Die Rückrufpflicht des Herstellers – unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen »Pflegebetten«-Rechtsprechung [1 ed.] 9783428552603, 9783428152605

Geht von einem in den Verkehr gebrachten Produkt eine Gefahr aus, ist der Hersteller im Rahmen der Produzentenhaftung zu

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Die Rückrufpflicht des Herstellers – unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen »Pflegebetten«-Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428552603, 9783428152605

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 490

Die Rückrufpflicht des Herstellers – unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen „Pflegebetten“-Rechtsprechung

Von

Klaus Lüftenegger

Duncker & Humblot · Berlin

KLAUS LÜFTENEGGER

Die Rückrufpflicht des Herstellers – unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen „Pflegebetten“-Rechtsprechung

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 490

Die Rückrufpflicht des Herstellers – unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen „Pflegebetten“-Rechtsprechung

Von

Klaus Lüftenegger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

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Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-15260-5 (Print) ISBN 978-3-428-55260-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85260-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit wurde im März 2017 als Dissertation von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis einschließlich Juli 2017 berücksichtigt. Ich möchte Professor Dr. Mathias Rohe danken, der das Vorbild des wissenschaftlichen und interdisziplinären Arbeitens gelebt und mir als Doktorvater – und als Vorgesetzter während meiner Lehrstuhltätigkeit – große Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt hat. Er stand mir jederzeit beratend und unterstützend zur Seite, auch über die Dissertation hinaus. Privatdozent Dr. Thomas Regenfus danke ich für die rasche Anfertigung des Zweitgutachtens und seine weiterführenden kritischen Anmerkungen. Bei der Rechtsanwaltskammer Nürnberg bedanke ich mich für die Verleihung des Förderpreises der Schmitz-Nüchterlein-Stiftung und dem damit verbundenen Druckkostenzuschuss. Die Themenfindung erfolgte im Austausch mit der Praxis: Hier geht mein Dank an Dr. Jan Lischek und Alfred Pfister (Siemens AG) sowie Professor Dr. Thomas Klindt (Noerr LLP), die mein Interesse an der Thematik Produkthaftung / Rückruf und den damit verbundenen Problemstellungen geweckt und mir wertvolle Anregungen und Hinweise gegeben haben. Die Dissertation entstand während meiner beruflichen Tätigkeiten in der Rechtsabteilung der Siemens AG und am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität ErlangenNürnberg. Mein Dank gilt meinen Kolleginnen und Kollegen, die mich in der Zeit unterstützt, ermutigt und, wenn notwendig, aufgebaut haben. Bei Siemens geht der Dank besonders an Peter Nägele, der die Dissertation durch den vorgelebten Qualitätsstandard geprägt hat, ebenso wie an die Kolleginnen und Kollegen des Energy Legal Office, allen voran Maria Camp, Birgit Becher und Claudia Czichos. Auf Lehrstuhlseite gilt mein Dank vor allem Andrea Voigt, die während (und nach) meiner Tätigkeit für den „Vis Arbitration Moot“ eine große Stütze war, und meinem Zimmerkollegen Alexander Christov, der sich zum fachlichen Austausch bereitwillig in die Untiefen der Produzentenhaftung begeben und die vielen Büroabende erträglicher gemacht hat. Meine Eltern Anni und Franz Lüftenegger haben mich auf meinem Lebensweg begleitet und nach allen Kräften und Möglichkeiten bedingungslos unterstützt. Ihnen widme ich die Arbeit. Auch bin ich meiner Mutter für die

8 Vorwort

wertvollen Korrekturarbeiten gegen Ende der Arbeit sehr dankbar. Zuletzt geht mein Dank an meine liebe Ingrid, die mich die Zeit entbehrt und unterstützt hat und deren Beitrag zu dieser Arbeit sich nicht in Worte fassen lässt. Erlangen, im Mai 2018

Klaus Lüftenegger

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Teil 1

Rückruf und Produktverantwortung 

25

§ 1 Der Rückruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rückruf aus rechtlicher Perspektive  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rückruf in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis: Die Problematik des Rückrufs . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 25 31 41 46

§ 2 Das Rechtsgebiet der Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrechtliche Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Öffentlich-rechtliche Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Strafrechtliche Produktverantwortung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 49 94 103

§ 3 Der I. II. III.

107 107 117 128

Rückruf im Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückruf aus Unternehmensperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichtenbereiche von Hersteller und Zulieferer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Regress des Herstellers gegen den Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 2



Der Umfang der Rückrufpflicht 

152

§ 4 Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Reaktionsschwelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umfang der Reaktionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rückrufanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152 152 154 197

§ 5 Das „Pflegebetten“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aussagen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fallgruppen für Rückrufpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung des Kriteriums „Hinwegsetzen über eine Warnung“ . . . . . . V. Schlussfolgerungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einordnung in die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

206 207 210 218 230 241 255 264

10 Inhaltsübersicht § 6 Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Konsequenzen für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Übertragung auf besondere Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 § 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Teil 1

Rückruf und Produktverantwortung 

25

§ 1 Der Rückruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Rückruf aus rechtlicher Perspektive  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Rückruf in den verschiedenen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Im Grenzgebiet zwischen Integritäts- und Äquivalenzinteresse  . . . . 28 4. Strittige Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Rückruf in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Rückrufformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Rückrufkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4. Rücklaufquote und ihr Verhältnis zu Maßnahmekosten . . . . . . . . . . . 35 5. Ziele eines Rückrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Schadensbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 b) Reputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 6. Wirtschaftliches Risiko eines Produktfehlers am Beispiel von GM . 40 III. Entwicklungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Zunehmende Anzahl an Rückrufen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Entwicklung in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Vermehrte Wertschöpfung durch Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Durchführung eines Rückrufs durch den Hersteller . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Zwischenergebnis: Die Problematik des Rückrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 § 2 Das Rechtsgebiet der Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilrechtliche Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwecke und Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produkthaftung aus Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 49 49 49 50 51 52

12 Inhaltsverzeichnis a) Produktfehler als Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachteile des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderverbindungen zwischen Geschädigtem und Hersteller . . . d) Entscheidung für das Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Produkthaftung im allgemeinen Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . (1) Funktion der Verkehrssicherungspflichten bei der Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geschichte und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verortung im Prüfungsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Umfang der Verkehrssicherungspflichten . . . . . . . . . . . . (5) Anwendung auf Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Erforderlichkeit und Zumutbarkeit in der Produzentenhaftung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Technische Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verkehrserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Problematik der Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtsunsicherheit durch mangelnde Objektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Nachteile des Fallrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anspruchsvoraussetzungen von § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . (1) Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schadensauslösendes Verhalten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Pflichtenbereiche des Herstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Konstruktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fabrikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Instruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Entwicklungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Produktbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Begründung und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Umfang der Beobachtungspflichten . . . . . . . . . . . . . (c) Umfang der Reaktionspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Beweislastverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftung aus § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftung aus dem Produkthaftungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 53 53 56 57 57 59 59 59 60 61 62 63 64 65 66 68 69 69 70 72 72 73 75 75 76 77 77 77 78 80 80 81 82 83 84 85 88 89 90

Inhaltsverzeichnis13 5. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Regelverjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Höchstfristen und Begrenzung der Rückrufpflicht . . . . . . . . . . . . 93 6. Anspruchskonkurrenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Öffentlich-rechtliche Produktverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Verhältnis öffentlich-rechtlicher Normen zu anderen Rechtsgebieten. 96 a) Verkehrssicherungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Zivilrechtliche Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Zivilrechtliche Relevanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IV. Strafrechtliche Produktverantwortung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Grundlagen im Kern- und Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Rückruf im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Einfluss des Strafrechts auf Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . 106 § 3 Der Rückruf im Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rückruf aus Unternehmensperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Rückruf im Risikomanagement  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Motive für ein Rückrufmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirtschaftliche Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rückruf und Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Versicherungsschutz für einen Rückruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anspruch auf Kostenerstattung aus §§ 82, 83 VVG . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Pflichtenbereiche von Hersteller und Zulieferer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rolle des Zulieferers in der arbeitsteiligen Produktion . . . . . . . . . . . 2. Eigenverantwortung als Haftungsprinzip der arbeitsteiligen ­Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflichten des Herstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten des Zulieferers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflichten nach Inverkehrbringen des Endprodukts . . . . . . . . . . . . . . . a) Beobachtungs- und Reaktionspflichten des Herstellers . . . . . . . . b) Beobachtungs- und Reaktionspflichten des Zulieferers . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Regress des Herstellers gegen den Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schadensersatz neben der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107 107 108 108 109 111 112 112 115 116 117 118 120 121 122 124 124 125 127 128 128 129 130

14 Inhaltsverzeichnis b) Nacherfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtschuldnerausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Deliktischer Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mehrere Schuldner  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inhalt des Anspruchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschäftsbesorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fremdes Geschäft und Fremdgeschäftsführungswille . . . . . . cc) Berechtigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Inhalt des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bereicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kondiktionsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Inhalt des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtliche Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Exkurs: Regressansprüche nach Leistung an Geschädigten . . . . . . . .

131 132 132 132 133 136 137 137 138 138 141 142 143 143 144 145 146 146 147 149 149 150

Teil 2

Der Umfang der Rückrufpflicht 

§ 4 Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Reaktionsschwelle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umfang der Reaktionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung von „erforderlich“ und „zumutbar“  . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entsprechend den produktbezogenen Pflichten  . . . . . . . . . . . . . . b) Anhaltspunkte in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorschläge der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand im Schrifttum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art des Produktfehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefährdetes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gefährdeter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verantwortung des Produktnutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152 152 152 154 154 154 155 156 159 159 159 161 161 162 163 164 165

Inhaltsverzeichnis15 3. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Lederspray“-Entscheidung – der strafrechtliche Sonderling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsprechung vor 1985  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsprechung von 1985 bis 2000  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Urteile  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Milchkühlanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kondensatoren   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Druckluftbremsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Rettungsinseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Dunstabzugshaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Tempostat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Gasheizungsdeckel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsansichten des BGH aus Nichtannahme­ beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Leitlinien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gefährdung des Integritätsinteresses notwendig . . . (b) Gefährdetes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine differenzierende Auseinandersetzung mit ­Rückrufpflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Fehlendes Eingehen auf Voraussetzungen . . . . . . . . (b) Ungenaue Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fehlende gegenseitige Bezugnahme . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsprechung ab 2000 bis 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Urteile  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pflegebetten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Pflegebetten 1 – LG Bielefeld . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Rechtliche Bewertung durch LG Bielefeld . . . . (cc) Rechtliche Bewertung durch OLG Hamm . . . . (b) Pflegebetten 2 – LG Arnsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Federbruchsicherung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Hundesterben   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auseinandersetzung mit Rückrufpflicht . . . . . . . . . . . . . (2) Generelle Ablehnung einer Rückrufpflicht  . . . . . . . . . . (3) Medizinprodukte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich der Rechtsprechung vor und nach 2000 . . . . . . . . cc) Die neue Rechtsprechung als Kehrtwende? . . . . . . . . . . . . . .

165 165 167 169 170 170 170 171 172 172 173 174 174 175 176 177 177 177 177 177 179 179 180 180 180 181 181 183 184 185 186 187 189 189 190 191 192 192 193 196

16 Inhaltsverzeichnis III. Rückrufanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückrufanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 249 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . . 3. Rückrufanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit von § 1004 BGB bei Rückruf . . . . . . . . . . . . . . . b) Diskussion bei Rückruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rückrufanspruch aus dem Wettbewerbsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rückrufanspruch aus Vertrag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Verhältnis von Rückrufanspruch und Pflichtenumfang  . . . . . . . 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 197 199 199 200 201 202 203 205 205

§ 5 Das „Pflegebetten“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Aussagen des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Allgemeine Ausführungen zu Reaktionspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Keine Rückrufpflicht bei Anwendung auf Sachverhalt . . . . . . . . . . . 208 3. Verneinung weiterer deliktischer Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Bestätigung der Rückrufpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Einzelfallbezogenheit der Reaktionspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Effektiver Schutz des Integritätsinteresses als oberste Priorität . . . . . 211 4. Relevante Abwägungskriterien für die Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . 212 a) Effektivität der Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Identifizierbarkeit des Produktnutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Korrespondierende Pflichten des Produktnutzers . . . . . . . . . . . . . 214 d) Gefährdung des Produktnutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 e) Gefährdung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 5. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 III. Fallgruppen für Rückrufpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Ausgangspunkt der hinreichend deutlichen und detaillierten ­Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Warnung nicht ausreichend zur Gefahreneinschätzung und ­Verhaltensanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 3. Hinwegsetzen über eine Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Irrationalität der Produktnutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Fehlende oder geringe Gefährdung des Produktnutzers . . . . . . . . 223 c) Falsche Gefahreneinschätzung durch den Produktnutzer . . . . . . . 224 4. Kostenloser Rückruf wenn „erforderlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Negative Abgrenzung statt Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Restriktive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 IV. Bewertung des Kriteriums „Hinwegsetzen über eine Warnung“ . . . . . . 230 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Verhältnis zum bestimmungswidrigen Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . 231

Inhaltsverzeichnis17 3. Verhältnis zur Instruktionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Struktureller Vergleich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Vermutung instruktionsgerechten Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4. Vergleich mit dem Vertrauensgrundsatz im Strafrecht  . . . . . . . . . . . 235 5. Objektivität der Verkehrssicherungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 6. Praxisaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Praktische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Wirkung auf den Produktnutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 7. Logik des Urteils  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 V. Schlussfolgerungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Auslegung von Erforderlichkeit und Zumutbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . 241 2. Bestehen einer Rückrufpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Fehlerkategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Gefährdetes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Reine Sachgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Weiterfresserschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 cc) Gefährdeter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 dd) Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers  . . . . . . . . . . . 246 ee) Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Ersatzansprüche im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag  . . 246 a) Anwendungsbereich beim pflichtengebundenen Geschäftsführer . 246 b) Produktnutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Rückrufanspruch und Regress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 5. Übertragbarkeit auf das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 6. Wechselwirkungen mit dem öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 VI. Einordnung in die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Verhältnis zu Vorinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Verhältnis zur ergangenen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Entscheidungen, die eine Rückrufpflicht bejahten . . . . . . . . . . . . 256 b) Vorangegangene Rechtsprechung insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Das „Pflegebetten“-Urteil als Kehrtwende? . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Nachfolgende Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) „Transformatoren“-Entscheidung des OLG Nürnberg . . . . . . . . . 259 b) „Defibrillator“-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 4. Aufnahme durch das Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 6 Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konsequenzen für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftungssituation des Herstellers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schadenseintritt trotz Rückrufes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgleich oder Bestätigung einer Pflichtverletzung . . . . . . .

265 265 265 265 266

18 Inhaltsverzeichnis bb) Enthaftung trotz Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gegenüber dem Produktnutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadenseintritt trotz Warnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schadenseintritt ohne Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis von Hersteller und Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problematik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragliche Absicherung der Rückrufrisiken?  . . . . . . . . . . . . . . 3. Versicherung und Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Produktnutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anzahl der Rückrufe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragung auf besondere Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. b2b-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identifikation des Produktnutzers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten des Produktnutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gegenüber Arbeitnehmern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gegenüber der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Pflichtenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. b2c-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identifikation des Produktnutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten des Produktnutzers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Automobilbranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung von Rückrufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Ausgangsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267 267 269 271 271 272 272 272 274 275 276 276 277 278 279 279 279 280 281 283 284 285 285 286 286 287 287 288 288 290

§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis a. E. am Ende a. F. alte Fassung AG Aktiengesellschaft AG Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AHB Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung AktG Aktiengesetz Alt. Alternative AMG Arzneimittelgesetz AnwBl Anwaltsblatt ArbSchG Arbeitsschutzgesetz Art. Artikel BasisVO Lebensmittel-Basis-Verordnung BB Betrieb-Berater BeckRS Beck-Rechtsprechung Begr. Begründer BetrSichV Betriebssicherheitsverordnung BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Zivilsachen BImSchG Bundes-Immissionsschutzgesetz BT Bundestag BVerfG Bundesverfassungsgericht bzw. beziehungsweise CCZ Corporate Compliance DAR Deutsches Autorecht DB Der Betrieb DCGK Deutscher Corporate Governance Kodex

20 Abkürzungsverzeichnis d. h. das heißt DStR Deutsches Steuerrecht Einf. Einführung Einl Einleitung et al. und andere EuGH Europäischer Gerichtshof EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWR Europäischer Wirtschaftsraum f. folgende(r) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FD-HGR Fachdienst Handels- und Gesellschaftsrecht ff. fortfolgende FS Festschrift GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GefStoffV Gefahrstoffverordnung GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GPSG Geräte- und Produktsicherheitsgesetz GRUR-PRax Praxis im Immaterialgüter u. Wettbewerbsrecht HGB Handelsgesetzbuch Hrsg. Herausgeber i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter JURA Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung KBA Kraftfahrt-Bundesamt Kfz Kraftfahrzeug Kza Kennzahl LG Landgericht LMuR Lebensmittel und Recht MPBetreibV Medizinprodukte-Betreiberverordnung MPG Gesetz über Medizinprodukte MPR Zeitschrift für das gesamte Medizinprodukterecht MPSV Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue juristische Wochenschrift NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report Nr. Nummer NVersZ Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht

Abkürzungsverzeichnis21 NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OLG Oberlandesgericht PHi Haftpflicht international – Recht & Versicherung ProdHaftG Produkthaftungsgesetz ProdHaftPV Produkthaftpflichtversicherung ProdHB Musterbedingungen für die Produkthaftpflichtversicherung ProdSG Produktsicherheitsgesetz PSA persönliche Schutzausrüstung PSA-BV PSA-Benutzungsverordnung r + s Recht und Schaden RAPEX Rapid Exchange of Information System RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie Rn. Randnummer RückrKB-HH Musterbedingungen für die Rückrufkosten-Versicherung von Hersteller- und Handelsbetrieben RückrKB-Kfz Musterbedingungen für die Rückrufkosten-Versicherung von Kfz-Teile-Zulieferern S. Seite(n) SchSG Schiffssicherheitsgesetz StGB Strafgesetzbuch StVG Straßenverkehrsgesetz StVO Straßenverkehrs-Ordnung StVZO Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VersR Versicherungsrecht vgl. vergleiche VO Verordnung Vor Vorbemerkung VVG Versicherungsvertragsgesetz VW Versicherungswirtschaft VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WiB Wirtschaftsrechtliche Beratung ZGS Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Ziff. Ziffer ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung Der Hersteller eines Produkts ist im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet, alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Rechts- und Rechtsgutsverletzungen durch sein Produkt zu vermeiden. Mit davon umfasst ist die Pflicht, bereits in den Verkehr gebrachte Produkte zu beobachten. Erkennt er dabei eine Gefahr, muss er reagieren. Jedoch ist ungewiss, welche Reaktion das Gesetz im Einzelfall verlangt: Unstrittig ist, dass der Hersteller vor der Gefahr warnen muss; strittig ist, unter welchen Umständen er zusätzlich eine Pflicht zum Rückruf hat. An dieser Stelle sieht sich der Rechtsanwender einer großen Rechtsunsicherheit gegenüber. In der Praxis ist der Umfang der Reaktionspflicht von großer Bedeutung, da er jenseits der Funktion der Haftungsbegründung darüber entscheidet, inwieweit der Hersteller die hohen Kosten für einen durchgeführten Rückruf von einem mitverantwortlichen Zulieferer oder einer Versicherung erstattet bekommen kann. Das Phänomen der Rechtsunsicherheit ist dem Haftungsrecht nicht fremd. Es ist der Tatsache geschuldet, dass die Anpassungsfähigkeit des Haftungsrechts zu einem bedeutenden Teil mit Fallrecht verknüpft ist. Ändern sich politische, ökonomische, technologische oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen, entstehen leicht neue Gefährdungspotentiale. Das Haftungsrecht reagiert darauf auf zweierlei Art. Erstens kann der Gesetzgeber Spezialgesetze erlassen, welche die Risiken verteilen, die mit der Handhabung von neuen Gefahrenquellen verbunden sind. Prominente Beispiele hierfür sind das Produkthaftungsgesetz oder das Arzneimittelgesetz. Zweitens kann eine Fortbildung des Deliktsrechts durch die Rechtsprechung erfolgen. Durch die richterrechtliche Formulierung und Differenzierung von Verhaltenspflichten ist eine Feinabstimmung der verschiedenen Interessen sowohl der Beteiligten als auch der Gesellschaft als Ganzes möglich. Mit jeder Entscheidung kann die Auslegung oder Gestaltung einer Pflicht modifiziert werden, um auf veränderte Verhältnisse besser einzugehen.1 Diese Dynamik des Deliktsrechts wird jedoch um den Preis der Rechtsunsicherheit erkauft. Eine ausufernde Rechtsprechung wird schnell unübersichtlich („Chaos der Kasuistik“)2 und zieht Verwerfungen und Inkonsistenzen nach sich,3 während es bei nur punk1  Brüggemeier,

JZ 1986, 969, 972. S. 1. 3  Brüggemeier, BB 1995, 2489, 2491. 2  Brüggemeier,

24 Einleitung

tueller Rechtsprechung an Leitlinien fehlt. In beiden Fällen entstehen rechtliche Grauzonen. Diese Entwicklung ist auch bei der deliktischen Produzentenhaftung eingetreten.4 Speziell zum Thema Rückruf findet sich nur vereinzelt Rechtsprechung, die sich zudem teils widerspricht. Höchstrichterliche Rechtsprechung war bis in die späten 2000er Jahre nicht ergangen. Erst Ende 2008 nahm der BGH im „Pflegebetten“-Fall5 erstmalig zu der Frage Stellung, welchen Umfang die Reaktionspflichten des Herstellers annehmen können. Die vorliegende Arbeit nimmt dieses Urteil als Ausgangspunkt, eine Analyse zum Thema Umfang der Reaktionspflichten durchzuführen. Im ersten Teil soll ein Verständnis für die rechtliche und praktische Bedeutung, die der Rückruf im Rechtsgebiet der Produkthaftung einnimmt, geschaffen werden. Dazu wird zunächst der Rückruf sowohl als Rechtsfigur als auch Realvorgang näher betrachtet (A.). Es folgt ein Überblick, wie sich die Produktverantwortung im Zivilrecht, öffentlichen Recht und Strafrecht äußert und an welcher Stelle die Rückrufpflicht jeweils verortet ist (B.). Zuletzt werden unternehmensrelevante Fragestellungen zum Rückruf, wie die Pflichtenverteilung zwischen Hersteller und Zulieferer und der Rückrufkostenregress, erörtert (C.). Im zweiten Teil erfolgt vor diesem Hintergrund eine Analyse des „Pflegebetten“-Urteils. Sie orientiert sich an der Aufgabe der Haftungsrechtswissenschaft, Gesetzesdogmatik und richterliches Fallrecht zu integrieren.6 Das erfolgt zum einen, indem die zum Rückruf ergangene Rechtsprechung geordnet, systematisiert und kommentiert wird (D.). Zum anderen wird das „Pflegebetten“-Urteil in die Rechtsprechung eingeordnet und auf allgemeine Prinzipien hin untersucht, aufgrund derer sich der Pflichtenumfang des Herstellers ableiten lässt (E.). Diese Prinzipien stehen zwischen Rechtsnorm und Einzelfallentscheidung und geben dem Haftungsrecht eine Struktur, die im Rahmen des Möglichen für Vorhersehbarkeit sorgen kann.7 Abschließend werden Auswirkungen der Rechtsprechung für die Beteiligten und auf bestimmte Fallkonstellationen aufgezeigt (F.). Zuletzt werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst (G.).

Diederichsen, VersR 1984, 797, 799. Urteil vom 16.12.2008, Az. VI ZR 170/07 = BGHZ 179, 157 ff. = NJW 2009, 1080 ff. = JZ 2009, 905 ff. = VersR 2009, 272 ff. 6  Vgl. Brüggemeier, S.  24 f. 7  Brüggemeier, S.  25 f. 4  Bereits 5  BGH,

Teil 1

Rückruf und Produktverantwortung § 1  Der Rückruf Im ersten Abschnitt erfolgt eine Einführung zum Thema Rückruf. Aus rechtlicher Perspektive wird erläutert, wie der Begriff „Rückruf“ zu definieren und abzugrenzen ist, inwiefern sich die Figur des Rückrufs in einem Grenzgebiet zwischen Integritäts- und Äquivalenzinteresse befindet, und welche Rechtsfragen bei einem Rückruf strittig sind (I.). Danach werden Praxisaspekte (II.) und die Entwicklung der zunehmenden Anzahl von Rückrufen (III.) beleuchtet.

I. Rückruf aus rechtlicher Perspektive 1. Definition Der Begriff „Rückruf“ lässt sich augenscheinlich leicht erschließen und wird freimütig in der juristischen Literatur verwendet. Dennoch konnte sich keine einheitliche Definition herausbilden.1 Das liegt vor allem daran, dass der Begriff unterschiedlich ausgelegt und verstanden werden kann, wodurch die juristische Diskussion erheblich erschwert wird.2 Die Unschärfe des Begriffs zeigt sich bereits auf sprachlicher Ebene, wo ein Rückruf als Vorgang, aber genauso gut als Aufforderung – als Rückruf – verstanden werden kann.3 Auf juristischer Ebene wird die Unschärfe fortgeführt. Ein Blick ins Gesetz trägt wenig zu einer Klärung des Begriffs bei. Im Zivilrecht findet sich

vor 20 Jahren bei Rettenbeck, S. 15. Bodewig, S. 9. Für Michalski, BB 1998, 961, 964 stellt die Diskussion um den Rückruf unter anderem aufgrund der „verworrene[n] Terminologie“ die „Glatteisfläche auf dem Gebiet der Produzentenhaftung“ dar, wobei er sich vor allem auf die Unterscheidung zwischen Rückrufverkehrspflicht und Rückrufanspruch bezieht. Die Unbestimmtheit des Rückrufbegriffs erschwert beispielsweise die Diskussion um die Aussagen der strafrechtlichen „Lederspray“-Entscheidung erheblich, siehe § 4 II. 3. b). 3  Bodewig, S. 10, der den Begriff Rückruf zusätzlich im Sinne eines „Zurufs“, d. h. einer Warnung, interpretiert. 1  Bereits 2  Auch

26

Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

keine Definition, ebenso wenig wie es ein „Rückrufgesetz“4 gibt. Lediglich das öffentlich-rechtliche Produktsicherheitsrecht bietet einen Anhaltspunkt in § 2 Nr. 25 ProdSG, in dem ein Rückruf als „jede Maßnahme, die darauf abzielt, die Rückgabe eines dem Endverbraucher bereitgestellten Produkts zu erwirken“ definiert wird. Das hilft nur bedingt weiter, da die Definition mit den Begriffen „jede Maßnahme“ und „abzielt“ denkbar weit gefasst ist. Problematisch an der Definition ist auch, dass kein Hinweis darauf gegeben wird, was unter „Maßnahme“ zu verstehen ist und wer zu welchem Anteil die Kosten der Maßnahme zu tragen hat. Am sinnvollsten lässt sich „Rückruf“ als Oberbegriff verstehen, der ein Spektrum an Maßnahmen unter sich vereint. Damit stellt sich die Frage, welche Maßnahmen der Oberbegriff umfassen soll. Einigkeit besteht darüber, dass sie eine von einem fehlerhaften Produkt ausgehende Gefahr abwehren sollen.5 Die dazu infrage kommenden Maßnahmen6 lassen sich dabei grundsätzlich in zwei Gruppen aufteilen. Unterscheidungsmerkmal ist, ob der Hersteller auf das Produkt einwirkt oder nicht.7 So kann der Hersteller erstens dem Produktnutzer Informationen zukommen lassen, ohne dass er auf das Produkt selbst einwirkt. Das umfasst etwa eine Warnung, die eine Einstellung des Produktgebrauchs nahelegt, oder Informationen und Hinweise, die eine Fehlerbehebung oder gefahrlose Bedienung des Produkts ermöglichen. Die tatsächliche Gefahrenabwehr liegt in dem Fall in den Händen des Produktnutzers. Solche Maßnahmen werden in Folge als „Warnung“ bezeichnet. Zweitens kann der Hersteller direkt auf das Produkt einwirken und die Produktgefahr selbst beheben. Der Hersteller kann das Produkt zurückrufen, d. h. aus dem Verantwortungsbereich des Produktnutzers entfernen.8 Er kann es auch zurückrufen und zusätzlich eine Leistung in Form eines fehlerfreien Produkts (Austausch) anbieten. Zuletzt kann er das Produkt reparieren und wieder in einen gefahrlosen Zustand versetzen. Diese drei Grundvarianten werden im Folgenden „Rückruf“ genannt. Jede der drei Formen lässt sich weiterhin dahingehend differenzieren, wer zu welchem Anteil die Kosten dem Thema Rettenbeck, S.  137 ff. in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 2. 6  Vgl. dazu Bodewig, S.  10 ff. 7  Die Einteilung orientiert sich an den zwei Grundtypen der Verkehrssicherungspflichten, nach denen zum einen dem Gefährdeten der eigenverantwortliche Umgang mit der Gefahr ermöglicht und zum anderen auf den Gefahrenherd eingewirkt werden soll. Vgl. von Bar, S.  84 ff. 8  Teils wird diese Maßnahme auch als Rücknahme bezeichnet, so bei Bodewig, S. 12, und Pieper, BB 1991, 985, 987. In dieser Arbeit orientiert sich der Begriff Rücknahme hingegen an § 2 Nr. 24 ProdSG, wonach Produkte zurückgenommen werden, wenn sie sich noch in der Lieferkette befinden. Mit anderen Worten ist eine Rücknahme ein „Rückruf gegenüber dem Handel“, vgl. Schmidt, S. 9. 4  Zu

5  Lenz,



§ 1  Der Rückruf27

übernimmt und ob der Hersteller freiwillige Zusatzleistungen, etwa eine Geldzahlung, anbietet. Bei einer kostenfreien Rückrufmaßnahme übernimmt der rückrufende Hersteller die Aufwendungen, bei einer kostenpflichtigen Maßnahme der Produktnutzer. Eine kostenpflichtige Rückrufmaßnahme erfolgt meist als Angebot des Herstellers an den Produktnutzer, das Produkt gegen Zahlung zu entsorgen, umzutauschen oder zu reparieren. In der Praxis lassen sich die Maßnahmen nicht immer scharf voneinander abgrenzen, sondern sie treten häufig als Mischform auf.9 Uneinigkeit besteht darüber, ob der Oberbegriff „Rückruf“ auch Warnungen beinhalten soll. Teils wird vertreten, dass „Rückruf“ als Synonym für Gefahrenabwehrmaßnahme zu verstehen sei und beide Gruppen umfasse.10 Dann würde auch eine Warnung als Rückrufmaßnahme zählen. Sinnvoller erscheint es jedoch, unter dem Oberbegriff „Rückruf“ nur die zweite Maßnahmengruppe zu vereinen.11 Erstens lassen sich die beiden Gruppen dadurch leicht unterscheiden, inwieweit der Hersteller auf das Produkt einwirkt (Rückruf) oder nicht (Warnung). Zweitens legt der sprachliche Gebrauch nahe, eine Warnung nicht als Rückruf zu bezeichnen. Drittens legt auch der juristische Sprachgebrauch, bei Erörterung der deliktischen Gefahrabwendungspflichten von „Warn- und Rückrufpflichten“ zu sprechen,12 diesen Schluss nahe. Im Ergebnis steht der Begriff „Rückruf“ für eine Reihe von Maßnahmen, bei denen zur Abwehr einer von einem fehlerhaften Produkt ausgehenden Gefahr auf das Produkt eingewirkt wird. Wird „Rückruf“ hingegen nicht als Oberbegriff, sondern als Beschreibung einer bestimmten Maßnahme verwendet, bedarf es einer weiteren Konkretisierung hinsichtlich der Art der Maßnahme und der Kostenverteilung. 2. Rückruf in den verschiedenen Rechtsgebieten Das Zivilrecht kennt den Rückruf vor allem im Rahmen der Verkehrssicherungspflichten des Herstellers, für den sich aus § 823 Abs. 1 BGB eine 9  Ein Rückruf kann beispielsweise eine Warnung beinhalten, muss das aber nicht zwingend, wenn es sich um einen stillen Rückruf handelt. Im in dieser Arbeit betrachteten „Pflegebetten“-Fall des BGH, NJW 2009, 1080 ff., wurden eine Warnung und ein Angebot zur kostenpflichtigen Reparatur des Produkts ausgesprochen. 10  Bodewig, S. 13; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 2; Pieper, BB 1991, 985, 987; Stöhr, in: FS für Müller, 173 Fn. 1. 11  Ebenso Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 326; Kreidt, S. 135; Rettenbeck, S. 15; Sack, BB 1985, 813, 817; Schmidt, S. 9; Schwenzer, JZ 1987, 1059. 12  Vgl. etwa Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 176.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Pflicht zum Rückruf ergeben kann. Sie wird schwerpunktmäßig in dieser Arbeit behandelt. Teils wird vertreten, dass es spiegelbildlich dazu einen einklagbaren Anspruch auf Rückruf gibt.13 Neben dem Zivilrecht kann sich eine Rückrufpflicht auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ergeben, wenn eine Behörde im Rahmen ihrer Kompetenzen einen Rückruf anordnet.14 Zuletzt kann sich eine Rückrufpflicht aus dem Strafrecht ergeben, welches eine solche Pflicht aus der Garantenstellung des Herstellers ableitet.15 3. Im Grenzgebiet zwischen Integritäts- und Äquivalenzinteresse In einem Produkthaftungsfall lassen sich zweierlei Interessen unterscheiden. Auf der einen Seite hat der Produktkäufer ein Interesse an einem fehlerfreien Produkt. Auf der anderen Seite haben sowohl Produktkäufer als auch Dritte das Interesse, Verletzungen ihrer Rechte und Rechtsgüter wie Eigentum, Körper und Gesundheit zu vermeiden. Ersteres, das durch ein Schuldverhältnis begründete und geschützte Interesse, wird als Äquivalenzinteresse bezeichnet.16 Es wird vom Vertragsrecht geschützt.17 Demgegenüber steht das Integritätsinteresse, welches das Interesse eines jeden gegen widerrechtliche Eingriffe in seinen Rechtskreis – „das schon Vorhandene“ in Abgrenzung zu dem von einer Leistungspflicht noch zu Erwerbenden18 – beschreibt.19 Das Integritätsinteresse wird vom Deliktsrecht geschützt.20 Da die Pflicht zu einem Rückruf im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB aus einer Norm des Deliktsrechts abgeleitet wird, bezweckt eine Rückrufmaßnahme auf dieser Grundlage den Schutz des Integritätsinteresses. Die Schutzwirkung einer Rückrufmaßnahme muss sich aber nicht auf das Integritätsinteresse beschränken, sondern kann auch das Äquivalenzinteresse berühren. Das ist etwa der Fall, wenn ein Rückruf die Reparatur oder den Austausch des gefährlichen Produkts beinhaltet. Es geht dann mit dem Schutz des Integritätsinteresses einher, dass dem Produktnutzer ein (wieder) sicheres, funktionierendes Produkt zur Verfügung gestellt wird. Der mögliche Gleichlauf zeigt sich besonders deutlich, wenn die Gewährleistungszeit noch nicht verstrichen ist: Nacherfüllung auf der einen und Rückruf inklusive Reparatur oder Austausch auf der anderen Seite beschreiben hier im Ergebnis den gleichen Real13  Siehe

§ 4 III. § 2 III. 15  Siehe § 2 IV. 16  Reinicke/Tiedtke, Rn. 502. 17  Kaiser, in: Staudinger, Eckpfeiler, I. Rn. 188. 18  Schwarze, in: Staudinger (2014), § 280 Rn. C 38. 19  Sprau, in: Palandt, Einf § 823 Rn. 1. 20  Sprau, in: Palandt, Einf § 823 Rn. 1. 14  Siehe



§ 1  Der Rückruf29

vorgang, der nur aus einer anderen rechtlichen Perspektive – vertraglich oder deliktisch – betrachtet wird. Wenn die Gewährleistungsfristen abgelaufen sind, können deliktische Rückrufpflichten, die neben dem Integritätsinteresse auch das Äquivalenzinteresse berühren, wenn überhaupt nur soweit zugelassen werden, wie sie für den Schutz des Integritätsinteresses unerlässlich sind. Darüber hinaus, d. h. zum alleinigen Schutz des Äquivalenzinteresses, ist für eine deliktische Pflicht kein Raum.21 Ansonsten könnte der Käufer eines Produkts durch die Hintertür des Deliktsrechts Ansprüche22 geltend machen, die ihm das Gewährleistungsrecht nach Fristenablauf versagt.23 Parallel zur vertraglichen Gewährleistung entstände eine zweite Schiene der „deliktischen Gewährleistung“, die erstere aus den Angeln heben würde.24 Die große rechtliche Problematik des Rückrufs liegt darin, dass eine klare Abgrenzung, bis zu welchem Punkt eine Tangierung des Äquivalenzinteresses zum Schutz des Integritätsinteresses zu tolerieren ist, nicht eindeutig getroffen werden kann. Genügt es, ein gefährliches Produkt aus der Sphäre des Produktnutzers zu entfernen? Muss der Hersteller gleichzeitig Anreize in Form einer kostenlosen, das Äquivalenzinteresse schützenden Reparatur anbieten, um die Rücklaufquote zu erhöhen und dadurch eine Gefährdung des Integritätsinteresses Dritter zu verhindern? Oder lehnt man mit Blick auf die Wertungen des Gewährleistungsrechts eine deliktische Rückrufpflicht prinzipiell ab, wenn die Gewährleistungsfristen verstrichen sind? Die Diskussion ist deswegen so kontrovers, da sie vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Systemfrage erfolgt. Der Rückruf ist im Deliktsrecht verankert, aber hinsichtlich seiner Auswirkungen befindet er sich im Grenzgebiet zum Vertragsrecht. Wer weitreichende Rückrufpflichten bejaht, der muss gleichzeitig in Kauf nehmen, dass das Deliktsrecht als Begleiterscheinung Aufgaben des Vertragsrechts wahrnimmt und eine Grenzüberschreitung stattfindet, die systematisch so nicht vorgesehen ist. Dementsprechend findet der Austausch an Argumenten für oder gegen eine Rückrufpflicht auf zwei Ebenen statt. Auf der ersten Ebene werden die Voraussetzungen diskutiert, die vorliegen müssen, um eine über eine Warnung hinausgehende Reaktionspflicht des Herstellers anzunehmen. Hier wird darüber entschieden, welche Risiken dem Hersteller und welche Risiken dem Produktnutzer oder Dritten zugerechnet werden. Erwägungen und Gründe werden dabei nicht aus der Systematik des Rechts, sondern aus der „Wirklichkeit“ abgeleitet: die Größe der Gefahr, das gefährdete Rechtsgut, die Art des Produktfehlers usw. Am Ende steht immer das Ergebnis, ob und warum eine Rückrufpflicht in einer bestimmten Situation 21  Foerste,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 21 Rn. 35. ein Rückrufanspruch bejaht wird, siehe § 4 III. 23  Rothe, MPR 2007, 117, 119. 24  Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 24. 22  Insofern

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

bejaht wird. Auf einer zweiten, grundlegenderen Ebene stellt sich aber die Frage, inwieweit bzw. bis zu welchem Punkt die maßgebenden Randbedingungen unserer Rechtsordnung eine Rückrufpflicht überhaupt zulassen. In der Diskussion bleibt diese Ebene teils hinter den praktischen Erwägungen der ersten Ebene zurück und wird gerne nur provisorisch behandelt.25 Indes ist die Entwicklung, dass sich im Feld der Produkthaftung Äquivalenz- und Integritätsinteresse zunehmend vermengen, nichts Neues.26 In den „Apfelschorf“-Entscheidungen hat der BGH bereits eine deliktische Haftung des Herstellers nicht nur für gefährliche, sondern auch für wirkungslose Produkte bejaht,27 und die Rechtsprechung zu Weiterfresserschäden hat einen deliktischen Schadensersatzanspruch für Schäden am Produkt selbst ermöglicht.28 Spiegelbildlich zum Rückruf ist auch die Figur des Weiterfresserschadens umstritten, welche im Grunde die gleiche Systemfrage – inwieweit das Deliktsrecht das Äquivalenzinteresse schützen kann – stellt.29 4. Strittige Rechtsfragen Im Rahmen der zivilrechtlichen Rückrufpflicht sind vier Rechtsfragen noch ungeklärt. Am umstrittensten ist, wie bereits ausgeführt, die Frage, wie groß der gesetzlich geschuldete Umfang einer Maßnahme zu sein hat, die der Hersteller zur Abwehr einer Gefahr, die von einem fehlerhaften Produkt ausgeht, ergreift. Vereinfacht ausgedrückt geht es um den Umfang der herstellerseitigen Verkehrssicherungspflichten nach Inverkehrbringen des Produkts. Dieser Aspekt ist in der Praxis von großer Relevanz, da die gesetzlich geschuldete Gefahrenabwehr über die Verteilung der Maßnahmekosten entscheidet. Solange Pflichten zur Gefahrenabwehr vorliegen, bestehen für den Hersteller zwei Möglichkeiten, die Kosten der durchgeführten Maßnahme zurückzubekommen. Eine gesetzliche Verpflichtung ist zum einen Voraussetzung dafür, dass der Hersteller seine Zulieferer in Regress nehmen kann, falls diese für den Produktfehler (mit-)verantwortlich sind. Der Regress beschränkt sich dabei auf die Kosten der Maßnahme, die gesetzlich geschuldet war.30 Zum anderen ist eine gesetzliche Verpflichtung Voraussetzung dafür, 25  Pieper, BB 1991, 985, 992: „Es ist eben nicht so, dass wir alles können, was wir – vielleicht aus beachtlichen Gründen – möchten, sondern wir vermögen eben nur das, was wir dürfen.“ 26  Vgl. Diederichsen, VersR 1984, 797, 798 f. 27  BGH, NJW 1981, 1603 f.; BGH, NJW 1981, 1606, 1607. 28  Vgl. die Ausführungen in § 2 II. 3. b) bb) (1). 29  Vgl. dazu G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 247 ff. m. w. N. 30  Vgl. § 3 III. 6.



§ 1  Der Rückruf31

dass der Hersteller einen Versicherer in Anspruch nehmen kann. Kosten für eine Gefahrenabwehrmaßnahme sind vom Schutz einer Rückrufversicherung nur soweit umfasst, wie die Maßnahme gesetzlich geschuldet ist.31 Eine im Vergleich geringere Praxisrelevanz liegt bei den Themen Regress und Rückrufanspruch vor. Bei ersterem ist umstritten, auf welcher gesetzlichen Grundlage ein Regress zwischen Hersteller und Zulieferer erfolgt. Ins Feld geführt werden der Gesamtschuldnerausgleich, die Regelungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag und das Bereicherungsrecht.32 Das Thema ist deswegen von geringerer Bedeutung, da nur der Weg zum Regress, nicht aber der Regress als solcher umstritten ist. Bei zweiterem, dem Rückrufanspruch, geht es um die Frage, ob parallel zur Rückrufpflicht des Herstellers ein Aktivanspruch auf Rückruf besteht und auf welcher Grundlage ein solcher Anspruch basieren würde.33 Das Verhältnis der beiden Aspekte Regress und Rückrufanspruch zur ersten Frage, der Reichweite der Verkehrssicherungspflicht, soll später näher untersucht werden.34 Zuletzt herrscht Uneinigkeit darüber, wie der Begriff „Rückruf“ juristisch zu definieren ist. Hier kann auf die eingangs erfolgten Ausführungen verwiesen werden.35 Da die Diskussion eher semantischer Natur ist und in der Praxis keine weitere Bedeutung hat, soll sie hier nicht weiter beachtet werden.

II. Rückruf in der Praxis 1. Beteiligte Kennzeichnend für Produkthaftpflichtfälle ist die Vielzahl der Beteiligten. Auf der einen Seite stehen die Träger der Verkehrspflichten im Bereich der Warenherstellung,36 die am Herstellungsprozess beteiligt sind. Das ist der Hersteller eines (End-)Produkts, aber auch der Hersteller von Zulieferprodukten. Bei vertikaler Arbeitsteilung spricht man dementsprechend von (End-)Hersteller und Zulieferer.37 Zwischen Hersteller und Zulieferer besteht 31  Vgl.

§ 3 I. 3. a) und c). § 3 III. 33  Siehe § 4 III. 34  Siehe § 3 III. 6. und § 4 III. 6. 35  Siehe § 1 I. 1. 36  Ausführlich Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 1 ff. 37  Folgend ist mit „Hersteller“ immer der Hersteller eines Endprodukts, und mit „Zulieferer“ immer der Hersteller eines Zulieferprodukts gemeint. Die Erscheinungsformen der beiden charakteristischen Herstellerbegriffe sind in der Praxis divers und vielfältig, vgl. nur für „den Zulieferer“ Kreidt, S.  3 ff. 32  Siehe

32

Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

ein Zuliefervertrag, welcher in der Regel eine Qualitätssicherungsvereinbarung enthält, die die Qualität der zugelieferten Produkte sichern soll.38 Beide kann eine Gefahrabwendungspflicht in Form einer Rückrufpflicht treffen. Dem gegenüber steht die Gruppe derjenigen, welche mit dem Produkt nach dessen Inverkehrbringen in Kontakt kommen. Das ist zunächst der Produktkäufer / -eigentümer, auch Endabnehmer genannt, der eine Vertragsbeziehung mit dem Verkäufer des Produkts hat. Letzterer ist meist ein Zwischenhändler, der nicht am Herstellungsprozess beteiligt ist. Nur in den seltenen Fällen des Direktvertriebs ist der Zwischenhändler auch gleichzeitig der Hersteller. Der Produktkäufer kann, muss aber nicht identisch mit dem Produktnutzer / -besitzer oder Endnutzer sein.39 Zuletzt können unbeteiligte Dritte, sogenannte „innocent bystander“, mit dem Produkt in Berührung kommen. Das kann zum Beispiel der zufällig vorbeikommende Spaziergänger neben der Fahrbahn oder der Partner des Produktnutzers sein. Der Zwischenhändler, der als Bindeglied zwischen Hersteller und Produktnutzer wirkt, nimmt nicht am Herstellungsprozess teil. Diesbezüglich treffen ihn daher keine deliktischen Sorgfaltspflichten, da sich seine Verantwortung in der Bereitstellung und Verteilung des Produkts erschöpft. Der Zwischenhändler hat allein seine originären Berufspflichten zu beachten.40 Nur ausnahmsweise treffen ihn zusätzlich deliktische Pflichten hinsichtlich eines Produktfehlers, der vom Hersteller zu verantworten ist. Voraussetzung ist das Vorliegen besonderer Umstände,41 beispielsweise wenn der Zwischenhändler Kenntnis der Produktgefährlichkeit erlangt42 oder er in Form des Importeurs43 oder Quasi-Herstellers44 eine besondere Marktposition einnimmt. In diesen Fällen können ihn weitergehende Prüf-, Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten treffen. Bei einem Produktfehler kann der Zwischenhändler schließlich Gewährleistungsansprüchen des Produktkäufers ausgesetzt sein, die durch den Kaufvertrag begründet werden. 38  Kreifels / Weide, in: Foerste / von  Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 57 Rn.  1 f. 39  Im Folgenden wird der Begriff „Produktnutzer“ synonym für Produkteigentümer und -besitzer verwendet, soweit sich aus dem Kontext nichts anderes ergibt. 40  Vgl. dazu Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 26 Rn.  2 ff.; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1524 S. 1 ff.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 791 f. 41  BGH, NJW 1987, 1009, 1010. Übersicht bei Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 26 Rn. 24 ff. für den einfachen Vertriebshändler, Rn. 51 ff. für den Quasi-Hersteller und Rn. 60 ff. für den Importeur. 42  BGH, NJW 1981, 2250. 43  BGH, NJW 1987, 1009, 1010. 44  BGH, NJW 1994, 517, 519 f.; BGH, NJW-RR 1995, 342, 343.



§ 1  Der Rückruf33

Bei einem Produkthaftungsfall stehen neben den direkt Betroffenen – Hersteller, Zulieferer, Produktnutzer, Dritte und Zwischenhändler – weitere Beteiligte in zweiter Reihe.45 Hersteller und Zulieferer schließen bei Versicherungsunternehmen eine Produkthaftpflichtversicherung ab, um das erhebliche finanzielle Risiko eines Produktfehlers zu mindern. Den finanziellen Risiken von Gefahrenabwehrmaßnahmen wie einer Warnung oder einem Rückruf kann mit einer Rückrufkosten-Versicherung begegnet werden.46 Bei Eintritt eines Personenschadens werden selbige Versicherungsunternehmen auch von den Geschädigten bei abgeschlossenen Unfall- oder Krankenversicherungen involviert. Mittelbar betroffen sind der Arbeitgeber des Geschädigten sowie der Staat, der mithilfe der sozialen Sicherungssysteme für Ausgleich sorgt. Staatliche Aufsichtsbehörden können darüber hinaus strafrechtliche Ermittlungen unterstützen oder im Rahmen ihrer vom öffentlichen Sicherheitsrecht zugewiesenen Kompetenzen tätig werden, wenn ein gefährliches Produkt ein Sicherheitsrisiko darstellt. 2. Rückrufformen Ein Rückruf muss individuell an die Umstände des Einzelfalls angepasst werden. Es gibt nicht „den“ standardisierten Rückruf, da jedem Fall eine einzigartige Konstellation zugrunde liegt.47 Die konkrete Ausgestaltung des Rückrufs hängt insbesondere von den Parametern ab, ob es sich um ein Massenprodukt oder ein leichter nachverfolgbares Einzelprodukt handelt, welche Fehlerart dem Produkt anhaftet und welches Gefährdungspotential es im konkreten Fall aufweist. Grundlegend unterscheiden lassen sich offener und verdeckter Rückruf. Ein offener oder auch öffentlicher Rückruf geht auf die Gefahr des Produkts als Ursache für den Rückruf ein und benennt gegenüber dem Produktnutzer und der Öffentlichkeit den Rückruf als solchen. Bei einem verdeckten Rückruf, auch stiller48 oder nicht-öffentlicher Rückruf genannt, nehmen Produktnutzer und Öffentlichkeit einen Rückruf nicht als solchen wahr, weil der Produktfehler nicht zwingend thematisiert wird.49 Ein verdeckter Rückruf kann unter dem Stichwort „Kundenservice“ fungieren oder im Zuge einer regelmäßigen Untersuchung oder Wartung beim Produktnutzer oder HerstelEisenberg et al., S. 1. § 3 I. 3. 47  Klindt, NVzW 2009, 891, 893 f. 48  Pieper, BB 1991, 985, 986. 49  Ein Beispiel findet sich bei LG Freiburg, Urteil vom 17.02.1959, Az. 2 0 40/57, in: Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, 361, 365. 45  Vgl.

46  Siehe

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

ler durchgeführt werden. Die Motivation liegt darin, dass der Hersteller negative Reputationseffekte vermeiden möchte.50 Zuletzt lassen sich Rückrufe dahingehend unterscheiden, inwieweit ihnen eine gesetzliche Verpflichtung zugrunde liegt. Eine Pflicht kann sich entweder im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB oder aus einer öffentlich-rechtlichen Anordnung ergeben. Wird eine Maßnahme getroffen, für die keine oder eine weniger umfangreiche Verpflichtung besteht, spricht man von Kulanzmaßnahmen, freiwilligen Maßnahmen oder Maßnahmen jenseits der gesetzlichen Verpflichtung. 3. Rückrufkosten Die Kosten eines Rückrufs hängen von der Art der Ausgestaltung und dem Aufwand ab, welche die Umstände des Einzelfalls erfordern. Mögliche Posten sind die Kommunikation mit den Produktnutzern bzw. der Öffentlichkeit, der Rückruf der Produkte, deren Überprüfung, Reparatur, Austausch oder Entsorgung und die logistische Vor- und Nachbereitung der Aktion.51 Die bloße Rückführung eines Produkts gestaltet sich etwa günstiger als das kostenfreie Angebot einer Reparatur. In jedem Fall ist ein Rückruf kostenintensiver als eine Warnung. In Einzelfällen können Rückrufe Kosten in Milliardenhöhe verursachen – etwa in der Automobilbranche52 –, aber auch bei elektronischen Massenprodukten des täglichen Bedarfs wird schnell ein dreistelliger Millionenbetrag für einen einzigen Rückruf angesetzt.53 Selbst für finanzstarke Unternehmen stellt ein Rückruf solchen Ausmaßes eine Gefahr dar, die in einer bestandgefährdenden Krise enden kann.54 Erschwerend kommt hinzu, dass ein Rückruf nicht „von der Stange“ geordert werden kann, sondern immer auf die Umstände des Einzelfalls abgestimmt sein muss.55 Daher besteht vor Durchführung eines Rückrufs zu einem großen Teil Unsicherheit über die letztendlichen Kosten. Zwar können Vorbereitungen getroffen und ein Rückrufmanagement im Unternehmen aufgebaut werden,56 deren Kosten erfass- und vorhersehbar sind; darüber hinaus lassen sich aber Umfang und Kosten eines Rückrufs schwer abschätzen. Weiterhin ist problematisch, dass ein Rückruf 50  Standop,

Nebenwirkungen von Produktrückrufen, 71, 72. BB 2007, 2358. 52  Siehe das Beispiel General Motors, § 1 II. 6. 53  Burckhardt, VersR 2007, 1061, 1062 Fn. 10. 54  Burckhardt, VersR 2007, 1061, 1062. 55  Klindt, Finance 2012, Nr. 2, 64. 56  Vgl. dazu Klindt/Wende, S.  95 ff. 51  Dietborn/Müller,



§ 1  Der Rückruf35

nur eingeschränkt versicherbar ist57 und selbst bei bestehendem Versicherungsschutz mit hohen Prämien zu rechnen ist.58 4. Rücklaufquote und ihr Verhältnis zu Maßnahmekosten Als Rücklaufquote, Rückrufquote oder Erfolgsquote eines Rückrufs bezeichnet man das Verhältnis der von einer Gefahrenabwehrmaßnahme erreichten Produkte zu der Gesamtzahl der betroffenen Produkte in Prozent.59 Bei einer Rücklaufquote von 40 % konnten 40 von 100 Produkten repariert, ausgetauscht oder zurückgerufen werden. Die Rücklaufquote kann für die interne Planung als Schätzgröße genutzt werden, etwa ob die erste Rückrufwelle erfolgreich genug war oder eine zweite Aktion notwendig ist. Die Rücklaufquote hängt dabei von verschiedensten Faktoren ab. Dazu zählen die Art, der Preis und das Alter des Produkts, die Art der drohenden Gefahr, der angesprochene Adressatenkreis und dessen Risikoeinschätzung des Produktfehlers.60 Es hängt stark vom Einzelfall ab, welche durchschnittlichen Rückrufquoten zu erwarten sind und ab welcher Quote von einem Erfolg zu sprechen ist. Statistiken zu bereits erfolgten Rückrufen helfen nur bedingt weiter, da deren Aussagen aufgrund der schlechten Vergleichbarkeit der Rückrufkonstellationen und der geringen Datendichte61 mit Vorsicht zu genießen sind. So hat beispielsweise eine Studie eine durchschnittliche Rücklaufquote von 37 % ermittelt.62 Auf Produktgruppen bezogen wurden Rücklaufquoten von 63 % bei Kinderartikeln, 44 % bei elektronischen Artikeln, 23 % bei Spielwaren und 8 % bei Haushaltsgegenständen festgestellt.63 Eine andere Studie kommt hingegen zu gegenläufigen Ergebnissen64 und stellt bei Rückrufen von Spielwaren und Gebrauchsgegenständen für Kinder eine weitaus geringere Rücklaufquote fest, die nicht messbar die reguläre Reklamationsrate übersteigt und damit statistisch unbedeutend ist. Auch brachte der Rückruf einer Kettensäge – anders als angesichts des Gefahrenpotentials zu erwarten wäre – 57  Vgl.

dazu § 3 I. 3. in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 330. 59  Klindt/Wende, S. 88. 60  Klindt/Wende, S.  89 f. 61  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 71 benennt Prozentangaben bei Rücklaufquoten als eines der „bestgehütetsten Geheimnisse“ von Unternehmen. 62  Consumer Affairs Directorate, Product recall research, S. 21. Die Quote wurde jedoch auf der Grundlage von nur 34 Rückrufen ermittelt. 63  Consumer Affairs Directorate, Product recall research, S. 24. 64  Behörde für Wissenschaft und Gesundheit Hamburg, Zweiter Kooperationsbericht Ostsee-Netzwerk, S. 20 f. 58  Foerste,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

nur ein Ergebnis von 0,5 %, während bei elektrischen Geräten des täglichen Gebrauchs eine Rücklaufquote von 10 % erreicht wurde. Wo verschiedene Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, bieten statistische Daten nur wenig Anhaltspunkte für eine „durchschnittliche Rücklaufquote“. Zumindest lässt sich aus ihnen schließen, dass eine Rücklaufquote von 100 % als nahezu unmöglich einzuschätzen ist.65 Im Schrifttum werden Bereiche von 10–30 %66 oder unter 50 %67 angegeben, während Stimmen aus der Beratungspraxis eine Rücklaufquote von 1–5 % bereits als Erfolg ansehen.68 Belastungsfähige Aussagen lassen sich aber gerade angesichts der Tatsache, dass kein Rückruf dem anderen gleicht, nicht treffen. Lediglich im Automobilbereich stellen sich regelmäßig hohe Rücklaufquoten von 70–90 % ein,69 was den besonderen Umständen geschuldet ist. Im Falle eines sicherheitsrelevanten Produktfehlers hat sich der Hersteller nach § 6 Abs. 4 ProdSG an die zuständige Produktsicherheitsbehörde für den Straßenfahrzeugbereich, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), zu wenden. Dabei kann er durch Abfrage des zentralen Fahrzeugregisters die Halter der betroffenen Fahrzeuge ermitteln lassen und direkt kontaktieren. Wendet sich dennoch ein Fahrzeughalter nicht zur Mangelbehebung an seine Werkstatt, wird er im Zuge einer Nachfassaktion, gegebenenfalls mehrmals, erneut kontaktiert. Seit 2007 werden pro Jahr ähnlich viele Nachfass- wie Rückrufaktionen durchgeführt.70 Wenn besonders gefährliche Mängel auch nach mehrmaligem Nachfassen nicht erfolgreich beseitigt werden, kann das Fahrzeug letztendlich aus dem Verkehr gezogen werden. Auf diese Weise erreichen Rückrufaktionen im Automobilbereich eine sehr hohe Rückrufquote. In jedem Fall darf die Wichtigkeit der Rücklaufquote nicht überschätzt werden. Das Gesetz verpflichtet dazu, eine von einem Produkt ausgehende Gefahr effektiv abzuwehren. Um die Effektivität einer Maßnahme zu beurteilen, kann eine an eine Zahlenschwelle gebundene Rücklaufquote nur eines von mehreren Kriterien sein.71 Eher abzustellen ist auf das vom Ablauf eine Stufe vorher angesiedelte Kriterium, wie viele Produktnutzer erreicht werden konnten. Danach ist entscheidend, ob der Hersteller im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren ausreichend viele Produktverwender erreichen und das Produktrisiko und die angebotene Gefahrenabwehrmaßnahme, unabhängig Schmidt, S. 95. in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 71. 67  Auch Thürmann, NVersZ 1999, 145, 147. 68  Gespräch des Verfassers mit dem Produkthaftungsexperten einer deutschen Großkanzlei am 25.06.2016. 69  Klindt/Wende, S. 89. 70  Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2012, S. 58. 71  Klindt/Wende, S. 88. 65  Auch 66  Lenz,



§ 1  Der Rückruf37

von deren Gestalt, kommunizieren konnte.72 Dies zeigt, welche große Bedeutung der „traceability“, der Rückverfolgbarkeit eines Produkts, zukommt.73 Damit wird die Möglichkeit beschrieben, den Weg eines Produkts – oder zumindest einer Produktcharge – vom Hersteller über den Verkäufer zum Käufer nachzuverfolgen. Auch jenseits des Automobilbereichs wirkt es sich positiv auf die Rücklaufquote aus, wenn der gezielte, direkte Kundenkontakt möglich ist.74 Nicht zwingend ist hingegen der Schluss, dass sich die Art der Gefahrenabwehrmaßnahme immer auch auf die Rücklaufquote auswirkt, dass mit anderen Worten eine teure Maßnahme mit umfassender Kostentragung des Herstellers eine bedeutend höhere Rücklaufquote zur Folge hat.75 Auch hier ist auf den Einzelfall abzustellen. Insbesondere bei billigen Massenprodukten des alltäglichen Bedarfs ist nicht zu erwarten, dass die Art der Gefahrenabwehrmaßnahme erheblich darüber entscheidet, wie effektiv die Gefahr abgewehrt werden kann.76 Entscheidender Faktor wird hier mehr die Gefahreneinschätzung durch den Produktnutzer sein, der für sich abwägt, ob er einer Gefahrenabwehrmaßnahme folgt oder nicht. Voraussetzung hierfür ist wiederum die Erreichbarkeit des Produktnutzers, welche konsequenterweise das sinnvollere Kriterium als die Art der Gefahrenabwehrmaßnahme darstellt, um Einfluss auf die Rücklaufquote zu nehmen.77

72  Klindt/Wende, S. 90; ähnlich Rettenbeck, S. 68. Der Bericht der U.S. Consumer Product Safety Commission, Recall effectiveness research, wertet über 200 Studien zur Wirksamkeit von Rückrufen aus und legt den Fokus auf die Effektivität der Kommunikation, vgl. S. 8 ff. Es wird aber auch festgestellt, dass Aufwand und Kosten des Produktnutzers, an einem Rückruf teilzunehmen – d. h. die Ausgestaltung der Rückrufmaßnahme –, die Rücklaufquote beeinflusst, vgl. S. 23 ff. 73  Klindt/Wende, S. 15. Vgl. dazu auch Expertengruppe der Europäische Kommission, Key Recommendations, worin Rückverfolgbarkeit als Grundvoraussetzung für Produktsicherheit hervorgehoben wird. 74  Beispielsweise hatte der Rückruf einer Halogenleuchte eine Rücklaufquote von 10 % im Einzelhandel, im Internethandel mit der Möglichkeit des direkten Kontakts hingegen eine Rücklaufquote von über 50 %. Vgl. Behörde für Wissenschaft und Gesundheit Hamburg, Zweiter Kooperationsbericht Ostsee-Netzwerk, S. 20 f. 75  Burkhardt, PHi 2009, 47, 50; Handorn, MPR 2009, 37, 43. 76  Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1606. Aus diesem Grund ist der Vorschlag von Schmidt, S. 97 f. abzulehnen, dass bei Sachen, die nach dem Katalog des § 811 ZPO unpfändbar sind, die Notwendigkeit der umfassenden Kostentragung zur Sicherstellung einer hohen Rücklaufquote anzunehmen wäre. 77  Vgl. die Rücklaufquoten einer Halogenlampe in Fn. 74.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

5. Ziele eines Rückrufs a) Schadensbegrenzung Aus rechtlicher Sicht führt ein Hersteller eine Gefahrenabwehrmaßnahme durch, damit eine von Produkten ausgehende Gefahr soweit wie möglich behoben oder vermindert wird und sich Schäden nur im unvermeidlichen Maße einstellen. An erster Stelle steht damit der Schutz der Produktnutzer und der Öffentlichkeit. Darüber hinaus werden aus Herstellerperspektive Haftungsrisiken eingeschränkt, da er sich bei eintretenden Sach- oder Personenschäden schadensersatzpflichtig machen kann. Auch kann eine strafrechtliche Verantwortung der Geschäftsführung so ausgeräumt werden. Insofern ist ein Rückruf der Versuch, produkthaftungsrechtlich relevant Unfälle rechtzeitig zu vermeiden.78 Zuletzt drohen dem Hersteller Bußgelder, wenn er einem behördlich angeordneten Rückruf nicht Folge leistet. b) Reputation Aus Praxissicht ist das primäre Motiv eines Rückrufs die Sicherung der Reputation des Herstellers.79 Zwar ist ein Rückruf immer auch ein öffentliches Eingeständnis der Gefährlichkeit des eigenen Produkts, das als Zeichen mangelhafter Qualität aufgefasst werden kann.80 Gleichzeitig verhindert oder schwächt ein Rückruf aber die weitaus schwerwiegenderen Folgen ab, die mit einem produktbedingten Schadensfall einhergehen. Ein eingetretener Schaden gefährdet das Vertrauen in das Produkt und kann es bei entsprechender Größe unverkäuflich werden lassen.81 Der Vertrauensverlust kann sich auf andere Produkte des Unternehmens oder auf das Unternehmen als Ganzes erstrecken. Ein Vertrauensverlust ist besonders einschneidend, wenn die Marke des Unternehmens und dessen hohe Produktpreise auf den Ruf hervorragender Qualität bauen.82 Folgen können Umsatzrückgänge, erhöhte Werbemaßnahmen zur Rückgewinnung von Kunden83, eine 78  Klindt,

VDI Nachrichten vom 11.03.2005, S. 10. Bewertung von Rückrufen durch die Konsumenten vgl. Standop, Nebenwirkungen von Produktrückrufen, 71 ff. 80  Vgl. Standop, Nebenwirkungen von Produktrückrufen, 71, 73 f. 81  Bekanntes Beispiel ist das Medikament Contergan. Auch wenn der Wirkstoff des Medikaments weiterhin bei der Behandlung von Krebserkrankungen im Einsatz ist, wurde der Vertrieb von Contergan mitunter wegen der Assoziationen, die der Name in der Öffentlichkeit weckt, eingestellt, vgl. Grünenthal, FAQ zu Contergan, Frage 12 und 13. Zum Gerichtsverfahren LG Aachen, JZ 1971, 507 ff. 82  G. Wagner, Produktrückruf, 51, 53. 83  Dietborn/Müller, BB 2007, 2358. 79  Zur



§ 1  Der Rückruf39

geringere Attraktivität als Arbeitgeber oder sinkende Aktienwerte84 sein.85 Nicht umsonst wird die Reputation als Vermögensgegenstand oder auch als „Reputationskapital“ angesehen, welches quantifizierbar ist und sich bei Vertrauensverlust mindert. Reputationsschäden sind somit meist auch Vermögensschäden.86 In vielen Branchen ist ein Rückruf zudem Teil der Verbrauchererwartung. Zurückzuführen ist das auf die bisherige Praxis des kostenlosen Rückrufs, die sich in den Köpfen der betreffenden Kunden – insbesondere in der Automobilbranche – verankert hat.87 Davon unabhängig steigt auch generell der Druck auf Unternehmen, nach außen hin ethisch korrektes Handeln vorzuleben.88 Wird von einem Rückruf mit einem Hinweis auf die Rechtslage abgesehen, kann dies eine Angriffsfläche für frustrierte Produktnutzer, Geschädigte oder Konkurrenten bieten. Der Reputationsaspekt hat durch das Erstarken der sozialen Medien („Social Media“), allen voran Facebook, Twitter und YouTube, erheblich an Bedeutung gewonnen.89 Durch den freien und schnellen Informationsaustausch breiten sich Nachrichten über Fehler an Produkten schnell in den relevanten Benutzerkreisen aus.90 Leicht kann dieser Austausch zu einer unkontrollierbaren Lawine werden, die sich bei ausreichender Lautstärke auch auf traditionelle Medien erstreckt.91 Das Gefährdungspotential der sozialen Medien ist aus Unternehmenssicht als hoch einzustufen, da die Unternehmenskommunikation nur begrenzte Einflussmöglichkeiten auf sich dort verbreitende Informationen hat. Bei einer notwendigen Reaktion auf eine Meldung, etwa einer verzerrten oder falschen Darstellung eines Produktfehlers, wird die Reaktionszeit nicht nur bei größeren Konzernen relativ hoch sein, da oft erst eine Abstimmung unter Einhaltung der komplexen unternehmensinternen Pro84  Dazu Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689, 692. Skeptisch aber Standop, Nebenwirkungen von Produktrückrufen, 71, 77 ff. 85  Klindt, VW 2012, 1593. 86  Vgl. Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 689, 691 f. 87  Burkhardt, VersR 2007, 1601, 1606 f.; Molitoris, VW 2007, 1175. 88  Vgl. Clifford Chance, Survey on business risks 2014, S. 38 f. 89  Vgl. Klindt, VW 2012, 1593. 90  Bereits im Jahr 2006 formulierte Hauschka, ZRP 2006, 258, 260 spitz: „[…] dass vom Bekanntwerden eines Produktproblems im Internet bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein RTL-Fernsehteam an der Pforte des herstellenden Unternehmens steht, in der Regel nur 20 Minuten vergehen.“ 91  Für diese Erregungswellen wird im Deutschen der Begriff „Shitstorm“ verwendet, der bereits Aufnahme in den Duden und juristische Fachzeitschriften gefunden hat. In letzteren werden unter anderem Produktrisiken als dessen mögliche Ursache genannt, vgl. Hofmann/Fuhlert, CCZ 2015, 237, 240. Der Begriff steht beispielhaft für neue Phänomene der sich im Internet entwickelnden Diskussionskultur.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

zesse erfolgen muss.92 Das bekräftigt den Hersteller in seiner Motivation, es gar nicht zu einem Schadensfall kommen zu lassen. Sollte es dennoch passieren, können soziale Medien ebenso als Katalysator für höhere Schadensrisiken für den Hersteller wirken. Bei richtigem Umgang kann ein Rückruf im besten Fall als Marketinginstrument eingesetzt werden und eine Wirkung über die eines bloßen Hygienefaktors – ein solcher, der Unzufriedenheit vermeidet, aber keine Zufriedenheit schafft – erzeugen. Ein erfolgreich durchgeführter Rückruf kann einen günstigen Eindruck sowohl beim Kunden als auch in der Öffentlichkeit erwe­ cken,93 wenn mit ihm Kundenservice, Verbraucherschutz und Verantwortung assoziiert werden.94 6. Wirtschaftliches Risiko eines Produktfehlers am Beispiel von GM Im Jahr 2014 führte der Automobilhersteller General Motors weltweit etwa 80 Rückrufaktionen durch, die alle auf den gleichen Produktfehler zurückzuführen waren. Der Fall verdeutlicht, welches Risikopotential die einem Rückruf zugrunde liegenden Umstände in sich bergen können. Zwischen 2001 und 2007 hatte General Motors in verschiedenste Modelle seines Fahrzeug-Portfolios ein Zündschloss eingebaut, das sich als nicht geeignet herausstellte. Während der Fahrt konnte das Zündschloss in die AusPosition springen und Motor und Bordelektronik ausschalten, wodurch Lenkung, Bremsen und Airbag in ihrer Funktion eingeschränkt waren. Infolge kam es zu etlichen Unfällen mit Verletzten und Todesfällen. Nach einem ersten Rückruf wurden Qualitätsüberprüfungen durchgeführt, aufgrund derer weitere Rückrufwellen erfolgten. Weltweit wurden insgesamt mehr als 30 Millionen Autos zurückgerufen. Zu diesen Kosten addieren sich Entschädigungszahlungen, für die General Motors einen Fonds in Höhe von 400–600 Millionen Dollar einrichtete.95 Weiterhin steht General Motors diversen (Sammel-)Klagen von mittelbar und unmittelbar Geschädigten gegenüber, es musste wegen verspäteter Rückrufe eine Strafzahlung von 35 Millionen Dol92  Vgl. Bundesverband Digitale Wirtschaft, Thesenpapier Social Media, S.  4 These 9. 93  Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1283. 94  Vgl. Klindt, VW 2012, 1593. Am Beispiel eines Mittelständlers Fürther Nachrichten, 23.08.2014, S. 20. 95  Im März 2015 hatte General Motors bislang 64 Todesfälle und 108 Verletzungsopfer als Folge des Produktfehlers anerkannt, wobei Zahlungen ab einer Million Dollar pro Todesopfer und 300.000 Dollar für Hinterbliebene vorgesehen sind, vgl. Automobil Produktion, 09.03.2015.



§ 1  Der Rückruf41

lar an die US-Verkehrssicherheitsbehörde zahlen96 und konnte sich über den teuren Weg eines Vergleich über 900 Millionen Dollar der strafrechtlichen Konsequenzen entledigen.97 Neben den finanziellen Einbußen hat das Image von General Motors erheblich gelitten. Jenseits der Qualitätsprobleme wirkte sich negativ auf das Kundenvertrauen aus, dass General Motors bereits zehn Jahre vor Durchführung des Rückrufs über die Sicherheitsrisiken informiert war und eine Behebung mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich gewesen wäre.98 Zwar sind die tatsächlichen Kosten, die der Produktfehler im Ergebnis für General Motors verursacht, schwer zu erfassen, doch wird man eine Summe von mehreren Milliarden Dollar veranschlagen können. Auch wenn Rückrufe selten derartige Dimensionen annehmen, sind sie in der Automobilbranche keine Seltenheit. Im gleichen Zeitraum wie General Motors riefen die Autohersteller Audi 850.000 Fahrzeuge,99 Ford 1,4 Millionen Fahrzeuge100 und Toyota 1,75 Millionen Fahrzeuge101 zurück.

III. Entwicklungen In der Rückrufpraxis sind drei Entwicklungen hervorzuheben. Erstens nimmt die Zahl an Rückrufen kontinuierlich zu. Zweitens ist aufgrund der zunehmenden Arbeitsteilung die Ursache eines Rückrufs häufig auf ein Zulieferteil zurückzuführen. Drittens wird ein Rückruf unabhängig von der Verantwortlichkeit in fast allen Fällen vom Hersteller durchgeführt. 1. Zunehmende Anzahl an Rückrufen a) Entwicklung in Zahlen Die Entwicklung an Rückrufen lässt sich anhand des „Rapid Exchange of Information System“ (RAPEX) nachvollziehen, das einen Überblick aller registrierten Rückrufaktionen in Europa bereitstellt. Reagiert ein Hersteller auf eine produktinhärente Gefahr, so wird diese Maßnahme bei RAPEX registriert, unabhängig davon, ob es sich um eine angeordnete oder eine freiwillige Maßnahme handelt. Dabei werden Produkte erfasst, die sowohl für 96  U.S. Department

of Transportation, Consent Order TQ14-001, S. 4. of Justice, Press Release 17.09.2015. 98  Reuters, 02.04.2014. 99  Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.2014. 100  Handelsblatt, 29.05.2014. 101  Spiegel-Online, 15.10.2014. 97  U.S. Department

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

den privaten als auch den beruflichen Ge- oder Verbrauch bestimmt sind. RAPEX erfasst jedoch nicht lückenlos alle Maßnahmen: Die Aufnahme beschränkt sich nur auf solche Maßnahmen, die sich gegen Gefahren richten, die Personenschäden zur Folge haben können. Weiterhin registriert RAPEX keine Maßnahmen bei Nahrungsmitteln, Arzneimitteln und medizinischen Produkten, welche von separaten Mechanismen erfasst werden. Anhand der von RAPEX bereitgestellten Daten102 lässt sich die steigende Tendenz an Rückrufen nachverfolgen. Während 2003 lediglich 67 Fälle erfasst wurden, in denen eine Maßnahme gegen ein bestehendes ernstes Risiko durchgeführt wurde („serious risk notification“), stieg die Zahl im Laufe der Jahre kontinuierlich an (vgl. Abbildung 1 unten). Seinen Höhepunkt fand die Entwicklung bislang im Jahr 2014, in dem 2.067 Maßnahmen bei ernstem Risiko erfasst wurden. In den Folgejahren 2015 und 2016 wurde mit jeweils etwa 1.700 registrierten Maßnahmen ein geringfügig niedrigeres Niveau erreicht. Bei den Zahlen ist zu beachten, dass es sich nur um gemeldete Aktionen handelt, nicht aber um alle tatsächlich durchgeführten Gefahrenabwehrmaßnahmen. Die Dunkelziffer inklusive stiller Rückrufe liegt höher.

Abbildung 1:103 Entwicklung der „serious risk notifications“ in Europa (untere Linie)

102  Die Berichte sind abrufbar unter https://ec.europa.eu/consumers/consumers_ safety/safety_products/rapex/alerts/repository/content/pages/rapex/reports/index_en. htm. 103  Europäische Kommission, RAPEX Bericht 2016, S. 7.



§ 1  Der Rückruf43

Traditionell gehörten Spielzeuge, Kleidung und elektronische Geräte zu den quantitiav auffälligsten Produktgruppen.104 In den letzten Jahren haben sich zusätzlich Kraftfahrzeuge dazu gesellt, die ebenfalls von RAPEX erfasst werden. Rückrufe im Automotive-Bereich sind oftmals kostenintensiv, aufwändig und medial sehr präsent. Die Anzahl der Rückrufe ist hier in der Vergangenheit kontinuierlich angestiegen mit weiterhin nach oben zeigender Tendenz. Erfolgten 1998 nach Einführung des Produktsicherheitsgesetzes105 lediglich 55 Rückrufe,106 wurden im Jahr 2014 allein in Deutschland 1,5 Millionen Autos in 235 Rückrufen zurückbeordert.107 Außerhalb Europas ergibt sich ein ähnliches Bild. In den letzten fünf Jahren wurden auf dem US-amerikanischen Markt etwa 130 Millionen Autos zurückgerufen, davon alleine 62,7 Millionen im Jahr 2014.108 Die Zahlen für 2014 stellen einen neuen Rekord dar, da pro verkauftem Auto im Verhältnis fast vier Autos zurückgerufen wurden.109 b) Ursachen Die zunehmende Häufung von Produktrückrufen ist auf mehrere Entwicklungen zurückzuführen. An erster Stelle steht der immer rapider voranschreitende technische Fortschritt.110 Moderne Produkte weisen oft eine hohe Komplexität auf, die sie fehleranfällig macht. Mitunter besteht ein Produkt aus mehreren Unterkomponenten, die ineinandergreifen und so wiederum für weitere Komplexität sorgen. Als Beispiel sei das moderne Auto genannt, dessen Funktionsfähigkeit von der Qualität ebenso wie dem Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Software abhängt.111 Diese Entwicklung beschränkt sich nicht nur auf Produkte; auch Produktionsmethoden sind durch

104  Im Rekordjahr 2014 erfolgten für Spielzeuge und Kleidung jeweils mehr als 500 Maßnahmen, gefolgt von elektronischen Geräten mit etwas über 200 Maßnahmen, vgl. Europäische Kommission, RAPEX Bericht 2014, S. 13. 105  Angeordnete Rückrufe in der Automobilbranche erfolgen auf der Grundlage des Produktsicherheitsgesetzes. 106  Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2012, S. 58. 107  Kraftfahrt-Bundesamt, Jahresbericht 2013/2014, S. 63. 108  Süddeutsche Zeitung, 18.01.2015. Die hohen Zahlen für 2014 sind vor allem auf die Rückrufwellen von General Motors zurückzuführen, vgl. § 1 II. 6. 109  2014 betrug die durchschnittliche Quote 379 %, vgl. Center of Automotive Management, Rückrufquote 2014 der globalen Automobilhersteller in US. 110  E. Wagner, BB 2009, 2050. 111  Der 2014 angeordnete Rückruf von 850.000 Autos der Marke Audi war beispielsweise auf einen Softwarefehler zurückzuführen, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.2014.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Globalisierung112 und verstärkte Arbeitsteilung113 komplexer und fehleranfälliger geworden. Neben der gestiegenen Komplexität bedingt der technische Fortschritt außerdem kürzer werdende Entwicklungszyklen.114 Produkte müssen schneller entwickelt und auf den Markt gebracht werden, da ein Nachfolgeprodukt mit verbesserter Technik bereits nach kurzer Zeit folgen kann. Eine knappe Entwicklungszeit begünstigt eine geringere Sorgfalt bei der Entwicklung und Qualitätssicherung eines Produkts, wodurch unausgereifte oder nicht genügend auf Sicherheitsrisiken getestete Produkte auf den Markt kommen können.115 Zweitens hat sich die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und der Produktnutzer dahingehend entwickelt, dass das Produktrisiko tendenziell mehr dem Hersteller als dem Benutzer zugeordnet wird. Die Bereitschaft, einen Schaden als Schicksal hinzunehmen, ist gesunken.116 In Konsequenz wird die Durchführung eines Rückrufs bei Auftreten eines Produktfehlers immer mehr als selbstverständlich angesehen.117 Unabhängig davon, ob eine rechtliche Verpflichtung zum Rückruf besteht, kann ein Hersteller daher (auch freiwillig) ein Produkt zurückrufen, um Reputationseinbußen und den damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen vorzubeugen. Als dritter Aspekt ist die Globalisierung zu nennen. Der globale Handel erhöht die Menge an ausländischen Produkten, die auf dem Heimatmarkt angeboten werden. Daraus lässt sich zwar nicht (immer) zwingend schlussfolgern, dass ausländische Produkte eine geringere Qualität aufweisen und rückrufanfälliger sind. Wohl aber ist der Schluss erlaubt, dass sich die Anzahl an Produkten und damit rein quantitativ die Wahrscheinlichkeit eines Rückrufs erhöht hat. Von den etwa 1.700 Produkten, die 2016 im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) von einer Gefahrenabwehrmaßnahme betroffen waren, stammten nur 23 % aus dem EWR.118 112  Klindt, VW 2012, 1593: „Der früher vom Tischler durchgefertigte Holzstuhl besteht heute aus ukrainischem (ggf. also radioaktivem) Holz, das in China mit Chemikalien aus Chile gebeizt und in Malaysia mit imprägnierten Lederbezügen unbekannter Herkunft versehen wird.“ 113  Zu Rolle und Pflichten des Zulieferers siehe § 3 II. 114  E. Wagner, BB 2009, 2050. 115  E. Wagner, BB 2009, 2050. 116  Thürmann, NVersZ 1999, 145, 146. Nicht anders ist diese Entwicklung im Bereich der zivilrechtlichen Arzthaftung, vgl. Rohe, Symposium Medizinrecht, 51, 65 f. 117  Zum erhöhten Anspruchsdenken siehe bereits Littbarski, NJW 1995, 217, 221. 118  Europäische Kommission, RAPEX Bericht 2016, S. 7, 19. Spitzenreiter ist die Volksrepublik China mit einem Anteil von 53 % (1.069 Sicherheitswarnungen), S. 17, 19.



§ 1  Der Rückruf45

Zuletzt trägt in Deutschland die unsichere Rechtslage hinsichtlich des Umfangs der Reaktionspflichten dazu bei, dass ein Unternehmen im Zweifel einen Rückruf sicherheitshalber durchführen wird, um dem Risiko einer Haftung vorzubeugen. Die Geschäftsführung, die in der Regel über die Durchführung des Rückrufs entscheidet, hat zudem das Motiv, das sie betreffende Risiko der strafrechtlichen Verantwortung zu minimieren. 2. Vermehrte Wertschöpfung durch Zulieferer Aufgrund der fortschreitenden Spezialisierung leisten Zulieferer einen stetig größer werdenden Teil der Wertschöpfung eines Produkts. Das hat zur Folge, dass ein Hersteller bei der Herstellung seines Produkts vermehrt auf die von seinen Zulieferern entwickelten und produzierten Teile zurückgreift. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung in der Automobilbranche, in der etwa 80 % der Wertschöpfung von Zulieferern erbracht wird.119 Tritt am Endprodukt ein sicherheitsrelevanter Produktfehler auf, ist dieser zunehmend auf ein Zulieferteil zurückzuführen.120 3. Durchführung eines Rückrufs durch den Hersteller Ein Rückruf wird in der Regel vom Hersteller durchgeführt, selbst wenn ein zugrunde liegender Produktfehler ihm nicht zuzurechnen ist.121 Begründet ist dies durch rechtliche, vor allem aber durch praktische Erwägungen. Als Inverkehrbringer des Produkts trägt der Hersteller die rechtliche Verantwortung, auf Gefahren zu reagieren, auch wenn er sich diese gegebenenfalls mit einem Zulieferer teilt.122 Daneben ist der Hersteller meist besser in der Lage, eine Gefahrenabwehrmaßnahme wie einen Rückruf durchzuführen. Er kennt die Vertriebswege seines Produkts und kann den Weg einzelner Produkte oder Produktchargen leichter nachvollziehen. Da der Hersteller mit seiner Marke am Markt auftritt, hat er zum Produktnutzer die engste Beziehung und steht am ehesten mit ihm in Kontakt, etwa über den Kundenservice oder den Außendienst.123 Der Produktnutzer kennt in der Regel nur den Namen des Herstellers, nicht aber den des Zulieferers.124 Auch deswegen hat 119  Focus Money, Wertschöpfungsanteil

der Automobilzulieferer, 14.07.2010, S. 13. BB 2009, 2050; für die Automobilbranche Helmig, PHi 2015, 56, 58. 121  Grote, VersR 1994, 1269; Kreiffels/Weide, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 84; Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 81; Schmidt, S. 160. 122  Siehe dazu § 3 II. 3. 123  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333. 124  Link, BB 1985, 1424, 1425. 120  E. Wagner,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

der Hersteller noch am ehesten den Anreiz zum Rückruf, da seine Reputation mit dem Produkt in Verbindung gebracht wird.125

IV. Zwischenergebnis: Die Problematik des Rückrufs Ein „Rückruf“ ist als Sammelbegriff für alle Maßnahmen zu verstehen, bei denen der Hersteller auf ein gefährliches Produkt einwirkt, das bereits in den Verkehr gebracht wurde. Primär ergibt sich eine Pflicht zum Rückruf aus § 823 Abs. 1 BGB. Dabei ist heftig umstritten, welcher konkrete Pflichtenumfang im Einzelfall gesetzlich geschuldet ist. Das liegt vor allem daran, dass in der Figur des Rückrufs das Deliktsrecht mit dem Vertragsrecht kollidiert. Ein Rückruf kann sowohl Integritäts- als auch Äquivalenzinteresse berühren, aber seine Grundlage, das Deliktsrecht, hat nur den Schutz des Integritätsinteresses zur Aufgabe. In der Praxis hat der Rückruf seit den 70er-Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen,126 was insbesondere auf den technischen Fortschritt und die Verbrauchererwartung zurückzuführen ist. Der Trend, dass Hersteller vermehrt Rückrufe durchführen, bleibt ungebrochen, eine abnehmende Tendenz ist nicht zu erwarten. Dabei beschränkt sich die Notwendigkeit eines Rückrufs nicht nur auf große Unternehmen. Auch kleine und mittlere Unternehmen sehen sich Produktrisiken ausgesetzt und müssen sich mit der Thematik auseinandersetzen.127 Festzuhalten bleibt, dass fast jedes herstellende Unternehmen ein Rückruf treffen kann. Angesichts von Reputationsrisiken führen Hersteller Rückrufe nicht nur wenn rechtlich geboten, sondern zunehmend auch freiwillig durch.128 Mitunter können rechtliche Gründe vollkommen hinter wirtschaftlichen und emotionalen129 Aspekten zurücktreten.130 Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 81. NVersZ 1999, 145, 146. 127  So beispielsweise das mittelfränkische Unternehmen „Pyraser Landbrauerei“, ein mittelständisches Unternehmen mit 75 Mitarbeitern, welches im Sommer 2014 einen Rückruf fehlerhafter Getränkeflaschen durchführte, Fürther Nachrichten, 23.08.2014, S. 20. 128  2016 wurden von den von RAPEX erfassten Maßnahmen 922 freiwillig durchgeführt, was etwa 43 % entspricht, vgl. Europäische Kommission, RAPEX Bericht 2016, S. 24. Das beinhaltet nicht die freiwilligen stillen Maßnahmen, die nicht von RAPEX erfasst wurden. 129  Ende 2014 führte das Unternehmen Volkswagen einen Automobilrückruf in China durch, der nicht nur das Risiko eines Produktfehlers ausräumen, sondern insbesondere die aufgehitzten Gemüter der Kunden beruhigen sollte, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.10.2014. 130  Die Entscheidungskompetenz für oder gegen eine Rückrufmaßnahme kann „[…] ab einem bestimmten Punkt weg von der Rechtsabteilung und hin zum Marketing verlagert […]“ werden, G. Wagner, Produktrückruf, 51, 53. 125  Vgl.

126  Thürmann,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung47

Ein Rückruf birgt immer ein finanzielles Risiko in sich. Die damit verbundenen Kosten, die unter Umständen sehr hoch sein können, fallen zunächst beim Hersteller an, der den Rückruf in aller Regel durchführt. Probleme treten auf, wenn der rückrufende Hersteller nicht oder nur teilweise die Verantwortung für den Produktfehler zu tragen hat. Da der Wertschöpfungsanteil von Zulieferern zunimmt, sind Fehler am Endprodukt immer häufiger der Sphäre eines Zulieferers zuzurechnen. Möchte der Hersteller in einem solchen Fall die angefallenen Rückrufkosten ganz oder teilweise erstattet bekommen, hängen seine Regressforderungen an den Zulieferer vom Umfang der gesetzlich geschuldeten Gefahrenabwehr ab. Eine Aufwandserstattung beschränkt sich auf gesetzlich geschuldete Maßnahmen. Alles, was über diese Grenze hinausgeht, gilt als freiwillige Maßnahme und ist vom Regress ausgenommen. Im Ergebnis entscheidet der Umfang der Gefahrenabwendungspflicht über die Frage, wie sich die Kosten einer Rückrufmaßnahme zwischen Hersteller, Zulieferer und Versicherer verteilen. Insofern birgt die Tatsache, dass der konkret geschuldete Pflichtenumfang eine der umstrittensten Fragen der Rückrufthematik darstellt, ein erhebliches Konfliktpotential, wenn sich Hersteller und Zulieferer (und deren Versicherer) vor oder nach Durchführung eines Rückrufs an einen Tisch setzen, um über die Kostenverteilung zu verhandeln.

§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung Im folgenden Abschnitt wird nach einem kurzen Überblick (I.) das weite Feld der Produktverantwortung im Zivilrecht (II.), öffentlichen Recht (III.) und Strafrecht (IV.) dargestellt. Dabei wird aufgezeigt, wo die Figur des Rückrufs im jeweiligen Rechtsgebiet verankert ist und welche Verbindungen zwischen den Rechtsgebieten bestehen. Schwerpunktmäßig wird die zivilrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB behandelt, welche eine zentrale Position im Produkthaftungsrecht einnimmt.

I. Überblick In einem typischen Produkthaftungsfall wird ein Produkt131 hergestellt, in den Verkehr gebracht und aufgrund dessen fehlerhafter Beschaffenheit ein Schaden verursacht. Die rechtliche Bewertung dieses Falles erfolgt durch das 131  Der Produktbegriff umfasst grundlegend alle beweglichen Dinge und ist äußerst weit gefasst, vgl. nur Büsken/Kampmann, r + s 1991, 73 ff. am Beispiel des Zivilrechts.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Recht der Produkthaftung, dem Produkthaftungsrecht.132 Der Begriff „Produkthaftung“ ist im weiteren Sinne als Beschreibung für ein Rechtsgebiet zu verstehen.133 Die Produkthaftung wird auch als „Rechtsgebiet zwischen allen Stühlen“134 bezeichnet, da sie sich nicht eindeutig einem Bereich zuordnen lässt. Vielmehr ist sie als Mosaik zu sehen, deren Bausteine aus dem Zivilrecht, dem öffentlichen Recht und dem Strafrecht stammen.135 Der eingangs geschilderte Fall wirft die Fragen auf, unter welchen Voraussetzungen, in welchem Umfang und von wem der Geschädigte Schadensersatz verlangen kann. Diese werden unter dem Sammelbegriff „privates Produkthaftungsrecht“ im Zivilrecht geregelt. Die drei Haftungsschienen sind das allgemeine Deliktsrecht, das Produkthaftungsgesetz und das Vertragsrecht. Darunter nimmt § 823 Abs. 1 BGB eine herausragende Bedeutung ein, da dort die Haftung für fehlerhafte Produkte ursprünglich verankert wurde. Es wird durch das Produkthaftungsgesetz ergänzt, welches europäischen Ursprungs ist. Abseits der beiden steht das Vertragsrecht, das nur dann hinzugezogen werden kann, wenn zwischen Geschädigtem und Schädiger ein Vertragsverhältnis besteht. Die drei Haftungsschienen unterscheiden sich in Voraussetzung und Reichweite. Im Gegensatz zum privaten Produkthaftungsrecht knüpft das öffentliche Produktsicherheitsrecht an den Zeitraum vor dem Schadensfall an. Es formuliert Anforderungen an die Beschaffenheit von Produkten und stellt den zuständigen Behörden Mittel zur Verfügung, diese Anforderungen auch durchzusetzen. Vereinfacht ausgedrückt: Von öffentlich-rechtlicher Seite aus werden ex-ante Sicherheitsstandards gesetzt, die unabhängig vom Eintritt eines Schadens gelten, während auf zivilrechtlichem Parkett ex-post Schaden ausgeglichen wird.136 Trotz der gegenläufigen Ansätze unterscheiden sich beide Materien nicht groß in ihrer Wirkung. Das private Haftungsrecht setzt genauso Anreize zur Schadensprävention wie das öffentliche Sicherheitsrecht bei seiner Verletzung die Haftungsschiene über § 823 Abs. 2 BGB eröffnet. Der praktische Unterschied ist hauptsächlich bei der Rechtsdurchsetzung zu finden: Der Vollzug des Produktsicherheitsrechts erfolgt durch Behörden, während das Haftungsrecht einen privaten Kläger benötigt.137 132  Kötz/G. Wagner,

Rn. 605. hier gibt es jedoch Abweichungen. So bezeichnet Ficker, in: FS für Duden, 1977, 93 ff. in seinem Beitrag das Rechtsgebiet als Produktenhaftung, während die Loseblattsammlung Kullmann et al., Produzentenhaftung, eben letzteren Begriff gebraucht. 134  Kötz/G. Wagner, Rn.  605 ff. 135  Vgl. Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 5–8. 136  G. Wagner, Produktrückruf, 51, 55. 137  G. Wagner, VersR 2014, 905, 916. 133  Auch



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung49

Zuletzt kann ein Produkthaftungsfall strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Das Inverkehrbringen von gefährlichen Produkten oder das Unterlassen einer Gefahrenabwehr bei aufgedeckten Gefahren kann Strafvorschriften des Strafgesetzbuches oder der Gesetze des Nebenstrafrechts berühren und eine Strafbarkeit von Geschäftsleitung und Mitarbeitern des Herstellers begründen.

II. Zivilrechtliche Produktverantwortung 1. Vorbemerkungen a) Begrifflichkeiten Im Zivilrecht wird häufig zwischen „Produzentenhaftung“ und „Produkthaftung“ unterschieden. Damit ist in der Regel folgendes gemeint:138 Mit Produzentenhaftung wird die verschuldensabhängige Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB umschrieben. Der Begriff, die Haftung des Produzenten, stellt den Produzenten und sein Verhalten in den Mittelpunkt. Das impliziert ein Verschulden, wie es das Deliktsrecht voraussetzt. Der Begriff Produkthaftung, die Haftung für Produkte, bezieht sich im Gegensatz auf das Produkt, weist also auf eine objektive, vom Verhalten des Herstellers unabhängige Haftung hin.139 Dementsprechend wird damit die verschuldensunabhängige Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz bezeichnet. Zwingend ist diese Einteilung nicht. Teils werden die Begriffe synonym verwendet,140 teils wird die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB mit anderen Begriffen tituliert.141 In der Sache hat dies keine Auswirkungen. Ob man das Element des Produkts oder des Produzenten begrifflich in den Mittelpunkt stellen möchte, ist insofern nicht entscheidend, als es in beiden Fällen um die Haftung des Produzenten für fehlerhafte Produkte geht. Der Verständlichkeit halber soll diese Arbeit der obig beschriebenen Einteilung folgen. Solange sich aus dem Text nichts anderes ergibt – etwa der Verwendung von „Produkthaftung“ als Oberbegriff –, ist mit „Produkthaftung“ die Haftung nach 138  Deutsch/Ahrens, Rn.  362 ff.; Fuchs/Baumgärtner, JuS 2011, 1057; Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 1. 139  Deutsch/Ahrens, Rn. 362. 140  Eine Verwendung als Synonyme findet sich etwa bei Eberstein/Braunewell, S. 23 und Rettenbeck, S. 33 Fn. 2. Die Loseblattsammlung Kullmann et al., Produzentenhaftung, umfasst unter seinem Titel auch die Haftung aus dem Produkthaftungsgesetz. 141  „Deliktische Produkthaftung“ bei Schlutz, DStR 1994, 707;„Produktenhaftung“ bei Leßmann, JuS 1978, 433 und Stoll, AcP 176, 161, 167 ff.

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dem Produkthaftungsgesetz und mit „Produzentenhaftung“ die Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB gemeint. b) Zurechnungsgründe Lässt man die vertragliche Produkthaftung, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, außen vor, geht es bei der (außervertraglichen) zivilrechtlichen Produkthaftung im Grunde um die Frage, wer einen Schaden zu tragen hat. Das Gesetz nimmt dabei eine Risikoverteilung vor, die nach dem RegelAusnahme-Prinzip funktioniert. Es ist die Regel, dass der Inhaber eines Rechtsguts einen Schaden an seinem Rechtsgut selber zu tragen hat. Das ist zurückzuführen auf das römisch-rechtliche Prinzip des „casum sentit dominus“, nach welchem grundsätzlich der Eigentümer einer Sache Schäden an ihr zu tragen hat. Von dieser Regel wird nur abgewichen, wenn ein besonderer Grund vorliegt und infolge ein anderer den Schaden wieder gutzumachen oder die Schadensfolgen zu lindern hat. Dieser Grund wird Zurechnung genannt. Für die zivilrechtliche Produkthaftung – wie für das übrige Haftungsrecht – sind die beiden wichtigsten Zurechnungsgründe die Verschuldensund die Gefährdungshaftung.142 Die Verschuldenshaftung stellt auf eine rechtswidrige und schuldhafte Verursachung des Schadens ab. Im Vordergrund steht das subjektive Element, dass sich jemand schuldhaft verhalten hat. Nach dem Verschuldensprinzip wird demnach nicht gehaftet für den zufälligen Schadenseintritt oder bei bloßer Rechtswidrigkeit. Die Gefährdungshaftung hingegen stellt auf eine erlaubte Gefahrenquelle ab,143 für die jemand verantwortlich ist. Sie ist das Gegenstück zur Verschuldenshaftung, da sie kein Einstehen für Unrecht beinhaltet, sondern nur objektiv an den Schadenseintritt durch die Gefahrenquelle anknüpft. Nicht entscheidend ist, ob die Schädigung durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten verursacht wurde. Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken, dass jemand, der erlaubterweise eine Gefahrenquelle betreibt und daraus Nutzen zieht, für Schäden haften soll, die bei Realisierung der Gefahr eintreten.144 Prinzipiell handelt es sich bei den deliktischen Haftungstatbeständen der §§ 823 ff. BGB um eine Verschuldenshaftung, während Spezialgesetze wie das Produkthaftungsgesetz dem Prinzip der Gefährdungshaftung folgen. Bei 142  Deutsch/Ahrens, Rn. 5 ff. Weitere Gründe sind Billigkeitshaftung, Aufopferung und Selbstopferung, vgl. Rn. 8–10. 143  Alltägliche Beispiele hierfür sind die Haftung des Fahrzeughalters nach § 7 Abs. 1 StVG (Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.03.2003, BGBl. I S. 310, 919) und die des Tierhalters nach § 833 S. 1 BGB. 144  Brox/Walker, SR BT, § 54 Rn. 1.



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der zivilrechtlichen Produkthaftung ist diese Zuordnung jedoch nicht so eindeutig zu fällen. Beide Haftungsschienen vereinen Gedanken der Verschuldens- und der Gefährdungshaftung in sich und sind „Chimären“ beider Prinzipien. So findet sich das Prinzip der Verschuldenshaftung in § 823 Abs. 1 BGB, der ein Verschulden voraussetzt, wieder, während gleichzeitig die durch die Rechtsprechung etablierte Beweislastverschiebung Elemente einer Gefährdungshaftung aufweist.145 Parallel dazu ist die Haftung aus dem Produkthaftungsgesetz als Gefährdungshaftung konzipiert,146 enthält aber mit den „Exkulpationsmöglichkeiten“ Elemente einer Verschuldenshaftung.147 Insgesamt ist festzustellen, dass hier das Zivilrecht zu einem Abbau der Verschuldenshaftung tendiert.148 Das wurde vor allem durch die Beweislastverschiebung in Teilbereichen des Deliktsrechts, die Überspannung von Sorgfaltspflichten durch die Rechtsprechung149 und die Einführung von Spezialgesetzen mit Gefährdungshaftung bewirkt. c) Zwecke und Motive Nicht anders als im restlichen Haftungsrecht liegen die Zwecke der Produkthaftung im Schadensausgleich und, da dem Hersteller als Haftender der Anreiz zur möglichst fehlerfreien Produktherstellung gegeben wird,150 im präventiven Güterschutz.151 Das primäre Motiv hingegen ist es, die unvermeidbaren Schäden durch fehlerhafte Produkte nicht dem Geschädigten, sondern der Allgemeinheit aufzubürden. Der Hersteller hat zwar zunächst die Schäden Einzelner zu tragen, aber er kann die Kosten für Versicherung, Schadensersatzzahlungen, Vorsorge in der Produktion etc. über seine Preiskalkulation an die anderen Nutzer des gleichen Produkts weitergeben.152 Dabei ist klar, dass diese Rechnung in der Praxis nicht immer aufgeht und eine endgültige Aussage, wen die Schadenskosten anstelle des Geschädigten treffen, selten möglich ist.153 145  Zur

Beweislast siehe § 2 II. 3. b) dd). (in der Praxis irrelevanten) Streit, ob es sich um eine Gefährdungshaftung oder eine verschuldensunabhängige Haftung handelt, vgl. von Westphalen, in: Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 45 Rn. 2 ff. m. w. N. 147  Zum Produkthaftungsgesetz vgl. § 2 II. 4. 148  Schmidt-Salzer, NJW 1994, 1305, 1307  f.; auch bereits Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1291. 149  Vgl. dazu § 2 II. 3. b) aa) (7) (b). Vgl. auch Rohe, AcP 201, 117, 134; für das Deliktsrecht Canaris, VersR 2005, 577, 579. 150  Vgl. Eisenberg et al., S. 14. 151  Pfister, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1310 S. 6 ff. 152  Diederichsen, NJW 1978, 1281. 153  Pfister, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1310 S. 7. 146  Zum

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Tatsache bleibt, dass die Kosten in die Gesellschaft gestreut werden. Die höheren Produktpreise sind der „Preis“, den eine Gesellschaft zu zahlen bereit sein muss, um eine Gefahrenquelle – hier industriell hergestellte Produkte – zu unterhalten, damit das Risiko nicht dem Einzelnen auferlegt wird. Wenn die Vorteile aus technischem Fortschritt und Massenproduktion allen zu Gute kommen, soll der Einzelne allein nicht die Nachteile tragen.154 Die Produkthaftung ist insofern als eine Reaktion der Rechtsordnung auf die Gefahren der Industriegesellschaft zu verstehen.155 2. Produkthaftung aus Vertrag a) Produktfehler als Pflichtverletzung Es ist denkbar, die Wiedergutmachung eines erlittenen Schadens auf vertraglicher Basis durch einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Zwar zielt das vertragliche Leistungsstörungsrecht hauptsächlich auf das Äquivalenzinteresse ab, aber eine Verletzung des Integritätsinteresses kann unter bestimmten Umständen auch abgedeckt werden. Einschlägig hierfür ist der in § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB geregelte Schadensersatz neben der Leistung,156 der die Schäden erfasst, die als Folge einer fehlerhaften Leistung eintreten und Rechtsgüter betreffen, die nicht mit der Leistung zusammenhängen.157 Seit der Schuldrechtsmodernisierung enthält das vertragliche Leistungsstörungsrecht die Pflichtverletzung als zentrales Tatbestandsmerkmal. Ein Anspruch auf Schadensersatz kann nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB nur als Folge einer Pflichtverletzung entstehen, wenn also Leistungs- oder Schutzpflichten aus einem Schuldverhältnis (§ 241 Abs. 1, 2 BGB) verletzt wurden. Bei einem Produkthaftungsfall wird das fehlerhafte Produkt häufig auf Grundlage eines Kaufvertrags die Hände gewechselt haben, seltener durch einen Werkvertrag oder Werklieferungsvertrag. Im Folgenden wird angesichts seiner Relevanz nur der Kaufvertrag betrachtet. Für die Gewährleistungsrechte beim Kaufvertrag sind die §§ 437 ff. BGB einschlägig. Als Pflichtverletzung wird der Mangel der Kaufsache vorausgesetzt. Bei einem fehlerhaften Produkt liegt ein solcher Mangel regelmäßig in Form einer nachteiligen Beschaffenheitsabweichung nach § 434 Abs. 1 BGB vor.158 Wird der ProduktFicker, in: FS für Duden, 93, 103 ff. Rn. 7, am Beispiel der Gefährdungshaftung. 156  Schmidt-Rätsch, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, S. 97. 157  BGH, NJW 1980, 1950, 1951. 158  Molitoris, NJW 2009, 1049, 1050. 154  Vgl.

155  Deutsch/Ahrens,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung53

käufer durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt, steht ihm ein Schadensersatzanspruch nach den §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. b) Nachteile des Vertragsrechts Dennoch scheidet in vielen Produkthaftungsfällen das Vertragsrecht als Grundlage für einen Schadensersatzanspruch aus. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens zieht das Vertragsrecht den Kreis der Ersatzberechtigten sehr eng, da der Geschädigte zwingend eine Vertragsbeziehung mit dem Hersteller haben muss. Das schließt bereits die große Gruppe der unbeteiligten Dritten aus, die nur durch Zufall durch das fehlerhafte Produkt geschädigt werden und weder mit Hersteller noch Verkäufer noch Produktkäufer eine Verbindung aufweisen.159 Auch steht der Produktkäufer nur dann in einer vertraglichen Beziehung mit dem Hersteller, wenn er das Produkt von ihm direkt erwirbt. Im Regelfall hat er das Produkt jedoch durch den Handel bezogen, ist also sogenannter Zweitabnehmer und hat keine vertragliche Verbindung zum Hersteller. Zwar hat der Geschädigte einen Vertrag mit dem Verkäufer geschlossen, welcher aber nur in den seltensten Fällen den Produktfehler zu vertreten hat.160 Daran scheitert in der Regel ein Schadensersatzanspruch gegenüber dem Händler. Sollte dennoch eine vertragliche Verbindung bestehen, ist zweitens der Schutz des Vertragsrechts zeitlich begrenzt. Vertragliche Ansprüche in einem Produkthaftungsfall sind schnell verjährt, da für den Verjährungsbeginn eines Schadensersatzanspruchs der Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht relevant ist. Die Verjährungsfrist knüpft bereits an die Ablieferung der Kaufsache (§ 438 Abs. 2 BGB) an und beträgt zwei Jahre (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Dadurch scheiden vertragliche Schadensersatzansprüche aus, wenn ein Schaden erst zwei Jahre nach Ablieferung oder später entsteht. c) Sonderverbindungen zwischen Geschädigtem und Hersteller Verschiedentlich wurden Konstruktionen diskutiert, mittels derer eine Verbindung zwischen Geschädigtem und Hersteller etabliert werden sollte. Aufgeworfen wurden der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, die Grundsätze der Drittschadensliquidation, § 278 BGB sowie die Garantie. Sie konnten sich jedoch aus diversen Gründen nicht durchsetzen.161 159  Kötz/G. Wagner,

Rn. 607. NJW 2008, 2837, 2840. Vgl. auch Grüneberg, in: Palandt, § 280 Rn. 19; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 56; kritisch Weller, NJW 2012, 2312 ff. 161  Vgl. BGH, NJW 1969, 269 ff. und Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1282. 160  BGH,

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Nach § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB kann ein Schuldverhältnis auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei sind. Theoretisch ließe sich ein Schuldverhältnis dahingehend konstruieren, dass der Geschädigte nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in den Schutzbereich des Kaufvertrags zwischen Hersteller und Verkäufer einbezogen wird. Da der begünstigte Personenkreis angesichts der Durchbrechung der Relativität schuldrechtlicher Pflichten und der erheblichen Haftungserweiterung für den Schuldner eng zu ziehen ist,162 müssen für eine Einbeziehung vier Voraussetzungen erfüllt sein: Der Dritte muss mit der geschuldeten Leistung in Berührung kommen, der Gläubiger Interesse am Schutz des Dritten haben, beides für den Schuldner erkennbar sein und der Dritte muss schutzbedürftig sein.163 In der Mehrheit der Produkthaftungsfälle werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Bei einem unbeteiligten Dritten wird dies an Leistungsnähe, bei Produktkäufern an Gläubigerbezug164 und Erkennbarkeit scheitern.165 Aus diesen Gründen wurde die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht zur Lösung des Problems der Produkthaftung herangezogen.166 Die Drittschadensliquidation ist einschlägig, wenn einem Geschädigten kein eigener Schadensersatzanspruch zusteht. Mit diesem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstitut167 kann in engen Grenzen der Schaden eines Dritten, der nicht Vertragspartner und damit nicht anspruchsberechtigt ist, vom Gläubiger geltend gemacht werden. Wichtige Voraussetzung dabei ist, dass der Schaden typischerweise beim Gläubiger eingetreten wäre und sich nur aufgrund besonderer Umstände auf einen Dritten verlagert hat. In Produkthaftungsfällen ist diese atypische Schadensverlagerung jedoch nicht gegeben.168 Der Schaden tritt regelmäßig – und nicht nur ausnahmsweise – bei einem Dritten und nicht beim Verkäufer ein.169 Weiterhin wäre diese Konstruktion anfällig gegen eine Freizeichnung durch den Hersteller gegenüber 162  BGH,

NJW 2004, 3035, 3038. NJW 2008, 2245, 2247. 164  BGH, NJW 1969, 269, 272; Pfister, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1330 S. 5. 165  Die Möglichkeit, den Produktkäufer in den Schutzbereich einzubeziehen, bietet sich allenfalls in dem seltenen Fall, dass zwischen Verkäufer und Produktkäufer erkennbar eine besondere Geschäftsbeziehung besteht. Daraus kann sich eine Schutzpflicht ähnlich einer Fürsorgepflicht ergeben, vgl. Gottwald, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 328 Rn. 183. 166  BGH, NJW 1969, 269, 272; Gottwald, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 328 Rn. 187. 167  BGH, NJW 1957, 1838, 1839; BGH, NJW 1969, 269, 271. 168  BGH, NJW 1969, 269, 272; Looschelders, SR BT, Rn. 1256. 169  Eine Drittschadensliquidation wäre allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen denkbar, vgl. etwa BGH, DB 1959, 1083. 163  BGH,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung55

dem Verkäufer.170 Die Rechtsprechung hat in Konsequenz davon abgesehen, die Grundsätze der Drittschadensliquidation flächendeckend auf Produkthaftungsfälle anzuwenden.171 Wenn der Hersteller als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers anzusehen wäre, könnte sein Verschulden bezüglich des Produktfehlers dem Verkäufer über § 278 BGB zugerechnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Erfüllungsgehilfe im Rahmen der Erfüllung einer Pflicht des Schuldners tätig wird.172 Da fehlerfreie Herstellung eines Produkts nicht zu den Pflichten des Verkäufers gehört, ist der Hersteller nicht als Erfüllungsgehilfe anzusehen.173 Von der Rechtsprechung wurde diese Konstruktion folglich verneint.174 Zuletzt könnte eine direkte Verbindung zwischen Hersteller und Produktkäufer durch eine Herstellergarantie entstehen. Diese kann sich entweder im Verhältnis Hersteller und Produktkäufer aus einem Garantievertrag oder im Verhältnis Hersteller und Produktverkäufer aus einem Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB, welcher als eigenständiger Vertrag neben dem Kaufvertrag steht, ergeben.175 Sollte der Garantiefall in Form eines Sachmangels eintreten, stehen dem Produktkäufer neben den Gewährleistungsansprüchen aus dem Kaufvertrag gegen den Verkäufer auch Ansprüche aus der Garantie gegen den Hersteller zu.176 Nicht durchsetzen konnte sich die Konstruktion eines stillschweigend abgeschlossenen Garantievertrags177 oder der stillschweigenden Weitergabe einer Garantie vom Hersteller über den Verkäufer auf den Käufer178. In Ermangelung eines ausdrücklich abgeschlossenen Garantievertrags oder der Voraussetzungen des Vertrags zugunsten Dritter lässt sich damit keine vertragliche Verbindung zwischen geschädigtem Produktkäufer und Hersteller etablieren. Dritte sind von einer Garantie nicht 170  Pfister,

in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1330 S. 6. NJW 1969, 269, 272. 172  Grundmann, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 278 Rn. 20. 173  Grüneberg, in: Palandt, § 278 Rn. 13; Pfister, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1330 S. 7 f.; a. A. Grundmann, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 278 Rn. 31. 174  BGH, VersR 1956, 259, 260. 175  von Westphalen, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 3 Rn.  34 f. 176  Jedoch ist deren Nutzen beschränkt, da die zugestandenen Rechte meist weniger umfangreich als die Gewährleistungsansprüche der §§ 437 ff. BGB sind und sich auf Nacherfüllung beschränken, während Schadensersatz ausgenommen wird, vgl. Eisenberg  et al., S. 44. Hinzu kommt die kurze Garantiezeit von regelmäßig nur ein bis zwei Jahren nach der Lieferung. 177  BGH, NJW 1969, 269, 272; Pfister, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1330 S. 9 f. 178  Pfister, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1330 S. 7. 171  BGH,

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erfasst. Trotzdem kann eine Garantie – neben ihrer Hauptfunktion als Werbeund Vermarktungsmittel – in einem Rückrufszenario eine gewisse Rolle spielen, da sie oft nur gegen Übermittlung der Kundendaten gewährt wird. Das erleichtert dem Hersteller das Ausfindigmachen der fehlerhaften Produkte und die Kontaktaufnahme zu den Kunden im Falle eines Rückrufs.179 d) Entscheidung für das Deliktsrecht Bei der Haftung für fehlerhafte Produkte stößt der vertragliche Schadensersatzanspruch an seine Grenzen. Zur kurzen Verjährungsfrist kommt hinzu, dass nur in den seltensten Fällen eine vertragliche Beziehung zwischen Geschädigtem und Hersteller besteht. Ist der Geschädigte Zweitabnehmer oder ein unbeteiligter Dritter, steht er vor einem Problem. In einer vorindustrialisierten Gesellschaft mögen diese Konstellationen nicht häufig aufgetreten sein, im Zeitalter der Arbeitsteilung und industriellen Massenproduktion sind sie jedoch der Normalfall. Für den Geschädigten ist dieses Ergebnis unbefriedigend. Um dieser durch die Industrialisierung hervorgerufenen Problematik entgegenzuwirken, musste das Recht reagieren, um ein System des Schadensausgleichs zu etablieren. Mit den zwei großen Abteilungen des Schuldrechts, dem Vertrags- und dem Deliktsrecht,180 standen den westlichen Rechtsordnungen zwei Lösungsansätze zur Verfügung, auf deren Grundlage eine schuldrechtliche Beziehung für Ausgleichsansprüche geschaffen werden konnte.181 Zum einen hätte die Vertragshaftung so erweitert werden können, dass eine Verbindung zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller etabliert worden wäre.182 Zum anderen hätten Ersatzansprüche außervertraglich im Rahmen des Deliktsrechts begründet werden können. Dieses würde damit seine Aufgabe wahrnehmen, zu entscheiden, wer einen Schaden zu tragen hat.183 Nach einer intensiv geführten Diskussion in den 1960er Jahren184 entschied sich die Rechtsprechung in Deutschland für die zweite Lösung. Sie entwickelte eine Reihe von Grundsätzen, durch welche die Produkthaftung 179  Eisenberg et al.,

S. 47. Verhältnis von vertraglicher und deliktischer Haftung vgl. G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor §§ 823 Rn. 78 ff. 181  Kötz/G. Wagner, Rn. 608. 182  So zum Beispiel geschehen in Frankreich mit der „action directe“, vgl. Oechsler, in: Staudinger (2014), Einl ProdHaftG, Rn. 73; Niggemann/Jonglez de Ligne, RIW 2011, 295 ff. 183  Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 1. 184  Zunächst bei W. Lorenz, in: FS für Nottarp, 59 ff. Vgl. auch Simitis, S. 18 ff. für einen kritischen Überblick der diskutierten Lösungsversuche im Vertrags- und Deliktsrecht. 180  Zum



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im Deliktsrecht verankert wurde. Vertragliche Ansprüche sind in der Praxis nur noch von geringer Bedeutung.185 3. Produkthaftung im allgemeinen Deliktsrecht a) Einführung Die Verortung der Produkthaftung im Deliktsrecht erscheint zunächst deswegen sinnvoll, da die beiden entscheidenden Nachteile des Vertragsrechts dort nicht vorliegen. Der Geschädigte muss keine vertragliche Verbindung zum Hersteller aufweisen, und die Verjährungsproblematik wird erheblich dadurch entschärft, dass erst der Schadenseintritt der relevante Zeitpunkt für die Anknüpfung ist.186 Unabhängig davon war jedoch auch das Deliktsrecht ursprünglich nicht auf die Haftung für fehlerhafte Produkte zugeschnitten. Die Entwicklung der Produzentenhaftung ist vielmehr ein Kind des späten 20. Jahrhunderts.187 Der große Nachteil liegt im Nachweis des tatbestandlich vorausgesetzten Verschuldens. Noch 1956 wurde in einer Entscheidung des BGH ein auf § 823 Abs. 1 BGB gestützter Schadensersatzanspruch eines Fahrradfahrers verneint, der sich aufgrund einer fehlerhaften Fahrradgabel verletzt hatte.188 Es liege in der Natur des industriellen Betriebs, so der BGH, dass gelegentliche technische Fehlleistungen in der Fabrikation nicht auszuschließen seien. Der Anschein eines Fehlers spreche daher nicht automatisch für ein Verschulden des Herstellers. Dieses müsse vom Kläger vielmehr bewiesen werden, was ihm aber nicht gelungen war. Jenseits der fatalistisch wirkenden Begründung hinsichtlich der Bedingungen der industriellen Herstellung macht der Fall deutlich, dass es bei der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB für den Geschädigten nur schwer möglich ist, ein Verschulden des Herstellers nachzuweisen. Darauf reagierte die Rechtsprechung. Sie entwickelte im Deliktsrecht einen Komplex von Grundsätzen, der speziell auf die Haftung für fehlerhafte Produkte zugeschnitten ist. Ausgangspunkt war das 1968 ergangene „Hühner­ pest“-Urteil189 des BGH, in welchem die Beweisnot des Geschädigten adressiert wurde. Ein Hühnerfarmbetreiber ließ seinen Tieren einen Impfstoff verabreichen, der, wie sich herausstellte, verunreinigt war und die Hühner 185  Hartmann,

BB 2012, 267. im Detail § 2 II. 5. 187  Deutsch/Ahrens, Rn. 363. 188  BGH, Urteil vom 21.04.1956 – VI ZR 36/55 = BeckRS 1956, 31371324. 189  BGH, NJW 1969, 269 ff. 186  Dazu

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verenden ließ. Der Hühnerfarmbetreiber verklagte daraufhin den Hersteller des Impfstoffs auf Schadensersatz, wobei zwischen den beiden keine vertragsrechtliche Verbindung bestand. Der BGH stellte in seinem Urteil zunächst klar, dass die Produzentenhaftung auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zurückzuführen sei. Weiter bejahte er einen Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer Sorgfaltspflicht und verschob die Beweislast zu dessen Vorteil.190 Der Grundsatz der Beweislastverschiebung stellte den entscheidenden Impuls dar, § 823 Abs. 1 BGB zu einer brauchbaren Anspruchsgrundlage für einen Geschädigten zu machen. Das „Hühnerpest“-Urteil wird deswegen als „Geburtsstunde der Produzenten­ haftung“191 bezeichnet. In späteren Urteilen wurde die Konkretisierung der herstellerseitigen Sorgfaltspflichten durch die Bildung von Fehlerfallgruppen weiter vorangetrieben und die Beweislastverschiebung auch für andere Fehlerkategorien bestätigt. Die Pflichtenbereiche sind Entwicklung und Konzipierung des Produkts („Konstruktion“), tatsächliche Herstellung („Fabrikation“) und dem Produkt beiliegende Anleitungen oder Hinweise („Instruktion“). Nach Inverkehrbringen muss der Hersteller sein Produkt weiterhin im Auge behalten und bei entdeckten Gefahren gegebenenfalls reagieren („Produktbeobachtung“). Die Produzentenhaftung hat sich im Laufe der Zeit zu einer eigenständigen Materie innerhalb des Deliktrechts entwickelt192 und ist ein Beispiel dafür, wie das Zivilrecht versucht, sich an die Anforderungen der Zeit, insbesondere an technische und gesellschaftliche Änderungen, anzupassen.193 Im Deliktsrecht finden sich drei Generalklauseln, die die Verletzung von Gütern und Rechten (§ 823 Abs. 1 BGB), Entscheidungen des Gesetzgebers (§ 823 Abs. 2 BGB) und ethische Mindeststandards der Gesellschaft (§ 826 BGB) sanktionieren.194 Bei der Produzentenhaftung liegt der Schwerpunkt der Haftungsbegründung eindeutig bei § 823 Abs. 1 BGB, da Rechtsprechung und Literatur innerhalb dieser Vorschrift die notwendigen „dogmatischen Bausteine“ geliefert haben.195 Daneben können ergänzend § 823 Abs. 2 BGB oder § 826 BGB bei Vorliegen der relevanten Voraussetzungen – Verletzung eines Schutzgesetzes oder sittenwidrige vorsätzliche Schädigung – einschlägig sein.

190  Im

Detail siehe § 2 II. 3. b) dd). JuS 2011, 1057. 192  Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 122. 193  Schwab/Löhnig, Rn. 54. 194  Canaris, VersR 2005, 577, 581. 195  Fuchs/Baumgärtner, JuS 2011, 1057, 1058. 191  Fuchs/Baumgärtner,



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b) Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB aa) Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht Die Produzentenhaftung basiert auf der Haftung für die Verletzung einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Einleitend soll geklärt werden, wie die Produzentenhaftung mit den Verkehrssicherungspflichten verknüpft ist (1), wie sich diese entwickelt haben und begründet werden (2) und wo sie bei den Anspruchsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB zu prüfen sind (3). Danach wird betrachtet, wonach sich die Sorgfaltsanforderungen im Allgemeinen und im Speziellen bei der Produzentenhaftung bemessen (4–6), und welche Probleme sich daraus ergeben (7). (1) Funktion der Verkehrssicherungspflichten bei der Produzentenhaftung Die Produzentenhaftung stellt nicht den klassischen Fall einer unerlaubten Handlung dar. Die Besonderheit besteht darin, dass Rechtsgutsverletzungen nicht auf eine direkte Verletzungshandlung des Herstellers zurückzuführen sind. Stattdessen handelt es sich um ein Unterlassen oder eine mittelbare Verletzungshandlung,196 bei denen der Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB für die Haftung des Herstellers Probleme bei der Zurechnung aufwirft. Beruht ein Verletzungserfolg auf einem Unterlassen, besteht in Konsequenz kein positives Tun einer bestimmten Person, an das angeknüpft werden kann. Somit stellt sich die Frage, wie derjenige, dem das Unterlassen vorzuwerfen ist, identifiziert werden soll. Denn genau genommen ist „Jedermann“ von einem Unterlassen betroffen. Ein rechtlich relevantes Unterlassen kann aber nur für denjenigen angenommen werden, den eine Pflicht zum Handeln trifft. Weiterhin ist die Feststellung des konkreten Umfangs der Pflicht für den Kausalzusammenhang nötig, da ein Unterlassen nur kausal für den Verletzungserfolg ist, wenn dieser bei der Erfüllung der Pflicht entfiele.197 Eine ähnliche Problematik stellt sich bei der mittelbaren Verletzung ein. Hier ist zwar eine Handlung einer Person zuzuordnen, aber der Verletzungserfolg stellt sich nicht direkt, sondern durch das Hinzukommen weiterer Handlungen anderer Personen oder des Verletzten selbst ein. Auch wenn die Handlungen aller Beteiligten adäquat-kausal für den Verletzungserfolg sind, kann dieser nur demjenigen vorgeworfen werden, der pflichtwidrig gehandelt hat, also eine Pflicht verletzt hat.198 In beiden Konstellationen ist eine Pflicht 196  Zum

schadensauslösenden Verhalten siehe § 2 II. 3. b) bb) (2). JuS 2002, 1041, 1042. 198  Raab, JuS 2002, 1041, 1042. 197  Raab,

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notwendig, um den Verletzungserfolg einer konkreten Person zurechnen zu können. Diese Funktion wird von den Verkehrssicherungspflichten übernommen. Bei einem Unterlassen wirken sie haftungsbegründend, bei mittelbaren Verletzungshandlungen haftungsbegrenzend.199 Im Ergebnis geht es in beiden Fällen aber um die gleiche Zurechnungsfrage.200 Zentrales Merkmal der Produzentenhaftung ist damit die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, aufgrund derer dem Hersteller ein Schaden zugerechnet werden kann. (2) Geschichte und Begründung Ihren Ursprung nahmen die Verkehrssicherungspflichten in zwei Entscheidungen des Reichsgerichts Anfang des 20. Jahrhunderts.201 Dabei ging es um die Sicherheit von Anlagen, die der Öffentlichkeit zugänglich waren. In beiden Fällen nahm das Reichsgericht eine Pflicht an, für die Verkehrssicherheit zu sorgen, bei deren Unterlassen eine Haftung begründet wurde.202 Im Hinblick auf die Sicherung des Verkehrs sprach man von „Verkehrssicherungspflichten“. Im Laufe der Zeit wurden diese Sorgfaltspflichten auf weitere Bereiche des täglichen Lebens ausgedehnt.203 Grundsätzlich handelt es sich dabei immer um die Pflicht, auf die Rechtsgüter anderer Rücksicht zu nehmen.204 Verkehrssicherungspflichten benötigen eine Rechtfertigung, da sie eine Haftung begründen, wo vorher keine war,205 und die Rechtsordnung keine allgemeine Rechtspflicht kennt, andere vor Schäden zu bewahren.206 Dabei kommen insbesondere vier Gründe in Frage. Das sind erstens die Schaffung und zweitens die Unterhaltung einer Gefahr, welche beide mit der Verantwortung einhergehen, Sorge dafür zu tragen, dass niemand durch die Gefahr zu Schaden kommt.207 Der gleiche Schluss folgt drittens aus dem Gedanken, demjenigen, der Vorteile aus der Gefahrenquelle zieht, auch die Verantwor199  Sprau,

in: Palandt, § 823 Rn. 45. JuS 2002, 1041, 1042. 201  RGZ 52, 373 ff.; RGZ 54, 53 ff. 202  Zur Entwicklung und rechtsstaatlichen Bedeutung der Verkehrssicherungspflichten vgl. von Bar, JZ 1979, 332 ff.; ders., S.  43 ff. 203  Vgl. die nicht abschließende Aufzählung bei Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 186 ff. 204  Raab, JuS 2002, 1041, 1043. Weil die Mehrzahl dieser Pflichten nicht zwingend die Sicherung eines Verkehrs zum Inhalt haben, wird begrifflich teils auch nur von „Verkehrspflichten“ gesprochen und die Verkehrssicherungspflicht als Unterkategorie angesehen. Die Unterscheidung macht sachlich aber keinen Unterschied. Zur Entwicklung vgl. von Bar, S.  43 ff. 205  Raab, JuS 2002, 1041, 1044 f. 206  Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 225. 207  von Bar, JuS 1988, 169, 170; Deutsch/Ahrens, Rn. 330; Raab, JuS 2002, 1041, 1044. 200  Raab,



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tung der Risiken zu übertragen.208 Viertens wird eine Haftung durch berechtigte Vertrauenserwartungen der Allgemeinheit oder bestimmter Gruppen begründet, bei Berührung mit der Gefahrenquelle möglichst keinen Schaden zu erleiden.209 Bei der Produzentenhaftung sind alle vier Punkte einschlägig.210 Erst durch die Herstellung und das Inverkehrbringen von Produkten schafft und beherrscht der Hersteller die (potentielle) Gefahrenquelle, dass Rechtsgüter von Kunden und Dritten durch Produkte zu Schaden kommen. Der Hersteller beabsichtigt, aus dem Verkauf einen wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen und muss dementsprechend das Haftungsrisiko für fehlerhafte Produkte tragen. Kunden und die Allgemeinheit können auch erwarten, dass ein Hersteller sichere Produkte auf den Markt bringt. Erste bekannte211 Produzentenhaftungsfälle waren 1915 die „Brunnensalz“Entscheidung212 und 1940 die „Bremsen I“-Entscheidung213 des Reichsgerichts, in denen eine Haftung wegen der Verletzung „allgemeiner Rechtspflichten“ im Sinne des § 823 BGB angenommen wurde. Bereits hier waren Tendenzen zu Gunsten einer deliktischen Lösung erkennbar, die 1969 endgültig mit der „Hühnerpest“-Entscheidung des BGH214 bestätigt wurden.215 (3) Verortung im Prüfungsaufbau Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre werden Verkehrssicherungspflichten dogmatisch § 823 Abs. 1 BGB zugeordnet.216 Umstritten ist, an welcher Stelle sie zu prüfen sind. Teils wird vertreten, die Pflichtverletzung bereits im Tatbestand bei der Handlung217 oder der haftungsbegründenden Kausalität218 zu prüfen.219 Liegt ein Unterlassen vor, wäre sie bei 208  von Bar,

JuS 1988, 169, 171. NJW 1987, 2671, 2672; Raab, JuS 2002, 1041, 1045. 210  Vgl. auch Rettenbeck, S.  34 f. 211  Die erste obergerichtliche Entscheidung wurde 1907 gefällt vom OLG Stuttgart, OLGE 18, 69 ff. 212  RGZ, 87, 1 ff. 213  RGZ, 163, 21 ff. 214  BGH, NJW 1969, 269 ff. Siehe § 2 II. 3. a). 215  Zur Geschichte der Produzentenhaftung vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 18 Rn. 1 ff. 216  Vgl. G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 388 ff. und J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 E 4 f. jeweils m. w. N. Nach a. A. werden die Verkehrssicherungspflichten als Schutzgesetze begriffen und in § 823 Abs. 2 BGB verortet, so etwa von Bar, S.  157 ff.; ders., JuS 1988, 169, 171 ff. 217  Looschelders, SR BT, Rn. 1177; Schlinker, JuS 2010, 224, 226. 218  Brox/Walker, SR BT, § 45 Rn. 46; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S.  97 f.; Medicus/Petersen, Rn. 647. 219  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 391. 209  BGH,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

den Tatbestandsmerkmalen Handlung und Kausalität zu prüfen, bei einer mittelbaren Verletzungshandlung hingegen nur bei der Kausalität. Andere verorten die Prüfung in der Rechtswidrigkeit,220 weil es für eine Haftung vornehmlich darauf ankomme, ob eine Handlung oder ein Unterlassen rechtswidrig sei. Das Rechtswidrigkeitsurteil werde erst durch die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gefällt, die Prüfung derselben müsse deswegen auch in der Rechtswidrigkeit erfolgen.221 Im Ergebnis ist Ort der Prüfung jedoch irrelevant, da die unterschiedlichen Auffassungen zum selben Ergebnis kommen.222 (4) Umfang der Verkehrssicherungspflichten Der Umfang einer Verkehrssicherungspflicht bestimmt, welches Verhalten vom Sicherungspflichtigen verlangt werden kann. Grundsätzlich richtet sich dies nach dem Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB, d. h. nach der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.223 Kommt der Sicherungspflichtige dem geforderten Verhalten nach, kann er nicht für einen Verletzungserfolg haftbar gemacht werden. Zur Konkretisierung des geforderten Verhaltens hat die Rechtsprechung zwei Eckpunkte geliefert: Der Sicherungspflichtige hat alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Gefahrbeseitigung objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind.224 Auf einer Skala aller Maßnahmen steckt die Erforderlichkeit dabei die Mindestgrenze nach unten und die Zumutbarkeit die Höchstgrenze nach oben ab.225 Der Sicherungspflichtige muss mit anderen Worten mindestens die Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, aber dies nur so weit, wie es ihm zuzumuten ist. Der geforderte Umfang seiner Sicherungspflichten befindet sich in der Schnittmenge der beiden Merkmale. Erforderlich sind Maßnahmen dann, wenn sie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf.226 Abzustellen ist auf die Verkehrserwartung eines ob220  von

Bar, S.  174 f., Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 186. in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 186. 222  Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 107; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 391. 223  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 187. 224  BGH, NJW 1964, 814, 816; BGH, NJW 2009, 1669, 1670; BGH, NJW 2009, 2952, 2953; BGH, NJW 2010, 1967; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23 Rn. 11; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1515 S. 7. 225  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 1. 226  BGH, NJW 2010, 1967. 221  Lenz,



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jektivierten Angehörigen des gefährdeten Verkehrskreises227 und den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik.228 Teils wird dieser Punkt auch als „faktische und rechtliche Möglichkeit zur Gefahrensteuerung“ bezeichnet.229 Demgegenüber richtet sich die Zumutbarkeit nach dem Aufwand einer Maßnahme im Verhältnis zu Art, Größe und Wahrscheinlichkeit des zu befürchtenden Schadens.230 Kernaspekt ist die wirtschaftliche Zumutbarkeit in Abwägung zur drohenden Gefahr. Der Sicherungspflichtige muss von den theoretisch denkbaren Maßnahmen nur diejenigen treffen, die ihm hinsichtlich des Aufwands auch zuzumuten sind.231 Vereinfacht lassen sich die Zusammenhänge auf folgende Formel herunterbrechen: Je größer der zu erwartende Schaden, je wahrscheinlicher der Schadenseintritt und je geringer der Aufwand der Schadensvermeidung, um so eher ist die Schadensvermeidung dem Sicherungspflichtigen zuzumuten.232 (5) Anwendung auf Produzentenhaftung Da die Produzentenhaftung als Unterfall der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht einzuordnen ist, können die allgemeinen Überlegungen auf die Produzentenhaftung übertragen werden. Das bedeutet zunächst, dass der Hersteller bei seiner Tätigkeit, d. h. der Herstellung und dem Vertrieb von Produkten, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten hat. Er muss alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um Rechtsgutsverletzungen zu vermeiden. Grundsätzlich hat der Hersteller sichere Produkte in den Verkehr zu bringen und Gefahren (präventiv) abzuwehren, die von ihnen ausgehen.233 Damit ist nicht gemeint, dass Produkte per se ungefährlich sein müssen. Gefahren, die sich typischerweise bei der Benutzung eines Produkts ergeben und grundsätzlich erkannt und in Kauf genommen werden, muss der Hersteller nicht abwenden.234 Ansonsten würde das Inverkehrbringen von fehlerfreien,

227  BGH,

NJW 1990, 906, 907. in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23 Rn. 14. 229  BGH, NJW 1981, 1603, 1604; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 823 Rn. 421. 230  Raab, JuS 2002, 1041, 1044. 231  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23 Rn. 15. 232  Vgl. Raab, JuS 2002, 1041, 1044. Für die Produktbeobachtung Dietrich, S. 134. 233  So bereits in der „Bremsen I“-Entscheidung des Reichsgerichts, RGZ 163, 21, 26; auch bereits in BGH, VersR 1956, 419, 420. 234  BGH, NJW 1990, 906. 228  Foerste,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

aber aus sich heraus gefährlichen Produkten wie Autos, Feuerwerkskörpern235 und Genussmitteln wie Tabak236, Alkohol237 und Süßwaren238 bei Hinzukommen einer Rechtsgutsverletzung bereits eine unerlaubte Handlung darstellen. Abzustellen ist vielmehr auf die Gefahr, die aufgrund eines sicherheitsrelevanten Fehlers auftritt. In diesem Fehler manifestiert sich die Verletzung der herstellerseitigen Verkehrssicherungspflichten. Im Ergebnis handelt es sich bei der der Produzentenhaftung zugrundeliegenden Verkehrssicherungspflicht um eine Organisationspflicht:239 Der Hersteller hat bei der Organisation seines Betriebs alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um das Risiko eines Produktfehlers zu minimieren. Wie die Begriffe „erforderlich“ und „zumutbar“ implizieren, findet die Verantwortung für Produktfehler ihre Grenze darin, dass jegliche Rechtsgutsverletzungen weder ausgeschlossen werden können noch müssen. Eine völlige Gefahrlosigkeit in Form von absolut sicheren Produkten kann der Verbraucher nicht erwarten und wird vom Hersteller nicht gefordert.240 Wenn der Hersteller seinen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist und dennoch ein Schaden eintritt, ist ihm der Schaden, selbst wenn er durch einen Produktfehler verursacht wurde, nicht zuzurechnen.241 Der Geschädigte hat ein „Unglück“ erlitten und muss den Schaden selbst tragen, da dem Hersteller kein Unrecht vorgeworfen werden kann.242 (6) Erforderlichkeit und Zumutbarkeit in der Produzentenhaftung Die Kriterien Erforderlichkeit und Zumutbarkeit beziehen sich generell auf Sicherungsmaßnahmen. Da die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bei der Produzentenhaftung in den Fehlerbegriff codiert wurde, zielen die Sicherungsmaßnahmen darauf ab, Produktfehler zu vermeiden. Die relevante Messgröße der Pflichtenbereiche, die sich vor Inverkehrbringen direkt auf das Produkt beziehen (Konstruktion, Fabrikation und Instruktion), ist die erreichte Produktsicherheit.243 Wird gefragt, ob der Hersteller eine Verkehrs235  BGH,

NJW 1998, 2905, 2907. NJW 2005, 295  f. Eingehend zu der Thematik Molitoris, NJW 2004, 3662, 3666; teils wird aber vertreten, dass Zigaretten prinzipiell Konstruktions- und Instruktionsfehler anhaften, vgl. Mertens, VersR 2005, 465, 474 f. 237  OLG Hamm, NJW 2001, 1654, 1655. 238  LG Essen, NJW 2005, 2713 f. 239  Bereits Giesen, NJW 1969, 582, 585. 240  BGH, NJW 2009, 1669, 1670 Rn. 12; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411. 241  Etwa bei einem Entwicklungsfehler, vgl. § 2 II. 3. b) cc) (4). 242  BGH, NJW 2010, 1967 Rn. 7. 243  So BGH, NJW 2009, 2952, 2953. 236  OLG Hamm,



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pflicht verletzt hat, geht es im Kern darum, ob sein Produkt das erforderliche und zumutbare, d.  h. ausreichend hohe, Sicherheitsniveau erreicht. Der Pflichtenbereich nach Inverkehrbringen, die Produktbeobachtung, lässt sich hingegen nicht an der Produktsicherheit festmachen. Darauf soll an späterer Stelle eingegangen werden.244 Relevanter Zeitpunkt für die Ausfüllung der Kriterien – und damit die Bestimmung der Sorgfaltspflichten – ist das Inverkehrbringen des Produkts. Die deliktische Produzentenhaftung ist eine Einstandspflicht für pflichtwidriges Verhalten und richtet sich nach dem Zeitpunkt der schädigenden Handlung und nicht nach dem des Schadenseintritts oder der darauf folgenden Gerichtsverhandlung.245 Die Betrachtung erfolgt ex-ante. Bei Anwendung der Kriterien „erforderlich“ und „zumutbar“ auf die Produzentenhaftung sind einige Besonderheiten zu beachten, die im Folgenden dargestellt werden. Erforderliche Maßnahmen bei der Produzentenhaftung sind zunächst solche, die technisch grundlegend möglich sind. Diese sind anhand der Erwartungen der betreffenden Verkehrskreise einzugrenzen. Von den verbleibenden Maßnahmen hat der Hersteller schließlich diejenigen zu treffen, die ihm auch zuzumuten sind. Dabei ist aber zu beachten, dass die Begriffe nicht gänzlich einheitlich beurteilt und ausgefüllt werden.246 (a) Technische Standards Nach der Rechtsprechung sind alle Maßnahmen objektiv erforderlich, die nach dem jeweiligen Stand der Erfahrungen und Technik geeignet und genügend sind.247 Dabei geht es um die zwei Fragen, welches Sicherheitsniveau zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens technisch möglich ist und ob das Produkt ein erforderliches Niveau erreicht.248 Relevanter Bezugspunkt ist der „Stand von Wissenschaft und Technik“.249 Er stellt zugleich die Obergrenze der Sorgfaltspflichten dar, da ein Sorgfaltsniveau, das technisch noch nicht möglich ist, auch nicht erwartet werden 244  Vgl.

§ 4 II. 1. in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 816. Vgl. auch § 3 Abs. 2 ProdHaftG, nach dem die Fehlerhaftigkeit eines Produkts nicht automatisch bejaht wird, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein besseres Produkt in den Verkehr gebracht wird. 246  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 187. 247  BGH, NJW 1965, 815; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1515 S. 8. 248  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 16. 249  Klindt/Handorn, NJW 2010, 1105, 1106. Im „Airbag“-Urteil (BGH, NJW 2009, 2952 ff.) setzt der BGH sogar den „neuesten Stand von Wissenschaft und Technik“ als 245  G. Wagner,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

kann.250 Die allgemein anerkannten Regeln der (Wissenschaft und) Technik – teils auch Branchenüblichkeit genannt251 – stellen die Untergrenze des geforderten Sicherheitsniveaus dar, aber garantieren nicht zwingend eine Einhaltung der rechtlich gebotenen Sorgfalt,252 da die allgemein anerkannten Regeln hinter der technischen Entwicklung zurückbleiben können.253 Technische Regelwerke wie DIN-Normen oder VDE-Vorschriften können zur Konkretisierung des erforderlichen Sicherheitsstandards herangezogen werden. Sie entsprechen meist den anerkannten Regeln der Technik. Insofern impliziert eine Nichteinhaltung der Regelwerke hinsichtlich der Produktsicherheit regelmäßig254 eine Verkehrspflichtverletzung, während umgekehrt eine Einhaltung der Sicherheitsstandards eine Pflichtverletzung nicht zwingend ausschließt.255 Gleiches gilt für öffentlich-rechtliches Sicherheitsrecht:256 Die Zulassung eines Produktes durch eine Behörde stellt den Hersteller keineswegs von Haftung frei,257 während die Verletzung von öffentlichem Sicherheitsrecht mit der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gleichläuft.258 (b) Verkehrserwartung Eine Maßnahme ist nur dann erforderlich, wenn sie die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung als erforderlich ansieht. Im Rahmen der Produzentenhaftung hat ein Produkt das Sicherheitsniveau zu relevanten Standard fest; kritisch dazu Klindt/Handorn, NJW 2010, 1105, 1106 und G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 810. 250  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 20. Ausnahmsweise, etwa bei Produkten mit außergewöhnlichem Schadenspotential, kann vom Hersteller trotzdem verlangt werden, über den Stand von Wissenschaft und Technik hinauszugehen und eigene Nachforschungen anzustellen, vgl. Rn. 21. 251  So BGH, NJW 2009, 2952, 2953. 252  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 23; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 15. 253  BVerfG, NJW 1979, 359, 362; BGH, NJW 1994, 3349, 3350; BGH, NJW 2009, 2952, 2953. 254  Die Pflichtverletzung entfällt freilich, wenn das erforderliche Sicherheitsniveau trotz Missachtung der Regelwerke auf anderem Wege erreicht wird, vgl. G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 815. 255  BGH, NJW 1987, 372, 373; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 22 f.; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 8. 256  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 48 ff., jedoch auch mit Ausnahmen (vgl. dort Rn. 52). 257  BGH, VersR 1990, 532, 533. 258  BGH, NJW 1987, 372, 373. Siehe auch § 2 III. 1. a).



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung67

erreichen, welches ein durchschnittlicher Benutzer erwartet bzw. erwarten kann.259 Die Erwartungen müssen aber auch berechtigt sein, da mit einer absoluten Sicherheit nicht gerechnet werden kann.260 Abzustellen ist auf den Erwartungshorizont des relevanten Benutzerkreises. Der Hersteller muss sich fragen, für wen das Produkt bestimmt ist und die Produktsicherheit dementsprechend gestalten. Die Verkehrserwartung – und infolgedessen die erforderliche Produktsicherheit – ändert sich jeweils, wenn ein Produkt für Verbraucher, gewerbliche Nutzer oder Kinder und Jugendliche bestimmt ist. Dabei sind mögliche Erwartungen oder Ansichten von Personen außerhalb der Benutzergruppe, etwa die des Herstellers261 oder die eines Verbrauchers bei Produkten für die gewerbliche Nutzung262, nicht maßgeblich. Innerhalb des relevanten Benutzerkreises ist auf die Erwartungen eines objektivierten, durchschnittlichen Benutzers abzustellen, nicht aber auf die subjektiven Erwartungen des individuellen Benutzers.263 Der Hersteller muss sich nicht auf ein naives Verhalten des Einzelnen einstellen, welches bei einem durchschnittlichen Benutzer nicht zu erwarten wäre.264 Welches Sicherheitsmaß innerhalb der Benutzergruppe der Verkehrserwartung konkret entspricht, hängt vom Einzelfall ab. Relevante Faktoren sind dabei Art des Produkts, Erkennbarkeit der Produktgefährlichkeit und Erfahrung sowie Kenntnisstand des durchschnittlichen Produktnutzers.265 Auch der Preis eines Produkts hat bei der Verkehrserwartung mit einzufließen, da von einem teureren Produkt ein höheres Sicherheitsniveau erwartet werden kann.266 Der Umkehrschluss, ein billigeres Produkt bedinge ein direkt proportional geringeres Sicherheitsniveau, ist indes nicht zutreffend. Der Hersteller muss immer eine gewisse Basissicherheit garantieren.267 Eine darüber hinaus liegende Sicherheit kann aber „erkauft“ werden.268 259  BGH,

NJW 1990, 906, 907. NJW-RR 2008, 411. 261  BGH, NJW 1990, 906, 907. 262  BGH, NJW 1981, 2514, 2515; BGH, NJW 1996, 2224, 2226; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 4. 263  BGH, NJW 2009, 2952, 2953. 264  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 15. 265  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 3 ff. m. w. N. 266  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 813; kritisch Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 187. 267  BGH, NJW 1990, 908, 909; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 11; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 Rn. F 8; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 5. Dahinter steckt folgendes Bild: Unsere Gesellschaft befürwortet technischen Fortschritt im Hinblick auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Dafür hat die Gesellschaft zwar in begrenztem Umfang Risiken in Kauf zu nehmen, welche aber nur oberhalb der „berech260  BGH,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Die Verkehrserwartung beinhaltet auch, dass der Hersteller bei seinen Sicherheitsmaßnahmen den bestimmungswidrigen Gebrauch269 seines Produkts miteinkalkuliert. Das beinhaltet den vorhersehbaren Fehlgebrauch270 und, wenn auch in abgeschwächter Form, den naheliegenden, vorhersehbaren Missbrauch.271 (c) Zumutbarkeit Die Erörterung der Zumutbarkeit im Rahmen der Produzentenhaftung läuft im Ergebnis auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise hinaus.272 Das Ziel eines umfassenden Schutzes des Produktnutzers birgt die Gefahr, den Hersteller mittels (zu) hoher Sicherheitsforderungen zu knebeln.273 Das Erfordernis der Zumutbarkeit dient als ausgleichender Mechanismus zwischen beiden Seiten und schränkt die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen auf den für den Hersteller wirtschaftlich zumutbaren Kern ein. Wie die Erforderlichkeit lässt sich die Zumutbarkeit nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles beurteilen.274 Nicht anders als bei der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht richtet sich die Zumutbarkeit einer Maßnahme im Rahmen der Produzentenhaftung nach dem Verhältnis zwischen dem Aufwand der Maßnahme auf der einen Seite und Art, Größe sowie Wahrscheinlichkeit eines Schadens auf der anderen Seite.275 Bei erheblichen Gefahren für Leib und Leben sind weitergehende Maßnahmen zuzumuten, als wenn lediglich Sachschäden oder kleine körperliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind.276 Gleiches gilt, wenn ein Protigten Sicherheitserwartungen“ (= Basissicherheit) anzusiedeln sind, vgl. Eisenberg et al., S. 60. 268  Eisenberg et al., S. 60 f. 269  Im Detail ist umstritten, auf welche Weise die unterschiedlichen Arten des bestimmungswidrigen Gebrauchs abzugrenzen sind. Vgl. hierzu nur Foerste, in: Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 89 f., 295 ff., der an Stelle von Fehl- und Missbrauch zwischen naheliegendem und fernliegendem Fehlgebrauch unterscheidet. 270  BGH, NJW 1972, 2217, 2221; BGH, NJW 1992, 560, 561. 271  BGH, NJW 1989, 1542, 1544; BGH, NJW 1992, 560 f. Der gleiche Gedanke findet sich in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ProdSG. 272  Vgl. dazu das „Airbag“-Urteil, BGH, NJW 2009, 2952, 2953 f., in welchem der BGH die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sicherungsmaßnahme als maßgeblich für die Zumutbarkeit bezeichnet. Siehe auch bereits im „Hühnerpest“-Urteil, BGH, NJW 1969, 269, 276. 273  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 54. 274  BGH, NJW 2009, 2952, 2953. 275  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1515 S. 9 f. 276  BGH, NJW 2009, 2952, 2954; vgl. auch LG Aachen, JZ 1971, 507, 516.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung69

duktfehler mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Schaden am Integritätsinteresse nach sich zieht und die zu erwartenden Schäden ein großes Ausmaß annehmen können.277 (7) Problematik der Produzentenhaftung (a) Rechtsunsicherheit durch mangelnde Objektivierung Auch wenn die Anknüpfung der Produzentenhaftung an die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht allgemein akzeptiert und für richtig befunden wird, birgt sie das Problem der Rechtsunsicherheit.278 Das beginnt damit, dass die Begriffe, mittels derer der Pflichtenumfang ermittelt wird, einen großen Interpretationsspielraum bieten. Der Inhalt der herstellerseitigen Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach dem unbestimmten Rechtsbegriff des „im Verkehr Erforderlichen“, dessen Auslegung wiederum auf unbestimmten Rechtsbegriffen wie „erforderlich“, „in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch“ und „zumutbar“ basiert. Die Unschärfe der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien hat zur Folge, dass sie für den Rechtsanwender, der für einen konkreten Fall den Pflichtenumfang ermitteln möchte, nicht immer hilfreich sind.279 Es mangelt an objektiven, generell-abstrakten Kriterien, anhand derer die Anforderungen an das Verhalten des Herstellers vorhersehbar abgeleitet werden können.280 In deren Abwesenheit erfolgte die Konkretisierung der Verkehrssicherungspflichten notwendigerweise durch Fallrecht.281 Zwar lässt sich daraus die Ausdifferenzierung der verschiedenen Pflichtenbereiche als brauchbares Ergebnis ableiten, aber über die konkreten Sorgfaltsanforderungen können trotzdem nur begrenzt Aussagen getroffen werden.282 Darüber hinaus haften dem Fallrecht die folgenden zwei Nachteile an.

277  J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 E 27; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 424. 278  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, § 23 Rn. 10, spricht von einem der Kernprobleme der Produkthaftung. 279  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1515 S. 7; Raab, JuS 2002, 1041, 1043 f. 280  Leßmann, JuS 1978, 433, 436. 281  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23 Rn. 10. 282  Leßmann, JuS 1978, 433, 436.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

(b) Nachteile des Fallrechts Als erster großer Nachteil ist anzuführen, dass auch durch Fallrecht weiterhin Rechtsunsicherheit besteht. Das Problem wird nur bedingt gemildert, da im Einzelfall immer auf die Umstände des Falles abzustellen ist und die Schlussfolgerungen selbst auf ähnlich gelagerte Fälle nicht zwingend übertragbar sind. Es ist nicht vorhersehbar, ob das zu entscheidende Gericht aus den Umständen eines Falles ähnliche oder andere Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Herstellers stellt als der Hersteller und dessen Rechtsberater.283 Damit einher geht die Tatsache, dass die Auseinandersetzung in den Urteilstexten mit dem konkreten Umfang einer Sorgfaltspflicht oft an Tiefe vermissen lässt.284 Teils werden die Sorgfaltspflichten des Herstellers lediglich negativ abgrenzend umschrieben. Es wird dabei nur festgestellt, ob eine Verkehrssicherungspflicht verletzt wurde oder nicht. Selten aber wird darauf eingegangen, welchen Umfang die Pflicht hat und welches Verhalten vom Hersteller konkret gefordert war.285 Das erschwert Verallgemeinerungen und lässt den Hersteller im Dunkeln, welche Sicherheitsmaßnahmen er zur Vermeidung einer Haftung hätte ergreifen müssen. Darüber hinaus wird durch eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem geschuldeten Pflichtenumfang die Entwicklung begünstigt, dass Anforderungen an Sorgfaltspflichten erst ex-post nach Schadenseintritt festgelegt werden und eine Haftung nachträglich konstruiert wird.286 Das widerspricht dem Prinzip, dass Sorgfaltspflichten nur nach ex-ante-Sicht bemessen werden. Weitere Rechtsunsicherheit ist durch die Grundsätze des Anscheinsbeweises und der Beweislastumkehr bedingt, die nicht immer einheitlichen Regelungen folgen und von den Umständen des Einzelfalls abhängen.287 Als zweiter großer Nachteil bietet Fallrecht die Gefahr, dass Sorgfaltsanforderungen überspannt werden und sich in Richtung absoluter Erfolgseinstandspflichten bewegen.288 Dies ergibt sich zum einen aus der Rechtsprechungspraxis, lässt sich zum anderen aber auch generell auf das menschliche Denken zurückführen. 283  Foerste,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23 Rn. 10. zeigt sich deutlich bei der älteren Rechtsprechung zum Rückruf, vgl. § 4 II. 3. d) bb) (3). 285  Leßmann, JuS 1978, 433, 436. Dieses Phänomen wird beispielsweise moniert in BGH, NJW 2013, 1302, 1303 Rn. 16. 286  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 23 Rn. 12; Leßmann, JuS 1978, 433, 437. 287  Am Beispiel der Beweislastumkehr bei einem Instruktionsfehler Littbarski, NJW 1995, 217, 221. 288  Leßmann, JuS 1978, 433, 436; Stoll, AcP 176, 146, 161, 168. 284  Dies



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung71

Der BGH hat sich selbst durch seine Rechtsprechung einen weiten Spielraum zugeteilt, durch Erhöhung oder Senkung der Sorgfaltsanforderungen des Herstellers das Gefahrenrisiko eines fehlerhaften Produkts zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller zu verteilen. Tendenziell macht er jedoch von der Erhöhung Gebrauch.289 Auch die Beweislastverschiebung begünstigt diese Entwicklung, da bei einem Verletzungserfolg durch einen Produktfehler zunächst ein pflichtwidriges Verhalten des Herstellers vermutet wird, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt oder nicht. Zwar hat der Hersteller die Möglichkeit der Entlastung, aber diese ist nur schwer zu erbringen (probationes diabolicae).290 Es ist naheliegend, dass dem Hersteller dadurch Schäden zugerechnet werden, denen kein Sorgfaltsverstoß (in diesem Ausmaß) zugrunde lag. Der Hersteller trägt auch das Risiko, wenn sich nicht feststellen lässt, ob eine Pflichtverletzung tastsächlich vorlag, da deren Vermutung dadurch nicht widerlegt wird.291 Eine ähnliche Wirkungsrichtung wie die Beweislastverschiebung schlägt auch die Konkretisierung der Herstellerpflichten durch die Rechtsprechung ein. Durch die Auslegung des Begriffs „Produktfehler“, der im Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB die Verkehrssicherungspflichtverletzung verschlüsselt, wird dem Geschädigten die Beweisführung erleichtert.292 Überspannte Sorgfaltsanforderungen sind aber auch durch die Tendenz des menschlichen Denkens bedingt, einen Rückschau- oder Ergebnisfehler zu begehen (hindsight or outcome bias).293 Damit wird das Phänomen beschrieben, dass die Bedeutsamkeit und Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in der Wahrnehmung des Menschen entscheidend davon bestimmt wird, ob es eingetreten ist oder nicht. Ereignisse werden nach ihrem Eintreten in der ex-post Betrachtung eher als unausweichlich und vorhersehbar eingestuft als vor ihrem Eintreten in der ex-ante Betrachtung. Auch Gerichte sind vor dieser Wahrnehmungsverzerrung294 nicht gefeit und neigen nach einem Schadensereignis eher dazu, höhere Sorgfaltsanforderungen an das Verhalten des Herstellers zu stellen als vor dem Schadensereignis.295 Das gilt vor allem dann, wenn die Anforderungen an Sorgfaltspflichten im Grunde erst ex-post 289  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 418 m. w. N. Am Beispiel der Instruktionspflicht Diederichsen, VersR 1984, 797, 798. Vgl. auch Littbarski, NJW 1995, 217, 217. 290  Katzenmeier, JuS 2003, 943, 947. Siehe auch zur Beweislastverschiebung § 2 II. 3. b) dd). 291  BGH, NJW 1995, 2162, 2164. 292  Diederichsen, VersR 1984, 797. 293  Dazu als populärwissenschaftliche Einführung Kahneman, S.  247 ff. 294  Es wird auch von „narrativer Verzerrung“ gesprochen, vgl. Taleb, S.  87 ff. 295  Kötz/G. Wagner, Rn. 81; Rachlinski, in: Behavioral law and economics, 95, 99.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

nach Schadenseintritt festgelegt werden.296 In Konsequenz wird dadurch mehr und mehr der Boden des Deliktsrechts verlassen und stattdessen ein neuer Gefährdungstatbestand geschaffen.297 bb) Anspruchsvoraussetzungen von § 823 Abs. 1 BGB Für einen Schadensersatzanspruch verlangt die Generalklausel des § 823 Abs. 1 BGB eine Rechtsgutsverletzung, die rechtswidrig sowie schuldhaft durch eine Verletzungshandlung entstanden ist und zu einem Schaden geführt hat. Verletzungshandlung, Rechtsgutsverletzung und Schaden müssen sich jeweils kausal bedingen. Im Folgenden werden die Anspruchsvoraussetzungen für die Produzentenhaftung erörtert. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Verletzungshandlung und die Widerrechtlichkeit zu legen, die beide im Begriff des Produktfehlers und der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht aufgehen. (1) Rechtsgutsverletzung Grundvoraussetzung für einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ist die Verletzung eines der in der Vorschrift genannten Rechte oder Rechtsgüter. Da bei Produkthaftungsfällen typischerweise Personen- und Sachschäden eintreten, sind regelmäßig Eigentum als Recht und Leben, Körper und Gesundheit als Rechtsgüter betroffen. Eine Verletzung ist meist unproblematisch feststellbar. Bei Schäden am erworbenen Produkt ist zu beachten, dass § 823 Abs. 1 BGB nur das Integritätsinteresse schützt, nicht hingegen das Äquivalenzinteresse. Das fehlerhafte Produkt selbst wird nur vom Gewährleistungsrecht geschützt. Eine Ausnahme stellt ein sogenannter „Weiterfresserschaden“ dar. Ein solcher liegt vor, wenn ein mangelhaftes Teil des Produkts eine Beschädigung des mangelfreien Restprodukts verursacht. Eine Eigentumsverletzung kann dann bejaht werden. Das mangelhafte Teil wird vom Vertragsrecht und das beschädigte Restprodukt vom Deliktsrecht geschützt. Die Abgrenzung, ob ein Weiterfresserschaden – und damit eine Eigentumsverletzung – vorliegt, erfolgt nach von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.298 296  Zu

dem Phänomen siehe § 2 II. 3. b) aa) (7) (b). JuS 1978, 433, 436. Rachlinski, in: Behavioral law and economics, 95, 100 bietet gar als Lösung an, der Sicherungspflichtige könne sich so verhalten, als ob er einer Gefährdungshaftung unterliege. 298  Ausgehend von der „Schwimmschalter“-Entscheidung des BGH, NJW 1977, 379 ff. Dazu und zur darauffolgenden Rechtsprechung vgl. Foerste, in: Foerste/ 297  Leßmann,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung73

Auch wenn sich die Rechtsprechung zu Weiterfresserschäden gefestigt hat,299 ist das Thema in der Literatur noch stark umstritten.300 Für einen Rückruf ist die Bejahung eines Weiterfresserschadens insofern relevant, als – über die Einschaltung des Deliktsrechts – eine deliktische Rückrufpflicht auch dann erwogen werden kann, wenn über das fehlerhafte Produkt hinaus keine weiteren Schäden drohen.301 In der Praxis wird die Feststellung eines Weiterfresserschadens jedoch selten das Zünglein an der Waage für oder gegen eine Rückrufpflicht sein. Denn erstens kommen bei der Abwägung fast immer weitere, gewichtigere Faktoren wie die Gefährdung von Personen oder anderen Sachen hinzu, und zweitens wird bei der alleinigen Gefährdung des Produkts nur in Ausnahmefällen eine Rückrufpflicht zu diskutieren sein.302 Neben dem Eigentum werden von § 823 Abs. 1 BGB auch sonstige Rechte geschützt. Im Rahmen der Produzentenhaftung ist vor allem der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Bedeutung, der als sonstiges Recht anerkannt ist.303 Bei einem unmittelbaren, auf ein fehlerhaftes Produkt zurückzuführenden Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis wäre eine Rechtsgutsverletzung anzunehmen.304 Nicht geschützt als sonstiges Recht ist hingegen das Vermögen als solches.305 (2) Schadensauslösendes Verhalten Die Rechtsgutsverletzung muss aufgrund eines Verhaltens des Herstellers verursacht worden sein. Bei einem Produkthaftungsfall ist es zunächst nicht eindeutig, ob beim schadensauslösenden Verhalten auf ein positives Tun oder ein Unterlassen abzustellen ist. So kann die Herstellung eines Produkts ohne die Beachtung der gebotenen Sicherheitsmaßnahmen als positives Tun angesehen werden.306 Auch wäre es möglich, für ein positives Tun auf das Invervon Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 21 Rn. 28 ff.; D. Koch, S.  118 ff.; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 172 ff. 299  In BGH, NJW 2004, 1032 ff. wird die Figur des Weiterfresserschadens als gegeben angesehen und nicht weiter diskutiert. 300  Vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, §  21 Rn.  33 ff. m. w. N. 301  Auch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 21 Rn.  70 f. 302  Zur Diskussion siehe § 4 II. 2. b) bb). 303  Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 133. 304  So bei OLG München, VersR 1977, 1111, mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 04.10.1977 – VI ZR 27/77. 305  Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 11. 306  So BGH, VersR 1959, 104, 105 und BGH, NJW 1972, 195, 197.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

kehrbringen der fehlerhaften Ware abzustellen.307 Andererseits könnte ebenso für ein Unterlassen argumentiert werden, da der Hersteller seinen herstellerspezifischen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist, unabhängig davon, ob auf die Produktion oder das Inverkehrbringen abgestellt wird. Im Ergebnis ist diese Unschärfe jedoch nicht relevant. Entscheidend im Kontext von § 823 Abs. 1 BGB ist, ob das Verhalten widerrechtlich war. Es ist dann widerrechtlich, wenn gegen eine Verkehrssicherungspflicht verstoßen wurde. Als schadensauslösendes Verhalten kann demnach nicht nur das Verhalten, durch das eine Verkehrssicherungspflicht verletzt wurde, angesehen werden, sondern auch die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht als solche.308 Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht – und damit das tatbestandsmäßige Verhalten – manifestiert sich in einem Produktfehler. Begrifflich wird damit ein Erfolg in den Mittelpunkt gestellt. Das mag erstaunen, da die deliktische Haftung verschuldensabhängig ist und auf ein Verhalten abstellt. Das Abstellen auf den Fehler ist jedoch bedingt durch die besondere Beweislastverteilung der Produzentenhaftung.309 Im Ergebnis ändert es nichts daran, dass die Verkehrspflichtverletzung an ein Verhalten anknüpft. Der Fehlerbegriff ist als Kürzel für einen Sorgfaltspflichtverstoß zu verstehen:310 Der Hersteller hat die Pflicht zum sorgfältigen Verhalten in den Bereichen Konstruktion, Fabrikation, Instruktion und Produktbeobachtung. Die Haftungsbegründung liegt in dem Gedanken, dass der Hersteller „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat, also das Produkt nicht so konstruiert, es nicht so hergestellt oder es nicht mit solchen Instruktionen versehen in den Verkehr gebracht hat, wie man das von einem sorgfältigen Hersteller […] verlangen muss“311. Das Zitat legt nahe, dass ein alleiniges Abstellen auf den Produktfehler zu kurz greift. Die Verkehrssicherungspflicht findet ihre Rechtfertigung darin, dass eine Gefahr für den Verkehr geschaffen wurde. Diese Gefahr besteht jedoch erst, wenn das Produkt in den Verkehr gebracht wurde und der Verkehr – Produktnutzer und Dritte – damit in Berührung kommen können. Als zweites Element neben dem Produktfehler ist somit das Inverkehrbringen anzuführen. Im Ergebnis besteht das schadensauslösende Verhalten im Inverkehrbringen eines Produktes, dem ein Produktfehler anhaftet.

307  So BGH, VersR 1956, 419, 420. Kritisch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 22 Rn. 2. 308  Eisenberg  et al., S. 56; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 22 Rn. 4; Marko, S.  26 f.; Raab, JuS 2002, 1041, 1043. 309  Siehe § 2 II. 3. b) dd). 310  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 806. 311  Kötz/G. Wagner, Rn. 615.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung75

(3) Rechtswidrigkeit In der Rechtswidrigkeit wird beurteilt, ob die schadensauslösende Handlung gegen die Rechtsordnung verstößt. Bei der Produzentenhaftung ergibt sich die Widerrechtlichkeit durch die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Prüft man diese bereits im Tatbestand,312 wird die Rechtswidrigkeit indiziert. Rechtfertigungsgründe sind in der Produzentenhaftung nicht ersichtlich. (4) Verschulden Der Hersteller muss seine Verletzungshandlung zu vertreten haben. § 823 Abs. 1 BGB erwähnt die beiden Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Bei Produkthaftungsfällen handelt es sich in fast allen Fällen um Fahrlässig­ keit,313 d. h. die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach § 276 Abs. 2 BGB. Dabei stellt das Gesetz nicht auf die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden, sondern auf einen objektiven, abstrakten Maßstab ab.314 Da es sich in Produkthaftpflichtfällen bei der Verletzungshandlung im Kern immer um die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht handelt, wird die Frage, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt eingehalten wurde, bereits bei Prüfung deren Verletzung beantwortet. Dies geschieht bereits im Tatbestand.315 Im Verschulden wird nur noch geprüft, ob die bereits festgestellte Verletzung dem Hersteller auch vorzuwerfen ist, d. h., ob es dem Hersteller überhaupt erst möglich war, die Rechtsgutsverletzung nach dem aktuellen Wissensstand der Branche316 und erfolgter gebotener Prüfung vorherzusehen.317 Die Rechtsprechung differenziert hier nach der objektiven Pflichtverletzung (äußere Sorgfalt), die sich im Produktfehler äußert, und deren subjektiver Vorwerfbarkeit (innere Sorgfalt), die im Verschulden geprüft wird.318 Relevant wird das Kriterium der inneren Sorgfalt in zwei Konstellationen. Zum einen kann ein Produkt einen Fehler aufweisen, der zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens für den Hersteller trotz aller Sorgfalt objektiv (noch) nicht

312  Zur Verortung der Verkehrssicherungspflichten im Prüfungsaufbau siehe § 2 II. 3. b) aa) (3). 313  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 247. 314  Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 43. 315  Bzw. der Rechtswidrigkeit, vgl. § 2 II. 3. b) aa) (3). 316  BGH, VersR 1960, 1095. 317  BGH, VersR 1976, 149, 151. 318  BGH, NJW 1981, 1603, 1605 f.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

erkennbar war. Man spricht dann von einem Entwicklungsfehler.319 Daneben gibt es den unverschuldeten Fabrikationsfehler, auch „Ausreißer“ genannt, der sich trotz Einhaltung aller gebotenen Sicherheitsvorkehrungen im Herstellungsprozess eingestellt hat.320 In beiden Fällen ist das Produkt zwar jeweils fehlerhaft, d. h. aufgrund der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht objektiv pflichtwidrig, in den Verkehr gebracht worden, aber die Fehlerhaftigkeit ist dem Hersteller nicht vorzuwerfen. Die Haftung des Herstellers scheitert dann am Verschulden. Jenseits von Entwicklungsfehlern und Ausreißern steht es jedoch außer Frage, dass im Rahmen der Produzentenhaftung die Prüfung des Verschuldens aufgrund der Beweislastverschiebung von geringer Bedeutung ist. Da bei Vorliegen eines Produktfehlers die Verschuldensvermutung greift und der Entlastungsbeweis schwer zu erbringen ist, stellt sich die Frage nach dem „ob“ oftmals gar nicht mehr. Im Regelfall indiziert die Verletzung der äußeren Sorgfalt auch die der inneren Sorgfalt.321 Wichtig aber bleibt die Schwere des Verschuldens des Herstellers, etwa im Verhältnis zu einem Mitverschulden eines Zulieferers oder des Geschädigten.322 (5) Kausalität Eine Haftung kommt nur in Betracht, wenn das Verhalten des Herstellers kausal für den eingetretenen Schaden war. Dazu muss die Rechtsgutsverletzung auf dem Verhalten des Schädigers (haftungsbegründende Kausalität) und der Schaden auf der Rechtsgutsverletzung (haftungsausfüllende Kausalität) beruhen.323 Kausal im Sinne der Äquivalenztheorie ist jedes Ereignis, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele.324 Beide Kausalitäten werden einschränkend modifiziert durch die Zurechnung über die Adäquanztheorie, welche atypische Fälle ausschließt, und die Lehre vom Schutzzweck der Norm, welche Schäden nur dann berücksichtigt, wenn sie durch die verletzte Norm verhindert werden sollen.325 Für die Produzentenhaftung bedeutet das, dass Rechtsgutsverletzung und Schaden nicht einfach auf das Produkt im Allgemeinen, sondern auf den 319  Siehe

§ 2 II. 3. b) cc) (4). § 2 II. 3. b) cc) (2). 321  BGH, NJW 1986, 2757, 2758. 322  Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 118  f. Der Aspekt des Mitverschuldens war beispielsweise relevant bei OLG Karlsruhe, NJWRR 1995, 594, 597. 323  Grüneberg, in: Palandt, Vor § 249, Rn. 24. 324  Grüneberg, in: Palandt, Vor § 249, Rn. 25. 325  Grüneberg, in: Palandt, Vor § 249, Rn. 26, 29. 320  Siehe



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung77

Produktfehler im Besonderen zurückzuführen sein müssen. Ansonsten ergeben sich weder Unterschiede zum sonstigen Deliktsrecht,326 noch stellen sich nennenswerte Rechtsprobleme ein. In der Praxis gestaltet sich jedoch regelmäßig für den Geschädigten die Beweisführung schwierig, dass der eingetretene Schaden durch den Produktfehler verursacht wurde.327 (6) Zusammenfassung Zentrale Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB im Rahmen der Produzentenhaftung ist das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts. Darin vereinen sich Verletzungshandlung und Widerrechtlichkeit. Die Fehlerhaftigkeit muss verschuldet, d. h. erkennbar und vermeidbar gewesen sein. Die Rechtsgutsverletzung und der daraus resultierende Schaden müssen zuletzt auf die dem Produktfehler zugrunde liegenden Sorgfaltspflichtverletzung zurückzuführen sein. cc) Pflichtenbereiche des Herstellers Die allgemeine Sorgfaltspflicht des Herstellers wurde schrittweise von der Rechtsprechung konkretisiert und vier verschiedenen Bereichen des Herstellungsprozesses zugeordnet. Die Pflichten in den Bereichen Konstruktion, Fabrikation und Instruktion beziehen sich auf den Herstellungsprozess und sind dem Zeitraum vor Inverkehrbringen des Produkts zugeordnet. Sie zielen darauf ab, präventiv Fehler zu vermeiden und so ein möglichst fehlerfreies Produkt auf den Markt zu bringen. Davon abzugrenzen ist der Bereich der Produktbeobachtung, der die Zeit nach Inverkehrbringen des Produkts abdeckt. Der Hersteller muss sein Produkt im Auge behalten und auf entdeckte Gefahren angemessen reagieren. Eine der Reaktionspflichten, die sich aus der Produktbeobachtung ergeben kann, ist die Pflicht zum Rückruf. (1) Konstruktion Die Konstruktion steht am Anfang der Produktherstellung. Der Hersteller hat die Pflicht, das Produkt sorgfältig zu planen und zu entwickeln, so dass keine Gefahren von ihm ausgehen und die berechtigten Sicherheitserwartungen der Benutzer erfüllt werden. Höchstrichterliche Leitentscheidung ist der „Mercedes“-Fall, in dem die Beweislastumkehr für Konstruktionsfehler be326  Schlutz, 327  Lenz,

DStR 1994, 707, 712. in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 252.

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stätigt wurde.328 Beispiele für Konstruktionsfehler sind die Verwendung von ungeeigneten Materialien, die falsche Verwendung geeigneter Materialien oder eine an sich unsichere Bauweise. Nicht als Konstruktionsfehler gelten einem Produkt innewohnende objektive Gefahren, die allgemein bekannt sind und hingenommen werden.329 Die Konstruktionspflicht umfasst darüber hinaus Prüfverfahren, in denen das Produkt und gegebenenfalls dessen Zubehör330 auf seine Sicherheit getestet wird.331 Durch Instruktion kann der bestimmungsgemäße Gebrauch des Produkts festgelegt und begrenzt werden. Es ist jedoch nicht möglich, einen Konstruktionsfehler durch einen Warnhinweis zu kompensieren. Ein Warnhinweis reicht nur dann, wenn ein Restkonstruktionsrisiko trotz Erfüllung der Sorgfaltspflichten unvermeidbar ist.332 Unter den Fehlerarten birgt der Konstruktionsfehler regelmäßig das größte Gefahrenpotential, da er nicht nur einem einzelnen Produkt, sondern einer (Produkt-)Serie anhaftet. Bei einem großflächig vertriebenen Produkt ist mit Massenschäden und hohen Ersatzansprüchen zu rechnen.333 Die Rechtsprechung hat sich (auch) deswegen intensiv mit den Sorgfaltspflichten in diesem Bereich auseinandergesetzt.334 (2) Fabrikation Ist ein Produkt pflichtgemäß konstruiert worden, erfolgt im nächsten Schritt die Umsetzung der Entwurfszeichnungen und Konstruktionspläne in die Realität. Der Bereich „Fabrikation“ beschreibt die tatsächliche Herstellung eines Produkts. Ein Fabrikationsfehler tritt auf, wenn durch einen Mangel im Herstellungsprozess von den konstruktiven Vorgaben abgewichen wird oder diese nicht ordnungsgemäß umgesetzt werden, diese Tatsache nicht entdeckt wird, und sich dadurch ein sicherheitsrelevantes Risiko in einem Produkt ergibt.335 Im Gegensatz zu einem Konstruktionsfehler tritt ein 328  BGH,

BB 1970, 1414, 1415. in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 10. 330  Vgl. BGH, NJW 1987, 1009 ff., in: dem eine Produktbeobachtungspflicht für Zubehörteile ausdrücklich bejaht wird. 331  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 18 f. 332  Eisenberg et al., S. 69; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 127; vgl. hierzu den Instruktionsbereich in § 2 II. 3. b) cc) (3). 333  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 71. 334  Kullmann listet in der Rechtsprechungsübersicht des BGH zur Produzentenhaftung seit 1952 für die Bereiche Konstruktion 31 und Instruktion 49 Einträge auf. Dagegen fallen Fabrikation und Produktbeobachtung mit fünf bzw. acht Einträgen ab, vgl. Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 7502–7509; vgl. auch D. Koch, S. 60. 335  Foerste, in: Foerste/Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 177. 329  Kullmann,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung79

Fabrikationsfehler häufig nur in einzelnen Produkten oder begrenzten Produktchargen auf.336 Der für die Produzentenhaftung grundlegenden „Hühner­ pest“-Entscheidung337 lag ein Fabrikationsfehler zugrunde, da die Fehlerhaftigkeit eines an sich einwandfreien Impfstoffs durch eine Verunreinigung im Herstellungsprozess entstanden war. Insbesondere im Fabrikationsbereich wird deutlich, dass die Sorgfaltspflichten des Herstellers auf Organisations- und Kontrollpflichten hinauslaufen.338 Zum einen hat er seine Fertigung so zu organisieren, dass Fabrikationsfehler vermieden werden, zum anderen hat er Qualitätskontrollen durchzuführen, die etwaige Fehler aufdecken. Die Kontrollen beziehen sich auf alle Bereiche der Herstellung: von der Materialauswahl und dem Wareneingang über den eigentlichen Fertigungsprozesses bis hin zur Endkontrolle des Warenausgangs.339 Eine Besonderheit im Fabrikationsbereich ist der sogenannte „Ausreißer“. Damit wird ein Produkt bezeichnet, das fehlerhaft hergestellt wurde, obgleich der Hersteller seinen Sorgfaltspflichten im Fabrikationsbereich ausreichend nachgekommen ist. Ein Produktfehler liegt zwar objektiv vor, aber der Hersteller haftet mangels Verschulden nicht.340 Die Ausreißer-Thematik ist eher theoretischer Natur und war in der Praxis selten entscheidungsrelevant.341 Seit der Einführung des Produkthaftungsgesetzes besteht überdies eine Haftung des Herstellers auch für Ausreißer, selbst wenn nach allgemeinem Deliktsrecht eine Haftung mangels Verschuldens entfällt.342 336  Denkbar ist aber auch, dass eine größere Anzahl von Produkten einer Serie fehlerhaft hergestellt wird, wenn etwa eine Maschine im Fertigungsprozess falsch eingestellt ist oder wenn Rohstoffe verwendet werden, die den Anforderungen der Konstruktionsvorgaben nicht gerecht werden. Auch Foerste, in: Foerste/Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 177; insofern unzutreffend D. Koch, S. 64. 337  BGH, NJW 1969, 269 ff. 338  Ausführlich Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S.  37 ff. 339  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 181 ff. 340  Vgl. Foerste, in: Foerste/Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 179; Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 117; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 824. Strenger Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 36 f., der bei Erforderlichkeit und Zumutbarkeit eine hundertprozentige Fehlerfreiheit bejaht und die Diskussion um den Ausreißer als „juristisches Gespenst“ zitiert. 341  D. Koch, S. 65 f. Daneben wird ein Hersteller im Zweifel die außergerichtliche Klärung suchen, als vor Gericht auf einem Nichtverschulden zu bestehen. 342  Sprau, in: Palandt, § 3 ProdHaftG Rn. 9. Der BGH hat eine Anwendung der Exkulpationsmöglichkeit bei Entwicklungsfehlern nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG auf Ausreißer abgelehnt, vgl. BGH, NJW 1995, 2162, 2163 f. Interessanterweise hat dies der BGH in jüngerer Rechtsprechung jedoch insofern relativiert, als der Hersteller nicht für jedweden Fabrikationsfehler einzustehen hat, sondern die Größe der

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(3) Instruktion Der Instruktionsbereich beginnt dort, wo die Pflichten zur sicheren Konstruktion und Fabrikation aufhören.343 Soweit notwendig müssen dem Produktnutzer zum einen alle Informationen zur Verfügung gestellt werden, mit Hilfe derer er das Produkt richtig und sicher verwenden kann. Zum anderen muss er auf die Gefahren hingewiesen werden, die trotz sorgfältiger Konstruktion und Fabrikation von einem Produkt ausgehen können, und zur selbstverantwortlichen Steuerung der Gefahren befähigt werden. Ein Instruktionsfehler liegt vor, wenn solche Hinweise unterlassen oder unzureichend umgesetzt wurden. Der Instruktionsbereich umfasst dabei alle Aussagen, die in Bezug auf das Produkt getroffen werden. Neben Bedienungs- und Gebrauchsanleitungen sowie Warnhinweisen werden ihm auch Aussagen in Werbung und Verkaufsgesprächen zugeordnet.344 Höchstrichterliche Rechtsprechung erfolgt bislang von allen Fehlerarten am häufigsten zum Instruktionsbereich.345 Leitentscheidung ist das „ESTIL“Urteil346, in welchem der BGH die im „Hühnerpest“-Urteil entwickelten Grundsätze auf Instruktionsfehler anwendete. ESTIL war ein einwandfrei funktionierendes lokales Betäubungsmittel, das jedoch, wenn falsch gespritzt, zu ernsten Konsequenzen bis hin zur Amputation von Gliedmaßen führen konnte. Angesichts der drohenden Risiken befand der BGH, dass der Warnhinweis in der Packungsbeilage nicht deutlich genug gewesen war. (4) Entwicklungsrisiken Entwicklungsfehler sind solche Produktfehler, die nach objektiven Maßstäben bei Inverkehrbringen nicht erkennbar oder vermeidbar waren.347 Da dem Hersteller keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, haftet er mangels Verschulden nicht.348 Der gleiche Gedanke findet sich im ProduktGefahr und die Zumutbarkeit von Sicherheitsmaßnahmen in eine Abwägung mit einfließen müssen – auch bei der vermeintlichen Gefährdungshaftung des Produkthaftungsgesetzes, vgl. BGH, NJW 2009, 1669, 1670 f. Siehe auch Kötz/G. Wagner, Rn. 630. 343  Kötz/G. Wagner, Rn. 632. 344  BGH, NJW 1996, 2224, 2225. 345  Siehe Fn. 334. 346  BGH, VersR 1972, 1075 ff. 347  BGH, NJW 1969, 269, 275; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 816. 348  Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 117; Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 173. Vielerorts wird bei einem Entwicklungsfehler bereits die Pflichtwidrigkeit verneint, vgl. BGH, NJW 2009, 2952, 2955; Foerste, in: Foerste/



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haftungsgesetz, welches in § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG die Haftung für Entwicklungsrisiken verneint. Entwicklungsfehler werden teils als eigene Fehlerkategorie eingeordnet.349 Genau genommen sind sie jedoch nur eine jeweilige Unterkategorie eines Produktfehlers, welcher dem Hersteller nicht zugerechnet werden kann.350 Entwicklungsfehler sind zwar vor allem Konstruktionsfehler, aber sie sind auch im Fabrikations- und Instruktionsbereich denkbar.351 (5) Produktbeobachtung Die Sorgfaltspflichten des Herstellers enden nicht, wenn ein Produkt in Verkehr gebracht wurde. Schon im Jahr 1940 griff das Reichsgericht im „Bremsen I“-Urteil den Gedanken auf, dass ein Hersteller alles ihm Zumutbare zu unternehmen habe, um eine erst im Nachhinein erkannte Gefahr abzuwenden.352 In den 80er Jahren bestätigte und präzisierte der BGH in den grundlegenden „Apfelschorf“-Entscheidungen353 die Pflicht des Herstellers, auch nach Inverkehrbringen sein Produkt weiter zu beobachten und bei einer erkannten Gefahr zu handeln. Damit wurden die drei produktbezogenen Pflichtenbereiche um die „after-sales“-Materie ergänzt.354 Der unter dem Begriff „Produktbeobachtung“ zusammengefasste Bereich umfasst die zwei Elemente der Gefahrerkennung (Beobachtungpflichten) und der Gefahrsteuerung (Reaktionspflichten).

von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 104; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 132; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 816. Im Ergebnis besteht jedoch kein Unterschied, ob eine Haftung wegen fehlender Pflichtverletzung oder fehlendem Verschulden verneint wird. 349  So bei Ficker, FS für Duden, 93, 103; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 132; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 493; Stöhr, PHi 2015, 206, 208. 350  Auch Bodewig, S. 180. 351  Für den Fabrikationsbereich vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 104; für den Instruktionsbereich siehe BGH, NJW 2009, 2952, 2955. Häufig werden sie jedoch nur dem Konstruktionsbereich zugeordnet, so etwa bei Looschelders, SR BT, Rn. 1264. Für die §§ 823 ff. BGB hat diese Frage keine Auswirkung. Im Rahmen der Gefährdungshaftung des Produkthaftungsgesetzes ist umstritten, ob sich der Hersteller auch bei Fabrikations- und Instruktionsfehlern auf das Vorliegen eines Entwicklungsrisikos berufen kann, vgl. Oechlser, in: Staudinger (2014), § 1 ProdHaftG, Rn. 118 f. und G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 1 ProdHaftG, Rn. 51 ff. 352  RGZ 163, 21, 26. 353  BGH, NJW 1981, 1603 ff. (Apfelschorf I – Derosal) und BGH, NJW 1981, 1606 ff. (Apfelschorf II – Benomyl). 354  Klindt, BB 2009, 792.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

(a) Begründung und Funktion Die Produktbeobachtung beruht auf dem Gedanken, dass ein Produkt trotz aller Vorkehrungen und Bemühungen seitens des Herstellers eine – auch unerwartet – schädigende Wirkung haben kann.355 Schäden können von auf den ersten Blick harmlosen Produkten verursacht werden, deren Gefährdungspotential sich erst spät nach Inverkehrbringen oder kumuliert nach einer gewissen Zeitspanne realisiert.356 Auch können bei Inverkehrbringen bereits bestehende Fehler unentdeckt geblieben sein, sei es aus Unachtsamkeit oder weil es sich um einen nicht erkennbaren Entwicklungsfehler handelte. Durch Produktbeobachtung sollen diese Gefahren rechtzeitig erkannt und gesteuert werden. Die Pflicht richtet sich an den Hersteller, weil er die Gefahr geschaffen hat und im Vergleich zum Produktnutzer etwaigen Gefahren auf geeignetere und kostengünstigere Weise gegensteuern kann. Ebenso ist er eher in der Lage, Erfahrungen in der Anwendung des Produkts zentral zu sammeln, zu verwerten und gegebenenfalls Rückschlüsse für seinen Konstruktions- oder Instruktionsbereich zu ziehen.357 Die Produktbeobachtungspflicht bezieht sich auf das Produkt als Ganzes und stellt das „Auffangbecken“ unter den Sorgfaltspflichten dar. Sie soll Produktfehler und daraus resultierende Gefahren erkennen und abwenden, unabhängig davon, um welche Fehlerkategorie es sich handelt und ob der Hersteller den Fehler schuldhaft verursacht hat oder nicht.358 Auch wenn die Produktbeobachtungspflicht als eigene Fehlerfallgruppe gezählt wird, wirkt sie nur in bestimmten Fällen haftungsbegründend. Haftet einem Produkt bei Inverkehrbringen ein unentdeckter Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler an, der auch nach Inverkehrbringen durch unzureichende Produktbeobachtung unerkannt bleibt, dann wird bei einem Schadenseintritt die Haftung durch die schuldhafte Verursachung des ursprünglichen Fehlers, nicht jedoch durch die Verletzung der Produktbeobachtungspflicht begründet. Man spricht insofern von der Subsidiarität der Produktbeobachtungspflicht.359 Haftungsbegründend wirkt sie in den Fällen, in denen eine Haftung mangels Verschuldens des Herstellers entfällt. Damit hat die Produktbeobachtungspflicht insbesondere Bedeutung im Fall von Entwicklungs­ 355  Kullmann,

in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 53. Nebenwirkungen des radioaktiven Röntgenmittels Thorotrast äußerten sich in Einzelfällen erst nach über 20 Jahren nach Einnahme, vgl. Krasinskas et al., Redistribution of thorotrast, Modern Pathology (2014) 17, 117. 357  Dietrich, S. 47; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 837. 358  J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F 20. 359  J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F 20. 356  Die



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fehlern,360 für die der Hersteller weder nach dem Produkthaftungsgesetz361 noch im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB haftet. Verkennt der Hersteller eine Gefahr oder reagiert er unzureichend auf eine erkannte Gefahr, so haftet er bei einem Schadensfall wegen Verletzung einer Reaktionspflicht auch bei einem Entwicklungsfehler. Gleiches gilt für einen Ausreißer, für den sich jedoch bereits eine Haftung aus der zum Deliktsrecht parallel verlaufenden Haftungsschiene des Produkthaftungsgesetzes ergibt.362 Spricht man von der „Haftung aufgrund der Verletzung von Produktbeobachtungspflichten“, ist präziser immer nur die Verletzung einer Reaktionspflicht gemeint. Die Verletzung einer Beobachtungspflicht, welche lediglich als Informationsgrundlage für die Bemessung des Umfangs der Reaktionspflichten dient, ist nicht haftungsbegründend. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob der Hersteller auf eine Produktgefahr angemessen reagiert hat angesichts der Informationen, die ihm bei einer gebotenen Produktbeobachtung objektiv zur Verfügung stehen konnten. Dabei ist es irrelevant, inwieweit eine gebotene Produktbeobachtung tatsächlich stattgefunden hat.363 (b) Umfang der Beobachtungspflichten Hinsichtlich des Pflichtenumfangs ist zwischen aktiver und passiver Produktbeobachtung zu unterscheiden. Bei passiver Produktbeobachtung nimmt der Hersteller Informationen zur Kenntnis, die hinsichtlich des Gefährdungspotentials seiner Produkte an ihn herangetragen werden, und wertet sie aus. Insofern ist sie gleichzusetzen mit Beschwerde-Management. Am anderen Ende des Spektrums liegt die aktive Produktbeobachtung, bei welcher der Hersteller aus eigener Initiative tätig wird, das Produkt aktiv beobachtet und Informationen über noch unbekannte Produktrisiken generiert.364 Die Rechtsprechung hat festgelegt, dass der Hersteller sich nicht lediglich auf eine passive, zufällige Informationsgewinnung verlassen darf. Er ist grundsätzlich verpflichtet, seine Produkte einer aktiven Beobachtung zu unterziehen.365 Der Hersteller muss erstens sein Produkt auf noch nicht be360  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 53; Pieper, BB 1991, 985, 987; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063. 361  § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG. 362  Vgl. Fn. 419. 363  G. Wagner, VersR 2014, 905, 907. 364  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 376; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F 21; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 56 f. 365  BGH, NJW 1981, 1606, 1607 f. Von diesem Grundsatz ist abzuweichen, wenn ein Produkt aus seiner Natur heraus ein geringes Gefährdungspotential aufweist und

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

kannte schädliche Eigenschaften beobachten und sich über eine Gefahrenlage verursachende Verwendungsfolgen informieren. Zweitens muss er sich über wissenschaftliche und technische Entwicklungen im Bereich seines Produkts auf dem Laufenden halten, etwa durch Auswertung des Fachschrifttums und der Ergebnisse wissenschaftlicher Kongresse.366 In weiterer Rechtsprechung hat der BGH ausgeführt, dass der Hersteller eine Pflicht zur selbstständigen Erforschung etwaiger Gefahren haben kann,367 dass er gegebenenfalls Erfahrungen und Entwicklungen der Konkurrenz zu beobachten hat,368 und dass die Produktbeobachtungspflicht auch auf fremde Produkte ausgedehnt wird, wenn letztere als Zubehör für eigene Produkte in Betracht kommen.369 (c) Umfang der Reaktionspflichten Erfährt der Hersteller von einer von seinem Produkt ausgehenden Gefahr, ist er dazu verpflichtet, der Gefahr entgegenzuwirken.370 Unstrittig ist, dass er die Erkenntnis in die Herstellung weiterer Exemplare derselben Produktart einfließen lassen und die zukünftige Produktion umstellen muss.371 Noch nicht in den Verkehr gebrachte Produkte dürfen nur ausgeliefert werden, wenn der Fehler behoben oder die Gefahr durch Instruktion neutralisiert wurde.372 Ist die Gefahr auf ein Zulieferteil zurückzuführen, hat der Hersteller den betreffenden Zulieferer zu informieren und gegebenenfalls auf eine Änderung von dessen Konstruktion, Fabrikation oder Instruktion hinzuwirken.373 Hinsichtlich der Produkte, die bereits in Verkehr gebracht wurden, sind Art und Umfang der Reaktionspflicht jedoch stark umstritten. Als Mindeststandard hat sich etabliert, dass der Hersteller auf die Gefahr hinweisen und eine Warnung aussprechen muss.374 Über die Warnung hinaus kann der Hersteller direkt auf das Produkt einwirken und es zurückrufen, reparieren oder austaueine aktive Produktbeobachtung weder erforderlich noch zumutbar ist, vgl. Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 57. 366  BGH, NJW 1981, 1606, 1608. 367  BGH, NJW 1992, 560, 562. 368  BGH, NJW 1990, 906, 907; Michalski, BB 1998, 961, 963. 369  BGH, NJW 1987, 1009, 1010. Die Herstellerpflichten stehen dann möglicherweise in Konflikt mit dem Lauterkeitsrecht, vgl. Hartmann, BB 2012, 267, 270 ff. 370  BGH, NJW 1981, 1606, 1607. 371  BGH, NJW 1990, 906, 908; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 61 f. 372  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 61. 373  BGH, NJW 1994, 3349, 3350; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 823 Rn. 845. 374  BGH NJW 2009, 1080, 1081; G. Wagner, VersR 2014, 905, 907 f.



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schen. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Rückrufmaßnahme im Einzelfall erforderlich und für den Hersteller zumutbar ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Die Rechtsprechung äußerte sich dazu nur spärlich. Unter § 4 wird dieser Punkt im Detail weiter erörtert. Eine höchstrichterliche Aussage erfolgte erstmals 2008 im „Pflegebetten“-Urteil, welches in § 5 analysiert wird. dd) Beweislastverschiebung Im Rahmen eines Anspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB trägt grundsätzlich der Geschädigte als Anspruchsteller die Beweislast für alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen.375 In einem Produkthaftungsfall müsste er unter anderem die dem Hersteller zuzurechnende Pflichtverletzung als Ursache des Produktfehlers beweisen. Das wird selten möglich sein, da er regelmäßig keinen Einblick in die Organisation und den Produktionsablauf des Herstellers hat.376 Dadurch wären die Erfolgsaussichten des Geschädigten erheblich geschmälert.377 Angesichts dessen entwickelte die Rechtsprechung das Beweisrecht bei der Produzentenhaftung zugunsten des Geschädigten bis hin zur „Waffengleichheit“378 fort: In der „Hühnerpest“-Entscheidung kehrte der BGH die Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung des Herstellers und dessen Verschulden um.379 Dies beruht auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten die Darlegungs- und Beweislast aller Umstände abzunehmen sind, die sich auf Interna des Herstellerunternehmens380 beziehen.381 Der Hersteller ist „näher daran“, den Sachverhalt aufzuklären und die Folgen der Be375  Sprau,

in: Palandt, BGB, § 823 Rn. 80. NJW 1969, 269, 274; Schlutz, DStR 1994, 707, 712. Auch ist die Suche nach Beweismitteln in der Sphäre des Herstellers, wie sie das angloamerikanische Recht in Form einer „pre-trial discovery“ kennt, nach deutschem Recht unzulässig, vgl. Prütting, AnwBl 2008, 153, 156. 377  D. Koch, S. 75 spricht in einem solchen Fall sogar von einer völligen Entwertung der deliktischen Vorschriften. Interessanterweise wurde diese Problematik bereits vor 100 Jahren bei den Anfängen der Produkthaftung erkannt. Im 1915 vom Reichsgericht entschiedenen „Brunnensalz“-Fall wurde eine Haftung nach § 831 BGB bejaht, obwohl die Klägerin den Verrichtungsgehilfen nicht benennen konnte. Man könne, so das Reichsgericht, von der Klägerin nicht einen Beweis hinsichtlich Interna der Fabrik verlangen, vgl. RGZ 87, 1, 3. Die folgende Rechtsprechung stellte diesen Gedanken jedoch wieder zurück, vgl. nur BGH, BGH, Urteil vom 21.04.1956 – VI ZR 36/55 = BeckRS 1956, 31371324. 378  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 22. 379  BGH, NJW 1969, 269, 274 f. 380  Die Beweislastumkehr gilt umfassend sowohl bei Groß- als auch Kleinstbetrieben, vgl. BGH, NJW 1988, 2049 ff. 381  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 858. 376  BGH,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

weislosigkeit zu tragen.382 Bei den verbleibenden Beweisstufen sind überdies diverse Erleichterungen in Form von Anscheins- und Indizienbeweisen anzutreffen.383 Die Beweislast verteilt sich wie folgt:384 Der Geschädigte muss darlegen und ggf. beweisen, dass das Produkt fehlerhaft war, dass der Fehler in der Sphäre des Herstellers begründet war und dass der Fehler kausal für die Rechtsgutsverletzung und den Schaden war. Gelingt dies, wird vermutet, dass der Produktfehler auf einer dem Hersteller vorzuwerfenden Sorgfaltspflichtverletzung beruht. Der Hersteller muss dann den Entlastungsbeweis antreten, dass es in seinem Organisations- und Gefahrenbereich zu keiner Sorgfaltspflichtverletzung kam, für die er einstehen muss.385 Durch die Beweislastverschiebung wird im Prinzip in den Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB eingegriffen, der bei der Produzentenhaftung wie folgt lauten müsste: „Wer als Produzent durch ein von ihm hergestelltes fehlerhaftes Produkt das Leben, den Körper usw. eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, es sei denn, dass er nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.“386 Im „Hühnerpest“-Urteil wurde die Beweislastumkehr für Fabrikationsfehler387 und in weiterer Rechtsprechung auch für Konstruktionsfehler388 bestätigt. Differenzierter vorgegangen wird bei Instruktions- und Produktbeobachtungsfehlern. Bei Instruktionsfehlern wird die Beweislastumkehr beibehalten, 382  BGH,

NJW 1969, 269, 275. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 29, 30 ff. In der Praxis sind diese Beweiserleichterungen teils nur von begrenztem Wert und leicht zu erschüttern, vgl. beispielhaft Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1526 S. 3 f., 6, 10, 16. 384  BGH, NJW 1969, 269, 274 f.; BGH, NJW 1981, 1603, 1605. 385  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 62. 386  Angelehnt an Laumen, NJW 2002, 3739, 3742, der auf Schwab, in: FS für Bruns, 505, 507 aufbaut. Da die Sorgfaltspflichtverletzung im Produktfehler kodiert ist, muss der Geschädigte implizit die Widerrechtlichkeit in Form des Produktfehlers beweisen. 387  In weiterer Rechtsprechung wurden bei Fabrikationsfehlern von MehrwegGlasflaschen weitere Beweislasterleichterungen bei Verstößen des Herstellers gegen eine sogenannte „Befundsicherungspflicht“ in Betracht gezogen, vgl. BGH, NJW 1988, 2611, 2613 ff. (Limonadenflasche), bestätigt durch BGH, NJW 1993, 528, 529 (Mineralwasserflasche I) und BGH, NJW 1995, 2162, 2164 f. (Mineralwasserflasche II). In solchen Fällen muss der Geschädigte nicht mehr den Beweis führen, dass der Fehler der Sphäre des Herstellers zuzuordnen ist. Von der Literatur wird dies kritisiert, vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn.  56 m. w. N. und Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1526 S.  13 f. 388  BGH, Urteil vom 28.09.1970 – VIII ZR 166/68 = BeckRS 1970, 30404653, B.III.2.b. 383  Ausführlich



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wenn das Produkt bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens damit behaftet war.389 Wenn erst nach Inverkehrbringen des Produkts ein sogenannter nachträglicher Instruktionsfehler390 auftritt, bleibt es beim Geschädigten, die objektive Pflichtverletzung zu beweisen, d. h., dass die Produktgefahr etwa aufgrund allgemein zugänglicher Veröffentlichungen oder Benutzererfahrungen erkannt werden konnte. Gelingt dieser Beweis, wird ein Verschulden des Herstellers vermutet.391 Für Produktbeobachtungsfehler gilt dasselbe Prinzip. Der Geschädigte muss beweisen, dass eine bestimmte Produktgefahr durch Produktbeobachtung objektiv erkennbar war, der Hersteller muss sich hinsichtlich seines Verschuldens entlasten.392 Die Aufteilung der Beweislast zwischen Pflichtverletzung und Verschulden bei Instruktions- und Produktbeobachtungsfehlern trägt dem Gedanken Rechnung, dass eine Beweislastumkehr nur bei betriebsinternen Umständen angebracht ist, d. h., wo sich eine Beweisnot des Geschädigten einstellt. Bei nachträglichen Instruktionsfehlern und Produktbeobachtungsfehlern liegt die Ursache der Pflichtverletzung außerhalb des Betriebs des Herstellers. Die Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Herstellers sind hoch und nicht leicht zu erfüllen.393 Er wird im Nachhinein nur zu führen sein, wenn eine umfangreiche Dokumentation über Entwicklung und Herstellung des Produkts bereits angelegt wurde.394 Nur wenige Hersteller konnten sich in Produkthaftungsprozessen mit Erfolg entlasten.395 Im Ergebnis hebt sich damit die deliktische Produzentenhaftung beweisrechtlich erheblich von der allgemeinen deliktischen Haftung ab und nähert sich einer Gefährdungshaftung an.396 Durch die Verschiebung der Beweislast zugunsten des Geschädigten und die strengen Anforderungen an den Entlastungsbeweis des Herstellers hat die Rechtsprechung die Produzentenhaftung zu einem „scharfen Schwert“ des Geschädigten gemacht.397 389  BGH,

NJW 1992, 560, 562. in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1526 S. 29 f. 391  BGH, NJW 1981, 1603, 1605 f. 392  Das ergibt sich aus den „Apfelschorf“-Entscheidungen BGH, NJW 1981, 1603, 1605 f. und BGH, NJW 1981, 1606, 1608. Vgl. auch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 108; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1526 S. 31 f.; Sack, BB 1985, 813, 819. 393  Katzenmeier, JuS 2003, 943, 947. Zum Umfang vgl. Foerste, in: Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 65 ff. 394  Zur Dokumentation vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 167 f. 395  Kötz/G. Wagner, Rn.  615. Dort wird als seltenes Gegenbeispiel genannt OLG Koblenz, NJW-RR 1999, 1624, 1625 ff. Ein weiteres Beispiel findet sich bei BGH, NJW-RR 1992, 283 f. 396  Schwab/Löhnig, Rn.  396 f. 397  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 20 Rn. 1. 390  Kullmann,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

c) Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB In Produkthaftungsfällen kommt auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Betracht. Der Gesetzgeber lässt durch die Norm demjenigen Schutz zukommen, der durch die Verletzung eines zu seinem Schutz erlassenen Gesetzes zu Schaden kommt. In der Systematik des § 823 BGB ahndet Absatz 1 die Verletzung subjektiven und Absatz 2 die Verletzung objektiven Rechts. Die deliktischen Verkehrssicherungspflichten zählen dabei nicht als Schutzgesetz und wurden stattdessen in Absatz 1 verortet.398 Ein Vorteil von Absatz 2 für den Geschädigten ist die zusätzliche Abdeckung von Vermögensschäden, falls das Schutzgesetz das Vermögen schützt.399 Vorschriften im Produkthaftpflichtbereich, die Schutzgesetze beinhalten, sind groß an der Zahl und nehmen stetig zu.400 Als wichtiges Schutzgesetz hervorzuheben ist § 3 ProdSG, welcher die allgemeine Anforderung stellt, nur sichere Produkte auf dem Markt bereitzustellen. Auch werden Instruktionspflichten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 ProdSG) und Warnungen, Rücknahme- und Rückrufaktionen (§ 6 Abs. 2 ProdSG) erwähnt. Kommt der Hersteller einer solchen ihm auferlegten Pflicht nicht nach, ist es denkbar, aufgetretene Schäden über § 823 Abs. 2 BGB zu liquidieren.401 In Produkthaftungsfällen ist die praktische Bedeutung von § 823 Abs. 2 BGB jedoch stark begrenzt. Erstens ist die Reichweite des Anspruchs auf den sachlichen und persönlichen Schutzbereich des jeweiligen Gesetzes beschränkt. Das Produktsicherheitsgesetz etwa schützt nur die Sicherheit und Gesundheit von Personen und geht somit bei Sach- oder reinen Vermögensschäden ins Leere.402 Gleiches gilt für den persönlichen Schutzbereich: Für den Geschädigten entsteht ein Anspruch nur dann, wenn er zu dem Personen-

398  BGH, NJW 1987, 2671, 2672; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 31 Rn. 5; Fuchs/Pauker/Baumgärtner, S. 106; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 E 4. 399  Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 56. Dieser Vorteil wird dadurch relativiert, dass viele Schutzgesetze nicht das Vermögen, sondern nur einzelne Rechtsgüter schützen, vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 32 Rn. 8. 400  Nicht abschließende Auflistung bei Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 32 Rn. 12 ff. und Gutch, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1601 S. 9 ff. 401  Vgl. § 2 III. 2. c) zu der Frage, inwieweit eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht über § 823 Abs. 2 BGB zivilrechtliche Relevanz erlangen kann. 402  Vgl. hierzu Lenz, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 2440 S. 14, wobei dennoch auf den Einzelfall abzustellen ist, da einzelne ProdSG-Verordnungen den Schutzbereich erweitern können. Zu der Problematik bereits beim Vorgängergesetz vgl. Klindt, GPSG, § 4 Rn. 10.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung89

kreis gehört, dessen Schutz das Gesetz bezweckt.403 Die Reichweite eines Anspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB ist demzufolge für jeden Einzelfall anhand des Schutzgesetzes zu prüfen. Zweitens greifen Schutzgesetze in der Regel nur auf allgemeine Mindeststandards zurück, die häufig unterhalb der Sorgfaltsforderungen der Verkehrssicherungspflichten liegen.404 Bei Personen- und Sachschäden besteht demnach im Vergleich zu § 823 Abs. 1 BGB kaum ein exklusiver Anwendungsbereich.405 Drittens kann der Gesetzgeber nur bekannten Gefahren vorbeugen, wobei selbst hierfür eine lückenlose Erfassung durch entsprechende Vorschriften vorauszusetzen ist. Eine gesetzliche Normierung, die den Verkehr und die Herstellung aller Waren vollständig erfasst, ist praktisch unmöglich.406 Angesichts dieser Aspekte erstaunt es nicht, dass Rechtsprechung und Literatur die Produzentenhaftung in § 823 Abs. 1 BGB verankert haben. d) Haftung aus § 826 BGB § 826 BGB sanktioniert die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung und ergänzt als grobmaschiger Auffangtatbestand die Haftung aus § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Da eine Rechtsguts- oder Schutzgesetzverletzung nicht vorausgesetzt wird, deckt die Norm – weiter als § 823 Abs. 1 BGB – auch Vermögensschaden ab.407 Ein Anspruch aus § 826 BGB kann bei einem Produkthaftungsfall zwar einschlägig sein, in der Praxis ist die Norm aufgrund ihres engen Anwendungsbereichs jedoch nur von geringer Bedeutung.408 Eine sittenwidrige Schädigung setzt besonders gravierende Verhaltensfehler und damit eine größere Verwerflichkeit voraus als ein vorsätzlicher Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht.409 Die Rechtsprechung legt bei Produkthaftungsfällen die Anspruchsvoraussetzungen zwar großzügig aus,410 ist aber 403  Beispielsweise werden von § 3 Abs. 1 und Abs. 2 ProdSG nur die Personen geschützt, die dem Produkt erst nach Inverkehrbringen ausgesetzt sind, nicht aber etwa Mitarbeiter des Herstellers, die das Produkt herstellen, vgl. Lenz, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 2440 S. 13, oder Personal, welches das Produkt auf Messen vorstellt, vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 32 Rn. 7. 404  Zu deren Verhältnis vgl. § 2 III. 1. a). 405  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 867, 871. 406  Diederichsen, S. 80. 407  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 35 Rn. 1. 408  Diederichsen, S. 84; Katzenstein, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3000 S. 8, 13. 409  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 35 Rn. 5. 410  Vgl. BGH, VersR 1958, 672 f. in welchem das wissentliche Inverkehrbringen von fehlerhaften Produkten als sittenwidrig eingestuft wurde.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

trotzdem zurückhaltend bei der Bejahung einer Haftung.411 Darüber hinaus ergibt sich regelmäßig eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB und dem Produkthaftungsgesetz mit jeweils deutlich geringeren Anforderungen. Eine gewisse Bedeutung wäre § 826 BGB im Falle eines unterlassenen Rückrufes zuzusprechen. In Abhängigkeit der gefährdeten Güter kann eine sittliche Pflicht zur Reaktion bestehen, bei deren Unterlassung der Hersteller haftet.412 Zwar ist dann auch eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB gegeben, aber über § 826 BGB erstreckt sich die Haftung zusätzlich auf Vermögensschäden. 4. Haftung aus dem Produkthaftungsgesetz Seit dem 1. Januar 1990 besteht neben den §§ 823 ff. BGB und dem Vertragsrecht eine dritte zivilrechtliche Haftungsschiene in Form des Produkthaftungsgesetzes. Es basiert auf der EG-Produkthaftungsrichtlinie413 und führte eine verschuldensunabhängige Haftung414 für fehlerhafte Produkte ein. Intention des europäischen Gesetzgebers war es, europaweit ein einheitliches Haftungsregime zu etablieren und dadurch Wettbewerbsverzerrungen zu mindern, den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern und den Verbraucher besser zu schützen.415 Die Produkthaftungsrichtlinie ist vollharmonisierend416 und regelt den Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bei der Produktgefährdungshaftung abschließend.417 Sie berührt aber nicht andere Haftungsgrundlagen wie das Vertrags- oder das allgemeine Deliktsrecht. Das ist zugleich ihre Achillesferse, da sich deswegen die Haftungsordnungen der Mitgliedstaaten weiterhin unterscheiden und noch nicht von nennenswerter Rechtsvereinheitlichung und Rechtssicherheit gesprochen werden kann.418 411  Vgl. Katzenstein, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3000 S. 16 f. mit dem Beispiel OLG Düsseldorf, NJW-RR 1990, 732, 734. 412  So bei RGZ 163, 21, 25 f. Siehe auch Katzenstein, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3000 S. 15 f. 413  Richtlinie 1985/374/EWG des Rates vom 25.07.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. 414  Zur dogmatischen Einordnung der Haftung vgl. Fn. 146. 415  Vgl. Erwägungsgründe RL 85/374/EWG. 416  Sie überlässt es jedoch den Mitgliedsstaaten, auch Entwicklungsrisiken der verschuldensunabhängigen Haftung zu unterstellen, Art. 15 Abs. 1 lit. b RL 85/374/ EWG. Die meisten Mitgliedstaaten – inklusive Deutschland – haben von dieser Option aber keinen Gebrauch gemacht, vgl. G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, ProdHaftG § 1 Rn. 49. 417  EuGH, EuZW 2002, 574 Rn. 25. 418  Freitag, S.  1 ff.; Riehm, EuZW 2010, 567, 569 f.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung91

Abgesehen von Einzelaspekten419 erreicht das Produkthaftungsgesetz im Wesentlichen keine Haftungsverschärfung über das Deliktsrecht hinaus420 und unterliegt zudem diversen Einschränkungen. Sachschäden an beruflich genutzten Sachen und an der Sache selbst sind nicht abgedeckt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG), und der in § 11 ProdHaftG verankerte Selbstbehalt von 500 Euro sorgt dafür, dass kleinere Schäden wieder über § 823 Abs. 1 BGB abgewickelt werden müssen. Bei Personenschäden ist pro Produkt oder Produktklasse mit gleichem Fehler die Haftsumme auf insgesamt 85 Millionen Euro begrenzt, bei mehreren Verletzten verringert sich nach § 10 ProdHaftG die Summe anteilsmäßig. Bei einem großflächig vertriebenen Produkt und mehreren Verletzten wird diese Summe schnell ausgeschöpft sein bzw. die Ersatzsumme pro Geschädigtem sehr klein werden.421 Ein weiterer beweisrechtlicher Nachteil findet sich in § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG, nach welchem der Hersteller die Fehlervermutung widerlegen und den geschädigten Kläger leicht in Beweisnot bringen kann.422 Aus diesen Gründen spielt das ProdHaftG im Vergleich zu § 823 Abs. 1 BGB eine untergeordnete Rolle.423 Seit einer Änderung im Jahr 2002424 hat es zumindest etwas an praktischer Relevanz gewonnen, da Ansprüche auf Schmerzensgeld ermöglicht wurden, welche bislang exklusiv dem sonstigen Deliktsrecht vorbehalten waren.425 Der Wortlaut des Produkthaftungsgesetzes enthält keine Pflicht zur Produktbeobachtung. Als zentrales Merkmal der Herstellerpflichten wird vielmehr das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produkts in den Mittelpunkt gestellt, welches – anders als die Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB – nicht an ein Verschulden anknüpft. Nach § 3 ProdHaftG liegt ein Fehler vor, wenn ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände und des Gebrauchs im Zeitpunkt des Inverkehrbringens erwartet werden kann. Auch wenn der Fehlerbegriff eigens definiert wird, ist er in der Praxis deckungsgleich mit den deliktischen Fallgruppen 419  Das Produkthaftungsgesetz beinhaltet im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB auch eine Haftung für Ausreißer, vgl. Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 143 und G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Einl ProdHaftG Rn. 19. 420  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Einl ProdHaftG Rn. 21. 421  Niedrige Haftungshöchstsummen werden oftmals bei Gefährdungshaftungstatbeständen kritisiert, vgl. nur G. Hager/Leonhard, ZRP 1998, 302, 303. 422  Katzenmeier, JuS 2003, 943, 948. 423  Katzenmeier, JuS 2003, 943, 944; Oechseler, in: Staudinger (2014), Einl ProdHaftG Rn. 52; Medicus/Petersen, Rn. 650; tendenziell auch Deutsch/Ahrens, Rn. 397. 424  Art. 9 Abs. 3 Nr. 1 des zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002, BGBl. I S. 2674. 425  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Einl ProdHaftG Rn. 24.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

der Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler.426 Eine „Pflicht“ zur Produktbeobachtung ergibt sich indirekt nur insofern, als der Hersteller erkannte Sicherheitsprobleme bei der zukünftigen Produktion weiterer Produkte berücksichtigen muss. Diese wären ansonsten als fehlerhaft einzustufen.427 Da im Übrigen jedoch allein auf das Inverkehrbringen abgestellt wird, erfasst das Produkthaftungsgesetz nicht den Bereich der Produktbeobachtung und kennt demzufolge keine Warn- oder Rückrufpflichten.428 5. Verjährung a) Regelverjährung Kaufvertragliche Ansprüche verjähren nach § 438 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB grundsätzlich nach zwei Jahren ab der Ablieferung der Kaufsache. Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz verjähren nach drei Jahren ab Kenntnis des Schadens, Fehlers und Ersatzpflichtigen (§ 12 Abs. 1 ProdHaftG) und erlöschen zehn Jahre nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts (§ 13 Abs. 1 ProdHaftG). Die Verjährung deliktischer Ansprüche richtet sich nach den allgemeinen Verjährungsregeln der §§ 195, 199 BGB. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt am Ende des Jahres, in welcher der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Die Verjährungshöchstfrist beträgt bei Personenschäden 30 Jahre nach dem schadensauslösenden Ereignis (§ 199 Abs. 2 BGB) – hier das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produktes – und bei Sachschäden zehn Jahre nach Entstehung des Anspruchs bzw. 30 Jahre nach dem schadensauslösenden Ereignis, je nachdem, welche Frist die kürzere ist (§ 199 Abs. 3 BGB). Der Hersteller kann in der Regel davon ausgehen, dass er 30 Jahre nach Inverkehrbringen eines spezifischen Produkts keinen Schadensersatzforderungen mehr ausgesetzt wird.429

426  BGH, NJW 2009, 2952, 2953; Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, Rn. 138. 427  Oechseler, in: Staudinger (2014), § 3 ProdHaftG Rn. 115; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 1 ProdHaftG Rn. 59. 428  Oechseler, in: Staudinger (2014), § 3 ProdHaftG Rn. 112; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 1 ProdHaftG Rn. 59. 429  In Abhängigkeit der Regeln zur Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung §§ 203 ff. BGB, vgl. Ellenberger, in: Palandt, § 199 Rn. 42. Auch beziehen sich die Fristen auf das individuelle Produkt; bei einer Serienfertigung ist eine fortgesetzte Handlung anzunehmen und damit eine neue Verjährungsfrist für jede



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung93

b) Höchstfristen und Begrenzung der Rückrufpflicht Die Thematik der Verjährungshöchstfristen weist im Falle der Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten eine Besonderheit auf, da die Verletzungshandlung in Form der Pflichtverletzung nicht bei, sondern erst nach dem Inverkehrbringen des Produkts erfolgen kann. Entweder erkennt der Hersteller eine Gefahr nicht und verletzt damit seine Produktbeobachtungspflicht, oder er wehrt eine erkannte Gefahr nicht in dem ihm obliegenden Maße ab und verletzt seine Reaktionspflicht. In beiden Fällen liegt ein Unterlassen vor, das bis zur (gegebenenfalls erneuten) Reaktion des Herstellers andauert. Dadurch schiebt sich, folgt man dem Wortlaut des Gesetzes, der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns auf unbestimmte Zeit hinaus. Insbesondere bei Produkten, die bereits vor Jahren oder Jahrzehnten auf dem Markt gebracht wurden oder die eine lange Lebensdauer aufweisen, wären Ansprüche auf Grundlage der Verletzung der Produktbeobachtungspflicht auch nach weit mehr als 30 Jahren nach Inverkehrbringen des Produkts denkbar.430 Da dies zu unsachgemäßen Ergebnissen führen und die Haftungsrisiken von Unternehmen drastisch erhöhen kann, wird diskutiert, ob die Pflichten des Herstellers nach Inverkehrbringen des Produkts zeitlich begrenzt werden sollen. Abzuwägen sind dabei Gläubigerschutz auf der einen und Schuldnerschutz und Rechtsfrieden auf der anderen Seite.431 Bei der Produktbeobachtungspflicht geht die herrschende Meinung im Schrifttum davon aus, dass diese zwar nicht endet, wohl aber im Laufe der Zeit von einer aktiven zur passiven Beobachtung abgeschwächt werden kann.432 Differenzierter wird bei den Reaktionspflichten vorgegangen. Bei bestehender Produktbeobachtungspflicht bleibt auch weiterhin die (Mindest-)Pflicht zur Warnung bestehen, wohingegen bei weitergehenden Rückrufpflichten angesichts der starken wirtschaftlichen Belastung des Herstellers eher Grenzen gefordert werden. Dabei geht es nicht um eine Frage der Verjährung, also der Anspruchsdurchsetzung, sondern um die Frage, ob die Entstehung eines Schadensersatzanspruchs bereits an der ungeschriebenen Voraussetzung scheitert, dass eine Rückrufpflicht nur zeitlich begrenzt ab Inverkehrbringen eines Produkts bestehen kann. Hierfür werden verschiedene Zeiträume ins Feld geführt. DarEinzelhandlung, also jedes einzelne Produkt, vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 41 Rn. 3. 430  Vgl. Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 134. 431  Zusammenfassend Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 238 ff. 432  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 385 f.; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 57 f.; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 242; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823, Rn. 512.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

unter finden sich etwa die durchschnittliche Lebensdauer des Produkts,433 eine Frist von 10 Jahren, die sich am Rechtsgedanken des § 13 ProdHaftG orientiert,434 oder eine Frist von 30 Jahren, die sich nach den Verjährungshöchstfristen der Produzentenhaftung richtet, welche sich aus § 199 Abs. 2, 3 Satz 1 Nr. 2 BGB ergeben.435 Die Diskussion im Schrifttum steht hier erst am Anfang,436 ebenso wie eine Klärung durch höchstrichterliche Rechtsprechung noch aussteht.437 Im Rahmen dieser Arbeit soll die Frage aber nicht weiter vertieft werden. 6. Anspruchskonkurrenzen Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB und Vertrag stehen nebeneinander und können kumulativ verwirklicht werden, es besteht Anspruchskonkurrenz.438 Gleiches gilt ausdrücklich nach § 15 Abs. 2 ProdHaftG für Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz.439 Einzig das Verhältnis von § 826 BGB zu den übrigen Anspruchsgrundlagen ist gekennzeichnet durch eine praktische Subsidiarität, die nicht aus rechtlichen, sondern aus praktischen Gründen wegen des schwierigen Beweises der vorsätzlichen Begehung erfolgt.440

III. Öffentlich-rechtliche Produktverantwortung Dem öffentlich-rechtlichen Produktsicherheitsrecht fallen zwei Aufgaben zu: Erstens formuliert es Anforderungen an die Beschaffenheit von Produkten und zweitens stellt es den zuständigen Behörden Mittel zur Verfügung, diese Anforderungen durchzusetzen.441 Die öffentlich-rechtliche Produktverantwortung ergibt sich primär aus dem Produktsicherheitsgesetz, das als 433  Schmidt,

S. 118. in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 243. 435  Schmidt, S. 118 ff., wenn die Nutzungsdauer 30 Jahre überschreitet. 436  So Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 234. 437  Die zeitliche Beschränkung einer Rückrufpflicht wurde gerichtlich bislang nicht angesprochen. Hinsichtlich der Produktbeobachtungspflicht hat sich die Rechtsprechung nur vereinzelt geäußert und diese dann beschränkt, vgl. LG Frankfurt a. M., NJW 1977, 1108, 1108 und OLG Karlsruhe, VersR 1978, 550, 550 f. 438  Sprau, in: Palandt, Vor 823 Rn. 8 ff.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor 823 Rn. 78. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes, wie sie an anderer Stelle im Zivilrecht durchaus erfolgen kann, kommt für das Produkthaftungsrecht nicht in Betracht, vgl. A. Staudinger/Czaplinski, JA 2008, 401, 403. 439  von Westphalen, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 56 Rn. 11. 440  Oechsler, in: Staudinger (2014), § 826 Rn. 135. 441  G. Wagner, BB 1997, 2489. 434  Lenz,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung95

jüngste Iteration der allgemeinen Produktsicherheitsgesetze442 diverse Gesetze und Verordnungen unter einem Dach vereint.443 Es stellt die Anforderung, nur solche Produkte auf dem Markt bereitzustellen, die bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Anwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährden (§ 3 Abs. 1 und 2 ProdSG). Bekannt gewordene Produktgefahren müssen den Aufsichtsbehörden gemeldet werden.444 Der Begriff „Produkt“ ist weit gefasst und umfasst eine kaum überschaubare Anzahl an europäisch harmonisierten und nicht harmonisierten Produkten,445 darunter etwa die breiten Spektren der technischen Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte.446 Mögliche behördliche Maßnahmen sind in § 26 Abs. 2 ProdSG aufgelistet und reichen von Verzögerung oder Verbot der Markteinführung bis hin zur Anordnung eines Rückrufs. Daneben stehen Spezialgesetze, die sich auf jeweils bestimmte Produktgruppen beziehen.447 Wichtige Beispiele sind das Arzneimittelgesetz und das Medizinproduktgesetz.448 Wenn sich in ihnen entsprechende oder weitergehende Vorschriften befinden, findet das Produktsicherheitsgesetz keine Anwendung (§ 1 Abs. 4 ProdSG). Es wirkt aber ergänzend, wenn die Spezialgesetze nur Teilaspekte regeln. Ebenso ist es für sonstige Produkte anwendbar, die nicht in einem Spezialgesetz geregelt sind.449 Insofern ist es als 442  Als kurzer Geschichtsabriss: Das erste Produktsicherheitsgesetz in Deutschland trat 1997 in Kraft (Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Schutz der CE-Kennzeichnung vom 22. April 1997 I 934) und basierte auf der Produktsicherheitsrichtlinie (RL 92/59/EG vom 29.06.1992, ABl. 1992 Nr. L 228/24). Eine 2001 erlassene neue Produktsicherheitsrichtlinie (RL 2001/95/EG vom 03.12.2001, ABl. 2002 L 11/4) wurde in Deutschland 2004 mit dem GPSG (Geräteund Produktsicherheitsgesetz vom 06.01.2004 I 2, 219) umgesetzt, welches gleichzeitig das erste Produktsicherheitsgesetz ersetzte. Das GPSG trat schließlich am 01.12.2011 außer Kraft und wurde durch das neue Produktsicherheitsgesetz ersetzt (Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt – Produktsicherheitsgesetz vom 08.11.2011, BGBl. I S. 2178, 2179; 2012 I S. 13), das zurzeit gilt. 443  Zum Anwendungsbereich vgl. Kapoor/Klindt, NVwZ 2012, 719, 720. 444  Zur Meldepflicht vgl. Klindt/Wende, S.  16 ff. 445  Zum sachlichen Anwendungsbereich siehe Kapoor/Klindt, NVwZ 2012, 719, 720. 446  Lenz, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 2440 S. 15 ff. 447  Eine nicht abschließende Übersicht findet sich bei Foerste, in: Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 32 Rn. 12 ff. und Gutch, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1601 S. 9 ff., welche für § 823 Abs. 2 BGB relevante Schutzgesetze der Produktsicherheit auflisten. 448  Arzneimittelgesetz (AMG) vom 12.12.2005, BGBl. I S. 3394; Medizinproduktgesetz (MPG) vom 07.08.2002, BGBl. I S. 3146. 449  Tremml/Luber, NJW 2013, 262. Bestimmte Produktgruppen sind ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, § 1 Abs. 3 ProdSG. Dazu zählen insbesondere Lebens- und Futtermittel, weswegen das Produktsicherheitsgesetz auch als das

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

„Allgemeiner Teil“ des Produktsicherheitsrechts zu verstehen.450 Die Struktur von allgemeinen und speziellen Sicherheitsgesetzen ist sowohl historisch der Gesetzgebungstraditionen geschuldet, als auch sachlich durch die unterschiedlichen Eigenschaften und Gefährdungspotentiale der verschiedenen Produktgruppen bedingt.451 1. Verhältnis öffentlich-rechtlicher Normen zu anderen Rechtsgebieten a) Verkehrssicherungspflichten Bei Betrachtung einer öffentlich-rechtlichen Norm wie dem Produktsicherheitsgesetz wird deutlich, dass sich Aspekte der zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten dort wiederfinden. Die Anforderungen, die an die Sicherheit eines Produkts in § 3 ProdSG gestellt werden, weisen im Kern die gleiche Stoßrichtung wie die deliktischen Konstruktions- und Fabrikationspflichten auf. Ähnlich wie bei der deliktischen Instruktionspflicht wird der Hersteller in § 6 Abs. 1 Nr. 1 ProdSG dazu verpflichtet, dem Verwender alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die einen gefahrlosen Gebrauch des Produkts ermöglichen. Bei Produkten, die sich bereits auf dem Markt befinden, muss der Hersteller nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 ProdSG Stichproben durchführen und ein Gefahrenmanagementsystem einrichten, wie es auch die deliktische Produktbeobachtungspflicht verlangt. Vergleichbare Pflichten finden sich auch in anderen Spezialgesetzen der Produktsicherheit.452 Angesichts der Parallele stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis sich öffentlich-rechtliche Sicherheitsstandards und zivilrechtliche Verkehrssicherungspflichten befinden. So wird vertreten, dass öffentliches Sicherheitsrecht und privates Haftungsrecht harmonisiert werden sollten.453 Demnach dürften Risiken, die nach öffentlichem Sicherheitsrecht erlaubt sind, nicht zu privatrechtlicher Haftung führen. Das entspreche zum einen dem Postulat der Einheit der Rechtsordnung und würde zu mehr Rechtssicherheit führen.454 Zum anderen ergebe sich aber eine Parallelität der maßgeblichen Wertungskriterien im privaten Haftungsrecht und im öffentlich-rechtlichen Sicher„zentrale Gesetz für die Vermarktung von Non-Food Produkten“ bezeichnet wird, vgl. Kapoor/Klindt, NVwZ 2012, 719. 450  G. Wagner, VersR 2014, 905, 908. 451  G. Wagner, VersR 2014, 905, 908. 452  Hier sind insbesondere die sich aus dem Arzneimittelrecht ergebenden Pharmakovigilanzpflichten zu erwähnen, vgl. dazu G. Wagner, VersR 2014, 905, 908 f. 453  Marburger, VersR 1983, 597, 600 ff. 454  G. Wagner, BB 1997, 2541.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung97

heitsrecht auch daraus, dass die Schutzgüter in beiden Rechtsgebieten identisch sind.455 Die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur sind jedoch der Ansicht, dass deliktische Sorgfaltspflichten über öffentlichrechtliche Sicherheitsstandards hinausgehen können.456 Letztere enthalten kein abschließendes Verhaltensprogramm, sondern sind ergänzungsbedürftig: Der Hersteller muss selbst prüfen, welche Sicherheitsvorkehrungen notwendig sind. Gegebenenfalls muss er mehr tun, als Behörden oder öffentlichrechtliche Normen von ihm verlangen. Begründet wird dieses Verhältnis im Bereich des Produktsicherheits- und Produkthaftungsrechts damit, dass das Sicherheitsrecht nicht den Anspruch erhebt, Sicherheitsanforderungen an Produkte verbindlich und abschließend zu regeln.457 Es normiert lediglich einen Mindeststandard, über den der Hersteller hinausgehen kann und im Einzelfall auch muss, wenn er eine Haftung auf Schadensersatz vermeiden möchte.458 Im Ergebnis ist der Umfang der zivilrechtlichen Sorgfaltspflicht von Zivilgerichten festzulegen. Dem öffentlichen Sicherheitsrecht kommt dabei lediglich eine Hilfsfunktion zu: Eine Unterschreitung des öffentlich-rechtlich vorgegebenen Sicherheitsstandards bedeutet meist459 auch eine Verletzung einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht. Umgekehrt kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Einhaltung der Standards ausgeschlossen wird.460 b) Zivilrechtliche Produkthaftung Über § 823 Abs. 2 BGB hält das öffentlich-rechtliche Produktsicherheitsrecht Einzug in die zivilrechtliche Produkthaftung. Normen der Produktsicherheit können bei Schutzgesetzcharakter in zivilrechtliche Haftungstatbestände umgemünzt werden und eine weitere Haftungsschiene für den Her455  Marburger,

VersR 1983, 597, 602. NJW 1978, 419, 420; BGH, NJW 1987, 372, 373; BGH, NJW 1998, 2905, 2906 f. Zustimmend Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 42 ff., 48; Klindt, GPSG, § 4 Rn. 76; G. Wagner, Produktrückruf, 51, 62. 457  Vgl. G. Wagner, Produktrückruf, 51, 62; ders., BB 1997, 2541, 2542. Es ist beispielsweise denkbar, dass die Vorgaben des öffentlichen Sicherheitsrechts nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. 458  G. Wagner, BB 1997, 2541, 2542. 459  Dem Hersteller steht der Nachweis offen, das geforderte Sicherheitsniveau auf andere Art und Weise, als es das Produktsicherheitsrecht vorschreibt, erreicht zu haben. 460  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 43 f.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 815. 456  BGH,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

steller eröffnen.461 Auch wenn es viele derartige Normen gibt, führt das in der Praxis nur selten zu einer über § 823 Abs. 1 BGB hinausgehende Haftungsverschärfung.462 c) Strafrecht Aus strafrechtlicher Perspektive bilden die Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände des Produktsicherheitsgesetzes und der Spezialgesetze das sogenannte Nebenstrafrecht.463 2. Öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht a) Herleitung Die Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Sicherheitsstandards obliegt der zuständigen Behörde, der zu diesem Zweck ein Katalog von Maßnahmen vom jeweils einschlägigen Gesetz an die Hand gegeben wird. Die Behörde hat die Maßnahme anzuordnen, die situationsbedingt erforderlich ist,464 um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen. Darunter kann die Anordnung eines Rückrufs fallen. Eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht ergibt sich für einen Hersteller dann, wenn eine Behörde im Rahmen ihrer Kompetenzen einen Rückruf anordnet.465 Ermächtigungsgrundlagen für einen Rückruf finden sich sowohl in den Spezialgesetzen für bestimmte Produktgruppen466 als auch in dem weiter gespannten Produktsicherheitsgesetz. Da eine Rückrufpflicht aus dem Produktsicherheitsgesetz angesichts des weiten sachlichen Anwendungsbereichs der Vorschrift von größerer Bedeutung ist, sollen die folgenden Ausführungen an ihrem Beispiel erfolgen.467 Die Anordnung eines Rückrufs ist nach § 26 Abs. 2 461  G. Wagner,

BB 1997, 2541, 2542. die Ausführungen zu § 823 Abs. 2 BGB in § 2 II. 3. c). 463  Siehe § 2 IV. 464  Zur Problematik der Rechtmäßigkeit von hoheitlich angeordneten Maßnahmen vgl. Tremml/Luber, NJW 2013, 262 ff. und G. Wagner, BB 1997, 2489, 2495. 465  Foerste, DB 1999, 2199, 2200. 466  Zum Beispiel in § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG und § 28 Abs. 2 Satz 2 MPG (vgl. Fn. 448). 467  Die Geschichte des Rückrufs in den allgemeinen Produktsicherheitsgesetzen (vgl. dazu Fn. 442) gestaltet sich wie folgt: Das Produktsicherheitsgesetz von 1997 ermöglichte eine Rückrufanordnung in § 9 ProdSG a. F., wobei der deutsche Gesetzgeber dabei über den Mindestinhalt der umzusetzenden Produktsicherheitsrichtlinie hinausging. Auf Ebene der europäischen Union wurde eine allgemeine Rückrufkom462  Vgl.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung99

Satz 2 Nr. 7 ProdSG als eine der Maßnahmen möglich, die der zuständigen Marktüberwachungsbehörde zur Verfügung stehen. Als Neuerung im Vergleich zu den Vorgängergesetzen ist § 26 Abs. 4 ProdSG hervorzuheben, nach welchem die Behörde einen Rückruf zwingend anzuordnen hat, wenn ernste Risiken für die Sicherheit und Gesundheit von Personen bestehen.468 b) Praktische Relevanz In der Praxis ist die Relevanz angeordneter Rückrufe bei einem sicherheitsrelevanten Produktfehler trotz der weitreichenden Befugnisse öffentlichrechtlicher Behörden noch gering. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist ein entsprechender Verwaltungsakt nicht notwendig, wenn der Hersteller von sich aus schadensverhindernde Maßnahmen freiwillig einleitet.469 In vielen Fällen wird er das tun, da es in seinem ureigenen Interesse liegt, bei einem sicherheitsrelevanten Fehler von sich aus tätig zu werden, um den zivilrechtlichen Folgen zu begegnen und Imageschäden abzuwenden. Behörden können dem Hersteller auch einen „freiwilligen“ Rückruf nahelegen und gegebenenfalls dieser Empfehlung mit dem Hinweis auf ihre Kompetenzen Nachdruck verleihen.470 Insofern können die behördlichen Befugnisse zur Anordnung eines Rückrufs eine indirekte Wirkung entfalten, auch wenn von ihnen kein Gebrauch gemacht wird. Eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht entsteht dadurch freilich nicht. Dazu bedarf es erst einer behördlichen Anordnung. Zum anderen ist die Problematik des Vollzugsdefizits als Wirkungsgrenze des öffentlichen Rechts zu beachten.471 Angesichts knapper personeller und petenz erst durch die 2001 erlassene neue Produktsicherheitsrichtlinie eingeführt. Im das ProdSG a. F. ersetzenden GPSG war unverändert die Anordnung eines Rückrufs möglich, § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 7 GPSG. Im Rahmen der Ersetzung des GPSG durch das neue ProdSG am 01.12.2011 wurde die Ermächtigungsgrundlage zur Anordnung eines Rückrufs in § 26 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 ProdSG verortet. 468  In der Praxis ist das problematisch, da eine kurzfristige, belastbare Feststellung eines solchen „ernsten Risikos“ mangels ausreichender Ressourcen bei den Behörden Schwierigkeiten bereiten wird. Auch wird die zwingende Anordnung nur für den – seltenen – Fall relevant sein, dass der Hersteller selbst nicht tätig wird. Führt er im Gegenzug wirksame Maßnahmen durch, muss die Behörde nach § 26 Abs. 3 ProdSG ihre angeordnete Maßnahme widerrufen oder entsprechend abändern und wird daher im Zweifel wohl eher von einer Anordnung absehen. Vgl. zu beiden Aspekten Kapoor/Klindt, NVwZ 2012, 719, 724. 469  G. Wagner, Produktrückruf, 51, 56  f. Vgl. auch die Ausführungen zu § 26 Abs. 3 ProdSG, Fn. 468. 470  Schmidt, S. 15; G. Wagner, Produktrückruf, 51, 57. 471  Allgemein zum Vollzugsdefizit G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 441 f.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

sachlicher Ressourcen werden die zuständigen Behörden nur schwerlich in der Lage sein, alle sich auf dem Markt befindenden Produkte angemessen zu überwachen, von einer zeitnahen Umsetzung einer Rückrufanordnung ganz zu schweigen.472 Selbst bei optimaler Mittelausstattung werden Behörden im Vergleich zum Hersteller immer noch in einer schlechteren Position sein, Informationen über dessen Produkt zu sammeln und auszuwerten.473 Hersteller sind zwar durch ihre Meldepflicht dazu angehalten, mit den Behörden zu kooperieren und sie über Gefahren zu informieren, doch wird dieser Pflicht nicht immer nachgekommen.474 Zuletzt können behördliche Rückrufanordnungen im Lichte des Bestimmtheitsgebots Schwierigkeiten bereiten. Eine Behörde, die einen Rückruf anordnet, geht immer einen Spagat ein: Auf der einen Seite muss sie dem öffentlich-rechtlichen Bestimmtheitserfordernis nach § 37 Abs. 1 VwVfG475 genügen und für den Adressaten hinreichend präzisieren, was von ihm ge­ fordert ist. Die Behörde hat dabei die aus ihrer Sicht gebotenen konkreten Maßnahmen selbst festzulegen, eine allgemein gehaltene Anordnung eines Rückrufs genügt in der Regel nicht.476 Auf der anderen Seite wird sie realistischerweise weder genügend Ressourcen noch Sachkenntnis noch Informationen über das Produkt haben, um für jeden Einzelfall die passenden Maßnahmen präzise festlegen zu können.477 Jede Rückrufkonstellation ist anders und erfordert eine auf den Einzelfall maßgeschneiderte Herangehensweise.478 In der Regel ist der Hersteller in einer besseren Position, die komplexe Planung „seines“ Rückrufs zu übernehmen.

472  Klindt, NVwZ 2008, 1073, 1074 stellt fest, dass „im technischen Produktsicherheitsrecht die verwaltungsbehördliche Vollziehung […] letztlich nicht wahrnehmbar existiert“. 473  Schmidt, S.  14 f. 474  Gauger/Hartmannsberger, NJW 2014, 1137, 1140 f. 475  Verwaltungsverfahrensgesetz vom 23.01.2003, BGBl. I S. 2012. 476  OVG Münster, NVwZ 2009, 925, 926 f.; kritisch dazu Klindt, NVwZ 2009, 891 ff. 477  Klindt, NVwZ 2009, 891, 893 umschreibt recht drastisch: „[M]an mag sich nicht ausmalen, wie […] für das Ziel einer bestimmtheitsrechtlich rechtsfesten Rückrufanordnung eine Amtsentscheidung durch verbeamtete Rückruf-Laien getroffen wird.“; ders., GPSG, § 8 Rn. 91: „In der Praxis erfordert die […] Durchführung eines Produktrückrufs sehr viel juristischen, technischen, vertrieblichen und journalistischen Sachverstand, dessen Kulmination in einer behördlichen Anordnung derzeit […] als eher unwahrscheinlich eingeschätzt werden dürfte.“ 478  Klindt, NVwZ 2009, 891, 893 f.



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung101

c) Zivilrechtliche Relevanz Kommt ein Hersteller einer öffentlich-rechtlichen Rückrufverpflichtung nicht nach und wird durch das betreffende Produkt ein Schaden verursacht, stellt sich für den Geschädigten die Frage, inwieweit sich daraus zivilrechtliche Konsequenzen ergeben. Denkbar ist eine Haftung des Herstellers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Verletzung eines Schutzgesetzes. Am Beispiel des Produktsicherheitsgesetzes soll erörtert werden, ob bei einer öffentlich-rechtlichen Anordnung eines Rückrufs ein Schutzgesetz vorliegt, auf dessen Verletzung ein Schadensersatzanspruch gestützt werden kann. Dabei ist zu klären, welche Komponente eines angeordneten Rückrufs als Schutzgesetz einzuordnen wäre. Zu denken wäre erstens an die Ermächtigungsgrundlage in § 26 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 ProdSG, welche die Anordnung des Rückrufs ermöglicht. Vereinzelt wird vertreten, dass diese Regelung einen Schutzgesetzcharakter hat, da sie untrennbar mit § 3 ProdSG – der Anforderung, nur sichere Produkte in Verkehr zu bringen – verbunden ist.479 Da § 3 ProdSG als Schutzgesetz einzuordnen ist,480 dürfe nichts anderes für die Ermächtigung zu einem Rückruf gelten. Die Ansicht verkennt jedoch, dass die Ermächtigungsgrundlage den Hersteller nicht zu einem Rückruf verpflichtet, sondern lediglich die Behörde dazu befugt, einen Rückruf anzuordnen.481 Eine Einordnung als Schutzgesetz scheidet daher aus. Zweitens könnte der behördliche Verwaltungsakt der Rückrufanordnung als Schutzgesetz eingestuft werden. Nach Art. 2 EGBGB ist ein Gesetz im Sinne des BGB „jede Rechtsnorm“. Kennzeichen einer Rechtsnorm ist, dass eine abstrakt-generelle Regelung gesetzt wird. Ein Verwaltungsakt bezieht sich aber auf eine Einzelfallregelung und erfüllt dieses Kriterium nicht.482 Somit ist auch eine behördliche Rückrufanordnung nicht als Schutzgesetz einzuordnen. Für sich allein erfüllen weder Ermächtigungsgrundlage noch konkreter Verwaltungsakt die Anforderungen an ein Schutzgesetz. Die Rechtsprechung löst das Problem durch einen ganzheitlichen Ansatz: Ein Schutzgesetz liegt vor, wenn Gesetz und Verwaltungsakt gemeinsam im Zusammenhang betrachtet werden und die Ermächtigungsgrundlage mittels des Verwaltungsakts konkretisiert wird.483 Schutzgesetz ist dann die 479  Spindler,

NJW 2004, 3145, 3149. in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 2440 S. 4 m. w. N. 481  Foerste, DB 1999, 2199, 2200; Lenz, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 2440 S. 10; G. Wagner, Produktrückruf, 51, 57. 482  Looschelders, SR BT, Rn. 1282; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 823 Rn. 493. 483  BGH, NJW 1993, 1580; BGH, NJW 2004, 356, 357; Stöhr, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1601 S. 2 f.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 823 Rn. 494. 480  Lenz,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Ermächtigungsgrundlage in der Gestalt, welche sie durch den Verwaltungsakt erhält.484 Missachtet ein Hersteller eine behördliche Rückrufanordnung, hat das demnach zur Folge, dass er sich einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Verletzung der durch die Rückrufanordnung konkretisierten Ermächtigungsgrundlage § 26 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 ProdSG aussetzt. In der Praxis spielt diese Haftungsschiene jedoch keine Rolle.485 Zum einen ist nur in Ausnahmefällen anzunehmen, dass sich ein Hersteller einer behördlichen Anordnung widersetzt.486 Zum anderen wird in einem Schadensfall bereits eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB und § 1 ProdHaftG gegeben sein, welche jeweils unabhängig von der Missachtung einer Rückrufanordnung besteht und damit an geringere Voraussetzungen – lediglich den Nachweis eines Produktfehlers – geknüpft ist. Die Haftungsschiene wäre nur in folgender Situation relevant: Es liegt erstens ein Produktfehler vor, der dem Hersteller nicht vorzuwerfen ist, da es sich um einen Entwicklungsfehler handelt. Zweitens ist der Hersteller im Rahmen seiner deliktischen Sorgfaltspflichten nur dazu verpflichtet, vor der Gefahr zu warnen. Bei erfolgter Warnung ist die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz scheidet wegen § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG aus. Erfolgt in dieser Konstellation die behördliche Anordnung eines Rückrufs, welcher sich der Hersteller mit dem Verweis auf die fehlende zivilrechtliche Rückrufpflicht verweigert, ist an eine Haftung zu denken. Die Konstellation, dass eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht besteht, ohne dass eine zivilrechtliche Rückrufpflicht vorliegt,487 ist aber unwahrscheinlich.488

484  Foerste,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 32 Rn. 2. Produktrückruf, 51, 59. 486  Etwa dann, wenn die Rückrufanordnung offensichtlich rechtswidrig ist. 487  Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Rückrufpflicht wird in der Regel auch eine zivilrechtliche Rückrufpflicht bedingen, vgl. dazu das Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Sicherheitsstandards zu den Verkehrssicherungspflichten auf S. 96 f. 488  G. Wagner, Produktrückruf, 51, 59 kommt zum gleichen Ergebnis, wählt aber die Begründung, dass bei einem Entwicklungsfehler eine deliktische Rückrufpflicht prinzipiell zu verneinen und auch eine öffentliche Rückrufverfügung rechtswidrig ist. Dies widerspricht jedoch den Aussagen des BGH im „Pflegebetten“-Urteil, vgl. dazu unten § 5 V. 2. a). 485  G. Wagner,



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung103

IV. Strafrechtliche Produktverantwortung 1. Grundlagen im Kern- und Nebenstrafrecht Die strafrechtliche Produktverantwortung,489 auch strafrechtliche Produkthaftung genannt,490 fußt auf den beiden Säulen des Kern- und des Nebenstrafrechts. Eine Strafbarkeit kann sich zunächst aus dem allgemeinen Strafrecht, dem Kernstrafrecht des Strafgesetzbuches, ergeben, wenn ein Verhalten, etwa das Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte, oder ein Unterlassen bei Garantenstellung, etwa eine gebotene Reaktion auf eine entdeckte Produktgefahr, einen gesetzlichen Straftatbestand erfüllt, sowie Pflichtwidrigkeit und Verschulden vorliegen. Da Vorsatz in der Praxis selten vorliegt491 und nach § 15 StGB fahrlässiges Handeln nur strafbar ist, wenn es ausdrücklich mit Strafe bedroht ist, kommen als relevante Tatbestände für die Produkthaftung hauptsächlich die fahrlässige Tötung, § 222 StGB, und die fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, in Betracht.492 Eine „fahrlässige Sachbeschädigung“ existiert hingegen nicht.493 Die Materie der strafrechtlichen Produkthaftung bietet einige Besonderheiten. Da das deutsche Recht die Strafbarkeit einer juristischen Person de lege lata nicht kennt,494 ist eine Individualisierung auf den oder die Verantwortlichen innerhalb des Unternehmens notwendig.495 Mit der Suche nach den strafrechtlich verantwortlichen Personen einher geht das Problem der Kausalität bei Gremienentscheidungen496 und die Schwierigkeit, die (Mit-)Ursächlichkeit einer Handlung einer einzelnen Person innerhalb einer komplexen Unternehmensstruktur nachzuweisen.497 Generell bereitet die Feststellung der Kausalität bei Produkthaftungsfällen oftmals Schwierigkeiten: Zum einen ist der Nachweis, dass der tatbestandsmäßige Erfolg auf dem (angeblich)

489  Winkelbauer,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 80. Jähnke, JURA 2010, 582 ff. und B. Meier, NJW 1992, 3193 ff. Den Begriff kritisierend Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 1. 491  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 5; Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, § 80 Rn. 22. 492  Für weitere relevante Straftatbestände siehe Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, § 80 Rn. 21. 493  Vgl. Veltins, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S. 119  f.; Wieck-Noodt, in: Joecks/Miebach, MünchKomm-StGB, § 303, Rn. 63. 494  Kühl, Strafrecht AT, § 2 Rn. 9, § 10 Rn. 7. 495  Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 103a. Vgl. auch B. Meier, NJW 1992, 3193, 3194 f. 496  Jähnke, JURA 2010, 582, 585. 497  Molitoris, in: Heussen/Hamm, Rechtsanwaltshandbuch, § 27 Rn. 181. 490  Etwa

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

fehlerhaften Produkt beruht, nicht immer leicht zu führen.498 Zum anderen stößt die klassische „conditio sine qua non“-Formel dort an Grenzen, wo eine Kausalität bei naturwissenschaftlichen Zusammenhängen kaum hergestellt werden kann und damit die Frage aufgeworfen wird, inwieweit die juristische Kausalität in Unklarheit der naturwissenschaftlichen Kausalität bejaht werden kann.499 Weiterhin suchen geschädigte Verbraucher eher den Schadensausgleich im Zivilverfahren, als dass sie Strafanzeige erstatten.500 Aufgrund dieser Aspekte hat die strafrechtliche Produktverantwortung eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung.501 Dennoch beinhaltet sie aus Unternehmensperspektive ein großes Risikopotential, wenn es tatsächlich zu einem Strafverfahren kommen sollte.502 Neben dem Kernstrafrecht des Strafgesetzbuches findet sich ein „echtes Produktstrafrecht“ im sogenannten Nebenstrafrecht,503 das sich auf mehrere Spezialgesetze für bestimmte Produktgruppen verteilt.504 Bereits erwähnte Beispiele505 sind das Arzneimittelgesetz, das Medizinproduktgesetz und das allgemeine Produktsicherheitsgesetz. Deren Aufbau ist ähnlich: Kern der Gesetze stellen Verhaltensvorschriften dar, die für Herstellung und Vertrieb bestimmter Produkte aufgestellt werden. Die Missachtung der Verhaltensvorschriften wird je nach Schwere des Verstoßes als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat eingeordnet.506 Bemerkenswert dabei ist, dass es noch nicht zwingend zu einem Schaden gekommen sein muss. Vielmehr unterstellen die Gesetze bereits bei Verletzung der Verhaltensvorschriften die Gefährdung von Rechtsgütern.507 Mit der Anknüpfung an eine bloß abstrakte Gefährdung entfällt das oben geschilderte Problem der Kausalität zwischen fehlerhaftem

498  Lenz,

in: Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 46. den bedeutenden Produkthaftungsfällen „Contergan“ (LG Aachen, JZ 1971, 507 ff.), „Lederspray“ (BGH, NJW 1990, 2560 ff.) und „Holzschutzmittel“ (BGH, NJW 1995, 1153 ff.) konnte die Ursache der Schäden, d. h. der konkrete Wirkungsmechanismus, nicht ermittelt werden. Vgl. zu der Thematik auch Jähnke, JURA 2010, 582, 585 f. und Kühne, NJW 1997, 1951 ff. 500  Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, §  80 Rn.  2 f.; ähnlich Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 1 Rn. 6. Eine andere Einschätzung trifft dagegen Veltins, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S. 121. 501  Auch Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 1. 502  Zu möglichen Folgen Veltins, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S. 120 f. und Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 80 Rn. 12 ff. 503  Kühne, NJW 1997, 1951, 1954. 504  Eine Übersicht findet sich bei Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 59 f. 505  Vgl. Fn. 448. 506  Beispielsweise in §§ 95 ff. AMG, §§ 40 ff. MPG und §§ 39 f. ProdSG. 507  Vgl. Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 59. 499  In



§ 2  Das Rechtsgebiet der Produkthaftung105

Produkt und eingetretenem Schaden.508 Das Nebenstrafrecht wirkt damit präventiv, noch bevor „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist.509 Jenseits davon gelten die gleichen Überlegungen wie für das Kernstrafrecht. 2. Rückruf im Strafrecht Die Existenz einer strafrechtlichen Rückrufpflicht wurde 1990 in der „Lederspray“-Entscheidung höchstrichterlich bestätigt.510 Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte ein Lederspray gesundheitsschädigende Auswirkungen an den Tag gelegt. Die Geschäftsführung des herstellenden Unternehmens sah zunächst von einer Rückrufaktion zu Gunsten einer Warnaktion ab, da Untersuchungen keine Anhaltspunkte für die Gefährlichkeit des Produkts aufgezeigt hatten. Trotz eines später erfolgten Rückrufs wurden hohe Geldund Freiheitsstrafen aufgrund der bereits eingetretenen Gesundheitsschäden verhängt. Der BGH bejahte in seiner Grundsatzentscheidung511 eine Pflicht des Herstellers zur Schadensverhinderung in Form eines Rückrufs, welche sich aus einer Garantenstellung aus vorangegangenem, pflichtwidrigem Gefährdungsverhalten (Ingerenz) ergebe.512 Die strafrechtliche Verantwortlichkeit leitete er aus der zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflicht der Produktbeobachtung ab.513 Auch wenn die Bejahung der Rückrufpflicht von der Literatur im Ergebnis als richtig eingestuft wurde, erntete die Begründung des BGH, die Garantenstellung auf Ingerenz zurückzuführen, starke Kritik, da Ingerenz ein pflichtwidriges Verhalten voraussetzt, im „Lederspray“-Fall jedoch die Gefährlichkeit des Produkts bei Inverkehrbringen nicht erkennbar gewesen war.514 Auch wenn von der Literatur infolge diverse Lösungsversuche entwickelt wurden, die Garantenstellung anderweitig zu begründen,515 ist es letztlich eine Frage des „dogmatischen Geschmacks“, welchem Ansatz gefolgt wird.516

508  Kühne,

NJW 1997, 1951, 1954. in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 80

509  Winkelbauer,

Rn. 1.

510  BGH, NJW 1990, 2560 ff. Vgl. Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966 ff. für eine der vielen Urteilsbesprechungen. Zur strafrechtlichen Rückrufpflicht vgl. Kuhlen, in: FS für Eser, S. 359 ff. 511  Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966 f. 512  BGH, NJW 1990, 2560, 2563 f. 513  BGH, NJW 1990, 2560, 2562 f. 514  Kühl, JA 2014, 507, 511; B. Meier, NJW 1992, 3193, 3196. A. A. Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 80 Rn. 15 f. 515  Zu den Vorschlägen Kühl, Strafrecht AT, § 18 Rn. 103 Fn. 223 m. w. N. 516  Jähnke, JURA 2010, 582, 584.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Vom „Lederspray“-Fall losgelöst ergibt sich folgendes Bild: Bringt der Hersteller ein Produkt in den Verkehr, von dessen gesundheitlichen Risiken er weiß oder im Nachhinein erfährt, kann die Geschäftsführung517 eine strafrechtliche Gefahrabwendungspflicht in Gestalt eines Rückrufs treffen. Werden keine ausreichenden Maßnahmen durchgeführt, ergibt sich bei Erfolgseintritt eine Strafbarkeit, etwa bei Personenschäden wegen (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Körperverletzung durch Unterlassen nach §§ 223, 229 i. V. m. 13 Abs. 1 StGB.518 3. Einfluss des Strafrechts auf Produzentenhaftung Gewissermaßen hat das Strafrecht gegenüber dem Zivilrecht eine Vorreiterrolle im Hinblick auf Produktverantwortung und Rückruf gespielt.519 Die in der „Lederspray“-Entscheidung bejahte Rückrufpflicht aus Garantenstellung wurde von Teilen des zivilrechtlichen Schrifttums und der Rechtsprechung als Grundlage einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht herangezogen.520 Auch das Jahr 1968, das für die zivilrechtliche Produzentenhaftung von entscheidender Bedeutung ist, stand im Schatten eines strafrechtlichen Verfahrens. Während im September 1968 der 47. Juristentag das Thema der Produzentenhaftung behandelte,521 legte der BGH in der „Hühnerpest“-Entscheidung nur zwei Monate später den Grundstein der deliktischen Produzentenhaftung.522 Beide Ereignisse standen thematisch in enger Verbindung zum „Contergan“-Prozess, der zuvor im Mai desselben Jahres vor der Großen Strafkammer des LG Aachen begonnen hatte523 und die Thematik der Produkthaftung in das Licht der – nicht nur juristischen – Öffentlichkeit stellte.524 Die strafrechtliche Rechtsprechung hat die zivilrechtliche Produzentenhaftung insofern maßgeblich beeinflusst.525

517  Bei einem Rückruf gilt der Grundsatz der Generalverantwortung und der Allzuständigkeit der Geschäftsleitung, vgl. BGH, NJW 1990, 2560, 2565. Erläuternd Schmidt-Salzer, NJW 1990, 2966, 2967 ff. Daneben besteht in Grenzen die Möglichkeit, dass sich einzelne Mitarbeiter innerhalb ihres Verantwortungsbereichs strafbar machen, vgl. dazu Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 53 f. 518  Vgl. Kühl, JA 2014, 507, 511. 519  Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 5. 520  Zum „Lederspray“-Urteil siehe § 4 II. 3. b). 521  Weber/Stürner/Krause, JZ 1968, 714, 715 ff. 522  Siehe § 2 II. 3. a). 523  Der Prozess begann am 27.05.1968. Zum Urteil vgl. LG Aachen, JZ 1970, 507 ff. 524  Ficker, in: FS für Duden, 93. 525  Auch Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 2 Rn. 1.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 107

§ 3  Der Rückruf im Unternehmen In diesem Kapitel werden drei Aspekte behandelt, die aus der Sicht eines herstellenden Unternehmens im Rahmen eines Rückrufs besondere Relevanz erlangen. Einleitend wird erläutert, an welcher Stelle ein Rückrufmanagement im Unternehmen verortet ist, welche wirtschaftlichen und rechtlichen Notwendigkeiten dem zugrunde liegen und inwieweit sich ein Rückruf versichern lässt (I.). Die beiden darauffolgenden Abschnitte behandeln das Verhältnis zwischen Hersteller und Zulieferer. Es wird gezeigt, wie sich deliktische Herstellerpflichten und Haftung verteilen, wenn bei der Herstellung eines Produkts neben dem Hersteller auch ein Zulieferer beteiligt ist (II.). Hat der Hersteller einen Rückruf durchgeführt, dessen Ursache auch auf einen Zulieferer zurückzuführen ist, stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage der Hersteller einen Regress durchführen kann (III.). Bei den letzten beiden Aspekten wird der Bezug zum Umfang der Reaktionspflichten hergestellt.

I. Rückruf aus Unternehmensperspektive 1. Der Rückruf im Risikomanagement In einem Unternehmen ist der Rückruf im Risikomanagement verortet. Er ist eine der Maßnahmen eines Katalogs, mittels derer ein Unternehmen auf sicherheitsrelevante Fehler von Produkten, die bereits in den Verkehr gebracht wurden, reagieren kann. Der Prozess, der sich mit dem Umgang solcher Produkte beschäftigt, wird auch „Rückrufmanagement“ genannt. Zu dessen Aufgaben gehören die Produktbeobachtung, die Auswertung und Einschätzung der gesammelten Daten und die Auswahl und Durchführung von Reaktionsmaßnahmen.526 Dabei handelt es sich erkennbar um eine Konkretisierung der Prinzipien des allgemeinen Risikomanagements: Risiken sollen erkannt, bewertet und gesteuert werden. Der Begriff „Rückrufmanagement“ ist insofern leicht falsch zu verstehen, als erstens „Rückruf“ im weiteren Sinne als Gefahrenabwehrmaßnahme definiert wird und auch Warnungen beinhaltet und zweitens der Begriff über die logistische Abwicklung eines Rückrufs – das „Managen eines Rückrufs“, wie es der Wortlaut nahelegt – weit hinausgeht.527 Das Rückrufmanagement ist wiederum ein Bestandteil des sogenannten Produktintegritätsmanagements, dessen Aufgabe im weitesten Sinne die Vermeidung von Produktfehlern jeglicher Art sowohl vor als auch nach Inver526  Klindt/Wende, 527  Klindt/Wende,

S. 4, 49 ff. S.  3 f.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

kehrbringen ist.528 Der After-Sales Bereich wird vom Rückrufmanagement abgedeckt und soll Produktbeobachtungsfehler und die Verletzung von sich aus der Beobachtung ergebenden Reaktionspflichten vermeiden. Der PreSales Bereich beschäftigt sich mit der Vermeidung von Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehlern vor Inverkehrbringen des Produkts. Das Produktintegritätsmanagement als Ganzes geht schließlich in das allgemeine Risikomanagement eines Unternehmens auf. 2. Motive für ein Rückrufmanagement a) Wirtschaftliche Notwendigkeit Das vordergründige Motiv für die Installation eines Rückrufmanagements ist das eines jeden Risikomanagementsystems: die wirtschaftliche Notwendigkeit, sich auf Risiken einzustellen.529 Aufgrund der Verantwortung für die eigenen Produkte sieht sich ein Unternehmen erheblichen Risiken ausgesetzt,530 die sich bei Auftreten eines Produktfehlers, der Schäden nach sich zieht, realisieren können. Im Vergleich zu anderen unternehmensbedingten Risiken nimmt das Risiko durch fehlerhafte Produkte eine herausragende Stellung ein531 und berührt sowohl finanzielle, reputationsbezogene als auch rechtliche Aspekte.532 Während harmlosere Fälle lediglich zu einer Delle in der Bilanz führen, kann ein Unternehmen bei einem flächendeckend auftretenden, Personen gefährdenden Produktfehler schnell in seiner Existenz bedroht werden.533 Ein wirksames Rückrufmanagement steuert auftretende Produktrisiken, vermeidet oder minimiert Reputationsschäden und Schadensersatzansprüche und sichert das langfristige Überleben eines Unternehmens. 528  Der Begriff wird von Klindt/Wende, S. 4 in Anlehnung an den im englischen Sprachraum gebräuchlichen Begriff des „product integrity management“ verwendet. Nach anderer Perspektive kann Rückrufmanagement aber auch der Compliance zugeordnet werden, vgl. Klindt, CCZ 2008, 81 ff. 529  Vgl. auch Brödermann, NJW 2012, 971, 972. 530  Siehe die treffende Überschrift „Produzieren ist gefährlich“ bei Klindt, Finance 2012, 64. 531  Vgl. Hauschka, NJW 2004, 257, 258, der Produkthaftungsfälle unter Hervorhebung von Produktbeobachtungs- und Rückrufpflichten als eine der hauptsächlichen Quellen für Haftungsrisiken identifiziert. 532  Eine Umfrage unter Unternehmensleitungen ergab, dass finanzielle, reputationsbezogene und rechtliche Risiken (in der Reihenfolge) als die drei wichtigsten Faktoren eingeschätzt werden, mit denen sich das unternehmensinterne Risikomanagement auseinanderzusetzen hat. Vgl. Clifford Chance, Survey on business risks 2014, S. 14. 533  Vgl. auch die Aussage bei Klindt, CCZ 2008, 81, 82: „Jeder Rückruf ist eine unternehmensinterne Krise.“



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 109

Weiterhin ergibt sich die wirtschaftliche Notwendigkeit daraus, dass ein funktionierendes Rückrufmanagement Voraussetzung für einen effektiven Versicherungsschutz ist.534 Der Abschluss einer gesonderten RückrufkostenVersicherung ist ohne Nachweis eines Rückrufmanagementsystems kaum denkbar,535 genauso wie der Abschluss und gegebenenfalls die Höhe der Prämie einer Betriebshaftpflichtversicherung davon abhängen.536 Auch bei bereits bestehendem Versicherungsschutz kann ein unzureichendes Rückrufmanagement Versicherungsansprüche gefährden. Diese sind beispielsweise im Rahmen einer Rückrufkosten-Versicherung ausgeschlossen, wenn der Versicherungsfall durch bewusstes Abweichen von gesetzlichen Regelungen herbeigeführt wurde.537 Gleiches gilt für eine Produkthaftpflichtversicherung.538 Bei Verbraucherprodukten bestände durch ein fehlendes Rückrufmanagement ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 ProdSG. Ein weiterer Verstoß könnte über die Schadensminderungsobliegenheit aus § 254 BGB konstruiert werden.539 Auch sind bei einer Haftpflichtversicherung Versicherungsansprüche ausgeschlossen, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt wird.540 Hier könnte argumentiert werden, dass ohne Rückrufmanagement eine Ausweitung des Schadens zumindest billigend in Kauf genommen wurde.541 b) Rechtliche Aspekte Zu großem Teil fußt die wirtschaftliche Notwendigkeit eines Rückrufmanagementsystems auf rechtlichen Aspekten. Pflichten und Anreize zum Aufbau eines solchen finden sich im Zivilrecht, im Strafrecht und im öffentlichen Recht. Besonderheiten ergeben sich für Kapitalgesellschaften und Geschäftsführung. An erster Stelle stehen die Verkehrssicherungspflichten im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB und deren Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Der Pflicht zur Produktbeobachtung und gebotenen Reaktion kann nur über den Aufbau eines funktionierenden Rückrufmanagementsystems nachgekommen werden. Im Produkthaftungsgesetz findet sich eine solche Pflicht nicht. Es bietet jedoch mittelbar einen ähnlichen Anreiz, da der Hersteller eine Haftung für Schäden, die durch fehlerhafte Produkte verursacht wurden, vermei534  Dazu

gleich § 3 I. 3. CCZ 2008, 81, 82. 536  Klindt/Wende, S.  15 f. 537  Ziff. 6.2 RückrKB-Kfz bzw. Ziff. 6.3 RückrKB-HH. 538  Ziff. 6.2.4 ProdHB. 539  Klindt/Wende, S. 15. 540  Ziff. 7.1 AHB (vgl. Fn. 556). 541  Klindt/Wende, S.  14 f. 535  Klindt,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

den möchte. Nichts anderes ergibt sich aus dem Strafrecht, wo eine Pflicht zum Rückruf im Rahmen einer Garantenstellung bestehen kann.542 Dem strafrechtlichen Vorwurf kann durch den Aufbau eines Rückrufmanagements vorgebeugt werden. Im Gegensatz zu den indirekten Anreizen des Zivil- und Strafrechts findet sich im öffentlichen Sicherheitsrecht eine ausdrückliche Pflicht zum Aufbau eines Rückrufmanagementsystems. Das Produktsicherheitsgesetz legt dem Hersteller von Verbraucherprodukten die Verpflichtung auf, seine Produkte auf dem Markt zu beobachten (§ 6 Abs. 3 ProdSG) und Vorkehrungen für Reaktionsmaßnahmen zu treffen (§ 6 Abs. 2 ProdSG). Da ein Rückruf als Beispiel einer solchen Maßnahme explizit erwähnt wird, ist darin ein gesetzlicher Handlungsauftrag zum Aufbau eines Rückrufmanagements zu sehen.543 Interessanterweise wird ein Verstoß gegen diese Vorschriften in den Strafund Bußgeldvorschriften der §§ 39 f. ProdSG jedoch nicht sanktioniert, wodurch die Vorschrift größtenteils zum zahnlosen Tiger verkommt.544 Das ist aber insofern irrelevant, als eine straf- und zivilrechtliche Verantwortung trotzdem besteht. Letztere erstreckt sich zudem nicht nur auf Verbraucherprodukte, wodurch die Differenzierung nach § 6 ProdSG praktisch gegenstandlos wird. Außerhalb des Produktsicherheitsgesetzes finden sich ähnliche Vorgaben für ein Produktbeobachtungs- oder Rückrufmanagement in anderen Spezialgesetzen.545 Bei Kapitalgesellschaften ergibt sich aus gesellschaftsrechtlichen Regelungen eine Pflicht zum Aufbau eines Rückrufmanagementsystems. Aus der Leitungsverantwortung und Sorgfaltspflicht des Vorstands einer Aktiengesellschaft nach §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG lässt sich die Pflicht ableiten, ein Risikomanagementsystem einzurichten, welches gegebenenfalls ein Rückrufmanagement umfasst. Diese Pflicht wird ausdrücklich in § 91 Abs. 2 AktG geäußert,546 wobei es sich nur um eine positivrechtliche Fixierung der 542  Zur

strafrechtlichen Rückrufpflicht siehe § 2 IV. 2. S. 11. 544  Eine Relevanz ergibt sich allenfalls in Verbindung mit anderen Gesetzen oder Verträgen. Zu denken ist dabei etwa an § 823 Abs. 2 BGB, vgl. Lenz, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 2440 S. 5, und Versicherungsverträge, in: deren Rahmen der Verstoß gegen eine gesetzliche Pflicht den Versicherungsschutz erlöschen lässt, vgl. Ziff. 6.2 RückrKB-Kfz bzw. 6.3 RückrKB-HH. 545  Beispiele finden sich für Arnzeimittel bei den Pharmakovigilanzpflichten in §§ 62 ff. AMG und für Medizinprodukte in § 14 Abs. 1 Satz 2 Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) vom 24.06.2002, BGBl. I S. 2131. 546  Auch wenn § 91 Abs. 2 AktG nur von einer Risikofrüherkennung spricht, wird von der herrschenden Meinung anerkannt, dass die Pflicht die Etablierung eines Risikomanagements und die angemessene Ausgestaltung einer internen Revision beinhaltet. Vgl. Pauli/Albrecht, CCZ 2014, 17, 18. 543  Klindt/Wende,



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 111

bereits bestehenden Verantwortlichkeit handelt.547 Für die GmbH gilt hinsichtlich der Pflicht zum Risikomanagement grundsätzlich nichts anderes.548 Ergänzend weist auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK)549 in Ziffer 4.1.4 auf die Errichtung und in den Ziffern 5.2 und 5.3 auf die Kontrolle eines angemessenen Risikomanagements hin.550 Ein Abweichen davon hat die Aktiengesellschaft nach § 161 AktG offenzulegen und zu begründen. Einen besonderen Anreiz zur Errichtung eines Rückrufmanagementsystems hat die Geschäftsführung, die sich sonst dem Risiko einer persönlichen Haftung aussetzt. Zwar trifft die zivilrechtliche Verantwortung für fehlerhafte Produkte das Unternehmen als juristische Person, aber bei der Aktiengesellschaft ist der Vorstand nach § 93 Abs. 2 AktG bei der Verletzung seiner Pflichten der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Wird kein funktionierendes Risikomanagementsystem etabliert, ist regelmäßig ein Verstoß gegen die Pflichten aus §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 AktG und damit ein Organisationsverschulden des Vorstands anzunehmen. Auch der Aufsichtsrat macht sich ersatzpflichtig, wenn er seiner Aufgabe, den Vorstand bei der Ausübung seiner Tätigkeit – inklusive der Verpflichtung, ein Risikomanagementsystem einzurichten – zu überwachen, nicht nachkommt (§§ 111 Abs. 1, 116 i. V. m. 93 Abs. 2 AktG). Weiterhin trifft die strafrechtliche Verantwortung unabhängig von der Gesellschaftsform nicht das Unternehmen, sondern die Geschäftsführung,551 auch wenn das Unternehmen mittelbar durch die (Reputations-) Auswirkungen eines Strafverfahrens in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Zur Vermeidung von Geld- oder Haftstrafen liegt es hier im Interesse der Geschäftsführung, einem strafrechtlichen Vorwurf präventiv durch Einführung eines Rückrufmanagements keinen Raum zu geben. c) Ergebnis Im Unternehmen ist der Rückruf als Maßnahme im Risikomanagement angesiedelt. Die Errichtung eines Rückrufmanagementsystems ist ein zwingender Selbstschutz für das Unternehmen und verringert gleichzeitig das Haftungsrisiko der Geschäftsführung.

547  Spindler,

in: Wulf et al., MünchKomm-AktG, § 91 Rn. 1. Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 13/9712, S. 15; Spindler, in: Wulf et al., MünchKomm-AktG, § 91 Rn. 80. 549  Abrufbar unter www.dcgk.de. 550  Vgl. dazu Preußner, NZG 2004, 303, 304 ff. 551  Siehe dazu § 2 IV. 1. 548  Vgl.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

3. Rückruf und Versicherung a) Versicherungsschutz für einen Rückruf Im Haftungsrecht stellt die Versicherbarkeit von Schäden einen bedeutenden Faktor dar.552 Die reguläre Verschuldenshaftung bedingt eine Schadensverlagerung von demjenigen, der den Schaden erlitten hat, auf denjenigen, der den Schaden zu vertreten hat. Durch die Möglichkeit, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen und als Schädigender nach der Schadensverlagerung eine Versicherung ausgleichend in Anspruch zu nehmen, findet eine Schadensstreuung statt. Der Schaden wird vom Schädiger auf die Gemeinschaft umgewälzt. Das Prinzip der Schadensstreuung kann in modernen Industriegesellschaften dazu führen, dass sich die Haftung für Unternehmen im Bereich ihrer gewerblichen Aktivität von einer Verschuldenshaftung weg und zu einer Kausalhaftung mit Versicherung hin bewegt.553 Dabei ist abzuwägen zwischen der verminderten Präventivfunktion des Haftungsrechts auf der einen, und der Sicherstellung der unternehmerischen Freiheit auf der anderen Seite. In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie sich das Verhältnis von Rückrufkosten und Versicherung gestaltet und inwieweit ein Rückruf versicherbar ist. Die unternehmerische Tätigkeit begründet das Risiko, sich durch Schädigung Dritter Schadensersatzforderungen auszusetzen. Abhängig von Art und Ausmaß des schadensursächlichen Ereignisses wird ein Unternehmen dabei schnell an seine finanziellen Grenzen gebracht und in seiner Existenz gefährdet. Dieses Risiko wird durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung gesteuert. Sie ist in den §§ 100 ff. VVG geregelt, welche zusätzlich zu den Bestimmungen des Allgemeinen Teils des VVG, §§ 1–73 VVG, einschlägig sind. Laut § 100 VVG hat der Versicherer zwei Dinge zu leisten. Grundsätzlich ist der Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten aufgrund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache geltend gemacht werden. Abgedeckt sind gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts, die nicht auf die Erfüllung von Verträgen gerichtet sind, in erster Linie also deliktische und vertragliche Schadensersatzansprüche.554 Zweitens hat der Versicherer Unterstützung bei der Abwehr unbegründeter Ansprüche zu leisten. Die Haftpflichtversicherung für Unternehmen ist – in Abgrenzung zur Privathaftpflichtversicherung – die sogenannte BetriebshaftpflichtversicheBrüggemeier, S. 4 ff. für die folgende Darstellung. S.  4 f. 554  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 7 Rn. 3. 552  Vgl.

553  Brüggemeier,



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 113

rung (§ 102 VVG), welche die Gefahren eines Betriebes versichert. Ein Vertrag über eine Betriebshaftpflichtversicherung basiert meist auf den vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)555 gestellten Musterbedingungen, den „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung“ (AHB)556. Nach Ziff. 1.1 AHB besteht ein Versicherungsschutz für Sach-, Personen- und sich daraus ergebenden unechten Vermögensschäden. Verursacht also ein Produkt Sach- oder Personenschäden, können die Schadensersatzzahlungen als Versicherungsfall geltend gemacht werden. Davon abgesehen ist der hier angebotene Versicherungsschutz für produzierende Unternehmen jedoch nicht immer ausreichend, da Produkthaftpflichtfälle oft auch echte Vermögensschäden, d. h. ohne vorherigen Sach- oder Personenschaden, zur Folge haben. Um diese Versicherungslücke zu schließen, kann die Betriebshaftpflichtversicherung um Module einer Produkthaftpflichtversicherung ergänzt werden. Vor dem Hintergrund der sich in den 1970er-Jahren verschärfenden Produkthaftung – es sei nur an die Beweislastumkehr im Produkthaftpflichtprozess durch die „Hühnerpest“-Entscheidung des BGH557 erinnert – stellte der GDV 1973 Musterbedingungen für eine Produkthaftpflichtversicherung558 (ProdHB) zur Verfügung. Ziel war es, die Absicherung gegen das Haftungsrisiko für Produkte um reine Vermögensschäden, die nicht von den AHB erfasst waren, zu ergänzen.559 Da auch Rückrufkosten als reine Vermögensschäden zu klassifizieren sind, bietet sich der Gedanke an, dass bei Durchführung eines Rückrufs Versicherungsschutz besteht. Dem ist aber nicht so, da Rückrufkosten in Ziff. 6.2.8 ProdHB explizit ausgenommen sind. Grund ist, dass ein Rückruf ein Schadenspotential entfalten kann, welches sich in seinem Umfang erheblich von den Fällen der regulären Produkthaftpflicht unterscheidet.560 Deswegen wird das Rückrufrisiko durch ein separates Konzept gedeckt. 555  Näheres

auf http://www.gdv.de. Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung, Musterbedingungen des GDV, Februar 2016, abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-con tent/uploads/2016/02/AVB-fuer-die-Haftpflichtversicherung-AHB-Jan2016.pdf. 557  BGH, NJW 1969, 269 ff. Siehe § 2 II. 3. a). 558  Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben (Produkthaftpflicht-Modell), Januar 2015, abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2015/03/18-Pro dukthaftpflicht-Modell-Jan2015.pdf. 559  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 7 Rn. 8. Die Kernvorschriften dazu finden sich in Ziff. 4 ProdHB, vgl. dazu Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 7 Rn. 11, 23 ff. Hauptanwendungsfall sind insbesondere Kosten für den Austausch eigener mangelhafter Teile an einem Gesamtprodukt, vgl. Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 7 Rn. 34 und Thürmann, in: Langheid/Wandt, MünchKomm-VVG, 310. ProdHaftPV Rn. 136 f. 560  Thürmann, in: Langheid/Wandt, MünchKomm-VVG, 310. ProdHaftPV Rn. 315. 556  Allgemeine

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Wurde 1981 die Rückrufkosten-Versicherung561 zunächst im Automobilbereich eingeführt,562 stellt der GDV mittlerweile Musterbedingungen sowohl für Kfz-Zulieferer563 als auch andere Hersteller- und Handelsbetriebe564 zur Verfügung (RückrKB-Kfz bzw. -HH). Versichert ist nach beiden Regelwerken die gesetzliche Haftpflicht für Vermögensschäden, die aufgrund eines Rückrufs entstehen. Der Rückruf muss die zwei Voraussetzungen erfüllen, dass er erstens auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruht (Ziff. 2 RückrKBKfz bzw. -HH) und zweitens zur Vermeidung von Personenschäden durchgeführt wird (Ziff. 1.1 RückrKB-Kfz bzw. -HH). Ein Rückruf, der nur zur Vermeidung von Sachschäden durchgeführt wird, ist damit von dem Versicherungsschutz – selbst wenn eine gesetzliche Verpflichtung zum Rückruf besteht – nicht erfasst.565 Der Begriff „Rückruf“ wird im Rahmen der Versicherung weit ausgelegt. Er wird als Synonym für „Gefahrenabwehrmaßnahme“ verstanden und umfasst auch Warnungen. Unterschieden wird dabei zwischen Fremd- und Eigenrückruf. Bei einem Fremdrückruf lässt ein Hersteller ein Produkt zurückrufen, dessen Gefahrenpotential nicht von ihm, sondern von einem Zulieferer zu verantworten ist, und nimmt daraufhin den Versicherer des Zulieferers in Anspruch. Diese Konstellation ist häufig im Automobilbereich anzutreffen. Bei einem Eigenrückruf liegt die Verantwortung für das gefährliche Produkt allein beim rückrufenden Hersteller, der sich an seine Versicherung wendet, um die Kosten abzuwälzen.566 Die Musterbedingungen für sowohl Hersteller- und Handelsbetriebe als auch KfzZulieferer regeln beide Eigen- und Fremdrückrufe. 561  Der Begriff „Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung“, wie in der GDV verwendet, ist insofern irreführend, als die Versicherung keine Haftung, sondern nur Rückrufkosten abdeckt. 562  Kettler, PHi 2008, 52. 563  Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die RückrufkostenHaftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer, Musterbedingungen des GDV, Februar 2016; abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2016/02/Kfz-Rueck rufkosten_Feb2016.pdf. 564  Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die RückrufkostenHaftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe, Musterbedingungen des GDV, Februar 2016; http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2016/02/Rueckrufkosten_ Hersteller_Handel_Feb2016.pdf. 565  Unklar bleibt, ob für einen Rückruf, der neben Sachschäden auch Personenschäden verhindern soll, Versicherungsschutz besteht, vgl. Lenz, in: van Bühren, Versicherungsrecht, § 12 Rn. 193 f. m. w. N. Das sollte für die Fälle zu bejahen sein, in denen die Vermeidung von Personenschäden das primäre Motiv des Rückrufs ist. Die ausschließliche Gefährdung von Personen vorauszusetzen wäre schon deswegen zu eng gefasst, da viele Produkte, die Personen gefährden, gleichzeitig auch Sachen gefährden können. Zu denken ist etwa an das Auto mit defekten Bremsen, das ungebremst sowohl Personen verletzen als auch Sachen beschädigen kann. 566  Beckmann, r + r 1997, 265, 265.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 115

Inhaltlich umfasst der Versicherungsschutz insbesondere die Kosten für die Logistik eines Rückrufs und notwendige Reparaturarbeiten. Nicht umfasst ist die Bereitstellung neuer Teile oder eines neuen Produkts (Ziff. 6.6 RückrKBHH bzw. Ziff. 6.5 RückrKB-Kfz). Die Kosten eines Rückrufs, der neue Teile für eine Reparatur benötigt oder auf einen Austausch des Produkts ausgelegt ist, sind nicht in voller Höhe erstattungsfähig. Zeitlich ist der Schutz der Rückrufkosten-Versicherung auf drei Jahre nach Inverkehrbringen des Produkts begrenzt (Ziff.  10 RückrKB-HH bzw. Ziff. 12 RückrKB-Kfz). Diese Frist ist problematisch kurz, da ein Produktfehler, der einen Rückruf zur Folge hat, oft erst Jahre später festgestellt werden kann. Das gilt insbesondere für Entwicklungsfehler, die bei Inverkehrbringen noch nicht erkannt werden können. Dadurch werden aus Unternehmenssicht die Risikosteuerungsmöglichkeiten einer Rückrufkosten-Versicherung eingeschränkt. Risiken, die sich erst drei Jahre nach Inverkehrbringen manifestieren, sind nicht versicherbar. Eine vergleichbare Problematik findet sich beim Herstellerregress gegen den Zulieferer, der in der Regel nicht auf vertraglicher Basis stattfinden kann, da die Verjährungsfrist von zwei Jahren bereits verstrichen ist.567 Zwar ist die Frist bei einer Versicherung um ein Jahr länger, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ein Hersteller drei Jahre nach Inverkehrbringen eines Produkts keinen Versicherungsschutz mehr hat. b) Anspruch auf Kostenerstattung aus §§ 82, 83 VVG Wenn kein Versicherungsschutz durch eine Rückrufkosten-Versicherung besteht – sei es, weil die Dreijahresfrist verstrichen ist, sei es, weil keine solche Versicherung abgeschlossen wurde –, stellt sich die Frage, ob ein Rückruf nicht als Rettungsmaßnahme im Sinne der §§ 82, 83 VVG im Rahmen der regulären Betriebshaftpflichtversicherung zu verstehen wäre.568 Nach diesen Vorschriften hat der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen, § 82 Abs. 1 VVG. Solange der Versicherungsnehmer die hierfür getätigten Aufwendungen für geboten halten konnte, hat sie ihm der Versicherer zu erstatten, § 83 Abs. 1 VVG. Nach dem Wortlaut des Gesetzes gilt dies nur bei Eintritt des Versicherungsfalls, im Falle einer Haftpflichtversicherung also wenn ein Schaden entsteht. Bei einem Rückruf ist dieser Schaden charakteristischerweise jedoch noch nicht eingetreten. Der Wortlaut spricht zunächst dagegen, einen Rückruf als erstattungsfähige Rettungsmaßnahme einzuordnen. 567  Vgl. 568  Zu

dazu § 3 III. 2. §§ 62, 63 VVG a. F. siehe Beckmann, r + s 1997, 265 ff.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Vor der Reform des VVG befanden sich diese Regelungen in den §§ 62, 63 VVG a. F. Damals war umstritten, ob es statt des Eintritts des Versicherungsfalls nicht bereits genügen würde, wenn der Versicherungsfall unmittelbar bevorstand. Von Vertretern der „Vorerstreckungstheorie“ wurde eben das vertreten – dass sich der Erstattungsanspruch vorerstreckt, wenn der Versicherungsfall unmittelbar bevorsteht – und explizit auch für Rückrufkosten angewandt.569 Der BGH hatte sich ebenfalls der Vorerstreckungstheorie angeschlossen. Er bezog sich dabei jedoch lediglich auf die Sachversicherung und ließ es ausdrücklich offen, ob für die Haftpflichtversicherung etwas anderes gelte.570 Bei der Neufassung des VVG, die 2007 in Kraft trat, griff der Gesetzgeber den Gedanken der Rechtsprechung auf und kodifizierte die Vorerstreckungstheorie in § 90 VVG. In der Gesetzesbegründung wurde jedoch ausdrücklich bestätigt, dass die Norm nur bei Sachversicherungen einschlägig wäre.571 Eine Anwendung bei der Haftpflichtversicherung scheidet daher aus.572 Damit entfällt die Grundlage, Rückrufkosten nach § 83 VVG erstatten zu lassen.573 c) Ergebnis Rückrufkosten sind weder von Betriebs- noch Produkthaftpflichtversicherungen umfasst und bedürfen einer eigenen Rückrufkosten-Versicherung. Eine solche Versicherung umfasst alle Gefahrenabwehrmaßnahmen inklusive Warnungen. Ein Unternehmen, welches eine Gefahrenabwehrmaßnahme durchführt und vorher eine Rückrufkosten-Versicherung abgeschlossen hat, kann von der Versicherung nur dann Kostenerstattung verlangen, wenn für die Maßnahme eine gesetzliche Verpflichtung in Form einer deliktischen Pflicht aus § 823 Abs. 1 BGB oder einer behördlichen Anordnung bestand und die Maßnahme der Vermeidung von Personenschäden diente. Weiterhin muss der Rückruf innerhalb von drei Jahren nach Inverkehrbringen des Produkts erfolgen. Problematisch bleiben die Fälle, in denen eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist. Das betrifft Gefahrenabwehrmaßnahmen, die allein574 zur Vermeidung von Sachschäden durchgeführt werden. In der Praxis noch relevanter ist die Konstellation, dass eine Maßnahme über die gesetzliche Ver569  Beckmann,

r + s 1997, 265, 269; Kaufmann, VersR 1999, 551, 555. NJW 1991, 1609, 1609; BGH, NJW-RR 1994, 1366, 1367. 571  Gesetzesentwurf zur Reform des VVG, BT-Drucksache 16/3945, S. 83. 572  Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, § 90 Rn. 2; Staudinger, in: Langheid/ Wandt, MünchKomm-VVG, § 90 Rn. 5. 573  Looschelders, in: Langheid/Wandt, MünchKomm-VVG, § 83 Rn. 14. 574  Vgl. zur Grauzone der Gefährdung von Sachen und Personen Fn. 565. 570  BGH,



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 117

pflichtung hinausgeht oder überhaupt keine Verpflichtung besteht. Jenseits der gesetzlichen Pflicht – bei einem Rückruf aus Kulanz – besteht kein Versicherungsschutz. Gleiches gilt für den ebenso praxisrelevanten Fall, dass Maßnahmen erst nach drei Jahren nach Inverkehrbringen des Produkts durchgeführt werden. Eine Rückrufkosten-Versicherung eignet sich nur für eine Teilmenge aller Rückrufkonstellationen. Wichtige Fälle werden dabei ausgespart. Damit bleiben im Ergebnis die Risikosteuerungsmöglichkeiten einer Versicherung begrenzt. Dementsprechend wird der angebotene Versicherungsschutz von der Industrie oft als unzureichend betrachtet.575

II. Pflichtenbereiche von Hersteller und Zulieferer Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie sich die Verantwortung für ein Produkt – und damit die Haftung – auf die am Herstellungsprozess Beteiligten verteilt. Im Rahmen der Warenherstellung unterliegen Hersteller und Zulieferer Pflichten, welche sich primär aus § 823 Abs. 1 BGB und dem Produkthaftungsgesetz ergeben. Inhaltlich werden dabei von beiden Haftungsschienen parallel die gleichen Bereiche abgedeckt,576 mit der Ausnahme, dass nur § 823 Abs. 1 BGB Pflichten nach Inverkehrbringen des Produkts kennt. Unterschiedlich geregelt ist hingegen, wie Verantwortung für ein Produkt zugeordnet wird. § 823 Abs. 1 BGB als Verschuldens- und § 1 ProdHaftG als Gefährdungshaftungstatbestand verfolgen dabei unterschiedliche Ansätze. Für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ist es entscheidend, in wessen Bereich im Herstellungsprozess eine Verkehrssicherungspflicht verletzt wurde. Im Gegensatz dazu haftet nach dem Produkthaftungsgesetz der Hersteller für jeden Fehler seines Produkts, unabhängig davon, ob er das Produkt alleine oder unter Einbeziehung eines Zulieferers hergestellt hat. Fehler von letzterem werden dem Hersteller zugerechnet.577 Daneben unterliegt auch der Zulieferer nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 ProdHaftG einer Haftung hinsichtlich des Endprodukts. Seine Verantwortung beschränkt sich jedoch auf die Fehlerfreiheit seines Zulieferteils.578 Da sich die für diese Arbeit relevanten Beobachtungs- und Reaktionspflichten nicht aus dem Produkthaftungsgesetz ergeben, beschränken sich die 575  Lenz,

in: van Bühren, Versicherungsrecht, § 12 Rn. 191. in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 3 ProdHaftG Rn. 36. 577  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3605 S. 4; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 4 ProdHaftG Rn. 12; Wandt, BB 1994, 1436 f. 578  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3605 S. 9; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 4 ProdHaftG Rn. 24. 576  G. Wagner,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

folgenden Ausführungen auf die Darstellung der Pflichten im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB. 1. Rolle des Zulieferers in der arbeitsteiligen Produktion Das Prinzip der Arbeitsteilung, das sich bereits in der frühesten Menschheitsgeschichte im Ausdruck „Jäger und Sammler“ äußerte, hat im Laufe der letzten 200 Jahre an herausragender Bedeutung gewonnen. Zurückzuführen ist dies auf den technischen Fortschritt sowie auf moderne volks- und betriebswirtschaftliche Konzepte, die eine Spezialisierung nahelegen.579 Es ist heutzutage die Ausnahme, dass ein Produkt gänzlich von einem Hersteller alleine angefertigt wird. Regelfall ist es, dass mehrere Parteien an der Wertschöpfung beteiligt sind. Beispielsweise ist in der Automobilbranche davon auszugehen, dass die Produktion eines Autos im Durchschnitt zu 70 % von Zulieferern und zu 30 % vom Hersteller erbracht wird.580 Der Begriff des Zulieferers ist nicht eindeutig definiert und bleibt unscharf.581 Am leichtesten ist er als Sammelbegriff zu verstehen: Ein Zulieferer ist ein Unternehmen, das für seinen Abnehmer im Auftrag Zulieferprodukte fertigt und gegebenenfalls ergänzende Dienstleistungen tätigt.582 Die Abgrenzungsmöglichkeiten innerhalb dieser Gruppe sind vielfältig.583 Grundlegend unterschieden werden die vertikale und die horizontale Arbeitsteilung, die jeweils einen anderen Grad an Verflechtung zwischen Zulieferer und Hersteller aufweisen. Bei vertikaler Arbeitsteilung bezieht der Hersteller bereits fertige Zulieferprodukte, deren Konstruktion und Fabrikation vom Zulieferer verantwortet werden. Horizontale Arbeitsteilung bedeutet, dass der Zulieferer Einzelteile nach den Spezifikationen des Herstellers fertigt.584 Zwischen den beiden Polen finden sich in der Praxis häufig Mischformen. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, in wessen Händen die Verantwortung für die drei Hauptaufgaben liegt, die es im Verhältnis zwischen Zulieferer und Hersteller zu erfüllen gibt. Das sind erstens die Konstruktion des Zulieferprodukts, zweitens die Fabrikation des Zulieferprodukts und drit579  Die Theorie des komparativen Kostenvorteils von David Ricardo empfiehlt Volkswirtschaften die Arbeitsteilung mittels Spezialisierung, vgl. Lachmann, S.  281 ff. Auf betriebswirtschaftlicher Ebene bedingt das Just-in-Time Konzept eine enge Verzahnung mit Zulieferern, vgl. Saxinger, S.  49 f. 580  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 38. 581  Saxinger, S.  25 ff. 582  Wellenhofer-Klein, S.  52 f. 583  Vgl. Wellenhofer-Klein, S. 70. 584  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 787.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 119

tens die Abstimmung des Zulieferprodukts auf das Endprodukt.585 Geht man davon aus, dass die Fabrikation so gut wie immer vom Zulieferer wahrgenommen wird, lassen sich hinsichtlich der restlichen beiden Aufgaben drei Fallgruppen bilden.586 Der Massen- oder Standardteilehersteller übernimmt die Konstruktion seines Produkts, überlässt die Abstimmung aber dem Hersteller. Beim Auftragsfertiger, auch „verlängerte Werkbank“ genannt, werden Konstruktion und Abstimmung vollständig dem Hersteller zugeordnet. Das Gegenteil dazu ist der Zulieferer als Problemlöser oder Systemlieferant, in dessen Verantwortung alle drei Aufgaben liegen. Die arbeitsteilige Produktion zeichnet sich in der Regel durch stark hierarchische Verhältnisse aus. Das Zulieferverhältnis ist meist geprägt von der Organisationsherrschaft des Herstellers; der Zulieferer ist dabei zu großen Teilen fremdbestimmt und steht in einer untergeordneten Position.587 Die Abhängigkeit wird umso größer, je enger die Verzahnung zwischen den Unternehmen ist, d. h., je horizontaler sich die Arbeitsteilung gestaltet. Der Massenteilelieferant vereint die größte Machtfülle in sich, da er nicht an einen Hersteller gebunden ist. Zwar können sich in Ausnahmefällen bei einer gegenseitigen Abhängigkeit der Unternehmen auch kooperative Züge einstellen, Regelfall ist aber die hierarchische Beziehung.588 Für den Zulieferer ist diese Art der Beziehung mitunter problematisch. Er behält seine rechtliche Selbstständigkeit, trägt aber gleichzeitig die Verantwortung für Risiken, die sich zunehmend seiner Beherrschung entziehen.589 Damit geht im Ergebnis das moderne Zulieferverhältnis mit einer Aufgabenund Risikoverlagerung auf den Zulieferer einher. Es erstaunt nicht, dass Hersteller meist größere Unternehmen mit entsprechender Marktmacht sind, während Zulieferer eher kleine und mittlere Unternehmen spezialisierter Natur sind.590 Das Machtungleichgewicht wirkt sich in Konflikten leicht zum Nachteil des Zulieferers aus.591 585  Schmidt, 586  Die

S. 143. Begriffe orientieren sich an Saxinger, S. 45 ff. und Wellenhofer-Klein,

S.  71 ff. 587  Wellenhofer-Klein, S.  61 f.; Kreidt, S. 11 f. Ausnahmen bestätigen die Regel: Insbesondere in der Automobilindustrie gibt es große Zulieferer wie Bosch oder kleinere, spezialisierte Weltmarktführer, die aus einer stärkeren Machtposition heraus agieren können. 588  Wellenhofer-Klein, S. 63. 589  Zu Art und Ausmaß der Risikoverlagerung vgl. Wellenhofer-Klein, S.  64 ff. 590  Eingehend zur Thematik Wellenhofer-Klein, S.  451 ff. 591  Vgl. die Beispiele bei Rieble, BB 2013, 245 ff. Wohl wären dann Verstöße gegen § 20 GWB zu diskutieren; es bleibt aber fraglich, ob ein Zulieferer angesichts seines Interesses, die Lieferbeziehung zu erhalten, das Verhalten des Herstellers anzeigen wird.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

2. Eigenverantwortung als Haftungsprinzip der arbeitsteiligen Produktion Am Ende eines arbeitsteiligen Herstellungsprozesses steht ein Produkt, bei dessen Herstellung mehrere Beteiligte involviert waren. Nicht jeder ist dabei für alle einzelnen Schritte verantwortlich; die Verantwortlichkeiten richten sich vielmehr nach den Rollen und Aufgaben, die ein jeder zu erfüllen hat. Die Sorgfaltspflichten, die die Herstellung eines Produkts mit sich bringt, werden dementsprechend nach Verantwortungsbereichen differenziert. Grundsätzlich gilt das Prinzip der Eigenverantwortung: Jeder ist dafür verantwortlich, den Pflichten, die ihm in seinem Bereich obliegen, nachzukommen.592 Sorgfaltspflichten bei arbeitsteiliger Produktion entspringen zwei Bereichen. Erstens haben Hersteller und Zulieferer als Produzenten die deliktische Pflicht, sichere Produkte in den Verkehr zu bringen. Der Zulieferer muss für sein Zulieferprodukt die von der Rechtsprechung definierten Sorgfaltspflichten beachten, ebenso wie der Hersteller für sein Endprodukt. Zweitens ergeben sich aus dem Verhältnis zwischen Zulieferer und Hersteller zusätzliche Sorgfaltspflichten, die sich auf die Schnittstelle der beiden Seiten richten. Weder kann der Hersteller seine Verantwortung für das Endprodukt durch Outsourcing abgeben, noch kann der Zulieferer sein Zulieferprodukt unter Missachtung der späteren Verwendung im Endprodukt herstellen. Ein jeder hat – in Grenzen – den Produktionsbeitrag des anderen zu beachten.593 Das äußert sich insbesondere in beiderseitigen Prüf-, Kontrollund Informationspflichten.594 Diese Pflichten stehen entweder neben den regulären Herstellerpflichten oder modifizieren diese. Anforderungen und Umfang der Pflichten lassen sich nicht pauschal festlegen, sondern hängen vom Einzelfall ab. Relevant sind dabei insbesondere die Art der Arbeitsteilung, die Verfügbarkeit von Informationen und die Fachkompetenz der beteiligten Unternehmen.595 Für eine Haftung ist die schuldhafte Verletzung einer Pflicht entscheidend. In einem Schadensfall ist deshalb zu klären, welche Pflichten dem Zulieferer und dem Hersteller aufgrund ihrer Verantwortungsbereiche zuzuordnen sind, und auf welche Pflichtverletzungen der Fehler zurückzuführen ist. Beispielsweise ist der Zulieferer für einen Konstruktionsfehler an seinem Teil zu592  Fuchs, JZ 1994, 533, 534; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 4 f.; Wächtermann/Kluth, ZGS 2006, 296, 297. 593  BGH, NJW-RR 1990, 406; Wältermann/Kluth, ZGS 2006, 296, 297. 594  Übersicht bei G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 788 m. w. N. Ausführlich Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 38 ff. 595  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 598.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 121

nächst selbst verantwortlich. Hat er selbiges anhand von Konstruktionsplänen des Herstellers angefertigt, liegt die Pflichtverletzung auf der Seite des Herstellers.596 Der Grundsatz der Eigenverantwortung kann, muss aber nicht bedeuten, dass ein Fehler auf die Pflichtverletzung von nur einer Partei zurückzuführen ist.597 Im eben angesprochenen Beispiel stände einem Geschädigten neben dem Hersteller auch der Zulieferer als Haftpflichtiger gegenüber, wenn der Zulieferer den Fehler in den Konstruktionsplänen hätte erkennen müssen.598 Als Konsequenz des hohen Anteils der Wertschöpfung, der von Zulieferern erbracht wird, steigt gleichfalls die Tendenz, dass ein Produktfehler aus der Sphäre eines Zulieferers stammt. a) Pflichten des Herstellers Im Ausgangspunkt ist der Hersteller für das Endprodukt in seiner Gesamtheit verantwortlich,599 unabhängig davon, ob es auch fremdproduzierte Teile beinhaltet.600 Primär haftet er für Fehler, die in seiner Sphäre auftreten.601 Das sind zum einen Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler an eigens hergestellten Teilen, die er selbst zu verantworten hat. Zum anderen haftet er in Bezug auf Zulieferteile, wenn im Zuge der Weiterverarbeitung Fehler in seinem Fertigungsbereich – etwa Montage- oder Verarbeitungsfehler – auftreten.602 Für Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler des Zulieferteils ist der Hersteller somit nicht verantwortlich, solange der Fehler nicht seiner Sphäre (mit-)zugeordnet werden kann. Der Hersteller haftet auch nicht für Pflichtverletzungen seines Zulieferers nach § 831 BGB, da der Zulieferer als selbstständiges Unternehmen mangels sozialer Abhängigkeit nicht als Verrichtungsgehilfe anzusehen ist.603 596  BGH, NJW 1977, 379, 380. Der Gedanke findet sich auch in § 1 Abs. 3 ProdHaftG. 597  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 4 f. 598  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 122; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 Rn. F28. 599  Ausführlich zur Verantwortung des Herstellers Wältermann/Kluth, ZGS 2006, 296 ff. 600  BGH, NJW 1975, 1827, 1828; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 4. 601  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 41; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 Rn. F 27. 602  BGH, NJW 1976, 46, 47. 603  BGH, NJW 1976, 46, 47; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 41.

122

Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Im Rahmen der Verantwortung für das Endprodukt verbleiben weitere Prüf-, Kontroll- und Informationspflichten an der Schnittstelle zum Zulieferer.604 Zunächst muss der Hersteller eine generelle Tauglichkeitsprüfung durchführen.605 Diese beinhaltet die sorgfältige Auswahl des Zulieferers.606 Beim Zulieferteil muss sich der Hersteller vergewissern, dass es im Rahmen der Herstellung des Endprodukts geeignet ist, den Anforderungen entspricht und seine Funktion erfüllen kann.607 Die Tauglichkeitsprüfung ist bereits in der Konstruktionsphase des Endprodukts zu berücksichtigen. Sie ist ein Ausfluss der regulären Konstruktionspflicht des Herstellers. Daneben hat der Hersteller im Rahmen einer Wareneingangskontrolle die fehlerfreie Beschaffenheit der Zulieferprodukte zu überprüfen.608 Diese Pflicht zur individuellen Produktkontrolle wird damit begründet, dass der Hersteller sich seiner Verkehrspflichten entziehen könnte, wenn er sicherheitsrelevante Teile nicht mehr selbst herstellt und sie ungeprüft in sein Produkt einbaut.609 Zuletzt hat der Hersteller mit dem Zulieferer auf den reibungslosen Austausch und die Weiterleitung von Informationen hinzuarbeiten. Das beinhaltet eine genaue und umfassende Beschreibung des erwünschten Zulieferteiles gegenüber dem Zulieferer am Anfang der generellen Tauglichkeitsprüfung,610 die Beachtung von Hinweisen des Zulieferers und deren Weiterleitung an die zuständigen Stellen im eigenen Betrieb,611 sowie das Informieren und die Abstimmung mit dem Zulieferer bei entdeckten Gefahren.612 b) Pflichten des Zulieferers Wie jeder Hersteller hat der Zulieferer eine eigene deliktsrechtliche Verantwortung für sein Zulieferteil. Ihn treffen Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionspflichten. Dabei muss er sich nach den Sicherheitserwartungen seines Abnehmers richten,613 also nach denen des Herstellers, dem er sein Produkt zuliefert, und nicht des Endverbrauchers.614 604  Übersicht bei Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 53 ff. 605  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 9 f. 606  BGH, VersR 1972, 559, 560. 607  BGH, NJW 1977, 379, 380; BGH, NJW 1996, 2224, 2225. 608  BGH, NJW 1992, 1039, 1041. 609  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 11. 610  BGH, VersR 1970, 469, 470. 611  Anscheinend BGH, VersR 1978, 722, 723. 612  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 12. 613  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 6. 614  Die Erwartungen von Hersteller und Endverbraucher können sich freilich überschneiden.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 123

Parallel zum Hersteller hat der Zulieferer weitere Sorgfaltspflichten, die sich aus der Beziehung zu seinem Abnehmer ergeben.615 Ein an sich fehlerfreies und ungefährliches Produkt mag etwa erst in seiner Funktion als Zulieferprodukt Gefahren schaffen. Der Zulieferer hat deswegen sicherzustellen – d. h., seine Pflichten werden so modifiziert –, dass das Zulieferprodukt ohne weitere Gefahr weiterverarbeitet werden kann und für den bestimmungsgemäßen Gebrauch geeignet ist.616 Hervorzuheben ist die Hinweis- und Instruktionspflicht, beispielsweise über potentielle Gefahren in der Verwendung des Zulieferprodukts und wie sich diese vermeiden lassen.617 Der konkrete Pflichtenumfang hängt jedoch vom Einzelfall ab. Um zwei Extrembeispiele heranzuziehen: Den Hersteller von Schrauben treffen andere Pflichten618 als den Hersteller einer Turbine, die für den Einsatz in einem Kraftwerk maßangefertigt wird. Auch für das Endprodukt trifft den Zulieferer eine Verantwortung,619 die jedoch auf den Einflussbereich seines Zulieferteils begrenzt ist. Nach dem Prinzip der Eigenverantwortung ist der Zulieferer nur im Rahmen seines Aufgabenbereichs zur Sorgfalt verpflichtet. Voraussetzung für eine Pflicht bleibt, dass der Zulieferer die Möglichkeit hat, einem Risiko entgegenzuwirken.620 Für weitere Risiken des Endprodukts haftet er daher mangels Verschulden nicht.621 Er hat insbesondere keine Verantwortung für andere Zulieferteile, für die Konstruktion und Fabrikation des Endprodukts sowie die Instruktion des Produktnutzers.622

615  Ausführlich Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 6 ff.

616  BGH, NJW 1996, 2224, 2225; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 95. 617  BGH, VersR 1970, 469, 470; BGH, NJW 1996, 2224, 2225; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 7 f. 618  Vgl. Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 14. 619  Bereits BGH, NJW 1968, 247, 248. Dieser Gedanke findet sich auch in § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG. Eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ist aber nicht gegeben, wenn der Zulieferer das Endprodukt nicht in Verkehr gebracht hat, § 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG. 620  Schmidt, S. 149. 621  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 112. 622  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 786. Das gilt freilich nicht, wenn sich aus dem konkreten Verhältnis mit dem Hersteller etwas anderes ergibt.

124

Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

3. Pflichten nach Inverkehrbringen des Endprodukts a) Beobachtungs- und Reaktionspflichten des Herstellers Den Hersteller treffen hinsichtlich seines Endprodukts als Ganzes die regulären Pflichten der Beobachtung und Gefahrenabwehr.623 Insofern gehen seine Pflichten über seinen Verantwortungsbereich bei der Herstellung hinaus. Hinsichtlich der Zulieferteile trifft ihn in jedem Fall eine Pflicht zur passiven Beobachtung und der Weiterleitung etwaiger Erkenntnisse an den Zulieferer.624 Unstrittig ist, dass den Hersteller auch dann Reaktionspflichten treffen, wenn er die Ursache einer Produktgefahr nicht zu verantworten hat. Das ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Gefahr von einem Endprodukt ausgeht, dessen Inverkehrbringen er zu verantworten hat.625 Als Mindestumfang ist dabei die Warnung festgelegt. Fraglich ist hingegen, ob eine Rückrufpflicht des Herstellers bestehen kann, wenn eine Gefahr gänzlich in der Sphäre des Zulieferers begründet wurde und dem Hersteller keine Pflichtverletzung zuzurechnen ist. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob dem Hersteller ein Rückruf zuzumuten ist, wenn ihn keinerlei Verschulden an dem Fehler trifft.626 Teils wird dies verneint, da eine Haftung ohne verschuldete Pflichtverletzung nicht denkbar wäre.627 Nach der überwiegenden Meinung628 kann jedoch für den Hersteller aus der Gesamtverantwortung für sein Endprodukt die Pflicht erwachsen, auch bei einem unverschuldeten Produktfehler einen Rückruf durchzuführen. Dem ist zuzustimmen. Es ist gerade Sinn der Produktbeobachtungspflicht, auch solche Gefahren zu erkennen und abzuwenden, die der Hersteller nicht schuldhaft verursacht hat.629 Auch wäre es unbillig, den Hersteller aus seiner Gesamtverantwortung für das Endprodukt pauschal zu entlassen und die Gefahrensteuerung alleine dem Zulieferer zu 623  BGH,

NJW 1994, 3349, 3350. in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 50; Schmidt, S. 158. 625  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 12 f. 626  Dementsprechend lassen sich hier dieselben Argumente anführen, wie bei der Frage, ob eine Rückrufpflicht bei einem Entwicklungsfehler möglich sein kann. Zum Meinungsstreit siehe § 4 II. 2. b) aa). 627  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 51. Einschränkend wird aber hinzugefügt, dass bei jeder noch so kleinen Pflichtverletzung des Herstellers ein Rückruf wieder zumutbar wird. Das gilt auch, wenn die Gefahr größtenteils vom Zulieferteil ausgeht. 628  J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 Rn. F 20 (für unverschuldeten Fehler); Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250 S. 12 f.; Schmidt, S. 158. 629  Siehe § 2 II. 3. b) cc) (5) (a). 624  Foerste,



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 125

überlassen, der dazu möglicherweise gar nicht in der Lage ist. Eine deliktische Handlungspflicht des Herstellers lässt sich über die allgemeinen Prinzipien des Schaffens einer Gefahr und der Möglichkeit der Gefahrensteuerung ableiten.630 In einem solchen Fall sind sowohl Hersteller als auch Zulieferer zur Reaktion verpflichtet. Im Innenverhältnis zwischen den beiden richtet sich die Kostenverteilung freilich nach der jeweiligen Verantwortung. Der Gedanke, dass der Hersteller für das Endprodukt verantwortlich ist, bedeutet jedoch nicht, dass eine etwaige Rückrufpflicht immer auch den Hersteller trifft. Es ist weiterhin möglich, dass nur der Zulieferer zu einem Rückruf verpflichtet ist.631 b) Beobachtungs- und Reaktionspflichten des Zulieferers In Bezug auf sein Zulieferteil treffen den Zulieferer die regulären Herstellerpflichten. Nach Inverkehrbringen muss er sein Produkt einer aktiven Produktbeobachtung unterziehen und gegebenenfalls auf entdeckte Gefahren reagieren, wobei auch Rückrufpflichten gegenüber dem Hersteller denkbar sind. Davon ist zu unterscheiden, inwieweit den Zulieferer Pflichten hinsichtlich des Endprodukts treffen, insofern sein Zulieferprodukt innerhalb des Endprodukts eine Gefahr für die Produktnutzer darstellen kann. Prinzipiell hat hier neben dem Hersteller auch der Zulieferer eine Produktbeobachtungspflicht.632 Als Mindestumfang sind eine passive Beobachtungspflicht und die Sicherstellung, dass relevante Informationen vom Zulieferer an den Hersteller weitergeleitet werden, anzusehen.633 Über diesen Mindeststandard hinaus sind abhängig von den Umständen des Einzelfalls weitere Pflichten denkbar. Je enger sich die Verflechtung zwischen Zulieferer und Hersteller gestaltet und Herstellerpflichten in die Sphäre des Zulieferers fallen, desto eher sind zusätzliche Pflichten anzunehmen. Einem Systemlieferanten ist ein größerer Pflichtenumfang zuzumuten als einem Standardteilehersteller.634 In der Regel trifft den Zulieferer jedoch keine umfassende aktive Beobachtungspflicht.635 630  Auch Schmidt, S. 158 f. Vgl. dazu G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 823 Rn. 397, 399 und § 2 II. 3. b) aa) (2). 631  Schmidt, S. 160. 632  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 109; Steckler, BB 1993, 1225, 1229. 633  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 110. 634  Schmidt, S. 152; Kreidt, S.  155 f. 635  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 110; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 530.

126

Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Weiter ist zu klären, ob den Zulieferer Rückrufpflichten treffen können. Vereinzelt wird dies abgelehnt.636 As Hauptargumente werden angeführt, dass eine Pflicht des Zulieferers – und damit eine mögliche Haftung – in keinem Verhältnis zu seinem Anteil am Endprodukt stände und oftmals seine wirtschaftlichen Fähigkeiten überspannen würde. Im Ergebnis kann das nicht überzeugen, da finanzielle Gesichtspunkte nicht an dem Grundsatz rütteln, dass ein Gefahrverursacher Maßnahmen zur Gefahrsteuerung ergreifen muss.637 Der Schutz von Dritten kann nicht aufgrund der subjektiven Leistungsfähigkeit des Schutzpflichtigen eingegrenzt werden.638 Dementsprechend wurde von der Rechtsprechung639 ebenso wie von einem Großteil des Schrifttums640 eine Rückrufpflicht des Zulieferers bereits mehrfach angenommen. Von größerer Relevanz ist die Frage, welchen Inhalt die Rückrufpflicht annehmen kann. In der Regel ist der Hersteller in einer bedeutend besseren Position, einen Rückruf durchzuführen. Er kennt das Endprodukt und weiß im Zweifel besser, wie ein Produktfehler zu beheben ist.641 Auch verfügt er eher über die logistischen Möglichkeiten in Form von Vertriebsnetzen und Werkstätten und genießt einen höheren Bekanntheitsgrad beim Kunden als der Zulieferer.642 Angesichts dessen wird weitgehend vertreten, dass der Pflichteninhalt des Zulieferers zu modifizieren ist und er den Rückruf nicht selbst bzw. alleine durchführen muss.643 Seine Pflichten erstrecken sich darauf, auf die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen durch den Hersteller hinzuarbeiten, die notwendige Unterstützung zu leisten und sich an den Kosten zu beteiligen. Eine alleinige Rückrufpflicht des Zulieferers ist hauptsächlich in zwei Ausnahmefällen möglich. Es ist erstens denkbar, dass der Zulieferer den 636  Diederichsen, DAR 1976, 312, 316 f; ders., NJW 1978, 1281, 1286; Steckler, WiB 1994, 300, 301. 637  Auch Droste, S.  279 f.; Kreidt, S.  145 f. 638  Schmidt, S.  153 f. 639  In vielen Urteilen, in: denen eine Rückrufpflicht bejaht wurde, traf diese auch den Zulieferer. Vgl. dazu insbesondere die Darstellung der Rechtsprechung in § 4 II. 3. d) und e). 640  Bodewig, S. 187; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 111; Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 3250, S. 5; Kreidt, S.  144 f.; Link, BB 1985, 1424, 1426; Rettenbeck, S. 39; Schmidt, S. 153 ff. Ähnlich Dietrich, S. 57. 641  Eisenberg et al., S. 138. 642  Kreidt, S.  147 f.; Schmidt, S.  155 f. 643  Bodewig, S. 187; Droste, S. 281; Eisenberg et al., S. 138; Foerste, in: Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 111, 52; Rettenbeck, S. 39; Schmidt, S. 156.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 127

Produktfehler gänzlich zu vertreten hat – der Hersteller sich also keine Pflichtverletzung vorzuwerfen hat – und auf das Zulieferteil getrennt vom Endprodukt zugegriffen werden kann. Ein Beispiel hierfür sind fehlerhafte Autoreifen.644 Ein Rückruf bezieht sich dann nicht auf das Endprodukt als Ganzes, sondern nur auf das Zulieferteil. Der Hersteller hat dabei aber immer noch die Pflicht, unterstützend tätig zu werden, etwa durch die Kontaktherstellung zu den betroffenen Kunden.645 Zweitens wird eine Ausnahme postuliert, wenn der Hersteller für den Zulieferer erkennbar von einer erforderlichen Rückrufaktion aus welchen Gründen auch immer – etwa Insolvenz oder falsche Risikoeinschätzung – absieht.646 Auch dann trifft den Zulieferer eine Pflicht zum Handeln. 4. Zusammenfassung Wird ein Produkt arbeitsteilig hergestellt, richtet sich die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB nach dem Grundprinzip der Eigenverantwortung. Jeder Beteiligte hat die Fehler zu verantworten, die auf seinen Aufgabenbereich zurückzuführen sind. Dieser beinhaltet neben den originären Pflichten zur sorgfältigen Konstruktion, Fabrikation, Instruktion und Produktbeobachtung zusätzlich die Pflichten, die sich aus der Schnittstelle zwischen Hersteller und Zulieferer ergeben. Den Hersteller trifft eine Gesamtverantwortung für das Endprodukt. Nach Inverkehrbringen muss er es aktiv beobachten und auf entdeckte Gefahren reagieren. Eine Rückrufpflicht ergibt sich für ihn, wenn eine von dem Produkt ausgehende Gefahr es erforderlich macht. Das kann auch dann der Fall sein, wenn der Hersteller den ursächlichen Produktfehler nicht zu vertreten hat. Seine Gesamtverantwortung bedeutet hingegen nicht, dass er pauschaler Adressat einer solchen Pflicht wird. Der Zulieferer wird durch die Gesamtverantwortung des Herstellers nicht freigestellt. Für ihn besteht eine aktive Beobachtungspflicht in Bezug auf sein Zulieferteil und eine passive Beobachtungspflicht in Bezug auf Gefahren des Endprodukts, die auf sein Zulieferteil zurückzuführen sind. Auch kann er eine Pflicht zum Rückruf des Endprodukts haben, wenn eine Gefahr auf seinen Verantwortungsbereich zurückzuführen ist. Der Inhalt dieser Pflicht wird in der Regel dahingehend modifiziert, dass der Zulieferer den 644  Bodewig,

S. 187; Droste, S. 281. S. 282; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 25 Rn. 111, 52; Schmidt, S. 156. 646  Diederichsen, DAR 1976, 312, 316; Droste, S. 280; Rettenbeck, S. 39; Schmidt, S.  156 f. 645  Droste,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Rückruf nicht selbst durchführen, sondern auf eine Rückrufaktion des Herstellers hinarbeiten und sich an dieser beteiligen muss. Von diesen Leitlinien können sich in Abhängigkeit der Umstände des Einzelfalls Abweichungen ergeben. Damit sind Konstellationen denkbar, in denen entweder der Hersteller oder der Zulieferer alleiniger Adressat einer Rückrufpflicht ist. Geht die Gefahr von einem Zulieferteil aus, können auch beide gemeinsam zum Rückruf verpflichtet sein, wenn die Gefahr auch auf die Verletzung einer Pflicht – zum Beispiel einer Prüf- oder Kontrollpflicht – des Herstellers zurückzuführen ist. Hersteller und Zulieferer haften dann beide nach den Grundsätzen des § 840 BGB.647 Unabhängig davon, wie sich die Pflichtenverteilung gestaltet, ist es in der Praxis aber zuallermeist der Hersteller, der den Rückruf durchführt. Der Pflichtenumfang des Zulieferers spielt erst bei der Regressfrage eine Rolle.

III. Der Regress des Herstellers gegen den Zulieferer 1. Einleitende Bemerkungen Führt ein Hersteller einen Rückruf durch, dessen Ursache ihm nicht oder nicht alleine anzulasten ist, wird er versuchen, einen Teil der Kosten von den (Mit-) Verantwortlichen erstattet zu bekommen. Welche Anspruchsgrundlagen hierfür heranzuziehen sind, gehört zu einer der strittigen Fragen der Rückrufthematik.648 In Betracht kommen vertragliche und gesetzliche Anspruchsgrundlagen, wobei sich eine gesetzliche Ausgleichspflicht aus Gesamtschuld, Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigter Bereicherung oder unerlaubter Handlung ergeben kann. Vorab auszuschließen ist der sogenannte Unternehmerregress beim Verbrauchsgüterkauf nach § 478 BGB, der für die hier betrachtete Konstellation nicht einschlägig ist. Zum einen setzt er ein Vertragsverhältnis in der Form eines Verbrauchsgüterkaufvertrags voraus, auf Grundlage dessen der Hersteller einem Nacherfüllungsanspruch des Käufers gegenübersteht. Ein solches Vertragsverhältnis wird nur äußerst selten bestehen.649 Sollte eine vertragliche Verbindung ausnahmsweise gegeben sein, wird die hier diskutierte Konstellation nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst: § 478 BGB ist nur auf die Lieferkette, nicht aber auf die Beschaffungskette anzuwenden.650 Die 647  Spindler,

in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 524. Behandlung der Frage bei Schmidt, S.  161 ff. 649  Vgl. § 2 II. 2. b). 650  Jacobs, JZ 2004, 225, 227 f.; Schmidt, S.  204 f. 648  Ausführliche



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 129

Vorschrift bezieht sich auf Letztverkäufer oder Letztlieferanten, nicht aber auf „Letzthersteller“. Damit endet die Regresskette beim Hersteller und kann nicht auf den Zulieferer ausgedehnt werden. Eine analoge Anwendung auf den Zulieferer wird mangels planwidriger Regelungslücke abgelehnt.651 2. Vertragliche Ansprüche Vor der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 wurde dem Vertragsrecht652 in der Diskussion um den Regressanspruch keine Bedeutung zugemessen. Das lag im Grunde an der kurzen sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 477 Abs. 1 BGB a. F. für kaufvertragliche Ansprüche.653 Ein Regress war nur möglich, wenn der Hersteller eine Rückrufaktion innerhalb von sechs Monaten nach Abnahme der Zulieferteile durchführte. Das war selten der Fall. Mit der Schuldrechtsreform wurden die vertraglichen Fristen auf zwei Jahre verlängert, § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB, wodurch vertragliche Regressansprüche etwas an Bedeutung gewannen. Die Verjährungsproblematik liegt aber weiterhin vor,654 da der Regress bei einem Rückruf, der später als zwei Jahre ab der Abnahme des Zulieferteils erfolgt, nicht auf vertraglicher Basis erfolgen kann. Aus diesem Grund sind ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen für den Regress empfehlenswert.655 Die folgende Betrachtung behandelt den Fall, dass keine spezielle Regelung getroffen wurde. Bei vertraglichen Ansprüchen ist weiterhin zu beachten, dass Zulieferer und Hersteller Kaufleute sind. Den Hersteller trifft deswegen nach § 377 HGB die Obliegenheit, das Zulieferprodukt zu untersuchen und Mängel zu rügen.656 Er darf die Rügeobliegenheit nicht verletzen, da sonst seine Mängelrechte – einschließlich Schadensersatzansprüche657 – ausgeschlossen sind. 651  Jacobs, JZ 2004, 225, 228; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 6; Weidenkaff, in: Palandt, § 478 Rn. 3. 652  Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur der Kaufvertrag behandelt. Für Werkverträge ergeben sich im Übrigen nur in Details Unterschiede, etwa bei der Rügeobliegenheit (Fn. 656). Bei Werklieferverträgen finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung, § 651 BGB. 653  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334. 654  Eisenberg  et al., S. 131 bezeichnet die Rechtslage für den Hersteller bei vertraglichen Regressansprüchen als „eher ungünstig“. E. Wagner, BB 2009, 2050 ff. erwähnt sie in seinem Aufsatz über den Regress gegen den Zulieferer überhaupt nicht. 655  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 856. 656  Das gilt gemäß § 381 Abs. 2 HGB auch für den Werkliefervertrag. Beim Werkvertrag besteht hingegen keine Rügeobliegenheit, vgl. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 377 Rn. 2. 657  Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 377 Rn. 48.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Sollte der Regressverlust als Einwand gegen vertragliche Ansprüche benutzt werden, bleibt aber zu bedenken, dass eine Verletzung der Rügeobliegenheit nur Auswirkungen auf vertraglich begründete Schadensersatzansprüche hat, nicht jedoch auf deliktische.658 a) Schadensersatz neben der Leistung Ein auf vertraglicher Basis erfolgender Rückrufregress setzt voraus, dass dem Hersteller ein Anspruch gegen den Zulieferer auf Schadensersatz neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB zusteht. Dieser erfasst sowohl reaktiv als auch – wie es bei einem Rückruf der Fall ist – präventiv bedingte Schäden des Herstellers ebenso wie reine Vermögensschäden.659 Rückrufkosten sind damit grundsätzlich ersatzfähig.660 Bei eingetretenen Personen- oder Sachschäden kann der Hersteller auf derselben Grundlage vom Zulieferer Erstattung von bereits geleistetem Schadensersatz verlangen.661 Voraussetzung ist jeweils, dass ein Schaden durch einen Sachmangel verursacht wurde, den der Zulieferer nach § 276 Abs. 1 BGB zu vertreten hat. Die Höhe der Erstattung bemisst sich danach, welche Schäden dem Zulieferer zuzurechnen sind.662 Bei einem Kaufvertrag basiert ein solcher Schadensersatzanspruch auf den §§ 280 Abs. 1, 434, 437 Nr. 3 BGB in Verbindung mit den zugrunde liegenden Vereinbarungen aus der Lieferbeziehung. Bei einem fehlerhaften Zulieferteil wird typischerweise eine Abweichung von Vereinbarungen vorliegen, wie sie in Zulieferverträgen zu finden sind. Das können Klauseln im Rahmenvertrag – etwa über die konkrete Beschaffenheitsvereinbarung – sein, aber auch an Qualitätssicherungs- und Konzeptverantwortungsvereinbarungen sowie an allgemeine Compliance-Klauseln ist zu denken.663 Ein Abweichen von diesen Vereinbarungen begründet einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB. Fehlt hingegen eine Beschaffenheitsvereinbarung, wird die Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB oder die gewöhnliche Verwendung nach 658  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 83; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 779, 856. 659  Ernst, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 280 Rn. 31. 660  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 85; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334. Differenzierend Schmidt, S.  189 ff. 661  Kreidt, S. 26. 662  Grundlegend Oetker, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 249 Rn. 104 ff. 663  Eine Übersicht über diese und weitere Beispiele der in der Zulieferkette abgeschlossenen Vereinbarungen findet sich bei Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn.  8 ff.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 131

§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB zu verneinen sein. Bei einem sicherheitsrelevanten Produktfehler liegt damit ein Sachmangel vor.664 Weitere Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des Herstellers ist, dass der Zulieferer den Sachmangel zu vertreten hat. Dazu muss dieser die im Verkehr erforderliche Sorgfalt missachtet haben, § 276 Abs. 2 BGB. Bei Vorliegen eines Sachmangels wird das nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Hier besteht im Grunde ein Gleichlauf zwischen den vertraglichen und deliktischen Sorgfaltspflichten, sowohl hinsichtlich des Sorgfaltsmaßstabs als auch der Beweislastverteilung.665 Im Vertragsrecht wird wie im Deliktsrecht vermutet, dass ein Sachmangel in Form eines sicherheitsrelevanten Fehlers vom Zulieferer zu vertreten ist. In der Regel ist damit die Frage des Verschuldens irrelevant. Es erlangt aber in den Fällen Bedeutung, in denen der Fehler des Zulieferteils nicht vom Zulieferer zu vertreten ist. Das gilt für Entwicklungsfehler und für die seltenen Fälle der Ausreißer. Zwar wird auch hier ein Verschulden vermutet, aber der Zulieferer kann sich exkulpieren. Gelingt ihm das, ist ein Schadensersatzanspruch zu verneinen und ein Regress auf vertraglicher Basis nicht mehr möglich.666 Für die Ersatzfähigkeit eines Schadens genügt es nicht, wenn er kausal auf einer Pflichtverletzung des Zulieferers beruht. Er muss dem Zulieferer – nicht dem rückrufenden Hersteller – zurechenbar sein. Das liegt dann vor, wenn für den Hersteller eine zivil- oder öffentlich-rechtliche Pflicht zum Rückruf entstanden ist.667 Darüber hinausgehende Maßnahmen sind nicht erstattungsfähig, da sie dem Zulieferer nicht zuzurechnen sind. Entscheidend für die Höhe der Rückerstattung ist damit der Umfang der Rückrufpflicht. b) Nacherfüllung Das neben dem Schadensersatz stehende Arsenal des Gewährleistungsrechts hilft beim Regress von Rückrufkosten nur wenig weiter. Minderung und Rücktritt sind für diesen Fall nicht einschlägig. Allenfalls kann einer Nacherfüllung in Bezug auf das fehlerhafte Zulieferteil eine gewisse Relevanz zukommen. Ein Anspruch auf Nacherfüllung umfasst die Lieferung neuer Zulieferteile und die Rücknahme der fehlerhaften Teile, vorausgesetzt, 664  Molitoris,

NJW 2009, 1049, 1050. Näher dazu Schmidt, S.  171 ff. S. 29; Schmidt, S.  182 f. 666  Eine deliktische Haftung, welche über eine Verletzung der Produktbeobachtungspflicht entstehen kann, wird davon jedoch nicht berührt. 667  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 85; Schmidt, S. 188. 665  Kreidt,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

dass dies technisch möglich ist.668 Für den Hersteller wird eine Nacherfüllung etwa dann sinnvoll, wenn die Gefahr des Endprodukts alleine von dem fehlerhaften Zulieferteil ausgeht und durch Austausch oder Reparatur beseitigt werden kann.669 Ein Verschulden wird anders als beim Schadensersatz nicht vorausgesetzt, wodurch auch Sachmängel erfasst werden, die auf einem Entwicklungsfehler beruhen. Freilich ändert all das nichts an der Tatsache, dass der Regress aller Kosten, die über das eigentliche Zulieferteil hinausgehen – etwa dessen Ein- und Ausbau670 –, wieder nur über § 280 Abs. 1 BGB möglich ist und ein Verschulden erfordert. Sonstige Rückrufkosten oder bereits geleistete Schadensersatzzahlungen werden von der Nacherfüllung nicht berührt. Die Kosten, die der Hersteller über eine Nacherfüllung einspart, sind daher oftmals nur ein Tropfen auf den heißen Stein. c) Zwischenergebnis Rückgriffansprüche auf Grundlage des vertraglichen Gewährleistungsrechts sind zwar möglich, spielen aber angesichts der kurzen Verjährungsfrist und der Möglichkeit des Regressverlusts nach § 377 Abs. 2 HGB in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle. 3. Gesetzliche Ansprüche a) Gesamtschuldnerausgleich Die Scharniernorm des § 840 Abs. 1 BGB schlägt eine Brücke zwischen den Haftungsnormen des Deliktsrechts und den allgemeinen Regeln der Gesamtschuld, indem sie mehrere Täter für einen Schaden aus unerlaubter Handlung gesamtschuldnerisch nach Maßgabe der §§ 421 ff. BGB haften lässt.671 Jenseits der unerlaubten Handlung finden sich Normen mit gleicher Funktion in Spezialgesetzen der Gefährdungshaftung. Beispielsweise verweist auch § 5 ProdHaftG auf §§ 421 ff. BGB, wenn mehrere Hersteller nebeneinander für denselben Schaden zum Schadensersatz verpflichtet sind.672 Wenn Zulieferer und Hersteller als Gesamtschuldner haften, kann der Gläubiger von jedem die Befriedigung des relevanten Anspruchs verlangen, 668  Etwa wird bei einem grundlegenden Konstruktionsfehler eine zeitnahe Nacherfüllung ausgeschlossen sein. 669  Schmidt, S. 184. 670  Eisenberg et al., S. 130 f. 671  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 840 Rn. 1. 672  Weitere Beispiele bei G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 840 Rn.  6 ff.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 133

in der Summe aber nur einmal, § 421 BGB. Die Leistung eines Schuldners hat nach § 422 Abs. 1 BGB befreiende Wirkung für den anderen, wobei der in Anspruch Genommene nach § 426 BGB bei dem anderen Schuldner Rückgriff nehmen kann. Während Gesamtschuldner im Außenverhältnis solidarisch haften, wird im Innenverhältnis dem Rechtsgedanken des § 254 BGB gefolgt und die Haftung nach dem Verursachungsprinzip aufgeteilt.673 Im Innenverhältnis zwischen Zulieferer und Hersteller richten sich die Haftungsteile dementsprechend nach dem Grad ihrer Verantwortlichkeit am Produktfehler bzw. der Verletzung ihrer jeweiligen Verkehrssicherungspflichten. Eine Gesamtschuld kann vertraglich vereinbart werden oder durch Gesetz entstehen.674 Im zweiten Fall werden in den allermeisten Produkthaftpflichtfällen die erwähnten § 840 BGB und § 5 ProdHaftG einschlägig sein. Da das Produkthaftungsgesetz das Thema Rückruf nicht behandelt,675 ist für den Regress von Rückrufkosten nur die deliktische Gesamtschuld nach § 840 BGB relevant. Deren Voraussetzungen für einen Regress sind erstens das Bestehen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs, der zweitens gegen mehrere Schuldner gemeinsam bestehen muss. aa) Deliktischer Schadensersatzanspruch Die deliktische Solidarhaftung bezieht sich auf die Haftung für bereits eingetretene Schäden, § 840 Abs. 1 BGB spricht vom „entstehenden Schaden“. Wurde durch einen Produktfehler ein Schaden an Rechtsgütern der Produktnutzer oder Dritter bereits verursacht, liegt unproblematisch eine Gesamtschuld vor. Sieht sich der Hersteller berechtigten Schadensersatzforderungen gegenüber, kann er über § 426 BGB den Zulieferer unter der Voraussetzung von dessen (Mit-) Verantwortung in Regress nehmen. Diffiziler gestaltet sich die Regressierung von Rückrufkosten. Hier ist noch kein Schaden entstanden, wodurch weder gegen den Hersteller noch den Zulieferer ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB besteht.676 Fraglich ist aber, ob Maßnahmen zur Schadensvorsorge nicht bereits als Schaden im in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, §  840 Rn.  15 f. m. w. N. in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 421 Rn. 17. 675  Siehe § 2 II. 4. 676  Vertritt man die Ansicht, dass es einen Rückrufanspruch geben kann, lässt sich gegebenenfalls eine Gesamtschuld (analog) konstruieren, wenn gegen Hersteller und Zulieferer ein solcher Anspruch besteht, vgl. Bydlinski, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 421 Rn. 45; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 42 Rn. 78; Schmidt, S. 213 f. Das Bestehen eines Rückrufanspruchs ist aber umstritten, siehe § 4 III. 673  G. Wagner, 674  Bydlinksi,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen wären. Auch wenn dies von der Rechtsprechung in Rückruffällen vereinzelt vertreten wurde,677 ist die Literatur skeptisch, ob Rückrufaufwendungen den Schadensbegriff über Einzelfälle hinaus ausfüllen können.678 Das Problem liegt in der adäquat kausalen Zurechnung der schadensabwehrenden Rückrufkosten zur Verletzungshandlung des Herstellers, dem Inverkehrbringen des Produkts.679 Für eine Zurechnung müssten sich die Aufwendungen auf einen konkreten, unmittelbar bevorstehenden Schadensfall beziehen. Da allgemeine Vorsorgeaufwendungen dieses Kriterium nicht erfüllen, ist eine Zurechnung in der Praxis nur selten möglich680 und ein Schaden im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB regelmäßig zu verneinen. Sollte die Zurechnung auf einen konkreten Fall dennoch glücken, besteht die nächste Schwierigkeit darin, die verschiedenen Kostenpositionen eines Rückrufs als deliktsrechtlichen Schaden anzuerkennen. Einem identifizierten Einzelfall können allgemeine Posten wie etwa Kommunikationsmaßnahmen regelmäßig nicht direkt zugerechnet werden.681 Vorsorgeaufwendungen sind auch nur bis zu der Höhe des Schadens erstattungsfähig, der ohne ihre Durchführung voraussichtlich eingetreten wäre.682 Bei einem Rückruf erweist sich dieses Prinzip als problematisch, wenn die Kosten des Rückrufs den zu erwartenden Schaden übersteigen.683 Selbst wenn sich Vorsorgeaufwendungen als Schadensposten einordnen ließen, verbietet sich dennoch eine direkte Anwendung der §§ 840, 426 BGB bei einem Regress des Herstellers gegen seinen Zulieferer. Die obigen Erörterungen beziehen sich auf den Fall, dass ein gefährdeter Produktnutzer Vorsorgeaufwendungen tätigt und diese gegenüber dem sicherungspflichtigen Hersteller als ersatzfähigen Schaden geltend macht. Die Besonderheit beim Rückruf ist aber, dass der Schaden in Form der Vorsorgeaufwendungen nicht beim Produktnutzer auftritt, sondern beim Schädiger in Form des Herstellers. Die Konstellation, dass der Schaden bei einem der Schuldner anstelle eines

677  OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125, 1127 (für Aufwendungen des Geschädigten); OLG München, VersR 1992, 1135 (im Fall wird ein Schaden aber verneint); LG Hamburg, VersR 1994, 299. Im „Pflegebetten“-Urteil hat der BGH diese Frage für den Fall verneint, dass der Gefahr durch Einstellung des Produktgebrauchs entgegengewirkt wird, vgl. BGH, NJW 2009, 1080, 1083 Rn. 24. 678  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 85; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334 ff. 679  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1335. 680  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 85; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1335. 681  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1335. 682  Grüneberg, in: Palandt, § 249 Rn. 62. 683  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1335 f.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 135

Dritten eintritt, ist der Gesamtschuld fremd. Eine direkte Anwendung ist daher zu verneinen.684 Zu diskutieren bleibt hingegen, ob eine analoge Anwendung der §§ 840, 426 BGB möglich ist. In Ermangelung eines (Rückruf-)Anspruchs685 könnte eine Gesamtschuld dadurch entstehen, dass Hersteller und Zulieferer gemeinsam einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht zum Rückruf gegenüberstehen. Im Schrifttum wird dies kontrovers diskutiert. Befürworter einer Analogie686 begründen diese primär mit dem Argument, dass eine Regelungslücke durch die Ausdehnung der Verkehrssicherungspflichten durch die Rechtsprechung entstanden sei.687 Die Regelung des § 840 BGB sei auf § 823 BGB in all seinen Fallgestaltungen zugeschnitten und müsse, wenn sich der Pflichtenkatalog des § 823 BGB ausdehne, dementsprechend auch auf die Erweiterung angewandt werden.688 Durch die Rechtsprechung zu den Produktbeobachtungspflichten sei eine solche Ausdehnung eingetreten und der deliktsrechtliche Schutz im Außenverhältnis vor den Schadenseintritt verlagert worden. Die Vorverlagerung müsse dann aber auch im Innenverhältnis gelten.689 Darüber hinaus könne es nicht sein, dass der Hersteller erst einen Schaden abwarten müsse, um den verantwortlichen Zulieferer in Regress zu nehmen.690 Durch die Ablehnung einer Analogie würde die Entscheidungsfreiheit des rückrufenden Hersteller mittelbar eingeschränkt, da ihm das wirtschaftliche Risiko aufgebürdet würde, beim Rückrufkostenregress nur andere, weniger gut geeignete Anspruchsgrundlagen gebrauchen zu können. Dadurch könne der Anreiz für den Hersteller gesetzt werden, auf einen Rückruf zu verzichten, um durch den Schadenseintritt eine regressfreundliche Gesamtschuld entstehen zu lassen. Deswegen solle im Interesse des Rechtsgüterschutzes und der Prävention eine Analogie ermöglicht werden.691 Auch stelle, wie von der Gegenansicht vertreten,692 eine analoge Gesamtschuld keine übertrieben starke Belastung des Zulieferers dar, da sich die Gesamtschuld nur auf die

684  Auch Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 92. Ähnlich Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1335. 685  Vgl. zum Meinungsstreit § 4 III. 686  Grote, VersR 1994, 1269, 1271; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 86 ff.; Link, BB 1985, 1424, 1427; Schmidt, S. 218. 687  Grote, VersR 1994, 1269, 1271; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 84. 688  Link, BB 1985, 1424, 1427. 689  Grote, VersR 1994, 1269, 1271. 690  Grote, VersR 1994, 1269, 1271. 691  Schmidt, S.  216 f. 692  Kreidt, S. 249.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

erforderlichen Kosten zur Gefahrenabwehr, nicht aber auf Kulanzkosten erstrecke.693 Nach anderer Ansicht694 ist eine Analogie abzulehnen. Diese Ansicht fußt vor allem auf zwei Argumenten. Zum einen sei das Bestehen eines Anspruchs ein konstitutiver Bestandteil der Solidarhaftung und könne nicht durch Analogie eliminiert werden.695 Zum anderen bestehe auch keine Regelungslücke, da der Aufwendungsersatzanspruch im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag den Regress ermögliche.696 Ergänzend wird vorgebracht, dass eine analoge Anwendung die Entscheidungsfreiheit des Zulieferers einschränke, da er an die Entscheidung des Herstellers, einen Rückruf durchzuführen, automatisch gebunden werde, ohne dass seine Interessen oder sein Wille berücksichtigt würden. Der Zulieferer könne nicht mehr die Abwägung treffen, ob er die Verkehrspflicht erfüllt oder die Haftpflichtrisiken akzeptiert.697 Im Ergebnis ist dieser Ansicht zuzustimmen, da angesichts der §§ 677 ff. BGB kein Raum für eine Analogie besteht. Die Rechtsprechung beschäftigt sich nicht mit diesem Problem. In den meisten Fällen werden die §§ 840, 426 BGB ohne weitere Erklärung als Grundlage für Ersatzansprüche herangezogen.698 Es steht fest, dass eine Gesamtschuld entstehen kann; aber es wird nicht erörtert, ob dies auf direktem Wege oder über eine Analogie erfolgt. Insofern kann aus Praxissicht dahingestellt sein, welcher Position gefolgt wird.699 bb) Mehrere Schuldner Weitere Voraussetzung ist, dass dem Gläubiger nicht nur ein Schuldner, sondern mehrere gegenüberstehen. Dieser Fall tritt ein, wenn Zulieferer und Hersteller ein Verschulden am Fehler des Endprodukts zuzurechnen ist, sei es 693  Schmidt,

S. 217. et al., S. 134; Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727; Kreidt, S. 248; Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 92; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338. 695  Kreidt, S.  248 f. 696  Droste, S. 276; Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 92; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338. 697  Kreidt, S. 249. 698  OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1194, 1185; OLG München, VersR 1992, 1135; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 595, 597; LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575, 1576; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411; OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 06837, Gründe II. Eine (analoge) Anwendung wird verneint von OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658, jedoch ohne ausführliche Begründung. 699  Kritisch hingegen Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 87, der eine analoge Anwendung aus Gründen der Prozesseffizienz befürwortet. 694  Eisenberg 



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 137

durch eine Verletzung ihrer originären Herstellerpflichten oder ihrer schnittstellenbezogenen Pflichten. Entscheidend ist am Ende nur, dass beide eine Pflicht zur Durchführung eines Rückrufs haben. Eine Gesamtschuld entsteht dementsprechend nicht, wenn der Hersteller in Abwesenheit von einer Rückrufpflicht Kulanzmaßnahmen durchführt oder nur den Hersteller, nicht aber den Zulieferer eine Rückrufpflicht trifft. Es fehlt in diesen Fällen am Rechtsgrund einer gemeinsamen Haftung, wodurch ein Regress nicht möglich ist.700 cc) Inhalt des Anspruchs Der Inhalt des Regressanspruchs richtet sich nach dem Pflichtenumfang desjenigen, der in Regress genommen wird. Kostenersatz kann für die Gefahrenabwehrmaßnahmen verlangt werden, zu deren Durchführung auch der Zulieferer verpflichtet war. Geht der Hersteller bei seinem Rückruf über den Pflichtenumfang des Zulieferers hinaus, scheidet ein Regressanspruch für die überschüssigen Maßnahmen aus, da es an einer gemeinsamen Verpflichtung mangelt.701 Die Haftungsverteilung kann durch vertragliche Regelungen zwischen den Beteiligten vereinbart werden. Ansonsten ist in entsprechender Anwendung von § 254 BGB zu berücksichtigen, wer in welchem Maße eine Sorgfaltspflicht verletzt hat.702 b) Geschäftsführung ohne Auftrag Eine Regressierung der Rückrufkosten ist auch nach den Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag denkbar. Einschlägig hierfür sind §§ 677, 683 Satz 1, 670 BGB. Besorgt der Geschäftsführer ein Geschäft für den Geschäftsherrn, kann ersterer die dafür erforderlichen Aufwendungen zurückverlangen, wenn das Geschäft dem Interesse und Willen des Geschäftsherrn entspricht. In einem Produkthaftungsfall ist der rückrufende Hersteller der Geschäftsführer und der Zulieferer der Geschäftsherr.

700  Müller/Dörre,

VersR 1999, 1333, 1335; Schmidt, S. 218. in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62

701  Kreifels/Weide,

Rn. 90. 702  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597; Eisenberg et al., S. 133; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 840 Rn. 15.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

aa) Geschäftsbesorgung Der Begriff wird nach allgemeiner Meinung weit ausgelegt und beinhaltet jedes Tätigwerden des Geschäftsführers, sowohl rechtsgeschäftliche als auch tatsächliche Handlungen.703 Ein Rückruf in jeglicher Variation lässt sich hier problemlos subsumieren. bb) Fremdes Geschäft und Fremdgeschäftsführungswille Weiterhin muss der Geschäftsführer das Geschäft „für einen anderen“ führen, § 670 BGB. Daraus lassen sich zwei Voraussetzungen ableiten: Objektiv muss das Geschäft einen fremden Rechts- und Interessenkreis berühren und es sich somit um ein fremdes Geschäft handeln. Subjektiv muss der Geschäftsführer das Geschäft mit dem Wissen und Willen, für den Geschäftsherrn tätig zu werden, ausgeführt haben, also mit Fremdgeschäftsführungswillen gehandelt haben.704 Bei einem Rückruf lässt sich die Frage nach der objektiven Fremdheit des Geschäfts noch leicht beantworten: Sobald den Zulieferer eine Gefahrabwendungspflicht für ein fehlerhaftes Produkt trifft, ist sein Rechts- und Interessenkreis berührt.705 Problematischer gestaltet sich das subjektive Merkmal des Fremdgeschäftsführungswillens. Der innere Wille ist oft schwer nachweisbar und wird deswegen bereits bei Kenntnis der Fremdheit des Geschäfts vermutet;706 spiegelbildlich ist aber auch die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens nur schwer zu widerlegen.707 Es hängt infolge erheblich von der Beweislastregel ab, ob die Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag greifen. Ein Regressanspruch auf deren Grundlage steht und fällt mit der Feststellung oder Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens. Fremdes Geschäft und Fremdgeschäftsführungswille liegen unproblematisch vor, wenn der Hersteller einen Rückruf durchführt, bei dem alleinig den Zulieferer eine Rückrufpflicht trifft.708 Schwieriger zu bewerten ist der in der Praxis häufiger anzutreffende Fall, dass sowohl Hersteller als auch Zulieferer sicherungspflichtig sind. Hier nimmt der Hersteller bei der Durchführung 703  Brox/Walker,

SR BT, § 29 Rn. 2; Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6,

§ 677 Rn. 2. 704  Brox/Walker, SR BT, § 36 Rn. 3. 705  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339. 706  BGH, NJW 2012, 1648, 1650. 707  Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 168. 708  BGH, NJW 1963, 1825, 1826; BGH, NJW 1976, 619; BGH, NJW 2007, 63, 64; Looschelders, SR BT, Rn. 847; Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 677 Rn. 6.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 139

eines Rückrufs eigene und fremde Belange wahr, wodurch ein sogenanntes auch-fremdes Geschäft vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einem auch-fremden Geschäft ein Fremdgeschäftsführungswille des Geschäftsführers prinzipiell möglich und wird zunächst auch vermutet.709 Dagegen ist in der Literatur umstritten, ob die Vermutung in allen denkbaren Fallkonstellationen angebracht ist und unter welchen Voraussetzungen sie greifen soll.710 Kritisiert wird insbesondere, dass eine leichtfertige Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens den Anwendungsbereich des § 677 BGB ausufern lasse.711 Ein herstellergetriebener Rückruf bei eigener und fremder Verpflichtung weist die Besonderheit auf, dass der Hersteller durch die Geschäftsbesorgung nicht nur für den Zulieferer handelt, sondern auch seiner eigenen Pflicht zur Gefahrenabwehr nachkommt. Diskutiert wird diese Konstellation unter der Fallgruppe des „pflichtengebundenen Geschäftsführers“. Ohne näher auf die Diskussion einzugehen,712 wird hier nach ständiger Rechtsprechung der Fremdgeschäftsführungswille vermutet.713 Auch der überwiegende Teil der Literatur vertritt diese Ansicht.714 Abgestellt wird von beiden auf das Bewusstsein und den Willen des Herstellers, zumindest auch im Interesse eines anderen tätig zu werden. Nicht notwendig ist die Kenntnis desjenigen, für den das Geschäft mitbesorgt wird.715 Damit ist die Geschäftsführung ohne Auftrag als Regressgrundlage bei einem Rückruf grundlegend geeignet. In zeitlicher Hinsicht ist für die Feststellung des Fremdgeschäftsführungswillens der Zeitpunkt der Geschäftsbesorgung maßgeblich.716 Demnach muss 709  BGH, NJW 1963, 1825, 1826; BGH, NJW 2007, 63, 64; BGH, NJW 2009, 2590, 2591; Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, §  677 Rn.  9 f. m. w. N. 710  Vgl. Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 677 Rn. 13  ff., 16 ff.; Thole, NJW 2000, 1243 ff. 711  Vgl. Falk, JuS 2003, 833, 835; Stamm, JURA 2002, 730, 730  f.; Thole, NJW 2010, 1243, 1244 f. 712  Siehe hierzu Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 309 ff.; Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 677 Rn. 10, 20 f. m. w. N. 713  BGH, NJW 1969, 1205, 1206; BGH, NJW 2000, 422, 423; BGH, NJW 2009, 2590, 2591. 714  Droste, S. 285; Kreidt, S. 265; Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 87; Link, BB 1985, 1424, 1427; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; gleiche Tendenz bei Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 89, der aber die Vermutung auf den Einzelfall abstellt. Zu weit gehen Grote, VersR 1994, 1269, 1270 und Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727, die – entgegen des Wortlauts des § 687 Abs. 1 BGB – einen Fremdgeschäftsführungswillen auch dann bejahen, wenn der Hersteller davon ausgeht, ein eigenes Geschäft zu tätigen. Gänzlich a. A. Schmidt, S.  226 ff. 715  Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 166. 716  Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 184.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

bereits bei Durchführung des Rückrufs ein Fremdgeschäftsführungswille bestehen. Liegt objektiv ein auch-fremdes Geschäft vor, sind im Zeitpunkt des Rückrufs für den rückrufenden Hersteller drei Konstellationen denkbar, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf seine Regresschancen haben: erstens, wenn bereits ersichtlich ist, wie sich die Verantwortung für den Produktfehler verteilt; zweitens, wenn es noch unklar ist, wie sich die Verantwortung auf Hersteller und Zulieferer verteilt; und drittens, wenn der Hersteller fälschlicherweise von einer alleinigen Verantwortung ausgeht. In der ersten Konstellation ist bereits anfangs objektiv erkennbar, dass sowohl den Hersteller als auch den Zulieferer eine Gefahrabwendungspflicht trifft. Bei einem Rückruf durch den Hersteller liegt ein auch-fremdes Geschäft vor, bei dem der Fremdgeschäftsführungswille vermutet wird. In der Praxis ist die zweite Konstellation häufig anzutreffen, dass im Zeitpunkt des Rückrufs keine abschließende Sicherheit besteht, wen und in welchem Ausmaß eine Gefahrabwendungspflicht trifft und der Hersteller nicht eindeutig weiß, ob er ein auch-fremdes oder ein eigenes Geschäft durchführt. Das kann erstens dadurch bedingt sein, dass von der Fehlermeldung bis zur Durchführung des Rückrufs nicht abschließend geklärt werden kann, wem und zu welchen Anteilen der Produktfehler zuzurechnen ist. Selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Hersteller ein auch-fremdes Geschäft besorgt hat, genügt das alleine noch nicht für die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens, da dieser bereits im Zeitpunkt der Geschäftsbesorgung vorliegen muss. Vielmehr sind weitere Anhaltspunkte notwendig, um die Vermutungsregel zugunsten des Herstellers greifen zu lassen. An diese sind aber nur geringe Anforderungen zu stellen.717 Es genügt bereits das Bewusstsein des Herstellers, nicht alleine für den Produktfehler verantwortlich zu sein. Das lässt sich aus § 686 BGB folgern, nach welchem eine subjektive Unsicherheit des Geschäftsführers hinsichtlich des tatsächlichen Geschäftsherrn unerheblich ist und alleine der abstrakte Wille ausreicht, eine Geschäftsführung für den, den es angeht, zu tätigen.718 Der Gedanke lässt sich auf den Fall übertragen, dass ein rückrufender Hersteller subjektiv noch unsicher über die Fehlerursache ist, aber Anhaltspunkte hat, dass sie nicht alleine in seinem Verantwortungsbereich zu suchen ist. Kann der Hersteller dies darlegen, wird der Fremdgeschäftsführungswille vermutet. Im Zweifel ist dem rückrufenden Hersteller anzuraten, erkennbar nach außen zu kommunizieren, dass er auch im Interesse des Zulieferers handelt.719 Zweitens kann Unsicherheit über die 717  So auch Kreidt, S. 265 im Falle eines Rückrufs; allgemein Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 168 f. 718  Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 166. 719  Geht der Zulieferer hingegen auf den Hersteller zu mit der Bitte, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten, lässt sich ein Auftragsverhältnis mit einem unmit-



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 141

Verantwortung für den Produktfehler dadurch entstehen, dass sich die Parteien uneinig sind und der Zulieferer bestreitet, für den Produktfehler verantwortlich zu sein. Dieser Fall ist weniger problematisch, da der BGH einen Streit der Parteien im Vorfeld über Verantwortlichkeiten und Kostenlast als Anhaltspunkt für einen Fremdgeschäftsführungswillen sieht.720 In der letzten, dritten Konstellation geht der Hersteller bei Durchführung des Rückrufs von seiner alleinigen Verantwortung aus, obwohl objektiv betrachtet noch weitere Parteien eine Gefahrabwendungspflicht trifft. Er führt ein eigenes Geschäft, obwohl ein auch-fremdes Geschäft vorliegt. Dieser Fall ist in § 687 Abs. 1 BGB geregelt und hat zur Folge, dass die Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag keine Anwendung finden. Selbst wenn der Hersteller im Nachhinein erfährt, dass er nicht alleinig verantwortlich war, kann die frühere Eigengeschäftsführung nicht rückwirkend mit einem Fremdgeschäftsführungswillen versehen werden.721 Diese Konstellation ist jedoch von geringer Relevanz, da sie in der Praxis nur selten auftritt.722 Im Ergebnis wird der Fremdgeschäftsführungswille bei einem Rückruf in der Regel vermutet. Zu verneinen ist die Vermutung in den Fällen, in denen der Hersteller im Zeitpunkt des Rückrufs davon ausgeht, dass kein anderer für den Produktfehler mitverantwortlich sein kann. cc) Berechtigung Zuletzt muss die Übernahme der Geschäftsführung nach § 683 Satz 1 BGB berechtigt sein. Sie muss dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen. Der Geschäftsführer wird dann einem Beauftragten gleichgestellt und kann die Rückrufaufwendungen, die er für erforderlich hielt, zurückverlangen. Ein Interesse des Geschäftsherrn liegt vor, wenn die Geschäftsübernahme für ihn „objektiv nützlich“ ist.723 Das Merkmal ist bei einem Rückruf unproblematisch: Wenn der Hersteller durch seine Maßnahmen die auch dem Zulieferer obliegende Gefahrabwendungspflicht erfüllt, handelt er in dessen Interesse.724 Denn für den Zulieferer wird es unwahrscheinlicher, aufgrund telbaren Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 BGB ableiten, vgl. OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 720  BGH, NJW 1979, 598; BGH, NJW-RR 2003, 1192, 1195 f. 721  Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 184. 722  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339. 723  BGH, NJW-RR 2008, 759, 760; Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 683 Rn. 4. 724  Auch Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 87.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

eines Schadens in Anspruch genommen zu werden, der durch den Produktfehler verursacht wurde. Ferner muss der Zulieferer keine eigenen Gefahrenabwehrmaßnahmen mehr durchführen. Die Geschäftsbesorgung liegt hingegen nicht im Interesse des Geschäftsherrn, sobald die Maßnahme des Herstellers über das gesetzlich Gebotene hinausgeht.725 Das Geschäft muss weiterhin dem Willen des Geschäftsherrn entsprechen, welcher sich regelmäßig, ob ausdrücklich geäußert oder nur gemutmaßt, mit dessen Interesse deckt.726 Das Tatbestandsmerkmal wird relevant, wenn der Zulieferer bestreitet, dass der Fehler des Endprodukts auf sein Zulieferteil zurückzuführen ist, oder er seine Pflicht zur Gefahrenabwehr zwar anerkennt, sich aber gegen einen Rückruf entscheidet und bereit ist, aufzutretende Schäden in Kauf zu nehmen.727 Der entgegenstehende Wille des Zulieferers ist allerdings zu vernachlässigen, da bei einem Produkthaftungsfall in der Regel die Ausnahmeregelung des § 697 Alt. 1 BGB greift. Danach ist der entgegenstehende Wille des Geschäftsherrn irrelevant, wenn hinter der Geschäftsbesorgung eine Pflicht des Geschäftsherrn steht, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt. Zu den Pflichten zählen sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Pflichten wie die Verkehrssicherungspflichten.728 Eine Pflicht liegt insbesondere dann im öffentlichen Interesse, wenn bei ihrer Nichterfüllung Leben, Körper, Gesundheit oder wichtige Sachgüter gefährdet werden.729 Bei einer Gefahrabwendungspflicht im Zuge eines Produkthaftungsfalls ist das immer der Fall.730 Damit ist im Ergebnis der entgegenstehende Wille des Zulieferers nicht entscheidend und nur auf dessen Interesse abzustellen. dd) Inhalt des Anspruchs Sind die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag gegeben, steht dem rückrufenden Hersteller nach §§ 683, 670 BGB ein Ersatz der Aufwendungen zu, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Stellt der Rückruf ein auch-fremdes Geschäft dar, sind die Kosten, soweit möglich,731 nach Interessenkreisen aufzuteilen und zuzuordnen; ansonsten sind die Kosten nach dem Maß der Verantwortlichkeit und dem Gewicht der 725  Lenz,

in: Lenz, § 5 Rn. 90. in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 683 Rn. 3. 727  Im Rahmen einer Kostenabwägung kann ein Rückruf bedeutend teurer sein als die voraussichtlich zu leistenden Schadensersatzzahlungen. 728  Brox/Walker, SR BT, § 36 Rn. 32. 729  Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 679 Rn. 5. 730  Auch Grote, VersR 1994, 1269, 1270; Schmidt, S. 229. 731  Tamme, S. 387 bezweifelt die Möglichkeit einer eindeutigen Aufteilung. 726  Seiler,



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 143

Interessen aufzuteilen.732 Einschlägig ist jeweils der Rechtsgedanke des § 254 BGB.733 Der Höhe nach werden die ersatzfähigen Aufwendungen durch den Umfang der Gefahrabwendungspflicht des Zulieferers begrenzt. Gehen Maßnahmen des Herstellers darüber hinaus, kann er für den Überschuss den Zulieferer nicht in Regress nehmen. Die Geschäftsbesorgung stellt für diesen Teil kein fremdes Geschäft dar und liegt weder im Interesse des Geschäftsherrn noch im öffentlichen Interesse.734 Liegt die Verantwortung für den Produktfehler gänzlich beim Zulieferer, tätigt der Hersteller ein fremdes Geschäft und kann sämtliche Kosten, die zur Durchführung des Rückrufs erforderlich waren, vom Zulieferer verlangen.735 c) Bereicherungsrecht aa) Anwendungsbereich Weiterhin ist ein Regressanspruch auf Grundlage des Bereicherungsrechts denkbar, da der Zulieferer durch einen Rückruf einen gewissen Vorteil auf Kosten des rückrufenden Herstellers zieht. Das korrespondiert mit der Funktion des Bereicherungsrechts, ungerechtfertigte Vermögensvorteile abzuschöpfen.736 Dennoch spielen die §§ 812 ff. BGB beim Rückrufregress nur eine marginale Rolle, da der Anwendungsbereich auf die Fälle beschränkt ist, bei denen andere Regresswege scheitern.737 Weder darf eine Gesamtschuld noch eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag noch eine vertragliche Regressregelung vorliegen. Wenn Hersteller und Zulieferer Gesamtschuldner sind, erlangt der Zulieferer bei einem vom Hersteller getriebenen Rückruf nichts. Für den Zulieferer tritt keine schuldbefreiende Wirkung ein, da der Hersteller im Rahmen der Gesamtschuld einen Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB gegen ihn erhält.738 Aus Sicht des Zulieferers ändert sich nur die Person des 732  Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BeckOK-BGB, § 683 Rn. 4; Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 683 Rn. 26. 733  BGH, NJW 1990, 2058, 2059. 734  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 88. 735  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 89. Siehe auch Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1340. 736  Vgl. Prütting, in: Prütting et al., BGB, § 812 Rn. 3. 737  Grote, VersR 1994, 1269, 1271 und Herrmann/Fingerhut, BB 1990, 725, 727 verneinen sogar die Anwendbarkeit des Bereicherungsrechts für den Regress, übersehen aber die unten diskutierte Fallkonstellation. 738  Sprau, in: Palandt, § 812 Rn. 10.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Aktivlegitimierten bei weiterhin bestehendem Anspruch.739 Liegen die Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag vor, stellt diese einen rechtlichen Grund für die Bereicherung dar und schließt einen Anspruch aus.740 Gleiches gilt bei einer vertraglichen Regressregelung.741 Der Anwendungsbereich der §§ 812 ff. BGB ist dort zu suchen, wo weder Gesamtschuld noch Geschäftsführung ohne Auftrag greifen. Das ist der Fall, wenn der Hersteller während des Rückrufs irrigerweise davon ausgeht, alleine für den Produktfehler verantwortlich zu sein und ohne Fremdgeschäftsführungswillen handelt,742 und zusätzlich eine analoge Anwendung der Regeln zur Gesamtschuld beim Vorliegen gemeinsamer Verkehrssicherungspflichten743 verneint wird. Bejaht man hingegen die Möglichkeit einer Gesamtschuld, muss für eine Anwendung der §§ 812 ff. BGB der Zulieferer alleinig für den Produktfehler verantwortlich sein. Ansonsten würden ihn und den Hersteller gemeinsam Gefahrabwendungspflichten bzw. Rückrufansprüche treffen und eine Gesamtschuld nach § 840 BGB (analog) vorliegen. bb) Kondiktionsart Unklar ist, ob bei einem Rückruf eine Leistungs-744 oder eine Nichtleistungskondiktion745 heranzuziehen ist. Nach der in dieser Arbeit erfolgten Eingrenzung fallen nur solche Konstellationen in den Anwendungsbereich der §§ 812 ff. BGB, bei denen der Hersteller nicht weiß, dass der Zulieferer für den Fehler (mit-)verantwortlich ist. Der Hersteller handelt nur für sich. Die Leistung im Rahmen der Leistungskondiktion wird definiert als die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.746 In der betrachteten Fallkonstellation handelt er auf den Zulieferer bezogen jedoch weder bewusst noch zweckgerichtet. Er bereichert ihn damit nicht durch Leistung, sondern auf sonstige Weise. Konsequenterweise muss der Anspruch auf Grundlage der Nichtleistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB erfolgen.

739  E. Wagner,

BB 2009, 2050, 2051. BB 1990, 725, 727; Sprau, in: Palandt, BGB, Einf § 677

740  Herrmann/Fingerhut,

Rn. 10. 741  Sprau, in: Palandt, Einf § 812 Rn. 6. 742  So auch Droste, S. 290; Kreidt, S. 275. 743  Bzw. die Annahme eines Rückrufanspruchs, vgl. dazu § 4 III. und Fn. 676. 744  So Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 93; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 93. 745  Droste, S. 290; Kreidt, S. 275; Schmidt, S. 235. 746  BGH, NJW 1964, 399; Sprau, in: Palandt, § 812 Rn. 14.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 145

cc) Tatbestandsmerkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Zulieferers durch den Hersteller ist, dass der Zulieferer „auf sonstige Weise“, das heißt nicht durch Leistung, etwas erlangt hat, und dies ohne Rechtsgrund sowie auf Kosten des Herstellers erfolgte. Bei einem Rückruf dreht sich das zentrale Tatbestandsmerkmal um die Frage, ob der Zulieferer durch die Tätigkeit des Herstellers „etwas erlangt hat“. Während sich die übrigen Tatbestandsmerkmale in der Regel leicht bejahen oder verneinen lassen, ist hier eine Lösung weniger augenscheinlich. Ein vom Hersteller durchgeführter Rückruf kommt dem Zulieferer insofern zu Gute, als er von der Pflicht, eigene Gefahrenabwehrmaßnahmen durchzuführen, entbunden wird. Dabei stellt sich die Frage, ob der Zulieferer durch die Befreiung von einer zivilrechtlichen Verkehrspflicht bereits etwas erlangt hat. „Etwas“ im Sinne des § 812 BGB wird grundlegend als jeglicher geldwerter Vermögensvorteil verstanden,747 der sich aber nicht zwingend in einer konkreten Differenz zweier Vermögenslagen realisieren muss.748 Die Befreiung von Schulden und Lasten ist kondizierbar,749 ebenso wie ersparte Aufwendungen.750 Die Befreiung von einer Verkehrspflicht als weiteren Bereicherungsgegenstand einzuordnen wird teils mit dem Argument abgelehnt, dass für eine Bereicherung ein korrespondierender einklagbarer Erfüllungsanspruch der Verkehrspflicht gegenüberstehen müsse.751 Dagegen ist einzuwenden, dass bereits bei einem vermögensrechtlich irrelevanten Zugewinn eine Bereicherung möglich ist.752 Es ist nicht ersichtlich, warum die Hürde zur Bereicherung auf der einen Seite durch einen einklagbaren Anspruch hoch, und auf der anderen Seite durch die Bejahung eines vermögensrechtlich irrelevanten Zugewinns niedrig angesetzt wird. Auch liegt es in der Natur einer Verkehrssicherungspflicht, dass entweder aufgrund ihrer Erfüllung oder ihrer Nichterfüllung Kosten entstehen können.753 Es kann daher keinen Unterschied machen, ob auf die Befreiung von Rückrufkosten oder einer NJW 1995, 53, 54; Sprau, in: Palandt, § 812 Rn. 8. in: Palandt, § 812 Rn. 8; Schwab, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 812 Rn. 1, § 818 Rn. 125 ff. 749  Brox/Walker, SR BT, § 40 Rn. 4; Schwab, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 812 Rn. 16. 750  Schulze, in: Schulze, HK-BGB, § 812 Rn. 4; Sprau, in: Palandt, § 812 Rn. 11. A. A. S. Lorenz, in: Staudinger (2007), § 812 Rn. 72; Schwab, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 812 Rn. 18. 751  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 93; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1338. 752  Kreidt, S. 276; Schwab, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 812 Rn. 3. 753  Schmidt, S. 237. 747  BGH,

748  Sprau,

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Haftung abgestellt wird – in beiden Fällen hat eine Bereicherung stattgefunden. Im Ergebnis wird dem Zulieferer mit einem Rückruf das Haftungsrisiko für Personen- oder Sachschäden abgenommen oder zumindest vermindert, wodurch sich eine Verbesserung der Vermögenslage des Zulieferers ergibt und eine Bereicherung zu bejahen ist.754 Der Fall ist hingegen eindeutig, wenn Rückrufansprüche bejaht werden755 und ein solcher nur gegen den Zulieferer besteht. Der Hersteller tilgt durch seinen Rückruf die Schuld des Zulieferers, welcher dadurch etwas erlangt.756 dd) Inhalt des Anspruchs Bei einem Rückruf erfolgt die Herausgabe der Bereicherung durch Wertersatz, § 818 Abs. 2 BGB. Der Umfang der Herausgabepflicht richtet sich nach dem Pflichtenumfang des Zulieferers.757 Bei der Berechnung des Wertersatzes ist auf den Rechtsgedanken von § 254 BGB zurückzugreifen.758 d) Deliktsrecht Die Regressierung der Rückrufkosten über das allgemeine Deliktsrecht wäre möglich, wenn durch die Lieferung des fehlerhaften Zulieferteils ein Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB oder ein Schutzgesetz im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB verletzt worden ist.759 In beiden Fällen scheidet ein Regress aus. Eine vom Hersteller durchgeführte Gefahrenabwehrmaßnahme führt bei diesem zu einem reinen Vermögensschaden.760 Das Vermögen ist jedoch kein Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.761 Von § 823 Abs. 2 754  Droste, S.  291 f.; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 42 Rn. 81; Kreidt, S. 276; Schmidt, S. 237. 755  Vgl. Fn. 743. 756  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 42 Rn. 81; Schmidt, S. 236. 757  Umstritten ist, ob sich die Bereicherung auf die Befreiung vom deliktischen Haftungsrisiko – der potentiell zu leistende Schadensersatz –, oder auf die Kosten der Rückrufmaßnamen bezieht. Vgl. dazu Kreidt, S. 277 ff. (für Haftungsrisiko); Schmidt, S. 238 ff. (für Kosten der Rückrufmaßnahmen). 758  Schmidt, S. 240. 759  In dem seltenen Fall einer sittenwidrigen Schädigung kann ein Regress über § 826 BGB erfolgen, vgl. Kreidt, S. 243. 760  Der Versuch, Vorsorgeaufwendungen mit dem Schadenseintritt gleichzusetzen, scheitert wieder daran, dass der Schaden nicht beim Hersteller auftreten würde. 761  Looschelders, SR BT, Rn. 1170. Es ist zwar die Konstellation denkbar, dass ein fehlerhaftes Zulieferteil das Eigentum des Herstellers an den übrigen Teilen des Endprodukts verletzt („Produktionsschaden“), vgl. Looschelders, SR BT, Rn. 1214. Sollte



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 147

BGB werden zwar Vermögensschäden erfasst, doch richtet sich der sachliche und persönliche Schutzbereich nach dem jeweiligen Schutzgesetz.762 Ein Regress von Rückrufkosten scheitert in aller Regel daran, dass das verletzte Schutzgesetz – wie etwa das Produktsicherheitsgesetz – auf den Schutz der Produktnutzer und der Allgemeinheit gerichtet ist, nicht aber auf das Vermögen des Herstellers. Im Produkthaftungsgesetz findet sich keine Grundlage für Regressansprüche. Da der Hersteller die Produkte nicht zum privaten Gebrauch verwendet, werden Ansprüche nach § 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG ausgeschlossen.763 4. Verjährung Vertragliche Schadensersatzansprüche folgen ihrem eigenen Verjährungsregime und verjähren innerhalb von zwei Jahren nach Ablieferung der Kaufsache, § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Da der Beginn der Verjährungsfrist nicht an den Rückruf gekoppelt ist, sind vertragliche Regressansprüche häufig bereits verjährt. Das gilt insbesondere bei Produkten mit einer längeren Lebensdauer, deren schädigende Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt bemerkbar wird, oder bei denen die Verarbeitung der Zulieferteile im Produktionsvorgang viel Zeit in Anspruch nimmt. Ersatzansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag764, Gesamtschuld765 (analog) und ungerechtfertigter Bereicherung766 verjähren im Rahmen der Standardregelungen der §§ 195, 199 BGB. Die relative Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 195 BGB) und beginnt zum Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Hersteller als Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Zulieferers als Schuldner Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen (§ 199 Abs. 1 BGB). Mit Letzterem ist nicht die allgemeine Kenntnis der Person gemeint – der Hersteller wird den Zulieferer in aller Regel als Vertragspartner bereits kennen –, sondern die Kenntnis der Identität des Zulieferers als Schuldner eines Erstattungsanspruchs. Die absolute Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre und beginnt ab der Entstehung des Anspruchs (§ 199 Abs. 4 BGB). in diesen Fällen ein Anspruch bejaht werden, richtet er sich aber nur auf den Schaden an den übrigen Teilen und nicht auf die eigentlichen Rückrufkosten, vgl. Schmidt, S.  207 ff. 762  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 520 f. 763  Auch Schmidt, S. 206. 764  Sprau, in: Palandt, § 677 Rn. 15. 765  Bydlinski, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 426 Rn. 25. 766  Schwab, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 812 Rn. 528.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

Ein Bereicherungsanspruch nach den §§ 812 ff. BGB entsteht mit dem Bereicherungsvorgang, also mit der Durchführung des Rückrufs. Entscheidender Umstand für den Verjährungsbeginn ist, dass der Hersteller als Bereicherungsgläubiger feststellt oder hätte feststellen müssen, dass nicht er (alleine) für den Produktfehler verantwortlich war, sondern (auch) der Zulieferer. Die absolute Verjährungsfrist beginnt mit der Durchführung des Rückrufs. Auch Aufwendungsersatzansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 683 BGB entstehen bei der Besorgung des Geschäfts für den Zulieferer in Form des Rückrufs. Anders als im Bereicherungsrecht muss der Hersteller bereits bei Durchführung des Rückrufs Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände aufweisen, dass er nicht (alleine) für den Produktfehler verantwortlich ist, da sonst der Fremdgeschäftsführungswille zu verneinen ist. Der Hersteller benötigt jedoch keine Kenntnis der konkreten Person des Schuldners im Zeitpunkt der Geschäftsführung („Geschäftsführung für den, den es angeht“).767 Damit beginnt die Verjährungsfrist erst, wenn der Hersteller von der Identität des Schuldners Kenntnis erlangt oder erlangen müsste. Die absolute Verjährungsfrist beträgt wieder zehn Jahre ab der Durchführung des Rückrufs. Bei der Verjährung eines gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruchs ist zuerst zu klären, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch entstanden ist. Als selbständiger Anspruch entsteht er bereits mit der Begründung der Gesamtschuld und nicht erst mit der Befriedigung des Gläubigers.768 In einer Rückrufsituation entsteht der Anspruch damit – abweichend vom Bereicherungsrecht und der Geschäftsführung ohne Auftrag – bereits vor Durchführung des Rückrufs, nämlich mit Entstehung der Gefahrabwendungspflicht. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die absolute Verjährungsfrist. Für den Beginn der relativen Verjährungsfrist ist wieder auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände abzustellen. Dazu zählen auch diejenigen, die im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht begründen.769 Die relative Verjährungsfrist beginnt damit frühestens zum Zeitpunkt des Rückrufs.770 Zusammenfassend gestaltet sich die Verjährung der gesetzlichen Regressansprüche ähnlich, Abweichungen ergeben sich nur in Details. Bei Geschäftsführung ohne Auftrag und Bereicherungsrecht beginnt die relative Verjährungsfrist frühestens bei Kenntnis der Identität des Zulieferers, die absolute hingegen bei Durchführung des Rückrufs. Bei einer Gesamtschuld beginnt die relative Verjährungsfrist frühestens bei Durchführung des Rückrufs, die absolute bei Entstehung der deliktischen Gefahrabwendungspflicht. Anders 767  Bergmann,

in: Staudinger, BGB, 2006, Vor §§ 677 ff. Rn. 166. in: Palandt, § 426 Rn. 4 m. w. N. 769  BGH, NJW 2010, 60, 62. 770  Ebenso Schmidt, S. 249. 768  Grüneberg,



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 149

als im Vertragsrecht stehen die Verjährungsfristen immer im Zusammenhang mit dem Rückruf. Gesetzliche Regressansprüche sind damit in der Regel durchsetzbar. 5. Gerichtliche Praxis Die Rechtsprechung hat bislang keine Notwendigkeit gesehen, die Frage nach der relevanten Anspruchsgrundlage im Detail zu behandeln. Deutlich ist aber, dass sie einen Regress bei einem Rückruf problemlos zulässt. Eine Tendenz ist dahingehend zu erkennen, dass der Innenausgleich unter Solidarschuldnern771 und Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag772 die bevorzugten Regresswege darstellen. Daneben wurde aber auch das Bereicherungsrecht773 grundsätzlich herangezogen. 6. Ergebnis Während ein Regress über das Vertragsrecht häufig an der knappen Verjährungsfrist von zwei Jahren scheitert, ermöglichen die gesetzlichen Regresswege eine Kostenerstattung des rückrufenden Herstellers. Während das Bereicherungsrecht nur eingeschränkt anwendbar ist,774 erweisen sich Gesamtschuld und Geschäftsführung ohne Auftrag als allgemeingültige Grundlagen. Zwar gehen auch bei deren Anwendung in Einzelheiten die Meinungen auseinander, doch wird die Regressmöglichkeit als solche nicht angezweifelt. Kurz: Viele Wege führen nach Rom, nur ist man sich nicht einig, welcher davon der beste ist. In der Praxis ist der Meinungsstreit daher von geringer Bedeutung. Unabhängig davon, welche Anspruchsgrundlage letztendlich herangezogen wird, bedarf es immer der Voraussetzung einer Rückrufpflicht des Zulieferers. Ein Ausgleichsanspruch aus (analoger) Gesamtschuld besteht nur so 771  OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1194, 1185; OLG München, VersR 1992, 1135; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 595, 597; LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575, 1576; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411; OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 06837, Gründe II. Von Teilen des Schrifttums wird diese Lösung als der bevorzugte Weg der Rechtsprechung gesehen, vgl. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339; Schmidt, S. 211. 772  OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1185; OLG München, VersR 1992, 1135; OLG-Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345; OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411. 773  OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125, 1126; OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1185; OLG München, VersR 1992, 1135; OLG-Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411. 774  Auch Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1339.

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Teil 1: Rückruf und Produktverantwortung

weit, wie Hersteller und Zulieferer gemeinsam im Außenverhältnis verpflichtet sind. Im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag entscheidet der Pflichtenumfang des Zulieferers darüber, ob es sich bei einem Rückruf um ein auch-fremdes Geschäft handelt, dieses im Interesse des Zulieferers bzw. der Öffentlichkeit steht und bis zu welcher Höhe Aufwendungen ersatzfähig sind. Im Bereicherungsrecht kann der Zulieferer nur etwas erlangen, insofern er einer Pflicht unterliegt, und im Vertragsrecht ist ein Schaden dem Zulieferer nur bei einer verletzten Pflicht zurechenbar. Die praktische Relevanz der Rückrufpflichten liegt primär im Regressverhältnis zwischen Hersteller und Zulieferer,775 und nicht im Haftungsverhältnis zwischen Hersteller und geschädigtem Produktnutzer. Wenn eine vertragliche Regelung fehlt, ist die Rückrufpflicht des Zulieferers der Flaschenhals des Regresses: Eine Kostenerstattung kann nur dort und in dem Umfang erfolgen, wie der Zulieferer verpflichtet ist. Die Kosten von Maßnahmen, die der Hersteller über diese gesetzliche Verpflichtung hinaus durchführt, sind nicht regressierbar. Für die Beteiligten eines Rückrufs ist es von entscheidender Bedeutung, größtmögliche Sicherheit über den gesetzlichen Pflichtenumfang mit Blick auf eine spätere Kostenverteilung zu erlangen. Es muss geklärt werden, welche durchgeführten Maßnahmen freiwillig und welche gesetzlich geboten waren, und in welchem Verhältnis Zulieferer und Hersteller für den Produktfehler verantwortlich waren. In der Praxis kann sich diese Abgrenzung als beschwerlich und kontrovers erweisen.776 Es ist manchmal schlichtweg nicht möglich, Verursachungsbeiträge und Kostenpositionen konkret zu beziffern. In jedem Fall müssen sich die Beteiligten – Hersteller, Zulieferer und deren Versicherungen – auf eine Lösung einigen, die neben juristischen Aspekten auch auf betriebswirtschaftlichen und marktmachtpolitischen Erwägungen basieren wird.777 Ausgangspunkt bleiben aber die gesetzlichen Pflichten. Im folgenden Kapitel wird erörtert, welche Anhaltspunkte sich dem Schrifttum und der Rechtsprechung zum Umfang der deliktischen Reaktionspflichten entnehmen lassen. 7. Exkurs: Regressansprüche nach Leistung an Geschädigten Leistet der Hersteller Schadensersatz an einen bereits Geschädigten, ist ein eigentlich verantwortlicher Zulieferer zum Kostenersatz gegenüber dem Hersteller verpflichtet. In Betracht kommen die gleichen Regresswege wie bei einem Rückruf. Vertraglich können die Zahlungen unproblematisch über den 775  Auch E. Wagner, BB 2009, 2050, 2051; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 856. 776  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 92. 777  Eisenberg et al., S. 136 f.



§ 3  Der Rückruf im Unternehmen 151

regulären Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1, 437 Nr. 3 BGB verlangt werden,778 wobei ein Anspruch aufgrund der knappen Verjährungsfristen oftmals nicht durchsetzbar sein wird. Sind Hersteller und Zulieferer gemeinsam für den Schaden verantwortlich, haften sie nebeneinander als Gesamtschuldner. Das ergibt sich aus § 840 BGB und aus § 5 ProdHaftG. Dadurch steht dem Hersteller ein Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB zu. Wenn der Hersteller damit rechnete, zumindest nicht alleine für den Schaden verantwortlich zu sein, besteht auch ein Aufwendungserstattungsanspruch auf Grundlage der Geschäftsführung ohne Auftrag.779 Handelte er nur mit Eigengeschäftsführungswillen, scheidet diese Regressschiene aufgrund §  687 Abs. 1 BGB aus. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch besteht nur dann, wenn der Zulieferer alleine verantwortlich ist und keine Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt.780 Der Hersteller kann den Ausgleich seiner Zahlungen nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 i. V. m. 267 BGB verlangen.781 Im Ergebnis kann der Hersteller bereits geleistete Schadensersatzzahlungen an Geschädigte problemlos von einem Zulieferer regressieren. Parallel zum Rückrufkostenregress sind dem insofern Grenzen gesetzt, als ein Schaden einer Pflichtverletzung des Zulieferers zwingend zugerechnet werden muss und bei gemeinsamer Verantwortung von Hersteller und Zulieferer der Gedanke des § 254 BGB zu beachten ist.

778  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 42 Rn. 74; Kreidt, S. 26. 779  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 42 Rn. 74. 780  Link, BB 1985, 1424, 1425. 781  Eisenberg et al., S. 132 Fn. 174; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 42 Rn. 74; Link, BB 1985, 1424, 1425.

Teil 2

Der Umfang der Rückrufpflicht § 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht In diesem Abschnitt wird der Rückruf im Zivilrecht behandelt. Als Folge der Produktbeobachtungspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB kann sich eine Reaktionspflicht ergeben. Vorab ist zu klären, welche Schwelle hierfür übertreten werden muss (I.). Ist der Hersteller zu einer Reaktion verpflichtet, ist fraglich, welchen Umfang diese anzunehmen hat. Neben dem Problem, wie die Kriterien der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit auszulegen sind, werden dazu zum einen die wichtigsten Eckpunkte betrachtet, um die sich die Diskussion im Schrifttum entfacht. Zum anderen wird die bis zur „Pflegebetten“Entscheidung ergangene Rechtsprechung zum Rückruf geordnet und kritisch betrachtet, um Besonderheiten und Entwicklungen aufzuzeigen (II.). Zuletzt wird die reaktiv wirkende Verkehrssicherungspflicht zum Rückruf abgrenzt zu dem Anspruch auf Rückruf, der sich präventiv einklagen lässt (III.).

I. Reaktionsschwelle Bevor über Art und Umfang einer Reaktionsmaßnahme diskutiert werden kann, ist zu fragen, wann eine Beobachtungs- in eine Reaktionspflicht umschlägt. Unstreitig ist die Schwelle überschritten, sobald eine transparente Gefahrenlage vorliegt, es also klar ist, welche Gefahr droht, wem diese Gefahr droht, und dass die Gefahr auf das eigene Produkt zurückzuführen ist. Problematischer ist der häufige Fall, dass lediglich Verdachtsmomente bestehen. So mag es bei Eintritt eines Schadens anfangs unklar sein, ob dieser auf einem Produkt oder auf anderen Faktoren beruht, oder es mag der Verdacht vorliegen, dass ein Produkt möglicherweise schädigende Auswirkungen hat, ohne dass sich diese bereits in Form eines Schadens manifestiert haben. Die Rechtsprechung hat klargestellt, dass bloße Verdachtsmomente für eine Reaktionspflicht bereits ausreichen können. Weder darf der Hersteller abwarten, bis erhebliche Schadensfälle eingetreten sind, noch muss die Gefahr schon konkret greifbar sein.1 Für die Bestimmung des Zeitpunkts 1  BGH,

NJW 1981, 1603, 1604.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht153

verbietet es sich jedoch – wie auch anderorts bei den Verkehrssicherungspflichten –, statische Richtwerte oder Formeln heranzuziehen. Entscheidend bleibt die Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls.2 Dabei bleibt es bei den gängigen Abwägungskriterien:3 Eine Reaktion ist umso eher gefordert, je größer die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts und je höher das gefährdete Rechtsgut anzusiedeln ist. Beispielsweise ist bei einem Konstruktionsfehler eine Reaktion eher geboten als bei einem Fabrikationsfehler,4 da ein Produktfehler, der einer Serie anhaftet, in der Regel ein höheres Schadenspotential aufweist als ein in Einzelprodukten auftretender Fehler. Auch führt der Verdacht der Gefährdung von Personen früher zu einer Reaktionspflicht, als wenn lediglich Sachgüter bedroht sind.5 Von eindeutigen Fällen abgesehen ergibt sich für den Rechtsanwender ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit. Zwar räumt der BGH ein, dass der Zeitpunkt, ab dem eine Reaktionspflicht besteht, „nur mit Zurückhaltung“ bestimmt werden könne,6 aber ein sich erst im Nachhinein erhärtender Verdacht bietet Gerichten eine ideale Gelegenheit, um einen Rückschaufehler zu begehen.7 Im Zweifel ist es für den Hersteller empfehlenswert, eine Gefahrenabwehrmaßnahme durchzuführen. Liegt eine Reaktionspflicht vor, hat der betroffene Hersteller zunächst den etablierten Mindeststandard einzuhalten, nämlich die Produktion zu stoppen oder anzupassen und die betroffenen Benutzer zu warnen. In Abhängigkeit der Umstände des Einzelfalls muss er sich drei weitere Fragen stellen, deren Beantwortung die Reaktionspflicht weiter konturiert: Erstens, ob eine Warnung als Reaktion nicht mehr ausreicht und damit die Schwelle zum Rückruf überschritten wurde; zweitens, wie der Rückruf konkret ausgestaltet werden soll; und drittens, ob die Rückrufmaßnahme für den Produktnutzer kostenlos oder (teilweise) kostenpflichtig zu erfolgen hat. Zusammenfassend: Ob ein Rückruf zu erfolgen hat, wie er zu erfolgen hat, und wer für die Kosten aufzukommen hat. Oftmals wird die Diskussion um den Rückruf dadurch erschwert, dass die drei Stufen nicht sauber getrennt werden.

2  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 313; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 64a; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 230; Schmidt, S. 37. 3  Siehe § 2 II. 3. b) aa) (4). 4  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 10. 5  LG Aachen, JZ 1971, 507, 516. 6  BGH, NJW 1981, 1603, 1604. 7  Siehe § 2 II. 3. b) aa) (7) (b).

154

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

II. Umfang der Reaktionspflicht 1. Auslegung von „erforderlich“ und „zumutbar“ Die sich aus der Produktbeobachtung ergebenden Reaktionspflichten stellen wie die anderen Herstellerpflichten eine Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht dar. Der Pflichtenumfang richtet sich danach, was zur Gefahrenabwehr objektiv erforderlich und objektiv zumutbar ist. Bei den drei produktbezogenen Herstellerpflichten wird das am Kriterium der Produktsicherheit gemessen. Der Hersteller muss bei Entwicklung, Herstellung und Instruktion das erforderliche und zumutbare Niveau an Produktsicherheit sicherstellen. Auf die Reaktionspflichten ist das nicht übertragbar. Dort geht es um die Abwehr einer bestehenden Gefahr, nicht um die präventive Vermeidung derselben durch Steuerung der Produktsicherheit. Zwar lautet auch hier die Formel, dass der Hersteller alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen hat, um eine Gefahr abzuwehren. Unklar ist jedoch, wie die Kriterien bei den Reaktionspflichten auszufüllen sind. a) Entsprechend den produktbezogenen Pflichten Bei der Zumutbarkeit ergeben sich keine Schwierigkeiten. Der Hersteller hat alle Gefahrenabwehrmaßnahmen zu treffen, die ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls wirtschaftlich zuzumuten sind.8 Problematischer gestaltet sich die Erforderlichkeit. Bei den produktbezogenen Pflichten wird das Merkmal ausgelegt als das technisch Mögliche und der Verbrauchererwartung Entsprechende. Eine direkte Anwendung dieser Kriterien ist wenig hilfreich, um den Umfang der Reaktionspflichten zu bestimmen. Warnungen und Rückrufe jeglicher Art mögen zwar technisch aufwändig, aber immer möglich sein. Die Verbraucherwartung des Individuums wird meist in die Richtung tendieren, dass der Hersteller ihm entgegenkommt und einen kostenfreien Rückruf durchführt. Entscheidend ist aber die objektive Erwartungs­ haltung,9 bei der es unklar ist, wie sie festzulegen wäre. Es bleibt festzuhalten, dass die Kriterien der Erforderlichkeit, die sich auf die produktbezogenen Pflichten beziehen, bei den Reaktionspflichten nicht sinnvoll angewandt werden können. Das erstaunt nicht, da auch für die vorgelagerte Produktbeobachtung andere Kriterien zu beachten sind.10

8  Siehe

§ 2 II. 3. b) aa) (6) (c). § 2 II. 3. b) aa) (6) (b). 10  Siehe § 2 II. 3. b) cc) (5) (b). 9  Siehe



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht155

b) Anhaltspunkte in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hält sich bei der Auslegung der Kriterien bedeckt. Das Reichsgericht beließ es 1940 in der „Bremsen I“-Entscheidung mit einem Hinweis auf die Zumutbarkeit, nämlich dass der Hersteller eine von ihm gesetzte Gefahr „nach Kräften“ steuern und alles tun müsse, was ihm den Umständen nach zugemutet werden könne, um die Gefahr abzuwenden.11 In der ersten der für die Produktbeobachtungspflicht zentralen „Apfelschorf“Entscheidungen12 beschränkte sich der BGH auf die Aussage, dass Inhalt, Umfang und Zeitpunkt der Reaktion, in dem Fall eine Warnung, wesentlich vom gefährdeten Rechtsgut und der Größe der Gefahr abhängen.13 Auch hier erfolgte ein indirekter Hinweis auf die Zumutbarkeit. Die weiteren Entscheidungen, deren Sachverhalt eine mögliche Reaktionspflicht berührte, verneinten oder bejahten diese ohne systematische Begründung14 oder verwiesen ohne weitere Ausführungen auf Zumutbarkeit15, Erforderlichkeit16 oder Rechtfertigung17 einer Maßnahme. Die Vorinstanzen der „Pflegebetten“-Entscheidung führten aus, dass ein Rückruf dann in Betracht komme, wenn andere Mittel wie eine Warnung nicht ausreichen.18 Maßgebliche Kriterien für die Handlungspflicht des Herstellers wären die Konkretheit der Gefahr und der mögliche Schadensumfang19 – wieder lediglich ein Hinweis auf die Zumutbarkeit. In der „Pflegebetten“-Entscheidung wiederholt der BGH das Erfordernis der Zumutbarkeit unter Bezugnahme auf die „Bremsen I“-Entscheidung als auch die erste „Apfelschorf“-Entscheidung,20 stellte dann aber für die Abgrenzung zwischen kostenlosem Rückruf und Warnung das Kriterium der Erforderlichkeit in den Mittelpunkt,21 freilich ohne es näher zu definieren. Nachfolgende Urteile haben sich an die Erforderlichkeit gehalten.22 11  RGZ

163, 21, 26. NJW 1981, 1603 ff.; BGH NJW 1981, 1606 ff. 13  BGH NJW 1981, 1603, 1604. 14  Verneint: OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125, 1128. Bejaht: OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597; LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 f. 15  BGH, NJW 1994, 3349, 3350. 16  OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 17  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345 f. 18  LG Bielefeld, openJur 2011, 38476 Rn. 34; LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7. Das OLG Hamm bezieht sich auf die Ausführungen der Landgerichte, OLG Hamm, BB 2007, 2367, 2368. 19  LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7. 20  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 10. 21  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 22  So OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 06837. 12  BGH

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

c) Vorschläge der Literatur Im Schrifttum herrscht Einigkeit darüber, dass sich eine Gefahrenabwehrmaßnahme am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen muss.23 Die verschiedenen Ansätze24 richten sich nach Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit einer Maßnahme. Auch wenn dabei im Wesentlichen dieselben Punkte geprüft werden, wird deren Zuordnung, Auslegung und Gewichtung unterschiedlich gehandhabt.25 Insofern spiegelt sich die Unschärfe, die durch die fehlende Rechtsprechung bedingt ist, im Schrifttum wider. Im Folgenden werden kurz einige Ansätze kritisch dargestellt. Seeling26 begnügt sich mit dem Hinweis, dass der Hersteller alles technisch Mögliche und nach den Umständen wirtschaftlich Zumutbare zu unternehmen habe. Weiter bedinge der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass ein Rückruf nur dann zu erfolgen habe, wenn kein milderes Mittel zur Gefahrenabwehr zur Verfügung stehe.27 Zu einer Ausfüllung der Merkmale führt er nichts weiter aus. Eine der ersten systematischen Darstellungen findet sich bei Rettenbeck,28 der zur Begründung der Rückrufpflicht hauptsächlich auf Benutzerfehlverhalten abstellt. Während er die Geeignetheit von Warnungen und Rückrufen zur Gefahrenabwehr zunächst prinzipiell bejaht,29 wird im nächsten Schritt ein Rückruf in der Regel als erforderlich angesehen, weil dieser im Vergleich zu einer Warnung eine höhere Wirksamkeit habe. Dies begründet er damit, dass erstens Warnungen beim Verbraucher nicht den Eindruck einer wirklichen Gefährdung hinterlassen und deswegen seltener beachtet werden und zweitens der Produktnutzer aus Kostengründen vom Benutzungsverzicht oder der Schadensbehebung absehen würde.30 Ein Rückruf minimiere daher das Benutzerfehlverhalten. Schließlich sei ein Rückruf auf seine Zumutbarkeit zu prüfen, d. h. die gefährdeten Rechtsgüter sind mit dem finanziellen Aufwand des Herstellers abzuwiegen.31 23  Bodewig, S.  205 ff.; Droste, S. 219; Meyer, S. 60; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1052; Pieper, BB 1991, 985, 988; Rettenbeck, S.  66 f.; Schmidt, S.  47 ff.; Seeling, S.  21. A. A. Steffen, VersR 1980, 410 ff. 24  Monographische Auseinandersetzungen finden sich unter anderem bei Bodewig, S.  210 ff.; Rettenbeck, S.  66 ff.; Schmidt, S.  47 ff.; Seeling, S.  36 ff. 25  Beispielsweise wird die Verteilung des Produktrisikos bei Schmidt, S. 62 in der Zumutbarkeit und bei Rettenbeck, S. 72 in der Erforderlichkeit geprüft. 26  Seeling, S.  36 ff. 27  Seeling, S. 21. 28  Rettenbeck, S.  66 ff. 29  Rettenbeck, S.  67 ff. 30  Rettenbeck, S.  71 f. 31  Rettenbeck, S.  93 ff.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht157

Den Argumenten die Erforderlichkeit betreffend ist in dieser Generalität nicht zuzustimmen. Erstens kann eine Warnung so scharf formuliert werden, dass der Produktnutzer über die Gefahr im Bilde ist. Auch kann ein Rückruf in seiner Außenwirkung auf den Produktnutzer den Fokus auf Kundenservice legen und dadurch nicht zwangsläufig eine größere Produktgefahr implizieren, als es bei einer Warnung der Fall wäre. Der Schluss, ein Rückruf hinterlasse einen deutlicheren Eindruck einer drohenden Gefahr, ist nicht zwingend. Zweitens wird der Hersteller, wenn er von einem gewarnten Produktnutzer kein rationales Verhalten erwarten darf, in eine Art Fürsorgeverhältnis zu dem Produktnutzer gedrängt, das zwischen Eltern und Kind angemessen ist, nicht jedoch zwischen einem Hersteller und einem mündigen Produktnutzer.32 Bodewig33 dahingegen verlagert den Schwerpunkt der Prüfung in die Geeignetheit und die Zumutbarkeit. Für die Geeignetheit einer Maßnahme wird nicht auf den Einzelfall, in dem eine Warnung immer geeignet wäre, sondern auf die Gesamtheit der Produktnutzer abgestellt und das Kriterium an der Erfolgsquote der Maßnahme bemessen.34 Die notwendige Erfolgsquote, ab der eine Maßnahme als geeignet angesehen werden kann, ist dabei nicht abstrakt bestimmbar, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.35 Für die Prüfung der Erforderlichkeit bleibt nur Raum, wenn die Erfolgsquote in der Geeignetheit niedrig angesetzt wird und dadurch unterschiedliche Maßnahmen zum Ziel führen können. Bei allen geeigneten und erforderlichen Maßnahmen erfolgt im Rahmen der Zumutbarkeit schließlich eine Abwägung zwischen den Interessen des Herstellers und den Interessen der Betroffenen.36 Problematisch an Bodewigs Ansatz ist, dass die Geeignetheit alleine an der Rücklaufquote ansetzt. Zum einen stellt sich das praktische Problem, wie sich die relevante Erfolgsquote ex-ante bestimmen und ex-post verifizieren lässt. Zum anderen kann die Erfolgsquote nur eines von vielen Kriterien sein, nach denen sich die Effektivität der Gefahrenabwehr richtet,37 ein alleiniges Abstellen darauf misst dieser Zahl eine zu hohe Bedeutung zu. Darüber hinaus lässt Bodewig die Geeignetheit im Zusammenhang „mit den übrigen Kriterien“38 bestimmen und dadurch einer gewissen Unschärfe Einzug halten. Ferner wird 32  Auch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, §  24 Rn. 356. 33  Bodewig, S.  210 ff. 34  Bodewig, S.  214 f. 35  Bodewig, S. 215. 36  Bodewig, S.  216 ff. 37  Klindt/Wende, S. 88 f. Vgl. auch § 1 II. 4. 38  Bodewig, S. 215.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

kritisiert, dass die Kriterien zu stark ausdifferenziert werden und die Entscheidung für oder gegen eine Rückrufpflicht intransparent werde.39 Ein neuerer Ansatz von Schmidt40 bejaht Geeignetheit und Erforderlichkeit von Rückrufen durchgehend und lässt die eigentliche Abwägung in der Zumutbarkeit erfolgen. Die Geeignetheit aller Gefahrenabwehrmaßnahmen von der Warnung bis zum kostenlosen Rückruf wird prinzipiell bejaht.41 Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn sie bei gleicher Eignung das mildeste Mittel darstellt. Schmidt setzt die Eignung mit der Erfolgswahrscheinlichkeit gleich und sieht einen Rückruf in der Regel schon deswegen als erforderlich an, da ihm eher gefolgt werde als einer Warnung.42 Sollten Rückruf und Warnung ausnahmsweise gleiche Erfolgsaussichten beschert sein, stelle der Rückruf im Vergleich zur Warnung immer noch das mildere Mittel dar, da nicht nur auf die Interessen des Herstellers, sondern auch auf die Interessen der betroffenen Produktnutzer abzustellen sei.43 Der Nutzungsverzicht, den Produktnutzer bei einer Warnung in Kauf nehmen müssen, sei mit in die Waagschale zu werfen. Zieht man als Bezugspunkt die Belastung sowohl des Herstellers als auch der Produktnutzer heran, stellt ein Rückruf immer das mildere Mittel für alle Betroffenen dar.44 Die eigentliche Abwägung für oder gegen einen Rückruf erfolgt in der Zumutbarkeit. An diesem Ansatz ist kritisch zu sehen, dass ein Rückruf grundsätzlich als erforderlich eingestuft wird, dies aber auf zwei zweifelhaften Annahmen fußt. Die erste Annahme, die Erfolgswahrscheinlichkeit mit Eignung gleichzusetzen, wurde bereits oben widerlegt.45 Zweitens sieht Schmidt im Rückruf das mildere Mittel im Vergleich zur Warnung und begründet dies mit der Überlegung, dass bei der Beurteilung im öffentlichen Recht, ob ein Mittel milder ist, auch die Belastung anderer zu beachten sei.46 Es sind Bedenken angebracht, Wertungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das im Rahmen des öffentlichen Rechts der Kontrolle hoheitlicher Eingriffe dient, auf das Zivilrecht zu übertragen.47 Die Wahl des mildesten Mittels bezieht sich auf den Pflichtadressaten.48 in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 848. S.  47 ff. S. 48. S. 55. S.  58 ff. S. 62. Nur bei Instruktionsfehlern wäre ein Rückruf nicht erforderlich,

39  G. Wagner, 40  Schmidt, 41  Schmidt, 42  Schmidt, 43  Schmidt,

44  Schmidt, S. 61. 45  Vgl. die Ausführungen zu Rettenbeck und Bodewig oben. Siehe auch § 1 II. 4. 46  Etwa bei BVerfG NVwZ 2006, 1041, 1043, Tz. 96 f. 47  Steffen, VersR 1980, 409, 410; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, Vor § 823 Rn. 76. 48  Bodewig, S. 244.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht159

d) Zwischenergebnis Um den Umfang der Reaktionspflichten zu bestimmen, können die Merkmale „erforderlich“ und „zumutbar“ nicht wie bei den produktbezogenen Herstellerpflichten ausgelegt werden. Das genaue Vorgehen ist unklar. Die Rechtsprechung liefert nur wenig Anhaltspunkte. Das Schrifttum zeichnet sich demgegenüber durch eine Vielzahl verschiedener Lösungsansätze aus, von denen aber keiner vollends überzeugen kann. 2. Meinungsstand im Schrifttum a) Überblick Der konkrete Pflichtenumfang des Herstellers ist bei den Reaktionspflichten heftig umstritten. Das Thema wird als „schlechthin die Glatteisfläche auf dem Gebiet der Produzentenhaftung“49 und „eine[r] der Brennpunkte des aktuellen Produkthaftungsrechts“50 bezeichnet. Im Schrifttum wurden etliche Versuche unternommen, Abwägungskriterien für oder gegen das Bestehen einer Rückrufpflicht abzuleiten.51 Durch die schiere Menge kann dabei leicht der Blick für das Wesentliche (Kriterium) verloren gehen.52 Die Entwicklung wird bereits dahingehend kritisiert, dass das nicht überschaubare Dickicht verschiedenster Kriterien die Reaktionspflichten zu einem Instrument der situationsbezogenen Billigkeit mutieren lasse.53 In der Tat ist ein Überblick aller Meinungen nur schwer darzustellen. Grundsätzlich lässt sich das Schrifttum in die beiden Lager einteilen, wer einer Rückrufpflicht eher wohlwollend und wer ihr eher ablehnend gegenübersteht. Jenseits davon bestehen auf beiden Seiten unzählige Verästelungen und unterschiedliche Bewertungen der Rückrufkriterien. An dieser Stelle wird keine detaillierte 49  Michalski,

BB 1998, 961, 964. in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 840. 51  Auszugsweise: Bodewig, S.  163 ff.; Burckhardt, VersR 2007, 1601 ff.; Dietborn/ Müller, BB 2007, 2358 ff.; Foerste, DB 1999, 2199 ff.; ders., in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 330 ff; Förster, in: Bamberger/Roth, BeckOK-BGB, § 823 Rn. 731 ff.; J. Hager, VersR 1984, 799 ff.; Herrmann, BB 1985, 1801 ff.; Kaufmann, VersR 1999, 551, 552  f.; Kettler, PHi 2008, 52  ff.; Kreidt, S.  169 ff.; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 62 ff.; Lenz, in: FS für Meilicke, 417 ff.; ders., in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 44 ff.; Michalski, BB 1998, 961 ff.; Pieper, BB 1991, 985 ff.; Rettenbeck, S.  66 ff.; Sack, DAR 1983, 1 ff.; Schmidt, S.  45 ff.; Schwenzer, JZ 1987, 1059 ff.; Seeling, S.  75 ff.; Stöhr, in: FS für Müller, 173 ff.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 848 ff. 52  Auch Schmidt, S. 63. 53  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 848. 50  G. Wagner,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Nachzeichnung des Meinungsstreits erfolgen, sondern es sollen nur die wichtigsten Eckpfeiler der Diskussion skizziert werden. An späterer Stelle54 werden die Aspekte vertieft, für die das „Pflegebetten“-Urteil relevant ist. „Rückrufskeptiker“55 führen an, dass bei einer Rückrufpflicht das Deliktsrecht das Äquivalenzinteresse berühre und die Grenze zum vertraglichen Gewährleistungsrecht überschritten werde.56 Darüber hinaus trete nach gebotener Warnung die Produktverantwortung des Herstellers hinter den Möglichkeiten des Produktnutzers zurück, die Gefahr selbst zu steuern.57 Dieser hätte es in der Hand, zumindest durch Nichtbenutzung des Produkts die Gefahr so einzudämmen, dass sich weder für ihn noch für die Allgemeinheit das Produktrisiko verwirklicht.58 Auch wird vorgebracht, dass der Rechtsfortbildung in Form der Verkehrssicherungspflichten Grenzen gesetzt wären und es an der dogmatischen Grundlage für weitreichende Rückrufpflichten fehle.59 Kategorisch abgelehnt werden Rückrufpflichten jedoch praktisch nicht mehr.60 Die Gegenseite61 sieht eine Rückrufpflicht als grundsätzlich möglich an, freilich unter teils verschiedenen Voraussetzungen. Die Rückrufpflicht manifestiere sich als Ausdruck der allgemeinen Verantwortung des Herstellers für seine Produkte.62 Das gelte insbesondere dann, wenn das Produkt bereits bei Inverkehrbringen fehlerhaft war.63 Auch gehe Schadensprävention dem Schadensausgleich vor.64 54  Siehe

§ 5 V. 1. NJW 1978, 1281, 1286 Fn. 89; Droste, S.  238 f.; Eisenberg et al., S.  90 f. und Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 340 ff., nach welchen ein Rückruf allenfalls in Sonderfällen in Betracht kommen kann; Klindt, BB 2009, 792, 793; D. Koch, S.  341 ff.; Pieper, BB 1991, 985, 988 f.; Rolland, § 823 Rn. 51 ff.; den Rückruf als „Ultima-Ratio“ bezeichnend Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 517; Stoll, JZ 1983, 501, 503 f. 56  Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1605 f.; Spindler, NJW 2004, 3145, 3148. 57  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 340. 58  Klindt, BB 2009, 792, 793; Stoll, JZ 1983, 501, 503 f. 59  Pieper, BB 1991, 985, 992. 60  D. Koch, S. 341 ff., 346 lehnt deliktische Rückrufpflichten gänzlich ab. In der Regel lassen aber selbst entschiedene Kritiker einer Rückrufpflicht einen gewissen Raum. Rolland, § 823 Rn. 51 ff. verneint zum Beispiel Rückrufpflichten, räumt aber die Möglichkeit einer Gefahrbeseitigungspflicht ein, die im Ergebnis mit einer Rückrufpflicht gleichläuft, Rn. 51. 61  Bodewig, S.  259 ff.; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 Rn. F 25; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 63 ff.; Rettenbeck, S. 75, 79 f., 90 f.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 851 ff. 62  Rettenbeck, S.  79 f., 81 ff. 63  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 852. 64  J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F 25. 55  Diederichsen,



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht161

b) Streitpunkte Jenseits der beiden Pole gibt es vor allem bei den Befürwortern einer Rückrufpflicht häufig wiederkehrende Streitpunkte. Diese sind, inwieweit sich die Fehlerkategorie, das gefährdete Rechtsgut, der gefährdete Personenkreis und Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers auf eine Rückrufpflicht auswirken. Bei Annahme einer Rückrufpflicht ist darüber hinaus strittig, inwieweit der Hersteller oder der Produktnutzer die Kosten zu tragen hat. Im Folgenden sollen die Positionen kurz dargestellt werden.65 aa) Art des Produktfehlers Der überwiegende Teil der Befürworter einer Rückrufpflicht stellt darauf ab, ob dem Hersteller bereits beim Inverkehrbringen ein Sorgfaltsverstoß vorzuwerfen war.66 Bei einem anfänglichen Konstruktions- oder Fabrikations­ fehler wird eine Rückrufpflicht angenommen, da der Hersteller selbst die Gefahr pflichtwidrig herbeigeführt hat67 und der Hersteller seine nicht beachtete Verkehrssicherungspflicht im übertragenen Sinne „nachhole“.68 Andernfalls würden dem Hersteller obliegende Pflichten auf unbillige Weise auf den Produktnutzer verlagert69 und der Anreiz gesetzt, dass der Hersteller fehlerhafte Produkte in den Verkehr bringe und sich durch eine Warnung einer Haftung entziehe.70 Nach anderer Auffassung wird eine Rückrufpflicht nicht automatisch durch einen anfänglichen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler bedingt, sondern müsse im Gesamtkontext der Umstände diskutiert werden.71 Neben praktischen Aspekten72 fußt die Ansicht insbesondere darauf, dass der Bezugspunkt deliktischer Reaktionspflichten nicht das Äquivalenzinteresse, d. h. die Art des Produktfehlers, sondern nur das Integritätsinteresse sein kann.73 65  Eine ausführliche Darstellung der strittigen Punkte findet sich bei Schmidt, S.  64 ff. 66  Bodewig, S.  259 f.; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F 26; Rettenbeck, S. 79; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 852; differenzierend Kreidt, S. 186 f. und Schmidt, S. 66. 67  Rettenbeck, S. 79. 68  Bodewig, S. 259. 69  Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061. 70  G. Wagner, JZ 2009, 908, 911. 71  Burckhardt, BB 2009, 630 f. 72  Vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, §  24 Rn. 343. 73  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 343.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Weiterhin ist strittig, ob ein Entwicklungsfehler eine Rückrufpflicht auslösen kann. Bei Abstellen auf das pflichtwidrige Inverkehrbringen wird eine Rückrufpflicht konsequenterweise verneint, da in der Verschuldenshaftung des § 823 Abs. 1 BGB die Grundwertung innewohne, dass der Hersteller bei pflichtkonformem Verhalten nicht hafte.74 Da er seinen Pflichten in der gebotenen Weise nachgekommen sei, genüge er seiner Produktverantwortung, wenn der Produktnutzer vor der Gefahr gewarnt werde. Jenseits davon stelle die Produktgefahr das allgemeine Lebensrisiko des Benutzers dar.75 Dagegen wird vorgebracht, dass auch bei einem Entwicklungsfehler ein Rückruf möglich ist,76 da der Hersteller für die Gefahrenquelle Verantwortung trage und er die Gefahr am effizientesten beheben könne.77 Die Reaktionspflichten seien als Ausfluss der Beobachtungspflichten anzusehen, die zwar in der Verschuldenshaftung des § 823 Abs. 1 BGB verankert seien, deren Existenz selbst aber nicht auf ein vorheriges Verschulden, sondern auf Gefahrabwendung abstellen.78 Insofern sei es irrelevant, ob der Produktfehler dem Hersteller vorzuwerfen sei oder nicht. Einigkeit besteht dahingehend, dass bei einem Instruktionsfehler ein Rückruf nicht in Betracht kommt.79 Das Produkt als solches ist hinsichtlich seiner Konstruktion und Fabrikation fehlerfrei. Bei einem Rückruf würde die Gefährlichkeit des Produkts nicht an der Ursache, der fehlerhaften Instruktion, angegangen werden. Die gebotene Gefahrenabwehrmaßnahme besteht hier in der Nachlieferung der Instruktionen, was im Ergebnis auf eine Warnung hinausläuft. bb) Gefährdetes Rechtsgut Die Gefährdung von Personen wird unstreitig als gewichtiger Indikator für eine Rückrufpflicht angesehen.80 Dagegen besteht Uneinigkeit darüber, ob auch eine reine Sachgefährdung eine Rückrufpflicht nach sich ziehen kann. 74  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 341; Rettenbeck, S. 79; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 851. 75  Rettenbeck, S. 79, der aber eine mögliche Rückrufpflicht bei Gefährdung der Allgemeinheit einräumt, S. 199. 76  Kullmann in Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 53 f. Fn. 384; Seeling, S. 63; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 518. 77  Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 518. 78  Vgl. Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 39. 79  Bodewig, S.  261 f.; Michalski, BB 1998, 961, 965; Rettenbeck, S.  70 f.; Schmidt, S.  56 f.; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061; Seeling, S.  53 f. 80  Etwa Bodewig, S. 217; Molitoris, BB 1998, 961, 965; Rettenbeck, S.  93 f.; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht163

Teils wird dies verneint81 und als Begründung vor allem die Rangordnung der Rechtsgüter angeführt. Werden „lediglich“ Sachen von einer Gefahr bedroht, sei es dem Produktnutzer zuzumuten, die Gefahr selbst abzuwehren.82 Drittinteressen würden hier nicht in dem Maße beeinträchtigt wie bei Personenschäden.83 Nach anderer Ansicht ist eine Rückrufpflicht bei drohenden Sachschäden nicht kategorisch auszuschließen, sondern dann möglich, wenn mit erheblichen Schäden zu rechnen sei.84 Bejaht man die Möglichkeit von Rückrufpflichten bei reinen Sachschäden, stellt sich in nachgelagerter Diskussion die Frage, ob eine Rückrufpflicht auch denkbar ist, wenn das Produkt nur sich selbst gefährdet (Weiterfresserschaden85). Folgt man der Rechtsprechung des BGH zur Weiterfresserproblematik nicht, ergibt sich eine Verneinung einer Rückrufpflicht bereits daraus, dass das Produkt vom Deliktsrecht nicht geschützt wird und sein Schutz nicht Inhalt einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht sein kann. Aber auch bei Akzeptanz der Rechtsprechung wird eine Pflicht größtenteils mit der Begründung verneint, dass sonst eine Überspannung der Sorgfaltspflichten vorliege.86 Andernorts wird dagegen eine Rückrufpflicht bei großem Schadenspotential als möglich angesehen.87 cc) Gefährdeter Personenkreis Als Entscheidungskriterium für oder wider eine Rückrufpflicht wird die durch die Produktart bedingte Zielgruppe des Produkts angesehen. Bei einem Massengut ist eine Pflicht zum Rückruf eher anzunehmen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine Warnung alle Produktnutzer erreicht und so eine aufwändigere Gefahrenabwehrmaßnahme geboten ist. Kann das Produkt einer überschaubaren Gruppe von Personen zugeordnet und diese ausfindig gemacht werden, mag eine Warnung eher ausreichend sein.88 Auch genügt eine Warnung eher, wenn das Produkt an Fachleute gerichtet ist.89 81  Michalski,

BB 1998, 961, 965; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062. BB 1998, 961, 965. 83  Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062. 84  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 64; Schmidt, S.  72 ff.; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 517; Rettenbeck, S.  95 f. 85  Siehe § 2 II. 3. b) bb) (1). 86  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 352; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 519; Tamme, S.  114 ff. 87  J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F 26; Rettenbeck, S.  54 f.; Schmidt, S. 78, die aber eine Pflicht an der Zumutbarkeit häufig scheitern sieht. 88  Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 518. 89  Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 518. 82  Michalski,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Als weiteres Entscheidungskriterium wird eine Drittgefährdung angeführt, d. h. ob sich die Gefährdung durch das Produkt neben dem Produktnutzer auch auf Dritte erstreckt. Eine Rückrufpflicht wird eher angenommen, wenn die Allgemeinheit gefährdet ist,90 da diese von der Produktgefahr auch bei Warnung der Produktnutzer nicht erfährt und mangels eigener Schutzmöglichkeiten auf Maßnahmen des Herstellers angewiesen ist.91 Die Delegation der Produktverantwortung auf den Produktnutzer erscheine nicht zumutbar.92 Dem gegenüber wird erwidert, dass eine Gefährdung Dritter nichts an der Tatsache ändere, dass dem gewarnten Produktnutzer eine Sorgfaltspflicht gegenüber sich, aber auch gegenüber Dritten obliege. Ihm sei die Gefahrensteuerung sehr wohl zuzumuten und ein Rückruf somit entbehrlich.93 dd) Verantwortung des Produktnutzers Mit dem zuletzt angerissenen Punkt verbunden ist die Frage, wie sich Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers auf eine Haftung des Herstellers auswirken. Mit Selbstschutz ist gemeint, dass der gewarnte Produktnutzer die Gefahr eines fehlerhaften Produkts neutralisieren kann, indem er dessen Gebrauch einstellt oder andere Maßnahmen mit gleicher Wirkung ergreift. Nutzt er das Produkt wider besseres Wissen weiter und tritt ein Schaden ein, verneint ein Teil der Literatur die Verantwortlichkeit des Herstellers gänzlich, da der Produktnutzer eine neue Gefahr gesetzt und den Zurechnungszusammenhang zwischen Schaden und Herstellerverhalten unterbrochen habe.94 Schäden seien dem Produktnutzer, nicht aber dem Hersteller zuzurechnen. Nach anderer Ansicht ist das Verhalten des Produktnutzers im Rahmen von § 254 BGB zu berücksichtigen; es ändere aber nichts an der Haftung des Herstellers.95 Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs liege nicht vor, da die Gefahr durch die Weiterbenutzung des Produkts ganz überwiegend auf das ursprünglich durch den Hersteller gesetzte Risiko in Form des Produktfehlers zurückzuführen sei.96 Bei einem Schadenseintritt wäre es 90  Bodewig, S. 210; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 517; Rettenbeck, S. 75; Sack, DAR 1983, 1, 2; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062; Seeling, S.  39 f. 91  Rettenbeck, S. 199. 92  Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1062. 93  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 340, 361; Klindt, BB 2009, 792, 794. 94  Droste, S. 234; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 340, 361; Frick/Kluth, PHi 2006, 206, 211; Klindt, BB 2009, 792, 794; Pieper, BB 1991, 985, 988. 95  Kettler, PHi 2008, 52, 61; Kreidt, S. 173; Schmidt, S. 81.; Rettenbeck, S. 75. 96  Kettler, PHi 2008, 52, 61.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht165

nicht zu rechtfertigen, den verhältnismäßig kleinen Beitrag des Produktnutzers in eine alleinige Zurechnung münden zu lassen.97 ee) Kostentragung Der Aspekt der Kostentragung stellt sich erst, wenn eine Rückrufpflicht – unabhängig welcher Art – bejaht wurde.98 An dieser Stelle ist strittig, ob bei Durchführung einer Rückrufmaßnahme der Hersteller alle Kosten zu tragen hat,99 oder ob der Produktnutzer auf eigene Kosten von der Rückrufmaßnahme Gebrauch machen muss.100 Auf beiden Seiten stehen sich die bekannten Argumente gegenüber, dass kostenlose Maßnahmen vermeintlich einen besseren Schutz des Integritätsinteresses zur Folge haben, aber andererseits das Äquivalenzinteresse berühren und die Sorgfaltsanforderungen an den Hersteller überspannen. Ähnlich wie bei der vorgelagerten Diskussion um die Rückrufpflicht finden sich wieder differenzierende Ansichten, die die Kostenverteilung von den Umständen des Einzelfalls abhängig machen.101 3. Rechtsprechung a) Einleitung Obwohl Rückrufe von großer wirtschaftlicher Relevanz für die beteiligten Unternehmen sind und großes Konfliktpotential in sich bergen, ist Rechtsprechung zu Rückruffällen dünn gesät. Die wenigen Fälle, die vor ein Gericht gekommen sind, ähneln sich dafür in ihrer Fallkonstellation: Ein Hersteller führt einen Rückruf durch und verlangt von einem Zulieferer, der mitverantwortlich für den Rückruf ist, Ersatz oder Beteiligung an den Rückrufaufwendungen. Das Verhältnis von Zulieferer und Hersteller ist die Brille, durch welche die Rückrufpflicht in gerichtlichen Auseinandersatzungen bislang betrachtet wird. Andere Konstellationen, dass etwa ein geschädigter Produktnutzer einen nicht rückrufenden Hersteller verklagt, sich also Adressat und Begünstigter von Verkehrssicherungspflichten vor Gericht gegen97  Rettenbeck,

S. 75. offenbart sich wieder die Unschärfe in der Diskussion um den Rückruf, da diese Differenzierung nicht immer erfolgt und oftmals ein Rückruf mit einem kostenfreien Rückruf gleichgesetzt wird. 99  Bodewig, S. 439; Michalski, BB 1998, 961, 965; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063 f. 100  Dietborn/Müller, BB 2007, 2358, 2362; Droste, S.  238 f.; Eisenberg et al., S. 90; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 519. 101  Etwa Staudinger/Czaplinski, JA 2008, 401, 405 f. 98  Hier

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

überstehen, sind hingegen äußerst selten.102 Als Konsequenz der überschaubaren Rechtsprechung hat sich, wie bereits dargelegt,103 ein Wildwuchs an Theorien und Ansätzen zur Rückrufpflicht entwickelt. Dies wird weiter durch die Tatsache begünstigt, dass einzelne Urteile teils unterschiedlich ausgelegt werden.104 Gründe für die dürftige Menge an Fallmaterial lassen sich in der Praxis finden. Oftmals kommt es gar nicht zu einem Gerichtsverfahren, weil Zulieferer und Hersteller unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eher den Vergleich als den (langwierigen) gerichtlichen Konflikt in der Öffentlichkeit suchen.105 Auch können die Parteien ihren Konflikt vor einem Schiedsgericht austragen. Weiterhin mag die unsichere Rechtslage dazu beigetragen haben, dass eine Rückrufpflicht irrigerweise angenommen oder angesichts des unsicheren Ausgangs der Konflikt vor Gericht gescheut wurde. Schließlich kann sich der Zulieferer, der sich oftmals in einer schwächeren Position als der Hersteller befindet, an den Kosten der Rückrufaktion um der Geschäftsbeziehung und des guten Rufes willens beteiligen, auch wenn er am Bestehen einer Rückrufpflicht zweifelt. Einige Rückruffälle haben dennoch den Weg in den Gerichtssaal gefunden. Im Folgenden sollen die ergangene Rechtsprechung untersucht und Besonderheiten sowie gemeinsame Leitlinien herausgearbeitet werden. Als grobe Unterteilung lassen sich drei Zeiträume festlegen. Während bis 1985 nur vereinzelt Urteile ergingen, häuften sie sich im Zeitraum von 1985 bis 2000. Ab dem Jahr 2000 erfolgte eine neue Welle von Urteilen mit dem Schwerpunkt bei Medizinprodukten, die schließlich mit dem „Pflegebetten“-Fall in der ersten zivilrechtlichen Entscheidung des BGH zur Rückrufpflicht gipfelte. Das war jedoch nicht das erste Mal, dass sich der BGH zu dieser Thematik äußerte. Bereits 1990 hatte sich der zweite Strafsenat in der „Lederspray“-Entscheidung mit einer Rückrufpflicht auseinandergesetzt. Zwar erfolgte dies aus einer strafrechtlichen Perspektive, doch ist der Einfluss dieser Entscheidung auf die zivilrechtliche Rechtsprechung und Literatur nicht zu verkennen. Sie wird daher vorab der zivilrechtlichen Rechtspre102  Eines der wenigen Beispiele: LG Freiburg, Urteil vom 17.02.1959, Az. 2 0 40/57, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361 ff. 103  Siehe § 4 II. 2. 104  Ein Beispiel bietet die „Federbruchsicherung“-Entscheidung des LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 f., die den Passus enthält, eine Warnung sei in der Regel ausreichend. Während dies Staudinger/Czaplinski, JA 2008, 401, 403 als eine Bestätigung einer (abstrakten) Rückrufpflicht verstehen, betont Klindt, BB 2008, 792, 793 im Gegenzug die Aussage, dass eine Rückrufpflicht generell zu verneinen sei, wo eine Warnung genüge. 105  So geschehen im „Rettungsinseln“-Fall, LG Hamburg, VersR 1994, 299, 300 (Anmerkung Harms).



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht167

chung behandelt. Urteile, die sich mit der Produktnachsorge im Allgemeinen, aber nicht mit dem Rückruf im Speziellen auseinandersetzen, werden ausgenommen.106 b) Die „Lederspray“-Entscheidung – der strafrechtliche Sonderling Eine Analyse der Rechtsprechung zum Rückruf wäre nicht vollständig, wenn nicht die aus dem Strafrecht entstammende „Lederspray“-Entscheidung107 betrachtet werden würde. Der BGH bejaht darin eine Schadensverhinderungspflicht in Form eines Rückrufs, welche sich aus der Garantenstellung des Herstellers, der gefährliche Produkte in den Verkehr gebracht hat, ergibt. Die Besonderheit des Falles in Bezug auf die hier erörterte Fragestellung besteht darin, dass er nicht vor einem Zivilsenat, sondern vor einem Strafsenat verhandelt wurde. Deswegen stellt sich die Frage, inwieweit sich Aussagen der „Lederspray“-Entscheidung in einen zivilrechtlichen Kontext übertragen lassen. In der zivilrechtlichen Literatur108 und Rechtsprechung109 wurde das Urteil oftmals zur Begründung einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht herangezogen. Begründet wurde das damit, dass im Zivilrecht keine geringeren Anforderungen an die Gefahrenabwendung bei gefährlichen Produkten gestellt werden dürften als im Strafrecht.110 Es ist richtig, dass die „Lederspray“-Entscheidung grundsätzlich die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht in sich trägt. Weitere Rückschlüsse gleiten jedoch schnell in eine Überinterpretation ab und sind vorsichtig zu handhaben.111 Eine zivilrechtliche Grundlage 106  Siehe § 2 II. 3. b) cc) (5). Zu denken ist dabei insbesondere an die „Bremsen I“-Entscheidung, RGZ 163, 21  ff. und die „Apfelschorf“-Entscheidungen, BGH, NJW 1981, 1603 ff. und BGH, NJW 1981, 1606 ff. 107  BGH, NJW 1990, 2560 ff. Vgl. auch § 2 IV. 2. 108  Kullmann, NJW 1991, 675, 680; auch Kettler, VersR 2009, 272, Fn 1.; von Westphalen, DB 1999, 1369, 1370 spricht davon, dass sich der Befund, aus einer unterlassenen Rückrufaktion lasse sich der Straftatbestand der Körperverletzung folgern, zumindest indirekt so auswirkt, als bestände eine deliktsrechtliche Pflicht zum Rückruf. 109  LG Hamburg, VersR 1994, 299; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597. 110  Kullmann, NJW 1991, 675, 680. 111  Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 5; ders., NJW 2009, 1049, 1051. Der BGH streift diesen Punkt in der Urteilsbegründung aus umgekehrter Perspektive: „Andererseits dürfen die schadensersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung strafrechtlicher Verantwortlichkeit benutzt werden. Ob und gegebenenfalls inwieweit die zivilrechtlichen Pflichten zur Schadensverhütung mit den die strafrechtliche Haftung begrün-

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

für eine Rückrufpflicht hat der BGH in der Entscheidung schlichtweg nicht behandelt. Auch wenn die Rechtsgebiete des Delikt- und des Strafrechts miteinander verbunden sind,112 liegen dem Urteil die Begrifflichkeiten der strafrechtlichen Dogmatik zugrunde. Deswegen ist es besonders kritisch zu sehen, dass darauffolgende OLG- und LG-Urteile die Annahme einer Rückrufpflicht lediglich mit einem Hinweis auf die „Lederspray“-Entscheidung begründeten, dabei aber von einer näheren Auseinandersetzung mit der Materie im Zivilrecht absahen.113 Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die „Lederspray“-Entscheidung jenseits der Möglichkeit einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht kaum weitere Anhaltspunkte liefert. Das beginnt bereits damit, dass der Begriff „Rückruf“ nicht definiert wird. So bleibt offen, welche konkreten Maßnahmen die Beklagten hätten ergreifen müssen, um den strafrechtlichen Vorwurf zu beseitigen. Da die ursprüngliche, vom BGH als unzureichend eingestufte Maßnahme der Beklagten in einem Warnhinweis an den Spraydosen bestand, stellt sich die Frage, ob möglicherweise nicht auch die Einstellung der Produktion und des weiteren Vertriebs sowie eine deutlichere Warnung der Öffentlichkeit und an den Spraydosen genügt hätte, um der strafrechtlichen Pflicht nachzukommen,114 und der im Urteilstext verwendete Begriff „Rückruf“ als Oberbegriff für notwendige Gefahrensteuerung zu verstehen wäre.115 Auch äußert sich der BGH nicht zur Kostentragung und erlaubt so keine Differenzierung zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen Maßnahmen. Zweitens fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der zentralen Frage, welche Umstände vorliegen müssen, um eine Rückrufpflicht zu begründen.116 Der BGH belässt es dabei, die Rückrufpflicht lediglich zu bejahen.117 Er äußert sich nicht zu den für das Zivilrecht wichtigen Fragen, bis zu welchem Punkt eine Warnung der gefährdeten Produktnutzer einen Rückruf entbehrlich machen kann und inwieweit dem gewarnten Produktnutzer Schäden bei Dritten zugerechnet werden können, wenn er das Produkt trotz Warnung weiterhin gebraucht.118 Über konkreten Umfang und Reichweite einer zivildenden übereinstimmen […], braucht aber nicht entschieden zu werden.“, BGH, NJW 1990, 2560, 2562. 112  Vgl. G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor 823 Rn. 73. Vgl. auch Lutter, NZG 2010, 601 ff. 113  So geschehen in LG Hamburg, VersR 1994, 299 und OLG Karlsruhe, NJWRR 1995, 594, 597. 114  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 849. 115  Foerste, DB 1999, 2199. 116  Die Frage auch für das Strafrecht aufwerfend Jähnke, JURA 2010, 582, 584. 117  BGH, NJW 1990, 2560, 2562 f. 118  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 331.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht169

rechtlichen Rückrufpflicht und deren Abgrenzung zu einer Warnpflicht lässt sich dem Urteil kaum etwas entnehmen. Damit ist das „Lederspray“-Urteil hinsichtlich einer Rückrufpflicht im Zivilrecht, abgesehen von deren möglicher Existenz, nicht aussagekräftig.119 c) Rechtsprechung vor 1985 Vor 1985 finden sich nur vereinzelt Entscheidungen, welche die Rückrufthematik anschneiden. 1959 legte das LG Freiburg im „Mopedgabel“-Fall120 der Haftungsbegründung des Herstellers eine Warnungs- und Rückrufpflicht der Beklagten zugrunde, ohne sich mit der Thematik weiter auseinanderzusetzen. Angeführt wurde lediglich, dass der Hersteller verpflichtet gewesen sei, auch im Fall nachträglichen Bekanntwerdens von Gefahren für Leib und Leben der Endabnehmer darauf zu reagieren.121 Das Gericht verwies dabei auf die Aussage der RG-Entscheidung „Bremsen I“, dass ein Hersteller auf Gefahren im Rahmen der Zumutbarkeit reagieren müsse.122 Neben einer Warnung der Benutzer habe der Hersteller ein Austauschprodukt „anzu­ bieten“,123 wobei unklar ist, ob damit ein für den Produktnutzer kostenloser oder kostenpflichtiger Austausch gemeint war. Interessanterweise gibt die Entscheidung dem Sicherungspflichtigen den Richtwert an die Hand, dass bei einer Fehlerhäufigkeit von 0,5 bis 1 % ein Konstruktionsfehler anzunehmen und Warn- und Rückrufaktion geboten seien.124 1967 wurde in der „Dachplatten“-Entscheidung125 des OLG Stuttgart ein Beseitigungsanspruch bei gefährlichen Produkten erörtert, der sich aus der Verletzung einer Konstruktions- oder Fabrikationspflicht ergeben könne und der im Ergebnis auf einen Rückruf hinauslaufen würde, auch wenn der Begriff nicht genannt wurde.126 Der Anspruch wurde auf die Beseitigung der fehlerhaften Ware begrenzt. 119  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 331; Kettler, VersR 2009, 272, 274 Fn. 1; Klindt, BB 2009, 792, 793; D. Koch, S. 291 Fn. 21; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 5. 120  LG Freiburg, Urteil vom 17.02.1959, Az. 2 0 40/57, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361 ff. 121  LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361, 363. 122  RGZ 163, 21, 26. 123  LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361, 364. 124  LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361, 364. 125  OLG Stuttgart, NJW 1967, 572 ff. 126  OLG Stuttgart, NJW 1967, 572, 574.

170

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Eher zurückhaltend zu einer Rückrufpflicht äußerte sich 1979 das OLG Celle im „Dampfkessel“-Fall127. Auf vertraglicher Ebene wurde eine Pflicht zum Rückruf und kostenloser Reparatur nach Ablauf der Gewährleistungsfristen verneint, da es sonst zu einer nicht mehr vertretbaren Ausdehnung des Gewährleistungsrechts käme.128 Auch auf deliktischer Grundlage wurde eine solche Pflicht mit der knappen Begründung verneint, dass die Rechtsprechung kostenlose Reparatur- und Erneuerungspflichten bisher nicht bejaht habe und der OLG-Senat auch im vorliegenden Fall die Annahme solcher Pflichten für nicht vertretbar halte.129 Weitere Ausführungen erfolgten nicht. d) Rechtsprechung von 1985 bis 2000 aa) Urteile Ab dem Jahr 1985 nahmen Urteile mit Rückrufbezug zu. Große Beachtung in der Praxis und im Schrifttum fanden vor allem die Entscheidungen, in denen eine Rückrufpflicht ausdrücklich bejaht wurde. (1) Milchkühlanlagen 1985 äußerte sich das OLG Karlsruhe im „Milchkühlanlagen“-Fall130 zur Rückrufpflicht. Die Beklagte stellte Kondensatoren her, welche die Klägerin in von ihr vertriebenen Milchkühlanlagen einbaute. Kurzschlüsse in den Kondensatoren bargen laut Klägerin die Gefahr, dass Schäden in der Rührwerkautomatik verursacht würden und die verarbeitete Milch möglichweise unbrauchbar werde. Die Klägerin führte einen Rückruf der Milchkühlanlagen durch und verlangte von der Beklagten Kostenersatz. Das OLG Karlsruhe verneinte jedoch jegliche deliktischen Ansprüche, weil der Produktfehler allenfalls das Äquivalenzinteresse, nicht aber das Integritätsinteresse der Nutzer der Kühlanlagen gefährde und der Eintritt weiter gehender Schäden nicht zu befürchten sei.131 Ebenfalls wurde implizit eine Rückrufpflicht mit dem Verweis auf den Schutzgegenstand der deliktischen Verkehrssicherungs127  OLG Celle, Urteil vom 24.01.1979, Az. 13 U 153/78, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 3, S. 453 ff. 128  OLG Celle, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 3, S. 453, 455. 129  OLG Celle, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 3, S. 453, 456. 130  OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.1985, Az. 4 U 246/83 = VersR 1986, 1125 ff. (mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 18.03.1986 – VI ZR 289/85). 131  OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125, 1126 f.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht171

pflichten verneint.132 Zwar griff das Gericht den Begriff Rückruf nicht ausdrücklich auf, doch lag ein solcher, sei es als Pflicht oder Anspruch, den negativ abgrenzenden Überlegungen des Gerichts zugrunde, ohne dass für den Rückruf eine rechtliche Begründung erfolgte.133 Im Revisionsbeschluss ließ es der BGH ausdrücklich dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Produktnutzer „deliktische Ansprüche auf Rückruf und Austausch“ zustehen.134 (2) Kondensatoren Das OLG Frankfurt a. M. verhandelte 1990 einen Fall, in dem sich zwei Zulieferer gegenüberstanden.135 Die Beklagte stellte Zulieferteile für Bremssysteme her, während die Klägerin der Beklagten zu diesem Zweck Kondensatoren lieferte. Als sich an den Zulieferteilen der Beklagten Fehlfunktionen zeigten, führte sie einen Rückruf durch. Eine Fehleranalyse der Beklagten ergab, dass die Kondensatoren der Klägerin für den Produktfehler ursächlich gewesen waren. Die Beklagte belastete daraufhin die Klägerin mit Nachbearbeitungskosten und zog diesen Betrag von Forderungen der Klägerin ab, wogegen die Klägerin klagte. Das Gericht gab der Klage statt. Zwar sei die Beklagte verpflichtet gewesen, alles ihr Zumutbare zu unternehmen, um die Gefahr zuverlässig abzuwenden – das Gericht berief sich dabei auf die „Bremsen I“-Entscheidung des RG –, aber unter den gegebenen Umständen sei sie nicht zu einem Rückruf verpflichtet gewesen. Sowohl im Verhältnis Klägerin-Beklagte als auch Beklagte-Automobilhersteller hätte jeweils eine hinreichend deutliche Warnung genügt, da nicht davon auszugehen sei, dass die Warnung unter Inkaufnahme der Gefährdung von Leib und Leben oder erheblicher Sachwerte missachtet worden wäre.136 Interessanterweise wies das Gericht jedoch explizit darauf hin, dass sich für fehlerhafte Produkte, die sich bereits in den Händen des Endkunden befinden, ein anderes Bild ergeben könne: Eine Rückrufpflicht könne dann bejaht werden, wenn nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass sich die Betreffenden über eine Warnung hinwegsetzen.137 Das Gericht differenzierte erstmalig den Pflichtenumfang nach dem Adressatenkreis des Produkts. 132  OLG Karlsruhe,

VersR 1986, 1125, 1126. D. Koch, S. 291. 134  BGH, VersR 1986, 1127 f. 135  OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 13.11.1990, Az. 5 U 1114/89 = VersR 1991, 1184 ff. 136  OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1185 f. 137  OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1186. 133  Auch

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

(3) Druckluftbremsen Unter Bezugnahme und mit ähnlicher Argumentation wie bei der „Milch­ kühlanlagen“-Entscheidung wurde 1992 im „Druckluftbremsen“-Fall138 des OLG München eine Rückrufpflicht139 verneint. Die Klägerin stellte Bremseinrichtungen für Schienenfahrzeuge her, die Beklagte lieferte hierfür Druckmesszellen. Die Druckmesszellen stellten sich als fehlerhaft heraus, woraufhin die Klägerin einen Rückruf durchführte und Aufwendungsersatz verlangte. Das OLG München verneinte einen Anspruch auf Aufwendungsersatz. Die Beklagte, so führte es aus, sei nur zur Vermeidung der Schäden, deren Beseitigung ihr im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflichten oblegen hätte, verpflichtet. Im konkreten Fall habe eine solche Pflicht jedoch nicht bestanden. Zwar sei die allgemeine Systemzuverlässigkeit der Schienenfahrzeuge gesunken – und damit das Äquivalenzinteresse der Endabnehmer beeinträchtigt –, doch führten die fehlerhaften Zulieferprodukte nicht zu einem Versagen der Bremsen. Dadurch bestehe keine unmittelbare Unfallgefahr, Schäden am Integritätsinteresse der Endabnehmer oder Dritter seien nicht zu befürchten.140 Wieder wurde zwecks negativer Abgrenzung eine „deliktische Beseitigungspflicht“ diskutiert, aber nicht weiter begründet.141 (4) Rettungsinseln Im selben Jahr wurde vom LG Hamburg der „Rettungsinseln“-Fall142 entschieden, in dem die Klägerin Hochdruckschläuche an einen Kunden lieferte, der diese in aufblasbaren Rettungsinseln einsetzte. Aufgrund eines Mangels der Hochdruckschläuche führte der Kunde eine Rückrufaktion seiner Rettungsinseln durch. Die Klägerin reichte die Kosten an die Beklagte weiter, bei der sie produkthaftpflichtversichert war. Die Beklagte weigerte sich jedoch, die Kosten zu übernehmen, da keine Pflicht für einen Rückruf bestanden habe. Im Lichte der Lebensgefahr für die Endabnehmer nahm das LG Hamburg einen deliktischen Beseitigungsanspruch der Endabnehmer nach § 823 Abs. 1 BGB an,143 dem nur durch einen Rückruf und kostenlose

138  OLG München, Urteil vom 04.03.1992, Az. 7 U 6377/88 = VersR 1992, 1135 f. (mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 05.05.1993 – VIII ZR 104/92). 139  Der Urteilstext spricht anfangs von einer geschuldeten Aktion der Beklagten, die von der Klägerin erfüllt wurde (§ 267 BGB), womit ein Rückrufanspruch impliziert wird. Später wird aber von einer Verkehrssicherungspflicht gesprochen. 140  OLG München, VersR 1992, 1135 f. 141  OLG München, VersR 1992, 1135, 1136. 142  LG Hamburg, Urteil vom 21.07.1992, Az. 403 0 128/91 = VersR 1994, 299 f. Das Verfahren endete mit einem Vergleich vor dem OLG Hamburg, Az. 1 U 9/93.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht173

Reparatur genügt werden könne.144 Als Begründung diente dem Gericht lediglich der Verweis auf die strafrechtliche „Lederspray“-Entscheidung. (5) Dunstabzugshaube Im viel beachteten „Dunstabzugshauben“-Fall,145 den 1994 das OLG Karlsruhe entschied, wurde eine Rückrufpflicht ausdrücklich bejaht. Elektronische Steuerungen der Beklagten wurden in Küchendunstabzugshauben eingebaut, welche die Klägerin herstellte. Das Zulieferteil wies einen Konstruktionsfehler auf, der in mehreren Fällen die Dunstabzugshaube – und die Küche, in der sie installiert war – in Brand geraten ließ. Die Klägerin führte daraufhin eine Rückruf- und Austauschaktion durch und begehrte Kostenerstattung von der Beklagten. Der Klage wurde unter Annahme einer Rückrufpflicht stattgegeben. Zunächst hätten Beklagte und Klägerin durch schuldhafte Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten eine unerlaubte Handlung begangen und seien deshalb für die bereits entstandenen Schäden zu Schadensersatz verpflichtet. Um weitere Schadensfälle mit gefährlichen Folgen für Leben, Leib und Eigentum von Kunden und Dritten zu verhindern, habe die Klägerin einen Rückruf durchführen müssen. Eine weniger kostenträchtige Maßnahme sei nach den Umständen nicht in Betracht gekommen.146 Bemerkenswert ist, dass das Gericht an der entscheidenden Stelle des Urteils eine Rückrufpflicht ohne jegliche Begründung annimmt und dabei lediglich auf die strafrechtliche „Lederspray“-Entscheidung verweist. An anderer Stelle147 wird die Notwendigkeit der „Aufruf- und Austauschaktion“ der Klägerin damit begründet, dass Klägerin und Beklagte durch Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten eine unerlaubte Handlung begangen haben. Dies kann so ausgelegt werden, dass eine Rückrufpflicht wegen des Konstruktionsfehlers – der Pflichtverletzung beim Inverkehrbringen – zu bejahen ist. Möglich ist aber auch, dass das Gericht hier nur anhand des Ursache-Wirkung-Prinzips auf den Ablauf der Ereignisse abstellt und die Rückrufpflicht nicht vom verschuldeten Fehler, sondern von der bestehenden Gefahr abhängt.

143  Das Gericht verweist auf die Erörterung eines solchen Anspruchs im Aufsatz von J. Hager, VersR 84, 799, 802. 144  LG Hamburg, VersR 1994, 299. 145  OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.04.1993, Az. 15 U 293/91 = NJW-RR 1995, 594 ff. (mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 04.10.1994 – VI ZR 161/93). 146  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597, II.4. 147  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 595, II.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Beide Parteien legten Revision ein, welche der BGH nicht annahm.148 Teils wurde daraus geschlossen, dass bei einer konkret bestehenden Gefahr für Leib und Leben ein kostenloser Rückruf grundsätzlich zu erfolgen habe.149 (6) Tempostat 1996 widmete sich das OLG Düsseldorf im „Tempostat“-Fall150 der Rückrufthematik. Die Klägerin hatte Kunststoff-Kugelpfannen der Beklagten in einen Tempostat verbaut, welcher die Motorleistung von Kraftfahrzeugen regulierte. Unter Bezugnahme auf den „Milchkühlanlagen“-Fall des OLG Karlsruhe bekräftige das Gericht, dass ein Rückruf zur Schadensvorsorge prinzipiell gerechtfertigt sei, wenn er zur Abwendung einer bevorstehenden oder typischerweise zu erwartenden Gefahr der Schädigung des Eigentums der Endabnehmer diene. Dann bestehe aber nur eine Pflicht zur Entfernung des gefährlichen Teiles, da damit dem Schutz des Integritätsinteresses Genüge getan sei. Eine Pflicht zum Austausch, welche das Äquivalenzinteresse berührt hätte, sei nicht gegeben.151 Im konkreten Streitfall wurde eine Rückrufpflicht verneint, da keine Gefahr bestanden hatte und auch kein Produktfehler nachgewiesen werden konnte. Es könne demnach „dahinstehen, ob die Klägerin selbst bei dem Vorliegen eines Fehlers und der Notwendigkeit einer Rückrufaktion den von ihr geltend gemachten Schaden überhaupt und wenn ja in welchem Umfange ersetzt verlangen könnte.“152 (7) Gasheizungsdeckel Kurz vor der Jahrtausendwende bejahte 1998 das OLG München im „Gasheizungsdeckel“-Fall153 eine Rückrufpflicht. Die Klägerin stellte Gasheizungen für Wohnmobile her, in welche sie Plastikdeckel der Beklagten einbaute. Im Zuge von Untersuchungen eines abgebrannten Wohnmobils stellte sich heraus, dass die eingebaute Gasheizung zu dem Brand geführt hatte. Die Ursache hierfür war wiederum bei der Beklagten zu suchen, die bei bestimmten Chargen der Plastikdeckel versehentlich ein ungeeignetes 148  Nichtannahmebeschluss

des BGH vom 04.10.1994 – VI ZR 161/93. Lenz, in: FS für Meilicke, 417, 420 und Stöhr, in: FS für Müller, 173, 175; auch impliziert von R. Koch, NZBau 2001, 649, 653. 150  OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.05.1996, Az. 22 U 13/96 = NJW-RR 1997, 1344 ff. (mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 28.01.1997 – VI ZR 233/96). 151  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345 f. 152  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1346. 153  OLG München, Urteil vom 18.02.1998, Az. 7 H 6173-95 = NJW-RR 1999, 1657 ff. (mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 27.05.1999 – III ZR 103/98). 149  So



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht175

Material verwendet und damit einen Fabrikationsfehler verschuldet hatte. Die Klägerin führte daraufhin einen Rückruf ihrer Gasheizungen durch und verlangte Aufwendungsersatz von der Beklagten. Das OLG München hielt dies für gerechtfertigt und legte dem Aufwendungsersatzanspruch eine Rückrufpflicht zugrunde. Aufgrund der fehlerhaften Heizungen bestehe das Risiko, dass Gesundheit und Leben der Benutzer der Wohnmobile ganz erheblich gefährdet seien. Zur Abwendung der Gefahr seien sowohl Klägerin als auch Beklagte aus nachträglicher Verkehrssicherungspflicht verpflichtet gewesen. Ein Rückruf als Gefahrenabwehrmaßnahme stelle keine übertriebene Reaktion dar und sei zur unmittelbaren Beseitigung der Gefahr erforderlich gewesen.154 Interessant ist, dass sich das Urteil weder mit der Rückrufpflicht näher auseinandersetzte noch die ergangene Rechtsprechung zitierte,155 dafür aber eine kurze, wenn auch zweifelhafte Abwägung zwischen einer Warnung und einem Rückruf vornahm. Eine Warnung wurde nicht als ausreichend angesehen, weil die Produktnutzer einen „Bedarf“ auf Beheizung und Warmwasserversorgung hätten.156 Eine Begründung, inwiefern dies eine Warnung gegenstandslos werden lasse, blieb das Gericht schuldig. bb) Besonderheiten Bei einigen Urteilen wurde Revision eingelegt, die der BGH jeweils nicht annahm.157 Im Folgenden soll erörtert werden, inwieweit sich daraus Rechtsansichten des BGH ableiten lassen. Weiter sollen die Urteile darauf untersucht werden, ob sich ihnen bereits gemeinsame Leitlinien entnehmen lassen. Zuletzt soll gezeigt werden, dass es den Urteilen an einer differenzierenden rechtlichen Auseinandersetzung mit den Reaktionspflichten mangelte.

154  OLG München,

NJW-RR 1999, 1657, 1658. wurde die „Dunstabzugshaube“-Entscheidung des OLG Karlsruhe zitiert, aber nicht bei der Erörterung der Rückrufpflicht, sondern bei der Verantwortlichkeit des Herstellers für sein Produkt, vgl. OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 156  OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 157  OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125 ff. (Milchkühlanlagen) mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 18.03.1986 – VI ZR 289/85; OLG München, VersR 1992, 1135 f. (Druckluftbremse) mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 05.05.1993 – VIII ZR 104/92; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594 ff. (Dunstabzugshaube) mit Nichtannahmebeschluss des BGH v. 04.10.1994 – VI ZR 161/93; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344 ff. (Tempostat) mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 28.01.1997 – VI ZR 233/96; OLG München, NJW-RR 1999, 1657 ff. (Gasheizungsdeckel) mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 27.05.1999 – III ZR 103/98. 155  Zwar

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

(1) Rechtsansichten des BGH aus Nichtannahmebeschlüssen Auch wenn sich der BGH noch nicht ausdrücklich zu einer Rückrufpflicht geäußert hatte, konnte doch die Rechtsansicht abgeleitet werden, dass eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf inklusive Nachrüstung oder Austausch prinzipiell möglich ist. Das lässt sich aus der Nichtannahme der Revision der Urteile „Dunstabzugshaube“ und „Gasheizungsdeckel“ schließen, da in beiden Fällen die Annahme einer Rückrufpflicht ein tragender Grund der Entscheidungen war.158 Ein weiterer Indikator ist die „Lederspray“-Entscheidung, in der eine strafrechtliche Pflicht zum Rückruf bestätigt wurde.159 Hinsichtlich weiterer Rückschlüsse ist Vorsicht zu üben. Für eine Nichtannahme genügt es, dass die Revision im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg hat, etwa wenn ein Anspruch bereits an grundlegenden Voraussetzungen scheitert.160 Zwar mag es sein, dass sich Rechtsansichten des BGH mit den Ausführungen eines anderen Gerichts decken, zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen ein Gericht eine Rückrufpflicht – ob konkret am Einzelfall oder abstrakt – bejaht. Die Ableitung einer Rechtsansicht des BGH infolge eines Nichtannahmebeschlusses gerät dann schnell zu einer leichtfertigen Vermutung.161 Ein gutes Beispiel für dieses Phänomen ist die „Tempostat“-Entscheidung.162 Das OLG Düsseldorf versagte einen Regressanspruch, weil im konkreten Fall kein Produktfehler und damit auch keine Rückrufpflicht vorlagen. Darüber hinaus erfolgten generell-abstrakte Ausführungen zur Rückrufpflicht. Dass der BGH die Revision nicht annahm, wurde teilweise dahingehend interpretiert, dass der BGH auch mit den letztgenannten Ausführungen des OLG Düsseldorf übereinstimme und – im Lichte des vorher erfolgten Nichtannahmebeschlusses der ebenfalls eine Rückrufpflicht bejahenden „Dunstabzugshauben“-Entscheidung – eine Rückrufpflicht bei einer Gefährdung von Leib und Leben in jedem Fall bejahe.163 Da der Nichtannahmebeschluss aber bereits aufgrund des fehlenden Produktfehlers erfolgen musste, ist der Schluss nur eine Mutmaßung und nicht belastungsfähig.164 auch Stöhr, in: FS für Müller, 173, 179. § 4 II. 3. b). 160  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 179. 161  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 9, 11; Stöhr, in: FS für Müller, 173, 179. 162  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344 ff. mit NA-Beschluss des BGH vom 28.01.1997 – VI ZR 233/96. 163  So Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 9 und Stöhr, in: FS für Müller, 173, 175, die beide jedoch keine Belege anführen. 164  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 9. 158  Vgl. 159  Vgl.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht177

Es bleibt festzuhalten, dass die Ansicht, aus der Nichtannahme der Revi­ sionen der Urteile, in denen eine Rückrufpflicht bejaht wird, eine Ansicht des BGH zu schließen, nicht haltbar ist.165 (2) Leitlinien (a) Gefährdung des Integritätsinteresses notwendig In aller Deutlichkeit heben die OLG-Entscheidungen „Milchkühlanlagen“, „Kondensatoren“ und „Druckluftbremse“ hervor, dass es zuallererst einer Gefährdung des Integritätsinteresses bedarf, bevor die Fragen nach dem ob und den weiteren Voraussetzungen einer deliktischen Rückrufpflicht zu diskutieren sind. Eine Gefährdung des Äquivalenzinteresses allein genügt nicht. Das ist keine Überraschung, zielen deliktische Verkehrssicherungspflichten doch darauf, den Rechtsverkehr vor Schäden an den absoluten Rechtsgütern, die in § 823 Abs. 1 BGB geschützt sind, zu bewahren. Das Deliktsrecht schützt das Integritätsinteresse. Im Gegenschluss dazu bestehen keine deliktischen Reaktionspflichten, wenn (nur) das Äquivalenzinteresse beeinträchtigt ist, für dessen Schutz das Vertragsrecht zuständig ist. Die Urteile folgen dieser Leitlinie. (b) Gefährdetes Rechtsgut Hinsichtlich des gefährdeten Rechtsguts schlagen die Urteile ebenfalls in die gleiche Kerbe, dass eine Rückrufpflicht am ehesten bei zu erwartenden Personenschäden anzunehmen ist. Allen betrachteten Urteilen bis zum Jahr 2000, die eine Rückrufpflicht bejahen,166 liegt die Gefährdung von Personen zugrunde. Auch das erstaunt angesichts der Wertehierarchie der von § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter nicht. (3) Keine differenzierende Auseinandersetzung mit Rückrufpflicht (a) Fehlendes Eingehen auf Voraussetzungen Selten wird in den Entscheidungen auf die konkreten Voraussetzungen einer Rückrufpflicht jenseits einer Gefährdung des Integritätsinteresses einge165  Lenz,

in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 11. Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361 ff.; LG Hamburg, VersR 1994, 299 f.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594 ff.; OLG München, NJW-RR 1999, 1657 ff. 166  LG Freiburg,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

gangen. Stattdessen wird eine Pflicht entweder festgestellt167 oder im Sinne einer negativen Abgrenzung verneint168. Bei Letzterem mag das zwar verständlich sein, wenn es bereits an der Gefährdung des Integritätsinteresses mangelt.169 In allen anderen Fällen, besonders dort, wo eine Rückrufpflicht bejaht wird, bleibt das Verständnis für das Zustandekommen der Entscheidung auf der Strecke. Selbst wenn eine Auseinandersetzung erfolgt, ist die Argumentation im „luftleeren Raum“ nicht immer nachvollziehbar.170 Die einzelfallbezogene Feststellung von Rückrufpflichten erschwert die Ableitung abstrakter Prinzipien, da etwaige Kriterien für das Bestehen oder Verneinen einer Rückrufpflicht immer fallbezogen sind.171 Das beschränkt die Vergleichbarkeit zweier Fälle. Diese Problematik steuert beispielsweise zu dem Meinungsstreit bei, inwiefern eine Rückrufpflicht vom gefährdeten Rechtsgut abhängt.172 Aus den Urteilen lässt sich diesbezüglich – in Ermangelung einer Diskussion der Voraussetzungen einer Rückrufpflicht – keine einheitliche Linie entnehmen. Insbesondere zu der Fragestellung, ob eine Rückrufpflicht auch bei einer reinen Sachgefährdung bestehen kann oder ob zwingend die Gefährdung von Personen als Voraussetzung benötigt wird, finden sich verschiedene Ansätze – je nachdem, welche Umstände dem jeweiligen Fall zugrunde liegen. Die Rückrufpflicht wird uneinheitlich sowohl bei Sachschäden173, bei Personenschäden174, als auch bei Sach- und Personenschäden175 erörtert. Das verkompliziert die juristische Diskussion.

167  LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361, 364; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597: „Eine weniger kostenträchtige Maßnahme als ein Rückruf kam nach den Umständen nicht in Betracht.“; OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 168  OLG Celle, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 3, S. 453, 456. 169  So etwa explizit im Nichtannahmebeschluss des BGH, VersR 1986, 1127 f. 170  Beispielsweise die Begründung der Rückrufpflicht in Abgrenzung zur Warnung bei OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. Vgl. § 4 II. 3. d) aa) (7). 171  Ähnlich Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1603. 172  Zum Meinungsstreit siehe § 4 II. 2. b) bb). 173  OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125, 1127; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345 f. 174  LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361 ff.; LG Hamburg, VersR 1994, 299; OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 175  OLG Frankfurt a.  M., VersR 1991, 1184, 1185  f.; OLG Karlsruhe, NJWRR 1995, 594, 597.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht179

(b) Ungenaue Begrifflichkeiten Die Urteile zeigen eine mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rückrufs. In der Praxis steht er als Sammelbegriff verschiedener Ausgestaltungen einer Maßnahme, bei denen direkt auf das fehlerhafte Produkt eingewirkt wird.176 Die Gerichte setzen sich mit dieser Differenzierung nicht auseinander, sondern betrachten den Rückruf als feststehende Figur, die nur im Verhältnis zur Warnung abzugrenzen ist.177 In der Regel wird „Rückruf“ dabei als „für den Hersteller kostenpflichtigen Rückruf“ verstanden. Damit wird einer Diskussion der brisanten Frage der Kostentragung kein Raum gegeben,178 aber auch jenseits davon erfolgt keine weitere Abwägung zwischen den verschiedenen Rückrufalternativen.179 Aus rechtlicher Perspektive wird der Rückruf nicht durchgehend im Sinne einer Verkehrssicherungspflicht, sondern teils im Rahmen eines Anspruchs erläutert,180 dessen Existenz im Gegensatz zur Verkehrssicherungspflicht höchst umstritten ist.181 Zwar handelt es sich dabei um die zweite Seite derselben Medaille, da ein Rückrufanspruch nur bei bestehender Rückrufverpflichtung denkbar und der Inhalt jeweils deckungsgleich ist, aber dennoch wird die rechtliche Aufarbeitung der Materie durch die Vermengung von Anspruch und Pflicht erschwert. (c) Fehlende gegenseitige Bezugnahme Angesichts der wenigen Urteile ließe sich vermuten, dass zumindest bei der Bejahung einer Rückrufpflicht auf die vorangegangene Rechtsprechung verwiesen wird. Dem ist nicht so. Die mangelhafte gerichtliche Auseinandersetzung mit der Rückrufthematik äußert sich auch darin, dass es an einer stringenten gegenseitigen Bezugnahme fehlt. Einige Urteile verweisen an entscheidender Stelle lediglich auf die „Lederspray“-Entscheidung, die systematisch aus dem Strafrecht kommt und 176  Siehe

§ 1 I. 1. OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1185 f.; OLG Karlsruhe, NJWRR 1995, 594, 597. Besonders deutlich bei LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361, 364. 178  Dieser Punkt wird bei OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1346 zumindest insofern angeschnitten, als eine Rückrufaktion laut dem Gericht nur den Ausbau der fehlerhaften Teile, nicht aber den Einbau neuer Teiler umfasst. Eine Rückrufpflicht wird im konkreten Fall jedoch verneint. 179  So auch Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1603. 180  Etwa LG Hamburg, VersR 1994, 299 und OLG München, VersR 1986, 1125, 1126 f. 181  Siehe § 4 III. 177  So

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dessen Aussagekraft über die Annahme einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht hinaus stark begrenzt ist.182 Die zivilrechtliche Rechtsprechung wird dabei außen vor gelassen.183 An anderer Stelle wird weder auf zivil- noch auf strafrechtliche Rechtsprechung eingegangen.184 Andere Urteile185 verweisen auf die „Bremsen I“-Entscheidung des Reichsgerichts, die nur allgemein Reaktionspflichten des Herstellers konstatiert, zu der Ausgestaltung der Maßnahmen jedoch schweigt. Dementsprechend vage ist es, eine Rückrufpflicht mit einem solchen Verweis begründen zu wollen. Zuletzt werden Urteile, die zumindest in Teilen eine differenzierende Betrachtungsweise an den Tag legen, überhaupt nicht zitiert.186 e) Rechtsprechung ab 2000 bis 2008 Ab dem Jahrtausendwechsel ergingen weitere Entscheidungen zur Rückrufpflicht, welche die Diskussion in der Literatur erneut anstießen. Es wurde gar von einer „Renaissance der Rückrufdiskussion“187 gesprochen. Grund war, dass in den neuen Urteilen Rückrufpflichten verneint wurden. Die betreffenden Entscheidungen – „Pflegebetten“, „Federbruchsicherung“ und „Hundesterben“ – sollen im Folgenden näher untersucht und ihr Verhältnis zur vorherigen Rechtsprechung herausgearbeitet werden. Teile der Wissenschaft sahen in der neuen Rechtsprechung eine „sichtbare Kehrtwende“188. Ob dem so ist, soll im Rahmen des Zwischenergebnisses [vgl. f)] überprüft werden. aa) Urteile (1) Pflegebetten Die sogenannten „Pflegebetten“-Fälle traten die Diskussion um den kostenfreien Rückruf los. Nachdem es in Deutschland und Frankreich im Zusammenhang mit elektrischen Pflegebetten zu Schadensfällen gekommen 182  Siehe

§ 4 II. 3. b). VersR 1994, 299; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597. 184  OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. 185  LG Freiburg, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 1, S. 361, 364; OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1185. 186  Zwar wird die Möglichkeit einer Rückrufverpflichtung gegenüber einem privaten Produktnutzer grundsätzlich bejaht bei OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1185, aber nachfolgende Urteile verweisen darauf nicht. 187  Kettler, PHi 2008, 52. 188  Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1605. 183  LG Hamburg,



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht181

war, ließen Pflegekassen, die die Betten ihren Versicherten zur Verfügung stellen, die Pflegebetten auf eigene Kosten nachrüsten. In diversen erstinstanzlichen Verfahren189 verlangten die Pflegekassen den Ersatz der Nachrüstungskosten, jedoch jeweils ohne Erfolg. Hierbei sind zwei Verfahrenswege beachtenswert. Ein Verfahren wurde zunächst 2002 vor dem AG Werl190 verhandelt und schließlich in der ersten Berufungsinstanz vor dem LG Arnsberg191 bestätigt. Ein weiteres Verfahren nahm den Weg vom LG Bielefeld192, nach eingelegter Berufung über das OLG Hamm193 und kam schließlich im Zuge der Revision vor den Bundesgerichtshof194. Im Ergebnis bestätigten die Nachinstanzen jeweils die Ersturteile, wenn auch teilweise unterschiedliche Begründungen herangezogen wurden. Die beiden Verfahrenswege sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Wegen seiner Relevanz wird das Verfahren vor dem LG Bielefeld zuerst behandelt, auch wenn die Verfahrensgeschichte des Falles vor dem LG Arnsberg zeitlich früher begann. (a) Pflegebetten 1 – LG Bielefeld (aa) Sachverhalt Zur leichteren Verständlichkeit ist die Personenkonstellation im Folgenden dargestellt (siehe nächste Seite).195 Die Beklagte ist eine Herstellerin von Pflegebetten, welche sie an Sanitätshäuser liefert. Die Klägerin ist eine gesetzliche Pflegekasse, die seit 1995 besagte Pflegebetten von den Sanitätshäusern bezieht und ihren pflegebedürftigen Versicherten zur ambulanten häuslichen Pflege zur Verfügung stellt. Kurz vor der Jahrtausendwende kam es im Zusammenhang mit vergleichba189  Erstens AG Werl, Urteil vom 08.11.2002, Az. 4 C 512/02; zweitens LG Bielefeld, Urteil vom 08.11.2005, Az. 18 O 23/05 = BeckRS 2007, 14705; drittens LG Köln, Az. 14 0 336/02, welches nach § 240 ZPO unterbrochen wurde (zitiert nach Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 12 Fn. 31). 190  AG Werl, Urteil vom 08.11.2002, Az. 4 C 512/02. 191  LG Arnsberg, Urteil vom 06.05.2003, Az. 5 S 176/02 = BeckRS 2004, 11101 = openJur 2011, 25355. 192  LG Bielefeld, Urteil vom 08.11.2005, Az. 18 O 23/05= BeckRS 2007, 14705 = openJur 2011, 38476 = PHi, 2006, 17, 18 ff. 193  OLG Hamm, Urteil vom 16.05.2007, 8 U 4/06 = BB 2007, 2367 f. = OLGR 2008, 176 ff. = BeckRS 2007, 12662. 194  BGH, Urteil vom 16.12.2008, Az. VI ZR 170/07 = BGHZ 179, 157  ff. = NJW 2009, 1080 ff. = JZ 2009, 905 ff. = VersR 2009, 272 ff. 195  Basierend auf der Darstellung des Tatbestands im Urteilstext des LG Bielefeld, openJur 2011, 38476 Rn. 4 ff.

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ren Pflegebetten anderer Hersteller196 bei diversen Vorfällen in Deutschland und Frankreich zu Bränden mit Todesfolge, Rauchgasvergiftungen und Strangulationen. Diese Vorfälle waren möglicherweise auf Mängel der Pflegebetten zurückzuführen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informierte im Mai 2000 die zuständigen obersten Landesbehörden über die Vorkommnisse. Im März 2001 fasste das BfArM in einer weiteren Mitteilung die bis dato gesammelten Erkenntnisse zusammen: Die Brand- und Einklemmungsgefahr gehe vermutlich von einer fehlerhaften Konstruktion einzelner Teile aus. Die Brandgefahr gehe darauf zurück, dass Feuchtigkeit in die elektrischen Antriebseinheiten eindringen könne, während die Einklemmungsgefahr auf ein zu großes Spaltmaß der Seitengitter zurückzuführen sei. Mit restloser Sicherheit waren diese Aspekte zwar nicht als alleinige Gefahrenursachen festzumachen, aber nichtsdestotrotz sei eine Untersuchung und Nachrüstung älterer Betten geboten. Die Landesbehörden informierten daraufhin die Pflegekassen – darunter auch die Klägerin – über die Gefahrenlage und forderten sie auf, die von ihnen gestellten Pflegebetten zu untersuchen und gegebenenfalls nachrüsten zu lassen. Die Beklagte hatte selbst von diesen Vorgängen erfahren und wandte sich im Juni 2001 an ihre Kunden, die Pflegekassen. Auch die Klägerin erreichte 196  Molitoris,

VW 2007, 1175.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht183

ein solches Schreiben. Darin wies die Beklagte unter Bezugnahme auf ein Informationsschreiben der Landesbehörden auf die Gefahr hin und bot an, die Pflegebetten kostenpflichtig nachzurüsten oder auszutauschen. Die Klägerin erwiderte, dass die Kosten der Nachrüstung vom Hersteller, der Beklagten, zu tragen seien. Darauf reagierte die Beklagte nicht. Die Pflegekasse veranlasste daraufhin die Nachrüstung der Pflegebetten auf eigene Kosten und verlangte von der Beklagten den Ersatz der Aufwendungen, insgesamt etwa 260.000 Euro197. Die Beklagte entgegnete, dass sie mit dem Schreiben vom Juni 2001 ihren herstellerspezifischen Verkehrssicherungspflichten in Form einer Warnung und dem Angebot der kostenpflichtigen Nachrüstung bereits vollständig nachgekommen sei. In keinem Fall treffe sie die Pflicht zum Rückruf inklusive kostenfreier Nachrüstung. Im Mai 2004 erhob die Pflegekasse Klage. Sie warf der Beklagten die Verletzung einer Konstruktionspflicht vor, da die Betten bereits bei Inverkehrbringen dem erforderlichen Sicherheitsstandard nicht entsprochen hätten. Angesichts der Gefahr für Leib und Leben der Pflegebedürftigen habe der Beklagten ein Rückruf oblegen. Durch die Nachrüstung habe die Klägerin (auch) ein Geschäft der Beklagten geführt und könne die Aufwendungen im Rahmen der Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt bekommen. Die Beklagte trug dagegen vor, dass kein Konstruktionsfehler vorgelegen habe, da die Pflegebetten bei Inverkehrbringen den relevanten Sicherheitsnormen entsprochen hätten. Insofern sich weitere Pflichten aus Produktbeobachtung ergeben, sei sie diesen mit dem Schreiben vom Juni 2001, das eine Warnung und das Angebot einer kostenpflichtigen Nachrüstung enthielt, ausreichend nachgekommen. Ein Rückruf habe ihr nicht oblegen. (bb) Rechtliche Bewertung durch LG Bielefeld Die Erstinstanz des LG Bielefeld198 sah die Klage als unbegründet an, da sich weder aus den Produktbeobachtungs- noch aus den Konstruktionspflichten des Pflegebettenherstellers eine Rückrufpflicht ableiten lasse. Eine öffentlich-rechtliche Rückrufverpflichtung in Form einer behördlichen Anordnung habe nicht vorgelegen. 197  Da die Klägerin die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht in Anspruch nimmt, setzt sich der Betrag sowohl aus den Nachrüstungskosten der Klägerin (ca. 180.000 Euro) als auch den selbigen einer anderen Pflegekasse (ca. 80.000 Euro) zusammen, im Urteilstext „Zedentin“ genannt. Für die weiteren Ausführungen ist dies aber nicht weiter relevant. 198  LG Bielefeld, Urteil vom 08.11.2005, Az. 18 O 23/05= BeckRS 2007, 14705 = openJur 2011, 38476 = PHi 2006, 17, 18 ff.

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Im Rahmen der Produktbeobachtung sei es bereits fraglich, ob sich daraus eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf ergeben könne. Dies komme allenfalls in Betracht, wenn eine Warnung voraussichtlich versagen werde, weil der Adressat sie nicht erhalte oder nichts mit ihr anfangen könne. Im vorliegenden Fall könne davon aber nicht ausgegangen werden, da die Pflegekassen als fachkundig genug einzuschätzen wären, um gebotene Maßnahmen in die Wege zu leiten. Zweifel, dass die Warnung nicht verstanden worden wäre, mussten sich der Beklagten nicht aufdrängen.199 Auch bei Annahme eines Konstruktionsfehlers ändere sich im Ergebnis nichts. Zwar würde hier, da der Beklagten bereits bei Inverkehrbringen eine Pflichtverletzung anzulasten wäre, eine Verpflichtung zum Rückruf näher liegen. Dennoch müsse eine solche Pflicht hohen Anforderungen gerecht werden, da sonst die Wertungen des Gewährleistungsrechts außer Kraft gesetzt würden. Käufer und Dritte müssten sich nach Ablauf der Fristen mit der Fehlerhaftigkeit der Ware abfinden. Allenfalls bei einer ganz konkreten Gefahr für Leib und Leben, die jedoch im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden konnte – das Gericht berief sich dabei auch auf die Wertungen des parallelen Verfahrens vor dem LG Arnsberg200 –, sei eine Rückrufpflicht anzunehmen. Die Beklagte sei indes ihren Pflichten durch eine Warnung ausreichend nachgekommen. Insofern könne es dahinstehen, ob ein Konstruktionsfehler vorgelegen habe oder nicht.201 (cc) Rechtliche Bewertung durch OLG Hamm Die Klägerin legte Berufung ein, woraufhin der Fall 2007 den Weg vor das OLG Hamm fand.202 Die Klägerin wiederholte ihre Auffassung, dass die Betten Konstruktionsfehler aufwiesen und ein gefahrloser Gebrauch nicht möglich gewesen sei. Es habe eine ernst zu nehmende Gefahr für eine unbestimmte Anzahl von Patienten bestanden, wodurch die Voraussetzungen für eine Rückrufpflicht gegeben seien. Eine konkrete Gefährdung sei nicht notwendig. Weiterhin sei eine Warnung kein geeignetes, milderes Mittel gegen die Gefahren, die von dem Konstruktionsfehler ausgingen. Die Beklagte wiederholte und vertiefte ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Das OLG Hamm bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Die Klägerin habe kein fremdes Geschäft der Beklagten geführt, da keine Rückrufpflicht be199  LG Bielefeld,

openJur 2011, 38467 Rn. 34. openJur 2011, 38467, Rn. 36. 201  LG Bielefeld, openJur 2011, 38467, Rn. 36. 202  OLG Hamm, Urteil vom 16.05.2007, 8 U 4/06 = BB 2007, 2367 ff. = OLGR 2008, 176 ff. = BeckRS 2007, 12662 ff. Urteilsbesprechungen bei Lenz, PHi 2007, 135 ff.; Rothe, MPR 2007, 117 ff. 200  LG Bielefeld,



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht185

standen habe. Abweichend von der Vorinstanz ergänzte das Gericht, dass die Klägerin vielmehr ihren eigenen Pflichten aus § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI nachgekommen sei.203 Dieser Aspekt sollte später vom BGH aufgegriffen werden, wenn auch in einem anderen Kontext.204 Weiter wurde ausgeführt, dass sich im konkreten Fall ein deliktischer Anspruch auf Rückruf allenfalls, da kein Schaden eingetreten war, aus einer Gefährdung der entsprechenden Rechtsgüter ableiten lasse. Ein Gefahrenbeseitigungsanspruch bestände eventuell dort, wo dem Produktnutzer Gefahr drohe, ohne dass er sich durch zumutbare Ausweichalternativen, wie etwa den Gebrauch der Sache einzustellen, schützen könne. Mit Verweis auf die Ausführungen des LG Bielefeld der ersten Instanz und des LG Arnsberg – dass ein Missverstehen der Warnung nicht zu erwarten gewesen wäre, und dass eine konkrete Gefahr für Leib und Leben, welche trotzdem eine Rückrufpflicht nach sich ziehen könnte, allenfalls abstrakt, aber nicht konkret dargelegt werden konnte205 – sah das OLG Hamm dies im vorliegenden Fall nicht gegeben und betrachtete die erfolgte Warnung als ausreichend. Das Gericht beschäftigte sich weiterhin intensiv mit der Frage, ob ein anfänglicher Konstruktionsfehler immer eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf nach sich ziehe, wie es teils in der Literatur206 vertreten wurde. Die Ansicht wurde mit der Begründung verneint, dass sonst der Konstruktionsfehler auf unzulässige Weise mit einer Rechtsgutsverletzung gleichgestellt werde.207 (b) Pflegebetten 2 – LG Arnsberg Bei dem im Jahr 2003 vor dem LG Arnsberg entschiedenen Fall208 ist die Fallkonstellation mit obig geschilderten vergleichbar, auch wenn ihm nur ein geringer Streitwert von 922,78 Euro für den Erwerb von 44 Nachrüstsätzen zugrunde lag. Das Gericht stellte weder eine Verletzung einer Konstruktionspflicht noch einer Beobachtungspflicht fest und verneinte sämtliche Kostenerstattungsansprüche. So habe keine konkrete Gefahr für Leib und Leben 203  § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI: „Der Anspruch [der Pflegebedürftigen] umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Pflegehilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch.“ 204  Siehe § 5 II. 4. c). 205  LG Bielefeld, openJur 2011, 38476 Rn. 34 ff.; LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7. 206  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 851 ff., der dort jedoch diese Position mittlerweile etwas abgeschwächt hat. Noch anders etwa in der 6. Auflage bei § 823 Rn. 679. 207  OLG Hamm, BB 2007, 2367, 2368. 208  LG Arnsberg, Urteil vom 06.05.2003, Az. 5 S 176/02 = BeckRS 2004, 11101 = openJur 2011, 25355.

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vorgelegen, wodurch das Bestehen einer sich aus der Produktbeobachtungspflicht ergebenden Reaktionspflicht bereits fraglich erscheine. Selbst wenn eine Reaktionspflicht zu bejahen wäre, würde sich diese auf eine Warnung beschränken. Denn für eine Rückrufpflicht sei nur dort Raum, wo eine Warnung des Benutzers nicht genüge. Daran scheitere in der Regel eine Rückrufpflicht. Der gewarnte Produktnutzer könne sich und Dritte dadurch schützen, dass er den Gebrauch des gefährlichen Produktes einstelle. Mache er das nicht, so handle er auf eigene Gefahr und unterbreche er den Kausalzusammenhang. Eine Ausnahme in Form einer Verpflichtung zum kostenfreien Rückruf komme nur in Betracht, wenn bei erheblichen Folgen für Gesundheit und Eigentum entsprechende Schäden durch eine Warnung nicht zu verhindern seien. Im vorliegenden Sachverhalt sei das nicht der Fall gewesen.209 Darüber hinaus teilte das Gericht die Ansicht, dass weitreichende Rückrufansprüche mit den Wertungen des Gewährleistungsrechts nicht in Einklang zu bringen seien, wenn der Endkunde den Mangel und die mögliche Gefährlichkeit der Sache kenne und die Gewährleistungsfrist verstrichen sei.210 (2) Federbruchsicherung 2006 entschied das LG Frankfurt a. M. einen Fall über medizinisch-technische Produkte.211 Die Beklagte stellte Federbruchsicherungen her, die in Röntgengeräten der Klägerin eingesetzt wurden und verhindern sollten, dass die schweren Röntgenstrahler der Geräte herabfallen. Nach vereinzelten Zwischenfällen mit Personenschäden stellte sich heraus, dass einige der Federbruchsicherungen aufgrund eines Konstruktionsfehlers ihre Aufgabe nicht erfüllen konnten. Daraufhin führte die Klägerin eine weltweite Umrüstaktion der Röntgengeräte auf eigene Kosten durch und verlangte von der Beklagten Aufwendungsersatz. Das Landgericht gab der Klage nicht statt. Der Klägerin stehe kein Aufwendungsersatz zu, da keine Pflicht zu einem kostenlosen Rückruf bestanden habe. Um den herstellerspezifischen Verkehrssicherungspflichten nachzukommen, hätte eine Warnung oder Stilllegungsaufforderung genügt, da so eine potentielle Verletzung des Integritätsinteresses durch eine weitere Nutzung der Röntgengeräte abschließend hätte beseitigt werden können.212 In der Regel werde der Hersteller seinen Gefahrsteuerungspflichten bereits 209  LG Arnsberg,

openJur 2011, 25355 Rn. 7. openJur 2011, 25355 Rn. 8. 211  LG Frankfurt a. M., Urteil vom 01.08.2006, Az. 2-19 O 429/04 = VersR 2007, 1575 ff. 212  LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 f. 210  LG Arnsberg,



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht187

durch Ausgabe einer Warnung oder einer Stilllegungsaufforderung gerecht. Das Deliktsrecht diene dem Schutz des Integritätsinteresses und nicht des Äquivalenzinteresses. Weitergehende Rückrufpflichten würden die Wertungen des Gewährleistungsrechts beiseiteschieben.213 Bei der Diskussion der gebotenen Gefahrenabwehrmaßnahme differenzierte das Landgericht zwischen Warnung, kostenpflichtigem und kostenfreiem Rückruf. Im Vergleich zu den „Pflegebetten“-Fällen ist anzumerken, dass das LG Frankfurt a. M. im vorliegenden Fall Rückrufpflichten am deutlichsten verneint und der Frage, unter welchen Umständen eine Rückrufpflicht doch anzunehmen wäre, keinen Raum gibt. Die Ausführungen des Landgerichts wurden daher als „Paukenschlag der erneuten Diskussion“214 wahrgenommen. (3) Hundesterben Bisweilen wird mit der neuen Rechtsprechung zum Rückruf der im Jahr 2007 entschiedene „Hundesterben“-Fall215 in Verbindung gebracht. In diesem ließ sich ein Düngemittelhersteller Rizinusschrot zuliefern, den er zur Herstellung von Gartendünger verwendete. Der Rizinusschrot enthielt ein Eiweißgift, dessen Menge aber laut des Zulieferers nach den gesetzlichen Vorschriften weder als giftig noch gesundheitsschädlich einzustufen war. Als bis August 2001 eine Vielzahl von Hunden, die den Dünger aufgenommen hatten, starben, führte der Düngemittelhersteller auf Anraten der Marktüberwachungsbehörde einen Rückruf durch und forderte den Zulieferer auf, sich an den Kosten zu beteiligen. Das OLG Düsseldorf wies die Klage ab. Ein Anspruch auf Rückerstattung der Rückrufkosten setze eine Pflicht zum Rückruf voraus. Da der Rizinusschrot die zulässigen Grenzwerte nicht überschreite, habe kein Produktfehler und damit keine Grundlage einer deliktischen Rückrufpflicht bestanden.216 Dem Urteil wird teils zugeschrieben, dass es im Zuge der Verneinung einer Rückrufpflicht in eine ähnliche Richtung argumentiert wie die „Pflegebetten“-Fälle und die „Federbruchsicherung“-Entscheidung, dass der Hersteller also bereits mit einer Warnung seinen Reaktionspflichten nachkommt.217 Dem ist zu widersprechen. Das Gericht führt lediglich aus, dass 213  LG Frankfurt a. M.,

VersR 2007, 1575. in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 14. 215  OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.03.2007, Az. 17 U 11/06 = NJW-RR 2008, 411 f. 216  OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411 f. 217  Lenz, in: FS für Meilicke, 417, 429; ders., PHi 2007, 135, 137. Diesen Eindruck vermitteln etwa Klindt/Molitoris, NJW 2008, 1203, 1205, die die „Hundesterben“-Entscheidung mit den „Pflegebetten“- und „Federbruchsicherung“214  Lenz,

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eine Rückrufpflicht prinzipiell möglich sei218 und als Voraussetzung hierfür neben der Gefährdung des Integritätsinteresses ein Produktfehler vorliegen müsse. Im Ergebnis ist dies alles, was sich über die Rückrufpflicht aus dem Urteil ziehen lässt. Der Schwerpunkt der Urteilsbegründung liegt in der Diskussion des Produktfehlers, der letztendlich verneint wird. Nur deswegen wird auch eine Rückrufpflicht verneint – anders, als es bei den Fällen „Pflegebetten“ und „Federbruchsicherung“ war, bei denen eine Rückrufpflicht nicht bereits an der Voraussetzung eines Produktfehlers scheiterte und damit im Ergebnis nicht entscheidend davon abhing. So ist auch die Erwähnung einer Warnung gegen Ende des Urteils im Kontext des Produktfehlers zu verstehen. Das Gericht führt an, dass der Warnaufdruck auf den Düngemittelpackungen, Tiere von dem Dünger fernzuhalten, die Hundebesitzer in die Lage gebracht habe, Verletzungen oder Todesfälle zu vermeiden.219 Damit ist nicht die Warnung im Rahmen einer Reaktionspflicht, sondern die Warnung im Rahmen der Instruktionspflichten, also im Sinne einer Instruktion gemeint. Das Gericht drückt lediglich aus, dass nach seiner Auffassung weder ein Konstruktions- noch ein Instruktionsfehler vorgelegen habe, wenn auch die Begriffe in dieser Form nicht fallen. Zuletzt ist eine Verallgemeinerung der Entscheidung deswegen zurückhaltend zu handhaben, weil der Fall eine Reihe besonderer Umstände aufweist.220 Dazu zählt, dass der Rückruf nicht vollends freiwillig erfolgte, sondern auf Anraten der Marktüberwachungsbehörde durchgeführt wurde, die meinte, Gefahren für Leib und Leben von Menschen seien nicht vollständig ausgeschlossen.221 Die rechtliche Bewertung im Rahmen des Urteils bezog sich jedoch nur auf Gefahren für die Hunde der Endkunden. Auch wird nicht die Problematik erörtert, dass das Einhalten gesetzlicher Grenzwerte nicht zwingend mit der Erfüllung der deliktischen Herstellerpflichten gleichzusetzen ist.222 Weiterhin wird spekuliert, dass sich die Parteien selbst über den Ausgang des Verfahrens nicht sicher waren, was aus dem Vergleich der Parteien noch vor Einlegen der Nichtzulassungsbeschwerde gefolgert wird.223 Aus den genannten Gründen wird die Entscheidung im Folgenden nicht weiter berücksichtigt. Fällen ins Verhältnis setzen und dabei feststellen, dass erstere nur in Teilen der Gründe in eine andere Richtung weist. 218  Unter anderem unter Berufung auf OLG Karlsruhe, VersR 1986, 1125 ff. und OLG München, VersR 1992, 1135 f. 219  OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 411, 412. 220  Lenz, in: FS für Meilicke, 417, 430. 221  Lenz, in: FS für Meilicke, 417, 430. 222  Siehe § 2 III. 1. a). 223  So Lenz, in: FS für Meilicke, 417, 419 Fn. 9.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht189

bb) Besonderheiten Die Entscheidungen „Pflegebetten“- und „Federbruchsicherung“ heben sich inhaltlich auf zweierlei Weise fundamental von der vorherigen Rechtsprechung ab. Zum einen setzen sie sich detailliert mit der Pflicht zum Rückruf und ihren Voraussetzungen auseinander. Zum anderen wird eine Rückrufpflicht in der Tendenz verneint. Darüber hinaus teilen sich die zugrundeliegenden Sachverhalte die Besonderheit, dass es sich bei den fehlerhaften Produkten um Medizinprodukte handelt. (1) Auseinandersetzung mit Rückrufpflicht Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Rückrufthematik beginnt bereits auf begrifflicher Ebene. So wird in der „Federbruchsicherung“-Entscheidung explizit mit der bisherigen Praxis gebrochen, den Begriff „Rückruf“ mit „Rückruf inklusive kostenfreier Reparatur oder Ersatz“ gleichzusetzen. Vielmehr wird abgegrenzt zwischen Warnung, für den Produktnutzer kostenpflichtigem Rückruf („Aufforderung zum kostenpflichtigen Austausch“) und kostenfreiem Rückruf.224 Die „Pflegebetten“-Entscheidungen des LG Arnsberg, LG Bielefeld und OLG Hamm treffen diese Differenzierung zwar nicht, definieren dafür aber explizit, dass sie von einer Pflicht zum Rückruf einschließlich kostenloser Nachrüstung sprechen.225 Bedeutsamer ist die vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen einer Rückrufpflicht in Abgrenzung zur Warnpflicht. Anders als in den vorherigen Urteilen, die eine Rückrufpflicht eher apodiktisch bejahten, erfolgt in allen Urteilen eine detaillierte Darstellung der abstrakten Gedankengänge, die über das Für oder Wider einer Rückrufpflicht entscheiden. Das OLG Hamm setzte sich gar mit einer Literaturansicht auseinander.226 Bedauernswert ist jedoch – auch im Hinblick auf den sogleich folgenden Punkt –, dass an den entscheidenden Stellen der Urteile kein Bezug zur vorherigen Rechtsprechung genommen wurde.227 Insbesondere eine Auseinandersetzung mit den Urteilen, die eine Rückrufpflicht bejahten und auch vom BGH bestätigt wurden, wäre begrüßenswert gewesen. Auch ver224  LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 f.; vgl. auch Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1604 f. 225  LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7; LG Bielefeld, openJur 2011, 38476 Rn. 33, 35; OLG Hamm, BB 2007, 2367. 226  OLG Hamm, BB 2007, 2367, 2368. 227  Die Urteile verweisen lediglich auf sich untereinander. Das LG Bielefeld verweist auf die Ausführungen des LG Arnsberg (LG Bielefeld, openJur 2011, 38476 Rn. 36), und das OLG Hamm auf die Ausführungen der Vorinstanz und des LG Arnsberg (OLG Hamm, BB 2007, 2367, 2368).

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

passte das OLG Hamm in seiner Entscheidung die Gelegenheit, die eindeutigen Aussagen des LG Frankfurt a. M. im „Federbruchsicherung“-Urteil des vorherigen Jahres obergerichtlich zu bestätigen.228 (2) Generelle Ablehnung einer Rückrufpflicht Der brisante Punkt bei der neuen Rechtsprechung ist, dass nicht nur in den behandelten Fällen eine Pflicht zum Rückruf verneint wird – das war schon in vorherigen Entscheidungen der Fall, wenn es etwa bereits an einem Produktfehler oder der Gefährdung des Integritätsinteresses mangelte –, sondern dass die Warnpflicht generell zum Regelfall erklärt wird. Keines der Urteile verneint jedoch kategorisch die Möglichkeit einer Rückrufpflicht, auch wenn sich skeptische Passagen hinsichtlich einer Pflicht zum Rückruf mit kostenloser Nachrüstung finden.229 Selbst die „Federbruchsicherung“-Entscheidung, die von Kritikern von Rückrufpflichten als die „dogmatisch klarste“230 Entscheidung dieser Zeit bezeichnet wird, lässt dem sonst eindeutigen Passus, der Hersteller komme seinen Gefahrsteuerungspflichten bereits mit der Herausgabe von Warnungen oder Stilllegungsaufforderungen nach, eine Relativierung durch den Beisatz „in der Regel“ zukommen.231 In Grundzügen teilen sich alle Urteile den folgenden Ansatz: Die Pflicht zum Rückruf ist stark einzuschränken. Sie besteht lediglich unter besonderen Umständen als Ausnahme zur Regel, einer Warnung. Im Kern teilen sich die Urteile eine ähnliche Argumentationslinie. Ist der Produktnutzer über die Gefährlichkeit seines Produktes durch eine Warnung informiert, könne er die Gefahr beheben, indem er das Produkt nicht mehr benutzt. Deswegen reiche es zum Schutz des Integritätsinteresses der Produktnutzer und Dritter aus, wenn der Hersteller eine Warnung ausspreche. Benutzt der gewarnte Produktnutzer das Produkt wider besseres Wissen trotzdem weiter, handle er auf eigene Gefahr und unterbreche den Kausalzusammenhang. Die Haftung gehe damit auf den Produktnutzer 228  Das monieren auch Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1605 und Lenz, PHi 2007, 135, 137. 229  LG Bielefeld, openJur 2011,38476 Rn. 34: „Ob [die Produktbeobachtungspflicht] eine Verpflichtung zum Rückruf einschließlich kostenloser Nachrüstung überhaupt auslösen kann, ist bereits fraglich […].“, Rn. 36: „Sofern aus [dem Gesichtspunkt der Wertungen des Gewährleistungsrechts] heraus nicht bereits ein Anspruch auf Rückruf (mit dem Inhalt einer kostenlosen Nachrüstung) abzulehnen ist, […].“; LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575: „[…] dass bei Anerkennung weiter gehender Rückruf- und Reparaturpflichten [über Warnpflichten hinaus] die Wertungen des Gewährleistungsrechts beiseitegeschoben werden würden […].“ 230  Klindt/Molitoris, NJW 2008, 1203, 1206. 231  LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht191

über.232 In zweiter Reihe wird argumentiert, dass die Wertungen des Gewährleistungsrechts prinzipiell gegen ausufernde Rückrufpflichten sprechen. Nach Ablauf der Gewährleistungsfristen haben sich der Käufer und Dritte mit dem mangelhaften Zustand des Produkts abzufinden, auch wenn die Mangelhaftigkeit eine Gefahr beinhalte.233 Wann einer Rückrufpflicht noch Raum hinter einer Warnung zuzustehen ist, beantworten die Urteile ähnlich. Grundsätzlich bestehe eine Rückrufpflicht immer dann, wenn eine Warnung „nicht genüge“ und eine Schädigung nicht ohne weiteres verhindern könne.234 Damit kann unter anderem gemeint sein, dass eine Warnung nicht ankommt oder unbrauchbar ist, weil sie vom Adressaten nicht verstanden wird.235 Das LG Bielefeld erörtert schließlich den Sonderfall, dass dem Produkt bereits bei Inverkehrbringen ein Fehler anhaftet, der dem Hersteller vorzuwerfen ist. Bei einem solchen anfänglichen Produktfehler wäre eine Rückrufpflicht noch am ehesten denkbar, auch wenn sich das Gericht hier äußerst zurückhaltend äußerte: Es müssten hohe Voraussetzungen an eine solche Pflicht geknüpft sein, wie etwa eine ganz konkrete Gefahr für Leib und Leben.236 (3) Medizinprodukte Eine letzte Besonderheit liegt darin, dass die Produkte der betrachteten Fälle dem gleichen Fachbereich zuzuordnen sind. Pflegebetten und Röntgengeräte sind Medizinprodukte, die sich in den Händen fachkundiger, professioneller Abnehmer – bei den Pflegebetten Pflegekassen, bei den Röntgengeräten Krankenhäuser und Ärzte – befinden.237 Interessanterweise gehen die Gerichte auf diesen Punkt nicht weiter ein. Die Verneinung der Rückrufpflicht erfolgt unabhängig davon. Erwähnung findet das Thema allenfalls am Rande, wenn das OLG Hamm die eigenen Pflichten der Pflegekassen mit einem Verweis auf § 40 Abs. 3 S. 3 SGB XI konturiert,238 der nur im Zusammenhang mit technischen Pflegemitteln einschlägig ist. 232  LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7; LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575, 1576. 233  LG Bielefeld, openJur 2011,38476 Rn. 36. 234  LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7, ohne weitere Ausführungen, wann eine Warnung nicht genügt. Ebenso OLG Hamm, BB 2007, 2367 f., nach welchem eine Rückrufpflicht bestehen kann, wenn zumutbare Ausweichalternativen – wie zum Beispiel auf den Gebrauch des Produkts zu verzichten – nicht zur Verfügung stehen. Näher darauf eingegangen, in: welchen Fällen dies zutrifft, wird jedoch nicht. 235  LG Bielefeld, openJur 2011,38476 Rn. 34. 236  LG Bielefeld, openJur 2011,38476 Rn. 36. 237  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 180. 238  OLG Hamm, BB 2007, 2367.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

f) Zwischenergebnis aa) Entwicklung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zum Rückruf bis zum Jahr 2000 sieht eine Rückrufpflicht im Grunde als möglich an. Ihr lässt sich entnehmen, dass bei einer Gefährdung des Integritätsinteresses, insbesondere, wenn Personenschäden zu befürchten sind, eine Rückrufpflicht angenommen werden kann. Eine darüber hinaus gehende inhaltliche Auseinandersetzung fand jedoch nicht statt. Dadurch wurden den Betroffenen keine klaren Kriterien an die Hand gegeben, die es erlaubt hätten, die im Einzelfall geschuldete Gefahrenabwehrmaßnahme festzulegen. Im Lichte der Nichtannahmebeschlüsse des BGH und der erfolgten Urteile ging man in der Praxis davon aus, dass ein für die Produktnutzer kostenfreier Rückruf inklusive Reparatur oder Ersatzleistung zu erfolgen habe, sobald eine konkrete Gefahr für Leib und Leben vorlag.239 Dieser Sachverhalt hatte allen Urteilen zugrunde gelegen, in denen eine Rückrufpflicht bejaht wurde. Aus sich selbst heraus verneint – von zwei Entscheidungen240 abgesehen – wurde eine Rückrufpflicht nicht. Wenn sie scheiterte, dann an den Voraussetzungen des Produktfehlers oder der Gefährdung des Integritätsinteresses. Unterschieden zwischen kostenfreiem und kostenpflichtigem Rückruf wurde dabei nicht. Es lag in der Natur eines Rückrufs, dass der Hersteller die Kosten zu tragen hatte. Dementsprechend war es gängige Praxis, auch nach Ablauf der Gewährleistungsfristen privaten und gewerblichen Kunden kostenlose Austauschaktionen anzubieten.241 Gleichzeitig war aber deutlich, dass diese Interpretation kein solides Fundament vorzuweisen hatte, da sie mehr aus der Not des Rechtsprechungsvakuums als aus der juristischen Diskussion heraus geboren wurde. Die Voraussetzungen einer Rückrufpflicht jenseits einer Gefährdung von Personen blieben unklar. Die Unsicherheit lässt sich gut daran erkennen, dass sich gegenteilige242 oder unpräzise243 Interpretationen der Rechtsprechung finden. 239  Burkhardt, VersR 2007, 1601, 1605; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 11. Bereits 1991 Eberstein/Braunewell, S. 43. 240  OLG Celle, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band 3, S. 453 ff.; OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184 ff. 241  Molitoris, VW 2007, 1175. 242  Rothe, MPR 2007, 117, 119 etwa meint, dass die Rechtsprechung eine Pflicht zum Rückruf nicht ausdrücklich bejaht hat, unterschlägt dabei aber bei seinen Quellenangaben genau die Urteile, die das bereits getan haben. 243  Nach Lenz, PHi 2006, 17, 18 reiht sich die Verneinung einer Rückrufpflicht „lückenlos in die bisherige Kasuistik“ ein, obwohl vor 2000 in diversen Urteilen eine Rückrufpflicht bejaht wurde. Mit „Kasuistik“ gemeint ist dort folglich nur die neuere Rechtsprechung.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht193

Auch änderte die Rechtsprechung nichts an den Stimmen im Schrifttum, die eine Rückrufpflicht ablehnten oder zurückhaltend betrachteten. Unter diesen Vorzeichen ist die neue Rechtsprechung ab 2000 zu sehen. Es steht außer Frage, dass die „Pflegebetten“- und „Federbruchsicherung“-Fälle von grundlegender Bedeutung sind.244 Bemerkenswert ist zunächst, dass der Erörterung der Rückrufpflicht erstmals viel Platz eingeräumt wird. Noch bemerkenswerter ist aber, dass über die verhandelten Fälle hinaus eine Pflicht zum kostenfreien Rückruf abgelehnt wird. Dementsprechend euphorisch zeigten sich Stimmen der Literatur, insbesondere diejenigen, die einer Rückrufpflicht skeptisch gegenüberstanden: Im Produkthaftungsrecht bahne sich ein Umbruch – gar eine Kehrtwende245 – an, die Entwicklung zeige gegen die kostenlose Rückrufpflicht.246 Die Rechtsprechung habe Rückrufe drastisch eingeschränkt, sie dürften nur noch äußert selten zu Lasten des Herstellers erfolgen.247 Davon abweichend gab es gemäßigtere Stimmen, die die neue Rechtsprechung in die vorhergehende zu integrieren versuchten und keine großen Wertungsunterschiede festzustellen vermochten.248 Im Folgenden soll das Verhältnis der neuen zur alten Rechtsprechung untersucht werden. bb) Vergleich der Rechtsprechung vor und nach 2000 Um die vor und nach dem Jahr 2000 erfolgte Rechtsprechung zueinander ins Verhältnis zu setzen, muss zunächst festgestellt werden, inwieweit die den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte sich unterscheiden. Denn die neue Rechtsprechung stellt nur dann eine Kehrtwende dar, wenn die Verneinung der Rückrufpflicht nicht alleine auf Umstände des Falles zurückzuführen ist. Dazu soll die neue Rechtsprechung mit den wichtigsten Fällen verglichen werden, in denen vor dem Jahr 2000 eine Rückrufpflicht bejaht wurde: „Rettungsinseln“, „Dunstabzugshaube“ und „Gasheizungsdeckel“.249 Als Vergleichskriterien werden erstens der Produktfehler und zweitens die Art der Gefährdung herangezogen, da der größte Teil der Literatur und der Rechtsprechung diese als die entscheidenden Aspekte für das Bestehen einer Rückrufpflicht betrachten. Als drittes Vergleichskriterium dient der Adressatenkreis des Produkts, da sich die Fälle der alten und neuen Rechtsprechung hier grundlegend unterscheiden. Molitoris/Klindt, NJW 2008, 1203, 1205. VersR 2007, 1601, 1605. 246  Molitoris, VW 2007, 1175. 247  Rothe, MPR 2007, 117, 118. 248  Kettler, PHi 2008, 52, 56, 67; Stöhr, in: FS für Müller, 173, 180. 249  LG Hamburg, VersR 1994, 299  f.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594 ff.; OLG München, NJW-RR 1999, 1657 ff. 244  Auch

245  Burckhardt,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Hinsichtlich des Produktfehlers ist den Fällen vor 2000 gemein, dass dem Zulieferer ein Verschulden in Form eines Fabrikations- oder Konstruktionsfehlers anzulasten war. Bei der neuen Rechtsprechung haftete den Produkten zwar ein Produktfehler an, aber es war strittig, ob es sich um einen unverschuldeten Entwicklungsfehler oder einen verschuldeten Konstruktionsfehler handelte. Insofern könnte man annehmen, dass die frühere Rechtsprechung eine Rückrufpflicht deswegen eher angenommen hat, weil dem Hersteller bereits bei Inverkehrbringen ein Fehlverhalten vorzuwerfen war. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen, da auch die neue Rechtsprechung auf diesen Punkt eingeht und eine Rückrufpflicht auch versagt, wenn ein anfänglicher Konstruktionsfehler vorgelegen hätte.250 Die abweichenden Ergebnisse von alter und neuer Rechtsprechung lassen sich somit nicht über die Art des Produktfehlers erklären. Zweitens bestand bei der alten Rechtsprechung in allen Fällen die Gefahr, dass bei weiterer Nutzung der Produkte mit erheblichen Schäden für Leib und Leben der Benutzer und Dritter zu rechnen war. Den „Pflegebetten“und „Federbruchsicherung“-Fällen liegt zwar nicht exakt die gleiche, aber doch eine ähnliche Konstellation zugrunde: Auch dort ist mit Gefahren für Leib und Leben zu rechnen. Zwar mag es sein, dass im „Federbruchsicherung“Fall das Ausmaß des potentiellen Schadens, d. h. die Anzahl der potentiell Betroffenen und die Schwere der Verletzungen, etwas geringer einzustufen wäre als bei den Fällen der alten Rechtsprechung. Die Gefahr der fehlerhaften Federbruchsicherungen bestand darin, dass ein schwerer Röntgenstrahler auf eine Person herabfällt und diese verletzt, während eine brennende Küche („Dunstabzugshaube“) oder ein brennender Wohnwagen („Gasheizungsdeckel“) mehr Schadenspotential in sich bergen mag. Indes ändert es nicht die Tatsache, dass hier und dort schwerwiegende Personenschäden möglich sind. Bei den „Pflegebetten“-Fällen ist ein ähnliches Gefährdungspotential wie in den Fällen der alten Rechtsprechung anzunehmen. Die Besonderheit ist aber, dass die Gefahr durch die Pflegebetten nur abstrakt aufgrund der Gefährlichkeit vergleichbarer Modelle, nicht aber konkret bei den nachgerüsteten Pflegebetten nachgewiesen werden konnte. Die LG Bielefeld und Arnsberg verneinten eine Rückrufpflicht auch deswegen, weil eine ganz konkrete Gefahr für Leib und Leben nicht vorgelegen habe. Hier liegt ein Unterschied zu der Fallkonstellation der alten Rechtsprechung vor. Aus zwei Gründen ist dies bei den „Pflegebetten“-Entscheidungen aber nicht allein maßgebend für die Verneinung der Rückrufpflicht. Zum einen ziehen die Landgerichte die Konkretheit der Gefahr nur als Hilfsargument, nicht aber als Hauptargument he250  Ausdrücklich LG Bielefeld, openJur 2011, 38467 Rn. 36. Das LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 verneint eine Rückrufpflicht unabhängig von der Fehlerart.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht195

ran, an dem das Stehen oder Fallen einer Rückrufpflicht festgemacht wird. Das Hauptargument, dass eine Warnpflicht die Regel und für eine Rückrufpflicht nur dort Raum ist, wo eine Warnung versagt, wird unabhängig von der Konkretheit der Gefahr erörtert.251 Zum anderen wird in einem der Urteilstexte vor der Stelle, an der die für eine Rückrufpflicht notwendige konkrete Gefahr erörtert wird, einleitend eingeräumt, dass eine Rückrufpflicht wegen der Wertungen des Gewährleistungsrechts aus sich heraus bereits verneint werden könnte – unabhängig davon, wie groß die Gefahr wäre.252 Das Gericht stellt es jedoch dahin, wie es sich dabei entscheiden würde, da es selbst bei Bejahung der Möglichkeit einer Rückrufpflicht bereits an der Voraussetzung einer konkreten Gefahr mangelt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich die Gefährdungssituation in den Fällen der alten und neuen Rechtsprechung zwar etwas unterscheidet, dies aber für die Verneinung einer Rückrufpflicht nicht (allein) entscheidungsrelevant war. Bei dem dritten Vergleichskriterium, dem Adressatenkreis des Produkts, unterscheiden sich die Fallgruppen deutlich. In den Fällen der alten Rechtsprechung befanden sich die Produkte in den Händen von privaten Abnehmern, bei denen der neuen Rechtsprechung in den Händen von professionellen Abnehmern. Teile des Schrifttums sehen hier den entscheidenden Unterschied beider Fallgruppen, der ursächlich für die Verneinung der Rückrufpflicht ist und die „Kehrtwende“ der Rechtsprechung erklärt.253 Weil es sich um professionelle Produktnutzer handele, könne man davon ausgehen, dass sie die Warnung befolgen. Das resultiere aus ihrer eigenen Verpflichtung gegenüber den Gefährdeten.254 Im Fall der Pflegekassen ergibt sich aus § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI, dass sie die Pflegemittel der Pflegebedürftigen wenn notwendig ändern, reparieren oder austauschen müssen, woraus sich wiederum die Pflicht ableiten lasse, die Pflegebedürftigen vor Gesundheitsgefahren zu schützen.255 Im Falle der Ärzte oder Krankenhäuser ergeben sich Pflichten aus dem Behandlungsvertrag und der deliktischen Arzthaftung. Die von den Gerichten aufgestellte Formel, eine Rückrufpflicht könne nur dort angenommen werden, wo eine Warnung nicht genügt, passe hier also: Eine Warnung genüge deswegen, weil bei den professionellen Abnehmern davon auszugehen sei, dass sie angemessen auf die Warnung reagieren und damit das Integritätsinteresse der Produktnutzer und Dritter nicht gefährdet sei.256 251  LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 Rn. 7; LG Bielefeld, openJur 2011, 38467 Rn. 34. 252  LG Bielefeld, openJur 2011, 38467 Rn. 36. 253  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 48; Stöhr, in: FS für Müller, 173, 180. 254  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 180. 255  G. Wagner, Produktrückruf, 51, 64. 256  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 180.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Das mag ein valider Punkt sein, der an späterer Stelle wieder aufzugreifen ist.257 Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass für die Einordnung der neuen Rechtsprechung nicht der Sachverhalt, sondern die Argumentation im Urteilstext entscheidend ist. Auf dieser aufbauend ergibt sich ein anderes Bild: Keines der Gerichte maß der Tatsache, dass sich die fehlerhaften Produkte bei professionellen Abnehmern befanden, besondere Bedeutung zu,258 und in keinem der Urteile wurde argumentiert, dass Pflegekassen, Ärzte oder Krankenhäuser einer Warnung eher nachkommen würden, weil sie eigenen Verpflichtungen unterliegen. Nur im Urteilstext des LG Bielefeld wird angeschnitten, dass angesichts des professionellen Hintergrunds der Pflegekassen davon auszugehen sei, dass die Warnung zugestellt und aufgrund deren Fachkenntnis richtig aufgenommen wurde.259 Mit anderen Worten: Eine Warnung genügt deswegen, weil sie eher zugestellt, verstanden und korrekt umgesetzt wird, nicht aber – wie Teile des Schrifttums argumentieren –, weil sie mit einer größeren Wahrscheinlichkeit beachtet wird. Verfolgt man den Gedanken weiter, würde eine Warnung, die hinreichend deutlich formuliert und nicht missverstanden werden kann, diese Kriterien erfüllen: Verständnis- und Umsetzungsschwierigkeiten wären in der Regel nicht zu erwarten und damit auch kein Raum für eine Rückrufpflicht. In jedem Fall ist es für die neue Rechtsprechung bei der Abwägung des Pflichtenumfangs nicht entscheidend, in wessen Händen sich das gefährliche Produkt befindet. cc) Die neue Rechtsprechung als Kehrtwende? Es ist davon auszugehen, dass angesichts der Urteilsbegründungen der neuen Rechtsprechung diese die vorhergehenden Fälle möglicherweise anders, zumindest aber nicht zwingend gleich entschieden hätte. Nach den Maßstäben der „Federbruchsicherung“-Entscheidung wäre in den vorhergehenden Fällen eine Rückrufpflicht verneint worden, es sei denn, das Gericht hätte den Spielraum der Formulierung „in der Regel“ weiter vertieft und ausgeschöpft. Denn trotz vorliegendem Produktfehler, Gefährdung des Integritätsinteresses und Gefährdung von Personen wurde eine Rückrufpflicht vom LG Frankfurt a. M. verneint, obwohl nach der alten Rechtsprechung solche Umstände eher dazu geführt hätten, eine Rückrufpflicht zu bejahen. Nach den Maßstäben der „Pflegebetten“-Fälle kann man sich zumindest sicher sein, dass eine Rückrufpflicht nicht mit der gleichen apodiktischen Absolutheit bejaht, sondern im Rahmen einer ausführlichen Prüfung, ob eine 257  Siehe

§ 5 II. 4. c). LG Arnsberg und das LG Frankfurt a. M. erwähnen dies, von der Beschreibung des Sachverhalts abgesehen, nicht einmal. 259  LG Bielefeld, openJur 2011, 38467 Rn. 34. 258  Das



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht197

Ausnahme zur Regel vorliegt, diskutiert worden wäre. Ob dort letztendlich eine Rückrufpflicht bejaht worden wäre oder nicht, ist freilich dem Bereich der Spekulation zuzuordnen und kann hier dahingestellt sein. Entscheidend ist, dass auch in den „Pflegebetten“-Entscheidungen eine Rückrufpflicht äußerst restriktiv ausgelegt wurde. Die Verneinung der Rückrufpflicht in der neuen Rechtsprechung fußte nie darauf, dass sich die Fälle im Vergleich zur älteren Rechtsprechung unterschieden. Wie gezeigt wurde, waren die Stellen, an denen die beiden Fallgruppen voneinander abwichen, in den Urteilsbegründungen nicht entscheidungsrelevant für das Bestehen einer Pflicht. Die Verneinung erfolgte vielmehr im Rahmen juristischer Überlegungen. Insofern ist es richtig, von einer gegenläufigen Tendenz der neuen Rechtsprechung zu reden. Die Aussage, die neue Rechtsprechung stelle eine Kehrtwende dar,260 ist in dieser Absolutheit jedoch nicht richtig, denn die Pflicht zum kostenlosen Rückruf wird nicht grundsätzlich verneint. Sie wird lediglich stark eingeschränkt und zur Ausnahme der Regel erklärt.

III. Rückrufanspruch 1. Fragestellung und Bedeutung Den Hersteller eines Produkts kann unter bestimmten Umständen eine Verkehrssicherungspflicht zum Rückruf treffen. Davon zu trennen ist die Frage, ob sich parallel dazu aus dem geltenden Recht Individualansprüche auf einen Rückruf herleiten lassen.261 Ein Rückrufanspruch262 würde die präventive Durchsetzung eines Rückrufs bereits vor Schadenseintritt ermöglichen, während bei einer Pflicht die Nichterfüllung nur bei Schadenseintritt rechtlich sanktioniert wird.263 Weiterhin würde ein Rückrufanspruch ein Schuldverhältnis zwischen dem Hersteller und dem Aktivlegitimierten schaffen. Bei einer reinen Verkehrssicherungspflicht besteht ein solches Schuldverhältnis nicht.264 260  Burckhardt,

VersR 2007, 1601, 1605. JZ 1059, 1060 differenziert dies etwa nicht. 262  Der hier behandelte Rückrufanspruch ergibt sich nur im Rahmen der Produkthaftung. Er ist abzugrenzen von anderen Rückrufansprüchen, die sich etwa aus dem Urheberrecht, § 98 Abs. 2 UrhG, oder als besondere Form des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB ergeben können. Beispiel für Letzteres ist der medienrechtliche Rückrufanspruch, vgl. Dörre, GRURPrax 2010, 4 ff. 263  Bodewig, S. 331. 264  Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1337. 261  Schwenzer,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Der Rückrufanspruch zählt zu den kontroversen Themen innerhalb der Rückrufthematik. Seine Existenz ist in der Literatur umstritten.265 Er wird hauptsächlich auf § 1004 Abs. 1 BGB analog oder §§ 823 Abs. 1, 249 Satz 1 BGB gestützt. Die bisherige Rechtsprechung steht einem Rückrufanspruch eher skeptisch gegenüber,266 eine Klärung durch den BGH steht aber noch aus.267 Die Bejahung oder Verneinung eines Rückrufanspruchs ist dort entscheidend, wo er Voraussetzung für einen anderen Anspruch ist. Dabei ist vor allem an den Regressanspruch des Herstellers gegen den Zulieferer zu denken,268 der bereits an anderer Stelle behandelt wurde.269 Aus Sicht der tatsächlich Anspruchsberechtigten hat die Diskussion hingegen nur geringe Bedeutung. In der Praxis ist nicht zu erwarten, dass ein Produktnutzer oder -eigentümer einen Anspruch gerichtlich durchsetzen wird.270 Die mangelnde Relevanz lässt sich daran ablesen, dass sich die Rechtsprechung bisher kaum mit der Thematik beschäftigen musste. Ansprüche vergleichbaren Inhalts lassen sich darüber hinaus aus dem Wettbewerbsrecht und dem Vertragsrecht ableiten. Ihnen geht es primär nicht um eine präventive Durchsetzung eines Rückrufs; ihr Inhalt nimmt nur zufälligerweise die Form eines Rückrufs an. Sie spielen im Rahmen der Rückruf­ thematik eine untergeordnete Rolle.

265  Übersichten jeweils m.  w.  N. bei Bodewig, S.  329 ff.; Foerste, in Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 1 ff.; Kreidt, S.  214 ff.; Rettenbeck, S.  100 ff.; Schmidt, S.  121 ff. 266  OLG München, NJW-RR 1999, 1657, 1658. Siehe auch Foerste, in Foerste/ von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 1 Fn. 2; Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 74 m. w. N. in Fn. 201. 267  Im „Pflegebetten“-Urteil lässt der BGH die Frage explizit offen, vgl. BGH, NJW 2009, 1080, 1083 Rn. 23. Siehe auch Kullmann, in Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 64 Fn. 442. 268  Ein weiteres Beispiel ist der Erstattungsanspruch des Produkteigentümers, der eine Produktgefahr auf eigene Kosten behebt, vgl. Bodewig, S. 330. 269  Insbesondere im Rahmen der Gesamtschuld, siehe § 3 III. 3. a) aa). 270  Dahingehend Kullmann, in Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4330 S. 11. Vgl. auch Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 73, der das Risiko der Kostentragung im Falle des Unterliegens (§ 91 ZPO), die notwendige Bestimmtheit der Klageschrift (§ 253 ZPO) und generell den Sinn einer Klage im Einzelfall als Gründe anführt. Weiterhin würde eine Klage neben der Frage für oder wider einen Rückrufanspruch auf einer zweiten umstrittenen Rechtsfrage, der Reichweite der Gefahrabwendungspflichten, fußen. Bei einer reinen Warnpflicht wird der Gang vor Gericht noch unwahrscheinlicher, da sich die Frage nach einem durchsetzbaren Anspruch nicht in dem Maße stellt, vgl. Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1063; kritisch aber Bodewig, S. 352.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht199

2. Rückrufanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 249 Satz 1 BGB Teils wird ein Rückrufanspruch auf §§ 823 Abs. 1, 249 Satz 1 BGB gestützt.271 Als Begründung wird angeführt, dass in Einzelfällen die konkrete Rechtsgutsgefährdung mit einer Rechtsgutsverletzung gleichgesetzt werden könne und so die Voraussetzung für einen Anspruch auf Schadensersatz gegeben wäre. Mit dem Argument, Schadensvorsorge gehe Schadensverhütung vor, wird ein deliktsrechtlicher „Beseitigungsanspruch“ abgeleitet.272 Der Großteil der Literatur steht dem jedoch skeptisch gegenüber. Ein deliktischer Rückrufanspruch wird entweder abgelehnt273 oder nur in engen Grenzen herangezogen.274 Hauptargument gegen einen Anspruch ist, dass der Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB die Verletzung eines Rechtsguts verlange und eine bloße Gefährdung nicht ausreiche.275 Weiterhin seien Regelungen des vorbeugenden Rechtsschutzes im BGB systematisch außerhalb des Deliktsrechts anzutreffen.276 § 1004 Abs. 1 BGB analog sei für die Suche nach einer Anspruchsgrundlage für einen „vorbeugenden Rechtsschutz gegen unerlaubte Handlungen“ die bessere Anlaufstelle.277 3. Rückrufanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog Ein großer Teil der Literatur stützt die Herleitung eines Rückrufanspruchs auf § 1004 Abs. 1 BGB.278 Die Norm benötigt im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB keine Rechtsgutsverletzung, sondern nur die (drohende) Beeinträchtigung eines Rechtsguts. In direkter Anwendung stellt die Norm dem Eigentü271  J. Hager,

VersR 1984, 799, 802 ff.; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060. VersR 1984, 799, 802. Vgl. auch LG Hamburg, VersR 1994, 299. 273  Droste, S.  227 ff.; Kreidt, S.  216 ff.; Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 75; Schmidt, S. 140; Rettenbeck, S. 122. 274  Insbesondere in den – eher seltenen – Fällen, in denen eine Rechtsgutsverletzung unmittelbar bevorsteht und keine zumutbare Ausweichmöglichkeit besteht, vgl. Bodewig S. 342 und Foerste, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 3 ff. 275  Foerste, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 2. 276  Rettenbeck, S. 122. 277  Bodewig, S. 342; Kreidt, S. 217. 278  J. Hager, in Staudinger (2009), § 823 Rn. F 26; Herrmann, BB 1985, 1801, 1804 ff.; Schmidt, S.  136 f.; Sprau, in Palandt, § 823 Rn. 176. Ablehnend Brüggemeier, JZ 1986, 969, 973; Droste, S.  245 ff.; Foerste, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 14 ff.; Gursky, in Staudinger (2013), § 1004 Rn. 13; Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 76; Pieper, BB 1991, 985, 991; Veltins, in Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S. 85 f. Im Ergebnis auch ablehnend Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1337; G. Wagner, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 853. 272  J. Hager,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

mer einen Beseitigungs- (Satz 1) und Unterlassungsanspruch (Satz 2) zur Seite, mit denen er sich gegen Beeinträchtigungen seines Eigentums wehren kann. Der Beseitigungsanspruch richtet sich auf die Abwehr einer bereits bestehenden Beeinträchtigung, der Unterlassungsanspruch gegen bevorstehende Beeinträchtigungen. Ein Rückrufanspruch auf Grundlage des § 1004 Abs. 1 BGB wird hauptsächlich im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs diskutiert, während ein Beseitigungsanspruch richtigerweise mit dem Argument verneint wird, eine Beeinträchtigung sei mangels Rechtsgutsverletzung noch nicht eingetreten.279 a) Anwendbarkeit von § 1004 BGB bei Rückruf Angesichts des Wortlauts von § 1004 Abs. 1 BGB und der damit verbundenen engen Grenzen der Abwehrrechte scheint es, dass die Norm nicht als Grundlage für einen allgemein gültigen Rückrufanspruch geeignet ist. Literatur und Rechtsprechung haben den Anwendungsbereich jedoch mehrfach ausgedehnt.280 Erstens wurde der Schutzbereich erweitert. Auch wenn sich der Wortlaut des § 1004 BGB nur auf das Eigentum bezieht, wird der Schutz analog auf alle weiteren deliktsrechtlich geschützten Rechtsgüter ausgedehnt.281 Bei direkter Anwendung spricht man von negatorischen, bei analoger Anwendung von quasi-negatorischen Ansprüchen. Damit wird die bei einem Rückruf häufige Situation abgedeckt, dass Personen gefährdet werden. Zweitens kann bei Unterlassungsansprüchen auf einen Ersteingriff verzichtet werden. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB spricht zwar von „weitere[n] Beeinträchtigungen“ und impliziert eine bereits erfolgte Beeinträchtigung als Anspruchsvoraussetzung. Der Unterlassungsanspruch kann jedoch auch vorbeugend geltend gemacht werden,282 so dass ein Hersteller nicht erst einen Schaden abwarten muss, bevor ein Rückrufanspruch entsteht. Drittens können im Rahmen von Unterlassungsansprüchen auch Handlungspflichten durchgesetzt werden. Bei einem Rückruf schuldet der Hersteller kein Unterlassen, sondern eine Handlung. Im Rahmen von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ist es auch möglich, einen Anspruch auf „Unterlassen eines Unterlassens“ geltend zu machen.283 279  Bodewig, S.  344 f.; Droste, S.  245 f.; Schmidt, S. 125; teils wird eine Beeinträchtigung – wenn überhaupt – nur für das eigentliche Produkt bejaht, vgl. Droste, S.  247 ff. A. A. J. Hager, VersR 1984, 799, 806 f. 280  Dazu ausführlich Rettenbeck, S.  104 ff. 281  Bassenge, in Palandt, § 1004 Rn. 4; G. Wagner, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor § 823 Rn. 40. 282  BGH, NJW 1951, 843  ff.; Baldus, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 1004 Rn. 289; Gursky, in Staudinger (2013), § 1004 Rn. 214. 283  BGH, NJW 2004, 1035, 1036  f.; Bassenge, in Palandt, § 1004 Rn. 33. Zur Begründung Rettenbeck, S.  106 ff.



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht201

Aufgrund der Erweiterungen können deliktsrechtliche und quasi-negatorische Ansprüche einen identischen Schutzbereich haben und sich systematisch ergänzen.284 Während sich die §§ 823 ff. BGB auf Kompensation vergangener Rechtsgutsverletzungen richten, hat § 1004 BGB die Verhinderung zukünftiger Verletzungen zum Ziel. Als Konsequenz der Synchronität kann der deliktsrechtlichen Haftung für die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf der einen Seite ein (quasi-)negatorischer Anspruch auf der anderen Seite gegenüberstehen, durch den die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht präventiv vor einem Schadenseintritt eingeklagt werden kann. Diese Möglichkeit ist mittlerweile anerkannt, wenn auch die spezifischen Voraussetzungen umstritten sind.285 Darauf soll hier aber nicht näher eingegangen werden. b) Diskussion bei Rückruf Ob die präventive Durchsetzung einer Verkehrspflicht zum Rückruf durch § 1004 Abs. 1 BGB möglich ist, wird im Schrifttum breit diskutiert. Teils wird es grundsätzlich abgelehnt, da ein Rückrufanspruch die Möglichkeiten des geltenden Rechts überspanne und darin keine ausreichende Grundlage finde.286 Diejenigen, die demgegenüber einen Rückrufanspruch als möglich erachten, sind sich uneinig über dessen Anwendungsbereich. Während kleinere Scharmützel auf Nebenschauplätzen wie der Aktivlegitimation stattfinden,287 dreht sich der Meinungsstreit dabei im Wesentlichen um die Frage, ob der Hersteller noch als Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB angesehen werden kann, wenn der Produktnutzer die Möglichkeit zum Selbstschutz hat.288 Teils wird dann die Störereigenschaft des Herstellers grundsätzlich verneint,289 während andere jeweils im Einzelfall abwägen wollen, ob die Rückrufverpflichtung durch die Selbstschutzobliegenheit ver284  Kreidt, S.  219 f.; G. Wagner, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor § 823 Rn.  38 ff. Kritisch Gursky, in Staudinger (2013), § 1004 Rn. 13, der die Entwicklung für verfehlt hält und von einem „völlig konturlosen […] quasideliktischen […] Beseitigungsanspruch“ spricht. 285  Vgl. nur OLG Düsseldorf, VersR 2012, 732, 733. Grundlegend von Bar, VersR 1983, 80 ff.; J. Hager, in FS für Prölss, 71, 75; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1060; G. Wagner, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor § 823 Rn. 42. 286  Brüggemeier, JZ 1986, 969, 973; Pieper, BB 1991, 985, 990 f. 287  Insbesondere über die Eingrenzung des Anwendungsbereichs zur Vermeidung einer Popularklage, vgl. dazu Kreidt, S.  224 ff.; Rettenbeck, S.  114 ff. 288  Ebenso Schmidt, S. 132. Vgl. auch Bassenge, in Palandt, § 1004 Rn. 44, der bei ganz überwiegender Mitverursachung der Beeinträchtigung durch den Eigentümer einen Anspruch ausschließt. 289  Foerste, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 14; Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 76. Ohne Begründung, aber mit gleichem Ergebnis Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1337.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

drängt wird.290 In vielen Fällen wäre ein Selbstschutz bereits dadurch möglich, dass das Produkt nicht mehr benutzt würde. Verneine man dann die Störereigenschaft des Herstellers, laufe der Anspruch in der Mehrzahl der Fälle ins Leere. Der Anwendungsbereich wäre nur dort zu suchen, wo einer Gefahr durch ein fehlerhaftes Produkt nicht durch Einstellung des Gebrauchs Einhalt geboten werden kann.291 Die andere Ansicht292 wendet ein, dass nach herrschender Meinung derjenige Störer ist, der die Beeinträchtigung adäquat kausal verursacht293 und die Möglichkeit zur Abhilfe hat.294 Auf den Hersteller treffe beides zu, da er die Gefahr durch das Inverkehrbringen seiner Produkte verursacht habe und er den Schadenseintritt durch einen Rückruf verhindern könne. An der Produktverantwortlichkeit des Herstellers ändere es nichts daran, dass eine Beeinträchtigung vom weiteren Gebrauch des Produktnutzers abhänge.295 Teils wird auch vertreten, dass die Frage des Selbstschutzes irrelevant sei, da eine Rückrufpflicht bereits die Wertung von unzulänglichen Selbstschutzmöglichkeiten beinhalte und somit ein Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB in der Regel gegeben sei.296 4. Rückrufanspruch aus dem Wettbewerbsrecht Nur vereinzelt wird ein Rückrufanspruch auf das Wettbewerbsrecht (§§ 3 Abs. 1, 3a, 8 Abs. 1 UWG) gestützt.297 Grundlage hierfür wäre der Anspruch auf Beseitigung der Folgen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung oder deren Unterlassung nach § 8 Abs. 1 UWG. Als geschäftliche Handlung ist das Inverkehrbringen von Waren oder die Entscheidung gegen einen Rückruf zu werten. Eine Handlung ist unlauter, wenn entgegen einer gesetzlichen 290  Kreidt,

S.  232 f. VersR 1999, 1333, 1337; G. Wagner, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 853 ff. 292  Droste, S.  245 ff.; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 14 ff.; Gursky, in: Staudinger (2013), § 1004 Rn. 13; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 76; Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1337; Pieper, BB 1991, 985, 991. 293  BGH, NJW 2007, 432. 294  BGH, NJW 1985, 2823, 2824; Baldus, in Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 1004 Rn. 181. 295  Rettenbeck, S. 114. 296  Bodewig, S. 350. Ebenso Schmidt, S. 133, die bei bestehender Rückrufpflicht die Störereigenschaft des Herstellers automatisch bejaht. 297  Herrmann, BB 1985, 1801, 1810 ff. und Sack, DAR 1983, 1, 3 ff., jeweils basierend auf § 1 UWG a. F. Eingehend zur Thematik Bodewig, S.  370 ff.; Rettenbeck, S.  123 ff. 291  Müller/Dörre,



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht203

Vorschrift gehandelt wird, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, § 3a UWG. Als gesetzliche Vorschrift kämen die deliktischen Verkehrssicherungspflichten oder das allgemeine Produktsicherheitsrecht in Betracht. Dieser Vorstoß wird kritisch gesehen.298 Das Ziel einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht zum Rückruf sei Schadensprävention und -ausgleich, nicht aber die Regelung des Marktverhaltens.299 Gleiches gilt für das öffentlich-rechtliche Produktsicherheitsrecht. Weiterhin stünde ein etwaiger Anspruch nicht dem Produktnutzer oder -eigentümer zu,300 sondern lediglich Mitbewerbern (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG) oder Verbraucherverbänden (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG). Zuletzt stelle die Abwehr der Gefahr fehlerhafter Produkte nicht der maßgebende Zweck des Wettbewerbsrechts dar.301 5. Rückrufanspruch aus Vertrag Ein Rückrufanspruch lässt sich auch über das vertragliche Gewährleistungsrecht konstruieren,302 da ein sicherheitsrelevanter Produktfehler gleichzeitig einen Sachmangel darstellt.303 Nacherfüllung oder Rücktritt können zur Folge haben, dass das Produkt im Ergebnis zurückgerufen wird. Der Begriff „vertraglicher Rückrufanspruch“ ist jedoch irreführend, da sich die Gewährleistungsansprüche zuvorderst auf das Äquivalenzinteresse richten; ein Rückruf, dessen Schutz dem Integritätsinteresse dient, mag lediglich reflexartig als Nebeneffekt eintreten.304 Das steht einer Anwendbarkeit des Gewährleistungsrechts aber nicht entgegen. Ein Anspruch stände nur dem Produktkäufer gegen den Verkäufer zu, welcher regelmäßig nicht der Hersteller, sondern ein Zwischenhändler ist. Die Nacherfüllung erfolgt nach § 439 Abs. 1 BGB über eine Mangelbeseitigung oder die Lieferung einer mangelfreien Sache. Bei einer Mangelbeseitigung in Form einer Reparatur wird auf das Produkt gefahrmindernd eingewirkt, was einem Rückruf im weiteren Sinne gleich kommt. Bei einer Neulieferung erhält der Käufer eine mangelfreie Sache, während dem Verkäufer 298  Foerste, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 19; Lenz, in Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 78; Rettenbeck, S. 129; Schmidt, S. 123. 299  In die gleiche Richtung Foerste, in Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 24. 300  So bereits Pieper, BB 1991, 985, 991. 301  Auch Schmidt, S. 123. 302  Vgl. dazu Kreidt, S. 203 ff. Nicht gemeint sind ausdrückliche vertragliche Regelungen. 303  Molitoris, NJW 2009, 1049, 1050. Näher dazu Schmidt, S.  171 ff. 304  Bodewig, S. 140.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

nach §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgewähr der mangelhaften Sache zusteht. Einen solchen Anspruch hat der Verkäufer nach § 346 Abs. 1 BGB auch im Falle eines Rücktritts. Fraglich ist aber, ob spiegelbildlich dazu der Verkäufer die Pflicht hat, das fehlerhafte Produkt zurückzunehmen, was im Ergebnis einem Rückrufanspruch gleich kommen würde. Das ist umstritten.305 Nach einer Ansicht besteht eine solche Rücknahmepflicht, die sich unmittelbar aus Sinn und Zweck der Nacherfüllung durch Neulieferung306 oder über eine analoge Anwendung von § 433 Abs. 2 BGB herleiten lasse.307 Nach anderer Ansicht ist eine pauschale Rücknahmepflicht abzulehnen, da eine solche zu weit gehe und im Wortlaut des § 346 Abs. 1 BGB keine Abnahmeverpflichtung formuliert sei.308 Sie wäre nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn der Käufer ein schutzwürdiges Interesse an der Rücknahme habe.309 Bei einem Produkt mit sicherheitsrelevantem Fehler ist anzunehmen, dass Rechtsgüter des Käufers bedroht werden. Ein schutzwürdiges Interesse – und als Konsequenz ein Rückrufanspruch – ist dann regelmäßig zu bejahen. Im Ergebnis kann so der Käufer einen Rückruf auf Grundlage des Gewährleistungsrechts erzwingen. Ein vertraglicher Rückrufanspruch ist für den Käufer dahingehend interessant, dass im Gegensatz zu deliktischen Ansprüchen kein Verschulden auf Seiten des Verkäufers verlangt wird. Damit lässt sich auch auf Grundlage des Gewährleistungsrechts eine Verantwortung für Entwicklungsfehler konstruie­ ren,310 die gegenüber dem Hersteller mangels pflichtwidriger Verursachung deliktisch nicht abgedeckt wären. Der Fehler muss jedoch innerhalb von zwei Jahren nach Ablieferung des Produkts offenkundig werden, da vertragliche Rückrufansprüche durch den kurzen Verjährungszeitraum des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB eingeschränkt werden. Für den gesetzlichen Regress des Herstellers ist das Bestehen von vertraglichen Rückrufansprüchen irrelevant, da der Zulieferer keine Verbindung zu einem solchen Anspruch aufweist. Wurde das Produkt über einen Zwischenhändler verkauft, berührt das Vertragsverhältnis weder Hersteller noch Zulieferer. Ist der Hersteller auch der Verkäufer, besteht ein Vertragsverhältnis zwischen ihm und dem Produktkäufer, nicht jedoch mit dem Zulieferer. Insobei Gaier, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 346 Rn. 16 ff. und Kaiser, in: Staudinger (2012), § 346 Rn. 91 ff. 306  S. Lorenz, NJW 2009, 1633, 1635. 307  Faust, JuS 2009, 470, 471. 308  Gaier, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 346 Rn. 16; Kaiser, in: Staudinger (2012), § 346 Rn. 93. 309  OLG Nürnberg, NJW 1974, 2237, 2238; Gaier, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Rn. 16; Kaiser, in: Staudinger (2012), § 346 Rn. 92. 310  Kreidt, S. 204; Bodewig, S.  146 f. 305  Übersicht



§ 4  Die Pflicht zum Rückruf im Zivilrecht205

fern ist es unerheblich, inwieweit der Zulieferer den Fehler zu verantworten hat.311 Freilich kann der Hersteller in seinem Vertragsverhältnis zum Zulieferer die Rückrufkosten über §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB als Schaden geltend machen, wenn es die Beschränkungen des Vertragsrechts zulassen.312 6. Das Verhältnis von Rückrufanspruch und Pflichtenumfang Im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB ist die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht Voraussetzung, um Rückrufkosten als Schaden geltend machen zu können. Auch bei § 1004 Abs. 1 BGB ist der Umfang der Verkehrssicherungspflicht entscheidend. Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch ist die Rechtswidrigkeit der potentiellen Beeinträchtigung. Das lässt sich aus § 1004 Abs. 2 BGB ableiten, in dem von einer Duldungspflicht des Betroffenen die Rede ist.313 Ein Unterlassen ist nur rechtswidrig, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht. Hat der Hersteller eine Pflicht zum Rückruf, ist ein Unterlassen rechtswidrig. Ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB ist folglich nur soweit gegeben, wie die Verkehrssicherungspflichten des Herstellers reichen.314 Ähnliches gilt für einen Anspruch aus dem Wettbewerbsrecht. Eine Handlung ist dann unlauter, wenn sie gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Ein Verstoß würde in der Verletzung einer bestehenden Pflicht zum Rückruf bestehen. Der Rückrufanspruch findet damit seine Grundlage in der Rückrufpflicht. Er kann nur dort existieren, wo auch eine deliktische Rückrufpflicht vorhanden ist. Alleinige Ausnahme sind vertragliche Rückrufansprüche. Für sie ist nur entscheidend, dass das Produkt einen Sachmangel aufweist. Ein vertraglicher Anspruch auf Rückruf kann damit auch in Abwesenheit von einer deliktischen Pflicht bestehen. Das Bestehen einer deliktischen Pflicht hat jedoch insofern Indizwirkung, als ein Sachmangel anzunehmen ist. 7. Ergebnis Während sich ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB weder systematisch noch aus dem Wortlaut ableiten lässt, läuft die Konstruktion eines Anspruchs über das Wettbewerbsrecht gleichfalls ins Leere. Vertragliche Rückrufansprüche können zwar theoretisch bestehen, scheiden aber oft mangels Vertrags 311  Die Tatsache, dass der Zulieferer seine Verkehrssicherungspflichten verletzt hat, spielt nur im Deliktsrecht eine Rolle. 312  Siehe § 3 III. 2. 313  Baldus, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 1004 Rn. 192. 314  Bodewig, S. 349; Rettenbeck, S. 113.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

zwischen Hersteller und Produktnutzer oder aufgrund der knappen Verjährungsfrist aus. Für den Herstellerregress sind sie nicht geeignet. Von den diskutierten Anspruchsgrundlagen erscheint lediglich der Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB erfolgversprechend. Solange aber eine Klärung durch den BGH noch aussteht, tut der regressierende Hersteller gut daran, sein Vorhaben nicht alleine auf die Existenz eines Rückrufanspruchs zu stützen. Die Geschäftsführung ohne Auftrag oder eine analoge Anwendung der Regelungen zur Gesamtschuld führen auch zum Ziel. Den diskutierten Anspruchsgrundlagen – vertragliche ausgenommen – ist gleich, dass ihr Bestehen von einer Verkehrspflicht zum Rückruf abhängt.

§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil Das am 16. Dezember 2008 gefällte „Pflegebetten“-Urteil315 ist in vielerlei Hinsicht von grundlegender Bedeutung. Bei der Frage nach dem Umfang der zivilrechtlichen Reaktionspflichten des Herstellers hatte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang zurückgehalten. Es fehlte an einer Grundsatzentscheidung ähnlich der „Lederspray“-Entscheidung316 im Strafrecht. Das kann an mangelnden Gelegenheiten gelegen haben, aber angesichts der zahlreichen Nichtannahmebeschlüsse mag es auch die Intention des BGH gewesen sein, das geltende Recht durch eine Entscheidung erst fortzubilden, wenn die Diskussion im Schrifttum ein gewisses Maß an Klärung erreicht hatte.317 Im „Pflegebetten“-Urteil nahm der BGH zum ersten Mal in seiner Geschichte ausführlich Stellung zu den deliktischen Warn- und Rückrufpflichten des Herstellers. Die Ausführungen des VI. Zivilsenats berührten insbesondere die bedeutende Frage der Aufteilung der Kosten einer Gefahrenabwehrmaßnahme. Das Urteil wurde mit Spannung erwartet, da die vorangegangene Rechtsprechung und das Schrifttum verschiedene Positionen zu diesem Thema vertreten hatten. Es handelt sich um eines der bedeutendsten produkthaftungsrechtlichen Urteile der letzten Jahre, welches sich weit über die dem Streitfall zugrunde liegenden Medizinprodukte auf jede produzierende Industrie auswirkt.318 Vorab ist festzuhalten, dass der BGH die Frage nach dem Umfang der Reaktionspflichten nicht abschließend beantwortet hat.319 Wohl aber stellt 315  BGH, Urteil vom 16.12.2008, Az. VI ZR 170/07 = BGHZ 179, 157  ff. = NJW 2009, 1080 ff. = JZ 2009, 905 ff. = VersR 2009, 272 ff. 316  BGH, NJW 1990, 2560 ff. Siehe § 4 II. 3. b). 317  Pieper, BB 1991, 985, 992. 318  Klindt, BB 2009, 792. 319  Auch G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 849.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil207

das Urteil eine Gelegenheit dar, den Nebel der rechtlichen Grauzone punktuell zu durchdringen und für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Im Folgenden wird dargestellt, welche Aussagen das Urteil tätigt (I.) und welche abstrakten Grundsätze zu den Reaktionspflichten sich daraus ableiten lassen (II.). Vor diesem Hintergrund wird untersucht, für welche konkreten Fallgruppen sich über eine Warnung hinausgehende (Rückruf-)Pflichten ergeben können (III.), wobei eines der Abgrenzungskriterien kritisch betrachtet wird (IV.). Daraufhin wird erörtert, inwieweit Schlussfolgerungen für andere rechtliche Fragestellungen gezogen werden können (V.). Zuletzt wird untersucht, wie sich das „Pflegebetten“-Urteil in die übrige Rechtsprechung einordnet, ob es eine Kehrtwende darstellt (VI.) und wie es vom Schrifttum aufgenommen wurde (VII.).

I. Aussagen des Urteils Thematisch lässt sich der Urteilstext in drei Blöcke unterteilen. Zunächst erfolgen allgemeine, vom Fall losgelöste Ausführungen zu den Reaktionspflichten des Herstellers. Zweitens werden diese Überlegungen auf den Sachverhalt übertragen. Es wird begründet, warum dort eine Rückrufpflicht aus § 823 Abs. 1 BGB zu verneinen ist. Diese beiden Teile stellen den Kern des Urteils dar. Drittens wird erörtert, ob sich aus § 823 Abs. 1 BGB noch weitere Ansprüche ableiten lassen, was der BGH im Ergebnis aber verneint. 1. Allgemeine Ausführungen zu Reaktionspflichten Der BGH beginnt mit der Aussage, dass der Hersteller auch nach Inverkehrbringen eines Produkts alles ihm Zumutbare unternehmen müsse, um Gefahren abzuwenden. Darunter falle die Pflicht zur Produktbeobachtung, aus der sich Reaktionspflichten zur Warnung ergeben können, deren Inhalt, Umfang und Zeitpunkt wesentlich vom gefährdeten Rechtsgut und der Größe der Gefahr abhängen.320 Bis hierher bleibt der BGH auf bekannten Pfaden. Unter gewissen Umständen, so fährt er fort, können die Reaktionspflichten über eine Warnung hinausgehen. Das sei insbesondere in zwei Konstellationen denkbar. Erstens, wenn Grund zur Annahme bestehe, dass die Warnung, selbst wenn sie hinreichend deutlich und detailliert erfolge, den Produktnutzern nicht ausreichend ermögliche, die Gefahr einzuschätzen und ihr Verhalten darauf einzurichten. Zweitens, wenn eine Warnung zwar ausreichend Gefahrenkenntnis beim Produktnutzer herstelle, aber dennoch Grund zur Annahme bestehe, dieser würde sich – auch bewusst – über die Warnung 320  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 10.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

hinwegsetzen und dadurch Dritte gefährden. In diesen Fällen könne der Hersteller dazu verpflichtet sein, Sorge zu tragen, dass bereits ausgelieferte Produkte möglichst effektiv aus dem Verkehr gezogen oder nicht mehr benutzt werden.321 Eine Pflicht zum kostenfreien Rückruf mit Reparatur322 setze jedenfalls voraus, dass die Maßnahme im konkreten Fall erforderlich sei, um Gefahren für Produktnutzer oder unbeteiligte Dritte abzuwehren. Der BGH setzt die Erforderlichkeit als entscheidendes Kriterium fest. Dabei könne es aber immer nur um den Schutz des Integritätsinteresses gehen.323 Wie weit die Herstellerpflichten gehen, hänge vom Einzelfall ab. Der BGH gibt das Beispiel an, dass es bei gefährlichen Produkten in Händen von bekannten oder ermittelbaren Abnehmern auch bei erheblichen Gefahren vielfach genügen könne, wenn der Hersteller eine Warnung ausspreche und, soweit erforderlich, kostenpflichtige Hilfe anbiete. In vergleichbaren Konstellationen könne auch eine Stilllegungsaufforderung in Verbindung mit anderen Warnmaßnahmen genügen.324 2. Keine Rückrufpflicht bei Anwendung auf Sachverhalt Bei Anwendung dieser Prinzipien auf den vorliegenden Fall kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass eine Pflicht zum kostenfreien Rückruf nicht besteht. Zwar seien Gefahren für Leib und Leben zu befürchten, da im Revisionsverfahren den Pflegebetten ein Konstruktionsfehler unterstellt werde und damit Reaktionspflichten des Herstellers anzunehmen seien. Jedoch sei eine kostenfreie Nachrüstung der Pflegebetten nicht erforderlich, da ein effektiver Schutz bereits durch die Pflegekassen gewährleistet sei, die aufgrund § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI selbst zum Schutz der Pflegebedürftigen verpflichtet sind.325 Davon abgesehen können sich etwaige deliktische Pflichten des Herstellers nicht auf die Nachrüstung der Betten, sondern nur auf die Gefahrenbeseitigung beziehen.326 Wie auch das OLG Hamm im vorinstanzlichen Verfahren beschäftigt sich der BGH mit der Literaturansicht, eine Rückrufpflicht sei in jedem Fall bei einem vom Hersteller verschuldeten Konstruktionsfehler zu bejahen. Der 321  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. Austausch wird trotz fehlender Erwähnung auch gemeint sein, da eine Reparatur das Äquivalenzinteresse in gleicher Weise berührt. 323  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 324  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 325  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 16. 326  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 17. 322  Ein



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil209

BGH folgt dieser Ansicht nicht. Er wiederholt, dass sich deliktische Pflichten nur auf die Gefahrenbeseitigung beziehen, nicht aber das Äquivalenzinteresse schützen. Dessen Schutz sei grundsätzlich der Vertragsordnung überlassen.327 Der BGH lässt explizit offen, welche Konsequenzen sich aus diesen Grundsätzen für die Rückrufpflichten von Herstellern im Allgemeinen ergeben. Er betont aber nochmals, dass im vorliegenden Fall eine Rückrufpflicht bereits an der Erforderlichkeit und nicht erst an der Zumutbarkeit scheitere. Das Äquivalenzinteresse sei nicht allein aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten dem Schutz der Deliktsordnung zuzuführen.328 3. Verneinung weiterer deliktischer Ansprüche Kurz handelt der BGH ab, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht bestehe, da es an einer Rechtsgutsverletzung sowie einem Schadenseintritt fehle. Gleichzeitig sei damit der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ProdHaftG nicht erfüllt.329 Weiterhin können Rechtsgutsverletzung und Schadenseintritt nicht mit der Begründung bejaht werden, dass Schadensverhütung der Schadensregulierung vorgehe und deshalb die konkrete Gefährdung eines deliktisch geschützten Rechtsguts mit dessen Verletzung und Schadenseintritt gleichzusetzen sei. Möglicherweise könne sich zwar aus § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Beseitigung der Gefährdung ergeben. Da der BGH aber das Vorliegen einer konkreten Gefährdung verneint, lässt er offen, ob er dieser Ansicht folgt.330 Weiter erörtert der BGH die Möglichkeit, Aufwendungen für Maßnahmen zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Rechtsgutsverletzung als Schaden im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB einzuordnen und ersatzfähig zu machen. Voraussetzung hierfür sei eine drohende und auf andere Weise nicht zu verhindernde Rechtsgutsverletzung. Ein solcher Fall, so der BGH, liege hier aber nicht vor, da der Schadenseintritt bereits durch den Verzicht, die Pflegebetten weiter zu benutzen, zu vermeiden sei.331 Zuletzt prüft der BGH, ob die Klägerin Schadensersatzansprüche im Rahmen eines Weiterfresserschadens geltend machen kann. Auch dies wird mit dem Hinweis verneint, dass die Pflegebetten keine anderen Schäden aufwie327  BGH,

NJW 2009, NJW 2009, 329  BGH, NJW 2009, 330  BGH, NJW 2009, 331  BGH, NJW 2009, 328  BGH,

1080, 1080, 1080, 1080, 1080,

1082 Rn. 18 f. 1082 Rn. 20. 1082 f. Rn. 22. 1083 Rn. 23. 1083 Rn. 24.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

sen als die geltend gemachten Sicherheitsrisiken. Der Schaden decke sich hier mit dem Unwert, der den Pflegebetten wegen ihrer Mangelhaftigkeit bereits beim Inverkehrbringen anhaftete. Da der Schaden damit auf enttäuschte Vertragserwartungen zurückzuführen sei, bleibe für deliktische Ansprüche kein Raum.332

II. Grundsätze Den Ausführungen des BGH zu den Reaktionspflichten lassen sich einige Grundsätze entnehmen, die über den behandelten Sachverhalt hinaus relevant sind. 1. Bestätigung der Rückrufpflicht Im „Pflegebetten“-Urteil bestätigt der BGH zum ersten Mal ausdrücklich, dass deliktische Rückrufpflichten existieren können. Der Meinung, dass eine Rückrufpflicht nur dem Vertragsrecht, nicht aber dem Deliktsrecht zugeordnet werden könne, wurde eine Absage erteilt. Das erstaunt nicht, da Rückrufpflichten bereits durch die Nichtannahmebeschlüsse der OLG-Entscheidungen „Dunstabzugshaube“ und „Gasheizungsdeckel“333 mittelbar bestätigt wurden und die Aussagen der strafrechtlichen „Lederspray“-Entscheidung334 Ähnliches implizieren. 2. Einzelfallbezogenheit der Reaktionspflichten Der BGH erwähnt an zwei Stellen, dass für die Feststellung der herstellerseitigen Reaktionspflichten jeweils auf den konkreten Fall abzustellen ist. Zum einen können die Gefahrabwendungspflichten nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls festgelegt werden;335 zum anderen lassen es die Richter gegen Ende des Urteilstexts offen, „[w]elche Konsequenzen sich aus diesen Grundsätzen für die Rückrufpflichten von Herstellern im Allgemeinen ergeben“336, und betonen ein zweites Mal, dass keine Verallgemeinerungen getroffen werden sollen, sondern jeder Fall für sich zu prüfen sei. 332  BGH,

NJW 2009, 1080, 1083 Rn. 25. NJW-RR 1995, 594 ff. (Dunstabzugshaube), mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 04.10.1994 – VI ZR 161/93); OLG München, NJWRR 1999, 1657 ff. (Gasheizungsdeckel), mit Nichtannahmebeschluss des BGH vom 27.05.1999 – III ZR 103/98. 334  Siehe § 4 II. 3. b). 335  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 336  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 20. 333  OLG Karlsruhe,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil211

Die beiden unscheinbar auftretenden Passagen betonen einen Aspekt, der in der Diskussion im Schrifttum gerne vernachlässigt wird. Die Kriterien, anhand derer das Für und Wider einer Rückrufpflicht erörtert wird, sind nichts anderes als eine Abstraktion der „Umstände des Einzelfalls“. Sie dienen als Gewichte in einer Waagschale, von denen einige mehr und andere weniger Gewicht haben. Sie sind jedoch keine absoluten Kriterien, sondern relativ im Zusammenspiel mit den anderen zu betrachten. Insofern ist es nicht richtig, eine Rückrufpflicht kategorisch abzulehnen oder zu bejahen, sobald gewisse Kriterien erfüllt sind.337 3. Effektiver Schutz des Integritätsinteresses als oberste Priorität Wegen der rechtsdogmatischen Grenzlage des Rückrufs338 weist der BGH an mehreren Stellen ausdrücklich darauf hin, dass Gefahrenabwehrmaßnahmen nur auf den Schutz des Integritätsinteresses gerichtet sein können.339 Lediglich in Ausnahmefällen kann sich die Schutzwirkung im Zuge der Erforderlichkeit auch auf das Äquivalenzinteresse erstrecken.340 Diese Aussagen bringen zwar keine neuen Erkenntnisse, sie geben aber einen Hinweis darauf, wo sich der BGH im Meinungsstreit um den Rückruf positioniert. Der Rückruf hat für ihn Ausnahmecharakter. Fraglich ist, wie die vom BGH getätigte Aussage zu interpretieren ist, dass im konkreten Sachverhalt etwaige Verkehrspflichten inhaltlich nicht auf die Nachrüstung der Betten gerichtet sein konnten.341 Teils wurde daraus geschlossen, dass der BGH Rückrufpflichten ablehne, deren Schutzwirkung identisch mit der Erfüllung des Äquivalenzinteresses ist, und der Hersteller beim Bestehen einer Rückrufpflicht prinzipiell nur die Kosten für die Gefahrenbeseitigung, nicht aber für Reparatur oder Umtausch tragen müsse.342 Diese Ansicht verkennt, dass die betrachtete Aussage im Kontext des Urteils zu lesen ist und sich lediglich auf den vorliegenden Fall bezieht. Im 337  Auch Pieper, BB 1991, 985, 988; Schmidt, S. 65 f., 87 f. Das gilt insbesondere für die Auffassungen, einen Rückruf generell bei verschuldeten Konstruktionsfehlern zu bejahen und bei der Gefährdung von Sachen zu verneinen. 338  Kettler, VersR 2009, 272, 275. Siehe § 1 I. 3. 339  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 f. Rn. 12, 17–20. Nach diesem Prinzip wird eine Rückrufpflicht beim anfänglichen Konstruktionsfehler (Rn. 18 f.) oder aus reinen Zumutbarkeitsaspekten (Rn. 20) verneint. 340  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 341  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 17. 342  Burckhardt, BB 2009, 627, 631; J. Hager, in: Staudinger (2009), § 823 F2 Fn. 28; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 338 a. E. Bereits früher in diese Richtung argumentierend OLG Stuttgart, NJW 1967, 572, 574.

212

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

vorangehenden Absatz343 stellt der BGH fest, dass eine Nachrüstung unter den gegebenen Umständen bereits deshalb nicht erforderlich war, weil die Pflegekassen dieser Verpflichtung – der Nachrüstung – selbst nachkamen. Die Aussage im darauffolgenden Absatz ist dann wie folgt zu lesen: Auch wenn die Pflegekassen die Nachrüstung nicht selbst schon besorgt hätten, wäre der Hersteller trotzdem nicht zu einer Nachrüstung verpflichtet gewesen, da seine deliktischen Pflichten aufgrund der Umstände des Einzelfalls bereits nach oben hin gedeckelt waren. Es hätte mit anderen Worten wieder an der Erforderlichkeit einer kostenfreien Nachrüstung gefehlt. Das bedeutet aber nicht, dass die Möglichkeit einer Pflicht zur kostenfreien Nachrüstung generell auszuschließen ist. In den allgemeinen Anmerkungen zu den Reaktionspflichten bestätigt der BGH auch explizit, dass eine solche Pflicht unter der Voraussetzung ihrer Erforderlichkeit durchaus möglich ist.344 4. Relevante Abwägungskriterien für die Erforderlichkeit Bei der Frage nach dem Inhalt der gesetzlich geschuldeten Gefahrenabwehr rückt der BGH den Begriff der Erforderlichkeit in den Mittelpunkt. Zwar fällt der Begriff erst dort, wo die Pflicht zum kostenlosen Rückruf erörtert wird,345 doch bezieht sich der BGH generell auf die Gefahrenabwehrmaßnahmen des Herstellers. Dieser muss grundsätzlich vor einer Gefahr warnen;346 weitergehende Maßnahmen sind nur dann geschuldet, wenn sie erforderlich sind.347 Abgesehen von den bekannten (und wenig hilfreichen) Wertungen, dass die Art des gefährdeten Rechtsguts und die Größe der Gefahr hierbei eine Rolle spielen,348 definiert der BGH leider nicht weiter, wie der Begriff auszufüllen ist.349 Die Urteilsausführungen lassen dennoch Rückschlüsse zu, welche Faktoren mit welcher Gewichtung in die Erforderlichkeit einfließen. a) Effektivität der Gefahrenabwehr Für die Ausgestaltung der Reaktionspflichten benennt der BGH als zentrales Merkmal die Effektivität der Gefahrenabwehr.350 Mit anderen Worten: 343  BGH,

NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 16. NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 345  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 346  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 10. 347  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 348  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 10. 349  Zu dieser Problematik siehe § 4 II. 1. 350  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 ff. Rn. 11 f., 16 ff. 344  BGH,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil213

Über die Erforderlichkeit entscheidet mehr das Ergebnis – inwieweit die Gefahr tatsächlich abgewehrt werden kann – als das Mittel, das dafür eingesetzt wird. Treten etwa bei einem für Personen überaus gefährlichen Produktfehler Umstände hinzu, aufgrund derer eine Warnung Beachtung findet und die Gefahr im Zaum gehalten wird, ist ein Rückruf nicht mehr erforderlich. Damit können selbst bei einer erheblichen Gefährdung einfache Gefahrenabwehrmaßnahmen bereits genügen. Fallen diese Umstände weg und ist eine effektive Gefahrenabwehr durch eine Warnung nicht mehr gewährleistet, können weitergehende Maßnahmen erforderlich werden. Es kann also durchaus vorkommen, dass bei vergleichbaren Produktfehlern in Abhängigkeit der äußeren Umstände unterschiedliche Maßnahmen erforderlich werden. Entscheidend ist am Ende, wie effektiv die Gefahr beseitig wird. Dies ist auch eine Ausprägung des bereits erwähnten Prinzips, dass die Reaktionspflichten am Einzelfall zu messen sind. b) Identifizierbarkeit des Produktnutzers Nicht nur der Hersteller ist für eine effektive Gefahrenabwehr verantwortlich. Der BGH postuliert, dass sich der Pflichtenumfang des Herstellers selbst bei erheblichen Gefahren für Produktnutzer und Dritte deutlich vermindert, wenn die Produktnutzer bekannt sind.351 Als Grundregel genügt in solchen Fällen eine Warnung. Unter Umständen kann zusätzlich ein für den Produktnutzer kostenpflichtiges Angebot zur Nachrüstung erforderlich werden, mehr jedoch nicht. Im Umkehrschluss können die Pflichten des Herstellers über eine Warnung hinausgehen, wenn sich die Produktnutzer nicht identifizieren lassen. Der Verantwortung des Herstellers werden Grenzen in Form der Eigenverantwortlichkeit des Produktnutzers gesetzt. Der Hersteller muss es dem Produktnutzer lediglich ermöglichen, eine Produktgefahr zu steuern; wie letzterer sich dann tatsächlich verhält, ist dessen Sache. An diesem Maßstab sind die Reaktionspflichten des Herstellers zu messen. Lassen sich die Produktnutzer identifizieren, werden primär diese mit der Gefahrensteuerung betraut, selbst wenn neben ihnen auch Dritte gefährdet sein sollten. Der Hersteller nimmt dabei nur eine unterstützende Funktion ein, tritt aber hinsichtlich der Initiative und Verantwortung, die Gefahr tatsächlich zu steuern, zurück in die zweite Reihe.

351  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13.

214

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

c) Korrespondierende Pflichten des Produktnutzers Unterliegt der Produktnutzer eigenen Pflichten zum Schutze Dritter, beeinflusst das die Effektivität der Gefahrenabwehr und somit die Erforderlichkeit. Im „Pflegebetten“-Fall unterlagen die Pflegekassen der Verpflichtung aus § 40 Abs. 1 SGB XI, ihren Pflegebedürftigen notwendige Pflegehilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht erstreckt sich nach § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI auch auf notwendige Änderungen, Instandsetzung oder Ersatzbeschaffung von besagten Pflegehilfsmitteln. Die Pflegekassen unterliegen mit anderen Worten einer Pflicht, die im Ergebnis mit einem Rückruf inklusive Reparatur oder Austausch gleichläuft. Der BGH hebt diesen Aspekt bei der Frage hervor, ob ein kostenloser Rückruf im Streitfall erforderlich war.352 Er verneint dies mit der Begründung, dass die Pflegekassen ausreichend über die Gefahren informiert waren und die Pflegebedürftigen schützen konnten – und aufgrund ihrer eigenen sozialversicherungsrechtlichen Leistungspflichten auch mussten. Da nicht anzunehmen war, dass die Pflegekassen dieser Verpflichtung nicht nachkommen würden, war eine effektive Gefahrenbeseitigung gewährleistet. Das Schrifttum interpretiert diese Ausführungen unterschiedlich. Teils wird angenommen, dass eine Warnung immer genüge, wenn auf der Seite des Produktnutzers eine Pflicht bestehe, bei deren Erfüllung die Gefahr beseitigt werde und deren Nichterfüllung eigens sanktioniert sei.353 Die Warnung durch den Hersteller sei notwendig, um den Produktnutzer über die Gefahrenlage ausreichend zu informieren. Gleichzeitig setze sie den Anlass für den Produktnutzer, seinen eigenen Pflichten nachzukommen. Der Hersteller könne dann unterstellen, dass sich der gewarnte Produktnutzer aus Eigeninteresse pflichtgemäß verhalte. Das würde implizieren, dass Warnpflichten überall dort genügen, wo auf Produktnutzerseite eine solche Pflicht bestehe.354 Nach anderer Ansicht kommt es auf die Feststellung einer eigenen Pflicht auf Nutzerseite nicht an, da der BGH einzig auf die Effektivität der Gefahrenabwehr abstelle und die Pflichten der Pflegekassen nur „zusätzlich“ anspreche. Ob beim Produktnutzer eine gesetzliche Pflicht vorliege oder nicht, spiele im System des BGH aber keine Rolle.355 Beiden Ansichten ist nicht vollständig zuzustimmen. Das Vorliegen einer Pflicht auf der Seite des Produktnutzers spielt innerhalb der vom BGH aufgestellten Regeln sehr wohl eine Rolle: Sie ist ein Indikator dafür, dass der 352  BGH,

NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 16. BB 2009, 792, 794. Ähnlich Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051. 354  Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051 nimmt prinzipiell eine eigene Verkehrssicherungspflicht des gewarnten Produktnutzers gegenüber Dritten an. 355  G. Wagner, JZ 2009, 908, 910. 353  Klindt,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil215

Produktnutzer eine Warnung befolgt und damit die Ausnahme, dass vom Hersteller über eine Warnung hinaus gehende Maßnahmen gefordert werden, nicht vorliegt. Auf der anderen Seite steht jedoch auch die Unterstellung, dass der gewarnte Produktnutzer aus Eigeninteresse seine Pflicht erfüllt, nicht im Einklang mit den Ausführungen des BGH zum absichtlichen Hinwegsetzen über eine Warnung.356 Vielmehr ist ein zweistufiger Gedankengang angebracht: Liegt objektiv eine eigene Verpflichtung des Produktnutzers vor, so kann zunächst vermutet werden, dass er sich pflichtentreu verhalten wird. Bestehen jedoch Anhaltspunkte, dass er (subjektiv) dies nicht tun wird, ist die effektive Gefahrenabwehr gefährdet. Dadurch erhöht sich der Pflichtenumfang des Herstellers. In der Regel aber senkt eine korrespondierende Schutzpflicht auf Seiten des Produktnutzers den geschuldeten Pflichtenumfang des Herstellers. d) Gefährdung des Produktnutzers Der Pflichtenumfang des Herstellers kann dann über eine Warnung hinausgehen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass sich der gewarnte Produktnutzer über die Warnung hinwegsetzt und dadurch Dritte gefährdet.357 Im Umkehrschluss bedeutet das, dass weitergehende Pflichten nicht zwingend entstehen müssen, wenn alleinig der Produktnutzer gefährdet ist. Die weitergehenden Pflichten des Herstellers, die sich durch ein Hinwegsetzen über eine Warnung ergeben können, sind nicht auf den Schutz des Produktnutzers gerichtet. Zwar wird dieser als unmittelbarer Nutznießer durch sie geschützt, doch ist das eigentliche Ziel der unbeteiligte Dritte, der durch das Ignorieren der Warnung in Gefahr gerät. Der Schutz des Produktnutzers ist lediglich ein Nebeneffekt. Zwingende Voraussetzung für weitergehende Pflichten ist also die Gefährdung Dritter. Gefährdet der Produktnutzer beim Ignorieren der Warnung nur sich selbst, geht der Pflichtenumfang des Herstellers auch nicht über eine Warnung hinaus. In diesem Aspekt äußert sich wieder die Maxime, dass der Produktnutzer für die Gefahrensteuerung sich selbst gegenüber verantwortlich ist.358 Konsequenterweise gehen bei einer alleinigen Gefährdung des Produktnutzers die Reaktionspflichten des Herstellers dann über eine Warnpflicht hinaus, wenn eine Warnung es nicht zu leisten vermag, dem Produktnutzer eine ausreichende Gefahrenwahrnehmung und -steuerung zu ermöglichen.359 356  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 358  Siehe § 5 II. 4. b). 359  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 357  BGH,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Im Schrifttum wurde geäußert, die Entscheidung richte sich gegen die in Verbraucherkreisen herrschende Fehlvorstellung, dass bei einem sicherheitsrelevanten Fehler stets ein kostenfreier Rückruf zu erfolgen habe.360 Dem ist völlig zuzustimmen. Bei einer Gefährdung der Produktnutzer ist folglich eine Pflicht zum Rückruf vor allem dann zu diskutieren, wenn eine Warnung versagt oder auch Dritte gefährdet werden. Für den kostenfreien Rückruf gilt das angesichts dessen strengerer Anforderungen in noch größerem Maße. Freilich hält sich der BGH die Möglichkeit offen, auch bei einer alleinigen Gefährdung des Produktnutzers einen Rückruf inklusive kostenfreier Nachrüstung als Pflichtenumfang festzulegen, soweit es die Umstände erforderlich machen.361 Die Systematik der Ausführungen macht aber deutlich, dass dies eine Ausnahme darstellt. e) Gefährdung der Allgemeinheit Der BGH unterscheidet beim Umfang der Reaktionspflichten, welche Personengruppe sich in Gefahr befindet. Erstreckt sich die Gefährdung neben dem Produktnutzer auch auf Dritte, können die Sicherungspflichten des Herstellers über eine Warnung hinausgehen. Insofern ist in der Aussage des BGH, dass den Hersteller eine Rückrufpflicht treffen kann, wenn der gewarnte Produktnutzer das fehlerhafte Produkt wider besseres Wissen weiternutzt,362 eine Wertung zu sehen. Wegen des Schutzbedürfnisses der Allgemeinheit gehen die Sicherungspflichten des Herstellers so weit, dass er trotz eines pflichtwidrigen Verhaltens des Produktnutzers (mit-)verantwortlich bleibt. Die Verantwortung des Produktnutzers, rechtstreu zu handeln, tritt hinter die Bedrohung der Allgemeinheit zurück und führt im Ergebnis dazu, dass der Hersteller nicht aus der Haftung entlassen wird. Der BGH macht hier den hohen Stellenwert deutlich, den der Schutz der Allgemeinheit einnimmt. Die Gefährdung der Allgemeinheit ist jedoch nicht als ein Kriterium mit absoluter Wirkung zu verstehen, bei dessen Bejahung automatisch eine Rückrufpflicht anzunehmen wäre. Der BGH benennt bei diesem Aspekt weder Beispiele noch praktische Fallgruppen, was zunächst den Schluss erlauben würde, er wolle mehr auf eine abstrakte, absolute Wertung abstellen. Der Schutz der Allgemeinheit wäre demzufolge von so großer Bedeutung, dass andere Faktoren, wie etwa ein Fehlverhalten der Produktnutzer, immer überstrahlt werden würden. Im Hinblick auf spätere Passagen des Urteils muss dies jedoch verneint werden. Denn wenn sich die Produktnutzer identifizie360  Molitoris,

NJW 2009, 1049. NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. 362  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 361  BGH,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil217

ren lassen, lässt es der BGH selbst bei erheblichen Gefahren für Dritte genügen, dass der Hersteller eine Warnung oder Stilllegungsaufforderung und gegebenenfalls ein Angebot zur Unterstützung bei der Gefahrenbeseitigung ausspricht.363 Wenn der Produktnutzer die Informationen ignoriert oder das Angebot ausschlägt – vergleichbar mit dem bewussten Hinwegsetzen über eine Warnung –, werden dem Hersteller dennoch keine weiteren Pflichten auferlegt. In dieser Konstellation gilt also nicht das Prinzip, dass der Schutz der Allgemeinheit die Herstellerpflichten erweitert, wenn der Produktnutzer nicht auf Warnungen eingeht. 5. Ergebnis Der BGH hat in der „Pflegebetten“-Entscheidung ausdrücklich bestätigt, dass sich aus § 823 Abs. 1 BGB eine Pflicht zum Rückruf ergeben kann. Der konkrete Pflichtenumfang hängt jedoch vom Einzelfall ab. Als Grundregel postuliert der BGH, dass eine Warnung in vielen Fällen genügt. Darüber hinausgehende Maßnahmen stellen die Ausnahme dar, die einer Begründung bedürfen. Als zentrales Merkmal wird hierfür die Erforderlichkeit in den Mittepunkt gestellt. Wichtige Bezugspunkte der Erforderlichkeit sind die tatsächliche Effektivität der Gefahrenabwehr, die Identifizierbarkeit der Produktnutzer sowie die Gefährdung der Allgemeinheit. Bestehen eigene Schutzpflichten des Produktnutzers, kann der Pflichtenumfang des Herstellers verringert werden. Im Ergebnis positioniert sich der BGH auf Seiten derjenigen, die weitgehenden Rückrufpflichten ablehnend gegenüberstehen.364 Als oberstes Ziel legt er aber haftungserweiternd die effektive Gefahrenabwehr und nicht lediglich die Möglichkeit einer Gefahrenabwehr fest.365 Damit lässt der BGH weitergehenden Pflichten Raum, wo die tatsächliche Gefahrenabwehr nicht gewährleistet ist. Für die deliktische Produzentenhaftung stellt das „Pflegebetten“-Urteil einen weiteren Schritt Richtung Gefährdungshaftung dar.366 Erkennen lässt sich das an den Aspekten Effektivität der Gefahrenabwehr und Schutz der Allgemeinheit. In beiden Fällen ist der Umfang der Sorgfaltspflichten abhängig von äußeren Umständen, die nicht mit einem Verschulden des Herstellers in Zusammenhang stehen. Besonders deutlich wird dies durch die Feststel363  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. JZ 2009, 908, 909: „Mit der aktuellen Entscheidung im Pflegebetten-Fall haben die Anhänger deliktsrechtlicher Rückrufpflichten einen herben Dämpfer bekommen; darum kann man nicht herumreden.“ 365  So sieht es wohl Klindt, BB 2009, 792, 793, der deswegen eine Warnung in den meisten Fällen genügen lässt. 366  Zu der Thematik bereits § 2 II. 1. b). 364  G. Wagner,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

lung des BGH, dass der Hersteller auch dann haftet, wenn ein anderer – der Produktnutzer, der die Warnung ignoriert – es zu verantworten hat, dass ein Schaden bei einem Dritten entsteht. Vom Ansatz her fußt die Verantwortlichkeit des Herstellers weniger darauf, dass er rechtswidrig und schuldhaft einen Schaden verursacht hat,367 sondern dass er Produkte in den Verkehr gebracht hat.

III. Fallgruppen für Rückrufpflichten Im Regelfall lässt es der BGH zur Pflichterfüllung des Herstellers genügen, wenn vor einer Produktgefahr gewarnt wird. In bestimmten Fällen aber kann sich der Pflichtenumfang bis hin zur Durchführung eines kostenlosen Rückrufs erhöhen. Im Folgenden wird untersucht, welche Struktur den Ausführungen des BGH zu diesem Thema zugrunde liegt und welche Anhaltspunkte sich dem Urteilstext und den dort zitierten Fundstellen entnehmen lassen, wann konkret eine weitergehende Pflicht anzunehmen wäre. Die Ergebnisse werden in Fallgruppen zusammengefasst. 1. Ausgangspunkt der hinreichend deutlichen und detaillierten Warnung Zu Beginn legt der BGH seinen Ausführungen den Begriff der hinreichend deutlich und detailliert erfolgten Warnung zugrunde. Zur Erklärung führt er die bekannte Rechtsprechung zur Instruktion und Produktbeobachtung an, wodurch sich folgendes Bild ergibt: Die Warnung muss deutlich erkennbar sein und nicht im „Kleingedruckten“ untergehen.368 Bestehende Gefahren müssen für den Produktnutzer plausibel, deutlich und nachdrücklich herausgestellt369 und gegebenenfalls der Funktionszusammenhang zwischen Produkt und Risiko – warum das Produkt gefährlich ist – aufgezeigt werden.370 Zuletzt darf die Warnung nicht zu allgemein, sondern muss hinreichend deutlich erfolgen.371 Der BGH gebraucht die hinreichend deutliche und detaillierte Warnung im Zuge einer „selbst wenn“-Abgrenzung: Selbst wenn eine Warnung die Kriterien erfüllt, können weitergehende Pflichten bestehen. Damit bezieht er Position in der Diskussion, ob eine ausreichend drastische Warnung eine Rück367  Auch wenn das selbstverständlich im Rahmen der Prüfung von § 823 Abs. 1 BGB zu bejahen ist. 368  BGH, NJW 1987, 1009, 1012. 369  BGH, VersR 1972, 1075, 1076. 370  BGH, NJW 1992, 560, 561. 371  Sack, BB 1985, 813, 817.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil219

rufpflicht des Herstellers automatisch ausschließt.372 Nach Ansicht des BGH tut sie das nicht immer; eine Rückrufpflicht kann in Ausnahmefällen gegeben sein, wenn sie zur effektiven Gefahrenabwehr erforderlich ist. Zur Verdeutlichung werden zwei Beispiele solcher Ausnahmen angeführt (2. und 3.) und allgemeine Ausführungen zur Erforderlichkeit getätigt (4.). 2. Warnung nicht ausreichend zur Gefahreneinschätzung und Verhaltensanpassung Als erste Ausnahme können Sicherungspflichten des Herstellers dann über eine Warnung hinausgehen, wenn Grund zur Annahme besteht, dass eine Warnung den Produktnutzern nicht ausreichend ermöglicht, die Gefahr einzuschätzen und ihr Verhalten darauf einzurichten.373 Diese Ausnahme erschließt sich nicht auf den ersten Blick, da bei einer ausreichend drastischen Warnung anzunehmen wäre, dass der Produktnutzer die Gefahr richtig einschätzen und sich dementsprechend verhalten kann,374 vorausgesetzt, die Warnung erreicht ihn. Zu klären ist, welche Szenarien denkbar sind, in denen der Produktnutzer trotz Warnung weder die Gefahr einschätzen noch sein Verhalten anpassen kann. Als erste Fallgruppe kommt in Betracht, dass eine Gefahr von einem Produkt ausgeht, der Hersteller aber nicht in der Lage ist, eine angemessene Warnung auszusprechen, weil er den Produktfehler und dessen Auswirkungen mangels Informationen nicht ausreichend einschätzen kann.375 Als weitere Voraussetzung muss sich die Unsicherheit auch darauf erstrecken, ob sich die Gefahr durch Nichtbenutzung des Produkts vermeiden lässt, da ansonsten eine Stilllegungsaufforderung die Gefahr effektiv abwehrt. Kann der Hersteller hingegen weder Gefahr noch effektive Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung hinreichend darstellen, muss er einen Rückruf durchführen. Weitere Fallgruppen ergeben sich aus den vom BGH verwendeten Fundstellen, darunter ein höchstrichterliches Urteil und zwei Fundstellen in der Literatur.376 In dem zitierten Urteil wird ausgeführt, dass eine Warnung ausreichende Sicherheit vor drohenden Gefahren schaffen müsse.377 Es komme 372  In die Richtung Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 360. 373  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 374  So etwa G. Wagner, Produktrückruf, 51, 72. 375  Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 83. 376  Zitiert werden BGH, VersR 1994, 1481, 1483; Bodewig, S. 257, 268; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB4, § 823 Rn. 257 ff. 377  BGH, VersR 1994, 1481, 1483 mit Verweis auf die Aussage des Berufungsgericht auf 1482.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

dabei entscheidend darauf an, ob es möglich sei, eine so deutliche und plausible Gefahrenwarnung auf dem Produkt unterzubringen, dass die Vermutung dafür spreche, dass sie beachtet werde. Bei der Fundstelle geht es lediglich um die Zustellung und Deutlichkeit der Warnung, die beide in der Aussage des „Pflegebetten“-Urteils bereits vorausgesetzt werden und für den hier thematisierten Aspekt irrelevant erscheinen. Betrachtet man aber die Ursache der Produktgefahr, die dem Sachverhalt des zitierten Urteils zugrunde lag – das Gefahrenrisiko ergab sich daraus, dass versehentlich ein Stecker leicht in eine falsche Steckdose gesteckt werden konnte –, ergibt sich die zweite Fallgruppe, bei der eine Warnung zur Pflichterfüllung nicht genügt: wenn das Produkt so beschaffen ist, dass eine Warnung entweder nur schwer Gefahrenbewusstsein schaffen kann oder aufgrund konstruktiver Schwächen des Produkts anzunehmen ist, dass die Gefahr trotz hinreichend deutlicher und detaillierter Warnung leicht übersehen wird.378 Auf die dritte Fallgruppe weist ein Passus, der gegen Ende des zitierten Urteils erfolgt: Werden Geräte von Kindern benutzt, sei zu vermuten, dass die Umsetzung einer ausreichenden Warnung schwieriger bis hin zu unmöglich sei.379 In dieselbe Kerbe schlägt die zitierte Literaturstelle von G. Wagner380, in welcher die Auswirkung der Gefährdung privilegierter Personengruppen auf Umfang und Intensität der Verkehrssicherungspflichten des Schädigers diskutiert wird. Als Beispiele werden Kinder, Hilfsbedürftige und ältere Menschen erwähnt. Dem Hersteller können somit über eine Warnung hinausgehende Pflichten auferlegt werden, wenn die gefährdeten Personen nur eingeschränkt in der Lage sind, die Gefahr selbst zu steuern. Die vierte Fallgruppe zeigt die Habilitationsschrift zum Thema Rückruf von Bodewig auf, die zweimal zitiert wird.381 An der ersten Stelle wird ausgeführt, dass Warnungen nicht ausreichen, wenn sie den Produktnutzer nicht in die Lage versetzen können, die Gefahr abzuwenden oder zu entscheiden, ob er sich ihr aussetze.382 Dabei ist an die Konstellationen zu denken, bei denen die Gefahr eines Produkts trotz Nichtbenutzens weiter besteht, bei denen ein Nichtbenutzen nicht möglich ist oder, verallgemeinert ausgedrückt, bei denen die Produktgefahr solcher Natur ist, dass sie sich mit einer Warnung nicht beheben lässt. Das wäre etwa bei Farbe der Fall, mit der eine Wohnung gestrichen wurde und die, wie sich im Nachhinein herausstellt, eine gesundheits378  Foerste,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 335. VersR 1994, 1481, 1483. 380  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 433 ff. Der BGH zitiert die 4. Auflage, § 823 Rn. 257 ff. 381  Bodewig, S. 257, 268. 382  Bodewig, S. 257. 379  BGH,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil221

schädigende Wirkung aufweist.383 In solchen Fällen könnte der Produktnutzer trotz Warnung sein Verhalten nicht auf die Gefahr einrichten. Eine ähnlich gelagerte Situation ergibt sich, wenn Hersteller und Produktnutzer die Gefahr jeweils beseitigen können, letzterer dies aber nur unter erheblichem Aufwand und ersterer vergleichsweise leicht besorgen kann. An der zweiten Stelle wird auf die Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers eingegangen.384 Eine Warnung genüge nur dann, wenn der Produktnutzer sie den Umständen nach beachten könne. Davon ist nicht auszugehen, wenn der Produktnutzer zu „Personenkreisen“ gehört, denen die konkrete Gefahrensituation nicht so erklärt werden kann, dass sie sie verstehen können und man von ihnen selbstverantwortliches Handeln erwarten kann. Als Beispiel werden Kinder und ältere Menschen angeführt, die eine möglicherweise nur verminderte Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit aufweisen können. Bezogen wird sich hier auf die im vorletzten Absatz festgestellte dritte Fallgruppe. 3. Hinwegsetzen über eine Warnung In einer zweiten Ausnahme lässt der BGH eine Warnung dann nicht genügen, wenn sie zwar ausreichende Gefahrenkenntnis und -steuerung ermöglicht – und damit die eben geschilderte, erste Ausnahme nicht greift –, aber Grund zur Annahme besteht, dass sich die Produktnutzer bewusst oder unbewusst über die Warnung hinwegsetzen und dadurch Dritte gefährden.385 Die Ausnahme lässt sich auf drei Elemente herunterbrechen: erstens das Hinwegsetzen über die Warnung, das zweitens auch bewusst passieren kann, und drittens die Gefährdung Dritter. Das schließt bereits den Fall aus, dass der Produktnutzer nur sich selbst gefährdet.386 Die angeführte Rechtsprechung387 ist für die weitere Analyse nicht hilfreich, da dort lediglich die Aussagen des BGH wiederholt werden, ohne weitere Begründungen zu liefern. Auch bei den Verweisen ins Schrifttum erstaunt es, dass zwei Quellen der Position des BGH, die dieser durch selbige Quellen bekräftigen möchte, grundlegend skeptisch gegenüberstehen.388 383  Ähnlich Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 823 Rn. 516. An anderer Stelle bringt Bodewig das Beispiel von defekten Limonadenflaschen, deren Fehlerhaftigkeit der Produktnutzer nicht erkennen kann, vgl. Bodewig, S. 246. 384  Bodewig, S. 268. 385  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 386  Siehe § 5 II. 4. d). 387  Zitiert wird OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184, 1186. 388  Zitiert werden Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1603, 1605 und Thürmann, NVersZ 1999, 145, 146.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Zwar erwähnen beide die These, dass eine Rückrufpflicht mit einer möglichen Missachtung der Warnung durch den Produktnutzer und die darauf resultierende Gefährdung Dritter begründet werden könnte; aber sogleich wird in beiden Quellen betont, dass dies für sich allein nicht die Verpflichtung zum Rückruf rechtfertigen könne.389 Sonst würde man vermutetes unrechtmäßiges Verhalten des Produktnutzers zum Maßstab der Verpflichtung des Herstellers machen, wodurch der sich unrechtmäßig verhaltenden Produktnutzer faktisch bevorzugt werden würde.390 Lediglich an einer Stelle wird später eingeräumt, dass die potentielle Gefährdung unbeteiligter Dritter eine Rückrufpflicht noch am ehesten gerechtfertigt erscheinen lasse.391 Die restlichen Quellen392 sind ergiebiger und lassen den Gedankengang des BGH erahnen. Ausgangspunkt sind die unzureichenden Selbstschutzmöglichkeiten Dritter. Eine Warnung erreicht in der Regel unbeteiligte Dritte nicht. Tut sie das doch, hat der Dritte meist keinen Einfluss darauf, die Gefahr zu verhindern oder ihr auszuweichen.393 In beiden Fällen kann er sich nicht gegen die Gefahr wehren. Deswegen genügt es nicht, nur dem Produktnutzer die selbstverantwortliche Gefahrensteuerung zu ermöglichen.394 Im Gegensatz zur ersten Ausnahme, dass eine Warnung nicht zur Gefahreneinschätzung und Verhaltensanpassung ausreicht, liefert der BGH hier lediglich eine Begründung, gibt aber weder in seinen Ausführungen noch durch die zitierten Quellen Hinweise darauf, welche praktischen Fallgruppen er für diesen Punkt vor Augen hatte. Da sich dem Urteil jenseits der abstrakten Wertung des Schutzes Dritter keine Hinweise auf Fallkonstellationen entnehmen lassen, ist zu klären, in welchen Situationen sich ein Produktnutzer nachvollziehbar über eine verstandene Warnung absichtlich hinwegsetzen würde. a) Irrationalität der Produktnutzer Fraglich ist, ob die Fälle gemeint sind, bei denen der Produktnutzer aus Bequemlichkeit, Unlust oder vergleichbaren irrationalen Handlungsmotiven die Warnung ignoriert. Nach einer Ansicht ist dies zu bejahen.395 Der BGH lege demnach seinen Ausführungen die zusätzliche Wertung zugrunde, dass eine Gefahrenabwehrmaßnahme dem Produktnutzer einen ausreichend hohen 389  Burckhardt,

VersR 2007, 1601, 1603. NVersZ 1999, 145, 146. 391  Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1605. 392  Zitiert werden Bodewig, S. 266 f. und Sack, DAR 1983, 1, 2. 393  Bodewig, S.  266 f. 394  Sack, DAR 1983, 1, 2. 395  So im Ergebnis Schmidt, S. 92, 94 f. 390  Thürmann,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil223

Anreiz bieten müsse, sie zu beachten und an ihr teilzunehmen. Leitlinie müsse es daher sein, eine Gefahrenabwehrmaßnahme so „attraktiv“ wie möglich auszugestalten, da der Hersteller die Gefahr nur abwehren könne, wenn der Produktnutzer involviert sei.396 Problematisch an dieser Ansicht ist, dass dem Produktnutzer Irrationalität unterstellt wird und er aus seiner eigenen Verantwortung der Gefahrenabwehr entbunden wird. Eine Rückrufpflicht wäre in fast allen Konstellationen erforderlich,397 wodurch das Abgrenzungskriterium „Erforderlichkeit“ unbrauchbar werden würde. Weder ist dies sachgerecht noch kann es die Intention des BGH gewesen sein.398 Irrationalität als Handlungsmotiv des Produktnutzers zählt damit nicht als eine Fallgruppe des absichtlichen Hinwegsetzens über eine Warnung.399 b) Fehlende oder geringe Gefährdung des Produktnutzers Als erste Fallgruppe bieten sich Produktnutzer an, aus deren subjektiver Perspektive der Aufwand, der ihnen durch die Einstellung des Produktgebrauchs entsteht, unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu der wahrgenommenen Gefahr erscheint. Aus dieser Gruppe auszunehmen sind diejenigen, die lediglich aus Bequemlichkeit oder Irrationalität einer Warnung nicht folgen würden.400 Übrig bliebe die Konstellation, dass bei einer Weiternutzung des Produkts eine Gefahr nur einem Dritten, nicht aber dem gewarnten Produktnutzer droht. Dies wäre anzunehmen, wenn sich der Produktnutzer aufgrund seines Informationsvorteils kurz vor dem Schadenseintritt aus der Gefahrenzone des Produkts begeben bzw. dafür sorgen könnte, dass sich das Risiko nicht in einem Schaden realisiert, einem unbeteiligten Dritten dies jedoch aufgrund dessen Informationsdefizits nicht möglich ist. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Nutzung des Produkts keinen oder nur geringen Kontakt mit dem Produktnutzer erfordert, wodurch der Kreis der potentiell Gefährdeten faktisch nur Dritte beinhaltet. Beispiel hierfür wäre ein Produktnutzer, der ein Produkt weiterverarbeitet oder bei anderen anwendet.401 In den meisten dieser Fälle werden dem Produktnutzer jedoch Sorgfaltspflichten gegenüber Dritten auferlegt sein, die ein Missachten einer Warnung sanktionieren. Das gilt vor allem dann, wenn die Anwendung 396  Schmidt,

S.  94 f. der Tat kommt Schmidt zu diesem Resultat, führt dann aber auf der Stufe der Zumutbarkeit eine umfassende Interessenabwägung durch, vgl. Schmidt, S.  61 f., 62 ff. 398  Ähnlich Handorn, MPR 2009, 37, 43 und Stöhr, in: FS für Müller, 173, 183. 399  Der Punkt wird an späterer Stelle nochmals aufgegriffen, vgl. § 5 IV. 400  Siehe § 5 III. 3. a). 401  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 50. 397  In

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

des Produkts in einem beruflichen Kontext erfolgt. Besteht ein Vertragsverhältnis zu dem Dritten, verletzt der gewarnte Produktnutzer bei einer Weiternutzung des Produkts häufig eine Hauptleistungspflicht, in jedem Fall aber seine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB.402 Darüber hinaus ergibt sich eine deliktische Haftung für die Verletzung seiner eigenen Sicherungspflichten. Durch die drohende Haftung fehlt es an einem Motiv, die Warnung zu missachten. In der Praxis werden die diskutierten Fälle nur selten anzutreffen sein. Im Regelfall wird der Produktnutzer ähnlich gefährdet sein wie ein unbeteiligter Dritter. Damit bietet sich ihm kein Anlass, sich über die Warnung hinwegzusetzen. c) Falsche Gefahreneinschätzung durch den Produktnutzer Eine zweite Fallgruppe könnte darin bestehen, dass der Produktnutzer die Gefahr verkennt oder herunterspielt, weil ihm keine Anhaltspunkte vorliegen, dass sein individuelles Produkt fehlerhaft ist. Denkbar wäre dies bei einem Fabrikationsfehler oder einem bloßen Fehlerverdacht. Ein Fabrikationsfehler betrifft oft isolierte Einzelstücke. Solange der Hersteller die fehlerhaften Produkte nicht eindeutig identifizieren kann, wird die Gefahrenabwehrmaßnahme notwendigerweise eine größere Produktcharge betreffen, unter der sich auch fehlerfreie Produkte befinden. Den Produktnutzer erreicht die Warnung, dass sein Produkt möglicherweise einen Fabrikationsfehler aufweist. Hat es jedoch in der Vergangenheit stets gut funktioniert und liegen keine Anzeichen einer Fehlerhaftigkeit vor, ist es nachvollziehbar, wenn einige Produktnutzer darauf vertrauen, eines der nicht fehlerhaften Produkte zu besitzen und es weiter nutzen. Bei einem Konstruktionsfehler gilt dieser Gedanke hingegen nicht, da der Produktnutzer sicher sein kann, dass sein eigenes Produkt als Teil einer fehlerhaften Serie tatsächlich fehlerhaft ist. Ein Herunterspielen des Risikos wäre nur anzunehmen, wenn es sich nicht unmittelbar bei der Benutzung des Produkts äußert und auch in der Vergangenheit nicht geäußert hat. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass selbst bei einem überaus naiven oder selbstsicheren Produktnutzer ein Gefahrenbewusstsein durch eine eindeutige Warnung geschaffen werden kann.403 Eine falsche Gefahreneinschätzung ist nur bei einem Fabrikationsfehler anzunehmen.404 402  Vgl.

dazu auch § 6 II. 1. b) bb). Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24

403  Ähnlich

Rn. 360. 404  Auch Stöhr, in: FS für Müller, 173, 183.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil225

Bei einem begründeten Fehlerverdacht hat der Hersteller zunächst die Pflicht, vor der Möglichkeit von Schäden zu warnen.405 Der Produktnutzer soll entscheiden können, ob er sich den ungeklärten Risiken aussetzt.406 Hier liegt es gerade im Ermessen des Produktnutzers, ob er sich über die Warnung hinwegsetzt oder nicht. Dadurch stellt sich die Frage gar nicht, ob sich der Pflichtenumfang des Herstellers erhöht. Anders liegt der Fall, wenn die Umstände des Einzelfalls mehr als den Hinweis auf mögliche Schäden erforderlich machen, etwa, wenn eine erhebliche Gefährdung von Personen zu befürchten ist. Dann kann eine Stilllegungsaufforderung ausgesprochen werden, bei der das Ermessen des Produktnutzers nicht mehr relevant ist.407 Auf diesen Fall lassen sich die obigen Überlegungen übertragen: Bei Verdacht auf einen Konstruktionsfehler kann eine eindeutige Warnung Gefahrenbewusstsein schaffen. Allenfalls bei Verdacht auf einen Fabrikationsfehler wäre damit zu rechnen, dass der Produktnutzer die Stilllegungsaufforderung ignoriert. Das bloße Vorliegen eines Verdachts mag ihn dazu verleiten, dass er das Risiko verkennt und dadurch Dritte gefährdet. Dabei stimmt nachdenklich, dass aufgrund der Unsicherheit, die den Produktnutzer zu laxem Handeln verleiten könnte, die Sorgfaltsanforderungen bei einem Fehlerverdacht das gleiche Niveau erreichen wie bei einem bestätigten Fehler. Es ist der Regelfall, dass ein Fehlerverdacht einem Fehler nicht gleichsteht.408 Von diesem Grundsatz kann zwar insoweit abgewichen werden, als Fehler und Fehlerverdacht unter bestimmten Umständen gleichzusetzen sind.409 An diese Haftungsverschärfung sind hohe Anforderungen zu stellen;410 insbesondere ist es notwendig, dass dem Produkt ein sicheres Risiko anhaftet, einen schweren Schaden zu verursachen.411 Im Übrigen ist die verschärfte Haftung bei Fehlerverdacht auf das Produkt selbst – nämlich dessen erhöhtes Risiko, fehlerhaft zu sein –, nicht aber auf ein Verhalten des Produktnutzers zurückzuführen. Damit fehlt es an der Vergleichbarkeit zur 405  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 255; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 64a. 406  Meyer, S.  184 f. 407  Ist mehr als eine Stilllegungsaufforderung erforderlich, ist die Schwelle, dass der Hersteller Maßnahmen über eine Warnung hinaus durchführen muss, bereits überschritten und die Frage nach der Missachtung der Warnung stellt sich nicht mehr. 408  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 3 ProdHaftG Rn. 47. 409  Vgl. BGH, NJW 2015, 3096  ff.; BGH, NJW 2015, 2507 ff. Zum zugrunde liegenden Vorabentscheidungsverfahren siehe EuGH, EuZW 2015, 318  ff. = NJW 2015, 1163 ff. Zentrale Fragen waren, ob ein erhöhtes Ausfallrisiko eines Herzschrittmachers mit einem Produktfehler gleichzusetzen wäre und die Operationskosten erstattungsfähig wären. Der EuGH bejahte beides. 410  Timke, NJW 2015, 3060, 3061 ff.; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 3 ProdHaftG Rn. 50. 411  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 3 ProdHaftG Rn. 50.

226

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

hier diskutierten Konstellation. Dennoch ist im Interesse der effektiven Gefahrenabwehr auch bei einem Verdacht auf einen Fabrikationsfehler möglich, dass die Pflichten des Herstellers über eine Warnung hinausgehen. 4. Kostenloser Rückruf wenn „erforderlich“ Die bisherigen Ausnahmen zur Warnung hatten noch keinen konkreten Pflichtenumfang zum Inhalt; erörtert wurden nur Szenarien, in denen eine Warnung nicht mehr genügt. Das ändert sich, wenn der BGH zuletzt die „heilige Kuh“ der Rückrufdiskussion thematisiert, nämlich ob und unter welchen Umständen der Hersteller einen Rückruf auf seine Kosten durchführen muss. Die Ausführungen bleiben hier kurz und allgemein. Der BGH führt nur an, dass eine Pflicht zum kostenfreien Rückruf dann besteht, wenn es für eine effektive Gefahrenabwehr erforderlich ist,412 sieht aber davon ab, den Begriff „erforderlich“ weiter zu konkretisieren. Auch die zitierte Literatur413 fügt dieser Aussage nichts weiter hinzu und erlaubt keinen Rückschluss auf Fallgruppen. Dennoch lassen sich Schlüsse ziehen. a) Negative Abgrenzung statt Fallgruppen Im darauf folgenden Absatz414 beschreibt der BGH negativ abgrenzend ein Szenario, in dem es selbst in Fällen erheblicher Gefahren vielfach nicht erforderlich ist, einen kostenlosen Rückruf durchzuführen. Sind die Produktnutzer dem Hersteller bekannt oder lassen sie sich ermitteln, genügt in der Regel eine Warnung oder Stilllegungsaufforderung. Der Hersteller kann zusätzlich, soweit erforderlich, dazu verpflichtet sein, dem Produktnutzer die kostenpflichtige Gefahrenbeseitigung anzubieten oder ihn dabei zu unterstützen. Diese Maßnahmen können flankiert werden durch das Tätigwerden von Behörden. Kostenpflichtige Rückrufe werden konsequenterweise nur noch äußerst selten in Branchen gesetzlich geschuldet sein, in denen sich die Identität der Produktnutzer feststellen lässt. Das betrifft etwa die Automobilbranche, da über das Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeughalter eines bestimmen Modells lokalisiert werden können.415 Auch andere hochpreisige Produkte können davon betroffen sein, wenn die Produktnutzer etwa über eine Kundenkartei des Händlers oder einen Garantievertrag gefunden werden können oder der 412  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12. werden Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1603  f.; Dietborn/Müller, BB 2007, 2358, 2360; Droste, S. 236 ff. und Thürmann, NVersZ 1999, 145, 146. 414  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 415  Zu der Konstellation vgl. § 6 II. 3. 413  Zitiert



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil227

belieferte Kundenkreis überschaubar klein ist und sich die Nutzer des fehlerhaften Produkts ermitteln lassen. Im Umkehrschluss wären kostenlose Rückrufe am ehesten bei Produkten zu diskutieren, bei denen sich Produktnutzer nur schwer identifizieren oder ermitteln lassen, also vor allem bei Massenprodukten.416 Es wäre jedoch verfrüht, daraus eine Fallgruppe mit genereller Wirkung abzuleiten, dass also eine Rückrufpflicht prinzipiell angenommen werden könne, wenn sich ein gefährliches Produkt in den Händen unbestimmbarer Abnehmer befindet. Durch die Bestimmbarkeit der Produktnutzer mag zwar negativ abgrenzend eine Rückrufpflicht zu verneinen sein, aber um im Gegenzug eine Rückrufpflicht zu bejahen, bedarf es mehr als der Unbestimmbarkeit der Produktnutzer. Diese ist lediglich ein Umstand des Einzelfalls, der zwar im Rahmen der Erforderlichkeit zu berücksichtigen ist, für sich alleine aber nicht zwingend eine Rückrufpflicht auslöst. Richtig ist, dass bei nicht bestimmbaren Produktnutzern der Pflichtenumfang über eine Warnung hinausgehen kann. b) Restriktive Auslegung Zwar fehlt es an konkreten Aussagen, in welchen Fällen der BGH einen kostenlosen Rückruf als erforderlich ansieht, doch lässt sich aus mehreren Besonderheiten ableiten, dass er eine solche Pflicht nur sehr restriktiv annehmen würde. Erstens sticht ins Auge, dass der BGH nach der ersten Erwähnung des Begriffs „erforderlich“ im nächsten Satz des Urteilstexts darauf verweist, dass der deliktsrechtliche Schutz allein das Integritätsinteresse, nicht aber das Äquivalenzinteresse erfasst.417 Hier wird unterstrichen, dass ein kostenloser Rückruf, der auch das Äquivalenzinteresse schützt, nur für besondere Ausnahmen verpflichtend sein kann. Zweitens stellt der BGH, anders als bei den vorherigen Ausnahmen,418 nicht die Frage in den Mittelpunkt, wann eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf vorliegt. Stattdessen betont er im Zuge einer negativen Abgrenzung, in welchen Fällen eine solche Pflicht nicht anzunehmen – bei bekannten und ermittelbaren Abnehmern – und an welche Alternativmaßnahmen zu denken wäre. Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass selbst bei erheblichen Gefahren hier von einer kostenlosen Rückrufpflicht regelmäßig Abstand zu nehmen ist.419 Burckhardt, BB 2009, 627, 631. NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 12 a. E. 418  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 419  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 416  Auch

417  BGH,

228

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Drittens ist bemerkenswert, dass sich der BGH bei seinen Verweisen an der entscheidenden Stelle lediglich auf die neue Rechtsprechung ab 2003 bezieht,420 die einer solchen kostenlosen Rückrufpflicht skeptisch gegenüberstand – ihr also einen Ausnahmecharakter beschieden hatte – und sie in den dortigen Fällen auch verneint hatte. Er hätte auch auf die Fälle vor 2000 zurückgreifen können, die eine solche Rückrufpflicht ohne weiteres bejaht hatten.421 Das tat er aber nicht. In dem Absatz zitiert der BGH die ältere Rechtsprechung lediglich an der Stelle, an der er von der Existenz einer kostenlosen Rückrufpflicht spricht,422 nicht aber bei der Frage der Erforderlichkeit. Davon lässt sich ableiten, dass der BGH in Bezug auf die Erforderlichkeit eher die neuere Rechtsprechung als Maßstab ansieht. 5. Ergebnis Der Pflichtenumfang des Herstellers geht über eine Warnung hinaus, wenn es für die effektive Gefahrenabwehr erforderlich ist. Der BGH beschreibt zwei Situationen, in denen eine Rückrufpflicht – unabhängig von deren Ausgestaltung – anzunehmen ist: wenn die Warnung keine ausreichende Gefahrensteuerung leisten kann, und wenn sich der gewarnte Produktnutzer voraussichtlich über die Warnung hinwegsetzt. Hieraus lassen sich konkrete Fallgruppen ableiten. Dabei ist daran zu erinnern, dass diese Fallgruppen keine abschließende Aufzählung der Szenarien darstellen, in denen der BGH eine Rückrufpflicht erwägen würde.423 Sie sind vielmehr als Beispielfälle anzusehen, in denen ein Rückruf als erforderlich einzustufen ist. Im Rahmen der unzureichenden Gefahrensteuerung ergeben sich vier Fallgruppen. Erstens, wenn mangelnde Informationen über Produktfehler und -gefahr eine effektive Warnung verhindern; zweitens, wenn bei einem Produkt aufgrund konstruktiver Besonderheiten dessen Risiken trotz Warnung leicht übersehen werden; drittens, wenn die Produktnutzer zu einer besonders gefährdeten Personengruppe wie etwa Kinder, Hilfsbedürftige 420  Nämlich auf eines parallelen „Pflegebetten“-Verfahren, LG Arnsberg, BeckRS 2004, 11101, und das noch restriktivere „Federbruchsicherung“-Urteil, LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 ff. 421  Insbesondere die Urteile „Rettungsinsel“, LG Hamburg, VersR 1994, 299 f., „Dunstabzugshaube“, OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594 ff. und „Gasheizungsdeckel“, OLG München, NJW-RR, 1657 ff. 422  Der Verweis erfolgt auf die Urteile „Dunstabzugshaube“, OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594, 597 und „Tempostat“, OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344, 1345. 423  Das lässt sich der „etwa dann“-Formulierung im „Pflegebetten“-Urteil entnehmen, BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. So auch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 335.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil229

oder ältere Menschen gehören und davon auszugehen ist, dass die Warnung deswegen versagt; und viertens, wenn die Gefahr trotz Nutzungsverzicht weiter besteht bzw. ein solcher nicht möglich ist. Aus der zweiten Situation, dem absichtlichen Hinwegsetzen über eine Warnung, ergeben sich zwei weitere Fallgruppen. Erstens, wenn bei einer Weiterbenutzung des Produkts nur einem Dritten, nicht aber dem gewarnten Produktnutzer eine Gefahr droht, sowie zwischen den beiden kein Schuldverhältnis besteht, und zweitens, wenn sich bei einem Fabrikationsfehler oder einem Verdacht auf einen solchen keine Anhaltspunkte für den Produktnutzer ergeben, dass sein Produkt von dem Fehler betroffen ist. Darüber hinaus ergeben sich keine weiteren plausiblen Konstellationen, da im Übrigen eine ausreichend drastische Warnung ein Gefahrenbewusstsein schaffen kann, auf Grundlage dessen der Produktnutzer die Gefahr eindämmen kann und eine Haftungsverschärfung dogmatisch nicht vertretbar ist. Setzt sich der Produktnutzer dennoch über die Warnung hinweg, handelt er irrational. Irrationalität als Handlungsmotiv ist als Grundlage für einen erweiterten Pflichtenumfang des Herstellers aber auszuschließen. Die ersten vier Fallgruppen, die sich aus der unzureichenden Gefahrensteuerung ergeben, sind einleuchtend. Sie fußen auf dem Prinzip, dass die Pflichten des Herstellers aufgrund objektiver Tatsachen – eine unbekannte oder andauernde Gefahr, konstruktive Besonderheiten des Produkts, die verminderten Selbstschutzmöglichkeiten bestimmter Personengruppen – erweitert werden. Ihnen ist gleich, dass eine Warnung keine ausreichende Gefahrenkenntnis oder ‑steuerung ermöglicht. Von ihnen abzugrenzen sind die zwei weiteren Fallgruppen, die sich aus dem Aspekt des Hinwegsetzens über eine Warnung ergeben. Der Produktnutzer behebt hier eine Gefahr nicht, obwohl er es könnte. Der Pflichtenumfang des Herstellers wird durch subjektive Elemente – die Lust oder Unlust des Produktnutzers, der Warnung zu folgen – beeinflusst. Weiter ist bemerkenswert, dass die Herstellerpflichten bewusstes Hinwegsetzen über eine Warnung miteinkalkulieren, dem Pflichtenumfang damit mitunter ein rechtsuntreues Verhalten des Produktnutzers zugrunde gelegt wird. Aufgrund dieser Besonderheiten soll der Punkt „Hinwegsetzen über eine Warnung“ im folgenden Abschnitt gesondert untersucht werden.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

IV. Bewertung des Kriteriums „Hinwegsetzen über eine Warnung“ 1. Vorbemerkung Der BGH hält den Hersteller dazu an, im Rahmen der Reaktionspflichten ein vermutetes unrechtmäßiges Verhalten des Produktnutzers zu berücksichtigen. Unterschieden wird zwischen dem Produktnutzer, der einer Warnung folgt und bei dem sich die Reaktionspflichten unterhalb der Rückrufschwelle bewegen, und dem Produktnutzer, der das Produkt trotz Warnung weiter verwendet und damit eine weitergehende Rückrufpflicht auslösen kann.424 Ein interessanter Punkt hierbei ist, dass einer der Grundgedanken der Produkthaftung übergangen wird: Der Produktnutzer soll nur vor den Gefahren geschützt werden, die ohne sein Verschulden bestehen.425 Oder anders formuliert: Der Hersteller muss den Produktnutzer nicht vor den Gefahren schützen, die auf ein Verschulden des Produktnutzers zurückzuführen sind. Im „Pflegebetten“-Urteil bricht der BGH mit diesem Prinzip und lässt unter bestimmten Voraussetzungen die Verantwortlichkeit des Herstellers weiterhin bestehen, obwohl den Produktnutzer ein Verschulden trifft. Als Begründung wird der Schutz Dritter ins Feld geführt. Die obige Aussage muss dadurch wie folgt ergänzt werden: Der Hersteller muss zusätzlich die Allgemeinheit vor Gefahren schützen, sogar dann, wenn diese auf ein Verschulden des Produktnutzers zurückzuführen sind. Bemerkenswert ist, dass der BGH selbst bei vorsätzlichem Fehlverhalten des Produktnutzers – wenn dieser sich absichtlich über eine Warnung hinwegsetzt – von einer Verantwortung des Herstellers ausgeht. Im Folgenden soll untersucht werden, ob mit diesem Prinzip an einer anderen Stelle der Produkthaftung in vergleichbarer Weise gebrochen wird – die vorliegende Ausnahme also im Vergleich mit anderen Ausnahmen stimmig ist – (2.), inwieweit die Ausführungen des BGH mit der sonstigen Rechtsprechungs- und Gesetzessystematik harmonieren (3.–5.), inwieweit das Kriterium praktikabel ist (6.) und ob es sich sinnvoll in den Kontext des Urteils einfügt (7.). Neben einer kritischen Würdigung des Kriteriums „Hinwegsetzen über eine Warnung“ soll die Untersuchung die bereits getätigte Aussage bestätigen, dass Irrationalität des Produktnutzers keine Fallgruppe dieses Kriteriums darstellen kann.426

424  G. Wagner, JZ 2009, 908, 910 gebraucht die Begriffe des rationalen und irrationalen Produktnutzers. 425  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 72. 426  Siehe § 5 III. 3. a).



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil231

2. Verhältnis zum bestimmungswidrigen Gebrauch Der bestimmungswidrige Gebrauch ist eine Ausnahme des Prinzips, dass der Produktnutzer vor selbstverschuldeten Gefahren nicht geschützt werden muss. Wenn die Umstände es erfordern, muss der Hersteller bei der Herstellung seines Produkts auch solche Gebrauchsarten einberechnen.427 Das ist insofern mit den Ausführungen des BGH zu den Reaktionspflichten im „Pflegebetten“-Fall vergleichbar, als in beiden Fällen ein nicht-konformes Verhalten des Produktnutzers betrachtet wird, welches sich erweiternd auf den Pflichtenumfang des Herstellers auswirken kann. Zu untersuchen ist, ob beide Konstellationen systematisch den gleichen Regeln folgen. Die Ausnahme, dass der Hersteller auch Fehl- und Missbrauch einbeziehen muss, fußt darauf, dass er dem Produktnutzer hinsichtlich Erkennbarkeit und kostengünstiger Vermeidung der Gefahr überlegen und es ihm zuzumuten ist, dies bei Konstruktion und Instruktion zu berücksichtigen.428 Bei der Abgrenzung zwischen Warn- und Rückrufpflichten scheitert dieser Ansatz jedoch bereits am Kostenaspekt. Aus Herstellerperspektive ist ein Rückruf jeglicher Art meist mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden und daher nicht als „kostengünstige Vermeidung der Gefahr“ einzustufen. Darüber hinaus ist der Produktnutzer bei der kostengünstigen Gefahrvermeidung dem Hersteller immer dann überlegen, wenn durch Einstellung des Gebrauchs eine effektive Gefahrenabwehr möglich ist. Insofern ist das Prinzip, dass der Hersteller bei Konstruktion, Instruktion und Warnung auch Fehl- und Missbrauch einbeziehen muss, bereits aufgrund des Kostenfaktors nicht gleichermaßen auf den Rückruf übertragbar.429 Hinsichtlich der Erkennbarkeit der Gefahr ist zudem festzuhalten, dass nach Erfüllung des Mindestpflichtenstandards, d. h. nach erfolgter Warnung, Produktnutzer und Hersteller sich in aller Regel auf demselben Informationslevel befinden und keine Überlegenheit des Herstellers mehr besteht. In eine ähnliche Richtung weist die Tatsache, dass die Herstellerpflichten beim bestimmungswidrigen Gebrauch nach oben hin begrenzt sind. Der Hersteller kann offensichtliche Leichtfertigkeit beim Fehlgebrauch430 sowie den bewussten und gravierenden Missbrauch431 bei seinen Pflichten außer Acht 427  Siehe

die Nachweise bei § 2 II. 3. b) aa) (6) (b). in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 72; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 814. 429  Auch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 356. 430  BGH, NJW 1992, 2016, 2018; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 308. 431  BGH, NJW 1981, 2514, 2516; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 306. 428  Foerste,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

lassen. Gleiches gilt für eine objektiv erkennbare Überbeanspruchung des Produkts.432 Beim bewussten Hinwegsetzen über eine Warnung wäre diese Grenze in vielen Fällen überschritten. Eine Begrenzung der Reaktionspflichten in der Form, wie sie beim bestimmungswidrigen Gebrauch besteht, findet sich hier jedoch nicht, da Warnpflichten in weitergehende Rückrufpflichten umschlagen können. Der Vergleich mit dem bestimmungswidrigen Gebrauch zeigt, dass die Begründung der Haftungserweiterung – vor allem der Aspekt der kostengünstigen Vermeidung der Gefahr – beim Rückruf nicht greift. Systematisch findet sich bei den Reaktionspflichten auch die Begrenzung der Haftungserweiterung nicht wieder. Es bleibt festzuhalten: Obwohl das Hinwegsetzen über eine Warnung mit einem bestimmungswidrigen Gebrauch vergleichbar ist, werden beide Themen unterschiedlich gehandhabt. 3. Verhältnis zur Instruktionspflicht a) Struktureller Vergleich Eine Warnung ähnelt einer Instruktion. In beiden Fällen geht von einem Produkt eine Gefahr aus: bei einer Warnung wegen eines Produktfehlers jeglicher Art, bei einer Instruktion aufgrund der Tatsache, dass sich eine Gefahr trotz pflichtgemäßer Konstruktion und Fabrikation nicht ausräumen lässt. Beide Male hängt die Effektivität der Gefahrenabwehr entscheidend vom Produktnutzer ab. Dieser wird integraler Bestandteil des Schutzkonzepts, da ein Gefahrenschutz gegenüber ihm und Dritten nur besteht, wenn er die Warnung bzw. die Instruktion versteht und beachtet.433 Die Gemeinsamkeit wird insbesondere bei einer nachträglichen Instruktion deutlich, die sich nicht von einer Warnung unterscheidet.434 Aufgrund der Vergleichbarkeit stellt sich die Frage, ob die Wertung des BGH, dass auch ein bewusstes Hinwegsetzen über eine Warnung bei der Festlegung des Pflichtenumfangs mit einbezogen werden muss, sich in gleicher Weise bei den Instruktionspflichten wiederfindet. Ansatz hierfür wäre, dass sich der Adressat einer Instruktion über diese hinwegsetzt und dadurch Dritte gefährdet,435 wodurch weitere Pflichten des Herstellers begründet werden. Grundsätzlich kann ein sicherheitsrelevanter Instruktionsfehler unstrittig 432  BGH,

VersR 1967, 498, 499. Klindt/Handorn, NJW 2010, 1105, 1108. 434  Auch Rothe, MPR 2007, 117, 118 f. 435  Diese Konstellation liegt der bekannten „ESTIL“-Entscheidung zugrunde, vgl. BGH, VersR 1972, 1075 ff. und § 2 II. 3. b) cc) (3). Die Instruktion richtete sich an den Arzt (Produktnutzer), während der Schutz den Patienten (Dritte) galt. 433  Vgl.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil233

durch eine nachträgliche Instruktion behoben werden.436 Kaum wird dabei diskutiert, inwieweit sich der Produktnutzer an die neue Instruktion halten wird.437 Schon gar nicht wird eine etwaige Rückrufpflicht erörtert.438 Im Regelfall besteht auf dieser Ebene ein erheblicher Unterschied zwischen Warnung und Instruktion. Ein Hinwegsetzen über eine Instruktion wird allenfalls beim Aspekt „bestimmungswidriger Gebrauch“ relevant. Dieser wurde bereits im letzten Abschnitt thematisiert, soll aber hier im Rahmen der Instruktionspflicht vertieft werden. Durch eine Instruktion kann der Hersteller den Verwendungszweck eines Produkts festlegen.439 Setzt sich der Produktnutzer darüber hinweg, kommt es zu einem bestimmungswidrigen Gebrauch. Dies ist mit dem Fall vergleichbar, dass sich der Produktnutzer über eine nachträgliche Warnung hinwegsetzt. Auf den Pflichtenumfang der Instruktionspflicht wirkt sich eine mögliche Überschreitung des Verwendungszwecks nur so aus, dass vom Hersteller „mehr vom Gleichen“ gefordert wird: Im Rahmen des Einzelfalls hat der Hersteller einen Fehl- oder Missbrauch in die Instruktion mit einzubeziehen, zum Beispiel durch besonders deutliche und prominente Hinweise auf Folgen des Fehlgebrauchs.440 Anders als bei den Reaktionspflichten werden jedoch keine Maßnahmen zum Pflichtenumfang hinzugefügt, die über eine Instruktion hinausgehen. Nicht nur das: Die Instruktionspflicht stößt vielerorts an Grenzen,441 hauptsächlich in Form der berechtigten Verbrauchererwartung. Der Hersteller muss nur das tun, was von ihm berechtigterweise erwartet werden kann. Er muss aber nicht für sämtliche Fälle eines unsorgfältigen Umgangs mit seinem Produkt Vorsorge treffen.442 Die Grenze der Instruktionspflicht verläuft dort, wo das allgemeine Erfahrungswissen des Benutzerkreises443 und der gesunde Menschenverstand444 eine Instruktion 436  Klindt, BB 2009, 792, 795; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 309 ff. 437  Vgl. nur Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn.  324 f. 438  Bei Instruktionsfehlern wird eine Rückrufpflicht auf breiter Front abgelehnt, vgl. Bodewig, S.  261 f.; J. Hager, in: FS für Prölss, 71, 78; Kreidt, S.  177 f.; Michalski, BB 1998, 961, 965; Rettenbeck, S. 71; Schmidt, S. 61; Schwenzer, JZ 1987, 1059, 1061. 439  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 241 f. 440  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 48. 441  Vgl. Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 45 ff. 442  BGH NJW 2013, 1302, 1303 Rn. 14. 443  BGH, NJW-RR 1993, 990, 992; Kullmann, VersR 1988, 655, 657. 444  BGH, NJW-RR 1993, 990, 992; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 47 m. w. N.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

überflüssig machen. Bei den Reaktionspflichten ist diese Grenze nicht vorhanden, obwohl Lebenserfahrung und gesunder Menschenverstand dafür sprechen, einer eindringlichen Warnung Folge zu leisten. Ein zweiter Unterschied findet sich bei der Begründung, warum der Hersteller pflichtwidriges Verhalten der Produktnutzer im Rahmen seiner Pflichten beachten muss. Im „Pflegebetten“-Urteil führt der BGH dazu den Schutz von Dritten an. Im Gegensatz dazu ist die Rechtfertigung der Instruktion zum bestimmungswidrigen Gebrauch auf den Produktnutzer bezogen: Ihm gegenüber weist der Hersteller eine deutlich überlegene Produktkenntnis auf, und im Gegensatz zu ihm ist der Hersteller eher dazu fähig, die Wahrscheinlichkeit und die Folgen eines falschen Gebrauchs zu überblicken.445 Die Instruktionspflicht sorgt dafür, dass ein Informations- oder Gefahrenbewusstseinsdefizit beim Produktnutzer ausgeglichen wird, aber mehr macht sie nicht. Das zentrale Kriterium bleibt der Schutz des Produktnutzers.446 Zwar fließt der Schutz der Allgemeinheit am Rande in die Instruktionspflicht ein, da es dem Produktnutzer ermöglicht werden muss, beim Gebrauch des Produkts weder sich noch Dritte zu gefährden; jedoch geht die Pflicht im Allgemeinen nicht darüber hinaus, dass der Produktnutzer informiert werden muss.447 Festzuhalten bleibt, dass Instruktions- und Warnpflichten unterschiedlich gehandhabt werden, obwohl sich systematisch angesichts ihres Gleichlaufs kein ersichtlicher Grund für die Unterscheidung ergibt. Während eine Warnung bei Nichtbeachtung in weitergehende Pflichten umschlagen kann, sind der Instruktionspflicht Grenzen gesetzt. Infolge bleibt die Schutzwirkung der Instruktionspflicht kleiner als diejenige der Warnpflicht. Auch die Begründung weiterer Pflichten bei bestimmungswidrigem Gebrauch fußt bei Instruktions- und Warnpflichten auf verschiedenen Gedanken: dem Informationsdefizit des Produktnutzers auf der einen und dem Schutz Dritter auf der anderen Seite. Im Ergebnis stehen damit die Aussagen im „Pflegebetten“Urteil zu den Warnpflichten nicht im Einklang mit der Systematik der ihnen gleichlaufenden Instruktionspflichten. b) Vermutung instruktionsgerechten Verhaltens Liegt einem Produkthaftungsfall die Verletzung einer Instruktionspflicht zugrunde, muss der Geschädigte beweisen, dass der Instruktionsfehler ursächlich für den eingetretenen Schaden war. Dieser Beweis gestaltet sich 445  Foerste,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 294. in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 219; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 50. 447  Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 50. 446  Foerste,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil235

oftmals schwierig, da eine hypothetische innere Entscheidung des Geschädigten, eine Instruktion zu befolgen, bewiesen werden muss.448 Nach ständiger Rechtsprechung wird ihm deswegen die Beweisführung durch die Vermutung des instruktionsgerechten Verhaltens erleichtert.449 Das bedeutet: Bei einer unterlassenen Instruktion wird vermutet, dass eine gedachtermaßen erfolgte Instruktion beachtet worden wäre, solange sie hinreichend deutlich und plausibel abgefasst gewesen wäre. Die Vermutungswirkung kann angesichts gegenläufiger Erfahrungen in der Praxis und weiterer praktischer Erwägungen zwar kritisch betrachtet werden,450 aber Tatsache bleibt, dass der BGH bei Beweisfragen annimmt, dass einer erteilten Instruktion Folge geleistet wird. Bei den Reaktionspflichten hingegen entscheidet er sich anders. Hat ein Hersteller durch seine Produktbeobachtung ein Sicherheitsrisiko in seinen Produkten entdeckt, muss er bei der Abwägung seiner Reaktionsmaßnahmen einkalkulieren, dass sich Produktnutzer über eine Warnung hinwegsetzen. Zugespitzt formuliert: Bei einer anfänglichen Instruktion geht der BGH davon aus, dass diese beachtet wird; bei einer nachträglichen Instruktion, also bei einer Warnung, greift die Vermutungswirkung nicht. Die Vermutungswirkung hängt damit vom Zeitpunkt der Instruktion ab. Warum diese Unterscheidung getroffen wird, ist sachlich nicht ersichtlich. Faktisch spricht überdies die Lebenserfahrung gegen dieses Ergebnis, da eine anfangs beigefügte umfangreiche Bedienungsanleitung weniger Beachtung finden wird als eine nachträgliche deutliche Warnung vor einem spezifischen Risiko.451 Wenn eine Vermutungswirkung bei der anfänglichen Instruktion bejaht wird, müsste das konsequenterweise auch bei der nachträglichen Instruktion geschehen. Mit den Ausführungen zu den Reaktionspflichten im „Pflegebetten“Urteil widerspricht der BGH damit der Vermutung des instruktionsgerechten Verhaltens, wie sie bei den Instruktionspflichten erfolgt. 4. Vergleich mit dem Vertrauensgrundsatz im Strafrecht Im Strafrecht gilt: Wer sich rechtstreu verhält, muss nicht damit rechnen, dass sich ein anderer pflichtwidrig verhält, es sei denn, es besteht Grund zu dieser Annahme.452 Dieser ursprünglich aus dem Straßenverkehr stammende 448  Foerste,

in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 30 Rn. 126. NJW 1992, 560, 562; BGH, VersR 1994, 319, 322; BGH, VersR 1999, 888, 889; BGH, NJW 2009, 2952, 2956 Rn. 33. 450  So Burckhardt, VersR 2009, 1592, 1595 und Klindt/Handorn, NJW 2010, 1105, 1108 in ihren Besprechungen der „Airbag“-Entscheidung, BGH, NJW 2009, 2952 ff. 451  Klindt, Email an den Verfasser vom 05.02.2010. 452  BGH, NJW 1953, 593, 594; BGH, NJW 1954, 1493, 1494. 449  BGH,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Grundsatz453 gilt überall dort, wo gefahrenträchtige Handlungen von mehreren „arbeitsteilig“ vorgenommen werden.454 Dieser Grundsatz gilt auch im Verhältnis Hersteller und Produktnutzer, unterliegt letzterer doch eigenen deliktsrechtlichen und spezialgesetzlichen Pflichten, einen Dritten nicht zu schädigen. Aus strafrechtlicher Perspektive kann ein Hersteller davon ausgehen, dass ein Produktnutzer sich nicht über eine Warnung hinwegsetzen wird.455 Dem Strafrecht wäre es fremd, eine „Gefährdungshaftung“ einzuführen, wenn der Hersteller sich auch für irrationales Verhalten des Produktnutzers verantworten und darauf reagieren müsste. Aus zivilrechtlicher Perspektive passiert jedoch genau dies. Die Ausführungen des BGH im „Pflegebetten“Fall stellen sich damit gegen den Gedanken des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes des Strafrechts, das von einem mündigen Verbraucher ausgeht.456 Zwar handelt es sich hierbei um zwei verschiedene Rechtsgebiete, bei denen Vergleiche nur bedingt aussagekräftig sind,457 aber dennoch bleibt am Ende die Tatsache, dass der BGH in einem zivilrechtlichen Kontext anders wertet als in einem strafrechtlichen. 5. Objektivität der Verkehrssicherungspflichten Der Pflichtenumfang von Verkehrssicherungspflichten ist nach objektiven Maßstäben zu bemessen. Die Sorgfaltspflichten des Herstellers orientieren sich an der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB.458 Diese ist objektiviert und unabhängig von subjektiven Aspekten des Pflichtadressaten. So kommt es bei der Frage, ob sich der Hersteller bei einem Konstruktionsfehler auf ein Entwicklungsrisiko berufen kann, nicht auf die subjektive Kenntnis des Produktfehlers auf Seiten des Herstellers an, sondern auf die objektive Erkennbarkeit des Fehlers nach dem Stand von Wissenschaft und Technik.459 Spiegelbildlich gilt das gleiche Prinzip: Die Sorgfaltsanforderungen des Herstellers richten sich objektiv nach den Erwartungen, Kenntnissen und Fähigkeiten des relevanten Verkehrskreises, zu dem der potentiell Geschädigte gehört, nicht aber subjektiv nach dem Individuum.460 Die Anforderung eines objektiven Pflichtenmaßstabs äußert sich auch dadurch, dass sich 453  Vgl. Greger, in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 14 Rn. 12. 454  Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rn. 151. 455  Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 83. 456  Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 84. 457  Vgl. nur die Ausführungen zur „Lederspray“-Entscheidung in § 4 II. 3. b). 458  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 394 m. w. N. 459  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 816. 460  BGH, NJW 2009, 2952, 2953; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 823 Rn. 427.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil237

die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht an den vorherrschenden Verhältnissen – dem „faktisch sozial Üblichen“461– orientiert, sondern an dem objektiv Gebotenen. Der Pflichtenumfang kann damit einem im Verkehr eingerissenen „Schlendrian“ entgegenwirken,462 eben weil dieser bei der Ermittlung des Pflichtenumfangs nicht berücksichtigt wird. Das Problem bei den Ausführungen des BGH im „Pflegebetten“-Fall ist, dass mit dem Merkmal des Hinwegsetzens über eine Warnung ein subjektives Element zur Bemessung des Pflichtenumfangs herangezogen wird, welcher sich aber nach objektiven Maßstäben richtet. Die Sorgfaltspflicht des Herstellers wird an der subjektiven Unlust oder Unwilligkeit des individuellen Produktnutzers, eine Warnung zu befolgen, gemessen.463 Solche Elemente sind den Verkehrssicherungspflichten fremd. Insbesondere hier bestätigt sich die vorige Einschätzung, irrationales Verhalten als Fallgruppe auszuschließen.464 6. Praxisaspekte a) Praktische Einwände Die Anwendung des vom BGH gewählten Kriteriums des absichtlichen Hinwegsetzens über eine Warnung wird in der Praxis auf Schwierigkeiten stoßen. Zunächst ist zu fragen, auf welche Weise man abseits von Mutmaßungen den Willen eines Produktnutzers, eine Warnung zu beachten, feststellen möchte und nach welchen Kriterien dies festgelegt wird.465 Weiter stellt sich die Frage, wie bei einer großen, heterogenen Gruppe von Produktnutzern vorzugehen ist, die möglicherweise verschiedene Risikoprofile aufweisen. Dabei kann man die Pflicht vom schutzbedürftigsten bzw. irrationalsten Mitglied abhängig machen,466 nach Gruppen differenzieren oder nach der Mehrheit467 gehen, wobei in letzterem Fall zu fragen ist, welche prozentuale Schwelle an Produktnutzern überschritten werden muss, um von einer Mehrheit zu reden.468 Hier sollen keine Antworten auf diese Fragen geliefert in: In Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 428. in: In Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 38, 428. 463  Klindt, BB 2009, 792, 795. 464  Siehe § 5 III. 3. a). 465  G. Wagner, JZ 2009, 908, 910 führt überspitzt aus: „Wird man dabei je nach Fahrzeugtyp differenzieren müssen – Fahrer energiesparender Kleinwagen sind warnungsempfänglich, diejenigen rot lackierter Sportwagen eher nicht?“ 466  Schmidt, S.  52 ff. 467  So im Ergebnis G. Wagner, JZ 2009, 908, 910. 468  G. Wagner, JZ 2009, 908, 910. 461  G. Wagner, 462  G. Wagner,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

werden, wohl aber hervorgehoben werden, dass sich die Abgrenzung problematisch gestaltet. Weiterhin ist zu bedenken, dass ein Rückruf jeglicher Art nicht zwingend garantiert, dass ein irrational handelnder Produktnutzer, der die Warnung ignoriert, nicht auch das Rückrufangebot in den Wind schlagen wird. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Angebot seinerseits mit Aufwand verbunden ist, etwa, dass das Produkt vom Produktnutzer zur Überprüfung oder Reparatur in eine Werkstatt gebracht werden muss. Auch ein Rückruf setzt das Mitmachen des Produktnutzers voraus; wird dies verweigert, stehen dem Hersteller eigentumsrechtlich keine Zugriffsmöglichkeiten auf das fehlerhafte Produkt zu.469 b) Wirkung auf den Produktnutzer Zieht man den rational oder irrational Handelnden als Kriterium heran, stellt sich die Frage, welche Anreize der BGH für den Produktnutzer setzt. Aus Sicht des mit der Rechtslage vertrauten Produktnutzers gestaltet sich die Situation zunächst eindeutig: Erweckt er den Anschein, dass er sich über eine Warnung hinwegsetzen könnte, erhält er möglicherweise (in Abhängigkeit von den durchgeführten Maßnahmen sogar kostenlos) ein neues oder repariertes Produkt. In jedem Fall wird sein fehlerhaftes Produkt kostenlos entsorgt. Erweckt er hingegen den Anschein, dass er der Warnung folgt, besteht für den Hersteller lediglich eine Warnpflicht. Die Verantwortung für das fehlerhafte Produkt wird vollends dem Produktnutzer übertragen. Für den seinen Nutzen optimierenden Produktnutzer ergibt sich die logische Konsequenz, sich als irrational und ignorant darzustellen,470 da er trotz seines unrechtmäßigen Verhaltens bevorzugt wird.471 Ähnlich wie die Rechtsordnung einer Gesellschaft eine Sichtbarmachung ihrer Werte und Verhaltensnormen darstellt, kann im Gegenzug eine bestimmte Gesetzeslage dazu führen, Verhalten – und in Konsequenz Werte – zu beeinflussen. Insofern könnte argumentiert werden, dass der BGH Anreize zu irrationalem Verhalten setzt und damit einen fragwürdigen Verhaltenskodex fördert.472 In dieser Absolutheit ist dem nicht zuzustimmen. Der irrationale Produktnutzer wird nur so lange bevorzugt, wie noch kein Schaden eingetreten ist. Tritt ein solcher bei ihm selbst ein, kann er vom Hersteller zumindest keinen 469  Klindt, BB 2009, 792, 795; Molitoris, in Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 83. 470  Dieses Prinzip ist Verhandlungen nicht fremd, vgl. etwa Klinger/Bierbrauer, in: Haft/Schlieffen, Mediation, § 4 Rn. 33 ff. Anekdotisch Macioszek, S.  9 ff. 471  Thürmann, NVersZ 1999, 145, 146; G. Wagner, JZ 2009, 908, 910. 472  Angedeutet bei G. Wagner, Produktrückruf, 51, 72.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil239

Schadensersatz aufgrund der Verletzung einer Reaktionspflicht verlangen, da deren Schutzzweck nur Dritte umfasst.473 Zwar bleiben dem Produktnutzer die regulären Wege über § 823 Abs. 1 BGB und das Produkthaftungsgesetz offen,474 aber er muss sich ein Mitverschulden über § 254 BGB bzw. § 6 ProdHaftG i. V. m. § 254 BGB anrechnen lassen. Gleiches gilt, wenn durch das fehlerhafte Produkt ein Dritter geschädigt wird. Auch hier ist das Mitverschulden des Produktnutzers zu berücksichtigen.475 Das Problem des „moral hazard“ ist damit nicht gegeben, da der Produktnutzer für die Folgen seines Verhaltens mit einstehen muss. Vorausgesetzt, es tritt kein Schaden ein, bleibt der sich über eine Warnung hinwegsetzende Produktnutzer in zwei Konstellationen dennoch bevorzugt. Zum einen, wenn er davon ausgeht, dass trotz einer Warnung gerade sein Produkt ungefährlich ist – was etwa bei einem Fabrikationsfehler anzunehmen wäre – oder er sich zutraut, das fehlerhafte Produkt ohne Schadenseintritt weiterbenutzen zu können. Insofern kann argumentiert werden, dass die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass ein Produktnutzer sein gefährliches Produkt trotz Warnung weiter in Gebrauch nimmt, um den Pflichtenumfang des Herstellers zu erweitern. Zum anderen ist dies für den noch selteneren Fall anzunehmen, dass der Produktnutzer nur den Anschein von irrationalem Verhalten erweckt, tatsächlich aber von einer weiteren Nutzung des Produkts absieht und dadurch kein Schaden eintritt. In beiden Fällen besteht die Bevorzugung darin, dass dem Produktnutzer Reparatur, Austausch oder Entsorgung des Produkts angeboten oder für ihn übernommen werden können, oder er seine Aufwendungen zur Gefahrenbeseitigung zurückbekommt. Von der eben geschilderten Thematik ist die Frage abzugrenzen, welche Anreize ein gewarnter Produktnutzer hat, die Gefahr selbst zu beseitigen, etwa durch eigene Nachrüstung. Hier sei vorweggenommen, dass ein risikobewusster Produktnutzer, der sich um den Gefahrenschutz kümmert, seine Aufwendungen in der Regel nicht zurückerstattet bekommen kann, da in diesen Fällen keine Rückrufpflicht besteht.476 Behebt er die Gefahr jedoch nicht, bleibt die Rückrufpflicht bestehen. Hier gilt gleichfalls das zur ersten Frage Gesagte: Geht der Produktnutzer davon aus, dass sich das Risiko eines Produktfehlers weder bei ihm noch bei Dritten in einem Schaden realisiert, 473  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 361 Fn. 1031. Vgl. dazu auch § 6 I. 1. a) bb) (1). 474  Solange es sich nicht um einen Entwicklungsfehler handelt, den der Hersteller nicht zu verschulden hat. Siehe § 2 II. 3. b) cc) (4) für § 823 Abs. 1 und § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG für das Produkthaftungsgesetz. 475  Kettler, VersR 2009, 272, 275 Fn. 5. 476  Siehe § 5 V. 3. b).

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

fährt er hinsichtlich einer persönlichen Nutzenmaximierung besser, wenn er die Gefahr nicht auf eigene Faust behebt, sondern sie weiter bestehen lässt. Es bleibt festzuhalten, dass die Ausführungen des BGH zum absichtlichen Hinwegsetzen über eine Warnung zwar nicht generell, wohl aber punktuell Anreize zu irrationalem Verhalten setzen. Der am eigenen Nutzen orientierte Produktnutzer, der sich trotz besseren Wissens über eine Warnung hinwegsetzt oder die Gefahr nicht behebt, obwohl es ihm möglich wäre, kann dadurch bevorzugt werden, solange noch kein Schaden bei ihm oder Dritten eingetreten ist. 7. Logik des Urteils Der BGH verwendet das Kriterium des Hinwegsetzens über eine Warnung bei den Beispielfällen, in denen die Pflichten des Herstellers über eine Warnung hinausgehen.477 Als Begründung wird die Gefährdung Dritter herangezogen. Zwei Absätze weiter führt der BGH aus, dass bei identifizierbaren Nutzern eine Warnung in Verbindung mit dem Angebot einer kostenpflichtigen Gefahrenbeseitigung ausreicht, auch wenn durch das Produkt Dritte gefährdet werden.478 An dieser Stelle ist es jedoch nicht relevant, ob sich der Produktnutzer der Warnung bzw. dem Angebot der Gefahrenbeseitigung verschließt. Zwar ist dies für sich allein noch nicht widersprüchlich – auch ein kostenpflichtiges Angebot zur Nachrüstung geht über eine Warnung hinaus –, doch bleibt der BGH eine Begründung schuldig, warum das Hinwegsetzen über eine Warnung im ersten Fall weitere Herstellerpflichten auslöst, im zweiten Fall hingegen nicht. Auch ein identifizierbarer Produktnutzer vermag es ohne weiteres, eine Warnung oder ein Angebot eines Herstellers zu ignorieren und durch die Weiternutzung des Produkts Dritte zu gefährden. Gemessen an den Maßstäben „Effektivität der Gefahrenabwehr“ und „Schutz der Allgemeinheit“, die das Urteil anfangs aufgestellt hat, müssten hier eigentlich weitergehende Pflichten diskutiert werden. 8. Ergebnis Der Aspekt „absichtliches Hinwegsetzen über eine Warnung“ hält einer kritischen Betrachtung nicht stand. Ein Vergleich mit dem bestimmungswidrigen Gebrauch zeigt, dass im System der Produkthaftung auch an anderer Stelle die Pflichten des Herstellers durch rechtsuntreues Verhalten des Produktnutzers erweitert werden können; die Begründung der Haftungserweite477  BGH, 478  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil241

rung wie auch die Begrenzung der Haftung findet sich jedoch bei dem hier betrachteten Merkmal nicht wieder. Auch den Instruktionspflichten ist das Vorgehen des BGH fremd, obgleich diese sich Gemeinsamkeiten mit den Warnpflichten teilen. Die Instruktionspflichten kennen zudem die Vermutung des instruktionsgerechten Verhaltens – ansatzweise findet sich dieser Gedanke auch im Strafrecht –, von der der BGH bei den Reaktionspflichten trotz Vergleichbarkeit ohne weitere Begründung abweicht. Ferner sind subjektive Elemente, wie die Unlust des Produktnutzers, einer Warnung zu folgen, den Verkehrssicherungspflichten fremd. Zuletzt sind aus praktischer Sicht Bedenken anzumelden, auf welche Weise das Kriterium anzuwenden wäre und welche negativen Auswirkungen es auf das Verhalten von Produktnutzern haben könnte. Damit überzeugt das vom BGH angeführte Merkmal „absichtliches Hinwegsetzen über eine Warnung“ nicht als brauchbares Abgrenzungskriterium.479 Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die Fallgruppe des irrational handelnden Produktnutzers, die bereits in einem vorherigen Abschnitt kritisiert wurde, aufgrund der festgestellten Unstimmigkeiten erst recht auszuschließen ist.

V. Schlussfolgerungen 1. Auslegung von Erforderlichkeit und Zumutbarkeit Vor dem Hintergrund des Meinungsstreits, wie die Begriffe „erforderlich“ und „zumutbar“ im Rahmen der Reaktionspflichten auszulegen sind,480 stellt der BGH im „Pflegebetten“-Urteil die Erforderlichkeit als den zentralen Begriff in den Mittelpunkt. Wie bereits erläutert, hängt die Erforderlichkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme davon ab, ob sie die Gefahr effektiv vermeiden kann, ob sich die Produktnutzer identifizieren lassen, ob diese eigenen Schutzpflichten unterliegen, denen sie voraussichtlich folgen, und ob neben den Produktnutzern auch Dritte gefährdet werden.481 Die beiden entscheidenden Pole sind dabei die Effektivität der Gefahrenabwehr auf der einen und die Verantwortung des Produktnutzers auf der anderen Seite. Beide sind zu berücksichtigen. In der Zumutbarkeit hingegen wird die Entscheidung für oder gegen eine Rückrufpflicht nicht gefällt, ebenso wenig wie eine Rückrufpflicht aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten angenommen werden kann.482 Die 479  Ebenso Handorn, MPR 2009, 37, 42; Klindt, BB 2009, 792, 794 f.; G. Wagner, Produktrückruf, 51, 72. 480  Siehe § 4 II. 1. 481  Siehe § 5 II. 4. 482  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 20.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Funktion der Zumutbarkeit liegt darin, den Pflichtenumfang des Herstellers nach oben hin zu begrenzen.483 Aus der Maxime der effektiven Gefahrenabwehr wird teils gefolgert, dass der Hersteller seine Gefahrenabwehrmaßnahmen in Konsequenz so attraktiv wie möglich auszugestalten habe, damit die Mehrzahl der Produktnutzer ihr nachkommen. Da der Hersteller den Produktnutzer nicht dazu zwingen könne, an der Maßnahme teilzunehmen, habe er keinen direkten Einfluss auf deren Effektivität. Er sei deswegen in der Pflicht, mittels der einzigen Stellschraube, die er aktiv beeinflussen könne, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Produktnutzer einen Anreiz haben, an der Rückrufaktion teilzunehmen.484 Das gelte umso mehr, als Warnungen häufig ignoriert werden.485 Diese Argumentation hat zwei Schwächen. Erstens könnten nach dieser Logik die Anforderungen an den Hersteller bis ins Unendliche gesteigert werden. Warum bei einem kostenfreien Rückruf aufhören, wenn dem Produktnutzer nicht noch eine Geldzahlung als zusätzlicher Anreiz angeboten werden kann? Je höher die Zahlung, desto effektiver die Gefahrenabwehr. Überspitzt formuliert: Wenn ein Produktnutzer das Rückrufangebot nicht wahrnimmt, dann war anscheinend die Gefahrenabwehrmaßnahme nicht effektiv genug. Diese Argumentation lässt außer Acht, dass der BGH die Verantwortung des Herstellers nicht ins Unendliche wachsen lässt, sondern über die Verantwortung des Produktnutzers eingrenzt. Der Hersteller muss eine effektive Gefahrenabwehr gewährleisten, aber nicht um jeden Preis. Zweitens ist die Korrelation zwischen Rücklaufquote und Kostenaufwand der Gefahrenabwehrmaßnahme nicht hinreichend belegt. Es können keine belastungsfähigen Aussagen darüber getroffen werden, welche Rücklaufquoten ein kostenfreier im Vergleich zu einem kostenpflichtigen Rückruf erzielen wird. Das Gleiche gilt für zusätzliche Leistungen, wie zum Beispiel Geldzahlungen.486 Wenn der Unterschied klein wäre – etwa 8 anstatt 7 % –, ist die Frage zu stellen, inwieweit die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Ist der Unterschied erheblich – etwa 30 anstatt 7 % –, ist der kostenfreie Rückruf eher erforderlich. Nur wird es erstens häufig an dem Beweis mangeln, dass dem tatsächlich so ist, und zweitens das Bild des unmündigen Produktnutzers gestärkt, der sich nur durch merkantile Anreize zur Gefahrenabwehr überzeugen lässt. Ein Problem mit ähnlicher Stoßrichtung offenbart sich, wenn man das Kriterium des identifizierbaren Produktnutzers im Rahmen der ErforderlichBurkhardt, PHi 2009, 47, 50. S.  94 f. 485  Schmidt, S.  96 f. 486  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 4 Rn. 51. 483  Ähnlich

484  Schmidt,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil243

keit hinterfragt. Sind die Produktnutzer nicht bekannt, so der Umkehrschluss einer Aussage des BGH,487 kann der Pflichtenumfang des Herstellers über eine Warnung hinausgehen und die Schwelle zum kostenlosen Rückruf überschreiten. Hier diktiert die gleiche Logik, dass dem Produktnutzer der größtmögliche Anreiz gegeben werden müsse, an einer Rückrufaktion teilzunehmen. Würde er nur eine Stilllegungsaufforderung erhalten oder müsste er für ein Rückrufangebot bezahlen, würde das die Rücklaufquote und damit die Effektivität der Gefahrenabwehr verringern.488 Auch hier lassen sich die beiden oben erwähnten Gegenargumente anbringen, dass die Eigenverantwortung des Produktnutzers nicht berücksichtigt wird und dass die Verbindung zwischen Maßnahmekosten und Rücklaufquote kritisch zu betrachten ist. Es wird weiter zu diskutieren sein, ob angesichts dessen die Annahme einer kostenlosen Rückrufpflicht mit der Funktion und den Wertungen von § 823 Abs. 1 BGB zu vereinbaren ist. 2. Bestehen einer Rückrufpflicht Im vorigen Kapitel wurde skizziert, an welchen Eckpunkten sich der Streit um die Voraussetzungen einer Rückrufpflicht orientiert.489 Im Folgenden wird herausgearbeitet, inwieweit der BGH im „Pflegebetten“-Urteil Stellung zu diesen Punkten bezieht oder sich anderweitig Rückschlüsse erlauben. a) Fehlerkategorie Explizit trifft der BGH zwei Aussagen zum Konstruktionsfehler. Erstens stellt er klar, dass die Schwelle zu einer Reaktionspflicht leichter überschritten wird, wenn dem Produkt ein dem Hersteller vorzuwerfender Konstruktionsfehler anhaftet.490 Begründet wird dies damit, dass der Fehler nicht nur Einzelstücke, sondern eine ganze Serie betrifft. Daraus lässt sich folgern, dass bei einem Instruktionsfehler, der ebenfalls eine Serie betrifft, Ähnliches gilt, bei einem Fabrikationsfehler, der nur Einzelstücken anhaftet, die Schwelle aber höher anzusetzen ist. Zweitens äußert sich der BGH zu dem Meinungsstreit, ob ein anfänglicher Konstruktionsfehler generell eine Rückrufpflicht auslöse, da es dem Produktnutzer nicht zuzumuten sei, die Gefahr auf eigene Kosten oder durch Stillle487  Siehe

§ 5 II. 4. b). FD-HGR 2009, 275573, der aber von „Extremfällen“ ausgeht; Schmidt, S. 55. 489  Siehe § 4 II. 2. b). 490  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 f. Rn. 10, 15. 488  Bomsdorf,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

gung zu beseitigen.491 Er verneint dies mit einem Hinweis auf die dem Rückruf zugrunde liegende Grenzsituation: Das Deliktsrecht schützt nicht das Äquivalenzinteresse, sondern nur das Integritätsinteresse.492 Die Frage, inwieweit dem Produktnutzer etwas zuzumuten sei, richtet sich hingegen nach der Entstehungsgeschichte der Gefahrenquelle, betrifft also das Äquivalenzinteresse. Dieses kann aber keinen Einfluss auf eine deliktische Sorgfaltspflicht haben. Entscheidend bleiben nur die Umstände der Gefährdung des Integritätsinteresses, nach denen sich die Reaktionspflicht richtet. Folgte man der anderen Ansicht, hätte dies inkonsequente Ergebnisse zur Folge: Ein anfänglicher Konstruktionsfehler würde generell eine Rückrufpflicht mit sich bringen, selbst wenn diese für die effektive Gefahrenabwehr nicht erforderlich wäre.493 Die Position des BGH steht auch im Einklang mit seiner an anderer Stelle getätigten Aussage, dass die Umstände des Einzelfalls über den Umfang einer Reaktionspflicht entscheiden.494 Der BGH erteilt damit den Meinungen eine Absage, dass bei bestimmten Fehlerkategorien eine Rückrufpflicht prinzipiell zu bejahen oder zu verneinen sei. Ein anfänglicher Konstruktions- oder Fabrikationsfehler impliziert nicht notwendigerweise eine Rückrufpflicht. Im Umkehrschluss darf es keine Auswirkungen auf den Pflichtenumfang haben, ob der Hersteller den Fehler im Zeitpunkt des Inverkehrbringens zu vertreten hatte oder nicht. Damit ist bei einem Entwicklungsfehler eine Rückrufpflicht nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt, wenn der Produktfehler allein auf einen Zulieferer zurückzuführen ist. Auch hier kann den Hersteller eine Rückrufpflicht treffen. b) Gefährdetes Rechtsgut aa) Reine Sachgefährdung Aufgrund der Einzelfallbezogenheit der notwendigen Gefahrenabwehrmaßnahmen495 ist eine Rückrufpflicht auch bei einer reinen Sachgefährdung möglich. Freilich muss der Umfang des zu befürchtenden Schadens außerordentlich groß sein, um eine über eine Warnung hinausgehende Pflicht zu begründen. Auch wenn die Schwelle, die hierfür überschritten werden muss, unbestimmt bleibt, ist doch anzunehmen, dass eine Rückrufpflicht nur in Ausnahmefällen bestehen wird.

491  Siehe

§ 4 II. 2. b) aa). NJW 2009, 1080, 1081 f. Rn. 19. 493  Vgl. Kettler, VersR 2009, 272, 275. 494  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 ff. Rn. 13, 20. 495  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 ff. Rn. 13, 20. 492  BGH,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil245

bb) Weiterfresserschäden Die fehlerhaften Pflegebetten gefährden nicht nur Dritte, sondern auch sich selbst. Vor diesem Hintergrund hätte es sich angeboten, dass der BGH zu der Frage Stellung bezieht, ob eine Rückrufpflicht auch bei drohenden Weiterfresserschäden möglich ist. Er beließ es jedoch bei der Anmerkung, dass die Betten über den Mangel hinaus keine weiteren Schäden aufgewiesen hätten.496 Damit konnte dahinstehen, welche Pflicht sich aus einer Gefährdung der Betten ergeben hätte. Da jeder Fall nach seinen Umständen zu bewerten ist, kann eine Rückrufpflicht auch bei Weiterfresserschäden nicht generell ausgeschlossen werden. In Betracht kämen die oben erörterten Fallgruppen.497 Ausgenommen davon wäre die Gruppe „Hinwegsetzen über eine Warnung“, da sie die Gefährdung Dritter voraussetzt, ein Weiterfresserschaden sich aber nur auf das Produkt bezieht und lediglich das Interesse des Produktnutzers tangiert. Weitere Voraussetzung wäre, dass der drohende Schaden solche Ausmaße annimmt, dass ein Rückruf erforderlich wird. Das wird noch seltener der Fall sein als bei einer reinen Sachgefährdung. Eine Rückrufpflicht wäre allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen – etwa, dass ein äußerst wertvolles Produkt einen Fehler aufweist – zu diskutieren. Wenn sich Produktnutzer identifizieren lassen, was in den meisten solcher Fälle anzunehmen wäre, kann der Pflichtenumfang aber nicht über das Angebot eines kostenpflichtigen Rückrufs hinausgehen. Im Ergebnis ist bei Weiterfresserschäden eine über die Warnung hinausgehende Pflicht allenfalls in Ausnahmefällen anzunehmen. Eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf ist hingegen so gut wie ausgeschlossen. cc) Gefährdeter Personenkreis Der BGH bestätigt, dass eine Drittgefährdung eine Erweiterung des Pflichtenumfangs zur Folge haben kann, eine alleinige Gefährdung des Produktnutzers jedoch weniger. Auch wenn der BGH das abstrakte Merkmal der Erforderlichkeit in den Raum stellt, stützen sich die Mehrzahl der angeführten Beispiele, anhand derer Rückrufpflichten verdeutlicht werden, auf die Gefährdung Dritter.498 Die Gefahrensteuerung wird dort nicht alleine dem Produktnutzer überlassen. Einschränkend bleibt hingegen anzumerken, dass selbst eine erhebliche Drittgefährdung nicht zwingend eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf nach sich ziehen muss. Das zeigt das Beispiel der bekann496  BGH,

NJW 2009, 1080, 1083 Rn. 25. § 5 III. 498  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11, 13. Siehe § 5 II. 4. e). 497  Siehe

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

ten oder ermittelbaren Abnehmer, bei denen eine Warnung und das Angebot der kostenpflichtigen Gefahrenbeseitigung vielfach genügen.499 dd) Selbstschutzmöglichkeiten des Produktnutzers Mittelbar erteilt der BGH der Ansicht eine Absage,500 dass ein gewarnter Produktnutzer, der das Produkt weiter in Gebrauch nimmt, stets den Zurechnungszusammenhang zwischen einem eintretenden Schaden und dem Herstellerverhalten unterbricht, da der Produktnutzer selbst eine neue Gefahr gesetzt hat.501 Das ergibt sich daraus, dass sich die Verantwortlichkeit des Herstellers für sein Produkt gegenüber der Allgemeinheit gleichfalls auf die Fälle erstreckt, in denen der gewarnte Produktnutzer sich auch bewusst über eine Warnung hinwegsetzt.502 Hinter der Verantwortlichkeit des Herstellers tritt der Produktnutzer jedoch nicht vollkommen zurück. Dieser Punkt wird an späterer Stelle bei der Frage, wie sich die Haftungssituation für die Beteiligen gestaltet, weiter vertieft.503 ee) Kostentragung Zum Thema Kostentragung äußert sich der BGH nicht explizit. Da er aber sowohl Pflichten zum kostenlosen als auch zum kostenpflichtigen Rückruf erörtert, lässt sich dem Urteil entnehmen, dass eine Differenzierung nach den Umständen des Einzelfalles zu erfolgen hat und sich generelle Aussagen zur Kostentragung verbieten. Die vertretenen Extrempositionen, die Kosten eines Rückrufs wären immer vom Hersteller oder immer vom Produktnutzer zu übernehmen, sind damit hinfällig. 3. Ersatzansprüche im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag a) Anwendungsbereich beim pflichtengebundenen Geschäftsführer Schlussfolgerungen erfolgen nicht nur im Kontext der Ausführungen eines Gerichts. Sie lassen sich auch daraus ziehen, dass auf ein Thema im Urteils499  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. Kettler, VersR 2009, 272, 275. 501  Vertreten von u. a. Droste, S. 234; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 340, 361; Klindt, BB 2009, 792, 794; Pieper, BB 1991, 985, 988. 502  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 503  Siehe unten § 6 I. 4. b). 500  Auch



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil247

text nicht eingegangen wird. Im „Pflegebetten“-Urteil stellt der BGH bei der Verneinung jeglicher Regressansprüche – inklusive solcher aus Geschäftsführung ohne Auftrag – allein darauf ab, dass der Pflegebettenhersteller deliktsrechtlich nicht zu einem Rückruf verpflichtet war.504 Die Pflegekassen hatten deshalb kein „auch-fremdes“ Geschäft getätigt, wobei das der BGH nicht gesondert erwähnte, ebenso wenig wie er infolge Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag eigens prüfte. Daraus wurde eine höchstrichterliche Rechtsansicht zur Frage abgeleitet,505 inwieweit die Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag beim pflichtengebundenen Geschäftsführer anzuwenden sind.506 Die Argumentation läuft entlang folgender Linie: Obwohl der BGH zu Aufwendungsersatzansprüchen im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag schweigt, wäre es durchaus denkbar gewesen, einen solchen Anspruch weiter zu diskutieren. Die Nachrüstung der Pflegebetten wäre für den Hersteller insofern von Vorteil gewesen, als er vor hypothetischen Schadensersatzansprüchen bewahrt worden wäre, falls sich ein Pflegebedürftiger oder ein Dritter durch die Betten verletzt hätte. Es sei nicht auszuschließen, dass bei einem Schadenseintritt solche Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz oder den §§ 823 ff. BGB gegenüber dem Hersteller bestanden hätten. Dadurch hätte ein „auch-fremdes“ Geschäft vorgelegen. Es wäre dann weiter zu diskutieren gewesen, ob die Vermutung des Fremdgeschäftsführungswillens auch in dem vorliegenden Fall des pflichtengebundenen Geschäftsführers anwendbar gewesen wäre. Das Schweigen des BGH sei deswegen so zu interpretieren, dass der Anwendungsbereich der §§ 677 ff. BGB beim pflichtengebundenen Geschäftsführer begrenzt werden solle: Im vorliegenden Fall seien die Regelungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag nicht einschlägig und würden deswegen – entgegen der bislang vom BGH aufgestellten Grundsätze zum Institut des „auch-fremden“ Geschäfts – nicht geprüft werden.507 Zwar ist diese Interpretation möglich, aber fraglich bleibt, ob die Schlüsse, wie von der Ansicht im Schrifttum dargestellt, auch zwingend sind. Bei näherer Betrachtung ist dem nicht so. Prinzipiell sind Schlüsse, die auf etwas Nichtvorhandenem beruhen, eher zurückhaltend zu betrachten.508 Das gilt 504  BGH,

NJW 2009, 1080, 1080 f. Rn. 9. NJW 2010, 1243, 1246. 506  Von einem großen Teil des Schrifttums wird dies abgelehnt, vgl. Seiler, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 677 Rn. 20 m. w. N. Siehe auch § 3 III. 3. b) bb). 507  Thole, NJW 2010, 1243, 1246. 508  An anderer Stelle äußert sich dieser Gedanke in dem Grundsatz, dass Schweigen nicht ohne weiteres als Annahme eines Vertragsangebots eingeordnet werden kann, vgl. nur Busche, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 147 Rn. 6. ff. 505  Thole,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

insbesondere dann, wenn einem Schweigen ein komplexer Gedankengang zugrunde gelegt wird, der den eigentlichen Kern des behandelten Falles nicht berührt. Darüber hinaus kann die Tatsache, dass der BGH Ansprüche im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag implizit verneint, auch andere Gründe haben. Hierfür bieten sich zwei Möglichkeiten an. Die erste, wenn auch unbefriedigende Lesart wäre, dass der BGH es schlichtweg versäumt hat, den aufgeworfenen Aspekt zu prüfen und durch das Weglassen überhaupt keine Aussage tätigen wollte. Das mag angesichts der Tatsache nachvollziehbar erscheinen, dass das Urteil den Fokus eindeutig auf Herleitung und Ausgestaltung der Rückrufpflichten des Herstellers legt und die Geschäftsführung ohne Auftrag nur am Rande bei der Aufzählung möglicher Anspruchsgrundlagen erwähnt wird. Nach einer zweiten Lesart könnte der BGH Ersatzansprüche auch deshalb verneint haben, weil nicht alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Ein Schuldverhältnis nach den § 677 ff. BGB setzt voraus, dass ein fremdes Geschäft vorliegt. Nach der Rechtsprechung ist ein solches abzugrenzen von einem bloßen „Reflexvorteil“, der nur mittelbar die Interessen des Geschäftsherrn fördert, aber nicht unmittelbar in seinen Interessenkreis fällt.509 Einen solchen Reflexvorteil stellt etwa der Fall dar, dass ein Dritter schadensmindernde oder -vorbeugende Aufwendungen auf eine versicherte Sache tätigt, der Versicherer aber nur zur Kostentragung im Schadensfall und nicht der Schadensvorbeugung verpflichtet ist. Zwar kommen hier die Aufwendungen dem Versicherer mittelbar zugute, aber der Dritte hat kein fremdes Geschäft getätigt.510 Diese Konstellation ist mit derjenigen vergleichbar, die dem „Pflegebetten“-Urteil zugrunde liegt. Der Pflegebettenhersteller schuldet, wie der BGH festgestellt hat, über eine Warnung hinaus keine schadensvorbeugenden Maßnahmen. Er wäre gegebenenfalls dazu verpflichtet, im Schadensfalle Schadensersatz zu leisten. Dementsprechend könnte hier vertreten werden, dass die Pflegekasse kein „auch-fremdes“ Geschäft getätigt hatte, Ansprüche im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag folglich nicht entstanden waren und der BGH deswegen von einer Prüfung absah. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die fehlende explizite Auseinandersetzung des BGH mit weiteren Aufwendungsersatzmöglichkeiten mehrere Lesarten zulässt. Insofern ist der Aussage nicht zuzustimmen, dass sich am „Pflegebetten“-Urteil „beispielhaft die Tendenz nachweisen [lässt], den An509  BGH, NJW 1970, 1841, 1842; BGH, NJW 1978, 2030, 2031. Zum Begriff des Reflexvorteils Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 134 ff. und ders., S.  139 ff. 510  BGH, NJW 1978, 2030, 2031; Bergmann, in: Staudinger (2015), Vor §§ 677 ff. Rn. 135.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil249

wendungsbereich der §§ 677 ff. BGB beim pflichtengebundenen Geschäftsführer zurückzustutzen.“511 b) Produktnutzer Zwar schränkt das „Pflegebetten“-Urteil den Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht ein, doch werden künftig Ersatzansprüche des Produktnutzers, der die von einem fehlerhaften Produkt ausgehende Gefahr auf eigene Kosten beseitigt, in vielen Fällen ausgeschlossen sein. Bislang konnte der Produktnutzer auf einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 670, 677, 683 S. 1 BGB zurückgreifen, wenn für den Hersteller eine Rückrufpflicht bestand und der Produktnutzer somit ein Geschäft des Herstellers tätigte.512 Das ermöglichte dem Produktnutzer, seine Kosten in dem Maße erstattet zu bekommen, in dem sich seine Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung mit den Pflichten des Herstellers deckten. Nach dem „Pflegebetten“-Urteil gestaltet sich die Situation anders. Voraussetzung eines Anspruchs auf Aufwendungsersatz bleibt eine Pflicht des Herstellers zu einer Maßnahme, die über eine Warnung hinausgeht. Bei einer Gefährdung des Produktnutzes besteht eine Rückrufpflicht nur dann, wenn selbst eine hinreichend deutliche und detaillierte Warnung es ihm nicht ermöglicht, die Gefahr einzuschätzen und sein Verhalten daraufhin einzurichten.513 Kann der Produktnutzer die Gefahr selbst beseitigen, war es ihm jedoch möglich, die Gefahr einzuschätzen und sein Verhalten anzupassen. In Konsequenz wird teils geschlossen, dass Ansprüche auf Aufwendungsersatz im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag daher generell zu verneinen seien.514 Dem ist so nicht zuzustimmen, da in den oben ausgeführten Fallgruppen – bei unbekannter oder andauernder Gefahr, konstruktiven Besonderheiten des Produkts und bestimmten Personengruppen als Produktnutzer – Rückrufpflichten bestehen können. In diesen Fällen ist es weiterhin möglich, dass den Produktnutzern ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zusteht. Auch kann nicht argumentiert werden, dass durch die Anstrengungen des Produktnutzers die Gefahr bereits effektiv beseitigt wurde und daher eine Rückrufpflicht des Herstellers zu verneinen wäre. Vielmehr bestand die Pflicht bereits von Anfang an, sie wurde nur von jemand anderem als dem Hersteller wahrgenommen. Erst durch die Pflichterfüllung durch den Produktnutzer wurde die 511  Thole,

NJW 2010, 1243, 1246. PHi 2006, 206, 214. 513  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. 514  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39 Rn. 26. 512  Frick/Kluth,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Gefahr beseitigt. Eine andere Lesart würde überdies den sicherheitsbewussten Produktnutzer benachteiligen, da er keinen Aufwendungsersatz erhalten würde, während ein untätig bleibender Produktnutzer weiterhin Begünstigter einer Rückrufpflicht bliebe. Folglich wird eine Rückrufpflicht nicht automatisch verneint, wenn der Produktnutzer die Gefahr bereits behoben hat, sondern bleibt in denen vom BGH konturierten Fallgruppen weiterhin bestehen und kann die Grundlage für Aufwendungsersatzansprüche bilden. Hinsichtlich der zweiten Ausnahme für eine Rückrufpflicht, bei der sich Produktnutzer bei Gefährdung Dritter absichtlich über eine Warnung hinwegsetzen können,515 lassen sich Ersatzansprüche hingegen generell verneinen. Denn der Produktnutzer, der die Gefahr selbst beseitigt, zeigt damit gerade, dass er risikobewusst handelt und sich weder über eine Warnung hinwegsetzen noch die Gefahr weiter bestehen lassen wird. Einer zusätzlichen Pflicht des Herstellers muss daher kein Raum gegeben werden.516 Der Produktnutzer tätigt damit kein fremdes Geschäft und kann seine Aufwendungen nicht zurückverlangen. 4. Rückrufanspruch und Regress Der BGH streift das Thema Rückrufanspruch gegen Ende des Urteils, wenn er deliktische Ansprüche gegen den Pflegebettenhersteller wegen bereits eingetretener Schäden prüft. Da keine Schäden vorliegen, wäre ein deliktischer Anspruch auf Rückruf allenfalls dann möglich, wenn eine konkrete Gefährdung eines geschützten Rechtsguts mit einem Schadenseintritt gleichzusetzen wäre.517 Der BGH lässt es jedoch offen, ob er diesem Ansatz folgen und damit die Möglichkeit eines Rückrufanspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB bejahen würde, da im Streitfall keine konkrete Gefährdung bestanden hatte.518 Eine Aussage lässt sich aber mit Sicherheit ableiten: Die Ausgestaltung eines etwaigen Rückrufanspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB würde der gleichen Differenzierung folgen, die bei einer Rückrufpflicht zu beachten ist. Das ergibt sich aus den Worten des BGH, dass ein Rückrufanspruch im vorliegenden Fall nur auf die Gefahrenbeseitigung, nicht aber auf die Nachrüstung der Betten gerichtet gewesen wäre.519 Ein Rückrufanspruch muss demnach nicht zwingend einen kostenlosen Austausch, sondern kann auch lediglich die Entsorgung des gefährlichen Produkts beinhalten. Darüber hinaus ergeben sich 515  BGH, 516  Auch

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 39

Rn. 27. 517  Siehe § 4 III. 2. 518  BGH, NJW 2009, 1080, 1083 Rn. 23. 519  BGH, NJW 2009, 1080, 1083 Rn. 23.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil251

jedoch keine weiteren Hinweise auf Rechtsansichten des BGH zu Rückrufansprüchen.520 Auf die Thematik des Regresses beim Rückruf geht der BGH nicht ein. Er listet am Anfang des Urteils lediglich mögliche Anspruchsgrundlagen auf, um dann mangels einer deliktischen Rückrufpflicht diese zu verneinen.521 Er thematisiert nicht, welche Normen bei Vorliegen einer Rückrufpflicht relevant gewesen wären. 5. Übertragbarkeit auf das Strafrecht Der Rechtsanwender steht im Strafrecht vor einem ähnlichen Problem wie im Zivilrecht: Die strafrechtliche Rechtsprechung hat Inhalt und Umfang der Handlungspflichten des Garanten bislang stiefmütterlich behandelt, weswegen belastungsfähige Aussagen nur zurückhaltend getätigt werden können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die zivilrechtlichen Wertungen des BGH im „Pflegebetten“-Urteil auf strafrechtliche Fragestellungen Rückschlüsse erlauben oder gar übertragen werden können. Vorab ist festzuhalten, dass von einem generellen Automatismus mit einem Verweis auf die Einheit der Rechtsordnung nicht ausgegangen werden darf.522 Das Strafrecht hat eine andere Ordnungsfunktion als das Zivilrecht, dessen schadensersatzorientierte Haftungsprinzipien nicht blind zur Bestimmung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit angewandt werden können.523 Der fehlende Gleichlauf tritt auch darin zutage, dass Zivil- und Strafrecht denselben Sachverhalt durchaus unterschiedlich bewerten können: Beispielsweise stellt die fahrlässige Sachbeschädigung bei der zivilrechtlichen Produkthaftung ein wesentliches Teilsegment dar,524 während sie vom Strafrecht mangels Tatbestand nicht sanktioniert wird. Dennoch bestehen Überschneidungen und Gemeinsamkeiten. Das zeigt sich insbesondere im Deliktsrecht, das sich historisch auf dieselbe Wurzel wie das Strafrecht beruft.525 Eine strafbare Handlung, die eines der in § 823 520  Insofern ist der Aussage, dass der BGH einen Rückrufanspruch aus § 1004 BGB analog ablehnt, nicht zuzustimmen, was jedoch so vertreten wird von Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 176. 521  BGH, NJW 2009, 1080, 1080 f. Rn. 9. 522  Bereits der Vergleich zwischen öffentlichem Produktsicherheitsrecht und Zivilrecht hat gezeigt, dass zwischen zwei Rechtsgebieten nicht zwingend Gleichlauf herrschen muss, siehe § 2 III. 1. a). 523  BGH, NJW 1990, 2560, 2562. 524  Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, §  80 Rn. 21. 525  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor § 823 Rn. 2 m. w. N.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter verletzt, begründet gleichzeitig einen Schadensersatzanspruch. Materiell-rechtlich zeigt sich die Verknüpfung der beiden Gebiete durch die Regelung des § 823 Abs. 2 BGB, durch welche strafrechtliche Tatbestände mit Schutzgesetzcharakter automatisch um die zivilrechtliche Verpflichtung des Schadensersatzes ergänzt werden.526 Im Produkthaftungsrecht ist die Verbindung besonders eng. Die strafrechtlichen Garantenpflichten des Herstellers lehnen sich an die Grundsätze der zivilrechtlichen Produkthaftung an,527 und bei der Rückrufpflicht wurde die Garantenpflicht explizit von den deliktischen Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten abgeleitet.528 Dementsprechend bietet sich der Schluss auf einen punktuellen Pflichtengleichlauf zwischen Straf- und Zivilrecht durchaus an. Dabei sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden: erstens, ob das Bestehen einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht automatisch eine strafrechtliche Rückrufpflicht bedingt, und zweitens, ob die Verneinung einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht dazu führt, dass auch aus strafrechtlicher Perspektive eine solche zu verneinen ist. Bei der ersten Frage wird von Teilen des Schrifttums vertreten, dass der zivilrechtliche Pflichtenumfang direkt auf die strafrechtlichen Sorgfaltsanforderungen übertragen werden könne.529 Das verbietet sich jedoch bereits aufgrund der oben erwähnten Tatsache, dass Delikts- und Strafrecht schwerpunktmäßig unterschiedliche Funktionen zukommen.530 Die Strafhaftung ist mit einem sozialethischen531 und auf den Einzelnen bezogenen532 Schuldvorwurf verbunden, der in dieser Form dem Deliktsrecht fremd ist. Besteht eine zivilrechtliche Rückrufpflicht, lässt dies demzufolge nicht den zwingenden Schluss zu, eine solche auch im Strafrecht zu bejahen. Freilich wohnt ihr aber eine starke Indizwirkung inne.533 Für die Praxis interessanter gestaltet sich die zweite Fragestellung. Sie kann etwa für den Fall relevant werden, wenn sich ein Hersteller mit Blick auf das „Pflegebetten“-Urteil absichtlich gegen die Durchführung eines Rückrufs entscheidet, aber sichergehen möchte, dass er sich keiner strafrechtlichen Haftung aussetzt. Hier gilt, dass dem Zivilrecht eine begrenin: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor § 823 Rn. 73. Kuhlen, in: FS für Eser, 359, 360; ders., JZ 1994, 1142, 1146. 528  BGH, NJW 1990, 2560, 2562. 529  Hilgendorf, S. 147. 530  Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 9, 78; Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 81 Rn. 35. In diese Richtung auch Kuhlen, in: FS für Eser, 359, 368 und Lege, S.  107 f. 531  Kuhlen, in: FS für Eser, 359, 369. 532  Vgl. Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 11; Winkelbauer, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 80 Rn. 10. 533  Auch Lege, S. 110. 526  G. Wagner, 527  Vgl.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil253

zende Funktion zukommt und das Strafrecht zivilrechtlich garantierte Handlungs- und Entscheidungsspielräume respektieren muss.534 Diese sogenannte „negative Akzessorietät“535 leitet sich aus dem Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts536 ab. Ein Verhalten, das zivilrechtlich bereits als rechtstreu qualifiziert wurde, darf unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit erst recht nicht als strafbar eingeordnet werden.537 Ist demnach eine deliktische Pflicht zum Rückruf zu verneinen, kann eine solche im Strafrecht auch nicht bestehen. Da nach dem „Pflegebetten“-Urteil eine Warnung in der Regel genügt, begrenzt es im Kern den Umfang der strafrechtlichen Garantenpflicht auf eine solche Warnung.538 Das Bestehen einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht hingegen ist ein Indiz für eine gleichlaufende strafrechtliche Pflicht. 6. Wechselwirkungen mit dem öffentlichen Recht Vor dem Hintergrund der „Pflegebetten“-Rechtsprechung ist die Frage zu stellen, ob künftig angeordnete Rückrufe an Bedeutung gewinnen. Konkret könnte ein Hersteller ein gesteigertes Interesse daran haben, die Behörden auf sicherheitsrelevante Fehler aufmerksam zu machen und auf die Anordnung eines Rückrufs hinzuarbeiten. Im Gegenzug mag sein Interesse sinken, einen „stillen“ Rückruf durchzuführen.539 Grund hierfür wäre die Kostentragung. Nach den Maßstäben des „Pflege­ betten“-Urteils wird in vielen Fallkonstellationen eine Verpflichtung zum kostenlosen Rückruf aus zivilrechtlicher Perspektive zu verneinen sein. Führt der Hersteller dennoch eine Gefahrenabwehrmaßnahme durch, die über die gesetzliche Verpflichtung hinausgeht, muss er die Teilkosten des überschießenden Anteils alleine tragen. Eine Rückrufkosten-Versicherung kommt nur für das gesetzlich Geschuldete auf,540 und der Regress gegen einen Zulieferer, dessen Teilprodukt ursächlich für die drohende Gefahr war, ist ebenso nur bis zu dieser Grenze möglich.541 Erweitert man den Blickwinkel um eine 534  Helmrich, NZG 2011, 1252, 1252 f.; Lutter, NZG 2010, 601 ff.; Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 9; Scholl, NJW 1981, 2737, 2737; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, Vor § 823 Rn. 73. 535  Seibt/Schwarz, AG 2010, 301, 304. 536  Vgl. dazu Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza.  5810 S.  10 f. 537  Seibt/Schwarz, AG 2010, 301, 304. 538  Auch Molitoris, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 5810 S. 82 f. 539  Lüftenegger, DAR 2016, 122, 124 f. 540  Vgl. Ziff. 2 RückrKB-Kfz bzw. -HH. 541  Siehe § 3 III. 6.

254

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

öffentlich-rechtliche Perspektive, ändert sich zunächst die Lage. Eine Rückrufkosten-Versicherung unterscheidet nicht, ob die Verpflichtung zum Rückruf zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist. Notwendig für den Eintritt des Versicherungsfalls ist lediglich, dass eine solche Verpflichtung existiert.542 Damit kann ein Hersteller auch in Ermangelung einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht Kosten für Gefahrenabwehrmaßnahmen von seiner Versicherung erstattet bekommen. Freilich unterliegt dies Beschränkungen. Erstens ist zu beachten, dass eine behördliche Anordnung auf Grundlage des Produktsicherheitsgesetzes nur auf die Rückgabe eines gefährlichen Produkts zielt, nicht aber auf eine Nachrüstung oder Reparatur.543 Geltend gemacht werden könnten damit nur die logistisch bedingten Kosten eines Rückrufs wie Überprüfung und Transport der Produkte.544 Eine behördliche Anordnung wäre für einen Hersteller demnach von Vorteil, wenn er zivilrechtlich lediglich zu einer Warnung oder einem für den Produktnutzer kostenpflichtigen Rückruf verpflichtet wäre. Über eine Anordnung zum kostenlosen Rückruf bekäme er von seiner Versicherung Teile der Kosten – nämlich für die Logistik – erstattet. Es bleibt aber fraglich, wie häufig der für eine Anordnung notwendige sicherheitsrelevante Verstoß gegen das Produktsicherheitsrecht überhaupt vorliegt, wenn zivilrechtlich nur eine Warnpflicht besteht.545 Realistischer erscheint der zweite Fall, dass der Hersteller zu einer Warnung und dem Angebot der kostenpflichtigen Gefahrenbeseitigung verpflichtet ist.546 Zweitens ergeben sich Beschränkungen aus der Rückrufkosten-Versicherung selbst. Der Versicherungsschutz ist ausgeschlossen, wenn die Produkte nicht nach dem Stand der Technik oder in sonstiger Weise ausreichend erprobt waren, oder von gesetzlichen Vorschriften abgewichen wurde.547 Damit werden anfängliche Konstruktionsfehler ebenso wie anfängliche Fabrikationsfehler häufig ausgenommen, wenn man das Prüfungserfordernis auf den Herstellungsprozess ausweitet. Eine Rückrufkosten-Versicherung hilft dann nur bei Entwicklungsfehlern. Diese Beschränkung besteht jedoch auch, wenn eine zivilrechtliche Pflicht vorliegt. Drittens – und in der Praxis am bedeutsamsten – werden sich Behörden bei der Anordnung von Rückrufen eher zurückhalten, da bei 542  Vgl.

Ziff. 1.1, 2 RückrKB-HH bzw. -Kfz. gibt kein „verwaltungsrechtliches Gewährleistungsrecht“, vgl. Schucht, in: Klindt, ProdSG, § 26 Rn. 166. 544  Vgl. Ziff. 3.2 ff. RückrKB-HH bzw. -Kfz. 545  Am ehesten bei bekannten Produktnutzern, vgl. BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 546  Dies kann selbst bei erheblichen Gefahren genügen, vgl. BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 547  Vgl. Ziff. 6.2, 6.3 RückrKB-HH bzw. Ziff. 6.1, 6.2 RückrKB-Kfz. 543  Es



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil255

überschießenden Eingriffen das Damoklesschwert der Amtshaftung über ihnen hängt.548 Erörtert man die gleiche Frage im Rahmen des Zulieferregresses – unabhängig von der Frage, welche Anspruchsgrundlage heranzuziehen ist549 –, ist entscheidend, ob sich die Anordnung neben dem Hersteller auch an den verantwortlichen Zulieferer richtet. Tut sie das nicht, scheitert ein Regress. Richtet sie sich hingegen an beide,550 kann auch hier der Hersteller den Zulieferer in Regress hinsichtlich der Logistikkosten nehmen, insofern sich der Anordnung mittelbar Maßgaben hierzu entnehmen lassen.551 Im Ergebnis wird die deliktische Rückrufpflicht in Bezug auf die Kostentragung nicht von einer öffentlich-rechtlichen Rückrufpflicht ersetzt. In Einzelfällen mag das Bestehen oder Nichtbestehen einer behördlichen Anordnung zum Rückruf aber eine Auswirkung darauf haben, welchen Anteil der Kosten einer Gefahrenabwehrmaßnahme der Hersteller zu tragen hat. Eine etwaige Rückerstattung ist dabei auf die Kosten der Rückruflogistik beschränkt.

VI. Einordnung in die Rechtsprechung 1. Verhältnis zu Vorinstanzen Im Unterschied zu den vorinstanzlichen Verfahren552 wurden im Revisionsverfahren zwei Behauptungen der Klägerin prozessual bedingt zu deren Gunsten unterstellt:553 dass die nachgerüsteten Betten aus der Produktion der Beklagten stammten, und dass den Betten tatsächlich ein Konstruktionsfehler anhaftete.554 Trotzdem kommt der BGH letztendlich zum gleichen Ergebnis wie zuvor das OLG Hamm und das LG Bielefeld, dass keine Pflicht zum Rückruf bestehe und eine Warnung ausreichend sei. 548  Vgl.

auch die Aspekte bei § 2 III. 2. b). § 3 III. 3. 550  Hersteller und Zulieferer können beide als „Wirtschaftsakteure“ gemäß § 2 Nr. 29 ProdSG betrachtet werden. Vgl. auch Schucht, in: Klindt, ProdSG, § 26 Rn. 177. 551  Eine öffentlich-rechtliche Rückrufanordnung knüpft nicht an den Kostenregress an, vgl. Klindt, NVwZ 2009, 891, 893. 552  LG Bielefeld, BeckRS 2007, 14705 und OLG Hamm, BB 2007, 2367 f. Vgl. auch § 4 II. 3. e) aa) (1) (bb) und (cc). 553  Das Revisionsgericht hat bei seiner rein rechtlichen Prüfung davon auszugehen, dass Tatsachenbehauptungen des Revisionsführers, zu denen keine Feststellungen getroffen wurden, sich als wahr erwiesen. 554  BGH, NJW 2009, 1080, Rn. 8. 549  Vgl.

256

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Systematisch wird die Pflicht aber auf einer anderen Stufe mit einem neuen Argument verneint. Das OLG Hamm verneinte eine Rückrufpflicht deswegen, weil eine konkrete Gefahr für Leib und Leben nicht vorgelegen habe. Der BGH bewertete dies anders. Da im Revisionsverfahren ein Konstruktionsfehler, der den Betten der Beklagten anhaftete, unterstellt wurde, nahm der BGH ernstlich zu befürchtende Gefahren für Leib und Leben an.555 Der Hersteller musste der Gefahr begegnen. Insofern hätte eine Verpflichtung zur Nachrüstung der Betten bestehen können. Eine solche Maßnahme war unter den besonderen Umständen des Falles jedoch deswegen nicht erforderlich, da die Pflegekassen selbst ihren eigenen sozialversicherungsrechtlichen Leistungspflichten aus § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI nachgehen mussten und nicht anzunehmen war, dass sie dies nicht besorgen würden.556 Hier liegt einer der zentralen Unterschiede. Die Vorinstanzen erwähnen die Pflichten der Pflegekassen nicht (LG Bielefeld) oder nur am Rande (OLG Hamm). Sie werden insbesondere nicht im Kontext der Rückrufpflichten erwähnt. Der BGH sieht in ihnen jedoch einen zentralen Baustein bei der Verneinung der Rückrufpflicht: Nur aufgrund der eigenen Pflichten der Pflegekassen werden die Pflichten des Pflegebettenherstellers zurückgestuft. Der BGH nimmt an, dass die Pflegekassen ihren Pflichten nachkommen und eine Pflicht zum Rückruf nicht mehr erforderlich ist. 2. Verhältnis zur ergangenen Rechtsprechung a) Entscheidungen, die eine Rückrufpflicht bejahten Es stellt sich die Frage, wie die vor der „Pflegebetten“-Entscheidung ergangenen Urteile, in denen eine Rückrufpflicht bejaht wurde, nach den vom BGH gesetzten Maßstäben im Nachhinein zu bewerten wären. Diese Aussagen können an dieser Stelle freilich nur als Vermutungen getätigt werden, da jeder Fall nach seinen konkreten Umständen zu bewerten ist. Dennoch kann die Frage gestellt werden, ob dem BGH eine andere Grundtendenz zu unterstellen ist als der vorausgehenden Rechtsprechung. Im „Dunstabzugshaube“-Fall des OLG Karlsruhe557 lag aufgrund der Möglichkeit eines Brandes eine erhebliche Gefahr für Leben, Leib und Eigentum vor. Diese Gefahr konnte durch Nichtbenutzen der Dunstabzugshauben gebannt werden. Eine Besonderheit des Falles lag jedoch darin, dass 555  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 15. NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 16. 557  OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594 ff. 556  BGH,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil257

durchschnittlich nur bei 0,33 % der Dunstabzugshauben ein Fehler auftrat, also bei einem von 300 Geräten.558 Dieser Umstand mag die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich Produktnutzer über eine Warnung in der Hoffnung hinwegsetzen, zu den 99,67 % derjenigen zu gehören, die ein gefahrloses Produkt in den Händen halten. Im System des BGH würde das eine über eine Warnung hinausgehende Maßnahme erforderlich machen, solange ein Fabrikationsfehler vorliegt.559 Es handelte sich aber um einen Konstruktionsfehler. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Benutzer der Dunstabzugshauben ermittelbar sein sollte, da das fehlerhafte Produkt kein Massengut darstellt, sondern in einzelne Küchengeräte verbaut wurde. Damit ist mehr als fraglich, ob der BGH beim Pflichtenumfang auch die Ultima Ratio in Form eines kostenlosen Rückrufs angenommen hätte wie das OLG Karlsruhe. Wahrscheinlicher ist, dass eine Warnung in Kombination mit dem Angebot einer kostenpflichtigen Nachrüstung genügt hätte. Dann wäre zwar auch eine „Rückrufpflicht“ in Form des Angebots anzunehmen, aber bei der Kostenverteilung käme man auf ein anderes Ergebnis.560 Im Fall „Rettungsinsel“ bejahte das LG Hamburg561 eine Rückrufpflicht, da fehlerhafte Rettungsinseln ihre Funktion nicht erfüllen konnten und damit eine Gefahr für Leib und Leben darstellten. Wieder lässt sich die Gefahr durch Nichtbenutzen des Produkts vermeiden. Eine der abgeleiteten Fallgruppen ist nicht einschlägig. Auch ist nicht ersichtlich, dass sich Produktnutzer über die Gefahr hinwegsetzen werden. Der Sachverhaltsschilderung lässt sich nicht entnehmen, ob die betroffenen Endabnehmer identifizierbar waren. Im Ergebnis mag offen bleiben, ob der BGH diesen Fall anders behandelt hätte, aber auch wie im Fall „Dunstabzugshaube“ ist es eher zweifelhaft, dass ein kostenloser Rückruf gesetzlich geschuldet gewesen wäre. Zuletzt wurde im „Gasheizungsdeckel“-Fall vom OLG München eine Rückrufpflicht bejaht, da von in Wohnmobilen verbauten Heizungen eine Brandgefahr ausging.562 Entscheidend für diesen Fall wird sein, dass die Heizungen in Fahrzeugen verbaut und damit viele der Produktnutzer über das Kraftfahrt-Bundesamt oder anderweitig über Verkaufsdokumente oder Kundenkarteien ermittelbar wären. Selbst bei einer erheblichen Gefahr könne in solchen Fällen, so der BGH, eine Warnung in Verbindung mit einem Angebot der kostenpflichtigen Nachrüstung genügen.563 Ein kostenloser Rückruf wäre hingegen wohl nicht geschuldet gewesen. 558  OLG Karlsruhe,

NJW-RR 1995, 594, 597. § 5 III. 3. c). 560  Auch Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051. 561  LG Hamburg, VersR 1994, 299 f. 562  OLG München, NJW-RR 1999, 1657 ff. 563  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 559  Siehe

258

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Der Vergleich macht deutlich – unabhängig davon, wie man die Fälle im Lichte der Ausführungen des BGH bewerten und zu welchem Ergebnis man konkret kommen würde –, dass eine Rückrufpflicht in ihren diversen Ausgestaltungsmöglichkeiten als solche zwar weiterhin Bestand hat, dass hingegen die Hürde für eine kostenlose Rückrufpflicht vom BGH höher gesetzt wurde, als es die Gerichte in den genannten Entscheidungen getan hatten. b) Vorangegangene Rechtsprechung insgesamt Im Vergleich zur vorangegangenen Rechtsprechung zum Rückruf weist das „Pflegebetten“-Urteil eine differenziertere und sorgfältigere Auseinandersetzung mit der Thematik auf. Es setzt sich eingehend mit den Voraussetzungen einer Rückrufpflicht auseinander. Die Bejahung oder Verneinung der Pflicht erfolgt nicht apodiktisch als Feststellung, sondern wird ausführlich begründet. Damit einher geht eine differenzierte Betrachtung der Gefahrenabwehrmaßnahmen, insbesondere hinsichtlich des Rückrufbegriffs. Dieser wird nicht, wie teils in der älteren Rechtsprechung erfolgt, auf die Bedeutung „für den Hersteller kostenpflichtiger Rückruf“ reduziert, sondern als weiter Sammelbegriff für Maßnahmen verstanden, die über eine Warnung hinausgehen. Bei einer Warnung wird unterschieden zwischen einer Stilllegungsaufforderung, einer öffentlichen Warnung und dem Einschalten der zuständigen Behörden. Auch differenziert der BGH zwischen einer Rückrufpflicht und einem Rückrufanspruch. Dadurch führt der BGH die Ansätze fort, die sich bereits bei den „Pflege­ betten“-Vorinstanzen und Parallelverfahren sowie der „Federbruch­ siche­ rung“-Entscheidung angedeutet hatten. Gänzlich Neuland betritt er insofern, als er ausführlich Bezug auf die vorangegangene Rechtsprechung nimmt und dabei versucht, sowohl die letztgenannten Entscheidungen, die einer Rückrufpflicht skeptisch gegenüberstehen, als auch die älteren Entscheidungen, die eine Rückrufpflicht bejahen, in ein stimmiges Gesamtbild zu integrieren.564 Beide „Epochen“ werden verbunden. c) Das „Pflegebetten“-Urteil als Kehrtwende? Die manchmal geäußerte Frage, ob es sich beim „Pflegebetten“-Urteil um eine Kehrtwende des BGH handele, mag für eine gute Schlagzeile sorgen,565 564  Etwa in BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 10–13: An rückrufskeptischen Urteilen zitiert werden OLG Frankfurt a. M., VersR 1991, 1184 ff. in Rn. 11 und 13, LG Arnsberg, openJur 2011, 25355 in Rn. 12 und LG Frankfurt a. M., VersR 2007, 1575 ff. in Rn. 10 und 13. Demgegenüber stehen OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 594 ff. und OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1344 ff. in Rn. 12. 565  So etwa – mit Anführungszeichen versehen – bei Molitoris, NJW 2009, 1049.



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil259

aber sie führt auf eine falsche Fährte. Da sich der BGH bislang noch nicht zu dem Thema Rückruf geäußert hatte, konnte er auch keine Kehrtwende vollbringen. Vielmehr handelt es sich um eine erste höchstrichterliche Standortbestimmung.566 Präziser muss die Frage lauten, ob der BGH eine Abkehr von der „dogmatisch zweifelhaften und deswegen umstrittenen Rechtspre­ chung“567 zum Rückruf vollführt und den „Umbruch“, der angesichts der neueren Rechtsprechung teils angenommen wurde,568 bestätigt hat. Beide Fragen lassen sich sowohl mit einem Ja als auch einem Nein beantworten. Der BGH erachtet in vielen Fällen eine Warnung als ausreichend und nimmt eine Rückrufpflicht nur zurückhaltend an, insbesondere eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf. Hier stellt er sich gegen die alte Rechtsprechung, die eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf bedenkenlos(er) annahm. Auf der anderen Seite wird die Abkehr nicht vollends vollzogen: Das „Pflegebetten“Urteil bedeutet nicht das Ende der kostenlosen Rückrufe, da die Pflicht zu einem solchen trotz aller Einschränkungen weiterhin möglich bleibt, wenn es für eine effektive Gefahrenabwehr erforderlich sein sollte. Inhaltlich bezieht der BGH damit eine Position, die zwischen der neuen und der alten Rechtsprechung liegt, sich von der Grundtendenz aber eher der neuen, einer Rückrufpflicht skeptisch gegenüberstehenden Rechtsprechung nähert. Ein Umbruch bzw. eine Abkehr fand aber auf methodischer Ebene statt. Wie oben ausgeführt,569 erörtert der BGH die Gefahrenabwehrmaßnahmen mit einer Differenzierung, die in der vorigen Rechtsprechung nicht vorhanden war. 3. Nachfolgende Rechtsprechung a) „Transformatoren“-Entscheidung des OLG Nürnberg Drei Jahre nach dem „Pflegebetten“-Urteil wurde vor dem OLG Nürnberg570 ein Fall verhandelt, der wieder die bekannte Konstellation aufwies, dass ein von einem Hersteller durchgeführter Rückruf auf den Fehler eines Zulieferprodukts zurückzuführen war. Die Klägerin stellte Feststellanlagen von Brandschutztüren her und verbaute dabei Transformatoren, welche die 566  Handorn,

MPR 2009, 37, 43. VersR 2007, 1601. 568  Molitoris, VW 2007, 1175, spricht von einem Umbruch, der sich anbahnt. Die Aussage wurde vom selben Autor später aber relativiert, vgl. Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051. 569  Siehe § 5 VI. 2. 570  OLG Nürnberg, Urteil vom 03.08.2011 – 12 U 1143/06 = BeckRS 2013, 06837; Vorinstanz: LG Regensburg, Urteil vom 07.04.2011 – 2 HKO 1367/02. 567  Burckhardt,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Beklagte herstellte. Nach Störfällen, die auf die Feststellanlagen zurückzuführen waren, führte die Klägerin einen Rückruf durch. Es stellte sich heraus, dass als eigentliche Ursache für die Störfälle fehlerhafte Transformatoren verantwortlich waren. Die Parteien waren sich uneinig, ob eine Rückrufpflicht bestanden hatte und ob die Klägerin Kostenersatz von der Beklagten verlangen konnte. Das Gericht bejahte eine Rückrufpflicht und einen Kostenerstattungsanspruch des Herstellers aus §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1, 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Bei der Darstellung der Rechtslage zitierte das Gericht wortwörtlich die entscheidenden Passagen aus dem „Pflegebetten“-Urteil,571 kam dann aber zu dem Ergebnis, dass eine Rückrufpflicht trotzdem bestehe. Der Fall wies zwei hierfür ursächliche Besonderheiten auf. Erstens gingen von den Transformatoren zwei verschiedene Gefahren aus: zum einen, dass sie in Brand geraten konnten, und zum anderen, dass sie, wenn sie abgeschaltet oder nicht mehr benutzt werden, die Brandschutztür ihrer Schutzfunktion berauben würden. Die Gefahr ergab sich also nicht nur aus der Nutzung, sondern auch daraus, dass das Produkt aktiv eine Gefahr verhindern sollte. Eine Warnung hätte allenfalls das erste Risiko beseitigt, nicht aber das zweite.572 Zum anderen ging das Gericht davon aus, dass es anders als im „Pflegebetten“-Fall nicht sichergestellt war, ob die für die Reparatur zuständigen Gebäudeverantwortlichen – das Pendant zu den Pflegekassen – von sich aus die Nachrüstarbeiten durchführen würden. Man könne nicht davon ausgehen, dass die Nachrüstung überhaupt und insbesondere zeitnahe erfolgt wäre, sogar wenn eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung bestanden hätte.573 Bei der ersten Besonderheit fügt sich das Urteil des OLG Nürnberg in die vom BGH geschaffene Struktur ein. Als eine der Fallgruppen, bei denen die Pflichten des Herstellers über eine Warnung hinausgehen können, wurde postuliert, dass eine Gefahr trotz Nichtbenutzens des Produkts weiter besteht.574 Dies ist hier einschlägig, der vorliegende Fall ist ein Beispiel dieser Fallgruppe. Hinsichtlich der zweiten Besonderheit bleibt das Gericht jedoch eine Erklärung schuldig, warum man bei den Gebäudeverantwortlichen damit hätte rechnen müssen, dass sie bei einer Warnung oder einer öffentlichrechtlichen Verpflichtung nicht zwingend für eine Nachrüstung gesorgt hätten. Zwar könnte argumentiert werden, dass den Pflegekassen eine größere Sorgfalt zuzuschreiben wäre, aber hierfür bietet der Fall keine Anhaltspunkte. Insbesondere erscheint es unstimmig, mangelnde Sorgfalt dort anzunehmen, wo Gebäude von professionellen Produktnutzern wie zum Beispiel Arztpra571  OLG Nürnberg,

BeckRS 2013, 06837 II. 5. b). BeckRS 2013, 06837 II. 5. f) dd). 573  OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 06837 II. 5. f) dd). 574  Siehe § 5 III. 2. 572  OLG Nürnberg,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil261

xen betrieben werden.575 Zwar gehört die Bereitstellung von Pflegebetten zu einer der Hauptpflichten der Pflegekassen, während die Wartung eines Gebäudes nicht zum Berufsalltag einer Arztpraxis zählt. Wohl aber ist bei einer ausdrücklichen Warnung nicht ersichtlich, warum sich das Risikobewusstsein von Pflegekassen und Arztpraxen groß unterscheiden sollte – und in keinem Fall in dem Maße, dass eine kostenfreie Rückrufpflicht erforderlich wird. Im Ergebnis befolgt das Urteil des OLG Nürnberg die vom BGH vorgegeben Leitlinien. Das sah dieser offenbar auch so. Er wies die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurück, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung erfordere.576 b) „Defibrillator“-Entscheidungen Eine Reihe von Entscheidungen, die sich um fehlerhafte Herzschrittmacher drehte, zeigt auf den ersten Blick keine Berührungspunkte zur Rückrufthematik. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass dort getätigte Aussagen das „Pflegebetten“-Urteil bekräftigen. Gegenstand dieser Entscheidungen577 waren Herzschrittmacher, die ein erhöhtes Ausfallrisiko aufwiesen. Streitpunkt war unter anderem,578 ob die mit dem Austausch der Produkte verbundenen Operationskosten erstattungsfähig wären. Der EuGH bejahte dies, nachdem ihm der BGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte.579 Der BGH setzte daraufhin die Vorgaben in zwei Entscheidungen um.580 In den Fällen ging es um Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz, eine Haftung nach §§ 823 ff. BGB bzw. Warnund Rückrufpflichten wurden nicht thematisiert. Dennoch lassen sich in den Ausführungen des EuGH ähnliche Wertungen finden, wie sie der BGH bei den Rückrufpflichten fällt. Die Vergleichbarkeit rührt daher, dass sowohl die „Defibrillator“-Entscheidungen als auch die „Pflegebetten“-Entscheidung die Voraussetzungen diskutieren, unter denen eine Nachrüstung geboten ist. Da das Produkthaftungsgesetz genau wie die §§ 823 ff. BGB lediglich das Integritätsinteresse schützt, schneiden auch die „Defibrillator“-Fälle die Thematik 575  So

OLG Nürnberg, BeckRS 2013, 06837 II. 5. f) dd). Beschluss vom 19.03.2013 – VI ZR 246/11 = BeckRS 2013, 07357. 577  Übersichten bei Molitoris/Klindt, NJW 2012, 1489, 1493  f. und dies., NJW 2014, 1567, 1569 f. 578  Vertiefend Timke, NJW 2015, 3060, 3061 ff. 579  EuGH, ECLI:EU:C:2015:148 = EuZW 2015, 318 ff. = NJW 2015, 1163 ff. 580  BGH, NJW 2015, 3096 ff.; BGH, NJW 2015, 2507 ff. 576  BGH,

262

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

an, ob der Schutz des Integritätsinteresses eine Berührung des Äquivalenzinteresses mit sich bringen kann.581 Der EuGH stellt fest, dass der Schadensersatz, der im Rahmen von § 1 Abs. 1 ProdHaftG verlangt werden kann, alles umfasse, was erforderlich sei, um die Schadensfolgen zu beseitigen und das notwendige Sicherheitsniveau wiederherzustellen. Das könne auch den Austausch der fehlerhaften Produkte beinhalten.582 Inhaltlich findet sich hier der Begriff der „effektiven Gefahrenabwehr“ wieder, wie ihn der BGH im „Pflegebetten“-Urteil verwendet: Eine Nachrüstung ist geboten, wenn sie zur Herstellung des notwendigen Sicherheitsniveaus, d. h. zur effektiven Gefahrenabwehr, erforderlich ist. Gleichzeitig macht der EuGH deutlich, dass das Produkthaftungsgesetz nur das Integritätsinteresse schützt: Der Schadensersatz umfasse nicht die Kosten einer Nachrüstung, wenn sich die von den Defibrillatoren ausgehende Gefahr durch Ausschalten der Magnetfunktion umgehen lasse.583 Mit anderen Worten lässt sich das erforderliche Sicherheitsniveau in der Regel dadurch wieder herstellen, dass auf den Gebrauch des Produkts verzichtet wird. Nur wo dies nicht möglich ist und die Entsorgung des Produkts eine Körperverletzung – bei den „Defibrillator“-Fällen in Form einer Operation – oder die Beschädigung anderer Sachen nach sich zieht, muss der Hersteller die Kostenübernahme der Nacherfüllung in Betracht ziehen.584 Auch hier findet sich eine Parallele zu den Ausführungen im „Pflegebetten“-Urteil: Der Hersteller wird in der Regel seinen Pflichten durch eine Warnung oder Stilllegungsaufforderung gerecht; wo dies jedoch nicht funktioniert und eine hinreichend deutliche und detaillierte Warnung die Gefahr nicht beheben kann, muss der Hersteller weitere Maßnahmen ergreifen. Der Fall, dass ein bereits eingepflanzter Herzschrittmacher sich als fehlerhaft herausstellt, fällt in die weiter oben abgeleitete Fallgruppe, dass ein Nutzungsverzicht nicht möglich ist.585 Eine Warnung könnte es hier folglich nicht leisten, die Gefahr zu beheben. Auch wenn sich der EuGH mit einem anderen Rechtssatz als im „Pflegebetten“-Fall befasst, so bestätigt er doch indirekt einige Aussagen des BGH. Dazu gehört insbesondere, dass eine Warnung im Regelfall zur Gefahrenabwehr genügt. Auch bestätigt er die in dieser Arbeit abgeleitete Fallgruppe, dass eine Warnung nicht genügen kann, wenn die Gefahr trotz Nutzungsverzichts weiter besteht.586 Henning/Dockhorn, NJW 2015, 1163, 1165. NJW 2015, 1163, 1164 f. Rn. 49 f., 55. 583  EuGH, NJW 2015, 1163, 1165 Rn. 53 f. 584  Henning/Dockhorn, NJW 2015, 1163, 1165. 585  Siehe § 5 III. 2. 586  Ähnlich Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 337. 581  Auch

582  EuGH,



§ 5  Das „Pflegebetten“-Urteil263

4. Aufnahme durch das Schrifttum Die „Pflegebetten“-Entscheidung hat entsprechend ihrer Bedeutung große Beachtung im Schrifttum gefunden und wurde größtenteils positiv aufgenommen.587 Generell wurde es begrüßt, dass sich der BGH zu der jahrzehntelang währenden Diskussion zum Rückruf äußerte und die Pflichten des Herstellers in Form einiger Grundsätze und Leitlinien mit der notwendigen Klarheit konturierte,588 auch wenn der Streit über den Pflichtenumfang nicht, wie teils erhofft, endgültig beigelegt werden konnte.589 Die Grundwertung des BGH, dass eine Warnung oftmals genüge und die Pflicht zum kostenlosen Rückruf als Ultima Ratio an hohe Voraussetzungen zu knüpfen sei, wurde weiterhin als sachgerecht590 und dogmatisch völlig zutreffend591 bezeichnet; das Urteil verdiene alles in allem Zustimmung.592 Vereinzelt äußerten sich kritische Stimmen dahingehend, dass nur durch Rückrufaktionen eine effiziente Gefahrenabwehr gewährleistet sei; vertreten wurde dies, wenig überraschend, von Anhängern weitreichender Rückrufpflichten.593 An anderer Stelle wurde moniert, dass der BGH die Erforderlichkeit eines Rückrufs deswegen verneine, weil sich der Hersteller darauf verlassen könne, dass eine andere Person die Gefahrenabwehr vornehme und damit der Pflichtenumfang des Herstellers auf Kosten anderer definiert werde;594 im Grunde richtet sich diese Kritik aber gegen die grundsätzliche Annahme, dass eine Warnung im Vergleich zum Rückruf das mildere Mittel darstellt.595 Auch unter den Zustimmenden lassen sich bei Detailaspekten skeptische Töne vernehmen. Erstens wird vielerorts das Abgrenzungskriterium kritisiert, 587  Anmerkungen und Besprechungen bei Bomsdorf, FD-HGR 2009, 275573; Burckhardt, BB 2009, 627 ff.; Faust, JuS 2009, 377 ff.; J. Hager, JA 2009, 387 ff.; ders., in: FS für Prölss, 71, 72 ff.; Handorn, MPR 2009, 37 ff.; Kettler, VersR 2009, 272 ff.; Klindt, BB 2009, 792 ff.; Molitoris, NJW 2009, 1049 ff.; Molitoris/Klindt, NJW 2010, 1569, 1570; E. Wagner, BB 2009, 2050 ff.; G. Wagner, JZ 2009, 908 ff. 588  Bomsdorf, FD-HGR 2009, 275573; Burckhardt, BB 2009, 627, 630; Handorn, MPR 2009, 37, 41; Kettler, VersR 2009, 272, 275; E. Wagner, BB 2009, 2050, 2052. 589  Bomsdorf, FD-HGR 2009, 275573. 590  Burckhardt, BB 2009, 627, 631. 591  Molitoris, NJW 2009, 1049. 592  Burckhardt, BB 2009, 627, 631; Faust, JuS 2009, 377, 378 f.; Klindt, BB 2009, 792 ff.; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1050. 593  J. Hager, JA 2009, 387, 388; ders., in: FS für Prölss, 71, 73. 594  Schmidt, S.  58 ff. 595  Nach Schmidt, S. 60 f. stellt ein Rückruf nicht die Ultima Ratio der Gefahrenabwehrmaßnahmen dar, da eine Warnung zwar für den Hersteller das mildere Mittel darstellt, für die betroffenen Produktnutzer aber eine größere Belastung als ein Rückruf darstellt.

264

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

dass sich der Pflichtenumfang des Herstellers erhöht, wenn sich Produktnutzer über eine Warnung absichtlich hinwegsetzen.596 Der Gedankengang des BGH an dieser Stelle überzeuge nicht und sei weder praxistauglich597 noch in sich stimmig;598 und auch die Ansicht, die in der vorliegenden Arbeit vertreten wird, reiht sich in diese Kritik ein.599 Zweitens macht der BGH den erforderlichen Pflichtenumfang abhängig von den Umständen des Einzelfalls und verneint infolge die pauschale Annahme von Rückrufpflichten bei einem anfänglichen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler.600 Dies wird verständlicherweise von den Anhängern der Gegenansicht, die eine Abgrenzung zwischen verschuldetem anfänglichem Fehler und Entwicklungsfehler bevorzugen, kritisiert.601

VII. Zusammenfassung Im „Pflegebetten“-Urteil vermeidet der BGH Extrempositionen und stellt auf den Einzelfall ab. Der Hersteller muss alles Erforderliche tun, um eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Dabei steht der Schutz Dritter an erster Stelle, während der Schutz der Produktnutzer zurückgestuft wird. Grundsätzlich erfüllt der Hersteller seine Sorgfaltspflichten, wenn er vor einer Produktgefahr warnt. Weitere Pflichten können sich unter bestimmten Umständen ergeben. Der BGH stellt hierfür Differenzierungskriterien zur Verfügung, wobei der Aspekt „Hinwegsetzen über eine Warnung“ nicht überzeugt. Die Entscheidung führt die Tendenz der jüngeren Rechtsprechung fort, die Reaktionspflichten des Herstellers differenziert zu betrachten. Auch stellt sie sich gegen die in manchen Verbraucherkreisen vorherrschende Fehlvorstellung, dass bei einem sicherheitsrelevanten Produktfehler stets ein kostenfreier Rückruf zu erfolgen habe.602 Die Auswirkungen des „Pflegebetten“-Urteils für die Praxis sind bedeutsam, wenn auch im Detail noch nicht vollends absehbar.603 Sie werden im folgenden Kapitel untersucht. 596  BGH,

NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11. JZ 2009, 908, 910. ders., Produktrückruf, 51, 72 f. 598  Handorn, MPR 2009, 37, 42; Klindt, BB 2009, 792, 794  f.; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051. A. A. Kettler, VersR 2009, 272, 275. 599  Siehe § 5 IV. 8. 600  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 ff. Rn. 13, 19 f. 601  G. Wagner, JZ 2009, 908, 910 f.; ders., in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 823 Rn. 851 f.; ders., Produktrückruf, 51, 73 ff. 602  Molitoris, NJW 2009, 1049. 603  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 339. 597  G. Wagner,



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung265

§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung Im letzten Kapitel werden Auswirkungen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung für die Praxis anhand von zwei Aspekten aufgezeigt. Erstens wird aus Beteiligtensicht untersucht, welche Konsequenzen sich für Hersteller, Zulieferer, Versicherung und Produktnutzer ergeben (I.). Zweitens sollen die Leitlinien zur Bestimmung des Pflichtenumfangs, die im vorangegangenen Kapitel aus dem „Pflegebetten“-Urteil abgeleitet wurden, auf in der Praxis häufig vorkommende Konstellationen angewendet werden (II.).

I. Konsequenzen für die Beteiligten 1. Haftungssituation des Herstellers Auf den ersten Blick erscheint das „Pflegebetten“-Urteil von Vorteil für den Hersteller, da ihm im Vergleich zur früheren Rechtsprechung ein geringerer Pflichtenumfang zugeordnet wird. Im Folgenden soll geklärt werden, ob die Rechtsprechung des BGH die Haftungssituation des Herstellers tatsächlich ändert und Anreize setzt, von der Durchführung eines Rückrufs abzusehen. Hierfür werden drei Situationen untersucht. Erstens, wenn bei einer Produktgefahr der Pflichtenumfang über eine Warnung hinausgeht und der Hersteller dem in Form eines Rückrufs nachkommt; zweitens, wenn der Pflichtenumfang sich auf eine Warnung beschränkt und der Hersteller vor der Gefahr nur warnt; drittens, wenn der Hersteller auf eine Gefahrenabwehr verzichtet. Als Haftungsgrundlagen werden angesichts ihrer Relevanz nur § 823 Abs. 1 BGB und § 1 ProdHaftG betrachtet. a) Schadenseintritt trotz Rückrufes In der ersten Konstellation besteht eine Pflicht zum Rückruf, welcher der Hersteller auch nachgekommen ist. Trotzdem ist ein Schaden eingetreten. Fraglich ist hier, ob sich der Hersteller durch einen einwandfrei durchgeführten Rückruf – also durch die Erfüllung des gesetzlich Geschuldeten – enthaften kann. Dies wurde gerichtlich noch nicht angesprochen und gehört zu einer der für die Praxis wichtigen Detailfragen des Rückrufs.604 Eine Annäherung soll auf zwei Wegen erfolgen: Kann ein einwandfreier Rückruf erstens zur Folge haben, dass eine vorherige Pflichtverletzung des Herstellers in Form des Produktfehlers ausgeglichen wird? Und kann ein tadelloser Rück604  Klindt,

BB 2009, 792 Fn. 4.

266

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

ruf zweitens dafür sorgen, dass dem Hersteller trotz vorheriger Pflichtverletzung keine Haftung droht? aa) Ausgleich oder Bestätigung einer Pflichtverletzung Bei einem anfänglichen Konstruktions- oder Fabrikationsfehler605 ist der Fall zunächst eindeutig: Der Hersteller haftet bei einem Schaden für die ursprüngliche Verletzung seiner herstellerspezifischen Sorgfaltspflichten nach § 823 Abs. 1 BGB und § 1 ProdHaftG. Diese Pflichtverletzung wird auch durch einen Rückruf nicht ausgeglichen. Das ergibt sich aus dem Prinzip, dass anfängliche Konstruktionsfehler nicht durch eine nachträgliche Instruktion wettgemacht werden können.606 Da letztere eine Art der Gefahrenabwehr darstellt, kann analog für einen Rückruf nichts anderes gelten. Weniger eindeutig bleibt die Haftung bei einem Entwicklungsfehler, bei dem mangels Verschulden keine Haftung besteht. Nur über die Verletzung einer Reaktionspflicht kann sich der Hersteller einstandspflichtig machen. Hier stellt sich nicht die Frage, ob ein Rückruf die ursprüngliche Pflichtverletzung ausgleicht, sondern ob der Schadenseintritt impliziert, dass der Hersteller seine Reaktionspflichten verletzt hat. Auf der einen Seite kann argumentiert werden, dass sich der Hersteller keine Pflichtverletzung vorzuwerfen hat. Weder hat er den Fehler vor Inverkehrbringen erkennen können, noch hat er notwendige Reaktionsmaßnahmen unterlassen. Für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB fehlt es damit an einer zentralen Voraussetzung. Würde man eine Haftung trotzdem bejahen, würde § 823 Abs. 1 BGB weiter in die Richtung einer Gefährdungshaftung gerückt werden. Dagegen kann eingewendet werden, dass eine Pflichtverletzung sehr wohl vorliege, da der Rückruf aufgrund des Schadenseintritts sein Ziel offensichtlich nicht erreicht habe. Möglicherweise hätte der Schaden bei einer umfangreicheren Gefahrenabwehrmaßnahme verhindert werden können. Der Hersteller habe dementsprechend seine Pflichten nicht in dem erforderlichen Umfang wahrgenommen, worin eine Pflichtverletzung zu sehen sei. Letzterer Sichtweise ist nur soweit zuzustimmen, als bereits ex-ante deutlich war, dass der vom Hersteller durchgeführte Rückruf im Detail nicht so ausgestaltet war, wie es die Situation erfordert hätte. Dann liegt eine Verletzung der Reaktionspflicht vor. Eine andere Bewertung ergibt sich, wenn exante der durchgeführte Rückruf als ausreichend anzunehmen war – was im hier betrachteten Fall auch angenommen wird. Der Schluss, ein Schaden sei automatisch auf eine unzureichende Gefahrenabwehrmaßnahme zurückzu605  Bei einem Instruktionsfehler bedarf es keines Rückrufs, sondern einer nachträglichen Instruktion in Form einer Warnung. 606  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 127.



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung267

führen, greift dann zu kurz. Die ex-post Betrachtung mag zwar dem menschlichen Bedürfnis nach einer Ursache-Wirkung-Narration entsprechen, sie ist aber dem System der in § 823 Abs. 1 BGB verklausulierten Verkehrssicherungspflichten fremd. Diese sind vielmehr ex-ante festzulegen. Auch ist zu bedenken, dass ein Schadenseintritt noch andere Ursachen als einen unterlassenen oder unzureichend durchgeführten Rückruf haben kann. So zeichnen etwa selbst bei „perfekten Rückrufen“ die mitunter unterschiedlichen Rücklaufquoten ein Bild davon, dass Schäden wohl auftreten können, obwohl sich ein Hersteller nichts vorzuwerfen hat.607 Im Ergebnis kann ein Rückruf eine anfängliche Pflichtverletzung in Form eines Produktfehlers nicht ausgleichen. Einzig bei einem Entwicklungsfehler führt ein nach ex-ante Maßstäben tadelloser Rückruf dazu, dass sich der Hersteller keinen Produktbeobachtungsfehler zurechnen lassen muss.608 bb) Enthaftung trotz Pflichtverletzung Fraglich bleibt aber, ob ein tadelloser Rückruf dazu führen kann, dass der Hersteller trotz verschuldetem Produktfehler nicht mehr haften muss. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Geschädigte ein Produktnutzer oder ein unbeteiligter Dritter ist. (1) Gegenüber dem Produktnutzer Wurde gegenüber einem Produktnutzer eine Gefahrenabwehrmaßnahme in erforderlicher Art und Weise durchgeführt, so kennt er die Produktgefahr und ist in der Lage, die Gefahr zu steuern. Ob sich die Gefahr in einem Schaden realisiert, hängt alleine von seinem Verhalten ab. Nutzt er das Produkt unter Inkaufnahme eines eigenen Schadensrisikos weiter, spricht man vom Handeln auf eigene Gefahr,609 welches neben § 823 Abs. 1 BGB auch für § 1 ProdHaftG relevant ist.610 Es ist umstritten, inwieweit in solchen Fällen die Verantwortung des ursprünglichen Gefahrenverursachers von der Eigenverantwortung des Verletzten überlagert wird.611 Nach einer Ansicht führt Handeln auf eigene Gefahr regelmäßig zu einer Enthaftung des Gefahrenverursachers, da dessen Fremdverantwortlichkeit dort aufhört, wo die Eigenverant607  Siehe

§ 1 II. 4. Rettenbeck, S. 98. 609  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 22 Rn. 25. 610  von Westphalen, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 51 Rn. 10. 611  Der Streitpunkt wurde bereits beim Umfang der Rückrufpflicht angerissen, siehe § 4 II. 2. b) dd). 608  Auch

268

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

wortlichkeit des Schädigers beginnt.612 Nach anderer Ansicht können sich Fremd- und Eigenverantwortlichkeit überlappen. Für jeden Einzelfall habe eine Abwägung im Rahmen von § 254 BGB durchgeführt zu werden, in welcher der Gefahrverursacher nur in Ausnahmefällen vollends zu entlasten sei.613 Der BGH hat sich noch nicht dazu geäußert, wie diese Frage für die Produkthaftung zu beantworten ist. Die übrige Rechtsprechung hat in einigen Produkthaftungsfällen eine Haftung des Herstellers verneint, wenn der Geschädigte ein Produkt in voller Kenntnis der Gefahr benutzt hatte und der eintretende Schaden alleine von dessen Verhalten begründet wurde.614 Auch im „Pflegebetten“-Urteil behandelt der BGH diese Frage nicht explizit. Dennoch ergibt sich aus der Systematik der Urteilsausführungen, dass er eine generelle Enthaftung des Herstellers gegenüber dem geschädigten Produktnutzer befürwortet. Konkret liegt das an der Rolle, die dem Produktnutzer zugeordnet wird, und dass sich der Schutzbereich einer Rückrufpflicht nur auf die Allgemeinheit erstreckt.615 Obwohl im „Pflegebetten“-Fall unterstellt wird, dass den Betten ein haftungsbegründender Konstruktionsfehler anhaftet,616 lässt es der BGH zur Pflichterfüllung des Herstellers genügen, wenn dieser dem Produktnutzer eine Gefahrensteuerung ermöglicht. Für die tatsächliche Steuerung der Gefahr bleibt hingegen der Produktnutzer verantwortlich. Schädigt er sich selbst, weil er eine Warnung oder ein Rückrufangebot ignoriert, haftet der Hersteller ihm gegenüber nicht mehr, wenn er seinen Reaktionspflichten nachgekommen ist. Die Verantwortung für den ursprünglichen Konstruktionsfehler wird von der Eigenverantwortlichkeit des Produktnutzers überlagert.617 Ob die Haftung dabei aufgrund eines fehlenden Kausalzusammenhangs, aus Treu und Glauben618 oder über § 254 BGB, § 6 Abs. 1 ProdHaftG verneint wird,619 ist letztendlich zu vernachlässigen:620 Festzuhalten bleibt, dass der Hersteller nicht mehr gegenüber dem gewarnten Produktnutzer haftet.621 612  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 22 Rn. 26. In eine ähnliche Richtung Sprau, in: Palandt, § 823 Rn. 53. 613  BGH, NJW 1961, 655, 656 ff.; Oetker, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 249 Rn. 143; Zeuner, in: FS für Medicus, 693, 705 f. 614  Etwa OLG Hamm, NJW-RR 2001, 1248, 1249  f. (bei Instruktionsfehler); LG Frankfurt a. M., VersR 2007 1575, 1576 (bei Konstruktionsfehler). 615  Siehe § 5 II. 4. d) und e). 616  BGH, NJW 2009, 1080 Rn. 8. 617  Auch Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 22 Rn. 26. 618  So BGH, NJW 1986, 1965, 1866. 619  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 184. 620  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 22 Rn. 26. 621  In diese Kerbe schlägt die Kritik von G. Wagner, Produktrückruf, 51, 68. Er bemängelt, dass eine restriktive Handhabung von Rückrufpflichten dazu führe, dass



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung269

Führt man diesen Gedanken weiter, wäre eine Haftung des Herstellers gegenüber dem Produktnutzer auch dann ausgeschlossen, wenn der Hersteller trotz gesetzlicher Rückrufpflicht dieser nicht vollends nachkommt, sondern lediglich vor der Gefahr gewarnt oder einen kostenpflichtigen Rückruf angeboten hat. Gegenüber der Allgemeinheit hätte der Hersteller seine Verkehrssicherungspflichten zwar nicht erfüllt, gegenüber dem Produktnutzer durch die Ermöglichung der Gefahrensteuerung hingegen schon. Damit würde es an der Kausalität der Pflichtverletzung für eine vom Produktnutzer erlittene Rechtsgutsverletzung mangeln. Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass der BGH aus seinem Urteil keine Verallgemeinerungen abgeleitet haben möchte622 und sich die Möglichkeit offenlässt, auch bei einer alleinigen Gefährdung des Produktnutzers eine Pflicht zum kostenfreien Rückruf bestehen zu lassen.623 Weiter besteht eine Haftung in den weiter oben erarbeiteten Fallgruppen.624 Der Aussage, der Hersteller hafte dem gewarnten Produktnutzer gegenüber nicht, ist somit ein „in der Regel“ anzufügen. Voraussetzung für eine Enthaftung des Herstellers bleibt jedoch immer, dass der Produktnutzer über die Gefahr informiert war, ihn also die durchgeführte Gefahrenabwehrmaßnahme in Form einer Warnung oder eines Rückrufangebots erreicht hat. Die Beweislast für diesen Aspekt liegt beim Hersteller, da er eine Ausnahme von seiner Haftung geltend machen möchte.625 Kann der Hersteller die Produktnutzer einzeln identifizieren, wie es etwa bei einer gepflegten Kundendatenbank, dem zentralen Fahrzeugregister bei Kraftfahrzeugen oder einer überschaubaren Anzahl von Kunden möglich ist, mag der Beweis erfolgreich zu führen sein. In allen anderen Fällen wird dieses Unterfangen jedoch schwer bis unmöglich sein. Im Zweifel ist der Produktnutzer folglich wie ein unbeteiligter Dritter zu behandeln.626 (2) Gegenüber Dritten Kommt ein Dritter durch ein fehlerhaftes Produkt zu Schaden, steht ihm ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Hersteller zu, wenn letzterer den Fehler zu vertreten hat. Im Gegensatz zum gewarnten Produktnutzer trifft einen unbeteiligten Dritten keine spezielle Eigenverantwortung, ein Handeln auf eigene Gefahr ist für ihn nicht möglich. Insofern sich der Hersteller durch eine Warnung von seiner Haftung entledigen könne und die Verantwortung auf den Produktnutzer verlagere. 622  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 20. 623  BGH, NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 11 f. 624  Siehe § 5 III. 625  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 184. 626  Stöhr, in: FS für Müller, 173, 184.

270

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

zieht ein Rückruf bei einer anfänglichen Pflichtverletzung keine Enthaftung gegenüber Dritten nach sich.627 Beruht der Schaden auf der Handlung eines Produktnutzers, muss sich der Hersteller dessen Tat zurechnen lassen, wenn der Hersteller die Tat nicht verhindert hat.628 Das gilt sowohl bei einem unwissenden als auch bei einem gewarnten Produktnutzer, der auf eigene Gefahr handelt. Es stimmt mit den Wertungen der „Pflegebetten“-Entscheidung überein, dem Hersteller einen größeren Pflichtenumfang zuzuweisen, wenn neben dem Produktnutzer auch die Allgemeinheit gefährdet ist. Es lässt sich somit nicht begründen, dass die Verantwortlichkeit des gewarnten Produktnutzers die des Herstellers vollständig überschattet, wenn durch ersteren ein Dritter verletzt wird. In jedem Fall aber ist dem Produktnutzer die Verletzung einer eigenen Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen,629 wodurch Hersteller und Produktnutzer dem geschädigten Dritten als Gesamtschuldner haften. Im Innenverhältnis kann der Hersteller den Produktnutzer unter Berücksichtigung der Verschuldensanteile in Regress nehmen. Liegt ein Entwicklungsfehler oder ein Ausreißer vor, besteht hingegen keine Haftung. Weder liegt ein verschuldeter produktbezogener Fehler vor, noch hat sich der Hersteller eine Verletzung seiner Reaktionspflichten vorzuwerfen. Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz gestaltet sich ähnlich. Bei einem verschuldeten Produktfehler ändert ein Rückruf nichts an der Haftung, die sich aus § 1 ProdHaftG ergibt. Auch adressiert das Gesetz die Konstellation, wenn ein Schaden bei einem Dritten dadurch entstanden ist, dass der Produktnutzer Warnung oder Rückrufangebot in den Wind geschlagen hat: § 6 Abs. 2 ProdHaftG stellt klar, dass sich die Haftung des Herstellers nicht mindert, wenn ein Schaden durch einen Produktfehler und zugleich eine Handlung eines Dritten – etwa die weitere Ingebrauchnahme des fehlerhaften Produkts durch den gewarnten Produktnutzer – verursacht wurde. In diesen Fällen der kumulativen Kausalität kann sich der Hersteller nicht mit einem Hinweis auf die Verantwortung des Dritten entlasten.630 Hersteller und Produktnutzer haften dem geschädigten Dritten als Gesamtschuldner,631 wobei der Hersteller über §§ 6 Abs. 2 Satz 2, 5 Satz 2 ProdHaftG auf den Schadens­ ausgleich im Innenverhältnis verwiesen wird. Selbst wenn die Haftungslast Rettenbeck, S.  98 f. NJW 1979, 712, 713. 629  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 18; Klindt, BB 2009, 792, 795. 630  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 6 ProdHaftG Rn. 11. 631  G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 6 ProdHaftG Rn. 12. Für das Entstehen einer Gesamtschuld ist es irrelevant, ob die Haftung auf der gleichen Anspruchsgrundlage fußt, vgl. Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BeckOK-BGB, § 421 Rn. 4. 627  Auch

628  BGH,



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung271

komplett auf den Produktnutzer übertragen werden sollte,632 ändert das nichts an der grundlegenden Haftung des Herstellers. Angesichts der Tatsache, dass der Hersteller die Gefahr durch das Inverkehrbringen des Produkts ursprünglich verursacht hat, ist es sachgerecht, ihm dadurch das Insolvenzrisiko des Produktnutzers aufzulegen.633 b) Schadenseintritt trotz Warnung Hat der Hersteller vor einer Produktgefahr gewarnt und ist dadurch seinen Pflichten ausreichend nachgekommen, zieht das im Ergebnis die gleichen Konsequenzen nach sich, die im vorherigen Abschnitt für den Rückruf erarbeitet wurden. Auch wenn durch die Warnung ein ursprünglicher Produktfehler nicht ausgeglichen wird,634 haftet der Hersteller gegenüber dem gewarnten Produktnutzer, der auf eigene Gefahr handelt, nicht mehr. Voraussetzung ist aber, dass der Hersteller den Zugang der Warnung beweisen kann. Gegenüber Dritten bleibt die Haftung weiterhin bestehen. Bei einem Entwicklungsfehler kann eine Haftung nur über die Verletzung einer Reaktionspflicht entstehen. Wenn der Hersteller seinen Pflichten jedoch nachkommt, besteht keine Grundlage für eine Haftung. Im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB fehlt es an einer verschuldeten Pflichtverletzung, während im Produkthaftungsgesetz die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG für Entwicklungsrisiken greift. An dieser Stelle ändert das „Pflege­ betten“-Urteil die Haftungssituation des Herstellers zu seinem Vorteil. Durch die verminderten Reaktionspflichten mag er bei einem Entwicklungsfehler am ehesten davon absehen, einen Rückruf durchzuführen. c) Schadenseintritt ohne Gefahrenabwehr Sieht der Hersteller von einer Gefahrenabwehr ab, haftet er bei Eintritt eines Schadens grundsätzlich. Bei einem anfänglichen Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler besteht eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung der jeweiligen Herstellerpflicht. Daneben ergibt sich eine Haftung aus § 1 ProdHaftG. Bei einem Entwicklungsfehler ergibt sich die Haftung über die Verletzung einer Reaktionspflicht. Das „Pflegebetten“Urteil ändert insofern nichts an der Motivation des Herstellers, eine Gefahrenabwehr durchzuführen.

in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 6 ProdHaftG Rn. 12. in: FS für Müller, 173, 185. 634  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 127. 632  G. Wagner, 633  Stöhr,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

d) Zwischenergebnis Die „Pflegebetten“-Entscheidung hat die Haftungssituation des Herstellers nur im Detail verbessert, sonst aber nicht groß geändert. Sieht er von einem Rückruf ab, kann sich eine Einstandspflicht für verschuldete Produktfehler auch dann einstellen – insbesondere gegenüber Dritten –, wenn keine Rückrufpflicht besteht. Damit hat ein Hersteller weiterhin den Anreiz, einen Rückruf trotz fehlender gesetzlicher Verpflichtung durchzuführen. Lediglich bei Entwicklungsfehlern, für welche die Reaktionspflicht haftungsbegründend wirkt, haftet der Hersteller in einem geringeren Maße als früher. Die Erfüllung der Reaktionspflicht hat nicht automatisch zur Folge, dass der Hersteller von seiner Haftpflicht freigestellt wird. Der BGH deutet zwar an, dass eine Haftung gegenüber dem Produktnutzer, der die Gefahr steuern kann, regelmäßig entfällt, doch bleibt der Hersteller gegenüber der großen Gruppe der unbeteiligten Dritten weiterhin einstandspflichtig. Das gilt aber auch bei Produktnutzern, bei denen sich der Zugang einer Gefahrenabwehrmaßnahme nicht beweisen lässt. Damit kann ein Hersteller, der einer Warnpflicht unterliegt und jegliche Haftung vermeiden möchte, nur dann von einem Rückruf absehen, wenn sich die Produktnutzer eindeutig identifizieren lassen und nur diese gefährdet sind. In allen anderen Fällen setzt er sich dem Risiko einer Haftung aus. 2. Verhältnis von Hersteller und Zulieferer a) Problematik Es wurde bereits angedeutet, dass der naheliegende Schluss, ein Hersteller würde aufgrund der „Pflegebetten“-Rechtsprechung nun großflächig von Rückrufen absehen, zu kurz greift. Wohl mag der Hersteller rechtlich nicht mehr zur Durchführung eines (kostenlosen) Rückrufs verpflichtet sein, doch ist dieser Aspekt nicht der alleinige Parameter, der bei der Entscheidung für oder gegen einen Rückruf relevant ist. Wie im letzten Abschnitt dargelegt, impliziert eine fehlende Rückrufpflicht nicht, dass der Hersteller bei einem eintretenden Schaden von seiner Haftung befreit ist. Ein freiwilliger Rückruf kann aus dem Motiv durchgeführt werden, einer potentiellen Haftung vorzubeugen. Auch kann ein Rückruf als Marketingmaßnahme konzipiert und zur Erhaltung oder Verbesserung der Reputation notwendig sein. Vor allem Hersteller im oberen Preissegment, für die Kundenservice und Qualität wesentliche Wettbewerbsvorteile darstellen, werden bei ihren Kunden auf wenig Verständnis stoßen, wenn diesen anstelle eines Reparatur- oder Austauschangebots lediglich eine Warnung – eventuell mit einem Verweis auf die aktuelle



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung273

Rechtsprechung – zugesendet wird.635 Ein wirtschaftlich sinnvoll agierender Hersteller wird zumindest ein kostenpflichtiges Rückrufangebot, in Abhängigkeit von der Erwartungshaltung der Kunden gar einen kostenfreien Rückruf in Erwägung ziehen müssen. Zuletzt mögen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger angesichts des über ihnen schwebenden Damoklesschwertes der strafrechtlichen Haftung im Zweifel für einen Rückruf entscheiden.636 Es gibt somit gute Gründe, einen Rückruf durchzuführen, obwohl dazu keine gesetzliche Verpflichtung besteht. Dies wird für den Hersteller problematisch, wenn er den Produktfehler nicht oder nicht alleine zu vertreten hat. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Wertschöpfung in der Produktionskette von Zulieferern erbracht wird, tritt dieser Fall nicht selten ein. Der Hersteller kann von einem Zulieferer jedoch nur in dem Umfang Aufwendungsersatz verlangen, wie der Zulieferer gesetzlich verpflichtet war.637 Der Regress kann sich dann beispielsweise auf die Kosten für die Durchführung einer Warnaktion beschränken. Der Hersteller steht vor einer Entscheidung: Entweder orientiert er sich bei der Gefahrenabwehrmaßnahme an dem gesetzlich Geschuldeten und riskiert, dass er seine Kunden verärgert oder sich einer Haftung für eintretende Schäden aussetzt. Gleichzeitig bleibt der Kostenregress aber in voller Höhe möglich. Oder – und in der Praxis die Regel – er führt freiwillig eine über den gesetzlichen Umfang hinausgehende Maßnahme durch und nimmt in Kauf, dass er die Differenz der Kosten übernehmen muss, selbst wenn ein Zulieferer die Ursache der Produktgefahr gesetzt hat. Damit wird durch das „Pflegebetten“-Urteil die Position des Zulieferers gestärkt.638 Nach erfolgtem Rückruf kann er gegen Regressforderungen des Herstellers einwenden, dass die Maßnahme in jener Form nicht erforderlich gewesen wäre. Das Gleiche gilt, wenn Hersteller und Zulieferer nach erkanntem Produktfehler über das weitere Vorgehen diskutieren. Auch hier führt die Rechtsprechung des BGH dazu, dass sich das Kräfteverhältnis der Verhandlungspartner zu Gunsten des Zulieferers verschoben hat. Es zeigt sich deutlich, dass an dieser Stelle die tatsächliche Funktion des Deliktsrechts weniger der direkte Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem, sondern die Bestimmung der Regressvoraussetzungen ist. In Konsequenz kann das ver635  Burckhardt,

VersR 2007, 1601, 1606 f. gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die juristischen Anforderungen an einen Fehlerverdacht in der Regel geringer sind als die naturwissenschaftlichen Anforderungen, vgl. Veltins, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S.  84 f. 637  Siehe § 3 III. 6. 638  Auch Burckhardt, BB 2009, 627, 631 und E. Wagner, BB 2009, 2050, 2052 f. 636  Das

274

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

stärkt zu Konflikten zwischen Hersteller und Zulieferer führen, die, wenn vor Gericht ausgetragen, immerhin eine weitere Konturierung der Herstellerpflichten zur Folge haben würden.639 Auf der anderen Seite werden Hersteller darauf hinarbeiten, Regressansprüche gegen Zulieferer bei freiwilligen Rückrufen bereits vorab vertraglich abzusichern. Da ein Hersteller in der Regel eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber einem Zulieferer einnimmt und eher auf dessen Kostenbeteiligung bei Kulanzmaßnahmen bestehen kann, bleibt abzuwarten, ob sich die punktuelle Stärkung des Zulieferers auf lange Sicht bemerkbar machen wird.640 b) Vertragliche Absicherung der Rückrufrisiken? In Reaktion auf das „Pflegebetten“-Urteil wird Herstellern geraten, das Rückrufrisiko auf vertraglicher Ebene abzusichern.641 Mit einem Zulieferer könnte vereinbart werden, dass ein Kostenregress bei einer gesetzlich nicht geschuldeten Gefahrenabwehrmaßnahme weiterhin möglich ist, falls diese auf ein Teil des Zulieferers zurückzuführen ist. Individualvertraglich ist das durchaus möglich.642 Dem Zulieferer ist freilich anzuraten, eine solche Regelung genau zu prüfen, da er das Rückrufrisiko bei einer fehlenden gesetzlichen Verpflichtung nicht versichern kann.643 Auch wenn der Ansatz eine Lösung des Problems suggeriert, ist er in der Praxis wenig brauchbar. Grund hierfür ist das AGB-Recht, das auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr Anwendung findet. Zwar liegen nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB keine AGB vor, wenn eine Klausel zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt wird, doch stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Qualifizierung einer Klausel als Individualabrede.644 In der Praxis können diese Anforderungen in Vertragsverhandlungen zwischen Unternehmen selten oder nur mit erheblichem Aufwand erfüllt werden.645 Eine vertragliche Regressregelung unterliegt oftmals der Inhaltskontrolle des § 307 BGB, die von der Rechtsprechung im unternehmerischen Verkehr weitgehend nach denselben strengen Maßstäben wie bei Verbrau639  Burckhardt,

VersR 2007, 1601, 1608. bei R. Meier, VW 2009, 1111. 641  Burckhardt, BB 2009, 627, 631; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1052; E. Wagner, BB 2009, 2050, 2053. 642  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 96. 643  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 94. 644  BGH, NJW 2013, 856 Rn. 10; Basedow, in: Säcker et al., MünchKommBGB7, § 305 Rn. 35 m. w. N. 645  Lischek/Mahnken, ZIP 2007, 158, 160 ff.; Leuschner, NJW 2016, 1222, 1223. 640  Angedeutet



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung275

cherverträgen angewandt wird.646 Es ist davon auszugehen, dass eine Klausel, nach welcher ein Zulieferer die Kosten für einen Rückruf übernehmen muss, zu dem er nicht verpflichtet war, eine unangemessene Benachteiligung darstellt.647 Gleiches gilt, wenn bei der Kostenverteilung ein Verschuldensbeitrag des Herstellers unberücksichtigt bleibt.648 Selbst wenn der Zulieferer eine solche Klausel akzeptiert, ist sie im Regressfall unwirksam. Der Regress richtet sich stattdessen nach den gesetzlichen Vorschriften. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein solcher Fall eintreten wird. Viele Unternehmen – sowohl Hersteller als auch Zulieferer – unterschätzen den Anwendungsbereich und die Strenge der AGB-Kontrolle.649 Es ist durchaus denkbar, dass für eine umfassende rechtliche Würdigung einer Vertragsklausel im Tagesgeschäft kein Raum bleibt. Wird im Konfliktfall die Rechtsabteilung hinzugezogen, werden beide Parteien möglicherweise feststellen, dass die Kostenverteilung anders zu erfolgen hat, als es vermeintlich vertraglich fixiert wurde. Für den Hersteller ist das ein erhebliches Risiko. Es soll jedoch nachfolgenden Arbeiten überlassen werden, für dieses Problem eine Lösung zu finden. 3. Versicherung und Hersteller Die Musterbedingungen des GDV für eine Rückrufkosten-Versicherung sowohl für Kfz-Zulieferer als auch für Hersteller- und Handelsbetriebe knüpfen den Versicherungsfall an eine gesetzliche Verpflichtung zum Rückruf.650 Angesichts der dem „Pflegebetten“-Urteil zugrunde liegenden Aussage, dass eine Warnung in der Regel genüge, werden Versicherungen bei der Übernahme von Rückrufkosten zurückhaltender sein.651 Ähnlich wie für Zulieferer wird durch die Rechtsprechung auch die Position von Versicherungen gestärkt. Sollten die Musterbedingungen nicht an die neuen Gegebenheiten angepasst werden, müssen Hersteller, bei deren Geschäft gute Gründe für die Durchführung von Kulanzmaßnahmen sprechen, eine individuelle Regelung mit der Versicherung anstreben.652 646  BGH,

442.

NJW 2007, 3774, 3775 Rn. 11 f.; Lenkaitis/Löwisch, ZIP 2009, 441,

647  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 96; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 30. 648  Kreifels/Weide, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 62 Rn. 96; Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 20. 649  Leuschner, NJW 2016, 1222, 1224 f. 650  Ziff. 2 RückrKB-Kfz bzw. -HH. 651  Burckhardt, VersR 2007, 1601, 1607. 652  Burckhardt, BB 2009, 627, 631.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Die Verbindung des Versicherungsfalls mit einer gesetzlichen Verpflichtung eröffnet dem Hersteller aber einen Weg, bei einer Rückrufmaßnahme einen Teil der Kosten von seiner Versicherung erstattet zu bekommen, obwohl es an einer Rückrufpflicht im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB fehlt. In den Musterbedingungen heißt es nicht, dass die gesetzliche Verpflichtung zwingend zivilrechtlicher Natur sein muss. Für den Hersteller kann es daher sinnvoll sein, bei einem Produktfehler die zuständige Behörde zu informieren und auf einen angeordneten Rückruf hinzuarbeiten. Dadurch würde eine öffentlich-rechtliche Rückrufpflicht entstehen, durch welche der Versicherungsfall eintritt.653 Trotz fehlender zivilrechtlicher Pflicht müsste der Hersteller somit nicht alle Kosten schultern. Das unterliegt freilich Begrenzungen. Eine behördliche Anordnung etwa auf Grundlage des Produktsicherheitsgesetzes zielt nur auf die Rückgabe eines gefährlichen Produkts ab, nicht aber auf Nachrüstung, Reparatur oder Umtausch.654 Erstattungsfähig wären damit nur die logistisch bedingten Kosten eines Rückrufs wie Überprüfung und Transport der Produkte.655 Hinsichtlich dieses Aspekts kann es aber für den Hersteller von Vorteil sein, wenn eine Rückrufanordnung erfolgt.656 4. Produktnutzer a) Anzahl der Rückrufe Es ist anzunehmen, dass sich für Produktnutzer durch die „Pflegebetten“Entscheidung wenig ändert. Wie oben dargelegt,657 werden Hersteller immer noch Rückrufe durchführen, auch wenn keine Pflicht mehr dazu besteht. Der Produktnutzer wird nur dann eine Änderung wahrnehmen, wenn auf Herstellerseite ein Umdenken erfolgt und die Praxis der Kulanzmaßnahmen an die Rechtslage dahingehen angepasst wird, dass von (kostenlosen) Rückrufen zugunsten von Warnungen oder kostenpflichtigen Rückrufangeboten Abstand genommen wird.

653  Ziff. 1.1,

2 RückrKB-Kfz bzw. -HH. gibt kein „verwaltungsrechtliches Gewährleistungsrecht“, vgl. Schucht, in: Klindt, ProdSG, § 26 Rn. 166. 655  Vgl. Ziff. 3.2 ff. RückrKB-Kfz bzw. -HH. 656  Lüftenegger, DAR 2016, 122, 124 f. 657  Siehe § 6 I. 2. a). 654  Es



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung277

b) Haftungssituation Der Produktnutzer hat die jedermann obliegende Verkehrssicherungspflicht, mit gefährlichen Sachen vorsichtig umzugehen.658 Daran ändert die „Pflegebetten“-Rechtsprechung nichts. Sie konkretisiert das Haftungsverhältnis zwischen Hersteller und Zulieferer nur insofern, als dem gewarnten Produktnutzer die Hauptverantwortung für die Gefahrensteuerung zugeordnet wurde. Dieser Aspekt ist bei einer Abwägung der Verschuldensteile von Hersteller und Produktnutzer zu berücksichtigen.659 Im Rahmen der Abwägung stellt sich die Frage, ob jenseits des § 254 BGB noch weitere Aspekte zu beachten sind. Haftet der Produktnutzer neben dem Hersteller wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, treffen sich Verschuldens- und Gefährdungshaftung, wenn der Hersteller nach § 1 ProdHaftG haftet. In § 840 Abs. 2, 3 BGB wird der Grundgedanke normiert, dass derjenige, der wegen erwiesenem Verschulden haftet, im Innenverhältnis gegenüber demjenigen, der lediglich aus Gefährdungshaftung oder vermutetem Verschulden haftet, den ganzen Schaden zu schultern hat.660 Ausdrücklich davon betroffen sind nur die §§ 831 f. BGB und die §§ 833–838 BGB. Aufgrund deren Unterschiedlichkeit lehnen Rechtsprechung und Literatur eine analoge Anwendung der Regel auf andere Fälle von Haftungsunterschieden ab.661 Damit muss der Produktnutzer, der gegenüber einem Dritten aus § 823 Abs. 1 BGB haftet, gegenüber einem Hersteller, der nach der Gefährdungshaftung des Produkthaftungsgesetzes haftet, nicht prinzipiell den Schaden im Innenverhältnis voll übernehmen. Wohl aber wird vertreten, dass der Gedanke bei der Abwägung im Rahmen von § 254 BGB zu Lasten des Produktnutzers zu berücksichtigen wäre.662 Dem ist jedoch nur für die Konstellation zuzustimmen, dass der verantwortliche Hersteller alleinig aus § 1 ProdHaftG, nicht aber aus § 823 Abs. 1 BGB haftet.663 Denn die Privilegierung des aus Gefährdungshaftung Verpflichteten ist nicht angemessen, wenn er gleichzeitig aus nachgewiesenem Verschulden haftet.664 Bei der Abwägung 658  Vgl. Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, §  27 Rn.  17 m. w. N. 659  Siehe § 6 I. 1. 660  Sprau, in: Palandt, BGB, § 840 Rn. 10. 661  BGH, NJW 1952, 1015, 1016; BGH, NJW 1956, 1067, 1068; Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 840 Rn. 18; Sprau, in: Palandt, § 840 Rn. 10; G. Wagner, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 840 Rn. 21. 662  Für die Produkthaftung Stöhr, in: FS für Müller, 173, 185. Allgemein für ein Aufeinandertreffen von Verschuldens- und Gefährdungshaftung Sprau, in: Palandt, § 840 Rn. 10. 663  Das ist nur bei einem Ausreißer der Fall. 664  Spindler, in: Bamberger/Roth, BeckOK-BGB, § 840 Rn. 21.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

der Verschuldensanteile zwischen Produktnutzer und Hersteller sind insofern keine Besonderheiten zu beachten. Voraussetzung einer Haftung des Produktnutzers bleibt aber immer, dass er die Gefährlichkeit des Produkts wahrgenommen hat oder wahrnehmen musste. Ist ihm das nicht nachzuweisen, haftet er gegenüber Dritten nicht.

II. Übertragung auf besondere Konstellationen Zu erörtern ist, inwieweit sich aus den Ausführungen des „Pflegebetten“Urteils ableiten lässt, welchen Umfang die Reaktionspflicht des Herstellers bei in der Praxis auftretenden Situationen annehmen wird. Unterschieden werden soll zwischen b2b- („business-to-business“) und b2c- („business-toconsumer“) Konstellationen. Darüber hinaus wird angesichts der Bedeutung und Häufigkeit von Rückrufen in der Automobilbranche das Verhältnis zwischen Fahrzeughersteller und -halter gesondert betrachtet. In der vorliegenden Arbeit erfolgt die Abgrenzung zwischen b2b und b2c anhand der Frage, in welchem Kontext das Produkt ge- oder verbraucht wird. Nicht gemeint ist die Unterscheidung zwischen Verbraucher und Unternehmer nach §§ 13, 14 BGB.665 In einem b2b-Fall erfolgt die Nutzung durch einen „professionellfachkundigen Anwender“666 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit, in einem b2c-Fall durch einen unbedarften Laien.667 Eine Produktnutzung in einem b2b-Kontext erfolgt meist gewerblich, freiberuflich oder im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge,668 beispielsweise durch den mittelständischen Handwerker, den Maschinenbauer im Konzern oder die Krankenschwester im Krankenhaus. Nutzen diese Personen hingegen ein Produkt außerhalb ihres beruflichen Zuständigkeitsbereichs, handeln sie als Laien in einem b2c-Kontext. Im „Pflegebetten“-Fall sah der BGH die Effektivität der Warnung deswegen als gewährleistet an, weil die professionellen Produktnutzer – die Pflegekassen, welche die Betten zur Verfügung stellten – einer eigenen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung unterstanden, die Pflegebedürftigen vor Gefahren zu schützen. Auch war nicht anzunehmen, dass die Pflegekassen ihren Pflichten nicht nachgekommen wären.669 Als Untersuchungsgegenstand wird deswegen die Effektivität der Gefahrenabwehr herangezogen, die 665  Die Unterscheidung ist nicht allgemeingültig, anders etwa im Kontext des Verbrauchsgüterkaufs S. Lorenz, in: Säcker et al., MünchKomm-BGB7, § 474 Rn. 18. 666  Der Begriff wird verwendet von Kettler, VersR 2009, 272, 275. 667  Ähnlich Lenz, in: van Bühren, Versicherungsrecht, § 12 Rn. 208. 668  Burckhardt, PHi 2009, 47, 49. 669  BGH, NJW 2009, 1080, 1082 Rn. 16.



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung279

entscheidend von der Identifikationsmöglichkeit des Produktnutzers und dessen eigenen Pflichten gegenüber Dritten abhängt.670 Freilich kann es dabei nicht um absolute „wenn, dann“-Korrelationen gehen, sondern um Tendenzen, die bei der Einzelfallentscheidung zu berücksichtigen sind. Doch ist beispielsweise für jeden Fall die grundlegende Einschätzung zu treffen, ob die Schwelle für einen kostenlosen Rückruf überschritten oder ob der Pflichtenumfang eher zwischen einer Warnung und einem kostenpflichtigen Rückrufangebot anzusiedeln ist. Hierzu können durchaus verallgemeinernde Einschätzungen getroffen werden. 1. b2b-Konstellationen a) Identifikation des Produktnutzers Wenn sich in einer b2b-Branche der Weg eines Produkts zum Produktnutzer etwa mittels Auftragsdokumentation oder Kundendatenbank nachvollziehen lässt, ist dieser in den meisten Fällen eindeutig identifizierbar. Dann gilt die Aussage des BGH, dass es bei bekannten oder zumindest ermittelbaren Abnehmern vielfach genügt, eine Warnung oder ein kostenpflichtiges Nachrüstangebot auszusprechen.671 Eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf ist in dieser Konstellation unwahrscheinlich geworden. Davon sind vor allem Hersteller betroffen, die spezialisierte Produkte für einen überschaubaren Abnehmerkreis herstellen, die in Auftragsarbeit nur einen Abnehmer beliefern oder deren Produkt gesonderte Anforderungen an die (Auftrags-)Dokumentation – etwa aufgrund der Wichtigkeit des Kundendiensts – stellt. Lässt sich der Produktnutzer hingegen nicht identifizieren, bleibt Raum für eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf. b) Pflichten des Produktnutzers Zu klären ist, welche Schutzpflichten in einem b2b-Kontext allgemein bestehen672 und ob sich eine Aussage dazu treffen lässt, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Pflichten befolgt werden.

670  Siehe

§ 5 II. 4. b) und c). NJW 2009, 1080, 1081 Rn. 13. 672  Die folgenden Gedanken bauen auf Klindt, BB 2009, 792, 794 und Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 4 ff. auf, von denen einige der aufgelisteten Beispiele stammen. 671  BGH,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

aa) Gegenüber Arbeitnehmern Schutzpflichten können sich zunächst gegenüber den Arbeitnehmern im Betrieb des Produktnutzers ergeben. Dabei ist primär an das öffentliche Arbeitsschutzrecht zu denken. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)673 als dessen „allgemeiner Teil“ legt fest, dass die grundsätzliche Verantwortung für den Arbeitsschutz beim Arbeitgeber liegt.674 Ihn trifft eine umfassende arbeitsschutzrechtliche Pflicht zur Gefahrenvorsorge.675 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG muss der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um Arbeitsunfälle zu vermeiden. Satz 2 verlangt weiterhin, dass die Maßnahmen, wenn erforderlich, veränderten Gegebenheiten angepasst werden. Wenn das Produkt als Arbeitsmittel eingesetzt wird, postuliert § 4 Abs. 1 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)676 es als eine der Grundpflichten des Arbeitgebers, dass Arbeitsmittel nur dann verwendet werden dürfen, wenn der Arbeitgeber festgestellt hat, dass deren Verwendung sicher ist. Weiter verpflichtet ihn § 10 Abs. 1 BetrSichV zu Instandhaltungsmaßnahmen, die bei Notwendigkeit unmittelbar durchzuführen sind, und dem Treffen erforderlicher Schutzmaßnahmen. Weitere Schutzpflichten können sich aus der Natur oder der Funktion des Produkts ergeben. Beispielsweise hat der Arbeitgeber im Zusammenhang mit Gefahrenstoffen nach § 7 Abs. 2, 4 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)677 sicherzustellen, dass Gesundheit und Sicherheit seiner Beschäftigten nicht gefährdet werden. Weitere Schutzmaßnahmen ergeben sich aus §§ 8  ff. GefStoffV. Ein Beispiel für ein Produkt, aus dessen Funktion sich Schutzpflichten ergeben, ist persönliche Schutzausrüstung (PSA), deren Handhabe wiederum in der PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV)678 eigens geregelt ist. Nach § 2 Abs. 1 PSA-BV darf der Arbeitgeber nur funktionsfähige und sichere Schutzausrüstungen bereitstellen. Zusätzlich ist er nach § 2 Abs. 4 PSA-BV verpflichtet, durch Reparatur- und Ersatzmaßnahmen den notwendigen Zustand der Ausrüstung sicherzustellen. Die gleiche Pflicht ergibt sich bei Gefahrenstoffen aus § 7 Abs. 6 Nr. 3 GefStoffV. Zuletzt ergeben sich aus zivilrechtlicher Perspektive Schutzpflichten aus § 823 Abs. 1 BGB und aus dem Arbeitsvertrag. Öffentlich-rechtliche Arbeits673  Arbeitsschutzgesetz

vom 07.08.1996, BGBl. I S. 1246. NJW 1996, 2753, 2754. 675  Faber, S.  72 ff., 84 f. 676  Betriebssicherheitsverordnung vom 03.03.2015, BGBl. I S. 49. 677  Gefahrstoffverordnung vom 26.10.2010, BGBl. I S. 1643, 1644. 678  PSA-Benutzungsverordnung vom 04.12.1996, BGBl. I S. 1841. 674  Vogl,



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung281

schutznormen sind gleichzeitig Vertragspflichten des Arbeitgebers679 und zumeist auch Schutzgesetze zugunsten des Arbeitnehmers im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.680 bb) Gegenüber der Allgemeinheit Aus Spezialgesetzen lassen sich Betreiberpflichten für bestimmte Produktgruppen entnehmen, die auf den Schutz Dritter gerichtet sind. Das gilt etwa für Medizinprodukte. Nach § 2 Abs. 5 Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV)681 hat sich der Anwender eines Medizinprodukts vor dessen Anwendung von der Funktionsfähigkeit und dem ordnungsgemäßen Zustand des Medizinprodukts zu überzeugen. Auch muss er beigefügte sicherheitsbezogene Informationen beachten. Für eine nachträgliche Warnung kann nichts anderes gelten. In § 4 MPG682 wird weiter das Verbot postuliert, Medizinprodukte zu betreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, dass die Sicherheit der Patienten, Anwender oder Dritter über das vertretbare Maß hinaus gefährdet wird. Vergleichbare Betreiberpflichten finden sich in anderen Spezialgesetzen. Der Betrieb einer „Anlage“ im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG)683 ist mit bestimmten Auflagen verbunden, um schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden. Vom Anwendungsbereich ist unter anderem das weite Feld von Betriebsstätten, Maschinen und Kraft-, Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeugen erfasst.684 Insbesondere muss der Betreiber nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG Vorsorgemaßnahmen gegen Gefahren treffen. Die Übermittlung einer Warnung an den Betreiber der Anlage wird in jedem Fall eine Pflicht zur Durchführung von Vorsorgemaßnahmen – und sollte es nur die Einstellung des Gebrauchs einer Maschine sein – auslösen. Als weiteres, eher exotisches Beispiel685 sei das Schiffssicherheitsgesetz (SchSG)686 genannt, das in § 3 Satz 1 SchSG vorgibt, beim Betrieb eines Schiffes die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter und der Umwelt zu treffen. Für den professionellen Produktnutzer können sich weitere Pflichten zum Schutz der Allgemeinheit aus den Spezialgesetzen der Produktsicherheit erin: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 611 Rn. 452. in: Säcker et al., MünchKomm-BGB6, § 611 Rn. 451. 681  Medizinprodukte-Betreiberverordnung vom 21.08.2002, BGBl. I S. 3396. 682  Vgl. Teil 1 Fn. 448, Seite 95. 683  Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 17.05.2013, BGBl. I S. 1274. 684  Zum Begriff der „Anlage“ vgl. Thiel, in: Beckmann et al., Umweltrecht, § 3 BImschG Rn.  82 ff. 685  Nach Klindt, BB 2009, 792, 794 Fn. 17. 686  Schiffssicherheitsgesetz vom 09.09.1998, BGBl. I S. 2860. 679  Müller-Gölge, 680  Müller-Gölge,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

geben. Diese sind einschlägig, wenn ein erworbenes Produkt A bei der Herstellung eines anderen Produkts B, das einem der Spezialgesetze zuzuordnen ist, eingesetzt wird. Ist Produkt A fehlerhaft und nicht mehr in der Lage, den nachgelagerten Sicherheitspflichten für die Herstellung von Produkt B gerecht zu werden, muss der Produktnutzer reagieren, um die Sicherheitsauflagen der Spezialgesetze wieder einhalten zu können. Die Zahl dieser Spezialgesetze ist unüberschaubar groß und wächst ständig weiter.687 Hier sei stellvertretend an die zentrale Norm des § 3 ProdSG erinnert, nach welcher nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht werden dürfen. Als weiteres Beispiel, das außerhalb des Anwendungsbereichs des Produktsicherheitsgesetzes liegt,688 sei das Lebensmittelrecht herangezogen, welches einen der größten Wirtschaftszweige Deutschlands reguliert. Das wesentliche deutsche Basisgesetz hierfür ist die Lebensmittel-Basis-Verordnung (BasisVO)689, unter deren Schirm eine Vielzahl weiterer Verordnungen, Gesetze, Entscheidungen und Verwaltungsvorschriften steht.690 Gemäß Art. 14 Abs. 1 BasisVO ist das Inverkehrbringen von Lebensmitteln verboten, die nicht sicher sind. Entspricht ein Lebensmittel nicht den Anforderungen, ist der Lebensmittelunternehmer nach Art. 19 Abs. 1 BasisVO dafür verantwortlich, dass es vom Markt genommen wird und die zuständigen Behörden informiert werden. Diese Pflichten treffen ihn auch dann, wenn lediglich Verdachtsmomente bestehen – also insbesondere nach einer erfolgten Warnung. Weiter unterliegt der im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Daseinsvorsorge tätige Produktnutzer eigenen Gefahrabwendungspflichten gegenüber Dritten.691 Ein Beispiel liefert das „Pflegebetten“-Urteil, in dem der BGH von der sozialversicherungsrechtlichen Schutzpflicht der Pflegekassen aus § 40 Abs. 3 Satz 3 SGB XI schloss, dass eine effektive Gefahrenabwehr sichergestellt wäre. Zivilrechtliche Schutzpflichten gegenüber Dritten können sich für den professionellen Produktnutzer aus Delikt692 und, falls zu dem Dritten ein entsprechendes Verhältnis besteht, aus Vertrag ergeben. Abgeleitet werden sie aus der allgemeinen Pflicht, in höherem Maß Fürsorge walten zu lassen, wenn bei 687  Auszugsweise Auflistung bei Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 32 Rn. 11 ff. 688  § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 ProdSG. 689  Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. Nr. L 31/1. 690  Kritisch zur Überregulierung Werner, LMuR 2006, 63, 64 ff. 691  Burckhardt, BB 2009, 627, 630. 692  Gegebenenfalls kann sich dazu die Verantwortung aufgrund eines Gefährdungshaftungstatbestands gesellen.



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung283

Ausübung der beruflichen Tätigkeit Dritte gefährdet werden können.693 Bereits das Reichsgericht postulierte diese Pflicht indirekt in der Aussage, dass der Berufstätige die Verantwortung dafür übernehme, dass bei seiner Tätigkeit ein geordneter Verlauf der Dinge sichergestellt ist.694 Diese Pflicht konkretisiert sich beispielsweise dahingehend, dass im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ein Produkt nur bestimmungsgemäß unter Beachtung der Warnhinweise des Herstellers zu verwenden ist.695 Auch ergeben sich in höherem Maße Schutzpflichten, wenn ein Produkt Dritten vermietet, verpachtet oder anderweitig zur Verfügung gestellt wird.696 Beispiele hierfür sind das Betreiben von Freizeitanlagen oder Erlebnisparks,697 das Betreiben einer Straßenbahn698 oder das Vermieten von Ski-Ausrüstung.699 Den professionellen Produktnutzer treffen weiterhin gesteigerte Sorgfaltsanforderungen, wenn sich ihm der Verdacht eines Produktfehlers aufdrängt oder sich Auffälligkeiten zeigen, die für ihn nicht beherrschbar sind oder bei denen das Gefährdungspotential nicht einschätzbar ist. Der weitere Gebrauch ist dann einzustellen.700 Das muss umso mehr gelten, wenn der Produktnutzer durch eine Warnung des Herstellers über die Gefährlichkeit eindeutig informiert wurde. cc) Pflichtenwahrnehmung Die Effektivität der Gefahrenabwehr hängt nicht nur von der Existenz einer gleichlaufenden Schutzpflicht ab, sondern auch davon, ob dieser Pflicht gefolgt wird. Bei einem professionellen Produktnutzer ist grundsätzlich davon auszugehen.701 In einem beruflichen Kontext ist eine gewisse Kompetenz zu unterstellen. Das äußert sich beispielsweise darin, dass Instruktionspflichten gegenüber einem professionellen Produktnutzer einen geringeren Umfang annehmen als bei einem Laien,702 oder dass ersterer gesteigerten Sicherungspflichten unterliegt. Von einem professionellen Produktnutzer ist 693  Burkhardt, PHi 2009, 47, 49; Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 5. 694  RGZ 102, 372, 374 f. 695  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 6. 696  Folgende Beispiele nach Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 11. 697  BGH, NJW 2008, 3775 ff.; BGH, NJW 2008, 3778 ff. 698  OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 1243, 1244. 699  Huber, NJW 1980, 2561. 700  BGH, VersR 1963, 860 f. 701  Burkhardt, BB 2009, 627, 630; Handorn, MPR 2009, 37, 42; Kettler, VersR 2009, 272, 275; Schmidt, S. 57. 702  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 24 Rn. 7, 234, 297; Kullmann, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 1520 S. 46 f.

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

damit grundsätzlich ein rechtstreues Verhalten zu erwarten.703 Dies wird oftmals auch auf organisatorischer Ebene unterstützt, etwa wenn Unternehmen einem Geflecht von Compliance-Regeln und Strukturen zu deren Einhaltung unterliegen, welche pflichtwidriges Verhalten verhindern sollen.704 dd) Zwischenergebnis Da der professionelle Produktnutzer selbst einem Geflecht an Pflichten unterliegt, die ihm eine Gefahrenabwehr abverlangen, beschränkt sich der Pflichtenumfang des Herstellers ihm gegenüber häufig auf eine Warnung.705 Dadurch werden die eigenen Abwehrpflichten des Produktnutzers aktiviert, wodurch eine effektive Gefahrenabwehr, wie vom BGH verlangt, gewährleistet wird. Das gilt umso mehr, wenn die Produktnutzer identifizierbar oder nur diese gefährdet sind. Je nach Einzelfall kann der Pflichtenumfang dahingehend erweitert werden, dass der Hersteller eine Nachrüstung des fehlerhaften Produkts kostenpflichtig anbietet und gegebenenfalls die zuständigen Behörden informiert. Das ist insbesondere in drei Fällen anzunehmen: Erstens, wenn es eine Warnung nicht zu leisten vermag, dem Produktnutzer eine Gefahrenabwehr zu ermöglichen.706 Zweitens, wenn hochrangigen Rechtsgütern des Produktnutzers oder Dritten eine zumindest nicht unwesentliche Gefahr droht und durch das Hinzukommen eines weiteren Faktors eine effektive Gefahrenabwehr erschwert ist. Ein solcher Faktor wäre, dass die Identität der Produktnutzer nicht bekannt ist, oder dass eine Nachrüstung für den Produktnutzer nur mit großen Mühen, für den Hersteller hingegen erheblich leichter durchzuführen ist. Da sich die Verantwortung des Herstellers direkt proportional zur drohenden Gefahr verhält, äußert sich eine erhöhte Gefährdung in einem erhöhten Pflichtenumfang. Der Hersteller hat dann den Produktnutzer nach Kräften zu unterstützen, damit dieser seiner Verantwortung der Gefahrenabwehr nachkommen kann.707 Drittens, wenn hochrangige Rechtsgüter in großem Maße gefährdet sind. Auch hier erhöht eine große Gefahr den Pflichtenumfang des Herstellers. Zu diesen drei Hauptfällen gesellen sich die weiter oben abgeleiteten Fallgruppen, deren Auftreten aber eher eine Ausnahme darstellt.708 703  Molitoris,

NJW 2009, 1049, 1051 f. VersR 2009, 272, 275. 705  Bomsdorf, FD-HGR 2009, 275573; Burkhardt, PHi 2009, 47, 49; R. Meier, VW 2009, 1111; Schmidt, S. 57; Veltins, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S. 84. Rückrufpflichten gänzlich verneinend Klindt, BB 2009, 272, 274. 706  Siehe § 5 III. 2. 707  Siehe § 5 II. 4. d). 708  Siehe § 5 III. 704  Kettler,



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung285

Eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf ist gegenüber dem professionellen Nutzer hingegen so gut wie ausgeschlossen. Sie wäre nur denkbar, wenn der Hersteller aufgrund der Umstände des Einzelfalls davon auszugehen hat, dass der Produktnutzer der Warnung oder dem kostenpflichtigen Rückrufangebot nicht folgen und seiner Verantwortung für die Gefahrenabwehr nicht nachkommen kann. Ein Beispiel wäre, wenn der Produktnutzer im Rahmen einer Insolvenz handlungsunfähig geworden ist. Jenseits dieser Grenze lassen sich auf Grundlage des Deliktsrechts jedoch keine weitergehenden Pflichten ableiten. Der Hersteller hat seinen Beitrag zur effektiven Gefahrenabwehr zu leisten, er hat sie aber nicht um jeden Preis zu garantieren. Auf das Produkt bezogen ist die Verantwortung des Herstellers auf das Gewährleistungsrecht beschränkt. Hinzu kommt, dass die Annahme fragwürdig ist, ein kostenloser Rückruf würde im Vergleich zu einem kostenpflichtigen Rückruf eine erheblich höhere Beteiligungsquote nach sich ziehen und damit die Effektivität der Gefahrenabwehr wesentlich steigern.709 Der Fall, dass sich ein Produktnutzer absichtlich einer Gefahrenabwehrmaßnahme widersetzt, löst deswegen keine Pflicht zum kostenlosen Rückruf aus. Auch würde sonst der rechtsuntreue Produktnutzer belohnt werden. Vielmehr geht die Haftung für etwaige Schäden auf den Produktnutzer über.710 Tritt der sicherheitsrelevante Fehler innerhalb der Gewährleistungsfristen auf, besteht zusätzlich im Rahmen der Gewährleistungsrechte die Pflicht zum kostenlosen Rückruf für den Vertragspartner des Produkteigen­ tümers. 2. b2c-Konstellationen a) Identifikation des Produktnutzers Hier gilt das Gleiche wie für den professionellen Produktnutzer. Lassen sich die Produktnutzer identifizieren, ist der Pflichtenumfang in jedem Fall unterhalb des kostenlosen Rückrufs anzusiedeln. Eine Warnung genügt in der Regel. Wenn erforderlich, kann auch eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf bestehen oder die Involvierung der zuständigen Behörden notwendig werden.711 Jedoch ist ein b2c-Fall typischerweise davon geprägt, dass Erwerber und Standort des Produkts nicht bekannt sind. Insbesondere bei Massenprodukten dürfte die Nachverfolgbarkeit eines Produkts höchstens bis zum Letztverkäu709  Burckhardt,

PHi 2009, 47, 50. Siehe § 1 II. 4. § 6 I. 4. b). 711  Auch Burckhardt, PHi 2009, 47, 49. 710  Siehe

286

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

fer reichen.712 In solchen Fällen bleibt die Pflicht zum kostenlosen Rückruf weiterhin möglich.713 b) Pflichten des Produktnutzers Spezialgesetzliche Pflichten sind bei einem privaten Verbraucher, der ein Produkt außerberuflich nutzt, kaum zu erwarten.714 Auch wenn ihn keine berufsspezifischen Anforderungen treffen, besteht für ihn wie für jedermann die allgemeine Verkehrssicherungspflicht, einen sorgfältigen Umgang mit gefährlichen Sachen zu wahren. Er hat somit ein Produkt mit der im Verkehr zu erwartenden Sorgfalt zu gebrauchen, damit Dritte nicht gefährdet werden.715 Das Bestehen einer Pflicht impliziert nicht zwingend deren Befolgung und eine effektive Gefahrenabwehr. Anders als bei einem professionellen Produktnutzer ist eher mit einem Fehlverhalten zu rechnen.716 Wie gezeigt wurde,717 kann das für den Pflichtenumfang des Herstellers jedoch nur dort relevant werden, wo das fehlerhafte Produkt auch Dritte gefährdet. Auch wenn zu diskutieren wäre, inwieweit die Effektivität der Gefahrenabwehr und damit der Pflichtenumfang des Herstellers von der Laune des unbekannten Produktnutzers, einer Warnung Folge zu leisten, abhängig gemacht werden sollte,718 kann nach den Maßstäben des BGH im „Pflegebetten“-Urteil der Pflichtenumfang des Herstellers bei einer Drittgefährdung über eine Warnung hinausgehen. c) Zwischenergebnis Bei identifizierbaren Produktnutzern genügt auch in einem b2c-Kontext regelmäßig eine Warnung. Das gilt vor allem, wenn nur die Produktnutzer gefährdet werden. Eine Erweiterung des Pflichtenumfangs auf ein kostenpflichtiges Rückrufangebot kann sich für die Fälle ergeben, die bereits im b2b-Kontext erörtert wurden. Weitergehende Pflichten können sich auch bei Massenprodukten mit schwer identifizierbaren Produktnutzern und bei der 712  Handorn,

MPR 2009, 37, 43. FD-HGR 2009, 275573; R. Meier, VW 2009, 1111. 714  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 17; Kettler, VersR 2009, 272, 275. 715  Foerste, in: Foerste/von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, § 27 Rn. 17; Handorn, MPR 2009, 37, 43; Klindt, BB 2009, 792, 795; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1051. 716  Kettler, VersR 2009, 272, 275. 717  Siehe § 5 II. 4. e). 718  Kritisch Klindt, BB 2009, 792, 795. Vgl. auch § 5 IV. 713  Bomsdorf,



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung287

Gefährdung Dritter ergeben. Wann eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf konkret erforderlich wird, lässt sich den Urteilsausführungen hingegen nicht entnehmen. 3. Automobilbranche a) Bedeutung von Rückrufen In der Automobilbranche sind Rückrufe ein häufig anzutreffendes Phänomen. Befeuert durch ein reges Medieninteresse, sind sie für Produktnutzer und Öffentlichkeit leicht wahrnehmbar. Allein in Deutschland wurden 2014 1,9 Millionen Fahrzeuge in mehr als 230 Rückrufaktionen zurückbeordert.719 Diese Zahlen lassen sich auf mehrere Ursachen zurückführen.720 Als komplexes Produkt ist ein Kraftfahrzeug fehleranfällig. Dies wird begünstigt durch immer kürzer werdende Entwicklungszyklen. Ein sicherheitsrelevanter Fehler gefährdet regelmäßig hochrangige Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit des Fahrers und Dritter, ebenso wie hohe Sachschäden verursacht werden können. Auch haftet ein Fehler selten nur Einzelstücken, sondern regelmäßig ganzen Serien an. Aufgrund der engen Verflechtungen in der Branche greifen verschiedene Hersteller oftmals auf den gleichen Zulieferer zurück.721 Das Gefahrenpotential eines fehlerhaften Teiles erstreckt sich dann auf mehrere Modelle. Die Zulieferer wiederum sehen sich einem hohen Kosten- und Wettbewerbsdruck ausgesetzt, welcher unsauberes Arbeiten begünstigt.722 Ein Ende dieser Entwicklungen ist nicht in Sicht. Waren Rückrufe früher auf mechanische Ursachen zurückzuführen, werden sich in Zukunft die meisten Rückrufe auf die Elektronik beziehen.723 Zuletzt sind Autos einem mittel- bis hochpreisigen Produktsegment zuzuordnen, in dem guter Kundenservice und makelloses Firmenimage zur Produktstrategie gehören. Die Bedeutung von Rückrufen in der Automobilbranche lässt sich daran festmachen, dass eine Rückrufkosten-Versicherung zunächst nur für den Automobilbereich eingeführt wurde. Auch kann man hier die Entwicklung exemplarisch beobachten, dass das Produktrisiko mehr dem Hersteller als dem Produktnutzer zugeordnet wird724 und ein kostenfreier Rückruf von Kundenseite auch bei verstrichener Gewährleistungsfrist oftmals erwartet wird.725 719  Kraftfahrt-Bundesamt,

Jahresbericht 2013/2014, S. 63. Helmig, PHi 2015, 56 f. 721  Süddeutsche Zeitung, 18.01.2015. 722  Süddeutsche Zeitung, 05.04.2014. 723  Süddeutsche Zeitung, 18.01.2015. 724  Siehe § 1 III. 1. b). 725  R. Meier, VW 2009, 1111. 720  Ausführlich

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Angesichts der „Pflegebetten“-Entscheidung ist die Frage zu stellen, ob die vorherrschende Rückrufpraxis der Automobilbranche sich vom geltenden Haftungsrecht entfernt hat. b) Besondere Ausgangsvoraussetzungen Zwar handelt es sich oftmals – aber nicht immer zwingend – um einen b2c-Fall, bei dem, wie oben dargestellt,726 eine kostenlose Rückrufpflicht möglich ist. Doch wohnt jedem Fall die Besonderheit inne, dass sich die Produktnutzer über das zentrale Fahrzeugregister leicht identifizieren lassen und es gesichert ist, dass eine Gefahrenabwehrmaßnahme den Produktnutzer erreicht. Über das Einschalten des Kraftfahrt-Bundesamts kann zusätzlich gewährleistet werden, dass dem Kfz-Halter, der sich nicht an einer Nachrüstaktion beteiligt, die Betriebserlaubnis entzogen wird. Der gewarnte oder zur Nachrüstung aufgeforderte Produktnutzer unterliegt darüber hinaus eigenen Gefahrabwendungspflichten. Neben der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB727 und gegebenenfalls Pflichten aus dem b2bBereich unterliegt jeder Teilnehmer des Straßenverkehrs nach § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO728 der Pflicht, nur verkehrssichere Fahrzeuge in Betrieb zu nehmen. Weiter ist er nach § 17 Abs. 1 StVZO729 verpflichtet, ein Betriebsverbot oder eine Betriebsbeschränkung zu beachten. Verantwortlich sind sowohl nach § 31 StVZO der Fahrzeughalter als auch nach § 23 StVO der Fahrer. Auch riskiert der gewarnte Produktnutzer bei Weiterbetrieb den Verlust seines Versicherungsschutzes sowie strafrechtliche Konsequenzen.730 c) Zwischenergebnis Bei Abgleich dieser Ausgangsvoraussetzungen mit den vom BGH aufgestellten Prinzipien wird deutlich, dass der Kfz-Hersteller selbst bei erheblichen Gefahren nicht zu einem kostenfreien Rückruf verpflichtet sein kann.731 Die Identifizierbarkeit der Produktnutzer rückt deren Verantwortung zur Ge726  Siehe

§ 6 II. 2. c). Greger, in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 14

727  Hierzu

Rn.  1, 58 f. 728  Straßenverkehrs-Ordnung vom 06.03.2013, BGBl. I S. 367. 729  Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 26.04.2012, BGBl. I S. 679. 730  Helmig, PHi 2015, 56, 60. 731  Lüftenegger, DAR 2016, 122, 123; Molitoris, NJW 2009, 1049, 1050. Die gleiche Wertung findet sich auf der Internetpräsenz des ADAC unter https://www. adac.de/infotestrat/fahrzeugkauf-und-verkauf/neufahrzeuge/neuwagenkauf/produkt haftung-kostentragung/default.aspx, abgerufen am 25.07.2017.



§ 6  Implikationen der „Pflegebetten“-Rechtsprechung289

fahrenabwehr in den Vordergrund.732 Die Kompetenzen des Kraftfahrt-Bundesamts gewährleisten darüber hinaus die Effektivität der Gefahrenabwehr: Ein Auto, dessen Fahrer die Betriebserlaubnis entzogen wurde, darf nicht mehr im Straßenverkehr benutzt werden und gefährdet so keine Dritte. Setzt sich der Fahrzeughalter darüber hinweg, handelt er pflichtwidrig und muss für etwaige Schäden selbst haften. All dies macht einen kostenfreien Rückruf nicht mehr erforderlich. Fraglich bleibt aber, ob ein Kfz-Hersteller bereits mit einer Warnung seine Pflichten ausreichend erfüllt oder ob er nicht zusätzlich eine kostenpflichtige Nachrüstung anbieten muss. Bei Anwendung der Leitlinien des „Pflegebetten“Urteils kommt man zunächst zu dem Ergebnis, dass eine Warnung ausreichen muss.733 Zum einen ist gesichert, dass diese den Produktnutzer erreicht, zum anderen kann der Produktnutzer die Gefahr durch Nutzungsverzicht beheben. Wenn alleinig der Produktnutzer gefährdet ist, kann dem zugestimmt werden. Eine Warnung versetzt den Produktnutzer in die Lage, sein Integritätsinteresse effektiv zu schützen. Weitere Maßnahmen würden sein Äquivalenzinteresse berühren. Werden jedoch neben dem Produktnutzer auch Dritte gefährdet – was in vielen Fällen vorliegt –, erweitert sich der Pflichtenumfang des Herstellers auf ein kostenpflichtiges Nachrüstungsangebot. Dieses wird erforderlich, da nicht mehr nur das Integritätsinteresse des Produktnutzers, sondern auch das Integritätsinteresse Dritter geschützt werden muss. Eine gänzliche Verlagerung der Produktverantwortung auf den Produktnutzer ist wegen der erhöhten Gefahr und der Tatsache, dass der Hersteller die Ursache der Gefahr gesetzt hat, nicht sachgerecht.734 Dennoch ist eine Beschränkung des Pflichtenumfangs auf eine Warnung in zwei Fällen denkbar: erstens, wenn der Fehler des Fahrzeugs kein großes Gefährdungspotential aufweist; zweitens, wenn auch der Hersteller den Fehler nicht zu beheben vermag und die einzig effektive Gefahrenabwehr darin besteht, dass der Produktnutzer auf den Gebrauch des Fahrzeugs verzichtet.735 In allen anderen Fällen ist der Hersteller aufgrund des großen Gefährdungspotentials, das von fehlerhaften Fahrzeugen für Dritte ausgeht, dazu verpflichtet, dem Produktnutzer ein kostenpflichtiges Reparaturangebot zu machen. Wenn erforderlich, hat er die Unterstützung des Kraftfahrt-Bundesamts anzufordern.736 Es mag gegen das „Rechtsgefühl“ der Produktnutzer verstoßen, wenn der Hersteller selbst bei erheblichen Gefahren nicht zu einem kostenfreien Rückbereits Krutein, DAR 1985, 33, 35 f. PHi 2015, 56, 57. 734  Ähnlich Stöhr, in: FS für Müller, 173, 185. 735  Dieser Fall kommt nach Helmig, PHi 2015, 56, 57 häufig in der Praxis vor, wird aber seitens der Hersteller selten so benannt. 736  Vgl. Kraftfahrt-Bundesamt, Kodex zur Ausführung des ProdSG, S. 11 ff. 732  Ähnlich 733  Helmig,

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

ruf verpflichtet wird. Doch darf nicht vergessen werden, dass es nicht um die Frage geht, welches Ergebnis bzw. welcher Pflichtenumfang wünschenswert erscheint (für wen?), sondern darum, zu welchem Ergebnis eine Anwendung des geltenden Rechts führt.737 Nach den Prinzipien des BGH aus dem „Pflegebetten“-Urteil kommt man zu dem Ergebnis, dass sich nach der derzeitigen Rechtslage in der Automobilbranche keine Pflicht zum kostenlosen Rückruf ableiten lässt. Es ist nicht abzusehen, dass diese Feststellung die momentane Rückrufpraxis verändern wird. Der Rückruf ist im Bewusstsein des Kunden zu sehr verankert, als dass ein Hersteller davon abweichen könnte, ohne größere (Reputations-) Verluste dadurch in Kauf nehmen zu können. Die eigentliche Bedeutung des verminderten Pflichtenumfangs ist im Verhältnis zwischen Hersteller und Zulieferer – bzw. in zweiter Reihe bei deren Versicherungen – zu suchen. Auch wenn die „Pflegebetten“-Rechtsprechung die Position des Zulieferers gestärkt hat,738 ist aufgrund der großen Abhängigkeit der Zulieferer von Automobilherstellern nicht zwingend damit zu rechnen, dass sich in der Praxis das Kräftegleichgewicht zugunsten der Zulieferer verschieben wird. Diese müssen in Qualitätssicherungsvereinbarungen oft festen Kostenquoten im Fehlerfall zustimmen,739 wenn sie nicht von späteren Aufträgen ausgeschlossen werden wollen.740 4. Ergebnis Auch wenn sich der konkrete Umfang der Reaktionspflichten des Herstellers nach den Umständen des Einzelfalls richtet, lassen sich mit Hilfe des „Pflegebetten“-Urteils einige Grundsätze festlegen. In einer b2b-Konstellation ist eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf grundsätzlich zu verneinen. Wenn sich die Produktnutzer identifizieren lassen – unabhängig davon, ob ein b2b- oder ein b2c-Fall vorliegt –, genügt in der Regel eine Warnung, höchstens aber ein kostenpflichtiges Rückrufangebot. Ein kostenloser Rückruf ist ausgeschlossen. Bei einem Automobilrückruf beschränkt sich der Pflichtenumfang des Herstellers in der Regel darauf, dass dem Produktnutzer eine kostenpflichtige Reparatur angeboten wird.

737  Im Rahmen der Rückrufdiskussion wird dieser Punkt betont von Pieper, BB 1991, 985, 992. 738  Siehe § 6 I. 2. 739  Lenz, in: Lenz, Produkthaftung, § 5 Rn. 19 f. 740  Veltins, in: Kullmann et al., Produzentenhaftung, Kza. 4310 S. 91 f.



§ 7  Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse291

§ 7  Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Die Pflicht zum Rückruf eines Produkts ist in § 823 Abs. 1 BGB verankert und eine Ausprägung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht des Herstellers (S. 59 ff.). Es ist umstritten, unter welchen Umständen eine solche Pflicht – und wenn ja, mit welchem Umfang – anzunehmen ist. Der Streit lässt sich im Kern darauf zurückführen, dass ein Rückruf sowohl das Integritäts- als auch das Äquivalenzinteresse berührt, obwohl das Deliktsrecht seiner Funktion nach nur das Integritätsinteresse schützt (S. 28 ff.). Der Umfang der gesetzlich geschuldeten Gefahrenabwehr entscheidet darüber, welchen Anteil der Kosten einer Rückrufmaßnahme ein Hersteller zurückverlangen kann, wenn er für deren Ursache nicht oder nicht alleine verantwortlich ist. Diese Konstellation kommt häufig vor, da Zulieferer einen großen Teil der Wertschöpfung wahrnehmen. Der Streit um die Voraussetzungen einer Rückrufpflicht führt hier zu Unsicherheit und Konfliktpotential (S.  45 ff.). 2. Auch wenn sich die Produktverantwortung in der arbeitsteiligen Produk­ tion zwischen Hersteller und Zulieferer nach dem Prinzip verteilt, dass jeder für seinen Bereich verantwortlich ist, obliegt dem Hersteller die Gesamtverantwortung für das Endprodukt. Der Zulieferer wird dadurch nicht von seiner Verantwortung freigestellt. Rückrufpflichten können für beide zusammen oder jeden einzeln bestehen (S. 124 ff.) Ist neben dem Hersteller auch ein Zulieferer zur Gefahrenabwehr verpflichtet, kann ein Kostenregress über die Regelungen des Gesamtschuldnerausgleichs, der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Bereicherungsrechts erfolgen. Auch wenn Einzelheiten umstritten sind, ist es der Regress als solcher nicht. Alle Anspruchsgrundlagen setzen voraus, dass der Zulieferer zur Gefahrenabwehr verpflichtet ist. Gehen Gefahrenabwehrmaßnahmen über die gesetzlich geschuldete Abwehr hinaus, können die Kosten nicht mehr regressiert werden (S. 149 f.). 3. Die Konkretisierung des deliktischen Pflichtenumfangs erfolgt über Fallrecht. Zum Thema Rückruf äußerte sich die Rechtsprechung jedoch nur punktuell und ließ es an einer vertieften Auseinandersetzung vermissen (S. 177 ff.). Grundsätzlich wurde in der Praxis aber davon ausgegangen, dass eine Pflicht zum kostenfreien Rückruf bei einer Gefährdung von Personen angenommen werden könne. Im Fahrwasser diverser OLG- und LG-Entscheidungen nach der Jahrtausendwende – darunter auch die „Pflegebetten“-Fälle –, die umfassenden Rückrufpflichten kritisch gegenüberstanden, entflammte die Diskussion um den Rückruf erneut. Bemerkenswert an der neuen Rechtsprechung war, dass Rückrufpflichten stark eingeschränkt und zur Ausnahme erklärt wurden (S. 189 ff.).

292

Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

4. Höhepunkt der Entwicklung war die höchstrichterliche „Pflegebetten“Entscheidung, in welcher sich der BGH erstmalig zum Umfang der Reaktionspflichten des Herstellers äußerte. Der BGH betont darin die Verpflichtung des Herstellers zur effektiven Gefahrenabwehr auf der einen und die Eigenverantwortung des Produktnutzers auf der anderen Seite. Für den Hersteller genügt in der Regel eine Warnung, um seinen Pflichten nachzukommen. Weitere Pflichten ergeben sich, wenn es die Umstände des Einzelfalls erforderlich machen. Jenseits der Größe der Gefahr und des gefährdeten Rechtsguts bemisst sich die Erforderlichkeit danach, (1) wie effektiv die Gefahr abgewehrt werden kann, (2) ob sich die Produktnutzer identifizieren lassen, (3) ob diese eigenen Schutzpflichten gegenüber Dritten unterliegen und (4) ob neben den Produktnutzern Dritte gefährdet sind (S. 212 ff.). 5. Der BGH gibt zwei Szenarien an, in denen die Sicherungspflichten des Herstellers über eine Warnung hinausgehen (S. 219 ff.). Erstens, wenn eine Warnung den Produktnutzern nicht ausreichend ermöglicht, die Gefahr einzuschätzen und ihr Verhalten darauf einzurichten. Demnach kann sich eine Rückrufpflicht ergeben, (1) wenn fehlende Informationen eine effektive Warnung verhindern, (2) wenn eine Produktgefahr aufgrund konstruktiver Besonderheiten trotz Warnung leicht übersehen werden kann, (3) wenn die Produktnutzer zu einer besonders gefährdeten Personengruppe gehören, bei denen Warnungen leicht versagen und, (4) wenn die Gefahr durch Nutzungsverzicht nicht abgewehrt werden kann. Im zweiten Szenario sind weitergehende Pflichten möglich, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass sich Produktnutzer – auch absichtlich – über eine Warnung hinwegsetzen. Hier kann sich eine Rückrufpflicht ergeben, (1) wenn die Gefahr nicht dem Produktnutzer, sondern nur einem Dritten droht und, (2) wenn bei Fabrikationsfehler der Produktnutzer Anlass zu der Annahme hat, dass sein Produkt von dem Fehler nicht betroffen ist. Eine Rückrufpflicht ergibt sich nicht, wenn der Produktnutzer die Warnung aus Irrationalität ignoriert (S. 222 f.). Insgesamt ist das Kriterium „absichtliches Hinwegsetzen über eine Warnung“ jedoch kritisch zu sehen (S.  240 f.). 6. Der BGH erachtet eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf zwar weiterhin als möglich, nimmt sie aber nur restriktiv an. Lassen sich die Produktnutzer ermitteln, ist sie selbst bei erheblicher Gefährdung zu verneinen (S. 226 ff.). Sie ist insbesondere dann denkbar, wenn eine große Gefahr von Produkten ausgeht, die sich in den Händen nicht identifizierbarer Produktnutzer befinden. Die Begründung einer solchen Pflicht steht dogmatisch jedoch auf tönernen Füßen (S. 242 f.).



§ 7  Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse293

7. Im Vergleich zur vorangegangenen Rechtsprechung weist das „Pflege­ betten“-Urteil eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Rückrufthematik auf und führt die Ansätze der jüngeren Rechtsprechung nach der Jahrtausendwende fort. Gleichzeitig spannt es den Bogen zur älteren Rechtsprechung (S.  256 ff.). 8. Im Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten schränkt die „Pflegebetten“Entscheidung die strafrechtliche Garantenpflicht ein (S. 251 ff.). Ebenso mag in Einzelfällen die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Rückruf aus dem Gesichtspunkt der Kostentragung an Bedeutung gewinnen, da sie unabhängig von ihrem zivilrechtlichen Pendant existieren kann (S.  253 ff.). 9. Auch wenn die „Pflegebetten“-Entscheidung für den Hersteller von Vorteil zu sein scheint, verbessert sich seine Haftungssituation nur bei Entwicklungsfehlern und gegenüber dem gewarnten Produktnutzer. Ist der Hersteller seinen Reaktionspflichten im erforderlichen Maße nachgekommen, besteht gegenüber einem Produktnutzer, der trotzdem zu Schaden kommt, keine Haftung mehr. Das gilt auch bei Produktfehlern, die der Hersteller zu vertreten hat. Voraussetzung für die Enthaftung bleibt aber immer, dass der Hersteller den Zugang der Warnung bzw. des Rückrufangebots beim Produktnutzer nachweisen kann. Gelingt das nicht, ist der Produktnutzer wie ein unbeteiligter Dritter zu stellen, gegenüber dem eine Haftung weiterhin bestehen bleibt (S. 267 ff.).

Im Verhältnis zu einem mitverantwortlichen Zulieferer ist die BGHRechtsprechung für den Hersteller von Nachteil, wenn er aus Reputations- oder Sicherheitsgründen bei der Gefahrenabwehr über den gesetzlich geschuldeten Umfang hinausgeht, da er die Kosten der freiwilligen Maßnahmen weder von seinem Zulieferer noch von einer Versicherung erstattet bekommen kann. Eine Absicherung in Form einer vertraglichen Regressregelung mit dem Zulieferer erscheint hier zwar sinnvoll, stößt aber an die Grenzen des AGB-Rechts (S. 272 ff.).

10. Da der professionelle Produktnutzer einem Geflecht eigener Schutzpflichten unterliegt, erschöpft sich der erforderliche Pflichtenumfang ihm gegenüber in der Regel in einer Warnung. Das gilt vor allem, wenn er sich identifizieren lässt. Auch wenn sich der Pflichtenumfang im Einzelfall erweitern kann, ist eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf praktisch ausgeschlossen (S.  279 ff.).

Gegenüber nicht-professionellen Produktnutzern kann eine Pflicht zum kostenlosen Rückruf weiterhin bestehen. Jedoch vermindert sich auch hier der Pflichtenumfang regelmäßig auf eine Warnung oder ein kostenpflichtiges Rückrufangebot, wenn sich die Produktnutzer identifizieren lassen (S.  285 ff.).

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Teil 2: Der Umfang der Rückrufpflicht

Ein Automobilhersteller ist selbst bei großen Gefahren nicht zu einem kostenfreien Rückruf verpflichtet, da durch die leichte Identifikation der Fahrzeughalter über das Kraftfahrt-Bundesamt deren Verantwortung in den Vordergrund rückt. Weil bei einem Produktfehler in der Automobilbranche meist auch Dritte auf erhebliche Weise gefährdet werden können, erstreckt sich der Pflichtenumfang des Herstellers in der Regel auf ein kostenpflichtiges Reparaturangebot (S. 287 ff.).

Materialienverzeichnis Gesetze Aktiengesetz vom 06.09.1965, BGBl. I. S. 1089 [zitiert: AktG]. Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben (Produkthaftpflicht-Modell), Januar 2015, abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2015/03/18-Produkt haftpflicht-Modell-Jan2015.pdf [zitiert: ProdHB]. Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Hersteller- und Handelsbetriebe, Musterbedingungen des GDV, Februar 2016; http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2016/02/Rueckrufkos ten_Hersteller_Handel_Feb2016.pdf [zitiert: RückrKB-HH]. Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für Kfz-Teile-Zulieferer, Musterbedingungen des GDV, Fe­ bruar 2016; abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2016/02/KfzRueckrufkosten_Feb2016.pdf [zitiert: RückrKB-Kfz]. Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.01.2002, BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738 [zitiert: BGB]. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche in der Fassung der Bekannt­ machung vom 21.09.1994, BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061 [zitiert: EGBGB]. Elftes Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (Art. 1 des Gesetzes vom 26.05.1994, BGBl. I S. 1014, 1015) [zitiert: SGB XI]. Handelsgesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung [zitiert: HGB]. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.03.2010, BGBl. I S. 254 [zitiert: UWG]. Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) vom 23.11.2007, BGBl. I S. 2631 [zitiert: VVG]. Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz) vom 15.12.1989, BGBl. I S. 2198 [zitiert: ProdHaftG]. Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (Produktsicherheits­ gesetz) vom 08.11.2011, BGBl. I S. 2178, 2179; 2012 I S. 131 [zitiert: ProdSG]. Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998, BGBl. I S. 3322 [zitiert: StGB].

296 Materialienverzeichnis

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304 Literaturverzeichnis – Produzentenhaftung, 3. Band, tiert: Bearbeiter, in: Kullmann – Produzentenhaftung, 4. Band, tiert: Bearbeiter, in: Kullmann

Loseblattsammlung Stand 05/2016, Berlin [ziet al., Produzentenhaftung]. Loseblattsammlung Stand 05/2016, Berlin [ziet al., Produzentenhaftung].

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Sachwortverzeichnis AGB  274 f. Anspruch auf Rückruf siehe Rückrufanspruch Anspruchskonkurrenzen bei Produkthaftungsansprüchen  94 Äquivalenzinteresse  28 ff., 46, 52, 160, 161, 165, 170, 172, 174, 177, 187, 203, 209, 211, 227, 244, 261 f., 289, 291 –– Schutz durch Deliktsrecht siehe Deliktsrecht Arbeitsschutzrecht  280 f. Arbeitsteilung  31 f., 118 ff. –– Haftungsprinzip der Eigenverantwortung  120 ff. –– Ursache für Rückrufe  43 f., 45, 121 Arzneimittelgesetz  23, 95, 104 Automobilbranche  43, 114, 118, 171, 226, 287 ff. –– Bedeutung von Rückrufen  287 f. –– Besonderheiten bei Rückruf  288 –– Pflichten des Produktnutzers  288 –– Reaktionspflichten des Kfz-Herstellers  288 ff. –– Rücklaufquote  36 –– Rückruf von General Motors  40 f. –– Rückrufkosten  34, 287 –– Wertschöpfung durch Zulieferer  45, 118, 287, 290 b2b-Produktnutzer  163, 184, 223 f., 278, 279 ff. –– Beachtung von Warnungen  196, 214, 283 f. –– Pflichten ggü. Arbeitnehmern  280 f. –– Pflichten ggü. Dritten  196, 281 ff. b2c-Produktnutzer  278, 285 ff. –– Pflichten ggü. Dritten  286

Benutzerfehlverhalten  156 Benutzungsverzicht siehe Stilllegung Beobachtungspflicht siehe Produkt­ beobachtungspflicht Bereicherungsrecht als Regressgrund­ lage  143 ff. –– Anwendungsbereich  144 –– Kondiktionsart bei Rückruf  144 –– Rückruf als Bereicherung  145 f. –– Verjährungsbeginn  148 Bestimmtheitsgebot behördlicher Anordnungen  100 Bestimmungswidriger Gebrauch  68, 231 f., 233 f. Beweislastverschiebung  51, 58, 74, 76, 85 ff. –– Abbau der Verschuldenshaftung  51, 71 –– Differenzierung nach Fehlerart  86 f. –– Entlastungsmöglichkeit des Herstellers  71, 76, 87 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)  182 China  44, 46 Compliance  130, 284 „Contergan“-Prozess  38, 106 „Defibrillator“-Entscheidung (EuGH)  261 f. Deliktsrecht –– Anpassungsfähigkeit  23 –– Regressgrundlage  146 f. –– Schutz des Äquivalenzinteresses  30, 160, 211, 227, 261 f. –– Verankerung der Produzentenhaftung  56 f., 57 ff.

312 Sachwortverzeichnis –– Verankerung des Rückrufs  27, 28 ff., 84 f. Deutscher Corporate Governance Codex  111 Drittschadensliquidation  54 f. Effektivität der Gefahrenabwehr  212 f., 214, 240, 278 ff. Enthaftung des Herstellers durch Rückruf oder Warnung  265 ff. –– Ausgleich der Pflichtverletzung  266 f. –– Beweislast  269, 271 –– ggü. Dritten  269 ff. –– ggü. Produktnutzer  267 ff. Entsorgung des Produkts  250, 262 Entwicklungsfehler  75 f., 80 f., 82 f., 204, 254, 270 –– Auslöser für Rückrufpflicht  162, 244, 264 –– Pflichtverletzung bei Schadenseintritt  266 f., 271 Erfolg eines Rückrufs siehe Rücklaufquote Erforderlichkeit  62 f. –– Abwägungskriterien des BGH bei Reaktionspflichten  208, 212 ff., 223, 226 ff., 264, 292 –– bei Produzentenhaftung  63 f., 64 ff. –– bei Reaktionspflichten  154 ff., 241 ff., 263 Erfüllungsgehilfe  55 ex-ante-Betrachtung  48, 65, 70 f., 157, 267 ex-post-Betrachtung  48, 70 ff., 157, 266 f. Fabrikationspflicht  58, 78 f., 96, 153, 224 ff., 239 –– Auslöser für Rückrufpflicht 161, 174 f., 224 f., 243 f., 292 –– Ausreißer  76, 79, 131, 270 Fachkundiger Produktnutzer siehe b2b-Produktnutzer

Fallrecht  23 f., 69 ff. –– Fallkonstellation bei Rückruf siehe Rechtsprechung (Rückruf) –– Funktion bei Produzentenhaftung  23 f., 69 –– geringe Anzahl zum Thema Rückruf  156, 165 f. –– Nachteile  23, 70 ff. Fehlerverdacht  152, 224 f., 283 Fürsorgeverhältnis  157 Garantie  55 f., 226 Geeignetheit  156 ff. Gefährdung –– Allgemeinheit  164, 216 f., 222, 269 ff. –– Personen  72, 162, 177 f., 194 f., 225 –– Produkt siehe Weiterfresserschäden –– Produktnutzer  215 f., 221, 267 ff. –– Rückruf abhängig von gefährdetem Personenkreis  163 f., 171, 245 f. –– Sachen  72 f., 162 f., 178, 244 Gefährdungshaftung  50 f., 72, 90, 236, 277 –– Annäherung der Produzentenhaftung  87, 217 f., 266 General Motors  40 f. Gesamtschuldnerausgleich als Regressgrundlage  132 ff. –– analoge Anwendung bei Rückrufanspruch  135 f. –– Umfang der Rückrufpflicht  136 f. –– Verjährungsbeginn  148 Geschäftsführung ohne Auftrag als Regressgrundlage  137 ff. –– Fremdgeschäftsführungswille beim Rückruf  138 ff., 247 f. –– Interesse des Geschäftsherrn (Pflichtenumfang)  141 f. –– pflichtengebundener Geschäftsführer  139, 246 ff. –– Verjährungsbeginn  148 –– Wille des Geschäftsherrn  142 f.

Sachwortverzeichnis313 Gewährleistungsrecht  52 f. –– Grundlage für Rückrufanspruch  203 ff. –– Regressgrundlage  130 f. –– Überschneidungen mit dem Deliktsrecht  28 f. Handeln auf eigene Gefahr  267 ff., 269, 271 Hersteller  31 f. –– Beobachtungs- und Reaktionspflichten  124 f. –– Haftungssituation nach „Pflegebetten“-Entscheidung  265 ff. –– Pflichtenbereiche  77 ff., 121 f. –– Verantwortung bei Produktgefahr siehe Verantwortung des Herstellers Hinwegsetzen über Warnung siehe Warnung „Hühnerpest“-Entscheidung (BGH)  57 f., 68, 79, 85 f., 106, 113 Individualabrede  274 f. Ingerenz  105 innocent bystander  32 Instruktionspflicht  58, 78, 80, 82, 84, 96, 188, 232 ff., 283 –– Ausgleich eines Konstruktionsfehlers durch Instruktion  78, 266 –– Auslöser für Rückrufpflicht  162 –– Beweislastverschiebung  86 f. –– Hinwegsetzen über Instruktion  232 f. –– öffentlich-rechtliche Instruktionspflichten  88, 96 –– Vermutung instruktionsgerechten Verhaltens  234 f. –– Zulieferer  123 Integritätsinteresse  28 ff., 165, 170, 172, 177 f., 188, 192, 289 –– Schutz durch Vertragsrecht  52, 203 ff. –– Schutzfunktion des Deliktsrechts  46, 68 f., 72, 161, 174, 177 f., 186 f., 190 f., 208, 211 f., 227, 244, 261 f., 312

Inverkehrbringen  64 f., 73 f., 80, 82 f., 87, 91 f., 124 ff., 161 f., 244 Kausalzusammenhang  59, 76 f. –– Unterbrechung durch Produktnutzer  186, 190 f., 246, 268 Konstruktionspflicht  58, 77 f., 81, 96, 120 f., 153, 254, 266, 271 –– Ausgleich eines Konstruktionsfehlers durch Instruktion siehe Instruktionsplicht –– Auslöser für Rückrufpflicht  153, 161, 169, 173, 208 f., 224, 243 f., 264 –– Beweislastverschiebung  86 –– Verletzung der Konstruktionspflicht im „Pflegebetten“-Urteil  182 ff., 255 f. Konzeptverantwortungsvereinbarung  130 Kostentragung  37, 165, 168, 179, 246, 253 ff., 293 Kraftfahrt-Bundesamt  36, 226, 257, 288, 289, 294 Kulanzmaßnahmen  34, 137, 274, 275, 276 „Lederspray“-Entscheidung (BGH)  25, 105 f., 167 ff., 173, 176, 179 f., 206, 210 –– Aussagen über zivilrechtliche Rückrufpflicht  168 f. Marktüberwachungsbehörden  28, 33, 48, 94 f., 98 ff., 182 f., 187 f., 226, 253 ff. Medizinprodukte  110, 166, 186 f., 191 Medizinproduktegesetz  95, 104, 281 Mitverschulden  76, 164 f., 238 f., 268 moral hazard  239 Nacherfüllung  28 f., 128, 203 f., 262 –– im Rahmen des Regresses  131 f. Nachrüstung  211 f. Nichtannahmebeschlüsse –– Rechtsansichten des BGH zum Rückruf  176 f., 192

314 Sachwortverzeichnis Öffentliches Sicherheitsrecht  48, 94 ff., 253 ff., 280 ff. –– als Nebenstrafrecht  98, 104 f. –– Rückrufanordnung  98 ff., 253 ff., 260 f. –– Verhältnis öff.-rechtl. Sicherheitsstandards zu Verkehrssicherungspflichten  66, 96 f. –– Zusammenspiel mit § 823 Abs. 2 BGB  88, 97 f., 101 f. „Pflegebetten“-Entscheidung (BGH)  24, 85, 155, 206 ff. –– Aufnahme durch Schrifttum  263 f. –– Einordnung in Rechtsprechung  255 ff. –– Grundsätze  210 ff. –– Implikationen für Hersteller und Produktnutzer  265 ff. –– Sachverhalt  181 ff. –– Schlussfolgerungen für andere Rechtsfragen  241 ff. –– Urteilsausführungen  207 ff. –– Vorinstanzen  155, 181 ff., 255 f. Pflegekassen  181 ff., 212, 278 –– sozialversicherungsrechtliche Pflichten gegenüber Pflegebedürftigen  191, 195, 208, 214, 256, 278, 282 Pflichtenbereiche (Zivilrecht) –– Aufteilung auf Hersteller und Zulieferer  117 ff. –– Produzentenhaftung  77 ff. Pflichtenumfang (Zivilrecht)  62 ff. –– Verhältnis zu Regress  30 f., 149 f., 273 –– Verhältnis zu Rückrufanspruch  205 –– Verhältnis zu Versicherung  30 f., 114, 116 f., 275 f. probationes diabolicae  71 Produktbeobachtungspflicht  58, 81 ff., 124 ff. –– Beobachtungspflicht  83 f. –– Beweislastverschiebung  87

–– Dauer  93 –– Reaktionspflicht siehe dort –– Subsidiarität zu anderen Pflichten  82 Produktfehler  52, 74, 77 ff. –– Einfluss der Fehlerart auf Reaktionspflichten  161 f. Produkthaftung (Rechtsgebiet)  47 ff. Produkthaftungsgesetz  23, 48, 51, 90 ff., 117, 147, 270 f. Produktnutzer  32, 195 –– besonders gefährdete Gruppen  220 –– Gefahrbehebung  239 f., 249 f. –– Gefährdung siehe Gefährdung des Produktnutzers –– Hinwegsetzen über Warnung siehe Warnung –– Identifizierbarkeit  213 f., 216 f., 226 f., 240, 242 f., 245, 279, 284, 285 f. –– irrationales Verhalten  222 f., 236, 237, 238 ff. –– Pflichten zum Schutz Dritter  214 f., 277 f., 279 ff., 286 –– Unterscheidung b2b und b2c  195, 278 –– Verantwortung siehe Verantwortung des Produktnutzers Produktsicherheit  64 f., 66 f., 154 Produktsicherheitsgesetz  43, 48, 95, 96, 101 f., 254 Produzentenhaftung –– Annäherung an Gefährdungshaftung siehe Gefährdungshaftung –– Anspruchsvoraussetzungen  72 ff. –– Pflichtenbereiche  77 ff., 117 ff. –– Problematik bei der Bestimmung des Pflichtenumfangs  69 ff. –– Verankerung im allgemeinen Deliktsrecht  57 f. Qualitätssicherungsvereinbarungen  32, 130, 290

Sachwortverzeichnis315 RAPEX  41 ff. Reaktionspflicht  84 f., 154 ff., 159 ff., 210 ff. –– Abwägungskriterien des BGH  212 ff. –– Einzelfallbezogenheit  210 f., 213, 244 –– Streitpunkte  161 ff., 244 ff., –– Umfang  23, 154 ff., –– Umfangsbestimmung durch Rechtsprechung  155 –– Umfangsbestimmung durch Schrifttum  156 ff. –– Umschlagen der Beobachtungs- in eine Reaktionspflicht  152 f. Rechtsprechung (allgemein) –– Bestimmung des Umfangs der Reaktionspflicht  155 –– Funktion in Produzentenhaftung siehe Fallrecht –– Regress  149 –– Rückrufanspruch siehe dort Rechtsprechung (Rückruf)  165 ff., 256 ff. –– 2000 und vorher  175 ff., 228 –– 2000 bis 2008  189 ff., 228 –– Einordnung der „Pflegebetten“-Entscheidung  256 ff. –– Entwicklungen  192 ff., 196 f., 258 f. –– Fallkonstellation  165 f. –– fehlende Differenzierung  177 ff., 189 f., 258 –– Rückschlüsse der Beratungspraxis  174, 192 Rechtswidrigkeit  50, 62, 74, 75, 86, 205 Reflexvorteil  248 Regress  30, 47, 128 ff., 251, 273 –– Bereicherungsrecht siehe Bereicherungsrecht als Regressgrundlage –– Deliktsrecht siehe dort –– Fallkonstellation beim Rückruf  165 –– Gesamtschuldnerausgleich siehe Gesamtschuldnerausgleich als Regressgrundlage

–– Geschäftsführung ohne Auftrag siehe Geschäftsführung ohne Auftrag als Regressgrundlage –– Leistung an Geschädigten  150 f. –– Unternehmerregress  128 f. –– Verhältnis zur Rückrufpflicht  149 f. –– vertragliche Ansprüche  129 ff., 274 ff. Reputationseffekte  34, 38 ff., 41, 45 f., 99, 108, 111, 272, 290, 293 –– soziale Medien  39 f. Risikomanagement  107 f. Rücklaufquote  29, 35 ff. –– Verhältnis zu Maßnahmekosten  37, 242 f., 285 –– Verhältnis zur Effektivität einer Maßnahme  36 f., 157, 158, 242 f. Rücknahme  26, 88, 131, 204 Rückruf  25 ff. –– Anspruch siehe Rückrufanspruch –– Beteiligte  31 ff. –– Definition  25 ff., 46, 179, 189 –– Entwicklungen in der Praxis  41 ff. –– Formen  33 f. –– Kosten  34 f., 47 –– Marketinginstrument  40, 272 –– Pflicht zum Rückruf (öffentliches Recht) siehe Öffentliches Sicherheitsrecht –– Pflicht zum Rückruf (Strafrecht) siehe Strafrechtliche Produktverantwortung –– Pflicht zum Rückruf (Zivilrecht) siehe Rückrufpflicht (Zivilrecht) –– strittige Rechtsfragen  30 f. –– Ursachen  43 ff. –– Verortung im Unternehmen  107 ff. –– Ziele  38 ff. Rückrufanspruch 25, 146, 179, 197 ff., 250 f. –– Deliktsrecht  199 –– Rechtsprechung  198 –– Unterlassungsanspruch 1004 Abs. 1 BGB analog  199 ff. –– Verhältnis zu Rückrufpflicht  205

316 Sachwortverzeichnis –– Vertrag  203 ff. –– Wettbewerbsrecht  202 f. Rückrufkosten-Versicherung  33, 109, 114 f., 253 ff., 275 f., 287 Rückrufmanagement  34, 107 ff. Rückrufpflicht (Zivilrecht)  152 ff. –– Diskussion um Existenz einer zivilrechtlichen Rückrufpflicht  29 f., 160, 210 –– Fallgruppen nach „Pflegebetten“Urteil  218 ff. –– Schlussfolgerungen aus „Pflegebetten“-Urteil  241 ff., 256 ff. –– Voraussetzungen  189 f. –– Streit um Umfang siehe Reaktionspflicht Rückrufquote siehe Rücklaufquote Rückschaufehler  71 f., 153 Rügeobliegenheit  129 f. Sachmangel  52, 55, 130 f., 203 f., 205 Schutzgesetz  88 f., 97 f., 101 f., 146 f., 252, 280 f. Selbstschutzmöglichkeiten  164, 221, 222, 229, 246 Serious risk notification  24 Sittenwidrige Schädigung  89 Stilllegung  156, 186 f., 190, 202, 208, 217, 219, 220 f., 225, 243 f., 258, 262 Störer  201 f. Strafrechtliche Produktverantwortung  49, 103 ff., 251 ff. –– „Lederspray“-Entscheidung (BGH) siehe „Lederspray“-Entscheidung (BGH) –– Rückrufpflicht  105 f., 252 f. –– Verantwortung der Geschäftsführung  45, 103, 111, 273 Technische Regelwerke  66 Technische Standards  65 f. –– allgemein anerkannte Regeln der Technik  66 –– Stand von Wissenschaft und Technik  65 f.

Traceability  37, 56, 226 f. Treu und Glauben  268 Verantwortung des Herstellers  213, 267 f., 270 f. –– im Sinne der Produzentenhaftung siehe Pflichtenbereiche Verantwortung des Produktnutzers  164 f., 201 f., 213, 216, 221, 268, 270 f., 277 f. Verbraucherwartung  39, 44, 46, 154, 233, 273 Verbraucherprodukte  95, 109, 110 Verhältnismäßigkeit  156 ff., 158, 242 –– einer Gefahrenabwehrmaßnahme  156 Verjährung  92 ff., 129, 132, 147 ff., 204 –– Begrenzung der vertraglichen Produkthaftung  53 –– Höchstfristen  93 f. –– Regressansprüche  147 ff. Verkehrserwartung  62 f., 66 ff., 154 Verkehrssicherungspflichten  59 ff., 277 f., 280, 282 f., 286 –– Bestimmung des Pflichtenumfangs  62 f., 69 ff. –– Objektivität  236 f. –– Produzentenhaftung  58, 59 ff., 63 f. –– Verhältnis zu öffentlichem Sicherheitsrecht siehe Öffentliches Sicherheitsrecht Verrichtungsgehilfe  121 Verschulden  75 f. –– Beweislastverschiebung in der Produzentenhaftung  57 f., siehe auch Beweislastverschiebung –– Verschuldenshaftung  50 Versicherung  33, 109, 112 ff., 248, 275 f. –– Einfluss des Rückrufmanagements  109 –– Produkthaftpflichtversicherung  33, 109, 113, 116 –– Rückrufkosten-Versicherung siehe Rückrufkosten-Versicherung

Sachwortverzeichnis317 Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter  54 Vertragliche Produkthaftung  52 ff. Vertragliche Regressansprüche siehe Regress –– Verjährung  147 Vertraglicher Rückrufanspruch siehe Rückrufanspruch Vertrauensgrundsatz (Strafrecht)  235 f. Verursachungsprinzip  133, 137, 142 f., 146, 151, 164, 268, 277 Vollzugsdefizit  99 f. Vorsorgeaufwendungen  133 f., 146 Warnung  26, 84, 207, 213, 218 ff. –– Beachtung  214, 283, 286 –– Effektivität bei Risikosteuerung  219 ff. –– Hinwegsetzen  171, 215, 217, 221 ff., 230 ff., 246, 250

Weiterfresserschäden  30, 72 f., 163, 209 f., 245 Widerrechtlichkeit siehe Rechtswidrigkeit Zulieferer  31 f. –– Anteil der Wertschöpfung  45, 118 –– Beobachtungs- und Reaktionspflichten  125 ff. –– Pflichtenbereiche  122 f. –– Verantwortung für Produktfehler  45, 47, 119, 128, 244, 253, 273 –– Verhältnis zu Hersteller  118 f., 272 ff., 290 Zumutbarkeit  62 f. –– Produzentenhaftung  63 f., 68 f., 207 –– Reaktionspflichten  154 ff., 209, 223, 241 ff. Zurechnungsgründe  50 f., 60 Zurechnungszusammenhang  164 f., 246 Zwischenhändler  32, 53, 203, 204