig eingegliederte und geregelte Geographie gesucht, um eine notwendige Bühne für ihre biografische Selbstinszenierung zu finden. Im Prozess ihrer Selbstinszenierung produzieren die Akteure eine soziale Arena, ein imaginiertes Territorium, das die sozialen Härten, Ausgrenzungen und stagnierenden Situationen positiv codiert und als eine stimulierendes Potenzial zu erkennen gibt. Die Praktiken der Akteure zeigen – so die These – eine hohe Annäherung zwischen der professionellen und der biografischen Situation, die in diesem Fall mit einer geographischen Verortung des Unternehmens Substrat verbunden ist. Der ökonomische Transformationskontext der Stadt Berlin, mit seinen zunehmend neoliberalen und extrem flexibilisierten Arbeitsmarktanforderungen bei konstant schlechter Auftragslage, wird von den Akteuren als eine Möglichkeit der kulturellen Selbstbehauptung sowie der unternehmerischen Verwirklichung aufgefasst. Tabelle 1 – Fall 1: Zusammenfassung und Thesen

Zentrale Kriterien

Ausprägungen des rekonstruierten Falls

Professionelle Identität • und berufliche Entwicklung der Akteure

• •

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„Neu-Berliner“ weisen sich als städtische „Ethnographen“ aus und richten ihre professionelle Identität auf der Grundlage der Auseinandersetzung mit dem kulturell Fremden aus. Sie exotisieren die Stadt sowie die Bewohner ihres Umfeldes. Diese „Haltung“ generiert eine stetig zu kulturelle Ressource, aus der sie ihre Produkte heraus entwickeln. Entworfene Produkte (v.a. Magazine) fungieren als Instrumente der sozialen Vernetzung und als solche in Wert gesetzt. Beziehungsressourcen sind vorerst schwach und bedürfen der Verstetigung und der „eigenwilligen“, wenngleich regelgeleiteten sozialen Erneuerung.

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Unternehmensorganisation und -struktur des Falls

• • • •

Sozialunter• nehmerische Praktiken und räumliche Positionierung • •





Strukturlage des Falls



Vorvertraute Arbeitsbeziehungen stellen ein wichtiges Fundament für die Unternehmensgründung dar. „Scheitern“ im Jahre 2000/01 stellt keinen extremen interaktions- oder produktspezifischen Bruch mit dem Beziehungsnetz der ersten Professionalisierungsphase dar. Vielmehr stellt das in der ersten Erwerbsphase gewonnene Beziehungsnetz eine wesentliche Ressource für die weitere Existenzsicherung dar. Zusätzlich ist die Unternehmensgründung eingebunden in ein Stadtentwicklungsprojekt, das Unternehmensgründungen von kreativen Dienstleistern zur Stabilisierung problematischer Quartiere unterstützt. Es zeigt sich eine relative soziale und kulturelle Distanz zwischen den Akteuren des Falls und den Bewohnern. Die Struktur des Falls arbeitet ganz wesentlich mit dem Instrument und der Wahrnehmung der „Außensicht“ auf die Raumstruktur Berlin. Dabei wird systematisch Außeralltäglichkeit gegen Alltäglichkeiten gesetzt. Strukturmerkmale des Falls weisen auf ein hohes (notwendiges) Maß an individueller Selbstcharismatisierung und sozialer Selbstinszenierung. Die Akteure verbinden ihre berufsbedingte ethnografischsoziale Perspektive und Wahrnehmung auf die Stadt mit der Konstruktion eines Raums, der aus ihrer Sicht nicht vorcodiert ist. Sie entdecken die Stadt für sich neu, ihr Blick repräsentiert eine mentale kulturelle Kartografie der „NeuBerliner“. Die temporäre Umprogrammierung der Büroräume gibt den Ort zum einen als Bestandteil einer Raumstruktur von „neuen Kreativen“ im ehemaligen Ost-Berliner Arbeiterbezirk Friedrichshain zu erkennen. Zum anderen repräsentiert er eine territoriale Ressource, die von den Akteuren eingesetzt wird, um die „lose Gemeinschaft“ kurzfristig an einem Ort zu bündeln. Die Codierpraxis des Ortes, seine Anordnungspolitik und seine Nutzungspraxis zeigen eine maximale Differenz zur programmatischen Alltäglichkeit des Ortes. Die Verdichtung von Programmen generiert Aufmerksamkeit über den Ort hinaus in ein loses soziales Beziehungsnetz von beruflichen Akteuren. Der vermeintliche Nachteil in Form von fehlenden Orts- und Netzkenntnissen wird positiv gewendet. Die professionelle Identität wird über die „Rolle“ als städtische Ethnographen ausgefüllt und generiert den Akteuren somit notwendiges Wissen um Formen und Praktiken der Vergemeinschaftung.

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Fall 2: Plattformer Vorinformation Das Designbüro mit dem Namen Greige besteht aus drei Männern; sie sind 27, 32 bzw. 35 Jahre alt. Zwei der drei Akteure haben in Köln bis Mitte 2000 an der dortigen Fachhochschule Grafik-Design studiert, einer der dreien hat bis 1998 Schmuckdesign in Pforzheim studiert. Die ersten beiden haben studienbegleitend in ausbildungsnahen GrafikAgenturen gearbeitet, nach der Beendigung der Ausbildung als Angestellte mit bisweilen weitreichenden Kompetenzen in anderen – auch international ausgerichteten – Agenturen in den Bereichen Budget, Personalführung und leitende Aufgaben vielfältige Erfahrungen gesammelt. Bedingt durch dabei als unzufrieden bewertete Arbeitsbedingungen, eine schlechte Auftragslage und dem Wunsch nach beruflicher Neuorientierung, ziehen die beiden Ende des Jahres 2001 aus Köln nach Berlin, suchen sich zielsicher im Bezirk Prenzlauer Berg einen Arbeitsraum – ein leer stehendes, 120 qm großes Ladenlokal – und gründen damit ein Unternehmen. Dort stößt der dritte Akteur, ein Schmuckdesigner, hinzu und arbeitet ab diesem Zeitpunkt in den gemeinsamen Büroräumen mit den beiden anderen zusammen. Die Berufsausbildung der beiden Kölner Protagonisten zum Dipl.-GrafikDesigner (FH) erfolgte in Köln, sodass sie im weitesten Sinne als designintensive Symbolproduzenten angesprochen werden können.

„Universali Dilettanti“ In welchem Verhältnis stehen die durch das Studium erlernten und erwarteten Fachinhalte zu den für die Unternehmensgründung notwendigen Wissensund Informationsbeständen? Die berufliche Selbstbeschreibungen sowie die Explizierung der relevanten Vorbedingungen, die zur Selbständigkeit in der Form der Gründung eines Unternehmens führen, artikulieren zunächst eine Diskrepanz. Sie spannt sich zwischen den durch das Studium vermittelten Wissens- und Fachinhalten, ihren Wissensformaten und den optionalen fachnahen Tätigkeitsfelder auf. Die folgende Sequenz belegt diese Struktursituation: IP 3: Ich bin ja eigentlich studierter Schmuckdesigner. Was natürlich heißt, dass du als Schmuckdesigner im Prinzip überhaupt keinen Job bekommst außer, dass du dich sowieso selbständig machen musst. Weil die Schmuckindustrie ist ja eigentlich mehr oder minder am Ende und ich gehe mal davon aus, dass 1% vom Studium überhaupt irgendwie direkt in diesem Beruf irgendwie angestellt arbeiten. Das ist eigentlich, Selbständigkeit ist eigentlich vorprogrammiert. (Z. 82-87)

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Vor dem Hintergrund des erläuterten Zusammenhangs zeigt sich, dass keine belastbaren Erwartungshaltungen zwischen der erworbenen universitären Ausbildung und einer fachnahen Anstellung in dem erlernten Berufsfeld zu erkennen sind. Vielmehr wird der Niedergang einer designintensiven Dienstleistungsbranche – dem Schmuckdesign – als Aufforderung interpretiert, den Einstieg in die unternehmerische Selbständigkeit zu praktizieren. IP 2: …also wie unser Gründungsdekan ja immer so schön gesagt hat: es werden an der Uni universelle Dilettanten ausgebildet, was ich ja immer ganz schön fand eigentlich. (Z. 65-66)

Das Projektstudium an der FH dagegen inkorporiert diese Struktursituation von Anbeginn und bildet die anderen beiden Akteure zu „universellen Dilettanten“ (Z. 65) aus. In dieser Äußerungsgestalt zeigt sich, dass strukturelle Flexibilisierungen schon in den Grundwertekanon der Studienpraxis eingeschrieben sind, von institutioneller Seite anerkannt und aufgegriffen und den Auszubildenden anheim gegeben werden. IP 2: Also ich denk bei uns ist schon das Studium mit ausschlaggebend für das warum wir jetzt hier so sitzen und warum wir das so machen wie wir es gerade hier eben tun. Wir haben ja in Köln studiert, was ein projektoffenes Studium ist. Also, oder ein bereichsoffenes eher. Alle Designbereiche in einem Studium drin. Und es geht eben von Industrie über Grafik, über geschlechtsspezifisches Design, über ökologisches Design, man nimmt ja alles innerhalb vom Studium wahr und zwar vom ersten Tag an. (Z. 42-50)

Das projektbasierte Studium an der Fachhochschule Köln war aus der Sicht der beiden Akteure gekennzeichnet durch thematisch „offene Strukturen“ und „bereichsoffene Grenzen“. Diese strukturellen Vorgaben führen zum einen zu erheblichen Orientierungsanforderungen der beiden Studierenden sowie zum anderen aber auch zu weitreichenden gestalterischen Freiheiten hinsichtlich der organisatorischen Steuerung des Studiums. Dabei kann/muss immer wieder in neuen Konstellationen mit Kommilitonen temporär eine Gruppe zur Bewerkstelligung von Studienaufgaben organisiert werden. In diesem „vorgeschriebenen Selbstorganisationsprozess“ ist ein sozialorganisatorisches Modell eingelassen, das, neben den fachspezifischen Ausbildungsinhalten, zeitgleich den Studierenden aktive Übungsfelder der Selbstorganisation an die Hand gibt. Die erlernten und erfahrenen lebensweltlichen Fähigkeiten der Selbstorganisation während des Studiums haben rückwirkend einen prägenden Einfluss auf die Einschätzung der formal erlernten grafischen und technischen Arbeitskompetenzen. Die verschiedenen Wissensformen, Fachwissen auf der einen und Organisationswissen auf der anderen Seite, vermitteln einen Mix an

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Wissensressourcen, der das Fachwissen als traditionelles Qualifikationsformat der Fachhochschule relativiert. Diese sozialen Erfahrungen, die Erfahrung der Limitierung der eigenen fachtechnischen und grafischen Fähigkeiten, können zunächst als ein zentrales Grundmotiv zur Beschreibung der Selbständigkeit benannt werden. Sie sind des Weiteren ein Reflex auf komplexer werdende Anforderungen bei der Entwicklung eines arbeitsteiligen Design-Produktes, wobei ein einzelner Akteur oder Produzent nicht mehr in der Lage ist, qua seiner Fachhochschulkompetenzen ein Produkt auf den Markt zu bringen. Zum anderen ist in dieser Arbeitsformation ein systemischer Vorteil eingeschrieben. Die temporären Konstellationen während der Ausbildung führten zu Interaktionspraktiken, bei denen getestet und geprobt werden kann und verschiedene Spielarten des organisationellen Miteinanders erfahren werden. Das in dieser Folge sich einstellende „Arbeiten im Team“ führte zur Herausbildung eines erprobten lokal-überregionalen Netzes von gleichgesinnten Freunden und Partnern. Konsequenterweise führt diese erlebte Praxis – so die These – zu einer Selbständigkeit, die regelrecht induziert und vorprogrammiert scheint. In diesen Selbstzuschreibungen zeigen sich somit die erlernten, aber auch unhinterfragten Flexibilitätsanforderungen, bei denen sich die Möglichkeit der notwendigen und berufsbiografisch erwünschten Expressivität sowie der absoluten beruflichen und inhaltlichen Selbststeuerung einstellen sollen.

Unternehmensgründung Bedingt durch die skizzierten Sozialisationsmuster während der Ausbildung stellt sich der Übergang zum reinen Erwerbsdasein als lebensweltlich sukzessiv vorbereitet dar. IP 1: …Ja, ich während des Studiums schon mit ’nem Freund zusammen. Wir hatten so eine Atelierwohnung und hatten da halt ein kleines Büro, wo wir beide als Freie gearbeitet haben. Aber auch dann eben eigene Projekte gemacht haben. Und ich hab auch dann bei „Yellow ()“ mitgearbeitet als Freier und nach dem Studium war ich dann für, weiß ich nicht, drei Monate mit Geschäftsführer in ’ner Multimedia-Büro-Agentur, die viel für Bertelsmann gemacht haben. Was mir dann aber zu schnell zu langweilig war, weil das halt so von 6 bis 99 irgendwie so Zielgruppe war und das war nicht so das, was ich nach dem Studium direkt so machen wollte. (Z. 130-137)

Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass ein Einstieg in das Erwerbsleben zeitlich nicht zu benennen ist, vielmehr verzahnt sich die Ausbildungsphase mit dem Erwerbsleben über mehrere Jahre. Die Fortführung dieser praktizierten

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und erprobten Parallelphasen schlägt sich systematisch in der Konzeptionalisierung des Unternehmens nieder: Es wird – neben der thematischen Offenheit – auch sozialorganisatorisch als Interaktionsplattform und Andockstation für andere, befreundete, bekannte und als interessant eingestufte beruflich assoziierte Akteure aufgebaut: IP 2: Also man kann zwar ganz viel, aber alles nicht so richtig und letztendlich sucht sich dann trotzdem halt jeder so ein kleines Eckchen, wo er ein bisschen mehr kann als anderswo und jeder kann halt sein kleines Ding, weiß aber von allem bescheid und deshalb gibt’s eigentlich oft eine ganz gute Gruppe letztendlich. Wo man sich halt so gegenseitig versucht zu helfen letztendlich. Und, ja. So kam es eigentlich auch zu dem, zu „Greige“ hier. Zu dieser Konstellation, dass wir gesagt haben wir sind zwei Leute, treten aber eher auf als ob wir mehr wären, weil wir halt im Netzwerk arbeiten mit unterschiedlichen Leuten. Da gibt’s halt die Münchener, es gibt irgendwie meine Freundin auch, die Illustrationen macht und es gibt halt auch einen (), der inzwischen hier schon richtig fest installiert ist und den ProduktdesignPart abdecken kann. Und der eigentlich noch komplett anders studiert hat wie wir es glaub ich gemacht haben. (Z. 68-78)

Die Arbeit in sozialen Netzwerken wird somit in dieser Fallstruktur nicht notwendigerweise praktiziert, sie ist vielmehr systemisch angelegt. Jeder Akteur, der temporär an einem Projekt mitarbeitet, bringt das, was er fachlichinhaltlich oder technisch zu leisten im Stande ist, ein. Diese Organisationsstruktur kann schnell und flexibel den Erfordernissen von Kunden angepasst werden: In wenigen Stunden und Tagen besteht somit die Möglichkeit, auf neue Anfragen und Aufträge personell zu reagieren. Arbeits- und Projektteams können, so die Lesart dieser Äußerung, schnell aufgestellt werden. Darüber hinaus kann sich diese Arbeitsstruktur nach außen als nicht nur quantitativ großes, sondern ebenso passfähiges Gestaltungsbüro vor dem Kunden präsentieren und positionieren. Folgerichtig verschweißt und verkoppelt dieses Organisationsmodell Arbeits- und Privatsphären untrennbar miteinander. Es existieren im Grunde genommen keine Arbeitszeit- und Zeitstrukturmodelle klassischer Prägung, vielmehr definieren sich die vormals getrennten lebensweltlichen Bereiche Arbeit und Freizeit nach der von außen einwirkenden Auftrags- und Beschäftigungssituation.

Unternehmenswege Beide Akteure beschreiben die Wege, die zur Gründung des gemeinsamen Unternehmens führen, wie folgt: IP 1: Und ich bin vor zwei Jahren hier her und hab eben auch hier als Freiberufler gearbeitet und bei unterschiedlichen Berliner Büros, die ich von vorher noch kannte

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oder mich eben hier beworben hab. Und, ja. Dann kam eben IP 2 (Name gelöscht, B.L.) auf die Idee auch nach Berlin zu kommen beziehungsweise wir hatten die Idee schon ab und zu mal abends angesprochen bei ’nem Bier. Und dann ist halt, kam es halt auch wirklich dazu. (Z. 141-146) IP 3: Und Und er hat irgendwie hier angerufen, dass er mit ’nem Kollegen ’n Büro aufmachen möchte und fand ich natürlich ganz toll, weil ich hab eigentlich gerade was gesucht, weil ich aus meiner Wohnung raus wollte. War eben (). Und was natürlich eigentlich toll ist irgendwie, weil du natürlich auch ganz andere Akquise anpacken kannst und natürlich ein (kompetenteres) Auftreten kannst. (Z. 98-102)

Beide Kölner Akteure haben im Kontext ihrer beruflichen Ausbildung Erfahrungen hinsichtlich selbständiger Arbeit mit berufsähnlichen Strukturen erprobt. Die kurzweilig unterschiedlichen Berufswege werden durch die Unternehmensgründung in Berlin zusammengeführt. Beide Sequenzen explizieren nicht die inhaltlichen, strukturellen und ökonomischen Vorüberlegungen, die bei einer Gründung normalerweise anstehen. Der Dritte im Bunde gibt als Begründungszusammenhang für die Mitwirkung an der Unternehmung an, aus relativ isolierter sozialer Lebenslage eine Trennung zwischen Arbeit und Privatheit auch räumlich zu markieren. Expliziert wird zudem auch die soziale Struktur, in der eine Unternehmensgründung angegangen wird. Die Äußerung „beim Bier“ (Z. 145) schreibt eine starke zwischenmenschliche Komponente und somit einen vorvertrauten Erfahrungshorizont als Grundstruktur in das neu gegründete Modell „Unternehmen“ ein. Der dadurch offensichtlich gewordene spontane und fast launenartige Charakter der Unternehmensgründung basiert wiederum auf dem erfahrenen und erlernten Fundament praktizierter Studienprojekte. Somit erscheint es aus der Binnenperspektive als strukturkohärent, in dieser Interaktionsspur zu verweilen und keine weiteren Formalisierungen des Projekts „Unternehmen“ zu vollziehen. Gleichwohl wird dadurch, so die Hypothese, aber auch ein „Dauerstudierenden-Modell“ in die Unternehmenspraxis eingeschrieben, das in dieser Form nur bedingt weitere biografische Entwicklungen, wie bzw. eine Familiengründung etc., tragen und aufnehmen kann. IP 2: Aber ja, und das war halt dieses Ding, dass wir eben, ja, eben vom Studium, vom ganzen Arbeiten her eh was machen wollten, wo breit gefächert ist, ne, weil das eben so ideal eigentlich –. Sich nicht festlegen müssen, ’n breites Spektrum abdecken, ausprobieren können, ohne dass man gleich irgendwie sein Terrain verlassen würde durch irgendwie Namensgebung. Und dass man eben mit Vielen auftreten kann und trotzdem unter einem Namen steht. Also so. Das war ideal von dem her. () sogar ’n ganzen Raum mit Greige, ja. (Z. 341-361)

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Die Statuspassage Unternehmensgründung wird um einen zentralen Kern herum – als „Ding“ bezeichnet (Z. 341) – strukturell angelagert. Der systemische Gehalt dieses Kerns wird als ein Kontinuum zwischen Studium und Erwerbsleben verstanden, mit all seinen Attributen des Austestens, Ausprobierens und Nicht-vereinnahmen-Lassens von traditionellen Angestelltenstrukturen. Sogar der Anspruch, mit „vielen“ aufzutreten und trotzdem unter einem Dach zu operieren, zeigt eine starke Parallele zur Struktursituation des Studiums. Dort konnte unter einem Dach, einer „Idee“, einem „System“ ausgetestet, gelernt und experimentiert werden. In diesem Verständnis wird nun im Zuge der Unternehmensgründung ein Strukturmodell „Unternehmung“ angelegt, das das erfahrene Modell „Universität“ nur an anderem geografischen Ort fortführt. Dadurch sind die Akteure in höchstem Maße auf die unternehmerische Selbständigkeit vorbereitet. Dieses Modell beruht zeitlich, inhaltlich und aufgabentechnisch auf personell wechselnden Zusammensetzungen und weist eine hohe Passung zu den Marktbedingungen eines Designbüros in den Berliner Strukturkontexten auf. Die Äußerungen „verlassen des Terrains“ signalisieren noch einmal die hohe Identifikation mit dem sozialisierten Berufsausbildungsweg, der dafür Sorge trägt, dass individuelles Agieren und Arbeiten nur durch ein Beziehungsnetz von „vielen“, d.h. vielen Bekannten, möglich ist. Die Unternehmensgründung ist eng verzahnt mit der Einnahme von miettechnisch günstigem Büroraum, es ist geradezu das Einstiegstor einer Unternehmensgründung in Berlin. IP 3: Ich mein, ein ganz wichtiger Aspekt ist im Grunde genommen –, also ganz sicher auch, dass Überlegen kannst du dir das leisten irgendwie mal ein Büro zu mieten. Also so ein Büro in Frankfurt oder in München das kannst du eigentlich komplett vergessen. () überlegt, vor drei, vier Jahren war es einfach viel besser. Wir hatten vor zwei Jahren, ein Atelier, das hatte tausend Quadratmeter. Und wir haben () den Strom bezahlt. Das waren irgendwie so (). Und gerade irgendwie in Treptow so diese Ecke (). Und da entsteht natürlich auch irgendwie ein ganz anderes Gefühl irgendwie, weil es dann doch unten viele Leute gibt, die eigentlich wenig Geld haben und aber irgendwie was machen wollen. Das ist ein ganz anderes –, eine ganz andere Denke, die da entsteht…

Die Äußerung, in der Situation Berlins eine Unternehmensgründung vorzunehmen, verweist zunächst auf die ökonomisch lange Zeit günstigen Rahmenbedingungen, unter denen mietrechtlich leicht, schnell und günstig attraktiver sowie großflächiger Büroraum bezogen werden konnte. In diesen Äußerungen offenbart sich aber auch ein Motiv des „Einnehmens“ von leer stehendem (und oftmals aufgelassenem) Gewerbe- und Büroraum in der Stadt Berlin. 201

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Diese nachwendetypische Struktursituation, der immense Überschuss an Raum, „1000 qm“ und „wir haben nur Strom bezahlt“, weckt Assoziationen, dass durch diese Aktionen Frei- und Erfahrungsräume zur Verfügung standen und teilweise immer noch stehen. In anderen Städten waren und sind diese zum einen nicht erschließbar, zum anderen ziehen sie neue Optionslagen für städtisches und auch unternehmerisches Handeln nach sich. Des Weiteren offenbart diese Äußerung den Anspruch, in nicht komplett geregelten Strukturbedingungen unternehmerisch, lebensweltlich und künstlerisch zu operieren. Diese strukturoffenen Systeme – „Atelier mit 1000 qm und wir haben nur Strom bezahlt“ – ist somit mehr als eine immobilientechnische Optionslage, von der man en passant profitiert, nämlich eine Identifikationsmöglichkeit, die sich durch eine Zusammenhangsform zwischen Gewerberäumen, Berufstätigkeit und Sozialität einstellt. Die Hypothese, dass die untersuchten Akteure eine Berliner Orts- und Territorialpraktik betreiben, wird im Folgenden anhand des ersten Teils des Feldprotokolls weiter erkennbar: Der Büroraum weist eine Größe von ca. 120 qm auf und ist ein altes Ladenlokal. Die Miete ist mit ca. 500 Euro recht günstig, die Räumlichkeiten mussten zu Beginn eigenhändig renoviert werden, die Arbeitstechnik (Computer, Drucker, Netzwerk) wird mitgebracht, Arbeitstischplatten organisiert, eine Internet-Vernetzung wird zunächst per frei hängendem Kabel aus dem Fenster über den Innenhof zu einem anderen Büro next door hergestellt. Die Arbeit beginnt mit einer großen Party, zu der ich eingeladen war. Vorher erläutern sie mir, dass sie ihre ersten Projekte im Jahr 2001 und zu Beginn 2002 durchgeführt haben. Es waren typografische Auftragsarbeiten für renommierte Zeitschriften, Labels und Modeproduzenten. Bedingt durch eine recht magere Auftragslage nehmen sie gegen Ende des ersten Jahres 2001 an nationalen und internationalen Wettbewerben teil. Bspw. erreichen sie einen Platz unter den besten 8 von 120 Beiträgen beim internationalen Wettbewerb zur Neugestaltung des Leitsystems der Museumsinseln in Berlin. Im Jahr 2002 werden sie im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel ausgestellt und in designspezifischen Fachmagazinen (wie bspw. Design-Report (Grützner 2002) interviewt, ihr Projekt erläutert und besprochen. Mit Slogans wie „junges kreatives NeuBerliner Designbüro“, „Design-Avantgarde“ u.a. mehr oder weniger zutreffenden Beschreibungen versuchen sie sich zu vermarkten. Ich wurde durch diese Nachrichten auf sie aufmerksam und besuchte sie zu mehreren Gesprächen und Veranstaltungen in ihrem Ladenlokal. Wir sitzen im Vorraum und sie erläutern mir einige ihrer Projekte und auch geplante Projekte. Viel Ruhe ist nicht, der Vorraum muss ausgeräumt werden, da sich eine befreundete Galeristin aus Bremen samt ihrem Künstler und seinen Arbeiten für den Abend angemeldet hat. Der Vorraum, mit Blick auf die Straße – in dem tagsüber an Tischen gearbeitet wurde – wird leer geräumt. Im Türrahmen baut der in der Nachbarschaft wohnende DJ schon mal seine Ton- und Lichtanlage auf (die Lichtanlage besteht aus einer Diskokugel und einem Videoprojektor), nebendran werden einige Bierkisten herangeschleppt.

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Gegen 23 Uhr ist der Raum prall gefühlt, Rauch, elektronische Musik wabert über den Köpfen der Besucher, einige tanzen, Menschen kommen vorbei und recken interessiert die Köpfe hinein, gehen rein oder ziehen wieder ab. Kollegen, Konkurrenten und Kritiker kommen vorbei, die meisten Gespräche drehen sich um Aufträge, Jobs und Kontakte. Gegen 1 Uhr stehen zwei der drei Bürobesitzer draußen vor der Türe, tauschen sich mit Kollegen einer anderen Agentur aus. Ich erfahre, dass zwei der drei Bürobesitzer arbeitslos beim Arbeitsamt gemeldet sind, die Rechnungen über geleistete Arbeiten über eine Person, eben die dritte, laufen lassen und die beiden anderen gerade dabei sind, Startkapital (Existenzgründerkapital) aus ihrer Arbeitslosigkeit heraus zu organisieren. Das vermittelnde Gespräch wurde mit „macht ihr das auch so …?“ eingeleitet und locker bejaht. (Feldprotokoll vom 18. Juli 2002)

Die Beobachtungen des ersten Teils des Protokolls beschreiben Ortspraktiken. An der dokumentierten Situation und ihren Äußerungen zeigt sich zum einen die strukturelle Belastbarkeit des sozialen Systems der drei Unternehmer, zum anderen die Vehemenz der Strukturkrise der Stadt Berlin, gerade innerhalb der hier im Fokus stehenden und ausgewählten Trägergruppen. Das aus dem erlernten Ausbildungssystem mit in die Unternehmensstruktur überführte „Solidaritätsmodell“ fungiert – so die These – als ein informelles sozioökonomisches Sicherheitsmodell. In ökonomisch prekären Zeiten kann die Handlungsfähigkeit gewährt bleiben. Des Weiteren sichert das modulare System den Austausch und Fluss von Informationen, Kontakten und Ideen zwischen den Akteuren. Das ist gerade in Zeiten schlechter Auftragslage von existenzieller Bedeutung.

Flexible Räume Die während des Feldaufenthalts beobachtete Raumgestaltung wird im weiteren Verlauf dieses Unterkapitels aufgegriffen und durch die oben vorgestellten ethnografischen Erhebungen präzisiert. Dazu wird zum einen wiederum auf die Äußerungen der drei Akteure zurückgegriffen, zum anderen aber auch auf das Feldprotokoll sowie auf eine mikroräumliche Kartierung, wie sie in den sog. Workplace Studies als empirisches Erhebungsinstrument Verwendung finden. Zentrales Ziel in der vorliegenden Untersuchung ist es, die soziale Mikroarena, ihre Materialität, in dem untersuchten Fall grafisch, aber nicht maßstabsgetreu, abzubilden. Die prozessualen sowie temporären Reund Umorganisationen des Ortes in einen „Büroraum“ können dadurch dokumentiert und die verwendeten Gegenstände eingeführt werden. Zweck ist es, wie auch schon im Fall 1 dieses Kapitels vorgestellt, die Orts- wie Raumpraxis zu dokumentieren und mit den aus den Äußerungen und Zuschreibungen gewonnenen Strukturmerkmalen zusammenzuführen.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Diese schematische Darstellung des Büroraums zeigt nun zum einen den Ort als Arbeitsort sowie als Galerie. Die Grafiken zeigen, wie der funktional klar angelegte Büro- und Arbeitsraum temporär umprogrammiert wird. Diese Umprogrammierung führt dazu, dass die ursprüngliche Nutzung Büro- und Arbeitsraum zeitlich befristet aufgehoben und mit neuen Nutzungsformen ausgestattet wird. Dieses Nutzungsformen müssen verbreitet und gesteuert in das soziale Netz der Akteure kommuniziert werden. In den umprogrammierten Räumlichkeiten werden neue symbolische und kulturelle Codes (v.a. Musik, Ausstellungsobjekte und Innendesign) sowie weiteren Angebote (v.a. Getränke) bereitgestellt. Dieses Set von Angeboten ist im Vergleich zum Arbeitsrhythmus in einen anderen Zeitrhythmus eingebunden. Der auch im Feldprotokoll dokumentierte provisorische Charakter der Nutzungsweise dieser Ausstellungsprojekte spiegelt zum einen die finanzielle Basis des Unternehmens wider, zum anderen zeigt sich in dieser Form ein Gespür für eine kulturelle Passfähigkeit der gewählten und eingesetzten Mittel und Materialien mit dem offenen und unfertigen „Aufbruchcharakter“ der Stadt Berlin. Die Aktivitäten zeigen, dass die Notwendigkeit erkannt wird, mit im eigentlichen Sinne außergewöhnlichen Praktiken die normale Programmierung des Raumes temporär aufzuheben. Er wird in veränderter Form mit zusätzlichen Angeboten einem bekannten und unbekannten Publikum zur Schau gestellt. Dadurch sind für die Akteure des Büros neue Interaktionsmöglichkeiten und Informationseffekte zu erwarten. Aufgrund der äußerst geringen Kosten, dem hohen Maß an Identifikation mit der unternehmerischen Lebenswelt sowie schwachen sozialen Netzen, führen diese Praktiken zu einer Attraktivitätssteigerung des Unternehmens über den zeitweilig bespielten Ort hinaus. Die Interaktionsangebote Sushi-Bar und Galerie wurden kurzfristig als „neue Orte“ einer lose verbundenen Gemeinschaft von Freunden, Bekannten und Kunden offeriert, die dieses Angebot auch annehmen kann. Dabei wird mit dem Normalitätsverständnis Büroraum = Büroraum ein Bruch bewirkt und durch die Einführung einer örtlichen und symbolischen Differenz die Fähigkeit (wie Notwendigkeit), offenkundig soziale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die hier vorgestellten Organisationsstrukturen von Akteuren im Feld der symbolintensiven Dienstleister verweisen – wie auch in dem Protokoll dokumentiert – schnell auf prekäre Existenzbedingungen von urbanen kultur-ökonomischen Transformationsstrukturen, aber auch auf strategische Entgegnungen.

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Grafik 8: Fall 2 „Greige“

Quelle: Eigene Kartierung 205

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Fazit Im weiteren Verlauf werden – im Sinne einer intentionalistischen Position – die aus den Selbstzuschreibungen der Akteure abzuleitenden Taktiken und Strategien vorgestellt, die sie in Zeiten von erheblicher Konkurrenz entwickelt haben. Dabei stehen einerseits freie Wettbewerbe, Vernetzungs- und Integrationsansätze sowie Kooperationen mit assoziierten Büros im Vordergrund. Andererseits können mikroräumliche Strategien, die den immobilen und vordergründig klar programmierten Büro- und Arbeitsraum den Spielarten der temporären Veränderung und der Umprogrammierung aussetzen, beobachtet und thesenartig vorgestellt werden. Der notwendige organisatorische Werkstattcharakter des Unternehmens Greige zeigt kommunikative Strategien, wie der Mikrostandort Büro im Sinne des Place-Making als Knoten für fluide sowie soziale Vergemeinschaftungen und professionelle Szene bespielt werden kann. Der Ort der Akteure ist Gegenstand einer eigenwilligen und zugleich spielerischen Politik der Aufmerksamkeit. Um ihn in den Köpfen der Menschen existent werden zu lassen, bedarf es einer Ortspolitik, die soziale Zugehörigkeit neu verhandelt. Der Ort der Fallstruktur zum Beispiel ist der Treffpunkt einer offenen, aber klar umrissenen Gruppe von Freunden, Kollegen, Konkurrenten, Interessierten und Neugierigen. Der Zugang zu diesem Ort und seine Wahrnehmung werden durch eine Politik gelenkt, die Ähnlichkeiten mit der eines Clubs aufweist. Doch der bekannte Selektionsmechanismus eines Clubs − Zurückweisung an der Türe durch Türsteher − nimmt in diesem Fall weitaus subtilere Formen an. Verschiedene Medien wie Mund-zu-Mund-Propaganda, Mailinglisten und Flyer sichern die gezielte Verbreitung von Informationen über anstehende Events, Ausstellungseröffnungen oder auch neue Produkte. Neben dieser Informationspolitik arbeitet man aber auch immer wieder daran, den Ort in der Versenkung verschwinden zu lassen. In diesem Fall lässt sich ein Spiel erkennen, das die Besucher ausbalanciert, den Ort tarnt und ihn anschließend wieder ins Bewusstsein rufen will. Die Akteure arbeiten ohne ein Jahresprogramm und kündigen ihre Kunstausstellungen kurzfristig an, indem sie die Einladung per Mailingliste vor allem an ausgewählte Interessierte und Freunde aus der Berliner, Kölner, bundesrepublikanischen und europäischen Kunstszene verschicken. Die in der Kopfzeile der E-Mail abzulesende (oder nicht abzulesende) Zugehörigkeit zu der damit offensichtlich gewordenen Szene ist das Aus- und Einschlusskriterium, um das sich zu kümmern lohnt. Die zunächst erstaunlich und widersprüchlich erscheinende Strategie des Verbergens greift eine Haltung auf, die an die alte sozialistische Dienstleistungsmentalität erinnert: Der Kunde ist nicht König und das Geschäft vorder206

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gründig egal. Diese Strategie kommt auch äußerlich zum Einsatz: Der Ort gibt optisch nach außen nur bedingt zu erkennen, welche Events sich in seinem Inneren abspielen. Nur Insider und Ortskundige nehmen ihn als Ort von Veranstaltungen und Performances wahr und können das Environment lesen. Indem die Akteure sich mit einer solchen Versteckpolitik im städtischen Raum positionieren, wird nicht nur soziale Differenz erzeugt, sondern vor allem die breite Masse fern gehalten. Wenn eifrige Sucher den Ort dennoch finden, tritt ein weiteres, subtil erzeugtes Differenzierungskriterium in Kraft. Auf den beispielsweise nach Ausstellungseröffnungen stattfindenden Partys werden den anwesenden Gästen durch die ausgestellte Kunst und die elektronische Musik verschiedene Identifikations- und Interaktionsmuster angeboten. Die Zuordnung zu diesen − basierend auf der Erfahr- und Lesbarbarkeit der Performance − ermöglicht erst die einprägsame Teilnahme am Ereignis. Darin liegt die subtile Ausgrenzungsstrategie: Niemand wird des Ortes verwiesen, jeder vielmehr zugelassen, doch nur wenige werden integriert. Und auch diese erste Integration ist eine Aufforderung, sich der Zugehörigkeit permanent und aktiv zu versichern. Die mikroterritorialen Praktiken sowie die Bedeutungszusammenhänge dieser Akteure wurden aus Feld-Beobachtungen und Interviewsequenzen beschrieben und analysiert. Der unstete Charakter des beschriebenen Ortes garantiert vorerst, dass kein Trend kreiert wird, dass keine finanziellen Abhängigkeiten entstehen und der Kommerz der kreativen Tätigkeit nicht hinderlich, sondern indirekt förderlich ist. Es ist dieser Spagat zwischen einem permanenten Wandel der Differenzierungskriterien, einer Vermeidung der reinen Kommerzialisierung und der Anwendung von Strategien des Versteckens, die diesem Ort und seinen Akteuren eine Zeit lang das Überleben sichern. Ökonomische und symbolisch-kulturelle Gesetzmäßigkeiten verlaufen also parallel und stehen in einem Wechselverhältnis. An diesem Ort überschneiden sich zudem die sozialen und unternehmerischen Netze und generieren einen für alle Akteure essenziellen Mehrwert. Orte wie der dieses Falls sind relationale Systeme, die nicht gegen die standortbezogenen Verwertungsund gewerblichen Immobilienlogiken arbeiten. Da sie ihrem Ort aber keine finanzielle Leistung abverlangen, haben die Betreiber die Möglichkeit, Ökonomie und kulturelle Symbolpraxis in ein neues Verhältnis zu setzen. Die räumliche Praxis der Akteure kennzeichnet daher das kritische Moment, mit den Qualitäten und Potenzialen von Orten eine Zeit lang kreativ arbeiten zu können und eben auch über die Ortspolitik, das Place-Making, einen sozial-kulturellen Mehrwert zu erhalten. In dieser Form ist ihr Ort Bestandteil einer Szenerie beruflich agierender kultureller Unternehmer, deren Spacing-Praktiken ein fluides Territorium markieren. Die temporären Knoten sind sog. kommunikative Hot Spots und unterliegen einer mikroräumlichen 207

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Ortspolitik, die anhand der erläuterten Handlungsstrategien aufgezeigt werden konnte. Tabelle 2 – Fall 2: Zusammenfassung und Thesen Zentrale Kriterien

Ausprägungen des rekonstruierten Falls

Professionelle Identität • und berufliche Entwicklung der Akteure • •



Unternehmensorganisation und struktur des Falls





• Sozial-unternehmerische Praktiken und räumliche Positionierung







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Fallstruktur zeigt „fließenden“ Übergang von Fachhochschulausbildung, studienbegleitenden Arbeitsgruppen und Berufserfahrungen in fachnahen Beschäftigungsfeldern. Die Fallstruktur zeigt eine flexible Berufsidentität und ein Ich-Verständnis der eigenen Profession, das in dem Motto „Universali Dilettanti“ gebündelt zum Ausdruck kommt. Erfahrenes und erprobtes Organisations- sowie erlerntes Fachwissen stehen auf einer gleichberechtigten Stufe und bilden den systemischen Kern sowie das Arbeitsmodell für die zeitlich versetzt in der Stadt Berlin praktizierte Unternehmensgründung. Professionelle Flexibilitätsanforderungen werden nicht hinterfragt, sie sind in die Grundstruktur eingelassen und geben sich in dem Organisationsmodell des Falls zu erkennen. Die flexibel angelegte Organisationspraxis gibt den Fall als strukturelle „Plattform“ für die Abwicklung von Projekten und Aufträgen zu erkennen. Von diesem Strukturmuster aus kann das Unternehmen passfähig zu Angeboten, Bewerbungen und fallspezifischen Erfordernissen ausgerichtet werden. Die Fallstruktur offenbart eine Kontinuität zwischen der Studien- sowie der Unternehmenspraxis. Die Unternehmensgründung fußt auf belastbaren zwischenpersönlichen Erfahrungen aus der Studienzeit der beiden Protagonisten. Finanzielle Abwicklungen von Projekten und Aufträgen werden passfähig zu den situativen formalen Rückbettungen (arbeitslos, selbständig) organisiert. Privatheit und Arbeitskontext fließen unhinterfragt ineinander über. Das Organisationsmodell des Falls „Plattform“ findet seine Entsprechung in einer eigenwilligen und zeitlich unrhythmischen Umprogrammierung des Ortes, der mit neuen Funktionen und Programmen umgestaltet und temporär verdichtet wird. Die Codierungpraxis der Büroräume (als „Galerie“, „Showcase“, Arbeitsraum oder „Club“) weist die „Neu-Berliner“ als symbolproduzierende „Experten“ aus. Sie demonstrieren dabei lokal-globale, stilistische, interaktionsspezifische und kulturelle Kenntnisse und werden dabei überhaupt erst als Repräsentanten und Mitglieder einer losen Gemeinschaft von „Kreativen“ ausgewiesen. Die Praxis der Erzeugung von sozialräumlicher Aufmerksamkeit über die atmosphärische Aufladung und Bespielung des Ortes generiert notwendige Prozesse der Vergemeinschaftung der ansonsten informell und lose verknüpften professionellen Gemeinschaft.

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Strukturlage des Falls





Die Fallstruktur zeigt eine Ortspolitik, die soziale und unternehmerische Netze bewusst überschneidet und für die Beteiligten einen latenten Mehrwert generiert. Der Ort und seine Struktur geben sich als ein relationales System zu erkennen, betriebswirtschaftliche Verwertungslogik und kulturelle Symbolpraxis arbeiten nicht gegeneinander, sondern stehen in einem synthetischen Verhältnis zueinander. In die funktionale wie atmosphärische Logik des Ortes sind soziale Zugangs- sowie Integrationsregeln subtil eingelassen, die auf der Fähigkeit der Erfahr- und Lesbarkeit der angebotenen Ortsprogramme sowie -symbolik beruhen.

Fall 3: Microglobalizer Vorinformation Dieser Fall thematisiert die Berufswege, strukturellen Verortungen sowie sozial-räumlichen Praktiken eines Unternehmens, das im Bereich von medialer sowie szenografischer Ausstattung von (Ausstellungs-)Räumen, Messen, (Produkt-)Präsentationen sowie Clubräumen tätig ist. Das Unternehmen besteht aus drei Männern zwischen 34 und 36 Jahren. Wesentliche Grundlage ihrer Produktentwicklung ist ein starker digitaler kommunikationstechnologischer Bezug, mit dessen Hilfe sie Räume und Orte visuell, audiell und atmosphärisch in Szene setzen. Der Fall arbeitet an Musik-reaktiven Systemen für die Visualisierung von DJ-Events und elektronischen Live-Auftritten. Die erste Erfindung der Akteure war ein manipulierter Fernseher, der nur auf Geräusche reagierte. Dieser sog. Visomat wird zusammen mit Live-Video-Mixen und Videomaterial von Band und Festplatte eingesetzt und gemischt. Das Aufeinanderprallen der beiden Musikstile Techno und Drum’n’Bass führte zu der Überzeugung, dass ein neuer Stil in der Visualisierung überfällig sei, einer, der eine enge Beziehung zwischen Musik und deren Kontext herzustellen im Stande sei.

Clubs als Start-up-Kontext Die folgende Äußerungsgestalt thematisiert die beruflichen Ausbildungswege der Akteure: IP 1: Also IP 2 und ich kommen vom Fernsehen, also ich hab –, bin Kameramann eigentlich seit Ewigkeiten, IP 2 macht Kameraassistenz. Und IP 3 hat ’ne –, ist eigentlich der einzige, der ’ne richtige Ausbildung in dem Sinne hat. Der ist Informationselektroniker, das hat der mal gelernt, was aber auch so –, obwohl, stimmt gar nicht. IP 3 ist nämlich sogar Diplom-Betriebswirt, was man nicht glaubt. Irgendwie hat der sich da durch geschwindelt. Ja. Also so, das ist schon –, es gibt bestimmte

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

inhaltliche, ästhetische und sonstige Vorbildung. Aber jetzt natürlich kein Berufs–, oder es war keiner von uns jetzt an der Kunsthochschule. Also, dass man sagen könnte man kommt jetzt aus ’ner so künstlerischen Ausbildung oder so was. Sondern es ist –, existiert schon größtenteils auf ’ner, ja, Eigeninitiative. (Z. 336-346)

Es zeigt sich, dass dem Thema Ausbildung und institutionell erworbene Berufsqualifikationen kein hoher Stellenwert in der Beschreibung ihrer Ausbildungswege beigemessen wird. Zum einen ist dies anhand zeitlich undefinierter Zuschreibungen zu erkennen, zum anderen an der ironisierenden Beschreibung und zugleich selbst-charismatisierenden Formulierung über die Richtigkeit und den Stellenwert einer formalen Berufsausbildung. Die dabei latent anklingende gering eingestufte Bedeutung dieser Qualifikation wird dadurch verstärkt, dass dem Kollegen das Erreichen eines universitären Abschlusses kaum zugetraut wird. Grundsätzlich wird aber auf eine an dieser Stelle nicht näher bestimmte Vorbildung verwiesen, wobei die Herkunft von einer Kunsthochschule als mögliche Option explizit ausgeklammert wird. Eine Einordnung (Kunst!) wird dabei umgangen. Als ein möglicher Verweis und eine sich öffnende erklärende Option wird aber zuletzt der Begriff „Eigeninitiative“ eingebracht: Er verweist auf ein anderes Modell, einen anderen Modus des Lernens relevanter Fertigkeiten und Fähigkeiten, das (noch) nicht expliziert wurde. IP: Also bei mir war es so, dass das eigentlich ziemlich schnell passiert ist, irgendwie ’90, ’91 so mit dem „Friseur“ (und „Botschaft e.V.“) Das war so ’n Kunstverein, der sich –, in dem Zusammenhang sich auch das erste „WMF“ geformt hat an der Leipziger Straße. Also daher hat es –, hab ich –, ist es schon so, dass das „WMF“ zumindest am Anfang auch da ’ne Rolle gespielt hat. Dann ging ’s bei mir halt –, wer da auch war. (Z. 351-357).

Die Sequenz verweist auf Strukturzusammenhänge, die die Entwicklungswege der Akteure steuern. Sie benennen und verwiesen auf einen Nachwendezusammenhang der Stadt Berlin. In der ungeregelten Phase der städtischen Nachwendezeit werden Zuständigkeiten, Besitzsituation und Verfügbarkeiten von zahlreichen Orten und Räumen sowie Gebäudeareale in Berlin unproblematisch „einnehmbar“, kostengünstig miettechnisch erwerbbar und somit als leicht zugänglich bewertet. Dieser städtische Strukturbruch in Form von immensen Raumangeboten und besitzrechtlich ungeregelten Situationen war verkoppelt bzw. beförderte die Geburtsstunde und Ausbreitung der Musikbewegung Techno (und ihrer Variationen) mit (Binas 2000, S. 18-19, Oswalt 2000, S. 278, Lange 2005c). In den Äußerungen wird des Weiteren auf informelle Institutionen und Stationen verwiesen („Friseur“, „Botschaft e.V.“), die temporär und phasenweise für diese Akteure einen bedeutenden Kristallisationspunkt darstellten. An diesen Räumen, die sich an „ungewöhnlichen“ Or210

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ten im Stadtgefüge Berlins zu erkennen gaben, zeigte sich – so die These – der Beginn neuer struktureller Entwicklungen der Aneignung bzw. des Umgangs mit Ort und Raum: An und mit diesen Orten vollziehen sich neuartige Prozesse der sozialräumlichen Vergemeinschaftung, wobei sich Bedarfe hinsichtlich lebensweltlicher Orientierung, Praktiken der neuartigen Vergemeinschaftung und noch unentdeckte Optionslagen artikulieren. Die in der ersten Phase der Technobewegung von ehemaligen West- oder Neu-Berlinern dominierte Ortspolitik war jedoch auch durch eine Neudefinition des kulturellen Ortes „Club“ gekennzeichnet: Die Äußerung „Kunstverein“ im Kontext der Auflistung relevanter Club-Orte der Nachwendezeit verweist auf eine neue Programmierpolitik des Clubkonzeptes. Der Zusatz „Kunst“ stellt dabei zunächst ein Synonym für die Präsenz und den Einsatz neuer Medien, einer neuen Raumgestaltung sowie neuer Nutzungsmöglichkeiten im Club dar. Institutionell wurde aber zudem durch die Referenz auf das System „Kunst“ die Programmierungsbandbreite des Clubkontextes erweitert. Dies führte zu einer radikalen Auflösung der vormals rigiden Differenzierung zwischen Hoch- und Subkultur und somit zur Erhöhung der strukturellen Durchlässigkeiten zwischen vormals heterogenen sozialen Milieus und zwischen „bloßer“ Teilnahme am Clubgeschehen und daraus erwachsenen Berufsentwicklungsmöglichkeiten. Der „Club“ wurde um seine Funktion als Ort der sozialen Außeralltäglichkeit, als Ort der kulturellen Transgression und Sozialisation zudem als eine Institution für berufliche Professionalisierung erweitert. Diese These findet in der folgenden Sequenz eine erste Bestätigung, da die Äußerungsgestalt auf die berufliche Entwicklung verweist, die in einem Clubkontext ihren Anfang hat und in der Folge über mehrere Stationen „gewandert“ ist, sich dabei transformiert hat und schlussendlich in der Gestalt und dem Verbund ein „Unternehmens“ heute operiert. IP:

Und aus diesem Clubkontext sind wir halt weiter gewandert (Z. 171)

Die Ausdrucksform „Clubkontext“ bündelt die oben aufgeworfene These und verweist darauf, dass der „Clubkontext“ weniger einen sozialen Kontext sowie einen Ort des Zeitvertreibs und des bloßen lebensweltlichen Vergnügens repräsentiert. Vielmehr handelt es sich um eine strukturell weitestgehend neue Zusammenhangsform von Praktiken der Vergemeinschaftung. Dabei werden Informationen und Wissen ausgetauscht. Dies vollzieht sich im Rahmen einer Raumproduktion, die durch soziale Bewegungen, symbolisch-atmosphärische Erfahrungen und interaktive Medialität gekennzeichnet ist. IP: Die hat man zwar immer wieder getroffen, aber auch immer wieder verloren, weil das –, ’n Club zu machen doch am Ende wirklich ’ne eigene Tätigkeit ist, wenn man das professionell macht. (Z. 367-369)

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die Anschlussäußerung „die“ verweist auf eine in dem Clubkontext lose und fluide Sozialität, eine informelle soziale Zusammenhangs- und Beziehungsform von thematisch und lebensweltlich Assoziierten. Gleichwohl zeigt sich in dieser Äußerung die Notwendigkeit, nicht nur als Konsument, sondern auch als Produzent im Clubkontext zu operieren. IP: Also Ende ’97, ja, kann man so sagen. Und gegründet hat sich das Ganze eigentlich schon über so ’n Interessensfeld, wo wir dann bei der Karte sind, das war schon der Club, das war das „WMF“ seinerzeit, wo wir gemeinsam Videoinstallationen eigentlich realisiert haben. Aus ’nem Anspruch das –, aus ’nem inhaltlichen Anspruch. Wir haben gesagt es wär eigentlich sehr interessant medial zu Musik zu arbeiten, also mit Bildern. Hatten da schon einige Versuche vorher zu unternommen und haben gesehen, dass das eigentlich sehr gut geht. Und was wir damit ins Leben gerufen haben, würd ich sagen, dadurch, dass wir das auch sofort als Infrastruktur begriffen haben und gesagt haben, wir bauen das jetzt nicht für uns, (oder) wir wollen diesen Platz nicht besetzen, ist eigentlich so ’ne Art Kunstform. Ich mein wir haben den VJ (Visual Jockey, B.L.) nicht erfunden, aber ich glaube, dass wir in Berlin sehr stark gefördert oder also so –, dass diese Szene sich so entwickeln konnte, dass wir da sehr viel mit zu tun haben. (Z. 114-127)

Diese Textstelle bündelt und belegt die oben genannte Behauptung, dass aus einem informellen Lebenszusammenhang in einer generationellen Experimentierphase heraus auch Optionen der Existenzsicherung entfaltet werden. Dabei stellt das „Interessensfeld“ den sozial informellen sowie kulturell informationellen Nährboden dar. Dieser verbindet sich einerseits mit den Orten der Clubs, und in diesem Sinn mit der territorialen Praxis und der sich dabei vollziehenden Raumproduktion, stellt aber andererseits überhaupt erst einen zentralen Zugang zu einer später notwendigen sozialen Einbettungsstruktur dar. Als Nukleus wird in dieser Passage ein zentraler Ort genannt: das WMF, das seinen Namen vom Haus der Württembergischen Metallwaren Fabrik ableitet. Es operiert als „Club und Forum für elektronische Musik seit zehn Jahren nach dem nomadischen Prinzip“ (Oswalt 2000, S. 278). Der Club hat zwischen 1992 und 2002 fünf Mal den Ort in Berlin gewechselt und entdeckte die ersten Orte in Form einer Stadtarchäologie. Bspw. operierte das WMF auf dem Todesstreifen am Leipziger und Potsdamer Platz im Bereich einer öffentlichen Toilettenlage in einer relativ skurrilen Zwischenlage. Da das Areal dem Bundesgrenzschutz unterstand, hatte die Berliner Polizei keine Hoheitsrechte, wodurch die Räumung ausblieb (ebd., S. 279). IP: Es geht natürlich um ’ne Aufwertung von ’nem Raum. `Ne ästhetische Aufwertung von ’nem Raum. Mit Medien, mit analogen und digitalen Medien. Da haben wir bestimmte Formate jetzt für uns entwickelt, verschiedene auch Installationen gebaut, meistens temporäre, ne. Es gibt also im Moment jetzt keine, die irgendwo

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fest eingebaut ist, die man sich jetzt angucken kann. Weil die letzte war im „WMF“, im letzten „WMF“, jetzt …(Z. 134-139)

Die Angebote, welche die Akteure im Club WMF offerierten, waren Videoinstallationen, die auf großflächigen und lichtstarken Projektionswänden die Musik grafisch, visuell und rhythmisch übersetzten. Diese Praxis war zum einen durch die immense quantitative Ausdehnung zahlreicher Clubs in Berlin immer stärker gefragt, zum anderen mussten die Organisatoren der Clubs ihre Räumlichkeiten schnell und kostengünstig inszenieren und bespielen. Zudem musste vermieden werden, finanzielle Investitionen materiell an oftmals illegale Räumlichkeiten zu binden. Verlor man die Zugangsberechtigung, oder konnte man Räumlichkeiten nur bei strafrechtlicher Androhung betreten, so waren die Investitionen verschwunden. Temporäre Bespielungen basierten daher oftmals auf mobilem audiellem wie visuellem Technikeinsatz. Die Akteure erkennen dabei, dass sie in der Inszenierung von Clubräumen eine kulturell-architektonische Innovation vollzogen haben, die zudem nicht nur als künstlerische Innovation erkannt, sondern auch als Chance zu einer ersten oder weiteren Professionalisierung erachtet wurde. Sie verstehen sich dadurch als notwendige Partner für zahlreiche Clubbetreiber, die auf die audielle und visuelle Inszenierung ihrer Räume angewiesen sind. Zentral an diesem Wendepunkt ist das Moment, dass sie in der Sozialisation des Clubkontextes nicht nur Fähigkeiten der Installation von Ton und Licht in neuen, sich immer schnell wandelnden Räumen erprobt und erlernt haben. Sie haben in der offenen Struktursituation der Nachwendephase mit dem Überangebot an Raum und Räumlichkeiten und dem existenziell neuen Kontext ebenso neue Praktiken entwickeln müssen, um das herzustellen, was rückblickend als „Kontext“ angesprochen wird. Kontext heißt dann neue Formen der Vergemeinschaftung und verweist auf die Bildung von neuen sozialen Formationen wie Milieus oder Szenen. Diese Benennung repräsentiert als soziale, aber auch polylokale soziale Beziehungskonstellation eine multioptionale Einbettungsstruktur. Sie stellt einen relevanten Beziehungsboden von relativ gleichgesinnten Mitstreitern und Akteuren von Ortsproduzenten (z.B. Clubbetreiber, Disk-Jockey, VisualJockey, Cluborganisationselite und Ortsentdeckern etc.) dar, die in den Jahren der Nachwende den sprichwörtlichen „Underground“ sowie „Humus“ der Stadt Berlin darstellten.

Professionalisierungen IP: Wir sind dann aus dieser –, also weil ja auch die Clubwelt für uns so ’n naturgemäßes Ende irgendwann findet, so aus Altersgründen auch –, oder aus der Tatsache, dass es halt nicht, davon kann man nicht leben, das geht nicht (Z. 171-172)

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Im weiteren Gesprächsverlauf folgt nach der Bezugnahme auf den Kontext dann auch der Verweis auf die partielle Beendigung dieser Lebensphase. Als Begründungszusammenhang wird dabei auf einen neuen generativen sowie ebenso neu strukturierten finanziellen Lebensabschnitt hingewiesen. Diese Äußerung verweist zudem auf den Kontext, der eine deutlich jugendliche Alterspräferenz aufweist. Rückblickend kann bis zu den Jahren 1997 und 1998 eine Lebensphase angesprochen werden, die künstlerische Experimente – v.a. durch erfolgte Clubinstallationen – und starke soziale Einbettung in soziale Milieus verzahnt. Diese Strukturmuster repräsentieren klare Merkmale zu den Lebensmodellen der traditionellen Subkultur oder Independent-Kultur. Die untersuchten Akteure erkennen die Begrenztheit dieses Lebensmodells und führen in den Jahren 1998 eine Unternehmensgründung durch. IP: Also Ende ’97, ja, kann man so sagen. Und gegründet hat sich das Ganze eigentlich schon über so ’n Interessensfeld, wo wir dann bei der Karte sind, das war schon der Club, das war das „WMF“ (Der Name des Clubs „WMF“ leitete sich von „Württembergische Metallwaren Fabrik“ (WMF) ab, B.L.) seinerzeit, wo wir gemeinsam Videoinstallationen eigentlich realisiert haben (Z. 114-117)

Die in der Binnenwelt des Club gewonnenen und erfahrenen Wirkungsmechanismen stellen, nebst dem sozialen Milieu, den zentralen Ressourcenfundus, von dem aus überhaupt erst unternehmerische Potenziale generiert werden können. Die starke Bezugnahme auf die Clubkultur geht aber mit der Notwendigkeit einher, vorläufig und ggf. perspektivisch mit den Praktiken und Verfahren des Clubmilieus verhaftet zu bleiben und mit der Unternehmensgründung keine Zäsur zu vollziehen. Die Äußerung „über ein Interessensfeld“ verweist auf die starke Einbindungsbedingung in das soziale Herkunftsmilieu der Clubkultur, der Verweis auf den Ort WMF auf die zentrale Bedeutungsebene „Club“, der, nachdem er in den ersten Jahren den lebensweltlichen Resonanzboden der Akteure darstellt, sich nun aber auch selbst zu einem unternehmerischen Resonanzboden herauskristallisiert. Dieser Schritt ist eingebunden in die zunehmend professioneller operierende und sich unternehmerisch ausdifferenzierende Clubkultur Berlins. Der angesprochene Club WMF bspw. entwickelte neben seiner originären Kompetenz des Clubs zunehmend eine Präsenz im World Wide Web, ein Label zur Veranstaltungsorganisation sowie zum Vertrieb seines Musikstils mit dem Namen WMF-Record, zudem ein Club-Radio mit dem Namen WMF-FM. Des Weiteren entwickelt der Club seine temporäre Ortspraxis weiter und führt seit 2002 einen Sommer-Club an der Spree (im Bezirk Mitte) durch. In dieser spezifischen Entwicklung der Professionalisierung des WMFClubs zeigt sich ein genereller Trend: Die Generation der zur Wendezeit 20bis 25-Jährigen praktiziert nach Jahren des explorativ pionierhaften und 214

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schnelllebig temporären, aber auch existenziell-prekären Lebensstils zwischen den Jahren 1996–1999 eine signifikante Professionalisierungswelle. Sie ist durch ökonomische, demografische und kulturelle Effekte flankiert und fordert diese Generation sowie das ihr assoziierte Clubmilieu zu neuen Praktiken der Lebensführung. Diese Phase der bewusst angesteuerten beruflichen Professionalisierung bringt es mit sich, dass grundsätzliche Werte und Normen der Selbst- wie der Milieuzuschreibung neu verhandelt und neu justiert werden müssen. Die relativ randständige und ebenso exklusive Nachwendephase im Umfeld der Clubwelt muss daher im Zuge der neu einsetzenden biografischen Phase gegen eine weiterhin als wirkungsmächtig zu bewertende ökonomische Unternehmerwelt verhandelt werden. Themen wie „professionelle Selbstbeschreibung“, „Produkt“ und „unternehmerische Marktfähigkeit“ müssen grundsätzlich mit und gegen die neuen Wertrationalitäten definiert werden. Während der Habitus des relativ frei operierenden Raumgestalters im Kontext des Clubbereichs starke Parallelen zur Lebensführung, Wertorientierung und zum Selbstverständnis des traditionellen Künstlers aufweist, könnte der Schritt zur Unternehmensgründung – so die forschungsleitende These dieser Fallrekonstruktion – eine komplette Neuorientierung der vorherigen Wertorientierung mit sich bringen. Dies würde, im übertragenen Sinn, mit einer „kreativen Zerstörung“ des sozialen Zugangs zur Mentalitätswelt des Ursprungsmilieus einhergehen. Oder, so die Gegenthese, die Überführung der eigenen, stark künstlerisch geprägten Tätigkeit, in die Praxis und Welt des unternehmerischen Handelns führt dazu, dass die Akteure ein Modell des unternehmerischen Künstlers praktizieren und entwickeln, dass die beiden vordergründig entgegengesetzten Wertorientierungen, Lebensführungen, Rationalitätsverständnisse nicht gegeneinander ausspielt, sondern zu einer neuen Mischform zu kombinieren im Stande sind. Sie würden daher einen weiterhin starken und wirkungsmächtigen Bezug zum Ursprungsmilieu haben und diesen nicht negieren, sondern systemische Brücken zwischen den Praktiken ihres Clubkontextes sowie der neuen Welt der Betriebswirtschaft und der Ökonomie herstellen. IP: Also ich denk, dass die –, das ist so offensichtlich, dass das in die Gesellschaft oder auch in so ’ne Struktur passt, ja. Dass man, das –, also in ’ner sehr medialisierten Gesellschaft, das es da einfach auch ’nen anderen medialen Umgang mit Bildern gibt, der zwar eher aus ’m Independent- oder aus ’nem, also Independent ist immer so ’n schwieriger Bereich, oder aus ’ner…(Z. 161-166)

Die Aussage liefert zum einen ein Argument für die Potenzialität der eigenen Produkte. Zum anderen verweist die Rechtfertigung auf latente strukturelle Schwierigkeiten der Transferierung der im Clubmilieu erfahrenen und erlern215

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ten Umgangsweisen mit neuen Medien in neue Struktursituationen. In dieser Äußerungsgestalt ist auch zu erkennen, dass das im Clubkontext entwickelte und aus der Ich-Zuschreibung als innovativ erachtete Produkt sowie ihre gesellschaftliche Einbettung noch nicht zwingend kompatibel mit anderen gesellschaftlichen Strukturen ist. Ebenso ist diese nicht passfähig zu den vorhandenen Märkten. Die Äußerungsgestalt der zunehmend „medialisierten“ Gesellschaft verweist zum einen auf den „eigenwilligen“ und „elitären“ Umgang mit Bildern innerhalb des Clubkontextes im Allgemeinen hin. Zum anderen offenbart sie aber auch die Schwierigkeiten, aus einem relativ abgeschotteten Szene- und Milieukontext heraus ein Produkt für weitere gesellschaftliche Milieus zu formulieren, die aufgrund anders konstituierter Lebensbereiche eine deutliche Distanz zu ihrer Erlebnis- und Erfahrungswelt aufweisen. Die dabei offenkundige Selbstcharismatisierung der Akteure offenbart eine Wertzugehörigkeit, die sich stark an den Wertekanon von idealtypisch autonom agierenden Künstlern anlehnt, und grenzt sie gleichzeitig vom gesamtgesellschaftlichen Normalitätsverständnis ab. Welche Muster zeigen sich in diesem Fall, wenn die Akteure Optionen und Strategien der unternehmerischen Behauptung mit dem Ursprungskontext, milieuspezifischen Normierungen sowie sozial-räumlichen Positionierungen neu gewichten müssen? Es ist wichtig, im Folgenden auf die explizierten unternehmerischen Praktiken der Akteure zu verweisen: Dabei stellen die Zuschreibung bzgl. der Generierung von Produkten, die Art und Weise der Artikulation der internen Unternehmensorganisation, die Identität des Unternehmens sowie die Orts- und Standortpolitiken zentrale Kriterien der Strukturrekonstruktion dar. Die folgende Passage gibt dazu Antworten: IP: Also „Visomat“ selbst, der Name, kommt aus ’ner Bastelei kann man fast sagen oder aus ’m Objekt, was ich mit ’nem Freund, Kollegen irgendwann mal gebaut hab. Das ist halt ’n Musikgestalter, Fernseher, und wir haben dem Fernseher einfach abgewöhnt Bilder zu machen und haben die Ablenkeinheiten als Lautsprecher benutzt und daraus ergeben sich ganz interessante Formen. (Z. 263-268)

und IP: Und „Visomat“ sagt –, also erst mal kommt der Name dann tatsächlich davon, dass es –, ich glaub das war ein Typ eines –, also das erste Fernsehgerät, was wir erfolgreich umgebaut hatten, war ’n alter Ost-Schwarz-Weiß-Fernseher, und der hieß „Visomat“ und irgendwie –, perfekt. Ja? Und weil der Name auch letztlich schon ’n Anspruch insoweit ausdrückt, dass –, Automation ist schon was, was uns auf jeden Fall interessiert. Also auch so ’ne –, oder das alles, was mit Rechnern oder mit Algorithmensoftware oder eben insgesamt Automation zu tun hat (Z. 285-293)

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Die Passage artikuliert die Gründungsphilosophie des im Jahr 2003 existierenden Unternehmens. Aus einer ungesteuerten Haltung des Spiels, des Bastelns und Ausprobierens haben die Akteure technische Fähigkeiten entwickelt und dabei den Optionsreichtum ihrer spielerischen Auseinandersetzung mit technischen Geräten erkannt. Diese Praxis, die im Kern darauf beruht, mit altem, ausrangiertem Technikgerät kostengünstig neue Funktionen und Formate zu entwickeln, verknüpft sich mit einer „Do-it-yourself“-Haltung, die in den Subkulturen der frühen Technobewegung notwendig war, um überhaupt „mitspielen“ zu können. Der Unternehmername verweist auf einen sozialen wie technologischen Ursprungskontext, der technische Fähigkeiten sowie originäre Bastel-Fähigkeiten der Akteure mit zentralen Ressourcen der Produktentwicklung verkoppelt. Darüber hinaus verbindet sich der Name historisch mit einem technischen Produkt der DDR, einem Schwarzweißfernseher. Damit ist ein Hinweis gegeben, dass die Akteure technische Fähigkeiten mit einer kulturellen Repräsentation verbinden. Der Begriff Automation führt dies fort und verbindet eine technische mit einer kulturellen Praxis. Die Fähigkeit der Akteure, in den Herstellungsprozess der Bilder auf Projektionswänden einzugreifen und diese mit Musik zwecks Generierung von Rhythmen technisch zu koppeln, dabei bewusste Unterbrechungen, Verzerrungen und Entfremdungen herzustellen, repräsentiert zunächst eine Praxis, die ihren originären Ursprung als eine kulturelle Innovation im Clubkontext hat: Die Digitalisierung sowie die technischen Fertigkeiten der Pioniere, diese Technik in die sozial-räumliche Praxis einzuweben, stellt eine wesentliche Bedingung der Emergenz der Clubkultur ab den frühen 1990er Jahren dar. Darüber hinaus, und darüber spricht Julia Schneider in der Deutschen Welle Online, ist in dem Bildproduktionsprozess der Anspruch formuliert, Ungewöhnliches, Unbekanntes und Neues zu präsentieren: „The VJs Visomats installed a system in the WMF for video-mixing and shocked the audience in 1997 with surveillance cameras and flickering monitors. „We don’t use any cheap sensations like exploding atomic bombs," state the Visomats, "but we like to work with interference and disruption, images not usually welcome in a normal television context“ (http://www.videogeist.de/Presse.html/artikel20, Zugriff am 15.09.2004).

Diese Praxis erinnert an das Raumverständnis der Situationisten, die durch das bewusst herbeigeführte Detournément den Betrachter und Besucher aus der Routine des Alltags reißen wollten. Diese Praxis weist einen aufklärerischen Anspruch auf und verbindet sich wiederum mit dem traditionellen Habitus des Künstlers. Als am gesellschaftlichen Rand sich selbst positionierende Subjekte der Gesellschaft entwickeln sie Positionen, die gegen einen me217

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

dialen Mainstream von bekannten alltäglichen Bilderwelten arbeiten. Diese Position verschafft ihnen ein Alleinstellungsmerkmal, das einen Imagegewinn verspricht und somit soziales wie kulturelles Kapital. Die unternehmensinterne Organisationsbeschreibung weist auf eine Doppelstruktur hin. Zum einen wird auf einen klar umrissenen organisatorischen Leitungskern des Unternehmens verwiesen, der sprachlich durch den Begriff „eine sehr strenge Aufteilung“ eingeführt wird. Dabei wird der Anspruch formuliert, bestimmte Arbeitsverteilungen zu regeln. Gleichwohl wird die Präzisierung der Arbeitsbeschreibung des Kollegen nicht zwingend eingelöst, vielmehr auf das „Kollektiv“ verwiesen. Anschließend zeigen die weiteren Beschreibungen eine erste Aufweichung („mehr für die …“) der zu Beginn der Zuschreibung mit „streng“ eingeführten klaren und rigiden Arbeitsteilung. Der wichtigste Bereich, die Finanzen, unterlagen bisher keiner klaren Zuständigkeit. Die männlichen Akteure des Unternehmens, die einerseits beabsichtigen, eine klare Arbeitsteilung in Form einer geregelten Organisationsstruktur des Unternehmens zu praktizieren, lösen andererseits diesen Anspruch sofort wieder auf („wer gerade ’ne Hand frei hat“, Z. 322). Daran offenbart sich eine fallspezifische Doppelstruktur: IP: Wir sind jetzt in der aktuellen Konstellation zu –, ein Kern zu dritt, würd ich sagen, wo ’ne sehr strenge Aufteilung zwischen den Bereichen nicht existiert, aber oder vielleicht auch doch existiert. Also IP 2 ist in der –, wenn es jetzt um Projekte geht. Ich mein, es gibt schon immer Sachen, die wir alle machen, was so Videos und so –, also was die Inhalte angeht, ne. Wenn ’s jetzt um Realisierung von Projekten geht, ist es so, dass IP 1 mehr für die Technik zuständig ist, IP 3 mehr für die Organisation und ich eigentlich mehr für die Kommunikation. Das sind so die –, und wie du siehst, einer der ganz wesentlichen Bereiche, nämlich die Finanzen. Die macht, (wer gerade ’ne Hand frei hat), so ungefähr, weil –, das stimmt nicht ganz, wir haben jetzt –, IP 4 ist dabei als –, wie sag ich da, als Projektmanagerin dazu gekommen. Das heißt, die hilft uns jetzt ’n bisschen in der Projektbetreuung und auch in der Akquise. (Z. 314-325)

Zum einen zeigt die Fallstruktur, dass die Akteure situativ, spontan und höchst flexibel sowie, wie eingangs erwähnt, „spielerisch“ agieren und aus dieser Grundstruktur ihren identifikatorischen Wesenskern bestimmen. Zum anderen ist diese Praxis nur bedingt mit formalisierten und geregelten Praktiken der Organisation eines Unternehmens kompatibel. Aufgrund dieser unexplizierten, aber wirkungsmächtigen Spiel- und Experimentierkultur des Falls wird diese strukturelle Brache des Falls, die symptomatisch für den Erfolg und die Nachhaltigkeit ihrer unternehmerischen Entwicklung ist, durch eine externe, nicht zwingend mit dem Ursprungskontext verhaftete Person angereichert. 218

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Bis zur Erwähnung des Einstiegs von IP 4 in das Unternehmensgeschehen explizieren die Akteure die Parallelität von zwei sich gegenüberstehenden ambivalenten Wertesystemen: a) die Praktiken des situativen, spontanen und explorativen Experimentierens, b) das bisher wenig, aber zukünftig notwendige betriebswirtschaftliche Handeln. Aus diesen Äußerungen kann die These entwickelt werden, dass die Akteure mit ihren Werten und Denkmustern noch sehr stark in der Lebenswelt der frühen 1990er Jahre verortet und verhaftet sind. Diesen strukturellen Mangel erkennen die Akteure aber in dieser Krisenzeit und integrieren einen weiteren Mitarbeiter, eine Projektmanagerin, die speziell für die Steuerung und Abwicklung anstehender und geplanter Projekte zuständig ist. Der Professionalisierungsschritt wird daher in dieser Fallstruktur nur indirekt durch die Integrierung eines neuen Akteurs vollzogen. Der Fall zeigt aufgrund seines weiterhin wirkungsmächtigen Bezugs zur Ursprungsphilosophie und dem Gründungsmythos starke Kontinuitätslinien. Diese sind aber wiederum als strukturlogisch zu bewerten, da sie nur mit starker sozialer Bezugnahme zum Ursprungsmilieu perspektivisch aus diesem Produkt heraus entwickelt werden können. Ihre Produkte erklären sich daher mit der Verfasstheit ihrer Milieus sowie mit den Orten und Räumen derselbigen.

Strukturkrise Berlins Ökonomie ist, wie Eingangs vorgestellt, finanz- und wettbewerbsschwach. Neue unternehmerische Akteure müssen daher experimentierfreudig sein. Der Zusammenbruch der New Economy nach der Hochphase 1998 und 1999 führte im Jahr 2000 bzw. 2001 v.a. in Berlin dazu, dass zahlreiche neu gegründete Unternehmen Konkurs anmelden und ihre Mitarbeiter entlassen mussten. Es stellt sich daher die Frage, wie die Akteure dieses Falls die Struktursituation zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Jahr 2002 einschätzen. Vor dem Hintergrund der faktischen Strukturkrise könnten notwendige Änderungen der unternehmerischen Praxis erwartet werden sowie Reaktionsmuster auf diese markante Lagezuschreibung. IP: Also um mal so mit dem Hauptproblem vielleicht anzufangen, ist, dass wir, glaub ich, alle ökonomisch gerade in ’ner Situation sind, in der wir seit, sag ich mal, seit dem Abitur nicht mehr waren, ja. Also was die Menge des verdienten Geldes angeht. (Z. 90-94)

Die ökonomische Situation im Jahr 2002 wird als äußerst prekär beschrieben. Die Differenzierung auf die Menge des ökonomischen Inputs lässt aber die Vermutung zu, dass sie weder inhaltlich noch konzeptionell vor einer Existenzkrise stehen:

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

IP: Auf der einen Seite, so ungefähr, also so was –, ich mein es geht alles, aber es ist echt superdünn. Und auf der anderen Seite arbeiten wir in Feldern, die wahrscheinlich so zukunftsträchtig sind oder von denen man eigentlich in allen Broschüren des Senats oder in ähnlichen, weiß ich nicht, Statements liest, dass das eigentlich genau das ist, was gerade gebraucht wird. Also von daher ist dieser Widerspruch sehr –, für uns teilweise –, der ist zwar nicht erlebt, dass man halt sagt, man müsste eigentlich ganz viel mehr Geld verdienen, sondern der –, also jetzt zumindest nicht auf dieser Ebene, dass man sich damit vergleicht, dass man da (ist), aber der wird halt an ’nem bestimmten Punkt sehr real, ja. (Z. 94-101)

Diese Vermutung wird bestätigt, indem mit Äußerungen wie „arbeiten wir in Feldern“ ein städtischer Dienstleistungsbereich angesprochen wird, der medial, politisch und tagesaktuell als zukunftsträchtig erachtet wird. Gleichwohl wird eine strukturelle Kluft zwischen einerseits den Produktangeboten der hier analysierten Akteure, ihren von außen (bspw. Wirtschaftspolitikern u.a.) formulierten momentanen Zukunftsbedarfen, und andererseits der real erlebten ökonomischen Situation des Unternehmens offenkundig. Die Distanzierungssignale, wie z.B. „der ist zwar nicht erlebt“, verweist auf systematische Versuche, sich gegen eine von außen an diese Akteure herangetragene mediale Überhöhung (und ihre Versprechungen) im Kontext einer neuen kreativen Unternehmergruppe zu wehren. IP: Wenn ’s wirklich, ja, um so ’ne Frage wie alltäglichen Lebensstandard geht oder wie oft kann man essen gehen, oder was –, wie läuft ’s eigentlich. Dass wir das –, zur Geschichte kann man ja vielleicht –, genau. Es ist so, es ging uns auch besser schon, klar, ne. Also Jahre 2000, 2001 waren eigentlich echt ganz gut auf ’ne Art. Oder was heißt gut. Nicht zum reich werden, aber zu ’ner gepflegten oder normalen, wie auch immer, Existenz auf bestimmt nicht hohem Niveau, aber so, dass es halt gut geht. (Z. 104-108)

Entgegen der vorgestellten Struktureinbrüche der New Economy in den Jahren 2000/01 konnten die Akteure gerade in diesen beiden Jahren ihren Äußerungen zufolge ökonomisch recht gut bestehen und indirekt von dieser Entwicklung profitieren. Gleichwohl zeigt sich in der Explikation des erreichten Lebensstils eine nicht näher formulierte Normalitätszuschreibung, die eine weitere substanzielle Explikation bewusst nicht einlöst. Finanzielle Unterstützung durch den Staat könnte dagegen eine Möglichkeit und ein probates Mittel als Start-up-Unternehmen darstellen, die ersten, meist schwierigen Jahre finanziell zu überbrücken: IP: Für mich ist die Berliner Politik ein gruseliger Moloch. Ja, also so, dass ich nicht sage ich will damit irgendwas zu tun haben. Also weil auch die Wirtschaftsgeschichten, die da –, also wenn ich „Partner für Berlin“ höre oder so was, ja, da –, ein

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

grauenhafter Verein, ja. Also auf der anderen Seite, klar, liest man strate-, oder was heißt Strategie so. Ich weiß nicht ().

Diese Passage thematisiert die fehlende Passförmigkeit von staatlicher Förderpraxis und Unternehmensprozessen. Sie spricht über die Berliner Förderlandschaft aus der Sicht eines möglichen (Förder-)Adressaten und stützt die oben aufgeworfene These der in dieser Fallstruktur wirkungsmächtigen Doppelstruktur zwischen explorativem Spiel und betriebswirtschaftlichem Kalkül. Ebenso die folgende Passage: IP: Wir haben uns natürlich mal mit der Investitionsbank Berlin beschäftigt. Da wird das Dilemma so völlig klar. Weil auf der einen Seite gibt es da schon Programme, die sagen wir sind förderungswürdig oder irgend-, dann beschäftigt man sich damit und dann stellt man fest, dass es da ’ne ganz andere Logik von Förderung gibt. Weil du musst –, ich weiß es nicht mehr genau. Du musst dir einfach Investitionspläne schreiben, wo du innerhalb von vier Jahren jedes Quartal 20 000 Mark oder so was investierst, damit du irgendwie ’ne Zeit –, (damit du) von denen die Hälfte und so weiter bekommst. Das sind alles keine –, da müssten wir ein Wachstum haben, das ist –, das völlig absurd ist, ja. Also so das –, wir fallen da einfach auch durch sämtliche Raster.

Die mit der Aufnahme eines Kredits verbundenen Logiken würden dabei die bisherige Praxis der Generierung von Produkten konterkarieren. In der Auseinandersetzung mit möglichen Unterstützungsprogrammen offenbart sich die systematische Unvereinbarkeit zwischen der operativen Unternehmenssituation der Akteure und der Systemlogik der Berliner Förderpolitik. IP: Aber ist auch kein Wunder, dass die nicht auf uns gekommen sind, weil wir da wirklich als Unternehmen wahrscheinlich für die nicht wahrnehmbar sind, ja, als Künstler für die nicht wirklich in Frage kommen. Wir hatten halt bis jetzt auch –, unsere wirtschaftliche Seite hat sich meistens auch woanders ausgeprägt. Also wir haben in Frankfurt was gemacht für Renault oder –, wir haben eigentlich erst in Berlin ein einziges Mal wirklich ’n Industriejob gehabt. Also so, wo wir für, für Windsor ’ne Party veranstaltet haben, ne. (Z. 486-492)

Die Logik der Berliner Fördereinrichtung basiert auf kontinuierlichen betriebswirtschaftlichen Investitionsannahmen und ist strukturell nicht mit der erprobten Praxis der Akteure zu vereinbaren. Diese Praxis zeigt – so die These – eine lebensweltliche Auffassung, die den Professionalisierungsschritt über Anleihen am sozialen Status des Künstlers und nicht über eine Umorientierung zu Kriterien des quantitativ-monetären Wachstums vollzogen hat. Zur Wahrung ihrer beruflichen Identität als Ortsproduzenten und Raumgestalter verweigern sie sich, ausschließlich unter ökonomisch- und wachstumsorien-

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

tierten Kriterien, bspw. mit seriellen Produkten, zu arbeiten: Sie würden Gefahr laufen, den Kern ihrer innovativen Tätigkeiten preiszugeben. IP: Es kann auch sein, dass wir ein bisschen –, dumm würde ich nicht sagen, aber unfähig sind mit diesen komplexen Formularsystemen umzugehen, ja. Also so, man liest sich da immer durch und irgendwann sagt man halt: okay, nee. Also die Arbeit sich damit zu beschäftigen, ne, die ist –, also die liegt einem erst mal so überhaupt nicht und die ist auch so weit weg von –, also oder dass, auch wenn man sich dann da rein begibt in so Förderungsgeschichten, dann ist die Realität dieser Förderung so weit weg von der Realität –, von der alltäglichen Realität, dass man sagt das macht eigentlich überhaupt keinen Sinn, ne. Weil die einfach ’ner völlig anderen Logik folgen und deswegen ist es auf der anderen Seite ’n Zug abfahren, ja, ich mein, klar, wenn du siehst wie andere sich aufstellen oder das tun oder natürlich ihre Firma auch über solche Subventionen und Finanzierungen am Laufen halten, dann denkst du: Scheiße, könnten wir das doch auch, ja. Aber das ist für uns –, also traurig bin ich da schon drüber. Ich find das schon schwierig, dass wir das nicht können, weil ich glaube schon, dass es da Geld gibt, aber –, ja, das ist ja auch das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vielleicht schaffen wir das auch ja mal, aber bis jetzt haben wir es halt noch nicht geschafft. (Z. 458-474)

Diese Äußerungen zeigen und bestätigen die These der fehlenden strukturellen Passung zwischen den unterschiedlichen Logiken. Die benannte strukturelle Kluft zwischen den beiden vermuteten Rationalitätssystemen findet ihre Entsprechung. Die bisher fehlenden Fähigkeiten, sich dieser konträr gegenüberstehenden Rationalitäten anzunehmen, wird durch Attribute wie „schwierig“, „traurig“ und „könnten wir das doch auch“ bedauert. Diese systemische Diskrepanz könnte aber – so die Vermutung – durch einen anderen Modus der „Kapitalgenerierung“ aufgefangen und proaktiv beantwortet werden.

Automatismus Der Zusammenbruch der New Economy und die Freisetzung von zahlreichen Beschäftigten im unternehmensbezogenen Dienstleistungsbereich umreißt die schwierige Struktursituation auch für die Akteure dieses Falls. Ausbleibende Aufträge der Wirtschaft führen gerade bei den Dienstleistungsunternehmen, die in der Kette der Produktentwicklung am Ende stehen (Marketing, Design, Werbung), zu prekären Situationen. Trotz dünner und schmaler Auftragslage verweisen die Akteure des Falls auf ein zusätzliches operatives Feld, eine Installation in einem Ladenlokal in direkter Nähe ihres Büros. Im Folgenden wird auf die Bewertung der Situation des Standorts sowie den dabei zu beobachtenden Praktiken des Falls im Jahr 2002 fokussiert.

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

IP: Das haben wir seit Anfang 2000, Januar 2000, glaub ich. Das ist auch unser erstes Büro, wir haben vorher im –, also wir hatten natürlich immer ’n Lager für Technik, das war dann teilweise Büro. Wir haben –, die Produktionen haben meistens, weiß ich nicht, bei mir im Wohnzimmer oder so statt gefunden, ja, weil ich damals in ’ner großen Wohnung gewohnt hab. Und, ja, das Büro war für uns aber ’n ganz wichtiger Schritt, das auch mal zu bündeln und auch anders wahrgenommen zu werden oder auch anders arbeiten zu können. (Z. 375-381)

Die Akteure haben ein ca. 300 qm großes Arbeitsbüro in der 2. Etage in einem Hinterhof im Bezirk Mitte. Der Zugang zum Büroraum ist äußerst schwer, nur über uneinsehbare Hinterhofareale und unbeleuchtete Treppenaufgänge, zu erreichen. Der Professionalisierungsschritt im Jahr 1997 führt nicht zu einer zeitgleichen Anmietung von Büroräumen, dies wurde erst drei Jahre später vollzogen. Die Auswahl der Lage orientierte sich an der relativen Nähe zum Hauptauftraggeber WMF. Das direkte Umfeld ist eines der konsumträchtigsten, touristischsten und durch-kommerzialisiertesten Areale Berlins. Zahlreiche hochwertige und zugleich trendorientierte Modegeschäfte haben in den vergangenen Jahren in diesem Areal ein Geschäft in Form einer Boutique eröffnet. Dadurch haben sich auch für die Akteure des Falls die alltägliche Situation sowie die Wahrnehmung geändert. IP: Und die –, das Publikum hat sich natürlich völlig geändert in den letzten Jahren, klar. Trotzdem ist die Lage strategisch gut. Es ist bestens zu erreichen, jeder findet uns, jeder –, ich mein hier zählt aber auch der Raum. Also der Raum ist einfach wunderschön, so lange wir den bezahlen können bleiben wir hier. (Z. 430-433)

Diese Passage zeigt eine Ambivalenz: Das Umfeld wird als wenig relevant bezeichnet, die Erreichbarkeit geschätzt, die Lage gibt keinerlei direkten Nutzen für die Akteure zu erkennen. Der Arbeitsraum wird gleichwohl als eine stimulierende Notwendigkeit und grundsätzliche Bedingung angesprochen. Parallel zu ihren Büroräumen bespielen die Akteure seit Januar 2002 einen leer stehenden ehemaligen Eisladen, der eine Größe von ca. 35 qm aufweist und sich zu einer belebten Straßenkreuzung hin öffnet. Er liegt direkt neben dem Eingang zu ihrem Hinterhof, in ca. 75 m Distanz zu ihren Arbeitsräumen. Dieser Raum ist als eine permanente Installation eingerichtet, sie führen ihn mit dem Begriff „Bar“ in das Gespräch ein. IP: Also dass wir hier ’ne Bar –, dass wir die Bar da unten haben, ja, die übrigens auch als permanente Installation doch –, klar gibt’s ’ne permanente Installation. Vergisst man immer so ein bisschen, die ist halt so nahe, ne. Aber es ist halt ’n ganz entzückender Raum, also –, und der find ich, auch in der Landkarte noch mal so ’ne ganz entscheidende Rolle spielt, ne, weil der setzt sich halt wirklich mitten rein, ne. Der ist –, ja, links Diesel, rechts Adidas, ja, und dazwischen ’n Kunstraum irgend-

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

wie, ja, der zwar auch Schwierigkeiten hat und der bestimmt kein Geld verdient, aber der hat doch auch ’ne, ich sag auch mal, auf so ’ner –, ’n Bewusstsein, glaub ich, von bestimmt nicht allen in Berlin, aber von den Leuten, die sich mit elektronischer Kunst in irgendeiner Weise auseinander setzen jetzt auch ’n Landmark ist in einer Struktur, wo eigentlich nur noch, ja, Mode und sonst was regiert, ja. (Z. 652660)

In der obigen Passage wird ein Ort zunächst als ein kulturell-kommunikativer Ort der Vergemeinschaftung, eine „Bar“, eingeführt. Sogleich wird er zusätzlich zur permanenten Installation erweitert, d.h. neben der sozialen Funktion „Bar“ als künstlerischer Ort benannt. In der Beschreibung des Ortes gibt sich eine bewusste Abgrenzung, in Form eines regelrechten Gegenentwurfes, zu den Konsumorten in direkter Nähe der „Bar“ zu erkennen. Während diese Orte rein kommerzielle Orte sind, stellt der von den Akteuren betriebene Ort einen nicht nur innerhalb der Stadt Berlin anerkannten und bekannten Ort für eine bestimmte soziale Gemeinschaft dar. Die Zuschreibung „Landmark“ offenbart zudem, dass die Akteure neben der durch die Konsumfunktion bestimmten mentalen Landkarte von Teilen des Bezirks Mitte auch auf eine andere kognitive Kartografie verweisen. Dem dominierenden Regelmechanismus des „Konsums“ setzen sie einen Ort entgegen, der als regelrecht „einsamer Leuchtturm“ ein Signal in den Raum sendet und dabei von einem anderen Ort erzählt. Dieser Ort, die „Bar“ und die „permanente Installation“, wurde vom Verfasser dieses Textes dokumentiert, die sich dabei vollziehende soziale Praxis in einem Feldprotokoll niedergeschrieben. Die Akteure dieses Falls hatten vor dem Interview auf den Ort „Die Automatenbar“ hingewiesen. Die Automatenbar ist das Vereinsheim des AutomatenVereins, der sich die Erhaltung der Automatenkultur und die Förderung der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Automatisation zur offiziellen Aufgabe gemacht hat. Zutritt zur Automatenbar haben nur Mitglieder mit einer Magnetkarte. In der Automatenbar stehen alte, stets gefüllte Getränke- und Lebensmittelautomaten. Eine protokollierte Begegnung: Berlin-Mitte, U-Bahnstation Weinmeisterstrasse, zwischen Bars, angesagten Klamottenläden und dem Alexanderplatz, steht auf einer noch nicht sanierten Hausecke in schönen Schwüngen die von der Zeit fast weggewaschene Aufschrift „Eis- und Imbisseck“ geschrieben. Darunter ist eine große verspiegelt Fensterscheibe, in der man sich im vorbeigehen kurz betrachten kann. Der Ort fällt nicht besonders auf, vielen, die hier vorüber eilen, ebensowenig; obwohl die Eingangstüre, die sich aufgrund ihres metallisch glänzenden Blech abhebt, einen starken Kontrast zu der historisierenden Fassade darstellt; auch die beiden Videokameras fallen erst beim zweiten Hinsehen auf. Sie sind über der Glasscheibe angebracht und auf den Bürgersteig gerichtet. Wer nimmt mit diesen Überwachungskameras, die über der Eingangstüre hängen, Bilder auf? Wer verbirgt sich hinter der verspiegelten Scheibe? Ich stehe

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

vor der Eingangstüre und nehme aus meiner Tasche meine weiße Magnetkarte, die mir die Betreiber zugeschickt haben und ziehe sie durch den Kartenschlitz neben dem Türgriff. Ein Licht blinkt kurz grün auf, das Schloss knackt leise und die Türe öffnet sich. Ich betrete die Automatenbar. Ich blicke mich im Raum um und nehme weitere Videokameras wahr: sieben bis acht Kameras sind im Raum verteilt, er scheint komplett überwacht zu sein. Über dem Fenster dann die Monitore, die mit den innen und außen liegenden Kameras verbunden sind: ich kann mich selbst im Raum sehen, den Bürgersteig, Passanten die vorbeilaufen sowie der Verkehr. Auf dem Monitor sehe ich die Passanten, wie sie sich der Glasscheibe nähern, einen kurzen Blick werfen oder auch stehen bleiben, sich in der Scheibe spiegeln – kurz mustern und das Gesicht prüfen, die Krawatte richten, die Lippen nachziehen – während ich von der Innenseite der Scheibe ihnen direkt in die leeren, auf nichts als sich selbst gerichteten Augen schaue. Wie ich später erfahren werde, finde ich die Bilder der Videokameras auch auf der Webseite wieder (zu der ich als Mitglied und mit Kennwort ausgestattet Zugang habe) und kann so beobachten, wer gerade im Automaten ist. Genauso kann ich selbst als Besucher der Automatenbar von allen anderen Mitgliedern beobachtet werden. Dieses Prinzip soll noch weiter ausgebaut werden, indem das Archiv der Aufnahmen digitalisiert wird und so ein Zurückscrollen in der Zeitleiste möglich wird: Jeder Moment der Automatenbar wird so rückverfolgbar, der Automat wird zum einsehbaren und archivierten Raum. Während ich mich mir die alten Getränke- und Lebensmittelautomaten anschaue, die mit Wein, Bier, Club Mate und diversen Snacks bestückt an der Wand aufgereiht stehen, fallen mir weitere Gegenstände auf: Hellblaue Plastikstühle mit weißen Kunstlederkissen stehen um einen ausziehbaren Tisch. Neue Menschen kommen, da die Türe kurzweilig offen steht, herein, manche bleiben kurz, sind interessiert, aber eingenommen von der Atmosphäre des Ortes, andere werfen nur einen flüchtigen Blick in den Raum, sind irritiert und verstört und verlassen den Raum wieder, ohne sich einen der in der Ecke liegenden Aufnahmeanträge mitzunehmen. Eine spannungsvolle Atmosphäre umgibt mich, in der die Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem zum Nachdenken anregt: die klare Gestaltung des Raums und die Anordnung der Möbel, die skurrile und fast schon romantische Ausstrahlung der alten Automaten und die allgegenwärtige Präsenz der Kameras und Monitore. Der Raum ist überlagert von einem merkwürdigen Retro-TechnikFetischismus; Die Mechanik der alten Automaten, das Rattern des Geldwechslers, das Klacken des Türöffners, die abwegige Mechanik der Lampen und des Türrolladens. Der Raum ist zugleich durch die Materialität der Wände begrenzt, zugleich aber auch durch die Bilder der Kameras und den Zugang zum Internet entgrenzt. (Protokoll vom 16.09.2002)

Der Objekthaftigkeit und klaren Anordnungspraxis des Raums scheint eine Programmierung, eine präzise Strategie zu Grunde zu liegen, die den Raum als ästhetisches Projekt, als künstlerische Skulptur zu erkennen gibt. Grafik 9 zeigt die Automatenbar als einen Ort mit parallel operierenden Funktions- und Raumebenen. 225

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die (An-)Ordnung der nicht personengebundenen Infrastrukturelemente basiert auf dem Anspruch, parallel integrierbare Raumzugänge interaktiv durch soziale Akteure, Vereinsmitglieder, einzunehmen. Die Automatenbar ist nicht nur ein ästhetisches Objekt, sondern auch ein sozialer Raum, ein Raum, der benutzt und ausgefüllt wird. Denn in der Automatenbar wird Kaffee und Bier getrunken, sie fungiert als sozialer Interaktionsraum, in dem wahlweise Musik gehört wird. Die 350 Mitglieder des Vereins organisieren zudem Vorträge und Veranstaltungen zu technologischen Entwicklungen im (Spiel-)Computerbereich. Dabei wird Musik aufgelegt und gefeiert. Auch wenn technisch betrachtet nur Mitglieder mit ihrer Mitgliedskarte Zutritt zu den Räumlichkeiten haben, und somit ein bezeichnender Selektionsmechanismus an der Türe vollzogen wird, sind diese jedoch insbesondere im Sommer meist offen. Die Automatenbar ist also nicht nur ein ästhetischer Raum, nicht nur eine Inszenierung, nicht nur eine mühsam zusammengetragene und ausgebaute Installation, sondern gleichzeitig auch eine soziale Institution in Form eines Vereinsheims. Die Schwierigkeit, die Grundstruktur der Automatenbar eindeutig zu rekonstruieren, liegt darin, dass sie keine Eindeutigkeit zulässt. Genau diese unterschiedlichen Codierungen machen aber – so die These – die Qualität des Raums aus. Am verständlichsten wird die Automatenbar in ihrer Gegensätzlichkeit zu ihrem direkten Umfeld: Der Ort ist als Gegenort zu den Konsumorten von Berlin-Mitte zu verstehen, als eine Alternative zum vorherrschenden ökonomisierten Raum. Die Automatenbar ist nicht-kommerziell, nicht-hierarchisch, wenngleich selektiv und doch offen und somit beweglich. Gleichzeitig ist sie ein Ort der Reflexivität sowie der örtlichen Entgrenzung. Dieser Ort verlangt vom Besucher keine ökonomischen Aktivitäten, vielmehr besteht die Möglichkeit, sich mit den vorhandenen oder mitgebrachten Computern ins Internet einzuloggen. Somit kann man sich beispielsweise auch auf die Website der Automatenbar einloggen und die Bilder, die von den Überwachungskameras alle 15 Minuten ins Netz gestellt werden, als bildliche Referenz für sprachliche und textbasierte Kommunikation verwenden.

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Grafik 9: Fall 3 „Automatenbar“

Quelle: Eigene Kartierung Der Mikroraum wird entgrenzt, die dort laufenden sozialen und situativen Praktiken sind global einsehbar, sämtliche Grenzen können überwunden werden, wobei das Individuum aber die völlige Kontrolle hat: Es kann sich dem Ort und dadurch dem medialen Raum entziehen. Parallel kann durch die Verdichtung der möglichen Kommunikationspraktiken an und mit einem Ort eine

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

kritische Reflexion der auch anderenorts laufenden medialen Überwachungspraktiken erfolgen. Des Weiteren thematisiert die kultische Verehrung der alten Automaten, die hier von nutzlosen Gebrauchsgegenständen zu Objekten der Inszenierung werden, Grundzüge der Verwertungsstrukturen unserer Gesellschaft. Ebenso spiegelt sich dieses Muster in der auf sich selbst zurückgeworfenen Inszenierung der Überwachungspraxis, in der ich meinem eigenen Bild gegenüberstehe. Indem die Automatenbar die Rolle von Überwachung in unserer Gesellschaft hinterfragt, stellt sie das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit in Frage. Die Automatenbar ist ein entpersonalisierter Raum, der nur aus Automaten besteht, aber nur für Mitglieder zugänglich ist, trotzdem immer offen steht und Fremde einlädt, an ihm teilzuhaben. Die Automatenbar ist ein intimer Raum, der in sich gekehrt ist, der gleichzeitig als kleiner intimer Raum eine neue Öffentlichkeit herzustellen versucht. Während er gleichzeitig nach außen verspiegelt ist, um sich zu verbergen, sucht er doch mit der merkwürdig deplatzierten Eingangstüre – die vorher Eingang der Diplomatenpost im Außenministerium der DDR war3 – und den außen liegenden Videokameras die Auseinandersetzung, ja den Widerspruch der vorbeilaufenden Passanten. Die Struktur des Vereins, die der Automatenbar zugrunde liegt, ist kein Vorwand, keine aus rechtlichen Gründen gewählte Form, sondern Programm. Die Erbauer und Gestalter der Automatenbar sind in der Alltagspraxis des Ortes nicht bekannt und nicht zu erkennen, sie treten zurück hinter die Anonymität des Vereins. Auch wenn einzelne Versatzstücke zu erkennen sind und verschiedenen Künstlern zuzuordnen sein könnten, so hat die Automatenbar kein offizielles Gesicht, sondern nur Automaten. Nicht die Personen stehen im Vordergrund, sondern die Handlungs- und Aktionsmöglichkeiten der sozialen Gemeinschaft. Die Automatenbar als automatischer Raum soll wie ein echter Automat einen sozialen Vorgang selbsttätig ausführen. Es ist der Wunsch der Initiatoren der Automatenbar, dass die Automatenbar ein Eigenleben entwickelt, sich verselbständigt, sich selber als sozialer Körper automatisiert. Der technische Aspekt der Automatisierung, der in der Automatenbar durch die zahlreichen automatischen Installationen betrieben wird, ist nur ein Symbol für eine andere, tiefer gelegene Grundstruktur: Es geht dem Ort nur auf sehr vordergründiger Ebene darum, die Programme für den Türöffner zu schreiben oder einen funktionierenden Geldwechsler zu konstruieren. Vielmehr geht es um das Automatische des Ortes wie des Raums und seiner Nutzer. Das Automatische des Raums ist zum einen der Raum selber, der sich

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Diese Information verdanke ich Dr. Friedrich v. Borries (Berlin).

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verselbständigt, unterschiedliche Formen annimmt, zum anderen sind es die Menschen hinter und in dem Raum, die sich ändern und austauschen. Vor diesem Hintergrund kann daher von einem doppelten und relationalen Automatismus gesprochen werden: dem des Ortes und dem des mit dem Ort verknüpften entgrenzten Raums. Somit ist ein Beziehungsraum zu erkennen, der auf eine wichtige gesellschaftliche Errungenschaften der letzten zwanzig Jahre verweist, die hier zur kulturellen Praxis wird – die Open-Source-Idee, die von den Akteuren in der folgenden Passage benannt wird: IP: Und das ist –, also es ist auch ein alter Traum, Wunsch, irgendwas gewesen, ’n automatischen Raum zu bauen. Das ist irgendwie –, frag mich nicht woher der kommt. Also der hat so –, ich versuche das immer mal raus zu finden. Das ist –, wahrscheinlich hab ich früher zu oft die (Jettsons) geguckt oder so, ja. Also das so diese –, ’ne Faszination für Automaten oder auch für Automatismen. Da steckt ja so ’n Versprechen drin, dass man nichts Unangenehmes mehr selbst machen muss, sondern, dass das Maschinen übernehmen. Es ist so ein Bild von der Moderne, die automatisch funktioniert, was in meinem Kopf auf jeden Fall anscheinend noch sehr –, oder auch sehr positiv besetzt ist. Oder auch so ’n futuristischen Anspruch hat, ja, dass das so –. Und dementsprechend ’ne Bar ohne –, da geht ’s dann noch weiter. Das ist halt die Bar, der man die soziale Funktion weggenommen hat, ja, die also keine Barkeeper mehr hat, keinen in dem Sinne emotionales, personelles Zentrum, sondern halt ’ne Infrastruktur, die das ersetzt. (Z. 675-685)

So wie der klassische Automat die Fortsetzung der Mechanik ist, die selbständige Wiederholung einer eingeübten, eben automatisierten und standardisierten Tätigkeit, verkörpert die Automatenbar ein soziales Gebilde mit einer höheren Ordnung als die des klassischen Automaten. Sie erneuert sich ständig und transformiert sich weiter. Die Automatenbar lässt sich als Fortsetzung der Automatisation im Raum beschreiben, als automatischer Raum. Der Automat versteckt sich in der Automatenbar und täuscht somit eine höhere Stufe der Automatisation vor, eine weiterentwickelte Ordnung der Automatisation. Der automatische Raum wird zum Aktivator und Generator sozialer Prozesse. Jenseits der Automatisierung, dieser logischen Fortsetzung der Mechanik, wartet eine andere Welt. Der klassische Automat wird als ein Instrument der Entpersonalisierung von Produktion verstanden. In der Auflösung der Personenbezogenheit dieses automatisierten Kunstraums, in der Anonymität der Produktion des Automaten, im Zurücktreten der jeweils eigenen Individualität in die Anonymität des Automaten – also der freiwilligen Selbstautomatisierung der Initiatoren – ermöglicht die Automatenbar jenen, welche die Automatenbar als soziale Skulptur, als automatischen Raum nutzen, das Aneignen, das in Besitz nehmen und sich identifizieren mit einem Raum sowie offenen sozialen Praktiken.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

In dem Moment, in dem die Grenzen verwischen, von Macher und Nutzer, von ästhetischem Objekt und sozialer Skulptur, von Raum und Automat, entsteht ein herrschaftsfreier Raum: Das ist die Philosophie der Open Source.

Fazit Der Fall zeigt exemplarisch, wie die Vorreiter einer Clubkultur der frühen 1990er Jahre aus einem Clubkontext ihr symbolisches und medialtechnologisches Produkt im Verlauf der Zeit in einem unternehmerischen Kontext weiterführen. Sie reagieren auf äußere Strukturveränderungen mit einem selbst operierenden Kunstprojekt und artikulieren dadurch ihre stabilen Beziehungen zu ihrem Ursprungsmilieu. Der Unternehmensstruktur sowie den Anforderungen der Ökonomisierung werden durch die Integration einer neuen Projektmanagerin Rechnung getragen, die Gründungsakteure ändern ihre grundlegenden Werte daher nur partiell organisatorisch, aber nicht individuell. Die Professionalisierung trägt daher versuchsartige Züge. Daraus gibt sich auf dem Weg einer unternehmensinternen Professionalisierung ein Widerstreit unterschiedlicher Wirkungsmächte zwischen Systemlogiken zu erkennen. Die Analyse kommt daher zunächst zu dem Schluss, dass die Akteure strukturpersistente Merkmale aufweisen. Bei Beibehaltung ihrer ideellen Positionen reagieren sie mit ihren Mitteln auf die Strukturbrüche und -veränderungen mit der Programmierung eines Ortes. Die systematische Aufgabenverteilung soll dabei die Chance erhöhen, sich nach außen vor dem Kunden entsprechend der dabei erwarteten unternehmerischen Praktiken und Erwartungen zu präsentieren. Des Weiteren agieren die Akteure aber gemäß ihrer beruflichen Sozialisierungen, die weitestgehend in den temporären und ungeregelten Orten der Berliner Nachwendezeit erfolgten. Die ihnen eigene Fähigkeit, als Stadtarchäologen und Raumszenographen distinkte Räume und für bestimmte Szenen kompatible Orte aufzuspüren und annehmbar zu machen, greifen sie zu Beginn des Jahres 2000 wiederum auf und errichten eine Automatenbar in Berlin-Mitte. Sie transformieren dabei einen physisch klar definierten und minutiös programmierten Raum inmitten eines kommerzialisierten Areals in einen sozialen, finanziell nicht abhängigen sowie technik-basierten Möglichkeitsraum mit offenen Grenzen. Der Ort ist nur für Mitglieder des Vereins mit einer Magnetkarte zu betreten. Aufnahmebedingungen gibt es nicht ist, die Mitgliedschaft im Verein artikuliert ein nachdrücklicheres Sich-Einlassen mit den Regeln, Optionen und Praktiken der Automatenbar. Die in diesem automatischen Raum eingeschriebenen und möglichen sozialen Interaktionspraktiken beschränken sich aber nur vordergründig auf die installierte Automaten- und Computertechnik. Vielmehr formulieren sie mit einer speziellen mikrolokalen 230

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

An-Ordnung von Interaktionsmöglichkeiten eine kulturelle Praxis, die neben der alltagsbasierten Face-to-face-Begegnung eine globale und netzbasierte Kommunikationsmöglichkeit mit reflexiven Interaktionsschlaufen (Archivierung der Bilder!) ermöglicht. Indem die Akteure den sozialen Ort „Bar“ entpersonalisieren, nach außen durch eine nur von außen uneinsehbare Scheibe abtrennen, überlassen sie den Raum einzig und allein einem technik-basierten System. Sie öffnen und erweitern den Raum dabei aber für individuelle Aneignungs-, Interaktions- und Praxisformen. Während die Bezeichnung des Raums als Bar in der formalen und rechtlichen Obhut eines Vereins liegt, sind zum einen relativ traditionelle Strukturen zu erkennen. Gleichwohl ermöglichen diese einen sozialen Kommunikationsort für die Akteure des (ehemaligen oder aktuellen) Clubkontextes, bieten dem Ursprungsmilieu einen neuen Ort an, an dem es sich unter neuen Rahmenbedingungen vergemeinschaften kann. Zum anderen wird der Ort aber weltweit als Kunstprojekt wahrgenommen und kann so auch von „außen“ via Internet eingesehen werden. Diese Doppelung, d.h. die Ausdehnung des unternehmerischen Feldes auf eine mikrolokale wie gleichzeitig globale Ebene, hat auch indirekt positive Effekte auf die unternehmerische Praxis der analysierten Akteure. In der Strukturanlage der praktizierten Mikroglobalisierung – so die These – haben die Akteure eine weitere kulturelle Innovation formulieren und passfähig mit den systematischen städtischen Krisensituationen platzieren können. Tabelle 3 – Fall 3: Zusammenfassung und Thesen Zentrale Kriterien

Ausprägungen des rekonstruierten Falls

Professionelle Identität • und berufliche Entwicklung der Akteure •

• • Unternehmensorganisation und struktur des Falls



Technische „Bastel- und Experimentierphase“ mit bildgebenden Technologien in den 1990er Jahren stell den „Ausbildungs-, Erfahrungs- und Wissensfundus“ sowie das professionelle Selbstverständnis der Akteure dar. Die erworbene formale Berufsausbildung wird gegenüber „Do-it-yourself“-Praktiken abgewertet. Es zeigt sich ein sozialer Autonomie- und Statusgewinn der Akteure im Feld der beruflichen Praxis, der sich im Wesentlichen aus den erlebten Erfahrungen und „Netzressourcen“ der Berliner „Clubwelt“ erklärt. Die sich dabei vollziehenden Sozialisationsmuster bestimmen im weiteren Verlauf die strukturelle Ausprägung der fließenden beruflichen Professionalisierung. Die berufliche Identität orientiert sich an Strukturmerkmalen und Typiken des „Künstlers“. Die im Zuge der Unternehmensgründung sich vollziehenden Professionali-sierungsschritte zeigen nur bedingt strukturelle Passungen hinsichtlich der individuellen Ausrichtung an betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN





Sozial-unternehmerische Praktiken und räumliche Positionierung







Strukturlage des Falls







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Es zeigt sich ein persistentes Strukturmuster in der Unternehmens- und Verfahrenspraxis, das ein starkes Verhaftetsein der Akteure mit dem „Ursprungsmilieu“ und der „Clubwelt“ artikuliert. Diese Kontinuität garantiert zum einen den nachwievor existenziellen Zugang zum „Ursprungsmilieu“, zum anderen erschwert er die angepeilte betriebswirtschaftliche Ausrichtung des Unternehmens. Über eine zusätzlich mitarbeitende „neutrale“ Person wird die Ausrichtung des „Unternehmens“ an den „neuen“ Kriterien wie Markt, Betriebswirtschaftlichkeit und Projektorganisation systematisch eingelöst, die Hauptprotagonisten lösen diesen Schritt – aus gutem Grund (s.o.) – nur partiell ein. Der räumlichen Nähe zum Clubmilieu und dem „Clubkontext“ wird – trotz der temporären Verweildauer und dem flexiblen Migrationsverhalten der Clubs – durch die Auswahl der Büroräume im Bezirk Mitte Rechnung getragen. Dem „Ursprungsmilieu“ der Clubwelt wird ein selektiver Ort in Form eines heterotopen Kommunikationsmediums „Automatenbar“ angeboten. Dieser Ort liegt in direkter Nähe zu den Büroräumen. Der „automatische Ort“ gibt sich als eine soziale Skulptur zu erkennen und „lebt“ und „arbeitet“ ausschließlich durch und mit den Teilnehmern. Die Betreiber treten als Person nicht direkt in Erscheinung. Die Raumstruktur und -organisation gibt sich als ein mikrolokaler und zugleich entgrenzter globaler Ort zu erkennen. Dieser bietet für ein selektives Publikum die Thematisierung von städtischer Raumkontrolle und individueller Raumaneignung. Der Ort ermöglicht die Verdichtung von Kommunikationsflüssen, erzwingt diese aber nicht. Er komprimiert räumliche Maßstabsebenen mittels bild- und textgebender Kommunikationsmedien. Die Fallstruktur gibt starke Kontiunitätssignale zum sozialen „Herkunftsmilieu“ der spezifischen Nachwendeclubkultur Berlins zu erkennen. Darin sind „Do-it-yourself“-Praktiken dominierend, die in der Nachwendezeit das einzige und relevante „Mittel“ darstellten, in der größtenteils ungeregelten Strukturlage ohne Vorerfahrung und finanzielles Kapital am Aufbau von Clubräumen zu arbeiten. Des Weiteren zeigen sich durch die erworbenen Fähigkeiten der Raumproduktion individuelle und kollektive Autonomieund Statusgewinne, die wiederum unternehmerische Alleinstellungsmerkmale (auch für ihre Produkte) und somit einen Marktvorsprung erzielen. Die Fallstruktur zeigt starke Spreizungen zwischen einerseits Verharrungstendenzen in der Lebenspraxis des Clubkontextes und andererseits strukturellen beruflichen Unvereinbarkeiten mit betriebswirtschaftlichen „unternehmerischen“ Rationalitätskriterien. Dies führt zur Positionierung als „Künstler“, aber auch zur Integration einer Projektmanagerin, die den systemischen „Mangel“ des zweckrationalen Unternehmertums kompensieren soll.

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Fall 4: Transformatoren und Reflektoren Vorinformation: Professionalisierung durch Projekte Im Mittelpunkt der Fallanalyse stehen drei Akademiker: eine diplomierte Designerin und zwei Männer, einer der beiden ist Kunsthistoriker, der andere Architekt. Die beiden Männer kennen sich aus der Schulzeit in ihrer schwäbischen Heimat Stuttgart. Einer der beiden kommt 1990, der andere 1994/5 nach einem Umweg über den Studienort Köln nach Berlin. Beide beenden ihr Studium in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in Berlin. Nach zahlreichen Projektkooperationen in Berlin gründen die drei Akteure im Jahr 1999 in Berlin-Mitte in einer ehemaligen Metzgerei einen thematischen Buchladen. Dieser konzentriert sich dabei auf Bücher, Magazine und Zeitschriften aus den Bereichen Design, Architektur, Ökonomie, Stadt und Pop. Im Jahr 2001 erhalten sie den vom Kulturkreis des BDI verliehenen Kunstpreis „ars viva“.

Selbstverständnis, Struktur- und Organisationsformen Eine erste Explikation der Selbstbeschreibung wird im Verhältnis zu einem als zentral bewerteten Projekt artikuliert: IP: 1 … im Endeffekt bauen wir auf einem Vorläuferprojekt auf, was sich vielleicht dann im Verhältnis zum Laden beschreiben lässt, #B:ja# das ist das Projekt Baustop.randstadt,- es verfolgt einen kritischen, untersuchenden Ansatz und fand 1998 #B: [.]# in der NGBK und oder im Rahmen dieses Programms der NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, B.L.) statt sowie an anderen Orten, unter anderem auch am Berlin[carree] am Alexanderplatz #BL:mhm # (.) es war geplant gewesen als eine ziemlich konzentrierte Gegendarstellung oder als ein Gegendarstellungsprojekt zu den herrschenden Beschreibungen von Berlin und den Selbstdarstellungen von Berlin (Z. 46-53)

Das Selbstverständnis dieser Akteure wird in Beziehung zu einem „Projekt“ gesetzt, das sich gesellschaftskritisch mit wachstumsorientierten Stadtentwicklungsstrategien im Berlin der 1990er Jahre auseinandersetzt. Die momentane Wir-Zuschreibung wird in Beziehung zu dem Projekt „Baustop! randstadt.-“ gesetzt, ein politisch motiviertes Projekt, das einen Gegenentwurf darstellt zu einer bestimmten, in den 1990er Jahren vorherrschenden Beschreibungsweise der Stadt Berlin. Dieser Projektverbund stellte eine politische Repräsentation von ca. 20 Beteiligten dar, deren Ausgangspunkt im Herbst 1998 die Beobachtung war, dass Konflikte um die Ausrichtung Berlins auf „gehobenen Konsum, spekulative Privatisierung von öffentlichem Grund und Abwicklung Ost gegenüber der Dringlichkeit von Sachzwängen“ fortwährend keine Berücksichtigung fanden (Baustop/NGBK 1998, S. 12). Soziale Spal233

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

tung, Nationalismus und Geschlechtergrenzen – so die Herausgeber des Buches Zu städtischem Handeln und politischer Stadttheorie der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) e.V. – würden sich dabei festigen, während alternative Lebensformen und Praktiken nahezu hysterisch abgewertet werden. Das soziale Umfeld der NGBK stellt Mitte der 1990er Jahre – neben anderen – einen wesentlichen Kristallisationspunkt kritischer Öffentlichkeit gegenüber den Expansionsbestrebungen der Berliner Stadtbaupolitik dar. In ihrer Selbstdarstellung setzen sich große Teile dieses Umfeldes von der Stadt Berlin ab, da diese einen Auftritt als „Unternehmen“ praktiziert. Die Stadt erhoffe sich, auf diese Weise eine erfolgreiche Bilanz durch Expansion und Investitionsvorhaben vorzustellen, während gleichzeitig auf Kosten der städtischen Mitarbeiter „rationalisiert“ wird. Vielfältige Projektergebnisse und politische Positionen der Projekte der NGBK wurden in den Bezirken Kreuzberg und Mitte in Form von Veranstaltungsreihen mit Diskussionen, Workshops und Filmen, einer Videothek und Plakatwänden in Bushaltestellen vorgestellt. In der eröffnenden Gesprächsäußerung (Z. 46 ff.) ist zum einen eine zentrale politische und raumstrukturierende Dimension zu erkennen, die sich im Zusammenhang mit einer expressiven Wachstumsideologie der Nachwendezeit erklärt. Zum anderen stellt sich die Frage, welche Akteure dem organisationellen Begriff und der Form „Projekt“ zuzurechnen sind. Es ist zu vermuten, dass die Zusammenführung von Akteuren aus dem Bezirk Kreuzberg mit Akteuren aus dem Bezirk Mitte ein Novum darstellt. IP: 1 …trotzdem führte das insgesamt lang angelegte Projekt innerhalb eines engen Rahmen Leute zusammen, die dabei teilweise bis an den Rand der Erschöpfung kamen und daraufhin haben wir im Endeffekt versucht uns wieder in anderen Zusammenhängen zu koordinieren, natürlich auch versucht uns selbst ökonomisch irgendwie am Leben zu erhalten (Z. 58-60)

Das eingangs vorgestellte und eingeführte Projekt erweist sich in der weiteren Vorstellung nicht nur als eine politische Artikulationsstruktur. Ebenso stellt dieses Projekt den Beginn eines sozialen Verbundes dar. In ihrer sozialen Formation sind neben politischen Werten und Normen auch bestimmte Arbeits- und Engagementformen eingeschrieben. Politische Arbeit wird nicht gegen individuelle Existenzsicherung abgegrenzt, sondern, so die These, unter schwierigsten Bedingungen damit verzahnt. Die temporären Konstellationen eines weiten Netzes von politischen Gesinnungsgenossen zerfallen nach Beendigung der Aktivitäten wieder und artikulieren sich ggf. in anderen Konstellationen zeitlich versetzt. Der dabei offensichtliche strukturelle Zusammenhang zwischen sehr ausgeprägtem poli234

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tischem Engagement, kurzweiliger extremer Arbeitsbelastung mit nichtexistenzsichernden Erträgen gefolgt von existenzsicherndem Einkommen, repräsentiert hochgradig fluide und wenig standardisierte und formalisierte soziale Lebenszusammenhänge. Diese markieren zunächst eine starke Parallelität zu dem in den 1970er und 1980er Jahren bekannt gewordenen Modell einer linksalternativen politischen Formierung. Dieses versuchte politische Aktivität mit Fragen der als politisch verstandenen Lebensführung zu verkoppeln und sah in der Form des sozialen Kollektivs die Chance, beides systematisch zu verbinden. Erste Veränderungen gegenüber diesem Modell zeigen sich in diesem Fall aber u.a. in der Frage, wie jeder Aktivist die Sicherung seiner individuellen Existenz vollzieht. Bei dieser Frage wurde jeder sich oftmals selbst überlassen. Im Zuge dieses politischen Verbands wird diese Frage parallel nicht über ein „Kollektiv“ oder den Projektverbund gelöst. IP: 3 wie vorhin schon IP 1 und IP 2 erzählten, haben wir zusammen Ausstellungen zusammen produziert #BL:mh# und dann war der Laden eigentlich die Idee … diese ganze Beschäftigung, die immer zu viele Orte hat, die so viele Foki hatte und so viele soziale Situationen erzeugt hat und in vielen sozialen Zusammenhängen stattfand, diese dann eher zu konzentrieren und dafür wirklich einen Ort zu haben (Z. 68-71)

Die Erfahrungen aus den unterschiedlichen Projektzusammenhängen werden zeitlich, inhaltlich, örtlich und sozial als zu heterogen bewertet. Diese Bewertung führt schließlich dazu, über die Gründung eines „Ladens“ das sehr heterogene und ausdifferenzierte Beziehungsnetz von Aktivitäten, Orten und sozialen Zusammenhängen systematisch zu bündeln. „Laden“ ist eine unspezifische Beschreibung, fokussiert aber zunächst nicht auf eine rein ökonomische Plattform, sondern – in dem Zusammenhang der Sequenz (Z. 70-71) – auf die soziale Dimension eines tatsächlichen Ladens an einem Ort. In der Äußerungsgestalt „wirklich einen Ort zu haben“ (Z. 71) artikuliert sich ein Anspruch, den losen und weit verzweigten sozialen, projektbasierten und thematischen Beziehungen einen konkreten und realen, d.h. persistenten Ort entgegenzustellen. Somit – so die These – ist die Positionierung einer politisch motivierten Beziehungsstruktur zunächst in der Tradition der „kritischen stadtteilbezogenen Projektorte“ zu sehen: In wenigen Bezirken in Berlin, insbesondere in Kreuzberg, haben sich in den 1970er und 1980er Jahren im Rahmen der Hausbesetzerszene, Antifa-, Feministinnen- u.a. Emanzipationsbewegungen verschiedene Politgruppen gegründet. In diesem Milieu versuchten sie zunächst in ihrem direkten sozialen Umfeld über Informationsund Versammlungsbüros einen sozialen Ort, oftmals in Form eines „Vereinsbüros“, zu etablieren. Die Aktivisten haben sich hinsichtlich ihres räumlichen

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Aktivitätsfeldes zunächst auf den Wahrnehmungs- und Gestaltungsraum „Kiez“ orientiert. In diesem relativ überschaubaren Areal sollte und konnte sich die Gegenwelt der jeweiligen Gruppen mit ihren formellen und informellen Infrastrukturen einrichten. Oftmals erfolgte dabei auch eine Wert- und Themenorientierung an den im eigentlichen Sinne nahe liegenden lokalen Bedingungen, Notwendigkeiten und Gegebenheiten, z.B. in Form von Kiezvereinen, Kiezlokalen und Kiezläden. Die Selbstorganisation reagiert auf lokale wie gesellschaftliche Missstände und operiert – schematisch gesprochen – mit gesellschaftlichen Gegenentwürfen. Der Dimension des Ortes kommt in den Kiez-Orten der 1970er und 1980er Jahren zunächst die Aufgabe zu, soziale, kulturelle und politische Refugien darzustellen. Von diesen aus konnte eine Artikulation der z.B. politischen Forderungen in breitere Teile der Gesellschaft vollzogen und vorbereitet werden. Hinsichtlich dieser skizzierten Strukturlage grenzen sich die drei Akteure des hier behandelten Falles gegenüber den Praktiken der Soziokultur der 1970/80er Jahre tendenziell ab: Die soziale Gestalt der untersuchten Zusammenhangsform hat sich nicht einer zentralen politisch motivierten Position mit relativ klar kodifizierten und explizierten Werten, Sichtweisen und Handlungsoptionen verschrieben. Vielmehr versucht sie die ohnehin schon weitestgehend professionell ausgerichtete, aber weit verzweigte Lebenspraxis wiederum um einen realen Ort herum zu reorganisieren. Dieser Ort weist sich zunächst durch seine grundsätzliche Öffentlichkeit aus (Öffnungszeiten des Geschäfts) sowie aber auch durch eine thematische Fokussierung, die durch die zum Verkauf angebotenen Gegenstände Spezialisten und sog. Fokusgruppen anspricht. In der Kopplung von soziokulturellen mit ökonomischen Funktionen an einem Ort repräsentiert der vorgestellte Fall eine erste Differenzierung gegenüber den Praktiken und Ortspolitiken der „Läden“ in den 1970er und 1980er Jahren. IP: 2 …wir wollen dies weniger als eine Professionalisierung von vormals selbst organisierten Räumen verstanden wissen #BL:mh# als eher als eine experimentelle Praxis um das Stadtumfeld herum (Z. 107-110)

Diese sanfte kulturpolitische Neubewertung der Institution Laden ermöglicht für die hier vorgestellten Akteure in diesem Fall das notwendige flexible Handeln und Agieren in anderen professionellen und politischen Zusammenhängen. Der als notwendig bewertete Ort, der Laden, greift nicht in das soziale Gefüge und die thematischen Positionen der ursprünglichen Politikpraxis ein, die sich gegen die stadtstrukturell vehementen Dynamiken („Baustop!“) der Berliner Nachwendezeit zur Wehr setzten. Vielmehr stellt der Ort eine Fokussierung und strategische Professionalisierung durch die in ihn einge236

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schriebenen formellen und informellen sozialen Bezügen der Aktivisten dar, die somit eine nachhaltige Stärkung erfahren. Während in der Sozio- und Stadtteilkultur strukturell bedingt oftmals deprivierte Arbeits-, Wohn- und Lebenssituationen den zentralen thematischen und politischen Ausgangspunkt der Aktivitäten darstellen, erfolgte in den seltensten Fällen eine systematische Professionalisierung in diesem Milieu. In dem hier vorgestellten Fall – so die These – beherrschen die untersuchten Akteure die Kunst der Transformation (Transformatorthese). Der Prozess der Transformation erfolgt zunächst durch die Formulierung und die Auswahl eines Projektortes, der allen drei Akteuren die nötige Flexibilität überlässt, weiterhin in ihren sozialen, kulturellen und politischen Beziehungen professionell zu agieren und als Kristallisationspunkt den immensen flexibilisierten Aktivitätsmustern nicht nur einen ruhenden Pol gegenüberzustellen, sondern vielmehr diese Transformation mit einer ökonomischen Absicherung und zugleich institutionellen Professionalisierung zu verknüpfen. Somit gelingt es den Akteuren dieses Falls nicht, ausschließlich gegen eine vorherrschende Stadtpolitik zu opponieren (Baustop!), als vielmehr die kritische Auseinandersetzung über eine Professionalisierung und Institutionalisierung in der Form eines Buchladens fortzuführen und sich dabei selbst beruflich weiterzuentwickeln und neue Optionen zu eröffnen.

Standortwahl – flexibler Buchladen Die oben identifizierte Struktursituation zwingt nun zu der Frage, wo, in welcher Form und mit welchen Begründungszusammenhängen ausgestattet eine Verortung des Projektverbundes im städtischen Raum vorgenommen wurde. Die Akteure gründen 1999 eine thematische Buchhandlung im Berliner Bezirk Mitte. Keiner der drei Akteure weist eine spezielle Vorqualifikation wie bspw. eine Buchhändlerlehre oder ähnliches auf. „Dieser Laden ist für uns eine Möglichkeit, real zu werden“, so einer der drei Akteure im Gespräch mit Claudia Wahjudi (Wahjudi 2001, S. 17). Weitere zentrale Motive zur Gründung des Buchladens sowie die damit zusammenhängenden Absichten werden in der folgenden Aussage erkennbar: IP 3: ….wir fragten uns, was denn passiert, wenn man theoretisch eben genau das kritisiert oder zumindest untersucht oder darüber forscht und auch die Bücher dazu da hat, was jetzt so rund um einen herum passiert und wo man denn tatsächlich auch noch ein reflektierender Teil davon ist. #mh# Und gleichzeitig halt, dass so ein Laden auch eine größere Öffentlichkeitsmöglichkeit hat, als das jetzt meinetwegen ein kleiner Veranstaltungsraum hat… (Z. 116-123)

Die Ausdrucksgestalt wird mit einer reflektierenden Frage eingeleitet, in der zunächst die Selbstzuschreibung der Akteure zu ihren beruflichen Praktiken 237

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als Ausgangspunkt gesetzt wird. Von dieser Selbstzuschreibung aus wird eine individuelle Position zu gesellschaftlichen Prozessen, hier stadtstrukturelle Veränderungen, formuliert. Des Weiteren leitet die Zuschreibung „ein reflektierender Teil davon ist“ eine zweideutige Milieuzuschreibung ein: Zum einen artikuliert sie eine Beziehung zu einer hier nicht näher definierten sozialen Gemeinschaft, zum anderen ist man nicht „irgendein“ Teil, sondern ein spezieller, ein „reflektierender“ Teil des Ganzen („davon“). Von dieser Selbstzuschreibung geht eine Verpflichtung aus, sich in direkten Bezug zu den reflektierten Wirkungsmechanismen und ihren kulturellen Rahmungen zu setzen. Die Akteure fassen sich selbst als Bestandteil einer städtischen Entwicklung auf, diese wird aber nicht negiert oder schematisch vereinfachend kritisiert, sondern mit einer verantwortlichen Aufgabe belegt, von der man, stillschweigend, natürlich auch profitiert. IP 1 die zu konzentrieren und dafür wirklich einen Ort zu haben und dass man dann auch eher von dem eigenen Ort aus ausprobieren kann, was für ein Verhältnis man zum Beispiel zu Stadt oder zu anderen Themen einnehmen kann (Z. 71-74)

In der weiteren Äußerung (Z. 71-74) wird auf die sozialen Interaktionsdimensionen sowie die Möglichkeiten des Ortes – einer thematischen Buchhandlung – hingewiesen. Dies mag vordergründig erstaunen, da eine Buchhandlung von ihrer Grundstruktur keine politische Plattform, sondern eine mikro-ökonomische Institution mit klaren betriebswirtschaftlichen Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten ist. Bedingt durch die als Strukturanlage vorgestellte „Transformatorthese“ des Falls ist davon auszugehen, dass bewusst und zielgenau ein Ort gewählt wurde, an dem die in den Projektarbeiten und konstellationen thematisierten Inhalte sichtbar, benennbar sowie alsdann reflektierbar und bearbeitbar, kurzum, transformierbar werden. IP 2 Also wenn ich mir anschaue, wie Projektökonomien sonst so laufen, mit immer sehr langen Vorarbeiten, dann eine sehr starke Intensität während der Projektdurchführung und dann also dieses Auf und Ab, dass sozusagen die kurzfristige Projektarbeit mit sich bringt, dagegen stellt der Laden als eine Basis sozusagen einen permanenten Raum und ein Forum auch für längerfristige Diskussion bereit. Berlin steht eben in Mitte für diese selbstorganisierten Veranstaltungsräume, Bar- und Clubräume #mh# und das hat bei uns eigentlich schon immer eine Tradition, es geht zurück auf die Wendesituation, wo Räume umgenutzt wurden und man darin halt eben in irgendeiner Art und Weise sich selbst organisiert hat (Z. 78-88)

In diesen Explikationen wird erkennbar, dass den zeitlich unrhythmischen und sehr kurzfristigen Projektformierungen der Ort Buchladen als langsamere und regelrecht entschleunigte, soziale Plattform entgegengesetzt wird. Er ermöglicht des Weiteren eine thematisch und inhaltlich längerfristige Auseinander238

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setzung. Die dabei artikulierte „Tradition“ bezieht sich auf die Kontinuität der politischen Arbeit („Baustop!“) und signalisiert deren Fortführung, wenngleich mit einem neuen institutionellen Rahmen. Diese Traditionslinie hat ihren Ursprung in einer Nachwendephase der Stadt Berlin, in der es relativ leicht und kostengünstig war, sich Räume in Form von z.B. leer stehenden Ladenlokalen anzueignen und sie für kulturelle und unternehmerische Praktiken temporär umzunutzen. Diese Tradition wird fortgeführt, wenngleich sich zunächst der Buchladen, ein immobiler Ort, als Bruch mit der Praxis der temporären und kurzweiligen Raumnahme der Nachwendezeit zeigt. Eine Kontinuität dieser „Tradition“ offenbart sich aber in der mikroörtlichen Praxis sowie der Programmierung dieses Ortes. Die folgende Grafik 10 zeigt, wie der ökonomische Ort Buchladen temporär einer neuen Programmierung unterliegt und zu einem Veranstaltungs-, Vortrags- und Performanceraum verändert werden kann. Links oben ist der Raum in seiner standardisierten Anordnung schematisch abgebildet, wie auch in der Grafik 10. Rechts oben geben einige Indikatoren Auskunft über die harten Konditionen des Ortes sowie die technische und mediale Ausstattung. Links unten ist die temporäre Umprogrammierung skizziert. Insbesondere der hintere Teil des Ladens wird als Veranstaltungsraum umprogrammiert und jeweils, den Veranstaltungen gemäß, neu umgeordnet. Rechts unten sind Eckpunkte der sozialen und zugleich temporären Situation angeführt. Die Mikroperspektive zeigt die wechselseitige Zonierung und Anordnung des Ladens. Sie erlaubt Aufschlüsse über (An-)Ordnungspraktiken der Gegenstände und Waren, die einem vordergründig ökonomischen Ort abverlangt werden. In dieser strategischen Ausrichtung wird aber nicht nur der ökonomische Ort Buchladen um die Funktion „Ereignis“ (Vortrag, Performance, Diskussion etc.) erweitert, vielmehr artikuliert sich aus der Sicht der Betreiber ein flexibles Steuerungsinstrument: die Umprogrammierung des Ortes. Die Innenarchitektur kann für verschiedene Veranstaltungen flexibel umgestaltet werden und somit den ökonomischen Ort um einen kulturellen (Veranstaltungs-)Ort erweitern. Die Programmierung und die Anordnung sowie die materiale Innenarchitektur des Ortes Buchladen kann aber für das jeweilige Programm flexibel umgestaltet werden.

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Grafik 10: Fall 4 „pro-qm“

Quelle: Eigene Kartierung Der ökonomische Ort kann somit flexibel für Veranstaltungen wie Lesungen, Performances und kleine Konzerte den Erfordernissen einer Zuhörerschaft bis zu 150 Personen angepasst werden. Die folgende Passage expliziert das Verhältnis zwischen der Binnenstruktur des Ortes „Buchladen“ zu der den Ort umgebenden Raumstruktur. Dieser wird als Gegenhorizont zur eigenen Position („Exot“/„Avantgarde“) beschrieben. IP 3 …wir wollen dies weniger als eine Professionalisierung von vormals selbst organisierten Räumen verstanden wissen #BL:mh# als eher als eine experimentelle Praxis um das Stadtumfeld herum #BL: mh# in dem man nicht ein Exot ist, odernotfalls ein Teil davon oder Avantgarde, die dann von professionellen Galerien oder von Geschäften verdrängt werden #mh#, sondern man muss ein konkretes Verhältnis einnehmen, als zum Beispiel Konkurrenz zu sein oder und so haben wir eine experimentelle Situation gefunden, #BL: mh# wir haben uns gefragt, was passiert denn

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eigentlich, wenn man genau theoretisch das kritisiert oder zumindest untersucht oder darüber forscht und auch die Bücher dazu hat, was jetzt so rund um einen rum passiert. (Z. 110-118)

In dieser Äußerung wird ein Begründungsangebot vorgestellt, um zu explizieren, warum ein rein soziokultureller Projektladen, bspw. in der Form eines Vereinslokals, als nur bedingt funktionsfähig erachtet wird. Der Mikroort Laden wurde dagegen als flexibler Ort mit der oben skizzierten und dokumentierten Verfahrenweise und Nutzungsprogrammatik entwickelt. Begründet wird dies mit verschiedenen Traditionslinien: Dabei steht v.a. im Vordergrund, Theorie und Praxis in ein produktives und wirkungsreiches Verhältnis zu setzen. Dies vollzieht sich gewissermaßen durch die Besetzung des Ortes und der sich vollziehenden Ortsbespielung, in dem inhaltlich mit den den Ort umgebenden Raumstrukturen ein spannungsreiches Verhältnis angelegt wird. Des Weiteren erfolgt eine Positionierung des Buchladens in einem hochdynamischen, durchkommerzialisierten Stadtraum (Bezirk Mitte), der die Protagonisten nicht aus der ökonomischen Verpflichtung entlässt. Vielmehr verlangt er ihnen eine erhebliche ökonomische Rendite ab. Nichtsdestotrotz wird darüber hinaus ein direkter Bezug zu den stadtstrukturellen Veränderungen hergestellt, der wiederum einen wesentlichen Ausgangspunkt für die Verortungspraxis des Falls darstellt. IP 1 und so war und ist es für uns insofern wirklich wichtig selber mit zu kriegen, was sich vor der Haustür so zu sagen vollzieht und wie wie bestimmte Prozesse einfach im Schnelldurchlauf funktionieren. (Z. 437-439)

In dieser Feststellung, dass sich sozialräumliche Verdrängungsprozesse in rasantem Tempo in direkter Nähe sowie im Umfeld ihres Ladenlokals vollziehen, begründet sich ein zentraler Schlüssel ihrer ökonomischen wie kulturellen Verortungsstrategie: Die immense Dynamik ermöglichte ihnen zum einen, in der Anfangsphase in einem hochattraktiven Stadtareal mit ihrem Projekt Fuß zu fassen. Zum anderen sind sie durch ihre Verortungspraxis eben auch ein Akteur, der die kulturelle Auf- und Umwertung von in Teilen brachgefallenen Stadtteilen an vorderster Front mitentwickelt und in diesem Prozess der Umwertung eine tragende, wenngleich reflektierende Rolle, einnimmt. Die untersuchten Akteure stellen in ihren Äußerungen zunächst eine Situation fest, die sie mit „experimentell“ benennen und von der aus sie eine Beziehung in das direkte städtische Umfeld „Mitte“ extrapolieren. Experimentell ist dieser Kontext als ein Versuch der Akteure anzusehen, der Stabilisierung dieses Stadtteils durch die immense Kommerzialisierung entgegenzuwirken. Sie suchen dabei nach Formen und Repräsentation, die – durch Experimente – an die Ende der 1990er Jahre gemachten Erfahrungen des damals relativ ge-

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staltoffenen Stadtraums anknüpfen und den Stadtraum nicht gänzlich den Interessen und Mechanismen des Kommerzes aussetzen. Ihrer Wahrnehmung zufolge vollziehen sich dabei hochdynamisch kommerzielle, aber auch kulturell-symbolische Prozesse („Verdrängung“) in dem Feld des Stadtbezirks Mitte. Die Gründung der Unternehmensform Buchladen erklärt sich somit auch durch die Projektpraxis der Akteure, die vor der Gründung des Ladens nicht mehr mit den diagnostizierten Entwicklungsdynamiken der Stadt sowie insbesondere in den Innenstadtbereichen in ein – aus ihrer Sicht – fruchtbares und produktives Verhältnis zu setzen war. Anders ausgedrückt: die zunehmende Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Bezirks Mitte zwang die bis 1999 in einem losen und flexiblen Beziehungsnetz operierenden Aktivisten zu einem Professionalisierungsschritt, den sie über die Besetzung und Programmierung eines Ortes inmitten eines ihrer zentralen thematischen Foki vollzogen. In dieser Strukturlage zeigt sich auch die klare Abgrenzung bzw. fein angelegte Differenzierung zu den soziokulturellen Projektstrukturen und -organisationen der 1970er und 1980er Jahre. Der Hinweis auf die „konkreten Verhältnisse“ führt dazu, dass sich die Akteure direkt am Ort des aus ihrer Sicht und für ihre Tätigkeit markantesten Geschehens positionieren (müssen) und nicht einen Rückzug vom Ort des Geschehens in Form des bekannten alternativen „Gegenentwurfs“ anstreben und einschlagen. Mit der Zuschreibung „experimentell“ wird aber weniger eine vakante, temporäre und nicht dauerhaft betriebswirtschaftlich haltbare Position des Ladens sowie seines ökonomischen, kulturellen und sozialen (Projekt-)Ortes angesprochen. Die folgende Sequenz expliziert das Verhältnis der Akteure zur NachwendeStruktursituation der Stadt Berlin und den Versuchen, in dieser Phase soziale Räume der Artikulation zu finden. IP 2 …damals ging es darum Sachen zu veranstalten und sich eigene Räume für die eigene Subsistenz und für die eigene Themenauswahl anzumieten #ja# und diese dann zu nutzen und das vollzog sich dann die ganze Zeit in Berlin speziell mit dem Blickwinkel auf Stadtpolitik, also Berlins Umbau und dem Ausgangsprojekt „Baustop.randstadt,-„ Dabei hat das Projekt wirklich so ziemlich alles lexikalisch probiert, alle möglichen Akteure zusammen zu bringen, von Gruppen aus Kreuzberg, von antirassistischen Initiativen, von einmaligen Aktionen, #mh# die Städtebauinterventionen betrieben haben #mh# und dabei Themen wie Gentrifizierungsprozesse thematisiert (Z. 90-99)

Dabei machten die Akteure in den 1990er Jahren die Erfahrung, dass der Prozess der sozialen Vergemeinschaftung von politischen Aktionen ganz wesentlich durch ein ideologisch breites und heterogenes Spektrum von Aktionsgruppen getragen wird. Die aktuelle Struktursituation des Falls zeigt aber ebenso eine andere Seite: Die Protagonisten haben weiterhin ein markantes Standbein in dem ideologischen Milieu der „Gruppen aus Kreuzberg“ und da242

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rüber hinaus eine notwendige Hinwendung zu einem ökonomischen Arbeitsmodell „Buchladen“ betrieben. Darin artikuliert sich eine feine Differenzierungslinie des Falls: Die offenkundige Strukturanlage beinhaltet eben zum einen, „Teil des (kommerziellen) Systems“ zu sein und sich nicht in Opposition dazu zu positionieren, wie dies in Form von Aussagen Mitte bis Ende der 1990er Jahre zu laufenden Stadtentwicklungsprozessen der Fall war („Baustop!“, „antirassistische Initiativen“ etc.). Die Differenzierungslinie zum kommerziellen Mainstream wird in der selbstcharismatisierenden Anspielung „Exot“ oder „Avantgarde“ (Z. 115, s.o.) offenkundig: Sie verweist zum einen auf die Zugehörigkeit zu einem kleinen, bestimmten traditionell politisch geprägten „Ursprungsmilieu“ Kreuzberger Vergemeinschaftungspraktiken und markiert außerdem eine Abgrenzung zum mehrheitlich kommerziell ausgerichteten Publikum des Bezirks Mitte. Zum anderen wird diese identifikatorische Position aber mit der Selbstzuschreibung „reflektiert“ versehen. In dieser feinen Abgrenzung artikulieren sich berufliche und soziale Selbstzuschreibungen sowie sozialräumliche Praxisformen, bei denen sich – so die These – posttraditionale und regelrecht hybride Identitätskonzepte der Akteure manifestieren. Dabei steht weniger ein versiertes, vermeintlich postmodernes „Spiel“ mit Codierpraktiken im Vordergrund, als vielmehr der Versuch der Akteure, ein identifikatorisches Alleinstellungsmerkmal mit den bestehenden ideologischen Welten in der Stadt Berlin zu generieren, ohne sich jedoch vom „Ursprungsmilieu“ der „Baustop!“-Projekte und ihrer Trägergruppen vollständig abzulösen. Die Akteure haben im Verlauf der Zeit wechselseitig kulturelle wie auch ökonomische Praxisanteile in den Projektort Buchladen integriert. Dabei vollzog sich ein synergetischer Prozess, indem an diesem Ort verschiedene Praxisanteile miteinerander in Beziehung gesetzt wurden. Dies verhalf den Akteuren in der hochdynamischen Strukurlage des Berliner Bezirks Mitte eine beruflich-lebensweltliche Kontinuität nicht nur zu etablieren, sondern überhaupt erst perspektivisch zu ermöglichen und zugleich ausbaufähig zu eröffnen. Die folgende Passage verhandelt die im Zuge der praktizierten Umprogrammierung und der kulturellen Bespielung des unternehmerischen Ortes „Buchladen“ einsetzende veränderte Wahrnehmung des „kulturellen Projektes“ (Z. 224) hin zu einem „Kunstprojekt“ (Z. 230). IP 1: Also dass wir als kulturelles Projekt von außen wahrgenommen werden #BL: mhm# , dass haben wir immer pragmatisch verstanden, also wir haben das nicht als kulturellen Anteil oder Mehrwert verstanden #BL: mh#…wir haben das schon immer getrennt voneinander behandelt, bis eben Anfragen von außen kamen #BL: mh# die einerseits so lauteten, ob man nicht Bücherlisten zusammenstellen kann. Das ging dann so weiter, dass wir auch für den Kunstpreis vorgeschlagen wurden und

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den auch gewonnen haben. Dabei wurde der Laden als Ganzes als strategisches Kunstprojekt verstanden. (Z. 224-230)

Die Passage artikuliert eine unerwartete Wahrnehmung der eigenen politischen und unternehmerischen Praxis, da das Projekt „Buchladen“ für einen Kunstpreis vorgeschlagen wurde (und ihn auch bekam). Die vormals getrennt aufgefassten Sphären der Ökonomie/Betriebswirtschaft – mit der Referenz auf die vehemente Kommerzialisierung von Arealen des Bezirks Mitte – auf der einen und der kultur-politischen Sphäre („Baustop!“) auf der anderen, erzeugt kein widersprüchliches Spannungsgefälle, sondern vielmehr ein produktives und systemisch offenes. Die traditionellen Grenzziehungen sind in dem Projekt nicht aufgehoben, sondern auf der Ebene der Kunst – jenseits etablierter Rationalitätsbarrieren – systematisch und spannungsgeladen neu in Beziehung gesetzt.

Milieu-, Szene- und Stadtteilzugehörigkeiten Bedingt durch den hochdynamischen Strukturwandel des Bezirks Mitte ist der äußere städtische Strukturrahmen, wie oben gezeigt, die zentrale Referenzfolie für die unternehmerischen Verortungen des untersuchten Falls. Die thematische Positionierung des Buchladens – mit dem Fokus auf Stadt, Pop, Ökonomie, Architektur, Design – sowie seine kommerziellen Angebote in Form von Druckerzeugnissen erlauben eine erste, wenngleich geringe soziale Differenzierung hinsichtlich des Interessentenkreises sowie der Praktiken der szene- und milieuspezifischen Akteure. Da die Äußerungen der untersuchten Akteure nur schwache bis geringe Abgrenzungssignale zu anderen thematischen und auch stadträumlich anders gearteten Projekt- und Initiativgruppen zeigen, kann ein im Folgenden vorgestelltes Feldprotokoll einen ersten Aufschluss geben über Habitusformen, soziale Praktiken und Aneignungsformen milieu- und szeneaffiner Personen im Buchladen. Ein Feldprotokoll: Der themenbasierte Buchladen war schon immer eine zentrale Quelle für mich um nach Neuerscheinungen, Zeitschriften und einfach Unerwartetem zu suchen und zu stöbern. Ja, oft ging ich einfach vorbei, wohl wissend, dass ich nichts kaufen werde, einfach um in diesem riesigen Archiv den Blick über Bekanntes und Unbekanntes schweifen zu lassen, auch um zu beobachten, wer wieder etwas Neues publiziert hat oder zum x-ten Mal neu aufgelegt hat. Mit einem Buch oder einer Zeitschrift habe ich mich dann auch ab und an auf eine der bereitstehenden Bänke oder Plastikstühle gesetzt und etwas gelesen. Auch die Musik macht mich immer neugierig, kein Teppich von irgendwelchen unaufdringlichen aber auch nichts sagenden Elektroklängen, sondern die individuelle

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Note des jeweils im Laden Dienst habenden Verkäufers oder der Verkäuferin. Mal sphärisch, mal Techno, mal Pop, mal exotisches. Interessant war dabei auch immer zu beobachten, wer da kommt, wer, in welcher Konstellation, über was sie sich unterhalten. Wie die Frau, die völlig begeistert von einer kleinen Ecke voller Tanzbücher fast ausflippt vor Rührung und sich ungeachtete jeder Gepflogenheiten auf den Boden setzte, ihre Tasche wegwarf und sich völlig den entdeckten Funden widmete. Oder da ist die Kollegin aus dem Süden der neuen Bundesländer, die ihre Zugankunfts- und -abfahrzeiten immer so legt, dass sie, auch wenn der Laden erst um 12 Uhr aufmacht, noch mit ausreichend Zeit in den Laden gehen kann und sich ihren Rucksack mit neuen Büchern volllädt. Beim Beobachten der Besucher des Buchladens stelle ich fest, dass viele systematisch durch die Themenbereiche gehen, ja sich fast durcharbeiten. Die wenigsten wissen von vorne herein ganz genau, was sie kaufen wollen und streben nach dem Vorfinden des Wunsches sofort an die Kasse und verlassen den Laden so schnell sie ihn betreten haben. Die meisten erarbeiten sich den Laden genussvoll, da werden zunächst die großzügig platzierten Auslagen am Eingang inspiziert und mit Vorsicht zurückgelegt. Das Neue scheint selten im ersten Moment genau das richtige zu sein, was man nun mitnehmen will. Viel eher strebt man in seine Ecke und zu seinem Themenbereich, um dort zu überprüfen, wie die Anordnung verändert wurde, was neu dazugekommen ist und auch, wer da gerade steht, sind doch die an diesem Regal stehenden potentiell an ähnlichen Themen Arbeitende, Suchende und Neugierige, also Partner aber auch Konkurrenten im Geiste. Das neu gefundene Material kann natürlich nicht kommentarlos zur Seite gelegt werden, es muss vielmehr inspiziert, überprüft (Literaturverzeichnis!) und mit der Begleitung gemeinsam diskutiert werden. So laufen hinter jedem Regal immer wieder Diskussion ab, oft auf English, mitunter auch japanisch oder italienisch. Nun werden, nachdem der Überblick hergestellt ist, die entscheidenden Fragen an einen gestellt. Kaufen oder nicht kaufen. Die Funde werden von der einen Hand in die andere verlegt, der Blick schweift unterdessen zu den zahlreichen Ankündigungen von Konzerten, Ausstellungen und Kulturveranstaltungen. Stapelweise Flyer liegen an mehreren Stellen im Laden aus und füllen die noch frei liegende Hand. Somit nimmt jedeR etwas mit nach Hause. An der Kasse liegen dann weitere Flyer, und, viel wichtiger, das Buch der Bücher, in das sich jedeR interessierte mit seiner Adresse oder seiner Visitenkarten eintragen kann und somit in den Mailverteiler des Ladens und seiner Betreiber aufgenommen wird. Das „Who is Who“ liest sich, während man an der Kasse auf den ECKarteneinlesevorgang wartet, wie ein Feuilleton in den besten Zeiten, gespickt mit Medienvertreten, Politikern und denen, die zunächst durch Visitenkarte auffallen können und deren Namen mir nichts sagen. Ich habe mich ebenso schon früh in den Verteiler eingetragen und erhalte immer wieder in unregelmäßigen Abständen Einladungen zu Lesungen und Performances. Ungeduldig ob des Ablaufs komme ich viel zu früh hin, der Laden, der bis 20 Uhr geöffnet ist, leert sich, die Betreiber räumen um, die Türe wird zugeschlossen und ich kann gerade noch hinausgehen, irritiert, dachte ich doch, dass im Anschluss an die Öffnungszeiten die geplante Veranstaltung beginnt. Draußen auf der Strasse be-

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merke ich, dass angrenzende Geschäftsläden ihre Türen nach und nach verriegeln, doch Ruhe kehrt nicht ein. Unbekümmert trinkt der Besitzer des Nachbarladens noch ein Bier mit seinem Angestellten, wenige zu spät kommende Kunden werden noch eingelassen oder unterhalten sich statt der geplanten Kaufaktion mit den Verkäufern. Der zwei Häuser entfernt angesiedelte Vietnamese bricht derweil aus allen Nähten, aber nach und nach verlagern sich Zweier- oder Dreier-Grüppchen in die Nähe des Buchladens. Aus zweier und dreier Gruppchen werden größere Grüppchen, man scheint sich zu kennen und wieder zu erkennen. Lose zusammengestellt warten alle auf den Einlass, niemand drängelt, man scheint es zu kennen, den verzögerten Beginn. Dann öffnet sich die Türe, aber kaum jemand stürmt auf die wenigen Sitzplätze. Nach und nach füllt sich der Raum, derweil an der Kasse Bier und Wasser verkauft wird, man schaut sich um, viele, die keinen Platz mehr bekommen haben, klemmen sich zwischen Regal und Wand, oder kauern gleich auf den Boden. Bilder von Sit-ins der 1970er Jahre schießen mir durch den Kopf, das Publikum aber ist gemischter, alte und junge, Professoren neben Studenten, wie Medienschaffende und Glamoursternchen, casual look neben Szenelook. Man nimmt es wahr, beäugt sich, bleibt aber gelassen, man ist ja schließlich in Mitte, so habe ich den Eindruck. Der Vortragende, ein ostdeutscher Architekturkritiker, wartete geduldig auf den Beginn, derweil die Veranstalter sich nicht einigen können wer nun den Gast begrüßt und die Veranstaltung eröffnet. In äußerst wenigen und kurzen Worten wird der Gast begrüßt, wobei darauf hingewiesen wird, daß, trotz der heterogenen Gruppen, ihn ja ohnehin die meisten kennen und somit eine detaillierte Vorstellung nicht nötig sei. Der Gast nimmt es zur Kenntnis und beginnt. Nachdem er nach einer Stunde fertig ist, findet, obwohl die Thesen brisant und provokativ waren, keine Diskussion statt. Es scheint niemanden zu jucken, manch einer holt sich ein Bier, Elektroklänge erobern den Raum, Zigarettenqualm steigt auf, Bücher werden angeschaut und wieder weggelegt, die Grüppchen verlagern sich nach und nach nach draußen und stehen dort zusammen, die Veranstaltung scheint sich nach draußen auf die Strasse zu verlagern. Da ich niemand kenne, außer den Veranstaltern, mit denen ich im Anschluss einen weiteren Gesprächstermin vereinbare, begebe ich mich nach der Veranstaltung nach Hause. (Protokoll vom 10.07.2002)

Das empirische Feldprotokoll bietet die Möglichkeit, durch Beobachtung und Interaktion gewonnene Eindrücke, Erfahrungen und Wahrnehmungen zum Gegenstand der Analyse zu machen. Zunächst als empirisches Element identifiziert, kann es mit den thesenartigen Interpretamenten der Interviewsequenzen in ein kritisch-analytisches Verhältnis gesetzt werden und somit weiteres Datenmaterial zu Strukturbeschreibung des Falls bereitstellen. Dem Protokoll kommt dabei die Aufgabe zu – ebenso wie in den anderen vorangegangenen Fällen –, aus einer anderen Perspektive die Selbstbeschreibungen der Akteure und deren Praktiken zu beleuchten. In diesem Fall wird durch das Protokoll zum einen die Alltäglichkeit des Buchladens dokumentiert, zum anderen die Umprogrammierung des Ortes bei einer Veranstaltung. Die im Alltag des Buchladens beobachteten Akteure zeigen Interaktionsformen, die zwischen 246

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unbestimmtem Stöbern und leidenschaftlichem Vergraben in dem vorhandenen Angebot oszillieren. Der Kontext Buchladen rückt – vermittelt über das Personal – dabei nicht mit normalitätssetzenden und disziplinierenden Verhaltensweisen in den Vordergrund, sondern agiert dezent im Hintergrund. Vielmehr zeigt sich eine Laisser-faire-Haltung, die für den Besucher individuelle Interaktionsprozesse mit dem Ort ermöglicht und somit auch individuelle Erfahrungen in Form von Aneignungsweisen zulässt. Aufgrund des reichhaltigen und exklusiv-breiten Angebots des Buchladens ist der Ort international bekannt und zieht trotz des thematischen Fokus eine, hinsichtlich Alter und Profession, relativ heterogene Klientel von Interessenten an. Eingerahmt ist ein Besuch dieses Ortes nicht nur in die Vermittlung und Verbreitung von Information und Wissen, sondern auch in ein atmosphärisches Wirkungsfeld, in dem elektronische Musik, die Begegnung mit Diskursen sowie die Konfrontation mit dem Unerwarteten eine symbolische Anreicherung des Raumes darstellen. Die Praxis der örtlichen Umprogrammierung – hier ein protokollierter Vortrag im Rahmen einer Buchpräsentation mit deutlich fokussierter Thematik – offenbart dagegen ein zunächst unerwartetes Bild. Während der thematische Gegenstand nebst seinem Protagonisten deutlichen Anlass zu „Widerstreit“, „Widerspruch“ und „Zwischenruf“ bietet – und dies wird auch erwartet –, zeigt sich in der Interaktionsweise beim Publikum und den Gästen eine Kultur der Lässigkeit, der Gelassenheit und der Coolheit. Der aus dem oppositionellen Milieu des DDR-Bildungsbürgertums kommende Vortragende hatte mit Verve und Engagement eindrucksvoll für seine Sichtweise der regionalen Transformation Ostdeutschlands geworben. Die Gäste nahmen es gelassen zur Kenntnis und verströmten eine Aura der Kühle und regelrechten Indifferenz zur Thematik. Wurde der Ort in seiner Alltagswahrnehmung noch regelrecht leidenschaftlich „eingenommen“, so kehrte sich dieses Verhalten zum Zeitpunkt der temporären Umprogrammierung und des sich dabei vollziehenden Ereignisses in sein Gegenteil um. Der Anlass führt zu einem gebremsten und äußerst verhaltenen Reaktionsspektrum. Im Anschluss an den Vortrag schwillt die Kommunikation langsam an, in Kleingruppen verharren die Gäste entweder im Buchladen oder vor der Türe. Dabei werden der Vortragende und seine Themen diskutiert, behandelt und verhandelt, der soziale Ort des Diskurses verliert nach und nach seine Kühle und erlangt wiederum ein höheres Maß an aktiv teilnehmender Interaktion, wenngleich ohne mit dem konkreten Anlass des Abends in direkte Interaktion zu treten. Dieses Muster korreliert und bestärkt in deutlicher Art und Weise ein Moment der rekonstruierten Strukturanlage des Modells Buchladen. Die Protagonisten des Buchladens entfalten ein oberflächlich spielerisches und flexibles Verhältnis zu eindeutigen und einstimmigen Themen und Positionen. So 247

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

reproduzieren die Akteure den Dialog mit dem Anlass: Man ist Teil des sozialen Ereignisses an diesem Abend, positioniert sich aber nicht mit ebenso eindeutigen Äußerungen zu grundsätzlichen, im Raum stehenden Fragen. Die Gäste und Zuhörer sind temporärer Teil des Ereignisses, partizipieren und profitieren durch die Vorstellung inhaltlicher Positionen, wenngleich sie als soziale Einheit regelrecht amorph und unspezifisch bleiben (und bleiben müssen). In dieser Ambivalenz dieser Identitätsgestalt zeigt sich daher ein zentrales Element der Fallstruktur. Der Ort Buchladen operiert mittels feiner Differenzierungspraktiken als thematischer Fokus, d.h. als soziales und systemisches Relais zwischen ökonomischen und kulturell-politischen Projektkulturen. Diese werden nicht gegeneinander gewertet, sondern vielmehr wird über den sozialen Ort nach den Beziehungen und systemischen Koppelungen gesucht, die beide Systeme mit ihren Rationalitätsanforderungen in ein spannungsreiches und offen gestaltbares Wechselverhältnis setzen. Dass die Akteure dabei zum einen, wie in der folgenden Äußerung expliziert, die sozialräumlichen Verdrängungsprozesse auf die eigene Art und Weise deuten und regelrecht als Stimulans für eigene Interaktionspraktiken auffassen, ist weder zynisch, naiv noch ausschließlich spielerisch, sondern erklärt sich aus der hybriden Strukturlage des Falls „Buchladen“: IP 1: Was passiert, wenn man etwas ins Schaufenster legt und was ergibt sich daraus für ein Verhältnis zu verschiedenen sozialen Akteuren?

Fazit Vor dem Hintergrund der Fallinterpretation lassen sich vorerst folgende Strukturelemente zusammenfassen: Der Ort des Falls – ein Buchladen – entstand aus einer theoretischen realpolitischen Auseinandersetzung mit Stadtpolitik und einer Diskussion um alternative Räume der kulturellen Produktion, der politischen Auseinandersetzung und der sozialen Erfahrung mit einem Thema heraus: Stadt. Er fungiert zum einen als sozialer Ort, um die Beschäftigung mit solchen Fragestellungen kontinuierlich zu ermöglichen, zu befördern und auch zu lenken. Zum anderen überschneiden sich in diesem Laden die theoretischen Interessen der Akteure mit einem Praxisfall, wie diese theoretischen Anliegen durch die strategische Programmierung des Ortes sowie seiner Trägergruppe überhaupt erst öffentlich werden. Motiviert wird die thematische Auswahl des Buchladens durch die eigenen professionellen Interessen der Akteure – in dem bewussten Verbinden verschiedener Formen der Praxis und der Theorie. Die Reihung der Themen im Untertitel des Buchladens – Stadt, Politik, Pop, Ökonomiekritik, Architektur, Design, Kunst & Theorie – liest sich im 248

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Sinne einer Theorie des Urbanen mehr als konsequent: Urbane Praxis ist nicht vorstellbar ohne politische Inhalte, ohne ökonomische Fragen, aber schon gar nicht ohne Pop, Architektur, Design oder Kunst. Für die Trägergruppe und die Initiatoren des Buchladens entspringen aus diesem Zusammenhangsverständnis eigene Produktionen gerade in dem Subsystem Kunst; diese wiederum können für Ausstellungsprojekte fruchtbar gemacht werden. Darin artikuliert sich die strukturelle Offenheit und Entwicklungsfähigkeit für die Akteure, was ihnen einen zentralen Professionalisierungsschritt ermöglicht. Dabei verlassen die Akteure aber nicht ihr angestammtes soziales („Ursprungs“-) Milieu, vielmehr können sie weiterhin konstruktiv an einer weiteren Professionalisierung arbeiten, ohne den Kontakt zu diesem Milieu zu verlieren. Sie brauchen dies auch, um – neben Inspiration und Informationen – auch ihre Glaubwürdigkeit beizubehalten. Das an den Ort gekoppelte Projekt Buchladen verhält sich in diesem Sinne institutionell und programmatisch in enger Beziehung zu seinem territorialen Umfeld und arbeitet mit den flexibel gestalteten Potenzialen des Ortes. Es verhandelt, dokumentiert und vermittelt künstlerische und stadtpolitische Prozesse und setzt sich damit auseinander, wie diese Prozesse repräsentiert, also in Medien wie Büchern, Zeitschriften, Platten, CDs, Videos etc. dargestellt und bearbeitet werden. Die Funktionalität des Ladens ist somit eine Form der sozialen Verhandlung, die gleichzeitig und parallel die betriebswirtschaftliche Grundlage und Ökonomie des Ladens sichert. Sie ermöglicht eine vernetzte Beschäftigung mit Theorien und deren Distribution, der eigenen wissenschaftlichen Arbeit und eigenen künstlerischen Projekten: Recherche, Produktion und Vermittlung von Wissen gehen in ihrer täglichen Praxis mit einer Umsetzung von Wissen in Gestaltung, Erfahrung und sozialem Kontextwissen einher. Die Akteure generieren – so die These – dabei eine bisher strukturell unbekannte Form der sozialen und zugleich unternehmerischen Mikroinstitution: Sie setzen sich über die bekannten institutionellen Formen wie etwa „Initiativbüro“, „thematisches Informationsbüro“ (z.B. Bürgerbüro), „Buchhändler“, „Kunstgalerie“ oder „politische Vereinigung“ hinweg und schaffen eine strukturell neue Zusammenhangsform. Diese weist sich zum einen dadurch aus, dass sie sich als ein zeitlich und thematisch flexibles Relais zwischen den individuellen Interessen der Protagonisten und der kollektiven Praxis potentieller Projektinteressenten des Umfeldes und Kunden verstehen. Dies garantiert ihnen Zeit für eigene Projekte und ermöglicht ihnen die Option, an einer eigenen Professionalisierung zu arbeiten. Die traditionellerweise in diesen Projekten vorherrschenden Ideologien (politisch-kulturelle Gegenbewegung! vs. ökonomische Nutzungsmaximierung!) werden in ein dynamisches, sehr praxisnahes und örtliches Spannungsfeld überführt. Das Label „Buchladen“ hat zudem den Nebeneffekt, bekannte Schwellen- und Zu249

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

trittsängste, wie dies bspw. bei Galerien im Kunstbereich der Fall ist, tendenziell zu senken und somit nicht allein auf die Rückversicherung des sozialen Ursprungs- oder eines neu formierten Milieus angewiesen zu sein. Eine feine strukturelle Kontinuitätslinie zu den bekannten Kiezbüros der 1970er und 1980er Jahre besteht in der Praxisnähe sowie der bewussten Positionierung des Projekts in dem stadträumlich zentralen Problem-, Diskursund Themenfeld. Die mögliche Umprogrammierung des Ortes generiert aber einen örtlichen Mehrwert, ermöglicht, diskursive Prozesse zur städtischen Transformation in diesem Raum zu führen und von da aus auf andere systemische Zusammenhänge und Repräsentationsformate hinzuweisen oder diese sogleich selbst zu genieren und zu praktizieren. Dieses soziale Arbeitsmodell des Buchladens ist nicht nur flexibel und durch die fehlende ideologische Auffüllung immer wieder wandelbar, sondern erfährt über die soziale Praxis der Interaktion der Interessenten auch einen zentralen Bedeutungswert. Die soziale Teilnahme sowie atmosphärische Erfahrung der sozialen Ereignisse in den Räumlichkeiten des Buchladens ermöglichen dem Interessentenkreis, den Ort nicht nur als wissensbasierte Informationsplattform anzuerkennen, sondern ebenso als Mikroinstitution für Fragen des kommunikativen Stils, der körperbetonten (Bekleidungs-)Moden, der thematischen Trends und „angesagten“ (Szene-)Praktiken wahrzunehmen. Die systematische Entwicklung zur rekonstruierten Struktur(an)lage des Arbeitsmodells Buchladen scheint den Akteuren Recht zu geben: Sie erhielten im Jahr 2002 überraschenderweise den bis dahin eher werkorientierten künstlerischen Arbeitsweisen vorbehaltenen Förderpreis Ars Viva des Kulturkreises im BDI (Bundesverband der deutschen Industrie) und nutzten diesen Preis, um ein Forschungsprojekt zu historischen Modellen der Nutzerbeteiligung zu realisieren. Eine Diashow sowie Text- und Bildsammlungen dokumentierten unterschiedliche Partizipationsmodelle in Architektur, Stadtplanung, Theater und Ausstellungswesen. Die Akteure des Falls untersuchten in den verschiedenen Stationen der Preisausstellung in Köln, Weimar, Nürnberg und Leipzig, wie sich unterschiedliche Beteiligungsstrategien in der Entwicklung von Displays manifestieren und im Design abbilden. Des Weiteren luden die Akteure für eine Veranstaltung der Berliner Konferenz Urban Drift Autoren und Beteiligte des 1970 erschienenen Buchs Kapitalistischer Städtebau ein und erarbeiteten gemeinsam mit diesen eine kritische Rekonstruktion der Anfänge der Urbanismuskritik. Dabei artikuliert sich wiederum die bewusste und notwendig hybride Strukturlage des Modells Buchladen, die sich nicht an der strukturkonservativen Ausrichtung des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) stört und davor zurückschreckt, sondern vielmehr einer praktischen Theorie der Vernunft folgt, sich dabei Räume eröffnet und diese bespielt. Für die Akteure ist, 250

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

im Sinne von Henri Lefèbvre, ein kontextuelles Vorgehen das oberste Primat, welches die geografische, thematische, soziale und theoretische Situation ernst nimmt, sie aber zugleich mit anderen Instrumenten transformiert (These der Transformatoren) und dabei durch Distribution von Gedanken und Gestaltungen neue soziale Räume schafft. Ein Vorgehen, das als ökonomische Struktur im Sinne von Institutionalität funktioniert und durchschaubar ist und zugleich umso deutlicher alle Abweichungen vom ausschließlich ökonomischen Prinzip sichtbar werden lässt. Tabelle 4 – Fall 4: Zusammenfassung und Thesen Kriterien

Ausprägungen des rekonstruierten Falls

Professionelle Identität und berufliche Entwicklung der Akteure

• • •



Unternehmensorganisation und -struktur des Falls

• •



Sozial-unterneh• merische Praktiken und räumliche • Positionierung •

Strukturlage des Falls





Frühe Verzahnung von universitärer Berufsausbildungs- und einstiegsphase Schwache und nur temporäre institutionelle Bindung zu etablierten Wissensinfrastrukturen Es ist ein hohes Maß an Passfähigkeit zwischen Lebens-, Sozialund Berufswelt vorhanden. Diese Strukturlage generiert flexible Ressourcen und Potenziale und ermöglicht den Akteuren, einen wesentlichen Professionalisierungsschritt zu vollziehen. Eine „Unternehmensgründung“ existiert in diesem Sinn nicht, die Akteure überführen ihre Auseinandersetzung in ein neues Arbeitsmodell, den „Buchladen“. Arbeitsmodell „Buchladen“ ermöglicht eine Verstetigung, aber auch eine strukturelle Neupositionierung der politischen und kulturellen Arbeit der Akteure. Funktionale, aber lose („lässige“) Koppelung des Projekts zwischen („Ursprungs“-)Milieu und neuen Interessenten und Gästen. Der „Buchladen“ stellt ein „funktionales Äquivalent“ und zentrales „Gelenk“ für Prozesse der Vergemeinschaftung dar. Die betriebswirtschaftliche Dimension des Buchladens arbeitet nicht gegen die sozial-kulturelle Dimension des Orts, vielmehr konnten im Zeitverlauf Synergien zwischen den beiden Dimensionen dynamisch auf der Subsystemebene „Kunst“ in ein produktives Spannungsverhältnis gesetzt werden. Der Ort und die Räumlichkeiten des „Buchladens“ sind flexibel gestaltbar und umprogrammierbar. Umprogrammierung des Ortes ermöglicht affirmative, habituelle sowie informationsbasierte Interaktionspraktiken von Gästen und Interessierten. Diese werden an diesem Ort temporär zu partizipierenden Trägern und Mitgliedern einer Szene. Die sozialräumliche Positionierung des „Buchladens“ wird bewusst als experimenteller „Praxisfall“ im Zentrum des thematischen Gegenstands „Stadt“ positioniert. Das generiert Attraktion, Differenz sowie atmosphärische und diskursive Aufmerksamkeit. Die Architektur der Fallstruktur zeigt eine Verbindung von Professionalisierungsstrategien, die, in Anerkennung der sozialen und politischen Ressource „Ursprungsmilieus“, ein flexibles und wandelbares Arbeitsmodell „Buchladen“ generiert. Der Projektkontext „Buchladen“ schafft aufgrund der betriebs-

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN



wirtschaftlichen Grundlage ein gewisses Maß an finanzieller Unabhängigkeit, ist aber nicht auf die Funktion „Buchladen“ fixiert, ebensowenig auf Profitmaximierung ausgerichtet, sondern systematisch „offen“ angelegt. Dies ermöglicht nicht nur für „Interessierte“ flexible Formen der lebensweltlichen Integration dieses atmosphärischen und kulturellen Orts. Er repräsentiert vielmehr auch einen „Quellgrund“ zur temporären Vergemeinschaftung. Ein- und Ausschlußkriterien in dieses „Arbeitsmodell“ basieren entweder auf äußerst stabilen personalen und „familienähnlichen“ Vorerfahrungen oder auf der Grundlage von temporären Arbeitsbeziehungen.

Strukturmerkmale und Variationen der Fälle In den vier Fallanalysen wurden aus drei Datentypen thesenartig Strukturmerkmale der jeweiligen Fälle rekonstruiert. Bestimmt durch die Forschungsperspektive auf die Gestaltung der jeweiligen Statuspassage Unternehmensgründung, orientierte sich die Darstellung der Strukturmerkmale zunächst an den beruflichen, biografischen und lebensweltlichen Voraussetzungen der Akteure. Des Weiteren stellte die Rekonstruktion der formulierten sozialorganisatorischen Unternehmensstruktur sowie der Codierungs- und Positionierungsprozesse im Umgang mit der Ressource Ort und Raum wesentliche Schlüssel zur Beantwortung der fallspezifischen sozialräumlichen Verortung in der Stadt Berlin zur Verfügung. Wie anhand Grafik 6 erläutert, werden im weiteren Verlauf die ermittelten Interpretamente und thesenartigen Strukturmerkmale der Fallanalyse dieses Kapitels innerhalb der einen Kategorie gegen die thesenartigen Fallmerkmale der jeweils anderen Fälle gestellt (minimale Kontrastierung). Anschließend werden die dabei generierten Strukturmerkmale und Fallausprägungen zur Überprüfung der generellen Plausibilität der Fallstrukturelemente gegen die Strukturmerkmale der anderen Kriterien gestellt (maximale Kontrastierung). Somit überprüft der Interpretationsvorgang die fallbasierten Strukturmerkmale, die es in einer abschließenden Darstellung erlauben, von Strukturtypiken und somit von einem fallgestützten Typus Culturepreneur zu sprechen.

Professionalisierungswege der Akteure Die vorgestellten und rekonstruierten Merkmale der beruflichen Entwicklung der Akteure zeigen zum einen sehr unterschiedliche Ausprägungen, zum anderen aber auch strukturelle Ähnlichkeiten. Unterschiede stellen sich v.a. in der Generierung von sozialen Netz- und Beziehungsressourcen ein. Sie sind zentral, um einen Einstieg in ein professionelles Beziehungsnetz zu gewährleisten. Neu und erst seit kurzer Zeit in der Stadt operierende Akteure wenden 252

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harte, explizite und kontrastreiche Differenzierungsstilmittel an. Länger in der Stadt ansässige wenden feinere, passgenauere und stilsichere Verfahren der Erzeugung von sozialer Aufmerksamkeit an. Jüngere „neue“ Akteure exotisieren ihr soziales und räumliches Umfeld und generieren aus dieser Distanzierungs- und Wahrnehmungspraxis eine professionelle Ressource, indem sie für sich eine Identität als Experten der städtischen Außeralltäglichkeit entwickeln. Die der berufsbedingten expressiven Identität nahe liegende Selbstcharismatisierung als Künstler vollzieht sich nicht in allen Fällen. Vielmehr stellt sich ein reflexiver und situativer Umgang mit einer von außen an sie herangetragenen „Identitätszuschreibung“ ein. Die Selbstzuschreibung Unternehmer wird kaum in den Vordergrund gestellt. Professionelle Selbstbezeichnungen vollziehen sich über die erworbenen Fähigkeiten und die dabei hergestellten Produkte. Temporär und situationsspezifisch wird mit veränderten Berufsbeschreibungen operiert. Strukturelle Ähnlichkeiten zeigen die Fallmerkmale in der generellen Fokussierung auf den Aufbau von sozialen Netzressourcen. Die Notwendigkeit des Aufbaus dieses Beziehungskapitals erklärt sich aus der Inwertsetzung der eigenen expressiven beruflichen Identität bei der Vermittlung von eigenen Produkten. Diese Fallmerkmale zeigen eine hohe habituelle Passung zwischen der beruflichen Identität und dem Prozess des Kommunizierens der eigenen Produkte. Aufgrund schneller Innovationszyklen von Symbolen, Stilen und Codes haben die Produkte nur eine geringe Halbwertszeit, in der sie für den Käufer einen minimalen, aber relevanten Differenzgewinn bereitstellen. Die individuelle Identität muss dabei im Prozess des Kommunizierens des eigenen Produktes „mitarbeiten“ und eine hohe lebensweltliche Passung bereitstellen, um Wissens- und Marktvorsprünge zu generieren. Dies erklärt das hohe Maß an Expressivität und Selbstcharismatisierung. Des Weiteren zeigen sich strukturelle Ähnlichkeiten in Form von fließend gestalteten Übergängen zwischen beruflichen Ausbildungsphasen und der unternehmerischen Praxis. Alle Fallausprägungen verbindet ein hohes Selbstorganisationspotenzial, das gleichberechtigt neben Fachkompetenz steht. Auffallend ist zudem, dass sich in der Ausformulierung der selbst gewählten ausbildungsbegleitenden Entwicklung eine Experimentieridentität einstellt. Die dabei sich vollziehenden sozialen, politischen und künstlerischen „Do-it-yourself-Praktiken“ versuchen einerseits, einen strukturellen (Kompetenz-)Mangel zu beheben, der sich durch die eingeschlagenen Ausbildungswege einstellt. Andererseits artikuliert sich dabei die Notwendigkeit, lebensweltliche Erfahrungen („Clubwelt“) und politische Konfrontationen („Baustop!“) zu erlangen und regelrecht zu erarbeiten. Aus diesen körperlich-sinnlichen und politisch prägenden Vorerfahrungen stellt sich ein Kompetenzfundus ein, der den Akteuren einen Kompetenz- und 253

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Wissensvorsprung bei der Formulierung eines „neuen“ Produktes eröffnet. Dabei zur Schau gestellte Expressivität der Akteure kann als ein Element eines neuen Unternehmertypus rekonstruiert werden: Die Akteure geben sich als funktionale Eliten innerhalb einer professionellen Gemeinschaft zu erkennen. Dies verschafft ihnen Autonomiegewinne. Die nach der formalen Ausbildung erworbenen Sozialisations- und Professionsmuster sind strukturpersistent und anhaltend wirkungsmächtig. Gleichwohl stellt diese Wirkungsmächtigkeit der Vorerfahrungen eine Schwierigkeit beim Übergang in eine mit betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien operierende Statuslage Unternehmer dar. Die Aufrechterhaltung der hohen Passung sowie der Zugang zum Ursprungsmilieu (z.B. der Clubwelt) aber sind von existenzieller Wichtigkeit, um als Produzent glaubwürdig und authentisch zu bleiben. Neben dieser fast unauflösbaren Ambivalenz stellen in allen Strukturmustern extreme und unhinterfragte Flexibilitätsanforderungen eine zentrale Bedingung der beruflichen Praxis dar. Diese werden jedoch nur einige Jahre akzeptiert und insbesondere zu Beginn der formalen Unternehmensgründung mit hoher Leistungsbereitschaft ausgefüllt. Nach mehreren Jahren stellen sich aber neue generationsspezifische Stabilisierungsansprüche in den Bereichen Finanzen, Familie ein. Diese weisen ein hohes Maß an Ambivalenz auf, da sie konträr zum wirkungsmächtigen Experimentiergestus stehen.

Unternehmensorganisation und -struktur Die Bewältigung der Statuspassage Unternehmensgründung entfaltet sich von „Do-it-yourself-Praktiken“ und „Experimentieridentitäten“ aus dem Ursprungsmilieu heraus. Gerade vor dem Hintergrund der Wirkungsmächtigkeit des Herkunftsmilieus stellt die Bewältigung der Passage Unternehmensgründung eine tief greifende Zäsur der bisherigen Praxis dar: Personelle Zuständigkeiten, unternehmerische Organisation, inhaltliche Fokussierung sowie Betriebs- und Investitionsplanung sind Elemente, die eine komplexe Neujustierung der Lebenswelt der Akteure mit sich bringen. Das hohe Maß der lebensweltlichen Vorprägungen wird im Zuge der beruflichen Selbständigkeit gegen betriebswirtschaftliche und unternehmerische Wertrationalitäten gestellt. Die Ergebnisse der Fälle zeigen ein hohes Maß an autonomer Bewältigung der Statuspassage: Externe Unterstützungsleistungen im Bereich Unternehmensführung, Buchhaltung und Finanzplanung etc. werden nicht gesucht. Dabei stellt sich, vor dem Hintergrund eines hohen Maßes an Grundvertrauen zwischen den Gründerindividuen, eine flexible Abrechnungspraxis von geleisteten Tätigkeiten und Aufträgen ein. Faktisch individuell erwirtschaftete Leistung kann z.B. aus steuerlichen Gründen über den anderen Partner abgerechnet werden. Somit lässt sich anhand aller Fälle schlussfolgern, dass die 254

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Akteure formal als Individuen, zugleich aber unter und mit dem „Dach“ des gegründeten Unternehmens operieren. In allen Fällen zeigt sich daher das entwickelte und vorgestellte organisatorische Dach als eine Art Camouflage. Dieses garantiert den Akteuren zum einen die nach wie vor in diesem Professionssegment wichtige strukturelle Autonomie. Es ist aber zum anderen auch ein Ausdruck der notwendigen marktinduzierten Flexibilität wie der benötigten sozialstrukturellen Durchlässigkeit zum Ursprungsmilieu oder anderen Milieus und Szenen. Eine traditionelle Organisationsstruktur würde diesen als notwendig erachteten Bewegungs(spiel)raum sowie die als relevant bewertete individuelle Unabhängigkeit einschränken. Eine systematische Professionalisierung wird daher im traditionellen Sinne nicht eingelöst, die Akteure haben „gute Gründe“, um weiterhin ein hohes Maß an individueller Karriereentwicklung an den Tag zu legen. Gleichwohl verschafft das organisatorische Dach des Unternehmens in allen Fällen einen arbeitspraktischen Zusammenhang, der v.a. die Sichtbarkeit und Vermittlung der individuellen, aber auch gemeinsamen Tätigkeiten und Produkte nach außen erheblich verbessert. Signifikante Unterschiede zeigen sich dagegen unter der Betrachtung einer dynamischen Zeitperspektive. Während die Fälle 1 und 2 „Neu-Berliner“ repräsentieren, die in den Jahren 2001/02 nach Berlin zogen, stellen die Fälle 3 und 4 „Nachwende-Berliner“ dar. Sie zogen Anfang bis Mitte der 1990er Jahre nach Berlin. Auffallend in der Strukturlage der beiden ersten Fälle ist, dass die Akteure einen fließenden Übergang von Privatheit und Arbeitskontext praktizieren, im Grunde genommen keine Trennung der beiden Sphären vollziehen. Die beiden etablierteren Fälle haben einen klarere Trennung der beiden Sphären vollzogen und dabei trotzdem keine stabile und starre Unternehmensstruktur eingeführt, sondern diese hochgradig flexibel gehalten. Des Weiteren zeigen die „älteren“ Fälle (3+4), dass der Unternehmensstruktur die Aufgabe zukommt, nach außen als ein kohärentes Unternehmen zu firmieren und als Label wahrgenommen zu werden. Die dabei an den Tag gelegten Arbeitsmodelle sollen aber auch die Option beinhalten, dass die Akteure weitere Arbeitsbeziehungen in andere thematische, soziale und örtliche Arbeitszusammenhänge praktizieren und einlösen können. Dabei gibt sich eine Unternehmensstruktur zu erkennen, die als „flexibles Arbeitsmodell“ die Aufgabe eines funktionalen Äquivalentes darstellt: Dieses unternehmerische „Arbeitsmodell“ ist nicht ausschließlich auf Betriebswirtschaftlichkeit und finanziellen Profit ausgerichtet, sondern ebenso kulturell. Die unterschiedlichen und konträr gegenüberstehenden Logiken der Modelle werden dabei nicht gegeneinander ausgespielt. Vielmehr gewährleisten sie zunächst eine Verstetigung des Informations- und Wissensflusses und garantieren so einen nachhaltigen Zugang zu den milieuspezifischen Arbeits- und Interaktionsfeldern. 255

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Des Weiteren zeigt dieses Modell eine Reaktion auf zunehmende marktinduzierte und stadtökonomische Flexibilitäten. Es verschafft den Akteuren Autonomie, Steuerungsfähigkeit und Reflexivität bei der Ausformulierung ihrer eigenen professionellen Biografie sowie der Ausgestaltung der Statuspassage Unternehmensgründung.

Sozial-unternehmerische Praktiken und räumliche Positionierung Bedingt durch die expressiven Identitätsmerkmale dieser Akteursgruppe und ihre flexibel gehaltene Unternehmensorganisation kann die Rekonstruktion der sozial-räumlichen Positionierung erste Strukturmerkmale ihrer generellen Verortungspraxis vorstellen. Die strategisch ausgerichtete Praxis der Verortung vollzieht sich prozessual und vermittelt, d.h. nicht uni-direktional auf Raum, sondern nur vermittelt über symbolische Codierungsformen und Narrative. Diese offerieren Identifikations- und Vergemeinschaftungsangebote und geben sich durch ihr sinnhaftes und sinnstiftendes Erleben für die Akteure als solche erst zu erkennen. Weitreichende Gemeinsamkeiten zeigen die Fälle in der Struktur von Narrativen, die das Verhältnis zwischen Außeralltäglichkeit und Alltäglichkeit neu verhandeln. Der ethnografische Blick als strukturelle Differenz zum Alltagsblick verschafft eine Absatzbewegung zur Mehrheit und Masse und somit auch zur Konkurrenz. Gleichwohl erfährt dieses Alleinstellungsmerkmal nur dann eine nachhaltige Entsprechung, wenn sich die Vermittlung des dabei entwickelten Produktes über die Person – gewissermaßen der/die Erfinder/in – authentisch, passfähig und stimmig vollzieht. Das bei allen Fallstrukturen auffällige Moment der Selbstcharismatisierung dient somit der sozialen wie emotionalen Aufladung der Produkte. Der Käufer erwirbt neben dem immateriellen auch ein mit Narrativen ausgestattetes Produkt. Diese hohe Kongruenz zwischen Produktentwicklung und personaler Vermittlung innerhalb einer Kette von unternehmensbezogenen Dienstleistern vollzieht sich nicht an unspezifischen Ort. Orte und ihre Umprogrammierungen nehmen eine Schlüsselrolle in diesem Prozess der Generierung von sozialräumlicher Aufmerksamkeit ein. Die zeitliche Unrhythmik der Umprogrammierung ermöglicht soziale und milieuspezifische Aufmerksamkeit. Diese Unrhythmik in der Praxis der Umprogrammierung verschafft den Akteuren ein Instrument zur Gestaltung und Steuerung ihres Interessenten-, Freundes- und Konkurrentenkreises. Dabei zeigen sich Praktiken der funktionalen Umprogrammierung von Orten, die sich zeitlich gesehen an keiner linearen Ordnung orientieren: Sie sind vielmehr flexibel und unbestimmt gehalten.

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Die Praxis der Generierung von sozialer Aufmerksamkeit hat zwei Effekte: a) weist sie die unternehmerischen Akteure als funktionale Eliten aus, die sich aufgrund ihrer Kompetenz im Umgang mit örtlichem Kapital als lokale Elite zu erkennen geben, und b) richtet sie vielfältige Anforderungen an die lose assoziierten Szenemitglieder, die sich der „Belebung“ des jeweiligen Ortes immer wieder vergewissern müssen, wenn sie sich als Partizipierende einer bestimmten Gemeinschaft verstehen wollen. Die Kompetenz im Umgang mit der Kapitalressource Ort gibt sich in den Fallstrukturen nicht als eine rein individuelle intrinsische Fähigkeit zu erkennen. Ein wesentlicher Bestimmungsgrund, der die Verwendung dieser Kapitalressource zufolge hat, erklärt sich zum einen durch das Narrativ der „offenen“ und noch nicht durchprogrammierten Stadt Berlin. Die sich im Zuge der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren einstellende Unbestimmtheit im Umgang mit unerwartetem Freiraum führte zu flexiblen und elastischen Aneignungen von Gebäuden und Freiflächen durch verschiedene kulturelle Szenen. In der Folge kristallisierte sich v.a. in subkulturellen Kreisen und kulturellen Szenen eine durch Erfahrung und Erlebnisse getragene neue Perspektive auf die Stadt Berlin heraus. Sie wurde als durchlässig, wandlungs- und aneignungsfähig verstanden. „Stadt“ war der Kontext, in und durch den eine Nachwendegeneration sich sozialisieren und gegenüber dem gesellschaftlichen Mainstream absetzen konnte. Die gelebte Praxis des Entdeckens, des Erschließens und des Aufspürens von örtlichen Brachen und leer stehenden Gebäuden verband sich mit einer als einmalig zu bewertenden Situation des Städtischen: Dieses urbane Vakuum stellte in der Form der temporären Aneignungen und Raumergreifung die Geburtsstunde eines zunächst lokal, dann aber global entgrenzten Narrativs der Stadt Berlin dar; es wird im Folgenden mit den Begriffen „flexibler“ und „situativer“ Urbanismus diskutiert.

Flexibler und situativer Urbanismus Beide Begriffe werden als rekonstruierte und zugleich fallgestützte urbane Praxismodelle verstanden. Der modellhafte Charakter bezieht sich auf die Umgangsweisen der Akteure mit Raum. Beide Begriffe haben Vor- und Nachteile: Der Begriff „flexibel“ fokussiert auf die elastischen Raumaneignungen und Spacingprozesse der Akteure, die sich auch vor dem Hintergrund flexibler Arbeits- und Projektzusammenhänge einstellen. Demzufolge ist ihr Verhältnis zum Arbeits- und Wirkungsort entsprechend wandlungs- und adaptionsbereit. Dies erklärt sich durch die wirkungsstarke Erfahrung einer körperorientierten Erlebniskultur der Nachwendezeit. Die dabei angeeigneten Kompetenzen der Ortsprogrammierung stellen die Grundstruktur dar, von der aus sich eine synthetisierende Raumpraxis in der Stadt Berlin entfaltet hat. 257

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Der Begriff „situativ“ lenkt das Verständnis des von den Akteuren praktizierten Urbanitätsmodells auf die programmatischen Verdichtungen der ortsbezogenen Angebote. An diesen situativen Ereignissen verdichten sich ephemere soziale Beziehungen zu einem Körperraum. Kurzweiligkeit und die Erhöhung des Erregungsniveaus sind zentrale Charakteristika dieser Interaktionskulturen. Damit verfügen die Ortsproduzenten über eine Ressource, mit der sie soziale Differenz und soziale Teilhabe über situative Verdichtungen auf der urbanen Bühne herzustellen im Stande sind. Das Narrativ der Aneignung von Territorien und die folgenreichen Praktiken dieses Urbanitätsmodells werden hier als kollektiv geteiltes Praxiswissen verstanden. Die daran angelagerten räumlichen Praktiken sind in Form der Aneignung und des Auflassens von Orten nachhaltig in das kulturelle Gedächtnis von neuen Kreativszenen eingelassen. Die Dynamiken des Auflassens und Neubewertens von Orten und Territorien haben sich im Laufe der Zeit zu einer habituellen Grundstruktur verdichtet. Aufgrund der Flexibilität dieser kollektiv geteilten Grundstruktur stellen sie systemische Einstiegs- und Partizipationsmöglichkeiten für neu nach Berlin kommende Akteure dar. Zugleich sind Konkurrenzmuster in das Narrativ des flexiblen und situativen Urbanismus eingeschrieben, die aber gleichzeitig den systemischen Transmissionsriemen und die Verwertungslogik dieses Urbanitätsmusters repräsentieren. Techno-, Tanz- und Experimentierkulturen der frühen 1990er Jahre stellen den Ausgangspunkt dieses Urbanitätsmodells dar. Sie drifteten situativ von Ort zu Ort und synthetisierten dabei einen fließenden, flexiblen Raum. Diese Raumerfahrungen entgrenzten und lösten sich im Zuge der Globalisierung sowie der Ausdifferenzierung von Technokulturen von Berlin auf und fanden ihre Entsprechungen und reproduzierten Praktiken auch an anderen Orten. Vermittelt über Tanz-, Mode- und Musikstile wurde ein Berliner Stil an anderen Orten reproduziert. Dieses überregional und international vermittelte Set von Praktiken und Stilen wurde einerseits gerade von „Neu-Berlinern“ adaptiert und als Instrument zur Generierung von symbolischem Kapital angewandt. Flexible Ortskompetenz sowie Codierfähigkeiten von Orten stellen Strukturmerkmale eines flexiblen Urbanismus dar, dessen versierte Handhabung, Instrumentalisierung und Anwendung individuelle wie unternehmerische Distinktionsgewinne in einem hochkonkurrenten Feld versprechen. Es ist daher weniger von einer ausschließlich individuellen Kompetenz und einem generellen Spürsinn der Ortsprogrammierung auszugehen, als vielmehr von einer situativen und strukturellen Notwendigkeit, in der sich die Stadt Berlin und die anwesenden Akteure befanden. Die durch die Geschichte der Stadt Berlin geprägte Topografie erzeugte physische Leerstellen, städtische Fragmente und urbane Brachen, die für eine einmalige Situation sorgten. Diese verband sich mit einer weltweiten Wiederentdeckung des Territorialen. 258

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Sodann hat dieser Prozess in Berlin ein habituelles Narrativ mit fall-, d.h. stadtspezifischen Strukturmustern geformt: die symbolische Inanspruchnahme und performative Einnahme von ausgesuchten und als „besonders“ bewerteten außeralltäglichen Orten im Zeitalter einer globalen postfordistischen Ökonomie. Am Fall Berlin ist dabei von einer Überlagerung zweier sich zeitgleich vollziehender Prozesse auszugehen. Zum einen generierte eine globale Populärkultur mit ihren lebensweltlichen Dynamiken eine sukzessive Kulturalisierung der Dienstleistungsökonomie. Diese schuf sozialräumliche und generationsspezifische Ausdifferenzierungen. Zum anderen interagieren diese generationellen Lebenslagen auf städtischem Territorium und erzeugen besondere ortshabituelle Ausprägungen. Im Falle Berlins führte dies in der historisch einmaligen Situation dazu, dass zwei markante Transformationsprozesse ineinander flossen und ein städtisches Narrativ begründeten, das hier thesenartig mit dem Begriff des flexiblen und situativen Urbanismus angesprochen wird. Aufgrund dieser neuen Struktursituation verfügten Facheliten in Stadt, Verwaltung und Politik zu Beginn der 1990er Jahre über kein passendes Steuerungs- und Verfahrenswissen im Umgang mit neuen Freiräumen. In diesem Zeitfenster konnten sich populärkulturelle (Musik-)Strömungen, wie z.B. Techno, ganz wesentlich mit dem territorialen „Kammerton“ der Stadt vereinigen und gegenseitig unterstützen. Diese Situation beförderte zum einen die Akteure von Fall 3 und 4. Sie synthetisierten diese Raumstrukturen und Ortssituation mit und legten dabei den Grundstein für ein Narrativ, auf das sich später wiederum die „NeuBerliner“ im Rahmen ihrer Ortspolitik bezogen: Erst deren temporäre Verdichtungspraxis von örtlichen, kommunikativen und körperbetonten Programmoptionen weist sie als Mitglieder einer Berliner Szene aus, als Akteure, die mit der Situation sowie den Narrativen der „offenen Stadt“, „der aneignungsfähigen Stadt“ der Nachwendesituation sowie dem darin eingeschriebenen Modus des „flexiblen und situativen Urbanismus“ umgehen und sich als Strategen und Taktiker der Raumproduktion ausweisen können. Diese Praxis sowie das zugrunde liegende Narrativ der flexiblen Ortsprogrammierung gibt fallrekonstruierte Ortspolitiken wieder. Sie changieren zwischen Arbeits-, Kunst-, Versammlungs-, Diskurs- und Partyorten. Eingeschrieben in die Praxis der flexiblen Programmierung von Orten ist aber zugleich die Bedingung, dass sich die Prozesse der programmatischen Verdichtung und der sozialräumlichen Konstituierung der Orte ganz wesentlich über die Präsenz der sozialen Körper vollziehen. Am augenfälligsten wird dieser Prozess in der rekonstruierten Fallstruktur 3: Darin sind die Autoren des Raums nicht zu erkennen, die Struktur des Falls hat kein offizielles Gesicht, sondern nur ein technisches.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die dort angeordneten Geräte fungieren als Inkubatoren für soziale Prozesse. Zweifelsohne sind in diese technischen Geräte nur bestimmte und begrenzte Prozess- und soziale Konstituierungsabläufe eingeschrieben. Gleichwohl setzen diese neben der kommunikativen Fähigkeit auch ganz wesentlich auf die körperlichen Handlungs- und Aktionsmöglichkeiten der sich an diesen Orten vollziehenden sozialen Gemeinschaften. Die dem Fall zugrunde liegende Struktur eines „automatischen Raums“ soll wie ein echter Automat soziale Vorgänge nicht nur selbsttätig ausführen, sondern überhaupt erst ermöglichen. In die technische Anordnung des Ortes ist somit eine Aufforderung zur individuellen Performativität eingelassen, zum Interagieren mit und sich Einlassen auf die technischen Gerätschaften. Rückwirkend bleibt es aber nicht bei einem rein wechselseitigen Interaktionsprozess zwischen Geräten und Individuum. Vielmehr ergießen sich Teile der Interaktionsresultate, z.B. ausgesuchte Musik, Blicke, visuelle Bilder auf Bildschirmen etc., in weitere Bereiche des Ortes und verhelfen ihm zu weiteren atmosphärischen Ausfüllungen und in dieser Folge zur Konstituierung als Sozialräume. Die automatische Dimension des Raums ist zum einen der Raum selber, der sich verselbständigt und unterschiedliche Formen annimmt, zum anderen sind es die Menschen hinter und in dem Raum, die sich ändern, transformieren und austauschen. Erst die Präsenz der Körper sowie die daraus resultierenden Interaktionen generieren am lokalen Ort, aufgrund der medialen Übertragungsmöglichkeiten an andere translokale Orte, einen vernetzten Beziehungsraum. Vor diesem Hintergrund kann von einem doppelten sowie relationalen Anordnungsprozess gesprochen werden: dem zwischen den Orten sowie dem des – damit – entgrenzten Raums. Es ist der Wunsch der Initiatoren des automatischen Raums, dass dieser ein Eigenleben entwickelt, sich verselbständigt und als sozialer Körper automatisiert. Die Konstituierung des Raums ist aber kein selbständiger Prozess, sondern vielmehr ein Vorgang, bei dem der Prozess als Prozess einsehbar, gestaltbar und qua körperlicher Präsenz und kommunikativer Interaktion überhaupt erst ein Verständnis generiert, wie sich die „Produktion von Raum“ an einem, speziell diesem, Ort vollzieht. Daher überträgt diese Anordnungspolitik einen wesentlichen Teil der Autorenschaft des Ortes über die Ausformung des Sozialraums an die performativen und in dieser Folge auch körperlichen Fähigkeiten der in ihm und mit ihm operierenden Akteure. Der Ort bietet für eine in diesem Fall als etabliert anzusprechende Kerngemeinschaft, die aus dem Ursprungsmilieu der Berliner Clublandschaft der Nachwendezeit stammt, ein Narrativ an, dass den Prozess der Vergemeinschaftung, des sozialen Entdeckens, des sich körperlichen Einlassens auf etwas strukturell Neues zum wesentlichen Gegenstand hat. Dieses Ursprungsnarrativ muss – ähnlich der Situation der Nachwendezeit – einen strukturellen 260

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Referenzpunkt beinhalten, der sich als vordergründig „nicht definiert“, „nicht vorgezeichnet“ und somit bewusst unspezifisch zu erkennen gibt. In diesem Narrativ des Ortes arbeitet somit ein dezidiert utopisches Moment, ein Strukturmerkmal, das sich bezeichnenderweise in dem zeitlich betrachtet jüngeren „Neu-Berliner“ Fall 1 in einer ähnlichen Gestalt wiederfindet: In ihrer Selbstbeschreibung als Stadtethnographen setzen sich die Akteure in Beziehung zu einem nicht vorgezeichneten und vorcodierten Raum und generieren aus dieser Wahrnehmungshaltung heraus ein „offenes“ und somit aus der Sicht der Akteure codierbares Raummuster der Außeralltäglichkeit. Der in der Nachwendezeit generierte Erlebnisraum der offenen und einnehmbaren Stadt Berlin ist als regelrechter Habitus einer Nachwendegeneration Berliner Akteure anzusprechen. Dieses Muster perpetuiert sich, wie anhand der kontrastierenden Fallrekonstruktionen (Fälle 1+2 gegenüber 3+4) gezeigt werden konnte. Das Muster dieser Ortspraxis führt in seiner Oberflächenstruktur zu leicht differenzierten Ausprägungen, weist aber in seiner tieferliegenden Architektur eine stabile und persistente Grundstruktur auf. Signifikante fallspezifische Unterschiede zeigen sich wiederum unter einer dynamischen Perspektive. Die Entscheidung der räumlichen Positionierung gibt maximale Kontraste wieder: Während junge Unternehmen sich explizit an überregional bekannten Trends oder an attraktiven Stadtviertel orientieren, zielen sie darauf ab, über die Positionierung ihres „Unternehmens“ geographisches Kapitals an sich zu binden und die anfänglich nicht ausgeprägten Beziehungs- und Netzressourcen neben der Ressource „Berlin“ aufzubauen. Dagegen praktizieren länger im Stadtraum operierende Akteure weitaus subtilere Praktiken der räumlichen Positionierung und verhalten sich – obwohl sie zu den Begründern des oben identifizierten Narrativs zu rechnen sind – in bekennender Distanz zu dem Narrativ des offenen Berlins. Ihre Positionierungspraxis erweist sich weitaus differenzierter und komplexer, sie ist nicht in dem strukturellen Maße offen und zugänglich, wie dieses die Fälle 1 und 2 zeigen. Fall 3 und 4 arbeiten daran, ihrem Ursprungsmilieu eine örtliche Option der Vergemeinschaftung anzubieten, die ihnen wiederum die Gelegenheit bietet, die Durchlässigkeit zu dem Ursprungskontext aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig sind von diesem Relais aus Impulse, innovative Verfahren und Effekte in die unternehmerisch-kulturelle Praxis zu erwarten. An den strategischen Erhalt des Zugangs zu dem „Ursprungsmilieu“ koppelt sich aber nach wie vor die Praxis der temporären Umprogrammierung von bespielten Orten, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Des Weiteren zeigt sich in der erzwungenen Aufmerksamkeitspolitik der Fälle 3 und 4 eine ungewollte Annäherung an den Kunstbereich. Die Praxis der Programmierung von Orten sowie die Verkopplung dieser Praktiken mit zunehmend unternehmerisch-betriebswirtschaftlich ausgerichteten Arbeitsmodellen zeigt bislang unbekannte, hybride Strukturmuster. Sie sind nur schwer in die Systeme traditioneller Taxo261

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

nomien, wie bspw. Installation, Unternehmer, Kritik und Kommerz, einzuordnen.

F a z i t d e r F a l l a n a l ys e n Die in den vorangegangenen Fallanalysen vorgestellten Fallrekonstruktionen stellten in einem ersten Schritt thesenartige Entwürfe und Varianten eines Strukturtypus „kultureller Unternehmer“ dar. Auf der Grundlage von drei Datenquellen unterschiedlicher Datentypen konnte anhand von vier Fällen ein Auswertungsprozess durchgeführt werden, der das Feld des Gegenstands überhaupt erst erschließt. Aufgrund des dominierenden Faktors Zeit – zum einen ist von einem ermittelten jungen Strukturtypus („Neu-Berliner“), zum anderen von einem älteren Strukturtypus („Etablierte Berliner“) auszugehen – werden im Folgenden zwei Strukturtypiken vorgestellt. Sie ermöglichen durch die unterschiedliche Strukturlage der Fälle eine entwicklungsdynamische Betrachtung. Diese zeigt, wie sich situationsspezifische „Nachwendephänomene“ zu einem urbanen Narrativ verstetigen, und es somit zulässig ist, von der Herausbildung neuer stadtspezifischer Muster zu sprechen. Ihre wesentliche Artikulation finden diese Muster durch den Typus des „kulturellen Unternehmers“ und dessen Praxis der flexiblen Programmierung von Orten. In der Folge zeigen sich im Prozess der Statuspassage Unternehmensgründung begründbare wie milieulogische Praktiken der (An-)Ordnung von sozialen Gütern und Menschen. Zur Rekonstruktion eines Modells des kulturellen Unternehmers und seines Urbanitätsverständnisses werden im Folgenden zwei zeitlich gestreckte Fallstrukturen vorgestellt. Diese lassen es gerade aufgrund ihrer zeitlich versetzten Entstehungsgeschichte zu, die Kontinuität wie auch die Transformation von Strukturmustern zu betrachten.

Strukturlage der Fälle „Etablierte Berliner“ Ein wesentliches Element der Strukturmuster des Falls „Etablierte Berliner“ besteht aus einem Set aus sozialen Praktiken, die darauf abzielen, eine Kontinuität sowie eine Durchlässigkeit zum sozialen Ursprungsmilieu zu ermöglichen. Dies artikuliert sich in Form von personellen Erfahrungen und Erlebnissen sowie durch einen Verweis auf einen regelrecht mythisch Ursprungskontext der Berliner Nachwendezeit. Zudem zeigt sich sich eine Praxis des dezidiert „fließend“ angelegten beruflichen Professionalisierungsprozesses, bei dem sich kein expliziter räumlicher, sozialer und habitueller Bruch mit dem sozialen Ursprungskontext vollzieht. Die Fallstruktur zeigt daher starke Spreizungen zwischen einerseits dem 262

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

Verharren in der Tradition der „Do-it-yourself“-Praxis, von der sich soziale und individuelle Autonomiegewinne versprochen werden. Zudem formt sich die Identität als „Berliner Kreative“ nur in bestehender Verbindung zu und mit dem auch heute noch wirkungsmächtigen Clubmilieu aus. Andererseits vollzieht sich im Zuge der Statuspassage zum Unternehmertum eine Konfrontation mit neuen, betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien. Diese artikulieren sich in Form von Investitionsplanungen, systematischer interner Arbeitsaufteilung und der möglichen Akquise staatlichen Förder- und Überbrückungsgelder auf dem Weg in die berufliche Selbständigkeit. Somit stehen sich zwei unterschiedliche verfahrens- und wissenskulturelle Modalitäten vor dem Hintergrund der gelebten Sozialisationspraxis in ihrer grundsätzlichen Prägungs- und Wirkungskraft bei dem Prozess der Unternehmensgründung gegenüber. Es zeigen sich aber auch mehrere Auswege und „Exit-Optionen“ aus diesem regelrechten wissenskulturellen Dilemma. Zum einen zeigt die Hybridisierung des eigenen Berufsfeldes eine latente Selbststilisierung zum Künstler, um weiterhin Alleinstellungsmerkmale zu markieren und aufrechtzuerhalten. Durch den Prozess der Stilisierung zum Künstler sind nicht nur Autonomiegewinne zu erwarten, es erscheint auch für das Ursprungsmilieu passfähig, die durchgeführte Praxis – bspw. der Inszenierung von Clubräumen – stilistisch aufzuwerten und in ein neues Referenzsystem – das der Kunst – zu überführen. Dabei artikuliert sich aber nicht eine lineare Entwicklung von der Clubkultur in ein neues System Kunst. Vielmehr zeigt sich, dass sich konträr gegenüberstehende Wertrationalitäten langsam auflösen. Die faktische Durchlässigkeit wird – bei aller Prekarität für ihre Protagonisten – durch berufliche Professionalisierungswege vollzogen, bei der versiertes Taktieren notwendig ist, um innerhalb der jeweiligen und nach wie vor bestehenden Rationalitätskriterien operieren zu können. Neben der möglichen Hybridisierung auf der professionellen Ebene zeigt sich auch eine Hybridisierung auf der institutionellen Organisationsebene der Akteure. Es werden Arbeitsmodelle entwickelt, die Projektcharakter haben und in ihrer internen unternehmerischen Organisationsstruktur den kontextspezifischen Bedingungen Rechnung tragen. Produkte erfahren eine Aufwertung, wenn sie in der Vermittlung sowie der Reproduktion mit einer Referenz an die „Berliner“ Produzenten und an den „Berliner Kontext“ versehen werden. Dies verleiht dem Produkt eine symbolische Aufladung sowie eine Glaubwürdigkeit, dass es sich um etwas Partikulares handelt, das sich dann auch international behaupten kann. Diese Wertsteigerung über symbolisches Kapital, auf die sich Akteure in ihrer Selbstcharismatisierung beziehen und das sie mit ihren Produkten verzahnen, gründet in seiner modellhaften Grundstruktur wiederum auf situativen „Nachwende“-Erfahrungen. Diese erst begründeten neue Narrative der 263

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Ortspolitik. In der ungeregelten und offenen Strukturlage der Stadt Berlin entfalteten sich verschiedene soziale Praktiken der experimentellen Vergemeinschaftung (Clubkultur), die im Laufe der Zeit durch Professionalisierungsund stilistische Ausdifferenzierungsprozesse überlagert wurden. Die ab Mitte der 1990er Jahre sich vollziehenden Professionalisierungsschritte, bspw. in der musikalischen und visuellen Inszenierung von Clubinterieurs, müssen aber immer – so die These – in einer Beziehung zu dem mythischen Ursprungsnarrativ der Berliner Territorialität stehen. Die Akteure greifen auf ihre Codierfähigkeiten sowie sozialen Steuerungspraxen zurück, die ihnen wesentliche und originäre Erfahrungen bereitstellen und die es ihnen erlauben, über den Projektort nachhaltig an ihrer beruflichen Professionalisierung zu arbeiten. Vermittelt über dieses Narrativ vollzogen sich verschiedene Kapitalisierungsprozesse. Diese stellen aber keinen unerschöpflichen oder für jeden zu reproduzierenden und zu adaptierenden Fundus dar, vielmehr ist von einem Widerstreit um die Deutungshoheit dieses Narrativs auszugehen. Die hier im Fokus stehenden Akteure der beiden Fälle repräsentieren eine funktionale Elite, die aus dem Anfang der 1990er vorhandenen Überangeboten an Raum ganz wesentlich ihren Anspruch anmeldet, an der Produktion von Raum nicht nur informell oder am Rande teilzunehmen, sondern nachhaltig und gestaltend am sozialen und kulturellen Aufbau der Stadt Berlins zu wirken.

Strukturlage der Fälle „Neu-Berliner“ Die Differenzierung der Strukturlage in eine „etablierte“ und eine „junge“ Fallstruktur erklärt sich vor dem Hintergrund, dass zunächst Parallelen im Bereich der rekonstruierten eigenlogischen Verortungspraktiken zwischen den etablierten und neuen resp. jungen Unternehmern erkennbar sind. Zu klären ist daher die Rolle, Genese und Transformation des Referenzsystems, auf das sich insbesondere die neuen jungen Unternehmer beziehen. Sie repräsentieren Verortungspraktiken, die ihre originäre Herkunft in einer Struktursituation Berlins Anfang bis Mitte der 1990er Jahre haben. Es ist nicht anzunehmen, dass die „Neu-Berliner“ über reale und direkte lebensweltliche Erfahrung und Bezugnahme zu der faktischen Berliner Nachwendesituation der frühen 1990er Jahre verfügen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sie über keine oder nur geringe und direkte Erfahrungshintergründe verfügen. Gleichwohl zeigen sich insbesondere in den Strategien der Bespielung sowie der Umprogrammierung von Orten auffallend ähnliche Praktiken und Verfahrensweisen. Diese Praxis verbindet sich hinsichtlich ihres Ursprung vornehmlich mit einer Klientel von Berliner Nachwendepionieren, die im direkten Umgang sowie der Steuerung mit der offenen Situation kulturelles,

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FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

aber auch Vernetzungs- und Erfahrungswissen sammeln und nachhaltiger territoriale Orts- und soziale Beziehungskenntnisse aufbauen konnte. Die jungen „Neu-Berliner“ können nicht auf diese Erfahrungs- und Erlebnisgrundlage zurückgreifen und sehen sich somit einem strukturellen Nachteil ausgesetzt, der sich gegenüber länger in Berlin operierenden Konkurrenten ergibt. Da sie jedoch mit der Vorannahme und der Erwartungshaltung der „offenen“ Stadt Berlin in der Stadt ihre unternehmerische Praxis starten und dabei eine strukturell ähnliche Ortspolitik betreiben, artikuliert und gibt sich ein globales Narrativ der „offenen“ und noch nicht hinlänglich durchprogrammierten Stadt Berlin zu erkennen. Die „Neu-Berliner“ beziehen sich – so die These – auf dieses Metanarrativ und erkennen in der Ressource des Ortes eine Kapitalmöglichkeit, um über diese „aneignungsfähige Ressource“ Ort ein soziales Beziehungsnetz nicht nur aufzubauen, sondern mittels Inszenierung Informations- und Beziehungsressourcen stimulieren und generieren zu können. Dies verschafft ihnen die Möglichkeit, über die Behelfsbrücke des Symbolgewinns ihre professionelle Identität mit Berliner Attributen anzureichen und somit in einem hochkonkurrenten Feld gewinnbringende Differenzierungen zu entwickeln. In diesem Sinne hilft die Ortsressource zum sukzessiven Aufbau einer beruflichen Identität als Kreativproduzent. Diese Ressource bietet ihnen ein Handlungsskript an, wie sich die Akteure in diesem Dienstleistungssegment sowie in der Phase der Unternehmensgründung in Beziehung zu dem Metanarrativ setzen können. Der Prozess der Selbsterfindung für die in Berlin operierenden kreativen Akteure gibt sich als eine Form der „reinvention of tradition“ (Giddens 1994, S. 12) zu erkennen. Die Akteure beziehen sich auf die sozial-räumlichen Extensionen und materiellen Manifestation eines Referenzsystems, eines Nachwende-Habitus der Stadt Berlin, erkennen dabei aber, dass sie sich nur über eigenlogische Praktiken zu diesen System in Beziehung setzen und es nicht einfach kopieren können. In diesem Sinne artikuliert sich eine Hybridisierung des Narrativs der „offenen Stadt“ Berlin, da es zunehmend dem „Ursprungsmilieu“ der Berliner Nachwendeclubkultur entzogen wird und von offiziellen Akteuren, formalen Institutionen der Raumorganisation (Senat, Liegenschaften, Sozialpolitik) und der freien Wirtschaft als Instrument der symbolischen Aufwertung der Stadt herangezogen wird. Das episodische, aber schon zu den traditionellen Beständen gehörende Metanarrativ der „offenen“, in Teilen noch ungeregelten und aneignungsfähigen Nachwendestadt wird somit aufgrund seines zunehmend hybriden Charakters als eine mögliche strategische Ressource von den kulturellen Unternehmern aufgenommen. Die Aufnahme in eine lose Gemeinschaft eines beruflichen Milieus vollzieht sich sodann prozesshaft über strategische Mikropolitiken der territorialen Orts(um)programmierung.

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Als Mitglieder einer Szene von Ortsproduzenten repräsentieren sie zugleich diese Vergemeinschaftungsform und tragen daher Verantwortung dafür, diese angenommene Rolle und Funktion auch auszufüllen. Aus diesem Wechselspiel zwischen informellen Repräsentationsfunktionen und abschöpfendem Mitnahmeverhalten erhoffen sich die Akteure, ihre Produkte aus einer von außen als kulturell innovativ bewerteten kreativen Szene heraus an den Kunden und an den Markt heranführen zu können. Sie arbeiten dabei mit geringsten finanziellen Mitteln an der Aneignung, der Reproduktion, der Partizipation und zugleich Transformation eines symbolischen Berliner Urbanisationsvorteils. In diesem Sinne erscheint es als eine regelrechte Verpflichtung für Akteure aus dem symbolproduzierenden Dienstleistungsbereich, mit dem kollektiven Berliner Narrativ der Ortsprogrammierung zu arbeiten oder sich zumindest dazu in Beziehung zu setzen. Es gilt dabei den Mythos der „offenen“ Stadt, einmal zum eigenen Vorteil gewendet, aufrechtzuerhalten und dieses Narrativ mit feinen Differenzierungspraktiken versehen kreativ fortzuführen. Rückwirkend kann nicht geschlussfolgert werden, dass bei ausbleibender Ortsprogrammierpraxis die Möglichkeit der Integration in eine berufliche Szene samt symbolischen Aufmerksamkeitseffekten ausbleiben würde. Es hieße aber, dass eine wesentliche Kapitalressource der Stadt dann brach liegen und eine symbolische Offerte zur Identitätsausstattung ignoriert werden würde. Alleinstellungsmerkmale der kulturellen Unternehmer müssten sich dann anders entfalten. Die Praxis der Ortsprogrammierung ist aber nicht als ein einfacher und beliebig durchzuführender kultureller Kopiervorgang aufzufassen. Die Ortspolitiken der jungen Berliner weisen zum einen strukturelle Parallelen im Umgang mit und der Bespielung von Orten auf. Zum anderen sind ihre Praktiken – gegenüber den Ortspolitiken der Etablierten – expressiver, offener und direkter. Sie verweisen somit auf unterschiedliche Taktiken und Strategien im Umgang mit der Programmierung von Orten sowie der Erzeugung von Sozialräumen. Die Akteure geben sich als Experten des Außeralltäglichen und des städtisch Partikularen zu erkennen, sie exotisieren ihr sozialräumliches Umfeld und generieren aus der Neucodierung ihrer Situation eine erste individuelle Perspektive auf die Stadt, um darüber ihre symbolische, soziale und kulturelle Konstitution überhaupt erst bestimmen und generieren zu können. Gleichwohl führt das bekannte Metanarrativ der „offenen“ und aneignungsfähigen Stadt, das hier in Form des Urbanitätsmodells des flexiblen und situativen Urbanismus rekonstruiert wurde, aufgrund seines hybriden Charakters zu einer konstanten Erhöhung der urbanen Dynamiken. Feine Differenzierung und subtile Absatzbewegungen zu anderen sozialen Milieus sind die Regel. Die Halbwertszeit der Gültigkeit von „angesagten“ Orten sinkt durch die Zunahme von konkurrierenden Akteuren aus dem Kreativbereich rapide 266

FÄLLE – MUSTER – STRUKTURTYPIKEN

ab. Zudem adaptieren und integrieren global operierende Unternehmen, wie bspw. Nike, Elemente des „flexiblen und situativen Urbanismus“ in die Praxis ihrer Produktpräsentation im Urbanen und versuchen über Freizeit- und Sportpraktiken auf stetig wechselnden Brachflächen neue Zielgruppen zu gewinnen (Borries 2004; 2005). Abschließend kann für beide Strukturfälle geschlussfolgert werden, dass der städtische Strukturkontext sowie das adaptierbare Referenzsystem der aneignungsfähigen und offenen Stadt sich mit einem Urbanitätsmodell verbinden, das zunächst thesenartig als „flexibler und situativer Urbanismus“ vorgestellt wird. Die Bezugnahme zu speziellen Habitusformen der Stadt Berlin ermöglichte den hier im Fokus stehenden Akteuren, eine neue berufliche Identität in einem neuen sozialen und ökonomischen Strukturkontext zu entfalten. Der Aufbau von zentralen Beziehungsressourcen vollzieht sich über die Schaffung erster Produkte, die mit der akteursspezifischen Lebenslage und den dazu passenden habituellen körperlichen wie örtlichen Praktiken verwebt sein müssen: Emotionale Glaubwürdigkeit, situative Authentizität und der Glaube des Kunden, temporär ein Alleinstellungsmerkmal zu erwerben, müssen sich anfänglich mit dem Produzenten der Produkte verbinden und in sozialen Arenen dem Anwendungstest (Galerie, Club, Verkaufsraum) standgehalten haben. Aus der vermeintlichen strukturellen Schwäche der unternehmensbezogenen Berliner Nachwendeökonomien wird somit über das Hinzuziehen des körperlichen wie habituellen Kapitals eine Verwertungslogik und Potenzialität generiert. Dabei vollzieht sich eine Hybridisierung vormals tendenziell getrennt voneinander operierender sozialer, finanzieller, lokaler und körperlicher Kapitalsorten.

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Unternehmer- und Raumt ypo logien: Szenen des posturbanen Berlins

Die im vorangegangen Kapitel rekonstruierten Fallstrukturen stellen Ergebnisse zu Typiken und deren Variationen des Unternehmertums im Bereich der Berliner Symbolproduzenten dar. Die untersuchten Unternehmer weisen sich als Produzenten wie Konsumenten einer neuen sozialräumlichen Topografie sowie eines flexiblen und situativen Urbanismus aus. In den folgenden Ausführungen werden diese Ergebnisse in Beziehung zu den zu Beginn formulierten Hypothesen sowie dem methodischen Vorgehen dieser Arbeit gesetzt. Die ermittelten Falltypiken werden mit anderen Forschungsarbeiten im Feld der Berliner Kulturwirtschaft und den dabei diagnostizierten Emergenzen neuer sozialräumlicher wie sozialstruktureller Formationen verglichen. Ebenso wird detaillierter auf das fallspezifische und wechselseitige Verhältnis zwischen „Space“ und „Place“ unter Einbeziehung des Spacingkonzepts von Martina Löw eingegangen. Aufbauend auf diesen beiden Teilkapiteln, d.h. der Kontextualisierung der rekonstruierten Falltypiken eines neuen Sozialraumtypus Culturepreneur sowie der Analyse des Strukturtypus in seiner raumkonstituierenden Funktion, erfolgt eine weitere zusammenfassende Diskussion anhand der folgenden Frage: Inwiefern repräsentiert das rekonstruierte Urbanitätsmuster des flexiblen und situativen Urbanismus sowie die daran gekoppelte Vergemeinschaftungsform Szene ein ökonomisches Modell, das Aufschluss gibt über die habituelle Form und Grundstruktur der in Berlin operierenden Kreativwirtschaft? Anhand der empirischen Ergebnisse und ihrer Kontextualisierung wird eine stadtspezifische Verfahrensweise innerhalb der Berliner wissensbasierten Kreativwirtschaft vorgestellt. Des Weiteren wird daran diskutiert und exemplarisch untersucht, welche Potenziale in qualitativ ausgerichteten Stadtforschungsarbeiten gerade für äußerst schwer zu greifende Themen und epheme-

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

re Prozessen liegen. Abschließend wird knapp auf die Stärken und Schwächen der Forschungsperspektive sowie der verwendeten Methodiken eingegangen.

C u l t u r e p r e n e u r s ? S t r u k t u r t yp i k e n , V a r i a t i o n e n und Figuren Der Begriff Culturepreneur wurde zum ersten Mal von Simon Ford und Anthony Davies im Jahr 2000 eingeführt. Relativ ähnliche Begriffe sind Cultural Entrepreneur und Creative Entrepreneur. Mit diesem Begriff geht die implizite These der Hybridisierung vormals getrennt voneinander operierender Handlungsfelder im Bereich der heutigen wissensbasierten Kreativwirtschaft einher. Anhand von Fällen wurde nach den Strukturmerkmalen und den empirischen Ausprägungen der Handlungsvariationen von Akteuren im Feld der wissensbasierten Kreativwirtschaften gefragt. Es wurde fokussierter nach ihren binnenlogischen Verfahrens- und Organisationsweisen sowie ihren Raumaneignungspraktiken im Verlauf der Gründung eines Unternehmens gefragt. Der Begriff Culturepreneur wurde in dieser Arbeit als ein Suchbegriff eingeführt. Zum einen konnte dadurch dem schnell umbrechenden Feld, den unübersichtlichen Märkten und den informellen Beziehungsstrukturen dieser Akteure Rechnung getragen werden. Zum anderen eröffnete sich ein analytischer Reflektionsraum, der die diskursiven, sozialen, kulturellen und räumlichen Felder dieser Akteure zu benennen im Stande war. Somit konnten die Strategien und Taktiken im Städtischen samt ihren Intentionen plausibel verortet werden. Mit feldaufschließenden Verfahren lenkte der Begriff Culturepreneur das weitere methodische Vorgehen in ein weitestgehend empirisch unerforschtes Feld. Die rekonstruierten Strukturmuster ihrer unternehmerischen wie sozialräumlichen Verortungen wurden in dem Begriff des flexiblen und situativen Urbanismus gebündelt. Daran lagern sich signifikante Merkmalsausprägungen an, die einen Berliner Strukturtypus repräsentieren. Der Suchbegriff Culturepreneur und das daran gekoppelte Forschungsdesign lenkte als Sortierhilfe in dem jungen hochdynamischen und schnell umbrechenden Feld der Symbolproduzenten die hier angewandte empirische wie konzeptionelle Forschungsstrategie. Die Diskussion der möglichen Emergenz eines neuen Sozialraumtypus verband sich mit der folgenden grundsätzlichen Arbeitshypothese: • In dem krisenbehafteten Strukturkontext Berlin gibt sich ein stadtspezifischer Typus gerade zwischen den etablierten, rein ökonomischen Produktionsfeldern und den relativ rigide abgeschotteten Feldern der Kulturproduktion zu erkennen.

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UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN



Die Akteure nehmen eine Art Zwischen-, Vermittlungs- und Brückenfunktion ein. Sie stellen ein funktionales Relais zwischen den strukturlogisch voneinander getrennt operierenden Bereichen Wirtschaft und Kultur dar.

Aufgrund ihrer Rolle als funktionales Äquivalent muss aber gefragt werden, welche subjektiven Bedingungen und individuellen Verfahrensweisen diese Akteure im Kontext eines postfordistischen Stadtgefüges vorfinden bzw. an den Tag legen. Zwei grundsätzliche Interpretationswege stehen im weiteren Verlauf im Vordergrund: Zum einen werden anhand des rekonstruierten Modells des flexiblen und situativen Urbanismus die Konstituierungspraktiken von Orten, von Berufsbiografien und von Szenen als Ausdruck einer ambivalenten Orts- und Lebenslage verstanden. Diese Lage ist charakteristisch für die Phase des Spätkapitalismus. Auf der anderen Seite geben sich die Akteure hinsichtlich ihrer Handlungs- und mikrounternehmerischen Steuerungsprozesse im Städtischen als kommunikative Schaltstellen zu erkennen. Diese Mikrozellen und ihre Ortspolitiken sind prinzipiell unvollständig und dadurch komplettierungsoffen. Sie gewinnen Steuerungs- und Handlungsoptionen, da sie Adaptionsbereitschaften oder, wie das Birger Priddat formuliert, „legalisierte Wildheit“ an den Tag legen (Priddat 2005). Die Forschungsstrategie analysierte die Bewältigung der Unternehmensgründung von Symbolproduzenten. Dies wurde anhand von Interaktionspraktiken und -kulturen dieser Akteure vorgestellt. Aufgrund des jungen Handlungsfeldes ist davon auszugehen, dass sich gerade an der Statuspassage der Unternehmensgründung flexible, vielschichtige, bindungsvariable und temporäre Mikrokollektive formieren. Die Prozesse und Praktiken der Vergemeinschaftung im Allgemeinen und speziell im Fall der hier im Fokus stehenden symbolproduzierenden Akteure benötigen Orte für soziale Interaktion, für die Präsentation der eigenen Produkte, für ihre Arbeit sowie für Experimente, bspw. um neu entwickelte Symbole, Styles und Codes zu testen und zu präsentieren. Somit lag der Fokus auf der biografisch-unternehmerischen Rekonstruktion der Entwicklungen einer sozial vernetzten Unternehmerbiografie, wobei die Analyse der Produktion der verwendeten und angeeigneten Orte im Vordergrund stand. Die Gründung eines unternehmerischen Selbständigenzusammenhangs stellt eine besondere Form des Übergangs vom Status des Erwerbslosen, des Angestellten, des Ausgebildeten oder des bereits selbständig, aber nicht in einem unternehmerischen Kontext Operierenden zu einer neuen Erwerbs- und Sozialitätsform dar. Dieser Statusübergang wird von Michael Thomas generell als hochgradig risikobehaftet und unklar hinsichtlich der Erfolgschancen angesprochen (Thomas 1998). Der Übergang konfrontiert die Akteure mit 271

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

ihren habituellen Praktiken, neuen betriebswirtschaftlichen Anforderungen, Bewertungen ihrer bisherigen sozialen Interaktionspraktiken und Produktausrichtung und weist den Akteuren meistens kein belastbares Handlungsskript zur Lösung und Bewältigung dieser Passage zu. Gerade die bei den Berliner Symbolproduzenten vorherrschenden unternehmerischen Mikroformationen entfalten sich prinzipiell innerhalb eines schnell umbrechenden, kurzlebigen und wenig planbaren Markts. Dieser Markt ist aufgrund der schwachen konjunkturellen Lage und des geringen Besatzes an finanzstarken Dienstleistern wenig nachfrageorientiert. Er muss vielmehr inszeniert und regelrecht erfunden werden. Traditionelle Kommunikations- und Werbungsinstrumente zur Kundenakquise, der Produktpräsentation und des Marketings können aufgrund der jungen Berufspraxis sowie der finanziell mageren bis nicht vorhandenen Startkapitalbestände nicht herangezogen werden. Die strategische Erzeugung von Aufmerksamkeit vollzieht sich über andere Prozesse. Die hohe absolute und in den letzten Jahren stetig gestiegene Anzahl der Mikrounternehmen hat den Konkurrenzdruck der Mikrounternehmen untereinander konstant erhöht. Zugleich intensivierte sich das Ringen um symbolische Hoheit über die Stadt, ihre Stile, ihre Repräsentationen sowie über einzelne Areale. Die vormals geteilte Stadt Berlin repräsentiert als „Stadt“ rasante symbolische Um- und Neubesetzungen sowie wechselnde Codierungen und Platzierungen. Dazu wurden ausgewählte Macher nach den Strategien ihrer Ortsbewertungen und Codierpraktiken gefragt. Ortsaneignungen basieren zum einen auf den in Berlin nach wie vor relativ günstig anzumietenden Büro- und Arbeitsräumen. Zum anderen stellt die Ressource Ort bzw. Raum – einmal als Grundlage der örtlichen Arbeitspraxis, einmal als temporäre Komprimierung der dispersen, zunehmend räumlich entgrenzten, sozialen Arbeits- und Beziehungszusammenhänge – eine relevante Gestaltungsgröße gerade für symbolproduzierende Mikrounternehmen dar. Vor diesem Hintergrund kann man grundsätzlich von einem Bedeutungswandel in der Bewertung von Ort und Raum im Kontext einer wissensbasierten kreativen Stadtökonomie sprechen. Zwei Hypothesen wurden dabei als forschungsleitende Fokussierung entwickelt, die hier noch einmal vorgestellt werden: • Die gekonnte Verdichtung des Raums über Mikropolitiken an speziellen Orten spielt eine zentrale Rolle in der Positionierungspraxis der Akteure. • Die Prozesse der Vergemeinschaftung und die Integration in eine Professionsszene erfolgt über die Les- und Erlebbarkeit räumlicher Codierungen – auch und gerade in dem Segment der kreativen Professionen. Die rekonstruierten Entwicklungswege der im Folgenden als Culturepreneurs bezeichneten Akteure im Feld der kreativen Wissensökonomien Berlins wur272

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

den in dem Begriff des flexiblen und situativen Urbanismus gebündelt. Dabei konnten falltypische Gemeinsamkeiten im Bereich der binnenlogischen unternehmerischen und projektspezifischen Entwicklungswege, der Ortsaneignung wie -auflösung sowie der Umprogrammierung von Orten rekonstruiert werden. Gemeinsame und vergleichbare Merkmalsausprägungen werden im Folgenden vorgestellt sowie in Beziehung zu weiteren Analysen und Ergebnissen empirischer und konzeptioneller Arbeiten in diesem Feld gestellt. Dies dient der weiteren systematischen Kontextualisierung der empirischen Ergebnisse.

Strukturtypiken und Fallvariationen – Passagen des Übergangs Die normativ-mechanistische Grundannahme, dass sich die Herausbildung von Unternehmertum im Kontext der Berliner Kreativwirtschaft in ein zwar dynamisches, letztlich aber doch stabiles und zugleich vordefiniertes institutionelles Arrangement hinein entfalte, kann in dieser Eindeutigkeit nicht nachvollzogen werden. Des Weiteren kann auch die Vermutung, dass die Unternehmensgründungen sich aus der Perspektive der Praxis regelrecht in bestehende Strukturkontexte einlagern und einfügen (Inkorporation), nicht bestätigt werden. Aufgrund des Variantenreichtums der Unternehmensgründungen kann vielmehr festgestellt werden, dass die Prozesse der Gründung hochgradig eigensinnig verlaufen. Somit konnte der Vorgabe Rechnung getragen werden, dass der hier untersuchte junge Forschungsgegenstand zunächst explorativ aufgegriffen und in seinem Formenreichtum expliziert werden sollte. Eine reine Übertragung von bestehenden Handlungs- und Verfahrensmodellen auf das Verständnis der „kulturellen Unternehmer“ im Rahmen der kreativen Wissensökonomien der Stadt Berlin hätte davon ausgehen müssen, dass ökonomische Institutionen, ordnungspolitische Rahmungen sowie städtische Bedingungen essenziell sowie von „oben“ gesetzt und nicht mehr das Resultat sozialer Konstruktionen sind (Granovetter/Swedberg 1992, S. 17). Davon ist aber in der vormals politisch geteilten, heutigen Transformationsstadt Berlin nicht auszugehen. Mit dem (Such-)Begriff Culturepreneur wurde anhand einer explorativen feldaufschließenden Forschungsstrategie nach dem „vorinstitutionellen Eigensinn“ (Thomas 1997b, S. 37) eines bislang nur diffus beschriebenen Sozialstrukturtypus gefragt. Die dabei ermittelten Binnen- und Verfahrenslogiken der untersuchten Akteure zeigen fallspezifische soziale, kulturelle und ökonomische Konstruktions- und Handlungsprozesse. Aufgrund des weitestgehend nicht vorhandenen formalen sozial-institutionellen Einbettungskontextes in Form von Kundenbeziehungen, aber auch Assoziationen, Verbänden, Vereinen oder mit sozialen Regeln und Normen besetzter Institutionen, entfaltet 273

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

sich ihre unternehmerische Praxis in einen zunächst unbestimmten und unbekannten Handlungsraum hinein. Daher, so zeigen die Ergebnisse der Fallrekonstruktionen, müssen die Akteure auf individuelle Wahrnehmungs-, soziale Handlungsressourcen sowie örtliche Gestaltungsoptionen zurückgreifen, aus denen sie prozessual ihre unternehmerische Praxis entwickeln. Diese Feststellung, zu der auch Michael Thomas in strukturell vergleichbarer Situation in Hinsicht auf Unternehmensgründern in Ostdeutschland Mitte der 1990er Jahre kam, hat zwei Konsequenzen: Zum einen muss nach neuen, zur Lebens- und Arbeitswelt der Kreativwirtschaft passenden Praktiken und Formen der sozialen und örtlichen Institutionenbildung gefragt werden. Ohne sie, so wird im Folgenden gezeigt, lässt sich die soziale wie unternehmerische Praxis der kulturellen Unternehmer nicht erklären. Zum anderen zeigen sich ein deutlicher Bedeutungsgewinn und eine Aufwertung der Empirie als erklärende Kraft gerade für sich vehement vollziehende urbane Transformationsprozesse. Die Fokussierung auf einzelne Variablen und deren Wirkungsrichtung im Prozess der Strukturrekonstruktion kann zwar noch nicht eine abschließende Gewichtung der dabei zum Tragen kommenden Faktoren benennen. Per rigoroser Vorentscheidung ob der Untersuchungskriterien würde diese forschungsstrategische Unsicherheit aber auch nicht adäquater gelöst. In der Folge treten andere Kriterien und Beweggründe im Prozess der Unternehmensgründung zu Tage: Lust am unternehmerischen Experiment, Beharrlichlichkeit in der Etablierung des Zugangs zum Ursprungsmilieu, ungetrübte Neugier auf den Freiraum der Stadt Berlin sowie die Bereitschaft zur Entdeckung seiner Selbst sind als Motivdispositionen der Akteure nicht nur eigensinnig. Sie stemmen sich sogar regelrecht gegen Unterscheidungstypologien in Form einer „Gründung aus der Not“ oder der „Gründung aus einer Ökonomie der Selbstverwirklichung“, die zur Analyse der eigenlogischen Struktur der unternehmerischen Statuspassagen nur bedingt etwas aussagen würden. Typologisierungsverfahren stehen in dieser Arbeit vor der grundsätzlichen methodologischen Frage, wie sie dem individuell-kreativen Eigensinn bei der Bewältigung der krisenbehafteten Statuspassage Unternehmensgründung Rechnung tragen können. „Krise“ verweist auf ein situatives Element, bei dem die Akteure kein gesichertes und überprüftes Erfahrungs- und Handlungswissen mit passendem Handlungsskript vorliegen haben, das ihnen bei der Bewältigung des unternehmerischen Verfahrens direkt behilflich sein könnte. Diese Situation ergibt sich nicht nur durch strukturelle Unerfahrenheit von neuen Unternehmern, sondern auch durch den Kontext eines äußerst schnell umbrechenden dynamischen Felds der Kreativwirtschaft. Verstetigungen von Produktionsprozessen und zeitliche Stabilitäten von Produkten sind kaum zu erwarten, vielmehr verkürzen sich Innovationszyklen 274

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

aufgrund der abnehmenden Halbwertszeit der Gültigkeit von Wissen, Stilen, Symbolen und Trends rapide. Dadurch eröffnen sich aber auch stets realistische Chancen, um mit neuen Ideen, Verfahren und Produkten von außen in einen Berliner Markt der Symbolproduktion zu stoßen. Im Zusammenhang mit der Fokussierung auf „Krise“ als konstituierendes Moment des Handlungsvollzugs im Prozess der Statuspassage zur Unternehmerwerdung treten zudem zwei zentrale, sich einander bedingende Aspekte in den Vordergrund: a) die Dimension der subjektiven Ressourcen, die sog. „Ich-Ressource“, und b) die Dimension der „Situation“. Beide werden im Folgenden anhand der Fallrekonstruktionen erläutert und kontextualisiert. Sie verweisen dabei auf ein Kernergebnis der Arbeit: Die Entfaltung der unternehmerischen Tätigkeit der Akteure konzentriert sich auf zwei wesentliche, in interdependenter und zugleich ambivalenter Beziehung stehende Pole: Zum einen die verstärkte und notwendige Hinwendung auf subjektive „Ich“-Qualitäten, zum anderen die Einbettung und Überführung dieser Qualitäten in eine sozial-interaktive sowie eine örtliche Rahmung. Diese Rahmungen werden anhand der Praxis der Ortsproduktion genauer betrachtet. Eine relationale Perspektive auf die „Ich“- und „Wir“-Dimension der mit Ort und Stadt operierenden unternehmerischen Akteure im Feld der Symbolproduktion muss neben der sozialen Interaktionsperspektive auch die räumlichen und örtlichen Vollzugsebenen der Vergemeinschaftungspraktiken berücksichtigen. Die Potenziale der biografischen und bildungsspezifischen Muster sowie die Praktiken der individuellen Selbststeuerung werden erst in der Situation prozessual freigesetzt und formen sich zu lebensweltlichen Erfahrungen. Die Rekonstruktion sowie die Typologisierung lässt erkennen, dass die untersuchten Akteure äußerst versiert mit situativen Gelegenheiten, altbekannten oder neu generierten Sozialitätskontexten und lokal-örtlichen Verständnissen umzugehen wissen. Diese Akteure agieren reflexiv und brechen immer wieder ihre unternehmerischen Verfahrensweisen mit kurzfristigen und ungewohnten Situationspraktiken. Die Praxis der Generierung von neuen sozialen Architekturen weist performative Züge auf und verweist auf die Bedingungen einer neuen sozialen Topografie in der Stadt Berlin. Das dieser Topografie zugrundeliegende Motiv wird als konstitutiv für einen habituellen Modus der Berliner Vergemeinschaftung angesprochen. Der Modus wurde in der These des flexiblen und situativen Urbanismus gebündelt. Kurz: Es wird im Folgenden diskutiert, inwiefern die Akteure einen neuen Sozialraum- und Sozialstrukturtypus darstellen könnten.

Subjekte der „kulturellen Individualisierung“ Ein wesentliches Merkmal dieses Sozialstrukturtypus besteht in der ausgeprägten „Subjektivierung seiner Selbst“. Sein Maß an Reflexivität erklärt sich 275

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

aus der Individualisierungsaufforderung der selbständigen Tätigkeit als Unternehmer. Dabei wird ein Schritt vom Wir – als Mitglied einer Firma, einer Universität oder Institution – hin zum Ich als Verantwortlicher seiner Selbst vollzogen. Es stellen sich aber auch Möglichkeiten der Herausbildung und Umformung einer professionellen Identität ein, es erschließt und öffnet sich gleichsam ein neues Reservoir an identifikatorischen Optionsbildungen. Diese artikulieren sich in einer variantenreichen Spannbreite von Selbstcharismatisierung und Selbstüberzeichnung, die zum Spiel um Positionen in der Markt- und Markenlandschaft nicht nur dazugehören, sondern auch regelrecht gefordert sind, um sich mit seinen Produkten und Ideen vor dem Kunden und seinen Konkurrenten zu platzieren. Der Prozess der Selbstcharismatisierung verweist aber, neben der subjektiven Perspektive, auch auf eine sozial-interaktive, letztlich außerhalb des subjektiven Bereichs liegende Dimension. Der Prozess der Selbstcharismatisierung des Individuums generiert eine Form der personalen Aufmerksamkeit, die in eine soziale Arena hinein wirken soll. Neben dem produzierten und zum Verkauf angebotenen Produkt soll der potentielle Käufer zusätzlich durch den Verkäufer überzeugt werden: Letzterer nimmt dabei eine erklärende und vorbereitende Rolle hinsichtlich der möglichen Verwendung eines immateriellen Gegenstand ein. Gerade symbolische Lifestyle-Produkte müssen sich durch die Kombination von emotionaler Funktionalität des Produkts und gleichzeitiger Glaubwürdigkeit ihrer Produzenten („credibility“) auszeichnen. Der Käufer, so die Schlussfolgerung, kauft nicht nur das Produkt und seine Wirkungsweise, sondern ein imaginiertes Narrativ, das Zugang zu einer sozialen Arena, zu Orten und letztlich zu Märkten verspricht. Glaubwürdigkeit stellt sich wiederum durch habituelle Praktiken, Kleidungsstile und sprachlich-körperliche Artikulationsweisen ein, über die sich soziale wie lokale Zugehörigkeit äußert. Anhand des Feldprotokolls konnten einige dieser Stilzeichen identifiziert werden; sie zeigen Parallelen zu Beobachtungen von Ulf Poschardt: „Zuerst entstand mit den Technoproleten eine Mainstreamfigur bieder verwalteten Subkulturdaseins, dann mit den zugereisten Künstlern und besser verdienenden Agentur-, Medien- und DotcomVertretern eine Turnschuh und Prada Sport tragende Neoyuppieschicht und schließlich mit den vielen Tagedieben, Künstlern und Deejays eine Armada liebevoll dreckig und schlampig angezogener Mitte-Boys und -Girls, die auf ihre Art eine neue Form der Coolness definierten, die bisher ungesehen war“ (Poschardt 2002, S. 88). Eigenwillig kreierte und kombinierte Kleidung, verbunden mit einer regelrecht lasziven Lässigkeit in äußerer Erscheinung und distinguierter Entspanntheit verweisen auf Distanzierungscodes und Stildifferenzen, anhand derer soziale Taxonomien wie Fragen der kulturellen Zugehörigkeit und zugleich Fähigkeiten der äußeren Anpassung im Urbanen artikuliert werden. Mit 276

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

dieser Praxis geht eine komplexe territoriale Valorisierungsstrategie einher, derer sich gerade diese im Werden befindlichen unternehmerischen Akteure bedienen. Dies erklärt sich durch das diesen Akteuren traditionell eigene Anspruchsdenken. Stil- und Modefragen, eigene Darstellung durch Möbel und Kleidung, als deren ästhetische Experten sie sich letztlich mit ihren Produkten und ihrer Profession ausgeben, sind (auch) als Mittel der Distinktion anzusprechen. Darüber hinaus verbinden sich diese ästhetischen Praktiken aber mit lokalen Arenen, in denen sich diese symbolischen Innovationen zu einem Gefühl der emotionalen Bindung an ein Territorium verknüpfen lassen. Äußerlich erkennbare Stilzeichen verweisen auf ein besonderes Verhältnis zu Sozialräumen. Die in der Diagnose von Ulf Poschardt offenkundig werdenden Zusammenhangsformen zwischen Stilfragen und Raumzugehörigkeit, visuell-ästhetischer oberflächlicher Repräsentation und tiefenstruktureller Bindung an Räume zeigen Parallelen zu den hier beobachteten sozialen wie sozialräumlichen Praktiken der untersuchten Akteure. Die Stilfragen verweisen neben ihrer Funktion als räumliches Verortungs- und soziales Markierungssystem zudem auf eine lebensweltliche Strukturlage dieser Akteure, die in ihrer inneren Verfasstheit zunächst als „ambivalente Lebens- und Strukturlage“ bezeichnet werden kann (Funke/Schroer 1998).

Hybridisierung: Ökonomisierung der sozialen wie professionellen Beziehungsstrukturen Jenseits der Herstellung sozialer und räumlicher Zugehörigkeiten mittels distinktiver sozialer Praktiken artikulieren sich in den sozialen Fallextensionen des rekonstruierten Typus Culturepreneur neuartige Arbeitsformen. Die rekonstruierten Arbeits- und Produktionsformen der Symbolproduzenten basieren auf einer auffallenden Selbstbewertung und Selbstcharismatisierung ihres individuellen Talents. Dies verweist auf die Notwendigkeit der kontinuierlichen Entwicklung neuer Produkte. Zugleich artikuliert sich aber auch ein reflexiver Umgang ihres professionellen Status innerhalb eines variantenreichen Dienstleistungssegments. Die Mobilisierung des individuellen Talents äußert sich weniger in rein expressiven habituellen Selbstdarstellungsparolen oder medialen Überhöhungen. Vielmehr steht sie in einem Widerspruch zur lasziven Lässigkeit und Unaufgeregtheit, die in der mitunter hektischen, konkurrenzbehafteten, schnelllebigen und kurzzyklischen Interaktionspraxis der symbolproduzierenden Dienstleistungskultur praktiziert wird. Die Kultivierung einer Kultur der „Coolness“, wie sie für diese sozialen Milieus der Berliner Nachwendezeit kennzeichnend ist, verweist nicht nur auf das Motiv des blasierten Großstädters Simmel’scher Prägung. 277

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die Kultivierung des Ichs artikuliert eine Praxis der Zugehörigkeitsermöglichung und zugleich eine soziale Markierungs- und sozialräumliche Strukturierungsstrategie. Die Abgrenzungen gegenüber beruflichen Mitstreitern laufen subtil und körperbezogen. Stil- und Modefragen sowie Habitusformen sind immer als soziale und kulturelle Grammatik zu verstehen, die es erlauben, Rückschlüsse auf die Praktiken und sozialen Konstituierungsweisen von Individuen und deren Vergemeinschaftungen zu ziehen. Gleichwohl gibt das hohe Maß an Ich-Produktion Aufschluss über die lebensweltlichen wie binnenprofessionellen Milieubedingungen. Gerade die unterkühlte Expressivität der professionellen Akteure zeigt ein reflexives Vorgehen, das sie in einem Prozess der Entwicklung, Vermittlung und Aufladung eines Produktes an sich und ihre körperliche Codierung koppeln. Diese Praxen der Selbstbehauptung werden durch die Studien von Angela McRobbie in vergleichbaren Produktionsbereichen bestätigt. Sie bündelt ihre Analysen in dem Begriff „cultural individualisation“ (McRobbie 2002a). Der Begriff verweist zunächst auf die Radikalität der diagnostizierten gesellschaftlichen Individualisierung, darüber hinaus aber auch auf eine Bedingung des spätkapitalistischen Postfordismus. Eine Kultur sowie Kultivierung der reflexiven Individualität ist an die Stelle eines vormals in relativ stabile soziale Kontexte eingebundenen Subjekts getreten. Diese Maximierungsprozesse und Steigerungen des Ichs sind nicht mehr als ein Ausdruck der zunehmenden Auflösung sozialer Verbände und ihrer Strukturen zu interpretieren, sondern geben ein gesellschaftliches Dispositiv zu erkennen. Dieses lässt sich nicht nur als Individualisierungsaufforderungen begreifen, es artikuliert regelrecht Individualisierungserwartungen. Gesamtgesellschaftlich und arbeitsmarktpolitisch gibt sich dieses Dispositiv in der Form der Ich-AG auch in anderen, weniger expressiv ausgerichteten Dienstleistungsbereichen zu erkennen. Es kann daher geschlussfolgert werden, dass die Produktion von Symbolen und Affekten exemplarisch mit einer Kultur der Ich-Setzung einhergeht. In den wenig bürokratischen, spontanen und bewusst non-konformen Arbeitsprozessen wird diesem inneren Ich die Funktion einer zentralen Bedeutungsund einzig verlässlichen Steuerungsressource zugewiesen. Diese Ich-Instanz verhandelt Fragen der Steuerung und Regelung der hochgradig und maximal selbstbestimmten Bewältigung von Arbeit und gibt sich als Bestandteil des gesellschaftlichen Dispositivs zu erkennen. Dieses Dispositiv erfährt seine Attraktivität und Adaptionsbereitschaft durch das utopische Moment der zeitlichen, organisationellen und inhaltlichen Selbstbestimmung in Fragen der Arbeit. Es weckt Assoziationen und macht Anleihen bei der traditionellen Lebensform und dem breiten Verständnis des Künstlers und ermöglicht dadurch, die faktische sozioökonomische Prekarität zu überdecken. Diese ist empirisch schwer zu benennen und zu quantifizieren, artikuliert sich aber in lebensweltlichen Extensionen und konnte hier als eine 278

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

rekonstruierte fallspezifische Situationsbedingung in Form des „being poor in work“ (McRobbie 2005, S. 89-90) identifiziert werden.

Ökonomisierung der informellen sozialen Beziehungsstrukturen Entgegen dem Verständnis dieser Akteure als Repräsentanten einer individualisierten Generation zeigen sich in den empirischen Fallanalysen vielschichtige mikrokollektive Interaktionspraktiken. Sie geben Aufschluss über Einstiegswege in neue professionelle Felder sowie über Handlungspraktiken innerhalb eines professionellen Feldes. Gerade die methodische Fokussierung auf die Statuspassage im Verlauf der Unternehmerwerdung in einem hochflexiblen und schnell umbrechenden Dienstleistungsbereich kann die Frage beantworten, wie sich Berufseinstiege einerseits binnenorganisatorisch vollziehen und andererseits milieuspezifisch zu den wirkungsmächtigen städtischen Grammatiken verhalten. Diese interaktionsbasierte Mesoperspektive zwischen unternehmerischer Subjektwerdung, sozialräumlichen Verortungspraktiken in Berufsmilieus sowie die Herausbildung eines distinkten Berliner Unternehmertypus geben – im Kontext der Berliner Rahmungen – erste Antwort auf die Frage des Umgangs mit einer institutionell flexiblen und offenen Situation. Allgemeiner gesprochen gilt es anhand der Fallrekonstruktionen zu schlussfolgern, wie die hier im Fokus stehenden Akteure mit gesellschaftlichen Flexibilisierungsbedingungen und ihren Antagonismen subjektiv und sozial umgehen. Welche Lösungen legen sie aufgrund ihrer Wahrnehmung in Form von „eigenwilligen“ Handlungsskripten an den Tag? Wenn weder Marktkontinuitäten noch stilistische und kulturelle Trendstabilitäten eine minimale verlässliche externe Größe darstellen, anhand derer dauerhafte Produktorientierungen möglich sind, dann ist davon auszugehen, dass sich die Unternehmerwerdung in einen neuen und unbestimmbaren Sozial- und Marktraum hinein entfaltet. Diese strukturelle Ungewissheit erhärtet sich zudem durch das Fehlen formaler institutioneller Einrichtungen, die Orientierungswissen und Handlungsvorgaben bereitstellen könnten. Welche sozialen Instanzen ermöglichen ein Aushandeln der gerade bei dieser Professionsgruppe charakteristischen inneren Überantwortungen komplexer sozialer, professioneller und kultureller Lebensvollzüge? Welche Kooperationspraktiken stellen einen möglichen Ausgangspunkt für eine soziale Perspektive der Vergemeinschaftung dar? Was muss in ihnen verhandelt werden? Die rekonstruierten Binnen- und Organisationsstrukturen der Mikrounternehmen lassen sich nicht mehr als eine vom privaten und außerberuflichen Leben zu trennende Sphäre ansprechen. Längerfristige freundschaftliche Vertrauensbeziehungen stellen vielmehr einen inneren Fundus und zentralen sozialen Kitt dar, auf dem die Statuspassage Unternehmensgründung nicht nur 279

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

einer Probe und Belastung unterzogen wird, sondern überhaupt erst bewältigt werden kann. Die Akteure sind selten in formaliserte Netzwerke integriert. Neue Beziehungen müssen erst generiert, dafür soziale Praktiken erfunden werden und sich in diesem Verfahren selbst einem Prozess der Produktion von sozialer Aufmerksamkeit aussetzen (Thomas 1997b, S. 43, Steyaert/Katz 2004, S. 182). Sozialräumliche Beziehungsnetze erfahren aufgrund der engen Verzahnung von Produktion und Konsumtion einen herausgehobenen Stellenwert. Wenn Symbole, Zeichen und Codes vielfältige und ausdifferenzierte alltagsrelevante Orientierungs- und Erfahrungswissensbestände in einer neuen sozialen Topografie des Städtischen bereitstellen, dann erfahren diese ihre Inwertsetzung und Aufladung in der Imagination des zu erwartenden Effekts, allerdings nur im Moment ihrer performativen Anwendung in einer temporären Sozialität. Dies wird im folgenden Teilkapitel gezeigt. In der versierten Handhabung, in der Praxis der Be-, Um- und Aufwertung von diesen kommunikativen Elementen und Distinktionsmaterialien, erwächst für die Produzenten eine herausgehobene Position hinsichtlich ihres sozialen Status, aber auch hinsichtlich der Steuerung, Formierung und Platzierung von Sozialitäten sowie nicht zuletzt Märkten. Aufgrund des hohen performativen Stellenwerts ihre Produkte sehen sich die Akteure strukturell veranlasst, einen nachhaltigen Zutritt und engen Zugang zum letztendlichen Anwendungskontext ihrer Produkte zu haben (oder diesen selbst zu schaffen). Das Erspüren, Erfahren und Erleben ihrer Produkte in einer lebensweltlichen Situation stellt die zentrale Referenzfolie dar, anhand derer sie sich über die Tauglichkeit ihrer Produkte orientieren können. Die symbolischen Produkte erfahren ihren Gebrauchswert somit in einer performativen Situation und müssen daher Tests unterzogen werden. Die performative Dimension der Produkte wird in sozialen Kontexten auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden. Diese Situationen, in denen getestet wird, vollziehen sich in sozialen Arrangements, in denen Erfahrungen gemacht sowie Informationen und Wissen ausgetauscht werden können. Dabei werden subkulturelle Kompetenzen wie Improvisation und kulturelle Kapitalsorten neu bewertet und als Steuerungsressource (wieder-)entdeckt. Die dabei zum Tragen kommenden sozialen Beziehungsformen sind strukturell informell. Sie basieren auf einem hohen Maß an Individualisierung und individueller Verantwortung hinsichtlich der Steuerung und Organisation dieser Beziehungsform. In Teilen sind sie in Kommunikationstechnologien (Mailinglisten) verankert, die wiederum an bekannte Selektionsmechanismen (wie von Clubs) erinnern. Dort erfolgt die Zurückweisung an der Tür durch Türsteher, im Fall der professionellen Vergemeinschaftungsprozesse aber nimmt die Selektion weitaus subtilere Formen an. Verschiedene Medien, wie Mund-zu-Mund-Propaganda, Emailverteiler und Flyer, sichern die gezielte Verbreitung von Informationen über anstehen280

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de Ereignisse, Ausstellungseröffnungen oder auch neue Produkte. Neben dieser Informationspolitik arbeitet man aber auch immer wieder daran, die eigene professionelle Identität in der Versenkung verschwinden zu lassen. Zeitweise passiert nichts, die Akteure treten nicht sichtbar in Erscheinung, es werden keine Veranstaltungen organisiert. Die rekonstruierten Fälle geben durch ihre Praxis der Organisation von Beziehungsarbeit ein Spiel zu erkennen, das die soziale Umwelt auszubalancieren versucht, sich mit Formen der Camouflage tarnt, wieder zu erkennen gibt, neu erfinden kann, kurz, soziale Aufmerksamkeit erzeugt, um sich immer wieder ins Bewusstsein zu rufen. Die Informationspraxis der rekonstruierten Fälle basiert nicht auf eindeutigen Jahresprogrammen, ebenso wenig werden Kunst-, Vortrags- und Informationsveranstaltungen langfristig angekündigt. Einladungen werden per Email vor allem an ausgewählte Interessierte und Freunde aus dem vorhandenen Beziehungsfundus verschickt. Andreas Wittel hat diese Form der Interaktionskulturen als Bestandteile einer „network sociality“ angesprochen (Wittel 2001). Diese subkulturell anmutenden Beziehungskulturen und Kommunikationspraktiken verweisen auf einen ökonomischen Modus der Informalität, auf ein soziales Strukturmuster, das informationell und zugleich ephemer ist. Es basiert auf Intensität und erzählt nicht nur von einer Angleichung von Arbeit und Freizeit. Es spricht vielmehr von neuen Praktiken der Bindung an professionelle Milieus, die an die Stelle fordistischer Bindungsformen getreten sind. Diese latenten subkulturellen Kommunikationsstrukturen steuern dabei den Zugang zu bestimmten Berufsfeldern und ihren sozialen Arenen. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die Strukturmechanismen der globalen symbolproduzierenden Ökonomie nicht nur in die Interaktionsbeziehungen der Mikroproduzenten eingreifen, sondern deren Arbeitsprozesse sozial und zeitlich steuern. Sie (re)produzieren eine soziale Mikroglobalisierung. Aus dieser Perspektive sind die Arbeitsprozesse der Mikrounternehmen Repräsentation eines neuen Modus der Kreativwirtschaft wie auch eines ökonomischen Zustands und Verfahrens der Stadt Berlin. Entgegen dem Metanarrativ und der These der Ortlosigkeit von Arbeit gerade in unternehmensbezogenen Dienstleistungssegmenten artikulieren sich nicht nur neue (flexible) Orte und neue Repräsentationen von Orten, sondern städtische Praktiken des Unternehmerischen sowie deren Bindungen an verschiedene Orte. Der These der Ortlosigkeit der Arbeit, wie sie Angela McRobbie unter Bezug auf Richard Sennett kulturkritisch benennt, kann gerade in diesem unternehmensbezogenen Dienstleistungssegment nicht widersprochen werden. Denn es ist weder die ausschließliche Ortlosigkeit auf der einen, noch die nachhaltige Sesshaftigkeit an einem Ort auf der anderen Seite, die sich mit diesen Professionen verbindet. Vielmehr stellen sich ephemere, flexible Praktiken der polylokalen Ortsaneignung ein. 281

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Die rekonstruierten Fälle zeigen eindrücklich, dass sich die professionellen Akteure im Bereich der Kreativproduktion in ein „nahrhaftes“ Verhältnis zu ihrer (äußerst selektiv) wahrgenommenen Umwelt setzen. Sie können als krisenerprobte sowie zugleich technikaffine Akteure angesprochen werden, die soziale und räumliche Einbettung passfähig zu den Strukturbedingungen – im Sinne von Anthony Giddens’ Strukturationstheorie – neu gestalten, regeln und organisieren. Ihre Praxis gibt sie als Konsumenten, Ethnographen und Archäologen der lokalen Berliner Umwelt zu erkennen und ebenso als Produzenten einer neuen sozialen Topografie. Ihre sozialen Interaktionskulturen lassen sich als mikrosoziale Bindungsstrukturen ansprechen, in die technikbasierte Kommunikationsverfahren eingeschrieben sind. Ihre Ausprägung findet sich in der Praxis sowie der Gestalt einer Methodik des systematischen Inkrementalismus wieder. Diese zeigt die prekären sozioökonomischen Strukturen, die schwache Marktposition der Berliner Ökonomie sowie die strukturierende Funktion der unternehmerischen Handlungen dieser Kreativakteure. Ihre unternehmerische Praxis muss adaptionsoffen sein, nicht nur weil sich damit der avantgardistische Gestus des kreativen Künstlers sozial repräsentieren lässt, sondern weil die Gewissheit über die Steuerung der eigenen Praxis definitiv unvollständig ist. Die Akzeptanz des Verharrens in einer dauerhaften Passage – der dauerhaften Phase des Werdens – fügt den Akteuren ihre formgebende Kraft hinsichtlich der Generierung einer neuen sozialen Topografie zu. Die Akteure gewinnen dadurch ein Minimum an Steuerungsfähigkeit zurück, das sich als ein intermediärer Strukturzustand artikuliert. Was sich in dem Feld der Berliner Kreativunternehmen vordergründig als Auflösung institutioneller Stabilitäten zu erkennen gibt, artikuliert sich als flüssiger und flexibler, aber zugleich situationsreicher Arbeitsprozess in der Kreativwirtschaft. Die angewandten Interaktionskulturen der Unternehmer sind auffallend geheimnisvoll, intim und sozial transitorisch. Daraus generieren sie ihre Potenzialität und ihr utopisches Moment, um sich als Repräsentation einer neuen Arbeitsform zu behaupten. Sie praktizieren dabei Anleihen bei strukturellen Vorläufern wie der Sub- und Bohèmekultur und geben Auskunft über die Relevanz sowie die Notwendigkeit der ökonomischen Inwertsetzung der sozialen Beziehungen.

Space- und Place-Relationen: Spacingprozesse der Culturepreneurs Die Diskussion über die Bedingung der Konstituierung von Ort und Raum orientierte sich am sozialkonstruktivistischen Raumkonzept von Martina Löw. Räume entstehen nach Martina Löw in einem simultan stattfindenden Prozess von Syntheseleistung und Platzierungspraxis, den als Spacing bezeichnet. 282

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

Auswahl und (An)Ordnungsformen der von den Akteuren identifizierten physischen, imaginierten und sozialen Orte verteilen sich zunächst wie lose Inseln über das städtische Territorium. Neben dem Prozess des Platzierens bzw. des Platziert-Werdens, das sich an Orten vollzieht, kommt es zu einer kognitiv-emotionalen Verknüpfung zwischen den platzierten sozialen Gütern und Menschen und einem Raum. Dieser Prozess wird von Martina Löw als Spacing verstanden. Handlungsvollzüge basieren dabei auf sozialräumlichen Praktiken, die sich in einem Spektrum von subjektiven Wahrnehmungen von Orten, körperbetonten Repräsentationen und strategisch-intentionalen unternehmerischen Verortungspolitiken abspielen. Die Handlungsvollzüge der untersuchten Akteure konstruieren dabei einen eigenen städtischen Raum. Die verschieden erhobenen empirischen Datentypen (Mikrokartierung, Feldprotokolle und Interviewauswertung) ermöglichten aufgrund ihrer unterschiedlichen Perspektiven auf das soziale Feld eine Analyse der Vielschichtigkeit ihrer Spacingprozesse. Zentral bei der folgenden Analyse der rekonstruierten fallbasierten Ort- und Raum-Relation ist nicht die Vorstellung verräumlichter „zweckloser“ Prozesse. Vielmehr wird vorgestellt und demonstriert, wie die empirische Analyse von mikroräumlichen Prozessen begründete Aussagen über unternehmerische, soziale und kommunikative Steuerungspraktiken mit Hilfe der oben genannten Datenquellen hervorbringen kann. Diese Ergebnisse weisen dann auf organisatorische Praktiken der sozialen Erschließung von Zugängen zu bzw. der Generierung von Märkten hin (Berndt/ Boeckler 2005; Berndt/Glückler 2006). Die sich dabei vollziehenden Codierpraktiken und Ortspolitiken sind nicht im Verständnis einer essenziellen Wiederentdeckung oder Ontologisierung des Ortes zu verstehen. Ebenso wenig repräsentieren sie reine selbstreferenzielle Codierspielarten. Die ortsspezifischen Praktiken von Symbolproduzenten werden hier als situative, lokal passfähige unternehmerische Interventionen verstanden. Sie zielen darauf ab, mittels territorialer Diskurse zeitlich begrenzt Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies weist sie als Bestandteile und Repräsentationen eines Berliner Urbanitätsmodells aus. Sie stellen eine kulturelle und soziale Formation eines neuen, fließenden und flexiblen Raumverständnisses dar. Das diesem Prozess zugrunde liegende Motiv des fließenden Raums erklärt sich durch die Praxis der Ortsaneignung der Berliner Nachwendezeit, als die politische Wende neue Leerräume generierte und unvorbereitet der Stadt „anbot“. Sub-, Tanz- und Partykulturen eigneten sich diese Orte in einem ekstatischen Prozess der Befreiung an, verbanden sie durch situationistisches Umherschweifen und begründeten dabei einen Ursprungsmythos der Berliner Ortsaneignung sowie der Raumproduktion. Nach Jahren der geographischen

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DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

und politischen Enge auf beiden Seiten entgrenzten dabei soziale Milieus ihren Aktionsraum. Die kontrastiv aufgebauten Fallrekonstruktionen zeigten, dass die untersuchten Akteure zum einen nach wie vor daran arbeiten, Zugang zu ihrem sozialen Ursprungs- und Herkunftsmilieu zu haben. Zum anderen hat sich das Narrativ der Berliner Ortsproduktion schon früh vom Container der Berliner Geographie gelöst und sukzessiv als eine kulturell-urbane Imagination von Berlin globalisiert. Neu in die Stadt Berlin kommende Unternehmer und Symbolproduzenten, bspw. die aus Luzern kommenden Akteure (Fallanalyse 1), „bedienen“ und adaptieren dieses Modell als Steuerungsinstrument zur Erschließung des Markts in Form von Aufmerksamkeits-, Darstellungs- und Repräsentationsstrategien. Die dabei zu Tage tretenden Grammatiken des Städtischen werden im Folgenden anhand der Space-Place-Relationen sowie der rekonstruierten Prozesse des Spacings der untersuchten Berliner Akteure zusammenfassend dargestellt. Sie zeigen den Umgang mit territorialen Narrativen wie die Generierung von neuen Narrativen, die ihnen bei der Steuerung von Erfahrungen und der Festlegung und Auflösung von symbolischen Bedeutungen helfen. Sie lenken, ent- und begrenzen dabei soziale Interaktionen: Kurzum, die im Folgenden vorgestellten akteursbasierten Grammatiken zeigen, wie Räume konstituiert werden.

Relation 1 – Auftauchen und Verbergen Die synthetische (Pionier-)Leistung der untersuchten Akteure hinsichtlich ihrer Ortspolitiken besteht darin, dass sie auch an Orten, die aus der traditionellen städtischen Verwertungslogik heraus gefallen sind, neue spannungsgeladene und ambivalente Ortsbilder und -motive inszenieren. Das vorhandene urbane Material wird zur eigenen unternehmerisch-künstlerischen Tätigkeit in Beziehung gesetzt und trägt in Verbindung mit dem physisch Vorzufindenden zu einer Sichtbarkeit des dann ambivalenten Ortes bei. Bspw. bricht die Praxis der Sushibar (Fall 2) die vormalige Nutzungsweise des Ortes mit dem Thema „Sushibar“. Die durch diese Praxis herbeigeführte Differenz zur gewohnten Wahrnehmung und Repräsentation des Ortes lässt diesen für Interessierte und Neugierige als einen neuen Referenzpunkt auftauchen. Die rekonstruierten Fälle lassen dabei ein Spiel erkennen, das die Besucher ausbalancieren und das den Ort zunächst auftauchen lässt und dann wieder verbergen will, um ihn anschließend wieder ins Bewusstsein der Besucher zu rufen. Die zunächst erstaunlich und widersprüchlich erscheinende Ortsstrategie des Verbergens gibt eine Haltung zu erkennen, die an die alte sozialistische Dienstleistungsmentalität erinnert: Der Kunde ist nicht König und das Geschäft ist vordergründig egal. Diese Strategie kommt auch äußerlich zum Einsatz: Die Orte geben sich 284

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

optisch nach außen kaum zu erkennen, die Veranstaltungen spielen sich Inneren ab. Nur Insider und Ortskundige nehmen sie als Orte von Veranstaltungen und Performances wahr und können das innere Environment lesen und erfahren. Indem die Fälle sich mit einer solchen Versteckpolitik im städtischen Raum positionieren, wird nicht nur soziale Differenz erzeugt und vor allem die breite Masse fern gehalten, die Akteure geben sich auch als adaptionsversierte Taktierer des Nachwendenarrativs der Berliner Raumproduktion zu erkennen. Sie arbeiten dadurch nicht nur an der Steigerung ihrer eigenen Aufmerksamkeit, sondern ebenso an der Aneignung einer Identität als Berliner Unternehmer im Kreativbereich. Das Interesse am Ort, an dessen Aussage und dem Erzeugen von Irritationen durch das Abtauchen des eigenen Projekts, kann – wie es die Gelati-Bar des Falls 1 zum Ausdruck bringt – als Lust am örtlichen Codierspiel verstanden werden. Dem Lustprinzip steht aber die Notwendigkeit gegenüber, den Ort mit einer narrativen Standort-Symbolik zu überziehen, damit er als Ort überhaupt erst wahrgenommen werden kann. Im Spiel mit den Signifikanten geben sich Orte – so die Analyse – als das umkämpfte Feld in der postindustriellen Stadt zu erkennen. An ihnen und am Umgang mit ihnen können subtile gesellschaftliche Positionierungstaktiken beobachtet werden. Die angeeigneten und zunächst als Un-Orte bewerteten Orte in ehemaligen leer stehenden, baufälligen Berliner Arbeiterquartieren zeigen heterotope und in diesem Sinne relationale Charaktereigenschaften. Sie lassen sich nicht mehr als Orte des Underground oder Mainstream kategorisieren, wie dies noch vor einigen Jahren möglich gewesen wäre: Gegenstand der Reflexion der Betreiber und Bespieler dieser Projekte ist der Ort, der es ihnen ermöglicht, Verortungstaktiken anzuwenden, die mit den gesellschaftlichen Utopien, den Gegenentwürfen, kulturell und ökonomisch arbeiten. Sie bedienen sich traditioneller Bohème-Standards und lassen sich doch gerade durch diese Anpassungsleistung und ihr Zeitgeistverständnis von außen als „Pop-Revolutionäre“ ansprechen, die somit verantwortlich sind für posturbane Transformationsprozesse. Die Ortspraxis der rekonstruierten Fälle liegt genau in der Parallelität von ökonomischen und symbolisch-kulturellen Gesetzmäßigkeiten. An diesem Ort überschneiden sich die sozialen und unternehmerischen Netze und generieren einen für alle Akteure essenziellen Mehrwert. Dieser erklärt sich nicht aus ökonomischen Gesichtspunkten, sondern aus informellen und transitorischen Zusammenhängen. Das unternehmerische Handeln der Akteure ist untrennbar mit künstlerischen Aktivitäten und Codierpolitiken verbunden und fungiert gleichzeitig als soziales Steuerungselement, dessen Schaltzentrale der temporär codierte Ort ist. Die inszenierten Orte sind relationale Systeme, die nicht gegen die standortbezogene Verwertungslogik arbeiten. Da die Akteure ihrem Ort aber keine rein finanzielle Leistung abverlangen, haben die Betreiber die 285

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Möglichkeit, Ökonomie und kulturelle Symbolpraxis in ein neues Verhältnis zu setzen, indem sie die damit einhergehende klassische Dualität (Ökonomie vs. Kultur) zunächst ignorieren. Die räumliche Praxis der Akteure kennzeichnet daher das kritische Moment, mit den Qualitäten von Räumen eine Zeit lang kreativ arbeiten zu können. Die Akteure betreiben eine Politik des temporären Verbergens, durch die sie im Spiel um Aufmerksamkeiten erst wahrgenommen werden. Die Praxis der Ortsumprogrammierung zielt – paradoxerweise – darauf ab, nicht vollständig entdeckt zu werden, obwohl die Akteure mit ihrer Ortspraxis die Gefahr des Nicht-entdeckt-Werdens immer wieder provozieren. Verknappung führt somit zur Steigerung ihrer Exklusivität.

Relation 2 – Phasieren An die oben skizzierte Ortspraxis des Auftauchens und Verbergens lagert sich ein dezidierter Umgang mit Zeit sowie mit der Phaseneinteilung der territorialen Codierpraktiken von Orten an. Die zeitliche Platzierung ihrer ortsgebundenen Aktivitäten vollzieht sich unrhythmisch. Die rekonstruierten Fälle arbeiten ohne ein kodifiziertes Jahresprogramm, sie kündigen ihre Kunstausstellungen, Veranstaltungen, Präsentationen und Treffen kurzfristig an, indem sie die Einladung per Mailingliste vor allem an ausgewählte Interessierte und Freunde aus der Berliner und europäischen Kunstszene verschicken. Die in der Kopfzeile der Email abzulesende (oder nicht abzulesende) Zugehörigkeit zu dem damit offensichtlich gewordenen Netzwerk ist das Aus- und Einschlusskriterium, um das es sich – so man partizipieren will – zu kümmern lohnt. Die zeitlichen Unwuchten und Eigenwilligkeiten haben sodann zwei Effekte: Zum einen sollen dadurch keine Gewohnheiten, planbare Rhythmen und Routinen geschaffen werden, zum anderen gewinnen die Ortsproduzenten ein gewisses Maß an Steuerungsoptionen und Autonomie in der Gestaltung ihrer sozialen Beziehungen. Dieser zeitliche und informationelle Regelungsmechanismus weist keinen expliziten Steuerungsmechanismus auf, ist aber implizit damit ausgestattet: Das Betreten eines der Orte ist – bis auf den Fall Automatenbar (Fall 3) – für alle Personen prinzipiell möglich. Ein bekannter Selektionsmechanismus, wie der eines Clubs, wo eine Zurückweisung an der Türe durch Türsteher möglich ist, wird nicht praktiziert. Wenn eifrige und zufällige Passanten, neben den eingeladenen Akteuren, den Ort finden, tritt ein weiteres, subtil erzeugtes Differenzierungskriterium in Kraft. Auf den beispielsweise nach Eröffnungen stattfindenden Partys werden den anwesenden Gästen durch die ausgestellte Kunst und die elektronische Musik verschiedene Identifikationsmuster angeboten. Die Zuordnung zu diesen − basierend auf der Erfahr- und Lesbarbar286

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

keit der Performance − ermöglicht erst die einprägsame Teilnahme am Ereignis. Darin liegt die subtile Ausgrenzungsstrategie, die hier als zweiter impliziter Steuerungsmechanismus angesprochen wurde: Niemand wird des Ortes verwiesen, jeder vielmehr zugelassen, doch nur wenige werden aktiv integriert. Und auch diese erste Integration ist eine Aufforderung, sich der Zugehörigkeit permanent zu versichern. Denn der unstete Charakter der Location garantiert vorerst, dass kein Trend kreiert wird, dass keine finanziellen Abhängigkeiten entstehen und Kommerz der kreativen Tätigkeit nicht hinderlich ist. Es ist dieser Spagat, diese relationale Positionierung zwischen permanent gewandelten Differenzierungskriterien, der die reine Kommerzialisierung der Angebote sichert. Würden sie ihr Projekt als offenen Gegenentwurf zu bestehenden kulturellen und gesellschaftlichen Strömungen positionieren, wie dies z.B. das Modell Underground vorführt, so würden sie, wie bei der Wahl des konsumorientierten Modells Mainstream, im Fall von Berlin beispielsweise im Bereich um die Hackeschen Höfe im Bezirk Mitte, sofort in der städtischen Trendverwertung kulturell erobert und ökonomisch vereinnahmt werden.

Relation 3 – Umprogrammieren Die rekonstruierten Fälle zeigen Strategien der temporären Umprogrammierung der jeweils angemieteten Räume. Diese Praxis ist durch ein hohes Maß an Pragmatismus geprägt, da die immaterielle und weitestgehend digitale Produktionspraxis eine schnelle Veränderung ihrer bestehenden Arbeitsräume zulässt. Die vorgestellten Akteure erweisen sich dabei als versierte Verwerter dessen, was ihnen innerhalb der nicht mehr verdichteten europäischen Stadt und eines scheinbar modernisierungsresistenten Sozialsystems geblieben ist: post-urbane Nischen und Leerstellen; Orte, die billig oder nur temporär zu mieten sind. Gerade aufgrund der mitunter ausweglosen Entwicklung auf dem Immobilienmarkt und dem Wegbrechen des Einzelhandels in Wohnbezirken ergeben sich für diese Akteure zeitlich begrenzte Aktionsfenster in Form von leer stehenden Ladenlokalen und günstig zu mietenden Büroräumen. Diese bieten den Akteuren Gestaltungsoptionen für symbolische Aufladungen, Umprogrammierungen und Neubewertungen an. Die dadurch erzeugte Aufmerksamkeit strahlt – mitunter strategisch gelenkt, aber auch recht willkürlich – in das antizipierte lokale und überregionale professionelle Umfeld sowie das lokale (Wohn-)Umfeld hinein. Die Praxis der Umprogrammierung führt zu einer Erweiterung und Entgrenzung der bisherigen örtlichen Nutzungspraxis wie des bisherigen Ortsnarratives. Mitunter medial, wie im Fall der Automatenbar, digital in den globalen Medienraum entgrenzt, im Fall der Umprogammierung eines Büroraums 287

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

zu einer japanischen Sushibar symbolisch globalisiert, vollzieht sich über die Praxis der Umprogrammierung des Ortes nicht nur eine ortsspezifische und ortslokale Recodierung. Die Akteure praktizieren Prozesse der Mikroglobalisierung (Eade 1999, Dürrschmidt 2000). Diese Praktiken der Entgrenzung des kommunikativen Territoriums spannen neue kulturelle Rahmungen auf, in denen sich Prozesse des Platzierens, des Präsentierens sowie des Verhandelns zwischen Akteuren entfalten. Dabei vollzieht sich aber nicht nur eine Entgrenzung des lokalen umprogrammierten Ortes, vielmehr avanciert der lokale Ort selbst zum medialen Ort. Das identische Prinzip vollzieht sich bspw. im Prozess der durch Körper synthetisierten Räume: Diese generieren nicht nur am physischen Ort einen Körperraum, sondern werden – wie im Fall der Automatenbar – durch die medialen Übertragungen zu sozialen Bestandteilen und Repräsentationen im globalen Raum. Die Integration des medialen Raums als konstitutiver Teil des lokalen Raums erweist sich als eine Ressource, um nicht nur Berlin-basierte Sozialräume zu generieren, zu etablieren oder umzuprogammieren. Vielmehr vollzieht sich ein Prozess der Transgression, indem die praktizierten Spezifika der hier vorgestellten Berliner Ortspolitiken nebst ihren Aufmerksamkeitserträgen mit Teilen des globalen Raums verzahnt werden. Sodann haben die Akteure ein Instrument in verschiedensten Formen der territorialen Umprogrammierung herangezogen, das ihnen ermöglicht, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen innerhalb eines globalen Narrativs, dem des flexiblen Möglichkeitsraums Berlin, zu positionieren und zu inszenieren. Darüber generieren sie im Prozess der Unternehmerwerdung soziale Aufmerksamkeit. Im Kontext einer von kulturellen und symbolischen Distinktionskämpfen bestimmten städtischen Gegenwart, hinter dem sich das Ringen um handfeste materielle Ressourcen, Aufträge, Kontakte und belastbare Beziehungsressourcen verbirgt, ist dies für die hier im Fokus stehenden Protagonisten das probate Mittel im beständigen Ringen um Diskurshoheit, Trendgenerierung und sozialkulturelle Innovation.

Relation 4 – Verdichten Die Praktiken des Ab- und Auftauchens des Handlungsortes ihres Arbeitsortes, die Praxis des Phasierens sowie die Praxis des Umprogrammierens zielen darauf ab, soziale und kommunikative Verdichtungen zu erzeugen. Die Bildung einer kritischen Masse ermöglicht es, die ephemeren Beziehungskontexte real werden zu lassen und auf eine konkrete körperliche Beziehungsebene zu heben. Dieses Auftauchen aus einem diffusen und unspezifischen Beziehungsgefüge in eine klar zu benennende soziale Arena stellt ein wesentliches Merkmal der Steuerungsfähigkeit der Akteure dar. Gleichwohl geht damit auch einher, dass mit diesen verdichteten Interaktionen in Form von Feiern, Vorträgen und Ausstellungen immer die Möglichkeit 288

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

verbunden ist, über die erwarteten Gäste hinaus auch neue Akteure an eigene Projekte heranzuziehen. Diese Verdichtungspraxis wurde von Gernot Grabher am Beispiel der Londoner Werbeindustrie metaphorisch mit dem Begriff „noise“ umschrieben (Grabher 2002a, S. 209). Zum einen erzeugen intendierte soziale Verdichtungen „noise“, d.h. soziale Intensitäten, die wiederum Aufmerksamkeiten nach sich ziehen. Zum anderen filtern sie Trends, Stile und Codes in soziale Beziehungsnetze sowie Szenen und bieten dadurch Möglichkeiten der Integration. Die dabei artikulierte Praxis zielt implizit darauf ab, die bekannten Interaktionskontexte systematisch zu entgrenzen und zu öffnen. Dadurch gelangen neue Kontakte, Ideen und Perspektiven in das professionell-soziale Milieu. Die sozialen Verdichtungen geben sich nach außen meist als kulturelle Höhepunkte zu erkennen: Projektbeendigungen, Ausstellungen, Jubiläen, eingeflogene Gäste oder abseitige ironisierende Höhepunkte werden als Anlass herangezogen, um spontan, lasziv-lässig und zwanglos soziale Verdichtungen zu erzeugen. Die Botschaft dieser kulturellen Praxis lautet: Wir sind da, mit uns ist zu rechnen, wir sind im Geschäft, wir handeln, steuern und gestalten, und wir können es uns leisten, zu feiern. Die praktizierten Feierkulturen haben im Fall der untersuchten Akteure selten exzessiven und opulenten Charakter. Sie reproduzieren aber aufgrund des spontanen, subkulturellen und improvisierten Charakters ein Narrativ der Berliner Nachwendekultur, in der, so der Mythos, hymnisch und ekstatisch gefeiert wurde. Diese Referenz will man aufrechterhalten und mythologisiert sie bisweilen. Die Ereignisse weisen aber auch implizit darauf hin, dass ausgedehntere und aufwändigere Aktivitäten ökonomisch nicht möglich sind. Das Bier für einen Euro – ironisierend als Selbstöffner im Fall 2 ausgewiesen – wird als annehmbar empfunden, es nivelliert, man will sich von der exzessiven Scampi- und Prosecco-Feierkultur des globalen Kapitals geschmeidig distanzieren und nimmt dabei Anleihen bei der proletarischen Arbeiterkultur auf. Die Effekte der temporären sozialen Verdichtungen sind für diese Berliner Professionsmilieus darin zu sehen, dass inszenierte Feiern und Formen der sozialen Verdichtungen einen zentralen Resonanzrahmen für Kontakte, für Marktbeobachtung und für Produktentwicklungen darstellen. Die improvisierten Feiern sind nicht nur als inszenierte Ereignisse anzusprechen, sondern vielmehr als soziale Atmosphären, eine Referenz an die Spezifika des werdenden Berlins, mit der sich die unternehmerischen Akteure einzuhüllen versuchen. Ihre Produkte sind Bestandteil einer Imagination und in diesem Sinn Teil eines Berliner Narrativs, das gleichsam von der Atmosphäre sozial ausgefüllt wird. Die Metapher Hülle soll zum Ausdruck bringen, dass dieser Mikrorahmen weiterhin äußerst adaptionsoffen und aneignungsfähig ist: Mikroevents, wie bspw. die Präsentation von digital produzierten Zeichen, die per Projektor an die Wand geworfen werden, beginnen kaum wahrnehmbar, 289

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

enden still, mitunter bevor zu realisieren ist, dass sie schon zu Ende sind. Kurzum, die atmosphärische Hülle verlangt vom Besucher, aktiv eine Rolle einzunehmen, jeder muss aktiv werden, um sich als Interessent, als Akteur zu erkennen zu geben. Jeder muss sich in den Räumen auf die Suche machen, muss sich räumliche Winkel erschließen und Details aufspüren, um die ausgelegten Fährten zu erkennen und sich über sinnliches Sich-Einlassen überhaupt erst in Beziehung zu anderen Akteuren zu setzen. Die sozialen Verdichtungen zeichnen aber ebenso die großräumlichen Instabilitäten und Flexibilitäten der Berliner Raumstrukturen auf einer Mikroebene nach. Ähnlich wie das durch die Umprogrammierungen erzeugte Bewegen der Interessierten durch die Stadt bzw. einzelne Stadtteile sowie zwischen den Orten, führt das Bewegen in diesen Mikroräumen zur Aufnahme von Interaktionsbeziehungen und Vernetzungen. In deren Folge kommt es überhaupt erst zu Prozessen der Synthetisierung von Räumen. Paradoxerweise geben sich partyähnliche Höhepunkte vordergründig als Prozess der sozialen und auch spontanen Verdichtung unter dem Vorzeichen des Feierns zu erkennen: Für beide Seiten, für Organisatoren und Besucher, ist dies aber ein komplexer Arbeits- und schnellllebiger Suchprozess nach neuen Ideen, Kontakten und Trends. Die atmosphärische Hülle des umprogrammierten und verdichteten Ortes stellt den Erfahrungsraum des informellen Zugangs zu Aufträgen, Kontakten und somit zu Arbeit in der Kreativwirtschaft überhaupt erst her.

Relation 5 – Beschränken Die Zugangspraktiken zu diesen sozialen Brutstätten der symbolischen Innovationen wurden in den Relation 1–3 expliziert. Die soziale Organisation des Zugangs zu diesen Orten, die dabei offenkundig werdenden Steuerungspraktiken der Ankündigung von Ereignissen in ein professionelles Milieu sowie in ein soziales Netz von Freunden, Bekannten und Gleichgesinnten geht aber immer auch mit Formen der Beschränkung und Verknappung einher. Die Steuerungspraxis von Orten adaptiert dabei weniger die expliziten, als vielmehr die subtil angelegten Stil- und Beschränkungsmittel eines Clubs. Die Orte sind nur mit niedrigen Zugangshürden versehen, weitestgehend für alle Personen zugänglich. In die Identifikationsangebote sind subtile Mechanismen der Integration in die sozialen Körper und ihre Räume eingeschrieben. Der sich dabei vollziehende Prozess der temporären Wir-Findung und der Vergemeinschaftung ist in der Form als selektiv zu bewerten, indem er weniger auf soziales Netzwissen, kulturelle Kommunikationsstile und technische Fähigkeiten und Wissensbestände setzt. Vielmehr gilt es regelrecht intrinsisch, sich und seinen Körper in ein Verhältnis zu den angebotenen Optionen und Spielräumen zu setzen. Diese Angebote gilt es als Optionen erst zu 290

UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

erkennen und als solche wahrzunehmen, um darüber in einem Akt der Praxis zu verstehen, wie sich mikrolokale Grammatiken zu erkennen geben.

Relation 6 – Testen Die Frage bleibt bestehen: Woraus ziehen die im Werden begriffenen Unternehmer im Bereich der Berliner Symbolproduktion einen eigennützigen und direkten Mehrwert, wenn sie mit der verfügbaren Ressource Ort arbeiten? In der Praxis des Ab- und Auftauchens sowie der Phasierung artikulieren sich zunächst Strategien der Verortung in der Stadt Berlin. Unterschiedlichste Formen der Erzeugung von Sicht- und Wahrnehmbarkeit zielen auf soziale und unternehmerische Aufmerksamkeit ab. Sie reproduzieren und perpetuieren dabei ein konstitutives Narrativ der Berliner Nachwendekultur. Die Subkultur fungiert als Quellgrund unternehmerischer Selbständigkeit und hat sich dabei von relativ stabilen subkulturellen Wertegemeinschaften in flexible Mikrokollektive transformiert. Die Feldbeobachtungen und rekonstruierten Entwicklungswege der Akteure zeigen – und dies wurde in den vorangegangenen Relationen deutlich hervorgehoben –, dass die entwickelten symbolbasierten Produkte oftmals in einem engen Verhältnis zum atmosphärischen Ort sowie zum Produzenten selbst stehen. Die entwickelten Produkte, Symbole und Codes werden in enger Verzahnung mit den inszenierten Ereignissen präsentiert und erfahren in diesem Prozess der Vermittlung, bisweilen der Anwendung, des Erkennens und des Erspürens einen weiteren Grad an erfahrener Bewertung. Die hybriden Orte und die dabei erlebten Erfahrungen der Besucher und Interessierten stellen weitere Rahmungen dar. Sie liefern das kommunikative Vokabular, mit dem ausgesprochen werden kann, worin die Innovation des Gegenstandes, des Symbols, d.h. des Produkts, überhaupt liegt. Das soziale Umfeld, die soziale Arena, in der sich dieser Prozess vollzieht, stellt eine wichtige Größe dar, in dem nicht nur getestet wird, sondern indem der synthetisierte Raum zum Testraum der Produkte avanciert. Dieser Prozess des Testens und Austestens von Produktion, Stilen und sozialen Verfahren erscheint aus mehreren Gründen nachvollziehbar: Zum einen sind die Produkte erlebnis- und kommunikationsbasiert. Sie repräsentieren und funktionieren in sozialen Arenen, weisen Zugehörigkeiten zu und verschaffen soziale Distinktion. Zum anderen lagern sich aber an diese Produkte, jenseits ihrer kommunikativen Strukturierung, auch Narrative an. Die strukturierende Kraft ihrer Anwendung ist sodann immer auch eine erzählende. Diese tiefer liegende Struktur räumt dem Träger und Anwender des Produkts die Möglichkeit ein, ausgehend von den Oberflächensignalen des Gegenstands, narrativen Verbindungen und Verkettungen nachzugehen und für sich zu erschließen: Die Darstellung, bspw. von fragmentierten Räumen 291

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

der Stadt Berlin im Format des Print-Magazins Berliner des Falls 1 repräsentiert nicht nur eine Perspektive auf die Stadt Berlin und ihre Raumstrukturen. Sie eröffnet auch Fragen, ermöglicht Antworten und vollzieht dadurch Verknüpfungen zwischen der Wahrnehmung der Akteure bzgl. der Stadt Berlin und ihren Produkten sowie ihrer Verortung als Berliner Unternehmer in der Stadt Berlin. Die Stadt mit ihren markanten Strukturbrüchen ermöglicht die Generierung von symbolischem Kapital. Dies sind daher die eigentlichen kreativen Zellen des Laboratoriums der Stadt Berlin, da diese Zellen, passfähig zu den sozioökonomischen Bedingungen einer im Werden begriffenen Unternehmerkultur, sozial und sozialräumlich innovative Verfahren an den Tag legen, um nicht nur beliebige Produkte marktfähig zu machen, sondern dezidiert Berliner Produkte zu entwickeln.

Raumproduktionen 1 – Unternehmen Die Berliner Talentökonomie stellt eigenwillige Formen von Machbarkeitsbehauptungen dar. Die rekonstruierten Raumproduktionen der untersuchten Akteure repräsentieren ein Raummodell, das im wesentlichen daran arbeitet, über die strategische Verflüssigung von Orts- und Raumgrenzen Gestaltungsspielräume und Autonomiegewinne für ihre unternehmerische Praxis zu erzielen. Indem sie unternehmen, füllen sie ein gesellschaftliches Leitmotiv aus und präsentieren sich zugleich als deren Vorreiter. Indem sie unternehmen, repräsentieren sie sich selbst als dynamische Akteure und fügen sich zugleich in das gesellschaftlich anerkannte Dispositiv des Unternehmers (Unternehmer seiner Selbst) ein. Gleichwohl verschafft ihnen dieses gesellschaftliche Leitsystem zugleich auch das Motiv sowie die Rahmung der unternehmerischen Selbstwerdung: Das gesellschaftlich akzeptierte Motiv des Unternehmens fügt sich zu dem Leitbild Unternehmer seiner Selbst. Dieser muss sich mit einem hohen Maß an biografischer Eigensteuerung und sozialer Integrationsverantwortung als (Mikro-)Unternehmer seiner Biografie verorten. Der hohe Aufwand an sozialer Integrations- und mikroräumlicher Steuerungsarbeit verweist aber neben der subjektiven Verortung auch auf die Erschließung kollektiver Ressourcen. Aus der Perspektive der sozialen Repräsentationsform stellen die organisatorischen unternehmerischen Mikrozellen intermediäre Institutionen im Bereich der Symbolproduktion dar. Sie dienen der Stabilisierung dieser noch schwachen Institutionen (Schroer 2006, S. 115). Diese weisen sich durch ein flexibles, eigensinniges und professionsmilieuspezifisches Regelwerk aus. Sie stellen elastische Modelle des sozialen Übergangs zwischen fremd- und selbstbestimmter Existenzsicherung dar sowie informelle Verfahren des Eintritts in und des Zugangs zu Arbeitsmärkten.

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UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

Raumproduktionen 2 – Erzählen Die rekonstruierten Konstitutionsprozesse von Ort und Raum beziehen sich in ihren mikropolitischen Programmierungen auf unterschiedliche narrative Formate. Unter Bezugnahme auf den französischen Theoretiker Michel de Certeau sind Erzählungen als „räumliche Geschichten“ zu verstehen, um die Relationen zwischen textuellen Narrativen und räumlichen Praktiken zu betonen. Individuelle Bewegungen durch den urbanen Raum verdichten sich durch Bedeutungsanreicherungen zu Reisewegen und sind bildlich, textlich oder grafisch vermittelbare Bedeutungen. Dadurch werden räumliche Praktiken erkennbar, die geheimnisvoll die Bedingungen des sozialen Lebens bestimmen (Certeau 1988). Diese Orte erzählen keine stationäre und monovokale Geschichte. Ebenso wenig weisen die hier identifizierten Geschichten einen eindeutigen Anfang und ein ebenso klares Ende auf. Ihre Erzähllogik basiert auf der Suche nach dem Beginn einer Geschichte, die man, so man denn den Anfang gefunden hat, nach einer bestimmten Zeitstrecke sogleich wieder systematisch beendet. Die Produzenten dieser Ortsnarrative bringen damit individuelle Selbstbestimmung zum Ausdruck. Gleichwohl praktizieren sie in der organisierten Beendigung im Zuge einer Ortsumprogrammierung und einer temporären Ortsverdichtung einen Akt der kreativen Zerstörung. Sie erwehren sich dabei einer Etablierung und einer Verstetigung ihrer territorialen Praxis, die sich aus der Binnenlogik ihres Wertesystems erklärt: Sie halten daran fest, „unangepasst“ zu sein, und können durch ihre Beharrlichkeit zudem auf die notwendige Ressource ihres subkulturellen Ursprungsmilieu zurückgreifen. „Neu“ nach Berlin kommende Akteure im Feld der Symbolproduktion versuchen dagegen aufgrund der fehlenden lebensweltlichen Erfahrungen im Feld der Nachwendekulturen Berlins, eine neue, aber zugleich zu den lokalen Bedingungen passfähige Narration für sich zu entwickeln. Sie generieren eine Erzählpraxis und geben sich dabei mitunter als Ethnographen des Lokalen aus. Sie nehmen in der Formulierung einer Narration Anleihen bei global zirkulierenden Narrativen der Berliner Nachwendezeit auf. Sie müssen dieses Ursprungsnarrativ modifizieren, bedienen dabei aber nach wie vor das Motiv der adaptionsoffenen und modellierbaren Geschichte der Nachwendezeit. Indem die Akteure sich in diese kulturelle Logik des Erzählens lokal begründeter Geschichten einfügen, reproduzieren und reformulieren sie das Narrativ einer Berliner Nachwendekultur. In dieser unerwarteten Phase der frühen 1990er Jahren stellt sich, so Sabine Vogt, ein expressives und exzessives Leben der rauschartigen Befreiung vom Kalten Krieg ein. Die latente Bedrohung und Enge der Mauer wie des politischen Systems wurden regelrecht körperlich abgearbeitet (Vogt 2005, S. 45-46). Dieser rauschartige Zugang zu den aufgelassenen und frei gesetzten 293

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

Orten der Stadt verband sich mit einer temporären Nutzungspraxis und führte im Zeitverlauf zu einer mäandrierenden Synthetisierung (Oswalt 2000, S. 278). Die dabei vollzogenen Verknüpfungsleistungen repräsentieren ein Urbanitätsmodell, das sich frühzeitig von seiner lokalen Verankerung entkoppelt und sich als lebensweltlich relevantes Metanarrative weiter entwickelt und ausdifferenziert hat. Dabei wurde der strukturelle Kern, sein territoriales Narrativ, aber nicht aufgegeben. Die materiale Basis dieses Narrativs findet sich immer wieder in der Fortführung des Spiels mit dem örtlich Partikularen. Die dabei zu verortenden Mikropolitiken sind zugleich als Prozesse der Mikroglobalisierung zu lesen und perpetuieren das Modell des flexiblen und situativen Urbanismus. Sie repräsentieren eine Form der temporären Wiedereinbettung. Die Kontinuität dieser zum Dauerzustand erhobenen Übergangsform artikuliert die Logik und die Dynamik einer Geschichte der jungen Stadt Berlin. Die dabei reproduzierten Orte und ihre Narrative verweisen auf eine nach wie vor existierende Wirkungskraft der Nachwendezeit und zugleich auf ihre Hybridisierung.

Zwischenfazit Die zurückliegenden Ausführungen weisen den prozessualen Raumproduktionen eine prägende und zugleich strukturierende Rolle in der Stadt Berlin zu. Gerade weil sich soziale Beziehungen im Bereich Arbeit auflösen und mitunter überhaupt erst wieder neu erfunden werden müssen, erfährt der Ort als Konkretion der ephemeren Arbeitsbeziehungsnetze eine neue tragende und ordnende Rolle zur Strukturierung der Arbeits- und Lebenskultur dieser unternehmerischen Akteure. Die rekonstruierten Fallanalysen zeigen Charakteristika und Wahrnehmungsweisen, die den Culturepreneur als eine neue Figur auf der städtischen Bühne Berlins zu erkennen gibt: Er gestaltet ein neues Verhältnis zwischen seiner Arbeitspraxis, dem unternehmerischen Umsatz und seiner eigenen sozialen wie auch kreativen Weiterentwicklung. Eingerahmt und eingebunden sein muss dieses Tätigkeitsset in ein mitgestaltetes, spannungsgeladenes und ambivalentes, nach außen schwer zu entzifferndes, aber gerade für Insider lesbares räumliches Bild- und Codeensemble. Die notwendigen symbolischen Differenzierungsprozesse laufen – und hier sind Ronald Hitzlers soziologische Argumentationen raumblind – eben zum einen über die Lesbarkeit des physischen Environments, die Einschluss und Ausgrenzung auf der sozialsymbolischen Ebene erst ermöglichen. Zum anderen weisen die Aussagen der Culturepreneurs auf einen spielerischen Umgang mit eben diesen Codes hin, die mal assoziativ verknüpft, mal ironisch instrumentalisiert werden und so die eigenen Platzierungsstrategien zum Ausdruck bringen.

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UNTERNEHMER- UND RAUMTYPOLOGIEN

S z e n e a l s ö k o n o m i s c h e s ( Ar b e i t s - ) M o d e l l In den vorangegangenen Ausführungen wurden mesokategoriale Strukturbegriffe eingeführt: Netzwerk, Milieu und Szene. Während Netzwerke als strategische und formalisierte Interaktionsbeziehungen definiert wurden, erscheinen sie als Beschreibungskategorie für die vorgestellten unternehmerischen Praktiken nur dann zutreffend, wenn es sich um produktorientierte Projektverbünde und temporär-gerichtete Arbeitsbeziehungen handelt. Für die Beschreibung der hier als intermediär und in ihrer Binnenstruktur eigensinnig verstandenen „vor“-institutionellen sozialen Arrangements erscheinen die Begriffe Milieu und Szene geeigneter und adäquater. Versteht man soziale Milieus als relativ homogene, durch Kommunikation und Interaktionen erzeugte sowie symbolisch codierte Sozialräume, so würde diese Definition die rekonstruierten Fallstrukturen relativ treffend charakterisieren. Versteht man Szenen, im Unterschied zu sozialen Milieus, aber als Strukturformation, die in ihrer Strukturierungskraft das Tempo von sozialen Vergemeinschaftungen zu erhöhen im Stande ist, dann repräsentiert und trifft der Begriff Szene die hier empirisch erhobenen und rekonstruierten Fallmerkmale adäquater und plausibler. In den ersten Teilkapiteln dieses Kapitels konnten durch die rekonstruierten Ortspraktiken territoriale Diskurse identifiziert werden, die sich von der geographischen Ausgangsterritorialität und ihren Kulturmustern, der Begrenzung auf eine örtliche Codierungspraxis sowie dem Ursprungsmilieu gelöst haben. Es ist von global operierenden Diskursen und Narrativen der Berliner Ortspolitik auszugehen, die wiederum für eine prozessuale Rückbettung des Ortes in die Berliner Topografie verantwortlich sind. Die Akteure geben sich gleichsam als Repräsentanten, Macher und funktionale Elite dieser Diskurse, ihrer Narrative und ihrer relevanten Trägergruppen zu erkennen. Die untersuchten Akteure nehmen bei der Konstituierung von Szenen eine zentrale Rolle ein, insbesondere, indem sie neue Codierungsformationen des Urbanen mitentwickeln. Diese (Orts-)Politiken, bspw. des temporären Versteckens und Abtauchens, müssen im Kontext der Herausbildung von heterogenen Szenepraktiken interpretiert werden. Während Ronald Hitzler diese sozialen Praktiken weitgehend a-physisch und lokal essenziell betrachtet, demonstriert die Lesart der hier vorgestellten Culturepreneurs, dass diese gerade bei ihrer unternehmerischen Tätigkeit die jeweilige Lokalität nutzen, um jenes Spannungsverhältnis, das ihnen die künstlerische und unternehmerische Beachtung in den Berliner Szenen sichert, zu allererst aufzubauen (Hitzler/Bucher/ Niederbacher 2001, S. 24). Mateo Kries, Förderer der kurzlebigen Initiative „young creative industries“ im Jahr 2003 und bis 2005 Leiter des Vitra Design Museums in Berlin, fasst das Verhältnis zwischen Unternehmertum und Stilbildner wie folgt zusammen: 295

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

„Im ästhetischen Sinne kann man sicher noch nicht von einem eigenständigen Stil sprechen. Wenn ich jetzt ein Kissen sehe mit einem Fernsehturm drauf, dann ist das zwar ein ganz lustiger Verweis auf die Stadt, hat aber für mich nichts mit Berliner Stil zu tun. Dazu zähle ich eher bestimmte Arten, über Design nachzudenken, und bestimmte Herangehensweisen, die für diese Stadt typisch sind.“

Auf die Gegenfrage, welche dies denn seien, antwortet er: „Als Designer muss man hier selbst die Initiative ergreifen. Man kann nicht darauf warten, dass irgendwelche Auftraggeber bei einem anklopfen. Wenn man das tun würde, könnte man vermutlich lange warten und wäre frustriert. Das heißt, der Berliner Designer arbeitet zwangsläufig oft so selbständig wie ein Künstler. Er muss sich überlegen, welche Produkte und Bereiche ihn interessieren, und wenn er dann Ideen entwickelt hat, wie er sie umsetzt. Er beschränkt sich also nicht nur auf die Aufgabe der Formgebung, sondern denkt auch zugleich über Produktion und Vermarktung seiner Entwürfe nach. Typisch für Berlin ist auch ein hohes technologisches Interesse, mit dem aber sehr spielerisch, sehr ironisch umgegangen wird.“1

Formationen von Berliner Professionsszenen Diese Aussage unterstützt die empirisch rekonstruierten Umgangs- und Verfahrensweise der vorgestellten Akteure mit Ort und Raum. Berliner Symbolproduzenten betrachten die distinktiven Orte und Territorien nicht nur als eine Variable, die ihnen einen Kommunikationsraum ermöglicht, sondern auch als Präsentationsforum ihrer selbst sowie ihrer Produkte. Dabei geben sich Verfahren der Ortsaneignungen und Ortsproduktionen zu erkennen, die kompatible Inszenierungsmöglichkeiten für Gruppenbildungsprozesse ermöglichen. Erst die Kombinatorik von physischem Ort und Szene generiert Identifizierungsprozesse. Die sprachliche Analogie der soziologischen Kategorie Szene und der räumlichen Kategorie „in Szene setzen“ zeigt nicht zuletzt die performative Verkoppelung der Wandlungsfähigkeit von Szenen mit der Ausstrahlungskraft des physischen Ortes. Die vorgestellten Ort-Raum-Relationen zeigten Berlin-basierte Verortungsprozesse. Sie geben sich als Inszenierungen und temporäre Verortungen von Szenen auf der urbanen Bühne, auf der die Akteure mit der urbanen Materie – dem Stadt- oder Gebäudekörper – ein vernetztes Kraft- und Spannungsverhältnis herstellen. Der dabei in Erscheinung tretende soziale Körper Szene stellt den atmosphärischen Rahmen dar, in dem sich die Akteure in ihrer subjektiven Körperlichkeit erfahren können. Aufgrund der Flexibilität und Hybridität des Rahmens erhalten die daran partizipierenden Akteure durch die emotionale Präsenz an und mit den von ihnen ausgewählten Orten die Möglichkeit, sich strukturierend bei der Ausformung des sozialen Körpers einzubringen (Lange/Steets 2002a, S. 209). 1

(http://www.berlin-magazin.net/02/02-08-a.html, Zugriff am 17.11.2005)

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Die analytische Kategorie Szene kann somit das fragile, transitorische, aber doch konstitutive Verhältnis zwischen Subjekt und Ort im Kontext von Berliner Professionsnetzen adäquater beschreiben. Darüber hinaus repräsentiert Szene aber nicht nur ein analytisches Instrument, es lässt sich vielmehr aufgrund des reflexiven Vermögens dieser Professionsakteure selbst als ein Modell zur Beschreibung der Kreativwirtschaft heranziehen.

Szene und Ökonomie Szene als ein ökonomisches (Arbeits-)Modell anzusprechen, verweist nicht nur auf informelle Lebens- und Arbeitsformen, welche die fragile und schwache sozioökonomische Struktursituation Berlins hervorbringt. Als kulturelle Formation übernimmt sie die Funktion eines kulturellen Inkubators, in dem sie bspw. Werte von vormals ideologisch stabilen Subkulturen, Randgruppen oder fest gefügten Lebensmustern zu aktualisieren oder zu modifizieren in der Lage ist (Schwanhäußer 2005, S. 147). Doch eine ausschließlich kulturalistische Analyse des transitorischen Szene-Verständnisses als Inkubator und Recyclingstruktur übersieht, dass in dieses Modell zunehmend subtile ökonomische Faktoren eingelassen sind. Orte werden nicht nur zum Spaß oder zum Selbstzweck Codierungen und Umwertungen unterzogen. Sie sind als atmosphärische Testräume für Symbolprodukte Ausdruck der Ökonomisierung der Szenen. Die unsteten, wandelbaren, flexiblen und adaptionsoffenen Lebens- und Arbeitsformen in Szenen korrelieren mit den fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten, den als unattraktiv bewerteten Angestelltenverhältnissen sowie den kurzfristigen Projektarbeiten in dezentralen Netzstrukturen. Das Leben und Arbeiten in einer Szene, die man als eine Form der Einbettung professioneller Tätigkeit in den Kreativwirtschaftsbereich beschreiben kann, stellt daher nicht nur eine Alternative gegenüber dem fehlenden Zugang zu einem formalen Arbeitsmarkt dar. Es bietet einen sinnstiftenden sozialen und sozialräumlichen Rahmen, in dem Prozesse der Wiedereinbettung in soziale Beziehungen, Arbeitszusammenhänge und Vergemeinschaftungen informell verhandelt werden können. Soziale Relais und sozialräumliche „Andockstationen“ an diesen Formen der Vergemeinschaftungen repräsentieren transitorische Zugänge zu Arbeit. Die Entgrenzung von Arbeitsorten zu Partylocations sowie von freundschaftsbasierten Arbeitsformen zu kurzfristigen Netzwerkformen des Arbeitens sind nur die äußeren Insignien einer neuen Form der Sozialität, die den organisationellen Kern der urbanen Kreativwirtschaft ausmachen. Während Arbeit in bürokratischen Organisationen längerfristige Kontinuitäten zeigt, ist das verbindende Moment bei der Arbeit in der sog. Network sociality die Projektebene. Diese Basis führt zu kurzfristigen Interaktionen „by the movement of ideas, the establishment of only ever temporary standards and protocols“ 297

DIE RÄUME DER KREATIVSZENEN

(Wittel 2001, S. 51). Die Frage nach Verstetigung im Feld der Berliner Symbolproduzenten vollzieht sich nicht mehr in einem direkten Vertrag zwischen Institution (Arbeitgeber) und Person (Arbeitnehmer). An die Stelle dauerhaft oder befristet kodifizierter Arbeitsverbindung treten neue Praktiken der Einbindung in Form von narrativen Rahmungen, den Logiken der Szenen. Das körperliche (Mit-)Wirken an der sozialen Konstituierung der transitorischen Räume der Szenen und deren hohes Maß an struktureller Unbestimmtheit hinsichtlich der Verfasstheit dieses „Gesellungsgebildes“ (Hitzler/ Bucher/Niederbacher 2001) weist Parallelen zu Mustern und Verfahren der Bohèmekultur auf. Die Flüchtigkeit und das nomadische Prinzip des Lebensstils Szene verzahnt sich auf auffallende Art und Weise mit den existenziellen sozioökonomischen Prekaritätsbedingungen in der Stadt Berlin. Das rekonstruierte Modell des flexiblen und situativen Urbanismus repräsentiert somit die Ambivalenz dieser Prozesse: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und des Produktionsprozesses führen zeitgleich zu flexibilisierten Räumen. Dadurch werden die Repräsentanten und Produzenten dieser Orte in der Aufrechterhaltung ihrer Bindung an ihre Herkunftsmilieus immer wieder auf eine Zerreissprobe gestellt: Die schnelle Wandlungsbereitschaft der Szenen führt immer wieder zu neuen Bewertungen von milieuspzifischen Auffassungen; Widersprüchlichkeiten und Differenzen müssen mit den danzugehörigen strukturellen Basisnarrativen, ihren Wertesystemen sowie den assoziierten Akteursnetzen aufeinanderabgestimmt werden; Handlungssicherheit unterliegt einem permanenten Prozess der Aktualisierung von Vergewisserung. Aufgrund der zunehmenden Ökonomisierung der Szenen ist davon auszugehen, dass sich verschiedene thematische Szenen in jüngster Zeit eher ausdifferenzieren, als dass Nivellierungen zu erwarten wären. Dies zeigt sich auch im interdisziplinären Forschungsbereich: Siehe das Portal www.jugendszene.com von Ronald Hitzler und generell die wachsende Auseinandersetzung mit Szene in der Populärkultur bei Gabriele Klein und Malte Friedrich (Klein/Friedrich 2003), der Geschichtswissenschaft bei Victoria Thompson (Thompson 2003) sowie auch konzeptionell bei Alan Blum (Blum 2001; 2003), in der Architektur bei Alban Janson (Janson 2004) sowie in der Europäischen Ethnologie bei Anja Schwanhäußer (Schwanhäußer 2005). Die wachsende Ökonomisierung gerade der informellen sozialen Beziehungsstrukturen erklärt sich aus der neuen kulturellen Logik, mit der die Stadt ihre Bewohner und insbesondere mögliche Vorreiter neu denkt. Im Berliner Krisenkontext sind informelle Beziehungsressourcen in Projektprozesse eingeschrieben. Dabei vollzieht sich eine Transformation, bei der, so Alexa Färber, Stadtbewohner zu Unternehmern der Stadt gemacht werden. Dieser Wandel schreibt sich zum einen in das Modell der unternehmerischen Stadt ein, wie er ebenso die zunehmende kulturelle Form des unternehmerischen 298

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Selbst in die eigene Verantwortungslogik implementiert (Färber 2005, S. 14). Margit Mayer weist ebenso auf die „Herstellung eines urban-kulturellen Ambientes, als Mikro-Management für die sich verschärfenden sozialen Probleme, oder als Teil eines komplexeren Reproduktionsmodells, das aus der Krise der Arbeitsgesellschaft entstehen soll“, hin (Mayer 1990, S. 204). Am augenscheinlichsten sind die unternehmerischen Effekte des MikroManagements in verschiedensten Formen der Valorisierung des Bezirks Berlin Mitte zu beobachten. Der Bezirk Mitte, im östlichen Kernbereich der Stadt Berlin zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz gelegen, avancierte zum räumlichen Topos von neuen kulturell-unternehmerischen Verortungspraxen. In diesem Territorium vollzogen sich die ersten Auseinandersetzungen mit den brüchigen und zerstörten Resten der geteilten Stadt. Die Aneignung der Räume in der Nachwendezeit entfaltete sich als ein oberflächliches Reflektieren jenes historischen, kriegerischen und politischen Erbes. Gefunden wurde eine atmosphärische Anti-Idylle als passender Hintergrund für eine sich zunächst antiidyllisch gebende Tanzmusik, den Techno. In diesem Viertel, seinen angrenzenden Bereichen und seinen späteren Arbeitsorten stellte sich im weiteren Verlauf der Nachwendezeit eine Hybridisierung von privatem und öffentlichem Raum und somit ein utopischer Verwirklichungsraum ein. Die Praxis der Kulturalisierung der Orte verbindet sich mit der funktionalen Entkoppelung von Straße und Bühne. Straße und Vorräume werden als erweitertes Territorium bzw. als eine Art Vorgarten einer flexiblen Clublandschaft codiert. Dabei zeigten sich private Codes, wie sie bspw. in den Repräsentationsformen der untersuchten Fälle zu erkennen waren, die auch für diejenigen zur Schau gestellt werden, die nicht an diesem Leben teilhaben. Die in dieser Arbeit untersuchten Orte stellen somit eine spezielle Beziehungslogik einer Szene dar. Sie stellen relativ intime und komprimierte Orte dar und weisen ein hohes Maß an privat-öffentlichen Vermischungen auf. Dieses Amalgam und diese Codes der sozialen Orte werden als Produkt eines Berliner Ortscodes regelrecht imperial in andere angrenzende urbane Territorien hineingetragen. So stellen Galerien, Buchläden, Modeläden oder Restaurants in ihrer ursprünglichen wie in ihrer temporären umprogrammierten Form einen Teil einer postmodernen Clublandschaft dar, die sich schon lange vom originären Club gelöst hat. Aus dieser Perspektive bewegen sich Szenegänger auf vorgezeichneten und flankierten Bahnen und Interaktionsstrukturen, leben ein konzentriertes Bewegen von einer sozialen Box zur nächsten. Dabei werden – so zeigt der Fall der Automatenbar – die Orte zum einen zunehmend enger hinsichtlich des Zugangs gefasst, wie sie auf der anderen Seite bewusst radikal entgrenzt werden. Beide Intentionen zielen darauf ab, diejenigen auszuschließen, die mit Nähe wie mit massiver Entgrenzung nicht umzugehen verstehen. 299

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Berlins Szenen und ihr kultureller Imperialismus Die eigenwillige Umprogrammierung zu Orten der Vergemeinschaftung für Kenner in der Form eines Clubs – siehe bspw. den Fall 2 und 3 – zeigt, dass nicht nur das Clubkonzept adaptiert und kopiert, sondern soziale Exklusivität gesichert wird, um den Status quo des sozialen und avantgardistischen Standes festzuhalten. Auch hier zeigt sich, regelrecht als Reflex auf die Kälte und Kühlheit des Musikstils Techno, des musikalischen Stils des Industrials, der versprengten Codes und der fragmentierten Zeichen der Stadt der 1990er Jahren, dass die beobachteten sozialen Verdichtungen eine Antwort auf die technoide Phase der 1990er Jahre darstellen. Was sich unter den Begriffen Cocooning und „neue Heimat“ zu erkennen gibt, findet seine Entsprechung in der Brutwärme der verdichteten Orte und ihrer sozialen Beziehungen. Ulf Poschardt zufolge geht es im Fall Berlin auch innerhalb einer jungen Generation um das „Wiederfinden des scheinbar schmerzhaft verloren gegangenen elterlichen Wohnzimmers“, um es, so seine Schlussfolgerung, aber gleichsam im „Zuge der Umprogrammierung im Schumpeterschen Sinne wieder zu zerstören“ (Poschardt 2002, S. 92). Euphorisiert von der Weite und Metropolitanität der Stadt, folgt soziale Nähe und räumliche Enge, gefolgt von der inszenierten Zerstörung der kurzweilig wohligen Wärme. Die sich dort temporär versammelnden kulturellen Szenen betteten Berlin über neue kulturelle Formationen in eine globale Popkultur ein. „Berlin war fast über Nacht Leadcity in der Weltliga der Hipness affinen Metropolen geworden“, so Ulf Poschardt (ebd., S. 82). Diese neuen hybriden und äußerst schnelllebigen Professionsszenen markierten in ihrer expressiven Lebensführung auch eine Befreiung vom traditionellen Deutschsein. Auf der Suche nach einem neuen, bisher nicht greifbaren kulturellen Niveau wurden ab der Mitte der 1990er Jahre symbolische Differenzierungen und stilistische Markierungen konstant erhöht und überhöht. Als Effekt offenbarte sich im Zentrum des neuen Niveaus Nivellierung und Gleichmacherei. Ulf Poschardt sieht diese Überhitzung der Differenzierungspraktiken kulturpessimistisch. Er wendet ein, dass sich in den zu beobachtenden binnenstrukturellen Nivellierungen bereits das Ende des Berliner Neuanfangs artikuliert: „Wie in den besten Zeiten der New Economy ist die Style-Aktie von Mitte grandios überzeichnet, wenngleich die Euphorie noch bleibt“ (ebd.). Zeitdiagnostisch erkannte Diedrich Diederichsen einen regelrecht generationsspezifischen „Berlinzwang“ (Diederichsen 1999). Die Stadt Berlin wurde aufgrund der zunehmenden urbanen Dynamisierung durch junge Menschen zu einer Weltbühne und von allen Nationen der vereinten jungen Kultureliten zu einer solchen erklärt. Ihre stilprägende Subkultur der Gegenwart verankerte die Akzeptanz einer kulturellen Hegemonialmacht. Das unfertige, verbrauch300

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te, leer gelassene und gezeichnete Berlin, die Anti-Idylle, wurde zur neuen Idylle auserkoren. Der Zeitgeist des neuen Jahrhunderts hatte seinen Ort gefunden. Weitestgehend durch Zuzüge aus der Provinz gespeist, wurde eine Weltstadt ausgerufen und als Kampfbegriff gegen Provinz und Heimat propagiert. Das Motiv der Befreiung findet sich in den Ausprägungen des rekonstruierten Urbanitätsmodells flexiblen und situativen Urbanismus wieder. Das Narrativ der Flexibilität konkurriert jedoch mit grundsätzlichen Herkunftsnarrativen und den Grunddispositionen der führenden Protagonisten. Diese haben weitestgehend Berlin zum Ort ihrer eigenen Befreiung aus der Provinz erhoben und reproduzieren doch in der territorialen Praxis lokalistische Komprimierung. Die kontinuierliche sozialräumliche Verdichtung und Hybridisierung durch die „Avantgarden“ der neuen Berliner Moderne führt dazu, dass Skeptiker wie Diederichsen darauf hinweisen, dass eben die Lebenszusammenhänge dieser Akteure und die Effekte der Verdichtung der weltstädtischen Anonymität dieser neu gefundenen Urbanität entgegenwirken. Diese pessimistische und kritische Lesart der neuen „Avantgarden“ weist darauf hin, dass die strukturelle Anziehungskraft (der rekonstruierten Fälle) sich im Endeffekt mit dem Wunsch nach einer sozialräumlichen Nähe verbindet. Dort wird dann, folgt man der Kritik Diederichsens, nicht differentes, sondern kulturell und modisch Homogenes produziert. Aus dem zunächst Unerhörten, Ungesehenen und Unglaublichen wurden im Zuge des Erfolgs der Konzepte Looks, Ideen und Images und Visionen, die immer auch die Gefahr in sich tragen, aufgrund der verinselten sozialen Nähe und Dichtheit zu langweilen und zu Stereotypen degradiert zu werden.

Szenen: Homogenisierungen oder (feine) Differenzierungen? Diese kritische Sichtweise der produktspezifischen Effekte der Akteure findet ihre Entsprechung auf der sozialräumlichen Ebene. Die Verräumlichung dieser Akteure in nachhaltigen und stabileren Stadtvierteln verbindet sich mit der Überführung der vormals instabilen und elastischen Raumproduktion zu dem Raummodell Bohèmeviertel. Die soziale Verdichtung, die Verstetigung und die Verengung des Aktionsradius von Künstlern, Mikrounternehmen und immateriellen Produzenten in einem begrenzten Raum steht im Widerspruch zur idealisierten Anonymität der Simmelschen Großstadt. Der Effekt dieser Verdichtung führt zu stabilisierenden Szenevierteln, die Metropolen verengen und letztlich gegen ihre kulturelle Versprechung arbeiten. Werden sie zudem als Orte der Orientierung auf den Reiserouten der Touristen angeboten, globalisieren sie sich und die vormals flexibilisierten und elastischen Mikroorte, die sich mit ihrer Standortpolitik permanent einer 301

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eindeutigen geographischen und thematischen Verortung erwehrt haben, stabilisieren sich durch programmatische Verstetigungen oder werden aufgrund der betriebswirtschaftlichen Schwerpunktsetzung in ihrer Elastizität eliminiert. Dagegen kann eingewendet werden, dass vormalige und zeitweilig bespielte, kulturell attraktive Orte von Szenen immer verschiedene Stadien der Abkühlung wie der Überhitzung durchlaufen. Diese Orte des flexiblen situativen Urbanismus sind komprimierte soziale Arenen, in denen man sich von der Kälte der Großstadt und ihrer Anonymität erwärmen kann. Die soziale Enge ist gewollt, sie ist angereichert mit der Vermittlung und dem Testen von Produkten in sozialen Arenen, die Orte sind bewusst klein und eng gehalten, regelrecht „prämodern und embryonal“ gehalten, wie dies auch die Feldskizzen und die Mikrokartierungen des Inventars der untersuchten Orte zum Ausdruck bringen (Poschardt 2002, S. 86). Die Metapher der sozialen Wärme durch die kurzfristige Komprimierung sozialer Interaktionen an einem Ort gibt die Akteure als „Eingeborene“ eines Stadtteils zu erkennen, die ihre Kultur zu einer Art zweiten Natur erklären. Diese Verdichtungen haben bis dato der Stadt Berlin als Metropole wenigstens eine Form der kulturellen Modernität geliefert, wenngleich ohne wirtschaftliche Prosperität. Diese fehlende und bis dato ausbleibende ökonomische Entwicklung sowie die damit manifeste ökonomische Misere muss durch Stile, soziale Innovationen und kulturelle Avantgarden kompensiert werden. Die Wirkung dieser Akteure erklärt sich durch ihre Werke, die soziale Wirkungen eröffnen, sowie durch die Öffentlichkeit der ihre Werke bedingenden Lebensweise. Ohne Werk und Produkte stellt sich aber auch keine Öffentlichkeit ein.

Vergleich, Einordnung und Diskussion d e r e r m i t t e l t e n S t r u k t u r t yp i k e n Abschließend wird der Versuch unternommen, die zu Beginn der Arbeit aufgeworfene These Culturepreneur am Fall zu diskutieren. Der Begriff Culturepreneur wurde aufgrund einer fehlenden Definition als Suchbegriff aufgefasst. Er wurde dabei zunächst konzeptionell im Rahmen der Herausbildung eines neuen Sozialstrukturtypus im Feld der urbanen Kreativwirtschaft kontextualisiert. Die bislang existierende Unschärfe der Konturen und Ausprägungen dieses Typus leitete sodann das methodisch-empirische Vorgehen der Arbeit. Herangezogene Sortierhilfen (exploratives Vorgehen, feldaufschließende Verfahren, Kontrastierung von rekonstruierten Fällen etc.) führten zu einer systematischen Operationalisierung und schlussendlich zu einer Typisierung hinsichtlich der unternehmerischen wie der räumlichen Dimension. Zwei Grund302

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figuren werden als Antwort auf die Frage nach der Ausprägung des Strukturtypus Culturepreneur vorgestellt.

Hybridisierungsthese Die These, dass sich der ermittelte Strukturtypus als systemischer Brückenbildner zwischen den vormals weitestgehend getrennt operierenden Subsystemen Wirtschaft und Kultur zu erkennen gibt, ist in der semantischen Konstruktion des hybriden Begriffs angelegt. Damit verbindet sich die heuristische Idee, dass sich in dem Typus Wertemuster und Rationalitätsformen in reflexiven Beziehungen zueinander verhalten und diese sich auf einer höheren Abstraktionsebene zu einem neuen Muster verdichten. Die darin angelegte These der Hybridisierung nimmt Anleihen auf und stellt Bezüge zu strukturellen „Übersetzungsfiguren“ wie der des Cultural Broker (Welz 1996, S. 26-29), aber auch des Künstlers her. Während in der ersten Figur die Funktion des „Übersetzens“ zwischen Kulturen formuliert wird, ist in der zweiten Figur in unterschiedlicher Gewichtung ein ästhetisierender gesellschaftlicher Gegenentwurf zu herrschenden Gesellschaftsstruktur sowie den vehement sich vollziehenden Modernisierungsprozessen angelegt. Diese zweite verbindet sich historisch betrachtet mit anderen Nutzungsgrammatiken und -praktiken des Wohnens, des Arbeitens sowie ihres individuellen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses (Thompson 2003). In dieser Figur des Künstlers ist ein hohes und gerade heute wieder gefordertes Maß an Individualität und Expressivität angelegt. An dieser Figur orientiert sich Diederichsen auch für den Fall Berlin: Unter Einbeziehung dieser Typikmerkmale sowie denen des Flaneurs und des Bohèmiens, weist er Künstlern die Option zu, „soziales Neuland“ zu schaffen (Diederichsen 2000, S. 16). Der Stadtraum bietet seiner Auffassung nach „viele Geschichten an“, die zudem „nicht einer dominanten Geschichte und ihrer Deutung unterworfen“ sind. Alexa Färber greift diese Beobachtung auf und bindet sie an die hier im Fokus stehenden unternehmerischen Akteure zurück: Ihrer Auffassung nach ist der städtische Raum „integraler Bestandteil und Gegenstand der Handlungsoptionen von unternehmerischen Akteuren“ (Färber 2005, S. 16). Städtische Räume sind aber nicht per se kulturell und symbolisch durchdefiniert, sie unterliegen vielmehr aufgrund der Polyvokalität der städtischen Geschichten unterschiedlichen strategischen Place-Makingsowie kollektiven Aneignungsprozessen. Im Gegensatz zu den historischen Figuren Flaneur und Bohèmien sprechen jedoch einige Aspekte, aufgrund der Ergebnisse der rekonstruierten Fälle, gegen eine Parallelisierung zwischen den Merkmalsausprägungen der historischen Figuren und der rekonstruierten Fälle. Diese Unterschiede sind auf der Ebene des Verhältnisses Individualität und Kollektivität, im Bereich der 303

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unternehmerischen Praxis sowie nicht zuletzt auf der Ebene der Ökonomisierung ihrer sozialen Lebenswelt angesiedelt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die hier vorgestellten Akteure ein Maß an professionsspezifischer sowie sozialer Reflexivität praktizieren und repräsentieren (müssen), das sie zum einen befähigt, als Unternehmer ihrer Selbst zu agieren. Gleichwohl geben sie dabei die Notwendigkeit zu erkennen, dass neben der Hervorhebung der Ich-Ressource auch an der Generierung von sozialem Kapital zu arbeiten ist und dies als äußerst relevant für ihr unternehmerisches Handeln erachtet wird. Ein weiterer Unterschied zeigt sich darin, dass historische Figuren wie Bohèmiens Anleihen bei der Figur des Künstlers aufnehmen. Der Lebensstil des Künstlers wird als ästhetischer Entwurf mit einer künstlerischen Tätigkeit in Verbindung gebracht, mitunter sind sie auch selbst das Resultat dieser Tätigkeit. Gleichwohl artikuliert sich dabei ein anderes Verhältnis zu ihren Tätigkeiten. Für sie stand, vereinfacht gesagt, das singuläre Werk im Vordergrund und nicht, wie für die hier untersuchten Akteure in Berlin, das Produkt. Während die Figur Künstler an einem Werk arbeitete, entsagte sie sich standardisierten und seriellen Herstellungsverfahren und wies gerade dadurch ein innigeres Verhältnis zu dem mit ihrem Werk einhergehenden Lebensstil auf. Es war ihr Werk, ihr Leben und die Autonomie ihrer Entscheidung, während die hier analysierten Akteure weitaus prozessbezogener, wandlungs- und anpassungsbereiter ihre Produkte an den Markt heranführen (müssen). Sie gewinnen nur temporär Autonomie, indem sie feinere Differenzierungslinien entwerfen, sich zweifelsohne dabei anpassen, um sich aber kurzfristig wiederum später gegen einen aufkommenden Trend zu positionieren. Sie lassen sich dadurch als „Pop-Revolutionäre“ ansprechen. Eine kontextsensitive Einordnung dieser Akteure vollzieht auch Angela McRobbie. Sie hat darauf hingewiesen, dass sich diese heute im Bereich der Symbolproduktion tätigen Akteure eher als Mixtur zwischen Bohème und Individualismus, gepaart mit dem Geschäftsethos eines Werbedirektors, auszeichnen. Gerade das zeitlich eng gestrickte, hochflexible Leben setzt ihrer Meinung nach dem Stereotyp des Bohèmien ein Ende (McRobbie 2005, S. 84). Wendet man die Grundidee der Hybridisierung auf die Strukturtypik der hier explizierten und rekonstruierten Elemente an, so zeigt sich, dass dies dem Versuch entsprechen würde, soziale, prozessbezogene und sozialräumliche Praktiken unter dem heuristischen Dach der Hybridität regelrecht finalisieren zu wollen. Dadurch würden aber gerade die Konturen der rekonstruierten Falltypiken nicht geschärft werden. Vielmehr würde es zu zahlreichen „und“Beschreibungen kommen und zu Beschreibungen, die in Mixturen sowie Überlagerungen Anschlüsse an postmoderne Konzepte praktizieren würden. Diese würden zweifelsohne treffende und relevante gesellschaftliche (Ge304

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samt-)Diagnosen liefern, erwiesen sich aber selten als geeignet, die orts-, fallund kulturspezifischen Typiken und ihre Ausprägungen differenziert erfassen zu können.

Machbarkeitsbehauptungen Auf der anderen Seite ist, in Anlehnung an den Institutionsökonomen Birger Priddat, eine Grundfigur anzusprechen, die Akteure in Marktkontexten als „unvollständige Akteure“ auffasst (Priddat 2005). Das damit einhergehende Konzept basiert im Wesentlichen auf der Annahme, dass in komplexer werdenden Ökonomien gerade vielfältige städtische Rahmungen, kulturelle Unübersichtlichkeiten und Marktunsicherheiten als ernstzunehmende Kontextparameter anzusprechen sind. Sie nehmen in subjektiven und sozialen Positionierungsbeschreibungen von neuen Unternehmern und deren Perspektive auf Marktprozesse eine zentrale Rolle ein. Mit diesem Konzept geht eine Kritik an behavioristischen Entscheidungstheorien einher. Die Kritik basiert darauf, dass diese „nicht in der Lage sind, Optionen offen zu halten, sondern ihre Leistung umgekehrt darin sehen, aus einer Menge von Optionen eine (,optimale‘) auszuselegieren“ (Priddat 2005, S. 65). Der risikobehaftete Entscheidungsvorgang, der mit der Überführung einer individuell erlernten Tätigkeit in die unternehmerische Selbständigkeit einhergeht – und damit in eine neue soziale Welt –, ist zugleich hochgradig voraussetzungsvoll wie optionsreich. Aufgrund des begrenzten Überblicks über Markt-, Kultur- und Interaktionsgeschehen müssen Entscheidungen, so Birger Priddat, gerade in komplexeren Systemen nicht mehr „verknappt“, sondern vielmehr „ent-knappt“ werden. Birger Priddat zielt mit dieser zunächst widersprüchlichen aber logischen Schlussfolgerung auf die begrenzten Rationalitätsverständnisse von Akteurshandeln ab. Nimmt man diese ernst, so können neue Optionen auch unternehmerischen Handelns überhaupt erst durch systematisches Entknappen vorbereitet werden. Die damit einhergehenden unsteuerbaren Kräfte werden von Birger Priddat als eine „Erhöhung des Freiheitsgrades“ verstanden (ebd.). Individuell-unternehmerisches Verhalten steht somit nicht vor der Unterscheidung von Risiko oder Enttäuschung (z.B. Scheitern), sondern, so Birger Priddat, vor Substituierungsmöglichkeiten. Aus dieser Perspektive ist es – aus Sicht der Unternehmer an der Statuspassage Unternehmensgründung – strukturlogischer, sich mehrere Alternativen im Marktprozess, d.h. mehrere Optionen, offen zu halten. Mit mehreren Alternativen lassen sich mehrere Wege antizipieren. Die damit einhergehenden Prozesse der Markteröffnung lassen sich als Entdeckungszusammenhang verstehen. Gerade im Werden begriffene neue unternehmerische Akteure in äußerst instabilen Marktzusammenhängen – wie dies der Fall Berlin und die 305

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Kreativwirtschaft repräsentiert – entfalten ihre Praxis in eine als offen bewertete wie zugleich unbestimmte und kaum gesicherte unternehmerische Struktursituation hinein. Sie müssen dabei adaptionsoffen, wandlungsbereit, aber auch eigenwillig sein sowie biografische Strukturprägungen wie lokale Bedingungen berücksichtigen. In Anerkennung dieser analytischen wie lebensweltlichen Kontextbedingungen lassen sich neue Wege (auch im Sinne der de Certeau’schen Reiserouten) und Verfahrensweisen der unternehmerischen Findung überhaupt erst entdecken und erkennen. Dieser Prozess gibt sich als ein kommunikativer und sozial konstruierter zu erkennen, d.h. dass der dabei antizipierte Markt mittels verschiedenster Formen und sozialer Praktiken kommunikativ eröffnet und narrativ gesteuert wird. Diese Praktiken konnten anhand der Fälle rekonstruiert werden. Aus der Sicht der unternehmerischen Akteure sowie deren kommunikativer Praktiken der Marktgestaltung in Berlin vollzieht sich dieser Prozess als ein epistemologischer mittels verschiedener narrativ-diskursiver Bedeutungsgenerierungen: Unternehmerische, prozessorientierte, soziale und räumliche Optionen können als unterschiedliche Ressourcen kombiniert und entfaltet werden. Die Überlegungen von Birger Priddat bzgl. des adaptionsoffenen Akteurs orientieren sich auch an kritischen Rezeptionen der heroischen Figur des Schumpeterschen Unternehmertypus. Ebenso hat Christian Deutschmann die Figur des Schumpeterschen Unternehmers einer Kritik unterzogen (Deutschmann 2003): Er weist darauf hin, dass das geläufige Verständnis der Figur Unternehmer unterschlägt, dass „Innovation ein sozialer Prozess ist, niemals eine rein individuelle Leistung des Unternehmers“ (Deutschmann 2003, S. 160 ff.). So generieren und organisieren die hier untersuchten Akteure zur Überprüfung der Tauglichkeit ihrer Produkte – wie zur Präsentation ihrer selbst – regelrecht soziale Arenen, d.h. epistemologische Szenen, die sodann über die Funktionalität und Passgenauigkeiten der von ihnen entwickelten sozialen Steuerungsinstrumente wie die daraus resultierenden Produkte befinden. Die dabei offensichtlichen Regeln und Verfahrensweisen geben Auskunft über den institutionellen Zuschnitt dieser sozialen Arrangements. Diese Regeln sind nicht ausschließlich situativer Natur, sondern stellen als Handlungsalternative eine Sequenz von Handlungssituationen dar. Die Reflexivität der Akteure weist anhand der rekonstruierten Fallspezifika darauf hin, dass sich aus den Handlungssequenzen für die Raumproduzenten ein zukünftiger Handlungsraum eröffnet, der sich im weiteren Zeitverlauf zu einem modularisierbaren Narrativ verdichten lässt. Die vorgestellten zeitlichen Unwuchten der rekonstruierten Ortspraktiken und Ortsprogrammierungen sind somit als eine Handlungsalternative in einem Marktkontext zu verstehen, in dem soziale Differenz über destabilisierende Verfahren der Bereitstellungen von örtlichen Angeboten (Umprogrammie-

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rung, Ereignisse am Ort etc.) gesteuert wird. Diese territorialen Praktiken der Teilnehmer sind im Sinne der rational choice nicht rational. Sie folgen vielmehr strukturlogisch den kulturellen Motiven der Nachwendezeit Berlins und betten diese (vor-)institutionellen Regelwerke mit globalen Beziehungsstrukturen wiederum in eine neue Geographie Berlins zurück. Die Praktiken des Erschließens von leer stehenden und aufgelassenen Räumen sowie die daran angelagerten Verfahren der Aneignung, Inwertsetzung und Umwertung von Orten, die aus der Verwertungslogik gefallen sind, mussten sich in Ermangelung von getesteten und erprobten Verfahren an neuen Handlungsvollzügen orientieren. Aus dieser grundsätzlich adaptionsoffenen Situation entwickelte sich erst das rekonstruierte Narrativ des offenen, wandlungsbereiten und nachhaltig fortschreibungsnotwendigen Motivs einer Berliner Nachwendezeit. Die sozialen und territorialen Praktiken wiesen keinen eindeutig institutionalisierten sozialen und kulturellen Referenzpunkt auf, auf den sich die territorialen Praktiken beziehen, abgesehen vom historischen Datum der Überwindung der politischen Teilung. Die Akteure haben aber eine narrative Perspektive entwickelt, indem sie die Handlungsumgebung dieser vor ihr liegenden Weltordnung als eine taugliche interpretierten, diese dann so annahmen und sich diese auseinandersetzend aneigneten. Diese „Welt“ war nicht mehr mit bisherigen vordefinierten Handlungsskripten zu erfassen, die vollzogenen sozialen und territorialen Experimente und produktspezifischen Verfahren der symbolischen Aufwertung begründeten ein eigensinniges Regelwerk. Die sich dabei zu erkennen gebende Narrative legitimierte eine Form der institutionellen Umgebung, eine Rahmung (frame), die für Individuen soziale Verfahren, Codes, Werte und Repräsentationsverfahren bereithalten und dadurch Orientierung anbieten. Sie müssen aber immer wieder kommunikativ fortentwickelt werden, so wie sich die Individuen immer wieder dieser Regeln versichern müssen.

Generation Berlin? Ende der 1990er Jahre führte Heinz Bude den Begriff „Generation Berlin“ in die Diskussion ein (Bude 2001). Im Zuge der politischen Neuformierung diagnostiziert er aufgrund der neu in der Hauptstadt Berlin operierenden politischen, kulturellen und administrativen Eliten einen Bruch mit bisherigen gesellschaftlichen Ordnungsmustern und Verfahrensweisen. Bude diagnostizierte eine Vorstellungswelt, der er den Namen „Generation Berlin“ zuwies, in welcher sich der „unternehmerische Einzelne“ nicht an vorgegebene Standards hält, sondern „eigene Kombinationen testet und auf dem Markt anbietet und in die Gesellschaft einbringt“. Er wird unternehmerisch, in dem er auf

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Gelegenheiten bezogen ist und sich ein einem offenen Feld von Möglichkeiten bewegt“ (ebd., S. 30). Diese diagnostischen Zuschreibungen zeigen Parallelen zu den rekonstruierten Strukturmerkmalen der neu in der Stadt operierenden Unternehmer. Dabei stehen aus der Sicht der Akteure Haltungen und Werte des Machbaren im Vordergrund, die eine Zäsur zu den Werten einer (Bonner) Vorläufergeneration markieren. Während diese sich an einer „kulturellen Mission“ und an einem „übergeordneten Zweck“ ausrichteten, vollzog eine Generation Berlin eine andere Praxis. An die Stelle des mittlerweile fehlenden Glaubens an die Kraft des Staates, an seine nachhaltigen Wirkungen und Organisations- wie Daseinsfunktionen sind neue Verfahren des Experimentalismus getreten (ebd., S. 31). In einer städtischen Entwicklungsperiode, in der verlässliche Wertorientierungen obsolet geworden sind und weder wohlfahrtsstaatliche oder neoliberale Referenzsysteme geeignet erscheinen, akzeptable Orientierung zu gewährleisten, treten zunächst kurzfristige Werte, Phasen des Ausprobierens sowie gemischte Handlungslogiken. Sie finden ihre sozialräumliche Entsprechung in flexiblen Reisewegen und elastisch-temporären Raummustern: Kurz, in einem Modell des flexiblen und situativen Urbanismus. Die Schalt- und Vermittlungsstellen dieses Modells sind Akteure, die im Zuge der Restrukturierung des Städtischen eine Aufwertung erfahren haben und regelrecht als „sites of agency“, als akteurszentrierte Aushandlungsorte, im Mittelpunkt stehen (Appadurai 1997, S. 31). Da sich diese aber in einem vielschichtigen sowie zugleich schwer zu überblickenden Kontext unternehmerisch positionieren müssen, erweisen sich adaptionsoffene und unvollständige Normen als geeignet, um überhaupt eine unternehmerische Praxis entfalten zu können.

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Zusammenfassung

Wie konstituieren sich die sozialen Räume und Orte der Kreativszenen in Berlin? Diese Frage wurde bisher weder in der Stadt-, Wirtschafts- und Kulturgeographie noch in der sozialwissenschaftlichen Raumforschung systematisch und empirisch beantwortet. Relevanz erfährt diese Frage in jüngster Zeit dadurch, dass das Vorhandensein von Kreativszenen in Metropolen als ein maßgeblicher Inkubator für kulturelle Innovation, urbane Attraktivität und wirtschaftliche Entwicklung bewertet wird. Trotz transnationaler Wissens-, Mobilitäts- und Warenstromnetze, die Metropolen einander näher bringen, ist weniger, so die Ausgangsbeobachtung, von kulturellen Homogenisierungstendenzen, als von Differenzierungen des Städtischen auszugehen. In jüngster Zeit unternehmen Städte sogar verstärkt den Versuch, ihren besonderen und unverkennbaren Charakter hervorzuheben. Worin also bestehen die partikularen Elemente von Berlin, das als Stadt Bestandteil eines globalen Netzes miteinander konkurrierender Städte ist? Im Zuge dieser stadtgeographischen Forschungsarbeit wurden die Repräsentationsstrategien, Ortsaneignungen und Raummuster eines sozialen Beziehungssystems „Szene“ systematisch analysiert. Fokussiert wurde auf einen Spezialfall: Vermittelt über Praxisformen von kulturellen Unternehmern aus dem Bereich Design- und Symbolproduktion konnte Ergebnisse vorgestellt werden, die Aufschluss über ihre Prozesse der Vergemeinschaftungen und Raumaneignungen in Berlin geben. Berlin, rohstoffarm und fern der Küste gelegen, hat heute, historisch bedingt, keine prägenden Industrie- und Wirtschaftspotenziale außer innovativen Menschen vorzuweisen. Weltweit aber wird es spätestens seit den frühen 1990er Jahren trotz seiner sozioökonomischen Krise, aufgrund seines wissensbasierten und zugleich kreativen „Potenzials“ als eine der dynamischsten und pulsierenden Städte weltweit wahrgenommen. Verantwortlich sind dafür v.a. die veränderten Vergemeinschaftungs- und Raumaneignungsformen vor309

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mals ideologisch stabiler und kontaktdichter subkultureller Milieus der Vorwendezeit. Diese haben sich ab den frühen 1990er Jahren aus ihren Sozialräumen entgrenzt und im weiteren Verlauf mit erlebnisintensiven Praktiken stilbildend über die Stadtgrenzen hinaus gewirkt. Aufgrund der Attraktivität der Szenen, ihrer Experimentierfreudigkeit und ihrer adaptionsoffenen Praktiken zogen viele neue Akteure in die Stadt nach. In diese flexibilisierten körperorientierten Erlebniskulturen der 1990er Jahre war aber von Anbeginn ein sog. „Berliner Code“ für spätere berufliche Praktiken bzw. Professionalisierung eingeschrieben: Talent, Selbstbehauptung, Spontaneität und Gespür für neue Trends waren und sind zentrale Eigenschaften, auf Basis derer sich die wissensbasierte Kreativwirtschaft 15 Jahre nach der politischen Wende entfaltet hat. Die Stadt Berlin ist dabei als institutioneller Rahmen anzusprechen, innerhalb dessen gerade in zukunftsträchtigen Produktionssegmenten des Bereichs Kreativwirtschaft kaum gesicherte Verfahrenswege und Umsetzungsskripte für die Einführung, Vermittlung und Valorisierung von immateriellen Produkten vorliegen. Unternehmensgründungen und die Entwicklung immaterieller Produkte entfalten sich im Segment der Kreativwirtschaft zu äußerst schwach formalisierten institutionellen Handlungs- und Steuerungskontexten. Dabei verbindet die Akteure dieser Kreativwirtschaft, dass sie aufgrund neuartiger und wenig erprobter kultureller und sozioökonomischer Rahmungen frühzeitig neue Wege der beruflichen und sozialen Existenzsicherung entdecken mussten. Die Entfaltung der eigenen Biografie verbindet sich mit einem gesellschaftlichen Dispositiv der zunehmend individuellen unternehmerischen Verselbständigung. Zurückgeworfen auf ihre Ich-Ressourcen und Talente zeigt sich aber auch, dass die Symbolproduzenten neue Einbettungsund Vergemeinschaftungsformen gerade in professionellen Kreativszenen vollziehen: Diese stellen neue urbane Praktiken dar, die aufgrund ihrer strukturellen Eigensinnigkeiten von Zugängen zu Arbeit, von Sozialitäten sowie generell von Konstituierungen des Städtischen berichten. Exemplarisch wurden in dieser Arbeit Entwicklungswege von Unternehmern in der Kreativwirtschaft am Fall Berlin rekonstruiert. Dazu wurden unternehmerische Akteure im Bereich Symbolproduktion an der Statuspassage ihrer Unternehmensgründung mit Hilfe einer qualitativen Untersuchung befragt. Mit unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten konnten verschiedene Strategien der unternehmerischen Formierung von Symbolproduzenten einer interpretativen Analyse unterzogen werden. Mit rekonstruktiven Interpretationsverfahren wurden anhand von vier vergleichbaren Fällen zentrale Strukturmerkmale identifiziert. Ein Typologisierungsprozess ermöglichte die Generierung von Strukturtypen. Die rekonstruierten Formen und Prozesse der dynamischen Raumbindungen dieser Akteure geben, vermittelt über ihre sozialen und unterneh310

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merischen Praktiken, Aufschluss über Raumkonstruktionen und die Produktionsweisen von Orten. Die Ergebnisse geben einen neuen Sozialraumtypus zu erkennen, der für die Formierung und Steuerung von zunehmend professionalisierten und ökonomisierten Kreativszenen verantwortlich ist. In diesen Professionsszenen werden Informationen und Wissen sowie der Zugang zu Arbeit, so die abschließende These, nach berlinspezifischen Regeln und Verfahren mikroglobal verhandelt. Diese Regularien wurden anhand der strukturell hochgradig eigensinnigen und eigenlogischen Strategien der Berufsentfaltung sowie der Produktentwicklung der Symbolproduzenten in diesem Segment rekonstruiert. Im Folgenden werden die Ergebnisse hinsichtlich der Praktiken und Verfahren der Unternehmerwerdung und Produktentwicklung von neuen Akteuren im Feld der Symbolproduktion (1), ihren Spacingprozessen und SpacePlace-Relationen (2-4) in einem hochdynamischen Feld der Berliner Kreativwirtschaft abschließend zusammengefasst: Daraus lassen sich Strukturmerkmale eines neuen Sozialraumtypus Culturepreneur ableiten (5) sowie Schlussfolgerungen für den Begriff Szene (6) und für die Verwendung des Handlungsbegriffs in der Geographie (7) ziehen. Ein Ausblick (8) beschließt diese Arbeit.

1. Unternehmerische Praktiken in der Kreativwirtschaft Berlins Die Ergebnisse der Fallrekonstruktionen zeigen, dass unternehmerische Symbolproduzenten im Zuge der Platzierung ihrer immateriellen Güter auf Märkten auf individuelle Wahrnehmungs-, soziale Handlungsressourcen sowie örtliche Gestaltungsoptionen zurückgreifen. Aus diesen Kapitalsorten entwickeln sie prozessual ihre unternehmerische Praxis sowie die Valorisierung ihrer Produkte. Ihre Prozesse der Unternehmensgründung zeigen dabei strukturell eigensinnige Motivkonstellationen, die Aufrechterhaltung des sozialen Zugangs zu ihren Ursprungsmilieus, die Lust am unternehmerischen Experiment sowie eine ungetrübte, aber pragmatische Neugier auf den Freiraum Berlins. Subkulturelle Kompetenz sowie die Bereitschaft zur Entdeckung seines Selbst erweisen sich als konstitutive Motivdispositionen dieser Akteure. Die rekonstruierten Typiken stemmen sich regelrecht gegen Unterscheidungstypologien in Form von Typologien der „Gründung aus der Not“ oder der puren „Gründung aus einer Ökonomie der Selbstverwirklichung“ (Bögenhold 1989, S. 269). Die unternehmerischen Praktiken sind hochgradig informell und polylokal verortet. Sie weisen einen vorinstitutionellen Eigensinn auf und lassen sich dadurch begrifflich als Szenen ansprechen. Methodologisch weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass die Empirie gegenüber theoriegeleiteten Perspektiven einen deutlichen Bedeutungsgewinn und eine Aufwertung als erklärende Kraft gerade für schnell sich vollziehende städtische Transformationsprozesse erhält. Sie kann zwar noch nicht ab311

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schließend einzelne Variablen und deren Wirkungsrichtung im Prozess der Strukturrekonstruktion gewichten; im Gegenzug diese per rigoroser Vorentscheidung ob der Untersuchungskriterien zu benennen, würde das Problem aber auch nicht adäquater lösen.

2. Raumbindungen der Symbolproduzenten Anhand von multiperspektivisch ausgerichteten Datentypen (Mikrokartierung, Feldprotokolle und themenzentrierte Interviews) konnte die Vielschichtigkeit von Raumbindungsprozessen der vorgestellten Symbolproduzenten untersucht werden. Damit konnte demonstriert werden, dass die Analyse mikroräumlicher Prozesse Erkenntnisse über unternehmerische, soziale und kommunikative Steuerungspraktiken mit Hilfe der oben genannten Datenquellen hervorbringen kann. Diese Strukturmuster weisen dann auf organisatorische Praktiken der sozialen Erschließung von Märkten bzw. deren Generierung hin sowie auf die Formierung von professionellen Szenen überhaupt. Dabei geben sich Codierpraktiken und Ortspolitiken zu erkennen, die nicht im Verständnis einer essenziellen Wiederentdeckung oder Ontologisierung des Ortes zu verstehen sind. Die ortsspezifischen Praktiken von Symbolproduzenten werden hier als situative, lokal passfähige unternehmerische Interventionen verstanden. Sie zielen darauf ab, mittels territorialer Diskurse zeitlich und sozial begrenzt soziale Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Symbolproduzenten repräsentieren dabei ein Berliner Urbanitätsmodell des fließenden, flexiblen und situativen Raums, wie diese Akteure ebenso als Raumproduzenten an der Transformation des Berliner Raummodells des „flexiblen und situativen Urbanismus“ wirken. Das Motiv des fließenden Raums hat seinen Ausgangspunkt bei Praktiken der flexiblen und temporären Ortsaneignung der Berliner Nachwendezeit. Damals generierte die politische Wende neue Leer- und Brachräume und bot sie unvorbereitet der Stadt und ihren Bewohnern an. Nach Jahren der geographischen und politischen Enge auf beiden Seiten entgrenzten soziale und subkulturelle Milieus ihren Aktionsraum und erschlossen sich somit neue Geographien in der Stadt Berlin: Sub-, Tanz- und Partykulturen eigneten sich diese „neuen“ Orte in einem ekstatischen Prozess der Befreiung an und verbanden sie durch temporäres Umherschweifen zu einem flexiblen und fließenden Raum. Dabei wurde ein Ursprungsmythos der Berliner Ortsaneignung und Raumproduktion begründet.

3. Berliner Raumkonstruktionen der untersuchten Akteure Die kontrastiv aufgebauten Fallrekonstruktionen zeigten, dass die untersuchten Akteure im Prozess der Unternehmensgründung zum einen nach wie vor 312

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daran arbeiten, Zugänge zu ihrem sozialen Ursprungs- und Herkunftsmilieu aufrechtzuerhalten. Zum anderen hat sich das Narrativ der Berliner Ortsproduktion schon früh von der containerähnlichen Berliner Geographie gelöst. Es hat sich sukzessiv als ein kulturell-urbanes Narrativ über die Stadtgrenzen hinaus in einen globalen Raum entgrenzt. In den vergangenen Jahren in die Stadt Berlin gekommene kreative Unternehmensgründer und Symbolproduzenten „bedienen“ und adaptieren dieses Modell im Zuge ihrer unternehmerischen Verortungspraxis. Als Steuerungsinstrument und kommunikative Technologie erschließen sie damit Märkte durch eigene symbolische und atmosphärische Aufmerksamkeits-, Darstellungs- und Repräsentationsstrategien. Ihre dabei zu Tage tretenden Grammatiken des Städtischen wurden anhand variationsreicher Space-Place-Relationen vorgestellt. Sie zeigen den Umgang mit territorialen Narrativen ebenso wie die Generierung von neuen Narrativen, die ihnen bei der Steuerung von Erfahrungsräumen sowie der Festlegung und Auflösung von symbolischen Bedeutungen helfen. Sie lenken, ent- und begrenzen soziale Interaktionen und konstituierten dabei flexible Positionen und passende soziale Räume.

4. Szenen und ihre Orts- und Raumlogiken in Berlin Flexible Orte, die nicht der ausschließlich betriebswirtschaftlichen Verwertungslogik unterliegen, funktionieren wegen der Parallelität der in sie eingeschriebenen ökonomischen und symbolisch-kulturellen Praktiken: An den untersuchten Orten überschneiden sich die sozialen und unternehmerischen Beziehungsnetze und generieren einen für alle Akteure essenziellen informationellen Mehrwert. Dieser erklärt sich nicht aus rein ökonomischen, sondern aus transitorischen Zusammenhängen: Die Orte dieser Szenen repräsentieren für die Akteure eine Atmosphäre des Transitorischen, in der das Wissen um die (Erfahrungs-)Logik dieser Ortspolitik den Zugang zu sozialen Beziehungsressourcen und demzufolge wiederum zu Arbeit und Märkten anbietet. Die inszenierten Orte übernehmen dabei die Funktion eines relationalen Systems. Die Akteure verlangen ihrem Ort keine rein finanzielle Leistung ab und haben dadurch als temporäre Betreiber die Möglichkeit, betriebswirtschaftliche Verwertungslogik und kulturelle Symbolpraxis in ein neues Verhältnis zu setzen. Die räumliche Praxis der Akteure kennzeichnet daher das kritische Moment, mit den Qualitäten von Räumen eine Zeit lang kreativ arbeiten zu können. Die Akteure betreiben eine polylokale Ortspolitik, die es ihnen ermöglicht, kurzfristig soziale Beziehungen zu aktivieren und zu verdichten und so im Spiel um soziale Aufmerksamkeiten (erst) wahrgenommen zu werden. Es zeigt sich eine Integration des medialen Raums als konstitutivem Teil in den lokalen Raum, um nicht nur Berlin-basierte Sozialräume zu 313

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generieren, zu etablieren, oder umzuprogammieren, sondern globale Räume medial in den lokalen zu integrieren und diesen dabei systematisch zu entgrenzen: Dabei vollzieht sich in dieser Integration ein Prozess der Transgression, in dem Berliner Ortspolitiken, nebst ihren Aufmerksamkeitserträgen, mit Teilen des globalen Raums verzahnt werden. Die Akteure haben Praktiken der territorialen Umprogrammierung herangezogen, die es ihnen ermöglichen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen unter einem globalen Narrativ, dem des flexiblen Möglichkeitsraums Berlin, zu positionieren und zu inszenieren. Sodann geben die Spacingprozesse dieser unternehmerischen Akteure in der Kreativwirtschaft Aufschluss über mikroglobale Konstituierungsprozesse des Städtischen. Die Typologisierungsprozesse ergaben, dass die untersuchten Akteure versiert mit situativen Gelegenheiten, altbekannten oder neu generierten Sozialitätskontexten und lokal-örtlichen Verständnissen umzugehen wissen. Diese Akteure agieren örtlich reflexiv, brechen aber immer wieder ihre unternehmerischen Verfahrensweisen mit kurzfristigen und ungewohnten Situationspraktiken. Ihre Praxis der Generierung von neuen sozialen Architekturen zeigt performative Züge und verweist auf die Bedingungen einer neuen sozialen Topografie Berlins.

5. Culturepreneurs Zwei Grundfiguren werden thesenartig als Antwort auf die Frage nach der Ausprägung des Strukturtypus Culturepreneur in der Kreativwirtschaft Berlins identifiziert: Die Hybridisierungsthese besagt, dass der ermittelte Strukturtypus als systemischer Brückenbildner zwischen den vormals tendenziell getrennt operierenden Subsystemen Wirtschaft und Kultur positioniert ist. Als kultureller Vermittler gibt sich für den Fall Berlin ein Typus zu erkennen, der in der Lage ist, „soziales Neuland“ (Diederichsen 2000, S. 16) zu schaffen. Auf der anderen Seite wurde anhand der These der Machbarkeitsbehauptung exemplarisch eine Grundfigur angesprochen, die, in Anlehnung an den Institutionsökonom Birger Priddat, diese Akteure in Marktkontexten als „unvollständige Akteure“ charakterisiert (Priddat 2005). Letztere These basiert auf der konzeptionellen Annahme, dass westeuropäische Ökonomien einen Grad an Komplexität aufweisen, der die subjektiven und sozialen Positionierungsbeschreibungen von neuen Unternehmern und deren unvollständige Perspektive auf Marktprozesse – da strukturell unübersichtlich – maßgeblich prägt. Der Beginn einer unternehmerischen Selbständigkeit ist zugleich hochgradig voraussetzungsvoll wie optionsreich. Aufgrund des begrenzten Überblicks über Markt-, Kultur- und Interaktionsgeschehen müssen Entscheidungen, so Birger Priddat, gerade in komplexeren Systemen nicht mehr „verknappt“, sondern vielmehr „ent-knappt“ werden. 314

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Die territorialen Praktiken der Culturepreneurs demonstrieren einen Variantenreichtum, der systematisch als eine Steigerung von Optionen – und somit als Prozess der Entknappungen – zu lesen ist.

6. Szene als ökonomisches Modell Die analytische Kategorie Szene konnte das fragile, transitorische, aber doch konstitutive Verhältnis zwischen Akteuren und Raum im Kontext von Berliner Professionsnetzen adäquat erfassen. „Szene“ ist aber nicht nur ein analytisches Instrument zur Beschreibung von ephemeren und zugleich hochrelevanten Interaktionsbeziehungen. Es lässt sich aufgrund des reflexiven Vermögens dieser Symbolproduzenten auch als ein ökonomisches Modell ansprechen. Dies verweist auf informelle Lebens- und Arbeitsformen, welche die fragile und schwache sozioökonomische Struktursituation Berlins hervorbringt. Als soziale Beziehungsformation übernimmt Szene die Funktion eines kulturellen Inkubators, indem sie bspw. Werte von vormals ideologisch stabilen Subkulturen oder von Randgruppen oder fest gefügte Lebensmuster zu aktualisieren bzw. zu modifizieren in der Lage ist. Doch eine ausschließlich kulturalistische Analyse des transitorischen Szene-Verständnisses als kultureller Inkubator und sozialer Recyclingstruktur übersieht, dass in dieses Modell zunehmend subtile ökonomische Faktoren eingelassen sind. Der flexible Charakter der Orte ist als atmosphärischer Testraum für Symbolprodukte anzusprechen, übernimmt dabei die Funktion eines intermediärenTauschortes und ist Ausdruck der Ökonomisierung der Szenen. Die unsteten, wandlungsbereiten und adaptionsoffenen Lebens- und Arbeitsformen in Szenen korrelieren mit fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten, den als unattraktiv bewerteten früheren Angestelltenverhältnissen sowie den kurzfristigen Projektarbeiten in dezentralen Netzstrukturen. Das Leben und Arbeiten in einer Kreativszene stellt daher nicht nur eine Alternative zum fehlenden Zugang zu einem formalen Arbeitsmarkt dar, sondern geradezu einen sinnstiftenden sozialräumlichen Rahmen, in dem Prozesse der Wiedereinbettung in soziale Beziehungen und Arbeitszusammenhänge weitestgehend informell verhandelt werden.

7. Konsequenzen für den Handlungsbegriff in der Geographie Konzeptionell bereitete das Spacingkonzept von Martina Löw (2001) die analytische Perspektive auf das Verständnis von Raum vor. Dabei wurde ein Handlungsbegriff diskutiert, der, analytisch betrachtet, konsequenterweise als mehrdimensional aufgefasst wurde. Dies erschien angesichts des Rahmens „Berlin“ wichtig, um subjektive Sinnzuschreibungen und Beschreibungen,

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wie die Wirkungs- und Prägekräfte von nicht-subjektiven sozialen Systemen, einzubeziehen. Ein derart erweiterter Begriff von Handlung erwies sich als für die Analyse tragfähig, da die Konzeption des Begriffs Handlungen subjektiv ausgerichtete Zuschreibungen und übersubjektive Struktur- und Kontextdimensionen auf eine gleichberechtigte Stufe stellte. Das Konzept „soziale Praktiken“ eröffnet somit die Option, mit diesem mehrdimensionalen Handlungsbegriff kontextsensitiv die Raumkonstruktionen von kulturellen Unternehmern in Berlin empirisch zu analysieren.

8. Ausblick Die untersuchten Akteure folgen in einem städtischen Krisenkontext einer praktischen Theorie des Handelns, die nicht utopiefixiert ist. In ihrer Praxis demonstrieren sie Werkzeuge einer aktiven Verortung in einer sich verändernden sozialen Landschaft. Ihr räumliches Handeln ist nicht rückwärtsgewandt auf das soziale Modell der europäischen Stadt ausgerichtet, sondern antizipiert vielmehr Optionen, die in der jeweiligen Situation noch gar nicht erkennbar sind. Ihr improvisiertes Handeln ist nicht an einem Maximierungsprinzip ausgerichtet; trotz schwieriger Arbeits- und Existenzbedingungen und unsicherer kultureller Rahmungen wirken die Akteure an der Erzeugung einer eigenen kohärenten Biografie. Diese vernetzten temporären Arbeitswelten irritieren in ihrer Un-Ordnung die etablierten Institutionen. Die vorgestellten Praktiken der Projektnetze operieren informell, prozess- und verfahrensbezogen. Von diesen Akteuren zu lernen, heißt, so Christopher Dell, „kreative Improvisation und Auseinandersetzung mit der Situation anzuerkennen und ihre urbanen Perspektiven, alternativen Planungsstrategien und kulturellen Neubewertungen zu nutzen“ (Dell 2003). Sodann repräsentieren die unternehmerischen Akteure in der Kreativwirtschaft ein flexibles und zugleich situatives Urbanitätsmodell. Culturepreneurs verbinden ihre unternehmerischen Narrative reflexiv mit den sich zunehmend hybridisierenden und globalisierenden Narrativen der Stadt Berlin. Sie geben sich als ein neuer, adaptionsoffener und unvollständiger unternehmerischer Sozialraumtypus zu erkennen. Im Strukturkontext der in Berlin neu emergierenden Kreativwirtschaft operiert dieser Typus weniger in explizit undurchsichtigen unternehmerischen Verfahren. Vielmehr legt er Methoden des systematischen und durchdachten Inkrementalismus an den Tag. Dieser Organisationsmodus des performativen und regelrecht wilden Agierens in schwach definierten Strukturbahnen arbeitet mit örtlichen Provisorien und baut auf diesen auf.

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Die Potenzialität des Integrationsmodus Szene erklärt sich zudem dadurch, dass die „vor Ort“ operierenden Symbolproduzenten gegenüber traditionellen Kultur- und Vermittlungsinstitutionen, wie bspw. Arbeitsagenturen, Messen oder auch kollektive Interessenvertretungen, signifikant anders handeln. Die hier im Fokus stehenden intermediären Mikrorelais haben organisatorische Verfahrensweisen und gemeinschaftlich-integrierte Projektsteuerungen ihrer Tätigkeiten in einem nachhaltigen krisenhaften Kontext verortet und regelrecht wieder neu erfunden. Sie weisen oftmals weitaus bessere städtische Passungen auf. Die in dieser Arbeit rekonstruierten Orts- und Arbeitsformationen lassen sich darüber hinaus auch als Teil eines gesellschaftlichen Phänomens ansprechen. Die temporären Projekte der Culturepreneurs sind zwar mitunter durch instabile Finanzierungsgrundlagen bestimmt. Ihre international ausgerichteten Arbeitsnetze zielen neben der Einlösung eines symbolischen und Autonomiegewinns aber parallel auf den Aufbau eines zweiten sozialen Sicherheitsbodens. Diesen Solidarnetzen kommt in existenziellen Krisen eine wichtige Rolle zu. Da die Akteure weder traditionell und essenziell „lokal“ ausgerichtet sind, beziehen sie sich nicht ausschließlich auf ihre sozialen und milieuspezifischen Ursprungsressourcen. Sie sind vielmehr in vielschichtige internationale Wissens- und Informationsnetze mit passfähigen Handlungsfeldern integriert, ohne ihre Beziehung zum Ursprungsmilieu vollständig aufzugeben. Ihre Ökonomien der Aufmerksamkeit lassen sich als versiertes Taktieren mit dem stadtregional, sozial und institutionell Krisenhaften verstehen. Von diesen krisenerprobten Akteuren zu lernen, heißt, kreative Improvisation und Auseinandersetzung mit der Situation anzuerkennen, um daraus urbane Perspektiven sowie planungs- und kulturpolitische Verfahren zu entwickeln.

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Danksagung

Viele Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde haben mich auf dem Weg der Fertigstellung dieser Arbeit unterstützt. Bei allen möchte ich mich ganz herzlich bedanken: Insbesondere gebührt mein Dank Jürgen Hasse und Martina Löw für die Betreuung der Arbeit; ebenso möchte ich mich bei Regina Bittner und Walter Prigge für die inspirierenden Jahre am Kolleg der Stiftung Bauhaus Dessau bedanken. Für zahlreiche Gespräche, Kritik, Hinweise und Korrekturlesen bedanke ich mich ganze herzlich bei meinen Interviewpartnern im Feld sowie bei Werner Bischof, Dana Bleeck Kerstin Büttner, Monika Dittrich, Alexa Färber, Melanie Fasche, Malte Friedrich, Henrik Gasmus, Corinna Kennel, Michael Kraus, Christine Nippe, Harald A. Mieg, Andreas Pott, Silke Steets und Birgit Stöber. Berlin, März 2007

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Materialitäten Bastian Lange Die Räume der Kreativszenen Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin Mai 2007, 332 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-679-3

Evelyn Lu Yen Roloff Die SARS-Krise in Hongkong Zur Regierung von Sicherheit in der Global City März 2007, 166 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-612-0

Robert Gugutzer (Hg.) body turn Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports 2006, 370 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-470-6

Helmuth Berking, Sybille Frank, Lars Frers, Martina Löw, Lars Meier, Silke Steets, Sergej Stoetzer (eds.) Negotiating Urban Conflicts Interaction, Space and Control 2006, 308 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-463-8

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de