Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) [[Unveränd. Neuaufl.]] 9783110887280, 9783110172676

This work by the young Schleiermacher on the subject of religion, with which he began his career as a writer on theology

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Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) [[Unveränd. Neuaufl.]]
 9783110887280, 9783110172676

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de Gruyter Texte

Friedrich Schleiermacher Über die Religion Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799)

Herausgegeben von Günter Meckenstock

W DE G Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001

Nachdruck der 1 9 9 9 in der Reihe de Gruyter

Studienbuch

erschienenen Ausgabe.

® G e d r u c k t auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über H a l t b a r k e i t erfüllt.

Die Deutsche

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ClP-Einheitsaufnahme

Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion : Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern ( 1 7 9 9 ) / Friedrich Schleiermacher. Hrsg. von G ü n t e r M e c k e n s t o c k . — Berlin ; New York : de Gruyter, 2 0 0 1 (De-Gruyter-Texte) ISBN 3-11-017267-4

© Copyright 2 0 0 1 by Walter de G r u y t e r G m b H & C o . K G , 1 0 7 8 5 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. J e d e Verwertung a u ß e r h a l b der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, M i k r o v e r f i l m u n g e n und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y D r u c k und buchbinderische Verarbeitung: H u b e r t & Co. G m b H & C o . K G , G ö t t i n g e n Einbandgestaltung: H a n s b e r n d L i n d e m a n n , Berlin

Historische Einführung des Herausgebers Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768 — 1834), damals reformierter Prediger am Berliner Charité-Krankenhaus, veröffentlichte 1799 im Berliner Verlag Johann Friedrich Unger anonym seine Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern". Dieses Werk, mit dem Schleiermacher seine schriftstellerische Wirksamkeit begann und das ihn auf seinem literarischen Lebensweg mit drei weiteren Auflagen (1806, 1821, 1831) begleitete, wird nachfolgend im Textbestand der Erstausgabe von 1799 wiedergegeben. Die Studienausgabe der „Reden" basiert auf der Edition der Erstausgabe in der Kritischen Gesamtausgabe der Werke, des Nachlasses und der Briefe Schleiermachers. 1 Die Erstausgabe ist eine Druckschrift im Oktavformat, deren Seiten einen Satzspiegel von 8,1 cm Breite und 14,9 cm Höhe haben. Die Erstausgabe umfaßt nach unpaginiertem Titelblatt und unpaginiertem Inhaltsverzeichnis 312 Seiten Text, denen noch eine unpaginierte Seite mit einem Druckfehlerverzeichnis folgt. Die 16 Seiten starken Druckbogen sind durch Großbuchstaben (A bis U) gezählt; die Seite hat normalerweise 27 Zeilen.

1

Vgl. Friedrich Daniel Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe [ = KGA], hg. v. H a n s - J o a c h i m Birkner / Gerhard Ebeling / Hermann Fischer / Heinz Kimmerle / Kurt-Victor Selge, Bd. 1/2, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799,

hg.

v.Günter

Meckenstock,

Berlin

/

New

York

1984,

S. 1 8 5 — 3 2 6 . Zitatnachweise und Belegverweise ohne Angabe des Autors beziehen sich auf Friedrich Schleiermacher. Wird in dieser historischen Einführung aus Schriften Schleiermachers oder anderer Autoren zitiert, so werden Hervorhebungen bei der Zitation nicht eigens ausgewiesen.

2

Historische Einführung des Herausgebers

I. D i e E n t s t e h u n g der „ R e d e n " Über die Entstehungsgeschichte der „Reden" sind wir durch eine Vielzahl von Briefzeugnissen unterrichtet. Nur der Anfang liegt im Dunkeln. Den Plan muß Schleiermacher vermutlich im Spätsommer 1798 gefaßt haben. In seinem Heft „Vermischte Gedanken und Einfälle" (Gedanken I) findet sich eine Gruppe von Eintragungen, die Schleiermacher wohl im Hinblick auf die Konzeption der „Reden" notiert hat. 2 Die Gespräche mit Friedrich Schlegel (1772—1829) und dessen religiöse Interessen dürften für Schleiermacher ein wichtiger Anstoß gewesen sein, seine auf die Kritik und Neuformulierung der Ethik gehenden Pläne zunächst zurückzustellen und statt dessen den Geist der neuen Philosophie im Gebiet der Religion fruchtbar werden zu lassen. Schon in den „Athenaeum"-Fragmenten (1798) hatte sich Friedrich Schlegel zu religiösen und kirchlich-theologischen Fragen geäußert, und zwar in einem Sinne, den Schleiermacher schwerlich völlig teilte. Zudem forderten diese Ansätze einer Neuformulierung der Religionsidee die Präzisierung und Durchbildung geradezu heraus. Die romantische Weltsicht mußte ihre Deutungskraft auch und gerade an der Religionsthematik erweisen. Hier wurden zudem Schleiermachers eigenste Lebensinteressen berührt. Der geistige Umbruch, den er persönlich erlebt und den er als epochal beurteilt hatte, mußte sich auch in der Auffassung und Darstellung der religiösen Erfahrungen zur Geltung bringen. Im Herbst 1798 war Schleiermacher mit einem Aufsatz zu Geselligkeit und Lebensart unter dem Titel „Versuch einer Theorie des geselligen Betragens" beschäftigt, der aber — wohl wegen eines Stellen- und Ortswechsels Schleiermachers — Fragment blieb. 3 Vom 14. Februar bis 14. Mai 1799 vertrat Schleier2 3

Vgl. Nr. 8 5 - 8 9 . 112a. 121. 1 3 9 - 1 4 1 . 1 5 3 - 1 5 5 , KG A 1/2, 25. 29. 31. 33. 36. Vgl. KG A 1/2, 1 6 3 - 1 8 4 .

3

I. Die Entstehung der „Reden"

mâcher nämlich für den pensionierten J o h a n n Peter Bamberger ( 1 7 2 2 - 1 8 0 4 ) bis zum Amtsantritt des Nachfolgers J o h a n n Karl Pischon ( 1 7 6 4 - 1 8 0 5 ) die Hofpredigerstelle in P o t s d a m . 4 Die Einsamkeit in Potsdam ließ die Gedankenquelle zur Geselligkeit versiegen. 5 So trat in Potsdam die Religionsthematik in den Vordergrund. Schleiermachers dichte Briefwechsel mit Henriette Herz ( 1 7 6 4 — 1 8 4 7 ) und mit Friedrich Schlegel enthalten viele Hinweise zum Fortgang der Ausarbeitungen, dazu auch erste Selbstund Fremdbeurteilungen. Ausarbeitung und Drucklegung der „ R e d e n " waren eng miteinander verknüpft. Während Schleiermacher noch an seinen „ R e d e n " schrieb, ließ in Berlin der Verleger Friedrich Gottlieb Unger (1753 — 1804), der Schleiermacher ein Bogenhonorar von 5 Talern zahlte 6 , schon den Fahnensatz herstellen. Die „Reden" sollten nämlich ursprünglich zur Ostermesse 1799 erscheinen 7 und sind auch im Messekatalog „Allgemeines Verzeichnis der Bücher . . . " unter dem Titel „Ueber Religion. Reden an die aufgeklärten Verächter derselben" als zur Ostermesse 1799 erschienen irrtümlich angezeigt 8 . Die „ R e d e n " waren bei Schleiermachers Wechsel nach Potsdam bis in die zweite Rede hinein gediehen. Sein Brief vom 15. Februar 1799 an Henriette Herz endet mit der Bitte: „Vergessen Sie nicht mich in jedem Brief um die Religion zu mahnen

4

Vgl. KGA, Bd. V / 3 , Briefwechsel 1 7 9 9 - 1 8 0 0 , hg. v. Andreas Arndt / Wolfgang Virmond, Berlin / New York 1 9 9 2 , Brief Nr. 5 5 8 und 6 5 6 .

5 6

Vgl. KGA V / 3 , Nr. 5 5 9 , 2 1 - 2 4 . Vgl. Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen [ = Briefe], Bd. 1—2, 2. Aufl., Berlin

1860;

Bd. 3 - 4 ,

hg. v. Ludwig J o n a s / Wilhelm

Dilthey,

Berlin

1 8 6 1 - 1 8 6 3 (Nachdruck Berlin / New York 1 9 7 4 ) ; hier Bd. 3, 3 5 1 . 7

Vgl. KGA V / 3 , Nr. 5 6 5 , 1 9 - 2 2 .

8

Vgl. Wichmann von Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers nebst einer Zusammenstellung und Datierung seiner gedruckten Predigten, Schleiermacher-Archiv 9, Berlin / New York 1992, Nr. 1 7 9 9 / 5 .

4

Historische Einführung des Herausgebers

damit sie mir nicht in's Stocken geräth. Berichten will ich Ihnen treulich wie weit ich bin; aber Handschrift schicke ich wol nicht eher bis ich die zweite Rede zu Ende schicken kann; ich habe bemerkt daß es der Religion nicht bekommt wenn ich gar zu kleine Portionen ins Reine schreibe." 9 Etwa eine Woche später muß Schleiermacher die zweite Rede vollendet haben. Friedrich Schlegel kommentierte Anfang März Inhalt und literarische Qualität: „Am Schluß der zweyten Rede hat mir die Polemik gegen Kunst, Philosophie und Moral am besten gefallen. Sie hätte ausführlicher seyn dürfen. Etwas mager dagegen kam mir Dein Gott vor. Ich hoffe Du wirst an dieser Stelle in der Folge schon tiefer graben wenn es auch nicht in diesen Reden geschieht, damit sich kein Sack an ihnen freuen und überfüllen möge. Das Bischen über die Unsterblichkeit ist beynah ein Abriß wie mein Ionischer Styl. Indessen müßte ich die zweyte Rede noch einmal im Ganzen an schauen, um zu sehn wie sichs macht. — Diese Polemik gegen die Unsterblichkeit der Person und des Individui ist gut heilsam aber für den Schluß der wichtigsten Rede nicht neu oder vielmehr nicht eigen genug. Fichte hat wenigstens mündlich sehr oft darüber gegen mich geredet; ich vermuthe daher, daß auch wohl in seinen Schriften Meldung davon seye. Schelling ist voll da von." 1 0 Nach Vollendung der zweiten Rede geriet Schleiermacher in eine Ideenflaute. Er mußte mit dem Schreiben pausieren, weil ihm die Leitidee für die dritte Rede fehlte. Am 25. Februar schrieb Schleiermacher an Henriette Herz: „Sie sehen, ich sehe alles mit Religion an, aber ich schreibe noch keine, wie wird das werden! Werde ich auch Ungern Wort halten? die dritte Rede liegt mir noch gar nicht fertig im Kopf es fehlt mir noch eine Inspiration und ehe die nicht kommt kann ich nichts anfan-

9 10

KGA V/3, Nr. 559, 4 1 - 4 6 . F. Schlegel, in: KGA V/3, Nr. 579, 3 0 - 4 2 .

I. Die Entstehung der „Reden"

5

gen. So etwas läßt aber manchmal lange auf sich warten." 1 1 So lang mußte Schleiermacher dann doch nicht warten, denn schon die folgenden Tage sahen ihn wieder an der Arbeit; am 5. März wollte er die dritte Rede abschließen. 12 Doch er war am 3. März mit seiner Leistung nicht zufrieden. „Im Ernst aber merke ich, daß hier alles nach und nach schlechter wird, und wenn die folgenden Reden nicht gar erbärmlich werden sollen, so muß ich schon aus Religion um der Religion willen nach Berlin kommen — aus Religion denn warlich ich will das Universum in Ihnen schauen." 1 3 Schleiermacher Schloß die dritte Rede wohl gemäß seinem Terminplan ab. Friedrich Schlegel beurteilte sie zustimmend: „Die dritte Rede hat mir sehr gut, auch das Ende, ja dieses vorzüglich gefallen. Den Styl finde ich weniger vollendet, wie in den ersten beyden Reden, aber der Inhalt gefällt mir sehr und auch die Subjektivität der Ansicht und der Behandlung. Ich finde in dieser etwas sehr Rhetorisches, obgleich es mehr von der unsichtbaren Art ist. — Am lautesten wird die Subjektivität in der Stelle gegen die Kunst. Indessen bin ich ganz vollkommen Deiner Meynung, in so fern Du doch überhaupt nur vom Zeitalter redest, und Dich überall sichtbar und unsichtbar auf dasselbe beziehst und an dasselbe anschließest. — Sonst finde ich in der alten Tragödie allerdings eine große gediegene Masse von Religion, und auch in den ältern Modernen die Du wenig kennst von Dante bis Cervantes sind viel Mysterien. — Aber daß Goethe kaum Religion hat und Fichte ziemlich viel, wie wohl sie philosophirt und gebunden ist, sieht sich klar." 1 4 Schleiermacher fühlte sich in der zweiten Märzhälfte unter einem drückenden Schaffenszwang; er wollte die Terminabsprache mit dem Verleger einhalten und litt unter seiner Ungeschick11

KG A V / 3 , Nr. 569, 7 0 - 7 4 .

12

Vgl. KGA V / 3 , Nr. 571, 4 5 - 5 5 .

13

KGA V / 3 , Nr. 575, 4 - 8 .

14

F. Schlegel, in: KGA V / 3 , Nr. 592, 1 4 - 2 6 .

6

Historische Einführung des Herausgebers

lichkeit, das Werk zu ,machen', klagte darüber, „daß das Machen für mich ein unnatürlicher Zustand ist" 1 5 . Doch Friedrich Schlegel mahnte ihn: „Ich beschwöre Dich, Dich J a nicht zu übereilen und Dir Deine volle Bequemlichkeit zu nehmen und zu lassen. Selbst für die äußere Erscheinung der Reden ist dieß heilsam, da man es Deinem Styl leicht anmerken könnte, wenn Du ängstlich wirst. Es liegt ja so unendlich wenig dran, ob sie einige Wochen früher oder später fertig werden." 1 6 Im März schrieb Schleiermacher die vierte Rede. Schleiermacher sah sich nicht nur unter Termindruck wegen der Terminabsprache mit dem Verleger Unger, sondern war auch bei jeder einzelnen Rede von der Sorge geplagt, ob die staatlichen Zensoren jeweils die Druckerlaubnis erteilen würden. Zwar war mit der Aufhebung des Wöllnerschen Religionsedikts 1 7 am 12. Januar 1798 auch die Zensur gelockert, aber nicht außer Kraft gesetzt worden. Zudem wurde der Atheismusvorwurf gegen Johann Gottlieb Fichte gerade in zahlreichen Streitschriften diskutiert. Zensor für die meisten Passagen war Schleiermachers Examinator und Förderer Friedrich Samuel Gottfried Sack ( 1 7 3 8 - 1 8 1 7 ) . Am 22. Februar 1799 fürchtete Schleiermacher, seine „Reden" könnten als atheistisch unterdrückt werden. „Das aber ist gewiß daß Sack die Religion zur Censur bekommen hat. Die erste Rede kann ihm wol gefallen,

15

KGA V / 3 , Nr. 5 8 3 , 15 f.

16

F. Schlegel, in: KGA V / 3 , Nr. 5 9 2 , 2 - 7 .

17

Das üblicherweise nach dem zuständigen Minister J o h a n n Christoph Wöllner ( 1 7 3 2 - 1 8 0 0 ) benannte, am 9. Juli 1 7 8 8 erlassene „Edict, die ReligionsVerfassung in den Preußischen Staaten betreffend", das die drei staatlich geschützten Konfessionskirchen auf die Beibehaltung ihres alten Lehrbegriffs verpflichtete, wurde ergänzt durch ein „Erneuertes Censur-Edict für die Preußischen Staaten exclusive Schlesien" vom 19. Dezember 1 7 8 8 . Vgl. Mißbrauchte Aufklärung? Schriften zum preußischen Religionsedikt vom 9. Juli 1 7 8 8 . 118 Schriften auf 2 0 2 Mikrofiches, hg. v. Dirk Kemper, Hildesheim 1 9 9 6 , Begleitband, S. 2 2 6 - 2 3 4 .

235-243.

I. Die Entstehung der „Reden"

7

aber wie wirds mit dem Ende der zweiten werden? Ich fürchte nur er streicht, denn als er vom Fichte mit mir sprach sagte er, er sei sehr gegen die Confiskation eines atheistischen Buches; aber wenn er es zur Censur bekäme würde er ihm doch vielleicht das Imprimatur versagen, und dieß wird ihm wol so gut als atheistisch vorkommen. Ja es ist sehr unangenehm, aber was ist zu machen! Die folgenden Reden werden ihm wohl wieder gefallen. Bekennen will ich mich aber schlechterdings nicht dazu gegen ihn, was würde das für Erörterungen geben und ich könnte ihm doch Vieles nicht verständlich machen." 1 8 Schleiermachers Befürchtungen bestätigten sich nicht: die „Reden" passierten die Zensur. Dabei erwies es sich wohl als günstig, daß die zweite Rede vom Oberkonsistorialpräsidenten Adolf Friedrich von Scheve (1752—1837) zensiert wurde. 1 9 Die dritte Rede fiel wieder Sack zu. Schleiermacher berichtete am 21. März über dessen Besuch und Gespräch vom gleichen Tag: „Sack hat mir gesagt, daß er die dritte Rede gehabt hat, er scheint nicht sonderlich davon erbaut. Mein Begriff von Religion scheint ihm sehr unbestimmt (mißverstanden hatte er noch daß ich das Kunstgefühl selbst für Religion hielt) und auf jeden Fall wären in dieser Rede zu viel Bilder so daß es der Deutlichkeit schadete. Das bin ich mir nun gar nicht bewußt, und verstehe nicht was er meint. Er suspendirte denn immer sehr bescheiden sein Urtheil bis er das Ganze kenne, ich aber provocirte auf die beiden ersten Reden und versicherte ihn er würde nichts finden was nicht mehr oder weniger in diesen stände. Das Ende der zweiten hat er gewiß nicht gehabt oder nicht gelesen." 20 Die Überlegungen zur Zensur veranlaßten Schleiermacher immer auch zu Selbstbeurteilungen. So schrieb er am 28. März: „Ob Sack die vierte Rede schon gehabt hat werde ich wol morgen erfahren.

18

KGA V / 3 , Nr. 566, 8 - 1 9 .

19

Vgl. KGA V / 3 , Nr. 573, 61. KGA V / 3 , Nr. 585, 3 6 - 4 5 .

20

8

Historische Einführung des Herausgebers

Sonderbar ist es daß ich in der ersten und zweiten Rede noch jetzt nichts zu verbessern oder zuzusetzen wüßte (obgleich Schlegel an der 2ten auch noch manches auszusetzen hat), an der dritten und vierten aber schon mancherlei. Ob das gerade ein Beweis ist, daß die ersten beiden vollkommner sind weiß ich nicht, es ist aber ein Beweis gegen das Machen überhaupt." 2 1 Die Fremdbeurteilungen ließen ihn an eine gänzliche Umarbeitung der vierten Rede denken, „denn in der soll eigentlich mehr Hohes sein als Sie alle darin gefunden haben und das muß an mir liegen. Die Kirche soll eigentlich dies höchste sein was es menschliches giebt, und ich will sie schon noch herausarbeiten." 2 2 Am 1. April steckte er bereits mitten in seiner Arbeit an der fünften Rede. „Ich habe eine gute Prise gemacht, und es fängt an zu dämmern. Sehn Sie es fehlt mir wieder am Anfange der fünften Rede. Warum sind die Anfänge immer so schwer. Es ist als ob die Ideen auch dem Gravidationsgesetz folgten. Die schweren sammeln sich alle in die Mitte und die leichten verlieren sich so allmählig in dem umgebenden allgemeinen Raum, daß man vergeblich nach dem äußersten Anfange der Anziehungslinie sucht, und am Ende die Grenze dieser Atmosphäre durch einen Machtspruch willkührlich bestimmen muß. Mit dem Schluß scheint es nicht ganz so zu sein; aber warum denn? Den Schluß der fünften Rede habe ich beinah schon. Die einzelne Rede durfte abbrechen, das Ganze aber muß doch schließen und kann es nicht füglich anders als mit einer Aussicht ins Unendliche. Nicht so? begegnet mir noch ein Glück heute mit dem Anfange, so schreibe ich es Ihnen noch. [...] Es lebe der Thee und die Abendstunde, die wenn auch kein Gold, doch Gedanken mit sich führt, ich habe wirklich den Anfang." 2 3 Ein 21

KG A V/3, Nr. 593, 8 - 1 4 .

22

KG A V/3, Nr. 610, 4 2 - 4 5 .

23

KG A V/3, Nr. 606, 2 8 - 4 0 . 43 f.

I. Die Entstehung der „Reden"

9

verdorbener Räucherfisch verursachte eine Magenverstimmung und erzwang eine kurze Arbeitsunterbrechung. 24 Am 8. April konnte Schleiermacher sich an Aushängebogen der zweiten Rede ergötzen und zugleich über einige trockene Passagen der fünften Rede ärgern, so daß er eine größere Umarbeitung vornahm: „aber ist es nicht hart daß ich mehr als einen gedruckten Bogen, gut den dritten Theil der Rede halb umarbeiten und ganz umschreiben soll? Ach und die Messe, an die ich so ehrerbietig glaubte! und was eigentlich das Fundament davon war mein gegebenes Wort fertig zu werden: wo wird das bleiben? Meine Religion kommt mir vor wie so ein kurzer Cursus der Schriftstellerei, wie ich mir einmal einen der Weiblichkeit gewünscht habe; es ist alles darin was so vorzufallen pflegt, nun kommt auch noch das Vernichten, was noch gefehlt hatte." 2 5 Am 9. April ist Schleiermacher in der fünften Rede deutlich vorangekommen und hat neuen Mut gefaßt. „Ich bin nun mit der fünften Rede bis an das schöne, und freue mich auf mein morgendes Stück Arbeit: wenn ich nur einen heitern Tag habe. Mein Dithyramb auf Christum soll kein übles Stück werden hoffe ich. — Wenn Sie mir nur das nicht vergessen, daß Sie, was ich so einzeln schicke in keinem andern Falle weggeben als wenn Unger mir auf den Hacken ist und gleich vor der Censur drucken will, daß er nur nicht so einzelne Stücke zur Censur giebt!" 26 Zugleich beschäftigte ihn die Frage des Werktitels 27 und die Konzeption der Vorrede. Friedrich Schlegel gab ihm zur Vorrede am 8. April durch die Feder von Dorothea Veit (1763-1837) Ratschläge: „was aber die Vorrede betrift, so meine ich: Verach-

24

Vgl. KGA V / 3 , Nr. 610, 1 8 - 3 7 .

25

KGA V / 3 , Nr. 615, 1 4 - 2 1 . KGA V / 3 , Nr. 616, 2 4 - 3 1 .

26 27

Vgl. KGA V / 3 , Nr. 623 und 628, 1 0 - 1 6 . Schleiermachers Überlegungen zum Werktitel wurden von Friedrich Schlegel offensichtlich nicht aufgegriffen. Vgl. auch oben bei Anm. 8.

10

Historische Einführung des Herausgebers

tung des Publikums wäre hinlänglich im Werke selbst; Verachtung des Machens aber, wird sich sehr gut machen, nur muß es recht verachtend, und gemacht seyn. Es muß aber auch eine kleine Rede seyn. Schleiermacher soll sich übrigens keine Grillen im Kopfe setzen, in seinem Buche ist alles so recht, und so nothwendig wie in der besten Welt." 28 Am 10. April äußerte sich Schleiermacher gegenüber Henriette Herz zurückhaltend zur Vorrede: „Die Idee der Vorrede scheint Schlegel zu behagen, Sie haben noch kein Wörtchen darüber gesagt. Sehr liegt sie mir nicht am Herzen, und wenn sie mir nicht von selbst kommt werde ich sie nicht holen — es kann recht gut ohne Vorrede gehen. Doch wie der heilige Geist will." 29 Nachdem sich Schleiermacher am 12. April noch angelegentlich bei Henriette Herz nach dem Stand der Setzarbeiten und nach ihrem Urteil über seine „Polemik gegen die natürliche Religion" 30 erkundigt hatte, konnte er ihr endlich am Montag, den 15. April 1799 beglückt den Abschluß der „Reden" melden. Er begann diesen Brief am 14. April: „O göttliche Faulheit, du bist doch mein wahres Element! Denken Sie, es ist gleich Mitternacht und ich bin noch in den letzten Sätzen des Christenthums, und es steht doch, so weit es jetzt ist auf zwei Seiten. Aber ich habe mir auch recht gefallen damit zu spielen, und von allem was ich heute gemacht habe, kann ich sagen daß es sehr gut ist. Das historische im Christenthum werden Sie wol eben nicht goutiren; aber Sie werden doch sehen daß es gut ist in seiner Art. Der Schluß ist freilich eine Aussicht ins Unendliche, aber ich werde gar keine Pracht hineinlegen sondern die äußerste Simplicität: denn die Pracht am Ende müßte unendlich sein, und Unendliches kann ich nicht machen. Er ist zwar beinahe schon gemacht, aber geschrieben kann er doch nicht mehr werden. Sie 28 29 30

Dorothea Veit / Friedrich Schlegel, in: KGA V/3, Nr. 614, 1 0 - 1 6 . KGA V/3, Nr. 620, 1 8 - 2 1 . KGA V/3, Nr. 625, 40.

I. Die Entstehung der „Reden"

11

sehen es ist nicht mehr möglich mein Wort zu halten und den Strich heute noch zu machen, wenn ich auch eigensinnig sein und nicht vor dem Ende zu Bette gehen wollte. Ich will doch süß schlafen auf meinen Lorbeern. Wollen Sie das innerste Geheimniß meiner Faulheit wissen? — ich habe nicht einmal an die Grunow geschrieben. Jetzt eben, am 15ten des Monats April ist der Strich unter die Religion gemacht, des Morgens ein halb zehn Uhr. Hier haben Sie sie, sie mag nun gehen und sehen was ihr geschehen wird. Eine Vorrede werde ich nicht machen. Meinen Sie nicht, daß sie im nächsten Buch vorkommen wird, was Nikolai schreibt? Schlegel wird sagen daß die Religion, die Schrift nehmlich, am Schlüsse sich selbst annihilirt, und das ist auch wahr; aber eben das scheint mir größer und besser als alle Verachtung des Machens, die ich in die Vorrede hätte bringen können. Wie es mir gestern Abend gegangen ist, ich alter Narr. Voll der Religion habe ich mich schlafen gelegt und mich anderthalb Stunden im Bett herumgetrieben ohne Schlaf. Es war nicht Erhitzung vom Arbeiten, denn das war sehr langsam ruhig und leicht gegangen, es war eine Anwandlung von Vaterfreuden und Furcht vor dem Tode. Sehn Sie zum erstem Male ist es mir mit einer gewissen Lebhaftigkeit aufgefallen, daß es doch Schade wäre wenn ich diese Nacht stürbe. Darin liegt auch eine Vernichtung der Tagesabtheilung denn offenbar wird die ganze Zeit wo die Religion geworden ist als ein Tag angesehen." 3 1 Der Druck der „Reden" war wohl im Juni 1799 abgeschlossen. Am 19. Juni schrieb Schleiermacher an Henriette Herz: „Gestern, denken Sie sich, habe ich in der größten Eil wenigstens zehn Bogen Religion lesen müssen, weil der Setzer, der nun wirklich auf dem letzten Bogen ist, die Druckfehler verlangte. Das hat mich entsetzlich fatigirt." 3 2 Die ersten Exem-

31 32

KGA V/3, Nr. 629, 2 - 3 4 . KGA V/3, Nr. 663, 1 3 - 1 6 .

12

Historische Einführung des Herausgebers

piare der „Reden" hielt Schleiermacher am 4. Juli 1799 in Händen. 3 3 In den öffentlichen Buchhandel kamen die „Reden" im September 1799 zur Michaelismesse.

II. Die Aufnahme der „Reden" Schleiermachers Reden „Über die Religion" sind sehr unterschiedlich gelesen und bewertet worden. 3 4 Sie fanden in Schleiermachers Freundes- und Bekanntenkreis eine starke Beachtung, während ihnen in der literarischen Öffentlichkeit keine außerordentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde. Die „Reden" dokumentierten einen Umschwung, gaben einen Anstoß zu neuer schöpferischer Entwicklung. 3 5 Doch hatten die „Reden"

33 34

35

Vgl. KGA V/3, Nr. 671, 14 f. Wilhelm Dilthey schildert die unmittelbare Aufnahme der Erstausgabe durch die jüngere und ältere Generation (vgl. Leben Schleiermachers, Bd. 1 [einziger], Berlin 1870, S. 4 2 7 - 4 4 6 ; 3. Aufl., hg. v. Martin Redeker, Bd. 1,1, Berlin 1970, S. 442—458). Siegfried Lommatzsch bezieht in seinen detailreichen Überblick darüber, wie die „Reden" von Schleiermachers Zeitgenossen aufgenommen wurden, auch die späteren Auflagen ein (vgl. Schleiermacher's Lehre vom Wunder und vom Uebernatürlichen im Zusammenhange seiner Theologie und mit besonderer Berücksichtigung der Reden über die Religion und der Predigten, Berlin 1872, S. 9 9 - 1 2 0 ) . Vgl. August Neander: „Diejenigen aber, welche damals zu dem heranwachsenden jüngeren Geschlecht gehörten, werden sich erinnern, mit welcher Macht dieses in der Kraft jugendlicher Begeisterung von dem verkannten unverleugbaren religiösen Element in der menschlichen Natur zeugende Buch auf die Gemüther der Jugend einwirkte. Durch eine einseitige verständige oder spekulative Richtung, durch einen einseitigen Ethicismus, welcher doch, losgerissen von dem religiösen Element, die sittliche Aufgabe des Menschen in der Tiefe und Erhabenheit ihrer Bedeutung nicht verstehen konnte, war das, was das eigenthümliche Wesen der Religion als einem selbstständigen Elemente in der menschlichen Natur ausmachte, in Vergessenheit gebracht worden. Schleiermacher schlug hier einen Ton an, der zumal in den Gemüthern der Jugend überall nachklingen mußte." (Das ver-

II. Die Aufnahme der „Reden"

13

keineswegs den Rang einer literarischen Sensation mit reißendem Buchabsatz. 3 6 Für manche waren sie ein sehr künstlerisch komponiertes Erbauungsbuch, für manche die Programmschrift einer neuen Theologiekonzeption. Sie fanden begeisterte Zustimmung; sie riefen aber auch Ablehnung, ja Schmähungen hervor. Die Aufnahme der „Reden" ist teilweise mit derjenigen der von Schleiermacher zum Jahresbeginn 1800 in Berlin ebenfalls anonym veröffentlichten Schrift „Monologen. Eine Neujahrsg a b e " 3 7 verknüpft. Daß Schleiermacher der Autor der „Reden" sei, war schon bald bekannt. Schleiermacher selbst hat erstmals in der auf August 1803 datierten Vorrede seiner Schrift „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre" öffentlich zu erkennen gegeben, daß er die „Reden" und „Monologen" geschrieben habe. 3 8 1) Öffentliche Aufnahme: Friedrich Schlegel war der erste, der auf die „Reden" öffentlich aufmerksam machte und sie kurz besprach. Gleichsam im Sinne einer Mitarbeitervorstellung veröffentlichte er im Herbst 1799 in der Zeitschrift „Athenaeum" anonym eine „Notiz" zu den

flossene halbe Jahrhundert in seinem Verhältniß zur Gegenwart, in: Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben, Jg. 1, Berlin 1 8 5 0 , Nr. 1, S. 6). Neander meldete am 12. Februar 1 8 3 4 Schleiermachers Tod den Studenten mit den Worten, „es sei der Mann dahin geschieden, von dem man künftig eine neue Epoche in der Theologie datiren werde" (Zitat nach O t t o Krabbe: August Neander, Hamburg 1 8 5 2 , S. 21). 36

Vgl. KGA, Bd. V / 4 , Briefwechsel 1800, hg. v. Andreas Arndt / Wolfgang Virmond, Berlin / New York 1 9 9 4 , Brief Nr. 8 9 4 , 4 4 - 5 4 sowie KGA 1/12, S. Xlf.

37

Vgl. KGA, Bd. 1/3, hg. v. Günter Meckenstock, Berlin / New York 1988, S. 1 - 6 1 .

38

Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, Berlin 1 8 0 3 , S. IV.

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Historische Einführung des Herausgebers

„Reden". 3 9 Schlegel trägt in seiner Besprechung kunstvoll der Bipolarität der „Reden" Rechnung, indem er diese Bipolarität auch zu seinem eigenen Gestaltungs- und Darstellungsprinzip macht. Er stellt nämlich nach einer kurzen allgemeinen Würdigung die Eigenart der „Reden" in zwei Briefen vor, deren erster an einen gebildet-irreligiösen Freund den exoterisch-anknüpfenden Pol der „Reden" abspiegelt und deren zweiter an einen gebildet-religiösen Freund den esoterischen Pol zur Geltung bringt. Durch diese Bipolarität, die das Anliegen und die Struktur der „Reden" durch die Betrachtung aus zwei verschiedenen (entgegengesetzten) Gesichtspunkten offenlegt, gewinnt Schlegel auch genügend Spielraum zu verhaltener Kritik. Seine Besprechung bekommt dadurch sowohl etwas markant-scharfes als auch etwas verschwimmend-undeutliches. Lob und Ruhm werden zu guter Letzt doch in einige gewichtige Klammern gesetzt. Der Beginn der Schlegelschen „Notiz" ist überströmend: Die „Reden über die Religion" verdienen vorzügliche Beachtung, „weil gewiß seit langer Zeit über diesen Gegenstand aller Gegenstände nicht größer und herrlicher ist geredet worden." 4 0 Nach Schlegel entspricht der Ungewöhnlichkeit des Gegenstandes die Ungewöhnlichkeit seiner Behandlung. „Es sind Reden, die ersten der Art, die wir im Deutschen haben, voll Kraft und Feuer und doch sehr kunstreich, in einem Styl, der eines Alten nicht unwürdig wäre. Es ist ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch; das eigenste, was wir haben, kann nicht eigner seyn. Und eben darum, weil es im Gewände der allgemeinsten Verständlichkeit und Klarheit so tief und so unendlich sub-

39

Vgl. Friedrich Schlegel: Notiz zu „Reden über die Religion", in: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Bd. 2, St. 2, Berlin 1799, S. 2 8 8 - 3 0 0 ; Kritische Ausgabe [ = KA], Bd. 2, Charakteristiken und Kritiken I ( 1 7 9 6 - 1 8 0 1 ) , hg. v. Hans Eichner, Paderborn 1967, S. 2 7 5 - 2 8 1 .

40

F. Schlegel: Athenaeum 2 / 2 , 289; KA 2, 275.

II. Die Aufnahme der „Reden"

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jektiv ist, kann es nicht leicht seyn, darüber zu reden, es müßte denn ganz oberflächlich geschehen sollen, oder auf eine eben so subjektive Weise geschehen dürfen: denn von der Religion läßt sich nur mit Religion reden. Und dazu muß ich mir denn, wenigstens was die Form betrifft, die Erlaubniß erbitten." 4 1 Im ersten (exoterischen) Brief an den gebildeten Religionsverächter legt Schlegel das Schwergewicht auf die die „Reden" prägende Bildung, durch die die Religion zwar nicht als ursprüngliche Menschheitsanlage konstruiert, wohl aber „zur Mitbürgerin im Reiche der Bildung constituirt" 4 2 werde. Dementsprechend setzt Schlegel das Anliegen der „Reden" in die Versöhnung von Bildung und Religion bzw. Christentum. Er rühmt ihre Schönheit und absolute Subjektivität, die den „Reden" etwas Romanhaftes gäben. 4 3 Schlegel trägt nun seine verdeckte Kritik so vor, daß er den irreligiösen Freund (wie später auch den religiösen) auffordert, zwischen der in den ,Reden" vollzogenen Tat einer universalen Bildungsanerkennung und der explizit vorgetragenen partikularen Konstruktion der Religion mit ihrer Ausgrenzung von Poesie, Philosophie und Moral zu unter41

F. Schlegel: Athenaeum 2/2, 289f; KA 2, 275. Vgl. dazu Schleiermachers Brief an Henriette Herz vom 19. Juni 1799: „hernach habe ich mit Schlegel noch ein wunderbares Gespräch über mich gehabt, wobei wir uns wahrscheinlich beide nicht verstanden haben. Er notizirt jezt die Religion, und da studirt er mich ordentlich; er will mein Centrum wissen und darüber haben wir nicht einig werden können. O b ich mich wol selbst so verstehe wie er mich verstehen will? Ich habe ihm gesagt ich würde wohl nie bis ins Centrum kommen, mit dem Machen nemlich meinte ich, das hat er für eine Blasphemie gegen mich selbst genommen, kurz wir sind nicht zusammen gekommen. Was ist denn mein Centrum, wissen Sie es?" (KGA V / 3 , Nr. 663, 5 — 12). „In Schlegels Notiz, die erst angefangen ist, steht unter anderm ,der Styl der Reden sei eines Alten nicht unwürdig'. — D a s ist wol zuviel gesagt. Übrigens bin ich sehr begierig darauf was alles in dieser Notiz stehen wird." (KGA V / 3 , Nr. 663, 1 6 - 1 9 ) .

42

F. Schlegel: Athenaeum 2/2, 292; K A 2, 276.

43

Vgl. F. Schlegel: Athenaeum 2/2, 293; K A 2, 277.

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Historische Einführung des Herausgebers

scheiden. Schlegels Verfahren zielt also darauf, in den ,Reden" einen faktisch wirksamen anderen (universalen) Religionsbegriff aufzuspüren, durch den er den explizit-partikularen umdeuten kann. Der esoterisch-religiöse Brief interpretiert die „Reden" als Morgenzeichen der sich nahenden wahren Religion, das allerdings noch von sehr viel Irreligion durchzogen ist. 4 4 Bei dieser kritischen Sichtung der „Reden" gemäß des darin intendierten Geistes stößt sich Schlegel am meisten an der ausgrenzend-partikularisierenden Idee der Virtuosität. Diese dem Exoterischen zugehörige Idee hindere den Autor, „die lebendige Harmonie der verschiedenen Theile der Bildung und Anlagen der Menschheit, wie sie sich göttlich vereinigen und trennen" 4 5 , ganz zu ergreifen. Dadurch erhalte die unvermeidliche Selbstbegrenzung einen willkürlichen und abträglichen Charakter. Unter religiösem Aspekt würdigt Schlegel die „Reden" als ein großartiges Einführungsbuch, als schönen Anreiz zur Religion für alle die, die der Religion fähig sind. Und das heißt: sie sind keine vollendete Darstellung der reinen Religion. Außer durch diese „Notiz" hat Friedrich Schlegel im „Athenaeum" noch zweimal im Jahr 1800 auf die „Reden" hingewiesen: Er widmete ihnen zum einen vier Aphorismen in seiner „Ideen" betitelten Aphorismensammlung. Die achte „Idee" lautet: „Der Verstand, sagt der Verfasser der Reden über die Religion, weiß nur vom Universum; die Fantasie herrsche, so habt ihr einen Gott. Ganz recht, die Fantasie ist das Organ des Men-

44

Vgl. dazu: „Uebrigens werde ich nichts dagegen einwenden, wenn Du finden solltest, daß sich neben der Religion in diesem polemischen Kunstwerk ein ununterbrochener Strom von Irreligion durch das Ganze hinzieht; ungefähr eben so wie sich nach der Darstellung des Verfassers an jede wahre Kirche sogleich eine falsche ansetzt." (F. Schlegel: Athenaeum 2 / 2 , 2 9 7 ; KA 2, 280).

45

F. Schlegel: Athenaeum 2 / 2 , 2 9 8 ; KA 2, 2 8 0 .

II. Die Aufnahme der „Reden"

17

sehen für die Gottheit." 4 6 Die „Idee" Nr. 112 heißt: „In und aus unserm Zeitalter läßt sich nichts größeres zum Ruhme des Christenthums sagen, als daß der Verfasser der Reden über die Religion ein Christ sey." 47 Die „Idee" Nr. 125 wirbt: „Wer ein Höchstes tief in sich ahndet und nicht weiß wie er sichs deuten soll, der lese die Reden über die Religion, und was er fühlte wird ihm klar werden bis zum Wort und zur Rede." 48 Die „Idee" Nr. 150 schließlich stellt den dann so geläufig gewordenen Bezug der Universumsidee der „Reden" mit Spinoza her: „Das Universum kann man weder erklären noch begreifen, nur anschauen und offenbaren. Höret nur auf das System der Empirie Universum zu nennen, und lernt die wahre religiöse Idee desselben, wenn ihr den Spinosa nicht schon verstanden habt, vor der Hand in den Reden über die Religion lesen." 49 Friedrich Schlegel publizierte zum andern folgendes „Die Reden über die Religion" betitelte Sonett: „Es sieht der Musen Freund die offne Pforte / Des großen Tempels sich auf Säulen heben, / Und wo Pilaster ruhn und Kuppeln streben, / Naht er getrost dem kunstgeweihten Orte. // Drin tönt Musik dem Frager Zauberworte, / Daß er geheiligt fühlt unendlich Leben, / Und muß im schönen Kreise ewig schweben, / Vergißt der Fragen leicht und armer Worte. // Doch plötzlich scheints, als wollten Geister gerne / Den schon Geweihten höhre Weihe zeigen, / Getäuscht die Fremden lassen in der Blöße; // Der Vorhang reißt und die Musik muß schweigen, / Der Tempel auch verschwand und in der Ferne / Zeigt sich die alte Sphinx in Riesengröße." 50 46

F. Schlegel: Ideen, in: Athenaeum, Bd. 3, St. 1, Berlin 1800, S. 4 - 3 3 ; KA 2, 2 5 6 - 2 7 2 ; hier Athenaeum 3/1, 5; KA 2, 257.

47

F. Schlegel: Athenaeum 3/1, 24; KA 2, 267. F. Schlegel: Athenaeum 3 / 1 , 26; KA 2, 269.

48 49 50

F. Schlegel: Athenaeum 3/1, 32; KA 2, 271. F. Schlegel: Die Reden über die Religion, in: Athenaeum, Bd. 3, St. 1, Berlin 1800, S. 234; KA 5, Dichtungen, hg. v . H a n s Eichner, Paderborn 1962, S. 301 f.

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Historische Einführung des Herausgebers

Durch seine Teilnahme am „Athenaeum" wurde Schleiermacher ins literarische Kampfgetümmel hineingezogen. Im „Hymnus auf das neunzehnte Jahrhundert. Nach dem neusten Stück des Athenäums" polemisierte Johannes Daniel Falk (1768 — 1826): „Ein jeder Bauer schafft sich Schleyermachers Gott" 5 1 . In der zugehörigen Anmerkung gab Falk zu Schleiermacher folgende Erläuterung: „Prediger zu Berlin, und Verfasser eines mystisch-verworrenen, und dabey sehr wortreichen Buch's: ,Reden über die Religion' betitelt, dessen Hauptresultate weit geistvoller, tiefgreifender und lebendiger in Fichtens ,Bestimmung' ausgedrückt sind, ohne daß hier ein so heilloses Spiel mit Worten getrieben wird, denen der Verfasser, nach neuster Weise, jeden beliebigen Begriff unterschiebt, oder gleich Anfangs ein pomphaftes Geschwätz ,νοη Höhe des Zeitalters, auf welcher sich nur wenige befinden' u. s. w. dem Leser die Leetüre des Ganzen verekelt." 52 Damit war Schleiermachers anonyme Autorschaft der „Reden" erstmals öffentlich bekannt gemacht. 5 3 51

52

53

Johannes Daniel Falk: Taschenbuch für Freunde des Scherzes und der Satire, Jg. 5 [1801], Weimar o. J. [1800], S. 2 5 3 - 2 7 2 , Zitat 259. Falk: Taschenbuch 5, 271 f. Falks folgende Satire —Der Jahrmarkt zu Plundersweiler. Parodie des Göthischen" (307—398), die ebenfalls auf die „Reden" Bezug nimmt (vgl. 356. 361. 366f), ist durch eine dem Taschenbuch beigegebene Karikatur illustriert. Hier ist Schleiermacher, mit Buckel und den „Reden über die Religion" in der Rocktasche, als Mitglied des Romantikerkreises gezeichnet (vgl. die Abbildungen KGA 1/12, LXXIVf). Einen weiteren satirischen Angriff gegen Schleiermacher trug 1803 Garlieb Helwig Merkel (1769-1850) anonym vor: „Ein kleines, feines Priesterchen wallet, / Zur Buße rufend, allein es verhallet / Zu bald in der Luft sein lockender Ton / In hohen Reden über Religion, / Zärtlich girrend den Lippen entfloh'n! / Doch - reitzt ihr die Gall' ihm - ja dann schwillt / Der Kamm und - polternd er droht und schilt - " (Ansichten der Literatur und Kunst unsres Zeitalters, Η. 1, Deutschland [Leipzig] 1803, S. 28). Den Nachweis von Merkels Autorschaft führte Erich Eckertz: Die Verfasser zweier antiromantischer Satiren aus dem Jahre 1803, der „Ästhetischen Prügelei- und den .Ansichten der Literatur und Kunst unseres Zeitalters", in:

V e r g r ö ß e r t e r A u s s c h n i t t aus d e r K a r i k a t u r „ D e r J a h r m a r k t zu P l u n d e r s w e i l e r " (vgl. A n m . 52)

Vergrößerter Ausschnitt aus dem Kupferstich „Versuch auf den Parnaß zu gelangen" (vgl. Anm.53)

II. Die Aufnahme der „Reden"

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Rezensionen in den damals gängigen theologischen und philosophischen Publikationsorganen gab es nur wenige. Schleiermacher selbst berichtete am 2. Juli 1800 an Henriette Herz: „Denken Sie sich, liebe Freundinn, da habe ich gestern in einem theologischen Journal die erste Recension von den Reden gefunden! der Mann nennt es eine der originellsten, geistreichsten und anziehendsten Schriften, die er je über diesen Gegenstand gelesen, ohngeachtet sie wol nicht nach Jedermanns Geschmack sein dürfte, wie er denn auch mit dem Verfasser nicht durchaus einverstanden wäre, was aber bei einem solchen Gegenstande nicht anders der Fall sein könnte. Dann meint er: eines Auszuges sei die Schrift durchaus nicht fähig, er glaube aber ihren Geist, der in einem Mysticism von der reinsten liberalsten und erhabensten Art bestehe, nicht beßer darstellen zu können als durch einige Stellen aus der zweiten Rede, die jeden Leser, der nur einiges Interesse für Religion habe gewiß zum baldigen Genuß des Ganzen einladen würden. Dann kommen einige Stellen über den Unterschied zwischen Religion und Metaphysik und Moral über Gott und Unsterblichkeit, über den Spinoza, und zulezt über die Toleranz, von der er wünscht, daß sie mir auch zu Gut kommen möge." 5 4 Diese von Schleiermacher zutreffend charakterisierte anonyme Renzension steht in der vom Rintelner Geschichtsprofessor und Theologen Johann Friedrich Ludwig Wachler (1767—1838) herausgegebenen Zeitschrift „Neue Theologische Annalen" und ist im März 1800 in der Beilage zum zehnten Stück auf den Seiten 209—212 erschienen. Im dritten Stück des dritten Bandes der Zeitschrift „Allgemeine Bibliothek der neuesten theologischen und pädagogischen

54

Euphorion 14, Leipzig / Wien 1907, S. 67—83. Merkels Angriff ist stilisiert als Erläuterung zum großformatigen kolorierten Kupferstich „Versuch auf den Parnaß zu gelangen" (vgl. die Abbildungen KGA 1/12, L X X V I LXXIX). KGA V / 4 , Nr. 901, 2 - 1 7 .

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Historische Einführung des Herausgebers

Literatur" (Gießen 1800) findet sich auf den Seiten 4 5 1 - 4 8 9 5 5 eine Rezension des Pfarrers und späteren Heidelberger Theologieprofessors Friedrich Heinrich Christian Schwarz ( 1 7 6 6 1837). Schwarz referiert alle fünf Reden, besonders ausführlich die erste und zweite. In sein mit Zitaten durchsetztes Referat schiebt Schwarz immer wieder Bemerkungen (Hervorhebungen, Belobigungen, Bemängelungen und Anfragen) ein. Seine insgesamt wohlwollende Besprechung eröffnet Schwarz mit einer zwei Seiten umfassenden Einleitung, indem er das VieldeutigIndividuelle der „Reden" konstatiert und ihrer geschmeidigen Rezeptionsfähigkeit eine sehr unterschiedliche Aufnahme bei den verschiedenen Lesern prophezeit. 56 Seine kritischen Bemerkungen bemängeln die abstrakte Einseitigkeit des Religionsbegriffs, die die lebendige Wechselwirkung aller menschlichen An-

55

56

Die Seitenzählung springt irrtümlich von S. 463 auf 468 und von S. 474 auf 479. Vgl. Schwarz: „Wir müssen unsre Leser mit einem der merkwürdigsten Produkte unsrer neuesten theol. Literatur ausführlicher bekannt machen, über welches wir vielleicht sehr verschiedne Urtheile bald lesen werden. Ree. wüßte sich wenigstens nicht leicht auf ein Buch zu erinnern, welches so ganz einander entgegengesetzte Urtheile erfahren könnte. O b es aufklärend oder verwirrend, als ein Produkt der tiefsten Philosophie oder der Mystik im Geiste Jakob Böhms, als eine logische oder dichterische Darstellung, als atheistisch (denn mit den Verstandesverirrungen unsers Zeitalters pflegen auch Besorgnisse und — Lästerungen parallel zu gehen) oder als an der Reihe derjenigen, welche den Glauben der Christen vertheidigt haben, rühmlich anschliessend, als die reinste Wahrheit oder als Unsinn enthaltend, als religiös oder als irreligiös — gelten werde: das wird von der Individualität des Lesers abhängen. Manche werden eine Mischung von Fichtianismus und Schlegelianismus (wie sie sich beydes in ihrem eignen - i s m u s mit gehässigem Blicke denken) darin zu finden und zu tadeln glauben: und manche dagegen die gehaltvolle Originalität so bewundern, daß sie dabey ihr Innerstes mit Entzücken darin lesen; und viele - werden es gar nicht verstehen, oder wohl gar unglücklicher Weise die schöne Sprache desselben in ihrem Gedächtniß behalten und dann nonsensikalisch überall anbringen." (Bibliothek 3, 451f).

II. Die Aufnahme der „Reden"

21

lagen verleugne 5 7 , die Unklarheit des Universumsbegriffs, die Verwirrung des Moralbegriffs 5 8 , die Überbetonung der Phantasie, den zur Undeutlichkeit führenden Bilderreichtum sowie die Polemik gegen jegliche Rationalität und Objektivität in der Religion. Schwarz lobt die Originalität und Gedankenfülle des Bu-

57

Vgl. Schwarz: „Hierauf trennt der Vir. in dem nun schon bemerkten schneidenden T o n e Sittlichkeit, R e c h t und Religion von einander, so daß keines des andern bedürfe, es beweise die größte Verachtung der Religion sie in ein andres Gebiet verpflanzen zu wollen. Der R a u m versagt es uns, die ganze Stelle — und sie verträgt keine Zerstückelung — hier anzuführen, worin er gegen die beliebte Weise die Religion als Stütze und Krücke der M o r a l anzusehen mit mächtiger Sprache redet, und welche Ree. unter die schönsten und verdienstlichsten rechnet. So gut indessen diese Worte zu ihrer Zeit gesprochen sind, gegen eine noch ziemlich herrschende einseitige Vorstellungsart: so liegt doch auch in diesem scharfen Abtrennen wieder eine Einseitigkeit der Abstraction, (welche dann freylich bald auf diese bald auf jene Art das Hellemachen unsers Lehrvortrags wie ein Schatten zu begleiten pflegt); denn ist nicht in dem Menschen alles vereint? gehört denn dieser der Religion, jener der M o r a l , der dritte dem Rechte zu? oder theilen sich diese bey einem Menschen in Regierung der Stunden und J a h r e , wie die Planeten in dem Bauernkalender und stattet man heute einen Besuch bey der M o r a l und morgen bey der Religion ab? Vereinigt sich nicht alles dieses in dem innersten Heiligthume, in dem Gewissen, dergestalt daß wenn das Eine von dem Menschen wahrhaft geachtet wird, auch das Andre und Dritte in ihm in demselben G r a d e seine Würde behauptet. Der Verf. sagt selbst: daß die Rei. aus dem Innern jeder bessern Seele von selbst entspringt, wenn das aber bey der besseren Seele gerade der Fall ist, so muß Religion und Sittlichkeit auch in der untrennbarsten Verbindung und wegen ihrer Selbstständigkeit in der unauflöslichsten Wechselwirkung stehen. M a n wird bald sehen, daß diese scharfe Abtrennung den Grund von allen den Behauptungen enthält, welchen man nicht beystimmen k a n n . " (Bibliothek 3 , 4 5 8 f ) .

58

Vgl. Schwarz: „Des Verf. T h e o r i e der M o r a l muß ein sonderbares Ding, eine unmoralische M o r a l seyn, um nur die Religion zu ihrer vollgültigen Vermittlerin bey der Menschheit zu machen, um dem nach Virtuosität strebenden Menschen — welche Virtuosität beschränkt, und kalt einseitig und hart macht — erst Universalität zu geben! Und auf diese Art wäre sie ja doch wieder ein Hülfsmittel der M o r a l , ein Ergänzungsstück, um diese erst dem Menschen anzupassen, wogegen der Verf. vorher so stark p r o t e s t i n e .

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Historische Einführung des Herausgebers

ches, auch viele vortreffliche Einzelheiten trotz aller Einseitigkeit 59 , „die blühende und besonders durch tiefe Naturkenntnisse gebildete Sprache" 60 , den großen genialischen Zug 6 1 . Schwarz faßt seine Rezension zusammen: „Schon haben einige ausgezeichnete Männer als Philosophen und Theologen das wichtige Wort ausgesprochen, daß man in Absicht der Religion und des Menschen einlenken müsse auf die Rechte, welche das Gefühl behauptet. Man fängt an einzusehen, wo es mit der Unnatur hinausgeht, den Menschen zu einem blossen Begriffwesen zu machen. Der Verf. der vorliegenden Schrift, welche, wie man bemerkt haben wird, überhaupt mit den Herderschen Schriften über Religion noch die meisten Berührungspunkte zeigt, hat dieses mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Gefühls empfunden: darum sprach er von einer Wuth des Verstehens; er hat tief empfunden, daß Religion ohne religiöses Gefühl — Nichts sey. Und darum hat er sich durch sein Buch um die Religiosität seines Zeitalters mehr verdient gemacht, als vielleicht erkannt wird. Aber da seine Phantasie zu geschäftig ist, so ist er in den Vorstellungen verwirrt, vernachläßigt den Verstand, und stellt eine Gefühlsreligion auf, welcher freylich der Gegenstand gleich gilt, wenn sie nur Innigkeit in ungemessenem Maaße hat. Man wird

Was soll doch das verwirrende Spiel mit Worten! Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Moralische Gefühle sind religiöse Gefühle so wie sie nur auf den Gegenstand der Religion bezogen werden. Freylich wird es mit der Dankbarkeit, Demuth, Liebe etc. schlecht stehen, die erst durch den Gedanken der Pflicht erzeugt werden sollen, sie werden vielmehr als eine innere Lebendigkeit des moralischen Gefühls schon vorausgesetzt, und dann von der Moral bestätigt: allein das ist auch das Geschäfte der Moral die Gefühle, welche der Pflichtthätigkeit unterliegen, aus der Natur des Geistes zu entwickeln; sie fordert daher nicht bloß Legalität sondern dabey auch nothwendig moralische Gesinnung." (Bibliothek 3, 468f). « Vgl. Schwarz: Bibliothek 3, 480. 487. 60 Schwarz: Bibliothek 3, 486. 61 Vgl. Schwarz: Bibliothek 3, 453.

II. Die Aufnahme der „Reden"

23

dabey bemerkt haben, daß sein reiner Sinn doch hin und wieder umlenkt von den grellen Punkten, worauf eine solche Theorie hinführt, und dem Objectiven auch wieder einige Ehre widerfahren läßt." 6 2 Ein bloßer bibliographischer Hinweis auf die „Reden über die Religion" findet sich in dem vom Göttinger Theologieprofessor Karl Friedrich Stäudlin (1761 —1826) herausgegebenen „Magazin für Religions-, Moral- und Kirchengeschichte" im ersten Band (Hannover 1801) mit der Einordnung in „die Philosophie der Geschichte der Religionen." 63 Die „Reden" wurden zumeist als programmatische Äußerung einer Theologie gelesen, die von den Ideen der nachkantischen Philosophie und der frühromantischen Bewegung geprägt ist. Diese Einschätzung wird beispielsweise belegt durch die Rezension der Erstauflage, die 1801 im 56. Band der von Friedrich Nicolai herausgegebenen Zeitschrift „Neue allgemeine deutsche Bibliothek" erschien und mit dem Kürzel „Ad" gezeichnet ist. 64 Der Rezensent 65 ist der moderate Rationalist Jakob Christoph Rudolf Eckermann (1754—1837), Theologieprofessor in Kiel seit 1782. Eckermann ordnet die „Reden" der um Fichte und Schelling gruppierten neuesten Philosophie zu. 6 6 Hier sieht er die Überheblichkeit der Haltung und die Unbestimmtheit des sprachlichen und begrifflichen Ausdrucks beheimatet. Eckermann bescheinigt dem Werk „Originalität" 6 7 , doch könne er weder dem Inhalt noch dem Zweck Beifall zollen. „Schaden 62

Schwarz: Bibliothek 3, 487 f.

63

Stäudlin: Magazin 1, 287. Vgl. Neue allgemeine deutsche Bibliothek [ = N A D B ] , Bd. 56, Berlin / Stettin 1801, S. 4 4 - 5 2 .

64

65

66 67

Vgl. Gustav Parthey: Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai's Allgemeiner Deutscher Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Registern geordnet, Berlin 1842, S. 35. 6 f. Vgl. Eckermann: N A D B 56, 45. Eckermann: N A D B 56, 44.

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Historische Einführung des Herausgebers

wird indessen das Buch nicht. Die, denen es schaden würde, werden es nicht verstehen, wenn sie es auch läsen. Denen, die es verstehen, kann es nicht schaden." 6 8 Denn entweder seien sie wie der Autor, der nach allgemeinem Hörensagen der reformierte Prediger Schleiermacher sei, Parteigänger Fichtes, oder sie bemerkten die fehlerhafte Bestimmung des Religionsbegriffs und die fehlerhafte Charakterisierung von Judentum und Christentum leicht. Die Rezension ist nicht klar gegliedert. Die anfängliche Urteilsbildung und die daran sich anschließende Mängelrüge gehen in eine Darstellung des Buchinhalts über. An diese Darstellung schließt Eckermann erneut sachliche Überlegungen zu seinen beiden Hauptkritikpunkten an. In seiner knappen Schilderung des Buchinhalts 6 9 geht Eckermann vornehmlich auf Schleiermachers Religions- und Kirchenbegriff sowie auf dessen Judentum- und Christentumauffassungen ein. Eckermann legt das Schwergewicht seiner Inhaltsangabe auf die zweite und die fünfte Rede, während er die dritte und vierte vergleichsweise knapp streift. Schleiermachers Bestimmung der Religion als Anschauung des Universums sieht Eckermann den Gefahren von Atheismus und Determinismus preisgegeben. Er protestiert entschieden gegen Schleiermachers Begriff und Charakterisierung der „Heroen der Religion" 7 0 . Die Abkoppelung der Religion von der Moral fordert seinen Widerspruch heraus. 7 1 Die Gefühlsbestimmtheit der Religion hält er für eine schlechte Argumentationsbasis, um die Verächter der Religion zu gewinnen. 72 Schleiermachers Bestimmung des Judentums als einer direkten Verbindung von

68

Eckermann: NADB 56, 44.

69

Vgl. Eckermann: NADB 56, 4 5 - 4 9 .

70

Z. B. KGA 1/2, 260, 1. 313, 35; vgl. Eckermann: NADB 56, 46 f. 50. Vgl. Eckermann: NADB 56, 49 f.

71 72

Vgl. Eckermann: NADB 56, 50.

II. Die Aufnahme der „Reden"

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Menschlichem und Göttlichem im Sinne von unmittelbarer Vergeltung 73 begegne auch bei anderen antiken Religionen und erfasse gerade nicht das Charakteristische. „Vielmehr, daß dieß Volk einen einzigen Gott, außer dem kein Anderer Gott sey, als den Schöpfer und Herrn des Weltalls, und als einen Gott, dem nur das Gute, und nichts Böses wohlgefalle, verehren sollte, und daß dadurch der wahre Religionsglaube als ein festes Fundament zum Grunde gelegt wurde, daß nur der Gute Glückseligkeit, der Böse aber früher oder später verschuldetes Verderben und Elend zu erwarten habe; das, das ist das Characteristische dieser Religion, die niemals untergehen wird, weil sie im Wesen der Dinge und des vernünftigen Geistes des Menschen gegründet ist." 74 Beim Christentum hält Eckermann Schleiermachers Zentralstellung des Versöhnungsgedankens ebenfalls für fehlerhaft. „Vielmehr strahlt der erhabene Vorzug der christlichen Religion vorzüglich aus ihrem Inhalt hervor, der zuerst in einer positiven Religion das für die Hauptsache der wahren Gottesverehrung erklärte, was Gott selbst durch die Vernunft und durch das Gewissen für die Hauptsache derselben erklärt: daß nicht Opfer und Gebräuche, nicht äußere Umstände und Verhältnisse, sondern Tugend und Rechtschaffenheit allein, den Menschen Gott wohlgefällig, und einer ewigen Seligkeit fähig und theilhaftig machen können." 7 5 Gerade auf die Verknüpfung von Religion und Moral und eine Hochschätzung von Vernunftreligion legt Eckermann alles Gewicht. Zum Schluß bemängelt er den Stil der „Reden". „Ein gewisses pretiöses Wesen in der Schreibart, ist in diesen Reden sehr sichtbar. Es scheint von dem Bewußtseyn eigener Wichtigkeit auszugehen. Der Verf. scheint sich darin zu gefallen; aber es empfiehlt ihn wirklich nicht." 76

73 74 75 76

Vgl. Eckermann: NADB 56, 47 f. Eckermann: NADB 56, 51. Eckermann: NADB 56, 51 f. Eckermann: NADB 56, 52.

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Historische Einführung des Herausgebers

Eine schärfere Ablehnung als Eckermann formulierte Daniel Jenisch (1764—1804), ebenfalls ein aufklärerisch-antiromantischer Parteigänger Friedrich Nicolais. 7 7 In seiner Schrift „Kritik des dogmatischen, idealistischen und hyper-idealistischen Religions- und Moral-Systems" (Leipzig 1804) griff Jenisch Schleiermacher — zwar ohne Namensnennung, aber mit eindeutiger Kennzeichnung — massiv und herabsetzend an. Jenisch polemisierte gegen die „Reden", in denen er eine von Schelling geprägte Theologie dargestellt sah, unter dem abgewandelten Titel „Heilige Reden im Geist des Schellingschen Systems". 7 8 Johann Paul Friedrich Richter (1763 — 1825) veröffentlichte unter seinem Literatennamen Jean Paul 1800 die gegen Fichtes Wissenschaftslehre polemisierende Schrift „Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana". Darin führt er — tadelnd und lobend zugleich — die „Reden" als eine Folgeerscheinung des verderblichen Fichteschen Idealismus und als Symptom der Zeittendenz an. Er fordert beschwörend: „wahrlich es ist Zeit zu ahnen, welcher unauflöslichen schwärmerischen Sprachen- und Gedanken-Ver-

77

Z u Jenischs Lebenslauf und geheimnisvollem Tod vgl. O t t o Fischer: Evangelisches Pfarrerbuch für die M a r k Brandenburg, Bd. 2 , 1 , Berlin 1 9 4 1 , S. 3 8 0 ; außerdem

Hermann

Patsch

in

seiner

Einleitung

zu

KGA

1/5,

1995,

S. L X I X — L X X I I I . 78

Vgl. Daniel Jenisch: Kritik des dogmatischen, idealistischen und hyper-idealistische Religions und Moral-Systems nebst einem Versuch Religion und Moral von philosophischen Systemen unabhängig zu begründen und zugleich die Theologen aus der Dienstbarkeit zu befreyen, in welche sie sich, seit

langer

Zeit,

an

die

Philosophen

verkauft

hatten,

Leipzig

1804,

S. X X X I I I . 80. 180. 3 2 5 . 3 3 1 f. Jenisch zitiert das Ende der zweiten Rede (vgl. KGA 1/2, 2 4 2 , 3 6 - 2 4 7 , 1 1 ) ausführlich (vgl. 8 0 - 8 8 ) und schließt daran kritische Bemerkungen an (vgl. 8 9 - 1 0 8 ) . Schleiermacher rezensierte diese Schrift Jenischs 1 8 0 6 in der Zeitschrift „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung" namentlich (vgl. Jg. 3, Jena / Leipzig 1 8 0 6 , Bd. 2, Nr. 101 vom 29. April 1 8 0 6 , Sp. 1 9 3 - 2 0 0 ; K G A I / 5 , 1 0 1 - 1 1 7 ) .

II. Die Aufnahme der „Reden"

27

wirrung wir z u t r e i b e n . " 7 9 Und er behauptet, ein Zeichen der von Fichte ausgelösten, „alles ins Schwanken bringenden Sündf l u t h " 8 0 sei „der malerische Standpunkt für alle R e l i g i o n e n " 8 1 . In einer Anmerkung konkretisiert er dieses Zeichen: „Ich meine die sonst vortreflichen ,Reden über die Religion für gebildete Verächter derselben'. Er giebt dem Worte Religion eine neue, unbestimte, poetische Bedeutung, der doch ohne sein Wissen die alte theologische zum Grunde liegt, weil jedes Ganze und also auch das Universum nur durch einen Geist ein Ganzes ist für einen G e i s t . " 8 2 In seiner „Vorschule der Ästhetik" spielte J e a n Paul 1 8 0 4 vermutlich auf die „ R e d e n " an, wenn er die „figürliche Anschaulichkeit" 8 3 des Schleiermacherschen Stils lobt. Georg Friedrich Wilhelm Hegel ( 1 7 7 0 - 1 8 3 2 ) ist literarisch zweimal, allerdings in unterschiedlichem Umfang, auf die „Reden" eingegangen. In der Vorrede seiner Schrift „Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie" zieht Hegel 1801 die „ R e d e n " als einen Indikator des Zeitbedürfnisses heran. „Wenn Erscheinungen, wie die Reden über die Religion, -

das spekulative Bedürfniß nicht unmittelbar angehen,

so deuten sie und ihre Aufnahme, noch mehr aber die Würde, welche mit dunklerem oder bewußterem Gefühl, Poesie und Kunst überhaupt in ihrem wahren Umfange, zu erhalten anfängt, auf das Bedürfniß nach einer Philosophie hin, von welcher die Natur für die Mishandlungen, die sie in dem Kanti-

79

Jean Paul: Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana, Erfurt 1 8 0 0 , S. 5 4 ; Sämtliche Werke [ = SW], Akademie-Ausgabe, Bd. 1/9, hg. v. Eduard Berend, Weimar 1933 (Nachdruck Köln 1979), S. 4 7 6 , 1 f.

80

Jean Paul: Clavis 6 0 ; SW 1/9, 4 7 7 , 13 f.

81

Jean Paul: Clavis 57f; SW 1/9, 4 7 6 , 18 f.

82

Jean Paul: Clavis 5 8 ; SW 1/9, 4 7 6 , 3 6 - 4 0 .

83

Jean Paul: Vorschule der Ästhetik, Bd. 2, Hamburg 1 8 0 4 , S. 4 5 7 . In der 2. Auflage änderte Jean Paul in „bildliche Anschaulichkeit" (Bd. 2, Stuttgart / Tübingen 1813, S. 6 0 7 ; Sämtliche Werke, Bd. 1 / 1 1 , hg. v. Eduard Berend Weimar 1935, S. 2 6 0 ) .

28

Historische Einführung des Herausgebers

sehen und Fichte'schen Systeme leidet, versöhnt, und die Vernunft selbst in eine Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der N a t u r gesetzt wird, nicht in eine solche, worin sie auf sich Verzicht thut oder eine schaale N a c h a h m e r i n derselben werden müßte, sondern eine E i n s t i m m u n g d a d u r c h , daß sie sich selbst zur N a t u r aus innerer K r a f t g e s t a l t e t . " 8 4 In seiner A b h a n d l u n g „ G l a u b e n und Wissen oder die Reflex i o n s p h i l o s o p h i e der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, J a c o b i s c h e , und Fichtesche P h i l o s o p h i e " , die Hegel 1802 in der von ihm selbst und Schelling herausgegebenen Zeitschrift „Kritisches J o u r n a l der P h i l o s o p h i e " publizierte, bespricht er die „ R e d e n " eigens a m Schluß seiner Auseinandersetzung mit der Individualitätsphilosophie Friedrich Heinrich J a c o b i s . Hegel würdigt die „ R e d e n " kritisch als die höchste A u s b i l d u n g des die d u r c h a u s subjektiv g e n o m m e n e Subjektivität verabsolutierenden J a c o b i s c h e n Prinzips, wobei die gegenüber J a c o b i idealischer gefaßte Selbst- und Weltanschauung dennoch partikular b l e i b e . 8 5 84

85

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen Systems der Philosophie, Jena 1801, S. XI; Gesammelte Werke [ = GW], Akademie-Ausgabe, Bd. 4, Jenaer kritische Schriften, hg. v. Hartmut Buchner / Otto Pöggeler, Hamburg 1968, S. 8, 4 - 1 3 . Vgl. Hegel: „Wenn das Diesseits, was Wahrheit hat, statt die Wirklichkeit zu seyn, das Universum, und die Versöhnung mit der Natur Identität mit dem Universum, als Empfindung unendliche Liebe, als Anschauung aber Religion ist, aber so, daß diese Identität selbst, es sey mehr als Passivität des Auffassens und innern Nachbildens oder mehr als Virtuosität, etwas schlechthin subjectives und besonderes bleiben, ihre Aeußerung nicht befestigen, noch ihre Lebendigkeit der Objectivität anvertrauen, und hiemit eben die vorige Reflexion der Sehnsucht auf das Subject behalten soll, so hat das Jacobische Princip die höchste Potenzirung erreicht, deren es fähig ist, und der Protestantismus, der im Diesseits Versöhnung sucht, hat sich auf das Höchste getrieben, ohne aus seinem Charakter der Subjectivität herauszutreten. In den Reden über die Religion ist diese Potenzirung geschehen; da in der Jacobischen Philosophie die Vernunft nur als Instinct und Gefühl, und Sittlichkeit nur in der empirischen Zufälligkeit und als Abhän-

II. Die Aufnahme der „Reden"

29

Eine ausführliche Berücksichtigung und Würdigung hat der Lehrer Johann Gottlieb Rätze ( 1 7 6 0 — 1 8 3 9 ) in seiner Schrift „Ansichten von dem Natürlichen und Uebernatürlichen in der christlichen Religion" (Zittau / Leipzig 1803) den „Reden" zu-

gigkeit von Dingen, wie sie die Erfahrung und Neigung und des Herzens Sinn gibt, das Wissen aber nur als ein Bewußtseyn von Besonderheiten und E i g e n t ü m l i c h k e i t , es seye äußerer oder innerer, begriffen wird, so ist in diesen Reden hingegen die Natur als eine Sammlung von endlichen Wirklichkeiten vertilgt, und als Universum anerkannt, dadurch die Sehnsucht aus ihrem über Wirklichkeit Hinausfliehen nach einem ewigen Jenseits zurückgehohlt, die Scheidewand zwischen dem Subject, oder dem Erkennen und dem absoluten unerreichbaren O b j e c t e niedergerissen, der Schmerz im G e nuß versöhnt, das endlose Streben aber im Schauen befriedigt. Aber indem so das Individuum seine Subjectivität von sich wirft, und der D o g m a t i s m u s der Sehnsucht seinen Gegensatz in Idealismus auflößt, so soll diese Subjectobjectivität der Anschauung des Universums doch wieder ein Besonderes und Subjectives bleiben; die Virtuosität des religiösen Künstlers soll in den tragischen Ernst der Religion ihre Subjectivität einmischen dürfen, und statt diese Individualität entweder unter dem Leib einer objectiven Darstellung großer Gestalten und ihrer Bewegung untereinander, der Bewegung des Universums aber in ihnen, zu verhüllen, — wie in der triumphirenden Kirche der Natur, das Genie in Epopäen und Tragödien erbaute, oder anstatt dem lyrischen Ausdruck sein subjectives dadurch zu nehmen, daß er zugleich im G e d ä c h t n i ß vorhanden, und als allgemeine Rede auftrete, soll dieses Subjective in der Darstellung der eignen Anschauung des Universums, so wie in der Production derselben in andern, die wesentliche Lebendigkeit und Wahrheit ausmachen, die Kunst ohne Kunstwerk perenniren, und die Freyheit der höchsten Anschauung in der Einzelheit und in dem für sich etwas besonderes haben, bestehen; wenn der Priester nur ein Werkzeug und Diener seyn k a n n , das die Gemeinde, und das sich ihr und sich opfert, um das Begrenzende und O b j e c t i v e der religiösen Anschauung zu thun, und dem alle M a c h t und Kraft vor der mündigen G e m e i n e nur als einem Representanten zukommen k a n n , soll sie, sich unmündig stellend, den Z w e c k und die Absicht haben, das Innere der Anschauung von ihm als einem Virtuosen des Erbauens und der Begeisterung in sich bewirken zu lassen;es soll einer subjectiven Eigenheit der Anschauung (Idiot heißt einer, insofern Eigenheit in ihm ist) statt sie zu vertilgen, und wenigstens nicht anzuerkennen, so viel nachgegeben werden, daß sie das Princip einer eigenen G e m e i n e bilde, und

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Historische Einführung des Herausgebers

teil werden lassen. 8 6 Rätzes Rezension ist geprägt von L o b und Hochachtung für das Gesamtunternehmen sowie Ablehnung und Mängelaufweis in vielen Einzelheiten. „Eine originelle, überaus lehrreiche, und von einem religiösen Geiste überfließende Schrift, aber auch voll von schwankenden, mystischen

daß auf diese Weise die Gemeinchen und Besonderheiten ins unendliche sich geltend machen und vervielfältigen, nach Zufälligkeit auseinander schwimmen und zusammen sich suchen, und alle Augenblicke wie die Figuren eines dem Spiel der Winde preisgegebenen Sandmeeres die Gruppirungen ändern, deren jeder zugleich, wie billig, die Besonderheit ihrer Ansicht und ihre Eigenheit etwas so müssiges und sogar un geachtetes sey, daß sie gleichgültig gegen die Anerkennung derselben, auf Objectivität Verzicht thun, und in einer allgemeinen Atomistik alle ruhig neben einander bleiben können, wozu freylich die aufgeklärte Trennung der Kirche und des Staats sehr gut paßt, und in welcher Idee eine Anschauung des Universums nicht eine Anschauung desselben als Geistes seyn kann, weil d a s , w a s Geist ist, im Zustande der Atomen, nicht als ein Universum vorhanden ist, und überhaupt die Katholicität der Religion nur in Negativität und der Allgemeinheit des Einzelnseyns besteht. Wenn also schon die Subjectivität des Sehnens in die Objectivität des Schauens sich emporgehoben hat, und die Versöhnung nicht mit der Wirklichkeit, sondern mit dem Lebendigen, nicht mit der Einzelheit, sondern mit dem Universum geschieht, so ist selbst dieses Anschauen des Universums wieder zur Subjectivität gemacht, indem es theils Virtuosität, oder nicht einmal ein Sehnen, sondern nur das Suchen eines Sehnens ist, theils es sich nicht organisch constituiren, noch die wahrhafte Virtuosität in Gesetzen und in dem Körper eines Volkes und einer allgemeinen Kirche ihre Objectivität und Realität erhalten, sondern die Aeußerung ein schlechthin inneres, unmittelbarer Ausbruch oder N a c h f o l g e einzelner und besonderer Begeisterung, und nicht die wahrhafte Aeußerung, ein Kunstwerk vorhanden seyn soll." (Glauben und Wissen, in: Kritisches J o u r n a l der Philosophie, Bd. 2, Tübingen 1802, 1. Stück, S. 1 3 4 - 1 3 7 ; G W 4, 3 8 5 , 8 - 3 8 6 , 3 6 ) . 86

Rätze verweist nicht nur in den Anmerkungen seiner Abhandlung zweimal (vgl. 8. 41) auf die „ R e d e n " , sondern er widmet ihnen auch einen Anhang, in dem er auf die Beurteilung derselben (vgl. 141 — 160) einen thematisch geordneten Abdruck einiger Hauptstellen (vgl. 1 6 0 - 2 0 1 ) folgen läßt. Rätze nennt anmerkungsweise „F. Scheiermacher [!], Prediger am Charitee-Haus zu Berlin" (141) als Verfasser der anonymen Schrift.

II. Die Aufnahme der „Reden"

31

und irrigen Begriffen und U r t h e i l e n . " 8 7 „Im Ganzen genommen sind diese Reden consequent und auf eine Hauptansicht hinweisend, im Einzelnen aber inconsequent, und es möchte wohl kaum ein Hauptsatz darin anzutreffen seyn, der hie und da durch Unbestimmtheit nicht aufgehoben, oder wenigstens in einen scheinbaren Widerspruch versetzt würde. Dennoch ist des Geistvollen, Religiösen, Originellen und Beherzigungswürdigen so viel in diesen Reden, daß sie einer vorzüglichen Prüfung und Aufmerksamkeit werth sind. Ueberhaupt kann es, in Rücksicht der subjectiven Religion, d.i. des religiösen Geistes, der religiösen Gesinnung, kein religiöseres Buch geben, als die Reden an die gebildeten Religionsverächter, aber in Rücksicht der objectiven Religion, d.i. der Darstellung des religiösen Stoffs durch Begriffe, herrscht bey aller Vortrefflichkeit, Wahrheit und Bestimmtheit, auch viel Unbestimmtes, Irriges, Einseitiges und Widersprechendes d a r i n . " 8 8 Während Rätze die subjektive Seite der „ R e d e n " , ihre Religiosität und ihre Darstellungskunst, sehr rühmt, formuliert er gegen ihre objektiv-lehrmäßige Seite in zwei Gedankenkreisen seine Einwände,

Vorbehalte

Überlegungsgang

ist Schleiermachers

und Widerlegungen.

Der

erste

Religionsbegriff gewid-

met. „Der Hauptfehler dieser Schrift besteht zunächst in einem einseitigen,

unvollständigen

und

mystischen

Religionsbe-

g r i f f e . " 8 9 In drei Schritten präzisiert Rätze diesen Vorwurf. Erstens kritisiert er die Unbestimmtheit, Vieldeutigkeit und unklare Zuordnung der Begriffe von Universum und G o t t ; ihn irritiert

zudem

sichtlich

die

mangelnde

Normativität

in

der

Schleiermacherschen Phänomenbeschreibung und -Würdigung. Die Objektivität und Zweckmäßigkeit der Religionsvorstellungen werde bei aller Vortrefflichkeit des religiösen Sinnes ver-

87

Rätze: Ansichten 141.

88

Rätze: Ansichten 142 f.

89

Rätze: Ansichten 143.

32

Historische Einführung des Herausgebers

nachlässigt. Für den Gottesbegriff fordert Rätze den Primat vor dem Universumsbegriff. Zweitens greift Rätze Schleiermachers Diastase von Religion und Moral an. „Nicht minder unrichtig ist es, wenn das Subjektive in der Religion bloß als etwas Passives, Gefühltes, Demüthigendes und Hingebendes dargestellt, alles Active, Moralische, Denkende und Erhebende aber von der Religion ausgeschlossen wird." 9 0 Bei aller berechtigten Betonung der Eigenart und Eigenständigkeit der Religion müsse doch ihre Trennung von der Moral als unsachgemäß getadelt werden. Zudem widerspreche die Ablehnung und Aussonderung moral- bzw. philosophiegeprägter Religionsansichten der von Schleiermacher ansonsten proklamierten Mannigfaltigkeit legitimer religiöser Äußerungen. Damit ist schon der Überschritt zum dritten Punkt präformiert. „Eben so sonderbar, unbestimmt und ungültig ist es auch, wenn der Verfasser alle Philosophie aus der Religion hinauswirft, und dieselbe für etwas der Religion Fremdartiges erklärt." 9 1 Rätze mißt der Philosophie wichtige aufklärende, durchbildende, reinigende und verteidigende Aufgaben für die Religion zu. Die von ihm akzeptierten Vorwürfe gegen die Religionsphilosophie, die das denkerische Moment in der Religion sachgemäß neben dem anschauenden, fühlenden und handelnden zur Geltung bringe, setzt er zu Lasten der Philosophen und nicht der Philosophie. In einem zweiten Gedankenkreis beschäftigt sich Rätze mit Schleiermachers Stellung zu den positiven Religionen. Seinen grundsätzlichen Beifall modifiziert Rätze durch seine Kritik der Schleiermacherschen Auffassung des Übernatürlichen im Positiven. „Einen reinem, kühnern, consequentern und moralischem Naturalismus in der Religion kanns nirgends geben, als in den Reden an die gebildeten Religionsverächter. Ihrem Verfasser sind die positiven Religionen weiter nichts, als natürliche Er90

Rätze: Ansichten 150.

91

Rätze: Ansichten 152.

33

II. Die Aufnahme der „Reden"

scheinungen von wirklich religiösen Menschen, oder begeisterte Darstellungen der Anschauungen des Universums." 9 2 Obwohl Rätze die Widerlegung des religiösen Naturalismus schon in seiner eigenen Abhandlung zu seinem besonderen Anliegen gemacht hat und er in diesem Punkt auch Schleiermacher entschieden entgegentritt, rühmt er doch Schleiermachers subjektive Darstellung

des religiösen

Kräftefeldes im Christentum.

Er

selbst hält an der Vernünftigkeit und Unverzichtbarkeit der Offenbarungspositivitäten fest, schon um der Abgrenzung der positiven von der natürlichen Religion willen. Zuletzt gibt Rätze noch einen unterstützenden Hinweis an die Pädagogen, sich Schleiermachers bedenkenswerte Ausführungen zum Religionsunterricht zu Herzen zu nehmen. 2) Private Aufnahme: Über die private Aufnahme der „Reden" und ihre erste Beurteilung sind zahlreiche Briefdokumente und

Erinnerungen

überliefert. Noch im Juli 1799 verschickte Schleiermacher E x emplare seiner „Reden" an Verwandte 9 3 und Freunde. 92

Rätze: Ansichten 155 f. Rätze belegt seine T h e s e durch ein längeres Z i t a t zum Wunder-und Offenbarungsbegriff.

93

Schleiermachers O n k e l und väterlicher Freund Samuel Ernst T i m o t h e u s Stubenrauch ( 1 7 3 8 — 1 8 0 7 ) meldete in seinem am 16. Juli 1 7 9 9

begonnenen

Brief den Erhalt der Schrift: „Recht sehr danke ich Ihnen, daß sie mir die schon lange erwartete Schrift nun endlich geschickt und auch mit ihren Eigenthümlichkeiten mich vorläufig in etwas bekannt gemacht haben. Gewaltig ist meine Neugier diesmal auf die Probe gestellt, da ich dies Buch — ohne es öffnen und ansehn zu können — ganzer 2 4 Stunden versiegelt bey mir behalten mußte, da ich es M o n t a g s erst auf die Accise schicken konnte. Jetzt kann ich mich über den Inhalt noch nicht näher einlaßen, da ich bis jetzt nur noch die erste Rede oder die Apologie habe durchlesen k ö n n e n , denn sie erfordert ganze Aufmerksamkeit aber schon daraus bin ich in den Stand gesetzt dem Urtheil ihrer dortigen Freunde aus Ueberzeugung beyzutreten, daß sie sehr gut geschrieben und nach dem, was Sie mir von der Z e i t , in welcher sie sie abgefaßt haben, mitgetheilt haben, muß ich Ihnen

34

Historische Einführung des Herausgebers

Im Freundes- und Bekanntenkreis Schleiermachers waren die „Reden" für längere Zeit ein Werk, das immer wieder als exemplarische Darstellung der neuen romantischen Religionsauffassung diskutiert und gewürdigt wurde. Friedrich Schlegel berichtete etwa am 10. Oktober 1799 aus Jena an Schleiermacher: „Goethe hat sich mein prächtiges Exemplar geben lassen, und konnte nach dem ersten begierigen Lesen von zwey oder drey Reden gegen Wilhelm die Bildung und die Vielseitigkeit dieser Erscheinung nicht genug rühmen. Je nachläßiger indessen der Styl und je christlicher die Religion wurde, je mehr verwandelte sich dieser Effekt in sein Gegentheil, und zuletzt endigte das Ganze in einer gesunden und fröhlichen Abneigung. Also ein neuer Beleg für die innere Duplicität dieses Mittels. Hardenberg hat Dich mit dem höchsten Interesse studirt und ist ganz eingenommen, durchdrungen begeistert und entzückt. Er behauptet nichts an Dir tadeln zu können, und in so fern einig mit Dir zu seyn. Doch damit wird es nun wohl so so stehen. Er hat mir einen Aufsatz über Katholicismus verheißen, auch will er über Dein Buch mir etwas für Dich aufschreiben. [...] Schellingen geht es mit Deinen Reden fast wie Fichte'n. Jedoch hatte er Hochachtung, und sagte mir wenn Du nur etwa noch etwas des Inhalts oder der Art schriebest, oder auch etwas zur Vertheidigung der jetzigen Schrift, so wolle er dann damit anfangen, und hernach auch die jetzige Schrift gründlich studiren, die ihm wie Fichte'n sehr schwer zu lesen und zu verstehn wird. Er ist ungefähr eben so weit darin gekommen wie Fichte." 94

auch allerdings das Zeugniß geben, daß Sie sehr fleißig dabey gewesen; aber das ist wohl allerdings vorauszusetzen, daß Sie mit dem Plan und den Ansichten und Ideen schon zu Richtigkeit gekomen waren, ehe Sie anfingen, sie wirklich schriftlich abzufassen." (KGA V / 3 , Nr. 677, 6 - 2 1 ) . Z u m Inhalt der „Reden" bekundete Stubenrauch etwas später eine wohlwollende Zurückhaltung (vgl. KGA V / 3 . Nr. 680, 8 - 1 6 ) . 94

KGA V / 3 , Nr. 710, 3 - 1 5 . 2 4 - 3 0 .

II. Die A u f n a h m e der „Reden"

35

In seinem 1799 geschriebenen und posthum vollständig 1826 veröffentlichten Aufsatz „Die Christenheit oder Europa" rühmt Friedrich von Hardenberg (Novalis) (1772—1801) kaum verhüllt Schleiermachers epochale Bedeutung für die Religion: „Zu einem Bruder will ich euch führen, der soll mit euch reden, daß euch die Herzen aufgehn, und ihr eure abgestorbene geliebte Ahndung mit neuem Leibe bekleidet, wieder umfaßt und erkennt, was euch vorschwebte, und was der schwerfällige irdische Verstand freilich euch nicht haschen konnte. Dieser Bruder ist der Herzschlag der neuen Zeit, wer ihn gefühlt hat zweifelt nicht mehr an ihrem Kommen, und tritt mit süßem Stolz auf seine Zeitgenossenschaft auch aus dem Haufen hervor zu der neuen Schaar der Jünger. Er hat einen neuen Schleier für die Heilige gemacht, der ihren himmlischen Gliederbau anschmiegend verräth, und doch sie züchtiger, als ein Andrer verhüllt. — Der Schleier ist für die Jungfrau, was der Geist für den Leib ist, ihr unentbehrliches Organ dessen Falten die Buchstaben ihrer süßen Verkündigung sind; das unendliche Faltenspiel ist eine Chiffern-Musik, denn die Sprache ist der Jungfrau zu hölzern und zu frech, nur zum Gesang öffnen sich ihre Lippen. Mir ist er nichts als der feierliche Ruf zu einer neuen Urversammlung, der gewaltige Flügelschlag eines vorüberziehenden englischen Herolds. Es sind die ersten Wehen, setze sich jeder in Bereitschaft zur Geburt!" 9 5 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775—1854) äußerte sich zunächst nach einem nur oberflächlichen ersten Leseeindruck reserviert und verfaßte wohl auch im Gegenzug gegen die

95

Novalis: Schriften, Bd. 3, hg. v. Richard Samuel / Hans-Joachim Mähl / Gerhard Schulz, 3. Aufl., Stuttgart 1983, S. 5 0 7 - 5 2 4 , hier 5 2 1 , 4 - 2 2 . Der Aufsatz wurde posthum zunächst auszugsweise (vgl. Novalis Schriften, hg. v. Ludwig Tieck / Friedrich Schlegel, Bd. 2, Berlin 1 8 0 2 , S. 5 3 4 - 5 5 2 ) und später vollständig (vgl. Novalis Schriften, 4. Aufl., Bd. 1, Berlin 1 8 2 6 , S. 1 8 7 - 2 0 8 ) veröffentlicht.

36

Historische Einführung des Herausgebers

„Reden" im Herbst 1799 das Gedicht „Epikurisch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens" 9 6 . Schelling sprach aber später am 3. Juli 1801 gegenüber August Wilhelm Schlegel seine große Verehrung für die „Reden" aus: „ich ehre jetzt den Verfasser als einen Geist, den man nur auf der ganz gleichen Linie mit den ersten Original-Philosophen betrachten kann. Ohne diese Originalität ist es nicht möglich, so das Innerste der Speculation durchdrungen zu haben, ohne auch nur eine Spur der Stufen, die man durchgehen mußte, zurückzulassen. Das Werk, wie es ist, scheint mir bloß aus sich selbst entsprungen, und ist dadurch nicht nur die schönste Darstellung, sondern zugleich selbst ein Bild des Universums, und gleichwohl muß, wer etwas der Art hervorbringen will, die tiefsten philosophischen Studien gemacht haben — oder er hat durch blinde göttliche Inspiration geschrieben." 97 Schelling ließ sich als Zeichen seiner Wertschätzung sein Exemplar der „Reden", das er 1801 von A. W. Schlegel bekommen hatte, „wie ein wahrhaft geistliches Buch in schwarzen Corduan mit goldnem Schnitt binden." 9 8 August Wilhelm Schlegel (1767-1845) schlug Schleiermacher am 9. Juni 1800 bei den Vorbereitungen zum dann gescheiterten Zeitschriftenprojekt vor, die „Reden" gleichsam als Schleiermachers literarische Visitenkarte zu nutzen. 9 9 Schleiermachers Einwand, die „Reden" hätten eine zu geringe Resonanz gefunden, um als Qualitätsbeweis dienen zu können, ließ A. W. Schlegel nicht gelten; er antwortete am 7. Juli 1800: „Wenn Sie sonst keine Einwendung gegen die Nennung der Reden über die

96

Vgl. Aus Schellings Leben. In Briefen, hg. v. Gustav Leopold Plitt, Bd. 1, Leipzig 1869, S. 2 8 2 - 2 8 9 sowie KGA V / 3 , Nr. 725, Anm. zu 7 1 - 7 5 . Die umstrittene Publikation im „Athenaeum" unterblieb auf Goethes Rat (vgl. KGA V / 3 , Nr. 754, 6 1 - 6 6 ) .

97 98 99

Aus Schellings Leben 1, 345. A. W. Schlegel, in: Briefe 3, 291. Vgl. A. W. Schlegel, in: KGA V/4, Nr. 882, 107 f.

II. Die Aufnahme der „Reden"

37

Religion in der Einleitung statt Ihres Namens haben, als daß das Buch nicht bekannt genug sey, so fällt diese von selbst weg; ich versichre Sie, daß es Sensation gemacht, wo ich nur hingehört, noch neulich geschah mir aus Schlesien von Neubeck eine Anfrage deswegen. Daß es noch nicht in großer Anzahl verkauft worden, beweist dagegen nichts. Wer weiß aber, Sie schreiben noch vor Anfang des Instituts ein Buch mit ihrem Namen. Mit der Anonymität, das lassen Sie nicht dauern — ich glaube es würde mir auch schlecht gelingen." 100 Johann Wilhelm Ritter (1776-1810) billigte den „Reden" gleichsam epochale Bedeutung zu. 1 0 1 August Ludwig Hülsen (1765 — 1810) konnte sich gerade wegen der hohen Qualität der „Reden" zunächst nur Fichte oder Schelling als Verfasser vorstellen 102 ; auf Schleiermacher, den das ziemlich kränkte 1 0 3 , kam er nicht. Die „Reden" wirkten auf durchaus unterschiedliche religiöse Charaktere. Einigen wurde die Lektüre zum Bekehrungserlebnis. Im Sinne einer theologischen Befreiung hat Claus Harms (1778 — 1855) sein Studienerlebnis der Jahreswende 1801/02 und seinen Bruch mit dem Rationalismus geschildert: „Ein Freund sagte mir in einem Collegio: Du, Harms, ich habe ein Buch bekommen, das ist eins für dich. Ich weiß nichts damit zu machen, du vielleicht; du sollst es von mir haben, aber sage mir darnach, was du von demselben hältst. Das waren Schleiermachers Reden über die Religion. Wir gingen nach der Stunde eben am Hause des Freundes vorbei, er holte das Buch aus sei-

100

A. W. Schlegel, in: KG A V / 4 , Nr. 908, 2 2 - 3 0 .

101

Vgl. Dorothea Veit, in: KGA V / 4 , Nr. 935, 20 f. Vgl. Hülsen, in: KGA V / 3 , Nr. 704, 10—57. Statt einer eigenen eingehenden Beurteilung stellte Hülsen die eines älteren Landpredigers in Aussicht, die aber nicht zustande kam (vgl. KGA V / 3 , Nr. 780, 5 6 - 6 5 ) . Zu Hülsens Wertschätzung vgl. KGA V / 3 , Nr. 845, 8 5 - 9 3 .

102

103

Vgl. KGA V / 4 , Nr. 928, 1 0 2 - 1 0 5 .

38

Historische Einführung des Herausgebers

ner Stube und ich ging mit diesem Buch unter'm Arm nach Hause. Es war ein Sonnabend-Mittag. Nachmittags fing ich an darin zu lesen, bestellte bald bei der Wärterin, jedem Kommenden zu sagen, ich wollte nicht gestört werden, las tief in die Nacht hinein und brachte es zu Ende, mag darnach wohl ein paar Stunden geschlafen haben, fing Sonntag Morgen wieder von vorn zu lesen an, las den Vormittag, fing nach Tisch wieder zu lesen an — da ward es mir im Kopfe nicht anders, als würden zwei Schrauben an meine Schläfen gesetzt. Darauf legte ich das Buch hin, ging um den kleinen Kiel, den einsamen Gang, den Gang der Stillen in der Stadt, und auf diesem Gange war's, daß ich wie mit einem Male allen Rationalismus und alle Aesthetik und alles Selbstwissen und alles Selbstthun in dem Werke des Heils als nichtig und als ein Nichts erkannte, und mir die Nothwendigkeit wie einblitzte, daß unser Heil von anderer Herkunft sein müßte. Ist dieses wem mysteriös, mystisch, und diese Erzählung eine Mythe, ein Phantasma, so nehm' er's so; ich kann's nicht deutlicher geben, hab' aber daran, was ich die Geburtsstunde meines höhern Lebens nenne; doch richtiger gesagt: die Todesstunde meines alten Menschen nach seiner Erkenntniß in göttlichen Dingen, anders gesprochen, wie Stilling gesprochen von dem Eindruck, den Herder auf ihn gemacht habe: ich empfing von diesem Buch den Stoß zu einer ewigen Bewegung." 1 0 4 Der spätere Kollege Schleiermachers in der Berliner Theologischen Fakultät Philipp Konrad Marheineke (1780—1846) hatte bei der Lektüre der „Reden" ein besonderes Evidenzerlebnis. Im Brief vom 9. August 1805, mit dem er sich Schleiermacher bekannt machte, schrieb Marheineke: „Ich glaube fast, daß ich erst da, als ich Sie über die Religion reden hörte, zum ersten104

Claus Harms: Lebensbeschreibung, verfasset von ihm selber, Kiel 1851, S. 67f; Ausgewählte Schriften und Predigten, hg. v. Peter Meinhold u. a., Bd. 1, Flensburg 1955, S. 79 f.

II. Die Aufnahme der „Reden"

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mal in meinem Leben mit voller Besinnung religiös und fromm gewesen bin; denn es war wahrhaftig etwas mehr, als die Reflexion, die ich wahrnahm in meinem Gemüthe, als ich auf diese Weise Ihre Bekanntschaft machte. Und wen man in solchen Stunden als einen Propheten göttlicher Offenbarung kennen gelernt hat — wie sollt' ich es Ihnen nicht sagen dürfen, daß ich Sie von ganzem Herzen liebe?" 1 0 5 Für die Aufnahme der „Reden" in ihren verschiedenen Auflagen ist besonders der Briefwechsel aufschlußreich, den Schleiermacher mit seinem Studienfreund, dem schwedischen Diplomaten und Dichter Karl Gustav von Brinckmann (Brinkman) ( 1 7 6 4 - 1 8 4 7 ) geführt hat. Am 6. Juli 1799 schrieb Schleiermacher an Brinckmann nach Paris: „Denke, ich habe meine Unschuld verloren, die literarische nemlich! Zwar vor der Welt nicht, denn es ist im strengsten incognito geschehen, aber doch innerlich und da es Leute giebt die einem jungen Menschen so etwas an den Augen ansehen so fürchte ich daß auch die böse Welt zeitig genug dahinter kommen wird. Ich habe ein kleines Büchlein über die Religion geschrieben, und wenn es der Mühe verlohnte, wenn es nicht Tollheiten genug in Paris gäbe, und wenn Du nicht absichtlich die ganze deutsche Litteratur hier gelaßen hättest, so würde ich es Dir geschikt haben." 1 0 6 Mit Verzögerung las Brinckmann die „Reden" und lobte sie brieflich am 14. M ä r z 1800 begeistert. „Das ist ja ein unendliches Buch, — das Lessingen entzückt haben würde, und das meine Erwartungen bei weitem übertroffen hat. Und doch er105

Marheineke, in: Briefe 4, 1 1 6 .

106

KG A V/3, 6 7 3 , 4 3 - 5 1 . Brinckmann bekundete am 10. Oktober 1 7 9 9 sein starkes Interesse an den „Reden" (vgl. KG A V/3, Nr. 7 0 9 , 1 2 - 1 8 ) . Schleiermacher stellte am 4. Januar 1 8 0 0 die baldige Übersendung in Aussicht und bat um ein „ordentliches Wort darüber" (KGA V/3, Nr. 7 5 8 , 94). Doch kam die Verschickung nicht zustande (vgl. K G A V/3, Nr. 7 9 6 , 46—49), und Brinckmann konnte ein Exemplar erst mit Verspätung in Hamburg bekommen.

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Historische Einführung des Herausgebers

wartete ich nicht wenig, troz der Lobpreisung im Athenäum, deren Posaunenton mir mißfiel. Seitdem hatten mir ein par recht kluge Menschen versichert, das Ganze sei ein solcher mystischer Galimathias, daß meine ganze Freundschaft für den Verfasser nicht hinreichen würde, dies Buch mit meiner filosofischen Denkart auszusöhnen. Nun weißt Du wol, wie diese Menschen Filosofie und Mystik ansehen — noch viel abgesonderter wie dieses und jenes Leben, nach der Vorstellung der Frömmlinge. Wir aber, deren synthetische Natur im Himmel und auf Erden nur έν και παν erkennen, denen Empfinden, Denken, Ahnden, Anschauen wenigstens in den Momenten der Andacht, nur freundliche Nüanzen des nämlichen Stralenspiels sind — wir können diesen Weisen die Zaubergestalt unserer Religion schwerlich versinnlichen durch das Knochenbild metafysischer Denkformen. — Dein Buch hat mich auch durch seinen ächtfilosofischen Gehalt überrascht, und entzückt. Nur der Nicht-Denker kan hier Schwärmerei finden; der edlere Schwärmer hingegen wird durch jedes Blatt zum andächtigen Weisen geläutert. Wenn ich Talent genug besässe, dies Buch möchte ich geschrieben haben; denn ich habe Geist genug um bis in das Mark seines Innhalts einzudringen, und es entwickelt eine Idee, die früh in mir das Lebensprinzip meines höheren Selbst ward — was man mir immer als Paradox vorwarf, wenn ich es so ausdrückte: ,Bei der Religion wäre der Innhalt völlig gleichgültig.' — Noch diesen Winter hab ich mich mitten in Paris mehr als je mit Religion beschäftigt, und bin völlig aufs Klare gekommen; Deine Reden aber enthalten alles was ich je dunkel, oder unentwickelt gedacht so schön und so erhaben, daß mir an dem Rezensentenbeifall nichts gelegen ist. Du siehst wie sehr ich das κοινά των φίλων schon auf Dein Buch anwende. Styl und Einkleidung möchte ich Dir ausserdem noch recht förmlich beneiden." 1 0 7 107

Brinckmann, in: KGA V / 3 , Nr. 8 1 0 , 3 - 3 4 .

II. Die Aufnahme der „Reden"

41

In seinem Antwortbrief vom 22. März 1800 betonte Schleiermacher, daß die „Reden" wie die „Monologen" gegenüber den geplanten ethischen Werken (Kritik und Entwurf der Moral) einen vorläufig-spielerischen Charakter hätten: „siehe die Reden und die Monologen nur so an, als wenn Jemand der ein recht ordentliches Concert zu geben gedenkt sich vorher und ehe die Zuhörer recht versammelt sind etwas auf seine eigne Hand fantasirt." 1 0 8 Schleiermacher, über Brinckmanns Lob höchst erfreut, erbat dennoch mehr, nämlich eine ausführliche unparteiliche Beurteilung seines Werks. Brinckmann habe aus Friedrich Schlegels Rezension der „Reden" im „Athenaeum" ersehen, daß dieser „zu einer ordentlichen Kritik nicht zu gebrauchen ist, Du weißt wie wenig man sie von den Recensenten erwarten darf, und weißt zwar nicht, kannst mirs aber glauben daß ich wenigstens herzlich ungeschikt bin mich selbst zu kritisiren. Laß Dich also erbitten dieses Liebeswerk an mir zu thun und mir ein recht ordentliches ausführliches Urtheil über die Reden abzufaßen von Deiner Unpartheilichkeit an die meinige gerichtet." 109 Wegen einer schweren Erkrankung konnte Brinckmann Schleiermachers Wunsch nicht erfüllen, sondern referierte nur ein Gesprächsurteil, das den „Reden" mangelnde Offenheit und zurückhalten der wahren Überzeugungen attestierte. 110 Schleiermacher gab sich dazu „belustigt". „Dergleichen könnte einem das Schreiben verleiden, wenn man aufs Verstandenwerden gerechnet hat; aber so thöricht bin ich zum Glük nicht gewesen." 1 1 1 Schleiermacher hob am 27. Mai besonders die stilisti-

108

KGA V / 3 , Nr. 817, 3 9 - 4 1 .

109

KGA V / 3 , Nr. 817, 4 7 - 5 3 .

110

Vgl. Brinckmann, in: KGA V / 3 , 834, 3 2 - 3 4 . 6 4 - 7 3 . KGA V/3, Nr. 847, 58. 6 4 - 6 6 .

111

42

Historische Einführung des Herausgebers

sehe Prägekraft des Rhetorischen für die Konzeption des Werks hervor. 1 1 2 Mit dem zeitlichen, sachlichen und persönlichen Abstand vom frühromantischen Schlegel-Kreis wuchs auch Schleiermachers Distanz zu den „Reden". Sie waren für ihn gleichsam zu einem biographischen Dokument geworden. Am 26. November 1803 schrieb Schleiermacher an Brinckmann: „Die Reden über die Religion sind auch bei'm Lichte besehn schlecht genug; aber hätte ich sie damals nicht frisch weg geschrieben, jezt würde ich sie gewiß nicht besser schreiben sondern gar nicht." 1 1 3 In den literarischen Kämpfen um die Frühromantiker ergriff Brinckmann öffentlich für die „Reden" Partei. Im ersten (und einzigen) „Bändchen" seiner 1804 publizierten „Gedichte", das Goethe gewidmet ist, stellte er „Elegieen" und „Arabesken" zusammen. Bei den „Arabesken" ließ Brinckmann unter der Überschrift „Die Reden an die Religion" folgendes Sinngedicht abdrucken: „War ich ein Träumender einst — auch Träume ja sendet ein Gott uns — / Horchte des Sfärengesangs, wachend vernehm' ich es hier. / Weltenerschütternd und heilig und ernst, wie die Stimme des Schicksals / Durch das Unendliche bebt, redet es laut im Gewölk: / ,Glaub' an ein göttliches Sein, an das Wahnbild nicht der Erscheinung! / Wie du das Ewige denkst, bist du des Ewigen T h e i l . ' " 1 1 4 Schleiermacher hat 1806 und erneut 1821 die „Reden" jeweils seinem Jugendfreund gewidmet. Schleiermacher begrüßte, daß sein Studienfreund Karl Gustav von Brinckmann die „Reden" den Philosophen Friedrich 112

Vgl. KGA V / 4 , Nr. 8 6 9 , 4 1 - 4 3 .

i » Briefe 4, 84. 114

Karl Gustav von Brinckmann: Gedichte, Bd. 1 [einziger], Berlin 1 8 0 4 , Arabeske Nr. 83, S. 2 0 9 . In einer Erläuterung macht Brinckmann Schleiermacher als Autor der „Reden" und „Monologen" namhaft: Diese „beiden Schriften sind schon so oft unwillkürlich mißverstanden, oder absichtlich gemißdeutet worden, daß ich mit Freude diese Gelegenheit benuze, um meinen Glauben an die echt religiöse und sittliche Tendenz dieser genialischen

II. Die A u f n a h m e der „Reden"

43

Heinrich Jacobi ( 1 7 4 3 - 1 8 1 9 ) und Karl Leonhard Reinhold (1758 — 1823) bekannt machen wollte. 1 1 5 Jacobis erste vorläufige Reaktion war nach Brinckmanns Bericht vom 4. Juli 1800 aus Eutin eher zurückhaltend: „Dein Buch wolte er während meines Hierseins lesen. Ich ließ ihm aber keine Zeit. Er hat mir aber versprochen, es zu thun, und ich wolte auch sein Endurtheil lieber schriftlich haben, um es Dir rein mitzutheilen. Die Schlegelsche Posaune hatte Dir auch bei ihm geschadet. Er hatte angefangen und es schön — nur zu schön — geschrieben gefunden, behauptet aber daß Du dich ohne Noth verfichtest, und daß auf dem Weg zu keiner Religion zu gelangen sei. ,Blos formelles Gesez ist Weg ohne Ziel, so wol in Absicht des Guten als des Wahren' sagte er mir noch gestern. Dies möchte ich Dir als die Lösung aller der Paradoxie schreiben, die man ihm vorwirft." 1 1 6 Die Abgrenzung gegenüber Johann Gottlieb Fichte (1762 — 1814), der für Schleiermacher nach der Enttäuschung über Kants Ethik („Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre" im Herbst 1797) zum Hauptvertreter der transzendentalen Ethik geworden war, tritt in Schleiermachers Antwortschreiben vom 17. Juli 1800 an Brinckmann deutlich hervor: Fichtes „Tugendlehre verdient allerdings gar sehr, daß man sie studiert. Dies schließt aber nicht aus, daß nicht sehr viel dagegen zu sagen wäre. Du siehst wenn mir kein größeres Unglük droht als Kunstwerke um so freimütiger zu bekennen, da dieser Glaube nicht einzig und allein durch das Studium derselben bewirkt, sondern zugleich durch die vertrauteste Bekanntschaft mit dem schönen Privatcharakter ihres Urhebers zur un erschiitterlichen Überzeugung erhoben worden ist." (Gedichte 1,330). 115

Vgl. K G A V/3, Nr. 8 1 7 , 6 5 - 7 1 . Ein später Hinweis auf die „Reden" findet sich bei Karl Leonhard Reinhold: Beyträge zur leichtern Uebersicht des Zustandes der Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts, Heft 5, Hamburg 1 8 0 3 , S. X .

116

Brinckmann, in: K G A V/4, Nr. 905, 2 4 - 3 3 .

44

Historische Einführung des Herausgebers

das Verfichten, so steht es noch gut genug um mich. Namentlich ist mirs wol nie eingefallen auf dem Wege eines formellen Gesezes zur Religion kommen zu wollen, und ich hoffe Jacobi wird dies auch nicht aus den Reden herauslesen können wenn er sie ordentlich liest. Ich wünsche daß der liebenswürdige Mann mich auch ein wenig lieben möge mit der Zeit, er ist der einzige von unsern namhaften Philosophen von dem ich mir dies wünsche. Reinhold ist mir höchst gleichgültig und Fichte muß ich zwar achten, aber liebenswürdig ist er mir nie erschienen. Dazu gehört, wie Du weißt für uns etwas mehr, als daß man, wenn auch der größte, spekulative Philosoph sei." 1 1 7 Nicht nur bei supranaturalistisch, sondern auch bei neologisch-rationalistisch gesonnenen Theologen wurden die „Reden" wegen ihrer pantheistischen Anklänge und ihrer Polemik gegen die natürlich-vernünftige Religion abgelehnt. Exemplarisch sei auf Friedrich Samuel Gottfried Sack verwiesen, der in einem vermutlich Anfang 1801 geschriebenen, aber erst wohl Anfang Mai 1801 abgeschickten Brief Schleiermachers Religionsbegriff scharf kritisierte und den Vorwurf der Unchristlichkeit gegen das Buch mit dem der Heuchelei gegen den ordinierten Prediger verband. „Ihr Werk über die Religion erschien. Als ich einen Theil der ersten Rede im Manuscript gelesen hatte, machte ich mir die angenehme Vorstellung, daß die Schrift eines Mannes von Geist der Religion Verehrer und Freunde unter denen, die sie bloß verkennen, gewinnen würde; und daß sie in keiner andern Absicht als in dieser geschrieben sei. Sie erinnern sich ohne 117

KGA V / 4 , Nr. 9 1 6 , 8 0 - 9 2 . Schon am 5. Juli 1799 hatte Schleiermacher gegenüber Henriette Herz eine gewisse Besorgnis vor der Reaktion Fichtes geäußert: „Ich habe ordentlich eine kleine Furcht davor, daß Fichte gelegentlich die Reden lesen wird; nicht davor daß er viel dagegen einzuwenden haben möchte, das weiß ich vorher, und es macht mir nicht bange — sondern nur, daß ich nicht weiß, w o er mir alles in die Flanke fallen wird, und daß ich nicht werde würdig mit ihm darüber reden können." (KGA V / 3 , Nr. 6 7 2 , 2 - 6 ) .

II. Die Aufnahme der „ R e d e n "

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Zweifel, mit welcher Lebhaftigkeit ich Ihnen meine Freude und meine Hoffnung zu erkennen gegeben habe; die Folge hat mich inzwischen zu bald gelehrt, wie gröblich ich mich getäuscht hatte. Ich kann das Buch, nachdem ich es bedachtsam durchgelesen habe, leider für nichts weiter erkennen, als für eine geistvolle Apologie des Pantheismus, für eine rednerische Darstellung des Spinozistischen Systems. Da gestehe ich Ihnen nun ganz freimüthig, daß dieses System mir allem dem, was mir bisher Religion geheißen hat, und gewesen ist, ein Ende zu machen scheint, und ich die dabei zum Grunde liegende Theorie für die trostloseste sowohl als verderblichste halte, und sie auf keine Art und Weise weder mit dem gesunden Verstände noch mit den Bedürfnissen der moralischen Natur des Menschen in irgend eine Art von Vereinigung zu bringen weiß. Eben so wenig begreife ich, wie ein Mann, der einem solchen Systeme anhängt, ein redlicher Lehrer des Christenthums sein könne; denn keine Kunst der Sophistik und der Beredsamkeit wird irgend einen vernünftigen Menschen jemals überzeugen können, daß der Spinozismus und christliche Religion mit einander bestehen könnten. Ich bin zwar überzeugt, daß Sie als Prediger die Grundsätze und Meinungen nicht vortragen werden, die Sie als die wahren und richtigen mit so wegwerfender Verachtung der ihnen entgegenstehenden in Ihrem Werke darzustellen gesucht haben. Sie werden fernerhin bei den gemeinen Begriffen von der Abhängigkeit des Menschen von Gott, von der Verbindung, in der wir mit dem höchsten Wesen stehen, und von den Gesinnungen der Anbetung, der Dankbarkeit, des Gehorsams und des Vertrauens, die daraus fließen, in einer verständlichen und vielleicht auch biblischen Sprache reden; aber Sie werden es als ein Mann thun, der von diesem allen in seinem Herzen nichts glaubt, der sich nur zu den Irrthümern und dem Aberglauben des undenkenden Pöbels herabläßt, und um nicht anstößig zu werden noch Redensarten gebraucht, die bei ihm selbst gar keinen oder einen durchaus verschiedenen Sinn haben. Was ist ein Prediger,

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Historische Einführung des Herausgebers

der das Universum für die Gottheit hält, dem Religion nichts weiter ist, als Anschauung des Universums; der zwischen Religiosität und Moralität durchaus keine Verknüpfung erkennt; der alle Motive zum Gutsein, die aus Religionsbegriffen hergenommen sind, verachtet und verhöhnt, der von keiner Dankbarkeit gegen einen unsichtbaren ewig lebenden Wohlthäter etwas wissen will — — — was ist ein solcher Prediger für ein bedauernswürdiger Mensch! Wie muß ihn bei jedem Worte, das er auf der Kanzel sagt, sein Herz des Doppelsinnes, der Heuchelei und des Verfälschens der Wahrheit aus lohnsüchtigem Eigennutz oder aus niedriger Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit bezüchtigen! — Lösen Sie mir das Räthsel, wie Ihnen ein Geschäft noch gefallen kann, das Ihnen doch nothwendig als Frucht und als Beförderung der Albernheit und des Aberglaubens erscheinen muß — wie Sie das Beharren bei diesem Geschäft aus Convenienz mit Ihrem eigenen Gefühl von Recht in Harmonie bringen können? Ich kann mir denken, daß ein Spinosa in sich selbst ruhig und vielleicht auch glücklich gewesen sei; aber daß er es als ein bestellter Lehrer der christlichen Religion, und wenn er öffentlich gerade das Gegentheil in seiner Philosophie hätte lehren müssen, gewesen sein würde, daran zweifle ich. Ehre macht es ihm daher, daß er, seiner Armuth ungeachtet, den ihm angebotenen Lehrstuhl in Heidelberg ausschlug. — Doch vielleicht haben Sie sich darüber einen mir unbekannten Grundsatz gemacht, und halten es nicht für Unrecht, die, religiöse Gegenstände bezeichnenden Worte zu gebrauchen, obgleich Sie den Sinn, der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch damit verbunden wird, für Unsinn halten." 1 1 8 In einer umfänglichen Replik wies Schleiermacher die persönlichen und sachlichen Vorwürfe Sacks zurück und legte dabei auch seine Intentionen, die ihn bei der Konzeption der „Re118

Sack, in: KGA, Bd. V / 5 , hg. v. Andreas Arndt / Wolfgang Virmond, Berlin / N e w York 1999, Nr. 1005, 1 6 - 7 5 .

II. Die Aufnahme der „Reden"

47

den" geleitet hatten, ausführlich dar. In diesem wohl Ende Mai 1801 geschriebenen Brief an Sack gibt Schleiermacher eine Selbstinterpretation seiner „Reden". „Hier muß ich zuerst aufs Ernstlichste gegen Ihre Ansicht von diesem Buche protestiren. Es sollte eine Apologie des Pantheismus, eine Darstellung der spinozistischen Philosophie sein? Etwas, wovon nur beiläufig auf wenigen Seiten die Rede war, sollte die Hauptsache sein? und die ganze erste Rede, worin Sie Selbst nichts dergleichen finden, und ein großer Theil der zweiten und die dritte und vierte und fünfte, in welchen allen von ganz anderen Dingen die Rede ist, kurz fast das ganze Buch sollte nur eine müßige Zugabe zu diesen wenigen Seiten sein? Sie sagen, ich sei ein Pantheist, diesem Systeme sei die Religion ganz entgegengesetzt, und zugleich sagen Sie, ich rede von den entgegengesetzten Vorstellungsarten mit wegwerfender Verachtung! H a b e ich denn von der Religion, in welchem Sinne Sie das Wort auch nehmen, habe ich von dem Glauben an einen persönlichen Gott mit Verachtung geredet? Gewiß nirgends. Ich habe nur gesagt, daß die Religion davon nicht abhange, ob man im abstracten Denken der unendlichen übersinnlichen Ursach der Welt das Prädicat der Persönlichkeit beilege oder nicht. Hiervon habe ich, obgleich so wenig als irgend Jemand ein Spinozist, den Spinoza als Beispiel angeführt, weil in seiner Ethik durchaus eine Gesinnung herrscht, die man nicht anders als Frömmigkeit nennen kann. Von dem Factum, daß einige Menschen Gott die Persönlichkeit beilegen, Andere nicht, habe ich den Grund in einer verschiedenen Richtung des Gemüths aufgezeigt und zugleich, daß keine von beiden die Religion hindere. Hievon muß man nun unterscheiden, daß ohne einen gewissen Anthropomorphismus nichts in der Religion in Worte gefaßt werden kann, und dieser ist es wohl eigentlich, den Sie, verehrungswürdiger M a n n , so festhalten, und ich thue es mit Ihnen, wie Sie in den Reden überall finden können. Allein dieser bleibt nicht in den Schranken des metaphysischen Begriffs der Persönlichkeit Gottes, hängt also

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Historische Einführung des Herausgebers

auch von diesem nicht ab, und muß also auch in der Religion auch dem erlaubt sein, dem seine Metaphysik dieses Prädicat für die Gottheit nicht gestattet. Wiederum ist aus dem Begriff der Persönlichkeit Gottes keine Religion zu entwickeln, er ist nicht die Quelle der Andacht: Niemand ist sich in derselben seiner bewußt, er zerstört sie vielmehr. Jener Anthropomorphismus herrscht auch in der Schrift, in den Reden Jesu, im Christenthum durchaus, ob aber auch jener metaphysische Begriff von Persönlichkeit mit demselben von jeher verbunden gewesen, daß möchte eine ganz andere Frage sein. Der jetzt gewöhnliche Begriff von Gott ist zusammengesetzt aus dem Merkmale der Außerweltlichkeit, der Persönlichkeit und der Unendlichkeit, und er wird zerstört, sobald eins von diesen fehlt. O b nun diese wohl schon damals gebildet sein mögen? Und wenn man manche Christen genannt hat, welche die Unendlichkeit Gottes aufhoben, ob man nicht auch ein Christ sein könnte, wenn man in seiner Philosophie eins von den andern beiden aufhebt? Mein Endzweck ist gewesen, in dem gegenwärtigen Sturm philosophischer Meinungen die Unabhängigkeit der Religion von jeder Metaphysik recht darzustellen und zu begründen. In mir ist also um irgend einer philosophischen Vorstellung willen der Gedanke eines Streites meiner Religion mit dem Christenthum niemals entstanden und nie ist mir eingefallen, mich als den Diener einer mir verächtlichen Superstizion anzusehen, vielmehr bin ich sehr überzeugt die Religion wirklich zu haben, die ich verkündigen soll, wenn ich auch eine ganz andere Philosophie hätte, als die Meisten von denen, welche mir zuhören. Eben so wenig ist in mir eine irgend unwürdige Klugheit oder reservatio mentalis, sondern ich lege den Worten gerade die Bedeutung bei, die ihnen der Mensch, indem er in der religiösen Betrachtung begriffen ist, beilegt — nur nicht außerdem noch irgend eine andre. Eben der Endzweck schwebte mir auch vor, indem ich meine Meinung von dem Verhältniß der Religion zur Moral mittheilte. Deutlich genug habe ich gesagt, um es nicht wiederholen

II. Die Aufnahme der „ R e d e n "

49

zu dürfen, daß ich die Religion nicht deswegen für etwas Leeres halte, weil ich erkläre, daß sie zum Dienst der M o r a l nicht nothwendig ist. Deutlich genug, daß ich unsere kirchliche Anstalt, wie sie jetzt ist, für ein doppeltes, theils der Religion, theils der Moral gewidmetes Institut halte, und so glaube ich also weder etwas meiner Ueberzeugung Zuwiderlaufendes, noch etwas Geringes zu thun, wenn ich von der Religion zu den Menschen rede, als zu solchen, die zugleich moralisch sein sollen, und von der M o r a l , als zu solchen, die zugleich religiös zu sein behaupten, von beiden nach dem Verhältniß, welches ich jedesmal schicklich finde. Vielmehr halte ich den Stand des Predigers für den edelsten, den nur ein wahrhaft religiöses, tugendhaftes und ernstes Gemüth würdig ausfüllen kann, und nie werde ich ihn mit meinem Willen gegen einen andern vertauschen. [...] H a b e ich wirklich durch die Herausgabe jener Reden meine Nutzbarkeit als Prediger geschwächt: es ist nicht meine Schuld. D a s wußte ich wohl, daß viele nicht im Stande sein würden ihre Metaphysik und ihre Religion zu trennen, und daß diese dem, der eine andre Metaphysik für gleichgültig hält, auch keinen herzlichen Eifer für die Religion zutrauen würden, und daß ich mich nicht gegen Alle würde näher erklären können. Deshalb und nur deshalb sezte ich dem Buche meinen Namen nicht vor, und that ernstlich das Meinige ihn unbekannt bleiben zu lassen. D a ß ich diesen Endzweck nicht erreicht,liegt nicht an mir, sondern an der in Berlin einheimischen literarischen Neugierde und Plauderei."119 Georg Ludwig Spalding ( 1 7 6 2 — 1 8 1 1 ) , Gymnasialprofessor in Berlin, war durch den pantheistischen Schein der „Reden" nicht erschreckt. Er schrieb am 3. Juni 1803 an Schleiermacher: „So bleibt es auch mir zuweilen ungewis, ob der Verfasser der Reden über die Religion, die Wörter G o t t , Unsterblichkeit in

119

KGA V / 5 , Nr. 1065, 6 4 - 1 3 4 . 1 6 4 - 1 7 4 .

50

Historische Einführung des Herausgebers

der gewöhnlichen Bedeutung nehme. [...] In welchem Sinne er die Wörter auch nehme, es wird ein herzvoller, ein wahrer, Sinn sein; er wird Liebe tragen zu dem großen Wesen, das nicht er ist, nicht die Menschen um ihn her, das alles das ist, was von der Menschen Wilkiihr nicht abhängt, was die Leute wol Natur zu nennen pflegen. Gott und Natur mag zusammenfließen: aber ihm wird vielmehr die Natur Gott als Gott die Natur sein; ein Unterschied, wie ich ihn mir oft gedacht habe zwischen Xenofanes und Parmenides auf der einen, und Spinoza auf der anderen Seite." 120 Spalding erklärte sich „die Reden aus den Predigten, nicht umgekehrt" 1 2 1 . Für Spalding war die Innigkeit und Aufrichtigkeit der denkenden Frömmigkeit Schleiermachers entscheidend. 3) Entwicklungslinien: Die „Reden" erfuhren zu Schleiermachers Lebzeiten noch drei weitere Auflagen. Bei der zweiten Auflage 1806 und der dritten Auflage 1821 nahm Schleiermacher Umarbeitungen und Ergänzungen des Textes vor und fügte in der dritten Auflage außerdem ausführliche Erläuterungen hinzu; bei der vierten Auflage 1831 führte Schleiermacher vornehmlich stilistische 120

Schleiermacher-Nachlaß im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [ = SN], Nr. 394, Bl. 1 5 r - v ; vgl. Briefe 3, 345 f.

121

S N 394, Bl. 16r; vgl. Briefe 3, 346. Spalding sah den Erfolg der ersten Predigtsammlung Schleiermachers im Zusammenhang mit dem Aufsehen, das die „Reden" erregt hatten. So schrieb er am 12. November 1802 an Schleiermacher: „Merkwürdig ist es, daß Ihre Predigten bei vielen Interesse erregt haben und Beifall gewonnen, die sonst von Predigten nichts wissen wollen. Ich leugne nicht meine Vermuthung, daß dieses etwas durch die vorhergegangenen Reden bewirkt worden. Dis scheinen mir etwa die Wunder gewesen zu sein, welche Ihrer Lehre Glauben bereiteten. Von mir selbst gestehe ich: ich glaube, wie Rousseau, malgré les miracles; aber darum ist mir der Erfolg nicht weniger lieb". (SN 394, Bl. 5 v - 6 r ; vgl. Lommatzsch: Schleiermacher's Lehre vom Wunder 105, Anm. 2).

51

II. Die Aufnahme der „Reden"

Glättungen durch. Der Textbestand der zweiten bis vierten Auflage ist in der ,Kritischen Gesamtausgabe' in einem eigenen Band dokumentiert, indem auf der Textgrundlage der vierten Auflage die Textfassungen der zweiten und dritten Auflage in einem Variantenapparat mitgeteilt w e r d e n . 1 2 2 Die Rezeptionsgeschichte der „Reden" ist stark dadurch bestimmt,

welche

Textfassung

den

Schleiermachers Tod zugrunde gelegt

späteren wurde. 1 2 3

Ausgaben

nach

Hier lassen sich

deutliche Unterschiede zwischen dem 19. Jahrhundert und dem 2 0 . Jahrhundert konstatieren mit einer Rezeptionsverlagerung von der Letztfassung zur Erstfassung. Die Letztfassung ist in die von Schleiermachers Schülern veranstaltete Gesamtausgabe „Sämmtliche W e r k e " aufgenommen w o r d e n 1 2 4 und hat die Wirkungsgeschichte der „Reden" durch das gesamte 19. Jahrhundert geprägt. Im 19. Jahrhundert wurde nämlich insgesamt zehnmal die Textfassung der vierten Auflage von 1831 gedruckt: 1834, 1843 zweimal, 1859, 1868, 1878, 1 8 8 0 , 1889, 1895, 1899. Abweichend legte Siegfried Lommatzsch seiner Ausgabe von 1888 den Text der zweiten Auflage von 1 8 0 6 zugrunde. Eine Sonderstellung nimmt die kritische Ausgabe 1879 von Bernhard P ü n j e r 1 2 5 ein, die auf der Text122

Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Hermann Fischer / Gerhard Ebeling / Heinz Kimmerle / Günter Meckenstock / Kurt-Victor Selge, Bd. 1/12, Reden über die Religion (2. — ) 4. Auflage, Monologen (2. — ) 4. Auflage, hg. v. Günter Meckenstock, Berlin / New York 1 9 9 5 , S. 1 - 3 2 1 .

123

Vgl. Meding: Bibliographie, Nr. 1 7 9 9 / 5 .

124

Vgl. Sämmtliche Werke, Bd, 1/1, Berlin 1843, S. 1 3 3 - 4 6 0 .

125

Reden Ueber die Religion. Kritische Ausgabe. Mit Zugrundelegung des Textes der ersten Auflage besorgt von G. Ch. Bernhard Pünjer, Braunschweig 1 8 7 9 . Pünjers Ausgabe ist allerdings keine kritische Edition im strengen Sinne. In seinem Variantenapparat erfaßt Pünjer die Abweichungen der zweiten und dritten Auflage nicht vollständig, die Abweichungen der vierten Auflage überhaupt nicht. Abweichungen in Schreibweise und Zeichensetzung sowie Korrekturen von Druckfehlern weist er nicht nach. Er normiert

52

Historische Einführung des Herausgebers

grundlage der Erstauflage die Varianten der zweiten und dritten Auflage mitteilt. Die 1899 von Rudolf Otto veranstaltete Säkularausgabe 1 2 6 der Erstauflage wandelte die Rezeption völlig. Im 20. Jahrhundert dominierte eindeutig die Erstfassung, die sowohl in den meisten Einzelausgaben als auch in den Werksammlungen wiedergegeben wurde. Bisher gab es insgesamt 33 Ausgaben mit dem Text der Erstauflage; allein die Edition von Otto erlebte sieben Auflagen. Außerdem wurde zweimal der Text der vierten Auflage zugrunde gelegt. Ab 1887 gab es sechs verkürzte Ausgaben sowie ab 1912 eine größere Anzahl von Textauszügen.

die Schreibweise und nimmt häufig Korrekturen auch gegen das Druckfehlerverzeichnis vor. Er gibt keinen textkritischen Apparat und keinen Sachapparat. 126

Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Z u m Hundertjahr-Gedächtnis ihres ersten Erscheinens in ihrer ursprünglichen Gestalt neu herausgegeben von Rudolf Otto, Göttingen 1899; 7. Aufl., 1991.

Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799)

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I. Apologie

II.

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. . . .

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38

III.

Ü&er &ie SiT&ung j u r DMigion

. . . .



i34

IV.

Ü&er 6αβ ©efeïïige in ber Díeíígion, ober liter Λ ι τ φ ΐ un& Priefiert^um . . .



174



a35

V.

Ü&er &ie Religionen

E r s t e Rede.

Apologie. Es mag ein unerwartetes Unternehmen sein, und Ihr mögt Euch billig darüber wundern, daß jemand gerade von denen, welche sich über das G e meine erhoben haben, und von der Weisheit des Jahrhunderts durchdrungen sind, Gehör verlangen kann für einen, von ihnen so ganz vernachläßigten Gegenstand. Ich bekenne, daß ich nichts anzugeben weiß, was mir einen glücklichen Ausgang weissagete, nicht einmal den, meinen Bemühungen Euren Beifall zu gewinnen, vielweniger jenen, Euch meinen Sinn und meine Begeisterung mitzutheilen. Von Alters her ist der Glaube nicht jedermanns Ding gewesen, von der Religion haben immer nur Wenige etwas verstanden, wenn Millionen auf mancherlei Art mit den Umhüllungen gegaukelt I haben, mit denen sie sich aus Herablaßung willig umhängen ließ. Jetzt besonders ist das Leben der gebildeten Menschen fern von allem was ihr auch nur ähnlich wäre. Ich weiß daß Ihr eben so wenig in heiliger Stille die Gottheit verehrt, als Ihr die verlaßenen Tempel besucht, daß es in Euren geschmackvollen Wohnungen keine andere Hausgötter giebt, als die Sprüche der Weisen und die Gesänge der Dichter, und daß Menschheit und Vaterland, Kunst und Wissenschaft, denn Ihr glaubt dies alles ganz umfassen zu können, so völlig von Eurem Gemüthe Besitz genommen haben, daß für das ewige und heilige Wesen, welches Euch jenseit der Welt liegt, nichts übrig bleibt, und Ihr keine Gefühle habt für dasselbe und mit ihm. Es ist Euch gelungen das irdische Leben so reich und vielseitig zu machen, daß Ihr der Ewigkeit nicht mehr bedürfet, und nachdem Ihr Euch selbst ein Universum geschaffen habt, seid Ihr überhoben an dasjenige zu denken, welches Euch schuf. Ihr seid darüber einig, ich weiß es, daß nichts Neues und nichts Triftiges mehr gesagt werden kann über diese Sache, die von Philosophen und Propheten, und dürfte ich nur nicht hinzusetzen, von Spöttern und Priestern, nach allen Seiten zur Genüge be-|arbeitet ist. Am

lOf Vgl. 2 Thess 3,2

58

[190]

Über die Religion

wenigsten — das kann Niemanden entgehen — seyd Ihr geneigt, von den Letzteren darüber etwas zu hören, welche sich Eueres Vertrauens schon längst unwürdig gemacht haben, als solche, die nur in den verwitterten Ruinen des Heiligthums am liebsten w o h n e n , und auch dort nicht leben k ö n nen, ohne es noch mehr zu verunstalten und zu verderben. Dies alles weiß ich, und bin dennoch von einer innern und unwiderstehlichen N o t h w e n digkeit, die mich göttlich beherrscht, gedrungen zu reden, und kann meine Einladung, daß gerade Ihr mich hören mögt, nicht zurücknehmen. Was das letzte betrifft, so könnte ich Euch wohl fragen: wie es denn k o m m e , daß, da Ihr über jeden Gegenstand, er sey wichtig oder gering, am liebsten von denen belehrt seyn wollt, welche ihm ihr Leben und ihre Geisteskräfte gewidmet haben, und Eure Wißbegierde auch die Hütten des Landmanns und die Werkstätten der niederen Künstler nicht scheuet, Ihr nur in Sachen der Religion alles für so verdächtiger haltet, wenn es von denen k o m m t , welche die Virtuosen derselben zu sein behaupten, und von Staat und V o l k dafür angesehen werden! I h r werdet gewiß nicht beweisen können, daß sie es nicht sind, und daß sie eher alles andere | haben und predigen, als Religion. Ein solches unberechtigtes Urtheil also wie billig verachtend bekenne ich vor E u c h , daß auch ich ein Mitglied dieses Ordens bin, und ich wage es auf die Gefahr, wenn ihr mich nicht aufmerksam anhöret, mit dem großen Haufen desselben unter eine Benennung geworfen zu werden. E s ist wenigstens ein freiwilliges Geständniß, denn meine Sprache sollte mich nicht verrathen haben, und die Lobsprüche meiner Zunftgenoßen auch nicht; was ich will, das liegt so gut als völlig außer ihrem Kreise, und m ö c h t e dem wenig gleichen, was sie gern sehen und hören wollen. In das Hülferufen der Meisten über den Untergang der Religion stimme ich nicht ein, denn ich wüßte nicht, daß irgend ein Zeitalter sie beßer aufgenommen hätte als das gegenwärtige, und ich habe nichts zu schaffen mit den altgläubigen und barbarischen Wehklagen, wodurch sie die eingestürzten Mauern ihres jüdischen Zions und seiner gothischen Pfeiler wieder emporschreien möchten. Ich bin mir bewußt, daß ich in allem, was ich E u c h zu sagen habe, meinen Stand völlig verläugne, warum sollte ich ihn also nicht wie irgend eine andere Zufälligkeit bekennen? D i e ihm erwünschten Vorurtheile sollen uns nicht hindern, und seine hei-|lig gehaltene Grenzsteine alles Fragens und Mittheilens sollen nichts gelten zwischen uns. Als Mensch rede ich zu Euch von den heiligen Mysterien der Menschheit nach meiner Ansicht, von dem was in mir war als ich noch in jugendlicher Schwärmerei das Unbekannte suchte, von dem was seitdem ich denke und lebe die innerste Triebfeder meines Daseins ist, und was mir

1 Niemanden] vgl. Adelung: Wörterbuch 3,808f 7 gedrungen] so DV; OD: durchdrungen 14 für so] Kj für desto 19 ein] so DV; OD: nie

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auf ewig das Höchste bleiben wird, auf welche Weise auch noch die Schwingungen der Zeit und der Menschheit mich bewegen mögen. Daß ich rede rührt nicht her aus einem vernünftigen Entschluße, auch nicht aus Hoffnung oder Furcht, noch geschiehet es einem Endzweke gemäß oder aus irgend einem willkührlichen oder zufälligen Grunde: es ist die innere unwiderstehliche Nothwendigkeit meiner Natur, es ist ein göttlicher Beruf, es ist das was meine Stelle im Universum bestimmt, und mich zu dem W e sen macht, welches ich bin. Sei es also weder schiklich noch rathsam von der Religion zu reden, dasjenige was mich also dringt, erdrückt mit seiner himmlischen Gewalt diese kleinen Begriffe. Ihr wißt daß die Gottheit durch ein unabänderliches Gesez sich selbst genöthiget hat, ihr großes W e r k bis ins Unendliche hin zu entzweien, jedes bestimmte Dasein nur aus zwei | entgegengesezten Kräften zusammenzuschmelzen, und jeden ihrer ewigen Gedanken in zwei einander feindseligen und doch nur durch einander bestehenden und unzertrennlichen Zwillingsgestalten zur Wirklichkeit zu bringen. Diese ganze körperliche Welt, in deren Inneres einzudringen das höchste Ziel Eures Forschens ist, erscheint den Unterrichtetsten und Denkendsten unter Euch nur als ein ewig fortgeseztes Spiel entgegengesezter Kräfte. Jedes Leben ist nur das Resultat eines beständigen Aneignens und Abstoßens, jedes Ding hat nur dadurch sein bestimmtes Dasein, daß es die beiden Urkräfte der Natur, das durstige an sich ziehen und das rege und lebendige Selbst verbreiten, auf eine eigenthümliche Art vereinigt und festhält. Es scheint mir als ob auch die Geister, sobald sie auf diese Welt verpflanzt werden, einem solchen Geseze folgen müßten. Jede menschliche Seele — ihre vorübergehende Handlungen sowohl als die innern Eigent ü m l i c h k e i t e n ihres Daseins führen uns darauf — ist nur ein Produkt zweier entgegengesezter Triebe. Der eine ist das Bestreben alles was sie umgiebt an sich zu ziehen, in ihr eignes Leben zu verstriken, und w o möglich in ihr innerstes Wesen ganz einzusaugen. Der andere ist die Sehnsucht ihr eigenes inneres | Selbst von innen heraus immer weiter auszudehnen, alles damit zu durchdringen, allen davon mitzutheilen, und selbst nie erschöpft zu werden. Jener ist auf den Genuß gerichtet, er strebt die einzelnen Dinge an, die sich zu ihm hinbeugen, er ist gestillt so oft er eines von ihnen ergriffen hat, und w i r k t nur mechanisch immer auf das nächste. Dieser verachtet den Genuß und geht nur auf immer wachsende und erhöhte Thätigkeit; er übersieht die einzelnen Dinge und Erscheinungen, eben weil er sie durchdringt, und findet überall nur die Kräfte und Wesenheiten an denen sich seine Kraft bricht; alles will er durchdringen, alles mit Vernunft und Freiheit erfüllen, und so geht er gerade aufs Unendliche und sucht und w i r k t überall Freiheit

4 Endzweke] Entzweke eigens

13 entgegengesezten] entgegensezten

19 Aneignens] Ann-

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Über die Religion

und Zusammenhang, Macht und G e s e z , Recht und Schiklichkeit. So wie aber von den körperlichen Dingen kein einziges allein durch eine von den beiden Kräften der materiellen Natur besteht, so hat auch jede Seele einen Theil an den beiden ursprünglichen Functionen der geistigen Natur, und die Vollkommenheit der intellektuellen Welt besteht darin, daß alle mögliche Verbindungen dieser beiden Kräfte zwischen den beiden entgegengesetzten Enden, da hier die eine dort die andere fast ausschließend alles ist, und I der Gegnerin nur einen unendlich kleinen Theil übrig läßt, nicht nur wirklich in der Menschheit vorhanden seien, sondern auch ein allgemeines Band des Bewußtseins sie alle umschlinge, so daß jeder Einzelne, ohnerachtet er nichts anderes sein kann als was er sein m u ß , dennoch jeden anderen eben so deutlich erkenne als sich selbst, und alle einzelne Darstellungen der Menschheit vollkommen begreife. Diejenigen, welche an den äußersten E n den dieser großen Reihe liegen, sind heftige ganz in sich selbst gekehrte und sich vereinzelnde Naturen. D e n Einen gebietet die unersättliche Sinnlichkeit eine immer größere Maße irdischer Dinge um sich her zu sammeln, die sie gern aus dem Zusammenhange des Ganzen herausriße, um sie ganz und allein sich einzuverleiben; in dem ewigen Wechsel zwischen Begierde und G e n u ß kommen sie nie über die Wahrnehmungen des Einzelnen hinaus, und immer mit selbstsüchtigen Beziehungen beschäftigt, bleibt ihnen das Wesen der übrigen Menschheit unbekannt. D i e Anderen treibt ein ungebildeter, sein Ziel überfliegender Enthusiasmus rastlos im Universum umher; ohne irgend etwas wirkliches beßer zu gestalten und zu bilden, schweben sie um leere Ideale herum und ihre Kraft ohne N u t z e n verdünnend und verzeh-|rend kehren sie thatenlos und erschöpft auf ihren ersten Punkt zurück. W i e sollen diese äußersten Entfernungen zusammengebracht werden, um die lange Reihe in jenen geschloßenen Ring zu gestalten, der das Sinnbild der Ewigkeit und der Vollendung ist? Es giebt freilich einen gewißen Punkt, w o ein fast vollkommnes Gleichgewicht beide vereiniget, und diesen pflegt Ihr weit öfter zu überschäzen, als daß er zu niedrig gewürdigt würde, indem er gemeinhin nur ein Zauberwerk der mit den Idealen der Menschen spielenden Natur, und nur selten das Resultat einer angestrengten und durchgeführten Selbstbildung ist. Ständen aber Alle, die nicht mehr an den äußersten Enden w o h n e n , auf diesem Punkte, so wäre gar keine Verbindung jener Enden mit dieser Mitte möglich, und der E n d z w e c k der Natur wäre gänzlich verfehlt. In die Geheimniße einer solchen zur R u h e gebrachten Mischung dringt nur der gedankenvolle Kenner ein; für jedes gemeine Auge sind die einzelnen Elemente darin gänzlich verborgen, und es würde nie weder sein eigenes noch das ihm entgegengesezte erkennen. Darum sendet die Gottheit zu allen Zeiten hie und da Einige, in denen bei-

39 entgegengesezte] entgegesezte

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des auf eine fruchtbarere Weise verbunden ist, rüstet sie aus mit wunderbaren Gaben, eb-|net ihren Weg durch ein allmächtiges Wort, und sezt sie ein zu Dolmetschern ihres Willens und ihrer Werke, und zu Mittlern desjenigen, was sonst ewig geschieden geblieben wäre. Sehet auf diejenigen, welche einen hohen Grad von jener anziehenden Kraft, die sich der umgebenden Dinge thätig bemächtigt, in ihrem Wesen ausdrüken, zugleich aber auch von dem geistigen Durchdringungstriebe der nach dem Unendlichen strebt, und in Alles Geist und Leben hineinträgt, so viel besizen, daß sie ihn in den Handlungen äußern, wozu jener sie antreibt; diesen genügt es nicht eine rohe Maße irdischer Dinge gleichsam zerstörend zu verschlingen, sondern sie müßen etwas vor sich hinstellen, es in eine kleine Welt, die das Gepräge ihres Geistes trägt, ordnen und gestalten, und so herrschen sie vernünftiger, genießen bleibender und menschlicher, so werden sie Helden Gesetzgeber Erfinder Bezwinger der Natur, gute Dämonen, die eine edlere Glükseligkeit im Stillen schaffen und verbreiten. Solche beweisen sich durch ihr bloßes Dasein als Gesandte Gottes und als Mittler zwischen dem eingeschränkten Menschen und der unendlichen Menschheit. Sie zeigen dem unthätigen bloß spekulativen Idealisten, der sein Wesen in einzelnen leeren Gedanken zer-|splittert, dasjenige thätig, was in ihm bloß träumend war, und in dem was er bisher verachtete, den Stoff den er eigentlich bearbeiten soll; sie deuten ihm die verkannte Stimme Gottes, sie söhnen ihn aus mit der Erde und mit seinem Plaze auf derselben. Noch weit mehr aber bedürfen die bloß Irdischen und Sinnlichen solcher Mittler, die ihnen jene höhere Grundkraft der Menschheit begreifen lehren, indem sie ohne ein Treiben und Thun wie das ihrige beschauend und erleuchtend alles umfaßen, und keine andere Grenzen kennen wollen als das Universum, welches sie gefunden haben. Giebt Gott einem, der in dieser Laufbahn sich bewegt, zu seinem Streben nach Ausdehnung und Durchdringung auch jene mystische und schöpferische Sinnlichkeit, die allem Inneren auch ein äußeres Dasein zu geben strebt, so muß er nach jedem Ausfluge seines Geistes ins Unendliche den Eindruck den es ihm gegeben hat hinstellen außer sich, als einen mittheilbaren Gegenstand in Bildern oder Worten, um ihn selbst aufs neue in eine andere Gestalt und in eine endliche Größe verwandelt zu genießen, und er muß also auch unwillkürlich und gleichsam begeistert — denn er thäte es, wenn auch Niemand da wäre — das was ihm begegnet ist, für Andere | darstellen, als Dichter oder Seher, als Redner oder als Künstler. Ein solcher ist ein wahrer Priester des Höchsten, indem er ihn denjenigen näher bringt, die nur das Endliche und Geringe zu fassen gewohnt sind;

6 ausdrüken] ausdriikten 27—37 Vgl. Vermischte Gedanken und Einfalle (Gedanken 1,, Nr. 154

37 Vgl. Gen 14,18

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er stellt ihnen das Himmlische und Ewige dar als einen Gegenstand des Genußes und der Vereinigung, als die einzige unerschöpfliche Quelle desjenigen, worauf ihr ganzes Dichten gerichtet ist. So strebt er den schlafenden Keim der besseren Menschheit zu weken, die Liebe zum Höchsten zu entzünden, das gemeine Leben in ein höheres zu verwandeln, die Söhne der Erde auszusöhnen mit dem Himmel, der ihnen gehört, und das Gegengewicht zu halten gegen die schwerfällige Anhänglichkeit des Zeitalters an den gröberen Stoff. Dies ist das höhere Priesterthum, welches das innere aller geistigen Geheimniße verkündigt, und aus dem Reiche Gottes herabspricht; dies ist die Quelle aller Gesichte und Weissagungen, aller heiligen Kunstwerke und begeisterten Reden, welche ausgestreuet werden aufs Ohngefähr, ob ein empfängliches Gemüth sie finde und bei sich Frucht bringen laße. Möchte es doch je geschehen, daß dieses Mittleramt aufhörte, und das Priesterthum der Menschheit eine schönere Bestimmung bekäme! | Möchte die Zeit kommen, die eine alte Weissagung so beschreibt, daß keiner bedürfen wird, daß man ihn lehre, weil alle von Gott gelehrt sind! Wenn das heilige Feuer überall brennte, so bedürfte es nicht der feurigen Gebete, um es vom Himmel herabzuflehen, sondern nur der sanften Stille heiliger Jungfrauen um es zu unterhalten, so dürfte es nicht in gefürchtete Flammen ausbrechen, sondern das einzige Bestreben desselben würde sein, die innige und verborgene Gluth ins Gleichgewicht zu sezen bei allen. Jeder leuchtete dann in der Stille sich und den Andern, und die Mittheilung heiliger Gedanken und Gefühle bestände nur in dem leichten Spiele, die verschiedenen Strahlen dieses Lichts jezt zu vereinigen, dann wieder zu brechen, jezt es zu zerstreuen, und dann wieder hie und da auf einzelne Gegenstände zu konzentriren. Das leiseste Wort würde verstanden, da jezt die deutlichsten Äußerungen der Misdeutung nicht entgehen. Man könnte gemeinschaftlich ins Innere des Heiligthums eindringen, da man sich jezt nur in den Vorhöfen mit den Elementen beschäftigen muß. Mit Freunden und Theilnehmern vollendete Ideen tauschen, wie viel erfreulicher ist dies, als mit kaum entworfenen | Umrißen herausbrechen müßen in den leeren Raum! Aber wie weit sind jezt diejenigen, zwischen denen eine solche Mittheilung statt finden könnte, von einander entfernt, mit solcher weisen Sparsamkeit in der Menschheit vertheilt wie im Weltenraum die verborgenen Punkte aus denen der elastische Urstoff sich nach allen Seiten verbreitet, so nemlich, daß nur eben die äußersten Gränzen ihrer Wirkungskreise zusammenstoßen — damit doch nichts ganz leer sei — aber wohl nie einer den andern antrift. Weise freilich: denn um so mehr richtet sich die ganze Sehnsucht nach Mittheilung und Geselligkeit allein auf diejenigen, die ihrer

16f Vgl. jer 31,34; Hebr 8,11 und Job 6,4S

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am meisten bedürfen, um so unaufhaltsamer wirkt sie dahin, sich die Mitgenoßen selbst zu verschaffen, die ihr fehlen. Eben dieser Gewalt liege ich unter, eben diese Natur ist auch mein Beruf. Vergönnet mir von mir selbst zu reden: Ihr wißt, was Religion sprechen heißt, kann nie stolz sein; denn sie ist immer voll Demuth. Religion war der mütterliche Leib in deßen heiligem Dunkel mein junges Leben genährt und auf die ihm noch verschloßene Welt vorbereitet wurde, in ihr athmete mein Geist, ehe er noch seine äußere Gegenstände, Erfahrung und Wißenschaft gefunden hatte, sie half mir als ich anfing den vä-|terlichen Glauben zu sichten und das Herz zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt, sie blieb mir, als Gott und Unsterblichkeit dem zweifelnden Auge verschwanden, sie leitete mich ins thätige Leben, sie hat mich gelehrt mich selbst mit meinen Tugenden und Fehlern in meinem ungetheilten Dasein heilig zu halten, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt. Wenn von andern Vorzügen und Eigenschaften der Menschen die Rede ist, so weiß ich wohl, daß es vor Eurem Richterstuhle Ihr Weisen und Verständigen des Volks, wenig beweiset, wenn einer s a g e n kann wie er sie besitzt; denn er kann sie kennen aus Beschreibungen, aus Beobachtungen Anderer, oder wie alle Tugenden gekannt werden, aus der gemeinen alten Sage von ihrem Dasein; aber so liegt die Sache der Religion und so selten ist sie, daß wer von ihr etwas ausspricht, muß es nothwendig gehabt haben, denn er hat es nirgends gehört. Von allem was ich als ihr Werk preise und fühle steht wohl wenig in heiligen Büchern, und wem der es nicht selbst erfuhr, wäre es nicht ein Ärgerniß oder eine Thorheit? Wenn ich so von ihr durchdrungen endlich reden und ein Zeugniß von ihr ablegen muß, an wen soll ich mich damit wenden als an | Euch? W o anders wären Hörer für meine Rede? Es ist nicht blinde Vorliebe für den väterlichen Boden oder für die Mitgenoßen der Verfaßung und der Sprache, was mich so reden macht, sondern die innige Uberzeugung, daß Ihr die einzigen seid, welche fähig und also auch würdig sind, daß der Sinn ihnen aufgeregt werde für heilige und göttliche Dinge. Jene stolzen Insulaner, welche viele unter Euch so ungebührlich verehren, kennen keine andere Losung als g e w i n n e n und g e n i e ß e n , ihr Eifer für die Wißenschaften, für die Weisheit des Lebens und für die heilige Freiheit, ist nur ein leeres Spielgefecht. So wie die begeistertsten Verfechter der lezteren unter ihnen nichts thun, als die nazionale Orthodoxie mit Wuth vertheidigen, und dem Volke Wunder vorspiegeln, damit die abergläubige Anhänglichkeit an alte Ge-

5 f heiligem] heiligen

23 f Vgl. 1 Kor 1,23

16 Weisen] weisen

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brauche nicht verloren gehe, so ist es ihnen eben nicht mehr Ernst mit allem übrigen, was über das Sinnliche und den nächsten unmittelbaren N u z e n hinausgehet. So gehen sie auf Kenntniße aus, so ist ihre Weisheit nur auf eine jämmerliche Empirie gerichtet, und so kann ihnen die Religion nichts anders sein, als ein todter Buchstabe, ein heiliger Artikel in der Verfaßung in welcher nichts reelles ist. Aus an-|dern Ursachen wende ich mich weg von den Franken, deren Anblik ein Verehrer der Religion kaum erträgt, weil sie in jeder Handlung, in jedem W o r t e fast ihre heiligsten Geseze mit Füßen treten. D i e frivole Gleichgültigkeit mit der Millionen des V o l k s , der wizige Leichtsinn mit dem einzelne glänzende Geister der erhabensten T h a t des Universums zusehen, die nicht nur unter ihren Augen vorgeht, sondern sie alle ergreift und jede Bewegung ihres Lebens bestimmt, beweiset zur Genüge wie wenig sie einer heiligen Scheu und einer wahren Anbetung fähig sind. U n d was verabscheuet die Religion mehr als den zügellosen U b e r muth womit die Herrscher des Volks den ewigen Gesezen der Welt T r o z bieten? Was schärft sie mehr ein als die besonnene und demüthige Mäßigung, wovon ihnen auch nicht das leiseste Gefühl etwas zuzurufen scheint? Was ist ihr heiliger als die hohe Nemesis, deren furchtbarste Handlungen sie im Taumel der Verblendung nicht einmal verstehen? W o die wechselnden Strafgerichte, die sonst nur einzelne Familien treffen durften, um ganze Völker mit Ehrfurcht vor dem himmlischen Wesen zu erfüllen, und auf Jahrhunderte lang die W e r k e der Dichter dem ewigen Schiksal zu widmen, w o diese sich tausendfältig vergeb-|lich erneuern, wie würde da eine einsame Stimme bis zum Lächerlichen ungehört und unbemerkt verhallen? H i e r im väterlichen Lande ist das beglükte Klima was keine Frucht gänzlich versagt, hier findet Ihr alles zerstreut was die Menschheit ziert, und alles was gedeiht bildet sich irgendwo, im Einzelnen wenigstens, zu seiner schönsten Gestalt; hier fehlt es weder an weiser Mäßigung noch an stiller Betrachtung. Hier also muß sie eine Freistadt finden vor der plumpen Barbarei und dem kalten irdischen Sinne des Zeitalters. N u r verweiset mich nicht ungehört zu denen auf die Ihr als auf R o h e und Ungebildete herabsehet, gleich als sei der Sinn für das Heilige wie eine veraltete Tracht auf den niederen Theil des Volks übergegangen, dem es allein noch zieme in Scheu und Glauben von dem Unsichtbaren ergriffen zu werden. Ihr seid gegen diese unsere Brüder sehr freundlich gesinnt, und mögt gern, daß zu ihnen auch von andern höheren Gegenständen, von Sittlichkeit und Recht und Freiheit geredet, und so auf einzelne M o m e n t e wenigstens ihr inneres Streben dem besseren entgegengehoben, und ein Eindruk von der Würde der Menschheit in ihnen gewekt werde. So rede man denn auch mit ihnen von der | Religion, man durchgrabe bisweilen ihr ganzes Wesen bis der Punkt getroffen wird, w o dieser heilige Instinkt verborgen liegt; man entzücke sie durch einzelne Blize, die man aus ihm hervorlokt; man bahne ihnen aus dem innersten Mittelpunkte ihrer engen Be-

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schränkung eine Aussicht ins Unendliche, und erhöhe auf einen Augenblik ihre thierische Sinnlichkeit zum hohen Bewußtsein eines menschlichen Willens und Daseins; es wird immer viel gewonnen sein. Aber ich bitte Euch, wendet Ihr Euch dann zu ihnen, wenn Ihr den innersten Zusammenhang und den höchsten Grund jener Heiligthiimer der Menschheit aufdeken wollt? wenn der Begriff und das Gefühl, das Gesez und die That, bis zu ihrer gemeinschaftlichen Quelle sollen verfolgt, und das Wirkliche als ewig und im Wesen der Menschheit nothwendig gegründet soll dargestellt werden? Wäre es nicht glüklich genug, wenn Euere Weisen dann nur von den Besten unter Euch verstanden würden? Eben das ist aber mein Endzwek mit der Religion. Nicht einzelne Empfindungen will ich aufregen, die vielleicht in ihr Gebiet gehören, nicht einzelne Vorstellungen rechtfertigen oder bestreiten; in die innerste Tiefen möchte ich Euch geleiten, aus denen sie zuerst | das Gemüth anspricht; zeigen möchte ich Euch aus welchen Anlagen der Menschheit sie hervorgeht, und wie sie zu dem gehört was Euch das Höchste und Theuerste ist; auf die Zinnen des Tempels möchte ich Euch führen, daß Ihr das ganze Heiligthum übersehen und seine innersten Geheimnisse entdeken möget. Könnet Ihr mir im Ernst zumuthen, zu glauben, daß diejenigen, die sich täglich am mühsamsten mit dem Irdischen abquälen, am vorzüglichsten dazu geeignet seien so vertraut mit dem Himmlischen zu werden? daß diejenigen, die über dem nächsten Augenblick bange brüten und an die nächsten Gegenstände fest gekettet sind, ihr Auge am weitesten zum Universum erheben können? und daß, wer in dem einförmigen Wechsel einer todten Geschäftigkeit sich selbst noch nicht gefunden hat, die lebendige Gottheit am hellsten entdecken werde? Nur Euch also kann ich zu mir rufen, die Ihr fähig seid Euch über den gemeinen Standpunkt der Menschen zu erheben, die Ihr den beschwerlichen Weg in das Innere des menschlichen Wesens nicht scheuet, um den Grund seines Thuns und Denkens zu finden. Seitdem ich mir dieses gestand, habe ich mich lange in der zaghaften Stimmung desjenigen befunden, der ein liebes Kleinod vermis-|send, es nicht wagen wollte, noch den letzten Ort wo es verborgen sein könnte, zu durchsuchen. Es gab Zeiten wo Ihr es noch für einen Beweis besonderen Muthes hieltet, Euch theilweise von der Religion loszusagen, und gern über einzelne Gegenstände laset und hörtet, wenn es nur darauf ankam einen hergebrachten Begriff auszutilgen; wo es Euch gefiel eine schlanke Religion im Schmuke der Beredsamkeit einhergehen zu sehen, weil Ihr gern dem holden Geschlecht wenigstens ein gewißes Gefühl für das Heilige erhalten wolltet. Das alles ist nicht mehr, es soll gar nicht mehr von ihr die Rede 17 f

Vgl.

Mt

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sein, und auch die Grazien selbst sollen mit unweiblicher Härte die zarteste Blume der menschlichen Phantasie verderben. An nichts anders kann ich also das Intereße, welches ich von Euch fordere, anknüpfen, als an Eure Verachtung selbst; ich will Euch nur auffordern in dieser Verachtung recht gebildet und vollkommen zu sein. Laßt U n s doch, ich bitte E u c h , untersuchen, wovon sie eigentlich ausgegangen ist, vom Einzelnen oder vom G a n z e n ? von den verschiedenen Arten und Secten der Religion, wie sie in der Welt gewesen sind, oder von dem Begriffe selbst? O h n e Zweifel werden Einige sich zu dem Lezteren bekennen, und das pflegen immer die mit U n recht I rüstigen Verächter zu sein, die ihr Geschäft aus sich selbst treiben, und sich nicht die M ü h e genommen haben eine genaue Kenntniß der Sache wie sie liegt zu erwerben. D i e Furcht vor einem ewigen Wesen und das Rechnen auf eine andere Welt, das, meint Ihr, seien die Angel aller Religion, und das ist Euch im Allgemeinen zuwider. Sagt mir doch also, Ihr Theuresten, woher habt Ihr diese Begriffe von der Religion, die der Gegenstand Euerer Verachtung sind? J e d e Äußerung, jedes W e r k des menschlichen Geistes kann aus einem doppelten Standpunkte angesehen und erkannt werden. Betrachtet man es von seinem Mittelpunkte aus nach seinem innern Wesen, so ist es ein Produkt der menschlichen Natur, gegründet in einer von ihren nothwendigen Handlungsweisen oder Trieben, oder wie Ihr es nennen wollt, denn ich will jezt nicht über Euere Kunstsprache richten; betrachtet man es von seinen Gränzen aus, nach der bestimmten Haltung und Gestalt, die es hie und dort angenommen hat, so ist es ein Erzeugniß der Zeit und der Geschichte. Von welcher Seite habt Ihr nun dieses große geistige Phänomen betrachtet, daß Ihr auf jene Begriffe gekommen seid, welche Ihr für den gemeinschaftlichen Inhalt alles dessen ausgebt, was man je | mit dem Namen der Religion benennet hat? Ihr werdet schwerlich sagen, daß dieses eine Betrachtung der ersten Art sei; denn, Ihr G u t e n ! alsdenn müßtet Ihr doch zugeben, daß etwas in diesen Ideen wenigstens der menschlichen Natur angehöre und wenn Ihr auch sagen wolltet, daß sie so wie man sie jetzt antrifft, nur aus Misdeutungen oder falschen Beziehungen eines nothwendigen Strebens der Menschheit entstanden seien, so würde es Euch doch ziemen Euch mit uns zu vereinigen, um das was davon wahr und ewig ist, herauszusuchen, und die menschliche Natur von dem U n recht zu befreien, welches sie allemal erleidet, wenn etwas in ihr miskannt oder misleitet wird. Bei allem was Euch heilig ist — und es muß diesem Geständniße zufolge etwas Heiliges für euch geben - beschwöre ich E u c h , verabsäumt dieses Geschäft nicht, damit die Menschheit, die Ihr mit uns verehrt, Euch nicht als solchen, die sie in einer wichtigen Angelegenheit verlaßen haben, mit dem größten Rechte zürne. U n d wenn Ihr denn findet, daß dies Geschäfte schon gethan sei, so kann ich doch auf Eueren D a n k und Euere Billigung rechnen. - Wahrscheinlich aber werdet Ihr sagen, Euere Begriffe vom Inhalt der Religion seien nur die andere Ansicht dieser gei-|

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stigen Erscheinung, und sie sei eben deswegen leer, und werde von Euch verachtet, weil das, was im Mittelpunkt liegt, ihr ganz heterogen sei, daß es gar nicht Religion genannt werden könne, und sie also von dort gar nicht ausgegangen und überall nichts anders seyn könne, als ein leerer und falscher Schein, der sich wie eine trübe und drükende Atmosphäre um einen Theil der Wahrheit herumgelagert habe. Dies ist gewiß Euere wahre und eigentliche Meinung. W e n n Ihr aber jene beiden Punkte für den Inhalt der Religion haltet, in allen Formen unter denen sie in der Geschichte erschienen ist, so ist mir doch vergönnet zu fragen, ob Ihr auch alle ihre Erscheinungen richtig beobachtet und ihren gemeinschaftlichen Inhalt richtig aufgefaßt habt? Ihr müßt Eueren Begriff, wenn er so entstanden ist, aus dem Einzelnen rechtfertigen, und wenn Euch jemand sagt, daß er unrichtig und verfehlt sei, und auf etwas anderes hinweiset in der Religion was nicht hohl ist, sondern einen Mittelpunkt hat, so gut als jedes andere, so müßt Ihr doch erst hören und urtheilen, ehe Ihr weiter verachten dürft. Laßt es Euch also nicht verdrießen dem zuzuhören, was ich jezt mit denen sprechen will, welche gleich Anfangs richtiger aber auch müh-|samer vom Einzelnen ausgegangen sind. Ihr seid ohne Zweifel bekannt mit der Geschichte menschlicher Thorheiten, und habt die verschiedenen Gebäude der Religion durchlaufen, von den sinnlosen Fabeln wilder Nationen bis zum verfeinertsten Deismus, von der rohen Superstition unseres Volks bis zu den übelzusammengenähten Bruchstüken von Metaphysik und Moral, die man vernünftiges Christenthum nennt, und habt sie alle ungereimt und vernunftwidrig gefunden. Ich bin weit entfernt Euch darinn widersprechen zu wollen; vielmehr, wenn Ihr es damit nur aufrichtig meint, daß die ausgebildetsten Religionssysteme diese Eigenschaften nicht weniger an sich tragen als die rohesten, wenn Ihr es nur einsehet, daß das Göttliche nicht in einer Reihe liegen kann, die sich auf beiden Seiten in etwas Gemeines und Verächtliches endiget, so will ich Euch gern die Mühe erlassen, alle welche dazwischen liegen näher zu würdigen. Sie erscheinen alle als Ubergänge und Annäherungen zu den lezteren; jedes k o m m t etwas geschliffener aus der H a n d seines Zeitalters bis endlich die Kunst zu jenem vollendeten Spielwerk gestiegen ist, womit unser Jahrhundert sich so lange die Zeit verkürzt hat. A b e r diese Vervollkommnung ist eher Alles, nur nicht Annä-|herung zur Religion. Ich kann nicht ohne Unwillen davon reden; denn jammern m u ß es jeden, der Sinn hat für alles was aus dem Innern des Gemüths hervorgeht, und dem es Ernst ist, daß jede Seite des Menschen gebildet und dargestellet werde, wie die H o h e und Herrliche von ihrer Bestimmung entfernet ist, und ihre Freiheit verloren hat, um von dem scholastischen und metaphysischen Geist barbarischer und kalter Zeiten in einer verächtlichen

21 Deismus] Deismns

39 dem] so DV; OD: den

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Sklaverei gehalten zu werden. W o sie ist und wirkt, m u ß sie sich so offenbaren, daß sie auf eine eigenthümliche Art das Gemüth bewegt, alle F u n k tionen der menschlichen Seele vermischt oder vielmehr entfernt, und alle Thätigkeit in ein staunendes Anschauen des Unendlichen auflöset. Wird Euch so zu M u t h e bei diesen Systemen der Theologie, diesen Theorien vom Ursprung und Ende der W e l t , diesen Analysen von der Natur eines unbegreiflichen Wesens? w o alles auf ein kaltes Argumentiren hinausläuft, und nichts anders als im T o n eines gemeinen Schulstreites behandelt werden kann? In allen diesen Systemen, die Ihr verachtet, habt Ihr also die Religion nicht gefunden und nicht finden können, weil sie nicht da ist, und wenn Euch gezeigt würde, daß sie anderswo wäre, so wä-|ret Ihr immer noch fähig sie zu finden und zu ehren. Warum seid Ihr aber nicht mehr zu dem Einzelnen herabgestiegen? Ich bewundre Euere freiwillige Unwißenheit, Ihr gutmiithigen Forscher, und Euere alzuruhige Beharrlichkeit bei dem was eben da ist und Euch angepriesen wird! Was Ihr in diesen Systemen nicht gefunden habt, das würdet Ihr in den Elementen eben dieser Systeme haben sehen müssen, und zwar nicht eines oder des andern, sondern gewiß Aller. In Allen liegt etwas von diesem geistigen Stoffe gebunden, denn ohne ihn hätten sie gar nicht entstehen können; aber wer es nicht versteht ihn zu entbinden, der behält, wie fein er sie auch zersplittere, wie genau er auch alles durchsuche, immer nur die todte kalte Maße in Händen. D i e Anweisung, das Wahre und Richtige, welches Ihr in der großen M a ß e nicht findet, in den ersten dem Anschein nach ungebildeten Elementen zu suchen, kann Euch allen, die Ihr mehr oder minder Euch um die Philosophie bekümmert, und mit ihren Schiksalen vertraut seid, doch nicht fremd scheinen. Erinnert E u c h doch wie wenige von denen, welche auf einem eigenen Wege in das Innre der menschlichen Natur und der Welt hinabgestiegen sind, und ihr gegenseitiges Verhältniß ihre | innere Harmonie in einem eigenen Lichte angeschaut und dargestellt haben, ein eigenes System der Philosophie bildeten, und o b nicht alle in einer zarteren — sollte es auch sein zerbrechlicheren — F o r m ihre Entdekungen mitgetheilt haben. Man hat aber doch Systeme von allen Schulen? J a eben von den Schulen, die nichts anders sind als der Siz und die Pflanzstätte des todten Buchstabens, denn der Geist läßt sich weder in Akademien festhalten, noch der Reihe nach in bereitwillige K ö p f e ausgießen, er verdampft gewöhnlich auf dem Wege aus dem ersten Munde in das erste O h r . Würdet Ihr nicht dem, welcher die Verfertiger dieser großen Körper von Philosophie für die Philosophen

5 diesen Systemen] sc DV; OD: diesem Systeme Allem 32 allen] so DV; OD: alten

33 Vgl. 2 Kor 3,6

12 Ihr] ihr

18 Allen] so DV;

OD:

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Rede

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selbst hielt, und in ihnen den Geist der Wißenschaft finden wollte, belehrend zurufen: Nicht also guter Freund! in allen Dingen haben die, welche nur nachtreten und zusammentragen, und bei dem was ein andrer gegeben hat, stehen bleiben, nicht den Geist der Sache, dieser ruht nur auf den Erfindern, und zu ihnen mußt du gehen. Ihr werdet aber gestehen müßen, daß es mit der Religion um so mehr dieselbe Sache ist, da sie sich ihrem ganzen Wesen nach von allem Systematischen eben so weit entfernt, als die Philosophie sich von Natur dazu hinneigt. Be-|denket doch von wem diese künstlichen Gebäude herrühren; deren Wandelbarkeit Ihr verspottet, deren schlechtes Ebenmaaß Euch beleidigt, und deren Misverhältniß gegen ihre kleinliche Tendenz Euch so lächerlich ist? Etwa von den Heroen der Religion? Nennt mir doch unter allen denen, die irgend eine neue Offenbarung heruntergebracht haben zu uns, einen Einzigen, von dem an, der zuerst die Eine und Allgemeine Gottheit dachte — gewiß der systematischste Gedanke im ganzen Gebiete der Religion - bis zu dem neuesten Mystiker, in dem vielleicht noch ein ursprünglicher Strahl des innern Lichtes glänzt, (denn, daß ich der Buchstabentheologen nicht erwähne, welche glauben das Heil der Welt und das Licht der Weisheit in einem neuen K o s t ü m ihrer Formeln, oder in neuen Stellungen ihrer figurirenden Beweise zu finden, das werdet Ihr mir nicht verdenken) nennt mir unter ihnen allen einen Einzigen, der es der Mühe werth geachtet hätte, sich mit dieser sisyphischen Arbeit zu befaßen. N u r einzelne erhabene Gedanken durchzükten ihre von einem ätherischen Feuer sich entzündende Seele, und der magische Donner einer zauberischen Rede begleitete die hohe Erscheinung, und verkündete dem anbetenden Sterblichen, daß die Gottheit gespro-|chen habe. Ein A t o m von einer überirdischen Kraft geschwängert, fiel in ihr Gemüth, verähnlichte sich dort alles, dehnte es allmächtig aus, und es zersprang dann wie durch f i n göttliches Schiksal in einer Welt deren Atmosphäre ihm zu wenig Widerstand leistete, und brachte noch in seinen lezten Momenten eines von jenen himmlischen Meteoren, von jenen bedeutungsvollen Zeichen der Zeit hervor, deren Ursprung niemand verkennt, und die alle Irdischen mit Ehrfurcht erfüllen. Diese himmlische Funken müßt Ihr aufsuchen, welche entstehen, wenn eine heilige Seele vom Universum berührt wird, Ihr müßt sie belauschen in dem unbegreiflichen Augenblik in welchem sie sich bildeten, sonst ergeht es Euch wie dem, der zu spät mit dem brennbaren Stoff das Feuer aufsucht, welches der Stein dem Stahl entlokt hat, und dann nur ein kaltes unbedeutendes Stäubchen groben Metalles findet, an dem er nichts mehr entzünden kann. Ich fordere also, daß Ihr von allem, was sonst Religion genannt wird, absehend Euer Augenmerk nur auf diese einzelne Andeutungen und Stim-

20 Ihr] ihr

22 durchzükten] durchziiken

33 Ihr] ihr

70

Über die Religion

[202]

mungen richtet, die Ihr in allen Äußerungen und edlen Thaten Gottbegeisterter Menschen finden werdet. Entdekt Ihr denn | auch in diesem Einzelnen nichts neues und treffendes, wie ich es ohngeachtet Euerer Gelehrsamkeit und Euerer Kenntniße dennoch zur guten Sache hoffe, erweitert und verwandelt sich dann nicht Euer enger Begriff, der nur von einer übersichtigen Beobachtung erzeugt ward, könnt Ihr dann diese Richtung des G e müths auf das Ewige noch verachten, kann es E u c h noch lächerlich scheinen, alles was dem Menschen wichtig ist, auch aus diesem Gesichtspunkte betrachtet zu sehen, so will ich glauben, daß Euere Verachtung der Religion Euerer Natur gemäß ist, und habe Euch weiter nichts zu sagen. Besorget nur nicht, daß ich am Ende doch noch zu jenen gemeinen Mitteln meine Zuflucht nehmen möchte, Euch vorzustellen, wie nothwendig sie sei, um Recht und O r d n u n g in der Welt zu erhalten, und mit dem Andenken an ein allsehendes Auge und eine unendliche Macht der Kurzsichtigkeit menschlicher Aufsicht und den engen Schranken menschlicher Gewalt zu Hülfe zu k o m m e n ; oder wie sie eine treue Freundin und eine heilsame Stüze der Sittlichkeit sei, indem sie mit ihren heiligen Gefühlen und ihren glänzenden Aussichten den schwachen Menschen den Streit mit sich selbst und das Vollbringen des Guten gar mächtig erleichtere. So reden | freilich diejenigen, welche die besten Freunde und die eifrigsten Vertheidiger der Religion zu sein vorgeben; ich aber will nicht entscheiden, gegen wen in dieser G e dankenverbindung, die meiste Verachtung liege, gegen Recht und Sittlichkeit, welche als einer Unterstüzung bedürftig vorgestellt werden, oder gegen die Religion, welche sie unterstüzen soll, oder gegen E u c h , zu denen also gesprochen wird. Mit welcher Stirne könnte ich Euch wohl zumuthen, wenn anders Euch selbst dieser weise Rath gegeben werden soll; daß Ihr mit Euch selbst in Eurem Innern ein loses Spiel treiben, und durch etwas, das Ihr sonst keine Ursache hättet zu achten und zu lieben, Euch zu etwas Anderem solltet antreiben laßen, was Ihr ohnedies schon verehrt, und deßen Ihr Euch befleißiget? O d e r wenn Euch etwa durch diese Reden nur ins O h r gesagt werden soll, was Ihr dem V o l k e zu Liebe zu thun habt, wie solltet dann Ihr, die Ihr dazu berufen seid die andern zu bilden und sie Euch ähnlich zu machen, damit anfangen, daß Ihr sie betrügt, und ihnen etwas für heilig und wirksam hingebt, was Euch selbst höchst gleichgültig ist, und was sie wegwerfen sollen, sobald sie sich auf dieselbe Stufe mit Euch erhoben haben? Ich kann zu einer solchen Handlungsweise nicht auffordern, I sie enthält die verderblichste Heuchelei gegen die Welt und gegen

19 erleichtere] erleichtern

1 0 - 1 9 Vgl. Gedanken

29 Anderem] Anderen

/, Nr. 88

2 2 - 2 4 Vgl. Gedanken

30 Ihr] ihr

/, Nr. 89

Erste Rede

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Euch selbst, und wer die Religion so empfehlen will, m u ß nur die Verachtung vergrößern, der sie schon unterliegt. Zugegeben, daß Unsere bürgerlichen Einrichtungen noch unter einem hohen Grade der Unvollkommenheit seufzen, und noch wenig Kraft bewiesen haben, der Unrechtlichkeit zuvorzukommen oder sie auszurotten, welche strafbare Verlaßung einer wichtigen Sache, welcher zaghafte Unglaube an die Annäherung zum Beßeren wäre es, wenn deshalb nach der Religion gerufen werden müßte! Hättet Ihr denn einen rechtlichen Zustand, wenn seine Existenz auf der Frömmigkeit beruhete? Verschwindet Euch nicht, so bald Ihr davon ausgehet, der ganze Begriff unter den Händen, den Ihr doch für so heilig haltet? Greift die Sache unmittelbar an, wenn sie Euch so übel zu liegen scheint; beßert an den Gesezen, rüttelt die Verfaßungen untereinander, gebt dem Staate einen eisernen A r m , gebt ihm hundert Augen, wenn er sie noch nicht hat, nur schläfert nicht die, welche er hat, mit einer trügerischen Leier ein. Schiebt nicht ein Geschäft wie dieses in ein anderes ein, Ihr habt es sonst gar nicht verwaltet, und erklärt nicht zum Schimpfe der Menschheit ihr erhabenstes | Kunstwerk für eine Wucherpflanze die nur von fremden Säften sich nähren kann. N i c h t einmal der Sittlichkeit, die ihm doch weit näher liegt, muß das Recht bedürfen, um sich die unumschränkteste Herrschaft auf seinem G e biete zu sichern, es muß ganz für sich allein stehen. W e r der Verwalter deßelben ist, der muß es überall hervorbringen können, und jeder, welcher behauptet, daß dies nur geschehen kann, indem Religion mitgetheilt wird wenn anders dasjenige sich willkürlich mittheilen läßt was nur existirt, indem es aus dem G e m ü t h e hervorgehet — der behauptet zugleich, daß nur diejenigen Verwalter des Rechts sein sollten, welche geschikt sind der menschlichen Seele den Geist der Religion einzugießen, und in welche finstere Barbarei unheiliger Zeiten würde uns das zurükführen! Eben so wenig aber darf die Sittlichkeit mit der Religion zu theilen haben; wer einen U n terschied macht zwischen dieser und jener Welt, bethört sich selbst, alle wenigstens welche Religion haben, glauben nur an Eine. Ist also das Verlangen nach Wohlbefinden der Sittlichkeit etwas fremdes, so darf das Spätere nicht mehr gelten als das Frühere, und die Scheu vor dem Ewigen nicht mehr als die vor einem weisen Manne. Wenn die Sittlichkeit | durch jeden Zusaz ihren Glanz und ihre Festigkeit verlieret, wie viel mehr durch einen solchen, der seine hohe und ausländische Farbe niemals verleugnen kann. D o c h dies habt Ihr genug von denen gehört, welche die Unabhängigkeit und die Allgewalt moralischer Geseze vertheidigen, ich aber seze hinzu, 24 dasjenige] dajenige

2 4 läßt] 1 aßt

1 9 - 2 0 5 , 2 Vgl. Gedanken

/, Nr. / 5 j

38 vertheidigen] vertheidigeu

72

Über die Religion

[204]

daß es auch die größte Verachtung gegen die Religion beweiset, sie in ein anderes Gebiet verpflanzen zu wollen, daß sie da diene und arbeite. Auch herrschen m ö c h t e sie nicht in einem fremden Reiche: denn sie ist nicht so eroberungssüchtig das ihrige vergrößern zu wollen. D i e Gewalt, die ihr gebührt, und die sie sich in jedem Augenblik aufs neue verdient, genügt ihr, und ihr, die alles heilig hält, ist noch vielmehr das heilig, was mit ihr gleichen Rang in der menschlichen N a t u r behauptet. A b e r sie soll ganz eigentlich dienen, wie jene es wollen, einen Zwek soll sie haben, und nüzlich soll sie sich erweisen. Welche Erniedrigung! und ihre Vertheidiger sollten geizig darauf sein ihr diese zu verschaffen? D a ß doch diejenigen, die so auf den N u z e n ausgehen, und denen doch am Ende auch Sittlichkeit und Recht um eines andern Vortheils willen da sind, daß sie doch lieber selbst untergehen möchten in diesem ewigen Kreislaufe eines allgemeinen | N u z e n s , in welchem sie alles G u t e untergehen laßen, und von dem kein Mensch, der selbst für sich etwas sein will, ein gesundes W o r t versteht, lieber als daß sie sich zu Vertheidigern der Religion aufwerfen möchten, deren Sache zu führen sie gerade die ungeschiktesten sind. Ein schöner R u h m für die Himmlische, wenn sie nun die irdischen Angelegenheiten der Menschen so leidlich versehen könnte! Viel E h r e für die Freie und Sorglose, wenn sie nun etwas wachsamer und treibender wäre als das G e w i ß e n ! F ü r so etwas steigt sie E u c h noch nicht vom H i m m e l herab. Was nur um eines außer ihm liegenden Vortheils willen geliebt und geschäzt wird, das mag wohl N o t h thun, aber es ist nicht in sich nothwendig, es kann immer ein frommer Wunsch bleiben, der nie zur Existenz k o m m t , und ein vernünftiger Mensch legt keinen außerordentlichen Werth darauf, sondern nur den Preis, der jener Sache angemeßen ist. U n d dieser würde für die Religion gering genug sein, ich wenigstens würde kärglich bieten, denn ich muß es nur gestehen, ich glaube nicht daß es so arg ist mit den Unrechten Handlungen welche sie verhindert, und mit den sittlichen welche sie erzeugt haben soll. Sollte das also das einzige sein, was ihr Ehrerbietung | verschaffen könnte, so mag ich mit ihrer Sache nichts zu thun haben. Selbst um sie nur nebenher zu empfehlen ist es zu unbedeutend. Ein eingebildeter R u h m , welcher verschwindet wenn man ihn näher betrachtet, kann derjenigen nicht helfen, die mit höheren A n sprüchen umgeht. D a ß sie aus dem Inneren jeder beßern Seele nothwendig von selbst entspringt, daß ihr eine eigne Provinz im Gemüthe angehört, in welcher sie unumschränkt herrscht, daß sie es würdig ist durch ihre innerste Kraft die Edelsten und Vortreflichsten zu bewegen, und von ihnen ihrem innersten Wesen nach gekannt zu werden; das ist es was ich behaupte, und was ich ihr gern sichern möchte, und Euch liegt es nun o b , zu entscheiden,

3 ist] isi

21 außer] anßer

2 8 ist] isi

Erste Rede

[205]

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ob es der Mühe werth sein wird, mich zu hören, ehe Ihr Euch in Eurer Verachtung noch mehr befestiget.

Zweite Rede.

Ü b e r das W e s e n der

Religion.

Ihr werdet wißen wie der alte Simonides durch immer wiederholtes und verlängertes Zögern denjenigen zur Ruhe verwies, der ihn mit der Frage belästiget hatte: was wohl die Götter seien. Ich möchte bei der weit größeren und mehr umfaßenden „was die Religion ist," gern mit einer ähnlichen Zögerung anfangen. Natürlich nicht in der Absicht um zu schweigen, und Euch wie Jener in der Verlegenheit zu laßen, sondern damit Ihr von ungeduldiger Erwartung hingehalten, eine Zeitlang Euere Büke unverwandt auf den Punkt hinrichten möget, den wir suchen, und Euch aller andern Gedanken indeß gänzlich entschlagen. Ist es doch die erste Forderung derer, welche nur gemeine Geister beschwören, daß der Zuschauer, der ihre Erscheinungen sehen und in ihre Geheimniße eingeweiht werden will, sich durch Enthaltsamkeit von irdischen Dingen und durch heilige Stille vorbereite, und dann, ohne I sich durch den Anblik fremder Gegenstände zu zerstreuen, mit ung e t e i l t e n Sinnen auf den Ort hinschaue, wo die Erscheinung sich zeigen soll. Wie vielmehr werde ich einen ähnlichen Gehorsam verlangen dürfen, der ich einen seltenen Geist hervorrufen soll, welcher nicht in irgend einer vielgesehenen geläufigen Larve zu erscheinen würdiget, und den Ihr lange mit angestrengter Aufmerksamkeit werdet beobachten müßen, um ihn zu erkennen, und seine bedeutsamen Züge zu verstehen. Nur wenn Ihr vor den heiligen Kreisen stehet, mit der unbefangensten Nüchternheit des Sinnes, die jeden Umriß klar und richtig auffaßt, und, voll Verlangen das Dargestellte aus sich selbst zu verstehen, weder von alten Erinnerungen ver-

25 aus] ans

3—5 Vgl. Cicero: „Roges me quid aut quale sit deus, auctore utar Simonide, de quo cum quaesivisset hoc idem tyrannus Hiero, deliberandi sibi unum diem postulavit; cum idem ex eo postridie quaereret, biduum petivit; cum saepius duplicaret numerum dierum admiransque Hiero requireret cur ita faceret, ,quia quanto diutius considero\ inquit, , tanto mihi res videtur obscurior'." (De natura deorum 1,60; Opera omnia 4,487f)

Zweite Rede

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führt, noch von vorgefaßten Ahndungen bestochen wird, kann ich hoffen, daß Ihr meine Erscheinung wo nicht liebgewinnen doch wenigstens Euch über Ihre Gestalt mit mir einigen, und sie für ein himmlisches Wesen erkennen werdet. Ich wollte, ich könnte sie Euch unter irgend einer wohlbekannten Bildung vorstellen, damit Ihr sogleich ihrer Züge, ihres Ganges, ihrer Manieren Euch erinnern und ausrufen möchtet, daß Ihr sie hier oder dort im Leben so gesehen habt. Aber ich würde Euch betrügen; denn so unverkleidet wie sie dem | Beschwörer erscheint, wird sie unter den Menschen nicht angetroffen, und hat sich in ihrer eigenthümlichen Gestalt wohl lange nicht erbliken laßen. So wie die besondere Sinnesart der verschiedenen cultivirten Völker, seitdem durch Verbindungen aller Art ihr Verkehr vielseitiger und des Gemeinschaftlichen unter ihnen mehr geworden ist, sich in einzelnen Handlungen nicht mehr so rein und bestimmt darstellt, sondern nur die Einbildungskraft die ganze Idee dieser Charaktere auffaßen kann, die im Einzelnen nicht anders als zerstreut und mit vielem Fremdartigen vermischt angetroffen werden; so ist es auch mit geistigen Dingen, und unter ihnen mit der Religion. Es ist Euch ja bekannt, wie jezt alles voll ist von harmonischer Ausbildung, und eben diese hat eine so vollendete und ausgebreitete Geselligkeit und Freundschaft innerhalb der menschlichen Seele gestiftet, daß jezt unter ans keine von ihren Kräften, so gern wir sie auch abgesondert denken, in der That abgesondert handelt, sondern bei jeder Verrichtung sogleich von der zuvorkommenden Liebe und wohlthätigen Unterstüzung der Andern übereilt und von ihrer Bahn etwas abgetrieben wird, so daß man sich in dieser gebildeten Welt vergeblich nach einer Handlung umsieht, die von irgend einem Ver-|mögen des Geistes, es sei Sinnlichkeit oder Verstand, Sittlichkeit oder Religion, einen treuen Ausdruk abgeben könnte. Seid deswegen nicht ungehalten, und deutet es nicht als eine Geringschäzung der Gegenwart, wenn ich Euch öfters der Anschaulichkeit halber in jene kindlichere Zeiten zurükführe, wo in einem unvollkommneren Zustande noch alles abgesonderter und einzelner war; und wenn ich gleich damit anfange, und immer wieder auf einem andern Wege sorgfältig darauf zurükkomme, vor jeder Verwechselung der Religion mit dem was ihr hie und da ähnlich sieht, und womit Ihr sie überall vermischt finden werdet, nachdrüklich zu warnen. Stellet Euch auf den höchsten Standpunkt der Metaphysik und der Moral, so werdet Ihr finden, daß beide mit der Religion denselben Gegenstand haben, nemlich das Universum und das Verhältniß des Menschen zu ihm. Diese Gleichheit ist von lange her ein Grund zu mancherlei Verirrungen gewesen; daher ist Metaphysik und Moral in Menge in die Religion ein-

5 Ganges] so DV; OD: Ganzen

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[208]

Über die Religion

gedrungen, und manches was der Religion angehört, hat sich unter einer unschiklichen Form in die Metaphysik oder die Moral verstekt. Werdet Ihr aber deswegen glauben, daß sie | mit einer von beiden einerlei sei? Ich weiß, daß Euer Instinkt Euch das Gegentheil sagt, und es geht auch aus Eueren Meinungen hervor; denn Ihr gebt nie zu, daß sie mit dem festen Tritte einhergeht, deßen die Metaphysik fähig ist, und Ihr vergeßet nicht fleißig zu bemerken, daß es in ihrer Geschichte eine Menge garstiger unmoralischer Fleken giebt. Soll sie sich also unterscheiden, so muß sie ihnen ungeachtet des gleichen Stoffs auf irgend eine Art entgegengesezt sein; sie muß diesen Stoff ganz anders behandeln, ein anderes Verhältniß der Menschen zu demselben ausdrüken oder bearbeiten, eine andere Verfahrungsart oder ein anderes Ziel haben: denn nur dadurch kann dasjenige, was dem Stoff nach einem andern gleich ist, eine besondere Natur und ein eigenthümliches Dasein bekommen. Ich frage Euch also: was thut Euere Metaphysik — oder wenn Ihr von dem veralteten Namen, der Euch zu historisch ist, nichts wißen wollt — Euere Transcendentalphilosophie? sie klaßifizirt das Universum und theilt es ab in solche Wesen und solche, sie geht den Gründen deßen was da ist nach, und deducirt die Nothwendigkeit des Wirklichen, sie entspinnet aus sich selbst die Realität der Welt und ihre Geseze. In dieses Gebiet darf sich | also die Religion nicht versteigen, sie darf nicht die Tendenz haben Wesen zu sezen und Naturen zu bestimmen, sich in ein Unendliches von Gründen und Deductionen zu verlieren, lezte Ursachen aufzusuchen und ewige Wahrheiten auszusprechen. — Und was thut Euere Moral? Sie entwikelt aus der Natur des Menschen und seines Verhältnißes gegen das Universum ein System von Pflichten, sie gebietet und untersagt Handlungen mit unumschränkter Gewalt. Auch das darf also die Religion nicht wagen, sie darf das Universum nicht brauchen um Pflichten abzuleiten, sie darf keinen Kodex von Gesezen enthalten. — „Und doch scheint das, was man Religion nennt, nur aus Bruchstüken dieser verschiedenen Gebiete zu bestehen." — Dies ist freilich der gemeine Begriff. Ich habe Euch lezthin Zweifel gegen ihn beigebracht; es ist jezt Zeit ihn völlig zu vernichten. Die Theoretiker in der Religion, die aufs Wißen über die Natur des Universums und eines höchsten Wesens, deßen Werk es ist, ausgehen, sind Metaphysiker; aber artig genug, auch etwas Moral nicht zu verschmähen. Die Praktiker, denen der Wille Gottes Hauptsache ist, sind Moralisten; aber ein wenig im Style der Metaphysik. Die Idee des Guten nehmt Ihr und tragt sie in die Me-|taphysik als Naturgesez eines unbeschränkten und unbedürftigen Wesens, und die Idee eines Urwesens nehmt Ihr aus der Metaphysik und tragt sie in die Moral, damit dieses große Werk nicht an-

23 auszusprechen.] auszusprechen 37 Me-1 taphysik] Me-1 physik

30 bestehen.] bestehen

33 Universums] Universum

Zweite Rede

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o n y m bleibe, sondern vor einem so herrlichen Kodex das Bild des Gesezgebers k ö n n e gestochen werden. Mengt aber und rührt wie Ihr wollt, dies geht nie zusammen, Ihr treibt ein leeres Spiel mit Materien, die sich einander nicht aneignen, Ihr behaltet immer nur Metaphysik und Moral. Dieses Gemisch von Meinungen über das höchste Wesen oder die Welt, und von G e b o t e n für ein menschliches Leben (oder gar für zwei) nennt Ihr Religion! und den Instinkt der jene Meinungen sucht, nebst den dunkeln A h n dungen, welche die eigentliche lezte Sanction dieser G e b o t e sind, nennt Ihr Religiosität! Aber wie k o m m t Ihr denn dazu, eine bloße Compilation, eine Chrestomathie für Anfänger für ein eignes W e r k zu halten, für ein Individuum eignen Ursprunges und eigener Kraft? W i e k o m m t Ihr dazu, seiner zu erwähnen, wenn es auch nur geschieht um es zu wiederlegen? W a r u m habt Ihr es nicht längst aufgelöset in seine Theile und das schändliche Plagiat entdekt? Ich hätte Lust, Euch durch einige sokratische Fragen zu ängstigen, und Euch zu dem Geständ-|niße zu bringen, daß Ihr in den gemeinsten Dingen die Prinzipien gar wohl kennt, nach denen das Ähnliche zusammengestellt und das Besondere dem Allgemeinen untergeordnet werden muß, und daß Ihr sie hier nur nicht anwenden wollet, um mit der Welt über einen ernsten Gegenstand scherzen zu können. W o ist denn die Einheit in diesem G a n z e n ? w o liegt das verbindende Princip für diesen ungleichartigen Stoff! Ist es eine eigne anziehende Kraft, so müßt Ihr gestehen, daß Religion das H ö c h s t e ist in der Philosophie, und daß Metaphysik und Moral nur untergeordnete Abtheilungen von ihr sind; denn das worin zwei verschiedene aber entgegengesezte Begriffe eins werden, kann nichts anders sein, als das H ö h e r e , unter welches sie beide gehören. Liegt dies bindende Prinzip in der Metaphysik, habt Ihr aus Gründen, die ihr angehören, ein höchstes Wesen als moralischen Gesezgeber erkannt, so vernichtet doch die praktische Philosophie, und gesteht daß sie, und mit ihr die Religion, nur ein kleines Kapitel der theoretischen ist. Wollt Ihr das umgekehrte behaupten; so müßen Metaphysik und Religion von der Moral verschlungen werden, der freilich, nachdem sie glauben gelernt und sich in ihren alten Tagen bequemt hat in ihrem innersten | Heiligthume den geheimen Umarmungen zweier sich liebender Welten ein stilles Pläzchen zu bereiten, nichts mehr unmöglich sein mag. O d e r wollt Ihr etwa sagen, das Metaphysische in der Religion hänge nicht vom Moralischen ab, und dieses nicht von jenem; es gebe einen wunderbaren Parallelismus zwischen dem Theoretischen und Praktischen, und eben diesen wahrnehmen und darstellen, sei Religion? Freilich zu diesem kann die Auflösung weder in der praktischen Philosophie liegen, denn diese kümmert sich nichts um ihn, noch in der theoretischen, denn diese strebt aufs eifrigste, ihn so weit als

4 Ihr] ihr

8 Ihr] ihr

11 eignen] eignes

20 f ungleichartigen] ungleichartige!!

78

[210]

Über die Religion

möglich zu verfolgen und zu vernichten, wie es denn auch ihres Amts ist. Aber ich denke, Ihr sucht von diesem Bedürfniße getrieben schon seit einiger Zeit nach einer höchsten Philosophie, in der sich diese beiden Gattungen vereinigen, und seid immer auf dem Sprunge sie zu finden; und so nahe läge dieser die Religion! und die Philosophie müßte wirklich zu ihr flüchten, wie die Gegner derselben so gern behaupten? Gebt wohl Achtung was Ihr da saget. Mit allem dem bekommt Ihr entweder eine Religion die weit über der Philosophie steht, so wie diese sich gegenwärtig befindet, oder Ihr müßt so ehrlich sein, den beiden Theilen derselben wiederzugeben I was ihnen gehört, und zu bekennen, daß, was die Religion betrifft, Ihr noch nichts von ihr wißt. Ich will Euch zu dem ersten nicht anhalten, denn ich will keinen Plaz besezen, den ich nicht behaupten könnte, aber zu dem lezten werdet Ihr Euch wohl verstehen. Laßt uns aufrichtig mit einander umgehen. Ihr mögt die Religion nicht, davon sind wir schon neulich ausgegangen; aber indem Ihr einen ehrlichen Krieg gegen sie führt, der doch nicht ganz ohne Anstrengung ist, wollt Ihr doch nicht gegen einen Schatten gefochten haben, wie dieser, mit dem wir uns herumgeschlagen haben; sie muß doch etwas eigenes sein, was in der Menschen Herz hat kommen können, etwas denkbares, wovon sich ein Begriff aufstellen läßt, über den man reden und streiten kann, und ich finde es sehr unrecht, wenn Ihr selbst aus so disparaten Dingen etwas Unhaltbares zusammennähet, das Religion nennt, und dann so viel unnüze Umstände damit macht. Ihr werdet leugnen, daß Ihr hinterlistig zu Werke gegangen seid, Ihr werdet mich auffordern, alle Urkunden der Religion — weil ich doch die Systeme, die Commentare und die Apologien schon verworfen habe — alle aufzurollen von den schönen Dichtungen der Griechen bis zu den heiligen Schriften | der Christen, ob ich nicht überall die Natur der Götter finden werde, und ihren Willen, und überall den heilig und selig gepriesen, der die erstere erkennt und den leztern vollbringt. Aber das ist es ja eben, was ich Euch gesagt habe, daß die Religion nie rein erscheint, das alles sind nur die fremden Theile, die ihr anhängen, und es soll ja unser Geschäft sein, sie von diesen zu befreien. Liefert Euch doch die Körperwelt keinen Urstoff als reines Naturprodukt — Ihr müßtet dann, wie es Euch hier in der intellektuellen ergangen ist, sehr grobe Dinge für etwas Einfaches halten, — sondern es ist nur das unendliche Ziel der analytischen Kunst, einen solchen darstellen zu können; und in geistigen Dingen ist Euch das Ursprüngliche nicht anders zu schaffen, als wenn Ihr es durch eine ursprüngliche Schöpfung in Euch erzeugt, und auch dann nur auf den Moment wo Ihr es erzeugt. Ich bitte Euch, verstehet Euch selbst hierüber, Ihr werdet unaufhörlich daran erinnert werden. Was aber die Urkunden und die Autographa der Religion be-

7 was Ihr] was ihr

7 eine] so DV; OD: nie

11 Ihr] ihr

33 Ihr] ihr

Zweite

Rede

[211]

79

trift, so ist in ihnen diese Einmischung von Metaphysik und Moral nicht bloß ein unvermeidliches Schiksal, sie ist vielmehr künstliche Anlage und hohe Absicht. Was als das erste und lezte gegeben wird, ist | nicht immer das wahre und höchste. Wüßtet Ihr doch nur zwischen den Zeilen zu lesen! Alle heilige Schriften sind wie die bescheidenen Bücher, welche vor einiger Zeit in unserem bescheidenen Vaterlande gebräuchlich waren, die unter einem dürftigen Titel wichtige Dinge abhandelten. Sie kündigen freilich nur Metaphysik und Moral an, und gehen gern am Ende in das zurük, was sie angekündigt haben, aber Euch wird zugemuthet diese Schale zu spalten. So liegt auch der Diamant in einer schlechten Maße gänzlich verschloßen, aber warlich nicht um verborgen zu bleiben, sondern um desto sicherer gefunden zu werden. Proselyten zu machen aus den Ungläubigen, das liegt sehr tief im Charakter der Religion; wer die seinige mittheilt, kann gar keinen andern Zwek haben, und so ist es in der That kaum ein frommer Betrug, sondern eine schikliche Methode bei dem anzufangen und um das besorgt zu scheinen, wofür der Sinn schon da ist, damit gelegentlich und unbemerkt sich das einschleiche, wofür er erst aufgeregt werden soll. Es ist, da alle Mittheilung der Religion nicht anders als rhetorisch sein kann, eine schlaue Gewinnung der Hörenden, sie in so guter Gesellschaft einzuführen. Aber dieses Hülfsmittel hat seinen Zwek nicht nur erreicht, son-|dern überholt, indem selbst Euch unter dieser Hülle ihr eigentliches Wesen verborgen geblieben ist. Darum ist es Zeit die Sache einmal beim andern Ende zu ergreifen, und mit dem schneidenden Gegensaz anzuheben, in welchem sich die Religion gegen Moral und Metaphysik befindet. Das war es was ich wollte. Ihr habt mich mit Euerem gemeinen Begriff gestört; er ist abgethan, hoffe ich, unterbrecht mich nun nicht weiter. Sie entsagt hiermit, um den Besiz ihres Eigenthums anzutreten, allen Ansprüchen auf irgend etwas, was jenen angehört, und giebt alles zurük, was man ihr aufgedrungen hat. Sie begehrt nicht das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären wie die Metaphysik, sie begehrt nicht aus Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkühr des Menschen es fortzubilden und fertig zu machen wie die Moral. Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüßen will sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen laßen. So ist sie beiden in allem entgegengesezt was ihr Wesen aus-|macht, und in allem was ihre Wirkungen charakterisirt. Jene sehen im ganzen Universum nur den Menschen als Mittelpunkt aller Beziehungen, als Bedingung alles Seins und Ursach alles Werdens; sie will im Menschen nicht weniger als in allen andern Einzelnen

23 welchem] welchen

34 Universum] Uuiversum

80

[212]

Über die Religion

und Endlichen das Unendliche sehen, deßen Abdruk, deßen Darstellung. Die Metaphysik geht aus von der endlichen Natur des Menschen, und will aus ihrem einfachsten Begriff, und aus dem Umfang ihrer Kräfte und ihrer Empfänglichkeit mit Bewußtsein bestimmen, was das Universum für ihn sein kann, und wie er es nothwendig erbliken muß. Die Religion lebt ihr ganzes Leben auch in der Natur, aber in der unendlichen Natur des Ganzen, des Einen und Allen; was in dieser alles Einzelne und so auch der Mensch gilt, und wo alles und auch er treiben und bleiben mag in dieser ewigen Gährung einzelner Formen und Wesen, das will sie in stiller Ergebenheit im Einzelnen anschauen und ahnden. Die Moral geht vom Bewußtsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen; die Religion athmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist, jenseit des Spiels seiner besondern Kräfte und seiner Per-|sonalität faßt sie den Menschen, und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er das sein muß was er ist, er wolle oder wolle nicht. So behauptet sie ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen Charakter nur dadurch, daß sie aus dem der Spekulazion sowohl als aus dem der Praxis gänzlich herausgeht, und indem sie sich neben beide hinstellt, wird erst das gemeinschaftliche Feld vollkommen ausgefüllt, und die menschliche Natur von dieser Seite vollendet. Sie zeigt sich Euch als das nothwendige und unentbehrliche Dritte zu jenen beiden, als ihr natürliches Gegenstük, nicht geringer an Würde und Herrlichkeit, als welches von ihnen Ihr wollt. Spekulazion und Praxis haben zu wollen ohne Religion, ist verwegener Ubermuth, es ist freche Feindschaft gegen die Götter, es ist der unheilige Sinn des Prometheus, der feigherzig stahl, was er in ruhiger Sicherheit hätte fordern und erwarten können. Geraubt nur hat der Mensch das Gefühl seiner Unendlichkeit und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als Unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unermeßlichen. Auch haben die Götter von je an diesen Frevel gestraft. Pra-|xis ist Kunst, Spekulazion ist Wißenschaft, Religion ist Sinn und Geschmak fürs Unendliche. Ohne diese, wie kann sich die erste über den gemeinen Kreis abentheuerlicher und hergebrachter Formen erheben? wie kann die andere etwas beßeres werden als ein steifes und mageres Skelet? Oder warum vergißt über alles Wirken nach außen und aufs Universum hin Euere Praxis am Ende eigentlich immer den Menschen selbst zu bilden? weil Ihr ihn dem Universum entgegengesezt und ihn nicht als einen

21 zu] so DV; OD: von

24—26 Prometheus stiehlt den Göttern das Feuer, worden ist, und gibt es den Meischen zurück.

das den Menschen

strafweise

entzogen

Zweite

Rede

[213]

81

Theil deßelben und als etwas heiliges aus der Hand der Religion empfangt. Wie kommt sie zu der armseligen Einförmigkeit, die nur ein einziges Ideal kennt und dieses überall unterlegt? weil es Euch an dem Grundgefühl der unendlichen und lebendigen Natur fehlt, deren Symbol Mannichfaltigkeit und Individualität ist. Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Gränzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müßen. N u r so kann es innerhalb dieser Gränzen selbst unendlich sein und eigen gebildet werden, und sonst verliert Ihr alles in der Gleichförmigkeit eines allgemeinen Begrifs. Warum hat Euch die Spekulazion so lange statt eines Systems Blendwerke, und statt der Gedanken Worte ge-|geben? warum war sie nichts als ein leeres Spiel mit Formeln, die immer anders wiederkamen, und denen nie etwas entsprechen wollte? Weil es an Religion gebrach, weil das Gefühl des Unendlichen sie nicht beseelte, und die Sehnsucht nach ihm, und die Ehrfurcht vor ihm ihre feinen luftigen Gedanken nicht nöthigte, eine festere Konsistenz anzunehmen, um sich gegen diesen gewaltigen Druk zu erhalten. Vom Anschauen muß alles ausgehen, und wem die Begierde fehlt das Unendliche anzuschauen, der hat keinen Prüfstein und braucht freilich auch keinen, um zu wißen, ob er etwas ordentliches darüber gedacht hat. Und wie wird es dem Triumph der Spekulation ergehen, dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das Gegengewicht hält, und ihn einen höhern Realismus ahnden läßt als den, welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint, er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eignen Beschränktheit. Opfert mit mir ehrerbietig eine Loke den Manen des heiligen verstoßenen Spinosa! Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein An-|fang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe, in heiliger Unschuld und tiefer Demuth spiegelte er sich in der ewigen Welt, und sah zu wie auch Er ihr liebenswürdigster Spiegel war; voller Religion war Er und voll heiligen Geistes; und darum steht Er auch da, allein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht. Anschauen des Universums, ich bitte befreundet Euch mit diesem Begriff, er ist der Angel meiner ganzen Rede, er ist die allgemeinste und höchste Formel der Religion, woraus Ihr jeden Ort in derselben finden könnt, woraus sich ihr Wesen und ihre Gränzen aufs genaueste bestimmen laßen. Alles Anschauen gehet aus von einem Einfluß des Angeschaueten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem lezteren seiner Natur gemäß aufgenom-

36 woraus] worans

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Über die Religion

men, zusammengefaßt und begriffen wird. Wenn die Ausflüße des Lichtes nicht — was ganz ohne Euere Veranstaltung geschieht — Euer Organ berührten, wenn die kleinsten Theile der Körper die Spizen Eurer Finger nicht mechanisch oder chemisch affizirten, wenn der D r u k der Schwere Euch nicht einen Widerstand und | eine Gränze Eurer Kraft offenbarte, so würdet Ihr nichts anschauen und nichts wahrnehmen, und was Ihr also anschaut und wahrnehmt, ist nicht die Natur der Dinge, sondern ihr Handeln auf Euch. Was Ihr über jene wißt oder glaubt, liegt weit jenseits des Gebiets der Anschauung. So die Religion; das Universum ist in einer ununterbrochenen Thätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblik. Jede F o r m die es hervorbringt, jedes Wesen dem es nach der Fülle des Lebens ein abgesondertes Dasein giebt, jede Begebenheit die es aus seinem reichen immer fruchtbaren Schooße herausschüttet, ist ein Handeln deßelben auf U n s ; und so alles Einzelne als einen Theil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinnehmen, das ist Religion; was aber darüber hinaus will, und tiefer hineindringen in die Natur und Substanz des Ganzen ist nicht mehr Religion, und wird, wenn es doch noch dafür angesehen sein will, unvermeidlich zurüksinken in leere Mythologie. So war es Religion, wenn die Alten die Beschränkungen der Zeit und des Raumes vernichtend jede eigenthümliche Art des Lebens durch die ganze Welt hin als das W e r k und Reich eines allgegenwärtigen Wesens ansahen; sie hatten eine eigenthümliche Handels-|weise des Universums in ihrer Einheit angeschaut und bezeichneten so diese Anschauung; es war Religion wenn sie für jede hülfreiche Begebenheit, wobei die ewigen Geseze der Welt sich im Zufälligen auf eine einleuchtende Art offenbarten, den G o t t dem sie angehörte, mit einem eigenen Beinamen begabten und einen eignen Tempel ihm bauten; sie hatten eine That des Universums aufgefaßt, und bezeichneten so ihre Individualität und ihren Charakter. Es war Religion, wenn sie sich über das spröde eiserne Zeitalter der Welt voller Riße und Unebenen erhoben, und das goldene wiedersuchten im O l y m p unter dem lustigen Leben der G ö t t e r ; so schauten sie an die immer rege immer lebendige und heitere Thätigkeit der Welt und ihres Geistes, jenseits alles Wechsels und alles scheinbaren Übels, das nur aus dem Streit endlicher Formen hervorgehet. Aber wenn sie von den Abstammungen dieser G ö t t e r eine wunderbare C h r o n i k halten, oder wenn ein späterer Glaube uns eine lange Reihe von Emanazionen und Erzeugungen vorführt, das ist leere Mythologie. Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen, das ist Religion, es drükt ihre Beziehung auf ein unendliches Ganzes aus, aber über das Sein dieses Gottes vor der Welt | und außer der Welt grübeln, mag in der Metaphysik gut und nöthig sein, in der Religion wird auch das nur

22 Universums] Universum

35 halten] so DV; OD: hatten

39 das Sein] dem Sein

Zweite Rede

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leere Mythologie, eine weitere Ausbildung desjenigen, was nur Hülfsmittel der Darstellung ist, als ob es selbst das wesentliche wäre, ein völliges H e r ausgehen aus dem eigenthümlichen B o d e n . — Anschauung ist und bleibt immer etwas einzelnes, abgesondertes, die unmittelbare Wahrnehmung, weiter nichts; sie zu verbinden und in ein Ganzes zusammenzustellen, ist schon wieder nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des abstrakten D e n kens. So die Religion; bei den unmittelbaren Erfahrungen vom Dasein und Handeln des Universums, bei den einzelnen Anschauungen und Gefühlen bleibt sie stehen; jede derselben ist ein für sich bestehendes W e r k ohne Zusammenhang mit andern oder Abhängigkeit von ihnen; von Ableitung und Anknüpfung weiß sie nichts, es ist unter allem was ihr begegnen kann das, dem ihre Natur am meisten widerstrebt. N i c h t nur eine einzelne Thatsache oder Handlung, die man ihre ursprüngliche und erste nennen könnte, sondern alles ist in ihr unmittelbar und für sich wahr. — Ein System von Anschauungen, könnt Ihr Euch selbst etwas wunderlicheres denken? Laßen sich Ansichten, und gar Ansichten des | Unendlichen in ein System bringen? K ö n n t Ihr sagen, man muß dieses so sehen, weil man jenes so sehen mußte? D i c h t hinter E u c h , dicht neben Euch mag einer stehen, und alles kann ihm anders erscheinen. O d e r rüken etwa die möglichen Standpunkte, auf denen ein Geist stehen kann um das Universum zu betrachten, in abgemeßenen Entfernungen fort, daß ihr erschöpfen und aufzählen und das Charakteristische eines jeden genau bestimmen könnt? Sind ihrer nicht unendlich viele, und ist nicht jeder nur ein stätiger Ubergang zwischen zwei andern? Ich rede Euere Sprache bei dieser Frage; es wäre ein unendliches Geschäft, und den Begriff von etwas Unendlichem seid Ihr nicht gewohnt mit dem Ausdruk System zu verbinden, sondern den von etwas Beschränktem und in seiner Beschränkung Vollendetem. Erhebt Euch einmal — es ist doch für die meisten unter Euch ein Erheben — zu jenem Unendlichen der sinnlichen Anschauung, dem bewunderten und gefeierten Sternenhimmel. D i e astronomischen Theorien, die tausend Sonnen mit ihren Weltsystemen um eine gemeinschaftliche führen, und für diese wiederum ein höheres Weltsystem suchen, welches ihr Mittelpunkt sein könnte, und so fort ins Unendliche nach innen und nach außen, diese werdet Ihr | doch nicht ein System von Anschauungen als solchen nennen wollen? Das Einzige dem Ihr diesen Namen beilegen könnt, wäre die uralte Arbeit jener kindlichen Gemüther, die die unendliche Menge dieser Erscheinungen in bestimmte aber dürftige und unschikliche Bilder gefaßt haben. Ihr wißt aber, daß darin kein Schein von System ist, daß noch immer Gestirne zwischen diesen Bildern entdekt werden, daß auch innerhalb ihrer Gränzen alles unbestimmt und unendlich ist, und daß sie selbst etwas rein willkürliches und höchst bewegliches bleiben. W e n n Ihr einen überredet habt mit Euch das Bild des Wagens in die blaue Folie der Welten hineinzuzeichnen, bleibt es ihm nicht demohngeachtet frei die nächstgelegenen Welten in ganz andere U m r i ß e

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Uber die Religion

zusammenzufaßen als die Eurigen sind? Dieses unendliche Chaos, wo freilich jeder Punkt eine Welt vorstellt, ist eben als solches in der That das schiklichste und höchste Sinnbild der Religion; in ihr wie in ihm ist nur das Einzelne wahr und nothwendig, nichts kann oder darf aus dem andern bewiesen werden, und alles Allgemeine worunter das Einzelne befaßt werden soll, alle Zusammenstellung und Verbindung liegt entweder in einem fremden Gebiet, wenn sie auf das Innre und Wesentliche bezogen | werden soll, oder ist nur ein Werk der spielenden Fantasie und der freiesten Willkür. Wenn Tausende von Euch dieselben religiösen Anschauungen haben könnten, so würde gewiß jeder andere Umriße ziehen, um fest zu halten wie er sie neben oder nach einander erblikt hat; es würde dabei nicht etwa auf sein Gemüth, nur auf einen zufälligen Zustand, auf eine Kleinigkeit ankommen. Jeder mag seine eigne Anordnung haben und seine eigene Rubriken, das Einzelne kann dadurch weder gewinnen noch verlieren, und wer wahrhaft um seine Religion und ihr Wesen weiß, wird jeden scheinbaren Zusammenhang dem Einzelnen tief unterordnen, und ihm nicht das kleinste von diesem aufopfern. Eben wegen dieser selbstständigen Einzelnheit ist das Gebiet der Anschauung so unendlich. Stellt Euch an den entferntesten Punkt der Körperwelt, Ihr werdet von dort aus nicht nur dieselben Gegenstände in einer andern Ordnung sehen und wenn Ihr Euch an Eure vorigen willkürlichen Bilder halten wollt, die Ihr dort nicht wiederfindet, ganz verirrt sein; sondern Ihr werdet in neuen Regionen noch ganz neue Gegenstände entdeken. Ihr könnt nicht sagen, daß Euer Horizont, auch der weiteste, alles umfaßt, | und daß jenseits deßelben nichts mehr anzuschauen sei, oder daß Euerem Auge auch dem bewafnetsten innerhalb deßelben nichts entgehe: Ihr findet nirgends Gränzen, und könnt Euch auch keine denken. Von der Religion gilt dies in einem noch weit höheren Sinne; von einem entgegengesezten Punkte aus würdet Ihr nicht nur in neuen Gegenden neue Anschauungen erhalten, auch in dem alten wohlbekannten Räume würden sich die ersten Elemente in andere Gestalten vereinigen und alles würde anders sein. Sie ist nicht nur deswegen unendlich, weil Handeln und Leiden auch zwischen demselben beschränkten Stoff und dem Gemüth ohne Ende wechselt — Ihr wißt daß dies die einzige Unendlichkeit der Spekulazion ist — nicht nur deswegen weil sie nach innen zu unvollendbar ist wie die Moral, sie ist unendlich, nach allen Seiten, ein Unendliches des Stöfs und der Form, des Seins, des Sehens und des Wißens darum. Dieses Gefühl muß Jeden begleiten der wirklich Religion hat. Jeder muß sich bewußt sein, daß die seinige nur ein Theil des Ganzen ist, daß es über dieselben Gegenstände, die ihn religiös affiziren, Ansichten giebt, die eben so fromm sind und doch von den seini-

19 I h r ] i h r

Zweite Rede

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85

gen gänzlich verschieden, und daß aus andern Elementen der | Religion A n schauungen und Gefühle ausfließen, für die ihm vielleicht gänzlich der Sinn fehlt. Ihr seht wie unmittelbar diese schöne Bescheidenheit, diese freundliche einladende Duldsamkeit aus dem Begrif der Religion entspringt, und wie innig sie sich an ihn anschmiegt. Wie unrecht wendet Ihr Euch also an die Religion mit Eueren Vorwürfen, daß sie verfolgungssüchtig sei und gehäßig, daß sie die Gesellschaft zerrütte und Blut fließen laße wie Waßer. Klaget deßen diejenigen an, welche die Religion verderben, welche sie mit Philosophie überschwemmen und sie in die Feßeln eines Systems schlagen wollen. W o r ü b e r denn in der Religion hat man gestritten, Parthei gemacht und Kriege entzündet? Ü b e r die Moral bisweilen und über die Metaphysik immer, und beide gehören nicht hinein. D i e Philosophie wohl strebt diejenigen, welche wißen wollen, unter ein gemeinschaftliches Wißen zu bringen, wie Ihr das täglich sehet, die Religion aber nicht diejenigen welche glauben und fühlen, unter Einen Glauben und Ein Gefühl. Sie strebt wohl denen, welche noch nicht fähig sind das Universum anzuschauen, die Augen zu öfnen, denn jeder Sehende ist ein neuer Priester, ein neuer Mittler, ein neues O r g a n ; aber eben deswegen flieht sie mit Widerwillen | die kahle Einförmigkeit, welche diesen göttlichen Oberfluß wieder zerstören würde. D i e Systemsucht stößt freilich das Fremde ab, sei es auch noch so denkbar und wahr, weil es die wohlgeschloßnen Reihen des Eigenen verderben, und den schönen Zusammenhang stören könnte, indem es seinen Plaz forderte; in ihr ist der Siz der Widersprüche, sie muß streiten und verfolgen; denn in so fern das Einzelne wieder auf etwas Einzelnes und Endliches bezogen wird, kann freilich Eins das Andere zerstören durch sein Dasein; im Unendlichen aber steht alles Endliche ungestört neben einander, alles ist Eins und alles ist wahr. Auch haben nur die Systematiker dies alles ange"richtet. Das neue R o m , das gottlose aber konsequente schleudert Bannstrahlen und stößt Kezer aus; das alte, wahrhaft fromm und religiös im hohen Styl war gastfrei gegen jeden G o t t , und so wurde es der G ö t t e r voll. D i e Anhänger des todten Buchstabens den die Religion auswirft, haben die Welt mit Geschrei und Getümmel erfüllt, die wahren Beschauer des E w i gen waren immer ruhige Seelen, entweder allein mit sich und dem Unendlichen, oder wenn sie sich umsahen, jedem der das große W o r t nur verstand, seine eigne Art gern vergönnend. Mit diesem weiten Blik | und diesem G e fühl des Unendlichen sieht sie aber auch das an was außer ihrem eigenen Gebiete liegt, und enthält in sich die Anlage zur unbeschränktesten Vielseitigkeit im Urtheil und in der Betrachtung, welche in der T h a t anderswoher nicht zu nehmen ist. Laßet irgend etwas anders den Menschen beseelen — ich schließe die Sittlichkeit nicht aus noch die Philosophie, und berufe mich

3 - 7 Vgl. Gedanken I, Nr. 121

86

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Über die Religion

vielmehr ihretwegen auf Eure eigne Erfahrung — sein D e n k e n und sein Streben, worauf es auch gerichtet sei, zieht einen engen Kreis um ihn, in welchem sein Höchstes eingeschloßen liegt, und außer welchem ihm alles gemein und unwürdig erscheint. W e r nur systematisch denken und nach Grundsaz und Absicht handeln, und dies und jenes ausrichten will in der Welt, der umgränzt unvermeidlich sich selbst und sezt immerfort dasjenige sich entgegen zum Gegenstande des Widerwillens was sein T h u n und Treiben nicht fördert. N u r der Trieb anzuschauen, wenn er aufs Unendliche gerichtet ist, sezt das G e m ü t h in unbeschränkte Freiheit, nur die Religion rettet es von den schimpflichsten Feßeln der Meinung und der Begierde. Alles was ist, ist für sie nothwendig, und alles was sein kann, ist ihr ein wahres unentbehrliches Bild des Unendlichen; wer nur den Punkt | findet, woraus seine Beziehung auf daßelbe sich entdeken läßt. W i e verwerflich auch etwas in andern Beziehungen oder an sich selbst sei, in dieser Rüksicht ist es immer werth zu sein und aufbewahrt und betrachtet zu werden. E i nem frommen G e m ü t h e macht die Religion alles heilig und werth, sogar die Unheiligkeit und die Gemeinheit selbst, alles was es faßt und nicht faßt, was in dem System seiner eigenen Gedanken liegt und mit seiner eigenthümlichen Handelsweise übereinstimmt oder nicht; sie ist die einzige und geschworne Feindin aller Pedanterie und aller Einseitigkeit. — Endlich um das allgemeine Bild der Religion zu vollenden, erinnert E u c h , daß jede A n schauung ihrer Natur nach mit einem Gefühl verbunden ist. Euere Organe vermitteln den Zusammenhang zwischen dem Gegenstande und E u c h , derselbe Einfluß des leztern, der Euch sein Dasein offenbaret, m u ß sie auf mancherlei Weise erregen, und in Eurem innern Bewußtsein eine Veränderung hervorbringen. Dieses Gefühl, das Ihr freilich oft kaum gewahr werdet, kann in andern Fällen zu einer solchen Heftigkeit heranwachsen, daß Ihr des Gegenstandes und Euerer selbst darüber vergeßt, Euer ganzes Nervensystem kann so davon durchdrungen werden, daß die Sensation lange allein | herrscht und lange noch nachklingt, und der Wirkung anderer Eindrüke widersteht; aber daß ein Handeln in Euch hervorgebracht, die Selbstthätigkeit Eures Geistes in Bewegung gesezt wird, das werdet Ihr doch nicht den Einflüßen äußerer Gegenstände zuschreiben? Ihr werdet doch gestehen, daß das weit außer der Macht auch der stärksten Gefühle liege, und eine ganz andere Quelle haben müße in E u c h . So die Religion; dieselben Handlungen des Universums, durch welche es sich Euch im Endlichen offenbart, bringen es auch in ein neues Verhältniß zu Eurem G e m ü t h und Eurem Zustand; indem Ihr es anschauet müßt Ihr nothwendig von mancherlei Gefühlen ergriffen werden. N u r daß in der Religion ein anderes und festeres Verhältniß zwischen der Anschauung und dem Gefühl statt

24 leztern] Kj erstem

Zweite Rede

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findet, und nie jene so sehr überwiegt daß dieses beinahe verlöscht wird. Im Gegenteil ist es wohl ein Wunder, wenn die ewige Welt auf die Organe unseres Geistes so wirkt wie die Sonne auf unser Auge? wenn sie uns so blendet, daß nicht nur in dem Augenblik alles übrige verschwindet, sondern auch noch lange nachher alle Gegenstände die wir betrachten, mit dem Bilde derselben bezeichnet und von ihrem | Glanz übergoßen sind? So wie die besondere Art wie das Universum sich Euch in Euren Anschauungen darstellt, das Eigenthümliche Eurer individuellen Religion ausmacht, so bestimmt die Stärke dieser Gefühle den Grad der Religiosität. J e gesunder der Sinn, desto schärfer und bestimmter wird er jeden Eindruk auffaßen, je sehnlicher der Durst, je unaufhaltsamer der Trieb das Unendliche zu ergreifen, desto mannigfaltiger wird das Gemüth selbst überall und ununterbrochen von ihm ergriffen werden, desto vollkommner werden diese Eindrüke es durchdringen, desto leichter werden sie immer wieder erwachen, und über alle andere die Oberhand behalten. So weit geht an dieser Seite das Gebiet der Religion, ihre Gefühle sollen uns besizen, wir sollen sie aussprechen, festhalten, darstellen; wollt Ihr aber darüber hinaus mit ihnen, sollen sie eigentliche Handlungen veranlaßen, und zu Thaten antreiben, so befindet Ihr E u c h auf einem fremden G e b i e t ; und haltet Ihr dies dennoch für Religion, so seid Ihr, wie vernünftig und löblich Euer T h u n auch aussehe, versunken in unheilige Superstizion. Alles eigentliche Handeln soll moralisch sein und kann es auch, aber die religiösen Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles T h u n des Menschen begleiten; er soll | alles mit Religion thun, nichts aus Religion. Wenn Ihr es nicht versteht, daß alles Handeln moralisch sein soll, so seze ich hinzu, daß dies auch von allem andern gilt. Mit Ruhe soll der Mensch handeln, und was er unternehme, das geschehe mit Besonnenheit. Fraget den sittlichen Menschen, fraget den politischen, fraget den künstlerischen, alle werden sagen, daß dies ihre erste Vorschrift sei; aber Ruhe und Besonnenheit ist verloren, wenn der Mensch sich durch die heftigen und erschütternden Gefühle der Religion zum Handeln treiben läßt. Auch ist es unnatürlich daß dieses geschehe, die religiösen Gefühle lähmen ihrer Natur nach die Thatkraft des Menschen, und laden ihn ein zum stillen hingegebenen G e n u ß ; daher auch die religiösesten Menschen, denen es an andern Antrieben zum Handeln fehlte, und die nichts waren als religiös, die Welt verließen, und sich ganz der müßigen Beschauung ergaben. Zwingen muß der Mensch erst sich und seine frommen Gefühle, ehe sie Handlungen aus ihm herauspreßen, und ich darf mich nur auf Euch berufen, es gehört ja mit zu Euren Anklagen, daß so viel sinnlose und unnatürliche auf diesem Wege zu Stande gekommen sind. Ihr seht, ich gebe Euch nicht nur diese Preis, sondern auch die | vortreflichsten und löblichsten. O b bedeutungslose Gebräuche gehandhabt oder gute Werke verrichtet, ob auf blutenden Altären Menschen geschlachtet oder ob sie mit wohlthätiger Hand beglükt werden, ob in todter Unthätigkeit das Leben

88

Über die Religion

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hingebracht wird, oder in schwerfälliger geschmakloser O r d n u n g , oder in leichter üppiger Sinnenlust, das sind freilich, wenn von Moral oder vom Leben und von weltlichen Beziehungen die Rede ist, himmelweit von einander unterschiedene Dinge; sollen sie aber zur Religion gehören und aus ihr hervorgegangen sein, so sind sie alle einander gleich, nur sklavischer Aberglaube eins wie das andere. Ihr tadelt denjenigen, der durch den E i n druk, welchen ein Mensch auf ihn macht, sein Verhalten gegen ihn bestimmen läßt, Ihr wollt daß auch das richtigste Gefühl über die Gegenwirkung des Menschen uns nicht zu Handlungen verleiten soll, wozu wir keinen beßern Grund haben; so ist also auch derjenige zu tadeln, deßen Handlungen, die immer aufs G a n z e gerichtet sein sollten, lediglich durch die G e fühle bestimmt werden, die eben dieses G a n z e in ihm erwekt; er wird ausgezeichnet als ein solcher, der seine Würde preisgiebt, nicht nur aus dem Standpunkt der Moral, weil er fremden Beweggründen Raum läßt, ] sondern auch aus dem der Religion selbst, weil er aufhört zu sein, was ihm allein in ihren Augen einen eigenthümlichen Werth giebt, ein freier durch eigene Kraft thätiger Theil des Ganzen. Dieser gänzliche Mißverstand, daß die Religion handeln soll, kann nicht anders als zugleich ein furchtbarer Mißbrauch sein, und auf welche Seite sich auch die Thätigkeit wende, in Unheil und Zerrüttung endigen. Aber bei ruhigem Handeln, welches aus seiner eigenen Quelle hervorgehn muß, die Seele voll Religion haben, das ist das Ziel des F r o m m e n . N u r böse Geister, nicht gute, besizen den M e n schen und treiben ihn, und die Legion von Engeln womit der himmlische Vater seinen Sohn ausgestattet hatte, waren nicht in ihm, sondern um ihn her; sie halfen ihm auch nicht in seinem Thun und Laßen, und sollten es auch nicht, aber sie flößten Heiterkeit und Ruhe in die von T h u n und D e n ken ermattete Seele; er verlor sie wohl bisweilen aus den Augen, in Augenbliken, w o seine ganze Kraft zum Handeln aufgeregt war, aber dann umschwebten sie ihn wieder in frölichem Gedränge und dienten ihm. — E h e ich Euch aber in das Einzelne dieser Anschauungen und Gefühle hineinführe, welches allerdings mein nächstes Geschäft an Euch sein muß, so vergönnt mir zuvor einen | Augenblik darüber zu trauern, daß ich von beiden nicht anders als getrennt reden kann; der feinste Geist der Religion geht dadurch verloren für meine Rede, und ich kann ihr innerstes Geheimniß nur schwankend und unsicher enthüllen. Aber eine nothwendige Reflexion trennt beide, und wer kann über irgend etwas, das zum Bewußtsein gehört, reden, ohne erst durch dieses Medium hindurch zu gehen. N i c h t nur wenn wir eine innere Handlung des Gemüths mittheilen, auch wenn wir sie nur

8 Ihr] ihr

11 lediglich] ledi-/glich

2 3 - 2 5 Vgl. Mt 26,51

2 5 - 2 9 Vgl. Mt

4,1-11

Zweite

Rede

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89

in uns z u m Stoff der Betrachtung machen, und z u m deutlichen Bewußtsein erhöhen wollen, geht gleich diese unvermeidliche Scheidung vor sich: das F a k t u m vermischt sich mit dem ursprünglichen Bewußtsein unserer d o p pelten Thätigkeit, der herrschenden und nach außen wirkenden, und der bloß zeichnenden und nachbildenden, welche den Dingen vielmehr zu dienen scheint, und sogleich bei dieser Berührung zerlegt sich der einfachste Stoff in zwei entgegengesezte Elemente: die einen treten zusammen zum Bilde eines O b j e k t s , die andern dringen durch z u m Mittelpunkt unsers Wesens, brausen dort auf mit unsern ursprünglichen Trieben und entwikeln ein flüchtiges G e f ü h l . Auch mit dem innersten Schaffen des religiösen Sinnes können wir diesem Schiksal | nicht entgehen; nicht anders áis in dieser getrennten Gestalt können wir seine Produkte wieder zur Oberfläche herauffördern und mittheilen. N u r denkt nicht — dies ist eben einer von den gefährlichsten Irrthümern — daß religiöse Anschauungen und G e f ü h l e auch ursprünglich in der ersten H a n d l u n g des G e m ü t h s so abgesondert sein dürfen, wie wir sie leider hier betrachten müßen. Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten U r s p r u n g noch die rechte Kraft haben, G e f ü h l ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich Eins und ungetrennt sind. Jener erste geheimnißvolle Augenblik, der bei jeder sinnlichen Wahrnehm u n g v o r k o m m t , ehe noch Anschauung und G e f ü h l sich trennen, w o der Sinn und sein Gegenstand gleichsam in einander gefloßen und Eins geworden sind, ehe noch beide an ihren ursprünglichen Plaz zurükkehren — ich weiß wie unbeschreiblich er ist, und wie schnell er vorüber geht, ich wollte aber Ihr könntet ihn festhalten und auch in der höheren und göttlichen religiösen Thätigkeit des G e m ü t h s ihn wieder erkennen. K ö n n t e und dürfte ich ihn doch aussprechen, andeuten wenigstens, ohne ihn zu entheiligen! Flüchtig ist er und durchsichtig wie der | erste D u f t w o m i t der Thau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche U m a r m u n g ; ja nicht w i e dies, sondern er i s t alles dieses s e l b s t . Schnell und zauberisch entwikelt sich eine Erscheinung eine Begebenheit zu einem Bilde des Universums. So wie sie sich f o r m t die geliebte und immer gesuchte Gestalt, flieht ihr meine Seele entgegen, ich umfange sie nicht wie einen Schatten, sondern wie das heilige Wesen selbst. Ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblik ihre Seele, denn ich fühle alle ihre Kräfte und ihr unendliches Leben, wie mein eigenes, sie ist in diesem Augenblike mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten N e r v e n bewegen sich nach meinem Sinn und meiner A h n d u n g wie die meinigen. Die geringste Erschütterung, und es verweht

19 ungetrennt] nngetrennt

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Über die Religion

die heilige Umarmung, und nun erst steht die Anschauung vor mir als eine abgesonderte Gestalt, ich meße sie, und sie spiegelt sich in der offnen Seele wie das Bild der sich entwindenden Geliebten in dem aufgeschlagenen Auge des Jünglings, und nun erst arbeitet sich das Gefühl aus dem Innern empor, und verbreitet sich wie die Rothe | der Schaam und der Lust auf seiner Wange. Dieser Moment ist die höchste Blüthe der Religion. Könnte ich ihn Euch schaffen, so wäre ich ein Gott - das heilige Schiksal verzeihe mir nur, daß ich mehr als Eleusische Mysterien habe aufdeken müßen. — Er ist die Geburtsstunde alles Lebendigen in der Religion. Aber es ist damit wie mit dem ersten Bewußtsein des Menschen, welches sich in das Dunkel einer ursprünglichen und ewigen Schöpfung zurükzieht, und ihm nur das hinterläßt was es erzeugt hat. N u r die Anschauungen und Gefühle kann ich Euch vergegenwärtigen, die sich aus solchen Momenten entwikeln. Das aber sei Euch gesagt: wenn Ihr diese noch so vollkommen versteht, wenn Ihr sie in Euch zu haben glaubt im klarsten Bewußtsein, aber Ihr wißt nicht und könnt es nicht aufzeigen, daß sie aus solchen Augenbliken in Euch entstanden und ursprünglich Eins und ungetrennt gewesen sind, so überredet Euch und mich nicht weiter, es ist dem doch nicht so, Euere Seele hat nie empfangen, es sind nur untergeschobene Kinder, Erzeugniße anderer Seelen, die Ihr im heimlichen Gefühl der eignen Schwäche adoptirt habt. Als unheilige und entfernt von allem göttlichen Leben bezeichne ich Euch diejenigen, die also herumgehen und | sich brüsten mit Religion. Da hat der eine Anschauungen der Welt und Formeln, welche sie ausdrüken sollen, und der andre hat Gefühle und innere Erfahrungen, wodurch er sie dokumentirt. Jener flicht seine Formeln über einander, und dieser webt eine Heilsordnung aus seinen Erfahrungen, und nun ist Streit wie viel Begriffe und Erklärungen man nehmen müße, und wie viel Rührungen und Empfindungen, um daraus eine tüchtige Religion z u s a m m e n z u s e z e n die weder kalt noch schwärmerisch wäre. Ihr Thoren und träges Herzens! wißt Ihr nicht daß das alles nur Zersezungen des religiösen Sinnes sind, die Eure eigne Reflexion hätte machen müßen, und wenn Ihr Euch nun nicht bewußt seyd etwas gehabt zu haben, was sie zersezen konnte, wo habt Ihr denn dieses her? Gedächtniß habt Ihr und Nachahmung, aber keine Religion. Erzeugt habt Ihr die Anschauungen nicht wozu Ihr die Formeln wißt, sondern diese sind auswendig gelernt und aufbewahrt, und Euere Gefühle sind mimisch nachgebildet wie fremde Physiognomien, und eben deswegen Karikatur. Und aus diesen abgestorbenen und verderbten Theilen wollt Ihr eine Religion zusammensezen? Zerlegen kann man wohl die Säfte eines organischen Körpers in seine | nächsten Bestandtheile; aber nehmt nun diese

8 müßen.] müßen 20 Ihr] ihr derbten 39 seine] Kj ihre

33 Ihr] ihr

37 und verderbten] so DV; OD: unver-

Zweite Rede

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ausgeschiedenen Elemente, mischt sie in jedem Verhältniß behandelt sie auf jedem Wege, werdet Ihr wieder Herzensblut daraus machen können? Wird das was einmal todt ist, sich wieder in einem lebenden Körper bewegen und mit ihm einigen können? D i e Erzeugniße der lebenden Natur aus ihren getrennten Bestandtheilen zu restituiren, daran scheitert jede menschliche Kunst, und so wird es Euch mit der Religion nicht gelingen, wenn Ihr Euch ihre einzelnen Elemente auch noch so vollkommen von außen an und eingebildet habt; von innen muß sie hervorgehen. Das göttliche Leben ist wie ein zartes Gewächs, deßen Blüten sich noch in der umschloßenen Knospe befruchten, und die heiligen Anschauungen und Gefühle, die Ihr troknen und aufbewahren könnt, sind die schönen Kelche und K r o n e n , die sich bald nach jener verborgenen Handlung öfnen, aber auch bald wieder abfallen. Es treiben aber immer wieder neue aus der Fülle des innern Lebens — denn das göttliche Gewächs bildet um sich her ein paradiesisches Klima dem keine Jahreszeit schadet — und die alten bestreuen und zieren dankbar den Boden der die Wurzeln dekt von denen sie genährt wurden, und duften noch in lieblicher Erinnerung | zu dem Stamme empor, der sie trug. Aus diesen Knospen und Kronen und Kelchen will ich Euch jezt einen heiligen Kranz winden. Zur äußeren Natur, welche von so Vielen für den ersten und vornehmsten Tempel der Gottheit, für das innerste Heiligthum der Religion gehalten wird, führe ich Euch nur als zum äußersten V o r h o f derselben. Weder Furcht vor den materiellen Kräften die Ihr auf dieser Erde geschäftig seht, noch Freude an den Schönheiten der körperlichen Natur, soll oder kann Euch die erste Anschauung der Welt und ihres Geistes geben. Nicht im D o n n e r des Himmels noch in den furchtbaren Wogen des Meeres sollt Ihr das allmächtige Wesen erkennen, nicht im Schmelz der Blumen noch im Glanz der Abendröthe das Liebliche und Gütevolle. Es mag sein, daß beides Furcht und freudiger G e n u ß die roheren Söhne der Erde zuerst auf die Religion vorbereitete, aber diese Empfindungen selbst sind nicht Religion. Alle Ahndungen des Unsichtbaren, die den Menschen auf diesem Wege gekommen sind, waren nicht religiös sondern philosophisch, nicht Anschauungen der Welt und ihres Geistes — denn es sind nur Blike auf das unbegreifliche und unermeßliche Einzelne — sondern Suchen und Forschen nach Ursach und | erster Kraft. Es ist mit diesen rohen Anfängen in der Religion wie mit allem was zur ursprünglichen Einfalt der Natur gehört. N u r so lange diese noch da ist, hat es die Kraft das Gemüth so zu bewegen; es k o m m t auf den Gipfel der Vollendung, auf dem wir aber noch nicht stehen, vielleicht wieder durch Kunst und Willkür in eine höhere Gestalt verwandelt, auf dem Wege der Bildung aber geht es unvermeidlich und glükli-

3 5 i s t ] isi

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Über die Religion

eher Weise verloren, denn es würde ihren Gang nur hemmen. Auf diesem Wege befinden wir uns, und U n s kann also durch diese Bewegungen des Gemüths keine Religion k o m m e n . Das ist ja das große Ziel alles Fleißes, der auf die Bildung der Erde verwendet wird, daß die Herrschaft der N a turkräfte über den Menschen vernichtet werde, und alle Furcht vor ihnen aufhöre; wie können wir also in dem was wir zu bezwingen trachten, und zum Theil schon bezwungen haben, das Universum anschauen? Jupiters Blize schreken nicht mehr seitdem Vulkan uns einen Schild dagegen verfertigt hat. Vesta schüzt was sie dem Neptun abgewann gegen die zornigsten Schläge seines Tridents, und die Söhne des Mars vereinigen sich mit denen des Äskulaps, um uns gegen die schnelltödtenden Pfeile Apollo's zu sichern. So I vernichtet von jenen G ö t t e r n , so fern die Furcht sie gebildet hatte, einer den andern, und seitdem Prometheus uns gelehrt hat, bald diesen bald jenen zu bestechen, steht der Mensch als Sieger lächelnd über ihrem allgemeinen Kriege. Den Weltgeist zu lieben und freudig seinem Wirken zuzuschauen, das ist das Ziel unserer Religion, und Furcht ist nicht in der Liebe. N i c h t anders ist es mit jenen Schönheiten des Erdballs welche der kindliche Mensch mit so inniger Liebe umfaßt. Was ist jenes zarte Spiel der Farben, das Euer Auge in allen Erscheinungen des Firmaments ergözt, und einen Blik mit so vielem Wohlgefallen festhält, auf den lieblichsten Produkten der vegetabilischen Natur? Was ist es, nicht in Eurem Auge sondern in und fürs Universum? denn so müßet ihr doch fragen, wenn es etwas sein soll für Euere Religion. Es verschwindet als ein zufälliger Schein, so bald Ihr an den allverbreiteten Stoff denkt, deßen Entwikelungen es begleitet. Bedenkt daß Ihr in einem dunkeln Keller die Pflanze aller dieser Schönheiten berauben könnt, ohne ihre Natur zu zerstören; bedenkt daß der herrliche Schein, in deßen Leben Eure ganze Seele mitlebt, nichts ist, als daß die gleichen Ströme des Lichts sich nur anders brechen in einem größern | Meere irdischer Dünste, daß dieselben mittäglichen Stralen, deren Blendung Ihr nicht ertragt, denen gegen O s t e n schon als die flimmernde Abendröthe erscheint — und das müßt Ihr doch bedenken, wenn Ihr diese Dinge im Ganzen ansehn wollt — so werdet Ihr finden, daß diese Erscheinungen, so stark sie Euch auch rühren, zu Anschauungen der Welt doch nicht geeignet sind. Vielleicht daß wir einst auf einer höhern Stufe dasjenige was wir uns hier auf Erden unterwerfen sollen, im ganzen Weltraum verbreitet und gebietend finden, und uns dann ein heiliger Schauer erfüllt, über die Einheit und Algegen wart auch der körperlichen Kraft; vielleicht daß wir einst mit E r 28 Leben] Reben

17 1 Job

4,18

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staunen auch in diesem Schein denselben Geist entdeken, der das G a n z e beseelt; aber das wird etwas andres und höheres sein als diese Furcht und diese Liebe, und jezt brauchen die Helden der Vernunft unter Euch nicht zu spotten darüber* daß man durch Erniedrigung unter den todten Stoff und durch leere Poesie sie zur Religion führen wolle, und die empfindsamen Seelen dürfen nicht glauben daß es so leicht sei hinzugelangen zu ihr. Freilich giebt es etwas wesentlicheres anzuschauen in der körperlichen Natur als dieses. D i e Unendlichkeit derselben, die ungeheuren Ma-|ßen ausgestreut in jenen unübersehlichen R a u m , durchlaufend unermeßliche Bahnen, das wirft doch den Menschen nieder in Ehrfurcht bei dem Gedanken und dem Anblik der Welt? N u r das, ich bitte E u c h , was Ihr hiebei empfindet, rechnet mir nicht zur Religion. D e r Raum und die Maße machen nicht die Welt aus und sind nicht der Stoff der Religion; darin die Unendlichkeit zu suchen, ist eine kindische Denkungsart. Als nicht die Hälfte jener Welten entdekt war, ja als man noch gar nicht wußte, daß leuchtende Punkte Weltkörper wären, war dennoch das Universum nicht weniger herrlich anzuschauen als jezt, und es gab nicht mehr Entschuldigung für den Verächter der Religion als jezt. Ist nicht der begränzteste K ö r per in dieser Rüksicht eben so unendlich als alle jene Welten? D i e Unfähigkeit Eurer Sinne kann nicht der Stolz Eures Geistes sein, und was macht sich der Geist aus Zahlen und G r ö ß e n , da er ihre ganze Unendlichkeit in kleine Formeln zusammenfaßen und damit rechnen kann wie mit dem unbedeutendsten? Was in der That den religiösen Sinn anspricht in der äußern Welt, das sind nicht ihre Maßen sondern ihre Geseze. Erhebt Euch zu dem ßlik wie diese alles umfaßen, das größeste und das kleinste, | die Weltsysteme und das Stäubchen, welches unstät in der Luft umherflattert, und dann sagt, ob Ihr nicht anschaut die göttliche Einheit und die ewige U n wandelbarkeit der Welt. Was das gemeine Auge von diesen Gesezen zuerst wahrnimmt, die O r d n u n g in der alle Bewegungen wiederkehren am H i m mei und auf der Erde die bestimmte Laufbahn der Gestirne und das gleichmäßige K o m m e n und Gehen aller organischen Kräfte, die immerwährende Untrüglichkeit in der Regel des Mechanismus, und die ewige Einförmigkeit in dem Streben der plastischen N a t u r ; das ist an dieser Anschauung des Universums gerade das wenigste. Wenn Ihr von einem großen Kunstwerke nur ein einzelnes Stük betrachtet, und in den einzelnen Theilen dieses Stüks wiederum ganz für sich schöne U m r i ß e und Verhältniße wahrnehmt, die in diesem Stük geschloßen sind, und deren Regel sich aus ihm ganz übersehen läßt, wird Euch dann nicht das Stük mehr ein W e r k für sich zu sein scheinen, als ein Theil eines Werkes? werdet Ihr nicht urtheilen, daß es dem G a n z e n , wenn es durchaus in diesem Styl.gearbeitet ist, an Schwung und

12 mir] so DV; OD:

nur

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Kühnheit und allem was einen großen Geist ahnden läßt, fehlen müßte? W o Ihr eine erhabene Einheit, einen großgedachten Zu-|sammenhang ahnden sollt, da muß es neben der allgemeinen Tendenz zur O r d n u n g und H a r m o nie nothwendig im Einzelnen Verhältniße geben, die sich aus ihm selbst nicht völlig verstehen laßen. Auch die Welt ist ein W e r k , wovon Ihr nur einen Theil überseht, und wenn dieser vollkommen in sich selbst geordnet und vollendet wäre, könntet Ihr Euch von dem Ganzen keinen hohen B e griff machen. Ihr sehet, daß dasjenige, was oft dazu dienen soll die Religion zurükzuweisen, vielmehr einen größern Werth für sie hat in der Weltanschauung, als die O r d n u n g , die sich uns zuerst darbietet, und sich aus einem kleineren Theil übersehen läßt. N u r niedere Gottheiten, dienende Jungfrauen hatten die Aufsicht in der Religion der Alten über das gleichförmig Wiederkehrende, deßen Ordnung schon gefunden war, aber die A b weichungen, die man nicht begriff, die Revolutionen, für die es keine Geseze gab, diese eben waren das W e r k des Vaters der G ö t t e r . D i e Perturbationen in dem Laufe der Gestirne deuten auf eine höhere Einheit, auf eine kühnere Verbindung als die, welche wir schon aus der Regelmäßigkeit ihrer Bahnen gewahr werden, und die Anomalien, die müßigen Spiele der plastischen Natur zwingen uns zu sehen, daß sie ihre bestimmtesten F o r m e n mit einer Willkür, mit einer Phantasie | gleichsam, behandelt, deren Regel wir nur aus einem höheren Standpunkte entdeken könnten. W i e weit sind wir noch von demjenigen entfernt, welcher der höchste wäre, und wie unvollendet bleibt uns also diese Anschauung der W e l t ! — Betrachtet das Gesez nach welchem sich überall in der Welt so weit Ihr sie überseht das Lebende zu dem verhält, was in Rüksicht deßelben für todt zu halten ist, wie alles sich nährt und den todten Stoff gewaltsam hineinzieht in sein Leben, wie sich uns von allen Seiten entgegendrängt der aufgespeicherte Vorrath für alles Lebende, der nicht todt da liegt, sondern selbst lebend sich überall aufs neue wieder erzeugt, wie bei aller Mannichfaltigkeit der Lebensformen und der ungeheuren Menge von Materien, den jede wechselnd verbraucht, dennoch jede zur Genüge hat, um den Kreis ihres Daseins zu durchlaufen, und jede nur einem innern Schiksal unterliegt und nicht einem äußeren Mangel, welche unendliche Fülle offenbart sich da, — welch' überfließender Reichthum! Wie werden wir ergriffen von dem Eindruk der mütterlichen V o r sorge, und von kindlicher Zuversicht das süße Leben sorglos wegzuspielen in der vollen und reichen Welt. Sehet die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht und ärndten nicht, und Euer | himmlischer Vater ernährt sie doch, darum sorget nicht. Dieser fröliche Anblik, dieser heitere leichte Sinn war aber auch das H ö c h s t e ja das Einzige, was einer der größten H e r o e n der Religion für die seinige aus der Anschauung der Natur gewann; wie sehr

36-38 Mt 6,28. 26

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muß sie ihm also nur im Vorhof derselben gelegen haben! - Eine größere Ausbeute gewährt sie freilich uns, denen ein reicheres Zeitalter tiefer in ihr Innerstes zu dringen vergönnt hat; ihre chemischen Kräfte, die ewigen Geseze nach denen die Körper selbst gebildet und zerstört werden, diese sind es, in denen wir am klarsten und heiligsten das Universum anschauen. Sehet wie Neigung und Widerstreben alles bestimmt und überall ununterbrochen thätig ist; wie alle Verschiedenheit und alle Entgegensezung nur scheinbar und relativ ist, und alle Individualität nur ein leerer Namen; seht wie alles Gleiche sich in tausend verschiedene Gestalten zu verbergen und zu vertheilen strebt, und wie Ihr nirgends etwas Einfaches findet, sondern alles künstlich zusammengesezt und verschlungen; das ist der Geist der Welt, der sich im kleinsten eben so vollkommen und sichtbar offenbart als im größten, das ist eine Anschauung des Universums, die sich aus allem entwikelt und das Gemüth ergreift, und | nur derjenige, der sie in der That überall erblikt, der nicht nur in allen Veränderungen, sondern in allem Dasein selbst nichts findet als ein Werk dieses Geistes und eine Darstellung und Ausführung dieser Geseze, nur dem ist alles Sichtbare auch wirklich Welt, gebildet, von der Gottheit durchdrungen und Eins. Bei einem gänzlichen Mangel aller Kenntniße, die unser Jahrhundert verherrlichen, fehlte doch schon den ältesten Weisen der Griechen nicht diese Ansicht der Natur, zum deutlichen Beweise wie alles was Religion ist jede äußere Hülfe verschmäht und leicht entbehrt; und wäre diese von den Weisen zum Volk hindurchgedrungen, wer weiß welchen erhabenen Gang seine Religion würde genommen haben! Aber was ist Liebe und Widerstreben? was ist Individualität und Einheit? Diese Begriffe, wodurch Euch die Natur erst im eigentlichen Sinne Anschauung der Welt wird, habt Ihr sie aus der Natur? Stammen sie nicht ursprünglich aus dem Innern des Gemüths her, und sind erst von da auf jenes gedeutet? Darum ist es auch das Gemüth eigentlich worauf die Religion hinsieht, und woher sie Anschauungen der Welt nimmt; im innern Leben bildet sich das Universum ab, und nur durch das innere | wird erst das äußere verständlich. Aber auch das Gemüth muß, wenn es Religion erzeugen und nähren soll, in einer Welt angeschaut werden. Laßt mich Euch ein Geheimniß aufdeken, welches in einer der ältesten Urkunden der Dichtkunst und der Religion verbòrgen liegt. So lange der erste Mensch allein war mit sich und der Natur, waltete freilich die Gottheit über ihm, sie sprach ihn an auf verschiedene Art, aber er verstand sie nicht, denn er ant-

14 und] und | und 3 5 - 1 3 Vgl. Gen 2f

14 87] 8

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wortete ihr nicht; sein Paradies war schön, und von einem schönen H i m m e l glänzten ihm die Gestirne herab, aber der Sinn für die Welt ging ihm nicht auf; auch aus dem Innern seiner Seele entwikelte er sich nicht; aber von der Sehnsucht nach einer Welt wurde sein Gemiith bewegt, und so trieb er vor sich zusammen die thierische Schöpfung o b etwa sich eine daraus bilden möchte. D a erkannte die Gottheit, daß ihre Welt nichts sei so lange der Mensch allein wäre, sie schuf ihm die Gehülfin, und nun erst regten sich in ihm lebende und geistvolle T ö n e , nun erst ging seinen Augen die Welt auf. In dem Fleische von seinem Fleische und Bein von seinem Beine endekte er die Menschheit, und in der Menschheit die Welt; von diesem Augenblik an wurde er fähig die Stimme der Gott-|heit zu hören und ihr zu antworten, und die frevelhafteste Übertretung ihrer Geseze Schloß ihn von nun an nicht mehr aus von dem Umgange mit dem ewigen Wesen. Unser aller G e schichte ist erzählt in dieser heiligen Sage. U m s o n s t ist alles für denjenigen da, der sich selbst allein stellt; denn um die Welt anzuschauen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe. Darum sind beide so innig und unzertrennlich verknüpft; Sehnsucht nach Religion ist es was ihm zum G e nuß der Religion hilft. D e n umfängt jeder am heißesten, in dem die Welt sich am klarsten und reinsten abspiegelt; den liebt jeder am zärtlichsten, in dem er alles zusammengedrängt zu finden glaubt, was ihm selbst fehlt um die Menschheit auszumachen. Zur Menschheit also laßt uns hintreten, da finden wir Stoff für die Religion. Hier seid auch Ihr in Eurer eigentlichsten und liebsten H e i m a t , Euer innerstes Leben geht E u c h auf, Ihr seht das Ziel alles Eures Strebens und Thuns vor E u c h , und fühlet zugleich das innere Treiben Eurer Kräfte, welches Euch immerfort nach diesem Ziel hinführt. D i e Menschheit selbst ist Euch eigentlich das Universum, und Ihr rechnet alles andere nur in so I fern zu diesem als es mit jener in Beziehung k o m m t oder sie umgiebt. U b e r diesen Gesichtspunkt will auch ich E u c h nicht hinausführen; aber es hat mich oft innig geschmerzt, daß Ihr bei aller Liebe zur Menschheit und allem Eifer für sie doch immer mit ihr verwikelt und uneins seid. Ihr quält Euch an ihr zu beßern und zu bilden, jeder nach seiner Weise, und am E n d e laßt Ihr unmuthsvoll liegen was zu keinem Ziel k o m men will. Ich darf sagen, auch das k o m m t von Eurem Mangel an Religion. Auf die Menschheit wollt Ihr wirken, und die Menschen die Einzelnen schaut Ihr an. Diese misfallen Euch höchlich; und unter den tausend U r sachen die das haben kann, ist unstreitig die die schönste und welche den Beßeren angehört, daß Ihr gar zu moralisch seid nach Eurer Art. Ihr nehmt die Menschen einzeln, und so habt Ihr auch ein Ideal von einem Einzelnen, dem sie aber nicht entsprechen. Dies alles zusammen ist ein verkehrtes B e ginnen, und mit der Religion werdet Ihr Euch weit beßer befinden. M ö c h tet Ihr nur versuchen die Gegenstände Eures Wirkens und Eurer Anschau-

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ung zu verwechseln! Wirkt auf die Einzelnen, aber mit Eurer Betrachtung hebt Euch auf den Flügeln der Religion höher zu der unendlichen unge-| theilten Menschheit; sie suchet in jedem Einzelnen, seht das Dasein eines Jeden an als eine Offenbarung von ihr an Euch, und es kann von allem was Euch jezt driikt keine Spur zurükbleiben. Ich wenigstens rühme mich auch einer moralischen Gesinnung, auch ich verstehe menschliche Vortreflichkeit zu schäzen, und es kann das Gemeine für sich betrachtet mich mit dem unangenehmen Gefühl der Geringschäzung beinahe überfüllen; aber mir giebt die Religion von dem allen eine gar große und herrliche Ansicht. Denkt Euch den Genius der Menschheit als den vollendetsten und universellesten Künstler. Er kann nichts machen was nicht ein eigenthümliches Dasein hätte. Auch wo er nur die Farben zu versuchen und den Pinsel zu schärfen scheint, entstehen lebende und bedeutende Züge. Unzählige Gestalten denkt er sich so und bildet sie. Millionen tragen das Costum der Zeit, und sind treue Bilder ihrer Bedürfniße und ihres Geschmaks; in andern zeigen sich Erinnerungen der Vorwelt oder Ahndungen einer fernen Zukunft; einige sind der erhabenste und treffendste Abdruk des Schönsten und Göttlichsten. Andre sind groteske Erzeugniße der originellesten und flüchtigsten Laune eines Virtuosen. Das ist eine irreligiöse Ansicht, daß er Gefäße der | Ehre verfertige und Gefäße der Unehre; einzeln müßt Ihr nichts betrachten, aber erfreut Euch eines jeden an der Stelle wo es steht. Alles was zugleich wahrgenommen werden kann und gleichsam auf einem Blatte steht, gehört zu einem großen historischen Bilde welches einen Moment des Universums darstellt. Wollt Ihr dasjenige verachten was die Hauptgruppen hebt, und dem Ganzen Leben und Fülle giebt? Sollen die einzelnen himmlischen Gestalten nicht dadurch verherrlicht werden, daß tausend andere sich vor ihnen beugen, und daß man sieht wie alles auf sie hinblikt und sich auf sie bezieht? Es ist in der That etwas mehr in dieser Vorstellung als ein schales Gleichniß. Die ewige Menschheit ist unermüdet geschäftig sich selbst zu erschaffen, und sich in der vorübergehenden Erscheinung des endlichen Lebens aufs mannichfaltigste darzustellen. Was wäre wohl die einförmige Wiederholung eines höchsten Ideals, wobei die Menschen doch, Zeit und Umstände abgerechnet, eigentlich einerlei sind, dieselbe Formel, nur mit andern Coefficienten verbunden, was wäre sie gegen diese unendliche Verschiedenheit menschlicher Erscheinungen? Nehmt welches Element der Menschheit Ihr wollt, Ihr findet jedes in jedem möglichen Zustande fast von | seiner Reinheit an — denn ganz soll diese nirgends zu finden sein — in jeder Mischung mit jedem andern, bis fast zur 1 Einzelnen, aber mit Eurer Betrachtung] Einzelnen aber mit Eurer Betrachtung, Vorstellung] so DV; OD: Verhüllung 19 f Vgl. Rom

9,21

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innigsten Sättigung mit allen übrigen - denn auch diese ist ein unerreichbares Extrem — und die Mischung auf jedem möglichen Wege bereitet, jede Spielart und jede seltene Combination. U n d wenn Ihr Euch noch Verbindungen denken k ö n n t , die Ihr nicht sehet, so ist auch diese Lüke eine negative Offenbarung des Universums, eine Andeutung, daß in dem geforderten Grade in der gegenwärtigen Temperatur der Welt diese Mischung nicht möglich ist, und Eure Fantasie darüber ist eine Aussicht über die gegenwärtigen Grenzen der Menschheit hinaus, eine wahre göttliche Eingebung, eine unwillkürliche und unbewußte Weißagung über das was künftig sein wird. A b e r so wie dies, was der geforderten unendlichen Mannichfaltigkeit abzugehen scheint, nicht wirklich ein zu wenig ist, so ist auch das nicht zu viel, was Euch auf Eurem Standpunkt so erscheint. Jenen so oft beklagten O b e r fluß an den gemeinsten F o r m e n der Menschheit, die in tausend Abdrüken immer unverändert wiederkehren, erklärt die Religion für einen leeren Schein. D e r ewige Verstand befiehlt es, und auch der endliche kann es einsehen, daß diejenigen Gestal-|ten, an denen das Einzelne am schwersten zu unterscheiden ist, am dichtesten aneinander gedrängt stehen m ü ß e n ; aber jede hat etwas Eigenthümliches: keiner ist dem andern gleich, und in dem Leben eines jeden giebt es irgend einen M o m e n t , wie der Silberblik unedlerer Metalle, w o er, sei es durch die innige Annäherung eines höhern Wesens oder durch irgend einen elektrischen Schlag, gleichsam aus sich heraus gehoben und auf den höchsten Gipfel desjenigen gestellt wird, was er sein kann. F ü r diesen Augenblik war er geschaffen, in diesem erreichte er seine Bestimmung, und nach ihm sinkt die erschöpfte Lebenskraft wieder zurük. Es ist ein eigner G e n u ß , kleinen Seelen zu diesem M o m e n t zu verhelfen, oder sie darin zu betrachten; aber wem dieses nie geworden ist, dem muß freilich ihr ganzes Dasein überflüßig und verächtlich scheinen. So hat die Existenz eines jeden einen doppelten Sinn in Beziehung auf das G a n z e . H e m m e ich in Gedanken den Lauf jenes rastlosen Getriebes, wodurch alles Menschliche in einander verschlungen und von einander abhängig gemacht wird, so ist jedes Individuum seinem innern Wesen nach ein nothwendiges Ergänzungsstük zur vollkommnen Anschauung der Menschheit. D e r eine zeigt mir, wie jedes abgerißene | Theilchen derselben, wenn nur der innere Bildungstrieb, der das Ganze beseelt, ruhig darin fortwirken kann, sich gestaltet in zarte und regelmäßige F o r m e n ; der andere, wie aus Mangel an belebender und vereinigender Wärme die Härte des irdischen Stoffs nicht bezwungen werden kann, oder wie in einer zu heftig bewegten Atmosphäre der innerste Geist in seinem Handeln gestört und alles unscheinbar und unkenntlich wird; der eine erscheint als der rohe und thierische Theil der Menschheit nur eben von den ersten unbeholfenen Regungen der H u m a n i -

26 zu] zn

36 irdischen Stoffs] so DV; OD: Menschenstoffs

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tat bewegt, der andre als der reinste dephlegmirte Geist, der von allem Niedrigen und Unwürdigen getrennt nur mit leisem Fuß über der Erde schwebt, und Alle sind da, um durch ihr Dasein zu zeigen, wie diese verschiedenen Theile der menschlichen Natur abgesondert und im Kleinen wirken. Ist es nicht genug, wenn es unter dieser unzähligen Menge doch immer Einige giebt, die als ausgezeichnete und höhere Repräsentanten der Menschheit der eine den, der andre jenen von den melodischen Accorden anschlagen, die keiner fremden Begleitung und keiner spätem Auflösung bedürfen, sondern durch ihre innere Harmonie die ganze Seele in einem Ton entzüken und zufriedenstellen? Beobachte ich wiederum die | ewigen Räder der Menschheit in ihrem Gange, so muß dieses unübersehliche Ineinandergreifen, wo nichts Bewegliches ganz durch sich selbst bewegt wird, und nichts Bewegendes nur sich allein bewegt, mich mächtig beruhigen über Eure Klage, daß Vernunft und Seele, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Verstand und blinde Kraft in so getrennten Maßen erscheinen. Warum seht Ihr Alles einzeln, was doch nicht einzeln und für sich wirkt? Die Vernunft der Einen und die Seele der Andern afficiren einander doch so innig, als es nur in einem Subject geschehen könnte. Die Sittlichkeit, welche zu jener Sinnlichkeit gehört, ist außer derselben gesezt; ist ihre Herrschaft deswegen mehr beschränkt, und glaubt Ihr, diese würde beßer regiert werden, wenn jene jedem Individuo in kleinen kaum merkbaren Portionen zugetheilt wären? Die blinde Kraft, welche dem großen Haufen zugetheilt ist, ist doch in ihren Wirkungen aufs Ganze nicht sich selbst und einem rohen Ohngefähr überlaßen, sondern oft ohne es zu wißen leitet sie doch jener Verstand, den Ihr an andern Punkten in so großer Maße aufgehäuft findet, und sie folgt ihm eben so unwißend in unsichtbaren Banden. So verschwinden mir auf meinem Standpunkt die Euch so bestimmt erscheinenden Umriße der Per-| sönlichkeit; der magische Kreis herrschender Meinungen und epidemischer Gefühle umgiebt und umspielt alles, wie eine mit auflösenden und magnetischen Kräften angefüllte Atmosphäre, sie verschmilzt und vereinigt alles, und sezt durch die lebendigste Verbreitung auch das Entfernteste in eine thätige Berührung, und die Ausflüße derer, in denen Licht und Wahrheit selbstständig wohnen, trägt sie geschäftig umher, daß sie einige durchdringen und andern die Oberfläche glänzend und täuschend erleuchten. Das ist die Harmonie des Universums, das ist die wunderbare und große Einheit in seinem ewigen Kunstwerk; Ihr aber lästert diese Herrlichkeit mit Euren Forderungen einer jämmerlichen Vereinzelung, weil Ihr im ersten Vorhofe der Moral, und auch bei ihr noch mit den Elementen beschäftigt, die hohe Religion verschmähet. Euer Bedürfniß ist deutlich genug angezeigt, möchtet Ihr es nur erkennen und befriedigen! Sucht unter allen den Begebenheiten, in denen sich diese himmlische Ordnung abbildet, ob Euch nicht eine aufgehen wird als ein göttliches Zeichen. Laßt Euch einen alten verworfenen Begriff gefallen, und sucht unter allen den heiligen Männern, in denen

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die Menschheit sich unmittelbarer offenbart, einen auf, der der Mittler | sein könne zwischen Eurer eingeschränkten Denkungsart und den ewigen Grenzen der W e l t ; und wenn Ihr ihn gefunden habt, dann durchlauft die ganze Menschheit und laßt alles was Euch bisher anders schien, von dem Widerschein dieses neuen Lichts erhellt werden. — V o n diesen Wanderungen durch das ganze Gebiet der Menschheit kehrt dann die Religion mit geschärfterem Sinn und gebildeterem Urtheil in das eigne Ich zurük, und sie findet zulezt alles, was sonst aus den entlegensten Gegenden zusammengesucht wurde, bei sich selbst. In Euch selbst findet Ihr, wenn Ihr dahin gekommen seid, nicht nur die Grundzüge zu dem Schönsten und Niedrigsten, zu dem Edelsten und Verächtlichsten, was Ihr als einzelne Seiten der Menschheit an andern wahr genommen habt. In E u c h entdekt Ihr nicht nur zu verschiedenen Zeiten alle die mannichfaltigen Grade menschlicher Kräfte, sondern alle die unzähligen Mischungen verschiedener Anlagen, die Ihr in den Charakteren anderer angeschaut habt, erscheinen Euch nur als festgehaltene M o m e n t e Eures eigenen Lebens. Es gab Augenblike w o Ihr so dachtet, so fühltet, so handeltet, w o Ihr wirklich dieser und jener Mensch wäret, troz aller Unterschiede des Geschlechts, der Cultur und der äu-|ßeren Umgebungen. Ihr seid alle diese verschiedenen Gestalten in Eurer eignen Ordnung wirklich hindurchgegangen; Ihr selbst seid ein Compendium der Menschheit, Eure Persönlichkeit umfaßt in einem gewißen Sinn die ganze menschliche Natur und diese ist in allen ihren Darstellungen nichts als Euer eigenes vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes, und in allen seinen Veränderungen verewigtes Ich. Bei wem sich die Religion so wiederum nach Innen zurükgearbeitet und auch dort das Unendliche gefunden hat, in dem ist sie von dieser Seite vollendet, er bedarf keines Mittlers mehr für irgend eine Anschauung der Menschheit und er kann es selbst sein für viele. Aber nicht nur in ihrem Sein müßt Ihr die Menschheit anschauen, sondern auch in ihrem Werden; auch sie hat eine größere Bahn, welche sie nicht wiederkehrend sondern fortschreitend durchläuft, auch sie wird durch ihre innere Veränderungen zum Höheren und Vollkommenen fortgebildet. Diese Fortschritte will die Religion nicht etwa beschleunigen oder regieren, sie bescheidet sich, daß das Endliche nur auf das Endliche wirken kann, sondern nur beobachten, und als eine von den größten Handlungen des Universums wahrnehmen. Die verschiedenen Mo-|mente der Menschheit aneinander zu knüpfen, und aus ihrer Folge den Geist in dem das Ganze geleitet wird errathen, das ist ihr höchstes Geschäft. Geschichte im

26 er] so DV; OD: es 3 8 - 6 Vgl. Gedanken /, Nr. 85

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eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr — denn Weißagung ist in ihren Augen auch Geschichte und beides gar nicht von einander zu unterscheiden - und alle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zwek gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen. In ihrem Gebiet liegen dann auch die höchsten und erhabensten Anschauungen der Religion. - Hier seht Ihr die Wanderung der Geister und der Seelen, die sonst nur eine zarte Dichtung scheint, in mehr als einem Sinn als eine wundervolle Veranstaltung des Universums, um die verschiedenen Perioden der Menschheit nach einem sichern Maasstabe zu vergleichen. Bald kehrt nach einem langen Zwischenraum, in welchem die Natur nichts ähnliches hervorbringen konnte, irgend ein ausgezeichnetes Individuum völlig daßelbe wieder zurük; aber nur die Seher erkennen es und nur sie sollen aus den Wirkungen die es nun hervorbringt, die Zeichen verschiedener Zeiten beurtheilen. Bald k o m m t ein einzelner M o m e n t der Menschheit ganz so wieder, wie Euch eine | ferne Vorzeit sein Bild zurükgelaßen hat, und Ihr sollt aus den verschiedenen Ursachen durch die er jezt erzeugt worden ist, den Gang des Universums und die Formel seines Gesezes erkennen. Bald erwacht der Genius irgend einer besondern menschlichen Anlage, der hie und da steigend und fallend schon seinen Lauf vollendet hatte, aus seinem Schlummer, und erscheint an einem andern O r t und unter andern Umständen in einem neuen Leben, und sein schnelleres Gedeihen, sein tieferes Wirken, seine schönere kräftigere G e stalt soll andeuten, um wie vieles das Clima der Menschheit verbeßert und der Boden zum Nähren edler Gewächse geschikter geworden sei. — Hier erscheinen Euch Völker und Generationen der Sterblichen eben so wie auf unserer vorigen Ansicht die einzelnen Menschen. Ehrwürdig und geistvoll einige und kräftig wirkend ins Unendliche fort ohne Ansehen des Raums und der Zeit. Gemein und unbedeutend andere, nur bestimmt eine einzelne F o r m des Lebens oder der Vereinigung eigenthümlich zu nüanciren, nur in einem M o m e n t wirklich lebend und merkwürdig, nur um einen Gedanken darzustellen, einen Begriff zu erzeugen, und dann der Zerstörung entgegen eilend, damit dies Resultat ihrer schönsten Blüthe einem an-|dern könne eingeimpft werden. Wie die vegetabilische Natur durch den Untergang ganzer Gattungen und aus den Trümmern ganzer Pflanzengenerationen neue hervorbringt und ernährt, so seht Ihr hier auch die geistige Natur aus den Ruinen einer herrlichen und schönen Menschenwelt eine neue erzeugen, die aus den zersezten und wunderbar umgestalteten Elementen von jener ihre erste Lebenskraft saugt. — Wenn hier in dem Anschauen eines 35 neue] so DV;

OD:

2 4 - 2 6 Vgl. Gedanken

eine

/, Nr. 140

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Über die

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allgemeinen Zusammenhanges Euer Blik so oft unmittelbar vom kleinsten zum größten und von diesem wiederum zu jenem herumgeführt wird, und sich in lebendigen Schwingungen zwischen beiden bewegt, bis er schwindelnd weder großes noch kleines, weder Ursach noch Wirkung, weder Erhaltung noch Zerstörung weiter unterscheiden kann, dann erscheint Euch die Gestalt eines ewigen Schiksals, deßen Züge ganz das Gepräge dieses Zustandes tragen, ein wunderbares Gemisch von starrem Eigensinn und tiefer Weisheit, von roher herzloser Gewalt und inniger Liebe wovon Euch bald das Eine bald das Andre wechselnd ergreift, und jezt zu ohnmächtigem Troz, jezt zu kindlicher Hingebung einladet. Vergleicht Ihr dann das abgesonderte Streben des Einzelnen, aus diesen entgegengesezten Ansichten entsprungen, mit dem | ruhigen und gleichförmigen Gang des Ganzen, so seht Ihr wie der hohe Weltgeist über alles lächelnd hinwegschreitet, was sich ihm lärmend wiedersezt; Ihr seht wie die hehre Nemesis seinen Schritten folgend unermüdet die Erde durchzieht, wie sie Züchtigung und Strafen den Ubermüthigen austheilt, welche den Göttern entgegenstreben und wie sie mit eiserner Hand auch den wakersten und treflichsten abmäht, der sich, vielleicht mit löblicher und bewunderungswerther Standhaftigkeit, dem sanften Hauch des großen Geistes nicht beugen wollte. Wollt Ihr endlich den eigentlichen Charakter aller Veränderungen und aller Fortschritte der Menschheit ergreifen, so zeigt Euch die Religion wie die lebendigen Götter nichts haßen als den Tod, wie nichts verfolgt und gestürzt werden soll als er, der erste und lezte Feind der Menschheit. Das Rohe, das Barbarische, das Unförmliche soll verschlungen und in organische Bildung umgestaltet werden. Nichts soll todte Maße sein, die nur durch den todten Stoß bewegt wird, und nur durch bewußtlose Friktion widersteht: alles soll eigenes zusammengeseztes, vielfach verschlungenes und erhöhtes Leben sein. Blinder Instinkt, gedankenlose Gewöhnung, todter Gehorsam, alles Träge und Paßive, alle diese trau-1 rigen Symptome der Asphyxie der Freiheit und Menschheit sollen vernichtet werden. Dahin deutet das Geschäft des Augenbliks und der Jahrhunderte, das ist das große, immer fortgehende Erlösungswerk der ewigen Liebe. Nur mit leichten Umrißen habe ich einige der hervorstechenden Anschauungen der Religion auf dem Gebiet der Natur und der Menschheit entworfen; aber hier habe ich Euch doch bis an die lezte Grenze Eueres Gesichtskreises geführt. Hier ist das Ende der Religion für diejenigen, denen Menschheit und Universum gleichviel gilt; von hier könnte ich Euch nur wieder zurükführen ins Einzelne und Kleinere. Nur glaubt nicht daß dies zugleich die Grenze der Religion sei. Vielmehr kann sie eigentlich hier nicht stehen bleiben, und sieht erst auf der andern Seite dieses Punktes recht hinaus ins Unendliche. Wenn die Menschheit selbst etwas bewegliches und bildsames ist, wenn sie sich nicht nur im Einzelnen anders darstellt, sondern auch hie und da anders w i r d , fühlt Ihr nicht däß sie dann unmöglich

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selbst das Universum sein kann? Vielmehr verhält sie sich zu ihm, wie die einzelnen Menschen sich zu ihr verhalten; sie ist nur eine einzelne F o r m deßelben, Darstellung einer einzigen Modification seiner Elemente, es muß andre solche | F o r m e n geben, durch welche sie umgrenzt, und denen sie also entgegengesezt wird. Sie ist nur ein Mittelglied zwischen dem Einzelnen und dem Einen, ein Ruheplaz auf dem Wege zum Unendlichen, und es müßte noch ein höherer Charakter gefunden werden im Menschen als seine Menschheit um ihn und seine Erscheinung unmittelbar aufs Universum zu beziehen. N a c h einer solchen Ahndung von etwas außer und über der Menschheit strebt alle Religion um von dem gemeinschaftlichen und höheren in beiden ergriffen zu werden; aber dies ist auch der Punkt w o ihre U m riße sich dem gemeinen Auge verlieren, w o sie selbst sich immer weiter von den einzelnen Gegenständen entfernt an denen sie ihren Weg festhalten konnte, und wo das Streben nach dem Höchsten in ihr am meisten für T h o r h e i t gehalten wird. Auch sei es genug an dieser Andeutung auf dasjenige was Euch so unendlich fern liegt, jedes weitere W o r t darüber wäre eine unverständliche Rede, von der Ihr nicht wißen würdet woher sie käme noch wohin sie ginge. Hättet Ihr nur erst die Religion, die Ihr haben könnt, und wäret Ihr Euch nur erst derjenigen bewußt, die Ihr wirklich schon habt! denn in der T h a t , wenn Ihr auch nur die wenigen religiösen A n schauungen I betrachtet, die ich mit geringen Zügen jezt entworfen habe, so werdet Ihr finden, daß sie Euch bei weitem nicht alle fremd sind. Es ist wohl eher etwas dergleichen in Euer Gemüth gekommen, aber ich weiß nicht welches das größere Unglük ist, ihrer ganz zu entbehren oder sie nicht zu verstehen; denn auch so verfehlen sie ganz ihre Wirkung im G e müthe und hintergangen seid Ihr dabei auch von Euch selbst. D i e Vergeltung welche alles trift was dem Geist des Ganzen widerstreben will, der überall thätige H a ß gegen alles Ubermüthige und Freche, das beständige Fortschreiten aller menschlichen Dinge zu einem Ziel, ein Fortschreiten welches so sicher ist, daß wir sogar jeden einzelnen Gedanken und E n t wurf, der das G a n z e diesem Ziele näher bringt, nach vielen gescheiterten Versuchen dennoch endlich einmal gelingen sehen, dies sind Anschauungen, die so in die Augen springen, daß sie mehr für eine Veranlaßung als für ein Resultat der Weltbeobachtung gelten können. Viele unter Euch sind sich ihrer auch bewußt, einige nennen sie auch Religion, aber sie wollen, dies soll ausschließend Religion sein; und dadurch wollen sie alles andre verdrängen, was doch aus derselben Handlungsweise des | Gemüths und völlig auf dieselbe Art entspringt. W i e sind sie denn zu diesen abgerißenen Bruchstüken gekommen? Ich will es Euch sagen: sie halten dies gar nicht für Religion, welche sie ebenfalls verachten, sondern für Moral und wollen

16 darüber] darüber,

104

[236]

Über die Religion

nur den Namen unterschieben, um der Religion selbst — dem nemlich was sie dafür halten — den lezten Stoß zu geben. Wenn sie das nicht zugeben wollen, so fraget sie doch warum sie mit der wunderbarsten Einseitigkeit dies alles nur auf dem Gebiete der Sittlichkeit finden? Die Religion weiß nichts von einer solchen partheiischen Vorliebe; die moralische Welt ist ihr auch nicht das Universum, und was nur für diese gälte, wäre ihr keine Anschauung des Universums. In allem was zum menschlichen Thun gehört, im Spiel wie im Ernst, im kleinsten wie im größten weiß sie die Handlungen des Weltgeistes zu entdeken und zu verfolgen; was sie wahrnehmen soll muß sie überall wahrnehmen können, denn nur dadurch wird es das ihrige, und so findet sie auch eben darin eine göttliche Nemesis, daß eben die, welche, weil in ihnen selbst nur das sittliche oder rechtliche dominirt, auch aus der Religion nur einen unbedeutenden Anhang der Moral machen, und nur das aus ihr nehmen wollen was sich dazu ge-|stalten läßt, sich eben damit ihre Moral, so viel auch schon an ihr gereinigt sein mag, unwiderbringlich verderben und den Keim neuer Irrthümer hineinstreuen. Es klingt sehr schön ; wenn man beim moralischen Handeln untergehe, sei es der Wille des ewigen Wesens, und was nicht durch uns geschehe, werde ein andermal zu Stande kommen; aber auch dieser erhabene Trost gehört nicht für die Sittlichkeit; kein Tropfen Religion kann unter diese gemischt werden, ohne sie gleichsam zu phlogistisiren und ihrer Reinigkeit zu berauben. Am deutlichsten offenbart sich dieses gänzliche Nichtwißen um die Religion bei ihren Gefühlen, die noch am weitesten unter Euch verbreitet sind. Wie innig sie auch mit jenen Anschauungen verbunden sind, wie nothwendig sie auch aus ihnen herfließen, und nur aus ihnen erklärt werden können, sie werden dennoch durchaus mißverstanden. — Wenn der Weltgeist sich uns majestätisch offenbart hat, wenn wir sein Handeln nach so groß gedachten und herrlichen Gesezen belauscht haben, was ist natürlicher als von inniger Ehrfurcht vor dem ewigen und unsichtbaren durchdrungen zu werden? Und wenn wir das Universum angeschaut haben, und von dannen zurüksehen auf unser Ich, wie es in | Vergleichung mit ihm ins unendlich kleine verschwindet, was kann dem Sterblichen dann näher liegen als wahre ungekünstelte Demuth? Wenn wir in der Anschauung der Welt auch unsre Brüder wahrnehmen, und es uns klar ist, wie jeder von ihnen ohne Unterschied in diesem Sinne gerade daßelbe ist was wir sind, eine eigne Darstellung der Menschheit, und wie wir ohne das Dasein eines Jeden es entbehren müßten diese anzuschauen, was ist natürlicher als sie Alle ohne Unterschied selbst der Gesinnung und der Geisteskraft mit inniger Liebe und Zuneigung zu umfaßen? Und wenn wir von ihrer Verbindung mit dem Ganzen zurüksehen auf ihren Einfluß in unsere Ereigniße,

23 verbreitet] so DV; OD: vorbereitet

[237]

Zweite Rede

105

und sich uns dann diejenigen darstellen, die von ihrem eigenen vergänglichen Sein und dem Streben es zu erweitern und zu isoliren nachgelaßen haben, um das unsrige zu erhalten, wie können wir uns da erwehren jenes Gefühls einer besondern Verwandtschaft mit denen, deren Handlungen einmal unsre Existenz verfochten und durch ihre Gefahren glüklich hindurch geführt haben? jenes Gefühls der Dankbarkeit, welches uns antreibt sie zu ehren als solche, die sich mit dem Ganzen schon geeinigt haben, und sich ihres Lebens in demselben bewußt sind? — Wenn wir im Ge-|gentheil das gewöhnliche Treiben der Menschen betrachten die von dieser Abhängigkeit nichts wißen, wie sie dies und das ergreifen und festhalten, um ihr Ich zu verschanzen und mit mancherlei Außenwerken zu umgeben, damit sie ihr abgesondertes Dasein nach eigner Wilkür leiten mögen, und der ewige Strom der Welt ihnen nichts daran zerrütte, und wie dann nothwendiger Weise das Schiksal dies alles verschwemmt, und sie selbst auf tausend Arten verwundet und quält; was ist dann natürlicher als das herzlichste Mitleid mit allem Schmerz und Leiden, welches aus diesem ungleichen Streit entsteht, und mit allen Streichen, welche die furchtbare Nemesis auf allen Seiten austheilt? — und wenn wir erkundet haben was denn dasjenige ist, was im Gange der Menschheit überall aufrecht erhalten und gefördert wird, und das was unvermeidlich früher oder später besiegt und zerstört werden muß, wenn es sich nicht umgestalten und verwandeln läßt, und wir dann von diesem Gesez auf unser eignes Handeln in der Welt hinsehen, was ist natürlicher als zerknirschende Reue über alles dasjenige in uns, was dem Genius der Menschheit feind ist, als der demühtige Wunsch die Gottheit zu versöhnen, als das sehnlichste Verlangen umzukehren | und uns mit allem was uns angehört in jenes heilige Gebiet zu retten, wo allein Sicherheit ist gegen Tod und Zerstörung. Alle diese Gefühle sind Religion, und eben so alle andere, bei denen das Universum der eine, und auf irgend eine Art Euer eignes Ich der andre von den Punkten ist zwischen denen das Gemüth schwebt. Die Alten wußten das wohl: Frömmigkeit nannten sie alle diese Gefühle, und bezogen sie unmittelbar auf die Religion, deren edelster Theil sie ihnen waren. Auch Ihr kennt sie, aber wenn Euch so etwas begegnet, so wollt Ihr Euch überreden es sei etwas sittliches, und in der Moral wollt Ihr diesen Empfindungen ihren Plaz anweisen; sie begehrt sie aber nicht und leidet sie nicht. Sie mag keine Liebe und Zuneigung sondern Thätigkeit, die ganz von innen herauskommt, und nicht durch Betrachtung ihres äußern Gegenstandes erzeugt ist, sie kennt keine Ehrfurcht als die vor ihrem G e sez, sie verdammt als unrein und selbstsüchtig, was aus Mitleid und Dankbarkeit geschehen kann, sie demüthigt, ja verachtet die Demuth, und wenn Ihr von Reue sprecht, so redet sie von verlorner Zeit die Ihr unnüz ver-

10 ihr] Ihr

16 diesem] diesen

29 Ich] Ich,

33 Ihr] ihr

106

[238]

Über die

Religion

mehrt. Auch muß Euer innerstes Gefühl ihr darin beipflichten, daß es mit allen diesen Empfindungen nicht auf | Handeln abgesehen ist, sie kommen für sich selbst und endigen in sich selbst als Funktionen Eures innersten und höchsten Lebens. Was windet Ihr Euch also und bittet um Gnade für sie da, wo sie nicht hingehören? Laßet es Euch doch gefallen einzusehen, daß sie Religion sind, so braucht Ihr nichts für sie zu fordern als ihr eignes strenges Recht, und werdet Euch selbst nicht betrügen mit ungegründeten Ansprüchen, die Ihr in ihrem Namen zu machen geneigt seid. Es sei nun bei der Moral oder irgend sonst, wo Ihr ähnliche Gefühle findet, sie sind nur usurpirt; bringt sie der Religion zurük, ihr allein gehört dieser Schaz, und als Besizerin deßelben ist sie der Sittlichkeit und allem andern was ein Gegenstand des menschlichen Thuns ist, nicht Dienerin, aber unentbehrliche Freundin und ihre vollgültige Fürsprecherin und Vermitlerin bei der Menschheit. Das ist die Stufe auf welcher die Religion steht und besonders das Selbstthätige in ihr, ihre Gefühle. Daß sie allein dem Menschen Universalität giebt, habe ich schon einmal angedeutet; jezt kann ich es näher erklären. In allem Handeln und Wirken, es sei sittlich oder philosophisch oder künstlerisch, soll der Mensch nach Virtuosität streben, und alle Virtuosität beschränkt und macht kalt, einseitig | und hart. Auf einen Punkt richtet sie zunächst das Gemüth des Menschen und dieser eine Punkt ist immer etwas endliches. Kann der Mensch so von einem beschränkten Werk fortschreitend zum andern seine ganze unendliche Kraft wirklich verbrauchen? und wird nicht vielmehr der größere Theil derselben unbenuzt liegen, und sich deshalb gegen ihn selbst wenden und ihn verzehren? Wie viele von Euch gehen nur deshalb zu Grunde weil sie sich selbst zu groß sind; ein Überflus an Kraft und Trieb der sie nicht einmal zu einem Werk kommen läßt, weil doch keines ihm angemeßen wäre, treibt sie unstät umher und ist ihr Verderben. Wollt Ihr etwa auch diesem Uebel wieder so steuren, daß der, welchem einer zu groß ist, alle jene drei Gegenstände des menschlichen Strebens, oder wenn Ihr deren noch mehr wißt, auch diese vereinigen soll? Das wäre freilich Euer altes Begehren, die Menschheit überall aus einem Stük zu haben, welches immer wiederkehrt - aber wenn es nur möglich wäre! wenn nur nicht jene Gegenstände, sobald sie einzeln ins Auge gefaßt werden, so sehr auf gleiche Weise das Gemüth anregten und zu beherrschen strebten! Jeder von ihnen will Werke ausführen, jeder hat ein Ideal dem er entgegenstrebt und ] eine Totalität, welche er erreichen will, und diese Rivalität kann nicht anders endigen als daß einer den andern verdrängt. Wozu also soll der Mensch die Kraft verwenden, die ihm jede geregelte und kunst5 einzusehen] so DV; OD: anzusehen 16 5. o.

217,35-39

6 Ihr] ihr

15 Daß] Das

28 Uebel] Üebel

Zweite Rede

[239]

107

mäßige Anwendung seines Bildungstriebes übrig läßt? N i c h t so daß er wieder etwas anderes bilden wolle, und auf etwas anderes Endliches thätig arbeite, sondern dazu, daß er sich ohne bestimmte Thätigkeit vom Unendlichen afficiren laße und durch jede Gattung religiöser Gefühle seine Gegenwirkung gegen diese Einwirkung offenbare. Welchen jener Gegenstände Eures freien und kunstmäßigen Handelns Ihr auch gewählt habt, es gehört nur wenig Sinn dazu, um von jedem aus das Universum zu finden, und in diesem entdekt Ihr denn auch die übrigen als G e b o t oder als Eingebung oder als Offenbarung desselben; so im Ganzen sie beschauen und betrachten nicht als etwas abgesondertes und in sich bestimmtes, das ist die einzige Art wie Ihr Euch bei einer schon gewählten Richtung des Gemüths auch das, was außer derselben liegt, aneignen könnt, nicht wiederum aus Wilkühr als Kunst, sondern aus Instinkt fürs Universum als Religion, und weil sie auch in der religiösen F o r m wieder rivalisiren, so er-|scheint auch die Religion öfter vereinzelt als Naturpoesie, Naturphilosophie oder Naturmoral, als in ihrer ganzen Gestalt vollendet und alles vereinigend. So sezt der Mensch dem Endlichen, wozu seine Willkühr ihn hintreibt ein U n e n d liches, dem zusammenziehenden Streben nach etwas Bestimmtem und Vollendetem das erweiternde Schweben im Unbestimmten und Unerschöpflichen an die Seite; so schaft er seiner überflüßigen Kraft einen unendlichen Ausweg, und stellt das Gleichgewicht und die Harmonie seines W e sens wieder her, welche unwiderbringlich verloren geht, wenn er sich, ohne zugleich Religion zu haben, einer einzelnen Direktion überläßt. D i e Virtuosität eines Menschen ist nur gleichsam die Melodie seines Lebens, und es bleibt bei einzelnen T ö n e n , wenn er ihr nicht die Religion beifügt. Diese begleitet jene in unendlich reicher Abwechselung mit allen T ö n e n die ihr nur nicht ganz widerstreben, und verwandelt so den einfachen Gesang des Lebens in eine vollstimmige und prächtige Harmonie. Wenn dies was ich, hoffentlich für Euch Alle verständlich genug, angedeutet habe, eigentlich das Wesen der Religion ausmacht, so ist die Frage, wohin denn jene D o g m e n | und Lehrsäze eigentlich gehören, die gemeiniglich für den Inhalt der Religion ausgegeben werden, nicht schwer zu beantworten. Einige sind nur abstrakte Ausdrüke religiöser Anschauungen, andre sind freie Reflexion über die ursprüngliche Verrichtungen des religiösen Sinnes, Resultate einer Vergleichung der religiösen Ansicht mit der gemeinen. D e n Inhalt einer Reflexion für das Wesen der Handlung zu nehmen, über welche reflektirt wird, das ist ein so gewöhnlicher Fehler, daß es Euch wohl nicht Wunder nehmen darf ihn auch hier anzutreffen. Wunder, 6 Handelns] Handels

30—36 Vgl. Gedanken

7 Sinn dazu,] Sinn, dazu

I, Nr.

86

8 Ihr] ihr

108

[240]

Uber die

Religion

Eingebungen, Offenbarungen, übernatürliche Empfindungen — man kann viel Religion haben, ohne auf irgend einen dieser Begriffe gestoßen zu sein; aber wer über seine Religion vergleichend reflektirt, der findet sie unvermeidlich auf seinem Wege und kann sie ohnmöglich umgehen. In diesem Sinn gehören allerdings alle diese Begriffe in das Gebiet der Religion, und zwar unbedingt, ohne daß man über die Gränzen ihrer Anwendung das geringste bestimmen dürfte. Das Streiten, welche Begebenheit eigentlich ein Wunder sei, und worin der Charakter deßelben eigentlich bestehe, wieviel Offenbarung es wohl gebe, und wiefern und warum man eigentlich daran glau-|ben dürfe, und das offenbare Bestreben, so viel sich mit Anstand und Rüksicht thun läßt, davon abzuleugnen und auf die Seite zu schaffen, in der thörichten Meinung der Philosophie und der Vernunft einen Dienst damit zu leisten, das ist eine von den kindischen Operationen der Metaphysiker und Moralisten in der Religion; Sie werfen alle Gesichtspunkte unter einander und bringen die Religion in das Geschrei, der Totalität wißenschaftlicher und physischer Urtheile zu nahe zu treten. Ich bitte laßt Euch nicht durch ihr sophistisches Disputiren und ihr scheinheiliges Verbergen desjenigen was sie gar zu gern kund machen möchten, zum Nachtheil der Religion verwirren. Diese läßt Euch, so laut sie auch alle jene verschriene Begriffe zurükfordert, Eure Physik, und so Gott will, auch Eure Psychologie unangetastet. Was ist denn ein Wunder! sagt mir doch in welcher Sprache — ich rede freilich nicht von denen, die wie die unsrige nach dem Untergange aller Religion entstanden sind — es denn etwas anders heißet als ein Zeichen, eine Andeutung? Und so besagen alle jene Ausdrüke nichts, als die unmittelbare Beziehung einer Erscheinung aufs Unendliche, aufs Universum; schließet das aber aus, daß es nicht eine eben | so unmittelbare aufs Endliche und auf die Natur giebt? Wunder ist nur der religiöse Name für Begebenheit, jede, auch die allernatürlichste und gewöhnlichste, sobald sie sich dazu eignet, daß die religiöse Ansicht von ihr die herrschende sein kann, ist ein Wunder. Mir ist alles Wunder, und in Eurem Sinn ist mir nur das ein Wunder, nemlich etwas Unerklärliches und Fremdes, was keines ist in meinem. Je religiöser Ihr wäret, desto mehr Wunder würdet Ihr überall sehen, und jedes Streiten hin und her über einzelne Begebenheiten, ob sie so zu heißen verdienen, giebt mir nur den schmerzhaften Eindruk wie arm und dürftig der religiöse Sinn der Streitenden ist. Die einen beweisen es dadurch daß sie überall protestiren gegen Wunder und die andern dadurch, daß es ihnen auf dieses und jenes .besonders ankömmt, und daß eine Erscheinung eben wunderlich gestaltet sein muß um ihnen ein Wunder zu sein. Was heißt Offenbarung? jede ursprüngliche und neue Anschauung des Universums ist eine, und Jeder muß doch wohl am besten wißen was ihm ursprünglich und neu ist, und wenn etwas von dem, was in ihm ursprünglich war, für Euch noch neu ist, so ist seine Offenbarung auch für Euch eine, und ich will Euch rathen sie wohl | zu erwägen. Was heißt Eingebung?

Zweite

Rede

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109

Es ist nur der religiöse N a m e für Freiheit. Jede freie Handlung, die eine religiöse That wird, jedes Wiedergeben einer religiösen Anschauung, jeder Ausdruk eines religiösen Gefühls, der sich wirklich mittheilt, so daß auch auf andre die Anschauung des Universums übergeht, war auf Eingebung geschehen; denn es war ein Handeln des Universums durch den Einen auf die Andern. Jedes Anticipiren der andern Hälfte einer religiösen Begebenheit, wenn die eine gegeben ist, ist eine Weißagung, und es war sehr religiös von den alten Hebräern die Göttlichkeit eines Propheten nicht darnach abzumeßen, wie schwer das Weißagen war, sondern ganz einfältig nach dem Ausgang; denn eher kann man nicht wißen ob sich einer auf die Religion versteht, bis man sieht, ob er die religiöse Ansicht grade dieses bestimmten Dinges, welches ihn affizirte, auch richtig gefaßt hat. — Was sind Gnadenwirkungen? Alle religiösen Gefühle sind übernatürlich, denn sie sind nur in so fern religiös, als sie durchs Universum unmittelbar gewirkt sind, und ob sie religiös sind in Jemand, das muß er doch am besten beurtheilen. Alle diese Begriffe sind, wenn die Religion einmal Begriffe haben soll, die ersten und we-|sentlichsten; sie bezeichnen auf die eigenthümlichste Art das Bewußtsein eines Menschen von seiner Religion; sie sind um so wichtiger deswegen, weil sie nicht nur etwas bezeichnen, was allgemein sein darf in der Religion, sondern gerade dasjenige was allgemein sein muß in ihr. J a , wer nicht eigne Wunder sieht auf seinem Standpunkt zur Betrachtung der Welt, in weßen Innern nicht eigene Offenbarungen aufsteigen, wenn seine Seele sich sehnt die Schönheit der Welt einzusaugen, und von ihrem Geiste durchdrungen zu werden; wer nicht hie und da mit der lebendigsten U b e r zeugung fühlt, daß ein göttlicher Geist ihn treibt und daß er aus heiliger Eingebung redet und handelt; wer sich nicht wenigstens — denn dies ist in der T h a t der geringste Grad — seiner Gefühle als unmittelbarer Einwirkungen des Universums bewußt ist, und etwas eignes in ihnen kennt was nicht nachgebildet sein kann, sondern ihren reinen Ursprung aus seinem Innersten verbürgt, der hat keine Religion. Glauben, was man gemeinhin so nennt, annehmen was ein anderer gethan hat, nachdenken und nachfühlen wollen was ein Anderer gedacht und gefühlt hat, ist ein harter und unwürdiger Dienst, und statt das höchste in der Religion | zu sein, wie man wähnt, muß er grade abgelegt werden, von Jedem der in ihr Heiligthum dringen will. Ihn haben und behalten wollen, beweiset daß man der Religion unfähig ist; ihn von andern fordern, zeigt daß man sie nicht versteht. Ihr wollt überall auf Euren eignen Füßen stehn und Euren eignen Weg gehn, aber dieser würdige Wille schreke Euch nicht zurük von der Réli20 sondern] songern

8 - 1 0 Vgl. Dtn 18,22

38 schreke] so DV; OD: schrekt

110

[242]

Uber die Religion

gion. Sie ist kein Sklavendienst und keine Gefangenschaft; auch hier sollt Ihr Euch selbst angehören, ja dies ist sogar die einzige Bedingung unter welcher Ihr ihrer theilhaftig werden könnt. Jeder M e n s c h , wenige Auserwählte ausgenommen, bedarf allerdings eines Mittlers, eines Anführers der seinen Sinn für Religion, aus dem ersten Schlummer weke und ihm eine erste Richtung gebe, aber dies soll nur ein vorübergehender Zustand sein; mit eignen Augen soll dann jeder sehen und selbst einen Beitrag zu Tage fördern zu den Schäzen der Religion, sonst verdient er keinen Plaz in ihrem Reich und erhält auch keinen. Ihr habt Recht die dürftigen Nachbeter zu verachten, die ihre Religion ganz von einem Andern ableiten, oder an einer todten Schrift hängen, auf sie schwören und aus ihr beweisen. Jede heilige Schrift ist nur ein | Mausoleum der Religion ein D e n k m a l , daß ein großer Geist da war, der nicht mehr da ist; denn wenn er noch lebte und wirkte, wie würde er einen so großen Werth auf den todten Buchstaben legen, der nur ein schwacher Abdruk von ihm sein kann? N i c h t der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte. U n d eben diese Eure Verachtung gegen die armseligen und kraftlosen Verehrer der Religion, in denen sie aus Mangel an Nahrung vor der Geburt schon gestorben ist, eben diese beweiset mir, daß in Euch selbst eine Anlage ist zur Religion und die Achtung die Ihr allen ihren wahren Helden immer erzeiget, wie sehr Ihr E u c h auch auflehnt gegen die Art wie sie gemißbraucht und durch Gözendienst geschändet w o r den, bestätigt mich in dieser Meinung. — Ich habe Euch gezeigt was eigentlich Religion ist, habt Ihr irgend etwas darin gefunden was Eurer und der höchsten menschlichen Bildung unwürdig wäre? M ü ß t Ihr Euch nicht nach den ewigen Gesezen der geistigen Natur um so ängstlicher nach dem U n i versum sehnen und nach einer selbstgewirkten Vereinigung mit ihm streben, je mehr Ihr durch die bestimmteste Bildung und Individualität | in ihm gesondert und isolirt seid? und habt Ihr nicht oft diese heilige Sehnsucht als etwas unbekanntes gefühlt? Werdet Euch doch, ich beschwöre E u c h , des Rufs Eurer innersten Natur bewußt, und folgt ihm. Verbannet die falsche Schaam vor einem Zeitalter welches nicht Euch bestimmen, sondern von Euch bestimmt und gemacht werden soll! Kehret zu demjenigen zurük was E u c h , gerade Euch so nahe liegt, und wovon die gewaltsame Trennung doch unfehlbar den schönsten Theil Eurer Existenz zerstört. Es scheint mir aber als ob Viele unter Euch nicht glaubten, daß ich mein gegenwärtiges Geschäft hier könne endigen wollen, als o b Ihr dennoch der Meinung wäret, es könne vom Wesen der Religion nicht gründlich

28 Ihr] ihr

34 wovon] so DV; OD: woran

13 f Vgl. 2 Kor 3,6

Zweite Rede

[243]

111

geredet worden sein, w o von der Unsterblichkeit gar nicht, und von der Gottheit so gut als nichts gesagt worden ist. Erinnert Euch ddch, ich bitte E u c h , wie ich mich von Anfang an dagegen erklärt habe, daß dies nicht die Angel und Hauptstiike der Religion seien; erinnert E u c h , daß als ich die U m r i ß e derselben zeichnete, ich auch den W e g angedeutet habe, auf welchem die Gottheit zu finden ist; was verliert Ihr also noch? und warum soll ich einer religiösen | Anschauungsart mehr thun als den übrigen? Damit Ihr aber nicht denket ich fürchte mich ein ordentliches W o r t über die Gottheit zu sagen, weil es gefährlich werden will davon zu reden, bevor eine zu Recht und Gericht beständige Definition von G o t t und D a s e i n ans Licht gebracht und im deutschen Reich sankzionirt worden ist; oder damit ihr nicht auf der andern Seite glaubt ich spiele einen frommen Betrug und wolle, um Allen Alles zu werden, mit scheinbarer Gleichgültigkeit dasjenige herabsezen, was für mich von ungleich größerer Wichtigkeit sein m u ß als ich gestehen will; so will ich Euch noch einen Augenblik Rede stehen, und Euch deutlich zu machen suchen, daß für mich die Gottheit nichts anders sein kann, als eine einzelne religiöse Anschauungsart, von der wie von jeder andern die übrigen unabhängig sind, und daß auf meinem Standpunkt und nach meinen Euch bekannten Begriffen der Glaube „kein G o t t , keine Relig i o n " gar nicht statt finden kann, und auch von der Unsterblichkeit will ich Euch unverholen meine Meinung sagen. Zuerst saget mir doch, was meinen sie von der Gottheit, und was wollt Ihr damit meinen? denn jene rechtskräftige Definition ist doch noch nicht vorhanden, und es liegt am Tage | daß die größten Verschiedenheiten darüber statt haben. D e n mehrsten ist offenbar G o t t nichts anders als der G e nius der Menschheit. D e r Mensch ist das Urbild ihres G o t t e s , die Menschheit ist ihr alles, und nach demjenigen, was sie für ihre Ereigniße und Führungen halten, bestimmen sie die Gesinnungen und das Wesen ihres G o t tes. N u n aber habe ich Euch deutlich genug gesagt, daß die Menschheit nicht mein Alles ist, daß meine Religion nach einem Universum strebt, w o von sie mit allem was ihr angehört, nur ein unendlich kleiner Theil, nur eine einzelne vergängliche F o r m ist: kann also ein G o t t , der nur der Genius der Menschheit wäre, das höchste meiner Religion sein? Es mag dichterischere Gemüther geben, und ich gestehe ich glaube, daß diese höher stehen, denen G o t t ein von der Menschheit gänzlich unterschiedenes Individuum, ein einziges Exemplar einer eigenen Gattung ist, und wenn sie mir die

7 einer] so DV; OD: Eurer 7 Anschauungsart] so DV; OD: Anschauung ungsart] so DV; OD: Anschauung

8—11 Anspielung Gottlieh Fichtes

17 Anschau-

auf den sog. Atheismusstreit, der im März Ì799 zur Entlassung Johann aus seiner Jenaer Philosophie[irofv.su> fahrte. 13 Vgl. I Kor 9,22

112

[244]

Über die Religion

Offenbarungen zeigen, durch welche sie einen solchen G o t t kennen — einen oder mehrere, ich verachte in der Religion nichts so sehr als die Zahl — so soll er mir eine erwünschte Entdekung sein, und gewiß werden sich aus dieser Offenbarung in mir mehrere entwikeln; aber ich strebe nach noch 5 mehr Gattungen aus-|ser und über der Menschheit als nach einer, und jede 126 Gattung mit ihrem Individuum ist dem Universum untergeordnet: kann also G o t t in diesem Sinne für mich etwas anders sein als eine einzelne A n schauung? D o c h dies mögen nur unvollständige Begriffe von G o t t sein, laßt uns gleich zu dem höchsten gehn, zu dem von einem höchsten Wesen, von 10 einem Geist des Universums, der es mit Freiheit und Verstand regiert, so ist doch auch von dieser Idee die Religion nicht abhängig. Religion haben, heißt das Universum anschauen, und auf der Art, wie Ihr es anschauet, auf dem Prinzip, welches Ihr in seinen Handlungen findet, beruht der Werth Eurer Religion. Wenn Ihr nun nicht läugnen k ö n n t , daß sich die Idee von15 G o t t zu jeder Anschauung des Universums bequemt, so müßt Ihr auch zugeben, daß eine Religion ohne G o t t beßer sein kann, als ¿ine andre mit Gott.

20

25

30

35

Das Universum stellt sich in seinen Handlungen dem rohen M e n schen, der nur eine verwirrte Idee vom Ganzen und Unendlichen hat, und nur einen dunkeln Instinkt, als eine Einheit dar, in der nichts mannigfaltiges zu unterscheiden ist, als ein Chaos gleichförmig in der Verwirrung, ohne Abtheilung, Ordnung und | Gesez, woraus nichts einzelnes gesondert 127 werden kann, als indem es willkürlich abgeschnitten wird in Zeit und Raum. O h n e den Drang es zu beseelen, repräsentirt ihm ein blindes G e schik den Charakter des G a n z e n ; mit diesem Drang wird sein G o t t ein W e sen ohne bestimmte Eigenschaften, ein G ö z e , ein Fetisch, und wenn er mehrere annimmt, so sind sie durch nichts zu unterscheiden, als durch die willkürlich gesezten Grenzen ihres Gebiets. Auf einer andern Stufe der Bildung stellt sich das Universum dar als eine Vielheit ohne Einheit, als ein unbestimmtes Mannigfaltiges heterogener Elemente und Kräfte, deren beständiger und ewiger Streit seine Erscheinungen bestimmt. N i c h t ein blindes Geschik bezeichnet seinen Charakter, sondern eine motivirte N o t wendigkeit, in welcher die Aufgabe liegt, nach Grund und Zusammenhang zu forschen, mit dem Bewußtsein ihn nie finden zu können. Wird zu diesem Universum die Idee eines Gottes gebracht, so zerfällt sie natürlich in unendlich viele Theile, jede dieser Kräfte und Elemente, in denen keine Einheit ist, wird besonders beseelt, G ö t t e r entstehen in unendlicher A n zahl, unterscheidbar durch verschiedene O b j e k t e ihrer Thätigkeit, durch verschiedene Neigungen und Gesinnungen. Ihr | müßt zugeben, daß diese 128

15 Anschauung] Anschaunng ein,

22 gesondert] so DV; OD: gefordert

26 Göze, ein] Göze

Zweite

Rede

[245]

113

Anschauung des Universums unendlich würdiger ist als jene, werdet Ihr nicht auch gestehen müßen, daß derjenige, der sich bis zu ihr erhoben hat, aber sich ohne die Idee von Göttern vor der ewigen und unerreichbaren Nothwendigkeit beugt, dennoch mehr Religion hat als der rohe Anbeter eines Fetisches? Nun laßt uns höher steigen, dahin wo alles streitende sich wieder vereinigt, wo das Universum sich als Totalität, als Einheit in der Vielheit, als System darstellt, und so erst seinen Namen verdient; sollte nicht der, der es so anschaut als Eins und Alles, auch ohne die Idee eines Gottes mehr Religion haben, als der gebildetste Polytheist? Sollte nicht Spinoza eben so weit über einem frommen Römer stehen, als Lukrez über einem Gözendiener? Aber das ist die alte Inkonsequenz, das ist das schwarze Zeichen der Unbildung, daß sie die am weitesten verwerfen, die auf einer Stufe mit ihnen stehen, nur auf einem andern Punkt derselben! welche von diesen Anschauungen des Universums ein Mensch sich zueignet, das hängt ab von seinem Sinn fürs Universum, das ist der eigentliche Maßstab seiner Religiosität, ob er zu seiner Anschauung einen Gott hat, das hängt ab von der Rich-|tung seiner Fantasie. In der Religion wird das Universum angeschaut, es wird gesezt als ursprünglich handelnd auf den Menschen. Hängt nun Eure Fantasie an dem Bewußtsein Eurer Freiheit so daß sie es nicht überwinden kann dasjenige was sie als ursprünglich wirkend denken soll anders als in der Form eines freien Wesens zu denken; wohl, so wird sie den Geist des Universums personifiziren und Ihr werdet einen Gott haben; hängt sie am Verstände, so daß es Euch immer klar vor Augen steht, Freiheit habe nur Sinn im Einzelnen und fürs Einzelne; wohl, so werdet Ihr eine Welt haben und keinen Gott. Ihr, hoffe ich, werdet es für keine Lästerung halten, daß Glaube an Gott abhängt von der Richtung der Fantasie; Ihr werdet wißen daß Fantasie das höchste und ursprünglichste ist im Menschen, und außer ihr alles nur Reflexion über sie; Ihr werdet es wißen daß Eure Fantasie es ist, welche für Euch die Welt erschaft, und daß Ihr keinen Gott haben könnt ohne Welt. Auch wird er dadurch niemanden ungewißer werden, noch wird sich jemand von der fast unabänderlichen Nothwendigkeit ihn anzunehmen um desto beßer losmachen, weil er darum weiß, woher ihm diese Nothwendigkeit kommt. | In der Religion also steht die Idee von Gott nicht so hoch als Ihr meint, auch gab es unter wahrhaft religiösen Menschen nie Eiferer, Enthusiasten oder Schwärmer für das Dasein Gottes; mit großer Gelaßenheit haben sie das, was man Atheismus nennt, neben sich gesehn, und es hat immer etwas gegeben, was ihnen irreligiöser schien als dieses. Auch Gott kann in der Religion nicht anders vorkommen als handelnd, und göttliches Leben und Handeln des Universums hat noch niemand geläugnet, und mit dem seienden und gebietenden Gott hat sie nichts

18 auf] anf

114

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Über die Religion

zu schaffen, so wie ihr G o t t den Physikern und Moralisten nichts f r o m m t , deren traurige Mißverständniße dies eben sind, und immer sein werden. D e r handelnde G o t t der Religion kann aber unsere Glükseligkeit nicht verbürgen; denn ein freies Wesen kann nicht anders wirken wollen auf ein freies Wesen, als nur daß es. sich ihm zu erkennen gebe, einerlei ob durch Schmerz oder Lust. Auch kann er uns zur Sittlichkeit nicht reizen, denn er wird nicht anders betrachtet als handelnd, und auf unsre Sittlichkeit kann nicht gehandelt und kein Handeln auf sie kann gedacht werden. Was aber die Unsterblichkeit betrifft, so kann ich nicht bergen, die Art, wie die mei-|sten Menschen sie nehmen und ihre Sehnsucht darnach ist ganz irreligiös, dem Geist der Religion gerade zuwider, ihr Wunsch hat keinen andern G r u n d , als die Abneigung gegen das was das Ziel der Religion ist. Erinnert Euch wie in ihr alles darauf hinstrebt, daß die scharf abgeschnittnen U m r i ß e unsrer Persönlichkeit sich erweitern und sich allmählich verlieren sollen ins Unendliche, daß wir durch das Anschauen des Universums so viel als möglich eins werden sollen mit ihm; sie aber sträuben sich gegen das Unendliche, sie wollen nicht hinaus, sie wollen nichts sein als sie selbst, und sind ängstlich besorgt um ihre Individualität. Erinnert Euch wie es das höchste Ziel der Religion war, ein Universum jenseits und über der Menschheit zu entdeken, und ihre einzige Klage daß es damit nicht recht gelingen will auf dieser W e l t ; J e n e aber wollen nicht einmal die einzige G e legenheit ergreifen, die ihnen der T o d darbietet, um über die Menschheit hinaus zu k o m m e n ; sie sind bange wie sie sie mitnehmen werden jenseits dieser Welt und streben höchstens nach weiteren Augen und beßeren Gliedmaßen. A b e r das Universum spricht zu ihnen wie geschrieben steht: wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten, und wer es erhalten will | der wird es verlieren. Das Leben was sie erhalten wollen ist ein erbärmliches, denn wenn es ihnen um die Ewigkeit ihrer Person zu thun ist, warum kümmern sie sich nicht eben so ängstlich um das was sie gewesen sind, als um das was sie sein werden? und was hilft ihnen das vorwärts wenn sie doch nicht rükwärts können? U b e r die Sucht nach einer U n s t e r b lichkeit, die keine ist, und über die sie nicht Herren sind, verlieren sie die, welche sie haben könnten, und das sterbliche Leben dazu mit Gedanken, die sie vergeblich ängstigen und quälen. Versucht doch aus Liebe zum U n i versum Euer Leben aufzugeben. Strebt darnach schon hier Eure Individualität zu vernichten, und im Einen und Allen zu leben, strebt darnach mehr zu sein als Ihr selbst, damit Ihr wenig verliert, wenn Ihr Euch verliert; und wenn Ihr so mit dem Universum, soviel Ihr hier davon findet, zusammen-

6 er] so DV; OD: es

26f Vgl. Mt 16,25; Mk 8,J5; Lk 9,24

Zweite

Rede

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gefloßen seid, und eine größere und heiligere Sehnsucht in Euch entstanden ist, dann wollen wir weiter reden über die H o f n u n g e n , die uns der T o d giebt, und über die Unendlichkeit zu der wir uns durch ihn unfehlbar emporschwingen. Das ist meine Gesinnung über diese Gegenstände. G o t t ist nicht Alles in der Religion | sondern Eins, und das Universum ist mehr; auch könnt Ihr ihm nicht glauben willkührlich, oder weil Ihr ihn brauchen wollt zu Trost und Hülfe, sondern weil Ihr m ü ß t . Die Unsterblichkeit darf kein Wunsch sein, wenn sie nicht erst eine Aufgabe gewesen ist, die Ihr gelöst habt. Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblik, das ist die Unsterblichkeit der Religion.

8 IhrI

ihr

Dritte

Rede.

U b e r die B i l d u n g zur Religion. Was ich selbst bereitwillig eingestanden habe als tief im Charakter der Religion liegend, das Bestreben Proselyten machen zu wollen aus den Ungläubigen, das ist es doch nicht, was mich jezt antreibt auch über die Bildung der Menschen zu dieser erhabenen Anlage und über ihre Bedingungen zu Euch zu reden. Zu jenem Endzwek kennt die Religion kein anderes Mittel, als nur dieses, daß sie sich frei äußert und mittheilt. Wenn sie sich mit aller ihr eignen Kraft bewegt, wenn sie alle Vermögen des eignen Gemüths in dem Strom dieser Bewegung zu ihrem Dienst mit fortreißt: so erwartet sie auch daß sie hindurch dringen werde bis ins Innerste eines jeden Individuums welches in ihrer | Atmosphäre athmet, daß jedes homogene Theilchen werde berührt,werden, und von derselben Schwingung ergriffen zum Bewußtsein seines Daseins gelangend durch einen antwortenden, verwandten Ton das harrende Ohr des Auffordernden erfreuen werde. N u r so durch die natürlichen Äußerungen des eignen Lebens will sie das Ähnliche aufregen, und wo ihr das nicht gelingt verschmäht sie stolz jeden fremden Reiz, jedes gewaltthätige Verfahren, beruhigt bei der Uberzeugung, die Stunde sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihr verschwistertes regen könne. Nicht neu ist mir dieser mißlingende Ausgang. Wie oft habe ich die Musik meiner Religion angestimmt um die Gegenwärtigen zu bewegen, von einzelnen leisen Tönen anhebend und mit jugendlichem Ungestüm sehnsuchtsvoll fortschreitend bis zur vollesten Harmonie der religiösen Gefühle: aber nichts regte sich und antwortete in ihnen! Von wie vielen werden auch diese Worte, die ich einer größern und beweglichem Atmosphäre vertraue, mit allem was sie Gutes darbieten solten traurig zu mir zurükkehren ohne verstanden zu sein, ohne auch nur die leiseste Ahndung von ihrer Absicht erwekt zu haben? Und wie oft werde ich und alle Verkündiger der Religion dieses uns von Anbeginn bestimmte | Schiksal noch erneuern. Dennoch wird es uns nie quälen, denn wir wißen daß es nicht anders begegnen darf; und nie werden wir versuchen unsere Religion aufzudringen, auf irgend einem andern Wege weder diesem noch dem künftigen Geschlechte. D a ich selbst nicht weniges an mir vermiße, was zum Ganzen der Menschheit gehört; da so

Dritte

Rede

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117

Viele Vieles entbehren: welches W u n d e r w e n n auch die A n z a h l derer g r o ß ist, denen die Religion versagt w u r d e . U n d sie m u ß n o t h w e n d i g groß sein: denn w i e k ä m e n wir s o n s t zu einer A n s c h a u u n g v o n ihr selbst und v o n den G r ä n z e n welche sie nach allen Seiten hinaus den übrigen A n l a g e n des M e n schen a b s t e k t ? w o h e r wüßten wir w i e weit er es hier und d o r t bringen kann o h n e sie, u n d w o sie ihn aufhält u n d f ö r d e r t ? w o h e r ahndeten wir, wie sie, auch o h n e daß er es weiß, in ihm geschäftig ist? B e s o n d e r s ist es der N a t u r der D i n g e g e m ä ß , daß in diesen Zeiten algemeiner V e r w i r r u n g u n d U m w ä l z u n g ihr s c h l u m m e r n d e r F u n k e in vielen nicht aufglüht und wie liebevoll und l a n g m ü t h i g wir sein pflegen m ö c h t e n , d o c h nicht z u m L e b e n gebracht wird, d a er unter glüklichern U m s t ä n d e n sich in ihnen d u r c h alle H i n d e r niße w ü r d e hindurchgearbeitet h a b e n . W o nichts unter allen menschlichen D i n g e n u n e r - | s c h ü t t e n bleibt; w o jeder g r a d e d a s , w a s seinen Plaz in der Welt b e s t i m m t , u n d ihn an die irdische O r d n u n g der D i n g e feßelt, in jedem A u g e n b l i k im Begrif sieht, nicht nur ihm z u entfliehen u n d sich von einem A n d e r n ergreifen z u laßen, s o n d e r n u n t e r z u g e h e n im allgemeinen S t r u d e l ; w o die Einen keine A n s t r e n g u n g ihrer K r ä f t e s c h o n e n , u n d n o c h nach allen Seiten u m H ü l f e rufen u m dasjenige festzuhalten w a s sie f ü r die A n g e l n der Welt u n d der G e s e l l s c h a f t der K u n s t und der Wißenschaft halten die sich nun d u r c h ein unbegreifliches Schiksal wie von selbst aus ihren innersten G r ü n d e n e m p o r h e b e n , u n d fallen laßen was sich s o lange u m sie b e w e g t hatte, u n d w o die A n d e r n mit eben d e m rastlosen Eifer geschäftig sind die T r ü m m e r eingestürzter J a h r h u n d e r t e aus d e m W e g e zu r ä u m e n , u m unter den Ersten z u sein, die sich ansiedeln auf d e m fruchtbaren B o d e n der sich unter ihnen bildet aus der schnell erkaltenden L a v a des schreklichen Vulk a n s ; w o J e d e r , auch o h n e seine Stelle zu verlaßen von den heftigen E r schütterungen des G a n z e n s o gewaltig b e w e g t w i r d , daß er in d e m algemeinen Schwindel f r o h sein m u ß , irgend einen einzelnen G e g e n s t a n d fest gen u g ins A u g e zu faßen, u m sich an ihn halten und sich almählig ü b e r z e u g e n zu k ö n n e n , | daß d o c h etwas noch stehe; in einem solchen Z u s t a n d e w ä r e es thöricht z u erwarten, daß Viele geschikt sein könnten das U n e n d l i c h e w a h r z u n e h m e n . Sein A n b l i k ist freilich mehr als je majestätisch und erhaben und in A u g e n b l i k e n laßen sich b e d e u t e n d e r e Z ü g e ablauschen als in J a h r h u n d e r t e n : aber wer kann sich retten vor d e m allgemeinen T r e i b e n u n d D r ä n g e n ! wer kann der G e w a l t eines beschränkteren Intereße entfliehen? wer hat R u h e u n d Festigkeit g e n u g u m still z u stehen u n d a n z u s c h a u e n ? A b e r auch in den glüklichsten Zeiten, auch mit d e m besten Willen, die A n lage z u r Religion nicht nur d a , w o sie ist, d u r c h Mittheilung a u f z u r e g e n , s o n d e r n sie auch e i n z u i m p f e n u n d anzubilden auf jedem W e g e der d a z u führen k ö n n t e : w o gibt es denn einen solchen? W a s durch K u n s t und f r e m -

8 und] um

20 nun] so DV; OD: nur

23 Trümmer] Trümmern

25 Lava] Lave

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Über die Religion

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de Thätigkeit in einem Menschen gewirkt werden kann, ist nur dieses, daß Ihr ihm Eure Vorstellungen mittheilt, und ihn zu einem Magazin Eurer Ideen macht, daß Ihr sie so weit in die seinigen verflechtet bis er sich ihrer erinnert zu gelegener Zeit: aber nie könnt Ihr bewirken, daß er die welche Ihr wolt, aus sich hervorbringe. — Ihr seht den Widerspruch der schon aus den Worten nicht herausgebracht werden kann. Nicht einmal gewöhnen könnt I Ihr jemand auf einen bestimmten Eindruk so oft er ihm k o m m t eine bestimmte Gegenwirkung erfolgen zu laßen, vielweniger daß Ihr ihn dahin bringen könntet, über diese Verbindung hinaus zu gehen, und eine innere Thätigkeit dabei frei zu erzeugen. K u r z , auf den Mechanismus des Geistes könnt Ihr wirken, aber in die Organisazion deßelben, in diese geheiligte Werkstätte des Universums könnt Ihr nach Eurer Wilkühr nicht eindringen, da vermögt Ihr nicht irgend etwas zu ändern oder zu verschieben, wegzuschneiden oder zu ergänzen, nur zuriikhalten könnt Ihr seine Entwikelung und gewaltsam einen Theil des Gewächses verstümmeln. Aus dem Innersten seiner Organisazion aber muß alles hervorgehen was zum wahren Leben des Menschen gehören und ein immer reger und wirksamer Trieb in ihm sein soll. U n d von dieser Art ist die Religion; in dem Gemüth welches sie bewohnt, ist sie ununterbrochen wirksam und lebendig, macht Alles zu einem Gegenstande für sich, und jedes Denken und Handeln zu einem T h e ma ihrer himmlischen Fantasie. Alles was, wie sie, ein Continuum sein soll im menschlichen G e m ü t h , liegt weit außer dem Gebiet des Lehrens und Anbildens. Darum ist jedem, der die Religion so ansieht, Unterricht in | ihr ein abgeschmaktes und sinnleeres W o r t . Unsere Meinungen und Lehrsäze können wir Andern wohl mittheilen, dazu bedürfen wir nur W o r t e , und sie nur der auffaßenden und nachbildenden Kraft des Geistes: aber wir wißen sehr wohl daß das nur die Schatten unserer Anschauungen und unserer G e fühle sind, und ohne diese mit uns zu theilen würden sie nicht verstehen was sie sagen und was sie zu denken glauben. Anschauen können wir sie nicht lehren, wir können nicht aus uns in sie übertragen die Kraft und Fertigkeit, vor welchen Gegenständen wir uns auch befinden dennoch überall das ursprüngliche Licht des Universums aus ihnen einzusaugen in unser O r g a n ; das mimische Talent ihrer Fantasie können wir vielleicht so weit aufregen, daß es ihnen leicht wird, wenn Anschauungen der Religion ihnen mit starken Farben vorgemalt werden, einige Regungen in sich hervorzubringen die dem von ferne gleichen, wovon sie unsre Seele erfüllt· sehen : aber durchdringt das ihr Wesen, ist das Religion? W e n n Ihr den Sinn für das Universum mit dem für die Kunst vergleichen wollt, so müßt Ihr diese Inhaber einer paßiven Religiosität - wenn man es noch so nennen will -

2 Eure] eure brocheu

3 in] an

5 hervorbringe] hervorbringen

37 durchdringt] dnrchdringt

19 ununterbrochen] ununter-

Dritte

Rede

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nicht etwa denen gegenüberstellen, die ohne selbst Kunstwerke | hervorzubringen, dennoch von jedem was zu ihrer Anschauung k o m m t , gerührt und ergriffen werden; denn die Kunstwerke der Religion sind immer und überall ausgestellt; die ganze Welt ist eine Gallerie religiöser Ansichten und ein Jeder ist mitten unter sie gestellt: sondern denen müßt Ihr sie vergleichen die nicht eher zur Empfindung gebracht werden bis man ihnen C o m m e n t a re und Fantasien über W e r k e der Kunst als Arzneimittel auflegt, und auch dann in einer übel verstandnen Kunstsprache nur einige unpaßende W o r t e herlallen wollen, die nicht ihr eigen sind. Das ist das Ziel alles Lehrens und absichtlichen Bildens in diesen Dingen. Zeigt mir Jemand, dem Ihr U r theilskraft, Beobachtungsgeist, Kunstgefühl oder Sittlichkeit angebildet und eingeimpft habt; dann will ich mich anheischig machen auch Religion zu lehren. Es giebt freilich in ihr ein Meisterthum und eine Jüngerschaft, es giebt Einzelne, an welche Tausende sich anschließen: aber dieses Anschließen ist keirie blinde Nachahmung, und Jünger sind das nicht, weil ihr Meister sie dazu gemacht hat; sondern er ist ihr Meister weil sie ihn dazu gewählt haben. W e r durch die Äußerungen seiner eignen Religion sie in A n dern aufgeregt hat, der hat nun diese nicht mehr in seiner Gewalt | sie bei sich festzuhalten: frei ist auch ihre Religion sobald sie lebt und geht ihres eignen Weges. Sobald der heilige Funken aufglüht in einer Seele, breitet er sich aus zu einer freien und lebendigen Flamme, die aus ihrer eignen A t m o sphäre ihre Nahrung saugt. Mehr oder weniger erleuchtet sie der Seele den ganzen Umfang des Universums und nach eigner Willkür kann diese sich ansiedeln auch fern von dem Punkt auf welchem sie sich zuerst erblikt hat. N u r vom Gefühl ihres Unvermögens und ihrer Endlichkeit gedrungen sich in irgend eine bestimmte Gegend niederzulaßen, wählt sie ohne deshalb undankbar zu werden gegen ihren ersten Wegweiser jedes Klima, welches ihr am besten behagt, da sucht sie sich einen Mittelpunkt, bewegt sich durch freie Selbstbeschränkung in ihrer neuen Bahn, und nennt den ihren Meister, der diese ihre Lieblingsgegend zuerst aufgenommen und in ihrer Herrlichkeit dargestellt hat, seine Jüngerinn durch eigne Wahl und freie Liebe. Nicht also als o b ich Euch oder Andre bilden wolte zur Religion, oder Euch lehren wie Ihr Euch selbst absichtlich oder kunstmäßig dazu bilden müßt: ich will nicht aus dem Gebiet der Religion herausgehn, was ich somit thun I würde sondern noch länger mit Euch innerhalb deßelben verweilen. Das Universum bildet sich selbst seine Betrachter und Bewunderer, und wie das geschehe, wollen wir nur anschauen, so weit es sich anschauen läßt. Ihr wißt die Art wie jedes einzelne Element der Menschheit in einem Individuo erscheint, hängt davon ab, wie es durch die übrigen begrenzt oder frei gelaßen wird; nur durch diesen algemeinen Streit erlangt jedes in Jedem eine bestimmte Gestalt und G r ö ß e , und dieser wiederum wird nur durch die Gemeinschaft der Einzelnen und durch die Bewegung des Ganzen unterhalten. So ist Jeder und Jedes in Jedem ein W e r k des Universums, und

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Über die Religion

nur so kann die Religion den Menschen betrachten. In diesen Grund unseres bestimmten Seins und die religiöse Beschränkung unserer Zeitgenoßen möchte ich Euch zurükfiihren ; ich möchte Euch deutlich machen warum wir so und nicht anders sind und was geschehen müßte wenn nun unsere Gränzen auf dieser Seite solten erweitert werden; ich wollte, Ihr könntet Euch bewußt werden wie auch Ihr durch Euer Sein und Wirken zugleich Werkzeuge des Universums seid und wie Euer auf ganz andre D i n g e gerichtetes T h u n Einfluß hat auf die Religion und ihren nächsten Zustand. | D e r Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren wie mit jeder andern, und wenn nur sein Sinn nicht gewaltsam unterdrükt, wenn nur nicht jede Gemeinschaft zwischen ihm und dem Universum gesperret und verrammelt wird — dies sind eingestanden die beiden Elemente der Religion — so müßte sie sich auch in Jedem unfehlbar auf seine eigne Art entwikeln; aber das ist es eben was leider von der ersten Kindheit an in so reichem Maaße geschieht zu unserer Zeit. Mit Schmerzen sehe ich es täglich wie die W u t h des Verstehens den Sinn gar nicht aufkommen läßt, und wie Alles sich vereinigt den Menschen an das Endliche und an einen sehr kleinen Punkt deßelben zu befestigen damit das Unendliche ihm so weit als möglich aus den Augen geriikt werde. W e r hindert das Gedeihen der Religion? N i c h t die Zweifler und Spötter; wenn diese auch gern den Willen mittheilen keine Religion zu haben, so stören sie doch die N a t u r nicht welche sie hervorbringen will; auch nicht die Sittenlosen, wie man meint, ihr Streben und Wirken ist einer ganz andern Kraft entgegengesezt als dieser; sondern die Verständigen und praktischen Menschen, diese sind in dem jezigen Zustande der Welt das Gegengewicht gegen die Religion, und ihr großes | U b e r gewicht ist die Ursache, warum sie eine so dürftige und unbedeutende Rolle spielt. Von der zarten Kindheit an mishandeln sie den Menschen und unterdrüken sein Streben nach dem H ö h e r e n . Mit großer Andacht kann ich der Sehnsucht junger Gemüther nach dem Wunderbaren und Ubernatürlichen zusehen. Schon mit dem Endlichen und Bestimmten zugleich suchen sie etwas Anders was sie ihm entgegensezen können ; auf allen Seiten greifen sie darnach, o b nicht etwas über die sinnlichen Erscheinungen und ihre Geseze hinausreiche; und wie sehr auch ihre Sinne mit irdischen Gegenständen angefüllt werden, es ist immer als hätten sie außer diesen noch andre welche ohne Nahrung vergehen müßten. Das ist die erste Regung der Religion. Eine geheime unverstandene Ahndung treibt sie über den Reichthum dieser Welt hinaus; daher ist ihnen jede Spur einer andern so willkommen; daher ergözen sie sich an Dichtungen von überirdischen Wesen, und alles wovon ihnen am klarsten ist, daß es hier nicht sein kann, umfaßen sie mit aller der eifersüchtigen Liebe, die man einem Gegenstande widmet, auf den man ein offenbares Recht hat, welches man aber nicht geltend machen kann. Freilich ist es eine Täuschung, das Unendliche grade außerhalb | des Endlichen, das Entgegengesezte außerhalb deßen zu suchen dem es entgegengesezt

Dritte Rede

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wird; aber ist sie nicht höchstnatürlich bei denen welche das Endliche selbst noch nicht kennen? und ist es nicht die Täuschung ganzer V ö l k e r , und ganzer Schulen der Weisheit? Wenn es Pfleger der Religion gäbe unter denen die sich der werdenden Menschen annehmen, wie leicht wäre dieser von der Natur selbst veranstaltete Irrthum berichtigt, und wie begierig würde denn in helleren Zeiten die junge Seele sich den Eindrüken des Unendlichen in seiner Allgegenwart überlaßen. Ehedem ließ man ihn ruhig walten; der G e schmak an grotesken Figuren, meinte man, sei der jungen Fantasie eigen in der Religion wie in der K u n s t ; man befriedigte ihn in reichem Maaß, ja man knüpfte unbesorgt genug die ernste und heilige Mythologie, das was man selbst für Religion hielt, unmittelbar an diese lustigen Spiele der Kindheit an: G o t t , Heiland und Engel waren nur eine andre Art von Feen und Sylphen. So wurde freilich durch die Dichtung frühzeitig genug der Grund gelegt zu den Usurpationen der Metaphysik über die Religion: aber der Mensch blieb doch mehr sich selbst überlaßen, und leichter fand ein gradsinniges, unverdorbenes G e m ü t h , das sich frei zu hal-|ten wußte von dem J o c h des Verstehens und Disputirens, in späteren Jahren den Ausgang aus diesem Labyrinth. J e z t hingegen wird dieser Hang von Anfang an gewaltsam unterdrükt, alles übernatürliche und wunderbare ist proscribirt, die Fantasie soll nicht mit leeren Bildern angefüllt werden, man kann ja unterdeß eben so leicht Sachen hineinbringen und Vorbereitungen aufs Leben treffen. So werden die armen Seelen, die nach ganz etwas anderem dursten, mit moralischen Geschichten gelangweilt und lernen, wie schön und nützlich es ist, fein artig und verständig zu sein; sie bekommen Begriffe von gemeinen Dingen, und ohne Rüksicht auf das zu nehmen, was ihnen fehlt, reicht man ihnen noch immer mehr von dem, wovon sie schon zu viel haben. U m den Sinn einigermaßen gegen die Anmaßungen der andern Vermögen zu schüzen, ist jedem Menschen ein eigner T r i e b eingepflanzt, bisweilen jede andere Thätigkeit ruhen zu laßen, und nur alle Organe zu öffnen, um sich von allen Eindrüken durchdringen zu laßen; und durch eine geheime höchst wolthätige Sympathie ist dieser Trieb grade am stärksten, wenn sich das allgmeine Leben in der eignen Brust und in der umgebenden Welt am vernehmlichsten offenbart: aber daß es ihnen | nur nicht vergönnet wäre, diesem Triebe in behaglicher unthätiger Ruhe nachzuhängen; denn aus dem Standpunkt des bürgerlichen Lebens ist dies Trägheit und Müßiggang. Absicht und Zwek muß in Allem sein, sie müßen immer etwas verrichten, und wenn der Geist nicht mehr dienen kann, mögen sie den Leib üben; Arbeit und Spiel, nur keine ruhige, hingegebene Beschauung. — D i e Hauptsache aber ist die, daß sie Alles verstehen sollen, und mit dem Verstehen werden sie völlig betrogen um ihren Sinn: denn so wie jenes betrieben

14 Metaphysik] Mytaphysik

34 unthätiger] unthätigen

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Uber die Religion

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wird, ist es diesem schlechthin entgegengesezt. D e r Sinn sucht sich O b j e k te, er geht ihnen entgegen und bietet sich ihren Umarmungen dar; sie sollen etwas an sich tragen, was sie als sein Eigenthum, als sein W e r k charakterisirt, er will finden und sich finden laßen; ihrem Verstehen k o m m t es gar nicht darauf an, w o die O b j e k t e h e r k o m m e n ; mein G o t t ! sie sind ja da, ein wolerworbenes angeerbtes G u t , wie lange sind sie schon aufgezählt und definirti nehmt sie nur, wie das Leben sie bringt, denn grade die, die es bringt, müßt Ihr verstehen: sich selbst welche machen und suchen wollen, das ist ja excentrisch, es ist hochfahrend, es ist ein vergebliches Treiben, denn was fruchtets im menschlichen Leben? Freilich nichts; | aber ohne das wird kein Universum gefunden. — D e r Sinn strebt den ungetheilten Eindruk von etwas G a n z e m zu faßen; was und wie etwas für sich ist, will er erschauen, und jedes in seinem eigenthümlichen Charakter erkennen: daran ist ihrem Verstehen nichts gelegen; das Was und Wie liegt ihnen zu weit, denn sie meinen es besteht nur in dem W o h e r und W o z u , in welchem sie sich ewig herumdrehen. Dies ist ihr großes Ziel, der Plaz, den ein Gegenstand einnimt in der Reihe der Erscheinungen, sein Anfangen und Aufhören ist ihr Alles. Auch fragen sie nicht darnach, o b und wie das, was sie verstehen wollen, ein Ganzes ist — das würde sie freilich weit führen, und mit einer solchen Tendenz würden sie so ganz ohne Religion wol nicht abkommen — sie wollen es ja ohnedies zerstükeln und anatomiren. So gehen sie sogar mit demjenigen um, was eben dazu da ist, den Sinn in seiner höchsten Potenz zu befriedigen, mit dem, was gleichsam ihnen zum T r o z ein Ganzes ist in sich selbst, ich meine mit allem, was Kunst ist in der Natur und in den Werken des M e n s c h e n : sie vernichten es, ehe es seine Wirkung thun kann, im Einzelnen soll es verstanden und Dies und Jenes aus abgerißenen Stüken erlernet werden. Ihr werdet zu-|geben müßen, daß dies in der T h a t die Praxis der verständigen Leute ist; Ihr werdet gestehen daß ein reicher und kräftiger Uberfluß an Sinn dazu gehört, wenn auch nur etwas davon diesen feindseligen Behandlungen entgehen soll, und daß schon um deswillen die Anzahl derer nur gering sein kann, welche sich bis zur Religion erheben. N o c h mehr aber schmilzt sie dadurch zusammen, daß nun noch das mögliche geschieht, damit der Sinn, welcher noch übrig blieb, sich nur nicht aufs Universum hinwende. In den Schranken des bürgerlichen Lebens müßen sie festgehalten werden mit allem, was in ihnen ist. Alles Handeln soll sich ja doch auf dieses beziehn, und so, meinen sie, besteht auch die gepriesene innere H a r m o n i e des Menschen in nichts anderm, als daß sich alles wieder auf sein Handeln beziehe. Stoff genug, meinen sie, habe er für seinen Sinn und reiche Gemälde vor sich, wenn er auch nie aus diesem Gesichtspunkt, der zugleich sein Stand und Drehpunkt ist, herausgehe. D a h e r sind alle

8 Ihr] ihr

2 0 würden] würde

Dritte

Rede

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Empfindungen, welche damit nichts zu thun haben, gleichsam unniize Ausgaben, durch welche man sich erschöpft und von denen das Gemüth möglichst abgehalten werden m u ß durch z w e k m ä ß i g e Thätigkeit. Daher ist reine Liebe zur | Dichtung und zur Kunst eine Ausschweifung, die man nur duldet, weil sie nicht ganz so arg ist als andere. So wird auch das Wißen mit einer weisen und nüchternen Mäßigung betrieben, damit es diese Grenzen nicht überschreite, und indem das Kleinste, was auf diesem Gebiet Einfluß hat, nicht aus der Acht gelaßen wird, verschrein sie das Größte, eben weil es weiter ziehlt als etwas Sinnliches. Daß es Dinge giebt, die bis auf eine gewiße Tiefe erschöpft werden müßen, ist ihnen ein nothwendiges Übel, und dankbar gegen die Götter, daß sich immer noch einige aus unbezwinglicher Neigung dazu hergeben, sehen sie diese als freiwillige Opfer mit heiligem Mitleid an: Daß es Gefühle giebt, die sich nicht zügeln laßen wollen durch ihre gebietende praktische Nothwendigkeit, und daß so viele Menschen bürgerlich unglüklich oder unsittlich werden auf diesem Wege — denn auch die rechne ich zu dieser Klaße, die ein wenig über die Indüstrie hinausgehn und denen der sittliche Theil des bürgerlichen Lebens Alles ist — das ist der Gegenstand ihres herzlichsten Bedauerns, und sie nehmen es für einen der tiefsten Schäden der Menschheit, dem sie doch bald möglichst abgeholfen zu sehen wünschten. Das ist das große Übel, daß die guten I Leute glauben, ihre Thätigkeit sei universell und die Menschheit erschöpfend, und wenn man thue, was sie thun, brauche man auch keinen Sinn, als nur für das, was man thut. Darum verstümmeln sie alles mit ihrer Scheere, und nicht einmal eine originelle Erscheinung, die ein Phänomen werden könnte für die Religion, möchten sie aufkommen laßen; denn was von ihrem Punkt aus gesehen und umfaßt werden kann, das heißt Alles, was sie gelten laßen wollen, ist ein kleiner und unfruchtbarer Kreis ohne Wißenschaft, ohne Sitten, ohne Kunst, ohne Liebe, ohne Geist, und warlich auch ohne Buchstaben; kurz, ohne Alles, von w o aus sich die Welt entdeken ließe, wenn gleich mit viel hochmüthigen Ansprüchen auf alles dieses. Sie freilich meinen, sie hätten die wahre und wirkliche Welt, und sie wären es eigentlich, die Alles in seinem rechten Zusammenhange nähmen. Möchten sie doch einmal einsehn, daß man jedes Ding, um es als Element des Ganzen anzuschauen, nothwendig in seiner eigenthümlichen Natur und in seiner höchsten Vollendung muß betrachtet haben. Denn im Universum kann es nur etwas sein durch die Totalität seiner Wirkungen und Verbindungen; auf diese kommt alles an, und um ihrer inne zu werden, muß j man eine Sache nicht von einem Punkt außer ihr, sondern von ihrem eignen Mittelpunkt aus und von allen Seiten in Beziehung auf ihn betrachtet haben, das heißt, in ihrem abgesonderten Dasein, in ihrem eignen Wesen. N u r einen Gesichtspunkt zu wißen für Alles, ist grade das Gegentheil von dem Alle zu haben für jedes, es ist der W e g , sich in grader Richtung vom Universum zu entfernen, und in die jämmerlichste Beschränkung ver-

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Über die Religion

sunken, ein wahrer glebae adscriptus des Fleks zu werden, auf dem man eben von Ohngefähr stehe. — Es giebt in dem Verhältniß des Menschen zu dieser Welt gewiße Ubergänge ins Unendliche, durchgehauene Aussichten, vor denen jeder vorübergeführt wird, damit sein Sinn den W e g finde zum Universum, und bei deren Anblik Gefühle erregt werden, die zwar nicht unmittelbar Religion sind, aber doch, daß ich so sage, ein Schematismus derselben. Auch diese Aussichten verstopfen sie weislich, und stellen in die Ö f f n u n g so irgend etwas, womit man sonst einen unansehnlichen Plaz verdekt, ein schlechtes Bild, eine philosophische Karikatur; und wenn ihnen, wie es doch bisweilen geschieht, damit auch an ihnen die Allgewalt des Universums offenbar werde, irgend ein Strahl zwischendurch in die I Augen fällt, und ihre Seele sich einer schwachen Regung von jenen Empfindungen nicht erwehren kann, so ist das Unendliche nicht das Ziel, dem sie zufliegt, um daran zu ruhen, sondern wie das Merkzeichen am E n de einer Rennbahn nur der Punkt, um welchen sie sich, ohne ihn zu berühren, mit der größten Schnelligkeit herumbewegt, um nur je eher je lieber auf ihren alten Plaz zurükkehren zu können. G e b o r e n werden und sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eignes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist, und die allemal eine stille Sehnsucht und eine heilige Ehrfurcht erregen; das Unermeßliche der sinnlichen Anschauung ist doch auch eine Hindeutung wenigstens auf eine andere und höhere Unendlichkeit: aber ihnen wäre eben nichts lieber, als wenn man den größten Durchmeßer des Weltsystems auch brauchen könnte zu Maaß und Gewicht im gemeinen Leben, wie jezt den größten Kreis der Erde, und wenn die Anschauung von Leben und T o d sie einmal ergreift, wie viel sie auch dabei sprechen mögen von Religion, glaubt mir, es liegt ihnen nichts so am H e r z e n , als bei jeder Gelegenheit dieser Art unter den jungen Leuten einige zu gewinnen für den Hufeland. Gestraft sind sie freilich genug; denn | da sie auf keinem höheren Standpunkt stehen, um wenigstens diese Lebensweisheit, an der sie hängen, nach Prinzipien selbst zu machen, so bewegen sie sich sklavisch und ehrerbietig in alten Formen oder ergözen sich an kleinlichen Verbeßerungen, das ist das Extrem des Nüzlichen, zu dem das Zeitalter mit raschen Schritten hingeeilt ist, von der unnüzen scholastischen Wortweisheit, eine neue Barbarei als ein würdiges

24 f Das Meter-Längenmaß wurde am 7. April 179S in Frankreich als der vierzigmillionste Teil des Längenkreises der Erde, der durch die Pariser Sternwarte verläuft, gesetzlich eingeführt. 1799 wurde ein Endmaßstab aus Platin, der das Meter darstellt (sog. Urmeter), im französischen Staatsarchiv hinterlegt. 28 Der berühmte Arzt Christoph Wilhelm Hufeland veröffentlichte die vielgelesene Schrift „Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" (2. Aufl., 2 Bde, Jena 1798) als wissenschaftliche Darstellung der von ihm entwickelten „Macrobiotic".

Dritte Rede

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Gegenstiik der alten, das ist die schöne Frucht der väterlichen eudämonistischen Politik, die die Stelle des rohen Despotismus eingenommen hat. Wir alle sind dabei hergekommen und im frühen Keim hat die Anlage zur Religion gelitten, daß sie nicht gleichen Schritt halten kann in ihrer Entwikelung mit den übrigen. Diese Menschen — Euch mit denen ich rede, kann ich sie gar nicht beigesellen, denn sie verachten die Religion nicht, obgleich sie sie vernichten, und sie sind auch nicht Gebildete zu nennen, obwol sie das Zeitalter bilden, und die Menschen aufklären, und dies gern thun möchten bis zur leidigen Durchsichtigkeit — diese sind immer noch der herrschende Theil, Ihr und wir ein kleines Häufchen. G a n z e Städte und Länder werden nach ihren Grundsäzen erzogen, und wenn die Erziehung überstanden ist, findet man | sie wieder in der Gesellschaft, in den Wißenschaften und in der Philosophie: ja auch in dieser, denn nicht nur die alte - man theilt jezt, wie Euch bekannt sein wird, die Philosophie mit viel historischem Geist nur in die alte, neue und neueste — ist ihr eigentlicher W o h n s i z , sondern selbst die neue haben sie in Besiz genommen. Durch ihren mächtigen Einfluß auf jedes weltliche Intereße und durch den falschen Schein von Philanthropie, womit sie auch die gesellige Neigung blendet, hält diese D e n kungsart noch immer die Religion im D r u k und widerstrebt jeder Bewegung, durch welche sie irgendwo ihr Leben offenbaren will, mit voller Kraft. N u r bei dem stärksten Oppositionsgeist gegen diese allgemeine T e n denz kann sich also jezt die Religion emporarbeiten, und nie in einer andern Gestalt erscheinen, als in der, welche Jenen am meisten zuwider sein muß. D e n n so wie Alles dem Gesez der Verwandschaft folgt, so kann auch der Sinn nur da die Oberhand gewinnen, wo er einen Gegenstand in Besiz genommen hat, an dem das ihm feindselige Verstehen nur lose hängt, und den er also sich am leichtesten und mit einem Übermaaß freier Kraft zueignen kann. Dieser Gegenstand aber ist die innere Welt, nicht die äußere: die erklärende Psychologie, dieses Meisterstük jener Art des Verstandes, hat | zuerst, nachdem sie sich durch Unmäßigkeit erschöpft und fast ehrlos gemacht hat, der Anschauung wieder das Feld geräumt. W e r also ein religiöser Mensch ist, der ist gewiß in sich gekehrt mit seinem Sinn, in der A n schauung seiner selbst begriffen, und alles Äußere, das Intellectuelle sowol als das physische für jezt noch den Verständigen überlaßend zum großen Ziel ihrer Untersuchungen. Eben so finden nach demselben Gesez diejenigen am leichtesten den Ubergang zum Unendlichen, die von dem Centraipunkt aller Gegner des Universums durch ihre Natur am weitesten abgetrieben werden. Daher kommt es denn, daß seit langem her alle wahrhaft

1 f eudämonistischen] undämonistischen ; DV schreibt versehentlich: eudömonißischen l[ies] undämonistischen 5 Diese] Diesen 9 diese] Diese 17f Philanthropie] Philantropie 30 Unmäßigkeit] Ünmäßigkeit 34 überlaßend] so DV; OD: überlaßen

126

[258]

Über die Religion

religiösen G e m ü t h e r sich d u r c h einen m y s t i s c h e n A n s t r i c h

auszeichnen,

und d a ß alle fantastischen N a t u r e n , die sich m i t d e m R e a l e n der w e l t l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n n i c h t b e f a ß e n m ö g e n , A n f ä l l e v o n R e l i g i o n h a b e n : dies ist der C h a r a k t e r aller religiösen P h ä n o m e n e u n s e r e r Z e i t , dies sind die beiden F a r b e n , aus denen sie i m m e r , w e n n gleich in den v e r s c h i e d e n s t e n M i s c h u n gen, z u s a m m e n g e s e z t sind. P h ä n o m e n e sage i c h , denn m e h r ist n i c h t zu e r w a r t e n in dieser L a g e d e r D i n g e . D e n fantastischen N a t u r e n g e b r i c h t es an d u r c h d r i n g e n d e m G e i s t , an F ä h i g k e i t sich des W e s e n t l i c h e n zu b e m ä c h tigen. I E i n leichtes a b w e c h s e l n d e s Spiel v o n s c h ö n e n , oft e n t z ü k e n d e n , a b e r i m m e r n u r zufälligen und ganz s u b j e k t i v e n C o m b i n a t i o n e n genügt ihnen und ist ihr H ö c h s t e s ; ein tiefer und i n n e r e r Z u s a m m e n h a n g bietet sich ihren A u g e n vergeblich dar. Sie suchen eigentlich n u r die U n e n d l i c h k e i t und A l l g e m e i n h e i t des reizenden S c h e i n e s — die weit w e n i g e r o d e r auch weit m e h r ist, als w o h i n der Sinn w i r k l i c h r e i c h t — an den sie g e w o h n t sind sich zu halten, und d a h e r bleiben alle ihre A n s i c h t e n a b g e r i ß e n und f l ü c h tig. B a l d e n t z ü n d e t sich ihr G e m ü t h , a b e r n u r mit einer unstäten gleichsam leichtfertigen F l a m m e : sie h a b e n n u r A n f ä l l e v o n R e l i g i o n , wie sie sie h a b e n v o n K u n s t , v o n P h i l o s o p h i e und allem G r o ß e n und S c h ö n e n , d e ß e n O b e r fläche sie einmal an sich zieht. D e n j e n i g e n dagegen zu deren i n n e r e m W e sen die R e l i g i o n g e h ö r t , deren Sinn a b e r i m m e r in sich g e k e h r t b l e i b t , weil er sich eines M e h r e r e n in der gegenwärtigen L a g e der W e l t n i c h t zu b e m ä c h t i g e n w e i ß , g e b r i c h t es zu bald an S t o f f u m V i r t u o s e n o d e r H e l d e n der R e l i g i o n zu w e r d e n . E s giebt eine g r o ß e kräftige M y s t i k , die auch der frivolste M e n s c h nicht o h n e E h r e r b i e t u n g und A n d a c h t b e t r a c h t e n k a n n , und die d e m V e r n ü n f t i g s t e n B e w u n d e r u n g a b n ö t h i g e t d u r c h ihre h e r o i s c h e E i n falt und ihre | s t o l z e W e l t v e r a c h t u n g . N i c h t eben gesättigt und ü b e r s c h ü t t e t von äußern A n s c h a u u n g e n des U n i v e r s u m s , aber v o n j e d e r einzelnen d u r c h einen g e h e i m n i ß v o l l e n Z u g i m m e r w i e d e r z u r ü k g e t r i e b e n auf sich selbst und sich findend als den G r u n d r i ß und S c h l ü ß e l des G a n z e n , durch eine g r o ß e A n a l o g i e und einen k ü h n e n G l a u b e n ü b e r z e u g t , daß es n i c h t n ö t h i g sei, sich selbst zu v e r l a ß e n , s o n d e r n daß der G e i s t genug h a b e an sich, um auch alles d e ß e n , was ihm das Ä u ß e r e geben k ö n n t e , inne zu w e r d e n ; so verschließt er d u r c h einen freien E n t s c h l u ß die A u g e n auf i m m e r gegen A l les, was nicht E r ist: aber diese V e r a c h t u n g ist keine U n b e k a n n t s c h a f t , dieses V e r s c h l i e ß e n des Sinnes ist kein U n v e r m ö g e n . S o aber ist es m i t den U n s r i g e n : sie haben nichts sehen gelernt a u ß e r sich, weil ihnen alles n u r in der s c h l e c h t e n M a n i e r der gemeinen E r k e n n t n i ß m e h r v o r g e z e i c h n e t , als gezeigt w o r d e n ist, sie h a b e n nun w e d e r Sinn n o c h L i c h t genug übrig von ihrer S e l b s t b e s c h a u u n g , um diese alte F i n s t e r n i ß zu d u r c h d r i n g e n , und z ü r nend mit dem Zeitalter, dem sie V o r w ü r f e zu m a c h e n h a b e n , m ö g e n sie gar

3 6 n i c h t s ] so DV;

OD:

nicht

Dritte

Rede

[259]

127

n i c h t mit d e m z u schaffen h a b e n , was sein W e r k in ihnen ist. D a r u m ist das U n i v e r s u m in ihnen ungebildet und dürftig, sie h a b e n z u w e n i g a n z u s c h a u en, und allein wie sie | sind m i t i h r e m S i n n , g e z w u n g e n sich in einem allzuengen K r e i s e ewig u m h e r zu b e w e g e n , erstirbt ihr religiöser Sinn nach ein e m k r ä n k l i c h e n L e b e n aus M a n g e l an R e i z an i n d i r e k t e r S c h w ä c h e . F ü r die, deren Sinn fürs U n i v e r s u m bei g r ö ß e r e r K r a f t a b e r eben so w e n i g e r B i l d u n g sich k ü h n nach außen w a n d e r n d auch d o r t m e h r und neuen S t o f f s u c h t , giebt es ein anderes E n d e , das ihr M i ß v e r h ä l t n i ß gegen die Zeit n u r z u deutlich o f f e n b a r t , einen s t h e n i s c h e n T o d , also w e n n I h r w o l l t , eine E u thanasie, aber eine f u r c h t b a r e — den S e l b s t m o r d des G e i s t e s , d e r nicht vers t e h e n d die W e l t zu f a ß e n , deren inneres W e s e n , deren g r o ß e r Sinn ihm f r e m d b l i e b unter den kleinlichen A n s i c h t e n seiner E r z i e h u n g , getäuscht v o n v e r w i r r t e n E r s c h e i n u n g e n , h i n g e g e b e n zügellosen F a n t a s i e n , s u c h e n d das U n i v e r s u m und seine S p u r e n , da w o es n i m m e r w a r , endlich unwillig den Z u s a m m e n h a n g des I n n e r n und Ä u ß e r n gänzlich z e r r e i ß t , den o h n m ä c h t i g e n V e r s t a n d v e r j a g t , und in einem heiligen W a h n s i n n endet, d e ß e n Q u e l l e fast N i e m a n d e r k e n n t , ein laut schreiendes und d o c h n i c h t verstandnes O p f e r der allgemeinen V e r a c h t u n g und M i ß h a n d l u n g des I n n e r s t e n im M e n s c h e n . A b e r d o c h n u r ein O p f e r , kein H e l d : w e r u n t e r g e h t , g e m e i n i g lich in der lezten Prü-|fung, k a n n nicht u n t e r die gezählt w e r d e n , w e l c h e die i n n e r s t e n M y s t e r i e n e m p f a n g e n h a b e n . — D i e s e K l a g e , daß es k e i n e b e ständige u n d v o r der ganzen W e l t a n e r k a n n t e R e p r ä s e n t a n t e n der R e l i g i o n u n t e r uns g i e b t , soll d e n n o c h n i c h t z u r ü k n e h m e n , was ich f r ü h e r , w o l w i ß e n d , was ich sagte, b e h a u p t e t h a b e , daß auch unser Z e i t a l t e r der R e l i g i o n n i c h t u n g ü n s t i g e r sei, als jedes andre. G e w i ß , die M a ß e derselben in der W e l t ist n i c h t verringert, aber z e r s t ü k e l t und zu weit a u s e i n a n d e r g e t r i e b e n ; durch einen gewaltigen D r u k o f f e n b a r t sie sich n u r in kleinen und leichten aber vielen E r s c h e i n u n g e n , die m e h r die M a n n i g f a l t i g k e i t des G a n z e n e r h ö h e n , und das A u g e des B e o b a c h t e r s e r g ö z e n , als d a ß sie für sich einen g r o ßen u n d e r h a b n e n E i n d r u k m a c h e n k ö n n t e n . D i e U b e r z e u g u n g , d a ß es V i e l e g i e b t , die den frischesten D u f t des j u n g e n L e b e n s in heiliger S e h n sucht und L i e b e z u m E w i g e n und U n v e r g ä n g l i c h e n a u s a t h m e n , und spät erst, vielleicht nie ganz von der W e l t ü b e r w u n d e n w e r d e n , daß es keinen g i e b t , d e m n i c h t einmal w e n i g s t e n s der h o h e W e l t g e i s t erschienen w ä r e , und d e m b e s c h ä m t e n ü b e r sich selbst, dem e r r ö t h e n d e n ü b e r seine u n w ü r dige B e s c h r ä n k u n g einen von jenen tiefdringenden B l i k e n z u g e w o r f e n hätte, die das n i e d e r g e s e n k t e Au-|ge f ü h l t , o h n e sie zu s e h e n ; — hier stehe sie n o c h e i n m a l , und das B e w u ß t s e i n eines J e d e n u n t e r E u c h m ö g e sie r i c h t e n .

16 endet] so DV; OD: redet

4 f Vgl. Gedanken

I, Nr. 112a

3 5 f unwürdige] unwürdigen

23 f S.o.

190,26-31

128

Über die Religion

[260]

N u r an Heroen der Religion, an heiligen Seelen wie man sie ehedem sah, denen sie Alles ist, und die ganz von ihr durchdrungen sind, fehlt es diesem Geschlecht, und muß es ihm fehlen. Und so oft ich darüber nachdenke was geschehen, und welche Richtung unsere Bildung nehmen muß, wenn religiöse Menschen in einem höhern Styl wieder als seltene zwar, aber doch natürliche Produkte ihrer Zeit erscheinen sollen, so finde ich, daß Ihr durch Euer ganzes Streben — ob mit Eurem Bewußtsein mögt Ihr selbst entscheiden — einer Palingenesie der Religion nicht wenig zu Hülfe kommt, und daß theils Euer allgemeines Wirken, theils die Bestrebungen eines engeren Kreises, theils die erhabenen Ideen einiger außerordentlicher Geister im Gange der Menschheit benuzt werden zu diesem Endzwek. Der Umfang und die Wahrheit der Anschauung hängt ab von der Schärfe und Weite des Sinnes, und der Weiseste ohne Sinn ist der Religion nicht näher als der Thörichtste der einen richtigen Blik hat. Alles also muß davon anheben, daß der Sklaverei ein Ende gemacht werde, worin der Sinn der Menschen gehalten | wird zum Behuf jener Verstandesübungen durch die nichts geübt wird, jener Erklärungen die nichts hell machen, jener Zerlegungen die nichts auflösen; und dies ist ein Zwek auf den Ihr Alle mit vereinten Kräften bald hinarbeiten werdet. Es ist mit den Verbeßerungen der Erziehung gegangen wie mit allen Revoluzionen die nicht aus den höchsten Prinzipien angefangen wurden; sie gleiten almählich wieder zurük in den alten Gang der Dinge und nur einige Veränderungen im Äußern erhalten das Andenken der Anfangs für Wunder wie groß gehaltenen Begebenheit: die verständige und praktische Erziehung unterscheidet sich nur noch wenig — und dies Wenige liegt weder im Geist noch in der Wirkung — von der alten mechanischen. Dies ist Euch nicht entgangen, sie ist Euch größtentheils schon eben so verhaßt und eine reinere Idee verbreitet sich von der Heiligkeit des kindlichen Alters und von der Ewigkeit der unverlezlichen Wilkühr, auf deren Äußerungen man auch bei den werdenden Menschen schon warten und lauschen müße. Bald werden diese Schranken gebrochen werden, die anschauende Kraft wird von ihrem ganzen Reiche Besiz nehmen, jedes Organ wird sich aufthun und die Gegenstände werden sich auf alle Weise mit dem Menschen | in Berührung sezen können. Mit dieser unbegränzten Freiheit des Sinnes kann aber sehr wohl bestehen eine Beschränkung und feste Richtung der Thätigkeit. Dies ist die große Forderung mit welcher die Beßern unter Euch jezt hervortreten an die Zeitgenoßen und an die Nachwelt. Ihr seid müde das fruchtlose encyklopädische Herumfahren mit anzusehen, Ihr seid selbst nur auf dem Wege dieser Selbstbeschränkung das geworden was Ihr seid, und Ihr wißt, daß es keinen andern giebt um sich zu bilden; Ihr dringt also darauf, Jeder solle etwas

18 auflösen] anflösen

18 Ihr] ihr

39 Ihr] ihr

39 Ihr] ihr

Dritte Rede

[261]

129

bestimmtes zu werden suchen und solle irgend etwas mit Stätigkeit und ganzer Seele betreiben. N i e m a n d kann die Wahrheit dieses Raths beßer einsehen als der welcher schon zu jener Allgemeinheit des Sinnes heran gereift ist, denn er m u ß wißen daß es keine Gegenstände geben würde, wenn nicht alles gesondert und beschränkt wäre. U n d so freue auch ich mich dieser B e m ü h u n g e n , und wollte sie wären schon weiter gediehen. D e r Religion werden sie treflich zu N u z e k o m m e n . D e n n grade diese Beschränkung der Kraft, wenn nur der Sinn nicht mit beschränkt wird, bahnt ihm desto sicherer den W e g zum Unendlichen und eröfnet wieder die so lange gesperrte Gemeinschaft. W e r vieles angeschaut hat und | kennt, und sich dann entschließen kann etwas Einzelnes mit ganzer Kraft und um sein selbst willen zu thun und zu fördern, der kann doch nicht anders als auch das übrige Einzelne für etwas zu erkennen, was um sein selbst willen gemacht werden und da sein soll, weil er sonst sich selbst widersprechen würde, und wenn er dann was er wählte so hoch getrieben hat als er kann, so wird es ihm grade auf dem Gipfel der Vollendung am wenigsten entgehen, daß es eben nichts ist o h n e das Ü b r i g e . Dieses einem sinnigen Menschen sich überall aufdringende Anerkennen des Fremden und Vernichten des Eigenen, dieses zu gleicher Zeit geforderte Lieben und Verachten alles Endlichen und B e schränkten ist nicht möglich ohne eine dunkle Ahndung des Universums und m u ß nothwendig eine lautere und bestimmtere Sehnsucht nach dem U n e n d l i c h e n , nach dem Einen in Allem herbeiführen. Drei verschiedne Richtungen des Sinnes kennt jeder aus seinem eignen Bewußtsein, die eine nach innen zu auf das Ich selbst, die andre nach außen auf das U n b e s t i m m t e der Weltanschauung, und eine dritte die beides verbindet, indem der Sinn in ein stetes hin und her Schweben zwischen beiden versezt nur in der unbedingten A n n a h m e ihrer innigsten Vereinigung Ruhe findet; dies | ist die R i c h t u n g auf das in sich Vollendete, auf die Kunst und ihre W e r k e . N u r Eine unter ihnen kann die herrschende T e n d e n z eines Menschen sein, aber von J e d e r aus giebt es einen W e g zur Religion und sie nimmt eine eigenthümliche Gestalt an nach der Verschiedenheit des Weges auf welchem sie gefunden worden ist. — Schaut Euch selbst an mit unverwandter Anstrengung, sondert alles ab, was nicht Euer Ich ist, fahrt so immer fort mit immer geschärfterem Sinn, und je mehr Ihr Euch selbst verschwindet, desto klarer wird das Universum vor Euch dastehn, desto herrlicher werdet Ihr belohnt werden für den Schrek der Selbstvernichtung durch das Gefühl des Unendlichen in E u c h . Schaut außer Euch auf irgend einen T h e i l , auf irgend ein Element der Welt und faßt es auf in seinem ganzen W e s e n , aber sucht auch alles zusammen was es ist, nicht nur in sich, sondern in E u c h , in diesem und jenem und überall, wiederholt euren W e g vom U m k r e i s e zum

16 V o l l e n d u n g ] V o M e n d u n g

19 g l e i c h e r ] so DV,

OD:

gelegner

22 E i n e n ] E i n e m

130

5

10

15

20

25

30

35

40

[262]

Über die Religion

Mittelpunkte immer öfter und in weitern Entfernungen: Das Endliche werdet Ihr bald verlieren und das Universum gefunden haben. Ich wünschte wenn es nicht frevelhaft wäre, über sich hinaus zu wünschen, daß ich eben so klar anschauen könnte, wie der Kunst-|sinn für sich allein übergeht in 167 Religion, wie troz der Ruhe in welche das Gemüth durch jeden einzelnen G e n u ß versenkt wird, es sich dennoch getrieben fühlt die Fortschreitungen zu machen die es zum Universum führen können. W a r u m sind die, welche dieses Weges gegangen sein mögen, so schweigsame Naturen? Ich kenne ihn nicht, das ist meine schärfste Beschränkung, es ist die Lükke, die ich tief fühle in meinem Wesen, aber auch mit Achtung behandle. Ich bescheide mich nicht zu sehen, aber ich — glaube; die Möglichkeit der Sache steht klar vor meinen Augen, nur daß sie mir ein Geheimniß bleiben soll. J a , wenn es wahr ist daß es schnelle Bekehrungen giebt, Veranlaßungen durch welche dem Menschen, der an nichts weniger dachte als sich über das Endliche zu erheben, in einem M o m e n t wie durch eine innere unmittelbare Erleuchtung der Sinn fürs Universum aufgeht, und es ihn überfällt mit seiner Herrlichkeit; so glaube ich, daß mehr als irgend etwas anders der Anblik großer und erhabner Kunstwerke dieses Wunder verrichten kann; nur daß ich es nie faßen werde: doch ist dieser Glaube mehr auf die Zukunft gerichtet als auf die Vergangenheit oder die Gegenwart. Auf dem Wege der abgezogensten Selbstbeschauung das | Universum zu finden war das Geschäft des uralten 168 morgenländischen Mysticismus, der mit bewundernswerther Kühnheit das unendlich G r o ß e unmittelbar anknüpfte an das unendlich Kleine, und alles fand dicht an der Gränze des Nichts. V o n der Weltanschauung weis ich, ging jede Religion aus, deren Schematismus der Himmel war oder die organische Natur, und das vielgöttrige Egypten war lange die vollkommenste Pflegerinn dieser Sinnesart, in welcher — es läßt sich wenigstens ahnden — die reinste Anschauung des ursprünglichen Unendlichen und Lebendigen in demüthiger Duldsamkeit dicht neben der finstersten Superstizion und der sinnlosesten Mythologie mag gewandelt haben; von einer Kunstreligion, die Völker und Zeitalter beherrscht hatte, habe ich nie etwas vernommen. N u r das weis ich daß sich der Kunstsinn nie jenen beiden Arten der Religion genähert hat, ohne sie mit neuer Schönheit und Heiligkeit zu überschütten und ihre ursprüngliche Beschränktheit freundlich zu mildern. So wurde durch die älteren Weisen und Dichter der Griechen die Naturreligion in eine schönere und fröhlichere Gestalt umgewandelt und so erhob ihr göttlicher Plato die heiligste Mystik auf den höchsten Gipfel der G ö t t lichkeit und der Mensch-|lichkeit. Laßt mich huldigen der mir unbekannten 169 G ö t t i n , daß sie ihn und seine Religion so sorgsam und uneigennüzig gepflegt hat. D i e schönste Selbstvergeßenheit bewundre ich in Allem was er in

2 gefunden] gefnnden

35 älteren] ältere

Dritte

Rede

[263]

131

heiligem Eifer gegen sie sagt, wie ein gerechter König der auch der zu weichherzigen Mutter nicht schont, denn alles galt nur dem freiwilligen Dienst den sie der unvolkommenen Naturreligion leistete. J e z t dient sie keiner, und Alles ist anders und schlechter. Religion und Kunst stehen nebeneinander wie zwei befreundete Seelen deren innere Verwandschaft, ob sie sie gleich ahnden, ihnen doch noch unbekannt ist. Freundliche W o r t e und Ergießungen des Herzens schweben ihnen immer auf den Lippen und kehren immer wieder zuriik weil sie die rechte Art und den lezten Grund ihres Sinnens und Sehnens noch nicht finden können. Sie harren einer näheren Offenbarung und unter gleichem D r u k leidend und seufzend sehen sie einander dulden, mit inniger Zuneigung und tiefem Gefühl vielleicht, aber doch ohne Liebe. Soll nur dieser gemeinschaftliche D r u k den glüklichen M o m e n t ihrer Vereinigung herbeiführen? oder werdet Ihr bald einen großen Streich ausführen für die Eine, die Euch so werth ist, so wird sie gewis eilen wenigstens mit schwesterlicher Treue | sich der andern anzunehmen. — A b e r für jezt entbehren nicht nur beide Arten der Religion der Hülfe der Kunst, auch an sich ist ihr Zustand übler als sonst. G r o ß und prächtig strömten beide Quellen der Anschauung des Unendlichen zu einer Zeit wo wißenschaftliches Klügeln ohne wahre Prinzipien durch seine Gemeinheit der Reinigkeit des Sinnes noch nicht Abbruch that, obschon keine für sich reich genug war um das Höchste hervorzubringen; jezt sind sie außerdem getrübt durch den Verlust der Einfalt und durch den verderblichen Einfluß einer eingebildeten und falschen Einsicht. W i e reinigt man sie? wie schaft man ihnen Kraft und Fülle genug um zu mehr als ephemeren Produkten den Erdboden zu befruchten? Sie zusammenzuleiten und in einem Bett zu vereinigen, das ist das Einzige was die Religion, auf dem Wege den wir gehen, zur Vollendung bringen kann, das wäre eine Begebenheit aus deren Schoos sie bald in einer neuen und herrlichen Gestalt beßern Zeiten entgegen gehen würde. Sehet da, das Ziel Euerer gegenwärtigen höchsten Anstrengungen ist zugleich die Auferstehung der Religion! Eure Bemühungen sind es welche diese Begebenheit herbeiführen müßen, und ich feire Euch als die, wenn gleich unabsichtliche Ret-|ter und Pfleger der Religion. Weichet nicht von Eurem Posten und Eurem W e r k e bis Ihr das Innerste der Erkenntnis aufgeschloßen und in priesterlicher Demuth das Heiligthum der wahren Wißenschaft eröfnet habt, wo Allen welche hinzutreten, und auch den Söhnen der Religion Alles ersezt wird, was ein halbes Wißen und ein übermüthiges Pochen darauf verlieren machte. Die Moral in ihrer züchtigen himmlischen Schönheit fern von Eifersucht und despotischem Dünkel wird ihnen selbst beim Eingang die himmlische Leier und den magischen

7 Anspielung auf die von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck anonym veröffentlichte Schrift „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" (Berlin 1797)

132

[264]

Über die Religion

Spiegel reichen um ihr ernstes stilles Bilden mit göttlichen T ö n e n zu begleiten, und es in unzähligen Gestalten immer daßelbe durch die ganze U n e n d lichkeit zu erbliken. D i e Philosophie den Menschen erhebend zum Begrif seiner Wechselwirkung mit der Welt, ihn sich kennen lehrend nicht nur als Geschöpf, sondern als Schöpfer zugleich, wird nicht länger leiden, daß unter ihren Augen der seines Zweks verfehlend arm und dürftig verschmachte, welcher das Auge seines Geistes standhaft in sich gekehrt hält dort das Universum zu suchen. Eihgerißen ist die ängstliche Scheidewand, alles außer ihm ist nur ein andres in ihm, alles ist der Widerschein seines Geistes, so wie sein Geist der Abdruk von Al-|lem ist; er darf sich suchen in diesem Widerschein ohne sich zu verlieren oder aus sich heraus zu gehn, er kann sich nie erschöpfen im Anschauen seiner selbst, denn Alles liegt in ihm. D i e Physik stellt den, welcher um sich schaut um das Universum zu erbliken mit kühnen Schritten in den Mittelpunkt der Natur, und leidet nicht länger daß er sich fruchtlos zerstreue und bei einzelnen kleinen Zügen verweile. E r verfolgt nur das Spiel ihrer Kräfte bis in ihr geheimstes Gebiet von den unzugänglichen Vorrathskammern des beweglichen Stöfs bis in die künstliche Werkstätte des organischen Lebens, er ermißt ihre Macht von den Gränzen des Welten gebärenden Raumes bis in den Mittelpunkt seines eignen Ichs und findet sich überall mit ihr im ewigen Streit in unzertrennlichster Vereinigung, sich ihr innerstes Centrum und ihre äußerste Gränze. D e r Schein ist geflohen und das Wesen errungen; fest ist sein Blik und hell seine Aussicht überall unter allen Verkleidungen daßelbe erkennend und nirgends ruhend als in dem Unendlichen und Einen. Schon sehe ich einige bedeutende Gestalten eingeweiht in diese Geheimniße aus dem Heiligthum zurükkehren, die sich nur noch reinigen und schmüken um im priesterlichen Gewände hervorzugehen. Möge | denn auch die eine Göttin noch lange säumen mit ihrer hülfreichen Erscheinung, auch dafür bringt uns die Zeit einen großen und reichen Ersaz. Das größte Kunstwerk ist das, deßen Stof die Menschheit ist welches das Universum unmittelbar bildet und für dieses m u ß Vielen der Sinn bald auf gehn. Denn es bildet jezt eben mit kühner und kräftiger Kunst, und Ihr werdet die N e o koren sein, wenn die neuen Gebilde aufgestellt sind im Tempel der Zeit. Leget den Künstler aus mit Kraft und Geist, erklärt aus den frühern Werken die spätem, und diese aus jenen. Laßt uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umschlingen, eine endlose Gallerie der erhabensten Kunstwerke durch tausend glänzende Spiegel

8 zu suchen] in suchen

20 Streit] Kj Streit und

35—1 Anspielung auf Friedrich Schlegels berühmtes Athenaeums-Fragment (Nr. 116) zur romantischen Poesie: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen, und die Poesie mit der Philosophie, und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will, und soll auch

Dritte Rede

[265]

133

ewig vervielfältigt. L a ß t die G e s c h i c h t e , wie es derjenigen ziemt, der W e l ten zu G e b o t e stehn, mit reicher Dankbarkeit der Religion lohnen als ihrer ersten Pflegerinn, und der ewigen M a c h t und Weisheit w a h r e und heilige A n b e t e r e r w e k e n . Seht wie das himmlische G e w ä c h s mitten in E u e r n Pflanzungen gedeiht o h n e E u e r Z u t h u n . Stört es nicht und rauft es nicht aus! E s ist ein Beweis v o m Wohlgefallen der G ö t t e r und v o n der Unvergänglichkeit Eueres Verdienstes, es ist ein Schmuk der es ziert, ein Talisman der es schiizt.

Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie, und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisiren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors beseelen. Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang. Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren, daß man glauben möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisiren, sey ihr Eins und Alles; und doch giebt es noch keine Form, die so dazu gemacht wäre, den Geist des Autors vollständig auszudrücken: so daß manche Künstler, die nur auch einen Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben. Nur sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frey von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder potenziren und wie in einer endlosen Reibe von Spiegeln vervielfachen. Sie ist der höchsten und der allseitigsten Bildung fähig; nicht bloß von innen heraus, sondern auch von außen hinein; indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten seyn soll, alle Theile ähnlich orgamsirt, wodurch ihr die Aussicht auf eine gränzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird. Die romantische Poesie ist unter den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang, Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet seyn kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine dwinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisiren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frey ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkühr des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch seyn." (Athenaeum 1/2,28-30; F. Schlegel: KA 2,182f)

Vierte

Rede.

U b e r d a s G e s e l l i g e in d e r R e l i g i o n oder über K i r c h e und P r i e s t e r t h u m .

Diejenigen unter E u c h , welche gewohnt sind die Religion nur als eine Krankheit des G e m ü t h s anzusehen, pflegen auch wohl die Idee zu unterhalten, daß sie ein leichter zu duldendes, ja vielleicht zu bezähmendes Ü b e l sei, so lange nur hie und da Einzelne abgesondert damit behaftet wären, daß aber die gemeine G e f a h r aufs höchste gestiegen und Alles verloren sei, sobald unter mehreren Unglüklichen dieser A r t eine allzunahe Gemeinschaft bestände. In jenem Falle k ö n n e man durch eine zwekmäßige Behandlung, gleichsam durch eine der E n t z ü n d u n g widerstehende Diät und durch gesunde Luft die Paroxismen schwächen, und den eigen-|thümlichen K r a n k heitsstoff, w o nicht völlig besiegen, doch bis zur Unschädlichkeit verdünnen; in diesem Falle aber m ü ß e man jede H o f n u n g zur Rettung aufgeben; weit verheerender werde das Ü b e l und von den gefährlichsten S y m p t o m e n begleitet, wenn die zu große N ä h e der Andern es bei jedem Einzelnen hegt und schärft; durch Wenige werde dann bald die ganze A t m o s p h ä r e vergiftet, auch die gesundesten K ö r p e r werden angestekt, alle Kanäle, in denen der P r o z e ß des Lebens vor sich gehen soll, zerstört, alle Säfte aufgelöset, und von dem gleichen fieberhaften Wahnsinn ergriffen, sei es um ganze G e nerazionen und V ö l k e r unwiderbringlich gethan. D a h e r ist E u e r Widerwille gegen die K i r c h e , gegen jede Veranstaltung, bei der es auf Mittheilung der Religion angesehen ist, i m m e r noch größer als der gegen die Religion selbst, daher sind E u c h die Priester, als die Stüzen und die eigentlich thätigen Mitglieder solcher Anstalten die Verhaßtesten unter den M e n s c h e n . A b e r auch diejenigen unter E u c h , welche von der Religion eine etwas gelindere Meinung haben, und sie m e h r für eine Sonderbarkeit als eine Zerrüttung des G e m ü t h s , mehr für eine unbedeutende als gefährliche Erscheinung halten, haben von allen geselligen Einrichtungen für ¡ dieselbe v o l l k o m m e n eben so nachtheilige Begriffe. K n e c h t i s c h e Aufopferung des Eigenthümlichen und Freien, geistloser Mechanismus und leere G e b r ä u c h e , dies meinen

Vierte

Rede

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sie seien die unzertrennlichen Folgen davon, und das kunstreiche Werk derer, die sich mit unglaublichem Erfolg große Verdienste machen aus D i n gen, die entweder Nichts sind, oder die Jeder andre gleich gut auszurichten im Stande wäre. Ich würde über den Gegenstand, der mir so wichtig ist, mein H e r z nur sehr unvollkommen gegen Euch ausgeschüttet haben, wenn ich mir nicht M ü h e gäbe Euch auch hierüber auf den richtigen Gesichtspunkt zu stellen. Wieviel von den verkehrten Bestrebungen und den traurigen Schiksalen der Menschheit ihr den Religionsvereinigungen Schuld gebt, habe ich nicht nöthig zu wiederholen, es liegt in tausend Äußerungen der Vielgeltendsten unter Euch zu T a g e ; noch will ich mich damit aufhalten diese Beschuldigungen einzeln zu widerlegen, und das Ü b e l auf andere U r sachen zurükzuwälzen: laßt uns vielmehr den ganzen Begrif einer neuen Betrachtung unterwerfen und ihn vom Mittelpunkt der Sache aus aufs neue erschaffen, unbekümmert um das, was bis jezt wirklich ist, und was die Erfahrung uns an die Hand giebt. j Ist die Religion einmal, so muß sie nothwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen. Ihr müßt gestehen, daß es etwas höchst widernatürliches ist, wenn der Mensch dasjenige, was er in sich erzeugt und ausgearbeitet hat, auch in sich verschließen will. In der beständigen, nicht nur praktischen, sondern auch intellektuellen Wechselwirkung, worin er mit den Übrigen seiner Gattung steht, soll er alles äußern und mittheilen, was in ihm ist, und je heftiger ihn etwas bewegt, je inniger es sein Wesen durchdringt, desto stärker wirkt auch der Trieb, die Kraft deßelben auch außer sich an Andern anzuschauen, um sich vor sich selbst zu legitimiren, daß ihm nichts als menschliches begegnet sei. Ihr seht daß hier gar nicht von jenem Bestreben die Rede ist, Andere uns ähnlich zu machen, noch von dem Glauben an die Unentbehrlichkeit dessen, was in uns ist für Alle; sondern nur davon, des Verhältnißes unserer besondern Ereigniße zur gemeinschaftlichen Natur inne zu werden. D e r eigentlichste Gegenstand aber für dieses Verlangen ist unstreitig dasjenige, wobei der Mensch sich ursprünglich als leidend fühlt, Anschauungen und Gefühle; da drängt es ihn zu wißen, | ob es keine fremde und unwürdige Gewalt sei, der er weichen muß. Darum sehen wir auch von Kindheit an den Menschen damit beschäftigt, vornemlich diese mitzutheilen: eher läßt er seine Begriffe, über deren Ursprung ihm ohnedies kein Bedenken entstehen kann, in sich ruhen; aber was zu seinen Sinnen eingeht, was seine Gefühle aufregt, darüber will er Zeugen, daran will er Theilnehmer haberi. Wie sollte er grade die Einwirkungen des Universums für sich behalten, die ihm als das größte und unwiderstehlichste erscheinen? Wie sollte er grade das in sich festhalten wollen, was ihn am stärksten aus sich heraustreibt, und ihm nichts so sehr einprägt als dieses, daß er sich selbst aus sich allein nicht erkennen kann? Sein erstes Bestreben ist es vielmehr, wenn eine religiöse Ansicht ihm klar geworden ist, oder ein frommes

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Über die

Religion

Gefühl seine Seele durchdringt, auf den Gegenstand auch Andre hinzuweisen und die Schwingungen seines Gemüths wo möglich auf sie fortzupflanzen. Wenn also von seiner Natur gedrungen der Religiöse nothwendig spricht, so ist es eben diese Natur die ihm auch Hörer verschafft. Bei keiner Art zu denken und zu empfinden hat der Mensch ein so lebhaftes Gefühl von seiner gänzlichen Unfähigkeit ihren | Gegenstand jemals zu erschöpfen, 179 als bei der Religion. Sein Sinn für sie ist nicht sobald aufgegangen, als er auch ihre Unendlichkeit und seine Schranken fühlt; er ist sich bewußt nur einen kleinen Theil von ihr zu umspannen, und was er nicht unmittelbar erreichen kann, will er wenigstens durch ein fremdes Medium wahrnehmen. Darum intereßirt ihn jede Äußerung derselben, und seine Ergänzung suchend, lauscht er auf jeden Ton den er für den ihrigen erkennt. So organisi« sich gegenseitige Mittheilung, so ist Reden und Hören Jedem gleich unentbehrlich. Aber religiöse Mittheilung ist nicht in Büchern zu suchen, wie etwa andere Begriffe und Erkenntniße. Zuviel geht verloren von dem ursprünglichen Eindruk in diesem Medium, worin alles verschlukt wird, was nicht in die einförmigen Zeichen paßt, in denen es wieder hervorgehen soll, wo Alles einer doppelten und dreifachen Darstellung bedürfte, indem das ursprünglich Darstellende wieder müßte dargestellt werden, und dennoch die Wirkung auf den ganzen Menschen in ihrer großen Einheit nur schlecht nachgezeichnet werden könnte durch vervielfältigte Reflexion; nur wenn sie verjagt ist aus der Gesellschaft der Lebendigen, muß sie ihr vielfaches Leben verbergen im tod-|ten Buchstaben. Auch kann dieses Verkehr mit 180 dem Innersten des Menschen nicht getrieben werden im gemeinen Gesprach. Viele, die voll guten Willens sind für die Religion, haben Euch das zum Vorwurf gemacht, warum doch von allen wichtigen Gegenständen unter Euch die Rede sei so im freundschaftlichen Umgange nur nicht von Gott und göttlichen Dingen. Ich möchte Euch darüber vertheidigen, daß daraus wenigstens weder Verachtung noch Gleichgültigkeit spreche, sondem ein glüklicher und sehr richtiger Instinkt. Wo Freude und Lachen auch wohnen, und der Ernst selbst sich nachgiebig paaren soll mit Scherz und Wiz, da kann kein Raum sein für dasjenige, was von heiliger Scheu und Ehrfurcht immerdar umgeben sein muß. Religiöse Ansichten, fromme Gefühle und ernste Reflexionen darüber kann man sich auch nicht so in kleinen Brosamen einander zuwerfen, wie die Materialien eines leichten Gesprächs: wo von so heiligen Gegenständen die Rede wäre, würde es mehr Frevel sein als Geschik, auf jede Frage sogleich eine Antwort bereit zu haben, und auf jede Ansprache eine Gegenrede. In dieser Manier eines leichten und schnellen Wechsels treffender Einfälle laßen sich göttliche Dinge nicht behan-|deln: in einem größern Styl muß die Mittheilung der 181

40 behan-|deln] behan-|delu

Vierte Rede

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Religion geschehen, und eine andere Art von Gesellschaft, die ihr eigen gewidmet ist, muß daraus entstehen. Es gebührt sich auf das höchste was die Sprache erreichen kann auch die ganze Fülle und Pracht der menschlichen Rede zu verwenden, nicht als ob es irgend einen Schmuk gäbe, deßen die Religion nicht entbehren könnte, sondern weil es unheilig und leichtsinnig wäre nicht zu zeigen, daß Alles zusammengenommen wird, um sie in angemeßener Kraft und Würde darzustellen. Darum ist es unmöglich Religion anders auszusprechen und mitzutheilen als rednerisch, in aller Anstrengung und Kunst der Sprache, und willig dazu nehmend den Dienst aller Künste, welche der flüchtigen und beweglichen Rede beistehen können. Darum öfnet sich auch nicht anders der Mund desjenigen, deßen Herz ihrer voll ist, als vor einer Versammlung wo mannigfaltig wirken kann, was so stattlich ausgerüstet hervortritt. Ich wollte ich könnte Euch ein Bild machen von dem reichen schwelgerischen Leben in dieser Stadt Gottes, wenn ihre Bürger zusammenkommen, jeder voll eigner Kraft, welche ausströmen will ins Freie, und voll heiliger Begierde alles aufzufaßen und sich anzueignen, | was die Andern ihm darbieten mögen. Wenn einer hervortritt vor den Übrigen ist es nicht ein Amt oder eine Verabredung die ihn berechtigt, nicht Stolz oder Dünkel, der ihm Anmaßung einflößt: es ist freie Regung des Geistes, Gefühl der herzlichsten Einigkeit Jedes mit Allen und der vollkommensten Gleichheit, gemeinschaftliche Vernichtung jedes Zuerst und Zulezt und aller irdischen Ordnung. Er tritt hervor um seine eigne Anschauung hinzustellen, als Objekt für die Übrigen, sie hinzuführen in die Gegend der Religion wo er einheimisch ist, und seine heiligen Gefühle ihnen einzuimpfen: er spricht das Universum aus, und im heiligen Schweigen folgt die Gemeine seiner begeisterten Rede. Es sei nun daß er ein verborgenes Wunder enthülle, oder in weißagender Zuversicht die Zukunft an die Gegenwart knüpfe, es sei daß er durch neue Beispiele alte Wahrnehmungen befestige oder daß seine feurige Fantasie in erhabenen Visionen ihn in andere Theile der Welt und eine andre Ordnung der Dinge entzüke: der geübte Sinn der Gemeine begleitet überall den seinigen, und wenn er zurükkehrt von seinen Wanderungen durchs Universum in sich selbst, so ist sein Herz und das eines Jeden nur der gemeinschaftliche Schauplaz deßelben | Gefühls. Dann entgegnet ihm das laute Bekenntniß von der Ubereinstimmung seiner Ansicht mit dem was in ihnen ist, und heilige Mysterien, nicht nur bedeutungsvolle Embleme, sondern recht angesehen natürliche Andeutungen eines bestimmten Bewußtseins und bestimmter Empfindungen — werden so erfunden und so gefeiert; gleichsam ein höheres Chor, das in einer eignen erhabenen Sprache der auffordernden Stimme antwortet. Aber nicht nur gleichsam: so wie eine solche Rede Musik ist auch ohne Gesang und T o n , so ist auch eine Musik unter den Heiligen, die zur Rede wird ohne Worte, zum bestimmtesten verständlichsten Ausdruk des Innersten. Die Muse der Harmonie, deren vertrautes Verhältniß zur Religion noch zu den

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Uber die Religion

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Mysterien gehört, hat von jeher die prächtigsten und vollendetsten W e r k e ihrer geweihtesten Schüler dieser auf ihren Altären dargebracht. In heiligen H y m n e n und C h ö r e n , denen die W o r t e der Dichter nur lose und luftig anhängen, wird ausgehaucht was die bestimmte Rede nicht mehr faßen kann, und so unterstüzen sich und wechseln die T ö n e des Gedankens und der Empfindung bis Alles gesättigt ist und voll des Heiligen und Unendlichen. Das ist die Einwirkung religiöser Men-|schen auf einander, das ihre natürliche und ewige Verbindung. Verarget es ihnen nicht, daß dies himmlische Band, das vollendetste Resultat der menschlichen Geselligkeit, zu welchem sie nur gelangen kann, wenn sie vom höchsten Standpunkt aus in ihrem innersten Wesen erkannt wird, ihnen mehr werth ist, als Euer irdisches politisches Band, welches doch nur ein erzwungenes, vergängliches, interimistisches Werk ist. — W o ist denn in dem Allen jener Gegensaz zwischen Priestern und Laien, den Ihr als die Quelle so vieler Ü b e l zu bezeichnen pflegt? Ein falscher Schein hat Euch geblendet: dies ist gar kein Unterschied zwischen Personen, sondern nur ein Unterschied des Zustandes und der Verrichtungen. Jeder ist Priester, indem er die Andern zu sich hinzieht auf das Feld, welches er sich besonders zugeeignet hat, und wo er sich als Virtuosen darstellen kann: jeder ist Laie, indem er der Kunst und Weisung eines Andern dahin folgt, w o er selbst Fremder ist in der Religion. Es giebt nicht jene tyrannische Aristokratie, die Ihr so gehäßig beschreibt: ein priesterliches V o l k ist diese Gesellschaft, eine vollkommne Republik, wo Jeder abwechselnd Führer und V o l k ist, jeder derselben Kraft im Andern folgt, die er auch in sich fühlt, und | womit auch E r die Andern regiert. — W o ist der Geist der Zwietracht und der Spaltungen, den Ihr als die unvermeidliche Folge aller Religionsvereinigungen anseht? Ich sehe nichts, als daß alles Eins ist, und daß Alle Unterschiede, die es in der Religion selbst wirklich giebt, eben durch die gesellige Verbindung sanft in einander fließen. Ich habe Euch selbst auf verschiedene Grade in der Religiosität aufmerksam gemacht, ich habe auf zwei verschiedene Sinnesarten hingedeutet und auf verschiedene Richtungen nach denen die Fantasie sich den höchsten Gegenstand der Religion individualisirt. Meint Ihr daraus müßten nothwendig Sekten entstehen, und es müßte die freie Geselligkeit in der Religion hindern? In der idealen Betrachtung gilt es wol, daß Alles was außer einander gesezt und unter verschiedene Abtheilungen befaßt ist sich auch entgegengesezt und widersprechend sein muß, macht Euch aber doch davon los, wenn Ihr das Reale selbst anschaut da fließt Alles in einander. Freilich werden diejenigen, die sich in einem dieser Punkte am ähnlichsten sind, sich

7 auf] anf

2 9 - 3 2 S.o.

244,18-245,24

Vierte Rede

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auch einander am stärksten anziehen, aber sie können deswegen kein abgesondertes G a n z e s ausmachen: denn die G r a d e dieser Verwandschaft nehmen unmerklich ab und zu, und | bei soviel Ubergängen giebt es auch zwischen den entferntesten Elementen kein absolutes A b s t o ß e n , keine gänzliche T r e n n u n g . N e h m t welche Ihr wollt von diesen M a ß e n , die sich einzeln chemisch bilden, wenn Ihr sie nicht durch irgend eine mechanische O p e r a tion gewaltsam isolirt, wird keine ein eignes Individuum sein: ihre äußersten Theile werden zugleich mit Andern zusammenhängen, die eigentlich schon einer andern M a ß e angehören. W e n n die sich näher verbinden, welche auf derselben niederen Stuffe stehn, so giebt es auch einige unter ihnen, die eine A h n d u n g des Beßeren haben, und J e d e r der wirklich höher gestellt ist versteht sie beßer, als sie sich selbst; er ist sich des Vereinigungspunktes b e w u ß t , der J e n e n verborgen ist. W e n n die sich an einander schließen, in denen die eine Sinnesart herrschend ist, so giebt es doch Einige, welche beide verstehen und beiden angehören, und der, in deßen N a t u r es liegt, das Universum zu personificiren, ist doch im Wesentlichen, im Stoff der Religion gar nicht von dem unterschieden, der dies nicht thut, und es wird nie an solchen fehlen, welche sich auch in die entgegengesezte F o r m mit L e i c h tigkeit hineindenken k ö n n e n . W e n n unbeschränkte Universalität des Sinnes die erste und ursprüngliche Bedingung | der Religion, und also wie natürlich auch ihre schönste und reifste F r u c h t ist, so seht Ihr wol es ist nicht anders möglich, je weiter Ihr fortschreitet in der Religion, desto mehr muß E u c h die ganze religiöse Welt als ein untheilbares G a n z e s erscheinen: nur in den niederen Gegenden kann vielleicht ein gewisser Absonderungstrieb wahrgenommen werden, die H ö c h s t e n und Gebildetsten sehen einen allgemeinen Verein, und eben dadurch daß sie ihn sehen, stiften sie ihn auch. Indem J e d e r nur mit dem Nächsten in Berührung steht, aber auch nach allen Seiten und Richtungen einen Nächsten hat, ist er in der T h a t mit dem G a n z e n unzertrennlich verknüpft. M y s t i k e r und Physiker in der Religion, Theisten und Pantheisten, die welche sich zur systematischen Ansicht des Universums erhoben haben, und die welche es nur noch in den Elementen oder im dunkeln C h a o s anschauen, Alle sollen dennoch nur Eins sein, Ein Band umschließt sie Alle, und sie können nur gewaltsam und willkührlich getrennt werden; jede einzelne Vereinigung ist nur ein fließender integrirender Theil des G a n z e n , in unbestimmten U m r i ß e n sich in daßelbe verlierend, und fühlt sich auch nur so. — W o ist die verschrieene wilde B e k e h rungssucht zu einzelnen bestimmten F o r m e n | der Religion, und w o der schrekliche W a h l s p r u c h : kein Heil außer uns? So wie ich E u c h die Gesell8 zusammenhängen] znsammenhängen 38 Anspielung nulla salus.

auf

den

Satz

Cyprians

37 Formen] Formern (Bischof

von

Karthago

248-258):

extra

ecclesiam

Î40

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Über die Religion

schaft der Religiösen dargestellt habe, und wie sie ihrer Natur nach sein muß, geht sie nur auf gegenseitige Mittheilung und existirt nur zwischen solchen die schon Religion haben, welche es auch sei: wie könnte es also wol ihr Geschäft sein diejenigen umzustimmen, die schon eine bestimmte bekennen oder diejenigen herbeizuführen und einzuweihen, denen es noch ganz daran fehlt? D i e Religion der Gesellschaft zusammengenommen ist die ganze Religion, die unendliche, die kein Einzelner ganz umfaßen kann, und zu der sich also auch keiner bilden und erheben läßt. Hat also J e m a n d schon einen Antheil davon, welcher es auch sei, für sich erwählt, wäre es nicht ein widersinniges Verfahren von der Gesellschaft, wenn sie ihm das entreißen wollte was seiner Natur gemäß ist, da sie doch auch dieses in sich befaßen soll, und also nothwendig einer es besizen muß? U n d wozu sollte sie diejenigen bilden wollen, denen die Religion überhaupt noch fremd ist? Ihr Eigenthum, das unendliche Ganze kann doch auch sie selbst ihnen nicht mittheilen; also etwa das Allgemeine, das Unbestimmte, welches sich vielleicht ergeben würde wenn man das aufsuchte, was et-|wa bei allen ihren Gliedern anzutreffen ist? Aber Ihr wißt ja daß überall gar nichts als etwas Allgemeines und Unbestimmtes, sondern nur als etwas Einzelnes und in einer durchaus bestimmten Gestalt wirklich gegeben und mitgetheilt werden kann, weil es sonst nicht Etwas, sondern in der T h a t Nichts wäre. An jedem Maaßstabe und an jeder Regel würde es ihr also fehlen bei diesem Unternehmen. U n d wie käme sie überhaupt dazu aus sich hinauszugehn, da das Bedürfniß aus welchem sie entstanden ist, das Princip der religiösen Geselligkeit auf gar nichts dergleichen hindeutet. Was also von dieser Art geschieht in der Religion ist immer nur ein Privatgeschäft des Einzelnen für sich. Genöthiget sich aus dem Kreise der religiösen Vereinigung wo A n schauung des Universums ihm den erhabensten G e n u ß gewährt, und von heiligen Gefühlen durchdrungen sein Geist auf dem höchsten Gipfel des Lebens schwebt, zurükzuziehn in die niedrigen Gegenden des Lebens, ist es sein Trost daß er auch Alles womit er sich da beschäftigen muß, zugleich auf das beziehen kann, was seinem Gemüth immer das Höchste bleibt. W i e er von da herabkommt unter die, welche sich auf irgend ein irdisches Streben und Treiben beschränken, glaubt er leicht, und | verzeiht es ihm nur, aus dem Umgang mit Göttern und Musen unter ein Geschlecht roher Barbaren versetzt zu sein. E r fühlt sich als einen Verwalter der Religion unter den Ungläubigen, als einen Mißionair unter den Wilden, ein neuer Orpheus hoft er manchen unter ihnen zu gewinnen durch himmlische T ö n e , und stellt sich dar unter ihnen als eine priesterliche Gestalt, seinen höhern Sinn klar und hell ausdrükend in allen Handlungen und in seinem ganzen

15 mittheilen] mitheilen

15 das] des

17 Ihr] ihr

29 zurükzuziehn] zuriik / zuziehn

Vierte Rede

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W e s e n . Regt dann der E i n d r u k des Heiligen und G ö t t l i c h e n etwas ähnliches auf, wie gern pflegt er dann die ersten Ahndungen der Religion in einem neuen G e m ü t h , einen schönen Beweis seines Gedeihens auch in einem fremden und rauhen K l i m a , wie triumfirend zieht er den Neuling mit sich e m p o r zu der erhabenen V e r s a m m l u n g ! Diese Geschäftigkeit um die Verbreitung der Religion ist nur die f r o m m e Sehnsucht des Fremdlings nach seiner H e i m a t h , das Bestreben sein Vaterland mit sich zu führen, und die G e s e z e und Sitten deßelben, sein höheres schöneres L e b e n überall anzuschauen, das Vaterland selbst in sich selig und sich v o l l k o m m e n genug kennt auch dieses Bestreben nicht. — N a c h alle diesem werdet Ihr vielleicht sagen, daß ich ganz einig mit E u c h zu sein schie-|ne, ich habe die K i r c h e construirt aus dem Begrif ihres Z w e k s , und indem ich ihr alle die Eigenschaften, welche sie jezt auszeichnen, abgesprochen, so habe ich ihre gegenwärtige Gestalt eben so strenge gemißbilliget als Ihr selbst. Ich versichere E u c h aber, daß ich nicht von dem geredet habe was sein soll, sondern von dem was ist, wenn Ihr anders nicht läugnen wollt, daß dasjenige wirklich schon ist, was nur durch Beschränkungen des Raumes gehindert wird auch dem gröberen Blik zu erscheinen. D i e wahre Kirche ist in der T h a t immer so gewesen, und ist noch so, und wenn Ihr sie nicht so sehet, so liegt die Schuld doch eigentlich an E u c h und in einem ziemlich handgreiflichen Mißverständniß. B e d e n k t nur, ich bitte E u c h , daß ich um mich eines alten aber sehr sinnreichen Ausdrukes zu bedienen nicht von der streitenden, sondern von der triumfirenden Kirche geredet habe, nicht von der welche noch kämpft gegen alle Hinderniße der religiösen Bildung welche ihr das Zeitalter und der Zustand der Menschheit in den W e g legt, sondern von der, die schon alles was ihr entgegenstand überwunden und sich selbst constituirt hat. Ich habe E u c h eine Gesellschaft von Menschen dargestellt, die mit ihrer Religion zum Bewußtsein g e k o m men sind und denen | die religiöse Ansicht des Lebens eine der herrschenden geworden ist, und da ich E u c h überzeugt zu haben hoffe, daß das M e n schen von einiger Bildung und von vieler Kraft sein m ü ß e n , und daß ihrer also i m m e r nur sehr Wenige sein k ö n n e n , so m ü ß t Ihr freilich ihre Vereinigung da nicht suchen, w o viele Hunderte versammelt sind in großen T e m peln und ihr Gesang schon von fern E u e r O h r erschüttert: so nahe wißt Ihr wol stehen Menschen dieser A r t nicht bei einander. Vielleicht ist sogar nur in einzelnen abgesonderten von der großen Kirche gleichsam ausgeschloßenen Gemeinheiten etwas Ähnliches in einem bestimmten R a u m zusammengedrängt zu finden: das aber ist gewiß, daß alle wahrhaft religiöse M e n schen, soviel es ihrer je gegeben hat, nicht nur den G l a u b e n , sondern das lebendige Gefühl von einer solchen Vereinigung mit sich herumgetragen und in ihr eigentlich gelebt haben, und daß sie Alle das, was man gemeinhin die K i r c h e nennt, sehr nach seinem W e r t h , das heißt eben nicht sonderlich h o c h , zu schäzen wußten.

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Über die Religion

Diese große Verbindung nehmlich, auf welche Eure harte Beschuldigungen sich eigentlich beziehen, ist, weit entfernt eine Gesellschaft religiöser Menschen zu sein, vielmehr nur eine Ver-|einigung solcher, welche die 193 Religion erst suchen, und so finde ich es sehr natürlich, daß sie jener fast in allen Stüken entgegengesezt ist. Leider werde ich, um Euch dies so deutlich zu machen als es mir ist, in eine Menge irdischer weltlicher Dinge hinabsteigen und mich durch ein Labyrinth der wunderlichsten Verirrungen hindurchwinden müssen: es geschieht nicht ohne Widerwillen, aber es sei darum, Ihr müßt dennoch mit mir einig werden. Vielleicht daß schon die ganz verschiedene F o r m der Geselligkeit, wenn ich E u c h aufmerksam darauf mache, Euch im Wesentlichen von meiner Meinung überzeugt. Ich hoffe Ihr seid aus dem vorigen mit mir einverstanden darüber daß in der wahren religiösen Geselligkeit alle Mittheilung gegenseitig ist, das Princip, welches uns zur Äußerung des eigenen antreibt, innig verwandt mit dem, was uns zum Anschließen an das Fremde geneigt macht und so Wirkung und G e genwirkung aufs unzertrennlichste mit einander verbunden. Hier im G e gentheil findet Ihr gleich eine durchaus andere F o r m : Alle wollen empfangen und nur einer ist da der geben soll; völlig paßiv laßen sie auf einerlei Art in sich einwirken durch alle Organe, und helfen höchstens dabei selbst von innen nach soviel sie Gewalt über sich | haben, ohne an eine Gegenwirkung 194 auf Andere auch nur zu denken. Zeigt das nicht deutlich genug, daß auch das Princip ihrer Geselligkeit ein ganz andres sein muß? Es kann wol bei ihnen nicht die Rede davon sein, daß sie nur ihre Religion ergänzen wollten durch die der Andern: denn wenn in der T h a t welche in ihnen wohnte, würde diese sich wol, weil es in ihrer Natur liegt, auch auf irgend eine Art thätig auf Andere beweisen. Sie thun keine Gegenwirkung, weil sie keiner fähig sind, und sie können nur darum keiner fähig sein, weil keine Religion in ihnen wohnt. W e n n ich mich eines Bildes bedienen darf aus der Wißenschaft, der ich am liebsten Ausdrüke abborge in Angelegenheiten der Religion, so möchte ich sagen, sie sind negativ religiös, und drängen sich nun in großen Haufen zu den wenigen Punkten hin, wo sie das positive Princip der Religion ahnden um sich mit diesem zu vereinigen. Haben sie aber dieses in sich aufgenommen, so fehlt es ihnen wiederum an Capacität um das neue Produkt festzuhalten; der feine Stoff, der gleichsam nur ihre A t m o sphäre umschweben konnte, entweicht ihnen, und sie gehen nun in einem gewißen Gefühl von Leere wieder eine Weile hin, bis sie sich aufs neue negativ angefüllt haben. Dies | ist in wenig Worten die Geschichte ihres reli- 195 giösen Lebens, und der Charakter der geselligen Neigung, welche mit darin

8 Widerwillen] Wider-/derwillen

12 S.o.

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17 I h r ] i h r

Vierte Rede

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eingeflochten ist. N i c h t Religion, nur ein wenig Sinn für sie, und ein m ü h sames auf eine klägliche A r t vergebliches Streben zu ihr selbst zu gelangen, das ist Alles, was man auch den Besten unter ihnen, denen die es mit Geist und Eifer treiben, zugestehen kann. I m Lauf ihres häuslichen und bürgerlichen L e b e n s , auf dem größeren Schauplaz von deßen Ereignißen sie Z u schauer sind, begegnet natürlich vieles, was auch einen geringen Antheil religiösen Sinnes afficiren m u ß . A b e r es bleibt nur eine dunkle A h n d u n g , ein schwacher E i n d r u k auf einer zu weichen M a ß e , deßen U m r i ß e gleich ins U n b e s t i m m t e zerfließen; alles wird bald hin weggeschwemmt von den Wellen des praktischen Lebens in die unbesuchteste G e g e n d der E r i n n e rung, und auch dort von weltlichen Dingen bald ganz verschüttet. Indeß entsteht aus der öfteren Wiederholung dieses kleinen Reizes dennoch zulezt ein B e d ü r f n i ß : die dunkle Erscheinung im G e m ü t h , die immer wiederkehrt, will endlich klar gemacht sein. D a s beste Mittel dazu, so sollte man freilich denken, wäre dieses, wenn sie sich M u ß e nähmen, das was so auf sie wirkt gelaßen und | genau zu betrachten: aber dieses wirkende ist das U n i versum, und in diesem liegen doch unter andern auch alle die einzelnen D i n g e , an die sie in den übrigen Theilen ihres Lebens zu denken, und mit denen sie zu schaffen haben. A u f diese würde sich aus alter G e w o h n h e i t ihr Sinn unwillkührlich richten, und das E r h a b e n e und Unendliche würde sich ihren Augen wieder zerstükeln in lauter Einzelnes und Geringes. Das fühlen sie, und darum vertrauen sie sich selbst nicht und suchen fremde H ü l f e : im Spiegel einer fremden Darstellung wollen sie anschauen was sie in der unmittelbaren W a h r n e h m u n g nur verderben würden. — So suchen sie nach R e l i g i o n : aber sie mißverstehen am E n d e dies ganze Streben. D e n n wenn nun die Äußerungen eines religiösen Menschen alle jene Erinnerungen gewekt haben, und sie nun von ihnen vereint afficirt mit einem stärkeren Eindruk von dannen gehn: so meinen sie ihr Bedürfniß sei gestillt, der Andeutung der N a t u r sei G e n ü g e geschehen, und sie haben nun die Religion selbst in sich, die ihnen doch — grade wie ehedem, nur in einem höheren Grade — nur als eine flüchtige Erscheinung von außen g e k o m m e n ist. Dieser T ä u schung bleiben sie i m m e r unterworfen, weil sie von der wahren und lebendigen Re-|ligion weder Begrif noch Anschauung haben, und wiederholen in vergeblicher H o f n u n g endlich auf das rechte zu k o m m e n tausendmal dieselbe O p e r a t i o n , und bleiben immer w o und was sie gewesen sind. Kämen sie weiter, würde ihnen auf diesem Wege die Religion selbstthätig und lebendig eingepflanzt, so würden sie bald die verlaßen, deren Einseitigkeit und Paßivität ihrem Zustande alsdann nicht länger angemeßen wäre, noch auch erträglich sein k ö n n t e ; sie würden sich wenigstens neben ihr einen andern Kreis suchen w o ihre Religion sich auch thätig zeigen und außer sich wirken k ö n n t e , und dieser m ü ß t e bald ihr H a u p t w e r k und ihre ausschließende Liebe werden. U n d so wird auch in der T h a t die Kirche den M e n schen um so gleichgültiger je m e h r sie zunehmen in der Religion, und die

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Frömsten sondern sich stolz und kalt von ihr aus. Es kann in der T h a t nichts deutlicher sein: man ist in dieser Verbindung nur deswegen weil man keine Religion hat, man verharrt darin nur so lange als man keine hat. E b e n das geht aber auch aus der Art hervor, wie sie die Religion behandeln. D e n n gesezt auch es wäre unter wahrhaft religiösen Menschen eine einseitige Mittheilung und ein Zustand freiwilliger Paßivität und Entäußerung möglich, so I herrscht doch in ihrem gemeinschaftlichen T h u n überdies durchaus die größte Verkehrtheit und Unkenntniß der Sache. Verständen sie sich auf die Religion, so würde ihnen doch das die Hauptsache sein, daß der, welchen sie für sich zum Organ der Religion gemacht haben, ihnen seine klarsten individuellsten Anschauungen und Gefühle mittheilte; das mögen sie aber nicht, sondern sezen vielmehr den Äußerungen seiner Individualität Schranken auf allen Seiten, und begehren daß er ihnen vornehmlich Begriffe, Meinungen, Lehrsäze, kurz statt der eigentlichen Elemente der Religion die Abstraktionen darüber ins Licht sezen soll. Verständen sie sich auf die Religion, so würden sie aus ihrem eigenen Gefühl wißen, daß jene symbolischen Handlungen, von denen ich gesagt habe, daß sie der wahren religiösen Geselligkeit wesentlich sind, ihrer N a t u r nach nichts sein können als Zeichen der Gleichheit des in Allen hervorgegangenen Resultats, Andeutung der R ü k k e h r zum gemeinschaftlichen Mittelpunkt, nichts als das vollstimmigste Schlußchor nach allem was Einzelne rein und kunstreich mitgetheilt haben: davon aber wißen sie nichts, sondern sie sind ihnen etwas für sich bestehendes und nehmen bestimmte Zeiten ein. Was geht daraus hervor als die-|ses, daß ihr gemeinschaftliches T h u n nichts an sich hat von jenem Charakter einer hohen und freien Begeisterung der der Religion durchaus eigen ist, sondern ein schülerhaftes, mechanisches Wesen ist? und worauf deutet dieses wiederum, als darauf, daß sie die Religion erst von außen überkommen mögten? Das wollen sie auf alle Weise versuchen. Darum hängen sie so an den todten Begriffen, an den Resultaten der Reflexion über die Religion und saugen sie begierig ein, in der H o f n u n g daß diese in ihnen den Rükweg ihrer eigentlichen Genesis machen und sich wieder in die lebendigen Anschauungen und Gefühle zurük verwandeln werden aus denen sie ursprünglich abgeleitet sind. Darum brauchen sie die symbolischen Handlungen, die eigentlich das lezte sind in der religiösen Mittheilung, als Reizmittel, um das aufzuregen, was ihnen eigentlich vorangehn müßte. Wenn ich von dieser größeren und weitverbreiteten Verbindung in Vergleichung mit der vortreflicheren, die allein nach meiner Idee die wahre Kirche ist, nur sehr herabsezend und als von etwas gemeinem und niedrigem gesprochen habe, so ist das freilich in der Natur der Sache gegründet,

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und ich k o n n t e meinen Sinn d a r ü b e r nicht verhehlen: aber ich verwahre mich I feierlichst gegen jede V e r m u t h u n g , die Ihr wol hegen k ö n n t e t , als 200 s t i m m t e ich dem i m m e r allgemeiner w e r d e n d e n W ü n s c h e n bei, diese A n stalt lieber ganz zu zerstören. N e i n , w e n n die w a h r e Kirche d o c h i m m e r n u r denjenigen offen stehen wird welche schon im Besiz der Religion sind, so m u ß es doch irgend ein Bindungsmittel geben zwischen ihnen u n d denen welche sie noch suchen, und das soll d o c h diese Anstalt sein, denn sie m u ß ihrer N a t u r nach ihre A n f ü h r e r u n d Priester immer aus jener h e r n e h m e n . U n d soll grade die Religion die einzige menschliche Angelegenheit sein in der es keine Veranstaltungen gäbe z u m Behuf der Schüler u n d Lehrlinge? A b e r freilich der ganze Zuschnitt dieser Anstalt m ü ß t e ein anderer sein, u n d ihr Verhältniß z u r w a h r e n Kirche ein ganz andres A n s e h n gewinnen. Es ist mir nicht erlaubt hierüber zu schweigen. Diese W ü n s c h e und A u s sichten hängen zu genau mit der N a t u r der religiösen Geselligkeit zusammen u n d der beßere Zustand der D i n g e , den ich mir d e n k e , gereicht so sehr zu ihrer Verherrlichung, daß ich meine A h n d u n g e n nicht in mich verschließen darf. Das wenigstens ist d u r c h den schneidenden Unterschied den wir zwischen beiden festgestellt haben g e w o n n e n , daß wir sehr ruhig u n d einträchtig über alle M i ß - | b r ä u c h e die in der kirchlichen Gesellschaft obwal- 201 ten, u n d über ihre U r s a c h e n mit einander nachdenken k ö n n e n ; denn Ihr m ü ß t gestehen d a ß die Religion, da sie eine solche Kirche nicht hervorgebracht hat, von aller Schuld an jedem Unheil welches diese angerichtet haben soll u n d an d e m verwerflichen Z u s t a n d e w o r i n sie sich befinden mag vorläufig freigesprochen werden m u ß , so gänzlich freigesprochen, daß man ihr nicht einmal den Vorwurf machen kann sie k ö n n e in so etwas ausarten: denn w o sie noch gar nicht gewesen ist kann sie auch unmöglich ausgeartet sein. Ich gebe zu daß es in dieser Gesellschaft einen verderblichen Sektengeist giebt, und n o t h w e n d i g geben m ü ß e . W o die religiösen Meinungen gleichsam als M e t h o d e gebraucht werden u m z u r Religion zu gelangen, da m ü ß e n sie freilich in ein bestimmtes G a n z e s gebracht w e r d e n , denn eine M e t h o d e m u ß d u r c h a u s b e s t i m m t u n d auch endlich sein, u n d w o sie als etwas das n u r von außen gegeben werden k a n n , a n g e n o m m e n werden auf die A u t o r i t ä t des G e b e n d e n , da m u ß jeder A n d e r s d e n k e n d e als ein Störer des ruhigen und sichern Fortschreitens angesehn w e r d e n , weil er d u r c h sein bloßes Dasein u n d die A n s p r ü c h e die damit v e r b u n d e n sind, diese A u t o r i tät schwächt; ich gestehe sogar, | daß er in der alten Vielgötterei, w o das 202 G a n z e der Religion von selbst nicht in Eins befaßt war, u n d sie sich jeder Theilung und A b s o n d e r u n g williger d a r b o t , weit gelinder und h u m a n e r war, u n d daß er erst in den sonst beßeren Zeiten der systematischen Religion sich organisirt u n d in seiner ganzen K r a f t gezeigt hat, d e n n w o Jeder ein ganzes System u n d einen M i t t e l p u n k t dazu zu haben glaubt, da m u ß der W e r t h , der auf jedes Einzelne gelegt w i r d , ungleich größer sein: ich gebe beides z u ; aber Ihr werdet mir einräumen daß jenes der Religion ü b e r h a u p t

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nicht zum Vorwurf gereicht, und daß dieses nichts dagegen beweisen kann, daß die Ansicht des Universums als System nicht die höchste Stufe der Religion wäre. Ich gebe zu, daß es in dieser Gesellschaft mehr mit dem Verstehen oder Glauben, und mit dem Handeln und Vollziehn von Gebräuchen, als mit dem Anschaun und Fühlen gehalten wird, und daß sie daher immer, wie aufgeklärt auch ihre Lehre sei, an den Grenzen der Superstition einhergeht und an irgend einer Mythologie hängt: aber Ihr werdet gestehen: daß sie nur um so weiter von der wahren Religion entfernt ist. Ich gebe zu, daß diese Verbindung nicht bestehen kann ohne einen permanenten Unterschied zwischen Priestern | und Laien; denn wer unter diesen dahin käme 203 selbst Priester sein zu können, das heißt wahre Religion in sich zu haben, der könnte unmöglich Laie bleiben und sich noch ferner so geberden als ob er keine hätte; er wäre vielmehr frei und verbunden diese Gesellschaft zu verlaßen, und die wahre Kirche aufzusuchen: aber das bleibt gewiß, daß diese Trennung mit Allem, was sie unwürdiges hat, und mit allen übeln Folgen, die ihr eigen sein können, nicht von der Religion herrührt, sondern selbst etwas ganz irreligiöses ist. Jedoch eben hier höre ich Euch einen neuen Einwurf machen, der alle diese Vorwürfe wieder auf die Religion zurükzuwälzen scheint. Ihr werdet mich daran erinnern, daß ich selbst gesagt habe, die große kirchliche Gesellschaft, jene Anstalt für die Lehrlinge in der Religion meine ich, müße der Natur der Sache nach ihre Anführer die Priester nur aus den Mitgliedern der wahren Kirche nehmen, weil es in ihr selbst an dem wahren Princip der Religion fehle. Ist dies so, werdet Ihr sagen, wie können denn die Virtuosen der Religion da wo sie zu herrschen haben, wo alles auf ihre Stimme hört, und wo sie selbst nur die Stimme der Religion hören sollten, so vieles dulden, ja mehr als dul-|den — denn wem verdankt die Kirche wol 204 alle ihre Einrichtungen als den Priestern? — was dem Geist der Religion ganz zuwider sein soll? Oder wenn es nicht so ist, wie es sein sollte, wenn sie sich vielleicht die Regierung ihrer Tochtergesellschaft haben entreißen laßen, wo ist dann der hohe Geist den wir mit Recht bei ihnen suchen? warum haben sie ihre wichtige Provinz so schlecht verwaltet? warum haben sie es geduldet daß niedrige Leidenschaften das zu einer Geißel der Menschheit machten, was unter den Händen der Religion ein Segen geblieben wäre? sie, für deren Jeden, wie du selbst gestehst, die Leitung derer, die ihrer Hülfe so sehr bedürfen, das erfreulichste und zugleich heiligste Geschäft sein muß. — Freilich ist es leider nicht so, wie ich behauptet habe, daß es sein soll: wer möchte wohl sagen, daß Alle diejenigen, daß auch nur der größte Theil, daß nachdem einmal solche Unterordnungen gemacht sind, auch nur die Ersten und Vornehmsten unter denen, welche die große Kir-

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chengesellschaft regiert haben, Virtuosen der Religion oder auch nur Mitglieder der wahren Kirche gewesen wären? N e h m t nur, ich bitte Euch, das was ich sagen m u ß um sie zu entschuldigen, nicht f ü r eine hinterlistige Retorsion. Wenn Ihr der Religion | entgegenredet, thut Ihr es gewöhnlich im 205 N a m e n der Philosophie; wenn Ihr der Kirche Vorwürfe macht, sprecht Ihr im N a m e n des Staats: Ihr wollt die politischen Künstler aller Zeiten darüber vertheidigen, daß durch Dazwischenkunft der Kirche ihr Kunstwerk soviel unvollkommene und übel berathene Stellen bekommen habe. Wenn nun ich, der ich im N a m e n der religiösen Virtuosen, und f ü r sie rede, die Schuld davon daß sie ihr Geschäft nicht mit beßerem Erfolg haben betreiben können, dem Staat und den Staatskünstlern beimeße, werdet Ihr mich nicht im Verdacht jenes Kunstgrifs haben? Dennoch hoffe ich Ihr werdet mir mein Recht nicht versagen können, wenn Ihr mich über die eigentliche Entstehung aller dieser Übel anhört. Jede neue Lehre und Offenbarung, jede neue Ansicht des Universums, welche den Sinn f ü r daßelbe anregt auf einer Seite wo es bisher noch nicht ergriffen worden ist, gewinnt auch einige Gemüther der Religion, f ü r welche grade dieser Punkt der einzige war durch welchen sie eingeführt werden konnten in die neue und unendliche Welt, und den meisten unter ihnen bleibt denn natürlich grade diese Anschauung der Mittelpunkt der Religion, sie bilden um ihren Meister her eine eigne Schule, ein abgeson-|dertes 206 Bruchstük der wahren und allgemeinen Kirche, welches erst still und langsam seiner Vereinigung im Geist mit diesem großen Ganzen entgegenreift. Aber ehe diese erfolgt werden sie gewöhnlich, wenn erst die neuen Gefühle ihr ganzes G e m ü t h durchdrungen und gesättigt haben, heftig ergriffen von dem Bedürfniß zu äußern was in ihnen ist, damit das innere Feuer sie nicht verzehre. So verkündiget Jeder w o und wie er kann das neue Heil welches ihm aufgegangen ist, von jedem Gegenstande finden sie den Ubergang zu dem neuentdekten Unendlichen, jede Rede verwandelt sich in eine Zeichnung ihrer besondern religiösen Ansicht, jeder Rath, jeder Wunsch, jedes freundliche W o r t in eine begeisterte Anpreisung des Weges, den sie als den einzigen kennen zum Tempel der Religion. Wer es weiß wie die Religion wirkt, der findet es natürlich daß sie Alle reden, sie würden fürchten daß die Steine es ihnen zuvorthäten. U n d wer es weiß wie ein neuer Enthusiasmus wirkt der findet es natürlich daß dieses lebendige Feuer gewaltsam um sich greift, manche verzehrt, viele erwärmt und Tausenden den falschen oberflächlichen Schein einer innern Glut mittheilt. Und diese Tausende sind eben das Verderben. Das jugendliche Feuer der neuen | Heiligen 207 nimmt auch sie für wahre Brüder, „was hindert, sprechen sie nur allzurasch, daß auch diese den heiligen Geist e m p f a h e n , " sie selbst nehmen sich dafür und laßen sich im freudigen Triumph einführen in den Schooß der frommen Gesellschaft. Aber wenn der Rausch der ersten Begeisterung vorüber, wenn die glühende Oberfläche ausgebrannt ist, so zeigt sich daß sie

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den Zustand in welchem die Andern sich befinden nicht aushalten und nicht theilen können, mitleidig stimmen sich diese herab zu ihnen, und entsagen ihrem eignen höhern und innigem Genuß um ihnen wieder nachzuhelfen, und so nimmt alles die unvollkomne Gestalt an. Auf diese Art bildet sich ohne äußere Ursachen durch das allen menschlichen Dingen gemeine Verderbniß, der ewigen Ordnung gemäß nach welcher dieses Verderben grade das féurigste und regsamste Leben am schnellsten ergreift, um jedes einzelne Bruchstük der wahren Kirche, welches irgendwo in der Welt isolirt entsteht, nicht abgesondert von jenem, sondern in und mit ihm, eine falsche und ausgeartete Kirche. So ist es zu allen Zeiten, unter allen Völkern und in jeder besondern Religion ergangen. Wenn man aber Alles ruhig sich selbst überließe so könnte dieser Zustand unmöglich irgendwo lange ge-|währt haben. Gießt Stoffe von verschiedner Schwere und Dichtig- 208 keit und die wenig innere Anziehung gegen einander haben in ein Gefäß, rüttelt sie auch aufs heftigste durcheinander, daß Alles Eins zu sein scheint, und Ihr werdet sehen, wie Alles, wenn Ihr es nur ruhig stehn laßt, sich allmählich wieder sondert, und nur Gleiches sich zu Gleichem gesellt. So wäre es auch hier ergangen, denn das ist der natürliche Lauf der Dinge. Die wahre Kirche hätte sich still wieder ausgeschieden um der vertrauteren und höheren Geselligkeit zu genießen, welcher die Anderen nicht fähig wären; das Band der lezteren unter einander wäre dann so gut als gelöst gewesen, und ihre natürliche Paßivität hätte irgend etwas äußeres erwarten müßen um zu bestimmen was aus ihnen werden sollte. Sie wären aber nicht verlaßen geblieben von Jenen : wer hätte wol außer ihnen das geringste Intereße gehabt sich ihrer anzunehmen? was für eine Lokung hätte wol ihr Zustand den Absichten Anderer Menschen dargeboten? Was wäre zu gewinnen, oder was für Ruhm wäre zu erlangen gewesen mit ihnen? Ungestört also wären die Mitglieder der wahren Kirche im Besiz geblieben, ihr priesterliches Amt unter ihnen in einer neuen und beßer angelegten Gestalt wieder | anzutreten. Jeder hätte diejenigen um sich versammelt die grade 209 ihn am besten verstehn, auf die nach seiner Art am meisten gewirkt werden konnte, und statt der ungeheuren Verbindung deren Dasein Ihr jezt beseufzt, wären eine große Mènge kleinerer und unbestimmter Gesellschaften entstanden, worin die Menschen sich auf allerlei Art bald hier bald dort geprüft hätten auf die Religion, und der Aufenthalt darin wäre nur ein vorübergehender Zustand gewesen, vorbereitend für den, dem der Sinn für die Religion aufgegangen wäre, entscheidend für d'en, der sich unfähig gefunden hätte auf irgend eine Art davon ergriffen zu werden. O goldnes Zeitalter der Religion, wann werden die Umwälzungen der menschlichen Dinge dich künstlich herbeiführen, nachdem du auf dem einfachen Wege der Natur verfehlt worden bist! Heil denen welche dann berufen werden! gnädig sind ihnen die Götter, und reicher Segen folgt ihren Bemühungen auf ihrer Mißion den Anfängern zu helfen und den Unmündigen den Weg eben

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zu machen z u m T e m p e l des E w i g e n , B e m ü h u n g e n die U n s heutigen s o karge F r u c h t bringen unter den ungünstigsten U m s t ä n d e n . E s ist wol ein unheiliger W u n s c h , aber ich kann ihn mir k a u m versagen. M ö c h t e d o c h allen | H ä u p t e r n des Staats, allen Virtuosen und K ü n s t l e r n der Politik auf 210 i m m e r f r e m d geblieben sein auch die entfernteste A h n d u n g von R e l i g i o n ! m ö c h t e d o c h nie einer ergriffen w o r d e n sein v o n der G e w a l t jenes epid e m i s c h e n E n t h u s i a s m u s , w e n n sie d o c h ihre Individualität nicht zu scheiden wußten v o n ihrem Beruf u n d ihrem öffentlichen C h a r a k t e r ! D e n n d a s ist uns die Q u e l l e alles V e r d e r b e n s g e w o r d e n . W a r u m mußten sie die kleinliche Eitelkeit u n d den wunderlichen D ü n k e l , daß die V o r z ü g e , welche sie mittheilen k ö n n t e n , überall o h n e U n t e r s c h i e d etwas wichtiges sind, mitbringen in die V e r s a m m l u n g der H e i l i g e n ? W a r u m mußten sie die E h r f u r c h t v o r den D i e n e r n des H e i l i g t h u m s von dannen mit z u r ü k n e h m e n in ihre Pallaste u n d Richtsäle? Ihr habt R e c h t z u w ü n s c h e n daß nie der S a u m eines priesterlichen G e w a n d e s den F u ß b o d e n eines königlichen Z i m m e r s m ö c h t e berührt h a b e n : aber laßt uns nur w ü n s c h e n , daß nie der P u r p u r den S t a u b am Altar geküßt haben m ö c h t e ; w ä r e dies nicht geschehen s o w ü r d e jenes nicht erfolgt sein. J a hätte man nie einen F ü r s t e n in den T e m p e l gelaßen, b e v o r er den schönsten königlichen S c h m u k , d a s reiche F ü l l h o r n aller seiner G u n s t und Ehrenzeichen abgelegt hätte vor der P f o r t e ! A b e r ] sie haben es m i t g e n o m m e n , sie haben g e w ä h n t die einfache _i ι H o h e i t des himmlischen G e b ä u d e s s c h m ü k e n zu k ö n n e n d u r c h abgerißne S t ü k e ihrer irdischen Herrlichkeit, und statt eines geheiligten H e r z e n s haben sie weltliche G a b e n zurükgelaßen als W e i h g e s c h e n k e f ü r den H ö c h sten. — S o o f t ein F ü r s t eine K i r c h e f ü r eine C o r p o r a t i o n erklärte, f ü r eine G e m e i n s c h a f t mit eignen V o r r e c h t e n , f ü r eine ansehnliche P e r s o n in der bürgerlichen Welt — und es geschah nie anders als wenn bereits jener unglükliche Z u s t a n d eingetreten w a r , w o die G e s e l l s c h a f t der G l ä u b i g e n und die der G l a u b e n s b e g i e r i g e n , das w a h r e und das falsche, was sich bald wieder auf i m m e r geschieden hätte, bereits vermischt w a r , denn ehe war nie eine religiöse G e s e l l s c h a f t groß g e n u g u m die A u f m e r k s a m k e i t der H e r r scher zu erregen — so o f t ein F ü r s t sage ich z u dieser gefährlichsten und verderblichsten aller H a n d l u n g e n sich verleiten ließ, war d a s Verderben dieser K i r c h e unwiderruflich beschloßen u n d eingeleitet. Wie d a s furchtbare M e d u s e n h a u p t wirkt eine solche C o n s t i t u t i o n s a k t e politischer E x i s t e n z auf die religiöse G e s e l l s c h a f t : alles versteinert sich s o wie sie erscheint. Alles nicht Z u s a m m e n g e h ö r i g e was nur f ü r einen A u g e n b l i k in einander geschlungen war ist nun unzertrennlich aneinander ge-|kettet; alles Zufällige, 212 was leicht hätte a b g e w o r f e n werden können ist nun auf i m m e r befestigt; das G e w a n d ist mit d e m K ö r p e r aus einem S t ü k , und jede unschikliche Falte ist

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wie für die Ewigkeit. D i e größere und unächte Gesellschaft läßt sich nun nicht mehr trennen von der höheren und kleineren, wie sie doch getrennt werden müßte; sie läßt sich nicht mehr theilen noch auflösen; sie kann weder ihre F o r m noch ihre Glaubensartikel mehr ändern; ihre Einsichten, ihre Gebräuche, alles ist verdammt in dem Zustande zu verharren in dem es sich eben befand. A b e r das ist noch nicht Alles: die Mitglieder der wahren Kirche die mit in ihr enthalten sind, sind von nun an von jedem Antheil an ihrer Regierung so gut als ausgeschloßen mit Gewalt, und außer Stand gesezt das wenige für sie zu thun was noch gethan werden könnte. D e n n es giebt nun mehr zu regieren als sie regieren können, und wollen: weltliche Dinge sind jezt zu ordnen und zu besorgen, und wenn sie sich gleich auch darauf verstehn in ihren häuslichen und bürgerlichen Angelegenheiten, so können sie sie doch nicht als eine Sache ihres priesterlichen Amtes behandeln. Das ist ein Widerspruch, der in ihren Sinn nicht eingeht, und mit dem sie sich nie aussöhnen k ö n n e n ; es geht | nicht zusammen mit ihrem hohen 213 und reinen Begrif von Religion und religiöser Geselligkeit. W e d e r für die wahre Kirche, der sie angehören, noch für die größere Gesellschaft, die sie leiten sollen, können sie begreifen, was sie denn nun machen sollen mit den Häusern und Äkern die sie erwerben und den Reichthümern die sie besizen können, und was das helfen soll für ihren Zwek. Sie sind außer Faßung gesezt und verwirrt durch diesen widernatürlichen Zustand; und wenn nun durch dieselbe Begebenheit zugleich Alle die angelokt werden, die sonst immer draußen geblieben sein würden, wenn es nun das Intereße aller Stolzen, Ehrgeizigen und Habsüchtigen und Ränkevollen geworden ist sich einzudrängen in die Kirche, in deren Gemeinschaft sie sonst nur die bitterste Langeweile empfunden hätten, wenn diese nun anfangen Theilnahme an heiligen Dingen und Kunde davon zu heucheln um den weltlichen Lohn davon zu tragen; wie sollen J e n e wol ihnen nicht unterliegen? W e r trägt also die Schuld wenn unwürdige Menschen den Plaz der Virtuosen der H e i ligkeit einnehmen, und wenn unter ihrer Aufsicht alles sich einschleichen und festsezen darf was dem Geist der Religion am meisten zuwider ist? wer anders als der Staat mit seiner übel ver-|standenen G r o ß m u t h . E r ist aber 214 auf eine noch unmittelbarere Art Ursach, daß das Band zwischen der wahren Kirche und der äußern Religionsgesellschaft sich gelöst hat. Denn nachdem er dieser jene unselige Wolthat erwiesen meinte er ein Recht auf ihre thätige Dankbarkeit zu haben, und hat sie belehnt mit drei höchst wichtigen Aufträgen in seinen Angelegenheiten. D e r Kirche hat er mehr oder weniger übertragen die Sorge und Aufsicht auf die Erziehung; unter den Auspicien der Religion und in der Gestalt einer Gemeine, will er, daß das

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19 Reichthümern] Reichthümern

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Volk unterrichtet w e r d e in den Pflichten, die seine Geseze nicht faßen, und beredet zu sittlichen G e s i n n u n g e n ; u n d von der Kraft der Religion und den U n t e r w e i s u n g e n der Kirche f o r d e r t er, daß sie ihm seine Bürger w a h r h a f t mache in ihren Aussagen. U n d z u r Vergeltung f ü r diese Dienste die er begehrt b e r a u b t er sie n u n — so ist es ja fast in allen Theilen der gesitteten Welt, w o es einen Staat u n d eine Kirche giebt — ihrer Freiheit, er behandelt sie als eine Anstalt die er eingesezt u n d e r f u n d e n hat, u n d freilich ihre Fehler u n d M i ß b r ä u c h e sind fast alle seine E r f i n d u n g , u n d er allein maßt sich die E n t s c h e i d u n g d a r ü b e r an, w e r tüchtig sei als Vorbild u n d als Priester der Religion aufzutreten in dieser Gesellschaft. | U n d d e n n o c h wollt Ihr es 215 von der Religion f o r d e r n , w e n n es nicht alles heilige Seelen sind. A b e r ich bin noch nicht am E n d e mit meinen A n k l a g e n : sogar in die innersten M y sterien der religiösen Geselligkeit trägt er sein Intereße hinein u n d verunreinigt sie. W e n n die Kirche in prophetischer A n d a c h t die N e u g e b o h r n e n der G o t t h e i t u n d dem Streben nach dem H ö c h s t e n weihet, so will er sie dabei zugleich aus ihren H ä n d e n empfangen in die Liste seiner S c h u z b e f o h l e n e n ; w e n n sie den H e r a n w a c h s e n d e n den ersten K u ß der Brüderschaft giebt, als solchen, die n u n den ersten Blik gethan haben in die H e i l i g t h ü m e r der Religion, so soll das auch f ü r ihn das Zeugniß sein von dem ersten G r a d e ihrer bürgerlichen Selbstständigkeit; w e n n sie mit gemeinschaftlichen f r o m m e n W ü n s c h e n die Verschmelzung zweier Personen heiligt w o d u r c h sie zu W e r k z e u g e n des schaffenden U n i v e r s u m s w e r d e n , so soll das zugleich seine Sanktion sein f ü r ihr bürgerliches B ü n d n i ß ; u n d selbst daß ein Mensch vers c h w u n d e n ist v o m Schauplaz dieser Welt, will er nicht eher glauben, bis sie ihn versichert, daß sie seine Seele wiedergegeben habe dem U n e n d l i c h e n , u n d seinen Staub eingeschloßen in den Schooß der heiligen Erde. Es zeigt E h r f u r c h t vor der Religion und | ein Bestreben sich immer im Bewußtsein 216 seiner eigenen Schranken zu erhalten, daß er sich so jedesmal beugt vor ihr und ihren Verehrern, w e n n er etwas e m p f ä n g t aus den H ä n d e n der U n e n d lichkeit, o d e r es wieder abliefert in dieselben: aber wie auch dies alles n u r z u m Verderben der religiösen Gesellschaft w i r k t , ist klar genug. N i c h t s giebt es nun in allen ihren Einrichtungen, was sich auf die Religion allein bezöge, o d e r worin sie auch n u r die H a u p t s a c h e wäre: in den heiligen Reden und U n t e r w e i s u n g e n sowol als in den geheimnißvollen und symbolisehen H a n d l u n g e n ist alles voll von moralischen u n d politischen Beziehungen, alles ist abgewendet von seinem ursprünglichen Z w e k und Begrif. Viele giebt es daher unter ihren A n f ü h r e r n die nichts verstehn von der Religion und viele unter "ihren Mitgliedern, denen es nicht in den Sinn k o m m t sie suchen zu wollen. D a ß eine Gesellschaft, welcher so etwas begegnen kann, welche mit einer D e m u t h W o h l t h a t e n empfängt, die ihr zu nichts dienen, und mit kriechender Bereitwilligkeit Lasten ü b e r n i m m t die sie ins Verderben stürzen, welche sich mißbrauchen läßt von einer f r e m d e n Macht, welche ihre Frei-

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Über die Religion

heit und Unabhängigkeit, die ihr doch angebohren ist, fahren läßt für einen leeren | Schein, welche ihren hohen und erhabnen Zwek aufgiebt um D i n - 217 gen nachzugehn die ganz außer ihrem W e g e liegen, daß dieß nicht eine G e sellschaft von Menschen sein kann, die ein bestimmtes Streben haben und genau wißen, was sie wollen, das denke ich springt in die Augen; und diese kurze Hinweisung auf die Begebenheiten der kirchlichen Gesellschaft ist, denke ich, der beste Beweis davon, daß sie nicht die eigentliche Gesellschaft der religiösen Menschen ist, daß höchstens einige Partikeln von dieser mit ihr vermischt waren, überschüttet von fremden Bestandtheilen, und daß das G a n z e , um den ersten Stoff dieses unermeßlichen Verderbens aufzunehmen, schon in einem Zustande krankhafter Gährung sein mußte, in welcher die wenigen gesunden Theile bald gänzlich entwichen. Voll heiligen Stolzes hätte die wahre Kirche Gaben verweigert, die sie nicht brauchen konnte, wol wißend, daß diejenigen welche die Gottheit gefunden haben und sich ihrer gemeinschaftlich erfreuen, in ihrer reinen Geselligkeit in der sie nur ihr innerstes Dasein ausstellen und mittheilen wollen, eigentlich nichts gemein haben, deßen Besiz ihnen geschüzt werden müßte durch eine weltliche M a c h t , daß sie nichts brauchen auf Erden, und auch nichts brauchen können als ei-|ne Sprache um sich zu verstehn, und einen Raum um 218 bei einander zu sein, Dinge zu denen sie keiner Fürsten und ihrer Gunst bedürfen.

W e n n es aber doch eine vermittelnde Anstalt geben soll, durch welche die wahre Kirche in eine gewiße Berührung k o m m t mit der profanen Welt mit der sie unmittelbar nichts zu schaffen hat, gleichsam eine Atmosphäre 25 durch welche sie sich zugleich reinigt und auch neuen Stoff an sich zieht und bildet: welche Gestalt soll diese Gesellschaft denn annehmen, und wie wäre sie zu befreien von dem Verderben welches sie eingesogen hat? Das Lezte bleibe der Zeit zu beantworten überlaßen: es giebt zu Allem was irgend einmal geschehen muß tausend verschiedene Wege, und für alle 30 Krankheiten der Menschheit mannigfaltige Heilarten: jede wird an ihrem O r t versucht werden und zum Ziele führen. N u r dies Ziel sei mir erlaubt anzudeuten, um Euch desto klarer zu zeigen daß es auch hier nicht die Religion und ihr Streben gewesen ist, worauf Euer Unwille sich geworfen hat. D e r eigentliche Hauptbegriff davon ist doch dieser, daß denjenigen die 35 in einem gewißen Grade Sinn für die Religion haben, die aber weil sie in ihnen noch nicht zum Ausbruch und zum | Bewußtsein gekommen ist, 219 noch nicht fähig sind der wahren Kirche einverleibt zu werden, absichtlich soviel Religion gezeigt werde, daß dadurch ihre Anlage für dieselbe nothwendig entwikelt werden m u ß . Laßt uns sehen was eigentlich verhindert

4 haben] habeu

22 Anstalt] Austalt

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daß dies in der gegenwärtigen Lage der Dinge nicht geschehen kann. - Ich will nicht noch einmal daran erinnern, daß der Staat jezt diejenigen, die in dieser Gesellschaft Anführer und Lehrer sind - nur ungern bediene ich mich aus Mangel dieses Worts welches f ü r das Geschäft sich nicht schikt nach seinen Wünschen auswählt, die mehr auf Beförderung der übrigen Angelegenheiten, die er mit dieser Anstalt verbunden hat, gerichtet sind; daß man ein höchst verständiger Pädagog und ein sehr reiner treflicher M o ralist sein kann ohne von der Religion das bitterste zu verstehn; und daß es daher Vielen, die er unter seine würdigsten Diener in dieser Anstalt zählt, leicht ganz daran fehlen mag; ich will annehmen, Alle die er einsezt wären wirklich Virtuosen in der Religion: so würdet Ihr doch zugeben, daß kein Künstler seine Kunst einer Schule mit einigem Erfolg mittheilen kann wenn nicht unter den Lehrlingen eine gewiße Gleichheit der Vorkenntniße Statt findet; und doch ist diese in je-|der Kunst wo der Schüler seine Fortschritte 220 durch Uebungen macht, und der Lehrer vornemlich durch Kritik nüzlich ist, minder nothwendig als in der Religion wo der Meister nichts thun kann als zeigen und darstellen. Hier m u ß alle seine Arbeit vergeblich sein, wenn nicht Allen daßelbe, nicht nur verständlich, sondern auch angemeßen und heilsam ist. Nicht also in Reihe und Glied, wie sie ihm zugezählt sind nach einer alten Vertheilung, nicht wie ihre Häuser neben einander stehn, oder wie sie verzeichnet sind in den Listen der Polizei, m u ß der heilige Redner seine Zuhörer bekommen, sondern nach einer gewißen Ähnlichkeit der Fähigkeiten und der Sinnesart. — Laßt aber auch nur solche sich bei Einem Meister versammeln die der Religion gleich nahe sind, so sind sie es doch nicht auf gleiche Weise, und es ist höchst widersinnig irgend einen Lehrling auf einen bestimmten Meister beschränken zu wollen, weil es irgend einen solchen Virtuosen in der Religion geben kann welcher im Stande wäre Jedem der ihm v o r k o m m t durch seine Darstellung und Rede den verborgenen Keim der Religion ans Licht zu loken. Gar zu viel umfaßend ist ihr Gebiet. Erinnert Euch der verschiedenen Wege auf denen der Mensch — von der Anschauung des | Endlichen zu der des Unendlichen übergeht, und daß da- 221 durch seine Religion einen eignen und bestimmten Charakter annimmt; denkt an die verschiedene Modifikationen unter denen das Universum angeschaut werden kann und an die tausend einzelnen Anschauungen und die verschiedenen Arten wie diese zusammengestellt werden mögen um einander wechselseitig zu erleuchten; bedenkt daß Jeder, der Religion sucht, sie unter der bestimmten Form antreffen muß, die seinen Anlagen und seinem Standpunkt angemeßen ist, wenn die seinige dadurch wirklich aufgeregt werden sollte: so werdet Ihr finden daß es Jedem Meister unmöglich sein

8 bitterste] Kj mindeste

15 Uebungen] Uebungen

23 aber] so DV; OD: über

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Über die Religion

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muß Allen Alles und Jedem das zu werden was er bedarf, weil unmöglich Einer zugleich ein Mystiker, ein physischer Gottesgelehrter und ein heiliger Künstler sein kann, zugleich ein Deist und ein Pantheist, zugleich ein Meister in Weißagungen, Visionen und G e b e t e n , und in Darstellungen aus G e schichte und Empfindung, und noch vieles andere, wenn es nur möglich wäre alle die herrlichen Zweige aufzuzählen in welche der himmlische Baum der priesterlichen Kunst seine K r o n e vertheilte. Meister und Jünger müßen einander in vollkommener Freiheit aufsuchen und wählen dürfen, sonst ist Einer für den Andern | verloren; Jeder muß suchen dürfen was ihm f r o m m t , und Keiner genöthigt sein mehr zu geben als das, was er hat und versteht. — W e n n aber auch Jeder nur das lehren soll was er versteht, so kann er ja auch das nicht, sobald er zugleich, ich meine in derselben Handlung, noch etwas anders thun soll. Es kann keine Frage darüber sein, ob nicht ein priesterlicher Mensch seine Religion darstellen, sie mit Fleiß und Kunst, wie sichs gebührt, darstellen, und zugleich noch irgend ein bürgerliches Geschäft treu und in großer Vollkommenheit ausrichten könne. Warum also sollte nicht auch, wenn es sich eben so schikt, derjenige welcher Profeßion macht vom Priesterthum, zugleich Moralist sein dürfen im Dienst des Staates? Es ist nichts dagegen: nur muß er beides neben einander, und nicht in und durcheinander sein, er muß nicht beide Naturen zu gleicher Zeit an sich tragen und beide Geschäfte in derselben Handlung verrichten sollen. Begnüge sich der Staat, wenn es ihm so gut däucht, mit einer religiösen M o r a l : die Religion aber verleugnet jeden moralisirenden Propheten und Priester; wer sie verkündigen will der thue es rein. Es widerspräche allem Ehrgeiz eines Virtuosen, wenn ein wahrer Priester sich auf so unwürdige und inconsequen-|te Bedingungen einlaßen wollte mit dem Staat. Wenn dieser andere Künstler in Sold nimmt es sei nun um ihre Talente beßer zu pflegen oder um Schüler zu ziehen, so entfernt er von ihnen alle fremden Geschäfte, und macht es ihnen wol zur Pflicht sich deren zu enthalten, er empfielt ihnen, sich auf den besondern Theil ihrer Kunst vorzüglich zu legen, worin sie am mehresten leisten zu können glauben und läßt da ihrem Genie volle Freiheit; nur an den Künstlern der Religion thut er grade das Gegentheil. Sie sollen das ganze Gebiet ihres Gegenstandes umfaßen, und dabei schreibt er ihnen noch vor von welcher Schule sie sein sollen, und legt ihnen noch unschikliche Lasten auf. Entweder gebe er ihnen auch M u ße sich für irgend einen einzelnen Theil der Religion besonders auszubilden, für den sie am meisten gemacht zu sein glauben, und spreche sie von allem übrigen los, oder nachdem er seine moralische Bildungsanstalt für sich angelegt hat, was er doch in jenem Falle auch thun muß, laße er sie ihr Wesen ebenfalls treiben für sich, und kümmere sich gar nicht um die prie-

1 Vgl. / Kor

9,22

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sterlichen Werke, die in seinem Gebiet vollendet werden, da er sie doch weder zur Schau noch zum Nuzen braucht, wie etwa andere Künste und Wißenschaften. | Hinweg also mit jeder solchen Verbindung zwischen Kirche und Staat! — das bleibt mein Catonischer Rathsspruch bis ans Ende, oder bis ich es erlebe sie wirklich zertrümmert zu sehen — Hinweg mit Allem, was einer geschloßenen Verbindung der Laien und Priester unter sich oder mit einander auch nur ähnlich sieht! Lehrlinge sollen ohnedies keinen Körper bilden, man sieht an den mechanischen Gewerben und an den Zöglingen der Musen wie wenig es frommt; aber auch die Priester sollen, als solche meine ich, keine Brüderschaft ausmachen unter sich, sie sollen sich weder ihre Geschäfte noch ihre Kunden zunftmäßig theilen, sondern ohne sich um die Andern zu bekümmern und ohne mit einem in dieser Angelegenheit näher verbunden zu sein als mit dem Andern thue Jeder das Seine; und auch zwischen Lehrer und Gemeine sei kein festes Band. Ein Privatgeschäft ist nach den Grundsäzen der wahren Kirche die Mißion eines Priesters in der Welt; ein Privatzimmer sei auch der Tempel wo seine Rede sich erhebt, um die Religion auszusprechen; eine Versammlung sei vor ihm und keine Gemeine; ein Redner sei er für alle die hören wollen, aber nicht ein Hirt für eine bestimmte Heerde. Nur unter diesen Bedingungen können sich wahrhaft | priesterliche Seelen derjenigen annehmen, welche die Religion suchen; nur so kann diese vorbereitende Verbindung wirklich zur Religion führen, und sich würdig machen als ein Anhang der wahren Kirche und als das Vorzimmer derselben betrachtet zu werden: denn nur so verliert sich alles, was in ihrer jezigen Form unheilig und irreligiös ist. Gemildert wird durch die allgemeine Freiheit der Wahl, der Anerkennung, und des Urtheils der allzuharte und schneidende Unterschied zwischen Priestern und Laien, bis die Beßeren unter diesen dahin kommen wo sie jenes zugleich sind. Auseinander getrieben und zertheilt wird alles was durch die unheiligen Bande der Symbole zusammengehalten ward, wenn es gar keinen Vereinigungspunkt dieser Art mehr giebt, wenn keiner den Suchenden ein System der Religion anbietet, sondern Jeder nur einen Theil, und das ist das einzige Mittel diesen Unfug einmal zu enden. Es ist nur ein schlechter Behelf der frühern Zeit, die Kirche — um auch in diesem schlechtesten aller Sinne das Wort zu brauchen — zu zerschneiden: sie ist eine Polypennatur, aus jedem ihrer Stüke wächst wieder ein Ganzes hervor, und wenn der Be-

15 den] dem 3—5 Marcus Porcias Cato Censorius (234-149), der mit seinem entschiedenen Eintreten für die altrömischen Sitten sich einen Namen im Kampf gegen Korruption und hellenistische Lehensweise machte, plädierte gegen Ende seines Lehens unermüdlich für die Vernichtung Karthagos (Schlußformel seiner Senatsreden: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam). 34 f Vgl. Gedanken I, Nr. 5

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Über die Religion

grif dem Geist der Religion widerspricht, so sind mehrere Individuen doch um nichts beßer als | wenigere. N ä h e r gebracht wird der allgemeinen Frei- 226 heit und der majestätischen Einheit der wahren Kirche die äußere Religionsgesellschaft nur dadurch, daß sie eine fließende M a ß e wird, w o es keine U m r i ß e giebt, wo jeder Theil sich bald hie bald dort befindet, und Alles sich friedlich unter einander mengt. Vernichtet wird der gehäßige Sektenund Proselyten-Geist der vom Wesentlichen der Religion immer weiter abführt, nur dadurch, wenn keiner mehr fühlen kann, daß er Einem bestimmten Kreise angehört und ein andersglaubender einem andern. Ihr seht, daß in Rüksicht auf diese Gesellschaft unsere Wünsche ganz dieselben sind: was Euch anstößig ist, steht auch uns im Wege, nur daß es - vergönnt mir immer dies zu sagen — gar nicht in die Reihe der Dinge gekommen sein würde, wenn man U n s allein hätte geschäftig sein laßen in dem, was doch eigentlich unser W e r k war. D a ß es wieder hinweggeschaft werde ist unser gemeinschaftliches Intereße. Wie dies unter uns geschehen wird, o b auch nur nach einer großen Erschütterung wie im nachbarlichen Lande, oder o b der Staat durch eine gütliche Ubereinkunft, und ohne daß beide erst sterben um aufzuerstehen, sein mißlungenes Ehebündniß mit der Kirche trennen, oder ob er | nur dulden wird, daß eine andre jungfräu- 227 lichere erscheine neben der welche einmal an ihn verkauft ist, ich weiß es nicht: bis aber etwas von dieser Art geschieht werden von einem harten Geschik alle heiligen Seelen gebeugt, welche von der Glut der Religion durchdrungen auch in dem größeren Kreise der profanen Welt ihr Heiligstes darstellen, und etwas damit ausrichten möchten. Ich will diejenigen welche aufgenommen sind in den vom Staat begünstigten Orden nicht verführen für den innersten Wunsch ihres Herzens große Rechnung auf dasjenige zu machen was sie in diesem Verhältniß redend etwa bewirken könnten. Sie mögen sich hüten immer oder auch nur oft Religion und unvermischt sie nie anders als bei feierlichen Veranlaßungen zu reden um nicht untreu zu werden ihrem moralischen Beruf, zu dem sie gesezt sind. Das aber wird man ihnen laßen müßen, daß sie durch ein priesterliches Leben den Geist der Religion verkündigen können, und dies sei ihr T r o s t und ihr schönster L o h n . An einer heiligen Person ist alles bedeutend, an einem anerkannten Priester der Religion hat alles einen kanonischen Sinn. So mögen sie denn das Wesen derselben darstellen in allen ihren Bewegungen, nichts möge verloren gehen auch in den | gemeinen Verhältnißen des Lebens von 228 dem Ausdruk eines frommen Sinnes, die heilige Innigkeit mit der sie Alles behandeln zeige, daß auch bei Kleinigkeiten, über die ein profanes G e m ü t h

8 f bestimmten] bestimmte

16 f Anspielung auf die Französische

Revolution

Vierte

Rede

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leichtsinnig h i n w e g g l e i t e t , die M u s i k e r h a b e n e r G e f ü h l e in ihnen e r t ö n e ; die m a j e s t ä t i s c h e R u h e , mit der sie G r o ß e s und K l e i n e s g l e i c h s e z e n , b e w e i se, daß sie Alles auf das U n w a n d e l b a r e b e z i e h n , und in A l l e m auf gleiche W e i s e die G o t t h e i t e r b l i k e n ; die l ä c h e l n d e H e i t e r k e i t , mit der sie an jeder S p u r der V e r g ä n g l i c h k e i t v o r ü b e r g e h e n o f f e n b a r e J e d e m , wie sie ü b e r der Zeit und ü b e r der W e l t l e b e n ; die g e w a n d t e s t e S e l b s t v e r l ä u g n u n g deute an, wieviel sie s c h o n v e r n i c h t e t h a b e n v o n den S c h r a n k e n der P e r s ö n l i c h k e i t ; und d e r i m m e r rege u n d o f n e S i n n , d e m das Seltenste u n d das G e m e i n s t e n i c h t e n t g e h t , zeige, wie u n e r m ü d e t sie das U n i v e r s u m suchen und seine Ä u ß e r u n g e n b e l a u s c h e n . W e n n so i h r ganzes L e b e n und j e d e B e w e g u n g ihrer i n n e r n und äußern G e s t a l t ein priesterliches K u n s t w e r k ist, s o wird vielleicht durch diese s t u m m e S p r a c h e m a n c h e n d e r Sinn aufgehn f ü r das was in ihnen w o h n t . N i c h t zufrieden aber das W e s e n d e r R e l i g i o n a u s z u d r ü k e n m ü ß e n sie auch eben so den falschen S c h e i n d e r s e l b e n v e r n i c h t e n indem sie m i t kind-|licher U n b e f a n g e n h e i t und in der h o h e n E i n f a l t eines völligen U n b e w u ß t s e i n s , w e l c h e s k e i n e G e f a h r sieht u n d keinen M u t h zu b e d ü r f e n glaubt, ü b e r alles h i n w e g t r e t e n , was g r o b e V o r u r t h e i l e und feine S u p e r s t i t i o n mit einer u n ä c h t e n G l o r i e der G ö t t l i c h k e i t u m g e b e n h a b e n , indem sie sich s o r g l o s wie der k i n d i s c h e H e r k u l e s von den Schlangen der heiligen V e r l ä u m d u n g u m z i s c h e n l a ß e n , die sie eben so still und ruhig in einem A u g e n b l i k e r d r ü k e n k ö n n e n . Z u diesem heiligen D i e n s t e m ö g e n sie sich w e i h e n bis auf b e ß e r e Z e i t e n , u n d ich d e n k e I h r selbst w e r d e t E h r f u r c h t h a b e n v o r dieser a n s p r u c h s l o s e n W ü r d e und G u t e s weißagen von ihrer W i r k u n g auf die M e n s c h e n . W a s soll ich aber denen sagen, welchen I h r weil sie einen b e s t i m m t e n K r e i s eitler W i ß e n s c h a f t e n n i c h t auf eine b e s t i m m t e A r t d u r c h l a u f e n h a b e n , das priesterliche G e w a n d versagt? w o h i n soll ich sie weisen mit d e m geselligen T r i e b e ihrer R e l i g i o n s o f e r n er nicht allein auf die h ö h e r e K i r c h e s o n d e r n auch hinaus gerichtet ist auf die W e l t ? D a es ihnen fehlt an e i n e m g r ö ß e r n S c h a u p l a z w o sie auf eine a u s z e i c h n e n d e A r t erscheinen k ö n n t e n , s o m ö g e n sie sich genügen laßen an d e m priesterlic h e n D i e n s t ihrer H a u s g ö t t e r . E i n e F a m i l i e k a n n das gebildetste E l e m e n t und das treueste B i l d des Uni-|versums sein; w e n n still und m ä c h t i g alles in einander greift, so w i r k e n hier alle K r ä f t e die das U n e n d l i c h e b e s e e l e n ; w e n n leise und sicher Alles f o r t s c h r e i t e t , so wallet der h o h e W e l t g e i s t hier wie d o r t ; w e n n die T ö n e der L i e b e alle B e w e g u n g e n b e g l e i t e n , hat sie die M u s i k d e r Sphären u n t e r sich. D i e s e s H e i l i g t h u m m ö g e n sie b i l d e n , o r d n e n und p f l e g e n , klar und deutlich m ö g e n sie es hinstellen in sittlicher K r a f t ,

19—21 Herakles wird von Zeus in der Gestalt Amphitryons mit dessen Ehefrau Alkmene gezeugt. Die eifersüchtige Hera will Herakles und seinen Zwillingsbruder Iphikles, den Amphitryon in derselben Nacht mit Alkmene gezeugt hat, verderben und schickt deshalb nach der Geburt zwei todbringende Riesenschlangen. Herakles erwürgt beide Schlangen. 24—26 Vgl. Gedanken I, Nr. 155

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Über

die

Religion

mit Liebe und Geist mögen sie es auslegen, so wird mancher von ihnen und unter ihnen das Universum anschauen lernen in der kleinen verborgenen Wohnung, sie wird ein Allerheiligstes sein worin mancher die Weihe der Religion empfängt. Dies Priesterthum war das erste in der heiligen und kindlichen Vorwelt, und es wird das lezte sein wenn kein Anderes mehr nöthig ist. Ja wir warten am Ende unserer künstlichen Bildung einer Zeit, wo es keiner andern vorbereitenden Gesellschaft für die Religion bedürfen wird als der frommen Häuslichkeit. Jezt seufzen Millionen von Menschen beider Geschlechter und aller Stände unter dem Druk mechanischer und unwürdiger Arbeiten. Die ältere Generation erliegt unmuthig und überläßt mit verzeihlicher Trägheit die jüngere in allen Din-|gen fast dem Zufall, nur darin 231 nicht, daß sie gleich nachahmen und lernen muß dieselbe Erniedrigung. Das ist die Ursach, warum sie den freien und ofnen Blik nicht gewinnen mit dem allein man das Universum findet. Es giebt kein größeres Hinderniß der Religion als dieses, daß wir unsere eignen Sklaven sein müßen, denn ein Sklave ist Jeder, der etwas verrichten muß, was durch todte Kräfte sollte bewirkt werden können. Das hoffen wir von der Vollendung der Wißenschaften und Künste daß sie uns diese todten Kräfte werden dienstbar machen, daß sie die körperliche Welt, und alles von der geistigen was sich regieren läßt in einen Feenpallast verwandeln werde, wo der Gott der Erde nur ein Zauberwort auszusprechen nur eine Feder zu drüken braucht, wenn geschehen soll was er gebeut. Dann erst wird jeder Mensch ein Freigeborner sein, dann ist jedes Leben praktisch und beschaulich zugleich, über keinem hebt sich der Stekken des Treibers und Jeder hat Ruhe und Muße in sich die Welt zu betrachten. N u r für die Unglüklichen, denen es daran fehlte, deren Organen die Kräfte entzogen waren, welche ihre Muskeln in seinem Dienst unaufhörlich verwenden mußten, war es nöthig daß einzelne Glükliche auftraten, und sie um sich her ver-|sammelten, um ihr 232 Auge zu sein und ihnen in wenigen flüchtigen Minuten die Anschauungen eines Lebens mitzutheilen. In der glüklichen Zeit wenn Jeder seinen Sinn frei üben und brauchen kann, wird beim ersten Erwachen der höheren Kräfte, in der heiligen Jugend unter der Pflege väterlicher Weisheit Jeder der Religion theilhaftig, der ihrer fähig ist; alle einseitige Mittheilung hört dann auf und der belohnte Vater geleitet den kräftigen Sohn nicht nur in eine frölichere Welt und in ein leichteres Leben, sondern auch unmittelbar in die heilige, nun zahlreichere und geschäftigere Versammlung der Anbeter des Ewigen. In dem dankbaren Gefühl, daß wenn einst diese beßere Zeit kommt, wie fern sie auch noch sein möge, auch die Bemühungen denen Ihr Eure

14 w a r u m ] w a r r u m

29 Glükliche] Glüklichen

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Tage widmet etwas beigetragen haben werden sie herbeizuführen, vergönnt mir Euch auf die schöne Frucht auch Eurer Arbeit noch einmal aufmerksam zu machen; laßt Euch noch einmal hinführen zu der erhabenen Gemeinschaft wahrhaft religiöser Gemüther, die zwar jezt zerstreut und fast unsichtbar ist, deren Geist aber doch überall waltet, wo auch nur Wenige im Namen der Gottheit versammelt sind. Was daran sollte Euch wohl nicht mit Bewunderung | und Achtung erfüllen, Ihr Freunde und Verehrer alles 233 Schönen und Guten! — Sie sind unter einander eine Akademie von Priestern. Die Religion die ihnen das Höchste ist behandelt Jeder unter ihnen als Kunst und Studium, aus ihrem unendlichen Reichthum ertheilt sie dazu einem Jeden ein eignes Loos. Mit allgemeinem Sinn für Alles, das in ihr heiliges Gebiet gehört, verbindet Jeder, wie es Künstlern gebührt, das Streben sich in irgend einem einzelnen Theile zu vollenden; ein edler Wetteifer herrscht, und das Verlangen etwas darzubringen das einer solchen VerSammlung würdig sei läßt Jeden mit Treue und Fleiß einsaugen Alles was in sein abgestektes Gebiet gehört. In reinem Herzen wird es bewahrt, mit gesammeltem Gemüth wird es geordnet, von himmlischer Kunst wird es geschmükt und vollendet, und so erschallt auf jede Art und aus jeder Quelle Preis und Erkenntniß des Unendlichen indem Jeder die reifsten Früchte seines Sinnens und Schauens, seines Ergreifens und Fühlens mit frölichem Herzen herbei bringt. — Sie sind unter einander ein Chor von Freunden. Jeder weiß daß auch Er ein Theil und ein Werk des Universums ist, daß auch in ihm sein göttliches Wirken und Leben sich offenbart. | Als einen 234 würdigen Gegenstand der Anschauung sieht er sich also an für die Übrigen. Was er in sich wahrnimmt von den Beziehungen des Universums, was sich in ihm eigen gestaltet von den Elementen der Menschheit, alles wird aufgedekt mit heiliger Scheu, aber mit bereitwilliger Offenheit, daß Jeder hineingehe und schaue. Warum sollten sie auch etwas verbergen unter einander? Alles menschliche ist heilig, denn alles ist göttlich. — Sie sind unter einander ein Bund von Brüdern — oder habt Ihr einen innigeren Ausdruk für das gänzliche Verschmelzen ihrer Naturen, nicht in Absicht auf das Sein und Wollen, aber in Absicht auf den Sinn und das Verstehen ? Je mehr sich Jeder dem Universum nähert, je mehr sich Jeder dem Andern mittheilt, desto vollkommner werden sie Eins, keiner hat ein Bewußtsein für sich, jeder hat zugleich das des Andern, sie sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch Menschheit, und aus sich selbst herausgehend, über sich selbst triumfirend sind sie auf dem Wege zur wahren Unsterblichkeit und Ewigkeit.

9 unter] unter unter

5f Vgl. Mt 18,20

14 solchen] solcher

15 Jeden]Jedem

37 zur] zu

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Über die Religion

H a b t Ihr etwas erhabeneres gefunden in einem andern Gebiet des menschlichen Lebens oder in einer andern Schule der Weisheit, so theilt es mir mit: das Meinige habe ich Euch gegeben.

Fünfte

Rede.

2J5

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Daß der Mensch in der Anschauung des Universums begriffen ein G e genstand der Achtung und der Ehrfurcht für Euch Alle sein muß; daß Keiner, der von jenem Zustande noch etwas zu verstehen fähig ist, sich bei der Betrachtung deßelben dieser Gefühle enthalten kann: das ist über allen Zweifel hinaus. Verachten mögt Ihr Jeden, deßen Gemüth leicht und ganz von kleinlichen Dingen angefüllt w i r d ; aber vergebens werdet Ihr versuchen den gering zu schäzen, der das größte in sich saugt und sich davon nährt; — lieben oder haßen mögt Ihr Jeden, je nachdem er auf der beschränkten Bahn der Thätigkeit und der Bildung mit Euch oder Euch entgegen geht: aber auch das schönste Gefühl unter denen, die sich auf Gleichheit gründen, wird nicht in Euch haften können, in Beziehung auf den, | welcher so weit über Euch erhaben ist, als der Beschauer des Universums 236 über Jedem steht, der sich nicht mit ihm in demselben Zustande befindet; — ehren müßt Ihr, so sagen Eure Weisesten, auch wider Willen den Tugendhaften, der nach den Gesezen der sittlichen Natur das Endliche unendlichen Forderungen gemäß zu bestimmen trachtet: aber wenn es Euch auch möglich wäre in der Tugend selbst etwas lächerliches zu finden an dem Kontrast endlicher Kräfte mit dem unendlichen Beginnen, so würdet Ihr doch Demjenigen Achtung und Ehrfurcht nicht versagen können, deßen Organe dem Universum geöfnet sind, und der, fern von jedem Streit und Kontrast, erhaben über jedes Streben, von den Einwirkungen deßelben durchdrungen und Eins mit ihm geworden, wenn Ihr ihn in diesem köstlichen Moment des menschlichen Daseins betrachtet, den himmlischen Strahl unverfälscht auf Euch zurükwirft. O b also die Idee, welche ich Euch gemacht habe vom Innern der Religion, Euch jene Achtung abgenöthigt hat, die ihr falschen Vorstellungen zu Folge und weil Ihr bei zufälligen Dingen verweiltet, so oft von Euch versagt worden ist; ob meine Gedanken über den Zusammenhang dieser Uns Allen inwohnenden Anlage mit dem, ¡

15 J e d e m ] J e d e n

2 6 die I d e e ] die die I d e e

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Über die

Religion

was sonst unserer Natur Vortrefliches und Göttliches zugetheilt ist, Euch 237 angeregt haben zu einem innigeren Anschaun unsres Seins und Werdens; ob Ihr aus dem höheren Standpunkt, den ich Euch gezeigt habe, in jener so sehr verkannten erhabneren Gemeinschaft der Geister, wo Jeder den Ruhm seiner Willkühr, den Alleinbesiz seiner innersten Eigenthümlichkeit und ihres Geheimnißes Nichts achtend, sich freiwillig hingiebt um sich anschauen zu laßen als ein Werk des ewigen und Alles bildenden Weltgeistes - ob Ihr in ihr nun das Allerheiligste der Geselligkeit bewundert, das ungleich Höhere als jede irdische Verbindung, das Heiligere als selbst der zarteste Freundschaftsbund sittlicher Gemüther; ob also die ganze Religion in ihrer Unendlichkeit in ihrer göttlichen Kraft Euch hingerißen hat zur Anbetung; darüber frage ich Euch nicht, denn ich bin der Kraft des Gegenstandes gewiß der nur frei gemacht werden durfte, um auf Euch zu wirken. Jezt aber habe ich ein neues Geschäft auszurichten, und einen neuen Widerstand zu besiegen. Ich will Euch gleichsam zu dem Gott, der Fleisch geworden ist hinführen; ich will Euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert hat, und in oft dürftiger Gestalt unter den Men-| sehen erschienen ist; in den Religionen sollt Ihr die Religion entdeken; in 238 dem was irdisch und verunreinigt vor Euch steht die einzelnen Züge derselben himmlischen Schönheit aufsuchen, deren Gestalt ich nachzubilden versucht habe. Wenn Ihr einen Blik auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge werft, wo Kirchen und Religionen in ihrer Vielheit fast überall zusammentreffen, und in ihrer Absonderung unzertrennlich verbunden zu sein scheinen, wo es soviel Lehrgebäude und Glaubensbekenntniße giebt als Kirchen und religiöse Gemeinschaften: so könntet Ihr leicht verleitet werden zu glauben, daß in meinem Urtheil über die Vielheit der Kirchen zugleich auch das über die Vielheit der Religionen ausgesprochen sei; Ihr würdet aber darin meine Meinung gänzlich mißverstehen. Ich habe die Vielheit der Kirchen verdämmt: aber eben indem ich aus der Natur der Sache gezeigt habe, daß hier alle Umriße sich verlieren, alle bestimmte Abtheilungen verschwinden und Alles nicht nur dem Geist und der Theilnahme, sondern auch dem wirklichen Zusammenhange nach Ein ungetheiltes Ganzes sein soll, so habe ich überall die Vielheit der Religionen und ihre bestimmteste Verschiedenheit als etwas nothwendiges und unvermeidliches vorausgesezt. Denn | warum 239 sollte die innere, wahre Kirche Eins sein? Damit Jeder anschauen und sich mittheilen laßen könnte die Religion des Andern, die er nicht als seine eigene anschauen kann, und die also als gänzlich von ihr verschieden gedacht wurde. Warum sollte auch die äußere und uneigentlich sogenante Kirche Eins sein? Damit Jeder die Religion in der Gestalt aufsuchen könnte, die

15f Vsl. Job 1,14

Fünfte Rede

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dem schlummernden Keim der in ihm liegt homogen ist, und dieser mußte also von einer bestimmten Art sein, weil er nur durch dieselbe bestimmte Art befruchtet und erwekt werden kann. Und mit diesen Erscheinungen der Religion konnten nicht etwa nur Ergänzungsstüke gemeint sein, die 5 bloß numerisch und der Größe nach verschieden, wenn man sie zusammenbrächte ein gleichförmiges und dann erst vollendetes Ganze ausgemacht hätten; denn alsdann würde Jeder in seiner natürlichen Fortschreitung von selbst zu demjenigen gelangen, was des anderen ist; die Religion, die er sich mittheilen läßt würde sich in die seinige verwandeln und mit ihr Eins wer10 den, und die Kirche, diese zu Folge der gegebnen Ansicht jedem religiösen Menschen als unentbehrlich sich darstellende Gemeinschaft mit allen Gläubigen, wäre nur eine interimistische und sich selbst durch ihre | eigne Wir- 240 kung nur um so schneller wieder aufhebende Anstalt, wie ich sie doch keinesweges habe denken oder darstellen wollen. So habe ich die Mehrheit der 15 Religionen vorausgesezt, und eben so finde ich sie im Wesen der Religion gegründet.

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So viel sieht Jeder leicht, daß Niemand die Religion ganz haben kann; denn der Mensch ist endlich und die Religion ist unendlich; aber Euch kann das auch nicht fremd sein, daß sie nicht etwa nur theilweise so viel eben Jeder zu faßen vermag, unter den Menschen zerstükelt sein kann, sondern daß sie sich in Erscheinungen organisiren muß, welche mehr von einander verschieden sind. Erinnert Euch nur an die mehreren Stufen der Religion, auf welche ich Euch aufmerksam gemacht habe, daß nemlich die Religion deßen, der das Universum als ein System betrachtet, nicht eine bloße Fortsezung sein kann von der Ansicht deßen, der es nur erst in seinen scheinbar entgegengesezten Elementen anschaut, und daß dahin wo dieser steht wiederum derjenige nicht auf seinem Wege gelangen kann, dem das Universum noch eine chaotische und ungesonderte Vorstellung ist. Ihr mögt diese Verschiedenheiten nun Arten oder Grade der Religion nennen: so werdet Ihr doch zugeben mü-|ßen, daß sonst überall wo es solche Abtheilungen giebt 241 es auch Individua zu geben pflegt. Jede unendliche Kraft, die sich erst in ihren Darstellungen theilt und sondert, offenbart sich auch in eigenthümlichen und verschiedenen Gestalten. Ganz etwas andres ist es also mit der Vielheit der Religionen, als mit der der Kirchen. Diese freilich sind in ihrer Mehrheit nur Fragmente eines einzigen Individuums, welches für den Verstand völlig als Eins bestimmt und nur für die sinnliche Darstellung in seiner Einheit unerreichbar ist, und was diese einzelnen Fragmente bewog sich für besondere Individuen anzusehn, war immer nur ein Mißverständniß,

6 ausgemacht] ansgemachc 7 hätten] hätte 10 Ansicht] so DV, OD: Mehrheit] so DV; OD: Wahrheit 26 entgegengesezten] entgegegensezten mus-1 ßen 35 einzigen] einziges

Absicht 14 30 mii-1 ßen]

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das auf der Einwirkung eines fremdartigen Princips beruhen mußte: die R e ligion aber ist ihrem Begrif und ihrem Wesen nach auch für den Verstand ein Unendliches und Unermeßliches; sie muß also ein Princip sich zu individualisiren in sich haben weil sie sonst gar nicht dasein und wahrgenommen werden k ö n n t e ; eine unendliche Menge endlicher und bestimmter F o r men in denen sie sich offenbart müßen wir also postuliren und aufsuchen, und w o wir Etwas finden, was eine solche zu sein behauptet, wie denn jede abgesonderte Religion sich dafür ausgiebt, müßen wir es darauf ansehn o b es diesem | Princip gemäß construirt ist, und müßen uns dann den bestimm- 242 ten Begrif den es darstellen soll klar machen, unter welchen fremden U m hüllungen er auch verstekt, und wie sehr er auch entstellt sei von den Einwirkungen des Vergänglichen zu welchem das Unvergängliche sich herabgelaßen hat, und von der unheiligen Hand der Menschen. — Wollt Ihr von der Religion nicht nur im Allgemeinen einen Begrif haben, und es wäre ja unwürdig, wenn Ihr Euch mit einer so unvollkommenen Kenntniß begnügen wolltet: wollt Ihr sie auch in ihrer Wirklichkeit und in ihren Erscheinungen verstehen: wollt Ihr diese selbst mit Religion anschauen als ein ins Unendliche fortgehendes W e r k des Weltgeistes: so müßt Ihr den eitlen und vergeblichen W u n s c h , daß es nur Eine geben möchte aufgeben, Euren W i derwillen gegen ihre Mehrheit ablegen, und so unbefangen als möglich zu allen denen hinzutreten, die sich schon in den wechselnden Gestalten und während des auch hierin fortschreitenden Laufes der Menschheit aus dem ewig reichen S c h o o ß des Universums entwikelt haben.

Positive Religionen nennt Ihr diese vorhandenen bestimmten religiö25 sen Erscheinungen und sie sind unter diesem Namen schon lange das | O b jekt eines ganz vorzüglichen Haßes gewesen; dagegen Ihr bei allem Widerwillen gegen die Religion überhaupt etwas anderes das man die natürliche Religion nennt immer leichter geduldet, und sogar mit Achtung davon gesprochen habt. Ich stehe nicht an, Euch sogleich einen Blik in das Innere 30 meiner Gesinnungen hierüber zu vergönnen, indem ich für mein Theil gegen diesen Vorzug aufs lauteste protestire, und ihn in Rüksicht aller derer welche überhaupt Religion zu haben und sie zu lieben vorgeben für die gröbste Inconsequenz und die augenscheinlichste Selbstwiderlegung erkläre, aus Gründen denen Ihr gewiß Euren Beifall geben werdet, wenn ich sie 35 werde entwikeln können. Euch hingegen, welchen die Religion überhaupt zuwider war, habe ich es immer sehr natürlich gefunden diesen Unterschied zu machen. D i e sogenannte natürliche Religion ist gewöhnlich so abgeschliffen, und hat so philosophische und moralische Manieren, daß sie wenig von dem eigenthümlichen Charakter der Religion durchschimmern 40 läßt, sie weiß so artig zu leben, sich einzuschränken und sich zu fügen, daß

8 abgesonderte Religion] abgesonderteReligion

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sie überall wol gelitten ist: dagegen jede positive Religion gar starke Züge und eine sehr markirte Physiognomie hat, so daß sie bei jeder Bewe-|gung 244 welche sie macht und bei jedem Blik, den man auf sie wirft, ohnfehlbar an das erinnert, was sie eigentlich ist. Wenn dies der wahre und innre Grund Eurer Abneigung ist, so wie es der einzige ist, der die Sache selbst trift, so müßt Ihr Euch jezt von ihr losmachen; und ich sollte eigentlich nicht mehr mit ihr zu streiten haben. Denn wenn Ihr nun, wie ich hoffe, ein günstigeres Urtheil über die Religion überhaupt fällt, wenn Ihr einseht, daß ihr eine besondere und edle Anlage im Menschen zum Grunde liegt, die folglich auch w o sie sich zeigt gebildet werden m u ß : so kann es Euch doch nicht zuwider sein sie in den bestimmten Gestalten anzuschauen in denen sie schon würklich erschienen ist, und Ihr müßt vielmehr diese um so lieber Eurer Betrachtung würdigen, je mehr das Eigenthümliche und Unterscheidende der Religion in ihnen ausgebildet ist. Aber diesen Grund nicht eingestehend werdet Ihr vielleicht alle alten Vorwürfe, die Ihr sonst der Religion überhaupt zu machen gewohnt wäret, jezt auf die einzelnen Religionen werfen, und behaupten daß grade in dem, was Ihr das Positive in der Religion nennt, dasjenige liegen müße, was diese Vorwürfe immer aufs neue veranlaßt und rechtfertigt; Ihr wer-|det läugnen 245 daß sie Erscheinungen der wahren Religion sein können. Ihr werdet mich aufmerksam darauf machen, wie sie alle, ohne Unterschied, voll sind, von dem, was meiner eigenen Aussage nach nicht Religion ist, und daß also ein Princip des Verderbens tief in ihrer Constitution liegen müße; Ihr werdet mich daran erinnern, wie Jede unter ihnen sich für die einzig wahre, und grade ihr Eigenthümliches für das Höchste erklärt; wie sie sich von einander grade durch dasjenige als durch etwas wesentliches unterscheiden, was Jede soviel als möglich von sich hinaus thun sollte; wie sie, ganz gegen die Natur der wahren Religion, beweisen, widerlegen und streiten, es sei nun mit den Waffen der Kunst und des Verstandes oder mit noch fremderen und unwürdigeren; Ihr werdet hinzufügen, daß Ihr grade nun, da Ihr die Religion achtet und für etwas wichtiges anerkennet, ein lebhaftes Intereße daran nehmen müßtet, daß ihr die größte Freiheit sich nach allen Seiten aufs mannigfaltigste auszubilden überall gewährt werde, und daß Ihr also nur um so lebhafter die bestimmten Formen der Religion haßen müßtet, welche Alle, die sich zu ihnen bekennen, an derselben Gestalt fest halten, ihnen die Freiheit ihrer eignen Natur zu folgen ent-|ziehen und sie in unnatürliche 246 Schranken einzwängen; und in allen diesen Punkten werdet Ihr mir die Vorzüge der natürlichen Religion vor der positiven kräftig anpreisen. Ich bezeuge noch einmal, daß ich diese Entstellungen nicht läugnen will, und daß ich gegen den Widerwillen, welchen Ihr dagegen empfindet, nichts einwende. J a ich erkenne in ihnen Allen jene viel beklagte Ausartung und Abweichung in ein fremdes Gebiet, und je göttlicher die Religion selbst ist, um desto weniger will ich ihr Verderben ausschmüken und ihre

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wilden Auswüchse bewundernd pflegen. A b e r vergeßt einmal diese doch auch einseitige Ansicht und folgt mir zu einer andern. Bedenkt, wieviel von diesem Verderben auf die Rechnung derer k o m m t , welche die Religion aus dem Innern des Herzens hervorgezogen haben in die bürgerliche W e l t ; gesteht daß Vieles überall unvermeidlich ist, sobald das Unendliche eine unvollkommene und beschränkte Hülle annimmt, und in das Gebiet der Zeit und der allgemeinen Einwirkung endlicher Dinge, um sich von ihr beherrschen zu laßen, herabsteigt. W i e tief aber auch dieses Verderben in ihnen eingewurzelt sein mag und wie sehr sie darunter gelitten haben mögen: so bedenkt doch, daß es die eigentliche | religiöse Ansicht aller Dinge ist, auch 247 in dem, was uns gemein und niedrig zu sein scheint, jede Spur des Göttlichen, Wahren und Ewigen aufzusuchen, und auch die entfernteste noch anzubeten; und warum soll grade dasjenige des Vortheils einer solchen B e trachtung entbehren, was die gerechtesten Ansprüche darauf hat religiös gerichtet zu werden? Jedoch Ihr werdet mehr finden als entfernte Spuren der Göttlichkeit. Ich lade Euch ein, jeden Glauben zu betrachten, zu dem sich Menschen bekannt haben, jede Religion die I h r durch einen bestimmten Namen und Charakter bezeichnet, und die vielleicht nun längst ausgeartet ist in einen C o d e x leerer Gebräuche, in ein System abstrakter Begriffe und Theorien; und wenn Ihr sie an ihrer Quelle und ihren ursprünglichen Bestandtheilen nach untersucht, so werdet Ihr finden, daß alle die todten Schlaken einst glühende Ergießungen des inneren Feuers waren, daß in Allen Religion enthalten ist, mehr oder minder von dem wahren Wesen derselben wie ich es Euch dargestellt habe; daß Jede eine von den besondern Gestalten war, welche die ewige und unendliche Religion unter endlichen und beschränkten Wesen nothwendig annehmen mußte. Damit Ihr aber nicht aufs Ohngefähr in diesem j unendlichen Chaos herumtappt — denn 248 ich muß Verzicht darauf thun Euch in demselben regelmäßig und vollständig umherzuführen; es wäre das Studium eines Lebens, und nicht das G e schäft eines Gespräches — damit Ihr ohne durch gemeine Begriffe verführt zu werden, nach einem richtigen Maaßstabe den wahren Gehalt und das eigentliche Wesen der einzelnen Religionen abmeßen, und nach bestimmten und festen Ideen das Innere von dem Äußerlichen, das Eigene von dem Erborgten und Fremden, das Heilige von dem Profanen scheiden mögt: so vergeßt fürs erste jede einzelne und das was für ihr charakteristisches M e r k mal gehalten wird, und sucht von innen heraus erst zu einer allgemeinen Idee darüber zu gelangen was eigentlich das Wesen einer bestimmten F o r m der Religion ausmacht, so werdet Ihr finden, daß grade die positiven Religionen diese bestimmten Gestalten sind unter denen die unendliche Religion sich im Endlichen darstellt, und daß die natürliche gar keinen A n -

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spruch darauf machen kann etwas ähnliches zu sein, indem sie nur eine unbestimmte dürftige und armselige Idee ist, die f ü r sich nie eigentlich existiren kann; Ihr werdet finden, daß in jenen allein eine wahre individuelle Ausbildung der religiösen Anlage mög-|lich ist, und daß sie, ihrem Wesen 249 nach, der Freiheit ihrer Bekenner darin gar keinen Abbruch thun. W a r u m habe ich angenommen, daß die Religion nicht anders als in einer unendlichen Menge durchaus bestimmter Formen vollständig gegeben werden kann? N u r aus Gründen welche als ich vom Wesen der Religion sprach entwikelt worden sind. Weil nehmlich jede Anschauung des U n e n d liehen völlig für sich besteht, von keiner andern abhängig ist und auch keine andere nothwendig zur Folge hat; weil ihrer unendlich viele sind, und in ihnen selbst gar kein G r u n d liegt, warum sie so und nicht anders eine auf die andere bezogen werden sollten, und dennoch jede ganz anders erscheint, wenn sie von einem andern Punkt aus gesehen, oder auf eine andére bezogen wird, so kann die ganze Religion unmöglich anders existiren als wenn alle diese verschiedne Ansichten jeder Anschauung die auf solche Art entstehen können wirklich gegeben werden; und dies ist nicht anders möglich als in einer unendlichen Menge verschiedner Formen, deren jede durch das verschiedene Princip der Beziehung in ihr durchaus bestimmt, und in deren Jeder derselbe Gegenstand ganz anders modificirt ist, das heißt welche sämmtlich wahre Individuen sind. Wo-|durch werden nun diese Indivi- 250 duen bestimmt und wodurch unterscheiden sie sich von einander? was ist das Gemeinschaftliche in ihren Bestandtheilen, was sie zusammenhält, oder das Anziehungsprincip dem sie folgen? wornach beurtheilt man zu welchem Individuo ein gegebnes religiöses D a t u m gehören muß? Eine bestimmte Form der Religion kann dies nicht deswegen sein, weil sie etwa ein bestimmtes Q u a n t u m religiösen Stoffs enthält. — Dies ist eben das gänzliche Mißverständniß über das Wesen der einzelnen Religionen, welches sich häufig unter ihre Bekenner selbst verbreitet und den G r u n d zum Verderben gelegt hat. Sie haben eben gemeint, weil doch so viele Menschen sich dieselbe Religion zueignen, so müßten sie auch dieselben religiösen Ansichten und Gefühle, daßelbe Meinen und Glauben haben, und eben dies Gemeinschaftliche müße das Wesen ihrer Religion sein. Es ist überall nicht leicht möglich das eigentliche Charakteristische und Individuelle einer Religion mit Sicherheit zu finden, wenn man es so aus dem Einzelnen abstrahirt; aber hierin, so gemein auch der Begriff ist, kann es doch am wenigsten liegen, und wenn Ihr etwa auch glaubt daß die positiven Religionen deswegen der Freiheit des Einzelnen sei-|ne Religion auszubilden nach- 251 35 zu] zn

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theilig sind, weil sie eine bestimmte Summe von religiösen Anschauungen und Gefühlen fordern und andere ausschließen, so seid Ihr im Irrthum. Einzelne Anschauungen und Gefühle sind wie Ihr wißt die Elemente der Religion, und diese nur so quantitativ zu betrachten wie viele ihrer und namentlich was für welche vorhanden sind, das kann uns unmöglich auf den Charakter eines Individuums der Religion führen. W e n n sich die Religion deswegen individualisiren muß, weil von jeder Anschauung verschiedene Ansichten möglich sind je nachdem sie auf die übrigen bezogen wird, so wäre uns freilich mit einem solchen ausschließlichen Zusammenfaßen mehrerer unter ihnen, wodurch ja keine von jenen möglichen Ansichten bestimmt wird, gar nichts geholfen, und wenn die positiven Religionen sich nur durch eine solche Ausschließung unterschieden, so wären sie freilich nicht die individuellen Erscheinungen, welche wir suchen. D a ß dies aber in der T h a t nicht ihr Charakter ist erhellt daraus weil es unmöglich ist von diesem Gesichtspunkt aus zu einem bestimmten Begrif von ihnen zu gelangen, und der muß ihnen doch zum Grunde liegen weil sie sonst sehr bald in einander fließen würden. Zum Wesen der Religion ha-|ben wir es gerechnet 252 daß es keinen bestimmten innern Zusammenhang zwischen den verschiedenen Anschauungen und Gefühlen vom Universum giebt, daß Jedes einzelne für sich besteht und durch tausend zufällige Combinationen auf Jedes andre führen kann. Daher ist schon in der Religion jedes einzelnen Menschen, wie sie sich im Lauf seines Lebens bildet, nichts zufälliger als die bestimmte Summe seines religiösen Stoffs. Einzelne Ansichten können sich ihm verdunkeln, andere können ihm aufgehn und sich zur Klarheit bilden, und seine Religion ist von dieser Seite immer beweglich und fließend. Dies Fließende kann also unmöglich das Feststehende und Wesentliche in der mehreren gemeinschaftlichen Religion sein; denn wie höchst zufällig und selten muß es sich nicht ereignen, daß mehrere Menschen auch nur eine Zeit lang in demselben bestimmten Kreise von Anschauungen stehen bleiben, und auf demselben Wege der Gefühle fortgehn. Daher ist auch unter denen die ihre Religion so bestimmen ein beständiger Streit über das, was zu derselben wesentlich gehöre und was nicht; sie wißen nicht was sie als charakteristisch und nothwendig festsezen; was sie als frei und zufällig absondern sollen, sie finden den Punkt nicht aus dem sie das Ganze überse-|hen können, 253 und verstehen die religiöse Erscheinung nicht in der sie selbst zu leben, für die sie zu streiten wähnen und zu deren Ausartung sie beitragen indem sie nicht wißen w o sie stehn und was sie thun. Aber der Instinkt den sie nicht verstehen leitet sie richtiger als ihr Verstand und die Natur hält zusammen was ihre falschen Reflexionen und ihr darauf gegründetes T h u n und T r e i ben vernichten würden. W e r den Charakter einer besondern Religion in einem bestimmten Q u a n t o von Anschauung und Gefühlen sezt, der muß nothwendig einen innern und objektiven Zusammenhang annehmen, der grade diese unter einander verbindet und alle anderen ausschließt, und die-

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ser W a h n ist eben das d e m G e i s t d e r R e l i g i o n so ganz e n t g e g e n g e s e z t e P r i n cip des S y s t e m w e s e n s und des S e k t i r e n s , und das G a n z e w e l c h e s sie auf diese A r t z u bilden s t r e b e n , w ä r e nicht ein s o l c h e s wie w i r es s u c h e n , w o d u r c h die R e l i g i o n in allen ihren T h e i l e n eine b e s t i m m t e G e s t a l t g e w i n n t , 5 s o n d e r n es w ä r e ein g e w a l t s a m e r A u s s c h n i t t aus dem U n e n d l i c h e n , n i c h t eine R e l i g i o n , s o n d e r n eine S e k t e , der irreligiöseste B e g r i f , den man im G e b i e t der R e l i g i o n k a n n realisiren w o l l e n . — A b e r die F o r m e n w e l c h e das U n i v e r s u m h e r v o r g e b r a c h t hat u n d w e l c h e w i r k l i c h v o r h a n d e n | sind, sind

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auch n i c h t G a n z e von dieser A r t . Alles Sektiren es sei nun spekulativ, um 10 einzelne A n s c h a u u n g e n in einen p h i l o s o p h i r e n d e n Z u s a m m e n h a n g z u b r i n g e n , o d e r ascetisch u m auf ein S y s t e m und eine b e s t i m m t e S u c c e ß i o n von G e f ü h l e n z u dringen, arbeitet auf eine m ö g l i c h s t v o l l e n d e t e G l e i c h f ö r m i g keit A l l e r die an d e m s e l b e n S t ü k R e l i g i o n A n t h e i l h a b e n w o l l e n ; und w e n n .es d e n e n die von dieser W u t h angestekt sind, und denen es g e w i ß an T h ä t i g 15 keit nicht fehlt, n o c h nie gelungen ist irgend eine positive R e l i g i o n bis dahin zu b r i n g e n ; s o werdet I h r d o c h g e s t e h e n , d a ß diese, da sie d o c h auch einmal entstanden sind, u n d in so fern sie t r o z j e n e r A n g r i f f e n o c h existiren, nach e i n e m andern P r i n c i p gebildet w o r d e n sein und einen andern C h a r a k t e r haben m ü ß e n ; J a w e n n I h r an die Zeit d e n k t , w o sie e n t s t a n d e n sind, so w e r 20 det I h r dies n o c h deutlicher e i n s e h n : denn I h r w e r d e t E u c h e r i n n e r n , daß j e d e positive R e l i g i o n w ä h r e n d ihrer B i l d u n g und ihrer B l ü t h e , zu der Zeit also, w o ihre e i g e n t h ü m l i c h e L e b e n s k r a f t am j u g e n d l i c h s t e n und frischesten w i r k t und also am sichersten e r k a n n t w e r d e n k a n n , sich in einer ganz e n t g e g e n g e s e z t e n R i c h t u n g b e w e g t , nicht sich c o n c e n t r i r e n d und Vieles aus 25 sich a u s s c h n e i d e n d , s o n d e r n w a c h s e n d nach a u ß e n , i m m e r neue Zwei-|ge

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t r e i b e n d , und i m m e r m e h r religiösen S t ö f s sich aneignend und ihrer b e s o n dern N a t u r g e m ä ß ausbildend. N a c h j e n e m falschen P r i n c i p also sind sie nicht gestaltet, es ist nicht E i n s mit ihrer N a t u r , es ist ein von außen einges c h l i c h e n e s V e r d e r b e n , und da es ihnen e b e n so w o l z u w i d e r ist, als dem 30 G e i s t der R e l i g i o n ü b e r h a u p t : s o k a n n ihr V e r h ä l t n i ß gegen d a ß e l b e , welches ein i m m e r w ä h r e n d e r K r i e g ist, eher b e w e i s e n als widerlegen d a ß sie die individuellen E r s c h e i n u n g e n der R e l i g i o n sind, w e l c h e w i r s u c h e n . E b e n so w e n i g sind alle die V e r s c h i e d e n h e i t e n in der R e l i g i o n ü b e r haupt auf w e l c h e ich E u c h b i s h e r hie und da a u f m e r k s a m g e m a c h t h a b e , 35 h i n r e i c h e n d eine d u r c h a u s und als ein I n d i v i d u u m b e s t i m m t e F o r m h e r v o r z u b r i n g e n . J e n e drei so oft a n g e f ü h r t e n A r t e n das U n i v e r s u m a n z u s c h a u e n als C h a o s , als S y s t e m und in seiner e l e m e n t a r i s c h e n V i e l h e i t , sind weit dav o n e n t f e r n t e b e n so viel e i n z e l n e und b e s t i m m t e R e l i g i o n e n zu sein. I h r w e r d e t w i ß e n , d a ß w e n n man einen B e g r i f eintheilt so viel man will und bis 40 ins U n e n d l i c h e f o r t , so k o m m t m a n d o c h d a d u r c h nie auf I n d i v i d u e n , s o n dern i m m e r nur auf w e n i g e r allgemeine B e g r i f f e , die u n t e r jenen enthalten sind, auf A r t e n und U n t e r a b t h e i l u n g e n , die w i e d e r eine M e n g e sehr | vers c h i e d e n e r Individuen unter sich begreifen k ö n n e n : um aber den C h a r a k t e r

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der Einzelwesen selbst zu finden muß man aus dem allgemeinen Begrif und seinen Merkmalen herausgehn. Jene drei Verschiedenheiten in der Religion sind aber in der That nichts anders als eine gewöhnliche und überall wiederkommende Eintheilung des Begrifs der Anschauung. Sie sind also Arten der Religion, aber nicht bestimmte Formen, und das Bedürfniß, weswegen wir diese suchen würde auch dadurch, daß Religion auf diese dreifache Weise vorhanden ist, gar nicht befriediget werden. Einzelne Anschauungen haben wol in einer Jeden von ihnen einen eignen Charakter, und deswegen muß jede bestimmte Form der Religion sich zu Einer von diesen Arten halten: aber eine eigne Beziehung und Lage der verschiedenen Anschauungen gegen einander wird durch sie keinesweges ausschließend bestimmt, und in diesem Betracht bleibt nach dieser Eintheilung Alles noch eben so unendlich und eben so vieldeutig als vorher. — Mehr Schein mögte es vielleicht haben, daß der Personalismus und die ihm entgegengesezte Pantheistische Vorstellungsart in der Religion uns zwei solche individuelle Formen derselben an die Hand gebe; aber Schein ist es doch auch | nur. Diese Vorstel- 257 lungsarten gehen ja durch alle drei Arten der Religion hindurch, und können schon um deswillen keine Individuen sein, weil doch unmöglich ein Individuum drei verschiedene specielle Charaktere in sich vereinigen kann. Bei genauer Betrachtung müßt Ihr aber auch sehen, daß durch sie ebenfalls keine bestimmte Beziehung mehrerer religiöser Anschauungen auf einander gegeben sei. Ja, wenn die Idee von einer persönlichen Gottheit eine einzelne religiöse Anschauung wäre, dann freilich wäre der Personalismus in jeder von den drei Arten der Religion eine völlig bestimmte Form, denn aller religiöse Stoff wird in ihm auf diese Idee bezogen: aber ist denn das? Ist diese Idee eine einzelne Anschauung des Universums, ein einzelner Eindruk von demselben, den etwas bestimmtes Endliches in mir hervorbringt? So müßte ja der Pantheismus, der jenem gegenüber gestellt wird, auch eine sein? so müßte es für beide gewiße bestimmte Wahrnehmungen geben, woraus sie geschöpft würden; und wo sind diese je aufgezeigt worden? so müßte es einzelne Anschauungen der Religion geben die einander entgegengesezt sind, was nicht sein kann. Auch sind diese beiden Vorstellungsarten gar nicht verschiedene Anschauungen des Universums im | Endlichen, nicht 258 Elemente der Religion, sondern verschiedene Arten das Universum, indem es im Endlichen angeschaut wird, zugleich als Individuum zu denken, da denn die eine ihm ein eigenthümliches Bewußtsein beilegt und die andere nicht. Alle einzelnen Elemente der Religion bleiben in Absicht auf ihre gegenseitige Lage eben so unbestimmt, und keine von den vielen Ansichten derselben wird dadurch realisirt daß der eine oder der andere Gedanke sie begleitet; wie Ihr das überall sehn könnt wo etwas religiös und zugleich rein

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deistisch dargestellt sein soll, wo Ihr finden werdet, daß alle Anschauungen und Gefühle, und besonders — welches der Punkt ist, um den sich in dieser Sphäre Alles zu drehen pflegt — die Anschauungen von den Bewegungen der Menschheit im Einzelnen und von der Einheit in dem, was über ihre Willkühr hinaus liegt, in ihrem Verhältniß gegeneinander völlig im U n b e stimmten und Vieldeutigen schweben. Sie sind also beide ebenfalls nur allgemeinere F o r m e n , deren Gebiet erst mit den individuellen und bestimmten angefüllt werden soll, und wenn Ihr auch dieses Gebiet dadurch einschränkt daß Ihr sie mit einer von den drei bestimmten Arten der Anschauung einzeln verbindet, so sind auch diese aus verschiedenen | Eintheilungs- 259 gründen des Ganzen zusammengesezte Formen doch nur eigne Unterabtheilungen; aber keinesweges durchaus bestimmte und geschloßene Ganze. Also weder der Naturalismus — ich verstehe darunter die Anschauung des Universums in seiner elementarischen Vielheit ohne die Vorstellung von persönlichem Bewußtsein und Willen der einzelnen Elemente — noch der Pantheismus, weder die Vielgötterei noch der Deismus, sind einzelne und bestimmte Religionen, wie wir sie suchen, sondern nur Arten, in deren G e biet gar viele eigentliche Individuen sich schon entwikelt haben, und noch mehrere sich entwikeln werden. — Merkt es wol, daß der Pantheismus und der Deismus keine bestimmte Formen der Religion sind, um Eurer natürlichen Religion, wenn sich etwa finden sollte, daß sie nichts ist als dieses, ihren gebührenden Plaz anweisen zu können. D a ß ichs kurz sage: ein Individuum der Religion, wie wir es suchen, kann nicht anders zu Stande gebracht werden, als dadurch, daß irgend eine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkühr — denn anders kann es nicht geschehen weil eine jede gleiche Ansprüche darauf hätte — zum Centraipunkt der ganzen Religion gemacht, und Alles darin auf sie be-|zogen wird. Dadurch kommt auf einmal ein bestimmter Geist 260 und ein gemeinschaftlicher Charakter in das Ganze; Alles wird fixirt was vorher vieldeutig und unbestimmt war; von den unendlich vielen verschiednen Ansichten und Beziehungen einzelner Elemente, welche Alle möglich waren, und Alle dargestellt werden sollten, wird durch jede solche Formation Eine durchaus realisirt; alle einzelnen Elemente erscheinen nun von einer gleichnamigen Seite, von der, welche jenem Mittelpunkt zugekehrt ist, und alle Gefühle erhalten eben dadurch einen gemeinschaftlichen T o n und werden lebendiger und eingreifender in einander. N u r in der Totalität aller nach dieser Construction möglichen Formen kann die ganze Religion wirklich gegeben werden, und sie wird also nur in einer unendlichen Succeßion kommender und wieder vergehender Gestalten dargestellt, und nur was in einer von diesen Formen liegt trägt zu ihrer vollendeten Darstellung

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etwas bei. Jede solche Gestaltung der Religion, wo in Beziehung auf eine Centraianschauung Alles gesehen und gefühlt wird, wo und wie sie sich auch bilde, und welches immer diese vorgezogene Anschauung sei, ist eine eigene positive Religion; in Beziehung auf das Ganze eine Häresis — ein Wort das wie-|der zu Ehren gebracht werden sollte — weil etwas höchst 261 willkiihrliches die Ursach ihrer Entstehung ist; in Rüksicht auf die Gemeinschaft aller Theilhaber und ihr Verhältniß zu dem, der zuerst ihre Religion gestiftet hat, weil er zuerst jene Anschauung im Mittelpunkt der Religion sah, eine eigne Schule und Jüngerschaft. Und wenn nur in und durch solche bestimmte Formen die Religion dargestellt wird, so hat auch nur der, welcher sich mit der seinigen in einer solchen niederläßt, eigentlich einen festen Wohnsiz und daß ich so sage ein aktives Bürgerrecht in der religiösen Welt, nur E r kann sich rühmen zum Dasein und zum Werden des Ganzen etwas beizutragen; nur Er ist eine eigne religiöse Person mit einem Charakter und festen und bestimmten Zügen. Muß also doch Jeder, werdet Ihr ziemlich bestürzt fragen, in deßen Religion eine Anschauung die herrschende ist, zu einer von den vorhandenen Formen gehören? Mit nichten; aber eine Anschauung muß in seiner Religion die herrschende sein, sonst ist sie so gut als Nichts. Habe ich denn von zwei oder drei bestimmten Gestalten geredet, und gesagt daß sie die einzigen bleiben sollen? Unzählige sollen sich ja entwikeln von allen Punkten aus, und derjenige, der | sich nicht in eine von den schon vorhandenen 262 schikt, ich möchte sagen, der nicht im Stande gewesen wäre, sie selbst zu machen, wenn sie noch nicht existirt hätte, der wird gewiß auch zu keiner von ihnen gehören, sondern eine neue machen. Bleibt er allein damit und ohne Jünger: es schadet nicht. Immer und überall existiren Keime desjenigen, was noch zu keinem weiter ausgebreiteten Dasein gelangen kann: aber sie existiren doch, und so existirt auch seine Religion, und hat eben so gut eine bestimmte Gestalt und Organisation, ist eben so gut eine eigene positive Religion als ob er die größte Schule gestiftet hätte. Ihr seht, daß diese vorhandenen Formen keinen Menschen durch ihr früheres Dasein hindern, sich eine Religion seiner éigenen Natur und seinem Sinn gemäß auszubilden. O b er in einer von ihnen wohnen, oder eine eigne erbauen werde, das hängt lediglich davon ab welche Anschauung des Universums ihn zuerst mit rechter Lebhaftigkeit ergreift. Dunkle Ahndungen, welche ohne das Innere des Gemüths zu durchdringen unerkannt wieder verschwinden, und wol jeden Menschen oft und früher umschweben, mögen vom Hörensagen entstehn, und bleiben ohne Beziehung, sind auch nichts individuelles; aber wenn Einem der | Sinn fürs Universum in einem klaren Bewußtsein und in 263 einer bestimmten Anschauung für immer aufgeht, so bezieht er auf diese hernach Alles, um sie her gestaltet sich Alles, durch diesen Moment wird seine Religion bestimmt, und ich hoffe Ihr werdet nicht sagen daß darauf etwas Natürliches oder Ererbtes Einfluß haben könne, und Ihr werdet auch

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nicht meinen, die Religion eines Menschen sei deshalb weniger e i g e n t ü m lich und weniger die seinige, wenn sie in einer Gegend liegt wo schon Mehrere versammelt sind. Wenn aber auch Tausende vor ihm, mit ihm und nach ihm ihr religiöses Leben mit derselben Anschauung anfangen, wird es deswegen in Allen daßelbe sein, und wird sich die Religion in Allen gleich bilden? Erinnert Euch doch, daß in jeder bestimmten Form der Religion nicht etwa nur eine beschränkte Anzahl von Anschauungen zu derselben Ansicht und Beziehung auf Eine gestattet werden solle, sondern die ganze unendliche Menge derselben: gewährt das nicht einem Jeden Spielraum genug? Ich wüßte nicht, daß es schon einer einzigen gelungen wäre, ihr ganzes Gebiet in Besiz zu nehmen und Alles ihrem Geiste gemäß zu bestimmen und darzustellen: Wenigen nur ist es vergönnt gewesen in der Zeit ihrer Freiheit | und ihres beßeren Lebens nur das Nächste am Mittelpunkt recht auszubil- 264 den und zu vollenden. Die Erndte ist groß, und der Arbeiter sind wenige. Ein unendliches Feld ist eröfnet in jeder dieser Religionen, worin Tausende sich zerstreuen mögen; unbebaute Gegenden genug werden sich dem Auge eines Jeden darstellen, der etwas eigenes zu schaffen und hervorzubringen fähig ist, und heilige Blumen duften und prangen in allen Gegenden wohin noch keiner gedrungen ist um sie zu betrachten und zu genießen. Aber so wenig ist Euer Vorwurf, als ob innerhalb einer positiven Religion der Mensch die seinige nicht mehr eigenthümlich ausbilden könnte, gegründet, daß sie nicht nur, wie Ihr eben gesehen habt, für einen Jeden Raum genug laßen: sondern daß auch grade in so fern der Mensch in eine positive Religion eintritt und aus demselben Grunde, die seinige noch in einem andern Sinne ein besonderes Individuum nicht nur sein kann, sondern auch von selbst werden wird. Betrachtet noch einmal den erhabenen Augenblik in welchem der Mensch überhaupt zuerst in das Gebiet der Religion eintritt. Die erste bestimmte religiöse Ansicht, die in sein Gemüth mit einer solchen Kraft eindringt, daß | durch einen einzigen Reiz sein Organ 265 fürs Universum zum Leben gebracht und von nun an auf immer in Thätigkeit gesezt wird, bestimmt freilich seine Religion; sie ist und bleibt seine Fundamental-Anschauung in Beziehung auf welche er Alles ansehen wird, und es ist im Voraus bestimmt, in welcher Gestalt ihm jedes Element der Religion sobald er es wahrnimmt, erscheinen muß. Das ist die objektive Seite dieses Moments; seht aber auch auf die subjektive: so wie durch ihn in jener Rüksicht seine Religion in so fern bestimmt wird, daß sie zu einem in Rüksicht des unendlichen Ganzen völlig geschloßnen Individuum gehört, aber doch nur als ein unbestimmtes Bruchstük deßelben, denn nur mit mehreren vereint kann es das Ganze darstellen: so wird durch denselben Moment auch seine Religiosität in Rüksicht der unendlichen religiösen An-

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läge der Menschheit als ein ganz eignes und neues Individuum zur Welt gebracht. Dieser Augenblik ist nemlich zugleich ein bestimmter Punkt in seinem L e b e n , ein Glied in der ihm ganz eigenthümlichen Reihe geistiger Thätigkeiten, eine Begebenheit, die, wie jede andere, in einem bestimmten Zusammenhange steht mit einem Vorher, einem J e z t und N a c h h e r ; und da dieses Vorher und J e z t in Jedem Ein-|zelnen etwas ganz eigenthümliches 266 ist, so wird es das Nachher auch; da sich an diesen M o m e n t , und an den Zustand in welchem er das Gemiith überraschte und an seinen Zusammenhang mit dem früheren dürftigern Bewußtsein das ganze folgende religiöse Leben anknüpft und sich gleichsam genetisch daraus entwikelt: so hat es auch in jedem Einzelnen eine eigene durchaus bestimmte Persönlichkeit, so wie sein menschliches Leben selbst. So wie, indem ein Theil des unendlichen Bewußtseins sich losreißt und als ein endliches an einen bestimmten M o m e n t in der Reihe organischer Evolutionen sich anknüpft, ein neuer Mensch entsteht, ein eignes Wesen, deßen abgesondertes Dasein unabhängig von der Menge und der objektiven Beschaffenheit seiner Begebenheiten und Handlungen, in der Einheit des fortdauernden und an jenen ersten M o ment sich anschließenden Bewußtseins, und in der eigenthümlichen Beziehung jedes Späteren auf ein bestimmtes Früheres, und in dem Einfluß dieses Früheren auf die Bildung des Späteren besteht: so entsteht auch in jenem Augenblik, in welchem ein bestimmtes Bewußtsein des Universums anhebt, ein eignes religiöses Leben, eigen, nicht durch unwiderrufliche B e schränkung auf eine besondere Anzahl und Auswahl von An-|schauungen 267 und Gefühlen, nicht durch die Beschaffenheit des darin vorkommenden religiösen Stoffs, den er mit allen gemein hat, welche mit ihm zu derselben Zeit und in derselben Gegend der Religion geistig geboren sind; sondern durch das, was er mit Keinem gemein haben kann, durch den immerwährenden Einfluß des Zustandes, in welchem sein G e m ü t h zuerst vom U n i versum begrüßt und umarmt worden ist, durch die eigene Art wie er die Betrachtung deßelben und die Reflexion darüber verarbeitet, durch den Charakter und T o n , in welchen dies die ganze folgende Reihe seiner religiösen Ansichten und Gefühle hineinstimmt, und welcher sich nie verliert, wie weit er auch hernach in der Anschauung des Universums fortschreitet über das hinaus, was die erste Kindheit seiner Religion ihm darbot. Wie jedes intellektuelle endliche Wesen seine geistige Natur und seine Individualität dadurch beurkundet daß es Euch auf jene Vermählung des U n e n d lichen mit dem Endlichen als auf seinen Ursprung zurükführt, auf jenes unbegreifliche Faktum über welches hinaus Ihr die Reihe des Endlichen nicht weiter verfolgen könnt, und wobei Eure Fantasie Euch versagt wenn Ihr es aus irgend etwas Früherem, es sei Willkühr oder Natur, erklären wollt: |

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eben so m ü ß t I h r J e d e m ein eigenthiimliches geistiges L e b e n z u g e s t e h n ,

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der E u c h als D o k u m e n t seiner religiösen Individualität ein e b e n so u n b e greifliches F a k t u m aufzeigt wie auf einmal m i t t e n u n t e r d e m E n d l i c h e n und E i n z e l n e n das B e w u ß t s e i n des U n e n d l i c h e n und des G a n z e n sich i h m ent5 w i k e l t hat. J e d e n , der so den G e b u r t s t a g seines geistigen L e b e n s angeben und eine W u n d e r g e s c h i c h t e erzählen kann v o m U r s p r u n g seiner R e l i g i o n , die als eine u n m i t t e l b a r e E i n w i r k u n g der G o t t h e i t und als eine R e g u n g ihres G e i s t e s e r s c h e i n t , m ü ß t I h r auch dafür ansehn daß er etwas eigenes sein und daß etwas b e s o n d e r e s mit ihm gesagt sein s o l l : denn so etwas geschieht 10 n i c h t , u m eine leere D o u b l e t t e h e r v o r z u b r i n g e n im R e i c h der R e l i g i o n . U n d so wie jedes auf j e n e A r t e n t s t a n d e n e W e s e n n u r aus sich erklärt, und nie ganz verstanden w e r d e n k a n n , w e n n I h r nicht so weit als m ö g l i c h auf die ersten Ä u ß e r u n g e n der W i l l k ü h r in den frühesten Z e i t e n z u r ü k g e h t : so ist auch die religiöse P e r s ö n l i c h k e i t eines J e d e n ein g e s c h l o ß e n e s G a n z e und 15 ihr V e r s t e h e n b e r u h t darauf daß I h r die ersten O f f e n b a r u n g e n derselben zu e r f o r s c h e n s u c h t . D a r u m glaube ich a u c h , d a ß es E u c h nicht E r n s t ist mit dieser ganzen K l a g e gegen die positiven R e l i g i o n e n ; es ist w o l n u r | ein v o r -

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gefaßter B e g r i f : denn I h r seid viel zu sorglos u m die S a c h e als daß I h r dazu b e r e c h t i g t sein solltet. I h r h a b t w o l nie den B e r u f gefühlt E u c h a n z u s c h m i e 20 gen an die w e n i g e n religiösen M e n s c h e n , die I h r vielleicht sehen k ö n n t — o b g l e i c h sie i m m e r a n z i e h e n d und l i e b e n s w e r t h genug sind — um etwa d u r c h das M i k r o s k o p d e r F r e u n d s c h a f t o d e r der näheren K e n n t n i ß die ihr w e n i g s t e n s ähnlich sieht genauer zu u n t e r s u c h e n wie sie fürs U n i v e r s u m und durch d a ß e l b e organisirt sind. M i r , der ich sie fleißig b e t r a c h t e t h a b e , 25 der ich sie eben so m ü h s a m aufsuche und mit eben der heiligen Sorgfalt b e o b a c h t e , w e l c h e I h r den Seltenheiten der N a t u r w i d m e t , m i r ist es oft eingefallen, o b nicht s c h o n das E u c h zur R e l i g i o n führen k ö n n t e , w e n n I h r nur A c h t darauf gäbet, wie allmächtig die G o t t h e i t den T h e i l der Seele in w e l c h e m sie v o r z ü g l i c h w o h n t , in w e l c h e m sie sich in ihren u n m i t t e l b a r e n 30 W i r k u n g e n o f f e n b a r t und sich selbst b e s c h a u t , auch als ihr Allerheiligstes ganz eigen e r b a u t und a b s o n d e r t von allem was s o n s t im M e n s c h e n gebaut und gebildet w i r d , und wie sie sich darin durch die u n e r s c h ö p f l i c h s t e M a n nigfaltigkeit der F o r m e n in i h r e m ganzen R e i c h t h u m v e r h e r r l i c h t . Ich w e nigstens bin i m m e r aufs neue erstaunt ü b e r die vielen m e r k w ü r d i g e n B i l 35 düngen auf dem so w e n i g | b e v ö l k e r t e n G e b i e t der R e l i g i o n , wie sie sich von einander u n t e r s c h e i d e n d u r c h die verschiedensten A b s t u f u n g e n

der

E m p f ä n g l i c h k e i t f ü r den R e i z d e ß e l b e n G e g e n s t a n d e s , und d u r c h die g r ö ß te V e r s c h i e d e n h e i t d e ß e n was in i h n e n g e w i r k t w i r d , d u r c h die M a n n i g f a l tigkeit des T o n s den die e n t s c h i e d e n e U b e r m a c h t d e r einen o d e r der andern 40 A r t von G e f ü h l e n h e r v o r b r i n g t und durch allerlei I d i o s y n k r a s i e n der R e i z -

30 und] nnd

32 wie] so DV; OD: wenn

38 durch] dnrch

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barkeit und Eigenthümlichkeiten der Stimmung, indem bald Jeder seine eigene Situation hat worin die religiöse Ansicht der Dinge ihn vorzüglich beherrscht. Dann wieder wie der religiöse Charakter des Menschen oft etwas ganz eigenthümliches in ihm ist, wie abgeschieden von Allem was er in seinen übrigen Anlagen entdekt, wie das ruhigste und nüchternste Gemüth hier des stärksten der Leidenschaft ähnlichen Affektes fähig ist; wie der stumpfste Sinn für gemeine und irdische Dinge hier innig fühlt bis zur Wehmuth und klar sieht bis zur Entzükung und Weißagung; wie der schüchternste Muth in allen weltlichen Angelegenheiten von heiligen Dingen und für sie oft bis zum Märtyrerthum laut durch die Welt und das Zeitalter hindurch spricht. Und wie wunderbar oft dieser religiöse Charakter selbst geartet und zusammengesezt ist, Bildung und | Rohheit, Capacität und Beschränkung, Zartheit und Härte in jedem auf eine eigne Weise unter einander gemischt und in einander verschlungen. W o ich alle diese Gestalten gesehen habe? In dem eigentlichen Gebiet der Religion, in ihren bestimmten Formen in den positiven Religionen die Ihr für das Gegentheil verschreit, unter den Heroen und Märtyrern eines bestimmten Glaubens, unter den Schwärmern für bestimmte Gefühle, unter den Verehrern eines bestimmten Lichtes und individueller Offenbarungen, da will ich sie Euch zeigen zu allen Zeiten und unter allen Völkern. Auch ist es nicht anders, nur da können sie anzutreffen sein. So wie kein Mensch als Individuum zur Existenz kommen kann ohne zugleich durch denselben Actus auch in eine Welt, in eine bestimmte Ordnung der Dinge und unter einzelne Gegenstände versezt zu werden; so kann auch ein religiöser Mensch zu seiner Individualität nicht gelangen, er wohne denn durch dieselbe Handlung sich auch ein in irgend eine bestimmte Form der Religion. Beides ist die Wirkung eines und deßelben Momentes, und kann also Eins vom Andern nicht getrennt werden. Wenn eines Menschen ursprüngliche Anschauung des Universums nicht Kraft genug hat sich selbst zum Mittelpunkt | seiner Religion zu machen um den sich Alles in ihr bewegt, so wirkt auch ihr Reiz nicht stark genug um den Prozeß eines eignen und rüstigen religiösen Lebens einzuleiten. Und nun ich Euch diese Rechenschaft abgelegt habe, so sagt mir doch auch wie es in Eurer gerühmten natürlichen Religion um diese persönliche Ausbildung und Individualisirung steht? Zeiget mir doch unter ihren Bekennern auch eine so große Mannigfaltigkeit stark gezeichneter Charaktere! Denn ich muß gestehen, ich selbst habe sie unter ihnen niemals finden können, und wenn Ihr rühmt daß sie ihren Anhängern mehr Freiheit gewähre sich nach eignem Sinn religiös zu bilden, so kann ich mir nichts anders darunter denken als — wie denn das Wort oft so gebraucht wird — die Freiheit auch ungebildet zu bleiben, die Freiheit von jeder Nöthigung nur überhaupt irgend etwas bestimmtes zu sein, zu sehen und zu empfinden. Die Religion spielt doch in ihrem Gemüth eine gar zu dürftige Rolle. Es ist als

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ob sie gar keinen eignen Puls, kein eignes System von Gefäßen, keine eigne Circulation und also auch keine eigne Temperatur, und keine aßimilirende Kraft für sich hätte, und keinen Charakter; sie ist überall mit | ihrer Sittlich- 273 keit und ihrer natürlichen Empfindsamkeit vermischt; in Verbindung mit denen, oder vielmehr ihnen demüthig nachtretend, bewegt sie sich träge und sparsam, und wird nur gelegentlich tropfenweise abgeschieden von jenen zum Zeichen ihres Daseins. Zwar ist mir mancher achtungswerthe und kräftige religiöse Charakter vorgekommen, den die Bekenner der positiven Religionen, nicht ohne sich über das Phänomen zu verwundern, für einen Bekenner der natürlichen ausgaben: aber genau betrachtet erkannten ihn diese nicht mehr für ihres gleichen; er war immer schon etwas von der ursprünglichen Reinheit der Vernunftreligion abgewichen und hatte einiges Willkührliche und Positive in die seinige aufgenommen, was nur J e n e nicht erkannten, weil es von dem ihrigen zu sehr verschieden war. Warum mißtrauen sie gleich Jedem der etwas eigenthümliches in seine Religion bringt? Sie wollen eben auch Alle gleichförmig sein — nur entgegengesezt dem E x trem auf der andern Seite, den Sektirern meine ich — gleichförmig im U n bestimmten. So wenig ist an eine besondere persönliche Ausbildung zu denken in der natürlichen Religion, daß ihre ächtesten Verehrer nicht einmal mögen, daß die Religion des Menschen eine eigene Geschich-|te haben 274 und mit einer Denkwürdigkeit anfangen soll. Das ist ihnen schon zu viel: denn Mäßigkeit ist ihre Hauptsache in der Religion, und wer so Etwas von sich zu sagen weiß k o m m t schon in den üblen Geruch, daß er einen Ansaz habe zum leidigen Fanatismus. N a c h und nach soll der Mensch religiös werden, wie er klug und verständig wird und Alles andere was er sein soll; durch den Unterricht und die Erziehung soll ihm das Alles k o m m e n ; nichts muß dabei sein was für übernatürlich oder auch nur für sonderbar könnte gehalten werden. Ich will nicht sagen, daß mir das, von wegen des Unterrichts und der Erziehung die Alles sein sollen, den Verdacht beibringt, als sei die natürliche Religion ganz vorzüglich von jenem Ü b e l einer Vermischung, ja gar einer Verwandlung in Philosophie und Moral befallen; aber das ist doch klar, daß sie nicht von irgend einer lebendigen Anschauung ausgegangen sind, und daß auch keine ihr fester Mittelpunkt ist, weil sie gar nichts wißen unter sich, wovon der Mensch auf eine eigne Weise müßte ergriffen werden. D e r Glaube an einen persönlichen G o t t , das wißen sie selbst, ist nicht das Resultat einer bestimmten einzelnen Anschauung des Universums im Endlichen; darum fragen sie auch Keinen, der ihn | hat, wie 275 er dazu gekommen sei; sondern so wie sie ihn demonstriren wollen, meinen sie auch, er müße Allen andemonstrirt sein. Sonst einen andern und bestimmteren Mittelpunkt, den sie hätten, möchtet Ihr wol schwerlich aufzeigen können. Das Wenige, was ihre magre und dünne Religion enthält steht für sich in unbestimmter Vieldeutigkeit da: sie haben eine Vorsehung überhaupt, eine Gerechtigkeit überhaupt, eine göttliche Erziehung überhaupt;

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alle diese Anschauungen sehen sie gegen einander bald in dieser bald in jener Perspektive und Verkürzung, und sie gelten ihnen bald Dies bald Jenes; oder wenn ja eine gemeinschaftliche Beziehung auf einen Punkt darin anzutreffen ist, so liegt dieser Punkt außerhalb der Religion, und es ist eine Beziehung auf etwas fremdes, darauf daß die Sittlichkeit ja nicht gehindert werde, und daß der Trieb nach Glükseligkeit einige Nahrung erhalte — Dinge wornach wahrhaft religiöse Menschen bei der Construktion der Elemente ihrer Religion niemals gefragt haben, Beziehungen wodurch ihr kärgliches religiöses Eigenthum noch mehr zerstreut und auseinder getrieben wird. Sie hat also für ihre religiösen Anschauungen keine Einheit einer bestimmten Ansicht, diese natürliche Religion, sie ist also auch keine bestimmte I F o r m , keine eigne individuelle Darstellung der Religion, und die, 276 welche nur sie bekennen, haben keinen bestimmten Wohnsiz in ihrem Reich, sondern sind Fremdlinge, deren Heimath, wenn sie eine haben, woran ich zweifle, anderswo liegen muß. Sie kommt mir vor wie die Maße, welche zwischen den Weltsystemen dünn und zerstreut schweben soll, hier von dem einen, dort von dem andern ein wenig angezogen; aber von keinem stark genug, um in seinen Wirbel fortgerißen zu werden. W o z u sie da ist, mögen die Götter wißen; es müßte denn sein, um zu zeigen, daß auch das Unbestimmte auf gewiße Weise existiren kann. Eigentlich aber ist es doch nur ein Warten auf die Existenz, zu der sie nicht anders kommen könnten, als wenn eine Gewalt stärker als jede bisherige und auf andere Weise sie ergriffe. Mehr kann ich ihnen nicht zugestehn, als die dunkeln Ahndungen, welche jener lebendigen Anschauung vorangehn, die dem Menschen sein religiöses Leben aufthut. Es giebt gewiße dunkle Regungen und Vorstellungen, die gar nicht mit der Persönlichkeit eines Menschen zusammenhängen, sondern gleichsam nur die Zwischenräume derselben ausfüllen, und in Allen gleichförmig eben daßelbe sind: so ist ihre Religion. Höchstens ist sie Naturreli-|gion in dem Sinne wie man auch sonst, wenn m man von Naturphilosophie und Naturpoesie redet, den Äußerungen des rohen Instinkts diesen Namen vorsezt, um sie von der Kunst und Bildung zu unterscheiden. A b e r auf das Beßere warten sie nicht etwa, und achten es höher im G e f ü h l es nicht erreichen zu können: sondern sie widersezen sich ihm aus allen^Kräften. Das Wesen der natürlichen Religion besteht ganz eigentlich in dfcr Negation alles Positiven und Charakteristischen in der Religion, und in der heftigsten Polemik dagegen. Darum ist sie auch das würdige Produkt des Zeitalters, deßen Stekenpferd eine erbärmliche Allgemeinheit und eine leere Nüchternheit war, die mehr als irgend etwas in allen Dingen der wahren Bildung entgegenarbeitet. Zweierlei haßen sie ganz vorzüglich: sie wollen nirgends beim Außerordentlichen und Unbegreifli-

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chen anfangen; und was sie auch sein und treiben m ö g e n , so soll nirgends eine Schule hervorschmeken. D a s ist das V e r d e r b e n , welches Ihr in allen Künsten und Wißenschaften findet, es ist auch in die Religion gedrungen, und sein P r o d u k t ist dies gehaltleere und f o r m l o s e D i n g . A u t o c h t h o n e n und Autodidakten möchten sie sein in der R e l i g i o n ; aber sie haben nur das R o h e und Un-|gebildete von diesen: das Eigenthümliche hervorzubringen 278 haben sie weder Kraft noch Willen. Sie sträuben sich gegen jede bestimmte Religion welche da ist, weil sie doch zugleich eine Schule ist; aber wenn es möglich wäre, daß ihnen selbst etwas begegnete, wodurch eine eigne Religion sich in ihnen gestalten wollte, würden sie sich eben so heftig dagegen auflehnen, weil doch eine Schule daraus entstehen könnte. U n d so ist ihr Sträuben gegen das Positive und Willkührliche zugleich ein Sträuben gegen Alles B e s t i m m t e und Wirkliche. W e n n eine bestimmte Religion nicht mit einem F a k t u m anfangen soll, kann sie gar nicht anfangen: denn ein G r u n d m u ß doch da sein, und es kann nur ein subjektiver sein, warum irgend etwas hervorgezogen und in die M i t t e gestellt wird; und wenn eine Religion nicht eine bestimmte sein soll, so ist sie gar keine, sondern nur loser unzusammenhängender Stoff. Erinnert E u c h , was die D i c h t e r von einem Z u stande der Seelen vor der G e b u r t reden: wenn sich eine solche gewaltsam wehren wollte in die W e l t zu k o m m e n , weil sie eben nicht Dieser und J e n e r sein m ö c h t e , sondern ein Mensch überhaupt; diese Polemik gegen das L e ben ist die Polemik der natürlichen Religion gegen die | positiven, und dies 279 ist der permanente Zustand ihrer B e k e n n e r .

Z u r ü k also, wenn es E u c h Ernst ist die Religion in ihren bestimmten 25 Gestalten zu betrachten, von dieser erleuchteten zu den verachteten positiven Religionen, w o Alles wirklich, kräftig und bestimmt erscheint; w o jede einzelne Anschauung ihren bestimmten Gehalt und ein eignes Verhältniß zu den übrigen, jedes Gefühl seinen eignen Kreis und seine besondere B e ziehung hat; w o Ihr jede Modifikation der Religiosität irgendwo antreft, 30 und jeden Gemüthszustand in welchen nur die Religion den Menschen versezen k a n n ; w o Ihr jeden Theil derselben irgendwo ausgebildet und jede ihrer Wirkungen irgendwo vollendet findet; w o alle gemeinschaftliche A n stalten und alle einzelne Äußferungen den hohen Werth beweisen, der auf die Religion gelegt wird bis zum Vergeßen alles übrigen; w o der heilige Ei35 fer, mit welchem sie betrachtet, mitgetheilt, genoßen wird, und die kindliche Sehnsucht mit welcher man neuen O f f e n b a r u n g e n himmlischer Kräfte entgegensieht E u c h dafür bürgen, daß keines von ihren E l e m e n t e n , welches von diesem Punkt aus schon w a h r g e n o m m e n werden k o n n t e , übersehen w o r d e n , und keiner von ihren M o m e n t e n verschwunden ist ohne ein | 40 D e n k m a l zurükzulaßen. Betrachtet alle die mannigfaltigen Gestalten, in 280

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welcher jede einzelne Art das Universum anzuschauen schon erschienen ist; laßt Euch nicht zurükschreken weder durch geheimnißvolle Dunkelheit, noch durch wunderbare groteske Züge, und gebet dem Wahn nicht R a u m , als möchte Alles nur Fantasie und Dichtung sein: grabet nur immer tiefer, w o Euer magischer Stab einmal angeschlagen hat, Ihr werdet gewiß das Himmlische zu Tage fördern. Aber, daß Ihr ja auch auf das Menschliche seht, was die Göttliche annehmen mußte; daß Ihr ja nicht aus der Acht laßt, wie sie überall die Spuren von der Bildung jedes Zeitalters, von der G e schichte jeder Menschenart an sich trägt, wie sie oft in Knechtsgestalt einhergehen mußte, an ihren Umgebungen und an ihrem Schmuk die Dürftigkeit ihrer Schüler und ihres Wohnsizes zur Schau tragend, damit Ihr gebührend absondert und scheidet; daß Ihr ja nicht übersehet wie sie oft beschränkt worden ist in ihrem Wachsthum, weil man ihr nicht Raum ließ ihre Kräfte zu üben, wie sie oft in der ersten Kindheit kläglich vergangen ist an schlechter Behandlung und an Atrophie. U n d wenn Ihr das Ganze umfaßen wollt, so bleibt ja nicht allein bei denen Gestalten der Religion stehn, wel-|che Jahrhunderte lang geglänzt und große Völker beherrscht haben, 281 und durch Dichter und Weise vielfach verherrlicht worden sind: was historisch und religiös das merkwürdigste war, ist oft nur unter Wenige getheilt und dem gemeinen Blik verborgen geblieben.

Wenn Ihr aber auch auf diese Art die rechten Gegenstände und diese ganz und vollständig ins Auge faßt, wird es immer noch ein schwieriges Geschäft sein den Geist der Religionen zu entdeken und sie durchaus zu verstehen. N o c h einmal warne ich Euch, ihn nicht abstrahiren zu wollen 25 aus dem, was Allen, die eine bestimmte Religion bekennen, gemeinschaftlich ist: Ihr verirrt Euch in tausend vergeblichen Nachforschungen auf diesem Wege, und kommt am Ende immer anstatt des Geistes der Religion auf ein bestimmtes Quantum von Stoff; Ihr müßt Euch erinnern, daß keine je ganz wirklich geworden ist, und daß Ihr sie nicht eher kennt, bis Ihr, weit 30 entfernt sie in einem beschränkten Räume zu suchen, selbst im Stande seid sie zu ergänzen, und zu bestimmen, wie dies und jenes in ihr geworden sein müßte, wenn ihr Gesichtskreis so weit gereicht hätte; Ihr könnt es Euch nicht fest genug einprägen, daß Alles nur darauf ankommt ihre Grundanschauung zu finden, | daß Euch alle Kenntniß vom Einzelnen nichts hilft 282 35 so lange Ihr diese nicht habt, und daß Ihr sie nicht eher habt bis Ihr alles Einzelne aus Einem erklären könnt. U n d selbst mit dieser Regel der Untersuchung, die doch nur ein Prüfstein ist, werdet Ihr tausend Verirrungen ausgesezt sein: Vieles wird Euch entgegenkommen gleichsam absichtlich

27 des Geistes] Kj zum Geiste (so 2.-4.

9 f Vgl. Phil 2,7

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35 Ihr diese] ihr diese

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um E u c h zu verführen, Vieles wird sich E u c h in den W e g stellen, um E u e r Auge auf eine falsche Seite zu richten. V o r allen Dingen bitte ich E u c h , den Unterschied ja nicht aus den Augen zu laßen zwischen d e m , was das Wesen einer einzelnen Religion ausmacht sofern sie eine bestimmte F o r m und Darstellung derselben überhaupt ist, und dem, was ihre Einheit als Schule bezeichnet und sie als solche zusammenhält. Religiöse Menschen sind durchaus historisch: das ist nicht ihr kleinstes L o b ; aber es ist auch die Q u e l l e großer Mißverständniße. D e r M o m e n t in welchem sie selbst von der Anschauung erfüllt worden sind, welche sich zum Mittelpunkt ihrer Religion gemacht hat, ist ihnen i m m e r heilig; er erscheint ihnen als eine unmittelbare E i n w i r k u n g der G o t t h e i t , und sie reden nie von dem was ihnen eig e n t ü m l i c h ist in der Religion, und von der Gestalt die sie in ihnen gewonnen hat, o h n e auf ihn | hinzuweisen. Ihr k ö n n t also denken, wie viel heiliger 283 noch ihnen der M o m e n t sein m u ß , in welchem diese unendliche Anschauung überhaupt zuerst in der Welt als Fundament und Mittelpunkt einer eignen Religion aufgestellt worden ist, da an diesen die ganze Entwikelung dieser Religion in allen Generationen und Individuen sich eben so historisch anknüpft, und doch dieses G a n z e der Religion und die religiöse Bildung einer großen M a ß e der Menschheit etwas unendlich größeres ist, als ihr eignes religiöses L e b e n und das kleine Fragment dieser Religion, welches sie persönlich darstellen. Dieses F a k t u m verherrlichen sie also auf alle Weise, häufen darauf allen S c h m u k der religiösen K u n s t , beten es an, als die reichste und wolthätigste W u n d e r w i r k u n g des H ö c h s t e n , und reden nie von ihrer Religion, stellen nie eins von ihren Elementen auf, ohne es in V e r bindung mit diesem F a k t u m zu sezen und so darzustellen. W e n n also die beständige E r w ä h n u n g deßelben alle Äußerungen der Religion begleitet, und ihnen eine eigene Farbe giebt; so ist nichts natürlicher als dieses F a k tum mit der Grundanschauung der Religion selbst zu verwechseln; dies hat nur nicht Alle verführt, und die Ansicht fast aller Religionen verschoben. Vergeßt also nie, daß die Grundanschauung einer Religion | nichts sein 284 kann, als irgend eine Anschauung des Unendlichen im Endlichen, irgend ein allgemeines E l e m e n t der R e l i g i o n ; welches in allen andern aber auch v o r k o m m e n darf, und wenn sie vollständig sein sollten, v o r k o m m e n m ü ß te, nur daß es in ihnen nicht in den Mittelpunkt gestellt ist. — Ich bitte E u c h , nicht Alles, was Ihr bei den H e r o e n der Religion oder in den heiligen U r k u n d e n findet für Religion zu halten, und den unterscheidenden Geist darin zu suchen. N i c h t Kleinigkeiten meine ich damit, wie Ihr leicht denken k ö n n t , noch solche Dinge, die nach jedes Ermeßen der Religion ganz fremd sind; sondern das, was oft mit ihr verwechselt wird. Erinnert E u c h wie absichtslos jene U r k u n d e n verfertigt sind, daß unmöglich darauf gesehen werden konnte alles daraus zu entfernen was nicht Religion ist, und bedenkt, wie jene M ä n n e r in allerlei Verhältnißen gelebt haben in der W e l t , und unmöglich bei jedem W o r t , was sie sprachen, sagen k o n n t e n : das ist

182

[314]

Über die Religion

nicht R e l i g i o n , und w e n n sie also W e l t k l u g h e i t und M o r a l r e d e n , o d e r M e t a p h y s i k und P o e s i e , so m e i n t n i c h t das m ü ß e auch in die R e l i g i o n h i n e i n g e z w ä n g t w e r d e n , u n d darin m ü ß e auch ihr C h a r a k t e r zu suchen sein. D i e M o r a l soll w e n i g s t e n s überall n u r E i n e sein, und n a c h ihren V e r s c h i e d e n 5 hei-|ten, w e l c h e also i m m e r etwas sind, das h i n w e g g e t h a n w e r d e n soll,

285

k ö n n e n sich die R e l i g i o n e n n i c h t u n t e r s c h e i d e n , die n i c h t überall E i n e sein sollen. - M e h r als Alles aber b i t t e ich E u c h , laßt E u c h nicht v e r f ü h r e n v o n den beiden feindseligen P r i n c i p i e n , die überall, und fast v o n den ersten Z e i ten an, den G e i s t jeder R e l i g i o n haben zu entstellen u n d zu v e r s t e k e n gelo s u c h t . U b e r a l l hat es sehr bald S o l c h e g e g e b e n , die ihn in e i n z e l n e n L e h r s ä zen h a b e n u m g r ä n z e n , und das, was n o c h nicht i h m g e m ä ß z u r R e l i g i o n gebildet w a r , v o n ihr ausschließen w o l l e n , und S o l c h e , die, es sei n u n aus H a ß gegen die P o l e m i k , o d e r u m die R e l i g i o n den Irreligiösen a n g e n e h m e r zu m a c h e n , o d e r aus U n v e r s t a n d und U n k e n n t n i ß d e r S a c h e und aus M a n ís gel an S i n n , alles E i g e n t h ü m l i c h e als t o d t e n B u c h s t a b e n v e r s c h r e i e n , um aufs U n b e s t i m m t e l o s z u g e h n . V o r B e i d e n hütet E u c h : bei steifen S y s t e m a •tikern, bei seichten Indifferentisten w e r d e t I h r den G e i s t einer R e l i g i o n nicht f i n d e n ; s o n d e r n bei d e n e n , die in ihr leben als in i h r e m E l e m e n t , und sich i m m e r w e i t e r in ihr b e w e g e n , o h n e den W a h n zu n ä h r e n , d a ß sie sie 20 ganz u m f a ß e n k ö n n t e n . O b es E u c h m i t diesen V o r s i c h t s m a a ß r e g e l n gelingen w i r d , den G e i s t der R e l i g i o n e n zu ent-|deken? Ich w e i ß es n i c h t : aber ich f ü r c h t e daß auch

286

R e l i g i o n nur d u r c h sich selbst verstanden w e r d e n k a n n , und d a ß E u c h ihre b e s o n d e r e B a u a r t und ihr c h a r a k t e r i s t i s c h e r U n t e r s c h i e d nicht e h e r klar 25 w e r d e n wird, bis I h r selbst irgend einer a n g e h ö r t . W i e es E u c h g l ü k e n m a g die r o h e n und u n g e b i l d e t e n R e l i g i o n e n e n t f e r n t e r V ö l k e r zu e n t z i f f e r n , o d e r die vielerlei religiösen Individuen a u s z u s o n d e r n , w e l c h e in der s c h ö nen M y t h o l o g i e der G r i e c h e n und R ö m e r eingewikelt liegen, das läßt m i c h sehr gleichgültig, m ö g e n ihre G ö t t e r E u c h geleiten; a b e r w e n n I h r E u c h 30 d e m Allerheiligsten nähert, w o das U n i v e r s u m in seiner h ö c h s t e n E i n h e i t angeschaut w i r d , w e n n I h r die verschiedenen G e s t a l t e n der s y s t e m a t i s c h e n R e l i g i o n b e t r a c h t e n w o l l t , nicht die ausländischen und f r e m d e n , s o n d e r n die w e l c h e unter uns n o c h m e h r o d e r m i n d e r v o r h a n d e n sind: so kann es m i r nicht gleichgültig sein, o b Ihr den rechten P u n k t findet, von dem I h r sie 35 ansehen m ü ß t . Z w a r sollte ich nur von E i n e r r e d e n : denn der J u d a i s m u s ist s c h o n lange eine t o d t e R e l i g i o n , und d i e j e n i g e n , w e l c h e jezt n o c h seine F a r b e tragen, sizen eigentlich klagend bei der u n v e r w e s l i c h e n M u m i e , und weinen ü b e r sein H i n s c h e i d e n und seine traurige V e r l a ß e n s c h a f t . A u c h | rede ich 40 nicht deswegen von i h m , weil er etwa der V o r l ä u f e r des C h r i s t e n t h u m s w ä r e : ich h a ß e in der Religion diese A r t von h i s t o r i s c h e n B e z i e h u n g e n , ihre N o t h w e n d i g k e i t ist eine weit h ö h e r e und ewige, und jedes A n f a n g e n in ihr ist u r s p r ü n g l i c h : aber er hat einen so s c h ö n e n kindlichen C h a r a k t e r , und

287

Fünfte

Rede

[315]

183

dieser ist s o gänzlich v e r s c h ü t t e t , und das G a n z e ein so m e r k w ü r d i g e s B e i spiel v o n d e r C o r r u p t i o n und v o m gänzlichen V e r s c h w i n d e n der R e l i g i o n aus einer g r o ß e n M a ß e , in der sie sich e h e d e m b e f a n d . N e h m t einmal alles P o l i t i s c h e , und s o G o t t will, M o r a l i s c h e h i n w e g , w o d u r c h er gemeiniglich 5 charakterisirt w i r d ; vergeßt das ganze E x p e r i m e n t den Staat a n z u k n ü p f e n an die R e l i g i o n , d a ß ich nicht sage an die K i r c h e ; vergeßt daß das J u d e n thum gewißermaßen

zugleich ein O r d e n

war,

gegründet auf eine alte

F a m i l i e n g e s c h i c h t e , aufrecht erhalten d u r c h die P r i e s t e r ; seht b l o ß auf das eigentlich R e l i g i ö s e darin, w o z u dies Alles n i c h t g e h ö r t , und sagt m i r , 10 w e l c h e s ist die überall h i n d u r c h s c h i m m e r n d e Idee des U n i v e r s u m s ? K e i n e andere, als die v o n einer allgemeinen u n m i t t e l b a r e n V e r g e l t u n g , von einer eigenen R e a c t i o n des U n e n d l i c h e n gegen J e d e s einzelne E n d l i c h e , das aus der Willküh'r h e r v o r g e h t , d u r c h ein anderes E n d l i c h e s , das nicht als aus der J W i l l k ü h r h e r v o r g e h e n d angesehen w i r d . S o wird alles b e t r a c h t e t , E n t -

288

IS stehen und V e r g e h e n , G l ü k und U n g l ü k , selbst n u r i n n e r h a l b der m e n s c h lichen Seele w e c h s e l t i m m e r eine Ä u ß e r u n g der F r e i h e i t und W i l l k ü h r und eine u n m i t t e l b a r e E i n w i r k u n g der G o t t h e i t ; alle andere E i g e n s c h a f t e n G o t tes, w e l c h e auch angeschaut w e r d e n , äußern sich nach dieser R e g e l , und w e r d e n i m m e r in der B e z i e h u n g auf diese g e s e h e n ; b e l o h n e n d , strafend, 20 z ü c h t i g e n d das E i n z e l n e im E i n z e l n e n , so wird die G o t t h e i t durchaus v o r gestellt. A l s die J ü n g e r einmal C h r i s t u m f r a g t e n : W e r hat gesündiget, diese o d e r ihre V ä t e r , und er ihnen a n t w o r t e t e : m e i n t I h r , d a ß diese m e h r gesündigt h a b e n als A n d e r e . — D a s w a r der religiöse G e i s t des J u d e n t h u m s in seiner s c h n e i d e n d s t e n G e s t a l t , und das w a r seine P o l e m i k dagegen. D a h e r 25 der sich überall d u r c h s c h l i n g e n d e Parallelismus, der k e i n e zufällige F o r m ist, und das A n s e h n des D i a l o g i s c h e n , w e l c h e s in A l l e m was religiös ist, angetroffen wird.

D i e ganze G e s c h i c h t e ,

so wie sie ein

fortdauernder

W e c h s e l z w i s c h e n diesem R e i z und dieser G e g e n w i r k u n g ist, wird sie vorgestellt als ein G e s p r ä c h z w i s c h e n G o t t und den M e n s c h e n in W o r t und 30 T h a t , und alles was vereinigt ist, ist es n u r d u r c h die G l e i c h h e i t in dieser Be-|handlung. D a h e r die H e i l i g k e i t der T r a d i t i o n in w e l c h e r der Z u s a m m e n h a n g dieses g r o ß e n G e s p r ä c h s enthalten w a r , und die U n m ö g l i c h k e i t z u r R e l i g i o n zu gelangen als n u r durch die E i n w e i h u n g in diesen Z u s a m m e n h a n g , und n o c h in späten Zeiten der Streit unter den S e k t e n o b sie im 35 B e s i z dieses f o r t g e h e n d e n G e s p r ä c h s w ä r e n . E b e n von dieser A n s i c h t rührt es h e r , d a ß in der jüdischen R e l i g i o n die G a b e der W e i ß a g u n g so v o l l k o m m e n ausgebildet ist als in keiner a n d e r n ; d e n n im W e i ß a g e n sind d o c h die C h r i s t e n n u r K i n d e r gegen sie. D i e s e ganze Idee n e m l i c h ist h ö c h s t k i n d lich, n u r auf einen kleinen S c h a u p l a z o h n e V e r w i k e l u n g e n b e r e c h n e t , w o 40 bei einem einfachen G a n z e n die natürlichen F o l g e n der H a n d l u n g e n nicht

6 - 8 Vgl. Gedanken I, Nr. 139

21 f Vgl. ¡oh 9,2

221 Vgl. Lk 13,2

289

184

5

10

15

20

25

30

35

40

[316]

Über

die

Religion

gestört oder gehindert werden: je weiter aber die Bekenner dieser Religion vorriikten auf den Schauplaz der Welt, unter die Verbindung mit mehreren Völkern, desto schwieriger wurde die Darstellung dieser Idee, und die Fantasie mußte dem Allmächtigen das Wort, welches er erst sprechen wollte, vorwegnehmen, und sich den zweiten Theil deßelben Moments, aus weiter Ferne vors Auge holen und Zeit und Raum dazwischen vernichten. Das ist eine Weißagung, und das Streben darnach mußte nothwendig so lange noch immer eine | Haupterscheinung sein, als es möglich war jene Idee und mit 290 ihr die Religion festzuhalten. Der Glaube an den Meßias war ihre lezte mit großer Anstrengung erzeugte Frucht: ein neuer Herrscher sollte kommen um das Zion wo die Stimme des Herrn verstummet war in seiner Herrlichkeit wieder herzustellen, und durch die Unterwerfung der Völker unter das alte Gesez sollte jener einfache Gang wieder allgemein werden in den Begebenheiten der Welt, der durch ihre unfriedliche Gemeinschaft, durch das Gegeneinandergerichtetsein ihrer Kräfte und durch die Verschiedenheit ihrer Sitten unterbrochen war. Er hat sich lange erhalten, wie oft eine einzelne Frucht, nachdem alle Lebenskraft aus dem Stamm gewichen ist, bis in die rauheste Jahreszeit an einem welken Stiel hängen bleibt und an ihm vertroknet. Der eingeschränkte Gesichtspunkt gewährte dieser Religion, als Religion, eine kurze Dauer. Sie starb, als ihre heiligen Bücher geschloßen wurden, da wurde das Gespräch des Jehova mit seinem Volk als beendigt angesehen, die politische Verbindung, welche an sie geknüpft war, schleppte noch länger ein sieches Dasein, und ihr Äußeres hat sich noch weit später erhalten, die unangenehme Erscheinung einer | mechanischen Bewegung 291 nachdem Leben und Geist längst gewichen ist. Herrlicher, erhabener, der erwachsenen Menschheit würdiger, tiefer eindringend in den Geist der systematischen Religion, weiter sich verbreitend über das ganze Universum ist die ursprüngliche Anschauung des Christenthums. Sie ist keine andere, als die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt, wie sie die Feindschaft gegen sich vermittelt, und der größer werdenden Entfernung Grenzen sezt durch einzelne Punkte über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feindschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich mit einander verbundenen Seiten dieser Anschauung, und durch sie wird die Gestalt alles religiösen Stoffs im Christenthum und seine ganze Form bestimmt. Die physische Welt ist abgewichen von ihrer Vollkommenheit und unvergänglichen Schönheit mit immer verstärkten Schritten; aber alles Übel, selbst das, daß das Endliche vergehen muß ehe es den

28f Vgl. Gedanken

/ , Nr. 87

Fünfte Rede

5

10

15

20

25

30

35

[317]

185

Kreis seines Daseins vollständig durchlaufen hat ist eine Folge des Willens, des selbst-|süchtigen Strebens der individuellen Natur, die sich überall los- 292 reißt aus dem Zusammenhange mit dem Ganzen um etwas zu sein für sich; auch der Tod ist gekommen um der Sünde willen. Die moralische Welt ist vom Schlechten zum Schlimmeren fortschreitend, unfähig etwas hervorzubringen worin der Geist des Universums wirklich lebte, verfinstert der Verstand und abgewichen von der Wahrheit, verderbt das Herz und ermangelnd jedes Ruhmes vor Gott, verlöscht das Ebenbild des Unendlichen in jedem Theile der endlichen Natur. In Beziehung hierauf wird auch die göttliehe Vorsehung in allen ihren Äußerungen angeschaut, nicht auf die unmittelbaren Folgen für die Empfindung gerichtet in ihrem Thun, nicht das Glük oder Leiden im Auge habend welches sie hervorbringt, nicht mehr einzelne Handlungen hindernd oder fördernd, sondern nur bedacht dem Verderben zu steuern in großen Maßen, zu zerstören ohne Gnade was nicht mehr zurükzuführen ist, und neue Schöpfungen mit neuen Kräften aus sich selbst zu schwängern: so thut sie Zeichen und Wunder die den Lauf der Dinge unterbrechen und erschüttern, so schikt sie Gesandte in denen mehr oder weniger von ihrem eignen Geiste wohnt, um göttliche Kräfte auszugießen un-|ter die Menschen. Eben so wird auch die religiöse Welt vorge- 293 stellt. Auch indem es das Universum anschauen will strebt das Endliche ihm entgegen, sucht immer ohne zu finden und verliert was es gefunden hat, immer einseitig, immer schwankend, immer beim Einzelnen und Zufälligen stehn bleibend, und immer noch mehr wollend als anschauen verliert es das Ziel seiner Blike. Vergeblich ist jede Offenbarung. Alles wird verschlungen von irdischem Sinn, alles fortgerißen von dem inwohnenden irreligiösen Princip, und immer neue Veranstaltungen trift die Gottheit, immer herrlichere Offenbarungen gehn durch ihre Kraft allein aus dem Schooße der alten hervor, immer erhabnere Mittler stellt sie auf zwischen sich und den Menschen, immer inniger vereinigt sie in jedem späteren Gesandten die Gottheit mit der Menschheit, damit durch sie und von ihnen die Menschen lernen mögen das ewige Wesen erkennen, und nie wird dennoch gehoben die alte Klage, daß der Mensch nicht vernimmt, was vom Geiste Gottes ist. Dieses, daß das Christenthum in seiner eigentlichsten Grundanschauung am meisten und liebsten das Universum in der Religion und ihrer Geschichte anschaut, daß es die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet, und so gleichsam | eine höhere Potenz derselben ist, das macht 294 das unterscheidendste seines Charakters, das bestimmt seine ganze Form. Eben weil es ein irreligiöses Princip als überall verbreitet voraussezt, weil 31 Wesen] Kj Wesen zu

4 Vgl. Rom 5,12

32 f Vgl. 1 Kor

2,14

186

5

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40

[318]

Über die Religion

dies einen wesentlichen Theil der Anschauung ausmacht auf welche Alles übrige bezogen wird, ist es durch und durch polemisch. — Polemisch in seiner Mittheilung nach außen, denn um sein innerstes Wesen klar zu machen, muß es jedes Verderben, es liege in den Sitten oder in der Denkungsart, vor allen Dingen aber das irreligiöse Princip selbst überall aufdeken. Ohne Schonung entlarvt es daher jede falsche Moral, jede schlechte Religion, jede unglükliche Vermischung von beiden wodurch ihre beiderseitige Blöße bedekt werden soll, in die innersten Geheimniße des verderbten Herzens dringt es ein und erleuchtet mit der heiligen Fakel eigner Erfahrung jedes Übel das im Finstern schleicht. So zerstörte es — und dies war fast seine erste Bewegung — die lezte Erwartung seiner nächsten Brüder und Zeitgenoßen, und nannte es irreligiös und gottlos eine andere Wiederherstellung zu wünschen oder zu erwarten als die zur beßeren Religion, zur höheren Ansicht der Dinge, und zum ewigen Leben in Gott. Kühn führt es die Heiden hinweg über die Trennung die | sie gemacht hatten zwischen 295 dem Leben und der Welt der Götter und der Menschen. Wer nicht in dem Ewigen lebt, webt und ist, dem ist er völlig unbekannt, wer dies natürliche Gefühl, wer diese innere Anschauung verloren hat unter der Menge sinnlicher Eindrüke und Begierden, in deßen beschränkten Sinn ist noch keine Religion gekommen. So rißen sie überall auf die übertünchten Gräber und brachten die Todtengebeine ans Licht, und wären sie Philosophen gewesen, die ersten Helden des Christenthums, sie hätten eben so polemisirt gegen das Verderben der Philosophie. Nirgends gewiß verkannten sie die Grundzüge des göttlichen Ebenbildes, in allen Entstellungen und Entartungen sahen sie gewiß den himmlischen Keim der Religion; aber als Christen war ihnen die Hauptsache die Entfernung vom Universum, die einen Mittler bedarf, und so oft sie Christenthum sprachen gingen sie nur darauf. — Polemisch ist aber auch das Christenthum, und das eben so scharf und schneidend, innerhalb seiner eignen Grenzen, und in seiner innersten Gemeinschaft der Heiligen. Nirgends ist die Religion so vollkommen idealisirt, als im Christenthum und durch die ursprüngliche Voraussezung deßelben; und eben damit zugleich ist immerwährendes Polemisiren | gegen Alles 296 Wirkliche in der Religion als eine Aufgabe hingestellt, der nie völlig Genüge geleistet werden kann. Eben weil überall das irreligiöse Princip ist und wirkt, und weil alles Wirkliche zugleich als unheilig erscheint, ist eine unendliche Heiligkeit das Ziel des Christenthums. Nie zufrieden mit dem Erlangten sucht es auch in seinen reinsten Anschauungen, auch in seinen heiligsten Gefühlen noch die Spuren des Irreligiösen, und der dem Universum entgegengesezten und von ihm abgewandten Tendenz alles Endlichen. Im Ton der höchsten Inspiration kritisirt einer der ältesten heiligen Schrift -

2 Vgl. Gedanken I, Nr. 141

10 Vgl. Ps 91,6

16f Vgl. Apg 17,28

20f Vgl. Mt 23,27

Fünfte

5

10

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20

25

30

35

Rede

[319]

187

steller den religiösen Zustand der Gemeinen, in einfältiger Offenheit reden die hohen Apostel von sich selbst, und so soll Jeder in den heiligen Kreis treten nicht nur begeistert und lehrend, sondern auch in Demuth das Seinige der allgemeinen Prüfung darbringend, und nichts soll geschont werden auch das Liebste und Theuerste nicht, nichts soll je träge bei Seite gelegt werden, auch das nicht was am allgemeinsten anerkannt ist. Daßelbe, was exoterisch heilig gepriesen und als das Wesen der Religion aufgestellt ist vor der Welt, ist immer noch esoterisch einem strengen und wiederholten G e richt unterworfen, damit immer mehr unreines abgeschieden werde, und der Glanz der | himmlischen Farben immer ungetrübter erscheine an allen 297 Anschauungen des Unendlichen. Wie Ihr in der Natur seht, daß eine zusammengesezte Maße, wenn sie ihre chemischen Kräfte gegen etwas außer ihr gerichtet gehabt hat, sobald dies überwunden, oder das Gleichgewicht hergestellt ist, in sich selbst in Gährung geräth, und dies und jenes aus sich abscheidet: so ist es mit einzelnen Elementen und mit ganzen Maßen des Christenthums; es wendet zulezt seine polemische Kraft gegen sich selbst, immer besorgt durch den Kampf mit der äußern Irreligion etwas fremdes eingesogen, oder gar ein Princip des Verderbens noch in sich zu haben, scheut es auch die heftigsten innerlichen Bewegungen nicht um es auszustoßen. Dies ist die in seinem Wesen gegründete Geschichte des Christenthums. Ich bin nicht gekommen Friede zu bringen sondern das Schwerdt, sagt der Stifter deßelben, und seine sanfte Seele kann unmöglich gemeint haben, daß er gekommen sei, jene blutigen Bewegungen zu veranlaßen, die dem Geist der Religion so völlig zuwider sind : oder jene elenden Wortstreite die sich auf den todten Stoff beziehn, den die lebendige Religion nicht aufnimmt: nur diese heiligen Kriege, die aus dem Wesen seiner Lehre nothwendig entstehen, hat er vorausgesehn, und in-|dem er sie voraussah, be- 298 fohlen. — Aber nicht nur die Beschaffenheit der einzelnen Elemente des Christenthums ist dieser beständigen Sichtung unterworfen; auch auf ihr ununterbrochenes Dasein und Leben im Gemüth geht die Unersättlichkeit nach Religion. In jedem Moment, w o das religiöse Princip nicht wahrgenommen werden kann im Gemüth, wird das Irreligiöse als herrschend gedacht; denn nur durch das Entgegengesezte kann das was ist aufgehoben und auf Nichts gebracht werden. Jede Unterbrechung der Religion ist Irreligion; das Gemüth kann sich nicht einen Augenblik entblößt fühlen von Anschauungen und Gefühlen des Universums ohne sich zugleich der Feindschaft und der Entfernung von ihm bewußt zu werden. So hat das Christenthum zuerst und wesentlich die Forderung gemacht, daß die Reli-

23 gekommen sei,] g e k o m m e n , sei

21 Mt 10,34

33 Entgegengesezte] Entgegen gesezte

188

5

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25

30

[320]

Über die Religion

giosität ein Continuum sein soll im Menschen, und verschmäht noch mit den stärksten Äußerungen derselben zufrieden zu sein, sobald sie nur gewißen Theilen des Lebens angehören und sie beherrschen soll. N i e soll sie ruhen, und nichts soll ihr so schlechthin entgegengesezt sein, daß es nicht mit ihr bestehen k ö n n e ; von allem Endlichen sollen wir aufs Unendliche sehen, allen Empfindungen des Gemüthes, woher sie auch entstanden seien, I allen Handlungen auf welche Gegenstände sie sich auch beziehen m ö - 299 gen, sollen wir im Stande sein religiöse Gefühle und Ansichten beizugesellen. Das ist das eigentliche höchste Ziel der Virtuosität im Christenthum. Wie nun die ursprüngliche Anschauung desselben, aus welcher alle diese Ansichten sich ableiten, den Charakter seiner Gefühle bestimmt, das werdet Ihr leicht finden. W i e nennt Ihr das Gefühl einer unbefriedigten Sehnsucht die auf einen großen Gegenstand gerichtet ist, und deren U n e n d lichkeit Ihr Euch bewußt seid? Was ergreift Euch, w o Ihr das Heilige mit dem Profanen, das Erhabene mit dem Geringen und Nichtigen aufs innigste gemischt findet? und wie nennt Ihr die Stimmung, die Euch bisweilen nöthiget diese Mischung überall vorauszusezen, und überall nach ihr zu forschen? N i c h t bisweilen ergreift sie den Christen, sondern sie ist der herrschende T o n aller seiner religiösen Gefühle, diese heilige Wehmuth — denn das ist der einzige N a m e , den die Sprache mir darbietet — jede Freude und jeder Schmerz, jede Liebe und jede Furcht begleitet sie; ja in seinem Stolz wie in seiner Demuth ist sie der Grundton auf den sich Alles bezieht. W e n n Ihr Euch darauf versteht aus einzelnen Zügen das | Innere eines Gemüths 300 nachzubilden, und Euch durch das Fremdartige nicht stören zu laßen, das ihnen G o t t weiß woher beigemischt ist: so werdet Ihr in dem Stifter des Christenthums durchaus diese Empfindung herrschend finden; wenn Euch ein Schriftsteller der nur wenige Blätter in einer einfachen Sprache hinterlaßen hat, nicht zu gering ist um Eure Aufmerksamkeit auf ihn zu wenden: so wird Euch aus jedem W o r t e was uns von seinem Busenfreund übrig ist dieser T o n ansprechen; und wenn je ein Christ Euch in das Heiligste seines Gemüthes hineinbliken ließ: gewiß es ist dieses gewesen.

So ist das Christenthum. Seine Entstellungen und sein mannigfaltiges Verderben will ich nicht beschönigen, da die Verderblichkeit alles Heiligen sobald es menschlich wird ein Thèil seiner ursprünglichen Weltanschauung 35 ist. Auch will ich Euch nicht weiter in das Einzelne desselben hineinführen; seine Verhandlungen liegen vor E u c h , und den Faden glaube ich Euch gegeben zu haben, der Euch durch alle Anomalien hindurchführen, und unbe-

11 bestimmt] bestimmen

26—30 Das Johannesevangelium schichte

Jesu.

30 je] ja

vjar für Scbleiermacher

das maßgebliche

Zeugnis

der

Ge-

Fünfte Rede

5

10

15

20

25

30

[321]

189

sorgt u m den Ausgang Euch die genaueste U b e r s i c h t möglich machen wird. Haltet ihn n u r fest, u n d seht vom ersten Anbeginn an auf N i c h t s , als auf die Klarheit, die Mannigfaltigkeit u n d den R e i c h t h u m | w o m i t jene erste 301 G r u n d i d e e sich entwikelt hat. W e n n ich das heilige Bild d e ß e n betrachte in den verstümmelten Schilderungen seines Lebens, der der erhabene U r h e b e r des Herrlichsten ist, was es bis jezt giebt in der Religion: so b e w u n d e r e ich nicht die Reinigkeit seiner Sittenlehre, die d o c h n u r ausgesprochen hat, was alle Menschen, die z u m Bewußtsein ihrer geistigen N a t u r g e k o m m e n sind, mit ihm gemein h a b e n , und dem weder das Aussprechen noch das Zuerst einen größeren W e r t h geben k a n n ; ich b e w u n d e r e nicht die Eigenthümlichkeit seines C h a r a k t e r s , die innige Vermählung h o h e r Kraft mit r ü h r e n d e r S a n f t m u t h ; — jedes erhaben einfache G e m ü t h in einer b e s o n d e r n Situation m u ß einen großen C h a r a k t e r in bestimmten Zügen darstellen; das Alles sind n u r menschliche D i n g e : aber das w a h r h a f t Göttliche ist die herrliche Klarheit, zu welcher die große Idee, welche darzustellen er g e k o m m e n war, die Idee daß Alles Endliche h ö h e r e r Vermittlungen bedarf u m mit der G o t t heit z u s a m m e n z u h ä n g e n , sich in seiner Seele ausbildete. Vergebliche Verwegenheit ist es den Schleier h i n w e g n e h m e n zu wollen, der ihre Entstehung in ihm verhüllt, u n d verhüllen soll, weil aller A n f a n g in der Religion geheimnißvoll ist. D e r vorwizige Frevel, der es | gewagt hat, k o n n t e nur das 302 Göttliche entstellen, als wäre E r ausgegangen von der alten Idee seines Volkes, deren V e r n i c h t u n g Er nur aussprechen wollte, und in der That in einer zu glorreichen F o r m ausgesprochen hat, indem er behauptete der zu sein, deßen sie warteten. Laßt uns die lebendige A n s c h a u u n g des U n i v e r s u m s , die seine ganze Seele erfüllte, n u r so betrachten, wie wir sie in ihm finden zur V o l l k o m m e n h e i t ausgebildet. W e n n alles Endliche der Vermittlung eines H ö h e r e n bedarf um sich nicht i m m e r weiter vom U n i v e r s u m zu entfernen u n d ins Leere u n d Nichtige hinausgestreut zu w e r d e n , u m seine Verb i n d u n g mit dem U n i v e r s u m zu unterhalten und z u m Bewußtsein derselben zu k o m m e n : so kann ja das Vermittelnde, das doch selbst nicht wiederu m der Vermittlung benöthigt sein darf, unmöglich b l o ß Endlich sein; es m u ß Beiden angehören, es m u ß der göttlichen N a t u r theilhaftig sein, eben so u n d in eben dem Sinne, in welchem es der Endlichen theilhaftig ist. Was sah er aber u m sich als Endliches und der Vermittlung bedürftiges, und w o

20—24 Anspielung vermutlich auf die anonyme Schrift „ Von dem Zwecke Jesu und seiner Junger" (Braunschweig 1778), die Gotthold Ephraim Lessing (1729—1781) mit dem Untertitel „Noch ein Fragment des Wolfenhütteischen Ungenannten" während seines Streites mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717—1786) herausgab und die er dem Manuskript ,,Apologie oder Schutzschrift der vernünftigen Verehrer Gottes" von Hermann Samuel Reimarus (1694—1768) entnommen hatte. Vgl. z. B. dazu: „Demnach hat Jesus wohl wissen können, daß er die Juden durch solche rohe Verkündigung des nahen Himmelreichs, nur zur Hoffnung eines weltlichen Messias erwecken würde; und folglich hat er auch die Absicht gehabt sie dazu zu erwecken." (II 5 2, S. 131 ; Lessing: Werke 7,Í46)

190

Über die Religion

[322]

war etwas Vermittelndes als Er? Niemand kennt den Vater als der Sohn, und wem E r es offenbaren will. Dieses Bewußtsein von der Einzigkeit seiner Religiosität, von der Ursprüng-|lichkeit seiner Ansicht, und von der Kraft derselben sich mitzutheilen und Religion aufzuregen, war zugleich das Bewußtsein seines Mittleramtes und seiner Gottheit. Als er, ich will nicht sagen der rohen Gewalt seiner Feinde ohne H o f n u n g länger leben zu können, gegenüber gestellt ward — das ist unaussprechlich gering; aber E r verlaßen, im Begrif auf immer zu verstummen, ohne irgend eine Anstalt zur Gemeinschaft unter den Seinigen wirklich errichtet zu sehn, gegenüber der feierlichen Pracht der alten verderbten Religion, die stark und mächtig erschien, umgeben mit allem was Ehrfurcht einflößte und Unterwerfung heischen kann, mit Allem was E r selbst zu ehren von Kindheit an war gelehrt worden, E r allein von nichts als diesem Gefühl unterstüzt, und E r ohne zu warten jenes J a aussprach, das größte W o r t was je ein Sterblicher gesagt hat: so war dies die herrlichste Apotheose, und keine Gottheit kann gewißer sein als die, welche so sich selbst sezt. — Mit diesem Glauben an sich selbst, wer mag sich wundern, daß er gewiß war nicht nur Mittler zu sein für Viele, sondern auch eine große Schule zu hinterlaßen, die ihre gleiche Religion von der seinigen ableiten würde; so gewiß, daß er Symbole stiftete für sie, ehe sie noch existirte, in der Über-|zeugung, daß dies hinreichen würde sie zur Existenz zu bringen, und daß er noch früher von der Verewigung seiner persönlichen Denkwürdigkeiten unter ihr mit einem prophetischen Enthusiasmus redete. Aber nie hat er behauptet das einzige O b j e k t der Anwendung seiner Idee, der einzige Mittler zu sein, und nie hat er seine Schule verwechselt mit seiner Religion — er mochte es dulden, daß man seine Mittlerwürde dahin gestellt sein ließ, wenn nur der Geist, das Princip woraus sich seine Religion in ihm und Andern entwikelte nicht gelästert ward — und auch von seinen Jüngern war diese Verwechselung fern. Schüler J o h a n nis, der doch die Grundanschauung Christi nur sehr unvollkommen theilte, sahen sie ohne weiteres als Christen an, und nahmen sie unter die aktiven Mitglieder der Gemeinè auf. U n d noch jezt sollte es so sein: wer dieselbe Anschauung in seiner Religion zum Grunde legt, ist ein Christ ohne R ü k sicht auf die Schule, er mag seine Religion historisch aus sich selbst oder von irgend einem Andern ableiten. N i e hat er die Anschauungen und G e fühle die er selbst mittheilen konnte, für den ganzen Umfang der Religion ausgegeben die von seiner Grundanschauung ausgehn sollte; er hat immer auf die Wahrheit gewiesen, die nach ihm | kommen würde. So auch seine Schüler; sie haben dem heiligen Geist nie Grenzen gesezt, seine unbe-

7 gegenüber] gegen über

1 f Mt 11,27

9 gegenüber] gegen / über

5 - 1 6 Vgl. Mt 26,63f;

Mk 14,61 f ; Lk 22,70

25 f Mittlerwürde] Mittler würde

3 6 f Vgl. z. B. Joh

16,13

Fünfte

Rede

[323]

191

s c h r ä n k t e F r e i h e i t , und die d u r c h g ä n g i g e E i n h e i t seiner O f f e n b a r u n g e n ist überall v o n ihnen a n e r k a n n t w o r d e n ; und w e n n s p ä t e r h i n , als die erste Zeit seiner B l ü t h e v o r ü b e r w a r und er a u s z u r u h e n schien v o n seinen W e r k e n , diese W e r k e , soviel d a v o n in den heiligen S c h r i f t e n enthalten w a r , für einen 5 g e s c h l o ß n e n C o d e x der R e l i g i o n u n b e f u g t e r w e i s e erklärt w u r d e n , geschah das n u r v o n d e n e n , w e l c h e den S c h l u m m e r des G e i s t e s f ü r seinen T o d hielt e n , für w e l c h e die R e l i g i o n selbst g e s t o r b e n w a r , und A l l e , die ihr L e b e n n o c h in sich fühlten o d e r in A n d e r n w a h r n a h m e n , h a b e n sich i m m e r gegen dieses u n c h r i s t l i c h e B e g i n n e n erklärt. D i e heiligen Schriften sind B i b e l gelo w o r d e n aus eigener K r a f t , aber sie verbieten k e i n e m andern B u c h e auch B i bel zu sein o d e r zu w e r d e n , und was mit gleicher K r a f t geschrieben w ä r e , w ü r d e n sie sich gern beigesellen l a ß e n . — D i e s e r u n b e s c h r ä n k t e n F r e i h e i t , dieser w e s e n t l i c h e n U n e n d l i c h k e i t zu F o l g e hat sich d e n n die H a u p t - I d e e des C h r i s t e n t h u m s v o n g ö t t l i c h e n v e r m i t t e l n d e n K r ä f t e n auf m a n c h e r l e i 15 A r t ausgebildet, und alle A n s c h a u u n g e n und G e f ü h l e v o n E i n w o h n u n g e n der g ö t t l i c h e n N a t u r in der endlichen sind in-|nerhalb d e ß e l b e n zur V o l l -

306

k o m m e n h e i t g e b r a c h t w o r d e n . S o ist sehr bald die heilige Schrift in der auch die g ö t t l i c h e N a t u r auf eine eigne A r t w o h n t e , für einen logischen M i t t l e r gehalten w o r d e n , u m die E r k e n n t n i ß d e r G o t t h e i t zu vermitteln für 20 die e n d l i c h e und v e r d e r b t e N a t u r des V e r s t a n d e s , und der heilige G e i s t — in einer späteren B e d e u t u n g des W o r t e s — für einen ethischen um sich ihr p r a k t i s c h a n z u n ä h e r n ; und eine zahlreiche Parthei der C h r i s t e n

erklärt

n o c h jezt bereitwillig J e d e n für ein vermittelndes und göttliches W e s e n , der erweisen kann durch ein göttliches L e b e n o d e r irgend einen andern E i n 25 d r u k d e r G ö t t l i c h k e i t auch n u r f ü r einen kleinen K r e i s d e r B e z i e h u n g s p u n k t aufs U n e n d l i c h e gewesen zu sein. A n d e r n ist C h r i s t u s E i n s und Alles g e b l i e b e n , und A n d e r e haben sich selbst o d e r dies und jenes für sich zu M i t t l e r n erklärt. W i e o f t in d e m A l l e n in der F o r m und M a t e r i e gefehlt sein m a g ; das P r i n c i p ist ächt christlich so lange es frei ist. S o h a b e n andere A n 30 s c h a u u n g e n und G e f ü h l e sich dargestellt in ihrer B e z i e h u n g auf den M i t t e l p u n k t des C h r i s t e n t h u m s von denen in C h r i s t o und in den heiligen B ü c h e r n nichts steht, und m e h r e r e werden sich in d e r F o l g e darstellen, weil g r o ß e G e g e n d e n in der R e l i g i o n n o c h nicht b e a r b e i t e t sind | fürs C h r i s t e n t h u m , und weil es n o c h eine lange G e s c h i c h t e h a b e n wird t r o z A l l e m was 35 man sagt v o n seinem baldigen o d e r s c h o n erfolgten U n t e r g a n g e . W i e sollte es auch u n t e r g e h n ? D e r lebendige G e i s t d e ß e l b e n s c h l u m m e r t oft und lange, und zieht sich in einem Z u s t a n d e der E r s t a r r u n g in die t o d t e H ü l l e des B u c h s t a b e n s z u r ü k : aber er e r w a c h t i m m e r wieder, so oft die w e c h s e l n d e W i t t e r u n g in der geistigen W e l t seiner A u f l e b u n g günstig ist 40 und seine Säfte in B e w e g u n g s e z t ; und das wird sie n o c h o f t sein. D i e

36-38 Vgl. 2 Kor 3,6

307

192

1324]

Über die Religion

Grundanschauung jeder positiven Religion an sich ist ewig, weil sie ein ergänzender Theil des unendlichen Ganzen ist, in dem Alles ewig sein m u ß : aber sie selbst und ihre ganze Bildung ist vergänglich; denn jene Grundanschauung grade im Centrum der Religion zu sehen dazu gehört nicht nur eine bestimmte Richtung des G e m ü t h s ; sondern auch eine bestimmte Lage der Menschheit, in welcher ja bis jezt allein das Universum eigentlich angeschaut werden kann. H a t diese ihren Kreis durchlaufen, ist die Menschheit so weit fortgerükt in ihrer fortschreitenden Bahn, daß sie nicht mehr wiederkehren kann: so ist auch jene Anschauung, ihrer Würde als Grundanschauung entsezt, und die Religion kann in | dieser Gestalt nicht mehr existiren. Mit allen kindischen Religionen aus jener Zeit w o es der Menschheit am Bewußtsein ihrer wesentlichen Kräfte fehlte, ist dies längst schon der Fall: es ist Zeit sie zu sammeln als Denkmäler der Vorwelt und niederzulegen im Magazin der Geschichte; ihr Leben ist vorüber und k o m m t nimmer zurük. Das Christenthum über sie alle erhaben, und historischer und demüthiger in seiner Herrlichkeit hat diese Vergänglichkeit seiner N a t u r ausdrüklich anerkannt: es wird eine Zeit k o m m e n , spricht es, wo von keinem Mittler mehr die Rede sein wird, sondern der Vater Alles in Allem. Aber wann soll diese Zeit k o m m e n ? Ich fürchte, sie liegt außer aller Zeit. D i e Verderblichkeit alles G r o ß e n und Göttlichen in den menschlichen und endlichen Dingen ist die eine Hälfte von der ursprünglichen Anschauung des Christenthums; sollte wirklich eine Zeit kommen w o diese — ich will nicht sagen gar nicht mehr wahrgenommen würde, sondern nur — sich nicht mehr aufdränge? wo die Menschheit so gleichförmig und ruhig fortschritte, daß kaum zu merken wäre, wie sie bisweilen durch einen vorübergehenden widrigen Wind etwas zurükgetrieben wird auf den großen Ozean den sie durchfährt, daß nur der Künstler, der ihren Lauf an den | Gestirnen berechnet es wißen könne, und es den Übrigen nie eine große und merkwürdige Anschauung würde? Ich wollte es, und gern stände ich auf den Ruinen der Religion, die ich verehre. D a ß gewiße glänzende und göttliche Punkte der ursprüngliche Siz jeder Verbeßerung dieses Verderbnißes sind, und jeder neuen und näheren Vereinigung des Endlichen mit der Gottheit, dies ist die andere Hälfte: und sollte je eine Zeit k o m m e n , w o diese aus Universum anziehende Kraft so gleich vertheilt wäre unter die große Maße der Menschheit, daß sie aufhörte für sie vermittelnd zu sein? Ich wollte es, und gern hülfe ich jede G r ö ß e ebnen, die sich also erhebt: aber diese Gleichheit ist wol weniger möglich als irgend sonst eine. Zeiten des Verderbens stehen allem Irdischen bevor, sei es auch göttlichen Ursprungs, neue Gottesgesendete werden nöthig um mit erhöhter Kraft das Zurükgewichene an sich zu ziehn und das Verderbte zu reinigen mit himmlischem Feuer, und jede sol-

17f Vgl. 1 Kor 15,28

Fünfte

5

io

15

20

25

30

35

40

Rede

[325]

193

che E p o c h e der Menschheit wird die Palingenesie des Christenthumes, und erwekt seinen Geist in einer neuen und schöneren Gestalt. Wenn es nun aber immer Christen geben wird, soll deswegen das Christenthum auch in seiner allgemeinen Verbreitung unendlich und | als 310 die einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diesen Despotismus, es ehrt jedes seiner eignen Elemente genug um es gern auch als den Mittelpunkt eines eignen Ganzen anzuschauen; es will nicht nur in sich Mannigfaltigkeit bis ins Unendliche erzeugen, sondern sie auch außer sich anschauen. N i e vergeßend, daß es den besten Beweis seiner Ewigkeit in seiner eignen Verderblichkeit, in seiner eignen traurigen Geschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus dem Elende von dem es eben gedrükt wird, sieht es gern außerhalb dieses Verderbens andere und jüngere Gestalten der Religion hervor gehn, dicht neben sich, aus allen Punkten, auch von jenen Gegenden her, die ihm als die äußersten und zweifelhaften Grenzen der Religion überhaupt erscheinen. D i e Religion der Religionen kann nicht Stoff genug sammeln für die eigenste Seite ihrer innersten Anschauung, und so wie nichts irreligiöser ist als Einförmigkeit zu fordern in der Menschheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion. Auf alle Weise werde das Universum angeschaut und angebetet. U n zählige Gestalten der Religion sind möglich; und wenn es nothwen-|dig ist, 311 daß Jede zu irgend einer Zeit wirklich werde, so wäre wenigstens zu wünschen, daß viele zu jeder Zeit könnten geahndet werden. D i e großen M o mente müßen selten sein, wo Alles zusammentrift um Einer unter ihnen ein weit verbreitetes und dauerndes Leben zu sichern, w o dieselbe Ansicht sich in Vielen zugleich und unwiderstehlich entwikle, und sie von demselben Eindruk des Göttlichen durchdrungen werden. D o c h was ist nicht zu erwarten von einer Zeit, welche so offenbar die G r e n z e ist zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge! Wenn mir erst die gewaltige Krisis vorüber ist kann sie auch einen solchen M o m e n t herbeibringen, und eine ahndende Seele auf den schaffenden Genius gerichtet, könnte jezt schon den Punkt angeben, der künftigen Geschlechtern der Mittelpunkt werden muß für die Anschauung des Universums. Wie dem aber auch sei, und wie lange ein solcher Augenblik noch verziehe; neue Bildungen der Religion müßen hervorgehen, und bald, sollten sie auch lange nur in einzelnen und flüchtigen Erscheinungen wahrgenommen werden. Aus dem Nichts geht immer eine neue Schöpfung hervor, und Nichts ist die Religion fast in Allen der jezigen Zeit, wenn ihr geistiges Leben ihnen in Kraft und Fülle aufgeht. In Vielen wird | sie sich entwikeln aus Einer von unzähligen Veranlaßun- 312 gen, und in neuem Boden zu einer neuen Gestalt sich bilden. N u r daß die Zeit der Zurükhaltung vorüber sei und der Scheu. D i e Religion haßt die Einsamkeit, und in ihrer Jugend am meisten, die für Alles die Stunde der Liebe ist, vergeht sie in zehrender Sehnsucht. W e n n sie sich in Euch entwi-

194

[326]

Uber die Religion

kelt, wenn Ihr die ersten Spuren ihres Lebens inne werdet, so tretet gleich ein in die Eine und untheilbare Gemeinschaft der Heiligen, die alle Religionen aufnimmt, und in der allein J e d e gedeihn kann. Ihr meint, weil diese zerstreut ist und fern, müßtet Ihr denn auch unheiligen O h r e n reden? Ihr 5 fragt, welche Sprache geheim genug sei, die Rede, die Schrift, die T h a t , die stille Mimik des Geistes? J e d e , antworte ich, und Ihr seht, ich habe die lauteste nicht gescheut. In jeder bleibt das Heilige geheim, und vor den Profanen verborgen. Laßt sie an der Schale nagen, wie sie mögen; aber weigert U n s nicht den G o t t anzubeten, der in Euch sein wird.

1 Ihr] ihr