Die Religion nach ihrer Quelle, ihren Gestalten und ihren Entwicklungen: Band 3 [Reprint 2019 ed.] 9783111425870, 9783111061047

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Die Religion nach ihrer Quelle, ihren Gestalten und ihren Entwicklungen: Band 3 [Reprint 2019 ed.]
 9783111425870, 9783111061047

Table of contents :
Inhalt des dritten Bande
Viertes Buch. Don den wesentlichen Bestandtheilen des Priester-Polytheisms
Siebentes Buch. Von den wesentlichen Bestandtheilen des von der Leitung der Priester unabhängigen Polytheisms
Achtes Buch. Nothwendige Abschweifung über die dem Homer zugeschriebenen Gedichte

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Die Religion, nach

ihrer Quelle, ihren Gestalten und

ihren Entwickelungen. Don

Benjamin Constant. Mit Vorwiffen des Verfassers aus dem Französischen übersetzt, und mit einigen Anmerkungen

Deutsch herausgegeben von

Dr. Philipp August Petri, Prediger zu Lüethorsi im Königreiche Hannover.

6 Xtyaiv, r- ol xgiial qtvaiv dv&QüHilvqv f/opev. lIXaTtov.

Dritter

Band.

Berlin, bei

G.

Reimer.

1 8 2 9-

Inhalt de-

dritten

SechsteVon

Bande-.

Buch.

den wesentlichen Bestandtheilen des Priester-Polythei-ms. Erstes

Capitel.

Don der Verbindung des Dienstes der Elemente und der Gestirne mit dem Fetischdienste. Zweites

12

Capitel.

Don der geheimen Lehre der Priesterschaften de< Alterthums. Viertes

7

Capitel.

Bon dem volk-mäßigen Theile de- Priester-PolytheiSms. ----Drittes

Seite

22

Capitel.

Beispiel der obigen Verhältnisse bei den Aegyptern.

72

Fünftes Capitel. Seite Beispiel derselben Verhältnisse in der Religion In­ diens. -------- 108

Sechstes

Capitel.

Von den Ursachen, bie diese Verhältnisse in Indien beschränkt haben, ohne gleichwohl über die Ein­ wirkung des Prlesterthums den Sieg davon zu tragen.................................................................. 213

Siebtes

Capitel.

Daß wir Beispkekö derselben Verhältnisse bei allen Völkern finden können, die Priestern unterworfen sind......................................................................... 266

S s e k> k e s

Buch.

Bestandtheilen des von der Leitung der Priester unab­ hängigen P-olytheisms. Von

den- wesentlichen

Erstes

Capitel.

Daß die im vorigen Buche geschilderten Verhältnisse keine Bestandtheile des PolytheismS sind, der den Priestern nicht unterworfen ist. -

Zweites

309

Capitel.

Von dem Zustande der Griechen in der rohen oder Heldenzelt. -------

313

Drittes Capitel. Von einigen Fragen, die beantwortet rverdcn müssen, bevor ich in meinen Untersuchungen werter gehe.

318

Viertes Capitel. . Sette Won dem Gesichtspuncte, aus welchem ich den Polytheism der Heldenzeit betrachten wlll. - 317 Fünftes Capitel. Verschönerung der Göttergestalten im Homerischen Polytheism.......................................................... 355

Sechstel Capitel. Von dem Character der Homerischen Götter.

-

366

970.

578 der Pelide den Leichnam seines besiegten FeindeS

verhöhnt, ihren Beifall.x)

Apoll nimmt, um den

Patroklos zu hintergehen, seine Zuflucht zu einer Hinterlist, über die ein Sterblicher erröthen würdet)

Die Kinder der Leto opfern ihrer Mutter eine unschuldige Familie.3 1)2

Here überliefert, um ihre

Rache desto ungehinderter zu befriedigen,

ihrem

Gemahle die Völker, die ihrem Dienste am eif­ rigsten ergeben waren, und ihre Altäre am sorg­

fältigsten bedacht hatten. 4)

Alle Götter verfolgen

den Bellerophon mit ihrem ungerechten Haffe.5)

Andere Mahle find sie Anstifter des Verbre­ chens.

Hermes lehrt den Autolykos, geschickt zu

rauben.6)

Die dem Diomevr» zürnende Aphro­

dite verführt feine Gemahlinn.7)

Um sich an

der Mutter Myrrha's zu rachen, reifet sie ihre

Tochter zu einem Verbrechen. 8)

Wenn Helena

von Gewissensbissen erschüttert zu werden scheint, 1) Ilia«, XXIV, 25. 26. 2) Daselbst, XVI, 785.790.

S) Daselbst, XXIV, 602*609.

4) Daselbst, IV, 40 * 63. 5) Daselbst, VI, 200-202. 6) Odyff. XIX, 395-398. 7) Schob Homer, ad Iliad. V, 412. 8) Schob Theocrit. Idyll. I.

579 zwingt sie sie, im Ehebrüche zu beharren, und eS

ist dieß keine sinnbildliche Darstellung.r) Liebe

Die

hat mit der neuen Schwachheit Helena'S

nichts zu schaffen.

Aphrodite zwingt sie dazu durch

rdhe, und fast grobe Drohungen.

Helena, aus

Furcht nachgebend, macht Aphrodite'» beleidigende

Vorwürfe, a) und ihre Rede ist vorzüglich wegen der Vorstellung bemerkenswerth, die sie von dem

Verhältnisse giebt, das nach der Religion der Hel­ denzeiten zwischen den Gittern und den Menschen

besteht.

Gleichwohl werden eben diese Gitter zu Gun­

sten der Sittenlehre angerufen. Priamos beschwört den Achill, sich ourch seine Menschlichkeit gegen

ihn die Gunst der Unsterblichen zu erwerben.3 1)2 Menelaos bittet den Zeus, die gekränkte Freund­

schaft und das Gastrecht zu rächen; aber man

muß das, was die Menschen sagen, von dem, was die Götter thun, unterscheiden.

Bittende

und Gekränkte reden in ihren Bitten mehr die Sprache ihres Vortheils, als die ihres Glaubens.

1) S. was ich über die flnnbildlichr Darstellung zu Anfänge dieses Capitels gesagt habe. 2) Ilias, III, 390=420. 3) Ilias, XXIV, 503.



38o



Bei Prüfung der Religionen hält man zu­

weilen Lehren, die mehr das Bedürfniß des Bei­

stände- der Götter, als ihren wahren Eharacter bezeichnen, für ein vollständiges System der Sitten­

lehre.

Man rühmt ihre Gerechtigkeit, wie man

die Gerechtigkeit der Könige rühmt, um sie zu vermögen, gerecht zu. seyn.

Was die Menschen

in der Leidenschaft von ihnen erflehen,

beweist

nicht, was sie von ihnen hoffen; sie rufen sie an, weil der hülflose Schmerz und die ohnmächtige

Erbitterung sich ohne Unterschied an alle Gegen­ stände wenden, die sich ihnen darbiethen.

Selbst

ehe die Rettgwn der Sittenlehre pflichtmäßig zu Hülfe kömmt, rufen die Mensch«» die Gitter gegen

die Ungerechtigkeit um Beistand an,

wie bei'm

Sophokles der von aller menschlichen Hülfe ver­

lassene Philoktet die Felsen, die Berge, die Wälder von Lemnos, diese stummen und gefühllosen Zeugen seiner Verzweifelung, um Rache an Odysseus an­

ruft. *)

Diese Anrufung unsichtbarer Kräfte beweist

das Unglück, nicht aber das Vertrauen. Diese Bemerkung leidet sogar auf die Be­ strafung

des Meineids Anwendung,

1) Sophocles, Philoct. 981, 986

welche die

581 Götter gleichwohl von Amtswegen verhängen müssen. Es ist Agamemnon, es ist Jdomenrus, es sind

Griechische Heerführer, welche den Trojanern, die

sich dieses Berbrechens schuldig gemacht haben, verkünden, daß der Zorn deS Himmels über sie kommen werde; *) und es muß dabei bemerkt

werden, daß die Folge ihre drohende Borherver­ kündigung nicht rechtfettigt.

Richt daß daS Schick­

sal den Fall Troja'S beschlossen hätte, weil die

Trojaner einen Meineid begehen, sondern die Götter

reitzen die Bewohner Troja's vielmehr, den Krieg durch einen Eidbruch zu erneuern, um die Zer­

störung des noch unschuldigen, wenigstens dieses Verbrechens noch nicht schuldigen, Troja herbei­ zuführen.

Troja, das bestimmt ist, im zehnten

Jahre der Belagerung zu fallen, °) fällt darum, weil die Trojaner einen Vertrag brechen, weder früher, noch später.

Der Olymp bleibt zwischen

den Vertheidigern und den Feinden jener Stadt

getheilt.31) 2 Die Götter, welche sie beschützen, sagen sich nicht von ihr los, weil sie die Heiligkeit deS

Eides verletzt hat.

Sie sind darum nicht weniger

1) Ilia», IV, an mehren Stellen. 2) De« Kalcha« Vorherverkündigung in der Ilia«.

3) Ilia«, IV, 439. 507. 516$ XX, 32.

38» bemüht, die Unglücksstunde der Stadt, welche fie

lieben, durch alle in ihrer Macht stehende Mittel zu verzögern.

Auch wissen die Menschen nur zu gut, wie erfolglos ihre Zuflucht zu der Gerechtigkeit der

Götter ist.

Derselbe Agamemnon, welcher den Zeus

um Hülfe anruft, beschuldigt ihn bald darauf der

Lüge und der Treulosigkeit;*) und Menrlaos hält sich in demselben Augenblicke, in welchem er ihn

anruft, wegen aller Leiden, die ihn treffen, an ihn.1 2)

Diese Wesen, die sich das religiöse Gefühl

geschaffen hatte, um das Bedürfniß der Anbethung bei ihnen

zu befriedigen,

werden eher Gegen­

stände des Haffes und der Furcyt, als der Liebe und

der Hoffnung.

Agamemnon bedient sich,

indem er vom Als redet, eines Ausdrucks, welcher bemerkt zu werden verdient.

Als, sagt er, ist

unerbittlich und unbiegsam; er ist von allen Göt­ tern derjenige, welchen die Sterblichen am meisten

Haffen. 3)

Die Völker sind gegen die mächtigen

aber treulosen Hülfebringer, denen sie sich unter­

worfen haben, auf ihrer Huth. Diese fesseln sie in 1) Ilias, IX, 18. 25. 2) Daselbst, XIII, 629 u. ff.

3) Ilias, IX, 158. 159.

385

ihren Tempeln, damit sie sich nicht mit ihren an

Eidschwüren und Versprechungen reichen Feinden verbinden könnens) jene sprechen ihre heiligen Nahmen nur mit leiser Stimme aus, damit Fremde nicht lernen, wie man sie anrufen muß, und so außer Stande sind, sie zu verführen. 1 2) Als AiaS

sich zu'm Kampfe mit Hektor anschickt, ermahnt er die Griechen, ganz leise zu flehen, damit die Trojaner sie nicht hören können. 3)

Alle Völker

1) Die LakedLmonier hatten eine Bildsäule von eipem ge­ fesselten Ares; die Athener hatten der Nike die Flügel

genommen. Jene, sagt Pausanias, (Lacon. 15.) waren der Meinung, daß fie Ares in Ketten nicht würde ver­ lassen können, und diese, daß die ivrer Flügel beraubte Nike auf immer lynen bleiben würde. AlS diese rohen Vorstellungen reineren Begriffen Platz gemacht

hatten, ersannen die Griechen andere Gründe, Götter in Fesseln zu legen, oder, bestimmter zu reden, sie

erklärten auf eine andere Weise, warum gewisse Götter

angefeffelt waren.

Die Kunst, sagten sie, hat ihnen

Leben und Bewegung gegeben; man muß sie fesseln,

um sie zu bewahren.

(Jacobs, Ueber den Reichthum

der Griechen an plastischen Kunstwerken, (Gotha, 1810.)

S. 17.) Auf solche Weise verschwinden bte ersten Vor­

stellungen, die Gebräuche bleiben; man findet neue Gründe für sie. 2) Helenoö schlägt den Trojanern vor, Pallas zu verführen. (Ilias, VI, 89.) 3) Ilia-, VII, 194*196,

Er setzt dann hinzu: „Oder viel-

584 geben zu, daß fich die Nationen durch reiche und

geschickt angebrachte Spenden ihre Götter wechsel­

seitig rauben können.x)

So gehören folglich die

mehr flehet ganz laut, denn wir haben nichts zu fürch­ ten." Diese letzte Aufwallung ist dcmCharacter deS Aias, dessen Muth unS immer als feurig dargeftellt wird, ange­ messen; aber die erste Empfehlung stimmt zu den Sitten der Zeit. Wir werden sehen, wie die Römer, in einer noch regelmäßigeren Form, dieselbe Vorsicht gebrauchen. 1) LlS die Aegineten fich gegen die Epidaurier empört hat­ ten, raubten sie ihnen die Bildsäulen der Damia und Auxesia, der Schutzgöttinnen von Epidauro«, und mit Demeter und Persephone eins. Sie stellten sie mitten auf ihrer Insel auf, und suchten durch Opfer, die sie ihnen darbrachten, sich ihre Tunst -u erwerben. (H erodot.V,83. Pau« an. 11,32; ¥111,53. Festus, voce Darnium sacrihc. M«crob. Lat. VII, 12.) Diese Feilheit der Götter war ein so oagcumner Glaube, daß eS die erste Sorge der Griechen war, wenn sie sich eines Landes bemächtigten, die Götter desselben zu ver­ führen. Als Solon Salamis erobern wollte, fing er damit an, den Helden PeriphemoS und KychreuS, welche die Häupter des Landes gewesen waren, Opfer zu brin­ gen. (Plutar ch. in Solon.) OxyloS that bei dem Einfalle in EliS dasselbe. (Paus an.Elid. II.) Zu dieser Meinung gesellte sich eine der Würde der Götter nicht minder nachtheilige Vorstellung, die Vorstellung nähmlich, daß die Götter gezwungen wären, ihren Standbildern zu folgen, selbst wenn man diese mit Gewalt nahm. Allein diese Vorstellung ist keine rein Griechische; eö ist eia Priefterbegriff, der wahrscheinlich nach Griechenland verpflanzt worden war.

585 Götter in diesem Zeitpuncte der Religion, so zu sagen, allzeit dem Meistbiethenden.

Ihre Gunst

ist kein Beweis des Verdienstes, ihr Haß macht

weder Schimpf noch Schande. Der Gehorsam gegen ihre Befehle ist ein Mittel, ihnen zu gefallen, aber keine Tugend; Widerstand oft ein Mittel,

Ruhm zu erlangen, oder gar einen günstigen Erfolg davon zu tragen.

gelangt Herakles

Wider den Willen der Here

in den

Olymp;

wider den

Willen Poseidon'- sieht LdyffeuS Ithaka wieder. Wenn die Götter ihren Günstlingen zu Zeiten gewisse Eigenschaften, zu'm Beispiele, Klugheit,

Mitleiden, *) Muth, einflößen; so geschieht das bei einer besonderen Veranlassung, zu einem be­

stimmten Zwecke; 1 2) es ist ein Wunder, eS ist Feerei.

ES handelt sich nicht um sittliche Besse­

rung,

um eine feste und unveränderliche Regel

des Verhaltens; denn ein anderes Mahl lehren 1) Der Beweis, haß dieß nicht allgemein gilt, ist der, daß, al» Agamemnon in einer Rede von gränzenloser Roh­ heit und Grausamkeit auf das Flehen des entwaffneten Adrast antwortet, und den MenelaoS verhindert, ihm dat Seben zu schenken, die Gitter diese Grausamkeit ganz und gar nicht mißbUligrn. 2) Ilias, ix, 255. 256; XX, 110. Dritter Band.

25

zS6 sie daS Gegentheil von solchen Eigenschaften. Di« Götter haben Dir ein grausames und hartes Herz gegeben, sagt Aias zu Achill.') Eifersucht ist ein wesentlicher Theil ihres Cha­ rakters. Sie sind, sagt Homer,2) nicht bloß eifer­ süchtig auf den Erfolg, sondern auch auf die Geschicklichkeit und das Talent. Jedes sterbliche Glück macht den göttlichen Stolz rege. 3) Dieser unversöhnliche Stolz erwartet Menschen und Reiche auf dem Gipfel deS Glücks, um sie in den Ab, gründ zu stürzen. 1) Ilia«, IX, 636.

2) Daselbst, VH, 455. 3) Dieser Begriff vo» der Eifersucht der Sitter geht durch

otte Zeiträume M religiösen Glauben-, ohne je ganz za erlöschen.

Indem euere- eben die Vorsehung läugnet,

erkennt er eine eifersüchtige und boshafte Macht an. die'sich darin gefällt, menschliche Größe -u stürzen.

Usque adeo res humanas vis abdita quaedam Obterit, et pulehros fasces saevasqne sectrres Proculcare, ac ludibrio sibi habere videtur. V, 1232. 4)

Maa

findet

bei

den

neueren Griechen

eine ziemlich

merkwürdige Spur von der alten Vorstellung, daß die

Götter auf alle- rn-gezeichnete eifersüchtig sind.

Sie

haben den Glauben, Lobeserhebungen könnten der Per­ son,

die der Gegenstand derselben, oder der Besitzer

der bewanderten Sache

ist,

großes Unglüek ^ziehen,

und bitten den unvorsichtigen Lobredner inständig, die

387 Die Götter, die solcher Gestalt in Len sitt. lichen Eigenschaften, mit denen das religiöse Gefühl sie so gern geschmückt hatte, wieder erniedrigt wer­ den, verlieren zu einem großen Theile auch die Beizeichen, die es ihnen in seiner Ehrfurcht ver­ liehen hatte, als Unendlichkeit, Unermeßlichkeit, Ewigkeit, sogar die Unsterblichkeit. Ihr Blick reicht weithin, weil sie auf dem Gipfel der Welt wohnen; allein sie sehen nicht alle-, was darin vorgeht. *) Wenn sie von den Begebenheiten der Erde unterrichtet seyn wollen, schicken sie Bothen hinab, die sie ihnen berichten. 2*)1 Um die Tro­ janer und Griechen zugleich sehen zu können, begiebt sich Zeus auf den Ida.3) Während er seine Blicke auf Thrazien richtet, bringt Poseidon, Folgen seiner Lobsprüche durch irgend ein Zeichen von Geringschätzung, daS den himmlischen Zorn entwaffne, abzuwendcn. (Pouqueville, Voyage en Morde.) 1) Die Vorstellung, daß die Götter nicht AllcS wissen, erhielt sich noch lange nach der Zeit deS Homerischen PolytheismS bei den Griechen. Xenophon sagt: ,,Die meisten Menschen sind der Meinung, daß die Götter gewisse Dinge wissen, und andere nicht wissen, allem Sokrates glaubte, daß die Götter AlleS wissen." Memorab. Socrat. I, 1; LI, 19. 2) Ilia- und Odyssee, an mehren Stellen. 3) Daselbst, V1U, 51; XI, 81; XX, 22.

588

gegen seinen Befehl, den Griechen Hülfe, und Poseidon selbst würde die Gefahr dieser Griechen, die er begünstigt, nicht gekannt haben, wenn er

nicht von dem Gipfel eines Berges herab, auf den er sich zufällig gesetzt hatt», ihre Flotte bedroht

und die Trojaner siegen gesehen hätte. *)

ASka-

laph wird ohne Wissen des Ares, seines Vaters, getödtet, e) der seinen Tod erst aus dem Munde der Here erfährt. 3 1)2 Obgleich der Scharfblick die

unterscheidende Eigenschaft der Pallas seyn sollte;

so beklagt sie sich doch bitter, die Zukunft nicht vorhergesehen zu haben. 4)

Die Götter erfreuen

sich deS Tageslichts nicht eher, als bis EoS es ihnen wiederbringt; 5) oft fallen sie in Schlaf,6)

oder unterliegen der Anstrengung. 7)

Here wirft

dem ZeuS vor, ihre Arbeiten und ihren Schweiß,

so wie die Anstrengungen ihrer Rosse, unnütz zu 1) 2«a« und Odyff. XIII, 3. 16. 2) Zlias, XIII, 521.

3) Daselbst, XV, 110. 112. 4) Daselbst, XVIII, 366. 5) Daselbst, II, 48.5S; XI, 1. 2. Odyff. III, 1.2; V, 1.2. 6) All« Götter schliefen, Herme« ausgenommen.

Ilia«,

XXIV, 677. 678.

7) Daselbst, II, 1.2; XIV, 233; XV,4.11; XX1V, 677. 678.

589 machen. *)

Hermes beklagt sich,

über den un,

wirthlichen Ocean, eine unendliche und öde Fla­

che, die menschliche Wohnungen nicht verschönern, eilen zu müssen.

Wollen sie ein Heer in die

Flucht schlagen, so mißtrauen sie ihrer natürlichen

Stärke,

und nehmen ihre Zuflucht zu Mitteln,

die zu den Zauberkünsten gehören,

und dadurch

um so mehr die Unzulänglichkeit der Götterkräfte verrathen. 1 2)

Sie schwingen vor den Augen der

Kämpfer die furchtbare Egis, die überall Schrecken verbreitet. 3)

Allerdings sind sie im allgemeinen

stärker, al« bi« Manschen.

Pallas flößt mit einem

Hauche den Speer Hektor's zurück. 4)* Here ereifert sich, auf Hindernisse in einer Unternehmung zu stoßen, die sogar ein Sterblicher würde zu Stande

bringen können. $)

Achill erkennt schaudernd, daß

Apoll seiner Rache Trotz biethen kann. 6)

Aber ihre

Kräfte sind darum nicht weniger beschränkt.

Ihre

Schönheit verdanken die Göttinnen dem ambro1) Sita#, IV, 26-28» 2) Der Helm des Als matte den Sott, welcher ihn trug, unsichtbar. Ilia«, V, 846. 3) Odyff. XXII, 297.298. 4) Ilias, XX, 437. 438. 6) Daselbst, XVIII, 362 -367. 6) Daselbst, XXII, 19. 20.

59o

fischen Lehle, *) diesem unsterblichen Lehle, das ihren Reitzen einen neuen Glanz giebt; ihr reines

Blut dem Umstande, daß dieselbe Ambrosia den unter dem Steine zerriebenen Waitzen und die von dem Winzer getretene Traube vertritt; °) ihr schnelles Kommen und Gehen der Schnelligkeit

der merkwürdigen Rosse,

von denen sie gezogen

werten;3 1)2 4 denn die Gitter können auf die Men­ schen nicht einwirken, ohne sich ihnen zu nähern,

und ihr bloßer Wille würde sie nicht von einem

Orte zu einem andern versetzen sinnen.

Pallas

und Hermes haben wundervolle Sohlen unter den

Füßen, *) die sie auf dem unermeßlichen Meere und auf der weithin sich ausdehnenden Erde tragen. Sie nehmen nach Gefallen jede Gestalt an,5) aber

sie werden. Trotz ihrer Verkleidung, oft erkannt. 6) Die einzige unbeschränkte Eigenschaft der Götter

ist das Gehör.

Sie hören Alles, obgleich sie nicht

1) Ilia», XV, 320«323. 2) Odyff. V, 211*218. 3) Ilia«, V, 339. 4) Odyff I, 96*98$ V, 44*46. 5) Ilia«, IV, 389. 390. 6) Daselbst, II, 790*795; UI, 121*124 und an mehren

Stellen.

39i Alles sehen.z)

Die Menschen bedürfen eS, daß

die Gitter hören, nicht aber, daß sie sehen können.

Ein stumme- Volk würde seinen Göttern ein viel schärfere- und weitere- Gesicht geben.

Die Borstellung de- Todes scheidet sich sehr schnell von den Meinungen de- Menschen über das göttliche Wesen.

Da der Tod da- ist, roaS

er am meisten fürchtet,

so eilt er, die Götter

von dieser harten Bedingung seine- eigenen Lebens zu befreien.

Indessen sind die Götter Homer'S

in der vollen Bedeutung dieses Wortes noch nicht

unsterblich.

L>kr Schwäche» Vc6 Alter- verschonen

sie nicht immer.

Unvorhergesehene^ Unfälle, ihre

innere Zwietracht, die Kühnheit der Menschen, können ihrer Laufbahn ein Ziel setzen.

Herakles

stiehlt den Delphischen Dreifuß; Apoll will mit

ihm kampftn und ihn tödten, und Zeus eilt, seine beiden Söhne zu trennen.

Hephästos, der

von seiner Mutter vom Himmel hinabgestürzt wird, rettet das Leben nur durch den Beistand der The­ tis. s)

Vom Schlafe getäuscht, sucht ihn Zeu-

im ganzm Olymp, um ihn in den Wellen um1) Ilia«, in, 396. 397; XVII, 322. 323. 2) Daselbst, XVI, 615. 616.

59» kommen zu lassen.l)

Don den Aloiden in Ket­

ten gelegt, stufet Ares dreizehn Monathe lang In

einem finsteren Kerker, und schon war feine Kraft erschöpft, als Herme- ihn befreite.2)

Bon dem

Schicksale seines Sohne- Askalaph unterrichtet,

schwört derselbe Gott, ihn zu rächen, sollte er auch von der Hand des Zeus sterben müssen. 3)4

Endlich hatte, zu Folge einer, und wahrscheinlich der ältesten von den Griechischen Sagens) der

Schwur bei'm Styx seinen Ursprung von dem Glauben erhalten, daß das Wasser diese- Flusses

für die Götter rövriich fty.

I.» uti Folge kamen

andere Sagen, statt dieser, auf; der Schwur bei'm

Styx war ein unverletzbares Gelübde, berichten uns Hesiod 5) und Heliodor,6) weil Styx, die

Tochter des LkcanoS, die auftührerischen Titanen bekämpft hatte.

So folgen die Mythen auf ein­

ander, wenn die Vorstellungen wechseln. 1) Ilias, I, 591.592; XVUI, 395. 398. 2) Daselbst, XIV, 257. 258.

3) Daselbst, V, 385. 4) Daselbst, XV, 116. 118. 5) ©. Herrmann, Abriß der Griechischen Gitterlehre nach Homer und Hesiod. 2h. 1. kung zu Herodot, VI, S. 101.

6) Hesiod. 397.

Larcher, Anmer­

395 Bis zu'r menschlichen Natur erniedrigt, nehme»

die Gitter nun auch die Sitten und Gewöhn«

heiten der Menschen an.

HephästoS, den Aphro­

dite betrogen hat, fordert von ihrem Vater die Geschenke zurück,

die er ihm gemacht, um die

Hand dieser ungetreuen Göttinn zu erhalten.x)

Zeus giebt seiner Tochter Persophene Sicilien. ®) Nachdem Ares den Sohn Poseidon'- getidtet hat,

wird er auf dem Hügel, wo der Areopag feine Sitzungen hielt, von einem Gerichtshöfe von Git­ tern gerichtet.

Apoll singt und weißagt bei den

himmlischen Nesiea, wie tote Rhapsoden und Wahr­ sager bei den Gelagen der Könige.

Als Artemis

und Apoll den Drachen Pytho getidtet haben,

kommen sie zu'm Aegialeus, um von diesem Morde

gereinigt zu werden; und nachdem derselbe Gott einen Räuber, der Delphi beraubt, getidtet, läßt er sich auf Kreta reinigen.

So lange der Ge­

brauch der Wagen bei den Sterblichen selten ist, gehen die Götter zu Fuße.

Meere, Berge und

Wüsten legen ihren Wanderungen Hindernisse in

den Weg.

Sie vermeiden auf ihren Reisen die

1) Odyff. VII, 313. 2) S. über dieß vom Himmel auf die

Erde gebrachte

Lnakalypterifche oder Hochzeit-geschenk, Diodor, V, i.

594 unwirthlichen Gegenden, die ihnen die Nahrung versagen würden, welche für sie gehört, eine Nah­

rung, welche oft der der Menschen gleicht, oder

sich höchstens nur dadurch von derselben unter­ scheidet, daß sie aus einem reineren und mehr

ätherischen Stoffe besteht.*) Die Feste der Götter sind eine sehr auffal­ lende Nachahmung der Gewohnheiten

der Erde

in einem Zeitraume, wo die physischen Genüsse

ausschließlich die wenigen Augenblicke ausfüllten,

die der Krieg den Häuptern der Völker übrig lies. Bei diesen Festen nehmen Ole Törrer, vke sich zu

andern Mahlen mit dem Lpferrauche zu begnügen

scheinen, ihren Theil menschlicher Speise zu sich.

Zeus weilt gern bei den Aethiopiern, deren Fröm­ migkeit glänzende Tische für ihn anrichtet, deren

köstliche Gerichte ganz geeignet sind, seine er­ schöpften Kräfte zu stärken, und ihm von seinen 1) Zuweilen begnügen sich die Götter Homer'- bloß mit

dem von den Opfern aufsteigendem Rauche; andere Mahle scheinen sie von den Speisen, die man ihnen austrägt, wirklich zu effen.

Verzeihen wir den Griechen^ diese

rohen Vorstellrurgen. Noah, sagt die Genesis, opferte

bei'« Herausgehen au- der Arche, und der Herr roch

den lieblichen Geruch. (1 Mos. VIII, 20. 21.)

295 Anstrengungen Erhohlung zu gewähren.x)

Die

mit Bestellung einer Dothschast auSgeschickte Inkann sich ihres Auftrages nicht ftüh genug entle­ digen, um nach Aegypten zuröckzukehren, und ihren

Antheil von einem Feste zu erhalten. *) Poseidon vergißt bei Tische seinen Haß gegen LdyffeuS,

bringt in Aethiopien siebzehn Tage zu, und ge­

wahrt den König von Ithaka erst am achtzehnten.31)2 1) Ilia», I, 423-425. 2) Daselbst, XXIII, 205. 208.

3) Odyff. I, 26. Diese GLtterfeste, Leren Schauplatz, wie man steht, fast immer bei den Aetbiopiern ist, können auf eine Aegyptische oder Aethiopische Feierlichkeit Bezug gehabt haben. Alle Jahr kamen nähmlich die Aethiopier nach Theben in Aegypten, höhlten die Bildsäule beS Jupiter Ammon, brachten ste auf ihre Gränze, und feierten daselbst ihm zu Ehren ein Fest. (Diodor. II. Eustath. ad Iliad.) Dieß Fest, daü wahrscheinlich zwölf Tage dauerte, weil man annahm, daß die Home­ rischen Götter zwölf Tage in Aethiopien verweilten, (Poseidon macht stch den Borwurf, sich daselbst noch län­ ger verweilt zu haben,) hatte offenbar eine astronomische Bedeutung. Die Scholiasten Homer'- deuten es an (S. die von Billoison herausgegebenen Scholien); aber Homer, oder richtiger, die Verfasser der Ilia- bezwei­ felten es nicht. Der Ursprung und geheimnißvolle Sinn der Mythe war in Griechenland in Vergessenheit gera­ then, und nur die buchstäbliche Bedeutung hatte stch in der Meinung des Volks erhalten.



S96



Für solche Wesen kann der Mensch keine tiefe

Ehrfurcht hegen, und indem ihr Wille aufhört, geachtet zu «erden, wird er lästig.

Der Mensch

versucht demnach, sich von ihnen loszumachen, und bei einem rohen Volke, dessen sämmtliche Gewohn­

heiten kriegerischer Art sind, gränzt der Gedanke deS Widerstandes an den des Kampfes; auch sehen

wir kühne Krieger die Unsterblichen angreifen, sie verwunden, sie in Fesseln legen.

Ltos und Ephi-

altes werfen den Ares in einen Kerker, und lassen

ihn über ein Jahr darin

schmachten; *) Idas

kämpft mit Wurfspießen gegen Veu «poll;") Di­

onysos entkömmt dem Lykurg durch die Flucht;3)

Laomedon droht dem Phöbos und dem Poseidon, sie auf irgend eine entlegene Insel bringen, und

nachdem er ihnen die Ohren abgeschnitten, ver­ kaufen zu wollen.4) Diese Kämpfe sind bei Homer keine sinnbildliche Darstellungen, sondern Sagen, die dem Geiste einer Religion, die in den Göt­ tern nur mächtige Menschen sah, völlig entsprechen.

AlS Aphrodite von Diomed verwundet wird, «rlei’l) Ilia«, V, 385. 2) Das. IX, 555. 556. 3) Das. V, I3Y.

4) Das. XXI, 453--455.

597 bet sie furchtbare Schmerzen, und würde den Olymp

nicht erreichen können, wenn ihr Are- nicht seinen Wagen und seine Rosse anb-the.x)

Bald darauf

entkömmt dieser Gott selbst nur mit genauer Noth dem Sohne des Tydeus, und wenig fehlt, so

tödtet oder verstümmelt ihn der Streich, den er empfängt.a)

Herakles trifft, vor seiner Ber-

götterung, die Here mit seinen Pfeilen in die

Brust,3) und den Als in die Schulter;*) der elndringende Pfeil bleibt darin sitzen,5) und der

Herr der Unterwelt schleppt sich mit Mühe zu'm Himmel, tvv PLV» nur geschickter Hand das Blut

stillt und die Wunde heilt.6) Bleiben wir hier stehen, um zu erwägen, wie

weit und auf welche Weise die Götter von ihrer ursprünglichen Bestimmung abgekommen sind. Der Mensch hatte sie für sich geschaffen, und siehe!

sie sind nur noch für sich selbst da.7) 1) Ilia«, V, 290«335 ?

Obwohl

354-358.

2) Das. V, 858. 885.

3) Das. V, 392. 4) Das. V, 395. 5) Das. V, 397.

6) Das. V, 407; VI, 130. 7) H«rr v. Shattaubriand hat diesen Charakter der Home­ rische» Gitter sehr gut erkannt.

Da- Paradie«, sagt



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ein jeder von ihnen ein besonderes Geschäft hat, und der Regierung irgend eines Theils der Natur vorsteht, so haben sie nichts desto weniger einen persönlichen Character. Sie leben unter sich, von ihren Leidenschaften verzehrt, in ihre Eifersucht, ihre Zänkereien versunken, x) richten sich nach den Gewohnheiten der Sterblichen, aber spotten der Bewohner der Erde. Hier offenbart sich auf eine sehr merkwürdige Weise jene Macht der Logik, von der ich weiter oben gesprochen habe. Da die Götter auf die Bitten des Menschen antworten, seinen Bedürfnissen «bholfon foffon; so wäre es besser für ihn gewesen, wenn er ihnen keine Leiden­ schaften beigelegt hätte, da diese den Gütern, die er von ihnen zu erhalten hofft, oft im Wege sind; allein die Bildung einer menschlichen Gesellschaft hatte auch die Bildung einer göttlichen zu'r Folge gehabt. Es gehört aber zu'm Wesen einer Gefell­

1)

er, beschäftigt sich mit den Menschen weit mehr, alt der Olymp. (Gdnie du christianisme, I, 481.) Sie sind sich, wie die Sterblichen, an Kraft und Stärke einander nicht gleich. Poseidon sagt zu der Here, daß die Gitter, welche die Griechen beschützen, diejenigen Götter, welche es mit den Trojanern halten, nicht anzugreifen brauchten, weil diese viel schwächer wären. (Ilias, XX, 132. 135.)

399 schäft, besondere Beziehungen zu haben.

Die Ge­

sellschaft der Götter mußte sich folglich mit den

ihrigen beschäftigen, und die Menschen nur alS

Beiwerk betrachten.x)

Die menschliche Vernunft

ist Gesetzen unterworfen, die ihre Wünsche nichts

angehen.

Kaum hat sich der Mensch zu seinem

Gebrauche Götter gemacht, so bemächtigen sich diese

Gesetze auch schon derselben, und rauben sie ihm. Doch Geduld!

Wir werden bald sehen, wie er,

bei seinen Bemühungen beharrend und in seinen

Hoffnungen unermüdlich, von neuem sich jener Götter,

deren er hedarf, bemächtigt, und daß

Bündniß, dessen er nicht entrathen kann, mit den

Wesen, die ihm entschlüpft sind, erneuert. 1) Homer drückt diese Vorstellung in zwei wegen ihrer Bitterkeit characteriftischen Versen aus.

Die Götter, sagt er, haben den elenden Menschen die Angst und den

Schmerz zvgetheilt; sie selbst leben glücklich und sorglo-. (JliaS, XXIV, 525. 526.)

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