Die Psalmen: Stilistische Verfahren Und Aufbau. Mit Besonderer Berücksichtigung Von Ps. 1-41 [Reprint 2015 ed.] 3110018349, 9783110018349

The series Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft (BZAW) covers all areas of research into the

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Die Psalmen: Stilistische Verfahren Und Aufbau. Mit Besonderer Berücksichtigung Von Ps. 1-41 [Reprint 2015 ed.]
 3110018349, 9783110018349

Table of contents :
Verzeichnis der Abkürzungen
I. Einleitender Teil
A. Einleitende Betrachtungen
§ I Das Thema
§ 2 Einige Betrachtungen zur Stilistik
§ 3 Die Einstellung zum überlieferten Text
B. Klang. Metrum. Parallelismus membrorum
§ 4 Der Klang
§ 5 Das Metrum
§ 6—9 Parallelismus Membrorum
§ 6 Allgemeine Bemerkungen
§ 7 Monostichen und Tristichen
§ 8 Enjambement
§ 9 »Der Satzstil im Fünfer«
II. Allgemeiner Teil
A. Stilistische Verfahren
§ 10 — 18 Die Stilfigur der Wiederholung
§ 10 Allgemeines
§ 11 Beispiele
§ 12 Beispiele (Fortsetzung I)
§ 13 Beispiele (Fortsetzung II)
§ 14 Der Refrain
§ 15 Die Inklusion
§ 16 Die Stilfigur der Wiederholung im weiteren Sinne
§ 17 Die Funktion des Stils der Wiederholung
§ 18 Varia
§ 19—23 Klimax. Sukzessive Gabelung. Crescendo und Decrescendo
§ 19 Klimax
§ 20 Verschiedene Formen der Klimax. Sukzessive Gabelung
§ 21 Crescendo und Decrescendo
§ 22 Übersicht
§ 23 Die Funktion der Klimax und des Crescendos
§ 24—25 Gegensatz
§ 24 Allgemeines
§ 25 Erscheinungsformen der Stilfigur des Gegensatzes
§ 26—29 Chiasmus
§ 26 Einleitung
§ 27 Die Funktion des Chiasmus
§ 28 Übersicht
§ 29 Chiastischer Aufbau größerer Einheiten
B. Der Aufbau der Psalmen
1. Allgemeine Betrachtungen
§ 30 Inhaltliche Einheiten
§ 31 — 34 Formale Einheiten
§ 31 Alphabetische Psalmen. Refrain
§ 32 Strophenbau?
§ 33 Die Auffassung von Kraft u. a
§ 34 Beispiele für regelmäßigen Aufbau
§ 35—36 Liturgische Einheiten
§ 35 Allgemeines. Beispiele
§ 36 Zwei besondere Erscheinungen
§ 37 Das Verhältnis der inhaltlichen, formalen und liturgischen Einheiten zueinander
§ 38—40 Das Verhältnis der inhaltlichen Teile zueinander. Übergang vom einen Teil zum anderen
§ 38 Beispiele
§ 39 Allgemeines
§ 40 Übersicht
§ 41 Der inhaltliche Aufbau kleinerer Einheiten
§ 42—47 Die Funktion der Zahlen im Aufbau der Psalmen
§ 42 Die Zahl Zwei
§ 43 Die Zahl Drei
§ 44 Andere Zahlen
§ 45 Beispiele für mehr oder weniger regelmäßigen Aufbau
§ 46 Der umgekehrte Weg
§ 47 Wirkung
§ 48 Akrostichische Psalmen
2. Betrachtungen über bestimmte Teile der Psalmen
§ 49—51 Anfang und Schluß
§ 49 Die Dankpsalmen
§ 50 Die Bittpsalmen
§ 51 Ergänzende Bemerkungen
§ 52—55 Ort und Funktion der Bitte
§ 52 Einleitung
§ 53 Ort und Funktion der Bitte in den Bittpsalmen
§ 54 Ort und Funktion der Bitte in den Psalmen des Dankes und Lobes
§ 55 Bittpsalmen oder Psalmen des Dankes und Lobes ?
§ 56 —60 Äußerungen der Gewißheit der Erhörung
§ 56 Einleitung
§ 57 Einige Beispiele
§ 58 Übersicht
§ 59 Kein starres Schema
§ 60 Vor oder nach der Errettung gedichtet?
§ 61 — 62 Des Lied des Lobes (und Dankes) als Beweggrund des göttlichen Einschreitens
§ 61 Allgemeines
§ 62 Spezielle Fälle
C. Abschließende Betrachtungen
§ 63 Asyndese. Aphoristischer, gedrängter Stil
§ 64 Dynamischer Charakter
§ 65 Wiederholung und Abwechslung. Kürze und Breite
§ 66 Rationaler Einschlag
§ 67 Traditionsgebundenheit und Originalität
§ 68 Geschulte Dichter
III. Spezieller Teil
Literaturverzeichnis

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Nie. Η. Ridderbos Die Psalmen

Nie. Η. Ridderbos

Die Psalmen Stilistische Verfahren und Aufbau Mit besonderer Berücksichtigung von Ps 1—41

W DE G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1972

Beiheft zur Zeitschrift f ü r die alttestamentliche Wissenschaft Herausgegeben von Georg Fohrer 117

Aus dem Holländischen von K a r l E . Mittring

I S B N 3 11 001834 9 © 1972 b y W a l t e r de Gruyter & Co., vormals Gr. J . Gösohen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — K a r l J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Übersetzimg, der Herstellung von Mikrofilmen und Photokopien, auch auszugsweise, vorbehalten. Printed in H u n g a r y Satz u n d Druck: Akademie Druckerei, Budapest

Vorwort Zur Charakterisierung des vorliegenden Buches sei bemerkt, daß ich bei meiner Untersuchung der stilistischen Verfahren und des Aufbaus der Psalmen dem Werk von M. Buber und F. Rosenzweig einerseits, andrerseits der »Neuen Stilistik«, jener Richtung der Literaturwissenschaft, die den Nachdruck auf die Notwendigkeit einer ergozentrischen Arbeitsweise legt, nicht geringe Anregungen verdanke. In engem Zusammenhang damit steht, daß ich in diesem Buch meinen Standpunkt gegenüber der »Gattungsforschung«, namentlich der von H. Gunkel und Cl. Westermann vertretenen, zu bestimmen trachte. Auf Polemik so weit wie möglich verzichtend, versuche ich aufzuzeigen, daß die Vertreter der »Gattungsforschung« zwar viele wertvolle Resultate zu verzeichnen haben, daß sie jedoch zuweilen allzu schematisch zu Wege gegangen sind. Dem Herausgeber der ZAW, Prof. D. Dr. G. Fohrer, bin ich für seine freundliche Unterstützung bei der Veröffentlichung dieser Arbeit zu tiefem Dank verpflichtet. Daß er sich schon zu Beginn der Niederschrift bereit erklärte, das Buch in die Reihe der Beihefte der ZAW aufzunehmen, bedeutete für mich einen starken Antrieb. Zu danken habe ich ferner der »Niederländischen Organisation für Reinwissenschaftliche Forschung«, die die Übersetzung finanzierte, sowie dem Übersetzer, Κ. E. Mittring, der seine schwierige Aufgabe mit großer Sorgfalt erfüllte. Das Manuskript war bereits am 2. Juni 1967 abgeschlossen. Leider wurde das Erscheinen durch technische Ursachen hinausgezögert.

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abkürzungen I. Einleitender Teil A. Einleitende Betrachtungen § 1 Das Thema § 2 Einige Betrachtungen zur Stilistik § 3 Die Einstellung z u m überlieferten T e x t

B. Klang. Metrum. Parallelismus membrorum

XI l 3 3 4 9

10

§ 4 Der K l a n g

10

§ 5 D a s Metrum

10

§ 6—9 Parallelismus Membrorum § 6 Allgemeine Bemerkungen § 7 Monostichen und Tristichen § 8 Enjambement § 9 »Der Satzetil im Fünfer«

11 11 12 14 15

II. Allgemeiner Teil A. Stilistische Verfahren § 10—18 Die Stilfigur der Wiederholung § 10 Allgemeines § 11 Beispiele ! § 12 Beispiele (Fortsetzung I) a . Gottesnamen b . Wortspiel c. Figura etymologica usw d . Wiederholung von Partikeln § 13 Beispiele (Fortsetzung II) § 14 Der R e f r a i n § 15 Die Inklusion § 16 Die Stilfigur der Wiederholung i m weiteren Sinne a . Klangähnlichkeit b . Bedeutungsähnlichkeit § 17 Die F u n k t i o n des Stils der Wiederholung § 18 Varia a . Textkritik b . Reihenfolge der Psalmen

17 19 19 19 21 29 29 30 30 30 31 33 35 38 38 39 43 45 45 46

VIII

Inhaltsverzeichnis

§ 19—23 K l i m a x . Sukzessive Gabelung. Crescendo u n d Decrescendo . . § 19 K l i m a x § 20 Verschiedene Formen der Klimax. Sukzessive Gabelung . . . . § 21 Crescendo und Decrescendo § 22 Übersicht § 23 Die F u n k t i o n der Klimax u n d des Crescendos § 24—25 Gegensatz § 24 Allgemeines § 25 Erscheinungsformen der Stilfigur des Gegensatzes § 26—29 Chiasmus § 26 Einleitung § 27 Die F u n k t i o n des Chiasmus § 28 Übersicht § 29 Chiastischer A u f b a u größerer Einheiten

B. Der Aufbau der Psalmen

47 47 49 50 51 52 52 52 54 56 56 57 60 61

63

1. Allgemeine Betrachtungen § 30 Inhaltliche Einheiten

63 63

§ 31 — 34 Formale Einheiten § 31 Alphabetische Psalmen. R e f r a i n § 32 Strophenbau Ϊ § 33 Die Auffassung von K r a f t u. a § 34 Beispiele f ü r regelmäßigen A u f b a u § 35 — 36 Liturgische Einheiten § 35 Allgemeines. Beispiele § 36 Zwei besondere Erscheinungen a. Übergang von der Klage z u m J u b e l b. Die Stimme eines Tempeldieners a m Schluß

65 65 65 67 69 70 70 71 71 72

§ 37 Das Verhältnis der inhaltlichen, formalen und liturgischen Einheiten zueinander § 38—40 D a s Verhältnis der inhaltlichen Teile zueinander. Übergang vom einen Teil zum anderen § 38 Beispiele § 39 Allgemeines § 40 Übersicht

74 74 75 76

§ 41 Der inhaltliche A u f b a u kleinerer Einheiten § 42 — 47 Die F u n k t i o n der Zahlen im A u f b a u der Psalmen . . . § 42 Die Zahl Zwei § 43 Die Zahl Drei a. I n Doppelstichen usw b. I n Tristichen c. I n Dreizeilern d. Wichtige Beispiele § 44 Andere Zahlen § 45 Beispiele f ü r mehr oder weniger regelmäßigen A u f b a u § 46 Der umgekehrte W e g § 47 W i r k u n g

79 80 80 81 81 82 82 82 82 83 83 85

72

Inhaltsverzeichnis

IX

§ 48 Akroetichieche Psalmen 87 2. Betrachtungen über bestimmte Teile der Psalmen 89 § 49—51 Anfang und Schluß 89 § 49 Die Dankpsalmen 89 a. Der Anfang 89 b. Der Schluß 90 § 50 Die Bittpsalmen 90 a . Der Anfang 90 b. Der Schluß 91 § 51 Ergänzende Bemerkungen 91 § 52 — 55 Ort und Funktion der Bitte 92 § 52 Einleitung 92 § 53 Ort und Funktion der Bitte in den Bittpsalmen 92 a . Kurze, wenig konkrete Bitten 92 b. Zu Beginn eines Bittpsalms 93 c. Nach einer Vorbereitung 94 d. Nach der Äußerung der Erhörungsgewißheit 96 § 54 Ort und Funktion der Bitte in den Psalmen des Dankes und Lobes 96 § 55 Bittpsalmen oder Psalmen des Dankes und Lobes? 96 § 56 — 60 Äußerungen der Gewißheit der Erhörung 97 § 56 Einleitung 97 § 57 Einige Beispiele 98 § 58 Übersicht 99 § 59 Kein starres Schema 100 § 60 Vor oder nach der Errettung gedichtet? 101 § 61 — 62 Des Lied des Lobes (und Dankes) als Beweggrund des göttlichen Einschreitens 102 § 61 Allgemeines 102 § 62 Spezielle Falle 104

C. Abschließende Betrachtungen § 63 Asyndese. Aphoristischer, gedrängter Stil a. Asyndese b. Asyndese im weiteren, bzw. uneigentlichen Sinne c. Die Notwendigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen § 64 Dynamischer Charakter § 65 Wiederholung und Abwechslung. Kürze und Breite § 66 n a t i o n a l e r Einschlag § 67 Traditionsgebundenheit und Originalität § 68 Geschulte Dichter

106 106 106 106 107 109 110 112 114 114

ΙΠ. Spezieller Teil

117

Literaturverzeichnis

301

Verzeichnis der Abkürzungen1 AJSL Bibl BiOr BZAW CBQ Gesenius-- B u h l Gesenius-- K a u t z s c h GThT HUCA JBL JEOL JQR JSSt JThSt Köhler MT NThT OTS RB RHPhR RQ Scripta Hieras. SVT ThLZ ThQ ThR VT ZAW ZKTh ZThK 1

American J o u r n a l of Semitic Languages a n d Literatures Biblica Bibliotheca Orientalis Beihefte zur Zeitschrift f ü r die Alttestamentliche Wissenschaft Catholic Biblical Quarterly W . Gesenius—F. Buhl, Hebräisches u n d Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 1921 17 . W . Gesenius—E. Kautzsch, Hebräische Grammatik, 190928. Gereformeerd Theologisch Tijdschrift Hebrew Union College Annual J o u r n a l of Biblical Literature Jaarbericht von he,t. Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap E x Oriente L u x Jewish Quarterly Review J o u r n a l of Semitic Studies Journal of Theological Studies L. Köhler—W. Baumgartner, Lexicon in Veteris Test a m e n t i Libros, 1953. Massoretischer Text Nieuw Theologisch Tijdschrift Oudtestamentische Studien Revue Biblique Revue d'Histoire e t de Philosophie Religieuses Revue de Qumrän Scripta Hierosolymitana Supplements to Vetus Testamentum Theologische Literaturzeitung Theologische Quartalschrift Theologische R u n d s c h a u Vetus T e s t a m e n t u m Zeitschrift f ü r die Alttestamentliche Wissenschaft Zeitschrift f ü r Katholische Theologie Zeitschrift f ü r Theologie u n d Kirche

F ü r die Abkürzungen der Bezeichnungen von Kommentarreihen siehe Eissfeldt, Einleitung, 19643, 1114 f.

I. Einleitender Teil

Α . EINLEITENDE BETRACHTUNGEN

§ 1. Das Thema Beim Studium der Psalmen erregten gewisse Erscheinungen mein besonderes Interesse, denen nicht immer so viel Beachtung geschenkt wird, wie sie verdienten. Ich nenne als solche die Funktion einiger Stilfiguren, einiger stilistischer Verfahren (insonderheit der Stilfigur der Wiederholung und der des Chiasmus), die Tatsache, daß die Psalmen mehr gedankliche Entwicklung aufweisen, als es auf den ersten Blick scheinen mag, sowie den Ort und die Funktion der Bitte. Nun lassen sich diese Phänomene schwerlich für sich behandeln. So wäre es etwa unbefriedigend, über den Aufbau der Psalmen nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu sprechen, ohne die formalen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Aus mancherlei Gründen war es andererseits nicht möglich — und soweit ich sehe, auch nicht erforderlich —, die vorliegende Arbeit zu einem in jeder Hinsicht abgerundeten Ganzen auszugestalten. Die Vielfalt der Fragen, welche bei der Behandlung des Aufbaus der Psalmen und stilistischen Verfahren anklingen, machte es notwendig, eine Auswahl vorzunehmen. Bei der Untersuchung des Aufbaus dürfen ζ. B. der Klang, das Metrum und der Parallelismus membrorum nicht außer acht gelassen werden; ich habe mich jedoch mit einigen Bemerkungen hierüber im einleitenden Teil begnügt. Es wäre kaum befriedigend, es bei mehr oder weniger allgemeinen Betrachtungen ohne die Analyse einzelner Psalmen bewenden zu lassen. Eine Analyse sämtlicher Psalmen jedoch hätte zu weit geführt. Auch in dieser Hinsicht mußte eine Auswahl getroffen werden. Wird hierbei nach subjektiven Gesichtspunkten verfahren, so ist die Gefahr groß, daß gerade diejenigen Psalmen gewählt werden, die das beste Beweismaterial für bestimmte Theorien abgeben. Daher habe ich mich für die Psalmen des ersten Psalterbuches entschieden1. 1

Wie an dem Titel ersichtlich, geht C. F. Kraft, The Strophic Structure of Hebrew Poetry as illustrated in the first book of the Psalter, 1938, ebenso vor.

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I. Einleitender Teil

Im übrigen ermöglicht das Inhaltsverzeichnis eine vorläufige Orientierung über die in diesem Buch behandelten Themen. § 2. Einige Betrachtungen zur Stilistik In dieser Arbeit werden verschiedene Betrachtungen stilistischer Art angestellt. Es erscheint daher angebracht, ein Wort zur Stilistik im allgemeinen zu sagen2. Gerleman3 schrieb 1951 nicht ohne Grund: „One can, no doubt, point to stylistics as one of the most neglected fields of Old Testament exegesis." Damit ist gewiß nicht gesagt, daß es vor 1951 keine Alttestamentler gegeben hätte, die sich mit der Stilistik befaßten. Die in diesem Buch zitierte Literatur beweist wohl das Gegenteil. So hat etwa Gunkel in seinen Kommentaren — und auch bei anderer Gelegenheit — oft wertvolle stilistische Bemerkungen gemacht (man vergleiche etwa die Register seiner Kommentare zu dem Buch Genesis und den Psalmen). Vor allem wäre hier auch das Werk von Buber und Rosenzweig zu nennen. Nichtsdestoweniger aber hatte Gerleman sicherlich Grund, von einer Verwahrlosung der Stilistik innerhalb der atl. Exegese zu sprechen. Seit etwa 1950 hat sich hieran jedoch einiges geändert. Die sogenannte „Neue Stilistik"4 hat ihren Einfluß auch auf dem Gebiet der atl. Wissenschaft geltend gemacht. Ohne das Verdienst anderer schmälern zu wollen, darf ich hier in erster LinieM. Weiss und L. Alonso Schökel5 nennen. Gegenwärtig· wird die Beachtung des literarischen Produkts wie es vor uns liegt gefordert (man spricht von einer ergozentrischen * F ü r verschiedene Umschreibungen der Begriffe Stil und Stilistik siehe z.B. die im Literaturverzeichnis aufgeführten Werke von Seidler (mit einer kritischen Übersicht, 64 f.), Kaiser, Damaeo Alonso und Wellek-Warren. 3 G. Gerleman, The Song of Deborah in the Light of Stylistics, VT 1 (1951), 169. 4 Übrigens ist der Begriff „Neue Stilistik" unbestimmt. E s lassen sich auch hier wiederum verschiedene Schulen unterscheiden, vgl. etwa Kaiser, 1962, 271 ff. 5 Bedauerlicherweise haben beide Autoren ihr Hauptwerk 1Π1013 ΝΊΠΙϋΠ» 1962, bzw. Estudios de Poetica Hebrea, 1963, in einer vielen kaum geläufigen Sprache erscheinen lassen. Für eine Charakterisierung des Buches von Alonso Schökel siehe etwa L. Krinetzki, B Z 9 (1965), 110—113. « F ü r das Folgende vgl. etwa Weiss, VT 13 (1963), 456 ff. (mit vielen Literaturhinweisen); Lohfink, Das Hauptgebot, 1963, 13 f.; Krinetzki, Das Hohe Lied, 1964, 46 — 50; Kaiser, u.a. 5. 289 ff.; Damaso Schökel, WellekWarren, Staiger, Erich Auerbach. Übrigens bin ich für die nachstehende

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Α. Einleitende Betrachtungen

Arbeitsweise), und zwar des literarischen Produkts als eines organischen Ganzen. Wir können dies nach verschiedenen Richtungen hin ausarbeiten. A. Es wird starker Nachdruck gelegt — und zwar in sehr weiten Kreisen — auf die Einheit von Form und Inhalt, von Gestalt und Gehalt. Stil ist keineswegs ein mehr oder weniger äußerlicher Schmuck, kein Ornament. Mit der Klassifizierung und Rubrizierung der verschiedenen Stilfiguren eines Gedichts allein ist es nicht getan, es muß gefragt werden, welche Funktion sie innerhalb des Ganzen erfüllen. In diesem Zusammenhang sei hingewiesen auf E. König, Stilistik, Rhetorik, Poetik, 1900, ein gutes Beispiel für die Methode der älteren Stilistik7. Es kann gesagt werden, daß König einerseits zu viele Definitionen von mancherlei Stilfiguren gibt, zu viele Unterscheidungen vornimmt, andrerseits jedoch zu wenig fragt, welche Funktion den verschiedenen stilistischen Verfahren zukommt. Indessen wird Königs Buch noch immer von vielen Forschern, die stilistische Betrachtungen zum AT anstellen, benützt. Der Wert von Aufzählungen, wie König sie gibt, darf denn auch nicht zu niedrig angesetzt werden — daher enthält auch die vorliegende Arbeit eine ansehnliche Reihe von Aufzählungen. Allerdings ist es wahr, daß mit der bloßen Feststellung, daß an einer bestimmten Stelle etwa ein Chiasmus vorkomme, noch sehr wenig gesagt ist. Dennoch ist die Aufzählung von Stellen, an denen ein Chiasmus vorkommt, nicht ohne Wert. Sie kann dazu führen, daß die chiastische Wortfolge in einer bestimmten Textstelle nicht unbeachtet bleibt. Sie zeigt ferner, wie häufig die Stilfigur des Chiasmus in der hebräischen Poesie begegnet8. So werden Auge und Ohr geschärft für das Aufspüren einer chiastischen Wortstellung, auch dort, wo nicht ohne weiteres ersichtlich ist, daß eine solche vorliegt (vgl. etwa § 29 Darstellung natürlich allein verantwortlich. Einigermaßen eklektisch zu Werke gehend, habe ich einige gegenwärtig in mehr oder weniger weiten Kreisen herrschende Anschauungen wiedergegeben, die mir für die Praxis der stilkritischen Untersuchung des AT von Wichtigkeit scheinen, und hier und da kritische Randbemerkungen eingeflochten. — Was die Untersuchung des AT angeht, so verraten die im Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten von Alonso Schökel, (Blenkinsopp,) Deurloo, Krinetzki, Lohfrnk, Reventlow, Weiss und Wolff eine mehr oder weniger starke Beeinflussung durch die „Neue Stilistik". 7 Siehe Alonso Schökels Beurteilung des Werks von König, SVT 7 (1960), 154; idem, Estudios de PocStica Hebrea, 1963, 30—32. "Noch 1962 konnte geschrieben werden (JBL 81, 45); „Chiasmus. Here Jeremiah seems almost to stand alone (I have noted only one example outside Jer, viz., Hos 4 l s b)·" Ridderbos, Psalmen

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I. Einleitender Teil

und zu Ps 18). Sodann hat auch die Bezeichnung der Funktion des Chiasmus oder anderer Stilfiguren ihre Grenzen; die genaue Funktion einer bestimmten Stilfigur an einer bestimmten Stelle läßt sich in Worten kaum ausdrücken. Dies gilt von Dichtung ganz allgemein und sicherlich auch von einer Poesie, die uns in verschiedener Hinsicht so fremd ist wie die hebräische9. B. Die Untersuchung literarischer Werke kann das Ziel haben, Aufschlüsse über außerliterarische Dinge zu erhalten, etwa über die Persönlichkeit des Dichters, über die Welt, in der er lebte, u. ä. Natürlich ist ein solches Vorgehen an sich vollkommen berechtigt, indessen erfordert ein literarisches Werk auch eine andere Behandlung. „Dichtung kann und muß zunächst als ein Gebilde betrachtet werden, das völlig selbständig ist, das sich restlos von seinem Schöpfer gelöst hat und autonom ist" (Kaiser, 1962, 289). Das heißt zugleich, daß die Bedeutung der Frage nach der Absicht des Verfassers nicht überschätzt werden darf. Wellek-Warren schreibt: „The whole idea that .intention' of the author is the proper subject of literary history seems, however, quite mistaken. The meaning of a work of art is not exhausted by, or even equivalent to, its intention. As a system of values, it leads an independent life" (1963, 42). Wir berühren hier Fragen von größter Wichtigkeit. Das Problem, welche Bedeutung die Absicht des Verfassers für die Exegese habe, ist seit eh und je sehr umstritten. Wir brauchen· hierauf nicht näher einzugehen 10 ; daß bei der stilistischen Untersuchung die Frage nach der Absicht des Verfassers nicht immer ausschlaggebend ist, leuchtet • Koeh, Wae ist Formgeechichte?, 1964, 19, schreibt, wie mir scheint, mit Recht: „Zwar sind stilistische Untersuchungen von biblischen Abschnitten durchaus möglich und nützlich, sie werden aber niemals zu so hohen stilkritischen Zielen gelangen, wie sie den Germanisten vorschweben." Krinetzkis Äußerung (1964, 21) „Bloße Statistiken, wie sie ζ. B. Gerleman (62 — 76) bietet, nützen hier gar nichts; was nottut, ist die Interpretation" ist viel zu scharf. Gerleman, Das Hohelied, 1963, spricht wohl über die Wirkung von Stilfiguren usw. Statistisches Material und Aufzählungen sind von — wenn auch begrenztem — Wert (siehe auch Krinetzkis eigene Bemerkungen auf S. 61). Hinzuzufügen ist noch, daß viele von Krinetzkis Versuchen einer „Interpretation" von Stilfiguren usw., wie er selbst zugeben dürfte, anfechtbar sind. 10 Mir scheint, daß sich gegen Kaisers Anschauungen Einwände erheben lassen. Siehe etwa die der oben zitierten folgende Bemerkung: „Bei der Dichtung gibt es nichts außerhalb Liegendes, das sie zu ihrem sinnvollen Dasein brauchte." Übrigens ist zu berücksichtigen, daß Kaiser hier von „Dichtung" spricht. S i e h e a u c h K o c h , 1964, 1 8 : „Unter

dem Einjluß

der phänomenologischen

Philo-

sophie sucht man nur noch das reine, in sich geschlossene Sprach-Kunstwerk" (Hervorhebung von mir).

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Α. Einleitende Betrachtungen

ohne weiteres ein und wurde gewiß nicht erst in jüngster Zeit entdeckt. So schreibt bereits Lund: „When giving consideration to the degree of consciousness needed for the production of any artistic writing, one should remember that consciousness of form is inversely proportional to the mastery attained" (AJSL 49 [1932/33], 288 f.)11. Im folgenden wird gelegentlich gefragt: Beabsichtigte der Dichter diese oder jene Wirkung? Dabei geht es nicht so sehr um den Grad der Bewußtheit, mit der der Dichter einen bestimmten Effekt erstrebte, sondern darum, ob der Stil, die Art und Weise des Dichtens, die poetische Tradition, in welcher der Dichter stand, einen solchen Effekt beabsichtigten. So verstanden, ist diese Frage sicherlich sinnvoll. Es genügt nicht, nach der Wirkung zu fragen, die ein bestimmtes stilistisches Verfahren auf uns ausübt oder ausüben kann. Wir müssen auch fragen, welche Wirkung es auf den Dichter und seine Zeitgenossen hatte, d. h. auf Menschen, denen die Art und Weise des Dichtens, zu dem jenes stilistische Verfahren gehört, als die normale Art und Weise des Dichtens galt12. C. Weiss schreibt von der Erzählung: „Es gilt ferner ihre inhaltlichen und formalen (ihre eigentümlichen wie traditionsgegebenen, gesellschaftlich verpflichtenden) Komponenten, nicht in ihrer Losgelöstheit von der Gesamterzählung an sich zu studieren, sondern ihren funktionellen Sinn innerhalb des Ganzen, die Art, wie sie die Erzählung in ihrer jetzigen Gestalt formen, zu betrachten" (VT 13 [1963], 459). Was Weiss hier über die Erzählung sagt, gilt sicherlich auch für Israels Psalmodie13. Es geht übrigens nicht an, aufgrund von Überlegungen, wie sie hier — und auch bereits unter Β — angestellt werden, die Gattungsforschung überhaupt abzuweisen. Natürlich ist es — auch im Hinblick 1 1 Vgl. auch Moulton, The Literary Study of the Bible, 1900, 565 f. Bei Moulton finden sich übrigens des öfteren Äußerungen, wie sie auch heute wieder begegnen, siehe ζ. B. 96 f.: „I believe that the study of literature will never reachs its proper level until it is realised that literature is an entity in itself, as well as a function of the individuals who contributed to it." Vgl. auch die m. E. gelungene Widerlegung einer kritischen Bemerkung Kochs durch Weiss, Bibl 46 (1965), 206. 12 Vgl. Wellek-Warren, 1963, 42 f. 13 Auch im Hinblick auf die Prophetie ist dieser Gesichtspunkt von Wichtigkeit, siehe u. a. Fohrer, Bemerkungen zum neueren Verständnis der Propheten, in: Studien zur alttestamentlichen Prophetie, 1967, 18—31, ζ. B. 30: Man muß unterscheiden „zwischen der Redeform und ihrer Funktion, zwischen dem ,Sitz im Leben' und dem ,Sitz in der Rede' ".

2*

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I . Einleitender Teil

auf stilistische Betrachtungen ! M — notwendig, nach dem Sitz im Leben eines Psalms zu forschen, die Psalmen, die vermutlich denselben Sitz im Leben hatten, miteinander zu vergleichen, um so zu ermitteln, aus welchen Elementen die betreffenden Psalmen gewöhnlich aufgebaut sind, usw. Indessen muß die Gattungsforschung sich vor Einseitigkeiten hüten. So darf sie nicht zu der Vorstellung führen, daß die Dichter der Psalmen, was die Gattungen angeht, unter einer Art Stilzwang gestanden hätten15. Ferner darf die Gattungsforschung nicht dazu führen, daß dem einzelnen Psalm, dem Einmaligen eines jeden Psalms zu wenig Beachtung geschenkt wird (vgl. die oben zitierte Äußerung von Weiss).

14 Mit R e c h t behauptet Krinetzki, 1964, 47, daß Weiss (vgl. vor allem B i b l 42 [1961], 261) dies zu sehr aus den Augen verliert; siehe auch Reventlow, 1967, 305 f. 1 6 Westermann, Das Loben Gottes in den Psalmen, 1963 3 , 48, schreibt, daß für die Klagepsalmen des einzelnen „konstitutiv" sind: „Anrede, Klage, B e k . der Zuv. oder Gewißheit der Erhörung, Bitte, Lobgelübde. Dies ist das Grundgefüge, das aber niemals.zu einem starren Schema w i r d ! " Dies scheint mir nicht befriedigend: Was bedeutet hier „konstitutiv" und „Grundgefüge" ? Siehe ferner Westermann, Struktur und Geschichte der Klage im Alten Testament, ZAW 66 (1954), 44 — 80; Westermann stellt in diesem Artikel gewiß verschiedene wertvolle Betrachtungen an, das Ganze ist jedoch unbefriedigend, da er zu schematisch zu Werke geht. — Van der Ploeg, De Psalmen, 1963, 20, will nicht von Gattungen, sondern von Typen sprechen: „Wie van ,soorten' spreekt, spreekt van stijldwang, van het (minstens door de gewoonte) voorgeschreven gebruik van geijkte formules en van een bepaalde opbouw van de psalm. Spreekt men van typen, dan sluit men stijldwang uit en laat een brede marge toe, waarbinnen een bepaald type al of niet gerealiseerd is" (deutsch etwa: „ W e r von .Gattungen' spricht, spricht von Stilzwang, von dem (zumindest durch die Gewohnheit) vorgeschriebenen Gebrauch geeichter Formeln und von einem bestimmten Aufbau des Psalms. Spricht man von Typen, so schließt man Stilzwang aus und läßt einen breiten Spielraum zu, innerhalb dessen ein bestimmter T y p realisiert, beziehungsweise nicht realisiert worden ist"). Sachlich gesehen, ist dies eine wichtige Bemerkung. E s ist jedoch nicht richtig, daß, wer von Gattungen spricht, auch von Stilzwang spreche; vgl. etwa WellekWarren, 1963, 226—237, besonders 233 — 235, wo auf den Unterschied zwischen „classical and modern genre theory" hingewiesen wird. Siehe auch V a n der Ploeg, Reflexions sur les genres littöraires des Psaumes, in: Festschrift Vriezen, 1967, 265—277; der Verf. gibt in diesem Artikel eine wertvolle Übersicht über die Reaktionen, die Gunkels Gattungsforschung ausgelöst hat, und bestimmt in sehr ausgewogener Weise seinen eigenen Standpunkt.

Α. Einleitende Betrachtungen

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§ 3. Die Einstellung zum überlieferten Text In dem vorliegenden Buch werden nur äußerst selten Abweichungen vom MT vertreten. Damit soll keineswegs gesagt werden, daß der MT immer den ursprünglichen Text — was immer man darunter auch verstehen will — biete. Mir scheint jedoch, daß der MT für Betrachtungen, wie sie hier angestellt werden, die zuverlässigste und am wenigsten subjektiv gefärbte Grundlage darstellt. Übrigens ist diese Frage in diesem Zusammenhang von viel geringerer Bedeutung, als es scheinen könnte. Will man den Aufbau der Psalmen nach formalen Gesichtspunkten behandeln (Metrum, Strophenbau), so ist die Haltung, die man gegenüber dem überlieferten Text einnimmt, von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. § 33). Will man aber, wie es hier in der Regel geschieht, den Aufbau der Psalmen nach inhaltlichen Gesichtspunkten untersuchen, so verhält sich dies völlig anders. Zwar kann allzu hartnäckiges Festhalten am MT dazu führen, daß die richtige Bedeutung bestimmter Texte nicht erkannt wird, so daß man etwa eine Stilfigur dort entdeckt zu haben meint, wo sie nicht vorhanden ist (oder umgekehrt) — auf das Gesamtresultat aber dürfte dies keinen oder nur geringen Einfluß haben. Vgl. auch § 18a.

Β . KLANG, METRUM, PARALLELISMTJS MEMBRORUM

§ 4. Der Klang Wie jedem Dichter überhaupt, so war gewiß auch dem hebräischen Dichter der Klang wichtig. Aus mancherlei Gründen wissen wir jedoch nicht, wie das Hebräische für die Psalmisten und ihre Zeitgenossen geklungen hat. Zur Funktion des Klangs innerhalb des Aufbaus der Psalmen mache ich daher nur wenige Bemerkungen16*. Ps 2224 verdankt seinen kräftigen Klang den vielen u-Lauten, die hier verwendet werden; man beachte insbesondere das hafltihu und MbbedMÜ. In Ps 7 17 will der Dichter das ius talionis zum Ausdruck bringen; durch das vierfache 6 tritt dies um so deutlicher zutage. In Ps 32 f beachte man das fünffache im. Der Gleichklang von saraj und 'alaj erhält durch die Trennung dieser Wörter durch zwei auf im auslautende Wörter eine besondere Funktion. Zu dem Problem der Funktion des Reims in der hebräischen Poesie vergleiche man die vorsichtigen Darlegungen von König, 1900, 355-357; s. auch Böhl JEOL 15 (1957/58), 139, der u. a. verweist auf Ps 146e_9. i e b Siehe ferner § 16a. § 5. Das Metrum Wie bereits oft festgestellt wurde, wird die Urteilsbildung über die Funktion des Metrums in der hebräischen Poesie durch den Umstand sehr erschwert, daß unsere Kenntnis der Aussprache des Hebräischen zu der Zeit, in der die Dichtung entstand, lückenhaft

ie» Fi} r die Funktion der Lautgestaltung in der hebräischen Dichtersprache siehe Alonso Schökel, 1960, 155—157; idem, 1963, 71 — 117; vgl. auch Krinetzki, 1964, 55 — 60 (u. a. über Klangmalerei und Lautsymbolik, 58 — 60); Reventlow, 1967, 315 — 318. 322. leb

Siehe ferner ζ. B. L. Prijs, Der Ursprung des Reimes im Neuhebräischen, BZ 7 (1963), 33—42; Krinetzki, 1964, 55 f.; vgl. auch K. G. Kuhn, Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim, 1950, und R.-R. Jestin, La rime sumerienne, BiOr 24 (1967), 9—12.

Β. Klang, Metrum, Parallelismus membrorum

11

ist; hinzu kommt, daß wir nicht wissen, inwieweit die Gedichte uns in ihrer ursprünglichen Form vorliegen. Soweit wir uns über die Fragen des Metrums ein Urteil bilden können, gilt folgendes. Bezeichnend für die hebräische Poesie isr die Verdoppelung, eventuell auch die Verdreifachung (vgl. § 42. 43); die Verszeile besteht also gewöhnlich aus zwei, eventuell auch drei Teilen. Das den hebräischen Dichtern eigene Gefühl für Ausgewogenheit und Harmonie hat bewirkt, daß diese Teile der Verszeile in der Regel entsprechend viele betonte Silben erhielten, jedoch hielten die Dichter sich — in dieser Hinsicht ebensowenig wie in anderer Hinsicht — keineswegs an strenge Vorschriften. Soweit zwischen dem System von Ley-Sievers und dem von Hölscher-Mowinckel gewählt werden muß, wähle ich einstweilen das erstere17*. § 6 - 9 . PARALLELISMUS MEMBRORUM

§ 6. Allgemeine

Bemerkungen

Auch den Parallelismus membrorum behandle ich im allgemeinen nur kurz17b; lediglich auf einzelne Gesichtspunkte gehe ich näher ein, siehe § 7 — 9. Allgemein kann gesagt werden, daß die Psalmisten bei der Verwendung des Parallelismus membrorum eine reiche Variierung zu erreichen wissen und sich große Freiheiten erlauben, anders gesagt: es begegnen viele Unregelmäßigkeiten. Bei der Besprechung der einzelnen Psalmen wird hierauf häufig hingewiesen, siehe zu Ps 19 g _ 1 0 20 34 s _ 8 usw. Verschiedene Beispiele für den klimaktischen Parallelismus 18 kommen in § 19—23 zur Sprache, für den antithetischen Parallelismus 17a

Man vergleiche ferner, neben den Kommentaren, ζ. B. Eissfeldt, Einleitung, 1964, 76 ff., auch 988 f.; Koch, 1964, 108 — 110; Horst, Die Kennzeichen der hebräischen Poesie, ThR 21 (1953), 97 — 121; Böhl, Bijbelse en Babylonische dichtkunst, JEOL 15 (1957/58), 133 — 153; Coppens, Les etudes röcentes sur le Psautier (in: R. de Langhe, 6d., Le Psautier, 1962, 1 — 71), 46—48; Fohrer, ThR 28 (1962), 37 — 39; Kosmala, Form and Structure in Ancient Hebrew Poetry (A new approach), VT 14 (1964), 423 — 445; 16 (1966), 152-180. 17b Für einige Betrachtungen anderer Art über diese Erscheinung verweise ich auf meine Arbeit: De Psalmen, I 1962, 32 — 35. 18 Mit dem Terminus „klimaktischer Parallelismus" benenne ich einen Parallelismus, bei dem die Glieder einer Verszeile eine Klimax bilden. Kraus,

12

I. Einleitender Teil

in § 24—25, den chiastischen Parallelismus in § 26—2919. Bei der Behandlung der einzelnen Psalmen wird wiederholt auf das Vorkommen des externen Parallelismus hingewiesen, siehe zu Ps 19 g _ 10 27x 3 8b _ e 31 21 33 1 3 f 34 5 _ 7 i e f 35 4 _ β 2e 38 1 4 f 40 15 _ 18 . § 7. Monostischen und Triatichen In den weitaus meisten Fällen gehören je zwei Stichen zusammen. In diesem Paragraphen behandle ich diejenigen Verszeilen der Psalmen 1—41, in denen dies nicht der Fall ist. Wir betreten hier ein heikles Gebiet. Über die Frage, welche Verszeilen nicht als Doppelstichen anzusehen seien, herrscht keineswegs Einmütigkeit. Das hängt vor allem mit zwei Dingen zusammen: 1. Es steht häufig nicht fest, wie die Stichen abgegrenzt werden müssen. Um nur ein Beispiel zu nennen: wie muß man Ps 7 15 einteilen ? Kraus u. a. nehmen folgende Einteilung vor: Siehe, er ist befruchtet mit Bösem, geht schwanger mit Unheil und gebiert Lüge.

Gunkel u. a. teilen ein: Siehe, er ist befruchtet mit Bösem, geht schwanger mit Unheil und gebiert Lüge.

Mir erscheint die Einteilung von Kissane u. a. als die beste: Siehe, er ist befruchtet mit Bösem, geht schwanger mit Unheil und gebiert Lüge.

2. Vielfach wird, wenn der überlieferte Text keine Doppelstichen bietet, angenommen, daß es sich um eine verderbte Textstelle handle. Dazu sei bemerkt: Eine Emendation ist nicht zulässig, wenn sie nur durch die Annahme veranlaßt wird, daß der Aufbau des Psalms ursprünglich regelmäßig gewesen sei. Um auch hier ein Beispiel für

Psalmen, I 1960, X X X I , und andere bezeichnen mit diesem Terminus einen Parallelismus, „in dem der zweite Stichos ein Wort des vorhergehenden wiederaufnimmt". In diesem Fall spreche ich von „Stufenrhythmus", siehe § 10. 19 Für den synonymen Parallelismus siehe z. B. R. G. Boling, „Synonymous" parallelism in the Psalms, JSSt 6 (1960), 221—265.

Β. Klang, Metrum, Parallelismus membrorum

13

viele zu geben: es geht, so meine ich, nicht an, Ps 22c als eine spätere Hinzufügung zu betrachten20. Ich gebe nachstehend eine Übersicht des betreffenden Textmaterials. Die dabei vorgenommene Einteilung ist sehr unvollkommen und von begrenzter Bedeutung. Diese Übersicht vermittelt einen Eindruck von der Freiheit, mit der die Psalmisten den Parallelismus membrorum verwenden. Es gibt Fälle, in denen ein Stichos gewissermaßen gesondert steht, in denen, anders ausgedrückt, eine Verszeile aus nur einem Stichos besteht. Zuweilen kann von einem Vorschlag gesprochen werden, siehe Ps l l l a 22 12a 251 31^ ^ 10a 22a 368a, gelegentlich auch von einem Nachschlag, siehe Ps 20ec 22 i e c 29 9o 36 , c 3740c und auch Ps 2 12c 15Sc. Daneben gibt es Fälle, in denen mehr oder weniger unerwartet ein paralleler Stichos fehlt, siehe Ps 6 7a 184eb 27ee 29 7 35 te 13c 17a 3720c. Es folgen die Tristichen. Ich nenne zunächst die Verszeilen, die in Sievers' System die Formel 2 + 2 + 2 haben, siehe Ps 7 1S b c 10 life. d. β Π 7 ^ 2 5 a . b. c 234c d e 27 13 39g. Sodann weise ich darauf hin, daß die göttliche Antwort des öfteren in einem Tristichos gegeben wird; es ist nicht verwunderlich, daß eine göttliche Antwort sich auch ihrem dichterischen Aufbau nach vom Kontext unterscheidet, siehe Ps 12e 20, 28 5. Manche Tristichen21 bestehen aus drei mehr oder weniger synonymen Stichen, siehe 7e 105 153 4c Sa b 1 6 n 18 31 3e. 51 2224 30 29 3 36 s 2

39l3a. b. c ^ 1 7 ·

20

Nach Mowinckel, Real and Apparent Tricola in Hebrew Psalm Poetry, 1957, kommen „real tricola" in den Psalmen 1 — 41 nur vor in 24,_ 1 0 , siehe 16f. Daß nach Ansieht vieler Exegeten auch in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl anderer Fälle Tristichen vorkommen, sei eine Folge einer (häufig bereits auf die Massoreten zurückgehenden) unrichtigen Einteilung der Verszeilen oder einer unrichtigen Überlieferung des Textes, vgl. auch 87 — 97 zu 2 , a 12e 20 ec 22J7C 24 1c („formulae extra metrum" etc.). Daß Mowinckel verschiedentlich eine von der üblichen abweichende Einteilung vornimmt, hängt o f t mit seiner Skandierung zusammen, vgl. 22—31, auch ζ. B. 10. Ferner scheint es mir offenkundig, daß Mowinckel sich in seiner Einstellung zu dem überlieferten Text zu weitgehend von aus dem Metrum, dem Aufbau der Verszeilen und dem Strophenbau hergeleiteten Argumenten bestimmen läßt. Siehe ferner auch 100, wo Mowinckel schreibt, es gebe Fälle, in denen ,,I myself admit that the arguments (nämlich für die Annahme einer Textenstellung) are not decisive". 21 Die nachstehend genannten vier „Arten" von Tristichen werden auch von Mowinckel 17—21 unterschieden, der hierauf ausführlicher eingeht.

14

I. Einleitender Teil

Zuweilen sind die beiden ersten Stichen mehr oder weniger synonym, zumindest in irgendeiner Weise eng miteinander verbunden, während der dritte Stichos ein neues Element einführt, siehe 22 5 3 112 144 18 s 9. 14 197 15 22 17 2 , 23 3 24,. 9 25 s . 7 27X1 322 37 5 38 13 394. 5. 6. In anderen Fällen hingegen nimmt der erste Stichos einen gesonderten Platz ein, siehe Ps 2, 8 7g 13e 195(, β 244 8 10 27 12 372S 39, 402. Bisweilen besteht ein gewisserZusammenhang zwischen dem ersten und dem dritten Stichos, siehe Ps 5 e 133 27 14 41 3 . F ü r die Wirkung, die durch die Verwendung von Tristichen erzielt wird, siehe § 47. § 8. Enjambement Mowinckel schreibt: „The true ,enjambement', i. e. the transference of ideas and sentences beyond row or period, so that the logical caesura does not coincide with the metrical one but falls within a colon, occurs rather seldom" (The Psalms in Israel's Worship, II 1962, 170). Diese Feststellung scheint mir richtig, nur würde ich das Wort „rather" lieber streichen. Als Beispiel führt Mowinckel Ps 32^ b an: Wie glücklich der Mensch, dem nicht anrechnet Jahwe die Ungerechtigkeit.

Es ist sehr gut möglich, daß er sich mit Recht auf diese Stelle beruft; mit Sicherheit läßt sich dies jedoch nicht sagen, da die Einteilung der Stichen nicht feststeht. Kissane 22 gibt folgende Einteilung: Wie glücklich der Mensch, dem nicht anrechnet Jahwe die Ungerechtigkeit und in dessen Geist kein Trug ist.

Auch folgende Einteilung ist möglich 23 : Wie glücklieh der Mensch, dem nicht anrechnet Jahwe die Ungerechtigkeit.

Vgl. auch etwa Ps 1014 31 1β (siehe jedoch z. St.) 32 te b.

2S

Für diese Einteilung spricht Ρθ 1,. In diesem Fall hätte die Zeile die Formel 2 -f- 2 + 2, und es läßt sich schwerlich leugnen, daß diese Formel in einigen Verszeilen begegnet, vgl. etwa Ps 22 I5a- 1,. c> siehe § 7. 83

Β. Klang, Metrum, Parallelismus membrorum

§ 9. „Der Satzstil im

15

Fünfer"

Beglich schlug in „Der Satzstil im Fünfer" (in: Gesammelte Studien zum AT, 1964, 132—167) einen bestimmten Weg ein, um Aufschlüsse über den Aufbau der Psalmen zu erhalten. Zwar habe ich nicht die Absicht, auf diesem Weg weiterzugehen, aber es ist wohl erforderlich, auf Begrichs Untersuchungen hinzuweisen. Beglich sagt, es sei notwendig, „Untersuchungen über den Satzstil im Vers zu führen" (133). Der Fünfer trete in verschiedenen Formen, Bauarten auf. Er unterscheidet vier Formen: Fünfer mit durchgehendem Satz (136; siehe ζ. B. Ps 57b c), Fünfer mit zwei verschiedenartigen Sätzen (140; siehe ζ. B. Ps 5 l l c d), Fünfer mit einem Satz und Wiederaufnahme einzelner Glieder (142; siehe ζ. B. Ps 19^ b), Fünfer mit zwei parallelen Sätzen (145; siehe ζ. B. Ps 27Sc d). Die Fünfer gehören häufig in Zweier- oder Dreiergruppen zusammen. Beglich untersucht, welche Kombinationen von Formen, Bauarten des Fünfers in diesen Gruppen vorkommen (vgl. 146—160).

II. Allgemeiner Teil

Α . STILISTISCHE

VERFAHREN

§ 1 0 - 1 8 . D I E STILFIGUR D E R WIEDERHOLUNG

§ 10. Allgemeines Verwendet man den Terminus „Wiederholung" in einem weiten Sinne, so braucht man bei der Behauptung, daß das Stilmittel der Wiederholung das wichtigste Stilmittel der israelitischen Dichter war1, keinen Widerspruch zu befürchten. Man denke nur an den Parallelismus membrorum. Hier befasse ich mich jedoch vor allem mit dem, was „die Stilfigur der Wiederholung im engeren Sinne" genannt werden kann: mit der Erscheinung, daß ein und dasselbe Wort in einem bestimmten Zusammenhang öfter als einmal vorkommt, oder daß zwei oder mehr stammverwandte Wörter gebraucht werden. Besonders hervorgehoben wurde diese Stilfigur von Buber und Rosenzweig. So schreibt Buber, Zur Verdeutschung der Preisungen, 1958, 4 (Werke, II 1964, 1159): ,,die Wiederholung lautgleicher oder lautähnlicher, wurzelgleicher oder wurzelähnlicher Wörter undWortgefüge tritt innerhalb eines Abschnitts, innerhalb eines Buches, innerhalb eines Bücherverbands mit einer stillen, aber den hörbereiten Leser überwältigenden Kraft auf". Buber und Rosenzweig erblickten die Aufgabe des Übersetzers darin (a. a. 0 . 1 Siehe Muilenburg, Α Study in Hebrew Rhetoric usw., SVT I, 1953. 100. Nicht nur in der Poesie, sondern auch in der Prosa Israels spielt die Stilfigur der Wiederholung eine wichtige Rolle. Auch in der Literatur von Israels Umwelt, namentlich der ugaritischen, nimmt sie einen breiten Raum ein. Überhaupt ist die Bedeutung, welche die Stilfigur der Wiederholung ganz allgemein in der Literatur hat, nicht zu unterschätzen. Vgl. ζ. B. Seidler, Allgemeine Stilistik, 1953, 155, der aus W. Baabe, Verworrenes Leben, 191 f., folgendes anschauliche Beispiel für die „Stilfigur der Wiederholung im engeren Sinn" gibt: „(Nach einem Selbstmord:) Die große Stadt schlief, und der Vater schlief — schlief! — . . . Langsam, langsam trug ihn dieser (der Fluß) weiter, . . . jetzt im tiefen Schatten einer Kirche weiter — langsam, langsam, aber unaufhaltsam, wie diese ebenso trübe Flut des Lebens den Lebendigen trug — weiter, weiter." Siehe vor allem auch Staiger, Grundbegriffe der Poetik, 1961, 2 7 - 3 6 .

20

I I . Allgemeiner Teil

5, 1160), „daß er, wo es nottut und wo es angeht, einen hebräischen Wortstamm durch einen einzigen deutschen wiederzugeben bestrebt sei, einen nicht durch mehrere, mehrere nicht durch einen"2. Im allgemeinen wird es nach Möglichkeit vermieden, ein Wort oder eine Wendung in einem bestimmten Zusammenhang öfter als einmal zu verwenden. In gewissen Fällen aber kann die Wiederholung eines oder mehrerer Wörter, ja eines ganzen Satzes, eine ästhetisch gerechtfertigte Wirkung erzielen. Zunächst sei auf zwei Formen dieser Erscheinung hingewiesen, die sich in der hebräischen Poesie finden und auch andernorts vielfach vorkommen: der Refrain und die Inklusion; siehe unten, § 14. 15. Aber auch in anderer Form ist diese Erscheinung in der hebräischen Poesie vielfach anzutreffen. Man verwendet für sie verschiedene Bezeichnungen. Zunächst muß der Terminus „Stichwörter", „Leitwörter", „Schlüsselwörter" („keywords", „catchwords") genannt werden. Buber, Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift, 1954, 15, schreibt: „Unter Leitwort ist ein Wort oder ein Wortstamm zu verstehen, der sich innerhalb eines Textes, einer Textfolge, eines Textzusammenhangs sinnreich wiederholt: wer diesen Wiederholungen folgt, dem erschließt oder verdeutlicht sich ein Sinn des Textes oder wird auch nur eindringlicher offenbar."

2

Siehe ferner ζ. B. Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ihre Verdeutschung, 1936; Buber, Good and Evil, 1953. Siehe von Muilenburg neben dem bereits zitierten Artikel in SVT I etwa: Introduction t o Isaiah 40 — 66 (IB, V 1956, 381 — 419), 389 ff. Wichtig sind ferner die Betrachtungen von Schwab in Tournay-Schwab, Les Psaumes, 19552, 62 — 76, sowie von Alonso Schökel, 1963, 231 — 250. An älterer Literatur nenne ich hier König, 1900, besonders 152 — 166. 285 — 304; H . Reckendorf, Über Paranomasie in den semitischen Sprachen, 1909; L. Köhler, Deuterojesaja (Jesaja 40 — 55) stilkritisch untersucht, 1923, u. a. 78 — 80. 93 ff. (Köhler spricht von „Variation und Nachklang"; er n e n n t die Wiederholung in Jes 53, den „schönsten und eindrücklichsten Nachklang in der ganzen Schrift" [95]). — I n mehreren — und zwar hauptsächlich neuer e n — Kommentaren u n d Monographien wird diese Stilfigur hervorgehoben. So etwa in den Kommentaren von U. Cassuto, wie auch bei Lohfink, D a s Hauptgebot, 1963, Deurloo, Kaün en Abel, 1967. Siehe ferner u. a. die im Literaturverzeichnis aufgeführten Artikel von Gerleman, Held, Liebreich, Magne, W a r d . — F ü r das Vorkommen dieser Stilfigur in Israels Umwelt siehe etwa W . F. Albright, The Psalm of H a b a k k u k (in: Η . H. Rowley, ed., Studies in Old Testament Prophecy, 1950, 1 —18), 13 ff., in der Literatur von Qumran ζ. Β. H . Goedhart, De slothymne van h e t Manual of Discipline, 1965, 349—361. F ü r eine Übertragung des Verfahrens von Buber auf das N T siehe F . H . Breukelman, E n het geschiedde . . . , 1961; idem, Om het levende Woord, I, 1, 1966.

21

Α. Stilistische Verfahren

Auch der Terminus „ S t u f e n r h y t h m u s " („stairlike parallelism") wird vielfach benützt, u. a. von Franz Delitzsch, Die Psalmen, 18834. Mit der Berufung auf Gesenius u. a. s t ü t z t Delitzsch seine Behauptung (780 f.), daß P s 120—134 „von ihrem stufenweise fortschreitenden Gedanken-Rhythmus den Namen haben". U n d weiter: „Die Lieder heißen Stufenlieder als klimaktisch und zwar mittelst . . . Wiederaufnahme des unmittelbar vorausgegangenen Worts steigerungsweise sich fortbewegende Lieder." Siehe auch etwa König, 1900, 302 ff.; Ch. A. und E . G. Briggs, The Book of Psalms, 19274, X X X I V ff. Ferner spricht man ζ. B. von „Anaphora" (oder „Epanaphora"), bzw. „ E p i p h o r a " bei der Wiederholung am Anfang, bzw. am E n d e von aufeinanderfolgenden Wortgruppen, Sätzen oder Perioden, vgl. etwa P s 3 2 b 3 a 24 10 , von „Anadiplose" 3 (oder „Epanastrophe"), wenn das Ende eines Satzes zu Beginn des folgenden Satzes wiederholt wird (es handelt sich dabei u m eine Art Chiasmus), vgl. etwa P s l e 25 T f 33 1 0 f 35^, von „Ploke" bei Gleichklang von Anfang u n d E n d e eines oder mehrerer aufeinanderfolgender Sätze, vgl. etwa P s 27144. Die Verwendung derartiger Termini k a n n ihren Nutzen haben. Ihre Bedeutung ist jedoch naturgemäß begrenzt. Überdies begegnet die besagte Erscheinung in der hebräischen Poesie in so mannigfachen Abwandlungen, daß der Versuch, jede Erscheinungsform mit einem adäquaten N a m e n zu versehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Der hebräische Dichter liebt es, mit einem Wort zu spielen 5 , den Rahmen, in dem es steht, gleichsam zu vertauschen und seine verschiedenen Bedeutungsnuancen hervortreten zu lassen. § 11.

Beispiele

I m vorstehenden wurde bereits angedeutet, daß die Stilfigur der Wiederholung mancherlei Funktionen erfüllen kann. Ich versuche, dies anhand verschiedener Beispiele zu konkretisieren. Psalm 3. V. 2a.b.3a gebrauchen „viel" (siehe auch v. 7). Hier k a n n von einer Anapher gesprochen werden. Auf eine einfache, aberwirkungs3

F ü r den breiten R a u m , den die Anadiplose in der jüdischen Literatur einnimmt, siehe A. Mirsky, Tarbiz 28 (1959/60), 171 — 180 und IV. * F ü r die vier letztgenannten Stilfiguren siehe vor allem König, 1900, 298—302, wo viele Beispiele gegeben werden; ferner auch Kaiser, 1962, 115 f., Krinetzki, Das H o h e Lied, 1964, 68 — 71. 4 Auch d a s „Spielen" mit Buchstaben k o m m t im AT vor, siehe t t w a J e r 25 l e 51 41 , wo ' ϊ ρ ' Φ ein K r y p t o g r a m m f ü r „ B a b e l " darstellt (das sogenannte ϊί'ΞίΓΐΧ), siehe auch J e r 51,. Ridderboa, Psalmen

3

22

II. Allgemeiner Teil

volle Weise weiß der Dichter nachdrücklich hervorzuheben, wie zahlreich die Feinde sind. Am Schluß der Perikope v. 2-7 wird der Stamm noch einmal gebraucht: auf diese Weise wird der Gegensatz zwischen dem Anfang und dem Ende dieser Perikope unterstrichen (man könnte hier von einer Inklusion sprechen, vgl. § 15). Bemerkenswert ist in diesem Psalm auch der Gebrauch von Die Feinde behaupten, es gebe für den Dichter keine Befreiung bei Gott oder bei irgendeinem göttlichen Wesen, v. 3 (es ist sicherlich bedeutungsvoll, daß in v. 3 und v. 8b DTI^N steht, während in diesem Psalm sonst stets ΠΐΤ gebraucht wird, siehe v. 2.4.5.6.8a.9). Der Dichter bittet, Gott möge diesen Hohn zuschanden machen: „befreie mich, mein Gott" (M^N !), v. 8. V. 9 bringt die tröstende Versicherung, daß die Befreiung in Jahwes Macht steht. Der Hilfeschrei Ή^Ν "JJJ^TI in v. 8 hat an sich bereits einen sehr dringlichen Charakter; er wird jedoch durch die vorhergehende Aussage in v. 3 nicht unbeträchtlich verstärkt: nflJJW jH* )b- So ist auch die Versicherung HJ?Hi>Tl ΠΗ^ in v. 9 an sich schon inhaltschwer; wieviel reicher aber wird der Ausspruch dadurch, daß ihm die höhnende Aussage in v. 3 und der Notschrei in v. 8 vorangehen ! Ferner kann darauf hingewiesen werden, daß sowohl in v. 2 wie in v. 8 Dip gebraucht wird. Vielleicht läßt sich sagen, daß ein bestimmter Effekt erreicht wird, wenn zunächst festgestellt wird: „viele sind es, die sich wider mich erheben", v. 2, und später gebetet wird: „Erhebe dich, Jahwe", v. 8. Psalm 10. Auch dieser Psalm enthält verschiedene Beispiele für die Stilfigur der Wiederholung. An dieser Stelle möge folgendes genügen (siehe ferner auch z. St.): V. 8 f. schildern durch die Verwendung des Stufenrhythmus das Fortschreiten der Handlung (vgl. ζ. B. Ps 8

Er sitzt auf der Lauer bei Gehöften; an verborgenen Orten tötet er den Unschuldigen. Seine Augen: nach dem Schwachen spähen sie; • er lauert im Verborgenen wie ein Löwe im Gebüsch. Er lauert, den Elenden zu fangen; er fängt den Elenden,

indem er ihn in sein Netz zieht.

V. 11-15 lauten: 11

12

13

Er spricht in seinem Herzen:

Gott vergißt

es,

er verbirgt sein Angesicht, er sieht es nie und nimmer. Stehe auf, Jahwe; Gott, erhebe deine Hand; vergiß die Elenden nicht! Warum verachtet der Frevler Gott, spricht er in seinem Herzen, daß du nicht danach suchst?

23

Α. Stilistische Verfahren 14

D u hast es gesehen, denn du: auf Mühsal und Kummer blickst du und nimmst sie in deine Hand. Auf dich verläßt sich der Schwache; dem Waisen warst du, du ein Helfer. 15 Zerbrich den Arm des Frevlere·, und der Böse: suchet du nach seinem Frevel, du wirst ihn nicht finden.

Die Wendung „er spricht in seinem Herzen" hat etwas Refrainartiges, v.11,13, siehe auch v.(4.)6. Der dringende Charakter der Bitte „vergiß die Elenden nicht", v.12, wird durch den vorangehenden Ausspruch des Frevlers, „Gott vergißt es", v . n , nicht unbeträchtlich verstärkt. I n v.ll steht auch der Satz: „Er sieht es nie und nimmer". Wie triumphierend klingt danach der Satz „Du hast es gesehen" in v.l4a®! Bei v.l5b können wir vielleicht von Ironie sprechen. Der Frevler meint, Gott suche nicht heim, v.13, auch v.4. Der Dichter sagt: wenn Gott sich die Mühe machen will, nach dem Frevel zu suchen, wird er feststellen, daß er bereits verschwunden ist, und zwar so restlos verschwunden, daß selbst das göttliche Auge ihn nicht mehr findet. das in v.2-4 bereits dreimal gebracht wurde, steht auch in v.13 und v.15, siehe außerdem auch in v.15: durch die ständige Wiederkehr dieses Wortes wird sehr stark betont, daß der Widersacher ein Frevler ist; siehe zu Ps 1, vgl. auch den Gebrauch von άσεβεϊν und Derivaten in Judas 16 7 . Vielleicht kann gesagt werden, daß durch den Gebrauch von „deine Hand" in v.12 und v.H eine bestimmte Wirkung erzielt wird; Gottes Hand ruht zuweilen eine Zeitlang untätig an seiner Seite, wenn er jedoch aufsteht, erhebt er seine Hand, nimmt Mühsal und Kummer in seine Hände, um sie genau zu betrachten, zu bewahren und dereinst Vergeltung f ü r sie zu geben: Strafe dem Gottlosen, Freude dem Unterdrückten. Psalm 11. I n diesem Psalm spielt die Stilfigur der Wiederholung eine sehr wichtige Rolle, ρ^ΊΧ kann als ein Stichwort bezeichnet werden. Siehe ferner z. St.

6 Hiermit läßt sich der Gebrauch von „sehen" in Ps 35 21 f, vergleichen. Beide Fälle entsprechen einander übrigens nicht völlig. Ps 10 u kann eher als Ps 3 5 J J „triumphierend" genannt werden. „Du hast gesehen" in Ps 35 2t enthält eher einen kräftigen Beweggrund des göttlichen Einschreitens für die Bitte. 7 Übrigens bedient der Dichter sich neben der Wiederholung auch anderer Stilmittel, um einer Aussage Nachdruck zu verleihen: in v. 7 benützt er zur Kennzeichnung des Frevlers eine Häufving von fünf mehr oder weniger synonymen Wörtern, vgl. § 16b.

3*

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I I . Allgemeiner Teil

Psalm 18. Insonderheit in v.2l-278 wird die Stilfigur der Wiederholung in auffallender Weise verwendet. Diese Perikope ist überaus kunstvoll geordnet. Man könnte sie mit einer kostbaren Stickerei vergleichen. Der kunstvolle Aufbau tritt durch den dramatischen Charakter von v.4-20 um so deutlicher hervor. V.21-27 lauten: 21

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27

Der Herr behandelte mich nach meiner Gerechtigkeit; nach der Reinheit meiner Hände vergalt er mir. Denn ich habe mich gehalten an die Wege des Herrn; und ich bin nicht gottlos gewichen von meinem Gott. J a , all seine Verordnungen h a t t e ich vor Augen; und seine Satzungen schob ich nicht beiseite. So war ich untadelig vor ihm; und hütete ich mich, eine Missetat zu begehen. So vergalt der H e r r mir nach meiner Gerechtigkeit, nach der Reinheit meiner H ä n d e vor seinen Augen. Gegen den Treuen zeigst du dich treu; gegen den Mann der Untadeligkeit zeigst du dich untadelig. Gegen den Reinen zeigst du dich rein; und gegen den Falschen zeigst d u dich unergründlich.

V. 22-24 enthalten sechs sehr eng verwandte Beteuerungen der Gerechtigkeit; einer positiven Beteuerung folgt stets eine negative9. Die sechs Beteuerungen der Gerechtigkeit werden von zwei Versen umrahmt, die im wesentlichen gleich lauten, v. 21 und v. 25. In v. 26 f. geht der Dichter vom Einzelfall auf die allgemeine Regel über. Diese Verse sprechen viermal aus, daß das Tun Gottes ein Spiegelbild von des Menschen Tun sei10. In v. 26a.b.27a wird jeweils das Wort, das sich auf den Menschen bezieht, auch auf Gott bezogen; in v. 27b ist dies nicht der Fall11. Die Aussage von v. 27b hat somit formal gesehen etwas Unerwartetes, wodurch sie natürlich hervor8

Siehe zu dieser Perikope auch R . Schwab, Note sur la nouvelle edition (in: Tournay-Schwab, Lea Psaumes, 19552, 62—76), 71. * Der Dichter erreicht auch hier, daß die Wiederholung nicht eintönig wirkt, i j und werden sowohl in v. 22 wie in v. 23 gebraucht, fehlen aber in v. 24. Bei aller Verwandtschaft zwischen v. 22 und v. 23 besteht doch auch ein Unterschied zwischen diesen Versen. So stehen in v. 22 die Verben, in v. 23 die Substantive im Vordergrund. 10 Dies ist ein Gedanke, der im AT und auch andernorts wiederholt begegnet, siehe etwa I Sam 2 30 15 23 . 11 Es wäre auch k a u m möglich, U pj? auch in bezug auf Jahwe zu gebrauchen. Übrigens bezeichnet auch ein Verflochtensein, Verwickeltsein; es k a n n soviel wie „verschlagen, arglistig" bedeuten, Prov 8, Hi 5 l ä . J . Ridderbos übersetzt Ps 18,,5: ,,en jegens de valsaard betoont Gij U ondoorgrondelijk" (deutsch etwa: „und dem Falschen gegenüber zeigst du dich unerforschlich").

Α. Stilistische Verfahren

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epringt. Dem muß jedoch noch etwas hinzugefügt werden. Daß die Aussage in v. 27b in formaler Hinsicht etwas Unerwartetes hat, paßt merkwürdig gut zu ihrem Inhalt. V. 26a.b.27a drücken aus: Jahwe verhält sich dem Frommen gegenüber so, wie der Fromme von ihm erwarten darf (die Stilfigur der Wiederholung dient hier der Hervorhebung des rationalen Charakters von Gottes Handeln, vgl. § 17); v. 27b fügt hinzu, daß Gott mit dem Gottlosen anders verfährt, als dieser erwartet, vgl. Ps 73 l g Hi 5 1 3 Jes 2914 u. a. Daß zwischen v. 26 f. und v. 21-25 ein enger Zusammenhang besteht, wird durch den Gebrauch von T , 3 und einem Derivat in v. 21.25.27, von D'lDil in v. 24.26 unterstrichen. Psalm 19. Nach „der eine Tag nach dem anderen läßt eine Sprache ausströmen", v. 3, bringt die unerwartete Aussage „Da ist keine Sprache", v. 4, das Geheimnisvolle der Sprache der Himmel deutlich zum Ausdruck; siehe ferner z. St. und § 63c. Psalm 22. Es ist sicherlich sinnvoll, den Ausdruck „fern sein" als ein Schlüsselwort dieses Psalms zu bezeichnen: dieses Wort steht zu Beginn jedes der drei Teile des Klagelieds, v. 2.12.20. Siehe weiter z. St. 12 . Deutliche Beispiele für den Stufenrhythmus bieten v. 5 f. 10 f. Mit leidenschaftlicher K r a f t beruft sich der Dichter in v. 5 f. darauf, daß Jahwe die Väter, die auf ihn vertrauten (dreimalffiDD;Anapher), hat entkommen lassen (to^B in v. 5, lO^ü in v. 6). In v. 10 f. stellt er mit großem Nachdruck fest, daß er vom Beginn seines Lebens an mit Jahwe verbunden war (zweimal „Schoß", zweimal „meine Mutter"). Dadurch, daß „vertrauen" auch in v. 10, „entkommen lassen" auch in v. 9 stehen, werden Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen des Psalms hergestellt. F ü r eine genauere Ausarbeitung und andere Beispiele für die Stilfigur der Wiederholung in diesem Psalm siehe z. St. Hier sei noch darauf hingewiesen, daß im Hintergrund von „ E r hat nicht verachtet", v. 25, die Wendung „vom Volke verachtet", v. 7, steht. Psalm 24. F ü r den Stil der Wiederholung in v. 7-10 siehe z. St. Psalm 2513. ."öS usw. können als „Schlüsselwörter" dieses Psalms gelten, siehe ferner z. St. 12

Schwab, 1956, 72, weist hin auf „l'importance, dans le tragique 22, le psaume du Calvaire, du theme antithetique öloignement-proximite de Yahvö, qui, aux vv. 2.12.20, scande ce chant du supreme appel et du supreme abandon". 13 Mehrere Exegeten weisen auf die Funktion des Stufenrhythmus in diesem Psalm hin, siehe etwa Briggs, Pannier-Renard. Briggs, 220 Anm., nennt „stairlike parallelism" „characteristic of this Ps."; seine Begründung dieser Behauptung ist jedoch nicht in allen Punkten akzeptabel.

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II. Allgemeiner Teil

Wir gehen hier auf v. 2-9 näher ein, da sich an ihnen deutlich zeigenläßt, welche Funktionen der Stufenrhythmus erfüllen kann und wie weit diese Stilfigur vom bloßen Ornament entfernt ist. V. 2-9 lauten: * Mein Gott, auf dich vertraue ich, möge ich nicht beschämt werden; mögen meine Feinde nicht über mich frohlocken. 3 Ja, alle die auf dich warten, werden nicht beschämt; beschämt werden die, die treulos sind ohne Grund. 4 Deine Wege, Jahwe — tue sie mir kund; deine Pfade — lehre sie mich. 8 Laß mich wandeln in deiner Zuverlässigkeit und lehre mich; denn du bist der Gott meiner Befreiung; auf dich warte ich den ganzen Tag. 6 Gedenke deiner Barmherzigkeiten, Jahwe, und deiner Gunstbezeigungen; denn von Ewigkeit her sind sie. 7 Der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen—gedenke ihrer nicht; nach deiner Gunst mögest du, du meiner gedenken, um deiner Güte willen, Jahwe. 8 Gut und gerade ist Jahwe; darum unterweist er Sünder in dem Weg. • Er läßt Demütige wandeln im Recht und lehrt Demütige seinen Weg.

In v. 2 betet der Dichter: „Mein Gott, auf dich vertraue ich, möge ich nicht beschämt werden." Warum aber spricht er eigentlich von ,,beschämt werden"? Er weiß doch, daß Jahwe diejenigen nicht beschämt macht, die auf ihn hoffen: „Ja, alle, die auf dich warten, werden nicht beschämt." Jahwe macht wohl beschämt, jedoch nur die, die von ihm weichen: „beschämt werden die, die treulos sind ohne Grund". Der Chiasmus trägt hier viel dazu bei, daß diese Verse trotz der Wiederholung nicht eintönig wirken. Wie in v. 2 f. dreimal φΝΠ vorkommt, so wird in ν. β f. dreimal ~0) gebraucht. „Gedenke deiner Barmherzigkeiten, Jahwe, und deiner Gunstbezeigungen; denn von Ewigkeit her sind sie." Die Psalmisten sprechen eine gewagte Sprache. Dieser Mann fürchtet, daß Jahwe seine ffttrH und seine ΒΗΒΠ — Worte, die sicherlich auch die Bedeutung von Taten der Barmherzigkeit und Gunst haben — vergessen wird. Von Ewigkeit her, seit undenklichen Zeiten hat Jahwe diese Taten in der Geschichte Israels verrichtet. Und dieser Dichter weiß sich in den Lauf der Geschichte von Jahwes Volk aufgenommen. Allem Anschein nach aber vergißt Jahwe nun, gnädig zu sein: „Gedenke deiner Barmherzigkeiten, Jahwe, und deiner Gunstbezeigungen." Es

Α. Stilistische Verfahren

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gibt auch Dinge, von denen der Dichter wünscht, daß Jahwe sie aus den Augen verlieren möge: „Der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen — gedenke ihrer nicht." Wie soll der Dichter nun fortfahren? Soll er bitten, Gott möge seiner überhaupt nicht mehr gedenken ? Es ist doch gefährlich, wenn Gott dieses Dichters gedenkt. Er setzt sein Gebet jedoch anders fort: „nach deiner Gunst mögest du, du meiner gedenken, um deiner Güte willen, Jahwe". Seiner Übertretungen möge Jahwe nicht gedenken. Seiner aber überhaupt nicht mehr gedenken ? Er wäre verloren, wenn Gott ihn aus den Augen verlöre. Und daher betet er: gedenke meiner, Jahwe, jedoch nach deiner Gunst, um deiner Güte willen. Zu bemerken wäre noch, daß HDn in v. 6 f. zweimal gebraucht wird. Nachdem wir gesehen haben, daß v. 2 f. und v. 6 f. Stufenrhythmus aufweisen, werden wir um so eher anzunehmen bereit sein, daß dies auch bei v. 4f. und v. 8 f. der Fall ist. Sowohl v. 4 als v. 5 gebrauchen Töb; v. 4 gebraucht v. 5 '^TH'T V. 8 f. gebrauchen dreimal "]"Π und zweimal 'jj?. Schließlich kann zu dieser Perikope noch gesagt werden, daß mp in v. 3 und v. 5 eine Verbindung zwischen der Bitte um Befreiung in v. 2 f. und der Bitte um Führung in v. 4 f. herstellt. In v. 3a heißt es: „Ja, alle, die auf dich warten, werden nicht beschämt." Und in v. 5c sagt der Dichter: „auf dich warte ich den ganzen Tag"; er will damit natürlich sagen: dann kannst du mich doch nicht beschämt machen. Darüber hinaus zeigt dieser Psalm auch, wie reich die Funktion der Anadiplose sein kann, siehe "iE am Schluß von v. 7 und zu Beginn von v. 8. Psalm 28. In v. 2 bittet der Dichter: „höre die Stimme meines Flehens"; in v. 6 jubelt er: „Er hat gehört die Stimme meines Flehens": die Stilfigur der Wiederholung unterstreicht kräftig, daß der Dichter die Erhörung seines Gebets erlebt hat. Psalm 29. Wenn überhaupt je bei einem Psalm, so kann sicherlich bei diesem Psalm vom Stil der Wiederholung gesprochen werden, siehe z. St. Psalm 31. Eine starke Wirkung hat der Stil der Wiederholung in v. 3-5 (siehe fijjö in v. 3 und v. 5, JTTOfö in v. 3 und v. 4). Der Dichter betet, Gott möge ihm eine Burg, eine Festung sein. Und dann sagt er: „Ja, mein Fels und meine Burg bist du." Es ist, als wolle er sagen: was bete ich noch länger, du mögest mich beschützen, wo du doch mein Beschützer bist. Psalm 33. Aus zwei Gründen gehen wir auf v. 10-12 ausführlicher ein. 1. Die Stilfigur der Wiederholung hat hier eine besondere Wirkung*

28

II. Allgemeiner Teil

2. Sie ist hier mit verschiedenen anderen Stilfiguren verbunden 14 . Die Verse lauten: 10

11

11

Jahwe — er zerbricht den Ratschluß der Nationen; er vereitelt die Überlegungen der Völker. Der Ratschluß Jahwes, ewig hält er stand, die Überlegungen seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht. Wie glücklich die Nation, deren Gott Jahwe ist; das Volk, das er sich zum Erbe erwählt hat.

In gewissem Sinne ist der Aufbau dieser Verse sehr einfach, verschiedene Besonderheiten fallen jedoch auf. Alle drei Doppelstichen weisen synonymen Parallelismus auf. V. 10a ist jedoch antithetisch parallel zu v. IIa, desgleichen v. 10b zu v. IIb. Dabei ist sehr wirkungsvoll, daß v. 10a und v. IIa, v. 10b und v. lib in chiastischem Verhältnis zueinander stehen (und somit ein Beispiel der Anadiplose darstellen): die Worte „Der Ratschluß Jahwes", ,,die Überlegungen seines Herzens" in v. 11, die, wie auch „Jahwe" in v. 10, durch ihre Spitzenstellung bereits einen Akzent tragen, werden durch diesen Chiasmus noch stärker betont. Bei all dem hat die Stilfigur der Wiederholung eine unverkennbare Funktion: in diesen Versen werden vier Wörter zweimal gebraucht, nämlich HS?> ,ΓΤΟί^ΠΙΟ ,D>\ der Gottesname ΓΠΓΡ kommt dreimal vor. Betrachtet man v. lOf. für sich, so kann gesagt werden, daß die Stilfigur der Wiederholung, der Stufenrhythmus, der Unterstreichung des Zusammenhangs, wenn man will: des Gegensatzes dient. Zieht man v. 12 hinzu, so erscheint die Funktion dieser Stilfigur noch reicher: sie läßt hervortreten, wie unbestreitbar, wie logisch die Worte des Dichters sind: wenn Jahwe den Ratschluß der Nationen zerbricht, und wenn Jahwes Ratschluß ewig standhält, dann ist die Nation, deren Gott Jahwe ist, doch wohl sehr glücklich zu preisen. Psalm 34. Auch in diesem Psalm ist die Stilfigur der Wiederholung von Wichtigkeit. „Gut" und „das Fürchten Jahwes" können als die Schlüsselwörter von v. 10-15 gelten. Wir weisen speziell darauf hin, daß im Blick auf v. 13-15 gesagt werden kann, daß der Psalmist durch die Wiederholung zum Ausdruck bringt, wie rational sein Unterricht ist. Er sagt: will man das Gute sehen, so muß man das Gute tun; 14 Von dem Gesichtspunkt her gesehen, der uns hier beschäftigt, kann von einer gewissen Übereinstimmung zwischen Ps 33 1 0 _ 1 2 und dem Gedicht „A Cordoba" von Göngora die Rede sein. Kaiser schreibt in seiner Besprechung dieses Gedichts (1962, 117—119): „Es scheint in diesen Versen kein Wort, keine Konstruktion zu geben, die nicht mit äußerster Bewußtheit verwendet worden wäre"; dasselbe gilt sicherlich auch von Ps 33 1 0 _„.

29

Α. Stilistische Verfahren

wer vom Bösen befreit werden will, muß vom Bösen weichen. Man beachte ferner den Stufenrhythmus in v. 2 f. 10 f. 22 f. F ü r eine genauere Ausarbeitung siehe z. St. Psalm 35. Wie wenig der hebräische Dichter sich scheut, einen Ausdruck in einem bestimmten Zusammenhang öfter als einmal zu gebrauchen, wird in v. 5 f. ersichtlich. Der Ausdruck ,,der Engel J a h w e s " wird in der Psalmensammlung nur in P s 34 g und P s 35 s f gebraucht. Der Dichter von Ps 35 t r ä g t keine Bedenken, sondern hält es vielmehr f ü r angebracht, diesen in der Psalmensammlung seltenen Ausdruck zweimal nacheinander zu benützen. I n v. 7 f. verleiht der Stufenrhythmus der Aussage besonderen Nachdruck (zweimal „ohne Grund", zweimal „Untergang") u n d läßt zugleich hervortreten, wie rational der Wunsch des Dichters ist (zweimal „verbergen", zweimal „Netz"); diese Stilfigur ist besonders geeignet, das ius talionis zum Ausdruck zu bringen, vgl. E x 2 l 2 3 25 u. a. Siehe ferner § 17. V. 15 bietet ein deutliches Beispiel f ü r die Anadiplose. § 12. Beispiele

(Fortsetzung

I)

Eine gesonderte Behandlung verlangen die folgenden Beispiele f ü r die Stilfigur der Wiederholung. a. Es muß darauf hingewiesen werden, daß auch die Gottesnamen eine Funktion im Stil der Wiederholung haben. Immer wieder gebrauchen die Dichter einen Gottesnamen, als Anredeform oder in der dritten Person. Man vergleiche hierzu die guten Darlegungen von Muilenburg, 1953, 106. Ich wähle ein beliebiges Beispiel. I n P s 3, einem relativ kurzen Psalm, wird der Gottesname sechsmal gebraucht, siehe auch „mein G o t t " in v. 8; siehe schon § 11. I n dieser Hinsicht bemerkenswert ist auch P s 6. I n der Bitte, v. 2-5, wird der Name „ J a h w e " wieder u n d wieder als Anredeform gebraucht, insgesamt fünfmal. I n der Klage, v. 6-8, fehlt der Gottesname; in der Äußerung der Erhörungsgewißheit, v. 9-11, wird der Name „ J a h w e " dreimal in der dritten Person gebraucht. P s 22 beginnt mit in v. 3 redet der Dichter J a h w e mit an; so b i t t e t der Dichter dringend u m Gottes Aufmerksamkeit; der Schluß des ersten Hauptteils, v. 2-11, lautet ΗΠΝ "bx (Inklusion, siehe § 15).

» V g l . für gleichartige Fälle König, 1900, 155 ff.; Muilenburg, 1953, 102.

30

II. Allgemeiner Teil

Besondere Betrachtungen über den Gebrauch des Gottesnamens verlangen z. B. Ps 1 11 12 19 23 29 30; siehe jeweils z. St.; siehe auch § 14 (über Ps 82) und den Schluß von § 16. b. Im vorstehenden fiel der Ausdruck „mit Wörtern spielen". In bestimmten Fällen besteht besonderer Grund, von einem ,,Wortspiel"16 zu sprechen. Siehe Ps 1845 („sie hatten nur von mir gehört und erwiesen mir Gehorsam") Ps 31 20f (Gott „bewahrt" das Gute für die, die ihn fürchten, er „bewahrt" aber auch sie selbst; vgl. I Pe l 4 f ) , Ps 321 s (wenn der Mensch die Sünde nicht „bedeckt" vor Gott, will Gott die Sünde „bedecken"), Ps 4010 12 (da der Dichter seine Lippen nicht „zurückhält", darf er dessen gewiß sein, daß Jahwe seine Barmherzigkeit nicht von ihm „zurückhält"); siehe auch zu Ps 11 L7 . Vgl. noch ζ. B. das zweifache DU in Jes 3016. In etwas anderer Bedeutung wird der Terminus „Wortspiel" in § 16a gebrauoht. In einem noch anderen Sinne kann man bei Fällen der „Dilogia" von „Wortspiel" sprechen, vgl. König, 1900, lOff. So will der Dichter in Ps 164 vielleicht die Vorstellung hervorrufen: zahlreich sind ihre Götzenbilder (O^SSJ?) und dementsprechend zahlreich sind ihre Schmerzen (fllSSCj?). Siehe auch zu JHp in Ps 351S. c. Von der Stilfigur der Wiederholung kann auch bei der „figura etymologica" und anderen Fällen gesprochen werden, in denen ein Wort von einem stammverwandten Wort abhängig ist, vgl. Ps l x („sitzen auf dem Sessel"), Ps 14s („Da schrecken sie einen Schrecken"), Ps 2225 („das Elend des Elenden"), Ps 2519 („mit einem gewalttätigen Haß hassen sie mich"), Ps 273 („wenn ein Heerlager sich wider mich lagert"), Ps 27 s („Er versteckt mich in dem Versteck seines Zelts", vgl. Ps 3121), Ps 27e („ich will opfern Opfer mit Schall"), Ps 333 („singt ihm einen neuen Gesang"). In den genannten Fällen — in dem einen Fall mehr als in dem anderen — hat die Stilfigur der Wiederholung den Zweck, einer Aussage besonderen Nachdruck zu verleihen. In Ps 35x („Streite, Jahwe, gegen die, die gegen mich streiten, kämpfe gegen die, die gegen mich kämpfen") hebt die Stilfigur der Wiederholung den rationalen Charakter der Bitte hervor: Jahwe möge gegen die Feinde des Dichters streiten, denn sie streiten gegen ihn. d. Die viermalige Frage „bis wie lange" in Ps 132f bringt die Ungeduld des Dichters beredt zum Ausdruck 17 . 16 Das Wortspiel — in jeder Bedeutung, die dieser Terminus haben kann — spielt im AT eine wichtige Rolle; siehe ζ. B. J. L. Seeligmann, Voraussetzungen der Midraschexegese (SVT I, 1953, 150—181), 157 f., und die dort genannte Literatur, auch K. Koch, Was ist Fonngeschichte? 1964, 229. 17 Vgl. für gleichartige Beispiele Muilenburg, 1953, 102.

31

Α. Stilistische Verfahren

Der zweimalige Ausruf „wie glücklich" in Ps 32 l f verleiht dem Beginn dieses Psalms seine starke Wirkung. Eine bestimmte Wirkung wird durch die Häufung von Negationen erzielt, siehe das dreimaligetf1?in Ps l x 5 S f 222518, das zweimalige jß in Ps 13 4f , das viermalige j'N in Ps 14 1 _ 3 , siehe § 13, das sechsmalige N1? i n P s 153 S (siehe z. St.), das viermalige in Ps 279, das viermalige üb in Ps 40 10 _ 12 . In Ps 16 fällt das dreimalige auf, ν. 6.7.9 (siehe z. St.), in Ps 39 das viermalige ~X, v. 6.7 (zweimal). 12. Nicht selten wird mehrmals nacheinander gebraucht, siehe etwa Ps 1822 f. 28-30 38 le _ 19 . § 13. Beispiele

(Fortsetzung

II)

Die vorstehende Behandlung verschiedener Beispiele für die Stilfigur der Wiederholung sollte zeigen, daß diese Stilfigur mancherlei Funktionen haben kann. Bei der Besprechung von Ps 1—41 wird jeweils auf das Vorkommen dieser Stilfigur hingewiesen. Nachstehend folgt — ohne ausführlichen Kommentar — eine Aufzählung von Beispielen für die Stilfigur der Wiederholung, die aus irgendeinem Grunde besondere Erwähnung verdienen. Ps 5 8 n . Ps 6 2 _ s (Stufenrhythmus: zweimal „erschrocken sein", zweimal „Seele"; er macht das Gebet dringlich) 9 f (Anapher: zweimal „hören"; sie erzeugt starken Nachdruck). Ps 82 5 (Π0, das zu Beginn sowohl des ersten wie des zweiten Teils des Psalms steht, kann m. E. als ein Schlüsselwort des Psalms betrachtet werden: der Psalm drückt Verwunderung aus). Ps 9 1 4 f (zweimal „die Pforten"; unterstreicht den Gegensatz) 20 f . (zweimal i^liN, zweimal Q^J; vor allem das Wort erhält durch den zweimaligen Gebrauch einen volleren Klang 19 ; man beachte auch die Assonanz, vgl. § 16a, in fJJ^K).

18

Die vierte Aussage ist nicht, wie man erwarten könnte, negativ, sondern positiv; beides zusammen verleiht dem Vers eine große Ausdruckskraft. Die hebräischen Diohter können einen ähnlichen Effekt auch auf eine ganz andere Weise erzielen, siehe etwa Ps 33 U f (v. ieb.i7b gebrauchen X*?, v. 16a v. 17a

npr)·

19

1

Bedeutet t^UN soviel wie „Sterblicher" ? Μ. E. steht dies nicht fest, vgl. etwa Ps 65 u ; jedenfalls will der Dichter sagen: „laß die Völker wissen, daß sie Menschen sind (und nicht Gott)".

32

II. Allgemeiner Teil

Ps 12 3 _ 5 (dreimal „glatte Lippe(n)", zweimal „Zunge", dreimal " Π ; Stufenrhythmus; er hebt hervor, was für die Gottlosen charakteristisch ist). Ps 13s f (das zweimalige „jauchzen" unterstreicht den Gegensatz; vgl. das zweimalige „sättigen" in P s 1714 f ) . Ps 14 1 _3 (das viermalige ist sehr wirkungsvoll; man beachte vor allem den Gegensatz DTT^K pN und a'itSTI^J? fX)· I n Ps 18 können und Derivate von diesem Stamm (sowie auch Synonyme, siehe § 16b) als Stichwörter bezeichnet werden, siehe z. St. Der Stufenrhythmus in v. 5 f. ist überaus suggestiv, siehe z. St. F ü r v. 21-27 siehe bereits § 11. V. 31 ist von Wichtigkeit f ü r den Aufbau des Psalms: er greift auf das Vorhergehende zurück und deutet auf das Folgende voraus, siehe z. St. F ü r die Funktion der Stilfigur der Wiederholung in Ps 20 siehe z. St. Ps 27 8 9a (Stufenrhythmus, siehe z. St.); in v. 14 steht zweimal die Aufforderung „warte auf J a h w e " (Ploke): das verleiht diesem Vers einen sehr starken Klang. P s 28 3 _ s („das Werk ihrer H ä n d e " und „das Werk seiner H ä n d e " stehen einander gegenüber; in v. 4 gibt die Stilfigur der Wiederholung dem Gedanken der Wiedervergeltung Relief). F ü r v. 2 und v. 6 siehe bereits § 11. I n Ps 30 ist " T (mit verwandten Wörtern) ein Schlüsselwort und zugleich das Schlußwort, siehe ferner z. St. Man beachte auch „Freude" in v. 2 und v. 12, „in Ewigkeit" in v. 7 und v. 13: durch diese Wiederholungen wird ein Gegensatz angedeutet. Ps 33 χ _ 5 (die Stilfigur der Wiederholung stellt eine Verbindung her zwischen v. 1-3 und v. 4 f.) 1β f (der Stufenrhythmus macht die Aussagen kräftiger) i e b 19a (die Stilfigur der Wiederholung unterstreicht den Gegensatz) l g _ 2 2 (man beachte vor allem das Verhältnis zwischen v. 18b und v. 22). Für v. 10-12 siehe bereits oben § 11. I n Ps 36 ist der Gebrauch von "ΤΟΠ auffallend, v. 6.8.11, siehe z. St. I n Ps 37 fungieren „gerecht, gottlos, das Land in erblichem Besitz haben, ausgerottet werden" als Schlüsselwörter. Das zweimalige „sie vergehen" in v. 20 ist sehr suggestiv. Deutliche Beispiele für den Stufenrhythmus finden sich u. a. in v. 14 f. (zweimal „Schwert" und „Bogen") 25f. (zweimal „Same") 37 f. (zweimal „Nachkommenschaft"; unterstreicht den Gegensatz) 39 f. (bei dem zweimaligen tO^B kann man von Anadiplose sprechen). Siehe ferner z. St. P s 38 i4 (ein deutliches Beispiel für Stufenrhythmus; er erzeugt einen starken Akzent).

Α. Stilistische Verfahren

33

In Ps 39 sind „ich bin verstummt", v. 3.10, und Synonyme Schlüsselwörter, desgleichen „Atemzug", v. 6.7.12. Indem der Dichter von Ps 40 manche Wörter und Ausdrücke sowohl in v. 2-12 als auch in v. 13-18 verwendet, unterstreicht er den Zusammenhang, der zwischen diesen beiden Teilen des Psalms besteht. Siehe ferner z. St. Man beachte auch etwa v. 10-12 (durch die Wiederholung bringt der Dichter die Festigkeit seines Vertrauens kräftig zum Ausdruck). In Ps 41 ist die zweimalige Bitte „Jahwe, sei mir gnädig", v. 5.11, bemerkenswert; siehe z. St. § 14. Der

Refrain 20

W. Kaiser, 1962, 167, schreibt: „Unter Refrain versteht man die regelmäßige Wiederkehr einer Zeile oder Wortgruppe an einer bestimmten Stelle der Strophen." Da der Strophenbau in der Psalmensammlung keine wichtige Rolle spielt, siehe § 32—33, liegt es in der Natur der Sache, daß der Refrain im strengen Sinne hier nur selten vorkommt. Wohl aber finden wir in der Psalmensammlung verschiedentlich die Wiederkehr eines oder mehrerer Stichen — wörtlich oder mit kleinen Änderungen21 — in einem bestimmten Psalm. Wir können sagen, daß der oder die betreffenden Stichen in diesen Fällen refrainartig wiederkehren. Von einem Refrain im strengen Sinne kann bei Ps 42 f. gesprochen werden. Man kann mit Grund sagen, daß Ps 42 undPs 43 aus drei nahezu gleich langen Strophen bestehen, und daß die vier nahezu gleichlautenden Stichen am Schluß jeder Strophe den Refrain darstellen. Dasselbe läßt sich mutatis mutandis von Ps 57 (siehe v. 6.12) und Ps 99 (siehe v. 5.9, auch v. 3b) sagen. In diesem Zusammenhang können auch Ps 80 und Ps 107 genannt werden. Ps 80 besteht aus fünf Gruppen von je acht Stichen, v. 2-i. 5-8. 9-12. 13-16. 17-20. Die erste, zweite und fünfte Gruppe enden mit zwei nahezu gleichlautenden Stichen, v. 4.8.20, siehe auch vs. 1522. 20 Über den Refrain siehe ζ. B. König, 1900, 300.346; Gunkel-Begrich, Einleitung, 1933, 57.319.406 f.; Muilenburg, 1953, 104; Kraft, The Strophic Structure of Hebrew Poetry, 1938, 7 f. 21 Die Änderungen sind zuweilen bedeutungsvoll, siehe etwa Ps 49 13 ! l . 22 Mit Recht werden u.a. von Kraus Vorschläge zurückgewiesen, die die Erlangung einer größeren Regelmäßigkeit im Strophenbau und in der Verwendung des Refrains zum Ziel haben.

34

II. Allgemeiner Teil

Hierzu ist noch zu bemerken, daß v. 4 mit ΒΉ^Ν. ν. 8 (und ν. 15) mit JTW3X DTiSn, V. 20 mit DTiSk ΓΓΡΡ beginnt. Wae Ps 107 betrifft, so können hier v. 1-3 und v. 33-43 außer Betracht bleiben. Der Rest des Psalms besteht aus vier Teilen, bzw. Strophen, v. 4-9. 10-16. 17-22. 23-32. Sowohl in v. 6.13.19.28 wie auch in v. 8.15.21.31 finden wir einen Refrain. Remerkenswert ist: Zwar stimmen die vier Strophen ihrem Aufbau nach weitgehend überein, aber auch hier zeigt sich, daß die hebräischen Dichter ein starkes Bedürfnis nach Abwechslung haben; von Schematismus kann keine Rede sein. So besteht die erste Strophe aus sechs, die zweite aus sieben, die dritte aus sechs und die vierte aus zehn Doppelstichen; v. 6 und v. 19 entsprechen einander wörtlich, v. 13 aber ist etwas abweichend, v. 28 lautet wiederum anders; usw. In anderen Fällen erkennen wir zwar die Wiederkehr eines oder mehrerer Stichen oder auch die eines Teils eines Stichos, sie findet jedoch an einer „willkürlichen" Stelle des Psalms statt, d. h., die Stelle der Wiederkehr wird nicht durch den Aufbau des Psalms als Ganzes bestimmt. Ferner gibt es etliche Fälle, in denen von einer regelmäßigen Wiederkehr an einer bestimmten Stelle der Strophen zwar nicht gesprochen werden kann, in denen die Stelle dieser Wiederkehr jedoch ebensowenig willkürlich genannt werden kann. Siehe Ps 10(4 ) β 1 1 1 3

QO _ιι 27xb.d> auch 3 b d 31 1 2 _ 1 4 35 1 1 _ 1 β 2 2 _ 2 7 36e f 37 15b 17a 40 15 f 4i5.11· 52 Köhler, 1923, 98, spricht von dem Gebrauch des „Stilmittels der gewollten Absteigerung" in Deuterojesaja.

52

II. Allgemeiner Teil

Bei Ps 8 kann gesagt werden, daß v. 5-9 eine Klimax, wenn man will: ein Crescendo gegenüber v. 2-4 bilden; ähnlich verhalten sich i n P s 19 v. 8-12 zu v. 2-7, in P s 22 v. 28-32 zu v. 23-27.

Es kann gesagt werden, daß in Ps 2 v. 10-12 von v. 1-6 und v. 7-9 getragen werden, in Ps 17 v. 13-15 von v. 1-5 und v. 6-12, in Ps 18 v. 47-51 von v. 2-31 und v. 32-46, siehe jeweils z. St. Gesondert sei noch auf Ps 33 hingewiesen. V. 6-12 streben auf v. 12 zu, in dem der Psalm seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. V. 18 f. können als der Höhepunkt des Psalms bezeichnet werden: alle vorangegangenen Verse streben auf v. 18 f. zu. V. 18 f. bilden ihrerseits wiederum die Grundlage von v. 20-22. Dabei enthalten v. 18 f. eine genauere Ausgestaltung von v. 12. Siehe ferner z. St. § 23. Die Funktion der Klimax und des Crescendos Über die Funktion der Klimax und des Crescendos können wir uns kurz fassen. Bei der Klimax handelt es sich um eine Wiederholung in stärkerer Form. Von der Wiederholung im allgemeinen gilt (siehe § 17): sie soll dem Zuhörer eine bestimmte Vorstellung, eine bestimmte Überzeugung einhämmern. Natürlich gilt dies insbesondere von einer Wiederholung in stärkerer Form. Auch das Crescendo soll, wennschon nicht in derselben, so doch in ähnlicher Weise, einen tiefen Eindruck auf den Zuhörer machen, ihn mitreißen. Im Blick auf den dynamischen Charakter der Literatur Israels kann es nicht verwundern, daß die Klimax und das Crescendo in dieser Literatur vielfältig vorkommen53. § 24—25. GEGENSATZ

§ 24. Allgemeines Wenn ein Autor zwei oder mehr Wörter oder Aussagen mit entgegengesetztem Inhalt dicht nebeneinander gebraucht, können wir von einer Antithese, der Stilfigur des Gegensatzes, des Kontrastes, sprechen54. 63

Für die Funktion der Klimax in Israels Erzählungen siehe etwa Blenkingsopp, JBL 82 (1963), 73—75. 51 Vgl. König, 1900, 164 f. 310 f.; Alonso Schökel, 1963, 251 — 268; Kaiser, 1962, 113. Gerleman, VT 1 (1951), 172 ff., weiat darauf hin, daß die Antithese

53

Α. Stilistische Verfahren

Bei der Behandlung der Stilfigur des Gegensatzes, des Kontrastes in den Psalmen ist zweierlei zu beachten. Zunächst muß berücksichtigt werden, daß der Mensch im allgemeinen für die Wirkung des Gegensatzes, des Kontrastes empfänglich ist. Eine Farbe fällt besonders auf, sticht besonders hervor, wenn sie von anderen, mit ihr kontrastierenden Farben umgeben ist. Wahrscheinlich war der Israelii für die Wirkung des Gegensatzes besonders empfänglich. Sodann ist zu bedenken, daß der Stoff, den die Psalmen behandeln, reich an Gegensätzen ist. Die Psalmen sprechen von Gerechten und Gottlosen, von Segen und Fluch, von göttlicher Bewahrung und göttlicher Strafe, von Glück und Unglück, von Not und Errettung, von dem Handeln des großen, heiligen Gottes und dem des nichtigen, sündigen Menschen. Es wäre sicherlich verfehlt, zu behaupten: daß die Psalmen so oft von Gerechten und Gottlosen handeln, ist eine Folge dessen, daß der Israelii eine Vorliebe für den Kontrast hat. Dennoch hängt das eine mit dem anderen zusammen. Daß der Israelit eine Vorliebe für den Kontrast, den Gegensatz hat, führt von selbst dazu, daß er über den Gerechten nicht sprechen kann, ohne auch an den Gottlosen zu denken. In den Psalmen und auch andernorts in der Bibel wird wiederholt ausgesprochen: Jahwe nimmt sich besonders das Los des Armen, Elenden, Niedrigen zu Herzen, aber „was hoch ist bei den Menschen, ist Gott ein Greuel" (Luk 1615). Diese Vorstellung birgt mancherlei Gegensätze: da ist der Gegensatz zwischen dem erhabenen Gott und dem Armen, Elenden, zwischen dem Elenden und dem Mächtigen; die Aussage, daß der Elende erhöht wird, enthält ebenso wie diejenige, daß der Mächtige erniedrigt wird, einen Gegensatz, und die Kontrastwirkung wird um so stärker, wenn beide Aussagen nebeneinander stehen. Nun kann sicherlich nicht gesagt werden, daß diese Vorstellung in der Vorhebe für Kontraste ihren Ursprung hat. Daß sie aber so oft ausgesprochen wird, daß der Israelit so oft auf sie eingeht und die in ihr enthaltenen Gegensätze wieder und wieder ins volle Licht stellt, kann wohl mit seiner Vorhebe für den Kontrast in Verbindung gebracht werden. Siehe ζ. Β. I Sam 24 fr Ps 1828 3419 I13 s r 138e. im Aufbau von Jdc 5 eine wichtige Rolle spielt. — Es versteht sich, daß die Grenzen nicht scharf gezogen werden können. Kann man stets, wenn in einer Perikope ein Gegensatz zum Ausdruck kommt, von der Stilfigur des Gegensatzes sprechen? Es hat wenig Sinn, auf diese und ähnliche Fragen eine Antwort zu suchen. HJdderboe, Psalmen

5

54

II. Allgemeiner Teil

§ 25. Erscheinungsformen der Stilfigur des Gegensatzes Die Stilfigur des Gegensatzes begegnet in sehr vielen Formen, die im einzelnen zu unterscheiden wenig Sinn hätte. Soweit von mir im folgenden Unterscheidungen getroffen werden, sind sie sicherlich unvollkommen. a. Ps 20, lautet: Sie, sie sinken auf die Knie und fallen, und wir, wir richten uns auf und halten stand.

Dieser Vers wird recht häufig — und nicht ohne Grund — als Beispiel für den antithetischen Parallelismus genannt. In der Tat besteht zwischen „sie" und„wir", zwischen „sinken auf die Knie und fallen" und „richten uns auf und halten stand" ein Gegensatz. Aber die Aussage yon v. a bildet keinen Gegensatz zu der von v. b; die beiden Aussagen sind eher synonym, oder richtiger: sie beleuchten verschiedene Seiten ein und derselben Sache. In etwas geringerem Maße gilt dasselbe etwa von Ps 18. Ps

lauten:

Jahwe, wie viele sind meine Bedränger; wie viele sind es, die sich wieder mich erheben; viele sind es, die von mir sagen: keine Befreiung für ihn bei Gott.

Gleich darauf heißt es: Und du, Jahwe, du bist der Schild, der mich deckt; meine Herrlichkeit, und der mein Haupt emporhebt.

Es besteht ein Gegensatz zwischen dem Handeln der Feinde und dem Handeln Jahwes, zwischen dem, was die Feinde von Gott sagen, und dem, was Gott tatsächlich tut. Vor allem der Umstand, daß das eine dem anderen so unvermittelt folgt, läßt es hier vollauf berechtigt erscheinen, von der Stilfigur des Gegensatzes zu sprechen. Man beachte noch den Schluß der Perikope v. 4-7: Ich fürchte mich nicht vor Vielheiten Volks, die sich ringsum gegen mich stellen.

Ein Gegensatz besteht auch zwischen dem Handeln der Feinde, wie dieses in v. 2 f. beschrieben wird, und der Haltung des Dichters; er wird durch den Gebrauch von in v. 2 f. (dreimal) und in v. 7 unterstrichen.

55

Α. Stilistische Verfahren

b. Zuweilen bringt ein einziger Stichos einen Gegensatz zum Ausdruck. Siehe Ps 4 ^ (,,in Bedrängnis hast du mir Raum geschaffen") 4gg („wie lange wird meine Herrlichkeit Schmach sein?") 5b („sprecht in eurem Herzen auf eurem Lager, aber schweigt"; wir können hier von einem Oxymoron 55 sprechen, vgl. auch Ps 32 a ) 7 Sa 25 17a („die Bedrängnisse meines Herzens haben sich weit gemacht", oder mit Kraus u. a.: „die Enge meines Herzens mache weit") 30 12 35 12a („Sie vergelten mir Böses für Gutes", „Gutes" wird in v. 13 f., „Böses" in v. 15 f. besondert) 38 12 („meine Nächsten in einem Abstand", „meine Anverwandten in der Ferne") 4110. Siehe auch Ps 2212 („Sei nicht fern von mir, denn Bedrängnis ist nahe", vgl. Ps 832f ) 32 s („Als ich schwieg, wurden meine Gebeine mürbe, während ich den ganzen Tag schrie"·, Oxymoron). Es kommt wiederholt vor, daß in irgendeiner Weise ein Gegensatz zwischen einem Stichos und dem parallelen Stichos besteht („antithetischer Parallelismus"). Siehe Ps l e 20 8 f 27 10 28 3 c d 30e 32 10 3 4 u (vgl. auch v. 10b) 37 1? 2 1 2 2 . Auf eine andere Weise wird ζ. B. in Ps 33 18 und 14 ein Gegensatz zum Ausdruck gebracht. Kompliziert ist der Gegensatz ζ. B. in Ps 317, vgl auch v. 6 (es besteht ein Gegensatz zwischen „das Auge auf eitle Nichtigkeiten gerichtet halten" u n d „auf Jahwe vertrauen", desgleichen zwischen „Ich hasse die, die usw." und „auf Jahwe vertraue ich", sowie auch zwischen „Gott der Zuverlässigkeit" und „eitle Nichtigkeiten"). I n manchen Fällen besteht ein Gegensatz zwischen dem letzten Stichos eines Doppelstichos und dem ersten Stichos des folgenden Doppelstichos, vgl. in Ps 3 v. 3b mit v. 4a, in Ps 26 v. 3b mit v. 4a, auch in Ps 31 v. 24b mit v. 24c.d. Auch kann in irgendeiner Hinsicht ein Gegensatz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Doppelstichen bestehen. Siehe Ps 341β f 22 f 37 10 f 37 f . F ü r Beispiele etwas anderer Art siehe etwa Ps 13 s f 17 1 4 f 19 3 f (sehr auffallend: „ d e r T a g l ä ß t eine Sprache ausströmen", „da ist keine Sprache"; siehe z. St.) 35 17 f . Sehr häufig begegnet es, daß zwei aufeinanderfolgende Perikopen einen Gegensatz zum Ausdruck bringen. Besonders dann, wenn die Perikopen einander unvermittelt folgen, besteht Grund, von der Stilfigur des Gegensatzes zu sprechen. Vgl. in Ps 1 v. 1-3 mit v. 4 f. (vor allem „wie ein B a u m " und „wie Spreu"; der Gegensatz wird in v. 6 zusammengefaßt; bereits in ν. l deutet der Dichter an, daß " V g l . König, 1900, 165 f.; König nennt als Beispiele für das Oxymoron Jes 10JO Jer 2 2 „ Ps 2 5 , , Prov 25 15 28 1β . 5*

56

II. Allgemeiner Teil

er einen Gegensatz im Auge hat), in Ps 2 v. 1-3 mit v. 4-6 (siehez. St.!), in Ps 3 v. 2 f. mit v. 4-7, in Ps 5 v. 5-7 mit v. 8, v. lOf. mit v. 12 f., in Ps 6 v. 2-8 mit v. 9-11, in Ps 7 v. 12-17 mit v. 18, i n P s 9 v. 6 f. mit v. 8 (vgl auch v. 19), v. 14 mit v. 15, in Ps 10 v. ll mit v. 12-14, in Ps 11 v. 2 f. mit v. 4-7, in Ps 14 v. l mit v. 2, v. 4 mit v. 5, in Ps 16 v. 2 mit v. 3 f., v. 3 f. mit v. 5-11 (siehe z. St.), in Ps 21 v. 2-8 mit v. 9-13 (siehe z. St.), in Ps 22 v. 2 f. mit v. 4-6, v. 7-9 mit v. 10 f. (vgl. auch v. 4a: „Und du, du bist heilig" mit v. 7a: „Und ich, ich bin ein Wurm und kein Mann"), v. 13 f. mit v. 15 f., v. 2-22 mit v. 23-32, besonders mit v. 23-27 (siehe z. St.), in Ps 26 v. 4 f. mit v. 6—8 (besonders v. 5a mit v. 8a), v. 9 f. mit v. IIa (auch v. Ha mit v. 6a), in Ps 27 v. 1-6 mit v. 7-14, in Ps 28 v. 4 mit v. 5, in Ps 30 v. 10 f. mit v. 12 f., in Ps 31 v. 8 f. mit v. 10 ff., v. 15.16a mit den vorangehenden und den folgenden Versen, in Ps 33 v. 12-15 mit v. 16 f., v. 16f. mit v. 18f., in Ps 35 v. 4-8 mit v. 9 f., v. 9 f. mit v. Ii ff., v. 26 mit v. 27, in Ps 36 v. 2-5 mit v. 6-io (siehe z. St.), in Ps 40 v. 15 f. mit v. 17. Eine wichtige Funktion h a t der Gegensatz in Ps 8 11 12 18 21 30, siehe jeweils z. St., siehe auch zu „Frieden" in Ps 2 9 u und vgl. für Ps 33 10 _ 12 § 11. Mit Nachdruck sei darauf hingewiesen, daß in sehr vielen Fällen ein Gegensatz durch die Stilfigur der Wiederholung unterstrichen wird, siehe § 17; auch durch den Chiasmus kann ein Gegensatz hervorgehoben werden. Schließlich sei noch bemerkt, daß der Stil in den Psalmen öfters abrupt ist, vgl. § 63; wenn man will, kann man bei manchen dieser Fälle von der Stilfigur des Gegensatzes sprechen, vgl. z . B . Ps 3123 („Ich nun, ich sagte in meiner Bestürzung: ich bin abgeschnitten von deinen Augen. Fürwahr, du hast gehört usw.") 32s. § 26-29. CHIASMUS

§ 26. Einleitung Auch der Chiasmus ist eine Stilfigur, die in den Psalmen vielfach vorkommt. Gleich der erste Psalm enthält mehrere Beispiele für den Chiasmus, etwa in ν. l und v. 6: 1

Wie glücklich der Mann, der nioht wandelt in den Überlegungen der Gottlosen und auf dem Weg der Sünder nicht steht und auf dem Sitz der Spötter nicht sitzt. • Ja, Jahwe kennt den Weg der Gerechten, und der Weg der Gottlosen verliert sich.

Α. Stilistische Verfahren

57

Ferner zeigt ein Vergleich von v. 5 und v. 6, daß auch hier Chiasmus vorliegt: sowohl in v. 5b wie in v. 6a lautet das letzte Wort „Gerechten"; sowohl v. 5a wie v. 6b gebraucht „Gottlosen". Auch folgendes muß genannt werden: V. 1-3 sprechen über das Glück des Gerechten zunächst direkt, dann in Bildern, v. 4 f. sprechen über das Unheil der Gottlosen zunächst mit, dann ohne Bildersprache; so besteht eine besondere Beziehung zwischen v. 3 und v. 4 und zwischen v. l und v. 5 (man beachte auch, daß ν. l und v. 5 beide sowohl über die Gerechten als auch über die Gottlosen sprechen). Man kann auch auf folgendes hinweisen (siehe bereits § 15): ν. l benützt das Bild des Weges (siehe ^Tl, auch ^"Π); im folgenden wird dieses Bild fallengelassen, es kehrt jedoch im Schlußvers wieder5®. § 27. Die Funktion des Chiasmus Im Anschluß an die oben genannten Beispiele folgen hier einige Betrachtungen über die Funktion des Chiasmus. Vielleicht ist es ratsam, die folgende Bemerkung vorauszuschicken. Man ist zuweilen versucht, den Chiasmus als etwas Künstliches — um nicht zu sagen: Gekünsteltes — zu betrachten. In vielen Fällen jedoch ist die chiastische gerade die natürliche, die naheliegendste Anordnung57. Für den Dichter von Ps 1 lag es nahe, dem Vergleich des Gerechten mit einem Baum, v. 3, gleich in v. 4 den Vergleich des Gottlosen mit der Spreu folgen zu lassen. Hätte er in v. 4 zunächst davon gesprochen, daß die Gottlosen im Gericht nicht standhalten usw., und dann erst den Vergleich mit der Spreu gebracht, so bestünde vielmehr Grund, von einer künstlichen Reihenfolge zu sprechen. Allerdings muß wohl zugegeben werden, daß die Charakterisierung der Reihenfolge von Aussagen als „natürlich, naheliegend" oder als „künstlich" häufig eine einigermassen zweifelhafte Angelegenheit ist. 66

Nach Lund, AJSL 49 (1932/33), 294 f., korrespondieren v. 1 f. mit v. Β f., v. 3a.b.c mit v. 4b, v. 3d mit ν. 4β. Μ. E. ist Lunds Einteilung von v. 3 und v. 4 gesucht; es ist die Frage, ob man v. 5 f. mit Lund als eine Strophe des Psalms betrachten darf, siehe z. St. Zu bemerken ist noch: Lund sagt, daß sowohl ν. l wie v. 5 „stand" gebrauchen; in v. 1 steht jedoch 1ÖJJ, in v. 5 ffip. " V g l . Talmudtraktat Nazir, Fol. 2: „Der Autor erklärt zuerst das, womit er aufhört. So haben wir auch gelernt: Was man als Brennstoff verwenden darf und was man nicht als Brennstoff verwenden darf. Aufgezählt aber werden zuerst [diejenigen Dinge], die man nicht ale Brennstoff verwenden darf. Etcet." (Übersetzung L. Goldschmidt, Der Babylonische Talmud, V 1931, 543 f.).

58

II. Allgemeiner Teil

Wie dem auch sei, ob nun die chiastische die naheliegende oder eine mehr oder weniger gesuchte Reihenfolge ist — sie hat stets eine bestimmte Wirkung. Allgemein kann gesagt werden: der Chiasmus bewirkt, daß eine Aussage beweglicher, weniger statisch wird, er verleiht ihr mehr Eleganz, oder besser: mehr Ausdruckskraft. Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Psalmisten von dieser Stilfigur reichen Gebrauch machen. Man beachte vor allem folgendes: die Verwendung des Parallelismus bringt die Gefahr einer gewissen Eintönigkeit mit sich; eines der Stilmittel, mit dem die Psalmisten dieser Gefahr begegnen, ist der Chiasmus. Dies muß genauer herausgearbeitet werden. Es sind verschiedene Aspekte zu nennen. Der Chiasmus bewirkt gewöhnlich, daß die einzelnen Wörter und Ausdrücke, aus denen ein Satz besteht, hervorspringen, mehr Relief erhalten. Man stelle sich vor, wie Ps klänge, wenn der Dichter den Chiasmus nicht benützt hätte. Dann wird man zugeben müssen: durch die chiastische Stellung wird uns beispielsweise deutlicher bewußt, daß nicht nur von „den Überlegungen der Gottlosen", sondern auch von „dem Weg der Sünder" die Rede sein kann. Man betrachte daraufhin auch etwa Ps 9 19 : Fürwahr, nicht für immer wird der Arme vergessen, die Erwartung der Demütigen geht nicht verloren für alle Zeit.

Durch die chiastische Stellung erhält sowohl „die Erwartung der Demütigen" wie „für alle Zeit" mehr Relief, mit einem Wort: das Ganze gewinnt an Ausdruckskraft. Vgl. auch etwa Ps 192 203_e 25 s . Um auf Ps l x zurückzukommen: vor allem, wenn — wie hier — drei Stichen parallel sind, könnte ohne den Chiasmus leicht eine gewisse Eintönigkeit entstehen; es kann daher auch nicht verwundern, daß Ps und ζ. B. auch Ps 153 den Chiasmus verwenden. Zuweilen erhält ein bestimmtes Wort durch die chiastische Anordnung einen stärkeren Akzent, siehe etwa „alles" in Ps 87, „ihr Name" in Ps 9e. Der Chiasmus eignet sich besonders zur Hervorhebung eines Gegensatzes58. Daß in Ps 1 auf den Vergleich des Gerechten mit einem Baum, v. 3, sofort der Vergleich des Gottlosen mit der Spreu, »"Vgl. Seidler, Allgemeine Stilistik, 1953, 180.

Α. Stilistische Verfahren

59

v. 4, folgt, läßt den Gegensatz zwischen dem Dasein des Gerechten und dem des Gottlosen besonders deutlich hervortreten. Siehe auch etwa Ps l e 253 3110 3721. Die Beweglichkeit, die der Chiasmus mit sich bringt, ist zuweilen sehr funktionell. Der Chiasmus in ν. l und v. 2 trägt in Ps 2 zur Veranschaulichung des fieberhaften Treibens der Völker bei. Der Ausruf in y. 3 ist nicht chiastisch aufgebaut: dadurch erhält dieser Ausruf einen um so wuchtigeren Klang. So besitzt auch die Aussage in v. 4 dadurch, daß sie ebenfalls nicht chiastisch angeordnet ist, um so größere Wucht. Der Chiasmus in v. 5 bringt wiederum mehr Bewegung in die Darstellung. Man betrachte daraufhin auch vor allem Ps 185_9, wo der Chiasmus weit durchgeführt ist; siehe z. St. Wir verweilen etwas länger bei Ps 37

14 f :

M

Das Sehwert haben die Gottlosen gezückt und sie haben gespannt ihren Bogen, um den Elenden und Armen zu fällen, um die redlich Wandelnden zu schlachten; 16 das Schwert: es kommt in ihr Herz, und ihre Bogen: sie werden zerbrochen.

Ein deutliches chiaetisches Verhältnis besteht zwischen v. 14a und v. 14b. Weiter läßt sich auch darin ein Chiasmus erkennen, daß v. I4d sich eng an v. 14a, v. 14c an v. 14b anschließen (man schlachtet nicht mit dem Bogen, sondern mit dem Schwert). Der Chiasmus in diesem Vers hat eine ähnliche Funktion wie der in Ps 21 f : er führt uns den „Tumult der Gottlosen", siehe v. 16, lebendig vor Augen. Die Wortstellung in v. 15 ist nicht chiastisch; sowohl in v. 15a wie in v. 15b steht das Subjekt vorn. Dadurch erhält die Aussage von v. 15 einen sehr energischen Klang. Hier geht es nicht mehr um eine lebendige Darstellung: in gerader Linie dringt ihr Schwert in ihr Herz. Man beachte, welch einen starken Akzent das Wort „Schwert" dadurch erhält, daß es sowohl in v. 14 wie in v. 15 am Anfang steht. Die Stilfigur der Wiederholung (zweimal „Schwert", zweimal „Bogen") hebt das dem Untergang des Gottlosen anhaftende rationale Element hervor, vgl. Matth 26 52; siehe § 17. Auch das dreimalige — am in v. 15 trägt zu all dem das Seine bei. Wir können sagen, daß v. 15b ein Decrescendo darstellt, vgl. § 21. Zu erwähnen ist noch: während Ps 37 im übrigen nahezu ausschließlich aus Zweizeilern besteht, bilden

60

II. Allgemeiner Teil

v. 14 f. einen Dreizeiler; dadurch springen diese Aussagen um so deutlicher hervor 59. Wie sich im Vorstehenden bereits verschiedentlich zeigte, muß bei der Betrachtung des Chiasmus auch beachtet werden, wann er nicht verwendet wird. In Ps 26 sind v. 4 f. chiastisch angeordnet, v. 6-8 jedoch nicht. Vielleicht darf man sagen: in dem Chiasmus von v. 4 f. äußert sich die Entrüstung, mit welcher der Dichter die Gemeinschaft mit den Gottlosen von sich weist; in v. 6-8 spricht er ruhiger, entspannter; in diesen Versen findet sich denn auch kein Chiasmus. Besonders wirkungsvoll kann der Chiasmus in der Kombination mit der Stilfigur der Wiederholung sein. Man vgl. etwa Ps 29 5 : Die Stimme Jahwes: sie zerbricht die Zedern, ja, zerbrechen macht Jahwe die Zedern des Libanon.

Vgl. v. 8.10, auch v. 6.11. Der Chiasmus spielt in diesem Psalm als Ganzem eine wichtige Rolle, siehe ferner z. St. Im Vorstehenden wurden einige Aspekte der Wirkung des Chiasmus genannt. Natürlich ist damit noch nicht alles gesagt. Wie von jeder Stilfigur, so gilt auch vom Chiasmus, daß jeder Fall für sich betrachtet werden muß; in mehr oder weniger allgemein gehaltenen Betrachtungen kann der Chiasmus nicht in all seinen Erscheinungsformen erfaßt werden60. § 28. Übersicht Beispiele für den Chiasmus finden sich in Ps l l b c e 2 1 2 5 g 9 i 0 ^5.8c.d

52

(siehe

Z.

St.)

β ο

·}810

67.10

^«.14.16.17

7

9β.1β.19

13β 15 3 .4 .2 (siehe ζ. St.) 8 18 5 _ β i 4 .21.25.31.34.40 f.. 43.48 f.. 50 1^2 20 3 _ β 2I9.10 ^^13.16.17.19.23.24.25 25 3β f 26 34 f..i2 27 5e(i g 9a 284 2 9 5 β 8 1 0 1 1 Sie—s.« f. (siehe z. St.) 11 12 325 10 332 f 4 f 8 10 f 16 f 342 1922 f. 59 Nach diesen Bemerkungen dürfte deutlich sein, daß man den überlieferten Text m. E. nicht ändern darf, obwohl dies vielfach geschieht. 60 Für die Wirkung des Chiasmus siehe noch Weiss, Bibl 42 (1961), 278 — 281 (u. a. die folgenden Sätze, 281: „Das Verhältnis der im Chiasmus angeordneten Verse ist wie Bild und Spiegelbild, wobei der zweite Teil sich zum ersten, sei es explizierend, sei es spezifizierend verhält, sei es auf die erste Hälfte als Frage oder Antwort oder Begründung reagierend"), und auch — für einige Bemerkungen über verschiedene Fälle von Chiasmus — Begrich, Der Satzstil im Fünfer (in: Gesammelte Studien zum A T , 132 — 167), 144 f. 153.

Α. Stilistische Verfahren

61

3^17.18.19 36β 9 12 37β 14 16 f 1 9 2 1 383 8 10 X1 13 19 20.22 39 1 3 4 0 l x 12 14 18 (siehe z. St.). Hierzu sei noch bemerkt, daß die Formel des Chiasmus an einigen Stellen lautet: a—b— c|b' —e'—a', vgl. Ps „usw.; an anderen Stellen: a — b — c|c' — b' —a', siehe ζ. B . Ps 3g 7 1 7 ; daneben gibt es noch mehrere andere Möglichkeiten. § 29. Chiaatischer Aufbau größerer Einheiten Bei den in § 28 genannten Stellen handelt es sich um einen Chiasmus zwischen den Teilen einer Verszeile oder — gelegentlich — zwischen zwei aufeinanderfolgenden Verszeilen, bzw. deren Teilen. Bei Ps 22 1 3 _ 2 2 kann vielleicht von einem „erweiterten" Chiasmus gesprochen werden, siehe z. St. Es kommt auch verschiedentlich vor, daß eine größere Einheit oder auch der Psalm als Ganzes einen chiastischen Aufbau aufweist. Diese Erscheinung begegnet in verschiedenen Formen. Zuweilen wird nach einer thematischen Aussage zunächst der zweite und danach der erste Teil dieser Aussage ausgestaltet. In Ps 10 etwa wird v. 2 in ν. 3-ιι, ν. l in v. 12-15 ausgestaltet; in Ps 16 v. 2b in v. 3 f. und v. 2a in v. 5-11, in Ps 35 v. lb in v. 2-10 und v. la in v. 11-28. Hier sei auch erwähnt, daß „aus der Hand Sauls" in der Überschrift von Ps 18 in v. 4-31, „aus der Hand aller seiner Feinde" in v. 32-46 genauer herausgearbeitet wird. Eine merkwürdige, komplizierte Anwendung eines ähnlichen Verfahrens finden wir in Ps 26, siehe z. St. In Ps 1 besteht eine Korrespondenz zwischen v. 3 und v. 4, zwischen v. l f. und v. 5 (siehe bereits oben), in Ps 2 zwischen v. 4-6 und v. 7-9, zwischen v. 1-3 und v. 10-12, in Ps 17 zwischen v. 6-12 und v. 13 f., zwischen v. 1-5 und v. 15, in Ps 23 zwischen v. 2-4 und v. 5.6a.b, zwischen v. 1 und v. 6c.d, in Ps 25 zwischen v. 4-7 und v. 8-15, zwischen v. 2 f. und v. I6-21, in Ps 37 1 - 9 zwischen v. 3 f. und v. 5 f., zwischen v. l f. und v. 7. Hingewiesen sei auch auf Ps 18 3 3 _ 3 7 ; hier korrespondiert v. 35 mit v. 36, v. 34 mit v. 37; v. 33b wird in v. 35 f., v. 33a in v. 34 und v. 37 näher herausgearbeitet; siehe auch zu Ps 9 1 2 _ 1 5 β 1 . e l Nach der Auffassung einiger Exegeten, namentlich H. Möllers und N. W . Lunds (siehe das Literaturverzeichnis), spielt der Chiasmus im Aufbau der Psalmen eine viel größere Rolle, als ich anzuerkennen bereit bin. Siehe die, so scheint mir, im wesentlichen zutreffende Kritik, die Kraft, 1938, 21 — 25, zu Möller und Lund liefert. Im Hinblick auf Lund sei noch erwähnt,

62

I I . Allgemeiner Teil

Vor allem dann, wenn größere Einheiten chiastisch angeordnet sind, ist die Reihenfolge der Aussagen häufig die natürliche, naheliegende Reihenfolge. So hat es nichts Künstliches an sich, daß der Dichter von Ps 10 nach der Aussage von v. l f. zunächst v. 2 und danach erst v. l genauer herausarbeitet. Das schließ nicht aus, daß auch durch die chiastische Anordnung größerer Einheiten bestimmte Wirkungen erzielt werden, Effekte, die ihrem Prinzip nach denjenigen entsprechen, die durch die chiastische Anordnung kleinerer Einheiten erreicht werden. In Ps 10 enthalten v. 3-n eine breite Schilderung des Gottlosen, in v. 12-15 wendet der Dichter sich direkt an Jahwe. Es ist sicher wichtig, daß der Dichter sich vorher bereits in v. l f. an Jahwe wendet und eine kurze Beschreibung des Gottlosen gibt. Darin, daß der Dichter sich vor und nach v. 3-11 an Jahwe wendet, zeigt sich überdeutlich, daß die Beschreibung des Gottlosen als eine Klage gemeint ist, die er vor Gottes Angesicht ausbreitet. Siehe ferner etwa zu Ps 25. Schließlich sei noch auf § 15 verwiesen, wo von der Inklusion gehandelt wird. Wir können die Inklusion als einen unvollständigen Chiasmus bezeichnen. Vor allem bei dieser Form des Chiasmus wird eine Funktion sichtbar, die der Chiasmus auch erfüllen kann: die Abschließung und Abrundung einer Perikope, eines Psalms.

d a ß seine Betrachtungen über den Chiasmus in den Psalmen mir im allgemeinen wenig überzeugend erscheinen. Wichtig sind hingegen die Bemerkungen, die er zum Chiasmus außerhalb der Psalmen macht, siehe etwa seine Ausführungen i n A J S L 46 (1929/30), 107 ff., zu Sach 9 S N u m 15 3S f . Am 5 4 _„ J e s β Ο ^ 28 1 5 _ 1 8 , auch über Lev 14 1 0 _ 5 3 . Über Möller siehe zu Ps 23 und Ps 25. F ü r ältere Liter a t u r über den Chiasmus siehe Lund, 1929/30, 104 ff.; siehe auch König, 1900, 1 4 4 - 1 4 8 . 294 f. — Lohfink, J o n a ging zur S t a d t hinaus, BZ N F 5 (1961), 200, unterscheidet zwischen Inklusion (Α + Β + A'), Chiasmus (Α + Β + + Β' + Α') u n d konzentrischer S t r u k t u r (Α + Β + Zentrum + Β ' + A'). E r meint die konzentrische Struktur in mehreren Beispielen nachweisen zu können, siehe a . a . O . 200—202 (Jon l 3 4 _ l e u. a.); idem, Darstellungskunst u n d Theologie in D t n 1„—32», Bibl 41 (I960), 120—123; idem, Das H a u p t gebot, 66—68. 150 f. (181 — 183). 194 f. — Vermeldet sei noch, daß nach P . Lamarche, Zacharie I X — X I V , 1961, der Chiasmus im A u f b a u von Sach 9—14 eine wichtige Funktion h a t , siehe etwa 155, daß ferner Kosmala, V T 14 (1964), 443 ff., einige Stellen nennt, deren A u f b a u als chiastisch bezeichnet werden k a n n (Jes 30 2 9 _ 8 1 , „one of t h e most elegant pieces", h a t nach ihm dae Schema: a — b — c — d — c — b — a), u n d d a ß nach Holladay, VT 16 (1966), 53—64, der Chiasmus der Schlüssel für das Verständnis von H o s 12 a _ e ist.

Β . D E E A U F B A U DER PSALMEN

1. A L L G E M E I N E B E T R A C H T U N G E N

§ 30. Inhaltliche

Einheiten

Will man eine Antwort auf die Frage nach dem Aufbau der Psalmen finden, so muß man, jedenfalls in der Regel 62 , nicht nach formalen, sondern nach inhaltlichen Einheiten suchen 63 . Zumindest theoretisch sind die meisten Forscher, die sich mit dem Aufbau der Psalmen befassen, sich hierüber wohl einig84. Eines der ersten Ziele dieses Buches ist es, zu zeigen, daß die Psalmen für gewöhnlich aus inhaltlichen, gedanklichen Einheiten aufgebaut und daß diese auf eine wohlüberlegte Weise miteinander verbunden sind. Oft wurde und wird ein Psalm mit einer Perlenschnur verglichen, auf welche die eine Perle nach der anderen gereiht wird (siehe zu Ps 37). Was in diesem Bild ausgedrückt werden soll, ist deutlich: der Psalm macht verschiedene Aussagen, deren jede für sich betrachtet sehr wertvoll ist, die jedoch mehr oder weniger locker nebeneinanderstehen. Bei den weitaus meisten Psalmen ist dieses Bild sehr irreführend. Die Psalmen lassen sich im allgemeinen eher mit einem Gebäude vergleichen bei dem ein Stein auf dem anderen « S i e h e § 31. • 3 Wie so häufig, ist auch hier die Unterscheidung „inhaltlich — formal" nicht völlig befriedigend. E s d ü r f t e deutlich sein, daß, wenn in diesem Zusammenhang von „ f o r m a l " gesprochen wird, der Begriff „ F o r m " eine ganz andere Bedeutung h a t , als er in der Verbindung „Fonngeschichte" zu haben pflegt. S t a t t von „inhaltlichen" k ö n n t e m a n auch von „Gedankeneinheiten" sprechen, aber auch dieser Terminus ist unbefriedigend. U n t e r „formalen Einheiten" werden hier die Teile eines Gedichts verstanden, die dichtungstechnisch gesehen eine Einheit darstellen. — Zwar bilden die Verszeilen gewöhnlich nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Einheiten (siehe jedoch § 8); es wird jedoch deutlich sein, d a ß hier Einheiten gemeint sind, die länger als eine Verszeile sind. M K r a f t , 1938, 6, nennt viele Forscher, die dieser Methode folgen; auch K r a f t selbst verteidigt sie, siehe 31f.; siehe ferner noch ζ. B. Kissane, The Book of Psalms, I 1953, X L : „The only logical procedure is t o m a k e each verse the u n i t of t h o u g h t a n d t o combine t h e verses t o form a group if they develop t h e same thought, wether this group consists of two verses, or ten, or a dozen."

64

I I . Allgemeiner Teil

ruht65. Häufig wird in einem Psalm der eine Teil von dem anderen getragen. Viele Psalmen finden im letzten Teil ihren Höhepunkt: alle anderen Teile bilden gleichsam die Pfeiler, auf denen dieser Teil ruht. Neben dem Bild des Gebäudes könnte man zur Verdeutlichung des Aufbaus der Psalmen auch Bilder verwenden, die dem Bereich der Musik und des Tanzes entstammen66. Unter anderem durch den Stil der Wiederholung läßt ein Psalm uns zuweilen an eine Fuge denken, an einen Kanon, an die durcheinanderpurzelnden Klänge eines Glockenspiels, oder auch an Tanz und Kontertanz. Auf jeden Fall muß beim Studium eines Psalms der Gedankengang genau beachtet werden. Ein Gedankenfortschritt läßt sich in viel mehr Psalmen erkennen, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Gedanken stehen keineswegs zusammenhanglos nebeneinander. Der Psalmist ist auf einen bestimmten Effekt aus, und er ordnet seine Aussagen sorgfältig, um diesen Effekt so gut wie möglich zu erreichen. Vor allem bei vielen Klage- und Bittpsalmen erinnern die Psalmisten uns an einen Anwalt, der seine Argumente geschickt ordnet, um ihnen die größtmögliche Wirkung zu verleihen. Ein großer Teil dieses Buches ist der näheren Ausarbeitung des Vorstehenden gewidmet, siehe bereits das Kapitel „Stilistische Verfahren"; siehe ferner die Besprechung der einzelnen Psalmen und insbesondere auch § 38—41. 65 Vgl. Alonso Schökel, 1960, 163: „ F ü h r t e n wir diese Untersuchung weiter, so würden wir feststellen, d a ß der hebräische Mensch, wie überhaupt der altorientalische Mensch, f ü r die Kompositionswerte, das Tektonische in Sprachkunstwerken, sehr veranlagt ist." 66 Vgl. die in § 17 zitierte Bemerkung von Schwab; siehe auch Schwab, in Tournay-Schwab, Les Psaumes, 1955*, 66 u. a. Vgl. auch J . L. Koole, Bijbelstudie over Psalm 8 (GThT 66, 1966, 1 — 8), 2: „Misschien hadden we, als deze term (nl. parallelisme) niet zo ingeburgerd was, beter v a n een contradane kunnen spreken; tenslotte gaat het niet om meetkunde m a a r o m muziek" (deutsch etwa: „Vielleicht h ä t t e n wir, wenn sich dieser Terminus [nämlich ,Parallelismus'] nicht so eingebürgert hätte, besser von einem K o n t e r t a n z sprechen können; schließlich handelt es sich nicht u m Geometrie, sondern u m Musik"). — Th. Boman, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, 19654, 179, schreibt: „Die Kompositionskunst der hebräischen Denker und Dichter ist nicht wie in der Architektur, wo alles schrittweise aufgebaut wird, sondern wie in der Musik, wo das Thema zu Anfang angeschlagen wird und später in immer neuen Variationen zurückkehrt." Zu Unrecht stellt Boman hier Architektur u n d Musik einander als Gegensätze gegenüber, vgl. das Schellingzitat bei Goethe, daß die Baukunst „erstarrte Musik" sei (Sprüche in Prosa, Hempel [Hrsg.] 19, S. 148, Nr. 694); übrigens ist auch an Kooles Gegenüberstellung von Geometrie und Musik, Tanz einiges auszusetzen.

Β. Der Aufbau der Psalmen

65

§ 3 1 - 3 4 . FORMALE E I N H E I T E N

§ 31. Alphabetische Psalmen.

Refrain

Die Psalmen pflegen aus inhaltlichen Einheiten aufgebaut zu sein. Gibt es auch Psalmen, die aus formalen Einheiten aufgebaut sind 67 ? Bei gewissen Psalmen ist dies deutlich der Fall. I n Ps 119 beginnen zunächst acht Verszeilen mit N, dann acht Verszeilen mit 2 und so fort. Es kann gesagt werden, daß P s 119 aus formalen Einheiten aufgebaut ist, aus Teilen, die in formaler Hinsicht eine Einheit darstellen, indem nämlich sämtliche Verszeilen dieser Teile mit einem bestimmten Buchstaben beginnen. I n P s 37 beginnt die erste Verszeile mit χ , die dritte mit 1 , die f ü n f t e mit j und so fort. Somit kann gesagt werden, daß P s 37 aus formalen Einheiten von je zwei Verszeilen besteht. Siehe ferner § 48. I n P s 42 e 12 43 5 finden sich vier beinahe gleichlautende Stichen. Wir können daher sagen, daß Ps 42 f. aus drei formalen Einheiten, P s 42 2 _ e 42 7 _ 1 2 43J_ 5 , aufgebaut sind. Siehe ferner § 14. So kann bei einigen alphabetischen Psalmen u n d bei (einigen) Psalmen, die einen Refrain enthalten, von einem A u f b a u aus formalen Einheiten die Rede sein. Es ist jedoch deutlich, daß dies nur f ü r eine kleine Zahl von Psalmen gilt. Wie verhält es sich bei den übrigen Psalmen ? § 32. Strophenbau ? Verschiedene Exegeten, die sich mit den im vorigen Paragraphen aufgeworfenen Fragen beschäftigt haben, sind der Meinung, daß in einem Psalm in der Regel von einem mehr oder weniger regelmäßigen Strophenbau gesprochen werden kann. Damit meint man gewöhnlich, d a ß ein Psalm in der Regel aus Teilen aufgebaut ist, die eine gleichartige, wo nicht dieselbe Anzahl Stichen oder auch Verszeilen enthalten 6 8 . " S i e h e über den Terminus „formale Einheiten" bereits den Beginn von § 30. So sind hier mit dem Terminus „formale Einheiten" Einheiten gemeint, die länger als eine Verszeile sind. M Eine wertvolle Übersicht über die verschiedenen Meinungen gibt Kraft, 1938, 1 — 32, siehe auch z . B . König, 1900, 346—355; A. Condamin, Pommes de la Bible, 1933, 1 — 6. — Kraft schreibt über „the heyday of strophic discoveries just prior to and at the turn of the century" (16), über „contemporary indifference with regard to the subject and even in some quarters hostility" (18), und über „a revival of interest in the subject within the last decade on

66

I I . Allgemeiner Teil

Μ. Ε. wird man gut daran tun, sich des Wortes „Strophenbau" bei den Psalmen mit großer Zurückhaltung zu bedienen. Die Psalmen sind aus Verszeilen, Doppelstichen und Tristichen aufgebaut. Diejenige Stichen, die zusammen einen Doppel- oder Tristichos bilden, haben gewöhnlich die gleiche oder eine gleichartige Anzahl Versfüße und pflegen auch inhaltlich in irgendeiner Weise parallel zu sein. Dabei muß jedoch mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die Dichter sowohl das Metrum wie den Parallelismus mit großer Freiheit, wenn man will: mit großer Abwechslung verwendeten, siehe § 5.6. Wie haben diese Dichter nun die größeren Einheiten aufgebaut ? Wie bereits gesagt wurde (siehe § 30), muß man, um diese Frage beantworten zu können, vor allem auf die gedanklichen Einschnitte achten. Das schließt jedoch naturlich nicht aus, daß man den Text auch auf formale Zäsuren hin untersuchen muß: stellen die gedanklichen zugleich formale Einheiten dar? Zerfällt ein Psalm außer in inhaltliche auch in formale Einheiten? Wie sich beinahe von selbst versteht, kommt es vielfach vor, daß zwei, bzw. drei aufeinanderfolgende Verszeilen eng miteinander verbunden sind und eine Einheit bilden, so daß man von einem Zwei-, bzw. Dreizeiler sprechen könnte; siehe ferner § 42.43. t h e p a r t of a few writers" (21; K r a f t gibt anschließend eine Übersicht u n d Besprechung der Theorien von H . Möller, N. W . Lund, A. Condamin, L. Desnoyers, K . Fullerton, W . A. Irwin, siehe mein Literaturverzeichnis). Auch nach 1938 stehen viele Psalmenforscher der Möglichkeit, einen strophischen A u f b a u in den Psalmen aufzuzeigen, skeptisch gegenüber. Siehe jedoch ζ. B. Kissane, Psalms, I 1963, X L — X L I I ; Mowinckel, Tricola, 1957, 101 f.; idem, Psalms, I I 1962, 170 — 172; ferner z . B . J . A. Montgomery, Stanza-formation in Hebrew Poetry, J B L 64 (1945), 379 — 384; Ε. B a u m a n n , Struktur- Untersuchungen im Psalter I u n d II, ZAW 61 (1949), 114—176; 62 (1950), 115—152; P . W . Shekan, Strophic Structure in Ps. 72(71), Bibl 40 (1959), 302—308; idem, Strophic P a t t e r n s in the Book of Job, CBQ 23 (1961), 125 — 142; L. Krinetzki, Zur Poetik u n d Exegese von P s 48, BZ 4 (1960), 70—97; idem, Psalm 5, ThQ 142 (1962), 23—46; E. Vogt, Der A u f b a u von Ps 29, Bibl 41 (1960), 17 — 24; L. K u n z , Zur Liedgestalt der ersten fünf Psalmen, BZ 7 (1963), 261 — 270. — F ü r den Strophenbau in der Literatur von Israels Umwelt siehe L. B. Falkenstein-von Soden, Sumerische und akkadische H y m n e n und Gebete, 1953, 26 f.; Barucq, L'expression de la louange divine etcet., 1962, 292 f. — Zu der Frage, ob die poetischen Texte von Qumran Strophenbau aufweisen, siehe ζ. B. J . Carmignac, iStude sur les proced^s poitiques des Hymnes, R Q 2,4 (November 1960), 515 — 532. — Zu ergänzen ist noch, daß der Begriff „Strophe" recht verschieden definiert wird; siehe ζ. B. K r a f t , 1938, 6 f.; Τ. H . Robinson, SVT, I 1953, 131 f.; Eissfeldt, Einleitung, 1964, 85. Μ. E . empfiehlt es sich, nur d a n n von Strophen zu sprechen, wenn ein Gedicht aus Teilen besteht, die bestimmte formale Merkmale miteinander gemein haben.

Β. Der Aufbau der Psalmen

67

Überblickt man jedoch den Psalm in seiner Gesamtheit, so läßt sich in seinem Aufbau nur in verhältnismäßig wenig Fällen eine formale Regelmäßigkeit nachweisen. Pflegten die Psalmendichter beim Aufbau

einer

Verszeile

mit großer

Freiheit

zu verfahren,

so

gingen

sie mit noch viel größerer Freiheit bei der formalen Gestaltung des Ganzen

Damit soll keineswegs gesagt sein, daß sie völlig willkürlich vorgingen. Es gibt Psalmen, die formal eine große Regelmäßigkeit erkennen lassen; dabei handelt es sich jedoch um Ausnahmen. Verschiedene Psalmen enthalten Abschnitte, die ziemlich regelmäßig aufgebaut sind. Zuweilen kommt es vor, daß ein Psalm aus Teilen besteht, die in etwa dieselbe Länge haben. Zusammenfassend läßt sich sagen: im Aufbau der Psalmen kommt wiederholt zum Ausdruck, daß die Psalmendichter Sinn für Symmetrie hatten; ihr Symmetriegefühl verlangte jedoch nicht, daß der eine Teil sich zu dem anderen genau symmetrisch verhielt. Jegliches Streben nach schulmäßiger Regelmäßigkeit war ihnen fremd69. zu Wege.

§ 33. Die Auffassung

von Kraft u. a.

Wie bereits gesagt wurde, muß das Wort „Strophenbau" m. E. bei den Psalmen sehr sparsam verwendet werden. Wir müssen hierauf noch etwas näher eingehen. Kraft u. a. meinen, daß sich bei den Psalmen ein recht regelmäßiger Strophenbau nachweisen läßt. Dazu sei folgendes bemerkt: 1. Oft ist es unsicher, wie die Verszeilen und insbesondere die Stichen (vgl. § 7) voneinander abgegrenzt werden müssen. Natürlich bringt dies für die Aussagen über den Strophenbau eine gewisse Unsicherheit mit sich. 2. Kraft und viele andere Exegeten70 behaupten, daß bei der Feststellung von Strophen nicht der Stichos, sondern die Verszeile " V g l . Muilenburgs Behandlung von Ex 15 1 _ l s in: Festschrift Vriezen, 1966, 233 — 251. Nach Muilenburg weisen Ex 15 1 _ la folgendes Schema auf: 2 | 3 + 3 + 2 | 4 + 5 + 3 | 4 + 5 + l | 3 + l ( = v. l|v. 2 f. + v. 4 f. + ν. e|v. 7 f. + v. » f . + v. n|v. 12-14 + v. 15.16a.b + v. I0c.d|v. 17 + v. 18). Vor allem in bezug auf den Gesichtspunkt, der uns in diesem Buch beschäftigt, enthält auch dieser Artikel von Muilenburg viele wertvolle Betrachtungen. 70 Vgl. Kraft, 1938, 2—4. Für Mowinckel existiert dieses Dilemma nicht oder kaum, denn nach seiner Meinung ist die Zahl der Tristichen sehr begrenzt und kommen isolierte Tristichen kaum vor. Die Bemerkungen in Punkt 2 können denn auch nicht gegen Mowinckel ins Feld geführt werden, die in Punkt 3 geäußerten Bedenken jedoch gelten ihm in desto stärkerem Maße. Siehe im übrigen auch § 7.

68

II. Allgemeiner Teil

als Grundeinheit betrachtet werden müsse. Es ist müßig, sich über Termini zu streiten. Im Grunde aber wird hiermit zugleich anerkannt, daß das Streben der Psalmendichter nach formaler Regelmäßigkeit begrenzt war. Nehmen wir einmal an (siehe zu Ps 25), daß ein Psalm sich in drei Teile von je sieben Verszeilen einteilen läßt, jedoch so, daß der erste Teil zwei Tristichen enthält, während der Psalm im übrigen aus Doppelstichen besteht. Dann läßt sich doch jedenfalls so viel feststellen, daß der Dichter nicht nach einem völlig regelmäßigen Aufbau gestrebt hat. Wenn es nun aufgrund von inhaltlichen Überlegungen den Vorzug verdient, den Psalm in 7 + 8 + 6 Verszeilen einzuteilen, dann ist das Vorkommen dieser zwei Tristichen ein weiterer Grund, die inhaltlichen Kriterien gegenüber den formalen als primär zu betrachten71. 3. Zu seiner These von der regelmäßigen Strophenbildung kann Kraft nur mittels vieler Textänderungen gelangen. Nun will ich die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, daß Kraft auf diese Weise zumindest hier und da die ursprüngliche Gestalt eines Psalms wiederherstellt. Es ist jedoch deutlich, daß man mit dieser Methode schwerlich zu hinreichend gesicherten Resultaten kommen kann. Man ist sich gegenwärtig wohl darüber einig, daß bei Konjekturen metri causa Vorsicht geboten ist; in viel stärkerem Maße gilt dies jedoch für Konjekturen, die einer regelmäßigen Strophenbildung zuliebe vorgenommen werden.

71

Daß das Streben der Dichter nach formaler Regelmäßigkeit begrenzt ist, wird um so deutlicher, wenn wir die einzelnen Verszeilen beachten. Man kann einen Abschnitt eines Psalms wohl öfter in zwei Teile von gleicher Stichenzahl gliedern, betrachtet man jedoch die Länge, die Zahl der Versfüße der einzelnen Stichen, so erkennt man, daß die formale Regelmäßigkeit einiges zu wünschen übrigläßt. — Ebenso wie in der vorigen Anmerkung muß hier Mowinckels Auffassung gesondert genannt werden. Bei seiner Skandierungsmethode weist die Zahl der Versfüße in den einzelnen Stichen wohl eine große Regelmäßigkeit auf. Aber diese Skandierungsmethode ist m. E. kaum akzeptabel (abgesehen noch von der Tatsache, daß sie ebenso wie die Eliminierung vieler Tristichen, mit zahlreichen Textänderungen verbunden ist), siehe § 6. Übrigens läßt sich den diesbezüglichen Bemerkungen in dieser und der vorigen Anmerkung entnehmen, daß Mowinckel ebenso wie bei vielen anderen Problemen auch in bezug auf den formalen A u f b a u der Psalmen einen kühnen Griff gewagt, einen konsequenten Standpunkt bezogen hat.

69

Β. Der Aufbau der Psalmen

§ 34. Beispiele für regelmäßigen Aufbau Wie in § 32 gesagt wurde, gibt es einige Psalmen mit regelmäßigem Aufbau. Ps 9 kann in zehn Zweizeiler eingeteilt werden72. Der erste Zweizeiler, v. 2 f., hat deutlich einen einleitenden, der letzte, v. 20 f., einen abschließenden Charakter. Die übrigen acht Zweizeiler zerfallen in zwei Abschnitte von je vier Zweizeilern, v. 4 - n . 12-19. Der zweite Abschnitt zerfällt wiederum in zwei Teile von je zwei Zweizeilern, v. 12-15. 16-19; im ersten Abschnitt ist dies zumindest nicht ebenso deutlich78. Ps 33 zählt 22 Doppelstichen. Die ersten drei Doppelstichen haben deutlich einen einleitenden, die letzten drei einen abschließenden Charakter. Von den übrigen 16 Doppelstichen sind die ersten zwei wiederum einleitend, v. 4 f.. Die übrigen 14 Doppelstichen müssen m. E. aus inhaltlichen Gründen in zwei Abschnitte von je sieben Doppelstichen eingeteilt werden, v. 6-12. 13-19. Hier kann also von einer gewissen Regelmäßigkeit des Aufbaus gesprochen werden. Inwieweit war der Dichter sich dieser Regelmäßigkeit bewußt? Ich neige dazu, zu behaupten, daß diese Regelmäßigkeit gewiß auf das Symmetriegefühl des Dichters zurückzuführen ist, daß er aber seine Verszeilen nicht gezählt hat; man könnte sich vorstellen, daß diesem Symmetriegefühl auch wohl entsprochen worden wäre, wenn ζ. B. der erste Hauptteil sieben, der zweite neun Doppelstichen enthielte. Merkwürdig ist jedoch wohl, daß das Gedicht 22, das heißt also ebenso viele Doppelstichen wie das Alphabet Buchstaben, zählt; siehe § 48. Hat der Dichter die Doppelstichen etwa doch gezählt ? Ps 3 und Ps 4 bestehen aus drei Zweizeilern (genauer: einem Zwei-und einem Vierzeiler) mit einem abschließenden Dreizeiler, Ps 6 aus zwei Vier- und einem abschließenden Dreizeiler. Ps 13 besteht aus drei Teilen, die jeweils fünf, vier, drei Stichen zählen. Siehe ferner vor allem § 45.46.

Für die Termini „Zwei-, Drei- und Vierzeiler" siehe § 42.43. Übrigens gelten diese Betrachtungen zu F s 9 nur, wenn man sich im Gegensatz zu vielen anderen Forschem an den MT hält und F s 9 als eine ursprüngliche Einheit betrachtet, siehe § 48 und z. St. 7S 73

Eldderboe, Psalmen

g

70

II. Allgemeiner Teil § 36.36. LITURGISCHE E I N H E I T E N

§ 35. Allgemeines.

Beispiele

In diesem Paragraphen berühren wir die Frage nach dem Verhältnis der Psalmen zum Kultus. Ich muß mich hier darauf beschränken, meine eigene Auffassung dieses vielerörterten Problems darzulegen 74 . Ich bin der Ansicht, daß von altera her eine enge Verbindung zwischen Israels Psalmodie und dem Kultus bestand, daß viele Psalmen unserer Sammlung für den Vortrag während des Gottesdienstes bestimmt waren, und daß die weitaus meisten Psalmen dieser Sammlung in einem Stil gedichtet worden sind, den wir als den „kultischen Stil" bezeichnen können. Selbstverständlich ist all dies auch im Hinblick auf den Aufbau der Psalmen von Wichtigkeit. Bei manchen Psalmen wird uns der Aufbau erst verständlich, wenn wir beachten, welchen Platz die einzelnen Abschnitte im Gottesdienst hatten. So können wir bei Ps 20 annehmen, daß v. 2-6 von einem im Namen des Volkes sprechenden Diener des Heiligtums vorgetragen wurden, v. 7 von einem anderen Diener, der die Antwort Jahwes wiedergab, v. 8 f. wiederum von dem ersten Diener, während die zwei kurzen Ausrufe in v. 10 von der gesamten bei dem Heiligtum versammelten Gemeinde vorgebracht worden sein können; vgl. ferner z. St. Es gibt Gründe, anzunehmen, daß Ps 28 aus vier liturgischen Einheiten besteht: In v. 1-4 spricht der Beter sein Gebet, in v. 5 antwortet ihm ein Tempeldiener, in v. 6 f. dankt der Beter für die empfangene Hilfe, in v. 8 f. erklingt wiederum die Stimme des Tempeldieners, der die Feierlichkeit mit einem Bekenntnis und einer Bitte beschließt; siehe ferner z. St. Freilich muß zugegeben werden, daß es nicht eben leicht ist, sich eine konkrete Vorstellung davon zu machen, wie derartige Liturgien im Kultus ausgeführt worden sein mögen 75 . Darum müssen wir immer auch der Möglichkeit Rechnung tragen, daß wir es nicht mit einer 74

Für einen Fundierungsversuch der nachstehenden Behauptungen verweise ich auf meine Arbeiten Psalmen en cultus, 1950, und De Psalmen, I 1962, 1 5 - 2 0 . 76 Vgl. mein Buch De Psalmen, I 216 —218.288. Eine Schwierigkeit liegt beispielsweise darin, daß wir uns schwer vorstellen können, daß der Empfang einer speziellen Offenbarung, das Vom-Geist-ergriffen-Werden, siehe vor allem Ps 20 7, ein im voraus festgelegter Punkt der liturgischen Agende war.

71

Β. Der Aufbau der Pealmen

eigentlichen Liturgie zu tun haben, sondern mit einer Nachwirkung, möglicherweise einer sehr tiefgehenden Nachwirkung des kultischen Rituals. Siehe ferner zu Ps 2 3 6 11 12 15 21 24 27 33 41. § 36. Zwei besondere Erscheinungen Auf zwei Erscheinungen gehe ich etwas näher ein. a. In vielen Klagepsalmen besteht ein großer Stimmungsunterschied zwischen dem Anfang und dem Schluß: im Anfang hören wir eine heftige Klage, im Schluß eine jubelnde Danksagung. Mit sehr vielen anderen Exegeten 76 muß man zur Erklärung dieser Erscheinung m. E. das kultische Ritual heranziehen. Eine kultische Feier dürfte des öfteren folgenden Verlauf gehabt haben (siehe bereits § 35): Zunächst wurde eine Notlage vor Jahwe geschildert. Sodann wurde etwa ein Opfer dargebracht. Ein Tempeldiener äußerte, möglicherweise im Zusammenhang mit der Opferung, ein Wort der Ermutigung, ein Versprechen der Hilfe, oder es fand ζ. B. eine Reinigung statt. Anschließend folgte ein vom Beter selbst oder in seinem Namen gesprochenes Wort, in dem für die empfangene Hilfe gedankt, die Gewißheit der Erhörung geäußert, das Gelübde eines Danklieds getan wurde. So bedingte also der Verlauf des kultischen Rituals, daß bei ein und demselben Anlass Klage und Danksagung oder Jubel erklangen. Dies muß m. E. bei der Erklärung des Übergangs von der Klage zum Jubel, der in vielen Psalmen begegnet, berücksichtigt werden. Bei Ps 6 ζ. B. ist es sehr wohl möglich, daß zwischen v. 8 und v. 9 eine kultische Handlung gedacht werden muß. Bei den meisten Psalmen, in denen der besagte Übergang stattfindet, besteht jedoch kein Grund für eine solche Annahme. Wohl aber muß gesagt werden, daß diese Psalmen eine Nachwirkung des kultischen Rituals erkennen lassen. Allerdings ist es gut, dabei zu bedenken, was Gunkel—Beglich, 1933, 247, schreibt: „Freilich war dieses Nachwirken nur möglich, weil das Sich-Aufschwingen zu einer festen Gewißheit auch sonst dem Gebete eigen ist."

" S i e h e ζ. B. Gunkel-Begrich, Einleitung, 1933, 132 f. 177 f. 2 4 3 - 2 5 6 ; J. Begrich, Das priesterliche Heilsorakel, ZAW 62 (1934), 81 — 92 (auch in: Gesammelte Studien zum AT, 1964, 217 — 231). 6*

72

I I . Allgemeiner Teil

Siehe ferner zu Ps 3 4 5 7 10 13 17 22 26 31 35 36 41 und vgl. auch § 56-60". b. Gelegentlich kommt es vor, daß am Ende eines Psalms Aussagen gemacht werden, die einen priesterlichen Klang haben. So lautet Ps 3e: „Von Jahwe ist die Befreiung; auf deinem Volk sei dein Segen." Nahezu alle anderen Stichen dieses Psalms (siehe jedoch v. 3b. 8a.d) sprechen in der Ich-Form. V. 9 spricht allgemeiner. Vor allem bei v. 9b können wir sicher von einem priesterlichen Klang sprechen. Auch bei dieser Erscheinung kann an den Einfluß des Kultus gedacht werden. Eine kultische Feier dürfte des öfteren mit den Worten eines Dieners des Heiligtums beschlossen worden sein. Bei Ps 3 können wir m. E. annehmen, daß v. 9 (ursprünglich) von einem Diener des Heiligtums gesprochen werden sollte; siehe auch ζ. B. Ps 2714. In anderen Fällen werden wir uns damit begnügen müssen, von einer Nachwirkung des kultischen Rituals zu sprechen. Die Grenze zwischen dem einen und dem anderen läßt sich nicht mit hinreichender Sicherheit ziehen. Vgl. noch Ps 29c 5 13 28g f . Siehe auch zu Ps H 4 _ 7 . § 37. Das

Verhältnis

der inhaltlichen, formalen Einheiten zueinander

und

liturgischen

Ps 3 besteht aus folgenden liturgischen Einheiten: v. 2-8b. 8c.d. 9. Betrachtet man den formalen Aufbau des Psalms, so scheint es nahezuliegen, ihn in drei Zwei- und einen Dreizeiler einzuteilen. 77 Eine andere Erklärung dieser Erscheinung findet sich u. a. bei Frost, Asseveration by thanksgiving, VT 8 (1958), 380—390. So schreibt Frost, 385, z u Ps 22 23 jf_: „This act of praise is to be recognised as an original p a r t of the psalm's structure. I t is t h e anticipatory thanksgiving, and because it is asseverative in character, there is no need to predicate, as Gunkel was inclined t o do, a cultic oracle of reassurance between t h e two p a r t s of t h e psalm. Rather, t h e act of praise is itself just such an assertion of t h e certainty of divine aid, which a cultic oracle would have given." Wenn m a n jedoch m i t Gunkel annimmt, d a ß zumindest ursprünglich ein enges Band zwischen Israels Fsalmodie und dem K u l t u s bestanden h a t , und wenn m a n bedenkt, wie viele Klagepsalmen m i t Äußerungen der Erhörungsgewißheit schließen, liegt es doch wohl nahe, diesen Übergang von der Klage zum Jubel m i t dem Verlauf des kultischen Rituals oder dessen Nachwirkung in Verbindung zu bringen. Eine noch andere Erklärung gibt Wevers, Α study in the form criticism of individual complaint Psalms, VT 6 (1956), 80 — 96; siehe ζ. Β. seine Bemerkung 87: „The invocation of the divine name is a n assurance t h a t t h e ritual will be effective. This inevitably should result in a concluding vow and/or expression of certainty." Μ. E . wird hier die Bedeutung der A n r u f u n g des Gottesnamens einseitig betont.

Β. Der Aufbau der Psalmen

73

Dieses Beispiel zeigt, daß die liturgischen und die formalen Einheiten nicht immer zusammenfallen. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, ob die formalen und die inhaltlichen Einheiten stets zusammenfallen. Wir können die Frage auch anders stellen: kommt das Enjambement in den Psalmen nicht nur bei den Stichen, siehe § 8, sondern auch bei den „Strophen" vor? Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, II, 172, behauptet, daß Ps 18 aus „strophes of four bicola" besteht. Er legt anschließend dar, daß dies auch von v. 21-28 gelte, und schreibt dabei u. a. : „Logically speaking the break between vv. 25 and 26 is deeper than that between 24 und 25; yet vv. 25-28 make up a connected train of ideas, and there is no reason to suppose that vv. 21-28 do not also consist of regular strophes of four bicola like the rest of the psalm." In der Tat liegt zwischen v. 25 und v. 26 logisch gesehen eine recht deutliche Zäsur. Dem Inhalt nach müssen v. 21-31 m. E. folgendermaßen gegliedert werden: v. 211 22-24 | 25 | | 26 f. | 28 | 29 f. | 31; siehe z. St. Muß man daneben sagen, daß v. 21-31 aus sechs Zweizeilern bestehen, v. 21 f. 23 f. 25 f. 27 f. 29 f. 31 ? Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß diese Frage bejaht werden muß. Dafür spricht, daß bei großen Teilen dieses Psalms tatsächlich viel Grund besteht, von einer Gliederung in Zweizeiler zu sprechen, siehe v. 5-20 (siehe jedoch auch v. 8 f. 14) und v. 34r-46. Andrerseits ist die Einteilung in Zweizeiler bei den anderen Teilen mit Schwierigkeiten verbunden oder zumindest wenig sinnvoll. Was speziell v. 21-31 angeht, ist Gunkels Auffassung aufschlußreich. Gunkel ist der Meinung, daß die Doppelstichen von Ps 18 „meistens zu je Zweien geordnet" sind. V. 21-31 aber gliedert er in einen Zweiund drei Dreizeiler, v. 21 f. | 23-25 | 26-28 | 29-31'8. Im Anschluß an das Gesagte sei folgendes bemerkt. Bei den in diesem Buch vorgenommenen Einteilungen wird danach gestrebt, den Gedankengang eines Psalms hervortreten zu lassen. Die Teile, in welche die Psalmen auf diese Weise gegliedert werden, können zuweilen auch als „formale Einheiten" bezeichnet werden, häufig aber ist dies nicht der Fall. Ich will die Möglichkeit, daß manchmal neben der „inhaltlichen" auch eine „formale" Einteilung gegeben werden kann, nicht völlig ausschließen, aber Versuche in dieser Richtung sind aus mancherlei Gründen nichts weniger als vielversprechend.

78

Gunkel streicht v. sib. Diejenigen, die den überlieferten Text beibehalten, erblicken in v. 31 einen Tristichos oder zwei Doppelstichen.

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II. Allgemeiner Teil

Wae Ps 1—41 betrifft, so ist mir nur ein Fall bekannt, in dem sich mit genügender Sicherheit nachweisen läßt, daß neben der inhaltlichen auch eine formale Einteilung vorgenommen werden muß. Es scheint mir schwerlich zu leugnen, daß Ps 10 12 — 18 aus vier Zweizeilern, v. 12f. 114 115 f. 117 f., bestehen; man beachte vor allem die Verwendung des Alphabets. Vom Inhalt her liegt jedoch folgende Einteilung näher: v. 12 f. | π | 15 | 116-18, siehe z. St.

§ 3 8 - 4 0 . DAS VERHÄLTNIS DER INHALTLICHEN TEILE ZUEINANDER. ÜBERGANG VOM EINEN TEIL ZUM ANDEREN

§ 38. Beispiele I n Ps 2 besteht zwischen dem in v. 1-3 und dem in v. 4-6 Geschilderten ein scharfer Gegensatz, siehe z. St. Diese beiden Perikopen stehen unvermittelt nebeneinander. Der Übergang wirkt dadurch, daß in der Perikope v. 1-3 in v. 3 eine Klimax erreicht ist, denkbar schroff. Der Übergang von v. 4-6 (wenn man will: v. 1-6) zu v. 7-9 ist viel fließender: v. 7-9 enthalten eine genauere Ausarbeitung von v. 6. Dennoch h a t auch dieser Übergang etwas Abruptes an sich; man beachte ζ. B. folgendes: das „Ich" in v. 6 ist das „Ich" Jahwes, das „Ich" in v. 7a ist das des Königs. V. 10-12 ziehen mit nnj?l die Schlußfolgerung aus dem Vorhergehenden. Wir können diesen Übergang nicht als schroff bezeichnen, er ist jedoch auch nicht fließend; man beachte auch hier, wer angeredet wird: in v. 9 der israelitische "König, in v. 10 die Könige der Erde. I n Ps 3 unterstützen die Klagen in v. 2 f. und die Vertrauensäußerungen in v. 4-7 die Bitte in v. 8a.b. V 2 f. und v. 4-7 stehen in antithetischem Verhältnis zueinander, siehe bereits § 25a; der Übergang ist plötzlich. Auch der Übergang von v. 7 zu v. 8 ist ziemlich abrupt. I n v. 2 f. stehen drei gleichartige Ausrufe nebeneinander. Der Inhalt von v. 4-7 kann m. E. folgendermaßen paraphrasiert werden: I n v. 4 f. bekennt der Dichter, daß Jahwe sein Schild ist und sich immer wieder als solcher erweist; v. 6 f. sprechen aus, daß der Dichter dies auch in der soeben verstrichenen Nacht erfahren und daher keine Furcht hat. Es ist deutlich, daß man, um zu dieser Paraphrase zu gelangen, einiges zwischen den Zeilen lesen muß. Sehr plötzlich sind die Übergänge in v. 8 f.; dies dürfte auf den Verlauf des kultischen Rituals oder auf seine Nachwirkungen zurückzuführen sein; siehe § 36.

Β. Der Aufbau der Psalmen § 39.

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Allgemeines

Allgemein kann gesagt werden, daß die Übergänge zwischen den einzelnen Teilen in der Regel eher abrupt als fließend sind. Das Aphoristische ist kennzeichnend für viele Psalmen. Der Psalmendichter stellt die eine Aussage mehr oder weniger unvermittelt neben die andere. Das bedeutet keineswegs, daß die verschiedenen Aussagen untereinander nicht zusammenhängen, jedoch bleibt es oft dem Einfühlungsvermögen des Lesers überlassen, herauszufinden, welcher Art diese Zusammenhänge sind. Es ist deutlich, daß der Verzicht auf mancherlei verbindende Wörter und Sätzchen den dynamischen Charakter des Ganzen verstärkt. Siehe ferner § 63. Als allgemeines Charakteristikum der Übergänge kann somit gelten, daß sie in der Regel wenig fließend sind. Darüber hinaus weisen sie jedoch große Unterschiede auf. Zuweilen sind die Übergänge sehr plötzlich, sehr schroff. Das ist vor allem bei Teilen der Fall, die in antithetischem Verhältnis zueinander stehen. Wiederholt kommt es vor, daß der Dichter seinen Blick ruckartig von seinen Feinden, seiner Not abwendet und auf Gott richtet, siehe bereits oben über Ps 34 ( f , vgl. auch Ps 7, 10 12 36e u. a. Das Plötzliche der Übergänge erklärt sich in mehreren Fällen aus dem Verlauf des kultischen Rituals, bzw. aus dessen Nachwirkung, siehe bereits oben über Ps 3 8cd , vgl. auch Ps 12e 20 7 22 23 u. a. Zuweilen sind die Übergänge allmählicher. Wenn die folgende Einheit eine Folgerung aus dem Vorhergehenden zieht, geht der Übergang naturgemäß reibungsloser vor sich, als wenn zwei Teile einander antithetisch gegenüberstehen. Hier muß jedoch noch mehr genannt werden; Ungeachtet der obigen Feststellungen läßt sich doch auch wohl des öfteren beobachten, daß die Psalmisten das Abrupte der Übergänge zu mildern, Verbindungen zwischen den verschiedenen Aussagen herzustellen trachten; ein wichtiges Mittel, dessen sie sich dabei bedienen, ist die Stilfigur der Wiederholung. In mancherlei Hinsicht besteht ein scharfer Gegensatz zwischen Ps 60 1 1 und dem Vorhergehenden; aber das Plötzliche des Übergangs wird dadurch gemildert, daß der Dichter in v. 2-8 mit dem letzten — und nur mit dem letzten — Wort seine Feinde erwähnt; siehe ferner z. St. V. 2-8 zerfallen in zwei Teile, v. 2-5. 6-8·; die letzten Wörter von v. 5, „um deiner Gunst willen", stellen eine Verbindung mit v. 6 her. V. 2-5 zerfallen in v. 2 f. und 4 f.; diese beiden Abschnitte werden durch „erschrocken" in v. 3b und v. 4a verbunden. Der Ausdruck „mein Seufzen", mit dem v. 6.7a enden, wird in v. 7b.c.8 herausgearbeitet.

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II. Allgemeiner Teil

§ 40. Übersicht Bei der Besprechung der einzelnen Psalmen wird jeweils nach dem Verhältnis der inhaltlichen Einheiten zueinander und nach der Art der Übergänge gefragt; siehe u. a. auch § 53c. An dieser Stelle folgt eine Reihe von Bemerkungen, die sich ohne Schwierigkeit noch beträchtlich erweitern ließe. Für die nähere Ausarbeitung der folgenden Behauptungen siehe jeweils z. St. In Ps 4 bildet v. 6b den Übergang von v. 3-6 zu 7-9. Dieser Übergang ist merkwürdig: in v. 6b spricht der Dichter die Aufforderung aus: „vertraut auf Jahwe"; in v. 7-9 äußert er sein Vertrauen zu Jahwe. Ps 5 2 _ 8 bestehen aus der Einleitung des Gebets, v. 2-4, und einem Beweggrund des göttlichen Einschreitens, v. 5-8. V. 4 gibt eine nähere Umschreibung von v. 3c, v. 5-8 enthalten eine Erklärung und Ausgestaltung von v. 4. Damit hängt zusammen, daß zwischen dem Schluß von v. 2-4 und dem von v. 5-8 eine deutliche Parallelität besteht. In Ps 8 ist "12 zu Beginn von v. 2 und v. 5 auffallend, vgl. auch v. 10, siehe z. St. In Ps 9 ist der Übergang von v. 13 zu v. 14 f. eigenartig; im Anschluß an das in v. 13 erwähnte „Schreien der Elenden" geben v. 14 f. wieder, wie der Dichter in der Not zu Jahwe gerufen hat. In Ps 10 bilden v. 11 und v. 12 einen wirkungsvollen Kontrast, vgl. § 11. In Ps 11 besteht ein scharfer Gegensatz zwischen v. 3b und v. 4-7, siehe z. St. In Ps 12 besteht ein scharfer Gegensatz zwischen v. 6 f. und v. 2-5. In Ps 13 macht die Verwendung von „jauchzen" in v. 5 und v. 6 den Übergang von v. 4 f. zu v. 6 fließender. In Ps 16 beachte man den Übergang von v. 4 zu v. 5. In v. 4d sagt der Dichter, daß er die Namen der Götzen nicht auf seine Lippen nehmen werde. Dann beginnt er v. 5, indem er mit freudigem Stolz den Namen „Jahwe" nennt. In Ps 17 stützt der erste Teil, v. 1-5, den zweiten Teil, v. 6-12; der erste und der zweite Teil zusammen tragen den dritten Teil, v. 13-15; zwischen dem ersten und dem zweiten Teil besteht eine Parallelität; siehe z. St. In Ps 18 bilden v. 29-31 einen Übergang vom ersten zum zweiten Hauptteil, siehe z. St. Zwischen v. 46 und v. 47 liegt ein eigenartiger Gegensatz vor. Wer einen Blick für die abrupten Übergänge, das Aphoristische in vielen Psalmen hat, wird eher anzunehmen bereit sein, daß Ps 19·

Β. Der Aufbau der Psalmen

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trotz der großen Unterschiede zwischen v. 2-7 und v. 8-15 für das Empfinden des Israeliten als eine Einheit fungieren konnte. Eine gleichartige Bemerkung läßt sich zu Ps 31 35 40 machen. In Ps 19 besteht eine Parallelität zwischen dem Schluß von v. 2-5b und dem von v. 5c-7. V. 12 bildet einen Übergang zwischen v. 8-12 und v. 13 f. In Ps 20 wird in v. 7 zwar ein völlig neuer Ton hörbar, er wurde jedoch in v. 6 bereits vorbereitet. In Ps 21 liegt in gewisser Hinsicht ein Gegensatz zwischen v. 2-8 und v. 9-13 vor. V. 8 bildet den Übergang zwischen den zwei Teilen dieses Psalms. Es besteht eine bestimmte Parallelität zwischen v. 8 und v. 14, desgleichen zwischen v. 7 und v. 13. Über den Aufbau von Ps 22 siehe § 53c. Hier sei darauf hingewiesen, daß sich zwischen V. 2-6 und v. 7-n manche Verbindungslinien ziehen lassen und daß zwischen diesen beiden Perikopen auch eine gewisse Parallelität besteht. V. 13-19 zerfallen in zwei Teile, v. 13-16. 17-19, die beide mit OÜSD beginnen; siehe auch "ßD zu Beginn vonv. 18 und v. 23. V. 23-27 und v. 28-32 sind gleichartig aufgebaut; v. 27c markiert den Übergang. In Ps 23 läßt sich zwischen v. 1-4 und v. 5 f. eine gewisse chiastische Parallelität erkennen, siehe z. St. Ps 25 zerfällt m. E. in drei Teile, v. 2-7. 8-15. 16-21. V. 8 verbindet den ersten mit dem zweiten Teil, siehe vor allem SH3 und auch Κ10Π in v. 7 und in v. 8. Auch der Übergang vom zweiten zum dritten Teil ist allmählich, siehe z. St. Was die Übergänge zwischen den Zweizeilern betrifft, aus denen der Psalm besteht, so sind diese zuweilen verhältnismässig abrupt, siehe den Übergang von v. 2 f. zu v. 4 f., jedoch des öfteren auch recht fließend, siehe außer den bereits genannten die Übergänge von v. 8 f. zu v. 10 f., von v. 10 f. zu v. 12 f. V. 8-11 und v. 12-15 sind insofern parallel, als beide mit einer persönlichen Aussage schliessen. Es besteht eine Parallelität zwischen v. 12 f. und v. 14 f. In Ps 26 zeigt sich ein bestimmter Gegensatz zwischen v. 3 und v. 4 f., zwischen v. 4 f. und v. 6-8 (vgl. vor allem v. 5a und v. 8a), zwischen v. 9 f. und v. IIa. Siehe ferner z. St. Es läßt sieh nicht leugnen, daß in Ps 27 ein Gegensatz zwischen v. 1-6 und v. 7-14 besteht, der Übergang ist jedoch fließender als es scheinen könnte, siehe z. St. über v. 6. Ps 28 enthält plötzliche Übergänge, die sich aus dem Verlauf des kultischen Rituals oder dessen Nachwirkung erklären lassen. Durch die Verwendung des Stils der Wiederholung jedoch unterstreicht der Dichter, daß die verschiedenen Teile zusammengehören; vgl. vor allem v. 5 mit v. 4; siehe ferner z. St.

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II. Allgemeiner Teil

In Ps 29 springt die Aussage von v. 9c dadurch besonders hervor, dass sie unerwartet kommt. I n Ps 30 berichtet v. 8 in lebendiger Weise von einem abrupten Übergang, vgl. auch v. 6. Abrupt ist auch der Übergang von v. 11 zu V. 12.

I n Ps 31 2 _ 9 findet ein großer Umschwung s t a t t (von der Bitte „ziehe mich eilend heraus" zu dem jubelnden „ich will mich freuen"), der sich jedoch allmählich vollzieht. Ähnliches gilt von v. 16-25. Scharf ist der Gegensatz zwischen v. 8 f. und v. lOff., desgleichen zwischen v. 15 und dem Vorhergehenden. I n Ps 32 3 _ 5 , besonders in v. 5, finden sich abrupte Übergänge. I n Ps 33 ist die Einleitung, v. 1-3, durch den Stil der Wiederholung mit dem Folgenden, v. 4 f., eng verbunden, ebenso der Schluß, v. 20-22, mit dem Vorhergehenden, v. 18 f.. Der große Mittelteil zerfällt in drei Teile, v. 4 f.. 6-12.13-19. Es besteht eine enge Verbindung zwischen v. 4 f. und v. 6-9. Zwischen v. 6-12 und v. 13-19 besteht eine gewisse Parallelität, zugleich aber zeichnet sich in v. 6-19 als Ganzem ein deutlicher Gedankenfortschritt ab. V. 6-19 enthalten mehrere abrupte Übergänge; der Stil ist aphoristisch; man muß zwischen den Zeilen lesen. I n Ps 34 werden v. 5-9 und v. 10-15 durch „das Fürchten Jahwes" und „gut" in v. 8 f. und in v. 10 f. miteinander verbunden. I n Ps 35 besteht ein scharfer Gegensatz zwischen v. 9 f. und v. 11 ff.. I n v. 19 findet ein ähnlicher Übergang statt, der hier jedoch weniger scharf ist. Ebenso kann gesagt werden: v. 18 enthält einen abrupten Übergang; v. 9 und v. 28 enthalten gleichartige Übergänge, die hier jedoch fließender sind. I n Ps 36 liegt zwischen v. 2-5 und v. 6-io ein scharfer Übergang. Die Hymne von v. 6-10 zerfällt in zwei Teile, v, 6 f.. 8-10; das letzte Wort lautet sowohl in v. 6a wie in v. 8a „deine Gunst". Dasselbe Wort wird auch zu Beginn von v. 11 gebraucht. Auch auf eine andere Weise wird eine Verbindung zwischen v. 6-10 und v. 11-13 hergestellt: das „wir" in v. 10 bereitet v. 11-13 bereits vor; ferner bildet v. Ii die Überleitung von v. 6-10 zu der „eigentlichen" Bitte diese Psalms, v. 12. F ü r Ps 37 — 39 siehe z. St. I n Ps 40 kann v. 6 als Übergang von v. 1-6 zu v. 7-12 betrachtet werden. Es besteht ein krasser Gegensatz zwischen v. 12 und v. 13. F ü r Ps 41 siehe z. St.

Β. Der Aufbau der Psalmen

§ 41. Der inhaltliche Aufbau kleinerer

79

Einheiten

Im vorstehenden wurde dargelegt (siehe vor allem § 30.38—40), daß ein Psalm als Ganzes im allgemeinen einen wohldurchdachten inhaltlichen Aufbau besitzt. Dasselbe gilt auch von den Einheiten, aus denen ein Psalm besteht. An anderen Stellen dieses Buches wird dieser Tatsache besondere Aufmerksamkeit gewidmet; siehe vor allem die Besprechung der einzelnen Psalmen. Hier mögen einige Beispiele genügen. Ps 4 3 _ e bieten ein einfaches Beispiel für das, was hier gemeint ist. Diese Perikope zerfällt in zwei Teile. V. 3 f. können wir als einen Vorwurf, v. 5 f. als eine Ermahnung charakterisieren. Die Ermahnung ist zunächst vorwiegend negativ, v. 5 79, dann positiv gehalten, v. 6. I n v. 6 wird das rechte Verhältnis zu Jahwe seinem äußeren (opfern) und inneren (vertrauen) Wesen nach beschrieben. In der Aufforderung von v. 6b, „vertraut auf Jahwe", finden v. 5 f., wenn man will: v. 3-6, ihre Klimax; zugleich bildet diese Aufforderung die Überleitung zu v. 7-9, siehe bereits § 40. Wir können das Gesagte folgendermaßen zusammenfassen: in dieser Perikope ist mehr Gedankenfortschritt, als es auf den ersten Blick scheinen kann; man betrachte unter diesem Gesichtspunkt auch ζ. B. Ps 35 1 _ 9 , siehe z. St., und Ps 40 2 _ e , siehe § 19. Ein komplizierteres Beispiel stellen Ps 222 1 1 dar. Der Aufbau dieser Perikope ist überaus kunstvoll. Sie besteht aus Klage v. 2 f., Beweggrund v. 4-6, Klage v. 7-9, Beweggrund v. 10 f. Es besteht — das liegt nahe — ein Zusammenhang zwischen der ersten Klage und dem ersten Beweggrund einerseits und der zweiten Klage und dem zweiten Beweggrund andrerseits. Die zwei Klagen ergänzen einander, ebenso die zwei Beweggründe. Auf verschiedene Weise (durch eine Antithese, durch die Stilfigur der Wiederholung) wird eine Verbindung zwischen v. 2-6 und v. 7-11 hergestellt. Für eine eingehendere Behandlung siehe z. St. Man vgl. ferner ζ. B. zu Ps 52 f 5_8.9_i2 7 4 _ e 8 5 _ 9 9 4 _ 1 1 1 2 1 5 11 4 _ 7 12 2 _ s 18 21 _ 27 (siehe § 11).33_37 19^12 20 2 _ 7 26 4 _ 8 2 7 l l f 28 e f 33 i_3.io_i2 ( si ehe § H). 1 3 _is 34 5 _ 8 1 3 _ 1 5 (siehe § l l ) . i e f . 36e f 37 14f f. 14—18"

79 V. 5a« und bat müssen m. E. konzessiv aufgefaßt werden: „Seid entsetzt aber sündigt nicht; sprecht in eurem Herzen auf eurem Lager, aber schweigt." Wir können bei v. b von einem Oxymoron sprechen, vgl. § 25b.

80

II. Allgemeiner Teil

§ 4 2 - 4 7 . D I E F U N K T I O N D E R ZAHLEN IM A U F B A U D E R P S A L M E N

I n § 38—41 wurde § 30 näher ausgearbeitet; hier folgt — so l ä ß t sich grob zusammenfassen — eine nähere Ausarbeitung von § 32. Wie bereits gesagt (vgl. § 5), e r f ä h r t das Metrum in diesem Buch nur geringe Beachtung. Die Funktion der Zahlen im Metrum — wenn man will: im Aufbau der einzelnen Stichen — wird daher nicht behandelt. § 42. Die Zahl Zwei Die Verdoppelung h a t im A u f b a u der Psalmen eine außerordentlich wichtige F u n k t i o n : die weitaus meisten Verszeilen sind Doppelstichen. E s k a n n daher nicht verwundern, daß häufig auch zwei aufeinanderfolgende Doppelstichen zusammengehören, einen Zweizeiler bilden 80 . Zuweilen ist dies sehr deutlich, wie in Fällen von externem, alternierendem Parallelismus, siehe z. B. Ps 27 x 3 354 5 f 40 7 , u n d auch wohl in anderen Fällen, siehe ζ. B. P s 272, zuweilen besteht genügend Grund zu der Annahme einer paarweisen Anordnung der Doppelstichen, siehe Ps 3 2 f 5 8 1 0 1 1 usw. Gelegentlich gehören ein Doppelstichos u n d ein Tristichos zusammen, siehe P s 132 f 254 f β f u. a., oder ein Tristichos u n d ein Doppelstichos, siehe P s 37 25 39 1S , oder auch zwei Tristischen, siehe P s 18 8 f 24, f e f 35 2 0 f 39 3 f . Viel häufiger aber ist die paarweise Anordnung der Doppelstichen. I n einigen Fällen k a n n gesagt werden, daß zwei Zweizeiler zusammengehören, zusammen einen Vierzeiler bilden, siehe P s 3 4 _ 7 4 3 _ e 5 s _7 62_5.e_8 9 (siehe bereits § 34) 18 (siehe § 37 u n d z. St.) 28 x f 3 f 3.4—β 37 x _ 4 5 _ 7 8 _ 1 1 . F ü r die Spaltung eines Psalms oder eines Psalmteils in zwei Abschnitte siehe § 46.

80 Unter dem Terminus „Zweizeiler" wird in diesem Buch nur die Kombination von zwei Doppelstichen verstanden, nicht aber die Kombination von beispielsweise einem Doppelstichos und einem Tristichos. — Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, II 171, schreibt: „The double bicolon is the basic strophe of Hebrew lyrical poetry" (siehe auch die Übersicht der Psalmen unter dem Gesichtspunkt des Strophenbaus bei Mowinckel, Real and apparent Tricola, 101 —103). Μ. E . ist dies übertrieben, siehe meine weiteren Ausführungen und auch bereite § 33.

Β. Der Aufbau der Psalmen

81

§ 43. Die Zahl Drei Die Zahl Zwei hat, so sahen wir, eine wichtige Funktion im Aufbau der Psalmen; beim Aufbau der Verszeile spielt sie eine beherrschende Rolle, und auch im Aufbau größerer Einheiten ist ihre Funktion nicht unwichtig. Aber auch die Zahl Drei fungiert im Aufbau der Psalmen. a. Zunächst ist folgendes zu nennen. Es kommt des öfteren vor, daß die Zahl Drei in einem Doppelstichos oder in einem Zweizeiler eine bestimmte Funktion hat. Diese Erscheinung ist gewöhnlich sehr wirkungsvoll. Der Doppelstichos Ps 6S enthält drei Imperative: Kehre zurück, Jahwe, rette meine Seele; befreie mich um deiner Gunst willen.

Man könnte nach „befreie mich" noch einen weiteren Imperativ erwarten: dann enthielten v. a und v. b je zwei Imperative. Um jedoch der Gefahr der Eintönigkeit zu entgehen, um der Verszeile einen reicheren Inhalt zu geben, läßt der Dichter in v. b auf „befreie mich" nicht einen weiteren Imperativ, sondern die Bestimmung „um deiner Gunst willen" folgen. Ps 279b_e lauten: Weise nicht im Zorn deinen Knecht ab, du, der du meine Hilfe warst; verstoße mich nicht und verlasse mich nicht, Gott meiner Befreiung.

Während in v. b ein Jussiv mit steht, enthält v. d zwei Jussive mit dies verleiht der Bitte einen sehr dringlichen Klang. Vgl. auch § 12d über Ps 2225. Es begegnet wiederholt, daß eine Bitte, die in einem Doppelstichos oder einem Zweizeiler ausgesprochen wird, drei Imperative enthält, siehe Ps 52 f 7, 1012 17! 3 0 n 31s 3822 f . In dem Zweizeiler Ps 32f sind v. 2a.b.3a eng verwandt (man beachte vor allem das dreimalige 2*i); v. 3b enthält ein neues Element. Ein sehr wirkungsvolles Beispiel für die Funktion der Zahl Drei — wenn man will: der Kombination 3 + 1 — in einem Zweizeiler bieten Ps 182β f , siehe bereits § 11. Vgl. ferner Ps ^ 4 3 8g 152 (vgl. Mi 68) 1 7 ^ 194 2228 3013 32 l f 5.8.9.11 (siebe z. St.) 33 13f 1β f 341β ,·80" 35e i 0 a b 378 14c d 37. 80a In Ps 34 ie f. wird von Augen, Ohren und Antlitz gesprochen, vgl. P s 18 34f (Füße, Hände, Arme) 3 7 3 0 1 (Mund — Zunge, Herz, Schritte), siehe jedoch auch ζ. B. Ps 3 6 l t (Hand, Fuß).

82

II. Allgemeiner Teil

b. Die Zahl Drei fungiert demnach zuweilen in einem Doppelstichos oder in einem Zweizeiler. Darüber hinaus hat sie auch in den Tristichen eine Funktion. Siehe hierüber bereits § 7. c. Auch bei der Bildung größerer Einheiten spielt die Zahl Drei eine Rolle. Gelegentlich gibt es mehr oder weniger zwingende Gründe f ü r die Annahme, daß drei aufeinanderfolgende Verszeilen zusammengehören, einen Dreizeiler bilden (zumeist handelt es sich dabei um Doppelstichen, es kommt jedoch auch vor, daß sich unter den drei Verszeilen ein oder mehr Tristischen befinden), ö f t e r s wird der Anfang oder der Schluß eines Psalms von einem Dreizeiler gebildet; siehe ζ. B. P s 3 3 χ _ 3 ( 1 3 _ 1 5 )20_22 f. 34 2 _ 4 3 8 f_ 4 7 _ 9 6 9 _ 1 1 8 7 _ 9 12 7 _ e 36 1 1 _ 1 3 , auch ζ. B. Ps 40 1 3 359 f . Siehe ferner ζ. B. Ps 7 1 5 _ 1 7 22 4 _ e 7 _ 9 274 32 s 3714 f . d. Die Zahl Drei h a t somit eine Funktion im Aufbau der Psalmen; abgesehen aber vom Aufbau der einzelnen Stichen ist ihre Funktion bei weitem nicht so wichtig wie die der Zahl Zwei. I n einigen Psalmen jedoch spielt die Zahl Drei eine auffallende Rolle. So nimmt in Ps 39 der Tristichos einen auffallend großen Raum ein, v. 3.4.5.6.7.l3a.b.c; siehe auch die vier Tristichen in Ps 24 7 _ 10 . Ps 2 besteht aus vier Dreizeilern (siehe jedoch auch § 45). Siehe ferner zu Ps 1581 17 32 und § 46.47. § 44. Andere

Zahlen

Haben auch andere Zahlen eine Funktion im Aufbau der Psalmen ? Ps 40 7 _ 9 können als ein Heptastichos bezeichnet werden, siehe z. St., siehe auch zu Ps 16 9 _ 11 . Ps 21 besteht aus zwei Teilen von je sieben Doppelstichen 82 . Ps 29 gebraucht siebenmal „die Stimme Jahwes", siehe z.St.; siehe auch den siebenmaligen Gebrauch von „Jahwe" in Ps 19, siehe z. St., und den Gebrauch der Gottesnamen in Ps 30. 81

W. M. W. Roth, Numerical Sayings in the Ο. T„ SVT 13 (1965), 91 f., weist daraufhin, daß Pirqe Aboth I, 1; II, 1; III, 1 „hortatory numerical sayings" vorkommen, in denen die Zahl Drei fungiert; man kann sich fragen, ob zwischen ihnen und den dreigliedrigen Aussagen in Ps 1, 15 Mi 6 8 ein Zusammenhang besteht. 82 Nach Mowinckel, Real and apparent Tricola, 102; The Psalms in Israel's Worship, II 102, bestehen Ps 21 33 85 aus „heptastichs", „strophes of seven bicola". Μ. Ε. kann man allenfalls bei Ps 21 85 von „Strophen von sieben Doppelstichen, bicola" sprechen, obschon diese Terminologie nicht zu empfehlen ist; Mowinckels Einteilung von Ps 33 dagegen muß m. E. sicherlich abgewiesen werden.

83

Β. Der Aufbau der Psalmen

Ps 152-5b bestehen aus zehn Stichen, siehe z. St.; siehe dort auch über das siebenmalige K1? in diesem Psalm. § 45. Beispiele für mehr oder weniger regelmäßigen

Aufbau

Bei den Psalmen kann, wie wir sahen, von Zwei-, Drei- und Vierzeilern gesprochen werden. Das bedeutet nicht, daß es entgegen den Feststellungen in § 32 vollauf berechtigt wäre, bei den Psalmen von Strophenbau zu sprechen. Die Zahl der Psalmen, die vollständig in mehr oder weniger regelmäßiger Weise aus Zwei- oder Dreizeilern oder aus beiden aufgebaut sind, ist nicht groß. Indessen gibt es einige Psalmen, in denen dies der Fall ist. Zur Ergänzung von § 34 sei hier auf folgendes hingewiesen. Ps 9 besteht vollständig aus Zweizeilern, siehe § 34. Ps 25 und Ps 37 bestehen nahezu vollständig aus Zweizeilern (in Ps 25 muß v. l als ein Vorschlag aufgefaßt werden, v. 5 und v. 7 sind Tristichen; in Ps 37 sind v. 14 f. ein Dreizeiler, v. 5 und v. 25 sind Tristichen, siehe auch v. 20 und v. 40); siehe über Ps 37 noch unten, § 46. In Ps 18 und Ps 38 nehmen die Zweizeiler einen breiten Raum ein. Nach manchen Exegeten sind diese Psalmen (nahezu) vollständig aus Zweizeilern aufgebaut, mir erscheint dies jedoch zweifelhaft, siehe z. St. Siehe auch zu Ps 21. Ps 2 besteht aus vier Dreizeilern; dazu muß jedoch bemerkt werden, daß v. 2.7.8.12 Tristichen und die übrigen Verszeilen Doppelstichen sind. Es besteht wohl Grund, mit Condamin u. a. zu behaupten, daß der erste und zweite und der dritte und vierte Dreizeiler zusammengehören. Einige Psalmen bestehen aus einer mehr oder weniger regelmäßigen Folge von Zwei- und Dreizeilern, vgl. Ps 3 4 6, siehe § 34, siehe dort auch über Ps 13 33. Der Aufbau von Ps 12 ist wie folgt: 2 - 2 | 2—2 | | 3 | | 2 - 2 — 2 ; der von Ps 19 x _,: 2—2 | 2—2 | | 3 | 3; der von Ps 28: 2—2 | 2 - 2 1 [ 2—2 | 2 - 2 Hl 3 ||| 2 — 2 - 2 ||| 2 - 3 ; der von Ps S ö ^ : 8 - 8 - 5 — 6 . Siehe noch etwa zu Ps 22. § 46. Der umgekehrte Weg In den vorigen Paragraphen gingen wir von der kleinsten Einheit, dem Stichos, aus und wiesen darauf hin, daß die Psalmisten durch Verdoppelung, Verdreifachung usw. größere Einheiten bilden. Man kann umgekehrt von dem Psalm als Ganzem ausgehen und fragen, ob der Psalm in zwei, drei oder mehr Teile zerfällt.

84

II. Allgemeiner Teil

Wir weisen zunächst auf folgendes hin. Wie wir bereits sahen ist der Aufbau mancher Psalmen vom kultischen Ritual bestimmt; damit hängt zusammen, daß verschiedene Psalmen in zwei oder mehr Teile zerfallen. So zerfällt Ps 6 deutlich in zwei Teile, v. 2-8. 9-11; siehe ferner § 36a. I n Ps 12 enthält v. 6 ein Wort Jahwes; daher zerfällt dieser Psalm in drei Teile, v. 2-5. 6. 7-9. I n ähnlicher Weise zerfallen Ps 15 22 27 in zwei, Ps 20 24 in drei und P s 28 in vier Teile. Auch unabhängig vom kultischen Ritual können Psalmen in zwei, drei oder mehr Teile zerfallen. So kann mit mehr oder weniger Grund behauptet werden, dass Ps 2 7 8 9 10 18 19 21 23 30 31 32 39 40 (siehe auch noch zu Ps 4 5) aus zwei Teilen bestehen und dass Ps 4 5 13 17 25 33 35 36 38 41 drei, Ps 37 vier Teile zählen. All diese Fälle stehen keineswegs auf der gleichen Linie; siehe jeweils z. St. Ich begnüge mich hier mit einigen wenigen Bemerkungen. 1. Gelegentlich haben die Teile eines Psalms in etwa dieselbe Länge. Hierzu ist m. E. zu sagen (siehe bereits § 32): Das den hebräischen Dichtern eigene Gefühl für Symmetrie und Ausgewogenheit h a t manchmal bewirkt, daß sie ihre Gedichte aus nahezu gleich langen Teilen aufbauten. Auf das Allgemeine gesehen, bemühten sie sich bei der Abfassung ihrer Gedichte aber nicht um eine genaue Entsprechung oder ein bestimmtes Verhältnis zwischen der Länge der einzelnen Teile. Vgl. ζ. B. Ps 2 (siehe § 45) 5 2 _ 8 9 _ 1 3 (etwa gleich lang) 7 2 _ 10 n _ 1 8 9 (siehe § 34) 10 1 _ 1 1 1 2 _ 2 8 13 (siehe § 34) 212_8.9_i4 (beide Teile bestehen aus 6 + 1 Doppelstichen) 25 2 _ 7 8 _ 1 5 ie_2i (3 | 2 + 2 | 3 Zweizeiler) 27 x _ e 7 _ 1 4 30 2 _ 6 v _ 1 3 34 (außer der Einleitung, v. 2-4, drei Teile, v. 5-9.10-15.16-22 von 5, 6, bzw. 7 Doppelstichen) 3 7 ^ - u .12_20.21_29.30-40 (6 + 5 + 5 + 6 „Strophen"; nach meiner Einteilung zählen die vier Teile 25,21,21, bzw. 25 Stichen) 38 2-9.io_ie.i7-23 (8 + 7 + 7 Verszeilen). Wir kommen hier nochmals, und zwar nunmehr von einer anderen Seite her 83 , mit der Frage des Strophenbaus in Berührung. Wie bereits gesagt wurde, sind verschiedene Exegeten der Meinung, daß die Teile eines Psalms sich hinsichtlich ihrer Länge in der Regel genau entsprechen oder in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. 83

Es ist tatsächlich möglich, an das Problem des Strophenbaus von zwei verschiedenen Seiten heranzutreten. E s ist deutlich, daß ζ. B. Mowinckel von der Verszeile ausgeht und fragt, ob zwei, drei oder eventuell mehr Verszeilen zusammen eine Strophe ausmachen. Die meisten Exegeten, die sich mit diesem Problem befaesen, gehen eher von dem Ganzen eines Psalms aus und versuchen, den Psalm in Teile zu gliedern, die als Strophen bezeichnet werden können. Vgl. Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, I I 265.

Β . Der Aufbau der Psalmen

85

Für Versuche, dies zu beweisen, und eine Besprechung dieser Versuche siehe zu Ps 7 (Condamin) 18 (Mowinckel, Desnoyers, Kissane) 22 (Kissane u. a.) 25 (Kissane) 29 (Delitzsch u. a.) 30 (Moulton) 32 (Weiser) 35 (Kraft). 2. In anderen Fällen sind die Teile eines Psalms zwar nicht in ihrer Länge, wohl aber in anderer Hinsicht parallel, siehe zu Ps 8 17 31 32 35. Was von dem Ganzen eines Psalms gilt, gilt auch von seinenTeilen: Die Teile zerfallen des öfteren in Abschnitte, die zuweilen hinsichtlich ihrer Länge oder in anderer Hinsicht in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Im vorstehenden wurden hierfür bereits Beispiele gegeben. Man vgl. noch ζ. B. Ps 17 1 f_ 3-5.e-8.9-12 18 4_2o.2i_3i 12-22 (2 — 6. 7-11. 12-16. 17-22). 23—27.28—32 ^1—3.4—6 30 2 _ 4 5 f (zwei Abschnitte von je 6 Doppelstichen) 33 e _ 1 2 1 3 _ 1 9 (siehe § 34) 3 6 e f 8 _ 1 0 38 2 _ 5 β _ β (zwei Abschnitte von je 8 Doppelstichen) 40 1 _ 6 7 _ 1 2 . § 47. Wirkung Welche Wirkung, welchen Effekt hat die in den vorigen Paragraphen beschrieben Weise des Aufbaus ? Natürlich gilt auch hier wieder, daß jeder einzelne Fall für sich betrachtet werden muss, daß sich jedoch wohl einige mehr oder weniger allgemeine Feststellungen machen lassen. Wie bereits gesagt, tritt im Aufbau der Psalmen zutage, daß die Dichter Sinn für Symmetrie und Ausgewogenheit besaßen, daß ihnen jedoch jegliches Streben nach schulmäßiger Regelmäßigkeit fernlag. Sowohl das Symmetrische, die „Gebundenheit", wie die Abwechslung im Aufbau steigern die Wirkung eines Gedichts. Immer wieder ergibt sich eine eigenartige Wellenbewegung, die den Zuhörer mitreißen kann. Bei der Behandlung des inhaltlichen Aufbaus der Psalmen wurde vergleichshalber auf die Architektur und die Musik hingewiesen, vgl. § 30. Derartige Vergleiche bieten sich auch hier an. Die Funktion der Verdoppelung kam in § 17 bereits zur Sprache. An dieser Stelle sei noch ein Zitat von Boman (1965, 178) eingefügt: „Wenn die seelischen Verteidigungsschanzen in offenem Kampfe eingenommen werden müssen, ist die gegebene Methode die der Wiederholung, durch die man auf einen geeigneten Punkt immer wieder loshämmert." Etwas länger müssen wir bei der Funktion der Zahl Drei verweilen. In § 43 wurde bereits gesagt, daß die Funktion der Zahl Drei im DopBldderbos, Psalmen

7

86

H . Allgemeiner Teil

pelstichos und im Zweizeiler sehr wirkungssteigernd zu Bein pflegt, siehe dort. Die Tristichen, bzw. die Dreizeiler, sind lebendiger, weniger massiv, weniger symmetrisch als die Doppelstichen, bzw. die Zweizeiler84. Sie haben etwas Unvollendetes an sich. Dies macht sie für Gedichte verschiedener Art geeignet85. In Ps 24 7 _ 1 0 , wo von dem Einzug der Lade gehandelt wird, werden Tristichen gebraucht; dies trägt dazu bei, daß die Verse sich mit großem Schwung, wir könnten fast sagen: in einer Art Marschtempo bewegen; vgl. auch ζ. B. Ps 93. Ähnliches gilt, obschon vielleicht in geringerem Maße, von dem Gebrauch der Dreizeiler in Ps 2. Daß aber die Tristichen etwas weniger Massives, etwas Unvollendetes an sich haben, macht sie auch für Gedichte mit einem ganz anderen Charakter geeignet, etwa für die wehmütige Klage in Ps 39 3 _ 7 8 e . In manchen Psalmen hat die Zahl Drei eine in die Augen springende — richtiger müßten wir sagen: in die Ohren dringende — Funktion im Aufbau, siehe zu Ps 15 17 32. Vielleicht muß gesagt werden: in Ps 152 macht der Dichter drei Aussagen; in Ps 17x bittet der Dichter dreimal um Gottes Aufmerksamkeit; in Ps 32 x f gebraucht der Dichter drei Wörter für „vergeben"; dies beeinflußt den weiteren Aufbau dieser Psalmen87. Daß der Wechsel von Doppel- und Tristichen, von Zwei- und Dreizeilern einen bestimmten Effekt bewirkt, versteht sich von selbst. In einer langen Reihe von Zweizeilern stellen Ps 37 14 f einen Dreizeiler dar; natürüch treten die Aussagen dieser Verse dadurch 8 4 Man vergleiche die Funktion der Triolen und des Dreivierteltakts in der Musik. 8 6 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß auch das Qinaversmaß in verschiedenen Liedgattungen vorkommt, nicht nur in Klageliedern, sondern auch ζ. B . in Ps 1 9 8 _ 1 0 2 3 5 f F ü r die „ B e d e u t u n g " des Qinaversmaßes siehe auch Krinetzki, Das Hohelied, 50 f. Vgl. Kaiser, 1962, 259: „Wenn die Poetiken des 17. Jahrhunderts zum Beispiel den daktylischen Zeilen einen hüpfenden, fröhlichen Charakter als Ausdruckswert zusprachen, so war das genau so eng und einseitig wie die Meinung, in der Musik trage und schaffe den 3 / 4 -Takt immer fröhliche Beschwingtheit. 3 / 4 -Takt kann, aber muß nicht immer Walzertakt oder Ländlertakt sein". 8 8 Die verschiedenen „ A r t e n " von Tristichen — soweit davon die Rede sein kann, siehe § 7 — haben natürlich wiederum verschiedene Wirkungen. 8 7 Alonso Schökel, SVT 7 (1960), 158, weist auf die auffallende Stellung der Dreigliederung in J e s 6 hin; er fügt erklärend hinzu: „ein entscheidendes Element, das der Dichter von seiner Vision her als Erlebnis in sich trug, war das dreifache Qadoi"; vgl. auch idem, Estudios, 2 2 5 — 2 2 8 .

87

Β. Der Aufbau der Psalmen

besonders hervor. Bemerkungen dieser Art ließen sich immer wieder machen. Ich weise noch auf zwei Erscheinungen hin. Wie in § 7 bereits gesagt wurde, ist es nicht verwunderlich, daß die göttliche Antwort sich auch dem äußeren Aufbau nach von ihrer Umgebung unterscheidet; siehe Ps 12e 20, 28 s . Ebensowenig kann es verwundern, daß im Anfang oder bzw. und im Schluß eines Gedichts, das im übrigen (nahezu) vollständig aus Zweizeilern besteht, ein Dreizeiler vorkommt, vgl. Ps 33i_3.jjo_.g2, siehe auch Ps 3 4 u. a. Man beachte auch ζ. B. Ps 16: der Schluß vers ist ein Tristichos, während der Rest des Psalms aus Doppelstichen besteht 88 . § 48. Akrostichische

Psalmen

I m AT finden sich folgende alphabetische Gedichte: Ps 9 f. 25 34 37 111 112 119 145 Prov 31 1 0 _ 3 1 Thr 1 - 4 (Sir 51 13 _ 30 ), siehe auch Nah 1 2 _ 8 . Gunkel schreibt zu Ps 9 f.: „An den inneren Zusammenhang eines so künstlichen Erzeugnisses darf man keine allzu strengen Anforderungen stellen. Der Verfasser mochte froh sein, wenn er für jeden Buchstaben ein passendes Wort gefunden hatte." I n demselben Sinne äußern sich viele Exegeten zu den alphabetischen Psalmen 88 . Μ. E. wird dabei jedoch die durch die Bindung an das Alphabet entstehende Schwierigkeit weit überschätzt. Die Beschränkung, welche der Dichter sich auf diese Weise auferlegte, wird ihn viel weniger beengt haben, als es vielfach dargestellt wird. I n Ps 9 f. 25 34 37 läßt der Zusammenhang denn auch kaum zu wünschen übrig. Bei Ps 37 119 Thr 1—4 kann man aufgrund der Bindung an das Alphabet von einem gewissen Strophenbau sprechen, siehe § 31. Auch von Ps 9 25 kann gesagt werden, daß sie aus Strophen aufgebaut sind. Vor allem bei Ps 9 ist dies auffallend. I n der uns überlieferten Fassung besteht der Psalm aus zwei Gruppen von je fünf Zweizeilern, siehe § 34. Bildete in dem ursprünglichen Psalm, wie man zu denken geneigt sein kann, jeder Buchstabe von κ . 5 den Anfang einer Strophe, 88

Gunkel weist bei Ps 2 12i j unter Berufung auf Bertholet darauf hin, daß die Schlüsse vielfach abweichende metrische Formen tragen; vgl. auch Koch, 1964, 105. 89 Liebreich, Psalms 34 and 145 in the light of their key words (HUCA 27 [1956], 181—192), 181, gibt eine Reihe Zitate mit ähnlicher Tendenz. Er zeigt auch, daß es Exegeten gibt, die anderer Meinung sind. Liebreich selbst ist der Ansicht, daß die zwei alphabetischen Psalmen, die er behandelt, Ps 34 und Ps 145, „reflect perfect progress of thought and logical sequence". 7*

88

II. Allgemeiner Teil

dann zählte der Psalm ursprünglich elf Strophen und war der Strophenbau in der ursprünglichen Fassung weniger regelmäßig als in der Fassung, die uns überliefert ist. Dies spricht dafür, daß die überlieferte Fassung dieses Psalms der ursprünglichen näher kommt, als man häufig annimmt. I n diesem Zusammenhang muß noch bemerkt werden, daß auch Ps 10 in der uns überlieferten Fassung wahrscheinlich 90 aus zwanzig Verszeilen besteht. Ps 33 und P s 38 gehören, wie auch ζ. B. Thr 5, zu den „alphabetisierenden" Gedichten: sie zählen ebenso viele Verszeilen wie das Alphabet Buchstaben. Merkwürdig ist, daß auch diese Psalmen einen recht regelmäßigen Aufbau aufweisen; für Ps 33 siehe bereits § 34. Gibt es außer den alphabetischen Psalmen noch andere akrostichische Gedichte ? Eine Zeitlang wurde von mehreren Exegeten angenommen, daß die Anfangsbuchstaben der ersten Zeilen von Ps 110 den Eigennamen ergeben; auch in Ps 2 glaubte man ein Akrostichon zu erkennen (man meinte, daß die Anfangsbuchstaben der ersten Zeilen das Wort „für", bzw. „durch Jannäus", ergeben). Gegenwärtig werden diese Auffassungen in einer bestimmten Form noch vertreten von Treves, VT 15 (1965), 81 — 90; siehe auch die Kritik, die Bowker und Lindars, VT 17 (1967) 3 1 - 4 1 . 60—67, an Treves' Auffassungen üben. M. G. Slonim (siehe R. H. Pfeiffer, Introduction to the Ο. Τ., 1948, 630 Anm 11) hat darauf hingewiesen, daß die Anfangsbuchstaben der Verse von Ps 4 in umgekehrter Reihenfolge gelesen den Ausdruck bnr zrwbbl, „wie eine Lampe f ü r Zerubbabel", ergeben 91 . An dieser Stelle sei auch eine Bemerkung von Pannier-Renard über Ps 1 wiedergegeben: „suivant un procede graphique, qu'on retrouve dans d'autres psaumes, le premier mot commence par un aleph et le dernier par un thaw, premiere et derniere lettre de 1' alphabet, pour indiquer que ce psaume est complet en depit de sa brievete" 92 . Siehe über die akrostichischen Gedichte auch § 66.

80

Man wird v. 8 f. als drei Doppelstichen betrachten müssen. Siehe über die akrostichischen Gedichte außerdem noch ζ. B. König, 1900, 3 5 7 - 3 5 9 ; Böhl, 1957/58, 139; Kraus, Psalmen, X X X V I f., und die dort genannte Literatur. «Ähnlich Mannati, 1966, 85. 91

Β. Der A u f b a u der Psalmen

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2 . BETRACHTUNGEN ÜBER BESTIMMTE T E I L E DER PSALMEN

§ 4 9 - 5 1 . A N F A N G U N D SCHLUSS

In § 49—51 wird der Anfang und der Schluß der Psalmen, genauer gesagt: der Dankpsalmen und der Bittpsalmen, etwas eingehender behandelt. Diese Paragraphen, in denen unter anderem gefragt wird, inwieweit bei den Psalmen von Stereotypie gesprochen werden kann, stellen eine Art Einleitung zu den folgenden Paragraphen dar. § 49. Die

Dankpsalmen

a. Die Untersuchung der Anfänge der Dankpsalmen 93 zeigt, daß zwar eine gewisse Stereotypie in der Art und Weise, wie die Dankpsalmen beginnen, besteht, daß aber die Abwechslung überwiegt. Um einen Eindruck von der Lage der Dinge zu vermitteln, stelle ich die Anfänge der Dankpsalmen des ersten Psalmenbuchs nebeneinander. Ps 9j t.

Ich will loben (!"Π"), Jahwe, mit meinem ganzen Herzen; ich will all deine Wunder erzählen; ich will in dir mich freuen und jauchzen; ich will deinen Namen mit Psalmen besingen, Allerhöchster. Ps 9 υ 94 Psalmsinget Jahwe, der auf Zion t h r o n t ; macht unter den Völkern seine Taten bekannt. Ps 1 8 , I c h habe dich herzlich lieb 95 , Jahwe, meine K r a f t . J a h w e mein Fels usw. Gepriesen ( ^ Π ) . rufe ich aus, sei J a h w e usw. Ps 21j Jahwe, über deine Stärke f r e u t sich der König usw. P s 30j Ich will dich erhöhen, Jahwe, denn usw. Ps 30 s e e Psalmsinget Jahwe, seine Frommen; und lobt (!"Π*) seinen heiligen Namen.

93 Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, §7,3, auch § 2,41; 8,28. Trotz der Einwände Westermanns behalte ich die Unterscheidung Dankpsalm-Hymne bei, vgl. Koch, 1964, 183; F . Mand, ZAW 70 (1958), 185 — 199 (Mand hält den Terminus „Bekenntnislied" f ü r richtiger als „Danklied"). Wiederholt spreche ich jedoch von einem „Psalm des Dankes und Lobes" bzw. einem „Dank- und Lobpsalm". Es überschreitet den K ä h m e n dieses Buches, auf diese terminologische Frage einzugehen. I n diesem Zusammenhang sei auch bemerkt, d a ß ich abwechselnd von „Klagepsalm" u n d „ B i t t p s a l m " spreche, vgl. Westermann, 1963, 27. 94 Der Psalm n i m m t hier einen neuen Anfang. 96 Häufig übersetzt m a n : „Ich will dich erhöhen, besingen", zumeist, jedoch nicht immer (siehe Svi Rin, BZ, N F 7 [1963], 23) mit Textänderung. 96 Der Psalm n i m m t hier einen neuen Anfang.

90

II. Allgemeiner Teil

Ps 32j j. Wie glücklich der, dessen Übertretung weggenommen, dessen Sünde bedeckt ist. Wie glücklich der Mensch, dem Jahwe die Ungerechtigkeit nicht anrechnet usw. Ps 3397t_3 Jubelt, Gerechte, über Jahwe usw. Ps 342_4 Ich will Jahwe preisen (^"Q) immerdar usw. Siehe auch ζ. B.: Ps 22j3 Ich will deinen Namen erzählen meinen Brüdern usw. Ps 28, Gepriesen (^"Q) sei Jahwe usw. Ps 31I298 Gepriesen sei Jahwe usw. b. Im Schluß der Dankpsalmen wird ebenso wie im Beginn häufig über den Lobpreis Jahwes, die Freude über Jahwe usw. gesprochen. Der Dichter bekundet, daß er lobt (loben wird, loben will) usw., siehe Ps 18S0 3013, auch Ps 287, und fordert anderedazu auf, siehe Ps 32 n , vgl. auch Ps 2232. Auch wird wiederholt über Jahwes Größe, über seine erlösenden Taten gesprochen, siehe Ps 18 sl 30I2 3423, auch Ps 2232 287. Ps 9 (siehe v. 20 f.) und Ps 21 (siehe v. 14a, aber auch v. 14b) sind Danklieder, die mit einer Bitte schließen; siehe § 54. Das im voraus gesungene Danklied in Ps 3122_25 schließt mit Aufforderungen, Jahwe zu lieben und stark zu sein, siehe z. St. § 50. Die Bittpsalmen a. 1. Ps 4 5 6 7 12 16 17 20 25 26 28 31 35 38 beginnen mit Bitten, siehe auch Ps 277. Auch hier gilt: Ein Vergleich der Anfangszeilen dieser Psalmen zeigt die Stereotypie der Psalmen und läßt zugleich die Grenzen dieser Stereotypie erkennen, öfters besteht eine Verwandtschaft, zuweilen eine große Verwandtschaft, aber es zeigen sich doch auch immer wieder Unterschiede, und zuweilen große Unterschiede. Es ist daher kaum möglich, eine sinnvolle Einteilung dieser Psalmenanfänge vorzunehmen. Ich beschränke mich auf einige Bemerkungen. In manchen Fällen kann gesagt werden, daß der Dichter gleichsam mit der Tür ins Haus fällt, siehe Ps 6 12 16 26 35 38. Zuweilen steht vor oder nach der ersten Bitte eine Aussage, in welcher der Dichter sich Jahwe vorstellt; meistens wird dabei HDH gebraucht, vgl. Ps 72 (siehe z. St.) (11^ 16x 312 (572 71x 1442); siehe ferner Ps 2512aa 28 la , auch Ps 53c 4. Zuweilen ist die erste Bitte eine Bitte um Gehör, siehe Ps 42 ^2.3a.b 97 98

f

.

Es ist ungewiß, ob Ps 33 ein Dankpsalm ist, siehe § 65. Siehe jedoch auch bereits v. 20 f.

Β. Der Aufbau der Psalmen

91

2. Außer mit einer Bitte kann ein Bittpsalm mit einer Klage beginnen, siehe Ps 3 2 f 1 0 χ _ η 13 2f 2 2 2 f . Für Ps 11 36 39 40 41 siehe z. St. Siehe im übrigen auch § 53. b. Wir können sagen, daß im Schluß von neunzehn der vierundzwanzig Bittpsalmen des ersten Psalmenbuches Äußerungen der Erhörungsgewißheit vorkommen, siehe Ps 3 4 5 6 7 10 11 12 13 16 17 20 22 26 28 31 35 36 41". Es muß sogleich hinzugefügt werden, daß die Art und Weise, wie der Erhörungsgewißheit Ausdruck verliehen wird, von Fall zu Fall verschieden ist. I n den Äußerungen der Erhörungsgewißheit ist die Rede 100 von Jahwes erlösenden Taten, die er getan hat, tun wird, zu tun pflegt, siehe Ps 4 8 f 5 1 3 6 e _ u 7 n _ 1 7 10 1β _ 18 11 4 _ 7 12g 13ecß 16 5 _ 11 22 32W 41 13 , von den Wohltaten, welche die Frommen durch sie empfangen, und dem Unglück, das sie über die Gottlosen bringen, siehe Ps 4 9a 117b 17 15 20 9 2612 36 13 , von dem Lobpreis Jahwes und der Freude über Jahwe, sei es bei dem Dichter, sei es bei den Gerechten, siehe Ps 5 12 7 18 13e 28 7 c d . Siehe ferner § 56—60. Zuweilen folgt der Äußerung der Erhörungsgewißheit noch eine Avissage anderer Art, siehe Ps 129 (Klage) 2010 und 28 9 (Bitte, vgl. auch § 53d) 3 9 (vgl. § 51). Einige Bittpsalmen schließen mit Bitten, in denen zuweilen auch die Erhörungsgewißheit anklingt, siehe Ps 2520 f 3822 f 3914 (ein besonders erschütternder Schluß) 40 18 , siehe jeweils z. St. § 51. Ergänzende Bemerkungen Es sei daran erinnert, daß über den Beginn und den Schluß der Psalmen bereits unter anderen Gesichtspunkten gehandelt wurde, siehe ζ. B. § 19—23. I n § 36b wurde dargelegt, daß bei manchen Psalmen angenommen werden darf, daß der Schluß von einem Diener des Heiligtums gesprochen wurde, siehe ζ. B. Ps 3 e 11 4 _ 7 2 7 u 28g f . Für den Schluß von Ps 14 19 33 siehe z. St. I n Ps 22 haben alle Teile und Teilabschnitte einen auffallenden Schluß, siehe z. St. 98

Vielleicht muß gesagt werden, daß sich auch i n P s 2 7 l 8 die Erhörungsgewißheit ausdrückt. ίο® Es ist deutlich, daß die nachstehende Einteilung nicht völlig befriedigend ist.

92

II. Allgemeiner Teil § 52—55. ORT U N D FUNKTION D E R BITTE

§ 52.

Einleitung

Eine Bitte im eigentlichen Sinne ist eine Äußerung, in der Gott mit einem Imperativ oder Jussiv der zweiten Person angeredet wird, siehe P s 3 8a b und P s 25 7b ; dieser Bestimmung ließe sich noch hinzufügen: eine Äußerung, in der Gott mit einem K o h o r t a t i v oder Jussiv der dritten Person angeredet, siehe Ps ^ 21a , oder über G o t t mit einem Jussiv gesprochen wird, siehe P s 12 4a 101 . Ü b e r das Verhältnis von Bitte und Klage läßt sich folgendes feststellen. Zwar h a t in einem Bittpsalm eine Klage ebenso wie alle anderen Teile letztlich den Aussagewert einer Bitte, dennoch muß — auf das Allgemeine gesehen — eine Klage wohl von der Bitte unterschieden werden, siehe ζ. B. P s 3 2 f 8 a b . Zuweilen läßt sich die Grenze zwischen Klage und Bitte jedoch nicht deutlich ziehen, siehe ζ. B. P s 10 1 - 1 2 f . § 53. Ort und Funktion der Bitte in den

Bittpsalmen

a. I n manchen Fällen ist die Bitte auffallend kurz u n d wenig konkret, vgl. Ps 4 2 7b 1 2 ^ ( 4 f ) 16 l a 382 2 2 f ; siehe jeweils z. St. I n Ps 11, der doch wohl als ein Bittpsalm charakterisiert werden muß, fehlt die Bitte (und der Wunsch) sogar ganz. Die Kürze einer Bitte u n d ihr Mangel an Konkretheit können mancherlei Ursachen haben 102 . Ps 4 macht auf uns den Eindruck, als habe der Dichter diesen Psalm nicht nur — vielleicht sogar nicht a n erster Stelle — in der Absicht gedichtet, etwas von Gott zu erbitten, sondern als habe er sein Herz vor Gott und den Menschen ausschütten

101 Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, § 6, 12—15. Wie viele andere macht auch Gunkel-Begrich einen Unterschied zwischen Bitten und Wünschen. Von dem Gesichtspunkt her gesehen, der uns hier beschäftigt, ist diese Unterscheidung wenig relevant. An sich ist sie natürlich vollkommen legitim, in mancher Hinsicht kann sie sogar sehr wichtig sein. So ist es auffallend, daß das Verlangen nach dem Untergang der Feinde viel öfter in der Form eines Wunsches — wobei dann zumeist Jahwe gar nicht genannt wird — als in der Form eines Gebets geäußert wird; diese Erscheinung wird dadurch erklärt werden müssen, daß derartige Verwünschungen die Form alter Fluchformeln übernommen haben; vgl. Gunkel-Begrich 226 — 228. 102 Naturgemäss tragen die nun folgenden Bemerkungen subjektiven Charakter.

Β. Der Aufbau der Psalmen

93

wollen. Bei Ps 38 können wir sagen, daß aus der Kürze der Bitte Demut spricht, öfters ist die Bitte gerade ihrer Kürze wegen besonders dringlich, indem sie den Charakter eines Hilfeschreis annimmt, siehe Ps 3 8a b 1 2 ^ . Ps 11 erregt den Eindruck, als gönne der Dichter sich nicht die nötige Zeit, um Bitten auszusprechen, so große Eile hat er, seine Zuversicht auszudrücken, daß Gott die Gottlosen strafen und die Gerechten erretten werde. b. Häufig beginnen Bittpsalmen mit Bitten, siehe Ps 4 5 6 7 12 16 17 20 25 26 28 31 35 38. Allerdings stehen all diese Fälle keineswegs auf der gleichen Linie. In dem Gebet, mit dem Ps 5 beginnt, v. 2-4, tritt der Dichter vor Gott und bittet um seine Aufmerksamkeit; anschließend folgen Beweggründe des göttlichen Einschreitens, v. 5-8; v. 9-11 erst enthalten das eigentliche, zentrale Gebet. In Ps 6 fällt der Dichter gleichsam mit der Tür ins Haus: „Jahwe, strafe mich nicht in deinem Zorn; züchtige mich nicht in deinem Grimm", v. 2. Der Dichter nennt sogleich, was für ihn am schlimmsten ist: Gottes Zorn. Der Beginn von Ps 38 stimmt beinahe wörtlich mit dem von Ps 6 überein. Das bedeutet jedoch nicht, daß Ort und Funktion der Bitten in Ps 38 dieselben sind wie in Ps 6. In Ps 6 erklingt zu Beginn die eine Bitte nach der anderen, v. 2-5; und nur zu Beginn werden Bitten ausgesprochen. In Ps 38 folgen den Bitten von v. 2 Klagen; der größte Teil dieses Psalms besteht aus Klagen; erst am Schluß des Psalms erscheinen wiederum Bitten, v. 22 f. Ganz anders noch sind der Ort und die Funktion der Bitte in Ps 17: in allen drei Teilen, in die der Psalm zerfällt, v. 1-5. 6-12. 13-15, nimmt die Bitte einen wichtigen Raum ein; es kann gesagt werden, daß der erste und der zweite Teil die Bitte des dritten Teils stützen. Nach Ort und Funktion der Bitte ist jeder der genannten Psalmen von den anderen verschieden. Siehe den Vergleich von Ps 5 6 7 in der Besprechung von Ps 7. Ps 12 beginnt mit dem Hilfeschrei: „Befreie, Jahwe"; weiter enthält dieser Psalm keine Bitte (siehe jedoch v. 4 f.). Die ersten Worte von Ps 16 lauten: „Bewahre mich, Gott"; es ist dies die einzige Bitte, die in diesem Psalm vorkommt; betrachten wir v. l f., so sehen wir gleichsam die Knospe; im folgenden entfalten sich die Blätter der Blume. Dasselbe Bild kann bei Ps 26 x gebraucht werden; das bedeutet jedoch keineswegs, daß der Ort und die Funktion des Gebets in Ps 26 dieselben sind wie in Ps 16, siehe Ps 26 i.a.»a.nb· Siehe ferner für alle genannten Psalmen jeweils z. St.

94

II. Allgemeiner Teil

c. Es gibt auch verschiedene Bittpsalmen, die nicht mit einer Bitte beginnen, P s 3 10 11 13 22 36 39 40 41. Es kann gesagt werden, daß alles, was in diesen Psalmen 103 den Bitten vorangeht, eine Vorbereitung der Bitten darstellt. Übrigens kann auch bei manchen anderen Psalmen von einer Vorbereitung der (zentralen, eigentlichen, entfalteten) Bitten gesprochen werden, siehe ζ. B. zu Ps 5 7 17. Auf die Erscheinung der Vorbereitung der Bitte 1 0 4 müssen wir näher eingehen. Ps 3 beginnt mit Klagen, v. 2 f.; ihnen folgen, grob gekennzeichnet, Vertrauensäußerungen, v. 4-7; nachdem der Dichter dies alles gesagt hat, kann er mit großer K r a f t , mit großem Freimut und starkem Drängen seinen Hilfeschrei ausstoßen, v. 8a.b. I n noch höherem Maße kann bei Ps 22 von einem wohldurchdachten Aufbau gesprochen werden. V. 2-11 bilden eine Einleitung, die aus einer Klage, v. 2 f., und einem Beweggrund, v. 4-6, sowie einer zweiten Klage, v. 7-9, und einem zweiten Beweggrund, v. 10 f., besteht. Darauf folgt die erste Bitte, v. 12a, die sehr kurz ist: „Sei nicht fern von mir". Nun folgt wiederum eine lange Klage, v. I2b-19. Und erst in v. 20-22 steht das eigentliche Gebet, das von allem Vorhergehenden getragen wird. Auch auf Ps 44 sei hier aufmerksam gemacht, da dieser Psalm ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Vorbereitung der Bitten bietet (aus demselben Grunde wird unten auch auf Ps 89 hingewiesen). V. 2-9 enthalten eine Hymne, v. 10-17 eineKlage, v. 18-23 eine Beteuerung der Gerechtigkeit, v. 24-27 das eigentliche Gebet. Diese vier Abschnitte bestehen aus 10,8,6 bzw. 4 Stichen. Der Psalm steigt in der Art einer Zikkurat empor. Erst als der Dichter die höchste Stufe erklommen 103

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß P s 11 gar keine Bitten

enthält. 104

Auch in Israels Umwelt kommt diese Erscheinung vor. So schreibt F. R. Kraus, D e Babylonisch-Assyrische poezie (Forum der letteren, Nov. 1962, 198 — 216), 202, über die babylonischen Gebetsbeschwörungen: „ D e spreker begint m e t de lof van de godheid, kennelijk als captatio benevolentiae. Daarna gaat hij over op een klacht over zijn betreurenswaardige toestand a m h e t medelijden van de godheid op t e wekken. E n dan pas komt het eigenlijke gebed, met een stereotyp dubbelthema: de smeekbede om hulp of genade, en de gelofte v a n dank. De opzet van de gebedsbezwering is dus volkomen rationeel en psychologisch gezien bijzonder doelmatig" (deutsch etwa: „Der Sprechende beginnt mit dem Lob der Gottheit, offenbar als captatio benevolentiae. Danach geht er z u einer Klage über seine beklagenswerte Lage über, u m das Mitleid der Gottheit z u erregen. U n d dann erst kommt er zu dem eigentlichen Gebet, das ein stereotypes Doppelthema hat: das Bittflehen u m Hilfe oder Gnade und das Dankgelübde. Der Aufbau der Gebetsbeschwörung ist also gänzlich rational bestimmt und psychologisch gesehen überaus zweckmäßig").

Β. Der Aufbau der Psalmen

95

hat, hebt er sein Gebet zu Gott empor. Der Dichter hat sich in großer Niedergeschlagenheit, in tiefer Demut der Länge nach mit seinem Volk auf den Boden geworfen; v. 26. Indessen dürfen wir uns in diesen niedergebeugten Gestalten nicht täuschen. Im Geiste hat der Dichter nun die höchste Stufe seines Tempelturms erreicht. Er streckt seine Hände aus nach dem lebendigen Gott, und wie einen Schrei stößt er sein Gebet empor: „Erwache ! Warum schläfst du, Herr?" Vor allem durch die ausführliche Vorbereitung (Hymne, Klage, Beteuerung der Gerechtigkeit) erhält dieses Gebet eine ungestüme Kraft. So äußert sich hier eine Vermessenheit ohnegleichen im Umgang mit Gott. Wir richten unsere Aufmerksamkeit nunmehr auf Ps 36 40 und Ps 89. Von jedem dieser Psalmen wird häufig behauptet, er stelle keine ursprüngliche Einheit dar. Wie immer sich dies verhalten mag105, diese Psalmen sind uns als eine Einheit überliefert und müssen als eine Einheit ausgelegt werden. Und wenn wir bedenken, daß eine Bitte häufig auf eine wohlerwogene, kunstvolle Weise vorbereitet wird, fällt es uns nicht schwer, anzuerkennen, daß es sinnvoll ist, jeden dieser Psalmen als eine ursprüngliche Einheit zu betrachten. In Ps 36 enthalten v. 2-5 die Beschreibung des Gottlosen, ν. 6-io eine Hymne; anschließend folgt in v. 11 f. die Bitte. Siehe ferner z. St. Auch in Ps 40 stehen die Bitten erst am Schluß, v. 14-18. Siehe z. St. Zu Ps 89 läßt sich folgendes sagen: Israel befindet sich in großer Not. Der Dichter will um Errettung beten. Er beginnt sein Gebet jedoch mit einem hochgestimmten Loblied. In dem Ganzen dieses Psalms hat die Hymne einen unheimlichen Klang. Der Dichter will Jahwe — wenn dieses Bild hier benützt werden darf — schachmatt setzen. Er singt von Jahwes Größe, die im Himmel und auf Erden gepriesen wird, die sich in der Natur und in der Geschichte offenbart, von Jahwes Allmacht und Treue, von seinem Bund mit David, jenem unerschütterlichen Bund: „wenn seine Söhne mein Gesetz verlassen . . ., so werde ich doch meinen Bund nicht entweihen", v. 31 ff.. Und dann kommt die Wende: , ,Und du, du hast verstoßen und verschmäht'', v. 39. nflifl: immer wieder ist diese Wendung in den Psalmen inhaltlos Für p 8 36 und 40 siehe z. St. Eine Verteidigung der ursprünglichen Einheit von Ps 89 findet sich ζ. B. bei J. M. Ward, The literary form and liturgical background of Psalm L X X X I X , VT 11 (1961), 321 — 339; er schreibt (323): „the poet employed from first to last a conscious repetition of key words to contribute to the formal und substantial unity of his poem".

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II. Allgemeiner Teil

schwer 106 , nirgends aber wiegt ihre Bedeutung schwerer als hier. „Und du — du Gott der Allmacht, du Gott der Treue, du der du so herrliche und feste Versprechen gegeben hast, du, der du geschworen hast, deinen Bund nicht zu entweihen, du hast verstoßen und verschmäht." V. 39-46 enthalten die Klage. U n d dann erst, in v. 47-52, erscheint die Bitte. Auch in Ps 27 gehen den Bitten einige Verse voran, die wir grob gesprochen als eine Hymne bezeichnen können. Hier aber hängt diese Reihenfolge m. E. mit dem Verlauf der kultischen Feier zusammen, siehe z. St. d. Schließlich sei noch auf folgendes hingewiesen: es kommt gelegentlich vor, daß auf die Äußerung der Erhörungsgewißheit wiederum eine erneute Bitte folgt, vgl. Ps 2010 28 9 , auch Ps 14,; siehe jeweils z. St., vgl. auch § 54. § 54. Ort und Funktion

der Bitte in den Psalmen Lobes

des Dankes

und

Zuweilen wird in einen Dankpsalm das Gebet aufgenommen, das der Dichter einst in der Not gebetet hat, vgl. ζ. B. Ps 9 14 f 30 10 f 107. Es kommt wiederholt vor, daß am Schluß eines Psalms des Dankes und Lobes eine Bitte steht 108 , siehe Ps 9 2 0 f 2114 68 2 9 _ 3 1 118 25 1 38 8c, auch ζ. B. J d c 5 3 1 I Sam 2 10b . Dies kann nicht verwundern: dem Danken und Loben muß sich stets das Bitten verbinden, denn der Mensch bleibt abhängig, er ist bei jedem folgenden Schritt auf die Hilfe Jahwes angewiesen 109 . § 55. Bittpsalmen

oder Psalmen des Dankes und Lobes?

Im vorstehenden zeigte sich uns, daß sowohl in Psalmen des Dankes und Lobes wie in Bittpsalmen den Worten des Dankes und Lobes zuweilen noch Bitten folgen.

106

Vgl. Gunkel zu Ps 34 u. a. ""Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 275. 108 Hiermit läßt sich vergleichen (obsohon beide Erscheinungen nicht völlig auf der gleichen Linie stehen), daß in Ps 20 10 28 9 eine Bitte erklingt, nachdem bereits die Erhörungsgewißheit geäußert worden ist. 109 Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 275, auch 58.

Β. Der Aufbau der Psalmen

97

D a m i t hängt die merkwürdige Tatsache zusammen, daß sich hier und d a nicht mit Sicherheit entscheiden läßt, ob ein Psalm ein Bittpsalm oder ein Psalm des Lobes u n d Dankes ist. F ü r P s 19 33 siehe z. St., siehe auch noch ζ. B. P s 139. Wie bei der Besprechung von Ps 19 33 dargelegt wird, ist es m. E . nicht nötig, diese Frage in solchen Fällen eindeutig zu entscheiden. So ist es bei P s 33 wohl am sichersten, diesen Psalm als eine Hymne zu betrachten, die ohne einen bestimmten Anlaß gedichtet worden ist — möglicherweise f ü r eines der großen Feste. Es ist jedoch denkbar,daß er auch nach der E r r e t t u n g aus Gefahr oder aber in einer Notlage gesungen wurde. Diese merkwürdige Erscheinung ist aufschlußreich f ü r den Charakter von Israels Psalmodie. Wären die Psalmen spontane Äußerungen dessen, was den Dichter erfüllte, so wäre eine solche Ungewißheit hinsichtlich der allgemeinen Tendenz eines Psalms kaum möglich. Israels Psalmodie h a t gewisse rationale Züge, vgl. § 66. Die Psalmen besitzen häufig einen kunstvollen A u f b a u . Die Teile, aus denen ein Psalm aufgebaut ist, haben zuweilen mehr als eine Funktion; man denke vor allem daran, daß H y m n e n als Beweggründe des göttlichen Einschreitens fungieren können, siehe § 61.62. So ist es nicht gar so verwunderlich, daß ein und derselbe Psalm als Loblied wie als Danklied oder auch als Bittpsalm fungieren kann: je nach dem Anlaß, bei dem ein Psalm gebraucht wurde, änderte sich die Funktion seiner einzelnen Teile. Bei P s 14 erhebt sich die Frage, ob der Psalm in seinem Kern ein Bittpsalm ist oder ob der Hauptakzent auf der Bestrafung und der Gerichtsankündigung (und der darin enthaltenen Tröstung) liegt; siehe z. St. § 56—60. Ä U ß E R U N G E N DER GEWTßHEIT D E R ERHÖRUNG

§ 56.

Einleitung

I n vielen Klagepsalmen wird die Gewißheit der Erhörung geäußert. Die Formen, in denen dies geschieht, sind unterschiedlich. GunkelBegrich, 1933, 243ff., unterscheidet zwischen der Gewißheit der Erhörung und dem Gelübde (eines Danklieds). S. 248 schreibt er: „Bei dem einfachen Gelübde des Danklieds aber läßt es das Klagelied nicht bewenden. Die Gewißheit, erhört zu sein, treibt den Sänger weiter. E r s t i m m t in seiner Begeisterung bereits das Danklied an, das er J a h w e nach geschehener R e t t u n g singen will". Diese Unterscheidungen sind gewiß wertvoll, doch ist ihr W e r t begrenzt. Naturgemäß lassen sich Einwände erheben gegen die

98

II. Allgemeiner Teil

Unterscheidung zwischen der Gewißheit der Erhörung und dem im voraus gesungenen Danklied110. Und weiter: Als Beispiel für das Gelübde eines Danklieds nennt Gunkel-Begrich, 248f., Ps 718, als Beispiel für ein im voraus gesungenes Danklied Ps 13e. Zwischen diesen beiden Stellen besteht jedoch kein wesentlicher Unterschied. Wir können sagen, daß ein Dichter stets, wenn er ein Danklied gelobt, im Grunde auch schon ein Danklied anstimmt; so könnte Ps 7 18 sehr wohl den Anfang eines Lob- und Danklieds darstellen. Über die Frage, wie es zu erklären ist, daß in so vielen Klagepsalmen zunächst Klagen oder Bitten — oder beides — vorgebracht werden und danach die Erhörungsgewißheit ausgedrückt wird, siehe bereits § 36a: man wird diese Erscheinung auf den Verlauf des kultischen Rituals zurückführen müssen. § 57. Einige

Beispiele

Wir betrachten die Äußerungen der Erhörungsgewißheit nunmehr aus größerer Nähe und richten unsere Aufmerksamkeit zunächst auf einige Beispiele. Bei einigen Psalmen können wir mit mehr oder weniger Sicherheit annehmen, daß uns in ihnen ein Ausspruch eines Tempeldieners, eines prophetischen Sängers, wenn man will: ein Gottesspruch überliefert ist111, siehe Ps 12e 20, 28s, siehe jeweils z. St. Bei anderen Psalmen läßt sich — wiederum mit mehr oder weniger Sicherheit! — vermuten, daß den Äußerungen der Erhörungsgewißheit ursprünglich irgendein kultisches Geschehen voranging, siehe zu Ps 6 41 (für Ps 41 siehe auch § 60). In Ps 28 folgt auf den „Gottesspruch", v. 5, ein wirkliches112, vollständiges Lob- und Danklied, v. 6 f.; siehe z. St. Vgl. auch Ps 20 8 f (kann nicht als ein vollständiges Danklied bezeichnet werden) 3122_25, siehe z. St. (hier geht kein „Gottesspruch" voran). Auf den „Gottesspruch" in Ps 12e folgen zwar Vertrauensäußerungen, nicht aber ein Danklied oder die Ankündigung eines Danklieds. 110 Vgl. Westermann, 1963, 117: „so ist das Bekenntnis der Zuversieht, ein in Israels Psalmen bedeutsamer und reich ausgebildeter Teil, nicht scharf vom Gotteslob zu trennen". i n Vgl. z - B. Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, II 63 ff. u. a. 112 Dieser Terminus ist anfechtbar; was mit ihm gemeint ist, wird jedoch deutlich sein.

Β. Der A u f b a u der Psalmen

99

Ps 6 verdient in diesem Zusammenhang besondere Beachtung. Wie bereits gesagt wurde, kann angenommen werden, daß zwischen v. 2-8 und v. 9-11 irgendein kultisches Geschehen gedacht werden muß. Bedeutet dies jedoch, daß v. 9-11 als ein wirkliches Danklied bezeichnet werden können? Diese Frage muß verneint werden. Zwar spricht der Dichter zweimal aus, daß Jahwe ihn gehört hat (Perfekte). Y. 9-11 als Ganzes lassen jedoch deutlich genug erkennen, daß der Dichter noch nicht wirklich gerettet ist, siehe die Imperfekte in v. 10b.11, siehe auch v. 9a. Wir kommen noch kurz auf Ps 28 und Ps 31 zurück. Es wurde bereits festgestellt, daß diese Psalmen ein wirkliches Danklied enthalten. Aber dabei darf nicht übersehen werden, daß in Ps 28 dem Danklied, ν. β f., nochmals ein Gebet folgt, v. 9. Und was Ps 3122 25 betrifft, so wird in v. 25 spürbar, daß die Not noch nicht wirklich vorüber ist 113 . § 58. Übersicht Ich gebe nachstehend eine Übersicht über das Material, das sich in den Klageliedern des ersten Psalmenbuches findet. Am Schluß der Klagelieder (bzw. am Schluß bestimmter Perikopen der Klagelieder) stehen: a. Äußerungen des Vertrauens114, siehe Ps 3 9 4 8 f 5 1 3 6 10b l l 10 17b is ^ 4 - 7 12g 16 2 _ 1 1 ( 1 ) 2 0 e a b 2 8 g 4 1 1 2

f

115

.

na Westermann, 1963, siehe ζ. B. 60, will zwischen „offenen" und „erhört e n " B i t t e n unterscheiden. E r sagt selbst (54), „daß eine klare u n d sichere Scheidung zwischen .offenen' und .erhörten' Bitten nicht möglich ist". Μ. E . l ä ß t sich, u. a. wegen der oben genannten Erscheinungen, m i t dieser Unterscheidung noch weniger anfangen, als Westermann meint. 111 Auch zu Beginn oder in der Mitte von Klagepsalmen kommen häufig Vertrauensäußerungen vor, siehe Gunkel-Begrich, 1933, 129 ff. 232 ff. Die Vertrauensäußerungen (und Trostgedanken) a m Anfang u n d in der Mitte der Klagepsalmen und die „Gewißheit der E r h ö r u n g " a m Schluß sind eng verwandt, jedoch fungiert die letztere nicht in demselben Maße als Beweggrund, vgl. Gunkel-Begrich, 243 (mir scheint, d a ß Gunkel-Begrich sich hier zu s t a r k ausdrückt; er schreibt: „ D a s Vertrauensmotiv t r ä g t die Bitte, auf ihm b a u t sie sich auf. Die Gewißheit steht nicht mehr in deren Dienst"; m. E . läßt sich das eine nicht so scharf von dem anderen trennen). 1U I n diesem Psalm könnte m a n zumindest v. 13 auch zu b rechnen.

100

II. Allgemeiner Teil

b. Aussagen, in denen der Dichter bereits auf die ihm zuteil gewordene Rettung zurückblickt 116 , siehe Ps 3g,, d 6 9 b 10a 101β 1 7 a 13ec(S 20 9 26 1 2 a 1 1 7 28 e f 31 8 f 2o_23118 36 1 3 . c. ein Danklied 116 (bzw. das Gelübde eines Danklieds), siehe Ps 13 e b c (21 14b ) 26 12b 28 e f 31 8 f 22—25 35g f.ie.38119· Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, wird der Weg von der Klage zur Gewißheit der Erhörung zuweilen in ein und demselben Psalm zweimal oder sogar dreimal zurückgelegt120, vgl. Ps 31 35, siehe jeweils z. St. Der Dichter bedient sich im Kultus ausgebildeter Formen, um die Bewegtheit auszudrücken, die das Glaubensleben kennzeichnet. § 59. Kein starres

Schema

Betrachtet man das Material genauer, so gelangt man auch hier wieder (siehe ζ. B. § 49a. 57) zu der Folgerung, daß im Aufbau der Psalmen zwar sicherlich stereotype Elemente enthalten sind, daß sich die Dichter aber keineswegs an ein bestimmtes Schema banden. In diesem Zusammenhang weise ich auf folgendes hin. Oft finden sich in Psalmen, an deren Schluß Vertrauensäußerungen stehen, auch an anderen Stellen Vertrauensäußerungen, siehe ζ. B. Ps 5 s _ 8 1 3 usw. Es versteht sich, daß Vertrauensäußerungen häufig vor solchen Aussagen, in denen der Dichter bereits auf die ihm zuteil gewordene Rettung zurückblickt, oder auch vor einem Danklied (bzw. dem Dankgelübde) stehen, siehe Ps 3 4 _ 7 7 X 1 _ 1 7 (siehe auch bereits v. 7-10) 31 4 _ 7 USW., aber auch das Umgekehrte ist gelegentlich der Fall, siehe Ps 3 9 6 1 0 b n 10 17b 1 8 28 g usw. Zuweilen erscheint die Äußerung der Erhörungsgewißheit mehr oder weniger unvermittelt, siehe ζ. B. Ps 3 6 11 35 1 8 , zuweilen wird sie allmählicher eingeführt, siehe ζ. B. Ps 7 13 26 3l2_9.io—25 35, Q (siehe z. St. zu v. 8). 19 _ 2g . Daß die Äußerung der Erhörungsgewißheit in manchen Fällen mehr oder weniger vorbereitet wird, verdient besondere Beachtung. Diese Tatsache spricht dafür, daß ihr in den Psalmen nicht immer eine kultische Handlung 116 Manche Stellen müssen, das liegt auf der Hand, sowohl unter b wie unter c genannt werden. 117 Man kann diese Stelle auch zu a rechnen. 118 Man kann v. 20 f. auch zu a rechnen. " · In Ps 30 10 ( v gl· auch Ps 6e) wird auf eine eigenartige Weise ein Danklied angekündigt. 1 2 0 Vgl. Gunkel-Begrich 242 f.

101

Β. Der A u f b a u der Psalmen

voranging; ferner ist sie ein Argument gegen jene Auffassung, derzufolge die Äußerungen der Erhörungsgewißheit nach der E r r e t t u n g gedichtet wurden, siehe § 60.

Wichtig ist hier vor allem, daß zwar viele, jedoch nicht alle Klagepsalmen auf die oben beschriebene Weise schließen, siehe Ps 17 25 38 39121, auch ζ. B. Ps 88; vgl. auch § 50b. § 60. Vor oder nach der Errettung

gedichtet?

Wir stoßen hier auf ein ähnliches Problem wie in § 55. Bei manchen Psalmen erhebt sich die Frage, ob es sich um ein Klagelied mit einem im voraus gesungenen Danklied oder um ein Danklied handelt, in dem das Klagelied die Funktion der im Danklied üblichen Schilderung der Not erfüllt, siehe vor allem Ps 22 41. Wie bei der Behandlung von Ps 41 dargelegt wird, ist es bei Ps 41 nicht erforderlich, diese Frage mit Bestimmtheit zu entscheiden, aber es ist doch wohl warscheinlich, daß der Psalm ursprünglich als ein Gebet in der Not konzipiert war. Bei Ps 2 2 kann die Möglichkeit, daß v. 23-32 nach der Errettung gedichtet wurden, nicht ausgeschlossen werden. Dann erhebt sich jedoch die Frage, ob v. 2-22 als ein selbständiges Klagelied gedichtet worden sein können; dies ist zwar nicht unmöglich, jedoch kaum wahrscheinlich. Auf jeden Fall wäre es eigenartig, wenn Ps 22, in dem das Klagelied doch einen viel breiteren Raum einnimmt als das Danklied, bei einem Dankfest gesungen worden wäre. Μ. E. besteht kein Grund, mit Schmidt122 bei vielen der in den vorigen Paragraphen genannten Psalmen (siehe Ps 3 6 7 ? 13 22 28 35 u. a.) anzunehmen, daß der Schluß nach der Errettung gedichtet worden ist123. Siehe die vorigen Paragraphen (ζ. B. § 59: die Vertrauensäußerungen stehen zuweilen vor, zuweilen nach dem Danklied; der Übergang ist oft fließend124).

111 I c h laese hier außer Betracht, d a ß der Äußerung der Erhörungsgewißheit wiederum eine Klage, siehe ζ. B. F s 12„ oder ein Gebet, siehe ζ. B. P s 20 10 , folgen kann. 118 Schmidt, Die Psalmen, V I I , u n d zu den genannten Psalmen. 113 D e r S t a n d p u n k t , d e n Weiser, Die Psalmen (siehe u. a. 47 64 57 u n d zu den genannten Psalmen) in dieser Frage vertritt, scheint mir nicht ganz durchsichtig. 184 Siehe ζ. B., wie wenig Schmidts Behandlung von Ps 35 von diesem Gesichtspunkt her gesehen zu befriedigen vermag.

Bidderboa, Psalmen

8

102

II. Allgemeiner Teil

§ 61.62. DAS LIED DES LOBES (UND DANKES) ALS BEWEGGRUND DES GÖTTLICHEN EINSCHREITENS

§ 61.

Allgemeines

Gunkel-Begrich, 1933, 232, schreibt mit Recht, ,,daß das Vertrauen die eigentliche Grundlage der Bitte ist". Vertrauensäußerungen finden wir in vielen Psalmen. Allgemein kann gesagt werden: Schon allein darin, daß ein Dichter sein Gebet mit dem Vokativ „Gott" oder „Jahwe" beginnt, äußert er sein Vertrauen. Wird die Anrede ausführlicher, so erhält sie deutlich den Charakter einer Vertrauensäußerung 125 . Häufig nimmt die Vertrauensäußerung einen selbständigen Platz ein. Sie kann in mancherlei Formen erscheinen126. Zuweilen hat sie — mehr oder weniger ausgeprägt — die Form einer Hymne127, wenn man will: eines Liedes des Lobes und Dankes. Das Lied des Lobes und Dankes, bzw. bestimmte charakteristische Elemente desselben, erhält dann eine Funktion in einem Bittpsalm; es fungiert als Beweggrund des göttlichen Einschreitens128. „Der Zusammenprall des enthusiastischen Glaubens, der sich in den Hymnen ausspricht, mit der elenden Wirklichkeit, welche die Volksklagelieder bejammern, wird von den Dichtern Israels nicht etwa behutsam gemildert, sondern vielmehr aufs kräftigste verstärkt, um Gott um so eindringlicher zu bestürmen" 129 . Siehe ζ. Β. Ps 3 4 _ 7 5 5 _ 7 224_e 10 f 25 8 _ 10 36„_10 41 2 _ 4 44 2 _ 9 74 12 _ 17 80»_12 8 5 ^ 865 8 _ 10 15 102 13 _ 23 1 0 6 ^ 115 3 _ 7 11912ua. 1 4 ^ f.. In diesem Zusammenhang ist der Ausspruch in Ps 50 M f wichtig: Opfere Gott Lob (ΓΠ1Π) und erfülle vor dem Allerhöchsten deine Gelübde. Und rufe mich an am Tage der Bedrängnis, ich werde dich retten, und du wirst mich ehren.

Hier wird, so könnte man sagen, ausdrücklich vorgeschrieben, daß dem Gebet um Rettung das Loben und Danken vorausgehen muß 130 .

121

Vgl. Gunkel-Begrich, § 4,4; 6, 10. "«Vgl. Gunkel-Begrich, § 4,10.12; 6, 19. 25. 28. 127 Vgl. Gunkel-Begrich, § 2,55.56. 128 Vgl auch Westermann, 1963, 41 ff. Für Lieder des Lobes und Dankes am Schluß eines Bittpsalms siehe oben § 56 — 60. 128 Gunkel-Begrich 134. « · Vgl. auch ζ. Β. I Reg 8 3 3 . 3 5 .

103

Β. Der A u f b a u der Psalmen

Die Erscheinung, daß ein Lied des Lobes und Dankes, bzw. bestimmte charakteristische Elemente desselben, in einem Bittpsalm als Beweggrund des göttlichen Einschreitens fungiert, begegnet keineswegs nur in dem Psalmenbuch. Auch in Israels Umwelt kommt sie vielfach vor. Für Babel und Ägypten vgl. Westermann, 1963, 28 — 39, siehe ζ. B. 36: ,,in den babylon. Psalmen ist es fast die Regel, daß der Bitte das Lob vorbereitend voraufgeht. Dasselbe finden wir bei den ägyptischen Psalmen, wenn auch nicht so regelmäßig, so doch auch hier überwiegend". Für Ägypten siehe auch Barucq, L' expression de la louange divine etcet., 1962, ζ. B. 22. Was Israel betrifft, so lassen sich nicht nur in der Psalmensammlung, sondern auch an anderen Stellen des AT und außerhalb desselben verschiedene Beispiele dieser Erscheinung finden. Vgl. z.B. GunkelBegrich, 1933, 84 f. 134 f. 213 f. 235 f. 258. Siehe auch Gordis, Psalm 9 - 1 0 , JQR 48 (1957/58), 1 0 4 - 1 2 2 , namentlich 107 f., der auf T. Ber. 32a (,,A man should always first set forth his praise of the Holy One, blessed be He, and then offer his prayer"), 34a verweist131. 131

W . Beyerlin, Die tödä der Heilevergegenwärtigung in den Klageliedern des Einzelnen, ZAW 79 (1967), 208 — 224, spricht von der „bislang übersehenen" (223) G a t t u n g der heilsvergegenwärtigenden todä, die ihren Sitz im Leben in dem die Notklage umrahmenden liturgischen Zusammenhang h a t und im Verein mit dem individuellen Klagelied die E r r e t t u n g aus der N o t erstrebt und hierbei die „ W u n d e r J a h w e s " in umfassender Weise lobpreist, u m das in ihnen zutage tretende Heil zu vergegenwärtigen. Natürlich ist es richtig, daß Äußerungen des Lobes und Dankes im Verein m i t Klagen und Bitten wiederholt die E r r e t t u n g aus der N o t erstreben. Hierüber m a c h t Beyerlin gute Bemerkungen, siehe ζ. B. 211. Allerdings begegnet diese Erscheinung im AT weitaus häufiger u n d wird von viel mehr Exegeten betont, als es nach Beyerlin scheinen könnte. H a t es Sinn, von einer besonderen Gattung der heilsvergegenwärtigenden todä zu sprechen? Das stärkste Argument hierfür liefert vielleicht Beyerlins B e r u f u n g auf Ps 26 e b. ? (er könnte sich ζ. B. auch auf P s 50 14 t berufen), siehe jedoch z. St.; siehe ferner auch zu P s 9 u n d P s 40. Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, I 96, schreibt: „The blend of praise and prayer is thus a survival f r o m a n older stage. I n Babylonian and Assyrian psalm poetry it is almost t h e rule. T h a t t h e praise should be used t o support the prayer corresponds t o a more primitive and naive stage of religion; it is t h e higher stage a n d p u r e r s t a t e of religion which feels t h e praise and t h e adoration as a, so t o speak, independent a n d necessary religious act, and which adores a n d praises God for his own sake without selfish motives." Diese Feststellungen werden m. Ε. von den Tatsachen widerlegt, siehe oben. Übrigens scheint mir, d a s die gesamte Auffassung von dem Verhältnis von Loben u n d Bitten, wie sie sich hier ausdrückt, abgewiesen werden m u ß . I m AT sind die E h r e Gottes u n d das Heil seines Volkes stets auf das engste miteinander verbunden. Siehe weiter meine Arbeit De plaats v a n het loven en van het bidden in h e t Ο. T., 1970, 2 0 - 2 5 . 2 9 f. 8*

104

II. Allgemeiner Teil

§ 62. Spezielle Fälle Daß charakteristische Elemente des Lob- und Danklieds eine Funktion in einem Bittpsalm erhalten, ist an sich nicht verwunderlich. Zuweilen nimmt diese Erscheinung jedoch wohl auffallende Formen an, ζ. B. indem diese Elemente einen besonders großen Raum ausfüllen. Wir betreten hier ein Gebiet, dem im vorstehenden bereits unsere Aufmerksamkeit galt. Von den hier gemeinten Psalmen läßt sich nämlich sagen, daß in ihnen diejenigen Elemente, die für Lieder des Lobes und Dankes charakteristisch sind, eine besondere Stellung haben; ebensogut aber kann man behaupten, daß die Gebete einen auffallenden Platz einnehmen. Siehe § 53c für 3 22 44 36 40 89 27, § 55 für Ps 19 33 139, § 60 für Ps 41. Den Darlegungen in diesen Paragraphen sei noch folgendes hinzugefügt. Abgesehen von der Frage, ob Ps 9 und Ps 10 ursprünglich selbständige Psalmen waren, wird angenommen werden müssen, daß sie bereits in alter Zeit im Kultus als eine Einheit gebraucht wurden, siehe z. St. Dabei hatte Ps 9 die Funktion eines vorangestellten Danklieds zur Unterstützung des Gebets in Ps 10. Wie in § 58 bemerkt wurde, wird der Weg von der Klage oder von der Bitte zur Äußerung der Erhörungsgewißheit zuweilen in ein und demselben Psalm zweimal oder sogar dreimal zurückgelegt, vgl. Ps 31 35. In diesen Fällen fungieren die Äußerungen der Erhörüngsgewißheit in stärkerem Maße als sonst als Beweggründe des göttlichen Einschreitens. Siehe ferner z. St., insbesondere über den Übergang von v. 4-9 zu v. 10 ff. in Ps 31. Schließlich eine Bemerkung allgemeiner Art. In den Bittpsalmen begegnet das im voraus gesungene und auch das vorangestellte Lied des Lobes und Dankes. Hierin zeigt sich, wie sehr das Lob Gottes in den Psalmen im Mittelpunkt steht 132 . Auch wirft diese Tatsache ein Licht auf den Charakter des Lobpreises und der Psalmodie im 132

Κ. H. Miskotte, Wenn die Götter schweigen, Vom Sinn des Alten Testaments, 1963, 443 f., schreibt: „ D m Geheimnis von dem wir reden, hat schon den Sammlern und dem Redaktor des Psalmenbuches vor Augen gestanden und hat in dem Namen, den das Buch schließlich erhalten hat, seinen Ausdruck gefunden. Die Unterteile des Buches schließen mit Doxologien; das Ganze schließt mit einem Psalm ,ohne Inhalt', einem Psalm nämlich, der ausschließlich Doxologie, Hymne ist. Damit soll doch gesagt sein, daß es da Klagelieder und ,Bachepsalmen' gibt, Danklieder und didaktische Gesänge, und darunter auch hier und da eine .tehilla' (,Preisung') — aber das Ganze heißt ,TehiUim'."

Β. Der Aufbau der Psalmen

105

allgemeinen. Der Lobpreis Gottes ist nicht ein spontaner Gefühlsausbruch. Er findet auf eine wohlüberlegte Weise statt, wie ja das Wohlausgewogene für Israels Psalmodie überhaupt charakteristisch ist.

C. ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNGEN

§ 63. Asyndese. Aphoristischer,

gedrängter Stil

a. I n diesen abschließenden Betrachtungen versuche ich, einige Folgerungen aus dem Vorhergehenden zu ziehen. Ehe ich dazu schreite, muß ich noch auf ein bestimmtes Merkmal des Stils und des Auf baus der Psalmen eingehen, das im vorstehenden zwar verschiedentlich zur Sprache gekommen, jedoch noch nicht deutlich genug hervorgehoben worden ist. I n den Psalmen finden sich Beispiele für die Asyndese 133 , siehe ζ. B. Ps 14x 30 8 312 f.· Ein Vergleich dieser Beispiele zeigt erneut, wie begrenzt der Wert technischer Termini ist. Man kann in allen drei Fällen von Asyndese sprechen, in jedem von ihnen aber hat diese Stilfigur eine andere Funktion. I n Ps 14x werden die beiden betreffenden Verben durch die Asyndese miteinander eng verbunden, was ihnen eine kräftige Wirkung verleiht, vgl. auch ζ. B. Ps 38,; in Ps 30 8 unterstreicht die Asyndese den abrupten Charakter der Übergänge; in Ps 312 f erweckt die Asyndese den Eindruck eines abgerissenen, gehetzten Bittens. Auch bei den weiteren Darlegungen muß im Auge behalten werden, daß die Asyndese sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. b. Die Asyndese (im engeren, im eigentlichen Sinne) kommt somit im AT vor. Sie begegnet jedoch nicht sonderlich häufig. Wenn wir den Terminus hingegen in einem weiteren, bzw. in einem uneigentlichen Sinne fassen, ist diese Stilfigur wohl für das AT charakteristisch, und zwar insbesondere für die Psalmen, wenn man will: für die poetischen Teile des AT. Wir müssen diese Feststellung nach zwei Richtungen hin ausarbeiten. 1. Unter Asyndese pflegt man die Erscheinung zu verstehen, daß in auffallender Weise zwischen zwei oder mehr Wörtern, Ausdrücken oder (kurzen) Sätzen ein Bindewort fehlt. Im AT, namentlich 133

Vgl. König, 1900, 211 — 217; ü b e r h a u p t ist in diesem Zusammenbang Königs gesamte Betrachtung über Brachylogie (178 — 228) von Wichtigkeit. Siehe auch ζ. B. Köhler, Deuterojesaja, 1923, 77 f.

C. Abschließende Betrachtungen

107

in den poetischen Teilen, kommt es vielfach vor, daß verschiedene Aussagen unvermittelt nebeneinandergestellt werden. Bei den hier gemeinten Fällen handelt es sich nicht so sehr um ein auffälliges Fehlen eines Bindewortes, sondern es verhält sich wohl so, daß der Zuhörer, der Leser selbst herausfinden muß, welcher Art die Verbindung zwischen den betreffenden Aussagen ist. Über diese Erscheinung wurde bereits gesprochen, siehe ζ. B. § 38, vor allem über Ps 3, und § 39. Deutliche Beispiele enthält auch etwa Ps 33. Das Hauptstück der eigentlichen Hymne besteht aus vier mehr oder weniger selbständigen Perikopen, v. 6 - 9 . 1 0 - 1 2 . 13-15. 16-19. Diese Perikopen stehen ziemlich unvermittelt nebeneinander. Sie bilden zusammen zwar ein wohlgefügtes Ganzes; um das aber zu erkennen, muß man einiges zwischen den Zeilen lesen. Siehe für Ps 33 auch weiter unten und z. St. (wo im Anschluß an Gerleman von einer „atomizing technique" gesprochen wird). 2. Das Hebräische kennt zwar allerlei Bindewörter und andere verbindende Wörter, ihre Bedeutung aber ist ausgesprochen vage. Dies gilt schon gleich von I 134 , es gilt von , J 1 3 5 , von '5b , 'JT , j" 1 ?}? usw.136 Wenn der Verfasser ein solches Bindewort benützt, gibt er zwar an, daß zwischen dem einen und dem anderen eine Verbindung besteht, aber dennoch muß der Zuhörer selbst herausfinden, welcher Art diese Verbindung ist. c. Man muß im AT, in den Psalmen, somit oft zwischen den Zeilen lesen. Dies gilt in einem sehr weiten Rahmen. Ich gebe nachstehend einige Beispiele verschiedener Art. Ps 193_5 lauten: Der eine Tag nach dem anderen läßt eine Sprache ausströmen; und die eine Nacht nach der anderen teilt Wiesen mit. * Da ist keine Sprache, da sind keine Worte; ihre Stimme wird nicht gehört. Über die ganze Erde geht ihre Richtschnur aus; und bis ans Ende der Welt ihre Rede. 3

Es ist deutlich, daß hier zwischen den Zeilen gelesen werden muß: „die Aussage, daß die Tage eine Sprache ausströmen lassen, muß recht verstanden werden: genaugenommen gibt es dabei gar keine Vgl. ζ. B. van der Ploeg, De Psalmen, 1963, 26 f. iss Y g j z β Th. C. Vriezen, Einige Notizen zur Übersetzung des Bindewortes kl, in: Von Ugarit nach Qumran, Festschrift-Eißfeldt, 1958, 266—273. «•Vgl. Pedersen, Israel I, I I 1926, 115 ff. 131

108

II. Allgemeiner Teil

Sprache usw." Man kann hier von einem Oxymoron sprechen, vgl. § 25. Siehe ferner § 11 (Stilfigur der Wiederholung) und z. St. In Ps 3814 f vergleicht der Dichter sich mit einem Taubstummen, in v. 17 wird dae Sprechen des Dichters erwähnt, in v. 9 selbst sein Brüllen. In v. 4-6.19 spricht der Dichter von seinen Sünden; in v. 21 sagt er, daß er dem Guten nachjagt. In v. 2 f. sagt er, daß Gottes Zorn auf ihm hegt; in v. 23 nennt er Gott „meine Befreiung". Es besteht kein Widerspruch zwischen all diesen Aussagen. So weiß der Dichter, um nur dies zu nennen, daß er vor Gott ein Sünder ist, gegenüber seinen Feinden jedoch das Recht auf seiner Seite hat. Dies ungefähr steht dem Dichter vor Augen, aber — man muß es zwischen den Zeilen lesen. Siehe auch ζ. B. zu Ps 14s 40 7 _ 12 . Ps 3310 lautet: Jahwe — er zerbricht den Ratschluß der Nationen; er vereitelt die Überlegungen der Völker.

Der Dichter will sicherlich nicht sagen, daß alle Überlegungen der Völker von Jahwe stets vereitelt werden (ebensowenig, wie er in v. 16-19 sagen will, daß ein Krieger seinem Feind niemals dank der Schnelligkeit seines Pferdes entkommt, oder daß niemals jemand, der Jahwe fürchtet, bei einer Hungersnot umkommt). Er meint wohl etwa folgendes: immer wieder sehen wir, daß die großartigen Pläne mächtiger Völker von Jahwe vereitelt werden, insbesondere dann, wenn sie sich gegen Jahwe und sein Volk richten. In Ps 3316 heißt es: Er, der ihrer aller Herz bildet, der all ihre Werke ergründet.

Der Dichter spricht hier gedrängt. Er wird sagen wollen: weil Jahwe das Herz bildet, ergründet er es; und weil er das Herz ergründet, ergründet er die Taten, die im Herzen ihren Ursprung finden. Ps 3313_1S sollen auf das richterliche Einschreiten Gottes hinweisen. Zu dieser Feststellung können wir jedoch nur gelangen, wenn wir den Psalm als Ganzes betrachten. In v. 13-15 wird das richterliche Einschreiten Gottes nicht ausdrücklich genannt. Siehe ferner z. St. Diese Reihe von Beispielen ließe sich behebig erweitern. Die Ausdrucksweise der Psalmisten hat oft aphoristische Züge. Die Psalmisten drücken sich oft krasser aus, als sie es meinen. Ihre Aussagen sind zuweilen sehr gedrängt. Der Masjal-Stil hat tiefe Wurzeln, in der gesamten israelitischen Literatur.

C. Abschließende Betrachtungen

109

Die Psalmisten stellen ihre Aussagen häufig unvermittelt, wenn man will: asyndetisch nebeneinander. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Aussagen wird nicht ausdrücklich angegeben. Um diesen Zusammenhang, der sicherlich besteht, zu entdecken, muß man die Funktion beachten, welche den verschiedenen Aussagen im Ganzen zukommt. Der wohlüberlegte Aufbau des Psalms verbindet die oft unvermittelt nebeneinanderstehenden Aussagen miteinander. § 64. Dynamischer

Charakter

Man hat bereits vielfach daraufhingewiesen, daß das Dynamische für Israels Mentalität charakteristisch ist. Es kennzeichnet auch Israels Dichtung, wie diese uns in den Psalmen entgegentritt. Den Psalmisten geht es nicht darum, bestimmten Stimmungen Ausdruck zu verleihen. Sie sind nicht meditativ eingestellt. Sie sprechen nicht etwa in einer Art lauten Nachsinnens vor sich hin. Sie wollen etwas. Sie wollen etwas erreichen. Wenn man das Wort „Effekt" von seinen ungünstigen Nebenbedeutungen befreit, läßt sich sagen: sie sind immer wieder darauf aus, bestimmte Effekte zu erzielen137. Müßte man zur Charakterisierung von Israels Psalmodie zwischen den Termini Impressionismus und Expressionismus wählen, so würde man sich gewiß für letzteren entscheiden138. Das Anliegen der Psalmodie ist nicht das „traduire une impression". Die Psalmisten haben eine Überzeugung, ein Bewußtsein, ein Gefühl usw.; sie wollen es zum Ausdruck bringen, es an andere herantragen. Siehe auch zu Ps 29. Die Psalmisten sprechen in der Regel zu Gott. Es muß also gesagt werden: sie wollen bei Gott etwas erreichen. Dies gilt von den Bittpsalmen — das liegt nahe. Aber wir müssen wohl im Auge behalten, daß es von allen Abschnitten der Bittpsalmen gilt, von den Bitten

137 Vgl. F. R. Kraue, Forum der Letteren, Nov. 1962, 210: „de Babylonisch-Assyrische dichtkunst (is) in de allereerste plaats weten; sommige van de voortbrengselen van deze dichtkunst zijn een eigensoortige rhetoriek, maar nooit is de Babylonisch -Assyrische kunstpoözie expressie" (deutsch etwa: „die babylonisch-assyrische Dichtung [ist] an ersten Stelle Wissen; manche der Produkte dieser Dichtkunst sind eine Rhetorik eigener Art (darunter versteht Kraus Literatur, die ,Gefühle wachrufen will'), niemals aber ist die babylonisch-assyrische Kunstpoesie Expression"). 138 ygi Boman, 1965, 72: „Die israelitischen Dichter sind Expressionisten".

110

II. Allgemeiner Teil

und Gelübden, aber auch von den Klagen und den Vertrauensäußerungen. Es gilt auch von den Liedern des Lobes und Dankes. Kennzeichnend für das Anliegen der Lieder des Lobes und Dankes ist der Ausspruch in Ps 1915: Mögen wohlgefällig sein die Worte meines Mundes, und möge das Sinnen meines Herzens vor dein Angesicht kommen, Jahwe, m e i n Fels und mein Löser.

Die Psalmisten bringen Jahwe ihre Lieder des Lobes und Dankes als ein Opfer dar. Und während sie ihre Lieder verfassen, beherrscht sie das Verlangen, dieses Opfer möge Jahwe j1 sein. Damit ist keineswegs gesagt, daß die Psalmisten sogar bei der Abfassung von Liedern des Lobes und Dankes von egoistischen Motiven bestimmt wurden. Wie im Schluß von § 61 bereits gesagt wurde, sind die Ehre Gottes und das Heil seines Volkes im AT auf das engste miteinander verbunden. Wenn ein Psalmist Jahwe durch einen Bittpsalm oder ein Lied des Lobes und Dankes zu bewegen versucht, seinem Volk seine Gunst zu bezeigen, geht es ihm zugleich um die Verherrlichung Jahwes. Denn darin eben gelangt Jahwe zu seiner Ehre, daß er seinem Volk seine Gunst erweist. Wie aus diesen Bemerkungen hervorgeht, wollen die Psalmisten mit ihren Gedichten zwar Eindruck auf Gott machen, aber sie bedienen sich zu diesem Zweck — jedenfalls von dem Gesichtspunkt her gesehen, der uns hier beschäftigt — derselben Mittel, mit denen sie auch versuchen würden, auf einen Menschen, etwa den König, Eindruck zu machen. Zumindest von den Liedern des Lobes und Dankes kann gesagt werden, daß sie auch von Menschen gehört werden sollten. Die Psalmisten wollen, daß auch andere, indem sie sehen und hören, was die Dichter erfahren haben, von Ehrfurcht und Vertrauen zu Jahwe erfüllt werden, Ps 404 usw., und in das Loben und Danken einstimmen, Ps 91? usw. § 65. Wiederholung und Abwechslung. Kürze und Breite Im vorstehenden wurden Betrachtungen über die Art und Weise angestellt, wie die Psalmisten ihren Gedichten zu ihrer Wirkungskraft verhalfen. Ein hervorstechender Zug dieser Gedichte, auf den wir immer wieder stießen, ist die Verdoppelung oder, bzw. und die Wiederholung. Die Verdoppelung führt nicht zu Eintönigkeit.

C. Abschließende Betrachtungen

111

Nahezu jede Verszeile besteht aus zwei oder drei Stichen, die in irgendeiner Weise parallell sind. Dies verleiht der Psalmodie einen gewissen festen Rahmen. Da aber das Verhältnis der einzelnen Stichen, die zusammen eine Verszeile darstellen, von Fall zu Fall verschieden ist, besitzt die Psalmodie andrerseits eine große Lebendigkeit. Auch bei dem Aufbau von Einheiten, die größer als eine Verszeile sind, kann häufig sowohl von Wiederholung wie von Abwechslung gesprochen werden; siehe ζ. B. zu Ps 33 1 3 34 s _ g i e f . Im vorstehenden und bei der Besprechung der einzelnen Psalmen wird sowohl der Wiederholung wie der Abwechslung viel Aufmerksamkeit gewidmet, so daß ich es an dieser Stelle bei diesen wenigen Bemerkungen bewenden lassen kann. Das Bestreben der Psalmisten, was sie sagen wollen, so wirkungsvoll wie möglich zu sagen, führt in dem einen Fall zu Kürze, in dem anderen Fall zu Breite. Daß die Kürze die K r a f t einer Aussage steigern kann, bedarf keiner weiteren Erklärung, siehe ζ. B. Ps 38a.b 13. Zuweilen aber ist die Ausdrucksweise der Psalmisten auch breit (was zum Teil auf die wichtige Rolle der Verdoppelung und der Wiederholung zurückzuführen ist), siehe ζ. B. Ps 35 24b _ 27 37 40 15 f . Auf uns kann diese Breite den Eindruck von Weitschweifigkeit und Umständlichkeit machen. Wir werden sie jedoch dadurch erklären müssen, daß der Psalmist zuweilen das Bedürfnis hat, dasselbe immer wieder zu sagen, um es seinen Zuhörern tief einzuprägen; siehe ferner § 17139. Die hier gemeinte Breite steht nicht im Widerspruch zu dem aphoristischen und gedrängten Stil, über den wir in § 63 sprachen. Die Ausdrucksweise der Psalmisten ist zuweilen insofern weitschweifig, als dasselbe immer wieder gesagt wird. Sie ist jedoch aphoristisch insofern, als die einzelnen Aussagen nicht durch erläuternde Einschübe verbunden, der Zusammenhang zwischen ihnen nicht ausdrücklich angegeben wird, usw. Es versteht sich, daß auch dieser aphoristische Einschlag die Dynamik der Psalmen erhöht.

13>

Vgl. Schwab, in: Tournay-Schwab, Lee Psaumes, 1955«, 66: „II faut laisser agir les moyens memes auxquels a reeouru la dictöe de l'inspiration. Le premier consiste & traiter les parties du discours comme des ölöments de choc, par la reduction du nombre des eignes expressifs et par la röpötition des coups frappes sur la sensibility. D'oü, priority du lapidaire et du saccadö sur le logique et le continu; ou plutöt (roais ce n'est pas non plus le lieu d'y insister) une logique autre, apparentee ä celle du musicien."

112

II. Allgemeiner Teil

§ 66. Rationaler

Einschlag

Niemand wird leugnen wollen, daß in den Psalmen tiefempfundene Emotionen wiedergegeben werden. Aber die Psalmisten äußerten ihre Gefühle nicht in unbeherrschter und unkontrollierter Weise. Man kann in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Psalmisten sich bestimmter überlieferter Formen bedienten, siehe ζ. B. § 49—51. Hier ist jedoch noch mehr zu nennen. Man kann sagen, daß der Stil der Psalmisten gewisse rationale, intellektuelle, sinnreiche — eine völlig angemessene Bezeichnung läßt sich kaum finden — Züge hat. Es werden heftige Emotionen wiedergegeben, ihre Formgebung aber unterhegt der Kontrolle der ordnenden Vernunft. In diesem Zusammenhang wäre auf die stilistische Verfahren der israelitischen Dichter hinzuweisen. Zwar kann die chiastische Reihenfolge zuweilen als die natürliche gelten (siehe § 27), dennoch werden in der vielfältigen Verwendung des Chiasmus die Spuren des ordnenden Wirkens des Intellekts sichtbar. Dasselbe gilt von der Stilfigur der Wiederholung, zumindest von manchen ihrer Erscheinungsformen; man denke ζ. B. an die verschiedenen Formen des Wortspiels, siehe § 12b. 16a. Hier muß vor allem auch auf den wohlausgewogenen Aufbau der Psalmen hingewiesen werden. Vieles von dem, was oben über den Aufbau der Psalmen gesagt wurde, könnte hier wiederholt werden. So läßt sich, um ein Beispiel zu nennen, das Wirken der ordnenden Vernunft in der Vorbereitung der Bitte, siehe § 53c, erkennen, insbesondere darin erkennen, daß den Liedern des Lobes und Dankes die Funktion eines Beweggrundes des göttlichen Einschreitens verliehen wird, siehe § 61. 62. Schließlich sei noch auf die akrostichischen Gedichte hingewiesen, vgl. § 48. Ein deutliches Zeichen dieser ordnenden Funktion des Intellekts in der Dichtung der Psalmisten finden wir in Ps 119: acht Verszeilen beginnen mit X, acht Verszeilen mit 2, usw.; weiter kann gesagt werden, daß in diesem Psalm zehn Wörter für „Gesetz" vorkommen, und daß mit Ausnahme von v. 122 jede Verszeile mindestens eins dieser zehn Wörter enthält, so bereits die Maasora zu v. 122, siehe Delitzsch140; diese zehn (oder acht) Wörter erscheinen in immer

Unter Berufung auf D. H. Müller nehmen Baethgen, Gunkel u. a. an, daß im originalen Psalm acht Wörter für „Gesetz" vorkommen, und daß diese acht Wörter in jeder achtzeiligen Strophe gebraucht werden; siehe jedoch ζ. Β. A. Deissler, Psalm 119 (118) und seine Theologie, 1965, 68—70. Bonkamp 140

C. Abschließende Betrachtungen

113

anderer Reihenfolge, vgl. ζ. B. Briggs. Gewiß ist Ps 119 für Israels Psalmendichtung nicht repräsentativ, wohl aber gilt, daß bestimmte Tendenzen, die sich in der Dichtung der Psalmen abzeichnen, in Ps 119 zu extremer Entfaltung gelangt sind. Israels Dichtkunst stellt in dieser Hinsicht sicherlich keine Ausnahme dar. Bei Buber-Rosenzweig 141 findet sich die Bemerkung: „Alle echte Dichtung ist in diesem Sinne rational, d. h. sie ordnet und formt das Elementare unter einem Gestaltgesetz der Vernunft". Jedoch tritt diese Eigenschaft in Israels Psalmodie doch wohl deutlicher ans Licht als in vielen anderen Dichtungen. Wie ist das zu erklären? Auch in den Psalmen sind Form und Inhalt eine Einheit. Die „Form" hat einen rationalen Zug, dasselbe gilt von dem „Inhalt". Dies tritt vielleicht nirgends deutlicher hervor als in P s 34 12 _ 15 : „Willst du das Gute sehen? Nun, weiche vom Bösen und tue das Gute", siehe ζ. St.; vgl. ferner ζ. B. Ps 715 35 7 f (siehe auch v. 1 und v. 11-16, siehe z. St; vgl auch I I Reg 17 15 Jer 301β usw.). Zwar wird es nicht überall so deutlich formuliert wie in diesen Versen, aber was Ps 34 12 _ 15 in Worte kleiden, ist im Grunde doch wohl bezeichnend f ü r den Glauben der Psalmisten 142 . Man kann die Frage auch anders beantworten — und beide Antworten sind natürlich verwandt —: daß die Dichtung der Psalmisten einen rationalen, intellektuellen, sinnreichen Zug hat, wird seinen Ursprung in einer Eigenart des israelitischen Geistes haben. In verschiedenen Werken des jüdischen Geistes tritt dieser Zug ans Licht. Ich verweise auf das überaus sinnreiche und zuweilen auch spielerische Werk der Massoreten. Ich erinnere daran, daß aus dem Talmud ein großes Maß an Scharfsinn spricht, der bisweilen in Spitzfindigkeit entartet. Vielleicht hat sich dieselbe Eigenart bis in den jüdischen Witz, den chein, hinein erhalten, der ja auch häufig aus einem gewissen Spiel des Scharfsinns besteht. Wenn die obigen Betrachtungen nicht von Grund aus falsch sind, ist der Keim dieser Eigenart bereits in der hebräischen Poesie enthalten.

weist darauf hin, daß in Ps 119 " 1 Π und p n ÖStfÖ und riHj? 23mal, Π"Ι0Κ 19mal, m i f i in v. 48 ist nach Bonkamp nicht original). i " Buber-Rosenzweig, Die Schrift und ( = Buber, Werke, Π 1964, 1149). 118 Siehe ferner mein Buch De Psalmen,

22mal, Π1ΧΙ3 und "pp£ 21mal> 25mal gebraucht werden (mifSJ ihre Verdeutschung, 1936, 238 I 51.

114

II. Allgemeiner Teil

§ 67. Traditionsgebundenheit

und Originalität

Die Psalmisten ließen sich in hohem Maße durch die Tradition bestimmen. Sie machten reichen Gebrauch von den überlieferten Formen. Ich erinnere noch einmal daran, wie viele Bittpsalmen mit Äußerungen der Erhörungsgewißheit schließen, siehe § 58. Den Psalmendichtern kann sicherlich auch Originalitität zugesprochen werden. Dann aber muß der Begriff Originalität anders definiert werden als gegenwärtig vielfach geschieht. Die eigene Leistung eines Psalmisten liegt darin, daß er zu überlieferten Formen neue Variationen schuf, daß er ein traditionelles Bild in einen neuen Zusammenhang stellte, usw. So hat Ps 23, um wenigstens ein Beispiel zu nennen, ganz unverkennbar einen eigenen Klang; das Bild des Hirten aber kann keineswegs originell genannt werden: im alten Orient war der Vergleich des Königs mit einem Hirten gang und gäbe. Siehe ferner ζ. B . zu Ps 17 18 3517 39 40 1 4 _ 1 8 ; es ließe sich noch sehr viel mehr Belegmaterial für diese Behauptungen anführen. Als wichtigste Ursache dieser Erscheinung wird zu gelten haben, daß das Individuelle in Israels Geistesleben viel weniger in den Vordergrund tritt als beispielsweise im westeuropäischen Kulturkreis (womit keineswegs gesagt sein soll, daß unser Geistesleben in dieser Hinsicht höher steht als dasjenige Israels)143. § 68. Geschulte Dichter Viele der in diesem Buch angestellten Betrachtungen können nur richtig sein, wenn die Psalmendichter eine gewisse Schulung erhalten haben. Und warum sollten sie nicht geschult worden sein ? Schwab 144 meint, in den Psalmen ,,une technique m^ticuleuse, sans doute elaboree 143 Vgl für eine eingehendere Darlegung Mowinckel, Traditionalism and Personality in the Psalms, HUCA 23, I (1950/51), 205 — 231; idem, The Psalms in Israel's Worship, I I 126—145 (siehe ζ. B . 126: „The experiences and emotions to which the psalms give expression were not only those of an individual, but such common events, general experiences and feelings aa custom demanded in the particular situation"; 134: „He [d. i. The ancient Israelite] was a part — in certain cases the fully representative part — of a ,corporate personality'. He is himself only when he is one with his family, his tribe, his people. He has no wish to be ,original'; he wishes to realize Israel's ideal, Israel's human type. . . . When the hearts beat in unison then the Israelites are themselves"); vgl. auch ζ. Β. Koch, 1964, 13, und meinen Aufsatz: Kenmerken der Hebreeuwse poezie, GThT 55 (1955), 1 7 1 - 1 8 3 . 144

Schwab, in: Tournay-Schwab, Les Psaumes, 1955 2 , 69.

C. Abschließende Betrachtungen

115

par les colleges de chantres qui en etaient les manipulateurs et les gardiens, selon une coutume traditionelle, eile aussi, des hautes litteratures en Asie" entdeckt zu haben. Zwar wissen wir wenig oder nichts von der Ausbildung der Psalmendichter in Israel. Bei den Völkern der Umgebung aber hat es eine solche Schulung sicherlich gegeben. S. N. Kramer145 schreibt: „Moreover, rather unlike present-day institutions of learning, the Sumerian school was also the center of what might be termed creative writing. It was here that the literary creations of the past were studied and copied; here, too, new ones were composed."UndM. Lambert 146 behauptet, hinter den sumerischen Hymnen stehe ,,un enseignement, une rhätorique, et si l'on permet le mot, une fabrique extremement precise et meticuleuse". Es ist nicht wahrscheinlich, daß die israelitischen Dichter, deren Gedichte so viele Berührungspunkte mit denen der Nachbarvölker aufweisen, ihre Psalmen dichteten, ohne daß sie irgendeine Ausbildung erhalten hätten. Auch die israelitischen Dichter werden sich eine gewisse „Rhetorica" zueigen gemacht haben. Diese Art zu dichten wird ihnen in Fleisch und Blut übergegangen sein. Und so werden sie in ihre Gedichte wie von selbst, ohne daß es sie besondere Anstrengung kostete, mehr oder weniger bewußt, mancherlei Erscheinungen, bestimmte Finessen eingearbeitet haben, die wir vielleicht nur mit großer Mühe in ihnen wiederzufinden vermögen.

145

S. N. Kramer, From the Tablets of Sumer. 25 Firsts in Man's recorded History, 1956, 4 f. 11β M. Lambert, De quelques thdmee litteraires en sumörien et dans la Bible, R H P h R 35 (1955), 13.

III. Spezieller Teil

In den folgenden Betrachtungen über Ps 1—41 wird in erster Linie nach der Anwendung stilistischer Verfahren und nach dem Aufbau gefragt. Naturgemäß liegt diesen Betrachtungen eine bestimmte Auslegung der betreffenden Psalmen zugrunde. Es ist mir jedoch nicht darum zu tun, eine mehr oder weniger vollständige Exegese zu geben1. So erklärt sich auch, daß ich verhältnismäßig wenig Kommentare zitiere. Ich spreche an dieser Stelle jedoch meinen Dank aus für alles, was ich von anderen Exegeten lernen konnte. Psalm 1 V. l-8|4f.|e

1 — 3 — 2 — 4|2 — 2|2 2

In diesem Psalm spielt der Gegensatz eine beherrschende Rolle. V. 1-3 und v. 4 f. stellen das Dasein des Gerechten und dasjenige des Gottlosen einander gegenüber (siehe vor allem „wie ein Baum" und „wie Spreu", v. 3f.). V. β gibt eine zusammenfassende Charakterisierung dieses Gegensatzes; in diesem Vers findet der Psalm seinen Höhepunkt. Bereits in ν. l deutet der Dichter an, daß er an einen Gegensatz denkt. Es besteht auch ein gewisser Gegensatz zwischen ν. l und v. 2. Siehe ferner § 24.25. Will man diesen Psalm gliedern, so scheint es mir am richtigsten, ihn in drei Teile einzuteilen, und zwar v. 1-3.4f.. 6. V. 1-3 sprechen über den Gerechten (in ν. l wird dieser speziell in seinem Verhältnis zu dem Gottlosen beschrieben), v. 4 f. über den Gottlosen (wobei in v. 5 die Gerechten zur Sprache kommen). V. β enthält eine Zusammen1

Für eine einigermaßen „vollständige" Exegese verweise ich auf mein Buch „ D e Psalmen", I 1962. 2 Der Besprechung eines jeden Psalms sind zwei Reihen vorangestellt. Die erste Reihe, die meine Einteilung des betreffenden Psalms angibt, ist die für dae Ziel dieser Untersuchung •wichtigste. Als Ergänzung wird in der zweiten Reihe in etwa skizziert, aus wieviel Stichen die einzelnen Teile des Psalms bestehen und wie diese Stichen zusammengehören. 9*

120

I I I . Spezieller Teil

fassung des Inhalts dieses Psalms; in v.a werden v. 1-3, in v. b werden v. 4 f. zusammengefaßt. Zwischen v. 1-3 und v. 4 f. besteht eine gewisse chiastische Korrespondenz: v. 3 korrespondiert mit v. 4, v. lf. mit v. 5 (siehe oben)3. In diesem Zusammenhang sei auch auf den Chiasmus in ν. l und v. 6 hingewiesen; siehe auch v. 5 f. (v. 5a und v. 6b sprechen über die „Gottlosen", v. 5b und v. 6a enden mit ,,der Gerechten"); vgl. ferner § 26. 27. Viermal steht in diesem Psalm das Wort „Gottlose" (auffallend ist vor allem die Verwendung dieses Worts in v. 4-6, vgl. Judas l s ), zweimal „Sünder", v. 1.5, zweimal „Gerechte", v. 5 f.. V. 6 verwendet zweimal „Weg"; auch in v. l wird dieses Wort gebraucht (es besteht somit eine gewisse Korrespondenz zwischen dem Anfang und dem Schluß dieses Psalms, siehe § 15). In v. 2 steht zweimal „Gesetz" (dadurch, daß in der positiven Charakterisierung des Gerechten zweimal über das Gesetz, und zwar ausschließlich über das Gesetz, gesprochen wird, erhält es eine zentrale Stellung in diesem Psalm 4 ). Mit Buber, Good and Evil, 1953, 52, kann man diese fünf Wörter „the keywords of this Psalm" nennen. Buber hält für bedeutsam, daß 3

Dieselbe Einteilung gibt J . Magne, Bibl 39 (1958), 191 f. (vgl. auch ζ. B. Kraus). Auch er erkennt eine Symmetrie zwischen dem ersten u n d dem zweiten Teil. Nach Magne wird v. 1 durch v. 5 beantwortet, v. 3 durch v. 4; n u r v. 2, dem Zentrum des ersten Teils, fehlt ,,son r e p o n d a n t " im zweiten Teil. F ü r Lund siehe § 26. — Manche Exegeten meinen in diesem Psalm Strophenbau nachweisen zu können. K r a f t teilt ein: v. l f. („an introducing triad"), v. 3 (,,a couplet"), v. 4-6 (,,a concluding triad"). Nach Kissane besteht der Psalm a u s drei Strophen von je drei Doppelstichen, v. lf.. 3.4-β. Auch Mowinckel, T h e Psalms in Israel's Worship, I I 171 f., spricht von drei Strophen von je drei Doppelstichen; bei seiner Einteilung (v. l f . . 3-4a. 4b-e) fallen die Strophen jedoch nicht genau mit denen von Kissane zusammen. Abgesehen davon, d a ß all diese Versuche mit Textänderungen verbunden sind, gilt, daß nicht m i t genügender Sicherheit festgestellt werden kann, wie dieser Psalm skandiert werden m u ß . — Condamin, Pannier-Renard u. a. gliedern den Psalm in zwei Teile, v. 1-3. 4-6. Man k a n n nicht sagen, daß diese Einteilung falsch sei; völlig befriedigend ist sie jedoch nicht, sie läßt formal und, da ν . 6 eine Zusammenfassung von v. 1-5 enthält, auch inhaltlich gesehen zu wünschen übrig. — Verwiesen sei noch auf Bullough, The question of metre in Psalm I, VT 17 (1967), 42 — 49 (45: „The hypothesis t h a t I w a n t to offer in their place is t h a t Psalm I is not in metre a t all, b u t is plain rhythmic prose"), vgl. auch Kosmala, VT 16 (1966), 177 f. 4

E s scheint mir völlig verfehlt, das erste oder zweite „Gesetz" — wie verschiedentlich getan wird — durch ein anderes W o r t zu ersetzen; siehe § 18a.

Psalm 1

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„the word .wicked' occurs as frequently as ,proven' und .sinners' together", was mir zu gesucht erscheint. Wohl kann gesagt werden, daß die Stelle des Worts „Gerechte" merkwürdig ist. Dieser Psalm enthält die Aufforderung, als ein Gerechter zu leben. Aber das Wort „gerecht" fällt erst am Schluß von v. 5, und auch hier noch steht es in negativem Kontext: die Sünder halten nicht stand in der Versammlung der Gerechten. V. 6 sagt in knappen, kräftigen Worten, worum es in diesem Psalm geht; v. 1-5, welche die Tragfläche des Ausspruchs von v. 6 bilden, streben auf das Wort „Gerechte" zu. Erst in v. 6 erscheint „Gerechte" in positivem Kontext. So erhält dieses Wort in v. 6 einen starken Akzent. Man beachte den Gebrauch des Gottesnamens Jahwe. Es wird in v. 2, der positiven Charakterisierung des Tuns des Gerechten, und in v. 6a gebraucht. Im Zusammenhang mit dem Gottlosen wird über Gott nicht gesprochen: der Gottlose kümmert sich nicht um Jahwe, und Jahwe kümmert sich nicht um den Gottlosen. Es ist gewiß von tiefer Bedeutung, daß der Gottesname zwar in v. 6a, nicht aber in v. 6b gebraucht wird. „Der Weg der Gottlosen verliert sich." Daß der Gottlose untergeht, liegt in der Natur der Sache: er ist wie Spreu (v. 4). Wir können beinahe (jedoch nur beinahe) sagen: zu seinem Untergang braucht Jahwe gar nicht einzugreifen5. Siehe auch zu Ps 12. Besondere Beachtung verdient v. 1. In diesem Vers finden wir eine merkwürdige negative Beschreibung des Gerechten. Dreimal (vgl. § 43) werden drei parallele Ausdrücke gebraucht: „Gottlosen, Sünder, Spötter", „wandeln, stehen, sitzen" (jeweils mit üb), „Überlegungen (n2fj>), Weg, Sitz"; so wird ein deutlich umrissenes Bild des Gottlosen entworfen und angedeutet, wie völlig anders der Gerechte ist. Es kann von einer Klimax gesprochen werden (vgl. König, 1900, 162): „stehen auf jemandes Weg" drückt eine engere Gemeinschaft aus als „wandeln in jemandes Überlegungen" (der Gedanke ist zur Tat geworden), „sitzen auf jemandes Sitz", „mit jemand auf demselben Stuhl sitzen" sagt mehr als „mit jemand auf demselben Weg stehen". Siehe auch die Alliteration (vgl. § 16a) und die Paronomasie („sitzen auf dem Sitz"; vgl. § 12b). Siehe auch zu Ps 2.

5 In K. Kochs Artikel, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament ?, ZThK 52 (1955), 1—42, ist ein wichtiges Wahrheitselement enthalten. Es würde zu weit führen, hierauf näher einzugehen.

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III. Spezieller Teil

Psalm 2 V. 1—314—617—9( 10—12

2— 3 — 2 [ 2—2—2|3 — 3—2|2—2—3 Vielleicht muß gesagt werden, daß der Psalm aus drei liturgischen Einheiten aufgebaut ist. In v. l-β spricht ein Diener des Heiligtums, in v. 7-9 der König, in v. 10-12 dieselbe Stimme wie in v. l-β. Man kann jedoch auch mit Gunkel, Kraus u. a. annehmen, daß in dem ganzen Psalm nur der König spricht. Vom Inhalt her gesehen ist zu dem Psalm folgendes zu bemerken: v. 1-6 zerfallen in zwei Abschnitte; v. 1-3 schildern den Aufstand, v. 4-6 die Reaktion des Herrn. V. 7-9 enthalten einen an den König gerichteten Gottesspruch, der vom König selbst wiedergegeben wird. Y. 10-12 schließlich bringen eine Ermahnung. Formal gesehen besteht der Psalm aus vier Dreizeilern, siehe § 45. Der Psalm hat einen klaren, logischen Aufbau. Jeder einzelne Teil stellt ein geschlossenes Ganzes dar. Zwischen v. 1-3 und v. 4-6 besteht ein scharfer Gegensatz. Der Ausdruck „die Könige der Erde, die Machthaber" (v. 2) ist ein Gegensatz zu „der in dem Himmel wohnt, Ό ΐ χ " (ν. 4), wie auch zu „meinen König" (v. 6). Daneben besteht ein Gegensatz zwischen „brummein, murmeln" (v. l) und „lachen, sprechen" (v. 4 f.)1. Ein besonderer Gegensatz besteht zwischen ν. l und v. 4, v. 2 und v. 5, v. 3 und v. 62. Der Übergang von v. 4-6 (bzw. v. 1-6) zu v. 7-9 ist fließend: v. 7-9 enthalten eine genauere Ausarbeitung von v. 6. V. 1-6 und v. 7-9 münden in v. 10-12, den Aufruf an die Könige, ihre eitlen Versuche aufzugeben; alles andere kann als die Vorbereitung dieser Aufforderung gelten. Vgl. im übrigen § 38.

1

V . l ruft die Vorstellung eines dumpfen Gemurmeis hervor. V. 4-6 werden den Eindruck erregen sollen, daß die Feinde auf ihrem Zug nach Zion von einem Gewitter überfallen werden, vgl. Ps 46 7 ISam 7 10 u. a. In dem ersten Grollen des Donners hört der Dichter das knurrende, spottende Lachen dessen, der vom Himmel aus all das törichte Treiben beobachtet. Danach erfolgt das Krachen der Donnerschläge, in dem der Dichter Gottes Stimme hört, die zu den vorrückenden Völkern spricht. * Wie aus dem Gesagten hervorgeht, besteht in formaler Hinsicht eine Verwandtschaft zwischen v. 1-3 und v. 4-6: beide Perikopen sind klimaktisch aufgebaut (siehe unten), beide schließen damit, daß die beschriebenen Personen sprechend auftreten.

Psalm 2

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Der Aufbau dieses Psalms wird zu einem großen Teil durch die Klimax bestimmt; diese Stilfigur eignet sich zweifellos vorzüglich für die Behandlung des Themas, dem der Dichter seinen Psalm gewidmet hat. In einigen Doppelstichen läßt sich mehr oder weniger deutlich klimaktischer Parallelismus erkennen, siehe v. i.2a.b.3.4.5.7b.o.8.n. Die vier Teile, aus denen der Psalm besteht, v. 1-3. 4-6. 7-9. 10-12, sind sämtlich klimaktisch aufgebaut. V. l spricht von dem brummelnden Gemurmel der Völker, v. 2 von den Königen, die sich zum Kampf aufstellen, in v. 3 erklingt die laute Aufforderung zum Aufstand. Ähnliches ließe sich zu v. 4-6. v. 7-9. v. 10-12 sagen. Bei jedem der vier Teile ist dessen gesamter Inhalt bereits im ersten Stichos, bzw. in einem der ersten Stichen, enthalten, siehe v. Ia.4a.7b.i0a. Es kann gesagt werden, daß der Psalm in v. 10-12 seinen Höhepunkt erreicht, siehe oben. Auch den Chiasmus finden wir vielfach in diesem Psalm. V. zeigen chiastischen Parallelismus. Mit Möller, Strophenbau, 1931, 40; Kraft, z. St., können wir sagen, daß der Psalm als Ganzes ebenfalls chiastisch aufgebaut ist; es besteht eine enge Verbindung zwischen v. 4-6 und v. 7-9 einerseits (vgl. besonders v. 6 und v. 7) und zwischen v. 1-3 und v. 10-12 andrerseits. Klimax und Chiasmus zusammen bewirken die große Lebendigkeit des Ganzen. l.2a.b.5.8.9.l0

Nicht unbeträchtlich erhöht wird die Lebendigkeit zunächst dadurch, daß der Dichter den Psalm mit einer Frage halb spottenden, halb zürnenden Erstaunens beginnt, wie auch dadurch, daß er die Könige der Erde und — zweimal — Gott selbst als Sprechende auftreten läßt, v. 3.6.7-9, siehe auch die Apostrophe in v. 10. Wie sich im Vorstehenden bereits zeigte, begegnet auch in diesem Psalm die Stilfigur der Wiederholung. wird dreimal gebraucht, v. 2.8.10, ebenfalls, v. 2.6.10; siehe bereits oben. Dadurch, daß v. 12 sowohl wie FjN gebraucht, erhält dieser Begriff einen starken Akzent, siehe auch v. 5. Bemerkenswert ist die Übereinstimmung der Wortwahl in Ps 1 und Ps 2. Die erste Zeile von Ps 1 und die letzte Zeile von Ps 2 beginnen mit „wie glücklich". Sowohl die letzte Zeile von Ps 1 wie die von Ps 2 gebrauchen „Weg" und „sich verlieren, zugrunde gehen"

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III. Spezieller Teil

(Π2Κ)· Der Gerechte „murmelt" das Gesetz, meln" eitle Dinge, 2^. Vgl. § 18b.

die Nationen „mur-

Psalm 3 V. 2f.||4f.|ef.||8a.b|8c.d|9 2—2||2—2|2-2||2|2|2

Dieser Psalm bietet ein gutes, um nicht zu sagen: ein Musterbeispiel für einen straffen, stereotypen Aufbau. V. 2 f. enthalten eine kurze, bittere Klage. V. 4-7 können als „Vertrauensäußerungen" bezeichnet werden. In v. 8a.b steht das eigentliche Gebet. In v. 8c.d sieht der Dichter die Erhörung bereits vor sich. V. 9 bildet den Schluß. Verschiedene Punkte müssen näher betrachtet werden (siehe schon § 38). In v. 2 f. stehen die Feinde im Vordergrund, in v. 4 f. Gott (siehe ΠΠΝ1), in v. 6 f. der Dichter (siehe 'JN)· Auch in anderer Hinsicht zerfallen v. 4-7 in zwei Abschnitte. V. 4 f. sind allgemeiner gehalten als v. 6 f.. In v. 4 f. bekennt der Dichter, daß Gott sein Schild ist und sich immer wieder als solcher erweist1; v. 6 f. sprechen aus, daß der Dichter dies auch in der soeben verstrichenen Nacht erfahren und daher keine Furcht hat. Erst in v. 8a.b steht die eigentliche Bitte. Alles Vorhergehende ist Vorbereitung dieser Bitte; sowohl v. 2 f. wie v. 4-7 fungieren als Beweggründe des göttlichen Einschreitens. Die Bitte ist besonders kurz: v. 8a.b sind neben v. 9a.b die kürzesten Verszeilen des ganzen Psalms2. Siehe im übrigen auch § 53c. 65. 3 Übrigens scheint mir diese Übereinstimmung in der Wortwahl nicht der einzige, selbst nicht der wichtigste Grund dessen zu sein, daß diese Psalmen aufeinanderfolgen; der wichtigste Grund ist vielmehr inhaltlicher Art, vgl. ζ. B. C. Th. Niemeyer, 1950, 93. 1 Das Imperfekt in v.5 deutet offenbar auf einen wiederholten Vorgang hin, siehe das folgende Imperfektum konsekutivum, vgl. Gesenius-Kautzsch, § 107g, 111t; vgl. auch Michel, Tempora usw., 1960, 26f. 160. 2 Der Imperat. Sing, des hi. von JJ *' kommt im AT 31mal vor (nach der Konkordanz von Mandelkern). In vier Fällen ist die Aufforderung an einen Menschen gerichtet. Sie ergeht in diesen Fällen an einen Führer, einen König, bzw. einen Richter. In zwei dieser vier Fälle steht die Aufforderimg in einem größeren Zusammenhang, Jos 10β II Reg 16,. In den beiden anderen Fällen fungiert sie als selbständiger, zusammenfassender Hilferuf, wobei noch zwei Möglichkeiten zu unterscheiden sind: die Aufforderung fungiert als Einleitung, die einer weiteren Ausgestaltung bedarf, II Sam 144, oder sie bittet um Hilfe in einer Not, die dem Angeredeten bekannt ist, II Reg 6 2e ; vor allem in dem letzten Fall trägt die Aufforderung den Charakter eines Schreis um Hilfe.

Psalm 3

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Für den Übergang zwischen v. 8a.b und v. 8c.d siehe § 36a. Mir scheint, daß wir es hier mit einer Nachwirkung des kultischen Rituals zu tun haben. In v. 9 wird ein priesterlicher Ton vernehmbar, siehe ferner § 36b. Man beachte die Verschiedenartigkeit der in den wenigen Zeilen von v. 8 f. anklingenden Töne. V. 2 f. und v. 4-7 bilden einen scharfen Gegensatz. Es besteht ein Gegensatz zwischen dem Handeln der Feinde und dem Handeln Jahwes, wie auch zwischen den Worten der Feinde und der Wirklichkeit. Der Gegensatz ist hier sehr unvermittelt, vgl. v. 3b mit v. 4a. V. 4-7 bilden eine Klimax; der Psalm als Ganzes kann als ein Crescendo betrachtet werden, das in v. 9 in ein Decrescendo absinkt; vgl. § 21. Für die Funktion der Stilfigur der Wiederholung in diesem Psalm vgl. § 11. Der Psalm besteht aus einem Zwei-, einem Vier- und einem Dreizeiler, siehe § 34. 37. Psalm 4 V . 2||3f.|5f.||7-9

2—2||2—2|2—2||2—2—2

Nach der Einleitung, v. 2, richtet sich der Dichter zunächst an die „Männer von Namen"1, v. 3-6, anschließend an Jahwe, v. 7-9. Dadurch, daß der erste Abschnitt von v. 3-6, nämlich v. 3 f., sich eng an v. 2 anschließt, der zweite Abschnitt, v. 5 f., an v. 7-9, wird die Gliederung des Psalms in drei Teile (v.2.3-6.7-9) von einer Gliederung in zwei Teile (v. 2-4.5-9) durchkreuzt; siehe im übrigen unten die Behandlung der Stilfigur der Wiederholung. Im Gegensatz zu Ps 3 und verschiedenen anderen „Klageliedern eines einzelnen" beginnt Ps 4 mit einem Gebet. Dieses Gebet hat den Dies ist von Bedeutung für die Auslegung der 27 Textstellen, in denen die Aufforderung an Jahwe gerichtet wird. Zunächst kann es dafür sprechen, daß ein Israelii Jahwe als Richter-König sah, wenn er diese Aufforderung an ihn richtete; vgl. auch J. Sawyer, What was a Mogia?, V T 15 (1965), 475 — 486. Sodann sahen wir, daß die Aufforderung als ein Hilferuf fungieren kann, siehe besonders I I Reg 6,e; es ist gut, sich dies bei Stellen wie Ps 38 (vgl. auch Jer 2J7) 2010 (vgl. auch 60, und 108,) vor Augen zu halten, siehe auch ζ. B. 7, 12, 54, 69,. 'Vgl. für diese Übersetzung Ps 49a 6210 (jedoch auch Thr 3 33), sowie den ägyptischen und akkadischen Sprachgebrauch (siehe ζ. B. Gunkel z. St.).

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III. Spezieller Teil

Charakter einer Einleitung: sein Inhalt ist allgemein, es schließt mit einer Bitte um Aufmerksamkeit. Ferner enthält nur v. 7b eine eigentliche Bitte; auch diese ist wenig konkret, indessen wird man ihr wohl eine zentrale Stellung im Ganzen des Psalms zuerkennen müssen. Bemerkenswert ist, daß, obgleich das Reden zu den Männern von Namen in diesem Psalm denselben Raum einnimmt wie das Reden zu Jahwe, während zudem die eigentliche Bitte kurz und wenig konkret ist, der Dichter den Psalm dennoch ausdrücklich als ein „Rufen zu Jahwe", y. 2.4, als „mein Gebet" (TI^Bfl), ν · 2> bezeichnet. Siehe ferner § 53 a. Für v. 3-6 siehe § 41. V. 7a kann als ein „Vorschlag" der Bitte von v. 7b betrachtet werden. In v. 8 f. legt der Dichter ein herrliches Zeugnis der Freude und Sicherheit ab, die Jahwe ihm inmitten von Not und Gefahren schenkt. Was die Stilfigur der Wiederholung betrifft, so kehren drei Wörter aus der ersten Verezeile, v. 2a.b, im folgenden wieder; zwei Wörter der letzten Verszeile kommen auch im vorhergehenden vor. Durch die Wiederholung von „rufen" (v. 2a) und „hören" (v. 2d) in v. 4b bringt der Dichter seine Erhörungsgewißheit nachdrücklich zum Ausdruck. Dann nur ist Gott für den Menschen der Gott „seiner Gerechtigkeit", v. 2, wenn die Opfer, die der Mensch darbringt, Opfer „der Gerechtigkeit" sind, v. 6. Sowohl v. 5 wie v. 9 gebrauchen den Stamm 331^; so wird der Gegensatz zwischen dem „Liegen" der Männer von Namen und dem „Liegen" des Dichters unterstrichen. Der Stamm Π123 kommt in v. 6 und in v. 9 vor: „erwarte von Jahwe Sicherheit", v. 6; dann wirst du „in Sicherheit" wohnen, v. 9. Wenn wir den Psalm in zwei Teile einteilen, siehe oben, so besteht zwischen Beginn und Ende des ersten Teils, v. 2-4, eine Korrespondenz (Inklusion, siehe § 15). Formal gesehen besteht Ps 4, wie auch Ps 3, aus einem Zwei- und einem Vierzeiler und einem abschließenden Dreizeiler, vgl. § 34. Psalm 5 V. 2-4||5|ef.|8||9|l0|u|l2|l3

2 - 3 — 2||2|2—2—2|2—2||3|2—2|2—2|2—2|2

V. 2-4 enthalten ein relativ langes einleitendes Gebet. V. 5-8 können als Beweggrund des göttlichen Einschreitens gelten: der Dichter weist darauf hin, daß er im Gegensatz zu den Gottlosen dank Gottes Gunst in Gottes Haus kommt. In v. 9-12 steht das eigentliche,

Paalm 6

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zentrale Gebet: der Dichter betet, Jahwe möge ihm helfen und die Anschläge der Feinde mißlingen lassen. V. 13 enthält den Ausdruck der Gewißheit der Erhörung. Verschiedenes muß näher herausgearbeitet werden. Ebenso wie beispielsweise Ps 4 beginnt Ps 5 mit einem Gebet, v. 2-4; dieses trägt hier jedoch in höherem Maße als in Ps 4 den Charakter eines einleitenden Gebets: der Dichter stellt sich Gott vor und bittet um Gehör. Zunächst bittet er sehr ausdrücklich um Gottes Aufmerksamkeit, v. 2.3a.bx. Dies begründet er in v. 3c: „denn zu dir bete ich"; diese Äußerung wird zunächst in v. 4 und anschließend in v. 5-82 noch näher herausgearbeitet, vgl. § 20 (sukzessive Gabelung). Wie bereits angedeutet wurde, enthalten v. 5-8 einen Beweggrund des göttlichen Einschreitens. Dieser Beweggrund aber hat einen eigentümlichen Charakter: eine Berufung auf Gottes Gerechtigkeit (wir können auch wohl sagen: eine Hymne auf Gottes Gerechtigkeit; allerdings fungiert diese Hymne als Beweggrund, vgl. § 61), eine Beteuerung der Gerechtigkeit des Dichters und eine Äußerung derErhörungsgewißheit sind hier ineinander verwoben 3 . In v. 5-7 wird Jahwes Haltung gegenüber den Gottlosen sechsmal beschrieben. Die Gottlosen werden zunächst mit vier allgemeinen v. 5 f., danach mit zwei konkreteren Ausdrücken, v. 7, bezeichnet. In der Darstellung der Haltung, die Jahwe ihnen gegenüber einnimmt, läßt sich eine Klimax erkennen. Zunächst wird dreimal eine negative Aussage gemacht: Jahwe hat kein Behagen an ihnen, v. 5a, duldet sie

1 Man beachte den kunstvollen Aufbau. V. 2 ist chiastisch aufgebaut. Wae die Zahl der betonten Wörter betrifft, so stimmt v. 3a mit v. 2a überein, weicht jedoch ab von 2b; was die Reihenfolge der Satzteile betrifft, so weicht v. 8a von v. 2a ab, stimmt jedoch überein mit v. 2b. V. 3b enthält nicht etwa eine weitere Bitte derselben Art, wie sie bereits dreimal vorgetragen wurde, sondern die Anrede; vgl. § 43a. 2 V. 2-t und v. 5-8 sind also sehr eng miteinander verbunden, vgl. vor allem v. 3c.4 mit v. 8; siehe auch unten. 3 ΝΏΝ in v. 8 muß m. E . nicht mit „ich darf kommen" (so ζ. B. Gunkel), „ich k a n n kommen" (so ζ. B. Miehel, 1960, 147), „ich werde kommen" (so ζ. B. Pannier-Renard) übersetzt werden, sondern mit „ich komme" (vgl. ζ. B. Kraus). Der Dichter sagt hier: es ist seine Lust ,in der Nähe des Heiligtums zu verweilen (vgl. P s 26 4 _ 8 ); er weiß, daß er zum Heiligtum kommen darf, daß er hier auf gesetzliche Weise verkehrt (vgl. P s 15 24 8 _„); er erblickt Gottes Führung darin, daß er ins Heiligtum kommen kann. Mit all dem steht er im Gegensatz zu den Gottlosen: sie verlangen nicht danach, ins Heiligtum zu kommen, sie dürfen nicht ins Heiligtum kommen, folglich ist es f ü r sie gefährlich, sich dort aufzuhalten: Gott wird sie aus seiner Nähe vertreiben (vgl. v. 5-7).

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III. Spezieller Teil

n i c h t i n s e i n e r N ä h e , v . 5b.6a.b; h i e r a u f f o l g e n d r e i p o s i t i v e A u s s a g e n , v . 6c.7: J a h w e h a ß t sie, v e r t i l g t sie, v e r a b s c h e u t sie (vielleicht k a n n „ v e r t i l g e n " e h e r als „ v e r a b s c h e u e n " a l s H ö h e p u n k t d e r K l i m a x gelten; übrigens ist ein k r a s s e r A u s d r u c k ; K ö h l e r g i b t f ü r d a s pi., d a s a u c h h i e r g e b r a u c h t w i r d , a n : „ a l s H l ' behandeln"; und " Π h a t e i n e s t a r k e B e d e u t u n g , vgl. D t n 32 1 β usw. 4 ). N a c h d e m d e r D i c h t e r sich J a h w e v o r g e s t e l l t u n d a u s f ü h r l i c h e i n e n B e w e g g r u n d dargelegt hat, b e g i n n t er d a s eigentliche, d a s zentrale G e b e t , v . 9-12. E r b i t t e t z u n ä c h s t f ü r sich s e l b s t , v . 9, b e s c h r e i b t s o d a n n d i e F e i n d e , v . 10, b i t t e t J a h w e , e r m ö g e sie s t r a f e n , v . 11, u n d s c h l i e ß t m i t d e r B i t t e f ü r alle, d i e d e n N a m e n J a h w e s h e b e n . E s i s t b e z e i c h n e n d , d a ß d e r D i c h t e r z u B e g i n n des e i g e n t l i c h e n Gebets — wennschon nicht ausschließlich — u m U n t e r w e i s u n g in d e n G e b o t e n J a h w e s b i t t e t , u m B e w a h r u n g vor Verirrung5; siehe a u c h z u P s 2 7 l l f . E r s t n a c h d e m er h i e r u m g e b e t e t h a t , w a g t er v o n s e i n e n F e i n d e n z u s p r e c h e n , v . 10 f..® W i e d a s G e b e t a l s G a n z e s , v . 9-12, i n v . 2-8 v o r b e r e i t e t w i r d , so f i n d e t d i e B i t t e v o n v . 11 e i n e g e s o n d e r t e V o r b e r e i t u n g i n v . 10, b z w . in v . 9 f . . I n v . 13 t r i t t die G e w i ß h e i t d e r E r h ö r u n g h e r v o r . D i e s g e s c h i e h t a u c h s c h o n i n v . 12. D a s gilt, w e n n m a n , w a s m i r a n g e b r a c h t s c h e i n t , v . 12 ü b e r s e t z t : „ M ö g e n sie sich f r e u e n . . . " . N a t ü r l i c h gilt es i n n o c h stärkerem Maße, wenn man die ebenfalls vertretbare Übersetzung w ä h l t : „Sie w e r d e n sich freuen . . E s besteht kein Grund zu der A n n a h m e , d a ß v o r v . 13, oder a u c h v o r v . 12, e i n e b e s t i m m t e Z e r e m o n i e s t a t t f a n d . W o h l a b e r k a n n v o n e i n e r N a c h w i r k u n g des k u l t i s c h e n R i t u a l s d i e R e d e sein, s i e h e § 3 6 a .

4 Vgl. P. Humbert, Le substantif tö'ebä et le verbe t'b dans l'Ancien Testament, ZAW 72 (1960), 2 1 7 - 2 3 7 , speziell 219.234. 6 I n v. 9 betet der Dichter sowohl „gib, daß ich ohne Straucheln deine Gebote erfüllen darf", wie „bewahre mich vor Unheil und Leid"; „dein Weg" nämlich ist der Weg von Gottes Satzungen, auf dem seine Gunst und Beschirmung erfahren wird. β F ü r eine ähnliche Verbindung, jedoch in umgekehrter Reihenfolge, vgl. Ps 139, 9 _ 24 . 7 Jedenfalls sind v. 9-]2 und v. 13 eng miteinander verbunden. Wir sahen bereits den engen Zusammenhang zwischen v. 2-4 und v. 5-8. Es kann somit gesagt werden, daß der Psalm in zwei Teile zerfällt, v. 2-8. 9-13. Wenn die oben gegebene Abgrenzung der Stichen richtig ist, zählt der erste Teil 19, der zweite Teil 17 Stichen. Häufig werden Textänderungen vorgenommen (vgl. ζ. B. Gunkel, Kraus), so daß sich zwei Teile von je 20 Stichen ergeben. Siehe ferner § 46.

Psalm 5

129

Was die Funktion der Stilfigur der Wiederholung betrifft, so bildet „durch die Größe deiner Gunst" (v. 8) einen deutlichen Gegensatz zu „wegen der Größe ihrer Übertretungen" (v. Ii); siehe das zweifache ,,des Morgens" in y. 4; für das Wortspiel in v. 10 siehe § 16a. Psalm 6 V.

2f.|4f.||e.7a|7b.c.8|||9-n

2 —2|2—2||2—1|2—2|||2 —2 —2 V. 2-8 enthalten Bitte und Klage. I n v. 9-11 jubelt der Dichter über die Erhörung seines Gebets. Dies ist eines der eindrucksvollsten Beispiele für den plötzlichen Übergang von Klage zu Jubel. Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß hier zwischen v. 8 und v. 9 tatsächlich eine bestimmte kultische Handlung stattfand. Siehe § 36a. Ein großer Unterschied besteht zwischen den zwei Teilen dieses Psalms, nicht nur deswegen, weil der erste Teil Bitte und Klage, der zweite Jubel enthält, sondern auch dadurch, daß die Feinde im zweiten Teil einen großen Raum einnehmen, während sie im ersten Teil nur einmal genannt werden. Dabei ist jedoch wohl zu beachten, wo der erste Teil über die Feinde spricht: er schließt damit, daß er von „meine Bedränger" spricht. Auf diese Weise wird, von dem Gesichtspunkt her gesehen, der uns nun beschäftigt, das Plötzliche des Übergangs gemildert; vgl. § 39. Der Umstand, daß das letzte Wort von v. 2-8 die Feinde nennt, die in v. 9-11 im Mittelpunkt stehen, spricht entschieden gegen die Auffassung, daß der Psalm ursprünglich keine Einheit gewesen sei. Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Ausdruck „um deiner Gunst willen" (v. 5) v. 2-5 in derselben Weise mit v. 6-8 (siehe unten) verbindet wie „durch all meine Bedränger" (v. 8) v. 6-8 (bzw. v . 2-8) mit V. 9 - 1 1 . Die Stelle des Gebets ist in Ps 6 ganz anders als in den vorhergehenden Psalmen. Hier fällt der Dichter gleichsam mit der Tür ins Haus. Gleich im ersten Teil seines Psalms steht die eine Bitte nach der anderen. Siehe ferner unten. I n v. 2-8 gehören — wie so oft (siehe § 42) — je zwei Doppelstichen zusammen, nämlich v. 2 und v. 3, v. 4 und v. 5, v. 6 und v. 7a (siehe auch unten), v. 7b.c und v. 8. Ferner zerfallen v. 2-8 in zwei Teile. V. 2-5 enthalten hauptsächlich Gebete. Gleich mit den ersten Worten sagt der Dichter, was in seiner Not das Schlimmste ist, daß nämlich Gottes „Zorn, Grimm" auf ihm

130

III. Spezieller Teil

ruht. Die Gebete werden durch einige Klagen unterstützt, v. s&ß.bßA. In ihnen breitet der Dichter seinen elenden Zustand vor Gott aus, er nennt ihn als einen Beweggrund des göttlichen Einschreitens. Als einen weiteren Beweggrund benützt er Gottes Tugenden, siehe vor allem v. 5b, auch v. 3a: hier beruft der Dichter sich auf Gottes „Gnade". Der Aufbau von v. 2-5 verdient unsere Aufmerksamkeit. Diese Verse sind sehr regelmäßig gebaut, siehe z.B. den Parallelismus in v. 2 und v. 3. Sie zeigen daneben eine reiche Abwechslung; man beachte etwa die Stelle der Klagen: v. 2 f. enthalten Klagen in v. Saß.bß, v. 4 f. in v. 4. Bei v. 2 f. kann von einer Klimax gesprochen werden: in v. 2 stehen zwei negative, in v. 3 zwei positive Bitten; v. 3b spricht konkreter als v. 3a. V. 6-8 bestehen aus Klagen. In diesem Abschnitt hat ν. β eine gesonderte Stellung. V. 2-5 schließen mit der Bitte „befreie mich um deiner Gunst willen", das heißt „durch deine Gunst veranlaßt" und auch „auf daß deine Gunst gepriesen werde". Anschließend wird in v. 6 gesagt: wenn Jahwe den Dichter von seinem Elend befreit, wird er zum Heiligtum gehen, um ein Loblied auf Jahwes Gunst zu singen; rettet Jahwe ihn nicht, so singt der Dichter ihm kein Loblied. So fällt der Ton von v. 6 sicherlich nicht aus dem Rahmen des Ganzen. Würden wir es bei diesen Bemerkungen bewenden lassen, so würde jedoch gelten: V. 7 f. enthalten Klagen, während v. 6 kaum als eine Klage bezeichnet werden kann. Der Überlegung wert ist indessen auch der Gedanke, daß der Dichter sich für sein Empfinden bereits in der Scheol befindet, vgl. Ps 9 1 4 18 s f

ief

22 1β 30 4 116 3

usw. Wenn dieser Gedanke richtig ist, kann auch v. 6 als eine Klage gelten. Der Dichter jammert. Statt dem eigentlichen Gebet, wie dies des öfteren geschieht (siehe § 61), eine Lobpreisung voranzustellen, erhebt er gleich zu Anfang sein Flehen und Klagen. Und nun sagt er in v. 6: Wie könnte ein Mensch, der sich wie ich in den Krallen des Todes befindet, sich anders verhalten? „Denn nicht im Tode wirst du angerufen1; wer lobt dich in der Unterwelt?" So betrachtet bilden 1

Dieser Übersetzung liegt die Auffassung zugrunde, daß zekmr hier nicht „denken an", sondern „nennen, anrufen" bedeutet; siehe den Gebrauch dieses und verwandter Wörter ζ. B. in E x 20 24 23 13 Jos 23, Jes 26 1 3 Ps 38 1 71 l e E x 3LT HOS 12, Ps 30 5 ; vgl. Köhler (anders Gesenius-Buhl). Im übrigen genüge hier die Verweisung auf B. S. Childs, Memory and Tradition in Israel, 1962; P. Α. H. de Boer, Gedenken und Gedächtnis in der Welt des Alten Testaments, 1962; W. Schottroff, „Gedenken" im alten Orient und im Alten Testament. Die Wurzel Zäkar im semitischen Sprachkreis, 1964.

Psalm β

131

v. 6 und v. 7a, bzw. ν. β und v. 7 f., eine geschlossene Einheit: kein frohes Loblied, sondern Seufzen, Schreien und ein verdüstertes Auge. Ebenso wie v. 6 und v. 7a inhaltlich eine Einheit darstellen (nicht loben, sondern seufzen), gehören auch v. 7b.c.8 inhaltlich zusammen (hier ist von Tränen und einem verdüsterten Auge die Rede). Wir finden in diesem Psalm deutliche Beispiele für den Stufenrhythmus, siehe „erschrocken sein" in v. 3 f., „Seele" in v. 4 f., „hören" in v. 9 f., „beschämt werden" in v. n (zweimal; man beachte auch die Assonanz in v. b). Der Stil der Wiederholung hat in diesem Psalm noch eine andere Funktion. Zunächst ist das „Erschrecken" bei dem Dichter, v. 3 f., später bei den Feinden, v. ll (man beachte vor allem „sehr erschrocken" in v. 4 und v. ll). Wenn Jahwe „zurückkehrt", v. 5, „kehren" die Feinde „zurück", v. ll. Siehe noch pn in v. 3 und v. 10: die Berufung auf die „Gnade" wird erhört. Der Dichter befindet sich in großer Not; davon zeugt sein Psalm. Nichtsdestoweniger ist der Aufbau des Psalms wohldurchdacht. Im vorstehenden wurde dies bereits sichtbar. Es lohnte die Mühe, den Parallelismus membrorum genauer zu betrachten. Er ist in diesem Psalm weit durchgeführt. Dennoch finden wir hier auch reiche Abwechslung. Hingewiesen sei nur auf v. 7a; es ist dies der einzige Stichos, der keinen parallelen Stichos hat: der Dichter ist gleichsam zu müde, um fortzufahren; vgl. § 7. Der Psalm ist aus zwei Vier- und einem Dreizeiler aufgebaut, vgl. § 34. Beide Vierzeiler bestehen aus zwei Zweizeilern. „Erschrocken" verbindet v. 2 f. mit v. 4 f., „um deiner Gunst willen" verbindet v. 2-5 mit v. 6-8; der Ausdruck „mein Seufzen", mit dem v. 6.7a enden, wird in v. 7b.c.8 herausgearbeitet, das letzte Wort von v. 8 („all meine Bedränger") bildet den Übergang von v. 2-8 zu v. 9-11. Psalm 7 V. 2 f. I |4-β| |7-9a|8b.c.l0| ]ll f. |1S f. |1&-17| |18

2—2||2—2—3||2—2—2—1|2—2—2||2—2|2—2|3—2-2||2

Es erscheint angebracht, ehe wir zu den Betrachtungen schreiten, lim welche es in diesem Buch vor allem geht, einige allgemeine Bemerkungen über den Charakter dieses Psalms zu machen. Mir scheint, daß wir hier am besten von der Überschrift ausgehen können. Es gibt keine zwingenden Argumente, die die davidische Herkunft dieses Psalms ausschließen. Kusch, der uns nicht von anderen Stellen her bekannt ist, dürfte ein Anhänger Sauls gewesen sein (siehe „der Benjaminit"), ein Gefolgsmann, ein Höfling Sauls, der — ebenso

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I I I . Spezieller Teil

wie Doeg (vgl. I S a m 22 β und die Siphiter (I S a m 23 1 9 £ 26,) — Saul gegen D a v i d a u f h e t z t e , i n d e m er ihn verleumdete 1 . D a v i d h a t v o n Kusche verleumderischen Beschuldigungen e r f a h r e n . E r sieht n u n gleichsam eine R a t s v e r s a m m l u n g Sauls vor sich (wie diese in I S a m 22, so lebendig beschrieben wird): David selbst h a t t e ja einer solchen R a t s v e r a a m m l u n g o f t genug beigewohnt. K u s c h verleumdet David, wiegelt Saul gegen i h n auf. D a r a u f h i n legt D a v i d bei J a h w e B e r u f u n g ein. Saul ist von all seinen K n e c h t e n umgeben ( I S a m 22 6 ); als J a h w e jedoch zu Gericht sitzt, u m g i b t ihn „die Versammlung der N a t i o n e n " , v. 8. Vor diesem himmlischen Gerichtshof schwört D a v i d einen Reinigungseid, v. 4-6. Von Saul k a n n D a v i d sein R e c h t n i c h t erwarten, G o t t aber, so wird in diesem P s a l m i m m e r wieder m i t g r o ß e m N a c h d r u c k b e t e u e r t , ist ein gerechter R i c h t e r .

V. 2 f. enthalten eine einleitende Bitte um Befreiung von den Feinden. In v. 4-6 beteuert der Dichter seine Unschuld, er legt einen Reinigungseid ab. In v. 7-io wird die Bitte um Befreiung ausführlicher dargelegt (man kann diese Perikope in zwei Abschnitte, v. 7-9a und v. 9b.c.l0, einteilen, siehe unten). V. 11-17 sprechen von der Erhörungsgewißheit (diese Perikope kann folgendermaßen gegliedert werden: v. Ii f. 13 f. 15-17, siehe unten). Zum Schluß tut der Dichter das Gelübde eines Danklieds, v. 18. Wie sich herausstellen wird, besteht eine enge Verbindung zwischen v. 2 f. 4-6.7-10 einerseits und v. 11-17.18 andererseits. Wir können den Psalm folglich auch in zwei Teile einteilen, v. 2-10.11-18; vgl. § 46. In diesem Zusammenhang ist noch zu bemerken, daß in v. 2-10 — mit der alleinigen Ausnahme von v. 9a — stets zu Jahwe gesprochen wird, während v. 11-18 Uber Jahwe sprechen2. 1

Vgl. m e i n B u c h „ D e ,werkers der ongerechtigheid' in de individueele Psalmen. E e n beoordeeling v a n Mowinckels o p v a t t i n g " , 1939, 315—317. 2 A u c h Kissane weist darauf hin, daß G o t t i m ersten Teil dieses P s a l m s angeredet wird, w ä h r e n d der zweite Teil über G o t t spricht. E r läßt den zweiten Teil jedoch m i t v. 10c beginnen, was sich d u r c h sein Streben erklärt, auch diesen P s a l m in Teile von gleicher L ä n g e einzuteilen. — C o n d a m i n n i m m t u n t e r B e r u f u n g auf J . H o n t h e i m folgende Einteilung vor (siehe auch P s a l t e r i u m P i a n u m ) : I v. 2 f., I I v. 4-6, I l i a v. 7-9a, I H b v. 9b-l0, I v. 11-14, I I v. 15-18. Die vier ersten P e r i k o p e n zählen bei d e m von C o n d a m i n a n g e n o m m e n e n T e x t je drei Doppelstichen, die f ü n f t e 1 + 3 u n d die sechste 3 + 1 Doppelstichen. Dies ist vielleicht eine von Condamins gelungensten Einteilungen, der eine gewisse A n z i e h u n g s k r a f t nicht abgesprochen w e r d e n k a n n . Dennoch m u ß sie m . E . abgewiesen werden. E s ist k a u m a n z u n e h m e n , d a ß die hebräischen Dichter ihre Gedichte in dieser Weise a u f b a u t e n . U m zu derartigen Einteilungen zu gelangen, n i m m t Condamin des ö f t e r e n sehr willkürliche Eingriffe in den T e x t vor. Selbst seine Einteilung von P s 7 ist n i c h t ohne Willkür. So b r i n g t er erstens in v. 1-10 einige u n h a l t b a r e T e x t ä n d e r u n g e n a n ; er stellt v. 5b m i t geänderter Vokalisation a n das E n d e v o n v. 2. Zweitens liegt es v o n der Bedeut u n g her gesehen viel näher, in v. 11-14 2 + 2 Doppelstichen zu erblicken als

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Psalm 7

Der Ort der Bitte ist hier wiederum anders als in den vorhergehenden Psalmen. Ebenso wie ζ. B. Ps 5 und Ps 6 beginnt Ps 7 mit einer Bitte. Ps 5 2 _ 4 tragen deutlich den Charakter einer Einleitung; sie enthalten eine Bitte um Gehör; die „eigentliche" Bitte erscheint erst in v. 9-12. In Ps 6 wird gleich zu Beginn die eine Bitte nach der anderen vorgebracht; nur der Anfang dieses Psalms, v. 2-5, enthält Gebete. Die Bitte, mit der Ps 7 beginnt (siehe übrigens unten zu v. 2a), kann nicht als eine Bitte um Aufmerksamkeit gekennzeichnet werden: der Dichter sagt sofort, was er von Jahwe begehrt. Ehe er dies jedoch im einzelnen darlegt, beteuert er seine Unschuld. Die ausführlichere Bitte erscheint erst in v. 7-10; sie wird von dem vorhergehenden Reinigungseid getragen. Wir können sogar sagen, daß die zentrale Bitte erst in v. 9b.c.l0 steht, und daß sie außer in v. 4-6 auch in v. 7-9a vorbereitet wird; siehe auch unten. Der Psalm beginnt mit der Versicherung: „Jahwe, mein Gott, bei dir berge ich mich". Es ist sehr gut möglich, daß diese Anfangsworte, die wir in mehreren Gebeten finden (siehe Ps l l x löi 312 572 71x 1442), zumindest ursprünglich ein Bestandteil eines Gebets bei dem Heiligtum waren; der Dichter meldet sich mit ihnen bei Gott: Ich bin zum Heiligtum gekommen, bei dir habe ich mich geborgen (diese Übersetzung ist auch möglich), höre darum mein Gebet. Man bedenke, daß es in diesem Psalm um einen Rechtshandel geht (siehe oben); von altera her begab man sich in Israel mit einer Rechtssache häufig zum Heiligtum, um Gottes Entscheidung zu erbitten, vgl. Ex 22 7f (8f.) D t n 17 8ff. 1 R e g 831ff. u · a · V. 2b.3 enthalten die erste Bitte um Hilfe. Für das Anfangswort siehe zu Ps 3 8 . Für die Funktion von v. 4-6 siehe bereits oben. Der Dichter leistet hier einen förmlichen Eid, vgl· Ex 22 9 f ( 1 0 f ) u. a., und zwar einen assertorischen, versichernden Eid in der Form einer hypothetischen Selbstverfluchung (wobei jedoch nicht, wie in Ruth 1 17 I Sam 20 13 usw., Jahwe ausdrücklich als Vollstrecker der Verwünschung genannt wird; für eine andere Form dieses Eides vgl. Jdc 8 19 usw.); siehe noch Ps 137s f Hi 313. Der Dichter tritt mit seiner Beteuerung sehr aus1 + 3 Doppelstichen, während es die Frage ist, ob v. 15 ein Doppelstichos ist. Übrigens l&ßt sich nicht leugnen, daß Condamine Einteilung ungeachtet des prinzipiellen Auffassungsunterschieds in den Details weitgehend mit der von mir akzeptierten Einteilung übereinstimmt. 3 Vgl. F. Horst, Der Eid im Alten Testament, in: Gottes Recht. Studien zum Recht im Alten Testament, 1961, 292—314. RIdderboe, Psalmen

10

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III. Spezieller Teil

drücklich vor Gottes Angesicht: die nachdrückliche Anrede von v. 2 wird wiederholt. V. 4 f. stellen eine deutliche Klimax dar: v. 4a spricht völlig unbestimmt, v. 4b ist recht allgemein gehalten und in v. 5 äußert sich der Dichter konkret. In v. 5 kann der Dichter seinen Verleumder meinen; er selbst hat ihm nichts Böses getan, als sie in Frieden miteinander lebten, tut ihm auch jetzt nichts Böses, da er sich von ihm grundlos bedrängt sieht4. Auch die in v. 6 gebrauchten Ausdrücke bilden eine Klimax. V. 7-10 können wir als das Kernstück des Psalms bezeichnen. Diese Verse geben eine Ausarbeitung des Gebets von v. 2 f. Außer Gebeten enthalten sie eine Art Lobpreisungen, v. 7d.l0c, die hier die Funktion von Beweggründen des göttlichen Einschreitens und von Äußerungen der Erhörungsgewißheit haben. V. 7-9a stellen den Exegeten vor Probleme. Mir scheint es angebracht, den MT beizubehalten. Der Dichter fordert Jahwe auf, einzugreifen; dabei schildert er Jahwe als den Weltenrichter; er bekundet damit, daß es nicht um eine Privatangelegenheit geht, siehe oben, und verleiht seiner Bitte um Recht großes Gewicht: „Sollte der Richter der ganzen Erde nicht gerecht richten?" (Gen 1825). In v. 7 bittet der Dichter, Jahwe (der hier, wie dies in den Psalmen sehr häufig der Fall ist, als König-Richter-Krieger gesehen wird) möge aufstehen und ihn seinen Feinden entreißen, die ihm auf den Fersen sind. Dies möge für die Völker ein Zeichen sein, sich zu versammeln, v. 8a. Nach der Rettung des Dichters aus der Hand der Feinde möge Jahwe auf seinen Thron zurückkehren, um von dort aus Recht zu sprechen, v. 8b5. V. 9a stellt fest, daß Jahwe diesen Aufforderungen nachgekommen ist. Er schickt sich an, Recht zu sprechen; dies also ist der Moment, in dem der Dichter bitten muß, daß Jahwe ihm sein Recht werden lasse, v. 9b.c.io. Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, enthalten v. 9b.e.l0 das zentrale Gebet. Nachdem der Dichter den Reinigungseid geleistet und an Jahwe als den Weltenrichter appelliert hat, kann er die Bitte aussprechen, um die es geht: „Richte mich nach meiner Gerechtigkeit". Mit diesem Anfang korrespondiert der Schluß: die bedeutungsvolle Anrede „gerechter Gott" (v. lOd) beschließt die zentrale Bitte, das eigentliche Gebet (Inklusion, vgl. § 15). 4 Diese Umschreibung geht von folgender Übersetzung aus: „Wenn ich Böses getan habe dem, der in Frieden mit mir lebte, und ausgeraubt habe den, der mich grundlos bedrängt"; in demselben Sinn übersetzt u. a. Kraus. 6 Sehr viele lesen statt „kehre zurück" „laß dich nieder", m. E. ohne ausreichenden Grund, siehe oben; vgl. ζ. B. auch Schwab, 1955, 74.

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Psalm 7

I n ν. 11-17 werden die Ausdrücke des Vertrauens, der Erhörungsgewißheit, die in den vorhergehenden Versen vorkamen, siehe zu v. 7-10, genauer bestimmt. V. 11 f. enthalten eine Art Lobpreisungen, siehe zu v. 7-10; wie in v. 7-9a wird auch hier über Gott zunächst als Krieger, dann als Richter gesprochen. Übersetzt man v. I3f. mit: „Wenn er, der Gottlose, sich nicht umkehrt, so wetzt er, Jahwe, sein Schwert. . ." e , so schildern diese Verse die Erhörung des Gebets von v. 7. In v. 15-17 wird auf dreierlei Weise der Gedanke ausgedrückt, daß das Böse seinen Urheber treffe. Die Sprache dieser Verse ist bildhaft und nicht ohne Humor. V. 15 sagt, daß das Böse gleichsam einer unausweichlichen Notwendigkeit gehorchend seinen Weg zurücklegt. V. 16 schildert anschaulich, wie der Gottlose durch seine eigene Arglist zu Fall kommt. Bei v. 17 denke man an einen Mann, dem ζ. B. ein Stein, den er nach einem anderen wirft, auf seinen eigenen Kopf fällt. In v. 18 t u t der Dichter das Gelübde eines Danklieds. Der Übergang vollzieht sich hier sehr allmählich: bereits in v. 11-17 hat der Dichter seine Erhörungsgewißheit auf mancherlei Weise zum Ausdruck gebracht. Daß das Wort „Gerechtigkeit" hier wiederkehrt, vgl. v. 9-12, ist ein weiterer Hinweis auf die zentrale Bedeutung dieses Wortes in diesem Psalm: alles, was in v. 13-17 beschrieben wird, ist ein Ausdruck der Gerechtigkeit Jahwes. Der Psalm verwendet fünfmal von dem Stamm p12f abgeleitete Wörter, v. 9.10 (zweimal). 12.18, dreimal ßB^Ö oder eine Ableitung von diesem Stamm, v. 7.9.12; siehe auch J'T in v. 9. Wir können diese Wörter, die in der Mitte, v. 7-12, und im Schluß, v. 18, vorkommen, als die „Schlüsselwörter" dieses Psalms bezeichnen; siehe auch zu v. 9b.c.10 und zu v. 18. Ferner ist hinzuweisen auf „losreißen" in v. 2 und v. 3 (Stufenrhythmus). Für den Gebrauch der Gottesnamen in diesem Psalm siehe § 16b.

β

Vgl. ζ. B. die Besprechung dieser Stelle bei Fannier-Kenard (die übrigene zu einer anderen Folgerung gelangen). 10*

136

I I I . spezieller Teil

Psalm 8 V.2.8a|3b.c.4||5f.|7-»|l0 3—2 [ 2—2||2—2|2—2—2|3

Ps 8 stellt uns vor manche exegetischen Schwierigkeiten1. Es ist nicht möglich, Betrachtungen über den Aufbau dieses Psalms anzustellen, ohne in diesen Fragen einen bestimmten Standpunkt bezogen zu haben. Aus diesem Grunde gebe ich zunächst eine Übersetzung des Psalms. 1

F ü r den Chorleiter; mit Begleitung des gattitischenMusikinstruments^); ein Psalm; von David. I a 2 Jahwe, unser Herr, wie majestätisch ist dein N a m e auf der ganzen Erde, Du, von dem besungen wird 2 der Glanz über dem Himmel 3 durch den Mund von Kindern u n d Säuglingen, b D u h a s t eine Festung gegründet u m deiner Widersacher willen, u m Feind u n d Rachsüchtigen machtlos zu machen. * Sehe ich doch deinen Himmel, das Werk deiner Finger, den Mond u n d die Sterne, die du befestigt hast. 6

II a

Wae ist der Mensch, daß d u an ihn denkst, und das Menschenkind, daß d u nach ihm schaust 6 und daß d u ihn beinahe göttlich sein l ä ß t und m i t Herrlichkeit und R u h m ihn krönst ? b 7 D u l ä ß t ihn herrschen über das Werk deiner H ä n d e ; alles h a s t d u gelegt unter seine F ü ß e : 8 Kleinvieh u n d Rinder, allzumal, u n d auch das Getier des Feldes, • die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was hinzieht auf den Pfaden der Meere. c 10 Jahwe, unser Herr, wie majestätisch ist dein N a m e auf der ganzen Erde.

1

Über P s 8 wurde verhältnismäßig viel geschrieben. W a s die K o m m e n t a r e betrifft, so sei hier namentlich auf diejenigen von Duhm, Eerdmans, Podechard u n d J . Ridderbos verwiesen; siehe ferner besonders folgende Artikel: P. Α. H . de Boer, J a h u ' s ordination of heaven a n d earth. A n essay on psalm VTII, OTS 2 (1943), 171 — 193; J . J . Koopmans, Psalm 8, N T h T 3 (1948), 1 — 10; Th. C. Vriezen, Psalm 8 J e n „ NThT 3 (1948), 11—15; J . L. Koole, Bijbelstudie over Psalm 8, GThT 66 (1966), 1—8, H . Graf Reventlow, Der Psalm 8, Poetica 1 (1967), 304—332 (Reventlow verwendet bei P s 8 die Methoden der modernen Stilforschung; trotz wertvoller Bemerkungen ist seine Auffassung des Psalms als Ganzem m . E . schwerlich akzeptabel). 1 Vokalisation: toenna; so Kissane und mehrere andere.

Psalm 8

137

Hier mögen einige Bemerkungen zu v. 3b.c.4 angeschlossen werden. Wie deutlich sein dürfte, ist nach der Exegese, die dieser Übersetzung zugrunde liegt, mit der in v. 3 genannten „Festung, Burg" der Himmel, das Firmament gemeint. Am Abend, in der Nacht hat der Dichter das glänzende Firmament betrachtet. Dabei war ihm, als sei der Himmel eine Burg, die Gott gebaut hat; in dieser Burg thronend, spottet Gott aller dunklen, feindlichen Mächte, vgl. Ps 24 usw. Auf der Erde herrscht die Finsternis (die im AT häufig als unheilbringende Macht fungiert); aber der Himmelskönig thront unantastbar in seinem leuchtenden Palast. Wir wenden uns nunmehr dem Psalm als Ganzem zu. Dieser Psalm ist ein Loblied auf die Herrlichkeit Jahwes in der Schöpfung, insonderheit jene Herrlichkeit, die in der beherrschenden Stellung, die Gott dem Menschen gibt, offenbar wird. Auffallend ist die enge Verwandtschaft dieses Psalms mit Gen 1. Nahezu alle Schöpfungen, die Gen 1 nennt, werden auch hier aufgezählt. Auch dieser Psalm spricht von dem Himmel3, der Erde, dem Meer, den Himmelskörpern, den Vögeln, den Fischen, den Landtieren und dem Menschen. Hier aber wird nicht all diesen Dingen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ps 8 konzentriert die Aufmerksamkeit auf zwei Werke Gottes, auf den Himmel und auf den Menschen. Dieser Psalm weist besonders darauf hin, daß Gottes Herrlichkeit in der Existenz des Himmels und in der Stellung des Menschen zutage tritt. Die anderen Werke von Gottes Hand werden jedoch wohl genannt; es wird auch ausdrücklich gesagt, daß Gott sie geschaffen hat, siehe v. 4 und v. 7. Sie werden um den Himmel und den Menschen gruppiert. Wir können folglich sagen, daß dieser Psalm, obschon er insonderheit über den Himmel und den Menschen spricht, Gottes Herrlichkeit in der gesamten Schöpfung besingt: allen Dingen hat Gott ihren Platz gegeben; die Schöpfung ist ein wohlgeordnetes Ganzes. Wie gesagt, richtet dieser Psalm das Augenmerk vor allem auf den Himmel und den Menschen. Dabei stehen Himmel und Mensch jedoch nicht auf derselben Linie. Dieser Psalm will Gott ganz beson-

s W e n n die oben skizzierte Auffassung von v. 3b.c.4 richtig ist, wird dem Himmel, dem Firmament in Ps 8 auch eine ähnliche Funktion wie in Gen 1 verliehen.

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I I I . Spezieller Teil

ders um seiner wunderbaren, souveränen, weisen 4 , huldreichen Fügung willen rühmen, k r a f t deren der nichtige, vergängliche Mensch in dem großartigen Ganzen der Schöpfung eine so beherrschende Stellung einnimmt 5 . U m nun das Wunderbare dieser Fügung deutlich hervortreten zu lassen, betont der Dichter die Nichtigkeit und Vergänglichkeit des Menschen, indem er zunächst über das riesige, beständige Himmelsgewölbe spricht, wie er es in nächtlichen Stunden betracht e t hat. Nach der hier skizzierten Auffassung zerfällt der Psalm in zwei Teile, v. 2-i. 5-10, deren jeder mit ΓΙΰ beginnt®. Man könnte dieses Wort (siehe außer v.2.5 auch v. 10) als das Schlüsselwort dieses Psalms bezeichnen: es ist dies ein Psalm der Verwunderung. Gott ist „wunderbar von R a t , groß von Einsicht", Jes 28 29 . Ins volle Licht wird gestellt, wie wunderbar es ist, daß der nichtige Mensch über die Werke Gottes herrscht. Aber das ist nicht das einzige. Der Dichter ist verwundert, daß die rachgierigen Feinde Gottes zur Ohnmacht verurteilt sind, daß der Mensch, der doch aus Erde, aus Ackerland 7 geschaffen wurde und damit so eng verbunden bleibt, über die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres herrscht. U n d hiermit wird auch zusammenhängen, daß er von „Kindern und Säuglingen" spricht, v. 3. Dieser Dichter h a t einen Sinn f ü r Gegensätze, Kontraste. Daher beeindruckt ihn auch jener Gegensatz, der darin liegt, daß das Lob des unbegreiflich großen Gottes von Kindern gesungen wird. V. 2—4 besingen die Herrlichkeit Gottes, wie diese im Nachthimmel offenbar wird. V. 5-9 singen davon, daß Gott in seiner unbegreiflichen Huld den nichtigen Menschen über die Werke seiner H a n d herrschen läßt. Der Ausruf, mit dem der Psalm beginnt, wird am Schluß wiederholt; siehe auch unten. Nach der von mir vorgeschlagenen Exegese wird in v. 5-9 ausgesagt, worum es dem Dichter im Grunde zu t u n ist. I n v. 5-9 liegt folglich der Höhepunkt dieses Psalms. 4 D a d u r c h n ä m l i c h , d a ß d e r M e n s c h diese z e n t r a l e S t e l l u n g e i n n i m m t , i s t die g e s a m t e S c h ö p f u n g ein w o h l g e o r d n e t e s G a n z e s . 5 A u c h h i e r l ä ß t s i c h eine g r o ß e V e r w a n d t s c h a f t m i t G e n 1 e r k e n n e n . I n g e w i s s e m S i n n e k a n n n ä m l i c h g e s a g t w e r d e n , d a ß in G e n 1 d i e S c h ö p f u n g a l l e s a n d e r e n d i e V o r b e r e i t u n g d e r S c h ö p f u n g d e s M e n s c h e n ist. β Μ. E . s p r i c h t dies f ü r die R i c h t i g k e i t dieser A u f f a s s u n g . 7 M a n b e a c h t e d a s bcen-'adam in v. 5. A b g e s e h e n v o n d e r E t y m o l o g i e v o n 'adam ist d o c h w o h l a n z u n e h m e n , d a ß dieses W o r t b e i d e m I s r a e l i t e n , z u m i n d e s t i n e i n e m Z u s a m m e n h a n g wie d i e s e m , d e n G e d a n k e n a n damä wachrief.

Psalm 8

139

Hier kann eine Parallele zu Ps 19 gezogen werden. In Ps 8 bilden v. 5-9 gegenüber v. 2-4 eine Klimax; so bilden in Ps 19 v. 8-12 eine Klimax gegenüber v. 2-7. Beide Hauptteile zerfallen in zwei Abschnitte. V. 2.3a sprechen von der Herrlichkeit Gottes, die sich am Himmel zeigt; in v. 3b.c.4 wird diese Vorstellung im einzelnen entfaltet. So beschreiben v. 5 f. in allgemeineren Formulierungen die hohe Stellung des Menschen, die in v. 7-9 im einzelnen vor Augen geführt wird. Vielleicht läßt sich die Parallelität zwischen den verschiedenen Teilen genauer aufzeigen. Sowohl in v. 2.3a wie in v. 5 f. finden wir einen sehr kontrastreichen Ausspruch: v. 2.3a sagen, daß Gott von Kindern besungen wird; in v. 5 f. steht, daß der nichtige Mensch beinahe göttlich ist. Und weiter: sowohl v. 3b.c.4 wie v. 7-9 sprechen von Gottes Werk8 (v. 4.7) und zählen es im einzelnen auf: Himmel, Mond und Sterne (v. 3b.c.4), Kleinvieh, Rinder, Getier des Feldes, Vögel, Fische (v. 7-9). Auch kann noch darauf hingewiesen werden, daß in v. 3b.c.4 steht: Gott herrscht über seine Feinde, in v. 7-9: der Mensch herrscht über die Tiere. Genauere Betrachtung erfordert der Aufbau von v. 5-9. V. 9b enthält eine weitere Bestimmung von v. 9a/?, v. 8 f. von v. 7, v. 7-9 von v. 6; vgl. § 2 0 (sukzessive Gabelung). V. 5a.b. 9 6a bilden eine Klimax, die ihren Höhepunkt in v. 6a erreicht. Auch bei v. 6b.7a.bläßt sich eine Klimax erkennen. Dies gilt sicher von v. 8.9. Zunächst nennt der Dichter die zahmen Tiere, dann, umfassender, das Getier des Feldes. Den Landtieren folgen Vögel und Fische; auch diese werden, obwohl sie dem Himmel und dem nicht weniger geheimnisvollen Element, dem Meer zugehören, vom Menschen mit Fallen und Netzen gefangen. Um das Verwunderliche dieser Tatsache zu unterstreichen, gibt v. 9b eine nähere Beschreibung der Fische; es ist doch wohl beinahe göttlich, daß der Mensch beherrscht, was auf jenen so geheimnisvollen „Pfaden der Meere" hinzieht. Daß v. 10 die Anfangsworte des Psalms wiederaufnimmt, ist sehr bedeutungsvoll. Hierdurch tritt deutlich ans Licht, daß die Herrlichkeit Gottes das eigentliche Thema dieses Psalms ist. Unwiderleglich Neben der Wiederholung finden wir in diesem Psalm auch Abwechslung: V. 4 spricht von dem „Werk deiner Finger", v. 7 von dem „Werk deiner Hände". 8

' "IpB ist wohl stärker als "Cf. Koole a.a. O. 6 will unter Berufung auf Gen 40 4 u. a. St. "ΙΠβ hier mit „eine Stellung geben" übersetzen.

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ΠΙ. Spezieller Teil

zeigt sich so, daß der Dichter nicht den Menschen, sondern Gottes wunderbare Führung rühmen will, wenn er von der Hoheit des Menschen spricht. Wir können sagen: die Worte dieses Ausrufs haben durch alles Vorhergehende einen volleren Klang erhalten. Jahwes Name etwa ist auf „der ganzen Erde" majestätisch, nicht nur, weil das Himmelsgewölbe die ganze Erde überspannt, v. 2-i, sondern auch, weil auf der ganzen Erde Menschen wohnen, in deren hoher Stellung Gottes wunderbare Führung ans Licht tritt, v. 5-10. Psalm 9 V. 2f.||4f.||ef.|8f.|l0f.|||l2f.|j4f.||l6f.|l8f.||20f. 2 — 2||2—2||2— 2|2—212—2|||2—2|2—2||2—2|2—2||2—2

Die Frage, ob Ps 9 und Ps 10 ursprünglich eine Einheit bildeten, ist nicht leicht zu beantworten 1 . Mir scheint es am richtigsten, im Anschluß an die Hauptströmung der massoretischen Überlieferung zumindest Ps 9 als ein selbständiges Gedicht aufzufassen, und zwar als einen anläßlich einer nationalen Errettung gedichteten Dankpsalm, in dem der Sänger wohl der König ist, jedenfalls das Volk repräsentiert. Die Formen der Verben in v. 4.9-11.18 f. (vgl. auch die Bitte in v. 20f.; siehe unten 2 ) können darauf hindeuten, daß noch nicht alle Feinde geschlagen sind; wir können daran erinnern, daß ζ. B. David viele Kriege geführt hat, siehe u. a. I I Sam 8, und annehmen, daß dieser Psalm aus einer Zeit stammt, in der zwar manche Feinde besiegt waren (und zwar vernichtend, siehe u. a. v. 7), andere aber Israel noch immer bedrohten. Das stärkste Argument gegen die Auffassung, daß Ps 9 ursprünglich ein selbständiges Gedicht gewesen sei, liegt darin, daß dieser Psalm eine gewisse alphabetische Anordnung erkennen läßt 3 , die jedoch nicht weiter geht als bis zu 5- Es scheint mir indessen 1 Man vgl. außer den Kommentaren ζ. Β. H. Junker, Unite, composition et genre litteraire des Pss 9 et 10, R B 60 (1953), 161 — 169; R. Gordis, Psalm 9 — 10. A textual and exegetical study, JPR 48 (1957/58), 104—122 (beide halten Ps 9 und Ps 10 für eine ursprüngliche Einheit). 1 Die Bitte von ν. Η f. darf in diesem Zusammenhang nicht genannt werden: diese Verse enthalten den Inhalt des „Schreiens der Elenden" (v. 13), beschreiben also, wie der Dichter in seiner Not gerufen hat; es ist nichts Ungewöhnliches, daß in einem Danklied der Inhalt des Gebets aus der N o t mitgeteilt wird, vgl. Ps 3 0 , _ 1 1 u. a.; daß das Gebet hier nicht mit ζ. B. „ich sagte" eingeleitet wird, dürfte eine Folge der Bindung an das Alphabet sein. 3 Daß die alphabetische Anordnung von Ps 9 in dem uns überlieferten Text beträchtliche Unregelmässigkeiten hat, kann hier außer Betracht bleiben.

Psalm 9

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nicht ausgeschlossen, daß der Autor nicht alle, sondern nur die Hälfte der Buchstaben des Alphabete als Versanfänge verwenden wollte; ebenso verhält es sich m. E. bei Nah l 4 . Daß ein Psalmist so verfuhr, ist um so wahrscheinlicher, wenn die hebräische Poesie in der Tat jenen Charakter trug, der ihr in diesem Buch zuerkannt wird, siehe vor allem § 66.68. Auch Ps 10 kann als ein selbständiges Gedicht aufgefaßt werden, und zwar als ein Klagelied über innerisraelitische Unterdrückung. Indessen ist damit noch nicht alles gesagt. Nach einem Teil der Überüeferung (einigen massoretischen Handschriften, LXX 5 ) stellen Ps 9 und Ps 10 eine Einheit dar. Auf Grund dessen können wir annehmen, daß diese Psalmen bereits in alter Zeit eine liturgische Einheit bildeten und im Kultus als Einheit dienten; Ps 9 hätte dann die Funktion eines „vorangestellten Dankliedes" als Unterstützung der Bitte von Ps 10, vgl. § 61.62. Vielleicht müssen wir noch einen Schritt weiter gehen. Wir können annehmen, daß Ps 9 die Funktion eines „vorangestellten Dankliedes" nicht erst in der späteren liturgischen Praxis erhielt, sondern daß vielmehr schon der Dichter von Ps 10 den Ps 9 als solches verwenden wollte. Für diese Auffassung spricht dreierlei: 1. Ps 10 läßt die Spuren einer Fortsetzung der in Ps 9 begonnenen alphabetischen Anordnung erkennen*. 2. Hinsichtlich der Wortwahl besteht * Vgl. E . Sellin z. St. (er schreibt über N a h l 2 _ e : „Ein alphabetischer H y m n u s . E r ist auf die erste H ä l f t e des Alphabets, die 11 Buchstaben X — 2 gedichtet"), H . Junker, z. St. — I m Hinblick auf P s 9 sowohl wie auf P s 10 ist es von Wichtigkeit, d a ß unvollständige akrostichische Gedichte keine Ausnahme darstellen. J . A. Sanders: The Psalms Scroll of Qumrän, Cave 11, 1965, 74, schreibt über 11 Q P s a 155 ( = Syr. Psalm I I I ) : „ W h a t there is of t h e alphabetical versification commences a t Π> in v. 9, a n d continues, a t least, through ^ in v. 16. And the alphabetic arrangement of vv. 17 — 19 is inescapable —. The psalm does not commence alphabetically; on t h e basis of t h e Syriac it seems to have terminated short of I t is a t best an imperfect alphabetic acrostic" (siehe auch die recht gewagten Betrachtungen über die alphabetische Reihenfolge in diesem Psalm von L. Delekat, Asylie und Schutzorakel a m Zionheiligtum, 1967, 47). Siehe ferner Delitzsch z u P s 10 (er verweist auf syrische Beispiele, u. a. von E p h r a m dem Syrer, wo von Textkorruption keine Rede sein kann); vgl. auch, f ü r Beispiele aus der jüdischen Literatur des Mittelalters, I . Elbogen, Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, 1931 3 , 18.274 f. 5 Vgl. f ü r weitere Angaben ζ. B. Baethgen z. St. • D i e alphabetische Reihe in P s 9 endet bei 3 (9 18 ); P s 10 x beginnt m i t S; übrigens ist hier zu bedenken, daß HttS des öfteren den Anfang eines Klageliedes bildet, vgl. P s 22, usw.; siehe jedoch auch P s 1 0 l 2 . u . l 5 . l 7 .

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I I I . Spezieller Teil

eine Verwandtschaft zwischen beiden Psalmen, vgl. vor allem Ps 9 10 mit Ps 1 0 1 ( m v n rnnsh), P s 9 20 f. m i t P s 1 0 i 8 (ttfOK)· 3 - Während Ps 9, das Danklied, mit einer Bitte schließt 7 , endet Ps 10, das Klagelied, mit einem Loblied, siehe auch unten zu Ps 920 f und Ps 10 16 _ 18 8 . Daß Ps 9 ein alphabetischer Psalm ist, heißt keineswegs, daß die Aussagen deswegen mehr oder weniger zusammenhanglos nebeneinander stehen, siehe § 48. J e zwei Verszeilen gehören zusammen, v. 2 und v. 3, v. 4 und v. 5 usw. Der Psalm besteht aus zwei Teilen, v. 2-11. 12-21. Man beachte vor allem, daß zu Anfang eines Danklieds, wie auch einer Hymne, häufig die Absicht bzw. die Aufforderung, Jahwe zu loben ausgesprochen wird, vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 267, auch 316 f. 33 f.; in unserem Psalm beginnt v. 2 mit „Ich will loben", v. 12 mit „Lobsinget". Jeder der zwei Teile besteht aus fünf Zweizeilern; vgl. § 34. Was den ersten Teil betrifft, so bilden v. 2 f. deutlich die Einleitung; der Dichter äußert sein Vorhaben, zu loben, oder ermuntert sich selbst zum Lobe Jahwes. V. 4 f. sind als das Thema des Psalms zu bezeichnen 9 . I n v. 6-11 wird das Thema, v. 4 f., ausgestaltet. V. 4f. sprachen über die Feinde, Jahwe und den Dichter; v. 6 f. lenken den Blick speziell auf die Feinde, v. 8 f. auf Jahwe, v. 10 f. auf den Dichter und die Seinen. V. 8 f. enthalten die zentrale Aussage: daß Jahwe die Welt richtet, v. 8f., bedeutet den Untergang der Gottlosen, v. 6 f., und die Errettung des Dichters und der Seinen, v. lOf.. Hingewiesen sei noch auf den bezeichnenden Gegensatz zwischen v. 6 f. und v. 8 f.: Name und Wohnstätte der Feinde sind auf ewig vergangen, v. 6 f., Jahwe aber thront auf ewig; siehe auch unten.

7 N a t u r g e m ä ß eignete Ps 9 sich d e s w e g e n besonders als „ v o r a n g e s t e l l t e s Danklied". 8 D i e hier vertretene Auffassung s t i m m t ζ. B . m i t derjenigen v o n D e l i t z s c h w e i t g e h e n d überein (dieser schreibt, d a ß „ d e m P s 9 nichts a n innerer R u n d u n g gebricht"; P s 10 sei ein „durch F o r t f ü h r u n g der alphabetischen R e i h e e n g angeschlossenes Seitenstück zu P s 9"); sie entspricht a u c h e t w a Gordis' Auffassung, insofern a u c h Gordis Ps 9 als ein vorangestelltes D a n k l i e d b e t r a c h t e t ; siehe a u c h W . Beyerlin, ZAW, 79 (1967), 221 — 223, d e r P s 9 —10 ein „ K l a g e l i e d m i t voraufgehender heilsvergegenwärtigender tddä" n e n n t (siehe ferner die letzte A n m e r k u n g in § 61). * Mit v. 4 b e g i n n t m . E . ein neuer S a t z : „ I n d e m m e i n e F e i n d e zurückweichen, straucheln und vergehen sie vor d e i n e m A n t l i t z " ; anders ζ. B . Gunkel.

Psalm 9

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V. 12 f. leiten den zweiten Teil ein: der Dichter hat von dem richterlichen Einschreiten Jahwes gesprochen; auf Grund dessen läßt er nun die Aufforderung zum Lobe Jahwes folgen, v. 12. V. 13 gibt eine zusammenfassende Begründung dieser Aufforderung. V. 12 f. schließen mit dem „Schreien der Elenden"; v. 14 f. geben den Inhalt ihres Schreiens wieder; siehe bereits oben. Der Aufbau von v. 12-15 läßt Chiasmus erkennen: V. 12 korrespondiert mit v. 15, v. 13 mit v. 14; diese Korrespondenz betrifft den Inhalt wie auch die Wortwahl („Zion" in v. 12 und v. 15, „Elender, Elend" in v. 13 und v. 14). V. 16-19 rühmen in ähnlicher Weise wie v. 6-11 die Tatsache, daß Jahwe die Gottlosen vertilgt und die Demütigen nicht beschämt macht. V. 16 führt den Untergang der Gottlosen vor Augen; v. 17 beleuchtet den Hintergrund dieses Untergangs: Jahwe hat ihn herbeigeführt. V. 18 spricht nochmals von dem (gegenwärtigen und künftigen) Untergang der Gottlosen, v. 19 von dessen Kehrseite, der Befreiung der Demütigen. Den Schluß bildet eine Bitte, v. 20 f. Es ist keine Ausnahme, daß ein Danklied mit einer Bitte schließt, siehe § 54. Daß gerade dieses Danklied mit einer Bitte schließt, kann um so weniger überraschen, als sich in ihm auch andere Angaben finden, die darauf schließen lassen, daß noch nicht alle Feinde besiegt sind, siehe oben. Auch in diesem Psalm spielt der Stil der Wiederholung eine Rolle. Wie dies so oft der Fall ist, hebt der Dichter bestimmte Gedanken durch die Verwendung von Synonymen einerseits, andrerseits jedoch vor allem durch den wiederholten Gebrauch bestimmter Wörter besonders hervor. Starker Nachdruck liegt auf der Vorstellung, daß Jahwe, „sitzend", v. 5.8.12, auf seinem „Thron", v. 5.8, ein gerechtes Gericht hält: siehe tastt? , EBitflü in v. 5 (zweimal).8.9.17.20, j—; in v. 5.9, pllf in v. 5.9, "'t^tt in v. 9. Die Völker, Q u, v. 6.16.18.20.21 10, die Feinde, j v f , v. 4.7, sind gottlos, v. 6.17.18; sie gehen unter, -QK, v. 4.6.7; siehe noch den auffallenden Gebrauch von 3N in v. 20.21 (siehe auch die Assonanz in v. 20a). Erwähnung verdient ferner die Verwendung von Q^fj?, v. 6.8, "'S. v. 6.19, Π.3, v. 7.19: der Name der Feinde wird auf ewig ausgelöscht, v. 6 f., Jahwe thront auf ewig, v. 8, die Erwartung der Demütigen geht 10 V. 8 gebraucht D'Cxb, v. 12 Q'ÖJ?; daß diese Verse nicht 0*13 gebrauchen, ist kein Zufall; sicherlich in v. 12, und wohl auch in v. 9 wird über die Völker in einem anderen Sinn gesprochen als in den obengenannten Versen.

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III. Spezieller Teil

nicht auf ewig verloren, v. 19 (daß der Gegensatz zwischen v. 6 f. und v. 8 beabsichtigt ist, scheint mir kaum bestreitbar; aber auch zwischen v. 6 f. und v. 19 dürfte ein mehr oder weniger beabsichtigter Gegensatz vorliegen: nicht nur - φ und fll'J, sondern auch -QX stehen sowohl in v. 6 f. wie in v. 19). Bei v. 10 kann von Stufenrhythmus gesprochen werden: wird wiederholt. Es besteht ein offener Gegensatz zwischen „die Pforten des Todes" (v. 14) und „die Pforten der Tochter Zion" (v. 15). Die Unterdrückten „fragen nach Jahwe", v. n , er „fragt nach ihrem vergossenen Blut", v. 13. V. 4 spricht über das „Zurückweichen" der Feinde; in v. 18 wird ersichtlich, was dies bedeutet: sie „kehren zurück" ins Totenreich. Man beachte auch Π3Φ in v. 13.18.19. Es ließen eich noch weitere Beispiele derselben Art aufzählen. V. 4 und v. 6 f. lassen eine Klimax erkennen; siehe § 19. Psalm 10 V. ι f. 11 |a-«|7-ii| |i2 f. 1ιφ5| | |ie-ie 2 — 2|||2 — 2— 3 — 2 | 2 — 2 — 2—2 — 2— 2||2— 2|2—2|2|||2 — 2 — 2

Siehe für diesen Psalm auch die Besprechung von Ps 9. V. l f. bilden die Einleitung, in der die Hauptthemen des Psalms anklingen. V. 3-15 enthalten den Hauptteil, der in zwei Abschnitte zerfällt, v. 3-n. 12-15. Es ist möglich, hier von Chiasmus zu sprechen; v. 3-11 behandeln das Thema von v. 2, v. 12-15 dasjenige von v. l; vgl. § 29. V. 3-11 geben eine ausführliche Beschreibung des Gottlosen, seines Übermuts, v. 3-6, und seiner Schandtaten, ν. 7-io; v. Ii spricht nochmals von seinem Übermut. I n v. 12 f. stehen Bitte (und Klage), in v. 14 Vertrauensäußerungen, in v. 15 beides. V. 16-18 schließlich stimmen ein vorausgreifendes Dank- und Loblied an. Der Psalm kann, vor allem wegen des deutlichen Einschnitts bei v. 12, auch in zwei Teile gegliedert werden, v. l—li. 12-18; siehe zu Ps 4.5. Dieser Psalm bietet ein deutliches Beispiel für das Enjambement, siehe § 37. Verschiedene Punkte bedürfen einer eingehenderen Behandlung. Der Autor legt auf den Übermut des Gottlosen starken Nachdruck. Das erste Wort seiner Charakterisierung des Gottlosen ist ΓϊΊΚί v. 2. Die ausführliche Beschreibung des Gottlosen, v. 3-11, beginnt nicht etwa mit einer Aufzählung seiner Schandtaten, sondern spricht zunächst von seinem Übermut. Auch im Schlußvers dieser Beschreibung, v. 11, kommt wiederum sein Übermut zur Sprache; in gewissem Sinne erinnert v. 11 sogar an einen Refrain, siehe unten; vgl. auch

Psalm 10

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v. 13. Der Dichter beginnt mit dem Eigentlichen (siehe auch zu Ps 14). Er stellt den Ursprung, den Kern der Gottlosigkeit der in diesem Psalm beschriebenen Unterdrücker ins volle Licht: ihren Wahn, daß man mit Gott und dem göttlichen Gericht nicht zu rechnen brauche. Daß hierauf so großer Nachdruck gelegt wird, geschieht vor allem in der Absicht, Jahwe zum Einschreiten zu drängen. Namentlich in v. Ii tritt dies zutage: indem der Dichter in diesem Vers auf den Anfang zurückgreift, nochmals über den Übermut des Gottlosen spricht, bewirkt er einen scharfen Gegensatz zu dem folgenden Teil des Psalms; der Gottlose „spricht in seinem Herzen: Gott vergißt es" (v. ll); das kann Gott doch nicht dulden: „vergiß die Elenden nicht" (v. 12)1. Bemerkt kann noch werden, daß die in v. 3-6 gegebene Schilderung des Übermuts des Gottlosen ihren Höhepunkt in ν. β erreicht: nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft meint der Gottlose zu beherrschen. Die eigentliche Bitte steht in v. 12.15a. Ebenso wie in verschiedenen anderen Psalmen (vgl. § 53a, c) nimmt sie auch hier2 wenig Raum ein; sie besteht aus kurzen Ausrufen (vgl. Ps 3 8 u. a.), denen eine gründliche Vorbereitung vorangeht (siehe hierüber bereits oben; übrigens dienen natürlich nicht nur v. 3 - 6 . i l , sondern auch v. 7-10 der Vorbereitung des Gebets). V. 16-18 enthalten ein die Erhörung vorwegnehmendes Lied des Lobes und Dankes, vgl. § 36a (hier dürfte es sich um eine Nachwirkung des kultischen Rituals handeln), das schon durch die Vertrauensäußerungen von v. 14.15b vorbereitet ist. Man wird sogar sagen müssen, daß der Dichter sich hier in „die große Zukunft" versetzt fühlt: in ihr wird sich das Königtum Jahwes völlig offenbaren. Der Gegensatz zwischen Gottlosen und Unterdrückten, der bei den Israeliten besteht, stellt sich ihm also in größerem Zusammenhang dar: es kommt die Zeit, da in Kanaan kein Gottloser, Israelit oder Nichtisraelit, mehr

Daß die Klagen und die Beschreibungen des Gottlosen der Unterstützung dee Gebets dienen, wird in diesem Psalm mehrmals durch die Stilfigur der Wiederholung akzentuiert, vgl. § 11, siehe auch unten. 1 Besonders in einem Fall wie diesem kann sich die Frage aufdrängen, ob es in diesem Zusammenhang sinnvoll ist, zwischen „Klage", ν. l, und „eigentlicher Bitte", v. 12.16a, zu unterscheiden. Man darf die Bedeutung dieser Frage jedoch nicht überschätzen: auch wenn wir annehmen müssen, daß v. 1 für den Dichter ebensosehr eine Bitte war wie ν. 12.15a, tut dies den obigen Bemerkungen im wesentlichen keinen Abbruch; daß etwa die Bitte von v. 12 in v. 3-11 vorbereitet wird, ist auch dann noch wahr. 1

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III. Spezieller Teil

zu finden sein wird. So läßt sich erklären, warum v. 16 über Q^J spricht (vgl. ζ. B. J . Ridderbos) 3 ; siehe übrigens auch oben zu Ps 9. Die Stilfigur der Wiederholung spielt in diesem Psalm eine große Rolle. Die wichtigsten Beispiele wurden bereits in § 11 besprochen. Hingewiesen sei noch auf ΓΓ0Ϊ0 in v. 2.4, ΠΤΚΠ in v. 3.17 (das Begehren des Gottlosen und das der Demütigen werden einander g e g e n ü b e r g e s t e l l t ) , p O in v. 3.13, bttj? i n v . 7.14, ÜD^H i n v. 8.10.14. E s

ließen sich noch weitere Beispiele nennen; wie so häufig, läßt sich nicht genau feststellen, in welchen Fällen es sinnvoll ist, von einer Wiederholung zu sprechen. Psalm 11 V . l | 2 f. [4-7

1 —2|3 —2|2 — 3 — 2 - 2 - 2

Dieser Psalm kann als ein „Klagelied des einzelnen" mit einem besonderen Charakter bezeichnet werden. E r wird von Aussagen beherrscht, die wir — wiederum mit einem unzulänglichen Namen — als „Vertrauensäußerungen" bezeichnen können. Die Bitte fehlt. Von Jahwe wird selbst nur in der dritten Person gesprochen. I n v. l sprechen wohl furchtsame, kleingläubige Freunde, Anhänger, Menschen aus der Umgebung des Dichters 1 . Es ist möglich, daß v. 2 f. eine Fortsetzung der Worte der ängstlichen Freunde darstellen; mir scheint jedoch wahrscheinlicher, daß hier der Dichter selbst spricht; die Worte des Kleinglaubens finden auch wohl in des Dichters eigenem Herzen Anklang: eben dies erklärt seine entschiedene Zurückweisung in v. l. Von dieser Auffassung ausgehend, können wir den Psalm in drei Teile einteilen, v . l . 2f. 4-7. Nachdem er ausgesprochen hat, daß er sich bei Jahwe geborgen hat, weist der Dichter den von Unglauben zeugenden R a t zu fliehen mit Entrüstung von sich; v. l. Er beschreibt sodann die Situation, in der er sich befindet; allem Anschein nach ist diese tatsächlich hoffnungslos; v. 2 f. Anschließend spricht er die Gewißheit aus, daß Jahwe die Gottlosen strafen und die Gerechten erretten wird; v. 4-7. 3

Eventuell kann man auch annehmen, daß der Gottlose, über den in diesem Psalm immer wieder gesprochen wird, seine Stellung der Kollaboration mit nichtisraelitischen Machthabern verdankte, die in Kanaan herrschten. 1 N a c h einer anderen Auffassung enthält v. lb.c eine Klage über das Verhalten der Feinde: „wie (vgl. Mi 2 4 Thr 2 t u. a.) nötigt ihr, Feinde, mich (nicht so sehr durch Worte, als vielmehr durch Taten) zu fliehen ins Gebirge"; vgl. J. Ridderbos z. St.

Psalm 11

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Es scheint mir wahrscheinlich, daß dieser Psalm für den Vortrag beim Heiligtum bestimmt war. Siehe für WDH ΪΤΓΡ3 in v. l zu Ps 7 2 . Es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß v. 4-7 von einem Diener des Heiligtums vorgetragen wurden. Der Aufbau des Psalms ist kunstvoll und nicht ohne ein gewisses Raffinement2. Es finden sich in ihm verschiedene Beispiele für die Stilfigur der Wiederholung. In v. 2 f. werden^ty-, und"*|$\ p'Ti' einander gegenübergestellt. Dieser Gegensatz beherrscht auch v. 5-7; siehe in v. 5.6, » # · in v. 7, p'"!!' in v. 5.7; v. 7 gebraucht überdies noch mp-llT. Besonders ΠΊΙΤ und können als Stichwörter dieses Psalms gelten. Der Psalmist beginnt mit der Feststellung: „Bei Jahwe habe ich mich geborgen." Ferner nennt er den Namen „Jahwe" mit großem Nachdruck in v. 4-7, nämlich zu Beginn3 von v. 4a. 4b und 5, sowie ebenfalls — hier jedoch, wohl abwechslungshalber, nicht zu Beginn — in v. 7. Die Klage, v. 2 f., endet mit dem Seufzer: „der Gerechte — was kann er tun?" V. 5 sagt jedoch, daß der Gerechte sich bei der göttlichen Prüfung als solcher erweist: „Jahwe, den Gerechten prüft er und den Gottlosen." Und v. 7 sagt sogar: „Denn gerecht ist Jahwe." Sollte der Gerechte ohnmächtig dastehen? Jahwe steht nicht ohnmächtig da, sondern vertilgt den Gottlosen; und er ist der Gerechte κατ'

έξοχήν.

„Gerecht ist Jahwe; Gerechtigkeitserweisungen hat er lieb", so heißt es in v. 7. Dies stellt einen merkwürdigen, kunstvollen Gegensatz zu v. 5 dar: „den, der Gewalt lieb hat, haßt er mit ganzer Seele". Einander gegenübergestellt werden hier nämlich sowohl Jahwes Haß gegen den Gottlosen und seine Liebe der Gerechtigkeitserweisungen, wie der Gottlose, der Gewalt lieb hat, und Jahwe, der Gerechtigkeitserweisungen hebt. Bei v. 4-7 kann von Stufenrhythmus gesprochen werden. Man beachte außer der bereits gezeigten Verwendung von „Jahwe, gerecht, gottlos, liebhaben" auch den Gebrauch von j n i in v. 4.5. Hingewiesen sei auch auf den Gebrauch von ΠΤΠ in v. 4.7. Vielleicht läßt sich die Absicht des Dichters folgendermaßen umreißen: „Jahwe schaut auf die Menschen. Wer aus dieser göttlichen Prüfung als ein 1 Vgl. Schwab, 1965, 70 f.; er schreibt u. a.: „c'est en ramenant & chaque pas, dans le rite, la mention du juste qu'on a fait passer de la creature au Cröateur la qualite de juste, exposant devant la Providence un veritable syllogisme musical". 3 Auffallend oft hat das Subjekt in diesem Psalm Spitzenstellung, siehe v. 2.3a.b.4a.b.c.d.5a.6b.7b; dies verleiht den Aussagen besonderen Nachdruck.

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III. Spezieller Teil

Gerechter hervorgeht, wird das Antlitz Jahwes schauen." Möglicherweise handelt es sich hier um eine Art Wortspiel mit ΠίΠ und ΠΓΠ· Der Psalm beginnt mit den Worten: ΤΓΟΠ ΠΊΓΙΌ; er schließt mit dem Ausspruch: lö'Jfi 1?!T Daß hier tatsächhch ein Wortspiel vorliegt, wird um so wahrscheinlicher, wenn wir berücksichtigen, daß die Inklusion in den Psalmen des öfteren begegnet, siehe § 15. Auch abgesehen davon läßt sich im Aufbau dieses Psalms eine Art Chiasmus erkennen: es besteht eine enge Korrespondenz zwischen v. la und v. 4^7, zwischen v. lb.c und v. 2 f.. Sodann muß auf den Gebrauch der Klimax in diesem Psalm hingewiesen werden. Wir gehen wiederum vom Schluß der Klage aus: „der Gerechte — was kann er tun?" Unmittelbar darauf wird das Tun Jahwes beschrieben, der nicht machtlos ist. In v. 4 ff. sehen wir eine mächtige Klimax, die an ein aufziehendes Gewitter erinnert. Zunächst das kurze, inhaltschwere Sätzchen: „Jahwe, er ist in seinem heiligen Palast", v. 4a. Er ist dort nicht nur: er sitzt auf seinem Thron, seinem Richterstuhl, v. 4b, und zwar nicht untätig: „seine Augen, sie schauen", v. 4c — auch dies ein kurzer, inhaltschwerer Satz, der in v. 4d erläutert wird: „seine Wimpern, sie prüfen die Menschenkinder". Bei dieser göttlichen Prüfung wird ein großer Unterschied offenbar: „Jahwe: den Gerechten prüft er und den Gottlosen", v. 5a. Den, der sich als ein Gottloser erweist, trifft der göttliche Haß, v. 5b. Jahwe läßt seinen Haß auch spürbar werden, und zwar auf eine schreckliche Weise, siehe ν. 6. Dem stellt v. 7 das Los der Gerechten gegenüber; sie werden das Antlitz Jahwes schauen. So zeigt sich, daß das erste Sätzchen, „Jahwe, er ist in seinem heiligen Palast", tatsächlich inhaltschwer ist. Wie wir im Vorstehenden sahen, hat die Klimax hier die Form der sukzessiven Gabelung, siehe § 20. V. 4a wird in v. 4b mit kräftigeren, konkreteren Worten wiederholt; v. 4b wird genauer bestimmt in v. 4*3-7; v. 4c wird in v. 4d.e stärker und konkreter wiederholt; v. 4d.e werden in v. 5-7 näher herausgearbeitet; v. 4d.e werden in v. 5a stärker und konkreter wiederholt; v. 5a wird genauer herausgearbeitet in v. 5b-7, v. 5b in v. 6.

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Psalm 12

Psalm 12 V. 2f.|4f.||e||7-9 2—2|2—2||3||2—2—2

V. 2-5 enthalten Klage und Bitte. In v. 6 spricht m. E. eine andere Stimme: Ein Diener des Heiligtums gibt im Namen Jahwes die Versicherung der Erhörung des Gebets. V. 7 f. antworten mit dem Amen des Glaubens, während v. 9 den Blick erneut auf die gegenwärtige Unterdrückung lenkt. Wir können annehmen, daß in v. 7-9 dieselbe Stimme spricht wie in v. 2-5 (mir scheint jedenfalls festzustehen, daß in v. 7 eine andere Stimme spricht als in v. 6). Siehe ferner § 35. Das eigentliche Gebet, das in den Psalmen oftmals nur geringen Raum einnimmt, ist in Ps 12 besonders kurz: es besteht lediglich aus dem Ausruf: „Befreie, Jahwe." Der Dichter fällt gleichsam mit der Tür ins Haus; er bereitet das eigentliche Gebet nicht vor, sondern beginnt mit einem Notschrei. Im weiteren Verlauf des Psalms begegnen wir keiner anderen Bitte im eigentlichen Sinne. Siehe für den Ausruf „befreie" zu Ps 38. Bei den obigen Bemerkungen über die eigentliche Bitte in diesem Psalm darf nicht vergessen werden, daß v. 4a einer Bitte im eigentlichen Sinne nahekommt; jedoch ist v. 4a ein Wunsch. V. 2-5 können in zwei ähnlich gebaute Abschnitte unterteilt werden, v. 2 f. und v. 4 f.. Der erste Abschnitt enthält ein Gebet und eine Schilderung der Notlage, der zweite einen Wunsch und eine genauere Charakterisierung der Gottlosen. Über den Gegensatz zwischen v. 6 und den vorhergehenden Versen siehe unten. V. 7 enthält die Reaktion auf v. 6. Für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen v. 7 und v. 8 ist u. a. die Auffassung der Suffixe in v. 8 bestimmend. Am besten scheint mir die Übersetzung: „Du, Jahwe, du wirst sie bewahren; du wirst uns 1 ewiglich behüten vor diesem Geschlecht2." V. 8 kann dann als eine nähere Ausarbeitung von v. 7 betrachtet werden: da der Dichter überzeugt ist, daß auf die Worte Jahwes Verlaß ist, hat er auch die Gewißheit, daß Jahwe ihn und seine Schicksalsgenossen bewahren wird.

1 Vgl. Gesenius-Kautzech § 58k. * Wie aus ihrer Akzentuierung hervorgeht, wollten die Massoreten „ewiglich" mit „Geschlecht" verbinden: „das Geschlecht, das ewiglich sein wird"; hierin t u t sich eine lange, schmerzliche Erfahrung kund.

Blddetbos, Psalmen

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V. 9 ist m. E. am besten folgendermaßen zu übersetzen: „Die Gottlosen ziehen umher, während Gemeinheit sich bei den Menschenkindern erhebt"; ähnlich Eerdmans, Cohen u. a. 3 Nach dieser Auffassung richtet der Dichter seinen Blick am Schluß wiederum auf die dunkle Gegenwärt. Dies ist allerdings etwas befremdend; vgl. jedoch Ps 14, 2010 U. a., siehe § 15 (wo auch auf „Menschenkinder" in v. 2.9 hingewiesen wird). Formal gesehen ist der Aufbau dieses Psalms recht regelmäßig, vgl. § 45. Dieser Psalm enthält scharfe Gegensätze. Ein Gegensatz besteht zwischen TDH> CilÄK in v. 2 und der Charakterisierung der Gottlosen in v. 3; desgleichen zwischen der Charakterisierung der Gottlosen in v. 4 f. (vgl. auch v. 9) und ff^üj?, ffWSN in v. 6. Der Psalm deckt den Gegensatz zwischen dem Wahn der Gottlosen (daß sie keinen menschlichen oder göttlichen Herrn über sich hätten) und der Wirklichkeit auf. Dieser Gegensatz wird vor allem durch den plötzlichen Übergang von v. 5 auf v. 6 in ein grelles Licht gestellt. Uberaus eindrucksvoll ist ferner der Gegensatz zwischen dem Wort der Gottlosen und dem Wort Jahwes. Die nichtswürdigen Menschenworte werden den Worten Jahwes gegenübergestellt, die vollkommen rein, d. h., nicht mit Unverläßlichem behaftet sind. Diesen Gegensatz unterstreichen HDK, ΓΠ")ίίΝ (zweimal) in v. 5.6.7.

Es lassen sich noch weitere Beispiele für die Stilfigur der Wiederholung in diesem Psalm finden 4 . V. 2 bittet um „Befreiung", v. 6 verspricht sie. V. 3-5 weisen Stufenrhythmus auf. Alle drei Verse gebrauchen „(glatte) Lippen", v. 4 und 5 gebrauchen „Zunge"; " ö l wird in v. 3 f. dreimal gebraucht. Durch diese Wiederholungen tritt hervor, was für die Gottlosen charakteristisch ist. Wir können sagen: der Ausdruck

3

Andere fassen v. 9a als einen Umstandssatz auf, der sich an v. 8 anschließt: „wenn (oder: obgleich) die Gottlosen umherziehen, während Gemeinheit sich bei den Menschenkindern erhebt"; siehe J. Ridderbos, Kraus u. a. Gunkel nimmt im MT Änderungen vor (wofür er sich zum Teil auf alte Übersetzungen beruft) und gelangt zu der Übersetzung: „Mögen ringsum die Frevler prahlen auf Erden, wie eine Made verachtest du alle Menschenkinder !"; ähnlich Kissane u. a. 4 Vgl. Buber, Good and Evil, 1953, 8 f.

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Psalm 12

„glatte Lippen" in v. 3.4 verbindet die beiden Abschnitte von v. 2-5, v. 2 f. und 4 f., miteinander. F ü r „Menschenkinder" in v. 2 u n d v. 9 siehe bereits oben. Hier sei auch eine Bemerkung von Weiss, VT 13 (1963), 474, eingeflochten, daß nämlich ,,in den beiden Strophen des Ps. X I I , in denen die Art der falschen Zungen und die Worte der falschen Zungen geschildert werden (Yv. 3,5)5, der Gottesname fehlt, der sich in jeder anderen Strophe findet, womit vor Augen geführt wird, wie w a h r h a f t gott-fos sie sind"; siehe ζ. B. zu Ps 1. Psalm 13 V . 2 f. [4 f.|6

2— 3|2 — 2|3

Dieses Klagelied eines einzelnen ist ein kurzer Psalm, der zwar sehr wenig Konkretes über die Situation des Dichters mitteilt, aber dennoch erschüttert und bewegt. In knäppen Worten wird alles gesagt, was vor Gottes Angesicht zu sagen ist: Klage, Bitte, Vertrauensäußerung, Danklied. Innerhalb der engen Grenzen dieses Liedes vollzieht sich ein großer Umschwung: die Klage über das Von-Gott-vergessen-Sein schlägt in ein Danklied für Gottes Wohltaten u m . Der Aufbau ist straff und klar. Der Psalm beginnt m i t einer Klage, in der viermal das ungeduldige HjK""7J7 steht, v. 2 f. (vgl. § 12d; siehe dort auch über das zweifache JB in v. 4f.). Der Klage schließt sich die Bitte an, v. 4 f. I n beiden spricht der Dichter zunächst über Gott, danach über sich selbst und schließlich über die Feinde (Weiser) 1 . Der Psalm schließt mit einer Vertrauensäußerung u n d einem die Erhörung vorwegnehmenden Danklied, v. 6. Ein deutlicher Gegensatz besteht zwischen v. 5 (dem „Jauchzen" des Feindes) und v. 6 (dem „Jauchzen" des Dichters). Man kann auch von einem Gegensatz zwischen in v. 3 und 'S? . in v. 6 sprechen. Groß ist der Unterschied zwischen dem Beginn und dem Schluß des Psalms. Nur wenig Worte stehen zwischen beiden, und dennoch vollzieht sich der Übergang allmählich. E s besteht somit auch kein ausreichender Grund zu der Annahme, daß zwischen v. 5 u n d v. 6 5

Richtiger hätte Weiss hier auch v. 9 nennen müssen. Westermann, ZAW 66 (1954), 47, schreibt: „Die Klage in den Psalmen ist dreigliedrig. Sie ist nach den drei Subjekten gegliedert: Gott-der Klagende — die Feinde"; als Beispiele nennt er Ps 7 9 ^ 5 132 f.. 1

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eine kultische Handlung gedacht werden muß; wohl aber kann von einer Nachwirkung des kultischen Rituals gesprochen werden; vgl. § 36a. Die Ausdrucksweise ist gelegentlich abrupt. Siehe vor allem v. 2aJ1T> anschließend tJH und zum zweitenmal Dieser Teil enthält übrigens noch weitere Beispiele für Alliteration und Assonanz, siehe vor allem v. 13, auch z. B. v. 9.12. Zu v. 8 ist ferner zu bemerken, daß die Ereignisse in diesem Teil in der Reihenfolge beschrieben werden, in der sie sich abspielen; nur in v. 8 greift der Dichter auf das Folgende vor, siehe vor allem v. 16. Auf diese Weise wird das Beben der Erde in einem Atemzug mit Gottes Hören des Notschreis genannt und als eine unmittelbare Folge hiervon dargestellt. Auch hier läßt sich sagen (siehe ζ. B. zu Ps ll4a), daß der Satz ,,Er ist in Zorn entbrannt" inhaltschwer ist. Was er bedeutet, wird im folgenden offenbar. Die Suggestionskraft der nun folgenden Beschreibung wird durch die wiederholte Verwendung mancher Wörter ebenso gesteigert wie durch den Gebrauch von Synonymen. Siehe vor allem D'^HJ in v. 9 und ^nJ in v. 13 wie auch in v. 1411; ferner das zweifache in v. 12, 2J? in v. 12 u n d v . 13; diese Aufzählung ließe sich noch erweitern. 11

chen.

E s besteht m. E. kein triftiger Grund, diese Wörter in v. 14 zu strei-

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III. Spezieller Teil

Das Verb flttftt wird außer in P s 1817 ( = I I Sam 2217) nur in E x 210 gebraucht. I n beiden Fällen ist es mit „aus dem Wasser" verbunden. Vermutlich wollte der Dichter sich selbst durch die Wahl dieses Ausdrucks als einen zweiten Moses schildern 12 . Dabei ist zu bedenken, daß in diesem Teil auch verschiedene Ausdrücke gebraucht werden, die an das Geschehen am Sinai erinnern. Merkwürdig ist die Funktion von v. 18-20. Diese Verse fungieren als ein Decrescendo; vgl. § 22. Was im vorhergehenden dramatisch ausgemalt wurde, wird nun ohne Bildersprache berichtet. Die kosmischen Ausmaße geraten außer Sicht. So bilden diese Verse den Übergang zum zweiten Abschnitt. Namentlich der Satz „denn er h a t t e Gefallen an m i r " in v. 20 fungiert als Überleitung. Wie die Worte „denn er ist in Zorn e n t b r a n n t " (v. 8) in v. 9 ff. näher herausgearbeitet werden, so wird der Satz „denn er h a t t e Gefallen an m i r " (v. 20) in v. 21 ff. veranschaulicht. — Der Gebrauch von m p in v. 19 verbindet den Anfang dieses Abschnitts mit seinem Schluß, siehe D^p i n v . 6. „ I n den freien R a u m " (v. 20) bildet einen Gegensatz zu „Bedrängnis" (v. 7). b. Der zweite Abschnitt, v. 21-31, enthält die Begründung der E r r e t t u n g mit einem anschließenden Lobgesang. An Stelle der Dramatik sehen wir hier eine kunstvolle Ordnung. Seiner Form nach läßt sich dieses Stück mit einer kostbaren Stickerei vergleichen. F ü r nähere Betrachtungen siehe § 11. V. 28-30 bilden die Überleitung vom Vorhergehenden zum Folgenden. V. 28 schließt sich jedenfalls dem Vorhergehenden insofern an, als er noch ebenso wie v. 26 f. eine allgemeine Aussage macht, also in etwa einen reflektierenden Charakter trägt. Weiter kann man sagen, daß v. 28 sich an v. 27b darin anschließt, daß auch in v. 28 das Überraschende von Gottes Handeln hervortritt; der Elende wird befreit, der Hochmütige erniedrigt. V. 29 f. wenden, so k a n n behauptet werden, den Ausspruch von v. 28 auf den Dichter selbst an: E r befand sich in der Finsternis, v. 29, geriet in Bedrängnis, v. 30, das heißt, er war ^JJ, v. 28, aber J a h w e h a t ihn befreit. Auf jeden Fall kehrt der Dichter in v. 29 f. zu seinem eigenen Fall zurück u n d bilden diese Verse dadurch den Übergang zum Folgenden, siehe v. 33 ff.. I n v. 30 spüren wir bereits die Atmosphäre des zweiten Hauptteils. Der erste H a u p t t e i l endet mit einer Lobpreisung, v. 31. Der Beginn dieser Lobpreisung, v. 3ia, schließt sich eng an das Vorhergehende an (das heißt a n den zweiten Abschnitt des ersten Hauptteils, siehe ffttD in v. 24.26.31, auch "pH in v. 22.31). Der Schluß der Lobprei12

Für eine B e m e r k u n g derselben Art siehe zu P s 33 7 .

Psalm 18

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sung, v. 3io, greift auf den Anfang des Psalms zurück, siehe zu v. 2 f.. Über die Verbindung von v. 31 mit dem Folgenden siehe unten zu v. 33. Wir müssen noch einiges über die Funktion von v. 21-31 als Ganzes sagen. Oben wurde behauptet, daß hier die Begründung der in v. 5-20 beschriebenen Errettung gegeben wird. Das schließt nicht aus, daß der Dichter dennoch auch in dem Sieg, den er in v. 33-46 darstellt, eine „Vergeltung nach seiner Gerechtigkeit" usw., vgl. v. 21 ff., gesehen haben kann. V. 21-31 bilden somit einen Übergang zwischen v. 5-20 und dem zweiten Hauptteil. Daß speziell die Schlußverse von v. 21-31 den Übergang zum zweiten Hauptteil bilden, wurde oben gezeigt. I I I . Zweiter Hauptteil, v. 32-46. Der zweite Hauptteil des Psalms, in dem vor allem der Sieg über die heidnischen Völker besungen wird, findet einen angemessenen Beginn in der Proklamation von Jahwes Erhabenheit gegenüber den Götzen, v. 32. Der Übergang zwischen den zwei Hauptteilen ist sehr fließend: Der erste Hauptteil schließt, der zweite beginnt mit einer Lobpreisung. Siehe für v. 32 auch zu v. 4; für „Fels" siehe zu v. 2 f.. a. V. 33-37 schildern in farbenprächtiger Sprache die Zurüstung und Übung des Königs. V. 33 enthält eine allgemeinere Aussage, die in v. 34-37 besondert wird. V. 34 und v. 37 gehören zusammen, desgleichen v. 35 und v. 36; siehe für eine ähnliche chiastische Anordnung v. 21-25. Vielleicht kann gesagt werden, daß v. 34 und v. 37 eine nähere Ausgestaltung von v. 33b13, v. 35 und v. 36 eine solche von v. 33a geben (dann läge hier ein recht komplizierter Chiasmus vor: a - b | b — a— a — b). Wir können v. 33b als ein Verbindungsglied zwischen dem ersten und dem zweiten Hauptteil betrachten, vgl. mit D'ttn in v · 33b den Ausdruck Ό"Π Ο'ΊϋΓ) in ν. 31, auch D'jDfi in v. 24 und v. 26, ""Π in v. 22 (Jahwes "pn ist Qiöfl» v · 31, der Dichter hält sich an Jahwes 0 , 3"Π, v. 22, so ist auch sein " p l : Can, ν. 33). Zunächst wird über die Füße gesprochen, v. 34, danach über die Hände und Arme, v. 35. V. 35 nennt eine Angriffs-, v. 36 eine Verteidigungswaffe. V. 37 stellt die Verbindung mit dem Folgenden her. b. V. 38-43 handeln von dem Sieg über die Feinde. Der Kampf wird kaum beschrieben: sobald ein Krieger, wie er in v. 33-37 beschrieben wird, den Schauplatz betritt, ergreifen die Feinde die Flucht. 13

^J 1 bezeichnet hier m. E . nicht so sehr den Weg, als vielmehr das

Gehen, den Gang, vgl. I Sam 21, und viele andere Stellen.

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In diesen Versen zeichnet sich eine Klimax ab, die in v. 43 ihren Höhepunkt erreicht. V. 38 f. beschreiben den Sieg. V. 40a greift auf v. 33-37 zurück (siehe besonders v. 33a). Y. 40b leitet eine erneute Beschreibung der Vernichtung der Feinde ein. In v. 43 findet dieser Abschnitt seinen Höhepunkt. Charakteristisch für diesen Abschnitt ist die Wendung „unter meine Füße, unter mich" in v. 39 und v. 40, vgl. auch 37.49. Hier sei auch erwähnt, daß in diesem Zusammenhang viermal von dem göttlichen „Geben" gesprochen wird, v. 33.36.41.48. Es besteht wohl ein bewußter Gegensatz zwischen v. 42 und v. 7; er wird dadurch unterstrichen, daß beide Verse j j ^ gebrauchen. Siehe auch über jfti? zu v. 2f.: immer wieder wird in diesem Psalm gesagt, daß Jahwe den Dichter befreit; für die Feinde aber gibt es keinen Befreier. Dieser Vers enthält eine Art Wortspiel mit und (Gunkel); vgl. § 16a. c. V. 44-46 beschreiben im wesentlichen die Herrscherstellung, die der König infolge seiner Errettung und seines Sieges innehat. V. 44a greift auf den ersten Hauptteil zurück (wenn man die Stelle so auffaßt, ist es nicht nötig, DJ? "ΊΉΕ, wie viele tun, als verderbt zu betrachten; zu bedenken ist auch: es kann schwerlich behauptet werden, daß im zweiten Hauptteil von einer „Errettung" -ti^B; vgl. v. 3.49-des Dichters die Rede ist). Über v. 44b siehe oben. Μ. E. muß man ferner, im Unterschied zu den Massoreten, v. 44c und 45a, v. 45b und v. 46a zusammenziehen. Bei v. 44c und v. 45a kann man von synthetischem Parallelismus sprechen, bei v. 4 5 b M und v. 46a von synonymem Parallelismus; daß sowohl v. 45b wie v. 46a

14 Gewöhnlich faßt m a n Ϊ^ΠΙ pi. hier und in P s 66 3 81 1β ale „jemanden belügen" auf, w a s hier so viel heißen würde wie „Untertänigkeit heucheln gegenüber jemandem". Der Übergang vom einen z u m anderen ist nicht eben wahrscheinlich; auch paßt diese Bedeutung a n keiner der drei Stellen gut in den Zusammenhang. Ich schlage statt dieser Übersetzung vor: „die K r a f t verlieren". Man sehe die Verwendung des Substantivs in Hi 16 g („Abmagerung, Verfall"; übrigens liegen „Lüge", die normale Bedeutung, und „Kraftlosigkeit" für das Empfinden des Israeliten sehr nahe beieinander), den Gebrauch des Verbs in qal in P s 109 24 , in pi. in H a b 3 1T , auch in Hos 9 2 . Bemerkt sei auch, daß pi. öfters intransitive Bedeutung hat, vgl. Gesenius-Kautzsch, § 62k, siehe auch Denominative wie | Π 3 Ρ*· und m p pi. Die Bedeutung „die Kraft verlieren" paßt an allen drei Stellen gut in den Zusammenhang. E b e n s o muß m . E. li^nD ni. in D t n 33 29 und hitpa. in H Sam 2 2 l s übersetzt werden (ni. und hitpa. kommen bedeutungsmäßig nicht seltem dem qal nahe, siehe Π^Π i n qal und ni., ^ΞΚ in qal und hitpa. usw.).

P s a l m 18

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"03 '33 gebrauchen, ist kein Grund, diese zwei Stichen mit Gunkel, Kraus u. a. als „textinnere Varianten" zu betrachten, siehe § 18a. Bei dieser Auffassung fehlt bei v. 46b ein paralleler Stichos. Vielleicht kann dieses Phänomen folgendermaßen interpretiert werden: man würde erwarten, daß der Dichter v. 46b noch einen Stichos folgen läßt, in dem eine weniger liebliche Szene beschrieben würde; statt dessen hüllt sich der Dichter vielmehr in ein beredtes Schweigen; siehe § 7. Man beachte noch die eigenartige Verwendung von JJöB? in v. 45; auch hier (siehe zu v. 42) liegt eine Art Wortspiel vor, vgl. § 12b. IV. Schluß, v. 47-51. Diese Verse beschließen den Psalm mit Lob und Dank; die Motive des ganzen Psalms kehren hier wieder. V. 47 ist die Einleitung der Schlußhymne, anders ausgedrückt: in v. 47 hören wir plötzlich den kraftvollen Einsatz der Schlußhymne. Vielleicht bildet ΠϊΤΤΐ einen Gegensatz zu „verwelken" in v. 46; möglicherweise klingt auch der Gedanke an, daß dieser lebendige Gott aus dem Griff des Todes befreien kann, v. 5 ff.. Siehe für „Fels" und „meine Befreiung" zu v. 2 f.; πί" kehrt in v. 49 wieder. V. 48 f. bringen fünf kurze Sätze, wie diese in einer Hymne häufig vorkommen (man beachte den Wechsel von Partizipien und Imperfekten; siehe ΝΠ in v.31.33.48). Der Dichter gibt hier eine Zusammenfassung dessen, was Jahwe für ihn getan hat; v. 48a und v. 49a.c beziehen sich vor allem auf v. 4 ff., v. 48b und v. 49b auf v. 33 ff.. F ü r und ΠΠΠ siehe zu v. 38-43, für e S d und zu v. 2 ff.. V. 50 drückt das Anliegen des gesamten Liedes aus. Der Schluß vers, ν. 51, gibt uns gewissermaßen den Schlüssel f ü r das Verständnis alles Vorhergehenden an die Hand: Der Dichter spricht nun aus, daß er der König Jahwes, der Gesalbte Jahwes ist, und nennt seinen Namen (so erklärt sich auch, daß er nun von sich selbst in der dritten Person spricht). Er nennt Jahwes fiijflti^ und *1D!"t; diese zwei Realitäten tragen den gesamten Psalm; siehe für ytl" zu v. 2 f., für ΠΒΠ vgl. v. 26. E r schließt mit einem Ausblick in die Zukunft. Psalm 19 V . 2 f. |4.5a.b| |5c.b.e[7| | [8—10|ll |l2| |13 f. | |l5

2 —2|2—2||3|3|||2—2—2—2 — 2—2|2—2|2||2—2—21|3 Zwischen den zwei Teilen des Psalms, v. 2-7.8-15, bestehen inhaltlich wie formal große Unterschiede. Vielleicht ist die Einheit des

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Psalms ursprünglich (so Eerdmans, Kissane u. a. 1 ), vielleicht auch nicht (so die meisten Neueren); wie dem auch sei, der Psalm ist uns als eine Einheit überliefert. Aus diesem Grunde ist eine gesonderte Auslegung beider Teile für sich jedenfalls nicht ausreichend, der Psalm muß vielmehr als Ganzes betrachtet werden 2 . Hierbei ist außerdem zu bedenken, daß v. 2-7 schwerlich einen gesonderten Platz in der Psalmensammlung hätten erhalten können: diese Sammlung kennt keinen Psalm, der nur aus einem Lied auf Gottes Herrlichkeit in der Natur besteht. I n v. 2-7 singt der Dichter von der Herrlichkeit Gottes, wie sich diese im Firmament und den Himmelskörpern, v. 2-5b, namentlich der Sonne, v. 5c-7, offenbart. In v. 8-12 besingt er in ganz anderer Weise, jedoch sicherlich nicht weniger begeistert, die Herrlichkeit der "Tin. I n v. 12 wird der Ton persönlicher. So ist v. 12 die Überleitung zu dem Gebet von v. i3f.. V. 15 bildet den Schluß. Wir machen zunächst über jeden der beiden Teile einige gesonderte Bemerkungen. Auffallend ist das Verhältnis von v. 3 und v. 4. Zunächst eine Übersetzung dieser Verse: 3

4

Der eine Tag nach dem anderen 3 läßt eine Sprache aueströmen; und die eine Nacht nach der anderen 3 teilt Wissen mit. Da ist keine Sprache, da sind keine Worte; ihre Stimme wird nicht gehört 4 .

I n v. 2 f. wird gesagt, daß das Firmament und die Himmelskörper von der Herrlichkeit Gottes erzählen. V. 4 fügt hinzu, daß dies ohne Worte geschieht: In schweigender Majestät verkündet der Himmel Gottes Herrlichkeit. Der Zweck dieses Verses ist offenbar, 1 Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, I I 267, schreibt: ,,19B has been composed as a sequel to 19A"; so auch andere. Für eine Übersicht der verschiedenen Meinungen siehe ζ. B. J. van der Ploeg, Psalm X I X and some of its problems, JEOL 17 (1964), 1 9 3 - 2 0 1 . 2 Vgl. ζ. Β. Kraus, 153: „Die Tradition hat die beiden Teile zusammengeschlossen. Damit ist die Aufgabe gestellt, im Anschluß an die Erklärung der beiden Stücke nach dem Grund und nach der Bedeutung der Zusammenstellung zu fragen." 3 Diese Übersetzimg wird u. a. von Eerdmans gegeben, der sich mit Recht auf II Sam 1426 stützt; vgl. auch Gesenius-Kautzsch, § 123c, 134q. Gewöhnlich übersetzt man: „Ein Tag läßt dem anderen eine Sprache zuströmen." Dann aber erhält man eine Bildersprache, die wohl sehr kühn, nirgends sonst im AT zu finden und nicht eben klar ist. 4 Für eine Verteidigung der Auffassung von v. 4, die aus dieser Übersetzung spricht, siehe ζ. B. Gunkel.

Psalm 19

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das Wunderbare und Erhabene der Verkündigung des Himmels zu unterstreichen; siehe auch unten. Es ist uns an dieser Stelle speziell um den Gegensatz zwischen v. 3 und v. 4 zu tun. V. 3 sagt: * ÖX V. 4 läßt hierauf ohne Übergang folgen: "Ittfc- pN. Wir würden in einem solchen Fall eine limitative Bestimmung hinzufügen, etwa „im eigentlichen Sinne". Anders der Israelit; er stellt des öfteren zwei Aussagen nebeneinander, die sich beim ersten Anhören auszuschließen scheinen, vgl. Prov 26 4 f Sir 1310 usw. Man beachte auch, daß nach all den Verneinungen von v. 4 in v. 5 wiederum von „ihre Rede" gesprochen wird. Vgl. ferner § 11 und § 63c. Wie bereits gesagt wurde, zerfallen v. 2-7 in zwei Abschnitte, v. 2-5b und v. 5c-7. Diese zwei Abschnitte haben einen ähnlichen Schluß: weltumspannend ist sowohl das Himmelsgewölbe, v. 5a.b, wie die Bahn der Sonne, v. 7; nicht nur in der Vorstellung, sondern auch in der Wortwahl besteht eine Übereinstimmung: TOfp, fllXp wird in v. 5b.7a.7b gebraucht, siehe auch KP in v. 5a.7a (vgl. auch v. 6a). V. 9-12 enthalten eine Hymne auf das Gesetz Jahwes. Die Hymne auf die Sonne besingt die Größe Gottes, des Schöpfers der Sonne; so rühmt das Loblied auf das Gesetz die Herrlichkeit dessen, der das Gesetz gegeben hat. „Die Eigenschaften, die dem Gesetz zugeschrieben werden, gelten zugleich auch von dem Gott, der hinter dem Gesetz steht" (Weiser). Der Aufbau dieses Teils ist sehr regelmäßig. Vor allem in v. 8 f. sehen wir einen weit durchgeführten Parallelismus. V. 8-10 lassen sowohl internen wie externen Parallelismus erkennen. Zugleich aber zeigen diese Verse so viel Abwechslung, daß von Eintönigkeit keine Rede sein kann. V. lOa.b und c.d sind zwar ähnlich aufgebaut wie v. 8a.b.8c.d und 9a.b.9c.d., machen aber im zweiten Teil eine Aussage, die doch etwas anders geartet ist, als die Aussagen in den vorhergehenden Zeilen. V. 11 unterscheidet sich deutlich von den anderen Versen. I n noch stärkerem Maße gilt dies von v. 12. All dies zeugt von der Kunstfertigkeit des Autors und dient dem Zweck, das Rühmen des Gesetzes in die Herzen dringen zu lassen. V. 8a.b sagen: „Das Gesetz Jahwes ist ohne Mangel; es läßt die Lebenskraft zurückkehren". Hierin kann die fundamentale Aussage dieses Abschnittes erblickt werden, die vor allem in v. 8c.d und v. 9 noch näher herausgearbeitet wird. V. ll bietet ein Beispiel für klimaktischen Parallelismus, vgl. § 19. V. 12 stellt nach Inhalt und Form den Übergang zum Folgenden dar. Hier wird Jahwe zum erstenmal angeredet. Der Dichter spricht nunmehr von seiner eigenen Haltung gegenüber dem Gesetz.

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III. Spezieller Teil

I n v. 13 f. wird deutlich ein anderer Ton vernehmbar. Der Dichter h a t bisher von der Sprache des Firmaments u n d dem Glanz der Sonne gesungen u n d die Vollkommenheit des Gesetzes gerühmt. Letzten Endes aber ist dies alles nicht genug; daher spricht er in diesen Versen von der vergebenden und bewahrenden Gnade Gottes, jenes Gottes übrigens, der sich in Firmament, Sonne u n d Gesetz offenbart. Dieser Dichter erkennt den Reichtum des Gesetzes in seinem vollen Umfang, er weiß aber, daß das Gesetz an u n d f ü r sich noch nicht genügt, daß er von der Vergebung, v. 13, u n d Bewahrung, v. 14, Jahwes leben muß. Siehe auch unten. Die Erfüllung des Gesetzes bringt 2 τ 2p v ", v. 12, das Abirren von dem Weg des Gesetzes f ü h r t zu v. 14. D'ön gilt vom Gesetz, v. 8, wenn aber J a h w e dem Menschen Vergebung u n d Bewahrung schenkt, gilt es auch vom Menschen, v. 14. V. 15 bildet den Schluß. Dieser Vers heißt zunächst: Möge dieses Lied, im Herzen geboren, mit dem Munde gesprochen, das der Dichter als Opfer darbringt, J a h w e Wohlgefallen; vgl. P s 104 34 , siehe ferner ζ. B. Gunkel. Durch den engen Anschluß an das Vorhergehende aber bedeutet er darüber hinaus: möge alles, was der Dichter d e n k t u n d spricht, J a h w e wohlgefällig sein. Wir behandeln nunmehr den Psalm als Ganzes. Dieser Psalm enthält eine Klimax; siehe zu P s 8 u n d vgl. § 22. Die N a t u r verkündet Gottes Majestät. I n der Schöpfung offenbart sich Gott in seiner Herrlichkeit. Reicher noch offenbart J a h w e sich jedoch in seinem Gesetz. Wae das Gesetz Israel schenkt, k a n n das Loblied der Himmel, das in der ganzen Welt erschallt, nicht bewirken; vgl. D t n 4 g 1 9 f u.a. Der Autor von P s 19 dogmatisiert nicht. Auf die Frage, worin die Gottesoffenbarung im Gesetz diejenige in der N a t u r übertrifft, gibt er keine, zumindest keine direkte Antwort. Jedoch k a n n den vorstehenden Bemerkungen über das Verhältnis zwischen v. 2-7 u n d v. 8-15 noch etwas hinzugefügt werden. Zunächst ist auf den Gebrauch der Gottesnamen hinzuweisen. V. 2-7 nennen Gott nur einmal bei seinem Namen, v. 2a (siehe jedoch auch v. 2b u n d v. 5c), u n d gebrauchen dann I n v. 8-15 finden wir siebenmal 5 den N a m e n ΠΤΡ> siehe daneben noch „mein Fels u n d E r löser" in v. 15. Auf diese Weise bringt der Dichter doch wohl zum Ausdruck, daß die N a t u r an sich Jahwe, den Gott des Bundes, nicht erkennen läßt; er k a n n nur durch die ΓΗ1Γ) erkannt werden. Siehe 6

Hat die Zahl Sieben hier eine besondere Bedeutving ? Siehe § 44.

Psalm 19

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auch in v. 12 und v. 14; hiermit betont der Dichter, daß er in einem besonderen Verhältnis zu Gott steht. Eine bestimmte Verbindung zwischen den zwei Teilen des Psalms stellt das Wort 1j5 in v. 5a her*. Mir scheint, daß dieses Wort hier, wie auch andernorts, mit „Meßschnur, Richtschnur" übersetzt werden muß7 und in v. 2-7 eine zentrale Stellung hat. Das Firmament und die Himmelskörper erzählen vor allem dadurch von Gott, daß sie eine Meßschnur, eine Richtschnur verwenden, daß sie selbst Meß- und Richtschnur sind. Das Firmament setzt den Wassern Schranken, siehe Gen l e _ 8 , vgl. auch Hi 38β ff u. a. Vielleicht kann auch gesagt werden, daß das Himmelsgewölbe die Peripherie der Erde bestimmt, vgl. Hi 38s. Die Himmelskörper bestimmen die Länge von Tag und Nacht, von Monaten, Jahreszeiten und Jahren, vgl. Gen 114 usw. Der Israelit hat sich stets darüber gewundert, daß das Weltall bestehen blieb, daß die Himmelskörper nicht vom Himmel herabfielen, vgl. Jes 344 u. a., sondern ihre festen Bahnen zogen, daß die Wasser die Erde nicht überschwemmten usw. Er hatte einen Blick für das Wohlgeordnete, die Zweckmäßigkeit des Weltalls. Und er erblickte darin die Offenbarung von Gottes Allmacht, Weisheit und Güte. Davon singen auch Ps 192_7. Und dann fügen v. 8 ff. hinzu: ΠΊΡΡ ΓΗΊΪΊ ist eine Richtschnur8 in viel höherem, viel herrlicherem Sinne. Wir müssen an dieser Stelle auf v. 4 zurückkommen. Im vorstehenden wurde festgestellt, daß dieser Vers den wunderbaren und erhabenen Charakter der Verkündigung des Himmels unterstreicht. Vielleicht muß hinzugefügt werden: Der Dichter besingt hier die Gottesoffenbarung im Firmament, die sich ohne Worte vollzieht; im folgenden besingt er die Gottesoffenbarung in der ΓΓΠΓ1; die ΓΠ1Π bringt eine in Worte gekleidete Kunde und ist somit eine deutlichere Gottesoffenbarung®. • Vgl. Weiser, 136 f.: „Vermutlich sind die beiden Teile von Ps 19 als Hymnen auf die Schöpfung und das Gesetz Gottes aus kultischer Überlieferung hervorgegangen und zu gottesdienstlichem Gebrauch zusammengestellt, wobei der Gedanke der Ordnung Gottes (vgl. „Gesetz" V. 5) die innerliche Verknüpfung bildete." 7 Siehe vor allem P. Α. H. de Boer, fitude sur le sens de la racine qwh (OTS 10, 1954, 225-246), 245 f. 8 Vgl. die Verwendung von lp_ in Jes 28 17 . • Kraus, 160 schreibt unter Berufung auf v. 4: „Die glossolalischen Chiffren der naturinneren Überlieferung, die den Schöpfer lobt und lehrt, kann kein Mensch vernehmen. Der Kosmos feiert Gottes aber er lehrt nicht seinen Willen. Darum ist Ps 19 Β als entscheidender Hinweis, gleichsam als Enthül-

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III. Spezieller Teil

So zeigt sich, daß v. 8-15 einen um so volleren Klang erhalten, da sie der Hymne von v. 2-7 folgen. In welchem Maße dies von den einzelnen Aussagen von v. 8-15 gilt, läßt sich nicht exakt bestimmen. Die Sonne „läßt" zuweilen ,,die Lebenskraft zurückkehren", das Gesetz bewirkt dasselbe in höherem Sinne, v. 8b. Die Nächte teilen Wissen mit, v. 3b; die Weisheit, welche das Gesetz schenkt, übertrifft dieses Wissen, v. 8d. Mit mehr oder weniger Grund können ähnliche Bemerkungen10 auch im Hinblick auf v. 8a.c und 10c (vgl. Ps 8938), v. 9b.d.l0b gemacht werden. Hat es eine bestimmte Bedeutung, daß "ftp! sowohl in v. 7 wie in v. 13 steht (ζ. B. diese Bedeutung: Vor der Glut der Sonne ist nichts verborgen; also ist erst recht vor dem, der die Sonne gemacht hat, kein Ding verborgen, selbst nicht die Sünden des Dichters, die ihm selbst verborgen sind) ? Diese Frage muß dahingestellt bleiben. Nach Fisch will der Dichter in v. 9 sagen, daß das Gesetz ebenso wie die Sonne Π"τ3, „bright" ist, vgl. Cant 6 1 0 ; Fisch meint ferner, daß * ΓΗ3 in v. 12 doppeldeutig sei (es könne sowohl „warned, taught" wie „enlightened, gleaming" bedeuten; in der zweiten Bedeutung enthalte es eine Anspielung auf v. 2-7); auch bei diesen Behauptungen erhebt sich die Frage, ob sie nicht zu weit hergeholt sind. Fisch geht m. E. sicher zu weit, wenn er zu v. 14 schreibt: Π may have been suggested by 1ΓΙ03 and the linked idea of "t^n which would constitute a kind of implied paronomasia." Am Schluß kehren wir noch einmal zu v. 13 f. zurück. Diese Verse stellen uns vor die Frage: ist dieser Psalm eine in ein Gebet mündende Hymne oder ein von einer Hymne eingeleitetes Gebet? Vgl. § 55. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß die Hymne in diesem Psalm als Einleitung der Bitte von v. 13 f. 11 gedacht ist; der Inhalt von v. 15 (siehe oben) könnte diese Annahme bestätigen. Es ist jedenfalls denkbar, daß der Psalm bei späterem Gebrauch so gesehen wurde. Indessen liegt es doch wohl näher, zumal wenn man v. 2-15 als eine Einheit auffaßt, anzunehmen, daß der Psalmist vor allem ein Loblied singen wollte und dieses Loblied in ein Gebet münden ließ. lung des dechiffrierenden Kodewortes, hinzugefügt worden." Μ. E . liest K r a u s aus v. 4 zu viel heraus und mißt diesem Vers bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen v. 2-7 und v. 8-15 zu große Bedeutung bei. 10 Vgl. für das Folgende die Bemerkungen, die H. Fisch in seinem Artikel The analogy of nature, J T h S 56 (1955), 161 — 173, über Ps 19 macht, 171 f.; auch ζ. B. Mowinckel. The Psalms in Israel's Worship, I 90 f. 11 Vgl. Mowinckel, Psalmenstudien, V 1924, 124; V I 1924, 28; nach Mowinckel ist Ps 19 Β ein „Bittgebet"; siehe auch Mowinckel, The Psalms in Israel's Worship, I I 113 f.

Psalm 20

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Psalm 20 V. 2|3-6b|ec||7||8f.|l0 2|2—2—2—2|1||3||2—2|2

Es läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, welches der (ursprüngliche) Sitz im Leben dieses Psalms ist. Mir scheint am wahrscheinlichsten, daß der Psalm als Gebet vor einem Feldzug, einer Schlacht gedichtet wurde, vgl. auch Ps 21, siehe ferner ζ. B. Gunkel. Der Psalm ist aus liturgischen Einheiten aufgebaut; in seinem Aufbau läßt sich eine große Verwandtschaft mit P s 12 feststellen. Besondere Beachtung verlangt v. 7. I n v. 2-6 wird der Wunsch ausgesprochen, daß Jahwe dem König helfen möge. Gleich darauf heißt es in v. 7: „Nun weiß ich, daß Jahwe seinen Gesalbten b e f r e i t . . . " Es liegt auf der Hand, daß hier eine andere Stimme spricht; man beachte außer dem inhaltlichen Unterschied das „wir" in v. 2-6 und das „ich" in v. 7, „ d u " in v. 2-6 und „sein Gesalbter" in v. 7. Es ist anzunehmen, daß hier ein Diener des Heiligtums spricht, der auf irgendeine Weise die Gewißheit erlangt hat, daß Jahwe die Opfer und Gebete gnädig annimmt. Siehe auch unten und vgl. ferner ζ. B. Gunkel. I n diesem Psalm findet also ein Wechsel der Stimmen statt. Indessen läßt sich dies im einzelnen nicht mit Bestimmtheit nachweisen. Eine Möglichkeit wäre, daß v. 2-6 von einem im Namen des Volkes sprechenden Diener des Heiligtums vorgetragen wurden, v. 7 von einem anderen Diener, der die Antwort Jahwes wiedergibt, v. 8 f. wiederum von dem ersten Diener, während die zwei kurzen Ausrufe in v. 10 von der gesamten um das Heiligtum versammelten Gemeinde vorgebracht wurden, siehe zu Ps 3g1. V. 2-6 enthalten Wünsche. Der König hat sich mit Opfern, v. 4, und Gebeten an Jahwe gewandt. Sodann wird er hierin durch das Volk unterstützt. Auffallend ist, daß in v. 2-6 die Fürbitte in die Form von Wünschen gekleidet ist, in denen der König angeredet wird; dadurch erhält die Gebetsgemeinschaft zwischen König und Volk einen besonderen Akzent. Über v. 7 siehe bereits oben. Wir können sagen, daß dieser Vers einen Gottesspruch enthält, daß er Jahwes Antwort auf die in v. 2-6 ausgesprochenen Wünsche erteilt. Formal ist dies nicht der Fall 1

Kittel überschreibt v. 2-6 mit „Tempelchor", v. 7-9 mit „Eine Stimme", v. 10 mit „Alles Volk". Es erscheint mir jedoch nicht ratsam, v. 7-9 als eine Einheit zu betrachten, u. a. deswegen nicht, weil v. 7 in der Ichform, v. 8 f., wie auch ν. β, dagegen in der Wirform sprechen.

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III. Spezieller Teil

— Jahwe wird nicht sprechend eingeführt —, wohl aber inhaltlich. Daß v. 7 Jahwe nicht sprechend einführt, p a ß t dazu, daß v. 2-6 sich nicht direkt an Jahwe richten. V. 8 f. enthalten das Amen des Glaubens, siehe zu Ps 12, f . F ü r v. 10 siehe bereits oben. Zwar wurde die Erhörungsgewißheit erlangt (v. 7-9), aber noch ist der Feind nicht besiegt. So folgt dem Triumphlied eine erneute Bitte 2 (siehe § 53b), und zwar die einzige eigentliche Bitte in diesem Psalm. I n gewissem Sinne erreicht der Psalm in diesem Hilferuf seinen Höhepunkt: es ist dem Dichter doch letztlich darum zu tun, Jahwe um Befreiung zu bitten. V. 10b enthält einen Wunsch; hierin biegt der Psalm zum Anfang, v. 2-6, zurück, insonderheit zu den ersten Worten, v. 2a, vgl. § 15. Es läßt sich sagen, daß der dem Schrei um Befreiung (v. a) folgende Wunsch von v. b eine Art Decrescendo bildet, vgl. § 223. Einige Details verlangen unsere Aufmerksamkeit. Um zunächst auf v. 2-6 zurückzukommen, so stellen v. 3-6b formal gesehen ein eng geschlossenes Ganzes dar; dieser Abschnitt ist besonders regelmäßig gebaut: alle Doppelstichen zeigen synonymen Parallelismus in chiastischer Wortfolge. V. 2 ist die Einleitung; formal gesehen springt dieser Vers aus dem Rahmen: sein Metrum unterscheidet sich von dem der Verse 3-6b; er ist nicht chiastisch aufgebaut; zwar läßt sich auch hier synonymer Parallelismus erkennen, es ist dies jedoch ein inkompletter Parallelismus mit Kompensation, mit einer Ballastvariante. I n v. 3-6b nehmen v. 6a.b inhaltlich gesehen einen besonderen Platz ein. V. 6a.b enthalten ein Gelübde f ü r den Fall, daß die Bitte erhört wird; man könnte auch von einem vorausgreifenden Danklied sprechen; jedenfalls bildet dieser Vera einen Übergang zu v. 7 (siehe auch den Gebrauch von ). Vielleicht kann gesagt werden, daß sich auch bereits in v. 2-5 eine zunehmende Begeisterung verrät, siehe vor allem v. 5b. V. 6c stellt eine Art Nachschlag dar. Ihm folgt kein paralleler Stichos, vgl. § 7. Das Metrum entspricht dem von v. 2; sowohl v. 2 wie v. 6c gebrauchen den Gottesnamen ~T!'; es besteht also eine Korrespondenz zwischen dem Anfang und dem Schluß des Abschnitts ! Sehr viele (siehe jedoch ζ. B. Cohen) ziehen — wie mir scheint, mit Recht — zu v. a. Die Auffassung, die aus der massoretischen Akzentuierung spricht, dürfte nach dem Fall des Königtums entstanden sein. 3 Viele (siehe jedoch Kraus u. a.) lesen in v. 10b mit verschiedenen alten Textzeugen statt des Jussivs den Imperativ. Μ. E. wurde oben ersichtlich, daß dies abgewiesen werden muß.

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Psalm 20

v. 2-6, vgl. § 15. Wie auch bei v. 10b, siehe oben, können wir bei v. 6c von einem Decrescendo sprechen: der zwischen v. 6a.b und v. 7 eingefügte Wunsch (v. 6c) läßt den Jubelschrei von v. 7 um so stärker hervortreten. V. 7 weicht auch in formaler Hinsicht von allen anderen Versen ab. Dies gilt von dem Metrum4 ebenso wie von dem Parallelismus. Man kann zwar sagen, daß zwischen v. aß — b — c ein gewisser Parallelismus besteht; dieser weicht jedoch von dem Parallelismus ab, wie er sich in den anderen Versen dieses Psalms findet. Es ist, als durchbreche die Leidenschaft des Sängers hier alle Regeln. Der interne Parallelismus in v. 8 f. ist antithetisch, der externe Parallelismus synthetisch. In dem abrupten Stil von v. 8 äußert sich leidenschaftliche Verzückung. Der Gegensatz ist weniger krass gemeint als es scheinen könnte, vgl. § 63c. In v. 9 werden, wie auch in v. 7a, Perfekte gebraucht: der Glaube singt hier bereits vor der Schlacht ein Siegeslied. Wie wir bereits sahen, korrespondiert v. 2a mit v. 6c und vor allem mit v. 10b. Wir müssen auf die Funktion des Stils der Wiederholung in diesem Psalm näher eingehen. Auffallend istdie Wortwahl im Anfang, v. 2, im Schluß, v. 10, und in dem „Gottesspruch", v. 7. Dadurch, daß der Gottesspruch Wörter gebraucht, die auch bereits in der Eingangsbitte vorkamen, wird deren Erhörung unterstrichen. Daß die Schluß bitte im Wortgebrauch ihrerseits auf den Gottesspruch zurückgreift, verleiht ihr um so stärkeren Nachdruck. Der Psalm beginnt mit dem Wunschr „Jahwe antworte dir"; v. 7 sagt: „Er antwortet ihm"; der Schluß geht sowohl auf den Anfang wie auf den Gottesspruch zurück: „Er antworte uns" (Anfang und Schluß werden auch durch den Gebrauch von 0ΪΟ miteinander verbunden). Ähnliches läßt sich auch hinsichtlich des Gebrauchs von ytf* bemerken. Der Gottesspruch gebraucht zweimal so erhält diese Vorstellung einen starken Akzent, jfljfi wurde auch bereits in der Fürbitte gebraucht, v. 6. Nach p.^in in v. 7 hat Π^Ιί^Π in v. 10 große Ausdruckskraft. Man beachte ferner den Gebrauch von Π TP in v. 2.7.10 und auch in v. 6 (siehe oben). Beachtung verdient sicherlich auch (vgl. ζ. B. Kraus), daß der Psalm dreimal von. „der Name" Jahwes spricht, v. 2.6.8. Oben wurde 4 E s soheint mir nicht richtig, die Unregelmäßigkeit des Metrums mit Gunkel, Kraus u. a. durch eine Konjektur zu beseitigen; siehe Kittel u. a.

Rldderboe, Psalmen

13

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Π Ι . Spezieller Teil

dargelegt, daß v. 60 einen besonderen Platz einnimmt; er wird jedoch dadurch, daß sein Anfang mit dem Schluß der Wünsche von v. 3-5 identisch ist ( » t o , mit v. 3-5 verbunden. Sowohl v. 4 wie v. 8 gebrauchen will der Dichter sagen: „wenn Jahwe der Opfer, sich erinnert', wird das Volk seinen Namen ,in Erinnerung bringen' "? Psalm 21 V. 2f.|4f.|ef.||8|||9-ll|l2f.||l8

2—2|2—2|2—2||2|||2—2—2—2|2—2||2

Die Feststellung des Sitzes im Leben bereitet bei Ps 21 sicherlich nicht weniger Schwierigkeiten als bei Ps 20. Manches spricht für die alte Auffassung, derzufolge Ps 21 nach der Erringung des Sieges gedichtet wurde, um den in Ps 20 gebetet wird; vgl. Kittel, Cohen u. a. Für andere Auffassungen siehe ζ. B. Kraus und auch F. Ch. Fensham, Ps 21 — A Covenant-Song?, ZAW 77 (1965), 193—202. Es ist deutlich, daß v. 2-7 ebenso wie v. 9-13 zusammengehören. V. 2-7 beziehen sich vor allem auf die Vergangenheit und die Gegenwart, v. 9-13 auf die Zukunft 1 . V. 2-7, die sich an Jahwe richten, geben der Freude über die Wohltaten Ausdruck, die Jahwe geschenkt hat und noch schenkt; v. 9-13 äußern die Gewißheit, daß Israels Feinde in der Zukunft besiegt werden 2 . Nicht leicht zu beantworten ist die Frage, ob in v. 9-13, ebenso wie in v. 2-7, Jahwe angeredet wird, oder ob v. 9-13 an den König gerichtet sind. Mit den meisten Neueren (anders ζ. B. Weiser, Eerdmans) wird man annehmen müssen, daß diese Verse sich an den König richten. Abgesehen von der Antwort auf diese Frage gilt, daß v. lOc.d zumindest in der Fassung des MT einen besonderen Platz einnehmen. Viele nehmen im MT Änderungen vor. Dies scheint mir nicht erforderlich, siehe ζ. B. Condamin. Nach der von mir vertretenen Auffassung, siehe oben, richten v. lOa.b sich an den König; v. lOc.d fügen der Aussage von v. lOa.b hinzu, daß die Feinde es letztlich nicht nur mit Israels König, sondern mit Israels Gott zu tun haben. Vor allem, wenn man davon ausgeht, daß v. 9-13 sich im Gegensatz zu v. 2-7 an den König richten, liegt es nahe, anzunehmen, daß in v. 9-13 eine andere Stimme spricht als in v. 2-7. 1

Auch v. 5b.7a(.8b) wird bereits von der Zukunft gesprochen; ebenso ließe sich sagen, daß v. 12 über die Gegenwart spricht. 2 Es begegnet öfter, daß in einem Danklied, in dem naturgemäß hauptsächlich von der "Vergangenheit und der Gegenwart die Rede ist, der Blick auf die Zukunft gerichtet wird, siehe zu Ps 9 u. a.

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Psalm 21

Wir richten unsere Aufmerksamkeit nunmehr auf v. 8 und v. 14. V. 14 spricht als einziger Vers in diesem Psalm in der Wirform. Nach der Heilsverheißung in v. 9-13 erscheint in v. 14a eine kurze Bitte. Es ist keine Ausnahme, daß die Schlußverse eines Psalms, in dem Lob und Dank überwiegen, eine Bitte enthalten, siehe § 54. In unserem Fall schließt sich die Bitte dem Vorhergehenden sehr gut an; es wird darum gebetet, daß Jahwe die Heilsankündigung, das Heilsversprechen von v. 9-13 erfüllen möge. V. 14b enthält die Ankündigung eines Lobliedes für den Fall, daß die Bitte von v. 14a erhört wird; diese Ankündigung fungiert als Beweggrund des göttlichen Einschreitens; vgl. § 61. In v. 14 spricht eine andere Stimme als in v. 9-13; wir können annehmen, daß dieser Vers vom Volk vorgebracht wurde, vgl. Ps 20 l o u. a. V. 8 unterscheidet sich vom Kontext darin, daß er sowohl vom König wie von Jahwe in der dritten Person spricht. Er deutet an, warum Jahwe dem König Heil schenkt; es ist dies eine Folge dessen, daß der König auf Jahwe vertraut, eine Folge von Jahwes 1ΒΠ· V. 8 kann jedenfalls als eine Überleitung vom ersten zum zweiten Teil gelten. Darüber hinaus lassen sich hier verschiedene Auffassungen vertreten. Delitzsch, Kittel u. a. ziehen v. 8 zum zweiten Teil; es liegt jedoch näher, ihn mit den meisten als Abschluß des ersten Teils zu betrachten: der Psalm besteht dann aus zwei Teilen, deren letzter Vers jeweils eine gesonderte Stellung hat. Die Parallelität beider Teile ist vor allem dann groß, wenn, wie Weiser (ähnlich auch Mannati) annimmt, v. 8 ebenso wie v. 14 vom Volk vorgebracht wurde, und zwar „als eine Art Akklamation". Diese Auffassung ist gewiß reizvoll, sie ist jedoch naturgemäß hypothetisch 3 . Hinsichtliöh des Aufbaus von v. 2-7 kann gesagt werden: „deine Befreiung", v. 2, wird in v. 3 näher herausgearbeitet; v. 4 spricht konkreter als v. 3; v. 5 nennt den zentralen Punkt; v. 6 beschreibt den 3 K a m das Volk als Gesamtheit im Kultus bei anderer Gelegenheit zu Wort als bei dem „Amen" oder „Halleluja", vgl. D t n 27, 5 Η. I Chr 16 3e Esr 3 , , Neh 8 6 u. a., oder bei einer Formel wie „Lobet Jahwe, denn er ist gut; ewig währt seine Gunst", vgl. II Chr 7„ Jer 3 3 t l u. a. ? Man darf m. E. annehmen, daß das Volk auch kurze Ausrufe wie diejenigen in Ps 20 10 21 i4 vorbrachte, mehr aber läßt sich nicht ohne Bedenken sagen. Speziell zu Ps 21 β sei noch bemerkt: Wenn Ps 21 10 im MT richtig überliefert worden ist (siehe oben), wird an diesem Vers deutlich, daß man aus der Tatsache, daß über Jahwe unerwarteterweise in der dritten Person gesprochen wird, nicht zu viele Folgerungen hinsichtlich eines Wechsels der Stimmen ziehen darf (es sei denn, man müßte annehmen, daß auch in v. 10b das Volk wieder zu Wort kommt).

13*

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III. Spezieller Teil

Glanz, der den König nun umgibt, da Jahwe ihm „Leben" geschenkt hat; v. 7 greift auf das Vorhergehende zurück (siehe und m~"Q in v. 7 und v. 4, *7£. in v. 7 und v. 5, rtöiP in v. 7 und v. 2). V. 9-13 zerfallen in zwei Teile, v. 9-n. 12 f. V. 9 - n stellen eine Klimax dar. Bei v. 13 könnte überraschen, daß die Reihenfolge von v. a und v. b nicht umgekehrt ist; man wird v. b jedoch als einen verbalen Umstandssatz auffassen müssen, siehe Gesenius-Kautzsch, § 156d. Wie aus dem bisher Gesagten hervorgeht, bilden v. 2-8 und v. 9-13 in mancher Hinsicht einen Gegensatz. Man beachte dabei noch folgendes: In v. 2-8 wird gesagt, daß der König zu Segnungen „gestellt" wird, v. 7 (für „stellen" und „Segnungen" siehe auch v. 4), in v. 9-13 heißt es, daß die Feinde zu einen feurigen Ofen „gestellt" werden, v. 10, zu Flüchtlingen „gestellt" werden, v. 13. Man kann sagen, daß eine bestimmte Korrespondenz zwischen "pß in v. 7 und demselben Wort in v. 10 besteht; dieses Wort hat in beiden Fällen eine prägnante Bedeutung: Das Angesicht Jahwes schenkt dem König Freude, das Angesicht des Königs läßt seine Feinde untergehen (vgl. ζ. Β. I I Sam 17n). I n v. 2-8 wird betont, daß der König Länge der Tage für ewig und immerdar erhält, v. 5.7, in v. 9-13, daß selbst der Samen der Feinde vertilgt wird, v. 11. Auf die Korrespondenz zwischen v. 8 und v. 14 wurde bereits hingewiesen. Eine Korrespondenz besteht ferner zwischen v. 7 und v. 13; v. 7 beginnt mit „Denn du stellst ihn", v. 13 mit „Denn du stellst sie", v. 7 schließt mit „bei deinem Antlitz", v. 13 mit „auf ihrem Antlitz". Ebenso wie in Ps 20 usw. (siehe § 15), greift in Ps 21 der Schluß auf den Anfang zurück, vgl. "]f}D in v. 14 und in v. 2. Das Verhältnis zwischen Schluß und Anfang ist hier eigenartig: der Schluß, v. 14b, verspricht ein Lob- und Danklied (siehe oben); ein Beispiel für ein Lied, wie es hier versprochen wird, stellen v. 2 ff. dar; so bildet der Psalm einen circulue gloriosus, siehe auch zu Ps 30. Im vorstehenden wurde bereits auf verschiedene Erscheinungsformen des Stils der Wiederholung in diesem Psalm hingewiesen. Hier sei noch folgendes ergänzt: in v. 9 steht zweimal (siehe § 18a), in v. 10 zweimal^ Daß „deine Befreiung" sowohl in v. 2 wie in v. 6 steht, ist der Atmosphäre dieses Psalms völlig angemessen. Wenn man davon ausgeht, daß v. 10 zwei Doppelstichen enthält, zählt jeder der beiden Teile dieses Psalms sieben Doppelstichen; siehe ferner § 46. Sowohl im ersten wie im zweiten Teil hat der siebente Doppelstichos eine gesonderte Stellung. Muß man die zwölf übrigen Doppelstichen mit Condamin, Desnoyers und K r a f t in Zweiergruppen

Psalm 21

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zusammenfassen: ν. 2 f. 4 f. β f. 9.lOa.b. lOc.d.n. 12 f. ? Es ist dies eine naheliegende Einteilung, gegen die sich keine triftigen Argumente ins Feld führen lassen. Dennoch muß dahingestellt bleiben, ob sie richtig ist: dem Inhalt des Psalms lassen sich schwerlich Argumente entnehmen, die für diese Einteilung sprechen (siehe übrigens oben zu v. 12 f.); hinzu kommt, daß der Aufbau von v. 10 fraglich ist. Psalm 221 V. 2 f.|4-β| |7-9|l0 f.11 |l2a| |l2b.c| |13 f. |15 f. | |l7-19| 1120-22 23 f. [25|26 f. 1128|29|30-32

2—2|2—2—2||2—2—2|2—2|||1||2||2—2|2—2—2—1||3—2—2|||2—2—2 2 — 3|3—2|2—3112 — 2|2[3—2—2

In diesem Psalm werden tiefempfundene Klagen ausgestoßen. Aber auch hier zeigt sich, daß die Psalmisten sich nicht von zügellosen Emotionen mitreißen ließen. Dieses Klagelied aus großer Not hat einen sehr wohldurchdachten Aufbau. V. 2-22 enthalten ein Klagelied, v. 23-32 ein Danklied. Möglicherweise bilden das Klagelied und das Danklied eine ursprüngliche Einheit, hat also der Dichter dem Klagelied in der Gewißheit der Erhörung gleich das Danklied angeschlossen2. In diesem Falle müßte man zumindest von einer Nachwirkung des kultischen Rituals sprechen; auch ist es nicht ausgeschlossen, daß zwischen v. 22 und v. 23 in der Tat eine kultische Verrichtung gedacht werden muß; siehe ferner § 36 a, 60. Ich gliedere das Klagelied in drei Teile, v. 2-n. 12-19. 20-223. 1 Westermann macht in: Gewendete Klage, 19572, auch von dem Gesichtepunkt aus, der uns hier beschäftigt, wichtige Bemerkungen über diesen Psalm. 1 Für eine andere Möglichkeit siehe ζ. B. Schmidt, Weiser; vgl. § 60. 3 Manche Exegeten rechnen v. 12 zum Vorhergehenden. Mit Möller, 1931, Cales u. a. meine ich, es sei richtiger, diesen Vers zum Folgenden zu ziehen; siehe meine weiteren Ausführungen. — Wenn man v. 12 zum Vorhergehenden zieht, lassen sich v. 2-22 in zwei Abschnitte von je 5 (beziehungsweise 2 + 3 ) + 6 (beziehungsweise 3 + 3) Verszeilen einteilen; siehe ζ. B . Kissane, Desnoyers (vgl. auch J . Magne, Semitica 11, 1961, 29—41; auch Magne rechnet v. 12 zum Vorhergehenden, im ganzen aber weicht seine Einteilung des Psalms in verschiedenen Punkten von der anderer Exegeten ab; dies erklärt sich durch seine recht zahlreichen Änderungen im MT). — Zieht man v. 12 zum Folgenden, BO läßt sich mit Caläs behaupten, daß v. 2-22 das Schema 2 + 3| 3 + 2 | | 3 + 3 | 3 + 3 aufweisen. - E s ist sicherlich nicht ausgeschlossen, daß die Struktur des Gedichts auf eine solche Weise bloßgelegt werden kann. Die große Frage ist jedoch, ob die hebräischen Dichter ihre Gedichte in dieser Art aufzubauen pflegten. Mir scheint nicht viel dafür zu sprechen, siehe § 32.33.

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III. Spezieller Teil

Nicht zuletzt im ersten Teil, der Einleitung, v. 2-11, fällt der sorgfältige Aufbau auf: Zweimal lösen Klage und Beweggrund einander ab. Zunächst wird eine Klage vernehmbar, v. 2 f.; wie auch beispielsweise in Ps 6 nennt der Dichter sogleich das, was für ihn in seiner Not am schlimmsten ist: daß er von seinem Gott verlassen ist. In v. 4-6 folgt ein Beweggrund. „Und du bist heilig." Es kommt vor, daß ein Mensch einen anderen, der ihm nahesteht, im Stich läßt. t^np ΠΓΙΚΊ: Du bist kein Mensch, daß du lügen solltest - warum läßt du dann deinen Frommen im Stich? „Thronend auf den Lobgesängen Israels" 4 : Jahwe wird gepriesen für seine ruhmreichen Taten, er muß für sie gepriesen werden; warum aber hat er dann diesen Dichter verlassen? ^κηίίν ΓΠ^ΠΠ: der Dichter hört — in Wirklichkeit oder in wehmütiger Erinnerung —, wie sie auf dem Tempelplatz emporsteigen; sie singen von Jahwes Allmacht, von seiner Treue, die er in der Geschichte bewiesen hat. Dieser Gedanke wird in v. 5 f. ausgestaltet. ,,Auf dich haben unsere Väter vertraut; sie haben vertraut und du hast sie entkommen lassen." Warum rettet Jahwe diesen Dichter dann nicht auch? 5 Es folgt eine erneute Klage, v. 7-9, nun über das Spotten der Menschen. „Alle, die mich sehen, verspotten mich: Wälze es auf Jahwe, er soll ihn entkommen lassen, denn er hat Gefallen an ihm." Dieser Klage wird ein weiterer Beweggrund angeschlossen, v. 10f.. Was die Spötter mit beißendem Sarkasmus sagen, entspricht nichtsdestoweniger der Wirklichkeit: „Ja, du bist es, der mich aus dem Schoß

Speziell zu Ps 22 ist folgendes zu bemerken: 1. Die Entsprechung der Länge der Abschnitte ist bei Kissane u. a. weniger genau als es nach dem Vorstehenden sohoint: die übergroße Mehrheit der Verszeilen von v. 2-22 besteht aus zwei Stichen, v. 12.16.17 jedoch bestehen aus drei Stichen. 2. Betrachtet man den Inhalt, so liegt es viel näher, einen Haupteinschnitt bei v. 20 anzusetzen. 3. Wenn man diesen Weg einschlägt, liegt es nahe, bei v. 23-32 ähnlich zu verfahren; und das führt zu Entgleisungen, siehe ζ. B. die Einteilung von Desnoyers (die m. E . sicherlich verfehlt ist: er zieht v. 26-28 zusammen) und diejenige von Kissane (die sehr anfechtbar ist). — Siehe auch das vorsichtige Urteil von Delitzsch: „Auf seinen Gedankengang gesehen zerfallt derPs. in 3 Abschnitte v. 2-12.13-22.23-32, welche ebenmässigen Umfange sind, indem sie aus 21,24,21 Zeilen bestehen. Ob der D. innerhalb dieser 3 Gruppen noch weiter strophisch abgesetzt hat, muß dahin gestellt bleiben". — Μ. E . darf man von dem Gesichtspunkt her, der uns hier beschäftigt, nicht weiter gehen als bis zu der Feststellung, daß v. 2-11 und v. 23-32 in zwei (ungefähr) gleichlange parallel verlaufende Teile zerfallen, ν. 2-e. 7-11; v. 23-27. 28-32. 4 Vgl. Kittel, Weiser, Westermann a. a. O. 22, u. a. s V . 4-6 können eine kleine Hymne genannt werden, siehe z . B . Gunkel. Diese Hymne fungiert als Beweggrund, vgl. § 61.

Psalm 22

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gezogen hat, vom Schöße meiner Mutter an bist du mein Gott." Beweise dies nun auch durch deine Taten. Klage, Beweggrund, Klage, Beweggrund — schon dieser Wechsel zeigt, wie wohlüberlegt der Dichter beim Aufbau des Psalms verfuhr. Hier ist jedoch noch mehr zu nennen. Wie kaum anders zu erwarten, schließt der erste Beweggrund sich der ersten Klage, der zweite Beweggrund der zweiten Klage eng an. Der Dichter klagt, v. 2 f.: „Ich rufe am Tage, und du antwortest nicht"; und dann argumentiert er, v. 4-6: „Zu dir haben unsere Väter geschrien, und sie sind entkommen"; natürlich will der Dichter auf diese Weise den Gegensatz hervortreten lassen. Noch enger schließt sich der zweite Beweggrund der zweiten Klage an; die Schmähreden der Spötter werden zu einer Waffe im Gebet umgeschmiedet®. Ferner kann gesagt werden, daß die Klage in υ. 2 f. durch diejenige in v. 7-9 ergänzt wird. Die erste Klage spricht von dem Von-Jahweverlassen-Sein; die zweite ergänzt dies, indem sie von dem Hohn der Menschen spricht. Jahwe überläßt den Dichter seinem Schicksal, die Menschen verspotten ihn. Ebenso wie die Klagen ergänzen einander auch die Beweggründe: Der Beweggrund in v. 4r-6 ist den Erfahrungen des Volks entnommen, der in v. 10 f. dem Leben des Dichters. Wie stark beide Beweggründe aufeinander bezogen sind, kann noch deutlicher gezeigt werden. Der erste Beweggrund lautet: „Auf dich haben unsere Väter vertraut (ΠΕ1). und du hast sie entkommen lassen." Im zweiten heißt es, daß der Dichter bereits an der Mutterbrust auf Jahwe vertraute (wiederum HtDl): warum läßt Jahwe ihn dann nicht entkommen? Selbst im Stil zeichnet sich die Verwandtschaft zwischen v. 4-6 und v. 10 f. ab; in beiden Fällen finden wir die Stilfigur der Wiederholung. Sehr deutlich ist diese Stilfigur in v. 4-6 erkennbar: Dreimal kommt ffiOS vor; möglicherweise kann hier auch angeführt werden, daß v. 5 tO^B, v. 6 tO^Ö gebraucht. In v. 10 f. kommt zweimal JE3 und zweimal TDK vor. Der erste Abschnitt, v. 2-6, wird mit dem zweiten, v. 7-11, unter anderem durch den Gegensatz zwischen v. 4a ( # n p ΠΓ1Ν1) und v. 7a (φ ·χ K^l nySlD 'DJNl) verbunden. Der Gegensatz, der sich hier auftut, ist atemberaubend: „Und du, du bist heilig, du bist Gott", „Und ich, ich bin ein Wurm, ein Nicht-Mann". Eine andere Verbindung β Hiermit ist folgendes verwandt: Es kann gesagt werden, daß die zwei Hauptgedanken des Buches Jona auf eine eigenartige, indirekte Weise in Worte gekleidet werden, nämlich in Jon 1, und 4Z.

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III. Spezieller Teil

zwischen diesen beiden Abschnitten wird durch die Verwendung von ΠΪ22 in v. 5 f. und in v. 10 (siehe oben), von üSfi, tbti in v. 5 f. und in v. 9 hergestellt. Schließlich sei noch auf die Korrespondenz zwischen Anfang und Schluß dieser Perikope hingewiesen: sie beginnt mit und schließt mit ΠΠΚ vgl. § 15. Wir kommen zum zweiten Teil, v. 12-19. Nach der Einleitung, v. 2-ii, spricht der Dichter in v. 12a die erste direkte Bitte aus; durch das Fehlen eines parallelen Glieds erhält die Bitte von v. 12a einen besonderen Akzent, vgl. § 7; siehe für v. 12a auch unten. Der Bitte folgt eine lange Klage, v. I2b-19; da die Exegese dieses Teils besonders schwierig ist, lege ich meine Auffassung im folgenden nicht ohne gewisse Vorbehalte dar. In v. 2 f. klagt der Dichter, daß Jahwe ihn seinem Schicksal überläßt, in v. 7-9, daß die Menschen ihn verspotten. In v. I2b-19 schildert er seine eigentliche Notlage. Außer aus einer kurzen Einleitung, v. I2b.c, besteht diese Perikope aus zwei Teilen. Im ersten Abschnitt, v. 13-16, stellt der Dichter sich selbst als einen Mann dar, der von Stieren und von einem Löwen angefallen wird, v. 13f., und dem daher alle Kraft und aller Mut schwindet, v. 15 f.; im zweiten Abschnitt, v. 17-19, sehen wir ihn als einen halbtoten Mann am Straßenrand, dem Hunde und Landstreicher nachstellen. Wenn diese Auffassung richtig ist, ist es bemerkenswert, daß beide Abschnitte mit demselben Wort beginnen: ^ Ί * ? ? , ν. 13 und ν. 17. Der dritte Teil, v. 20-22, enthält das eigentliche Gebet. Verschiedentlich wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Gebet in den Psalmen oft an einer auffallenden Stelle steht. Dies ist sicher auch bei Ps 22 der Fall. Die erste direkte Bitte erscheint erst in v. 12a, und auch hier ist sie noch sehr kurz. Ihr folgt wiederum eine lange Klage, v. I2b-19. Erst danach, am Ende des Klagelieds, steht das eigentliche Gebet. Der Dichter von Ps 22 bereitet das Gebet überaus sorgfältig vor: erst nachdem er alle Beweggründe des göttlichen Einschreitens genannt und die Not, in der er sich befindet, in ihrem vollen Umfang beschrieben hat, schreitet er zum eigentlichen Gebet. Siehe ferner § 53c. Die erste direkte Bitte, v. 12a, lautet: „Sei nicht fern von mir". Die zweite direkte Bitte, die erst in v. 20 steht, ist beinahe gleichlautend: „Und du, Jahwe — sei nicht fern." Es ist kaum anzunehmen, daß diese Gleichheit reiner Zufall ist, zumal wenn wir beachten, daß in v. 2 derselbe Stamm nn~ vorkommt: „fern von meinem Hilferu·

Psalm 22

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fen" 7 . Wir können somit feststellen, daß jeder der drei Teile des Klagelieds zu Beginn den Stamm p m gebraucht, so daß ppn mit Recht als Schlüsselwort von Ps 22 bezeichnet werden kann 8 . Man beachte in diesem Zusammenhang auch den in v. 12 enthaltenen Gegensatz: Jahwe ist fern, die Not ist nahe. In v. 20-22 findet sich vieles, waa an das Vorhergehende erinnert. Außer p m wird in v. 20 "itj? aus v. 12 wiederholt; siehe auch in v. 9 und v. 21 (die Bitte Π^" 5' ΓΓΓ von v. 21 kann wie folgt umschrieben werden: Mache das sarkastische vir von v. 9 zuschanden). I n seiner Ohnmacht, die er dargestellt hat, flüchtet er zu Gott, seiner „Stärke" (v. 20). Vielleicht hat es Bedeutung, daß die Reihenfolge der Benennungen der Feinde in v. 21 f. umgekehrt ist wie in der Klage, v. 13-19. I n der Klage folgen aufeinander: Farren, Löwe, Hunde, Bösewichte; im Gebet: Schwert (das doch von menschlichen Gegnern, „Bösewichten", geführt wird), Hund, Löwe, Wildochsen 9 . Das Danklied besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil, v. 23-27, ist von einem normalen Dankopfer beim Heiligtum die Rede; im zweiten Teil, v. 28-32, weitet sich der Blick des Dichters: alle Völker, die bereits Gestorbenen (?) und die kommenden Geschlechter werden erscheinen, um Jahwe f ü r die Errettung, die ihm zuteil geworden ist, zu preisen. Die Einleitung des Danklieds, v. 23-27 (siehe über diese Perikop auch § 16a), bilden v. 23 f. 10 . V. 25 bringt den kurzen Bericht der Errettung, zunächst dreimal in negativer, anschließend einmal in positiver Form. V. 26 f. bilden den Schluß. Der Stamm ^ H wird in diesem Danklied viermal gebraucht. Es wird besonders hervorgehoben, daß der Dichter Gottes Lob inmit7

Μ. E. ist hier am besten zu vokalisieren: "fljjlt^'tt ; für die Erklärung dieser Form siehe ζ. B. Gesenius-Kautzseh, § 20n. 8 Vgl. Westermann a. a. O. 40 und auch Schwab, 1955, 72, der von dem ,,theme antithötique 61oignement — proximite de Yahvö, qui, aux vv. 2. 12.20 scande ce chant* spricht. ' Ein deutlicheres Beispiel für diese Stilfigur findet sich in 1 QH I X , 15—17; A. van Selms, De rol der lofprijzingen, 1957, 159, spricht hier von „een soort van uitgebreid chiaeme" (deutsch etwa: „eine Art erweiterter Chiasmus"). 10 Nach Gunkel enthalten v. 24-27 das in v. 28 angekündigte Lied; m. E. ist dies nicht ganz richtig; man beachte ζ. B., daß ν. 26 (wie man die Besonderheiten dieses Verses im übrigen auch auffaßt) einen ähnlichen Inhalt hat wie v. 23.

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Π Ι . Spezieller Teil

ten einer Gemeinschaft verkündet: diese Gemeinschaft wird nicht weniger als neunmal genannt. V. 23 f. sprechen von „meine Brüder, die Gemeinde, ihr, die ihr Jahwe fürchtet, aller Same Jakobs, aller Same Israels"; v. 26 f. von „Die große Gemeinde, die ihn fürchten, Demütige, die nach ihm fragen"; durch den wiederholten Gebrauch einiger Wörter wird der Nachdruck, mit dem die Gemeinschaft erwähnt wird, noch verstärkt. Deutlich läßt der Dichter hervortreten, daß er ein Glied dieser Gemeinschaft ist: „meine Brüder" ist das erste W o r t in dieser Reihe; vgl. auch iJJ? in v. 25 mit in v. 27, „um Hilfe rufen" in v. 25 mit „fragen nach" in v. 27. All dies stellt eine enge Verbindung zwischen dem Danklied und dem Klagelied her. Daß von der Gemeinschaft, in deren Mitte der Dichter Jahwe rühmt, mit so starkem Nachdruck gesprochen wird, erklärt sich gewiß aus der bitteren Einsamkeit, die er durchzustehen hatte, vgl. ζ. B. v. 7f.l2, siehe auch „das einzige, was ich habe" in v. 2111. Möglicherweise greift das vierfache bbn in v. 22-27 auf γΑμΓΊ in v. 4 zurück, vgl. Kraus zu v. 26; abgesehen davon bildet es natürlich einen Gegensatz zu jjutf , N"|p in v. 2 f.. Damit ist indessen noch nicht alles genannt, was das Klagelied mit dem Danklied verbindet. Wichtig ist in v. 25, das doch wohl deutlich auf DJ?T in v. 7 zurückgreift. Die Aussage von v. 25 als Ganzes läßt sich folgendermaßen umschreiben: Die Haltung Jahwes gegenüber dem Dichter ist völlig anders als die Haltung der Menschen war, und: Seine Haltung ist in Wirklichkeit ganz anders, als sie eine Zeitlang zu sein schien (vgl. v. 25 mit v. 2 f.; siehe u. a. in v. 25 und in v. 2). Das erste Wort des Danklieds spricht ebenso wie das erste Wort einer der letzten Zeilen der Klage von einem „(Er-) Zählen" (siehe in v. 23 und v. 18); es ist dies jedoch ein ganz anderes (Er-)Zählen; möglicherweise wird hierdurch die Wende, die sich vollzogen hat, unterstrichen. V. 28-32 bilden gegenüber v. 23-27 eine deutliche Klimax. Diese Verse enthalten — so kann man vielleicht sagen — das in v. 23-27 angekündigte, angeregte Loblied, oder auch: das Loblied, das entsprechend der Aufforderung von v. 27b während des Opfermahls gesungen wird. Der Aufbau von v. 28-32 ist dem von v. 23-27 ähnlich. I n v. 23-27 sprechen v. 23 f.und v. 26 f.von der Ehrung Jahwes; in v. 28-32 geschieht dies in v. 28 und v. 30-32. In v. 23-27 wird der Grund für diese Ehrung 11

v . 18.

Denselben Übergang wie hier finden wir auch in Pa 35, vgl. v. 17 und

Psalm 22

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durch ν. 25 angegeben, in v. 28-32 durch v. 29 12 (siehe auch den Schluß von v. 32). Nachdruck erhält in diesen Versen das „Sichniederwerfen", v. 28.30, das „Knien", v. 30. Der Stamm hbfi, der in v. 23-27 viermal gebraucht wird, kommt in v. 28-32 nicht vor. Wenn v. 30 im MT richtig überliefert ist, ist hier wohl, wie auch in v. 27. von einem Opfermahl die Rede. Auch "iBD aus v. 23 kehrt in v. 31 wieder. V. 31 f. stellen uns vor verschiedene Schwierigkeiten; so viel aber können wir sagen: Der Dichter kannte die heilige Tradition seines Volkes und berief sich in seiner Not auf sie, v. 4-6; er selbst will nach seiner Errettung dafür sorgen, daß diese Tradition fortgesetzt wird, v. 23, und er ist dessen gewiß, daß sie auch in den kommenden Geschlechtern fortgef ü h r t werden wird, v. 31 f.13. Es sei noch darauf hingewiesen, daß verschiedene Teile und Abschnitte von Ps 22 einen auffallenden Schluß haben. V. Hb gibt die Zusammenfassung von v. 10 f.; er greift auf den Anfang des ersten Teils zurück. V. 16c enthält die Klimax und Zusammenfassung von v. 13-16 und bildet zugleich den Übergang zum Folgenden. Wie auch v. 12a, erhält v. 16c durch das Fehlen eines Parallelglieds einen besonderen Akzent, vgl. § 7. Es ist bemerkenswert, daß der Dichter gerade hier, in diesem vorläufigen Abschluß seiner Klage, ausspricht, daß ihn letzlich nicht die Menschen in diese Notlage gebracht haben, sondern Jahwe. Wenn das letzte Wort von v. 22 im MT richtig überliefert ist, wird hier bereits die Gewißheit der Erhörung geäußert und greift der Schluß des Klagelieds auf den Anfang zurück (siehe in v. 3 und in v. 22). V. 27c enthält den, vielleicht stereotypen, Segenswunsch für die Gäste, den der Gastgeber beim Opfermahl ausspricht. Nach der oben angedeuteten Auffassung enthalten v. 28-32 den Inhalt des in v. 27b genannten „Lobens". Wir finden hier also nicht — wie so häufig — einen allmählichen Übergang vom einen zum anderen; v. 27c schließt das Vorhergehende ab und markiert so den Übergang. Den Schlußakkord des Psalms bildet jj ^ . Kürzer läßt sich der Grund des Raum und Zeit umspannenden Loblieds nicht angeben. 12 Dieser Vers soll m. E. ausdrücken: E s besteht wahrlieh Grund genug, daß die Völker sich vor Jahwe niederwerfen, denn er beherrscht die Völker souverän, wie die Errettung des Dichters erneut bewiesen hat. Zu bedenken ist: viele Angaben in diesem Psalm sprechen dafür, daß hier ein König, ein Führer spricht. 13 Vgl. Westermann a. a. O. 59.

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III. Spezieller Teil

Auf die Stilfigur der Wiederholung stoßen wir bereite in den ersten Worten des Psalms: ή>Ν , siehe auch in v. 3; vgl. § 12a. Auch im weiteren Verlauf spielt die Wiederholung eine wichtige Rolle. Oben wurde auf verschiedene Erscheinungsformen dieses Stils aufmerksam gemacht, siehe ZU p m v. 2.12.20, ruj? V. 3.22, bb~ V. 4.23.24.26.27, PltDS v. 5 (zweimal) 6.10, to^fc v. 5 (.6).9, HTS v. 7.25, ^JfJ v. 9.21, JtD5 v. io.li, "EX v. 10.11, "^K außer v. 2 (zweimal) auch v. 11, "lij? v. 12.20, "'J'QSD V. 13.17, "lßD V. 18.23.31.

In diesem Zusammenhang sei noch auf folgendes hingewiesen: V. 22 gebraucht das Wort ΓΐΛ^ ; dies ist ein Hapaxlegomenon, siehe jedoch Ps 88 s . Es ist wohl reizvoll, mit G, Σ, Τ anzunehmen, daß dieses Wort auch in der Überschrift gelesen werden muß (statt ΓΠ*Ν); vgl. ζ. B. Eerdmans: „on the help of daybreak". Siehe auch zu Ps 3 4 r Psalm 23 V.

l-4|5f.

2—2—3—5|2—2—2—2

Nach Köhler 1 u. a. wird Jahwe in dem ganzen Psalm als Hirte dargestellt. Nach Noordtzij, vgl. auch Briggs, Weiser, sprechen v. l-3a über Jahwe als Hirten, v. 3b.4 als Führer, v. 5 als Gastgeber. Beide Auffassungen sind gesucht. Die meisten Exegeten nehmen mit Recht an, daß der Psalm Jahwe auf zwei Weisen darstellt, nämlich als Hirten und als Gastgeber. Häufig wird behauptet, daß dieser Psalm in Bildern spricht. Dies ist an sich nicht unrichtig, bedarf jedoch genauerer Präzisierung. Jeder dürfte wohl zustimmen, daß der Ausdruck ,,daa Haus Jahwes", v. 6, nur in einem bestimmten Sinne bildlich zu nennen ist. Dann aber ist es auch nur in begrenztem Maße sinnvoll, die Darstellungsweise, in der Jahwe als Gastgeber erscheint, Bildersprache zu nennen. Dasselbe gilt von dem Ausdruck: „Jahwe ist mein Hirte", v. 1. Zwar ist es sicher berechtigt, zumindest die nähere Ausgestaltung der Vorstellung von Jahwe als einem Hirten als bildhaft zu bezeichnen, siehe vor allem v. 2. Daß aber Jahwe sein Hirte ist, ist für den Dichter in so hohem Maße Realität, daß die Bildersprache immer wieder von Wirklichkeitselementen durchbrochen wird.

1 L. Köhler, Psalm 23, ZAW 68 (1956), 227—234. Siehe für eine Widerlegung von Köhlers Auffassung ζ. B. Kraus; A. L. Merrill, Psalm X X I I I and the Jerusalem tradition, VT 15 (1965), 354—360.

Psalm 23

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Man beachte folgendes. Bei „um seines Namens willen", v. 3c, denkt der Dichter wohl direkt an Jahwe. Es ist zwar wahr, daß die Wendung die nur in Ps 23 3 vorkommt, und der synonyme Ausdruck 3Τ0Π, Ps 198 Prov 25 1 3 R u t h 4 1β Thr 1 11-1β . 19 , nicht rein „geistige" Bedeutung haben (man k a n n ζ. B. übersetzen: „die Lebenskraft wiederkehren lassen"), aber es ist demgegenüber wohl so, daß fc'M 3'ΦΠ niemals von Tieren, sondern ausschließlich von Menschen gesagt wird; v. 3a ist denn auch in geringerem Maße bildh a f t als v. 2. p"iJf i^jjjß in v. 3 bedeutet: „die Spuren, die zum Ziel führen, die geraden, die richtigen Spuren"; zugleich aber wird auch der Gedanke mitspielen, daß auf diesen Spuren Jahwes ρ Ii" erfahren wird. Auch v. 4 ist weniger bildhaft als v. 2, siehe v. 4b.c.e2. V. 5 spricht von Jahwe als einem Gastgeber. In v. 6c wird „das Haus J a h w e s " genannt. Diese zwei Vorstellungsarten sind miteinander eng verbunden. Vielleicht verdankt die Vorstellung, daß der F r o m m e der Gastfreund Jahwes ist, ihre Entstehung der Vorstellung von dem Heiligtum als einem Haus, einem Zelt Jahwes, vgl. Ps 15j 27 4 u. a. Einige Einzelheiten in v. 5 f. verlangen besondere Aufmerksamkeit. Zunächst müssen wir auf v. 6c näher eingehen. Es scheint mir kaum denkbar, daß, wie man häufig anzunehmen scheint, das im MT überlieferte Tl^li^ auf einen Schreibfehler zurückzuführen sei; aus geht vielmehr hervor, daß der Psalm zumindest bei späterem Gebrauch von einem Pilgrim, einem Festteilnehmer vorgetragen wurde, der nach einem Aufenthalt beim Heiligtum bald wieder heimkehren muß u n d ausspricht, daß er, solange er lebt, stets wieder zum Heiligtum zurückkehren wird. Es ist sicherlich auch möglich, daß der Psalm zu diesem Zweck gedichtet wurde, u n d daß die ursprüngliche Lesart ist; siehe Schmidt, auch König u. a. Auf die Ausdrucksweise von v. 5 hat sicher die Gewohnheit eingewirkt, daß bei dem Heiligtum Opfermähler stattfanden. Vor allem bei der oben skizzierten Auffassung von v. 6 können die Aussagen von v. 5 in hohem Maße wörtlich aufgefaßt werden. Auch P s 116 13 etwa spricht von dem Becher, der beim Opfermahl herumgereicht wurde. Dennoch kann, auch im Hinblick auf den Rest des Psalms, nicht ohne Bedenken angenommen werden, daß der Dichter bei den 2

Auch v. e kann in diesem Zusammenhang genannt werden, abgesehen von der Frage, ob ß|"lJ hier in der normalen Bedeutung „trösten" steht oder mit „Mut geben" (Köhler a. a. O. 231, u. a.) übersetzt werden muß.

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ΠΙ. Spezieller Teil

Aussagen von v. 5 ausschließlich an die Freuden des Opfermahls dachte; das Gute, das er bei dem Opfermahl genoß, wird für ihn ein Bild des Guten gewesen sein, das Jahwe ihm immer wieder gewährt3. Eine gesonderte Bemerkung muß noch über die Wendung „im Angesichte meiner Bedränger" gemacht werden; auch dieser Ausdruck kann wörtlich verstanden werden; es ist möglich, daß sich während des Opfermahls des Dichters auch seine Feinde beim Heiligtum befanden. Es ist deutlich, daß v. 6a.b in Bildern sprechen, zumal wenn wir bedenken, daß ?}"H in feindlichem Sinne verwendet zu werden pflegt. Der Dichter will offenbar sagen: Nicht mehr die Feinde, sondern das Gute und Gunst folgen mir. Hier ist zu fragen, ob die in v. 5 und v. 6c.d dargebotene Vorstellung, daß Jahwe der Gastgeber des Dichters ist, auch in v. 6a.b anklingt. Wenn man die oben umrissene Auffassung von v. 6c teilt, kann diese Frage jedenfalls bejaht werden. Der Dichter schickt sich an, das Haus seines Gastgebers zu verlassen, aber er weiß: Sein Gastgeber wird zwei seiner Diener, dem Guten und der Gunst, gebieten, ihn zu begleiten, um ihn zu beschützen. So läßt sich vorstellen, daß der Sänger dieses Liedes an einem frohen Opfermahl teilgenommen hat. Das Gute, das er dabei aus der Hand Jahwes empfangen hat, spricht für ihn von der Güte seines Gottes, die er immer wieder erfahren hat und erfahren wird. Er will diese Güte besingen. Dazu greift er zunächst zu der Vorstellung von Jahwe als einem Hirten. Diese Vorstellung wurde wiederholt gebraucht und war bei einem Opfermahl wohl besonders am Platze: dann nämlich gewährt Jahwe seinen Frommen, sich an Speise und Trank gütlich zu tun, wie Schafe auf einer Weide mit frischem Grün, an Gewässern der Ruhe. In v. 1-4 wird diese Vorstellung im einzelnen entfaltet. Anschließend spricht er in Ausdrücken, die wohl wörtlicher zu verstehen sind, von dem, was Jahwe gibt und geben wird, v. 6 f.. „Wörtlicher": es handelt sich hier in der Tat um einen graduellen Unterschied. In v. 1-4 kann nicht alles als figürlich betrachtet werden; bei v. 5 ist nicht nur an das Gute, das beim Opfermahl genossen wird, zu denken. Der Psalm besteht aus zwei Teilen, v. 1-4 und v. 5 f.. Vielleicht muß v. 1-4 in v. l-3a und v. 3b-4 unterteilt werden; dies kann jedoch 3 Vgl. ζ. B. Weiser: „Welche Beglückung und Freude, Gottes Gast sein zu dürfen ! . . . . Ja, ist er nicht zeitlebens eigentlich der Gast seines Gottes gewesen."

Psalm 23

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nicht mit Sicherheit gesagt werden: es läßt sich nicht entscheiden, ob v. 3a zusammen mit v. 2b, mit v. 2a.b oder mit v. 3b.c als eine Periode zu gelten hat. Wenn wir den Terminus „Schlüsselwort" in einer von der normalen etwas verschiedenen Bedeutung gebrauchen dürfen, können wir „Jahwe ist mein Hirte" und „das Haus Jahwes" als Schlüsselworte dieses Psalms bezeichnen. Auffallend ist dabei, daß der erste Teil mit dem Ausspruch „Jahwe ist mein Hirte" beginnt und diese Vorstellung anschließend ausgestaltet. Der zweite Teil beschreibt zunächst Jahwes Handeln als Gastgeber und nennt danach die Vorstellung, die im Hintergrund dieser Beschreibung steht, „das Haus Jahwes". Insofern kann von chiastischem Aufbau und von Korrespondenz zwischen Beginn und Schluß die Rede sein; was die Korrespondenz betrifft, so kann jedenfalls darauf hingewiesen werden, daß der Gottesname Jahwe in diesem Psalm zweimal vorkommt, und zwar in der ersten und in der letzten Periode. In der Ausgestaltung der betreffenden Vorstellungen läßt sich eine gewisse Parallelität erkennen: sowohl im ersten wie im zweiten Teil ist zunächst von Versorgung, dann von Beschirmung die Rede; jedenfalls weisen v. 2 und v. 5 eine deutliche Parallelität auf: beide Verse sprechen von einem Überfluß an Speise und Trank4. Zu Beginn und am Schluß wird über Jahwe in der dritten Person gesprochen, in v. 4 aber redet der Dichter Jahwe an; es ist, als wolle er sich bei dem Gedanken an die große Gefahr um so enger an seinen Gott anschmiegen (vgl. Weiser).

Psalm 24 V . lf.||3|4|5|6||7f.|9f.

2—2||2|3|2|2||3—3|3 — 3

Ps 24 besteht aus drei Teilen, v. l f.. 3-6. 7-10. In der Frage nach dem Sitz im Leben dieses Psalms und der damit zusammenhängenden Frage, ob er eine ursprüngliche Einheit darstellt, gehen die Meinungen auseinander. 4 Auch Möller, 1931, 15 f., spricht von Chiasmus im Aufbau dieses Psalms. Seine Darlegungen, in denen er ihn im einzelnen nachweist („Es entspricht sich also V. ] und V. β als Themavers und zusammenfassender Schlußvers, und V. 2-8 und V. 4-5 entsprechen sich als Einzelausführungen, u. zw. V. 2 u. V. 5 als leibliche, V. 3 u. V. 4 als seelische Erquickung"), werden von Kraft, 23, mit Recht abgewiesen.

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III. Spezieller Teil

Nach Ansicht einiger Exegeten wurde der Psalm ganz oder teilweise (v. 7-10) für die in IlSam 6 12 f f beschriebene Überführung der Lade in die Burg Zion gedichtet; andere meinen, daß er bei einer triumphalen Rückkehr der Lade aus dem Kampf zum Vortrag gelangen sollte; gegenwärtig sind viele der Auffassung, daß der Psalm seinen Sitz im Leben in einer Zeremonie mit der Lade hatte, die bei einem alljährlich gefeierten Fest stattzufinden pflegte. Im Rahmen dieses Buches können wir auf diese Fragen nicht ausführlich eingehen, wir können sie jedoch ebensowenig stillschweigend übergehen. Mir scheint es nicht möglich, die hier angedeuteten Fragen mit genügender Sicherheit zu beantworten. Es läßt sich schwerlich leugnen, daß v. 7-10 zu keiner Gelegenheit besser passen, als zu der ersten Ankunft der Lade in der Burg Zion, als sozusagen der Gott der Lade die Burg als seine Wohnstätte bezog (siehe auch die Ausdrücke, die in diesen Versen als Bezeichnungen Jahwes stehen, u. a. JfTliOSf ΙΓΙΪΤ)1. Hingegen erwecken v. 3-6 sicher den Eindruck, daß es hier um ein bereits bestehendes Heiligtum Jahwes geht. In diesem Zusammenhang muß auch auf folgende Schwierigkeit hingewiesen werden. Sowohl in v. 3-6 wie in v. 7-10 wird ein Fragegespräch geführt. Aber die Gesprächspartner in v. 3-6 sind nicht dieselben wie in v. 7-10; v. 4-6 (v. 4 f. ?: siehe unten) können nicht von derselben Stimme gesprochen worden sein wie v. 8a.i0a, und es liegt nahe, daß v. 7.8b.c.9.l0b.c von einer anderen Stimme gesprochen wurden als v. 3. Die letztere Schwierigkeit kann wohl gelöst werden. Man wird annehmen müssen, daß v. 3-6 am Fuße des Zion zum Vortrag gelangten (siehe auch v. 3a), v. 7-10 an den Toren der Burg Zion oder eines eventuell in der Burg befindlichen Heiligtums der Jebusiten, wenn man will: an den Toren von Jahwes Heiligtum2, siehe Delitzsch, Kittel, J. Ridderbos u. a. Wir können dies genauer herausarbeiten. Eine Schar, die die Lade mit sich führt, befindet sich auf dem Wege zum Heiligtum. Am Fuße

1

Es empfiehlt sich m. E. anzunehmen, daß auch Ps 47 aus diesem Anlaß gedichtet wurde. 2 Ps 47 kann ähnlich eingeteilt werden. Es kann gesagt werden: v. 2-5 versetzen uns in den Augenblick, da man sich anschickte, die Lade auf den Gipfel des Zion zu tragen, v. 6-8 in den Augenblick, da die Lade dort angekommen ist, v. 9 f. in den Augenblick, da die Lade ins Heiligtum getragen worden ist. Dies braucht noch nicht zu besagen, daß die drei Teile von Ps 47 in drei verschiedenen Momenten vorgetragen wurden.

Psalm

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24

des Zionsberges wird sie etwa von einer Gruppe Priester erwartet. Ein Vertreter der Schar, des Volks, stellt die Frage von v. 3, die von einem der Priester beantwortet wird, v. 4-6. Die Schar zieht weiter, erreicht die in v. 7-10 genannten Tore, die von Türhütern bewacht werden 3 . Wenn v. 7-10 ihren Sitz im Leben in den I I Sam 6 12 ff beschriebenen Vorgängen hatten, können wir annehmen, daß als Türhüter Diener des jebusitischen Heiligtums fungierten. Aus der Mitte der Schar erklingt die Aufforderung von v. 7, beispielsweise von einem Leviten oder einem Levitenchor vorgetragen. Die Türhüter reagieren auf diese Aufforderung mit einer Frage, die von der Schar jubelnd beantwortet wird, v. 8. Aufforderung, Frage und Antwort werden mit einigen Änderungen wiederholt, v. 9 f.. Hier ist noch hinzuzufügen, daß v. l f. als Einleitung der Feierlichkeit am Fuße des Zion rezitiert worden sein können, und zwar von derselben Stimme, die auch v. 4-6 vortrug. Vor allem, wenn das Verhältnis zwischen v. 3-6 und v. 7-10 oben richtig skizziert wurde, ist es nicht ausgeschlossen, daß der Psalm als Ganzes für die Überführung der Lade zum Zion gedichtet wurde. Der Zweck von v. 3-6 ist dann, , ,die Begleiter der Lade davon zu durchdringen, daß der Platz, den zu betreten sie sich anschicken, künftig durch die Lade, das Symbol der göttlichen Gegenwärtigkeit, geheiligt sein wird, was gewichtige Folgen für sie mit sich bringt" (J. Ridderbos); dabei ist außerdem noch zu bedenken, daß die Toraliturgien sowohl in Israel wie außerhalb Israels vor der Überführung der Lade zum Zion in Gebrauch gewesen sein können. Indessen kann hier, wie bereits gesagt, nicht mit Sicherheit gesprochen werden. Auf jeden Fall wird anzunehmen sein, daß der Psalm von altera her wiederholt gebraucht wurde. Auch wenn der Psalm nicht für eine triumphale Rückkehr der Lade aus dem Kampf gedichtet worden ist, kann er bei einem derartigen Anlaß wohl gebraucht worden sein. Die Möglichkeit, daß dies (auch) anläßlich einer alljährlichen Zeremonie mit der Lade geschah, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Abgesehen von diesen Fragen stellt der Psalm, wenn wir ihn nur vom Inhalt her betrachten und die Frage nach seinem Sitz im Leben außer Betracht lassen, sich uns als ein wohlgefügtes Ganzes dar. V. l und 2 besingen die Größe Jahwes, indem sie ihn als den Schöpfer

3

Nach Gunkel u. a. wird die Frage von v. 8a.l0a von den Toren gestellt; in diesem Falle bestünde kein Grand, ausdrücklich von Türhütern zu sprechen. Ridderbos, Psalmen

14

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III. Spezieller Teil

und folglich den Beherrscher der Welt rühmen 4 . Sie bilden eine angemessene Einleitung zu v. 3-6: in jenen Versen wird betont, welch ein Vorrecht es ist, daß dieser erhabene Gott dem Menschen gestattet, eich ihm zu nähern; sie unterstreichen die in v. 4-6 gestellten Forderungen: Es versteht sich, daß ein so großer Gott sich mit dem Äußerlichen nicht begnügen kann, daß er tiefergehende Forderungen erhebt. Zugleich aber bilden v. l und v. 2 auch schon das Präludium zu v. 7-10: Dieser große König h a t ein Recht darauf, daß sich jedes Tor vor ihm öffnet; für ihn ist jedes Tor zu klein. Die Verbindung zwischen v. 3-6 und v. 7-10 besteht darin, daß den Festteilnehmern, die die Lade begleiten, vor ihrem Betreten der heiligen Stätte die Forderungen vorgehalten werden, die sie erfüllen müssen; siehe ferner oben. Wir betrachten nun die einzelnen Teile des Psalms für sich. Den obigen Bemerkungen über v. 1 f. sei folgendes hinzugefügt. Mit großem Nachdruck stellt der Dichter den Namen Jahwe an den Anfang seines Gedichts. Auch in v. 8 und v. 10 spielt dieser Name eine beherrschende Rolle. Wir können daher von einer Korrespondenz zwischen dem Anfang und dem Schluß sprechen; vgl. § 15. V. 3-6 lassen sowohl inhaltlich wie formal eine gewisse Verwandtschaft mit Ps 15 erkennen. Die Antwort beginnt in beiden Psalmen mit einigen (in P s 15 drei, in Ps 24 zwei) positiven, allgemeinen Aussagen, in denen zunächt das Tun, das Handeln, und anschließend das hinter diesem T u n Liegende genannt wird; i n P s 15 werden Partizipien, in Ps 24 Adjektive gebraucht. Den allgemeinen folgen in Ps 15 acht speziellere Aussagen, v. 3-5b, in Ps 24 nur die zwei Aussagen von v. 4c.d. V. 4c.d enthalten zwei negative Aussagen im Perfekt, vgl. Ps 15 s . V. 4c stellt uns vor Schwierigkeiten; wie immer man aber v. 4c auch auffassen will6, die einzige konkrete Sünde, die hier genannt wird, ist jedenfalls der Meineid; dies kann damit zusammenhängen, daß bei dem Heiligtum richterliche Entscheidungen getroffen wurden, vgl. D t n 178 ff I Reg 8 3i u. a. 4

Daß die Lade nach einer Zeit der Erniedrigung in die Zionsburg getragen wurde, kann in Israel den Gedanken in den Vordergrund gestellt haben, daß der Gott der Lade die Herrschaft über die Erde habe. So liegt m. E. Ps 47 die Vorstellung zugrunde: Indem Jahwe zum Gipfel des Zion emporsteigt, besteigt er seinen Thron; vom Zion aus regiert er sodann über die ganze Erde. 8 Liest man lti^fcj, so enthält v. 4c, wie auch v. 4a.b, eine allgemeine Aussage; liest man i&'BJ (vgl. ζ. B. Koch, 1961, 52), so wird in v. 4c, wie auch in v. 4d, vor dem Meineid gewarnt.

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Psalm 24

Die Funktion von v. 5 entspricht in etwa der von Ps 15Sc, siehe dort. Hier soll gesagt werden: Wer die in v. 4 gestellten Bedingungen erfüllt, wird den Berg Jahwes rechtmäßig besteigen usw. und den Segen Jahwes empfangen usw. Im Hinblick auf v. 6 ist die Auffassung von ζ. B. Galling®, Weiser, Koch (a. a. 0 . 51) — vgl. auch Eerdmans — reizvoll, derzufolge hier, wie auch in v. 3, das Volk spricht. Man beachte auch folgendes: Nach dem MT wird in v. 6b Jahwe angeredet; es ist nicht unbedenklich, anzunehmen, daß in v. 6 Jahwe von der Stimme angeredet wird, die v. 4 f. im Namen Jahwes vorträgt. V. 6 enthält nach dieser Auffassung eine Art Bekenntnis, daß diejenigen, die Eintritt verlangen, den Forderungen von v. 4 genügen (wollen): „Ja, dies ist, hier steht das Geschlecht . . .". V. 7-10 haben einen ausgesprochen rhetorischen Charakter. Verschiedene Gesichtspunkte müssen in diesem Zusammenhang genannt werden. In Wirklichkeit besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß die Tore sich vor Jahwe öffnen werden. Die Fragenden wissen sehr gut, wer Einlaß begehrt. Die Tore werden personifiziert und angeredet. Es wird die Vorstellung hervorgerufen, daß die Tore ihre oberen Querbalken emporheben müssen; wörtlich heißt es hier, daß sie ihre Häupter erheben, daß sie sich erheben; sie müssen sich gleichsam recken. In v. 9 £. werden v. 7 f. mit einigen Änderungen wiederholt, siehe unten. In diesem Zusammenhang sei auch die sehr wirkungsvolle Alliteration und Assonanz genannt 7 . I n und mit all diesen Stilfiguren wird ein eindrucksvolles, schönes Zeugnis von der Größe des Gottes Israels abgelegt. In mancher Hinsicht besteht eine Verwandtschaft zwischen diesen Versen und Ps 6 8 1 β 1 9 . Der Stil der Wiederholung hat in v. 7-10 wohl eine sehr besondere Funktion. Allein schon in v. 7 f. spielt die Wiederholung eine Rolle: zweimal tfiyj , zweimal TQw!"l "[Sü , zweimal Π VT, zweimal "TQJ · Und dann werden v. 7 f. in v. 9 f. mit gewissen Änderungen wiederholt. Die Änderungen sind nicht weniger bedeutsam als die Wiederholungen. Die Aufforderung wird dadurch, daß — zumindest nach dem Hauptstrom der Überlieferung — ·, durch l^tp ersetzt wird, vielleicht etwas verstärkt; durch die Hinzufügung von ΝΉ klingt die Frage ungeduldiger; hier ist vor allem aber der Gebrauch des Gottesnamens zu nennen. I n der Aufforderung von v. 7 und v. 9 wird der Eigenname 6 K. Galling, Der Beichtspiegel. Eine gattungsgeschichtliche Studie, ZAW 47 (1929), 1 2 5 - 1 3 0 . 7 Alliteration und Assonanz finden sich auch in v. (4a?.) 4b.«a.

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III. Spezieller Teü

von Israels Gott vermieden. Hierdurch wird es möglich, die Frage von v. 8a und v. 10a zu stellen. In der Antwort von v. 8b.c wird der Name Jahwes genannt, und zwar selbst zweimal. Aber — diese Vorstellung liegt hier zugrunde — das reicht nicht aus, die Tore ihre Häupter heben zu lassen. Die Aufforderung muß wiederholt werden. Wieder erklingt die Frage. Und nun nennt die Antwort denNamen ΓΙΊΚ22Γ ΓΤΠ Wir werden uns kaum noch vorstellen können, mit welch jubelnder Kraft dieser Name ausgerufen wurde. Der volle Name wirkt wie eine Losung, ,,ein Zauberschlüssel" (Weiser); nun schwenken die Tore auf, und unter ausgelassenem Festgetöse zieht die Lade mit ihren Begleitern in die Burg ein. Ergänzt sei noch, daß der Ausdruck „der König der Herrlichkeit", der in v. 7 f. zweimal vorkommt, in v. 9 f. sogar dreimal steht. Vielleicht ist es bedeutsam, daß Jahwes auch andernorts speziell im Zusammenhang mit der Lade genannt wird, vgl. I Sam 4 21 f I Reg 8 io f.· Zwischen dem vierfachen j tpj von ν. 7-io und dem χ φ ; in ν. 4 f. wird kein bestimmter Zusammenhang bestehen. Dagegen könnte sehr wohl ein bewußter Zusammenhang zwischen xiyj in v. 4 und v. 5 vorliegen: Wer seine (?) Seele nicht nach Eitlem erhebt, wird einen Segen von Jahwe erheben. Bemerkenswert ist auch der Gebrauch von Dptt in v. 3 nach Dip1: Wer wird dort stehen können, wo der Heilige steht ? Psalm 25 V. I|||2f.|4f.|ef.|||8f.|l0f.||l2f.|l4f.|||ief.|l8f.|20f.||||22 1|||2—2|2 —3|2—3|||2 —2|2—2||2—2|2—2|||2—2|2—2|2—2||1|2 Ps 25 ist ein alphabetischer Psalm. Es wird häufig gesagt, daß die Bindung an das Alphabet in alphabetischen Psalmen auf Kosten des Zusammenhangs gehe. So schreibt H. Gunkel zu Ps 25: „Der Verfasser läßt sich durch den Buchstaben leiten, mit dem er jedesmal aufs neue einsetzt." Mir scheint, daß die durch den Zwang des Alphabets entstehende Schwierigkeit weitgehend überschätzt wird; vgl. § 48. So weist Ps 25 einen weitaus stärkeren Zusammenhang auf, als man zuweilen in ihm finden will. Schon gleich in v. 2-7 läßt sich ein deutlicher Zusammenhang erkennen: der Dichter bittet nacheinander um Erlösung von seinen Feinden v. 2f., um Führung v. 4f., um Vergebung v. 6 f. „Mein Gott, auf dich vertraue ich; mögen meine Feinde nicht über mich frohlocken;

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beschämt werden die, welche treulos sind ohne Ursache": das Gebet um Befreiung. Dann aber blickt der Dichter noch tiefer. Es gibt schlimmere Gefahren als die, von den Feinden besiegt zu werden: Da ist die Gefahr, daß er selbst von den Wegen des Herrn abirrt. Wenn Jahwe ihn nicht führt, wird er seinen Feinden gleich werden, wird auch er zu denen gehören, die „treulos sind ohne Grund", und darf nicht mehr auf Befreiung aus der Hand seiner Feinde hoffen. Darum läßt er dem Gebet um Befreiung das Gebet um Führung folgen: ,,Deine Wege, Jahwe — tue sie mir kund; deine Pfade — lehre sie mich." Und der Dichter geht noch einen Schritt weiter. Da ist nicht nur die Gefahr des Abirrens, sondern er ist bereits von den Wegen Jahwes abgewichen, immer wieder. Gegenüber den Feinden hat er das Recht auf seiner Seite, wenn er aber sein Leben überblickt (vgl. v. 7), wird ihm bewußt, daß er sein Elend durch seine Sünden verdient hat. Das drängt ihn zu dem Gebet um Vergebung: „Gedenke deiner Barmherzigkeiten, Jahwe. Der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen — gedenke ihrer nicht." Es läßt sich nicht leugnen, daß sich Gedankenfortschritt und Zusammenhang im weiteren Verlauf des Psalms schwerer erkennen lassen. Es ist sicherlich berechtigt, den Psalm in drei Teile einzuteilen1. Auf den ersten Teil, die Bitten um Befreiung, Führung und Erlösung, v. 2-7, folgt der große Mittelteil, den wir am besten mit v. 15 enden lassen können. Von den übrigen Teilen des Psalms unterscheidet sich das Mittelstück durch seinen mehr reflektierenden Ton. So ist auffallend, daß in diesem breitangelegten Mittelstück nur v. 11 eine direkte Bitte enthält. Überall in dem Psalm stehen die Wege Jahwes im Mittelpunkt (siehe unten); in besonderem Maße ist dies jedoch in diesem Teil der Fall. Es kann gesagt werden, daß der Mittelteil in zwei Abschnitte zerfällt. V. 8-11 singen davon, daß die Wege Jahwes gerade sind und daß Jahwe auf ihnen führen will; v. 11 schließt diesen 1

Kissane gliedert den Psalm in v. 1-7. 8-14. 15-21. Wie man sieht, stimmt Kissanes Einteilung mit der von mir vorgeschlagenen weitgehend überein. Gegen Kissanes Einteilung dieses Psalms lassen sich dieselben Einwände erheben, wie sie bereits bei früheren Psalmen geltend gemacht wurden. Für sein Bestreben, die Psalmen in Teile von gleicher Länge einzuteilen, siehe § 33. Wae speziell P s 26 betrifft, weise ich auf folgendes hin: 1. Wenn der Dichter ein Gedicht machen wollte, das aus drei gleichlangen Teilen bestand, ist es befremdend, daß sich in v. 5 und v. 7 Tristichen finden, während der übrige Teil des Psalms aus Doppelstichen besteht, vgl. auch v. l. 2. Μ. E. muß v. 15 zum zweiten Teil gezogen werden, unter anderem deswegen, weil je zwei Verszeilen zusammengehören.

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III. Spezieller Teil

Abschnitt mit einer Bitte um Vergebung für das vielfache Abweichen von diesen Wegen ab. V. 12-15 lenken die Aufmerksamkeit auf die Bedingung, unter der Jahwe den Unterricht in seinen Wegen erteilen will, und preisen die segensreichen Folgen des Wandels auf diesen Wegen. V. 8-11 und v. 12-15 sind insofern parallel, als beide mit einer persönlichen Aussage schließen2. Auf den Mittelteil folgt der Schluß, ν. 16-21. Der Ton ist hier wieder viel dringlicher. Im Gegensatz zum Mittelteil steht hier die eine Bitte im eigentlichen Sinne nach der anderen. Auffallend ist auch, daß der Dichter sich nun erst darüber äußert, wie schlimm die Lage ist, in der er sich befindet. Betrachten wir den ganzen Psalm, so werden wir feststellen müssen, daß, abgesehen von v. l, je zwei Verse zusammengehören; in manchen Fällen ist dies evident bzw. spricht vieles dafür, siehe v. 2 f. 4 f. 6 f. 8 f. 12 f. 14 f.; und auch in den anderen Fällen steht einer solchen Einteilung nichts im Wege. Hier sind einige Bemerkungen über v. 1 am Platz. Die Aussage von v. l ist m. E. als eine Art „Vorschlag" zu betrachten; bei dieser Auffassung braucht nicht angenommen zu werden — was vielfach geschieht —, daß hier einige Wörter fehlen; siehe im übrigen § 7. Die genaue Bedeutung der hier benützten Wendung mag schwer zu ermitteln sein 3 ; deutlich ist jedenfalls, daß der Dichter mit diesen Worten ausdrückt, daß er zu Jahwe beten will, vgl. Ps 5 3c u. a. U m einen besseren Einblick in den Aufbau des Psalms zu gewinnen, wollen wir zunächst den Schluß näher betrachten; damit richtet sich unser Blick auch auf die Stellung der direkten Bitte in diesem Psalm. Auch in diesem Psalm besteht eine Korrespondenz zwischen dem Anfang und dem Schluß; vgl. § 15. Wenn wir v. 1 einmal außer Betracht lassen (siehe oben), können wir feststellen: Der Psalm beginnt und schließt mit einer kurzen Beteuerung des Vertrauens, v. 2a und 2 Möller, 1932, 253 f., meint eine viel weitgehendere Parallelität zwischen v. 8-11 und v. 12-15 nachweisen zu können. Seine Ausführungen sind jedoch wenig überzeugend. 3 Nach einigen Exegeten (siehe ζ. B. Noordtzij) liegt dieser Stelle, wie auch Ps 864 143 s , folgende Vorstellung zugrunde: Der Beter hat sich zunächst, wie ein Bittsteller dies vor dem König tut, auf den Boden geworfen. Nun erhebt er seine Seele, das heißt, sich selbst, vgl. Ps 44 2g 119 25 u. a., um seine Bitte vorzutragen. Diese Auffassung ist gewiß nicht ohne Reiz; vgl. auch Stellen wie Ps 282 Hi 222β und siehe ζ. Β. H. W. Wolff (BK) zu Hos 4 S .

Psalm 25

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v. 2ib. Hier ist jedoch noch mehr zu nennen. Der Dichter greift in v. 19-21 auf den Anfang zurück. Das zeigt sich allein schon in der Wortwahl. In v. 2 f. steht dreimal das Wort das daneben nur noch im Schluß, v. 20, vorkommt. Von „meine Feinde" spricht der Dichter nur in v.2 und v. 19. Hlp wird in v. 3.5 und in v. 21 gebraucht. In den übrigen Versen des Psalms kommen weder die genannten Wörter noch synonyme Ausdrücke vor; es geht hier also nicht nur um die Wortwahl, sondern vielmehr auch um den Inhalt. Am auffälligsten ist die Art und Weise, wie der Dichter über seine Notlage und über die Feinde spricht. Er wird von den Feinden heftig bedrängt. Siehe v. 19: „Siehe meine Feinde an, denn viele sind sie; und mit einem gewalttätigen Haß hassen sie mich." Dennoch spricht er wenig über sie, lediglich im Anfang und im Schluß werden sie erwähnt. Wir werden dies so zu verstehen haben: der Dichter beginnt mit der Bitte um Befreiung von seinen Feinden; gleich zu Beginn erfahren wir so, warum er sich in erster Linie an Gott wendet. Aber er erwähnt seine Bedrängung durch die Feinde in diesem Teil nur mit wenigen Worten und geht sogleich auf die tieferen Schichten seiner Lebensnot über; er bittet um Unterweisung in den Wegen Jahwes und um Vergebung. Der große Mittelteil schließt sich dem an; in ihm erwähnt der Dichter die Herrlichkeit der Wege Jahwes, die heilvollen Folgen, die der Wandel auf ihnen mit sich bringt. Und erst danach bestimmt er seine Bitte um Befreiung genauer. Nachdem er um Führung und Vergebung gebetet und Jahwes Wege gerühmt hat, kann er seine Not um so freimütiger, um so kräftiger und dringlicher vor Gott ausbreiten und um Erlösung flehen: „Wende dich zu mir und sei mir gnädig, denn einsam und elend bin ich. . . .Siehe meine Feinde an, denn viele sind sie; und mit einem gewalttätigen Haß hassen sie mich." Damit ist auch schon das Wichtigste über die Stellung der direkten Bitten gesagt. Sie finden sich in v. 2-7.ll.l6-2i(.22) 4 . Unerwartet und etwas befremdend ist — ihrer Stellung nach — die Bitte von v. 11; siehe übrigens auch unten. Hinsichtlich der Stellung der direkten Bitten besteht eine gewisse Entsprechung zwischen Ps 25 und Ps 7. In beiden Psalmen spricht der Dichter sofort aus5, was er von Gott 4 Diese Teile bestehen nicht nur aus direkten Gebeten. Sie enthalten auch, so läßt sich zusammenfassend sagen, Vertrauensäußerungen und Klagen. Auf einige dieser Bestandteile komme ich unten zurück. 8 In beiden Fällen ist „sofort" nicht absolut aufzufassen. Ps 25 beginnt mit einem „Vorschlag", v. 1, siehe oben. Sowohl in Ps 7, siehe v. 2a, wie in Ps 25, siehe v. 2a, geht der Bitte eine kurze Beteuerung des Vertrauens voran.

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III. Spezieller Teil

begehrt, während die ausführlichere Entfaltung des Gebets erst in einem späteren Teil des Psalms erscheint. Die Unterschiede sind allerdings größer als die Übereinstimmungen; so wird beispielsweise in Ps 7 die Bitte um Befreiung nicht, wie in Ps 25, durch die Bitte u m Unterweisung und Vergebung vertieft. Damit sind die Hauptlinien des Aufbaus skizziert. Auf einige Besonderheiten muß noch genauer eingegangen werden, wobei auch wieder von dem Stil der Wiederholung zu sprechen sein wird, auf den wir oben bereits gelegentlich stießen. I n diesem Psalm wird viermal gebraucht, v. 4.8.9.12e, hinzu?a zuzählen ist auch , v. 5.9 ; zweimal wird ΓΗ& gebraucht, v. 4.10, dreimal ΐ φ , V. 4.5 .9, zweimal J T t H , v. 4.14, zweimal ΓΗ'Ρ, ν. 8.12. Allein schon der Gebrauch dieser Wörter läßt erkennen, wie zentral die Wege Jahwes, und die Unterweisung in ihnen in diesem Psalm sind. Die genannten Wörter können als „Schlüsselwörter" dieses Psalms gelten. Wir stellten bereits fest, daß vom Inhalt her gesehen v. 2 und v. 3, v. 4 und v. 5, v. 6 und v. 7 zusammengehören. Hinzuzufügen ist, daß diese Verse auch ihrem Wortgebrauch nach zusammengehören. Dies wurde in § 11 bereits im einzelnen gezeigt 7b . Siehe dort auch über prp in v. 3 und v. 5 (vgl. auch v. 21). I m Vorstehenden wurde behauptet, daß mit v. 8 ein neuer Teil beginnt; nichtsdestoweniger aber besteht ein enger Zusammenhang zwischen v. 8 und v. 7; v. 8 kann als das Verbindungsglied zwischen dem ersten und dem zweiten Teil dieses Psalms betrachtet werden. In v. 7 ' I n v. 4 steht „deine Wege", in v. 8 „der Weg", in v. 9 „sein Weg" (d. i. der Weg Jahwes), in v. 12 „der Weg, den er wählen muß". Am auffallendsten ist der Gebrauch dieses Wortes in v. 8, gemeint ist „der Weg Jahwes", siehe v. 4.9, jedoch spricht der Dichter von „der Weg" ohne eine nähere Bestimmung, denn „der Weg Jahwes" ist der einzige Weg, der zum Ziel führt; vielleicht ist es sinnvoll, auf den Gebrauch von „der Weg" in Act 9 2 usw. zu verweisen; siehe übrigens W. Michaelis in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, V 1944, 93 — 95. ,a Es muß der Möglichkeit Rechnimg getragen werden, daß das Substantiv *]'"Π und das Verb "]"Π i11 der Aussprache des Hebräischen zur Entstehungszeit dieses Psalms größere klangliche Übereinstimmung aufwiesen als in der massoretischen Aussprache. 7b Auch Mannati, 1966, 253, spricht bei v. 2-9 von „rythme graduel". Weiter schreibt er: „Le vocabulaire de ce psaume est tres pauvre. Presque tous les mots sont röp^tes, certains a plusieurs reprises — — — — — C'est sans doute intentionnel; on obtient un effet litanique".

Psalm 25

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wird gebetet: „Der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen — gedenke ihrer nicht; nach deiner Gunst mögest du, du meiner gedenken, um deiner Güte willen, Jahwe." Und dann erklingt in v. 8 der Jubelruf: „Gut und gerade ist Jahwe; darum unterweist er Sünder in dem Weg." Der Dichter hat sich auf die Güte Jahwes berufen. Und dieses Gebet wird erhört werden: Jahwe ist gut. Der Dichter hat gebetet, daß Jahwe ihn ungeachtet seiner Sünden nicht vergessen möge. Gilt nicht, daß Jahwe dem Sünder den Weg weist? In diesem Zusammenhang verlangt auch v. 9 unsere Aufmerksamkeit. Der Aussage von v. 8b, „darum unterweist er Sünder in dem Weg", folgt in v. 9b die Aussage: „und er lehrt Demütige seinen Weg"; beide Aussagen müssen nebeneinander gehalten, die eine im Lichte der anderen betrachtet werden. Der zweimalige Gebrauch von „Demütige" in v. 9 wird nicht auf einer Textentstellung beruhen, wie viele behaupten, sondern den Zweck haben, diesem Begriff besonderen Nachdruck zu verleihen; vgl. § 18a. Wie die vorhergehenden Verse weisen v. 8 f. Stufenrhythmus auf: dreimal , zweimal Oy . Die Demütigen lehrt Jahwe seinen Weg, v. 9. Der Begriff Demut jedoch umschließt nicht alles, was Jahwe verlangt; so spricht ν. io von denen, „die seinen Bund und seine Vorschriften halten". Nachdem er diese Charakterisierung gegeben hat, fühlt der Dichter sich gezwungen, erneut um Vergebung zu bitten, v. 11; daß er diese Bitte ausspricht, beweist, daß er die in v. 9 erwähnte Demut hat. In v. 12-15 wird sodann als Bedingung, unter der Jahwe seinen Unterricht erteilen will, „die Furcht vor Jahwe" genannt; dieser Ausdruck faßt die Demut und die Einhaltung seines Bundes und seiner Vorschriften treffend zusammen. In v. 11 hat der Dichter bekannt, daß er von den geraden Wegen Jahwes häufig abweicht (man beachte den Gebrauch von |ίΊ3?τ , das auf ein „Handeln, das ungerade, unrecht ist" hindeutet; Köhler, s. v.). In v. 12 stellt er fest, daß es dennoch möglich ist, daß ein Mensch auf diesen Wegen wandelt: Jahwe unterweist jeden, der ihn fürchtet, in seinen Wegen. Nach seiner Demütigung in v. 11 schöpft der Dichter neuen Mut; der Übergang von v. 11 zu v. 12 gleicht dem von v. 7 zu v. 8. Ferner kann auf die Parallelität zwischen v. 12 f. und v. 14 f. hingewiesen werden: sachlich entspricht der Inhalt von v. 14 dem von v. 12 (siehe oben, siehe auch das zweimalige XT); sowohl v. 13 wie v. 15 sprechen von dem Guten, das Jahwe seinen Frommen gewährt. Man beachte das Wort „Füße" in v. 15; es schließt sich den bereits wiederholt gebrauchten Ausdrücken „Wege, wandeln lassen, Pfade" an. Vielleicht bedeutet der Satz „Meine Augen sind ständig auf Jahwe

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I I I . Spezieller Teil

gerichtet", v. 15a, daß der Dichter als Schüler Jahwes Unterricht in seinen Wegen erwartet; in diesem Fall verbindet auch diese Aussage v. 15 mit dem Vorhergehenden. Übrigens unterscheidet v. 15 sich von den vorhergehenden Versen durch die persönliche Form, sowie auch dadurch, daß er sich speziell auf die Befreiung von den Feinden bezieht. In beidem leitet er deutlich zum dritten Teil über; siehe auch Κ Ϊ1Π in ν. 15 und ν. 17. Siehe über den dritten Teil bereits oben. Zu bemerken ist noch, daß v. 19 dasselbe von den Feinden sagt (ίϊΡ) wie v. 11 von der Ungerechtigkeit des Dichters V. 22, ein aus späterer Zeit stammender Zusatz, spricht ebenso wie v. 17 von ΓΐΉϊ: der Dichter bittet um Erlösung aus seinem Bedrängnissen, v. 17; ganz Israel aber befindet sich ebenfalls in Bedrängnissen; so kann dieser Psalm in Beziehung auf das Volk gebraucht werden8. Psalm, 26 V.

l|2f.||4f.|6-8l|9-ll||l2

2—2|2—2||2—2|2—2—2||2—2 — 2||2

Ps 26 besteht aus Bitten, Beteuerungen der Aufrichtigkeit und Äußerungen der Erhörungsgewißheit. Die Bitten finden wir in v. la.2.9a.IIb. Der Psalm beginnt mit einer Bitte, v. la. Sie ist zugleich die umfassendste Bitte des ganzen Psalms; 8 Eine Behandlung von Ps 25 von dem Gesichtspunkt her, der uns hier beschäftigt, gibt Möller, 1932, 252 — 256. Nach Möller hat Ps 25 chiastischen Aufbau nach dem Schema: a — b — c — d — c — b — a; parallel sind nach ihm ν. l und v. 22, v. 2 - 3 und v. 20-21, v. 4 - 7 und v. 16-19, v. 8-11 und v. 12-15. E s sei darauf hingewiesen, daß die Einteilung Möllers der von mir vorgeschlagenen im wesentlichen entspricht. Auch stimme ich Möller darin zu, daß sich im Aufbau des Psalms ein gewisser Chiasmus erkennen läßt, siehe auch § 29. Mir scheint jedoch nicht zuzutreffen, daß der Chiasmus den Aufbau dieses Psalms bis in die Einzelheiten bestimmt. So ist ζ. B . Möllers Begründung seiner Behauptung, daß v. 4-7 und v. 36-19 parallel sind, sicherlich gesucht. — Mannati, 1966, 254 v., ist der Ansicht, daß Ps 25 „gravite autour du verset 11. . . , les strophes se röpondant symetriquement par rapport ä lui. On a ainsi, avec les deux strophes qui encadrent immediatement le verset 11 . . . un bloc de sept versets (nombre symbolique) . . . L a strophe 4-7 annonce la partie mediane . . . la strophe 15-19 est la consequence du passage central. . . Enfin, les strophes extremes se repondent . . . " . Wie man sieht, liegen auch hier wiederum beträchtliche Übereinstimmungen mit der von mir vertretenen Auffassung vor (desgleichen mit der Auffassung Möllers und derjenigen von Kissane, siehe oben). Nach allem Vorhergehenden jedoch dürfte es deutlich sein, daß ich die Aufassung von Mannati in ihrer Gesamtheit nicht akzeptieren kann.

Psalm 26

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der Dichter bittet Jahwe, über ihm seines Amtes als Richter, als König-Richter, zu walten. Die Aufforderung „richte mich" in v. la wird in den Bitten von v. 2 und v. 9a.Hb genauer bestimmt; in diesen Versen werden verschiedene Elemente des „Richtens" genannt. Dem „richte mich" von v. la folgt die Aufforderung „prüfe mich" von v. 2. Anschließend gibt der Dichter in der langen Beteuerung seiner Unschuld, v. 3-8, siehe auch bereits v. lb.c, zu verstehen: Die göttliche Prüfung wird erweisen, daß ich aufrichtig bin. Mit all dem bahnt er sich den Weg zu der Bitte von v. 9—ll; der König-Richter möge ihn nicht verstoßen, als wäre er ein Sünder (negativ), v. 9a, sondern ihn erlösen und sich ihm gnädig erweisen (positiv), v. IIb 1 . Siehe ferner § 53b. Was die Beteuerungen der Aufrichtigkeit betrifft, v. lb.c.3-8.lla, so sind diese zunächst recht allgemein gehalten, v. lb.c.3. Die Beteuerungen in v. 1-3, beziehungsweise in v. 3, werden in v. 4-8 konkretisiert: der Dichter haßt die Versammlung der Übeltäter und hat das Haus Jahwes lieb2. Nahe verwandt mit den Beteuerungen der Aufrichtigkeit sind v. 9b. 10: der Dichter deutet hier an, daß er nicht mit Blutschuld beladen ist usw. 1 Vielleicht k o m m t die folgende Übersetzung dem in v. ll Gemeinten a m nächsten: „Und mich, der ich in meiner Aufrichtigkeit wandeln will —erlöse mich u n d sei mir gnädig"; vgl. P s 31 l e 40 18 . 2 Zu ν. β-8 seien zwei mehr oder weniger zusammenhängende Bemerkungen gemacht. 1. Das in ν. β erwähnte „Waschen" ist m. E . keine Beteuerung der Unschuld, sondern eine Reinigung, siehe vor allem Ps 73 1 3 und auch E x 30 1 7 ff- D t n 21 e (man k a n n übersetzen: „Ich wasche meine H ä n d e in dem, was rein ist"), genauer: eine Reinigung, der sich zu unterziehen hatte, wer a n einer kultischen Feier teilnehmen wollte, siehe außer E x 30 17l{ _ auch E x 19 10-22 I Sam 16 s u. a. — 2. A m akzeptabelsten ist m. E . die Auffassung von Gunkel u. a., nach der der Dichter in ν. β f. kultische Handlungen nennt, die er zu verrichten pflegt; f ü r diese Auffassung spricht der Zusammenhang, siehe v. 4 f.8. — Nach mehreren Neueren (Schmidt, Kraus u. a.) geht es zumindest in ν. ββ u m eine Handlung, die zu verrichten der Sprechende sich anschickt, bzw. die er soeben verrichtet h a t . Hiergegen spricht u. a., daß sich bei dieser Auffassung Schwierigkeiten im Hinblick auf v. 7 ergeben (vgl. jedoch auch W . Beyerlin, ZAW 79, 1967, 212 — 216; siehe ferner die letzte Anmerkung in § 61). Interessant ist auch die Auffassung von J . Ridderbos u. a. : I n der Erhörungsgewißheit gelobt der Sprechende, diese Handlungen nach seiner E r r e t t u n g zu verrichten. Die Stelle dieser Aussagen spricht jedoch nicht f ü r diese Auffassung; die Berufung auf den K o h o r t a t i v in v. «b ist nicht ausschlaggebend, siehe Gesenius-Kautzsch, § 108g.

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III. Spezieller Teil

Vielleicht kann gesagt werden, daß in diesem Psalm zwei Arten von Beteuerungen der Aufrichtigkeit vorliegen (siehe ζ. B. Kissane zu v. 1-3): Der Dichter beteuert, daß er in Aufrichtigkeit wandelt, v. ib.3b.4 f.IIa (beziehungsweise v. 9-11, siehe oben) und daß er die Gunst Jahwes vor Augen hat, v. ic.3a.6-8. In v. 12, und m. E. auch bereits in v. ld, drückt der Dichter seine Erhörungsgewißheit aus. Vielfach nimmt man an, daß der Dichter in v. lc.d sein unerschütterliches Vertrauen zu Jahwe bekundet. Mir scheint, daß er zumindest auch ausspricht, daß ihn kein Unheil treffen wird, da er auf Jahwe vertraut; man beachte den Gebrauch des Imperfekts 3 und die Bedeutung, die 1}?i2 andernorts hat. In diesem Psalm nimmt der Chiasmus einen bemerkenswert breiten Raum ein. V. 3 wiederholt die Beteuerungen der Aufrichtigkeit von v. lb.c mit anderen Worten, jedoch mit Inversion, siehe bereits oben; siehe auch "[^fi in v. lb und v. 3b. V. 3 hat chiastischen Parallelismus. Die Aussage von v. 3b wird in v. 4 f. näher herausgearbeitet (siehe oben; man beachte den Gegensatz zwischen v. 3b und v. 4a), die von v. 3a in v. 6-8. Der Parallelismus von v. 4 und der von v. 5 sind chiastisch4. V. 4 beginnt mit T n t ^ Ν*? > v. 5 endet mit X1?· V. 9 beginnt, v. 11 schließt mit einer Bitte. Es besteht ein chiastischesVerhältnis zwischen v. la.b und v. Ii: siehe auch unten. Der Parallelismus in v. 12 ist chiastisch. In diesem Psalm begegnen verschiedene Gegensätze. Ich habe bereits auf den Gegensatz zwischen ν 3b und v. 4a hingewiesen. Ein deutlicher Gegensatz besteht zwischen v. 4 f. und v. 6-8, siehe besonders v. 5a und v. 8a. Zwischen „die Versammlung (*?Πρ) der Übeltäter" in v. 5 und „die Versammlungen" (cbripD) in v. 12 wird ein bewußter Gegensatz bestehen. Naturgemäß steht die Darstellung der Gottlosen in v. 9 f. im Gegensatz zu der Beschreibung, die der Dichter von sich selbst gibt, siehe ζ. B. v. IIa, vgl. vor allem v. 6a und v. 10. 3 Was Michel, 1960, 129 f., hierüber schreibt, scheint mir kaum befriedigend. 4 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß sowohl v. 4 wie v. 5 zunächst das Perfekt, danach das Imperfekt verwenden. Indem der Dichter sowohl Perfekt wie Imperfekt gebraucht, bekundet er, daß das Gesagte für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft gilt.

Psalm 26

209

Im vorstehenden begegneten wir bereits einigen Erscheinungsformen des Stils der Wiederholung; siehe über in v. 4 und v. 5, in v. 5 und D^Hptt in v. 12. Auf das Verhältnis von v. la.b und v. 11 müssen wir näher eingehen. Wenn wir v. 12 außer Betracht lassen5, liegt auch in diesem Psalm eine Korrespondenz zwischen dem Anfang und dem Schluß vor, vgl. § 15. Es besteht eine große Übereinstimmung zwischen v. lb und v. IIa; die in v. lb und v. IIa gemachten Aussagen sind übrigens charakteristisch für den gesamten Psalm, siehe auch •[^n in v. 3. Über den Chiasmus siehe bereits oben. Es sei noch daraufhingewiesen, daß der Dichter bei der Darstellung der Gottlosen stets andere Wörter wählt, siehe v. 4 f. und v. 9 f., vgl. § 16b. Als Zusammenfassung und Ergänzung des bisher Gesagten sei folgende Übersicht des Psalms gegeben. V. l schließt im Kern bereits den ganzen Psalm in sich, vgl. § 20. Der Psalm besteht aus drei Elementen, aus Bitten, Beteuerungen der Aufrichtigkeit und Äußerungen der Erhörungsgewißheit; alle drei Elemente sind in v. l enthalten. Der Psalm enthält zwei Arten von Beteuerungen der Aufrichtigkeit; für beide findet sich in v. l ein Beispiel. V. 2 enthält eine Ausgestaltung der Bitte von v. la. V. 3 wiederholt die Beteuerungen von v. lb.c, und zwar mit Inversion. Die Beteuerungen der Aufrichtigkeit von v. 3 werden in v. 4-8 näher herausgearbeitet (wiederum mit Inversion); ein bestimmter Aspekt der Aufrichtigkeit wird hier beleuchtet: der Sprechende hat eine Abneigung gegen die Versammlungen der Gottlosen, findet seine Freude vielmehr in dem Aufenthalt beim Heiligtum, wo er seinem Gott begegnet und sich mit Gottes Frommen versammelt6. Mit all dem hat er sich die Möglichkeit geschaffen, die Bitte von v. la völlig zu entfalten, v. 9-11. Die Bitten von v. 9a und v. lib umrahmen eine Schilderung der Gottlosen und eine Wiederholung der Beteuerung der Aufrichtigkeit von v. lb.

β

Übrigens kann auch gesagt werden, daß v. 12a und v. ld verwandt sind; man kann also auch behaupten, daß eine Korrespondenz zwischen v. 1 und v. 11 f. vorliegt. 6 Bemerkenswert ist die Breite der Ausduckeweise in v. 8; sie wird der Ehrfurcht des Dichters besonderen Ausdruck verleihen sollen: das Haus Jahwes, in dem seine Herrlichkeit, seine Majestät wohnt, darf er nicht betreten, wohl aber darf er dort verweilen, wo dieses Haus steht.

210

I I I . Spezieller Teil

I n v. 12 äußert der Sprechende seine Erhörungsgewißheit, v g l . § 36a (hier k a n n m. E . v o n einer N a c h w i r k u n g d e s k u l t i s c h e n R i t u a l s die R e d e sein); in v . a sieht er die Erhörung bereits v o r sich, i n v . b t u t er das Gelübde eines Danklieds 7 .

Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, enthält der Psalm als Ganzes das Element der Klimax, beziehungsweise der „sukzessiven Gabelung". Wir müssen auf dieses Element noch näher eingehen. Von einer Klimax darf bei v. 2 gesprochen werden. In v. 4-8 steckt sicher das Element der Klimax 8 . Die Beschreibung der Gottlosen in v. 9 f. ist kräftiger, konkreter als die in v. 4 f.. Es kann gesagt werden, daß in der Schlußbitte, v. lib, das eigentliche Anliegen des Beters zum Ausdruck kommt. Psalm 27 V.

l|2|3||4|5|e|||7|8.9a|9b-e|l0||ll|l2|l3||U

2—2|2—2|2—2||2—2—2[2—2|2—3? | | | 2 | 2 - 2 | 2 - 2 | 2 | | 3 | 3 | 3 | | 3

Es ist m. E. sehr gut möglich, daß dieser Psalm anläßlich der Thronbesteigung eines Königs (bzw. ihres Gedenktags) gedichtet worden ist. Ob m a n diese Auffassung f ü r akzeptabel hält, hängt naturgemäß weitgehend davon ab, welche Anschauungen man über die Psalmen im allgemeinen hegt. Ich begnüge mich hier damit, einige P u n k t e zu nennen, die f ü r diese Auffassung sprechen können: 1. Verschiedene Angaben deuten darauf hin, daß hier keine Privatperson spricht, siehe ζ. B. v. 3 und v. 4 (der Wunsch „zu wohnen im Hause Jahwes alle Tage meines Lebens" paßt, außer in den Mund eines Tempeldieners, a m besten in den Mund eines Königs) und auch H l ' ? in der Überschrift. 2. Macht man sich diese Auffassung zu eigen, so läßt sich der Psalm als Ganzes auf befriedigende Weise auslegen; siehe unten, namentlich über das Verhältnis von v. 1-6 und v. 7-14. 3. Bei dieser Auffassung kann v. 10 folgendermaßen ausgelegt werden 1 : Durch den Antritt des königlichen A m t s werden die natürlichen Bande von Fleisch und Blut gleichsam gelöst, J a h w e 7

Nennt man die Bitten A, die Beteuerungen der Unschuld B l , beziehungsweise B2, die Äußerungen der Erhörungsgewißheit C, so ergibt sich f ü r den Psalm folgendes Schema: A (v. la), Bl (v. lb), B2 (v. lc), C (v. id), A (v. 2), B2 (v. 3a), B l (v. 3b), B l (v. 4 f.), B2 (v. as), A (v. 9 - u ) , C (v. 12). 8 Besonders kunstvoll ist der A u f b a u von v. 4-8; man beachte den Parallelismus, den Chiasmus, die Antithese und die Klimax. 1 Siehe A. Bentzen, Messias, Moses redivivus, Menschensohn, 1948, 20, der m i t Recht vom „Adoptionsmotiv" spricht. Kraus z. St. schreibt: „Diese Deutung überschätzt die Relevanz des Metaphorischen." Auch bei v. 2 f. spricht Kraus von „Metaphern". Welchen Grund gibt es, all diese Ausdrücke meta-

Psalm 27

211

wird für den König nun, was früher sein Vater und seine Mutter für ihn waren, vgl. Dtn 33 9 P s 2 , 2 2 I 0 t u. a.; für die Bedeutung von "DX siehe ζ. B. D t n 22 2 I I Sam 11 27 . 4. I n der Überschrift, die dieser Psalm in der L X X trägt, steht: πρό τον χρια&ήναι; hierin kann sich eine alte Tradition erhalten haben.

Viele sind der Meinung, daß v. 1-6 und v. 7-14 zwei selbständige Psalmen sind. Schmidt schreibt jedoch mit Recht: „(Die beiden Teile des Psalms) stammen von der gleichen Hand und aus der gleichen Lage". Wenn Ps 27 anläßlich einer Thronbesteigung gedichtet worden ist, ist die Einheit von v. 1-6 und v. 7-14 noch wesentlich stärker, als ζ. B. Schmidt annimmt 2 ; daß bei einer kultischen Feier anläßlich einer Thronbesteigung sowohl flehentliche Bitten wie Jubel erklangen, ist keineswegs befremdend. Wenn wir davon ausgehen, daß dieser Psalm bei einer Thronbesteigung verwendet wurde, können wir uns gut vorstellen, daß nach dem Vortrag von v. 1-6 Opfer dargebracht wurden. Dabei wird es sich um Dankopfer gehandelt haben, aber auch um solche Opfer, die die Gunst Jahwes erwerben sollten, siehe Ps 204 I Sam 7 9 usw. Hierzu paßte ein Gebet wie das von v. 7 ff.. Besondere Beachtung verlangt der Schluß von v. 1-6. Der Sänger äußert seinen Vorsatz: „Ich will in seinem Zelt opfern Opfer mit Schall". Es ist anzunehmen, daß dieser Vorsatz nach der Rezitation von v. 1-6 ausgeführt wurde. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Der Zweck der die Opfer begleitenden njTHfi war, Jahwes Aufmerksamkeit zu erregen, siehe ζ. B. Num 1010; Π5?1~ΐΠ war durchaus nicht immer ein festlicher Klang, vgl. Zeph 1 1β usw. Ferner sagt der Sänger: „Ich will Jahwe singen und psalmsingen". Dieses Vorhaben hat in dem Vortrag von v. 1-6 bereits eine anfängliche Ausführung erlangt — vgl. ζ. B. die Funktion von Ps 1850 —, und wird in der Rezitation von v. 7 ff. weiter ausgeführt 3 . Hier ist ähnliches zu bedenken wie bei „Schall"; phorisch aufzufassen? Hier möge eine allgemeine Bemerkung eingeflochten werden: Vor allem, wenn man mit Kraus und vielen Neueren, m. E. mit Recht, annimmt, daß verschiedene Psalmen eine Art kultisches Formular sind, muß man der Möglichkeit, daß sich unter den sogenannten „Psalmen eines einzelnen" Königspsalmen befinden, ernsthafter Rechnung tragen, als beispielsweiße Kraus dies tut. 2 Nach Schmidt finden wir in v. 1-6 „ein Sich-innerlich-Trost-Zueprechen eines Beschuldigten vor dem Gang ins Heiligtum zum Gericht". Zu v. 7 ff. schreibt Schmidt: „Jetzt ist die Stunde da, auf die alles a n k o m m t ! Die Anklage ist geschehen, der Reinigungseid gesprochen." 3 Auffallend ist, daß auf v. ee („ich will singen . . .") kein paralleles Glied folgt; vielleicht darf gesagt werden: statt die Aussage mit anderen Worten zu wiederholen, schreitet der Sänger zu ihrer Ausführung; vgl. § 7.

212

I I I . Spezieller Teil

„singen und psalmsingen" bezieht sich durchaus nicht immer auf den Vortrag von Dankliedern, vgl. Ps 88 1 u. a. Nach der von mir vertretenen Auffassung besteht Ps 27 aus drei liturgischen Einheiten, v. 1-6. 7-13. 14. I n v. 1-6 äußert der Sprechende den freudigen Glaubensmut, der ihn nun erfüllt, da er das Amt des Königs antritt. V. 1-3 sprechen die rühmende Sprache des Glaubens, der alle Furcht verbannt; dies kommt um so kräftiger zum Ausdruck, als zweimal von „nicht fürchten" gesprochen wird, v. 1.3. V. la und c drücken die Glaubensüberzeugung aus, die den ganzen Psalm trägt. Inhaltlich wie formal besteht eine Übereinstimmung zwischen dem Anfang von Ps 27 u n d ζ. B. dem von Ps 23. Weil Jahwe sein Gott ist, fürchtet der Dichter niemand, v. b und d. I n v. 2 wird weiter ausgeführt, warum kein Grund zur Furcht besteht, in v. 3, wie weit dieses Von-Furcht-befreit-Sein reicht: Es gilt auch in den schlimmsten Verhältnissen 4 . V. 4-6 singen davon: Die Sicherheit, die der Sprechende rühmt, v. 1-3, wird vor allem im Heiligtum erfahren; allgemeiner formuliert: Die Gemeinschaft mit dem Gott, der dem Sprechenden Sicherheit gibt, findet im Heiligtum statt. Darum beherrscht den Dichter das Verlangen, im Heiligtum zu wohnen, v. 4a-d; dort wird ihm in den kultischen Begehungen die Lieblichkeit Jahwes vor Augen geführt, dort kann er den Willen Jahwes erforschen, v. 4e. f 5 . Das Heiligtum, cder richtiger: der Gott des Heiligtums, beschützt ihn und wird ihn beschützen, ν. 5β. V. 6 sagt ausdrücklich, daß er diesen Schutz jetzt genießt; dafür spricht er seine Dankbarkeit aus; auf diese Weise wird zugleich der Übergang zum Folgenden hergestellt, siehe bereits oben. V. 7-13 enthalten das Bittgebet; in v. 7-9 und in v. 11 f. wird Jahwe angeredet. F ü r das Verhältnis von v. 1-6 und v. 7-13 siehe oben. Der Sprechende weiß, daß Jahwe sein Gott ist, v. l; dies macht ihn jauchzen, v. 1-6, läßt ihm das Flehen jedoch nicht überflüssig erscheinen,

* V. 1 und v. 3 bieten ein gutes Beispiel f ü r „externen Parallelismus", siehe § 6. Bei v. lb und d kann von einer Klimax die R e d e sein, ebenso bei v. 3b u n d d. 5 Vgl. f ü r v. 4 auch Roth, 1965, 70, u. a. folgende Bemerkung: „ P s X X V I I 4 is a unique numerical saying in t h a t it lists only one item." 6 Bei v. 5d ist zu bedenken, d a ß ζ. Β. der Tempel Salomos auf einem Fels stand.

213

Psalm 27

spornt ihn vielmehr an, nicht nur zu jauchzen, sondern auch zu bitten; vgl. Ps 21 14 usw. V. 7 enthält ein einleitendes Gebet (vgl. § 50), das sich in den allgemeineren Bitten von v. 8.9a und v. 9b-e, sowie in den konkreteren Bitten von v. 11 und v. 12 entfaltet. Die Häufung von Bitten verleiht dem Ganzen einen dringlichen Charakter; man beachte besonders das vierfache ΤΪ? in v. 9 (siehe § 12d). Sowohl die Bitten von v. 8 f. wie die von v. 11 f. münden in eine Aussage, die als eine Äußerung der Erhörungsgewißheit bezeichnet werden kann, v. 10 und v. 13. V. 8.9a enthalten einen Beweggrund des göttlichen Einschreitens, v. 87, und eine Bitte, v. 9a. Diese Perikope klingt dadurch sehr dringlich, daß „suchen" zweimal, „Angesicht" dreimal benützt werden. Die (negative) Bitte von v. 9a wird in v. 9b und d mit anderen Worten wiederholt. V. 9c8 und e können als Beweggründe des göttlichen Einschreitens gelten. I n v. 10 kommt zum Ausdruck, wie nötig es ist, daß Jahwe nicht verläßt (siehe „verlassen" in v. 9 und in v. 10), zugleich aber klingt auch die Erhörungsgewißheit an; siehe über diesen Vers bereits oben. Auch v. Ii f. sind sorgfältig aufgebaut: den Bitten von v. lia.b folgt der Beweggrund von v. llc. E r bildet den Übergang zu der Bitte von v. 12a, an die sich die als Beweggrund fungierenden Klagen von v. 12b.c anschließen 9 . Es kann gesagt werden, daß die Bitten von v. 11 und v. 12 das zentrale Gebet darstellen, und daß die vorhergehenden Verse, v. 7-10 oder sogar v. 1-10, die Einleitung zu diesem Gebet bilden. Erst in v. llc und v. 12 kommen in diesem Abschnitt, v. 7-13, die Feinde zur Sprache: „Der Glaube wirkt von innen nach außen, nicht umgekehrt" (Weiser, z. St.). Der Erwähnung der Feinde geht die Bitte um Unterweisung in den Wegen Jahwes voran. Dies ist denn auch das Wichtigste und Umfassendste: wenn der Sprechende von Jahwes Weg abirrte, erregte er Jahwes Zorn, siehe v. 9, und könnte nicht auf Befreiung aus der Hand der Feinde rechnen. Siehe auch zu Ps 5 9 _ n . ' Nach dem MT kann man übersetzen: „Von dir kommt, sagt mein Herz (der Befehl): sucht mein Angesicht; dein Angesicht, Jahwe, suche ich"; vgl. Noordtzij, Weiser u. a. 8 Man muß, wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, v. 9c mit v. 9b verbinden; die beste Übersetzung scheint mir: „Du, der du meine Hilfe gewesen bist", siehe die Parallelität mit v. 9e. V. 9b-e bieten, wie auch v. 1 und v. 3, ein gutes Beispiel für „externen Parallelismue". • Der Dichter nennt mehrere Beweggründe des göttlichen Einschreitens: in v. 8.9a weist er auf sich selbst hin, in v. »b-e auf Jahwe, in v. 11 f. auf die Feinde. Etdderboa, Psalmen

15

214

i n . Spezieller Teil

V. 13 kann insofern als eine Äußerung der Erhörungsgewißheit betrachtet werden, als einen Irrealis einzuleiten pflegt, vgl. Gesenius-Kautzsch § 159 l10. V. 14 enthält eine ermutigende Aufforderung, die von einem Tempeldiener als Antwort auf das Gebet erteilt wird, vgl. § 36b. Die Wiederholung von „warte auf Jahwe" macht diese Aufforderung besonders dringend. Auf einige wichtige Erscheinungsformen des Stils der Wiederholung wurde oben bereits hingewiesen, siehe zu „fürchten" in ν. l und 3, „(suchen von) Jahwes Angesicht" in v. 8 f., in v. 9, „verlassen" in v. 9 f. und „warten" in v. 14. Ferner verlangen namentlich v. 4-6 unsere Aufmerksamkeit. Hier kann insofern von Abwechslung die Rede sein, als unmittelbar nacheinander vier verschiedene Bezeichnungen für das Heiligtum gebraucht werden, nämlich „Haus", „Palast", „Hütte" und „Zelt". Es kann jedoch auch auf Wiederholung hingewiesen werden; v. 5 und v. 6 werden dadurch deutlich verbunden, dass DD am Schluß von v. 5 und zu Beginn von ν. β steht; siehe auch den Gebrauch von „Zelt" sowohl in v. 5 wie in v. 6. Man beachte ferner die Wendungen „Er versteckt mich im Versteck", v. 5, und „ich will opfern Opfer mit Schall", v. 6. Die figura etymologica begegnen wir auch in v. 3: „Wenn ein Heerlager sich wider mich lagert". Vielleicht greift i j ^ in v. 9 auf in ν. l zurück, ebenso OTt in v. 13 auf i'p; in v. l, vgl. auch v. 4. Psalm, 28 V.

I|2||3|4|||5|||ef.|||8f.

2 — 212—2||2—2|2—2|||3|||2—2—2|||2—3

Wir können annehmen, daß dieser Psalm vier liturgische Einheiten enthält 1 . In v. 1-4 spricht der Beter sein Gebet; in v. 5 antwortet ihm 10 Köhler will xS'l'? hier, und auch nur hier, m i t „sicherlich" übersetzen; siehe auch Böhl z. St. 1 Auch hier m u ß m i t der Möglichkeit gerechnet werden, daß der Psalm nicht eine eigentliche Liturgie ist, sondern daß hier eine Nachwirkung — allerdings eine sehr tiefgehende Nachwirkung — des kultischen Rituals vorliegt; vgl. § 35. Zu bemerken ist noch, d a ß v. 2 es wohl sehr wahrscheinlich macht, d a ß dieser Psalm beim Heiligtum zu Gehör gebracht wurde, siehe auch ζ. B. v . 8 f.; natürlich spricht dies f ü r die Auffassung des Psalms als einer eigentlichen Liturgie.

215

Psalm 28

ein Tempeldiener; in v. 6 f. dankt der Beter für die empfangene Hilfe; in v. 8 f. erklingt wiederum die Stimme des Tempeldieners, der die Feierlichkeit mit einem Bekenntnis und einer Bitte beschließt. Siehe auch unten und vgl. ζ. B. zu Ps 12 und P s 20. Das Gebet von v. 1-4 zerfällt in zwei Teile. I n ν. l f. stellt der Beter sich vor, v. ia.2b-d; Jahwe möge ihm Gehör schenken, v. ib.2a; andernfalls werde ihn die Unterwelt verschlingen, v. lc.d. Diese Bitten tragen einen einleitenden Charakter, stehen aber nicht völlig auf derselben Linie wie ζ. B. Ps 42 5 2 _ 4 ; schon gleich in diesen Versen kommt zum Ausdruck, wie bedrängend die Not ist, in der der Dichter sich befindet; und Gott schweigt; es ist hohe Zeit, daß er eingreift. I n v. 3 f. werden die Bitten konkreter. Diese Verse enthalten das eigentliche Gebet, vgl. Ps 2 6 e f . Zunächst bittet der Beter: „Raffe mich nicht hinweg mit den Gottlosen" — gewiß ein eigenartiger Beginn des eigentlichen Gebets. Wir würden erwarten, daß der Beter um Erlösung für sich selbst und um Bestrafung seiner Feinde bäte; er verbindet beides in einem Ausdruck, wobei die feste Überzeugung auffällt, daß die Gottlosen untergehen werden. Diese werden in v. 3b-d genauer beschrieben, so daß der Dichter anschließend um ihre Bestrafung bitten kann, v. 4. Viel spricht dafür, daß in v. 5 eine andere Stimme, und zwar die eines Dieners des Heiligtums, das Wort ergreift. Dieser Vers, siehe v. c, gibt eine Antwort auf das vorangehende Gebet. Hier wird über Jahwe gesprochen, während er im Gebet angesprochen wurde. Bei dieser Auffassung läßt sich der Übergang zu v. 6 gut erklären. So gedeutet, enthält dieser Vers entweder einen speziellen Gottesspruch, der auf irgendeine Weise erhalten wurde, oder ein allgemeineres, jedoch wohl von einem Amtsträger gesprochenes, ermutigendes Wort 2 . Dieser Vers deckt die tiefste Wurzel der Ungerechtigkeit der Feinde auf und kündigt ihren Untergang an; die Aussage von v. a und b begründet die Urteilsankündigung von v. c. Die Wurzel der Ungerechtigkeit der Feinde liegt in ihrem Verhältnis zu Jahwe. Dies wird immer wieder in den Psalmen gesagt. Aber dieser Dichter sagt nicht etwa, daß die Feinde sich nicht an die Gebote Jahwes halten,

2

Zwar spricht dieser Vers von Jahwe in der dritten Person, inhaltlich aber wird hier doch im Namen Jahwes gesprochen, siehe zu Ps 20,. 15*

216

III. Spezieller Teil

sondern daß sie nicht auf die Taten Jahwes achten3. Dabei bedient er sich in wirkungsvoller Weise des Stils der Wiederholung. Die Feinde machen sich zu schaffen mit „ihrem Tun", mit „dem Werk ihrer Hände", v. 4, siehe auch bereits v. 3 es wäre klüger, auf Jahwes „Taten", auf das „Werk seiner Hände" zu achten, v. 5 (vgl. Schwab, 1955, 71). V. 6 f. enthalten ein kleines Danklied. Hier jubelt der Dichter über die Erhörung des Gebets von v. 1-4. Er hat gebetet: „Höre die Stimme meines Flehens", v. 2a; nun jauchzt er: „Er hat gehört die Stimme meines Flehens", v. 6b. Nach der oben verteidigten Auffassung von v. 5 hat ein Diener des Heiligtums im Namen Jahwes eine Antwort auf das Gebet gegeben. Das Sprechen Jahwes ist ein Tun; er spricht, und es ist, Ps 339. So kann der Beter nun sagen: „Mir wurde geholfen", v. 7b. Nichtsdestoweniger äußert sich in v. 6 f. eine Vorwegnähme des Glaubens: noch sind die Feinde nicht wirklich bestraft worden. Dieses kleine Danklied enthält alle zu dieser Gattung gehörenden Elemente 4 : eine Einleitung, v. 6a, und einen Schluß, v. 7c.d, einen „Bericht der Errettung", v. 6b.7b, und, als strahlendes Mittelstück, ein Bekenntnis, v. 7a; jedes Sätzchen ist inhaltsschwer. Mir scheint es wahrscheinlich, daß in v. 8 f. wieder die Stimme des Tempeldieners erklingt. Er spricht ein Bekenntnis, v. 8, und eine Bitte, v. 9, aus. Der Beter hat in seinem Danklied bekannt: „Jahwe ist meine Stärke", v. 7a. Der Tempeldiener bestätigt und erweitert dies: „Jahwe ist ihnen5 zur Stärke", v. 8a. Dem Bekenntnis folgt schließlich noch eine Bitte. Gerade auf Grund des Bekenntnisses kann die Bitte geäußert werden. Nach allem, was gesagt wurde, ist für das Gebet sicherlich noch Raum. Der Beter 3 Bei den „Taten Jahwes" kann daran gedacht werden, daß Jahwe die Gottlosen im Laufe der Geschichte Israels immer wieder straft und den Gerechten seinen Segen schenkt. Es ist jedoch auch möglich, daß hier spezielle Taten Jahwes gemeint sind. 4 Vgl. Gunkel-Begrieh, 1933, 265 ff. 5 Geht man davon aus, daß die Stimmen einander in der oben beschriebenen Weise abwechseln, so ist es nicht erforderlich, V l f i gegenüber ^ vorzuziehen, wie viele tun. Auch hier, siehe zu Ps 27, muß m. E. angenommen werden, daß der Beter nicht eine Privatperson, sondern der Gesalbte ist; so lassen sich der ganze Psalm und namentlich v. 8 f. am überzeugendsten deuten.

Psalm 28

217

h a t bereits gejauchzt: „Mir wurde geholfen", v. 7b; die tatsächliche Hilfe aber steht noch aus; darüber hinaus wird die Befreiung und der Segen Jahwes immer wieder vonnöten sein. Siehe ferner § 53d. V. 9 hat einen ausgesprochen priesterlichen Klang, siehe zu Ps 3 9 . Den obigen Bemerkungen über die Funktion des Stils der Wiederholung in diesem Psalm, siehe zu v. 5.6.8, sei noch folgendes hinzugefügt. Y. 4 hebt besonders hervor, daß die Bestrafung der Feinde eine Wiedervergeltung ist; siehe außer j ^ H das dreimalige 3 , das zweimal mit jri verbunden ist, und auch flj?" in v. 3, J?.1"! in v. 4. Die Wirkung von all dem wird durch die chiastische Wortfolge und das dreimalige noch erhöht. V. 4 spricht von dem Tun der Gottlosen in vier verschiedenen Ausdrücken, von denen zwei in v. 5 wiederkehren, siehe oben. Man kann sich fragen, ob V y üb und D31". X in v. 5 ein Wortspiel darstellen. V. 7 benützt zweimal : dasselbe Herz, das sein Vertrauen in der Not nicht verloren hat, darf nun jubeln; siehe auch ÖSS1? in v. 3. fj; verbindet, wie oben bereits gesagt wurde, v. 8 mit v. 7, siehe auch Ti.V Öe in v. 8. So verbindet die Bitte von v. 9 mit dem Bekenntnis von v. 8. Psalm 29 V. 1 f.|3-9b|9c|jl0|ll

4|3 — 2—2—2-1—2—2|1||2|2

Dieser Psalm besteht aus einer Einleitung, ν. ι f., einem langen Mittelstück, v. 3-9, und einem Schluß, v. 10 fA Seit altera her wird dieser Psalm der Psalm der sieben Donner schläge genannt, vgl. Apk 1 0 3 f . Es kann schwerlich als ein Zufall be-

* Abgesehen von der Frage, ob und T1J?I2 etymologisch verwandt sind, muß hier von der Stilfigur der Wiederholung gesprochen werden. 1 Delitzsch schreibt: „Zwischen 2 Tetraetichen . . . liegen 3 Pentastichen", siehe auch Kraft (der sich K. Fullerton anschließt). Desnoyers findet in v. 3-9 fünf Teile von je drei Stichen. Kissane meint, daß der Psalm aus fünf Strophen von je zwei Verszeilen besteht. Von diesen Einteilungen verdient m. E. diejenige von Delitzsch den Vorzug; es ist jedoch die Frage, ob es Sinn hat, eine derartige Einteilung von v. 3-9 vorzunehmen, siehe die folgenden Ausführungen zu diesem Psalm und auch § 33.

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III. Spezieller Teil

trachtet werden, daß ΠΪΤ blp insgesamt siebenmal gebraucht wird 2 ; siehe auch unten. Auch außerhalb dieses Ausdrucks k o m m t der Name Π TP wiederholt vor. Der Gebrauch dieses Gottesnamens ist auf den ganzen Psalm gleichmäßig verteilt. Das siebenmalige „die Stimme Jahwes" steht im Mittelstück; sowohl die Einleitung wie der Schluß nennen den Namen „Jahwe" viermal; der Tatsache, daß dieser Name im Mittelteil zehnmal fällt, braucht keine besondere Bedeutung beigemessen zu werden. Der Psalm besingt die Herrlichkeit Jahwes, wie diese sich insbesondere im Gewitter offenbart. Daß Jahwe seine Stimme erhebt, den Donner erschallen läßt, h a t öfters das Erschrecken, die Vertilgung seiner Feinde, die Befreiung seines Volkes zum Zweck, vgl. P s 1814 E x 9 2 5 I Sam7 10 usw. So werden in diesem Psalm nicht das Ackerland, die Städte (der Israeliten) usw. heimgesucht, sondern das Meer, das Hochgebirge, die Wüste, die Wälder; vielleicht dürfen diese als feindliche Mächte bezeichnet werden 3 , f ü r Israel jedenfalls waren sie oftmals schreckenerregend. Dem muß noch etwas hinzugefügt werden. Das Sprechen Gottes h a t im Anfang die Gewässer bezwungen, es hat alles geschaffen und geordnet, vgl. Ps 104, Gen 1 usw. F ü r den Dichter dieses Psalms war der Donner wohl eine Erinnerung an dieses Sprechen Gottes, vgl. v. 104; auch dadurch, daß in diesem Psalm siebenmal die Stimme 2

Hengstenberg behauptet: „Da die sieben Donner der Apocalypse C. 10, 3.4 offenbar aus uns. Ps. entnommen sind, so steht es fest, daß man schon sehr früh auf Erscheinungen wie diese aufmerksam war." Daß aber ein Zusammenhang zwischen Apk 10 3 f. und Ps 29 besteht, wird nicht von allen Exegeten angenommen. 3 Hier ist zu bemerken, daß ζ. B. der Libanon und der Hermon, siehe v. 5 f., den umwohnenden Völkern als heilige Berge gegolten haben dürften. Die Stimme Jahwes läßt diese „heiligen Berge" springen wie ausgelassene Kälber. 4 Μ. E. erinnert dieser Vera daran, daß Jahwe bei der Schöpfung die Gewässer bezwungen und ihnen ihren Platz zugewiesen hat, vgl. Gen l^jf. u. a. Als Beweis seiner Herrschaft über die Gewässer, so stellt dieser Vers es dar, hat er damals seinen Thron auf dem Himmelsozean, auf „den Gewässern über dem Firmament" errichtet; er hat sich als König über die Gewässer und die gesamte Schöpfung auf diesen Thron gesetzt und thront dort auf ewig. Nach anderen muß bei diesem Vers an die Sintflut gedacht werden. In einer besonderen Form begegnet diese Auffassung bei H. Cazelles, Une relecture du Psaume X X I X Ϊ, (in: A la rencontre de Dieu, Memorial A. Gelin, 1961, 119 — 128), 125: u. a. v. 10 f. haben, so meint Cazelles, ihre Entstehung einer ,,relecture, reinterpretation" zu verdanken.

Psalm 29

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Gottes erklingt, erinnert er an Gen 1, wo die Zahl Sieben eine so wichtige Rolle spielt. Und in jedem Gewitter zeigt Jahwe aufs neue, daß er über alle Mächte herrscht. So ist der Donner für die Feinde Jahwes und seines Volkes ein Grund zu erschrecken, dem Volke Jahwes aber ist er zwar ein Grund zu tiefer Ehrfurcht, flößt ihm jedoch keine Angst ein, im Gegenteil: im Donner darf es den Kampfruf des gewaltigen Streiters hören, der ihm zu Hilfe eilt, vgl. v. 11 5 , der Donner kündet ihm davon, daß Jahwe einst alle Mächte, die das Leben unmöglich machten, gebändigt und die Welt zu einer von Menschen bewohnbaren Stätte gemacht hat, und daß er die Ordnung in der Welt immer noch aufrechterhält, v. 10; vielleicht hat zu diesem Gedankengang die Entspannung beigetragen, die das Gewitter in der Natur zu erzeugen pflegt. Wir betrachten nunmehr die einzelnen Teile des Psalms. I. Wie so viele Lieder des Lobes und Dankes®, beginnt auch dieser Psalm, v. lf., mit einer Aufforderung, Jahwe zu loben. Zumeist gilt ein solcher Aufruf der Gemeinde oder einem Sängerchor, siehe Ps 33 x usw., hier aber richtet er sich an die D^N das heißt, an Wesen, die zur Kategorie der Q^N gehören; wir können hierbei an Engel denken, vgl. Ps 1482 USW., oder auch an die besiegten Götter der Heiden, vgl. Ps 138x u. a. Diese Aufforderung ist ein überaus eindrucksvoller Anfang der Hymne: so majestätisch offenbart sich Gottes Herrlichkeit im Gewitter, daß selbst die ff^K '32 von ihr tief beeindruckt werden. I I . V. 3-9b schildern das Gewitter. Es ist dies keine „objektive" Schilderung: immer wieder ist „die Stimme Jahwes" das Subjekt der Sätze, was diese Schilderung zu einer Hymne ganz eigener Art macht7. Zunächst deutet der Dichter an, wie das Gewitter im Westen wütet, v. 3; dies ist kein Zufall, im Westen nämlich pflegt das Gewitter aufzukommen. Daß er die Gewässer zuerst nennt, kann seinen Grund Im Zusammenhang mit dem oben Gesagten ist es m. E . erwünscht, die Verben von v. Ii als Imperfekte, nicht als Jussive aufzufassen. •Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 33 ff. ' Der Psalm ist nicht als impressionistisch, sondern als expressionistisch zu charakterisieren; vgl. § 64. Primär sind nicht die Eindrücke, die das Gewitter im Dichter erregt, sondern die Glaubensüberzeugung des Dichters, daß Jahwe der Herr des gesamten Weltalls ist. Im Lichte dieser Glaubensüberzeugung interpretiert er das Gewitter (nicht ein bestimmtes Gewitter, sondern das Gewitter als eine immer wieder auftretende Erscheinung). Und es ist diese Interpretation des Gewitters, die er in seinem Gedicht zum Ausdruck bringt. 5

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III. Spezieller Teil

auch darin haben, daß im AT vor allem die Gewässer häufig als unheilbringende Mächte fungieren, vgl. v. 10. Sodann schildert er das Gewitter im Norden, v. 5 f., und im Süden, v. 8, vielleicht auch im Osten, v. 9a.b. 8 . Auf einige Details sei besonders hingewiesen. Der Dichter nennt zunächst das Rollen des Donners über den Gewässern, v. 3a. Voll Ehrfurcht spricht er aus, daß es der Gott der Herrlichkeit ist, der donnert, v. 3b (vgl. „Herrlichkeit" in v. l f). Und wie ein Echo, wie das Grollen des Donners nach dem eigentlichen Knall, klingt der Satz: „Jahwe über den gewaltigen Gewässern", v. 3c. Nachdem so das Aufkommen des Gewitters skizziert wurde, gibt der Dichter zunächst in zwei kurzen Sätzen ,,mit lapidarer Wucht und Kürze" (Weiser) eine allgemeine Beschreibung des Gewitters selbst, v. 4. — Die Bedeutung von v. 7 ist nicht ganz klar; möglicherweise heißt dieser Vers: ,,Die Stimme Jahwes haut Feuerflammen aus 9 " (nämlich aus den in v. 5 f. genannten bewaldeten Bergen). In v. 9c kehrt das Loblied zum Anfang zurück (vgl. § 15); der Aufforderung von ν. l f. wird Folge geleistet10. Das Wort „Herrlichkeit", das in v. l f. zweimal gebraucht wurde, vgl. auch v. 3, kehrt hier wieder. Zugleich bildet v» 9c den Übergang zum Schluß, v. 10 f.; man beachte ζ. Β. ^ΓΠ in v. 9c und "[btt in v. 10. Die Aussage von v. 9o kommt unerwartet; sie ist nicht etwa in v. 9a.b vorbereitet worden; durch das Fehlen eines parallelen Stichos tritt das Überraschende der Aussage von v. 9c um so deutlicher hervor; vgl. § 7. III. Der Schluß, v. lOf., hat im Ganzen des Psalms eine sehr wichtige Funktion (siehe bereits oben); er deutet an, in welchen Eigenschaften Jahwe sich im Gewitter offenbart. Das Gewitter ist Erinnerung an Gottes große Taten im Anfang und kündet davon, daß Gott auch jetzt noch alle Mächte des Chaos zügelt, daß er auf ewig 8

Daß der Dichter bei v. 9a.b an das östliche Jordangebiet denkt, wird um so wahrscheinlicher, wenn man der sehr reizvollen Suggestion von Böhl vind anderen folgt, nach der v. a bedeutet: „Die Stimme Jahwes läßt die Waldriesen sich krümmen" (Vokalisation: 9

Für Vgl. Dtn 8 9 usw. Bei 7 3 Ή ist an das himmlische Heiligtum zu denken, vgl. v. l f. 10. Das schließt die Möglichkeit nicht aus, daß auch an das irdische Heiligtum gedacht werden muß: in der Vorstellungswelt der Israeliten waren das himmlische und das irdische Heiligtum sehr eng miteinander verbunden. Auch wenn man an das irdische Heiligtum denkt, ergibt sich eine Vorstellung von großer Schönheit: Rings um Jerusalem, im Westen, Norden, Süden (und Osten), macht sich die schreckenerregende K r a f t des Gewitters spürbar; im Heiligtum aber ist Sicherheit, hier steigt das Loblied zu Gott empor. 10

Psalm 29

221

a l s K ö n i g h e r r s c h t , s i e h e v . 10. U n d so k a n n d e r S c h l u ß v e r s , v . l l , v o n Hilfe u n d Frieden sprechen: jene K r a f t , die J a h w e im Gewitter offenb a r t (v. 4; Π"), j e n e S t ä r k e , w e l c h e d i e D'^K rühmend anerkennen (ν. ι ; tJJ), v e r l e i h t J a h w e s e i n e m V o l k (v. I I a ; tjj); w ä h r e n d e r r i n g s u m durch d a s Gewitter Schrecken u n d E n t s e t z e n verbreitet, segnet er s e i n V o l k m i t F r i e d e n (v. H b ) . Als d a s G e w i t t e r s i c h g e l e g t h a t , e r s c h e i n t d i e N a t u r d e m B e t r a c h t e r f r i e d l i c h e r a l s j e z u v o r ; so s c h l i e ß t d i e s e r P s a l m , i n d e m d a s G e w i t t e r m i t all s e i n e n S c h r e c k n i s s e n d a r g e s t e l l t w i r d , m i t d e m W o r t „ F r i e d e n " . M i t R e c h t w u r d e d a r a u f h i n g e w i e s e n (siehe ζ . B . D e l i t z s c h ) , d a ß i n d i e s e m P s a l m n e b e n d e m „ E h r e sei G o t t in d e r H ö h e " , v . l f., d a s „ F r i e d e n a u f E r d e n " n i c h t f e h l t ; i n d e s s e n liegt a u f d e m „ g l o r i a i n excelsis d e o " d e r H a u p t a k z e n t . D e r P s a l m w u r d e i n d i e L i t u r g i e d e s S a b b a t a u f g e n o m m e n (siehe ζ . B . C o h e n ) : „ t h e closing n o t e Peace, c o m i n g a t t h e e n d of a p o e m of t h e s t o r m , is p e c u l i a r l y a p t f o r t h e d a y of r e s t , w h i c h i n t r o d u c e s a s p i r i t of c a l m a f t e r t h e s t o r m of e v e r y d a y life a n d c o n f l i c t " (I. A b r a h a m s b e i C o h e n ) . D a ß d i e s e r P s a l m , i n d e m v o n so g e w a l t i g e n D i n g e n g e s p r o c h e n w u r d e , m i t DlSt^ s c h l i e ß t , z e u g t v o n d e s P s a l m i s t e n V o r l i e b e f ü r G e g e n s ä t z e ; s i e h e § 24. B e i m e h r e r e n P s a l m e n l ä ß t s i c h b e z w e i f e l n , o b es s i n n v o l l i s t , ü b e r die V e r w e n d u n g des Stils der Wiederholung zu sprechen. Bei P s 29 i s t d i e s s i c h e r l i c h s i n n v o l l . Wie bereits erwähnt wurde, wird der N a m e „ J a h w e " insgesamt achtzehnmal, „die Stimme J a h w e s " insgesamt siebenmal gebraucht. M a n s i e h e f e r n e r : a n (v. l f.; d r e i m a l ) , „ H e r r l i c h k e i t " (v. 1.2.3.9), TJ? (v. l . i l ) , Π*ΠΠ , "ΠΠ (ν. 2.4), „ ü b e r d e n G e w ä s s e r n " (v. 3; z w e i m a l ) , „ e r ( z e r ) b r i c h t d i e Z e d e r n " (v. 5; z w e i m a l ) , „ L i b a n o n " (v. 5 f.), „ e r l ä ß t d i e W ü s t e s i c h k r ü m m e n " (v. 8; z w e i m a l , s i e h e a u c h ^ I f T i n v . 9), „ s i c h s e t z e n " (v. 10; z w e i m a l ) , „ s e i n V o l k " (v. l l ; z w e i m a l ) . „ D i e S t i m m e J a h w e s " k a n n als d a s S c h l ü s s e l w o r t dieses P s a l m s gelten. Sehr bezeichnend f ü r diesen P s a l m ist der S t u f e n r h y t h m u s 1 1 . M a n b e t r a c h t e d a r a u f h i n v . l f.3.5.5f.8.10.11. E i n e k r ä f t i g e W i r k u n g e r z i e l t d e r D i c h t e r i n v . 5.8.10 ( u n d , o b s c h o n i n g e r i n g e r e m M a ß e , i n v . 11) d u r c h d i e K o m b i n a t i o n d e r W i e d e r h o l u n g m i t d e m C h i a s m u s . V . 5b u n d v . 6a s t e h e n n i c h t i n c h i a s t i s c h e m V e r h ä l t n i s z u e i n a n d e r (in b e i d e n S t i c h e n s t e h t „ d e r L i b a n o n " a m E n d e ) . V .

11

Dies kann als Argument für die These benützt werden, daß der Psalm eine Bearbeitung eines kanaanitischen Originals ist; siehe § 10.

222

I I I . Spezieller Teil

6a12 und v. 6b sind dagegen wieder chiastisch angeordnet. Eine bedeutsame Korrespondenz besteht zwischen dem Anfang und dem Schluß, siehe oben; auch auf die Korrespondenz zwischen ν. l f. und v. 9c wurde bereits hingewiesen. Dieser Psalm wird seinem mächtigen Thema sicherlich auch in ästhetischer Hinsicht gerecht. Uns ist, wenn wir diesen Psalm lesen, als hörten wir das Grollen der Donner, wie es von den Hügeln her widerhallt. Die ständige Wiederkehr des Namens ΠΙΤ , vor allem in dem siebenfachen ΠΊΤ ®71p , läßt nicht nur den Hauptgedanken in aller Deutlichkeit hervortreten, sondern hat daneben auch einen klanglichen Effekt: der eine Donner folgt dem anderen. Allgemein gesprochen, ist der Stil der Wiederholung, der in diesem Psalm vielfältige Verwendung findet, dem Thema dieses Psalms sehr angemessen. Er bewirkt einerseits ein gewisses Maß von Eintönigkeit, die zu einer Beschreibung des Donners sehr gut paßt. Andrerseits wird die Lebendigkeit des Ganzen durch die Wiederholung eher gesteigert als vermindert. Daß dieser Psalm neben der Eintönigkeit doch auch eine große Lebendigkeit aufweist, erreicht der Dichter durch mancherlei Mittel, durch die anschauliche Schilderung der Auswirkungen des Gewitters: des Brechens der Zedern, des Sich-Krümmens der Wüste usw., durch die Anwendung des Chiasmus (siehe oben), sowie auch dadurch, daß er zuweilen einem Stichos keinen parallelen Stichos folgen läßt, v. 3c.7.9c. Psalm 30 V. 2-4||5|e|||7f.||9|l0|ll||l2f.

2—2—2||2|2—2|||2—2||2|2—2|2||2—2

In v. 2-4 spricht der Dichter den Vorsatz aus, Jahwe zu preisen, und teilt mit, warum er ihn gefaßt hat: Jahwe hat ihn auf sein Hilferufen hin erlöst. I n v. 5 f. finden wir eine Aufforderung zum Lobe Jahwes mit einer Begründung. I n v . 7-13 berichtet der Dichter von seiner Not und ihrer Ursache, von dem Hilferufen und der Errettung; er schließt mit der Äußerung seines Vorsatzes, Jahwe unaufhörlich zu loben.

u

Man übersetze v. 6a: „Und er läßt tanzen wie ein K a l b den Libanon"; siehe ζ. B. Kraus.

Psalm 30

223

Υ. 2-4 beginnen mit der Äußerung des Vorsatzes, Jahwe zu loben, v. 5 f. mit der Aufforderung zum Lobe Jahwes, v. 7-13 schließen mit der Äußerung des Vorsatzes, Jahwe zu loben. Siehe hierüber unten. Als Grund des Lobens, so können wir sagen, gibt der Autor dreimal die Erzählung seiner Not und Errettung, siehe v. 2aß-i. 6. 7-l3a. I n v. 6 1 denkt er sicherlich speziell an das, was ihm selbst widerfahren ist, spricht jedoch in allgemeinen Wendungen; dieser Aussage schließt sich denn auch die an die Gemeinde gerichtete Aufforderung an, v. 5. Ein Teil von v. 7-13a stellt das Gebet dar, das der Dichter in der Not zu Gott geschickt hat, v. 10 f.; vgl. § 54. Es besteht aus einem Beweggrund des göttlichen Einschreitens, v. 10, und der eigentlichen Bitte, v. ll; die eigentliche Bitte ist kurz und drängend. Der Psalm kann in zwei Teile gegliedert werden, v. 2-6. 7-13. V. 7-13 enthalten den eigentlichen Bericht der Errettung, der in den kurzen Ausruf von v. 13b mündet. V. 7-13 werden durch v. 2-6 eingeleitet. Man beachte, daß der Beweggrund „wird der Staub dich loben?", v. 10, dadurch auf eine eigenartige Weise hervorgehoben wird, daß ihm das Loblied von v. 2-6 vorausgeht, vgl. § 61. Der erste Teil zerfällt in zwei Abschnitte, v. 2-4. 5 f., von je drei Doppelstichen 2 . Das ganze AT ist theozentrisch; dennoch verdient der theozentrische Charakter dieses Psalms besondere Aufmerksamkeit 3 . Dreimal gebraucht der Dichter Π Τ , v. 5.10.13, zweimal "|ÖT v. 5.13. Es besteht gewiß Grund, ΠΤ und die bedeutungsähnlichen Wörter als Schlüssel-

1

V . ea.b sind m. E. am besten folgendermaßen zu übersetzen: „Denn eine plötzliche Plage ist durch seinen Zorn, das Leben durch sein Wohlgefallen", vgl. Eerdmans und auch schon Hengstenberg. Es scheint mir möglich, daß J7JP ursprünglich bedeutet „eine plötzliche Bewegung, Erregung, ein kurzes, jedoch kräftiges Eingreifen" (vgl. Ps 6 U 73 19 Num 16 21 17 10 Jes 47 e Hi 20 5 Thr 4,) und später die Bedeutung „eine kurze Zeit, ein Augenblick" erhalten hat. 2 Moulton, 1900, 51, teilt den Psalm folgendermaßen ein: v. 2-4 Strophe I, v. 5 f. Antistrophe, v. 7.8a Strophe II, v. 8b.9 Antistrophe, v. 10 f. Strophe III, v. 12 f. Antistrophe; die Antistrophe zählt jeweils ebenso viele Stichen wie die Strophe, nämlich 6, 3, bzw. 4 Stichen. Es ist an sich verführerisch, Moulton hierin recht zu geben, jedoch macht die Einteilung von v. 7-13 einen etwas erkünstelten Eindruck. Kissane behauptet, daß der Psalm aus fünf Strophen von je drei Doppelstichen („verses") besteht. Zu dieser Einteilung kann er nur gelangen, indem er in v. ll der Lesung der L X X folgt. 3 Diese Aussage wird hier nur so weit herausgearbeitet, wie es im Rahmen dieser Arbeit sinnvoll erscheint; für eine ausführlichere Darstellung siehe mein Buch De Psalmen, I 306f.

224

III. Spezieller Teil

Wörter dieses Psalms zu bezeichnen. Der Psalm beginnt u n d schließt mit der Äußerung des Vorsatzes, J a h w e zu loben; in der Mitte, ν . δ, werden andere aufgefordert, in dieses Lob einzustimmen. Man beachte vor allem v. 10 u n d v. 13a: I n seiner Not f ü h r t der Dichter an, v. 10, daß das Loblied auf J a h w e ausbleiben wird, wenn ihm nicht geholfen wird; u n d in v. 13a heißt es: Jahwe hilft, weil sein Lob ständig erklingen muß („auf daß"). I n diesem Licht muß auch v. 2b gesehen werden: wird der Dichter nicht gerettet, so haben seine Feinde, die zugleich die Feinde Jahwes sind, Grund zu jubeln; das aber t u t der E h r e Jahwes Abbruch. E s ist kein Zufall, daß in einem Psalm, in dem das „ L o b e n " einen so wichtigen Platz einnimmt, ppH zweimal gebraucht wird, v. 4.6. Es besteht eine enge Verbindung zwischen ΠΤ und Γ7ΤΙ. vgl. J e s 3819 USW. Wir gehen noch näher ein auf v. 13. Der Bericht der Not u n d Errettung m ü n d e t in die Aussage, daß der Dichter von J a h w e gerettet worden ist, auf daß er ihn preise. Danach beschließt der Dichter seinen Psalm mit der Beteuerung, daß er dies auch t u n werde, daß er J a h w e in Ewigkeit loben werde. Das Schlüsselwort dieses Psalms, " Τ , ist auch das Schlußwort. Es besteht eine Korrespondenz zwischen dem Anfang u n d dem Schluß des Psalms: in beiden wird der Vorsatz geäußert, J a h w e zu loben. Wie auch bei P s 21, siehe dort, können wir hier von einem circulus gloriosus sprechen. Ü b e r , , Jahwe, mein G o t t " u n d ,,in Ewigkeit" siehe unten. I n diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, wie oft G o t t mit seinem Namen angeredet wird. In v. 2-4 geschieht dies dreimal nacheinander (Jahwe; Jahwe, mein Gott; Jahwe); in v. 5f. wird über J a h w e gesprochen. Was v. 7-13 betrifft, so richtet der Dichter sich in v. 8 u n d v. 9a wieder mit der Anrede „ J a h w e " an Gott; in v. 9b wird "JIN als Anredeform gebraucht; in v. 11 steht „ J a h w e " zweimal dicht nebeneinander; der abschließende Vers enthält noch einmal die längere Anrede „Jahwe, mein Gott" 4 ; siehe § 16b. I n diesem Psalm wird die Spannung fühlbar, in welcher der Dichter sich befunden hat, siehe die kurzen Sätze in v. 6 . 8 . 1 0 . 1 1 . E r h a t 4 Zehnmal steht in diesem Psalm ein Gottesname, und zwar siebenmal „Jahwe", zweimal „Jahwe, mein Gott", einmal ; ob diesen Zahlen eine bestimmte Bedeutung beigemessen werden darf, muß dahingestellt bleiben. Man kann sich fragen, ob nicht ein späterer Abschreiber in der Absicht, die Reihe 7—2—1 zu erhalten, in v. et ζ. B. fTST oder TtStf durch ersetzt hat.

Psalm 30

225

offenbar plötzliche Veränderungen erlebt, v. 6: er lebte in großem Glück; plötzlich traf ihn ein Unglück, und ebenso plötzlich kam auch die Errettung. Dies äußert sich darin, daß die Diktion an verschiedenen Stellen abrupt ist, wie auch in der wiederholten Verwendung von Gegensätzen. Für den abrupten Stil siehe namentlich v. 8 (man beachte das Asyndeton), auch v. 6, vor allem v. a.b, desgleichen den Übergang von v. 9-11 zu v. 12. Gegensätze finden sich in v. 6 (dieser Vers enthält verschiedene Gegensätze) und in v. 12, Ein schroffer Gegensatz besteht zwischen v. 7 und dem Satz „ich war bestürzt" in v. 8, wie auch zwischen „ich war bestürzt", v. 8, und „Reigen" in v. 12. Zuweilen unterstreicht der Dichter die Gegensätze durch die Verwendung des Stils der Wiederholung. JinttiP ist nicht bei den Feinden, v. 2, sondern beim Dichter, v. 12. Aus „ich werde nicht wanken in Ewigkeit", v.7, wird „in Ewigkeit werde ich dich loben", v.13. Psalm 31 V . 2a|2bc|3||4 f.|e f.||8a|8b.c.9|||l0a|l0b.c.lj|l2-13-14||l5|| lflf. |18 f.||20-2l|22a-22b. c. 23-24-25

1|2|2—2||2—2|3—2||1|4|||1|2—2—2|1—4—2—4||2||2—2|2—2||4—4| 1-2-4-4-2 Dieses Klagelied eines einzelnen besteht aus zwei Teilen 1 . Wie die nachstehende Übersicht zeigt 2 , sind die zwei Teile mehr oder weniger parallel aufgebaut. I . A: V. 2 f.: Β: V. 4-7:

Gebet; es zerfällt in zwei Teile, v. 2 und v. 3. Äußerungen des Vertrauens; v. 4 und v. 5 gehören zusammen, desgleichen v. 6 und v. 7. C: V. 8 f.: Danklied. I I . A: V. 10-14: Klage; v. 10 f. klagen über die körperliche Verfassung des Dichters, v. 12-14 über Schmach und Feindschaft und zwar v. 12 über Schmach, v. 13 über Vergessensein, v. 14 über Feindschaft. Β: V. 15: Äußerungen des Vertrauens. C: V. 16-19: Gebet; v. 16 und v. 17 gehören zusammen, desgleichen v. 18 und v. 19.

1 F ü r die Frage, ob der Psalm ein Klagelied ist oder nicht, wie auch die andere Frage, ob er eine ursprüngliche Einheit darstellt, vgl. ζ. B. Gunkel. 'Dies ist eine globale Übersicht; f ü r Details siehe unten.

226

III. Spezieller Teil

D: V. 20-25: Danklied; v. 20 f. können als ein Loblied bezeichnet werden; es besteht aus zwei Teilen, v. 20 und v. 21; v. 22-25 enthalten das eigentliche Danklied: Einleitung, v. 22a, Bericht der Errettung, v. 22b.c.23, Ermahnung, v. 24, Ermutigung, v. 25. Diese Übersicht läßt erkennen, daß in beiden Teilen des Psalms ein Übergang von Bitten und Klagen zum Dank 3 stattfindet. Hierzu ist verschiedenes zu bemerken. Der Übergang vom Flehen zum Danken läßt sich hier m. E . aus einer Nachwirkung des kultischen Rituals 4 erklären. Der Dichter bedient sich der im Kultus ausgebildeten Formen und bringt so die Bewegtheit zum Ausdruck, die das Glaubensleben kennzeichnet. In diesem Psalm wird der Übergang vom Flehen zum Dank zweimal vollzogen, vgl. § 58; folglich wird nicht nur die Bitte vom Dank, sondern dieser wiederum von der Bitte (und Klage) abgelöst. Diese Erscheinung findet sich in mehreren Psalmen, siehe Ps 35 38 42 f. 59 71 86 94 102. Übrigens entsprechen sich all diese Psalmen nicht in jeder Hinsicht. So muß sicherlich zugegeben werden, daß beispielsweise in Ps 42 f. die Übergänge fließender, organischer sind als in Ps 31. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß bei Ps 42 f. im Gegensatz zu Ps 31 kaum noch von einer Nachwirkung des kultischen Rituals in dieser Hinsicht die Rede sein kann. Nichtsdestoweniger wird auch in Ps 31 das Auf und Ab des Glaubenslebens treffend wiedergegeben. Der Dichter beginnt mit einer Reihe dringender Gebete. Die folgenden Verse drücken das wachsende Vertrauen des Dichters aus. In v. 8 f. spricht der Dichter, als habe die Errettung bereits stattgefunden. In Wirklichkeit aber befindet er sich noch in derselben Not. In v. 10 ff. scheint seine Not noch schwerer auf ihm zu lasten als zu Beginn. Aber wiederum steigt das Lied langsam empor. Am Schluß hat ihn die Einbildungskraft des östlichen Dichters bereits auf das Dankopferfest versetzt, das nach seiner Errettung gefeiert werden wird.

'Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 242 f. E s besteht wenig oder gar kein Grund zu der Annahme, daß zwischen v. 7 und v. 8 oder zwischen v. 19 und v. 20 eine kultische Feier stattfand. Der Umstand, daß der Übergang von der Bitte zum Dank in diesem Psalm zweimal vollzogen wird, spricht dagegen. Und ferner: in beiden Fällen ist der Übergang allmählich. Dies gilt sicherlich von v. 8 f., siehe v. 4-7, insbesondere v. 6b. E s gilt auch — obschon in geringerem Maße — von v. 20 ff., siehe z. St. 4

Psalm 31

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Dieser Psalm, in dem nicht nur der Übergang von der Bitte zum Dank, sondern auch der vom Dank zur Bitte (und Klage) vollzogen wird, bietet ein merkwürdiges Beispiel jener Erscheinung, daß ein Lied des Dankes und Lobes als Beweggrund fungiert, vgl. § 62. Das Danklied, mit dem der erste Teil des Psalms schließt, erhält im Ganzen des Psalms die Funktion eines Beweggrunds. Nach einer Reihe von Gebeten, v. 2 f., äußert der Dichter sein Vertrauen, v. 4-7. So fest rechnet er mit Gottes Hilfe, daß er für sie bereits im voraus dankt, v. 8 f. Dadurch fällt auf die erneuten Klagen und Gebete ein starker Akzent. Der Dichter erwartet von Gott — er darf dies erwarten — Freude und Raum. In Wirklichkeit aber umgibt ihn Verdruß und Bedrängnis. Jahwe möge dem doch ein Ende setzen! Zwischen den zwei Teilen dieses Psalms läßt sich eine — allerdings nicht völlige — Parallelität erkennen. Die Reihenfolge im ersten Teil ist: Gebet, Äußerung des Vertrauens, Danklied; im zweiten Teil: Klage, Äußerung des Vertrauens, Gebet, Danklied. Im zweiten Teil nimmt die Klage einen breiten Raum ein, während sie im ersten Teil fehlt. Man beachte in diesem Zusammenhang folgendes. Es besteht, auch aufbaumäßig, eine große Verwandtschaft zwischen Ps 31 und Ps 35. Auch in Ps 35 wird der Übergang von der Bitte zum Danklied öfter als einmal vollzogen. Auffallend ist dabei, daß die Klage in Ps 35 eine ähnlich merkwürdige Stellung hat wie in Ps 31. Bei Ps 35 enthält im ersten Hauptteil lediglich v. 7 eine direkte Klage, während im weiteren Verlauf des Psalms lange Klagen vorgebracht werden. Sowohl im Hinbück auf Ps 31 wie auf Ps 35 kann gesagt werden: als der Dichter sich in die erhoffte Errettung versenktet hat (Ps 31g f 35fl f ) , lastet das gegenwärtige Elend um so schwerer auf ihm, so daß er das Bedürfnis empfindet, dieses Elend vor Gottes Ohr zu bringen. Manche Abschnitte dieses Psalms beginnen mit einem „Vorschlag", mit einem Stichos, dem kein paralleles Glied folgt, siehe v. 2a.8a.i0a. 22a; vgl. § 7. Wir kommen nunmehr zur genaueren Betrachtung der Einzelheiten. I. A: V. 2.3. Der Psalm beginnt mit einem „Vorschlag", v. 2a, siehe oben; siehe ferner zu Ps 7^. Ihm folgen mehrere kurze, asyndetisch nebeneinandergestellte Gebete: es ist, als hörten wir den keuchenden Atem des Dichters. V. 2b und c gehören zusammen, ebenso ν

228

III. Spezieller Teil

3a-d; v. 3 beginnt mit einer Bitte um Aufmerksamkeit: der Dichter nimmt gleichsam einen zweiten Anlauf. Β: V. 4-7. Diese Verse enthalten Äußerungen des Vertrauens. Der Dichter hat gebetet, daß Jahwe sein Beschützer sein möge; in v. 4 f. erklärt er, daß Jahwe sein Beschützer ist 5 . Diese Erklärung hat die Funktion eines Hintergrunds, eines Beweggrunds für das Gebet; sie kann auch als die Frucht des Gebets bezeichnet werden. Um eine enge Verbindung zwischen v. 3 und v. 4 f. herzustellen, wiederholt der Dichter einige Wörter (ΓΠΤΧ0 > Tl^lü) und verwendet daneben auch Synonyme (Tfif > J^D)· V. 4 f. sind chiastisch aufgebaut: v. 4a korrespondiert mit v. 5b, v. 4b mit v. 5a. V. 6 f. sind subjektiver gehalten als v. 4 f.: nun erklärt der Dichter zur Unterstützung seines Gebets, daß er sein Vertrauen einzig und allein auf Jahwe setzt und gesetzt hat. Zu v. 6f. bzw. zu v. 7 kann Ähnliches bemerkt werden wie zu Ps 163 f : Es ist möglich, diese Verse als ein allgemeines, vielleicht traditionell zu nennendes, negatives und positives Glaubensbekenntnis zu betrachten. Ein deutlicher Gegensatz besteht zwischen J"löN , v. 6c, und Ν Ι ^ ' ^ Ι Π , v. 7a, desgleichen zwischen v. 7aß und v. 7b. Auch bei diesen Versen kann man insofern von Chiasmus sprechen, als v. 6a mit v. 7b korrespondiert. C: V. 8.9. Diese Verse bringen ein vorausgreifendes Danklied. V. 8a enthält die Einleitung, vgl. Ps 92 f usw.; der einleitende Charakter von v. 8a wird durch das Fehlen eines parallelen Stichos unterstrichen, siehe oben. V. 8b.c.9 berichten von der Errettung. Es besteht eine genaue Parallelität zwischen v. 8b und v. 8c, zwischen v. 9a und v. 9b. Diese Versabschnitte stellen eine Klimax dar; siehe bereits § 19. Es wird nacheinander von sehen, kennen (daß heißt: zu Herzen nehmen), eingreifen gesprochen; das letztere wird zunächst negativ, dann positiv beschrieben. V. 8b macht eine allgemeine Aussage; v. 8c spricht etwas konkreter („Bedrängnisse"); die Aussage von v. 8c wird in v. 9a („Du hast mich nicht beschlossen") und in v. 9b („Du hast meine Füße in den Raum gestellt") ausgemalt. I I . A: Nach einer kurzen Bitte, v. 10aa, folgen Klagen und Schilderungen des Elends, v. l0a/?-l4; der Dichter breitet seine Not vor Gott aus: dies verleiht der erneuten Bitte, v. 16-19, um so größeren Nachdruck. I m ersten Teil des Psalms kommen derartige Klagen nicht vor; siehe hierüber oben.

5 Μ. E. ist es am besten, die Verben in v. 4b und v. 5a« als Imperfekte, nicht als Jussive aufzufassen.

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Psalm 31

Es besteht ein schroffer Gegensatz zwischen v. 8 f. und v. 10 ff.; siehe auch hierüber bereits oben. Der Dichter legt auf diesen Gegensatz allen Nachdruck; in v. 8 f. hat er auf mancherlei Weise ausgesprochen, daß Jahwe ihn aus seinen Bedrängnissen (m*l2f) befreit und in den Raum gestellt hat; nun klagt er: . ν. 10 aß, siehe auch "Π5Γ in v. 12; vgl. auch ζ. B. nötP in v. 8 und in v. 10. V. 10a hat, wie auch v. 2a und v. 8a, einen einleitenden Charakter: der parallelle Stichos fehlt auch hier®. V.lOb.e.li enthalten eine Klage über die körperliche Verfassung des Dichters; diese Klage beginnt und endet mit , vgl. § 15. I n v. 12 klagt der Dichter über die Schmach, in v. 13 über das Vergessensein, in v. 14 über die Feindschaft. I n v. I4d erreicht diese Klage ihren Höhepunkt: die Feinde wollen ihm seine nehmen. Β: V. 15 enthält Äußerungen des Vertrauens. Durch den plötzlichen Übergang erhalten sie erhöhte K r a f t : Der Dichter befindet sich in Lebensgefahr, v. 14, er vertraut jedoch auf Gottes Hilfe; jeder wendet sich von ihm ab, er aber wendet sich an Jahwe, und seine Einsamkeit wird durch die Gemeinschaft mit ihm durchbrochen. Es besteht eine nahe Verwandtschaft zwischen diesem Vers und v. 4-7, die sich auch in der Wortwahl abzeichnet, siehe "Γ1Κ, v. 4.5.15, und ΤΙΠ522 , v. 7.15. Man beachte auch den Ausdruck "p^y "Xl ; die zwei Pronomen stehen nahe nebeneinander: ein Zeichen des engen Bandes zwischen Jahwe u n d dem Dichter. C: I n v. 16-19 steigt ein erneutes Gebet zu Gott empor 7 . V. 16.17 enthalten Gebete im eigentlichen Sinne, v. 18 f. Wünsche. Nun, da der Dichter seine Not vor Jahwe ausgebreitet, sein Vertrauen zu Jahwe beteuert und das enge Band, das ihn mit Jahwe verbindet, bezeugt hat, ist ein starkes Fundament gelegt, auf das er sich stellen kann, um sein Gebet Gott vorzulegen. Es besteht vor allem ein enger Zusammenhang zwischen v. 16 f. und v. 15, vgl. ζ. B. „mein Gott bist d u " in v. 16 mit „dein Knecht" in v. 17. Eine Entsprechung besteht zwischen v. 16-19 und v. 2 f., siehe S^J in v. 3 und in v. 16, in v. 2 und in v. 18. Sowohl bei v. 16 (zweimal γ ) wie bei v. 18 (zweimal kann von Stufenrhythmus gesprochen werden.

• Wenn v. 10a tatsächlich ein „Vorschlag" ist, bleiben in v. lOb.c.Il drei Doppelstichen mit je 3 + 2 Hebungen übrig; „meine Seele und mein Bauch" in v. lOo darf dann nicht gestrichen werden. 7 Vielleicht können die ersten zwei Wörter von ν. ie als ein Relativsatz gewert e t werden: „Du, in dessen H a n d meine Zeiten sind — entreiße mich der H a n d meiner Feinde und meinen Verfolgern"; siehe z u Ps 2 6 u . Eldderboe, Psalmen

16

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III. Spezieller Teil

D : Den Schluß bildet ein Danklied, v. 20-25. Der Übergang ist weniger allmählich als bei v. 8 f., kann jedoch nicht plötzlich genannt werden. Denn dem D a n k von v. 22 f., wo persönlich gesprochen wird, geht das allgemeiner gehaltene Loblied von v. 20 f. voran. Man beachte vor allem ΓΙΙΒϊ in v. 20; diese Vorstellung wird hierdurch hervorgerufen: während der Feind wütet, liegt in Gottes Vorratsscheunen das Gute f ü r den, der ihn fürchtet, bereit (später wird dieses Gute vor aller Augen verteilt, v. 20c.d). V. 20 benützt Perfekte, v. 21 Imperfekte; dennoch wird auch v. 21 als ein Teil des Loblieds und nicht als Vertrauensäußerung zu gelten haben. Was den Parallelismus angeht, so sind in v. 20 die Teile b u n d c inhaltlich parallel; v. 21 weist externen Parallelismus auf. Auffallend ist der Gebrauch von j£5f in diesen Versen: J a h w e „verbirgt" das Gute vor denen, die ihn fürchten, v. 20, u n d auch sie selbst werden „verborgen", v. 21; derselben Vorstellung begegnen wir in I P e t r 1 4 f ; vgl. § 12b. V. 22-25 enthalten den eigentlichen Dankpsalm; verschiedene charakteristische Elemente eines Dankpsalms lassen sich hier erkennen. I n den übrigen Teilen dieses Psalms spricht der Dichter stets wieder zu Jahwe, in v. 22 u n d v. 24 f. jedoch spricht er über J a h w e : in einem Dankpsalm wird häufig die bei dem Heiligtum versammelte Gemeinde angeredet 8 . V. 22a bildet die Einleitung. Auch dieser Stichos h a t den Charakter eines Vorschlags, da ihm kein Parallelglied folgt. V. 22b.c.23 bringen den Bericht der Errettung. V. 23 ist sehr charakteristisch: er spricht von der Not, dem Gebet u n d der Errettung. I n v. 23a.b läßt der Dichter uns tief in sein Herz blicken; darin herrschte die Verzweiflung. E r spricht von ihr erst, als die N o t überwunden ist. Als er sich in N o t befand, äußerte er immer wieder sein Vertrauen. I n diesem Zusammenhang ist vor allem das Verhältnis zu v. 15 merkwürdig: sowohl in v. 15 wie in v. 23 findet sich TI~CX "ΝΊ, es besteht jedoch ein scharfer Gegensatz zwischen dem Inhalt dieses Wortes in v. 15 u n d dem in v. 23. V. 24 enthält eine Ermahnung. In einem Dankpsalm finden sich des öfteren Ermahnungen, die in mehr oder weniger s t a r k e m Maße an das Weisheitsschrifttum erinnern, vgl. Ps 32 e g f 34 1 2 _ 1 5 51 15 ; der Dichter h a t aus dem, was ihm widerfahren ist, eine Lehre gezogen u n d wünscht, daß auch andere sieh diese Lehre zu Herzen nehmen. Angeredet werden „alle seine Frommen"; die Einsamkeit, über die «Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 268.272.

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Psalm 31

der Dichter so bitter geklagt hat, v. 12-14, ist nun nicht nur dadurch durchbrochen, daß er Gemeinschaft mit Gott hat, siehe zu v. 15, sondern auch dadurch, daß wieder Menschen um ihn sind. Eine Ermutigung, wie sie in v. 25 steht, ist insbesondere am Ende eines Klagepsalms am Platze, vgl. Ps 2 7 u 55^, sie paßt jedoch auch gut an das Ende eines Dankpsalms: daß Jahwe Rettung verschafft hat, ist keine Gewähr dafür, daß Gefahr und Unglück künftig fernbleiben werden; man beachte, daß am Ende von Dankpsalmen wiederholt Gebete stehen, vgl. § 54. Zu bedenken ist auch, daß dieser Vers am Schluß eines die Erhörung vorwegnehmenden Danklieds steht. Es ist möglich, daß v. 24 f., oder wenigstens v. 25, von einem Tempeldiener gesprochen wurden, vgl. § 36b. Im vorstehenden wurde auf verschiedene Erscheinungsformen des Stils der Wiederholung hingewiesen (wobei auch auf die Verwendung von Synonymen aufmerksam gemacht wurde). Die Stilfigur der Wiederholung hat in diesem Psalm den Zweck, eine enge Verbindung zwischen bestimmten Aussagen herzustellen, siehe vor allem zu v. 4-7, Gegensätze hervorzuheben, siehe zu v. I0aa.23, oder auch Anfang und Ende einer Perikope miteinander korrespondieren zu lassen, siehe zu v. lOb.c.ll. Bei v. 16 und v. 18 kann von Stufenrhythmus gesprochen werden. In v. 21 findet sich die figura etymologica. Man siehe auch die Wiederholung in v. 20 f. Viermal wird V gebraucht. Der Dichter fühlt sich in der Hand seiner Feinde, bittet, daß Jahwe ihn aus ihrer Hand befreien möge, v. 16b, vgl. auch v. 9, befiehlt sein Leben in Gottes Hand, v. 6, und weiß auch, daß sein Leben in Gottes Hand liegt, v. 16a. Inwieweit handelt es sich hier um eine beabsichtigte Wiederholung? Zumindest dem zweimaligen Gebrauch von „Hand" in v. 16 muß eine bestimmte Wirkung zugesprochen werden. Vielleicht hat Kraus recht, wenn er schreibt (252): ,,Die Parallelität der beiden mit "]T2 beginnenden Aussagen in 6 und 16 ist nicht zu übersehen". Der Gebrauch von ,,Hand" in v. 6 und in v. 9 kann sehr wohl den Zweck haben, den Gegensatz zu unterstreichen. Psalm 32 V. if.||3f.|5||ef.||8f.||io|ii 2 — 3112—2—212—2—2||3 — 2—2||2—4||2|2 Dieser Psalm ist ein Danklied eines einzelnen. Seiner Sünden wegen wurde der Dichter von großem Elend heimgesucht. Dennoch 16*

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III. Spezieller Teil

will er das Bekenntnis Beiner Schuld zunächst nicht ablegen, so daß die Strafe nicht von ihm genommen wird. Als er jedoch seine Sünde bekennt, erhält er die Vergebung und wird aus der Not gerettet 1 . V. l f. enthalten eine Glücklichpreisung — ein ungewöhnlicher Beginn eines Dankpsalms 2 . Die ersten Verse von Dankpsalmen sprechen gewöhnlich vom Loben und Sicherfreuen an Jahwe; das geschieht hier erst im letzten Vers. Der Unterschied ist hauptsächlich formaler Art; inhaltlich bringt auch der Anfang dieses Psalms die Freude an Gott zum Ausdruck. Vielleicht kann gesagt werden, daß der Beginn dieses Psalms weniger überschwenglich ist als er in anderen Dankpsalmen zu sein pflegt: der Dichter steht noch unter dem Eindruck dessen, daß sich viel ereignet hat, ehe die Zeit der Freude erreicht war. I n v. 3-5 steht der Bericht der Not und Errettung. Die abrupten Übergänge verleihen dieser Erzählung, wie auch ζ. B. in Ps 30 7 f f l große Eindruckskraft. Der Schilderung der Strafe folgt unvermittelt die Erwähnung des Schuldbekenntnisses: das diesem Schuldbekenntnis zweifellos vorangegangene seelische Ringen beschreibt der Dichter nicht. Noch beeindruckender ist der Übergang vom Schuldbekenntnis zum Rühmen der Vergebung; hier wird der Eindruck hervorgerufen, daß die Vergebung bereits geschenkt wird, als das Bekenntnis der Schuld noch kaum ausgesprochen ist. Auffallend ist auch, daß dabei nicht von Opfern oder von einem Gelübde der Besserung gesprochen wird. V. 6 und 7 rühmen die Errettungen, die Jahwe schenkt. V. 6 spricht in allgemeinen Ausdrücken 3 , v. 7 spricht persönlich. I n v. 8 f. steht, wie dies in Dankpsalmen häufiger der Fall ist; eine Ermahnung, die an die Weisheitslehre erinnert; siehe zu Ps 3124. In v. 10 beschreibt der Dichter in knapper und kräftiger Form „die zwei Wege", wobei es ihm natürlich um die darin enthaltene Aufforderung geht: triff die richtige Wahl. Ein solcher Ausspruch 1 Μ. E. muß mit den meisten Neueren auf Grund von ν. β ff. angenommen werden, daß dem Schuldbekenntnis nicht nur Gewissensqualen, sondern auch eine äußere Not voranging; anders Weiser und viele Ältere. 2 Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 268.272 f. 3 Mir scheint es am richtigsten, das Verb in v. 6a als ein Imperfekt aufzufassen; so J. Ridderbos u. a. Viele fassen es als eine Jussivform auf; so Gunkel, Kraus u. a. Inhaltlich besteht zwischen beidem nur ein geringer Unterschied. — V. 6b ist m. E. am besten zu übersetzen: „in der Zeit, da er Elend findet"; für die Übersetzung von p~l mit „Elend" vgl. Gen 41 1 9 für verwandte Wörter siehe die Wörterbücher. Für den Bedeutungswert von KJfö vgl. Ps 116a Prov 6 SS u. a.; siehe Eerdmans, der übersetzt: „when finding himself weak".

Psalm 32

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findet sich in vielen Dankpsalmen, vgl. ζ. B. Ps 3124. Hier fungiert er speziell als Begründung der Aufforderung in v. 9 : was dort in Bildern angedeutet wird, wird hier direkt gesagt. V. Ii beschließt den Psalm mit einer Ermunterung zum Lobe Jahwes, wie wir sie in vielen Lob- und Dankliedern finden, vgl. Ps 912 U. a. Will man eine genauere Einteilung vornehmen, so lassen sich vielleicht am besten v. 1-5 und v. 6 - n als die zwei Hauptteile des Psalms betrachten. Man kann dann feststellen, daß in beiden Hauptteilen eine enge Verwandtschaft zwischen den ersten und den letzten Versen besteht, zwischen v. l f. und ν. s, beziehungsweise zwischen v. 6 f. und v. 10 f. (siehe unten, bei der Behandlung des Stils der Wiederholung), und daß auch die Mittelteile der beiden Hauptabschnitte, v. 3 f. und v. 8 f., miteinander verwandt sind 4 . Weiser schreibt: „Der Aufbau des Gedichts läßt eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen; je zwei Verse sind zusammengeordnet, und auch der alleinstehende V. 5 fügt sich diesem Rahmen ein." In der T a t können v. l und v. 2, v. 3 und v. 4, v. 6 und v. 7, v. 8 und v. 9, und — obschon mit geringerer Sicherheit — v. 10 und v. n zusammengeordnet werden. Damit ist aber nicht viel gesagt, da hierbei von der massoretischen Verseinteilung ausgegangen wird. Was Weiser über v. 5 bemerkt, trifft m. E. nicht zu. Es ist möglich, daß v. 8 f. (eventuell v. 8-10 oder auch v. 8-11) von einem Tempeldiener gesprochen wurden; so Baethgen, Eerdmans u. a. 5 Es ist jedoch auch sehr gut denkbar, daß auch in diesen Versen der Beter spricht; so die meisten Neueren. Es kann gesagt werden, daß die Zahl Drei in diesem Psalm eine bestimmte Funktion hat®, vgl. § 43d. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß ν. l f. drei verschiedene Ausdrücke f ü r „vergeben" gebrauchen 4

Nach Weiser, Tournay-Schwab, Kraus u. a. müssen v. 1-7 und v. 8-ll als die zwei Hauptteile des Psalms betrachtet werden. Einige dieser Exegeten stützen sich hierbei auf das Metrum, indessen ist dies kein zwingendes Argument. Übrigens kann man sich bei diesem Psalm fragen, ob eine genauere Einteilung überhaupt sinnvoll ist. 5 Kraus schreibt: „8 und 9 sind also als im Danklied zitierte Worte des Gottesspruchs zu verstehen". Für diese Auffassung lassen sich zwar Argumente ins Feld führen, sie macht jedoch einen etwas erkünstelten Eindruck. • H i e r ist eine Verweisung auf Joh 21 15 y am Platze.

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III. Spezieller Teil

(und vielleicht auch für „Sünde" 7 ), v. 5 für „die Schuld bekennen' und v. 8 für „unterrichten". Dem kann noch hinzugefügt werden daß v. 11 drei Aufforderungen zum Jauchzen enthält, und daß v. 9 vielleicht drei verschiedene Wörter für „Zaum" gebraucht8. Damit hängt zusammen, daß v. 1 f., v. 5 und v. 8 einen ähnlichen Aufbau haben; in allen drei Fällen wird ein bestimmter Gedanke insgesamt dreimal formuliert, während im Schluß der Perikope ein neues Element erscheint. Wir müssen das bisher Gesagte noch genauer herausarbeiten. Dadurch, daß v. 8 dreimal die Erteilung des Unterrichts ankündigt, erhält die Aussage von v. 9 einen besonderen Akzent. V. 8 f. erinnern an das Weisheitsschrifttum, so daß dieser besondere Akzent sicherlich angemessen erscheint; der Weisheitslehrer pflegt seinen Worten großen Nachdruck zu verleihen. Daß v. 9 drei Ausdrücke für „Zaum" gebraucht (siehe oben), liegt auf derselben Linie. Indem der Dichter in ν. l f. drei oder vier Ausdrücke für „Sünde" und drei Ausdrücke für „vergeben" benützt, deutet er an, wie groß die Sünde war, deren er sich schuldig gemacht hat, und vor allem, wie radikal die Vergebung und wie groß ihre Wohltat ist (siehe auch das zweimalige HJJx). Dem entspricht, daß v. 5 dreimal das Schuldbekenntnis erwähnt. Auffallend ist in v. 5 auch der Gebrauch der Ausdrücke für „Sünde": zunächst werden drei Ausdrücke benützt, 7 Ea ist jedoch möglich, daß auch JTÖ"! als ein Ausdruck für „Sünde" verstanden werden muß. Vielfach übersetzt man dieses Wort mit „Trug, Falschheit" und nimmt an, daß v. 2c die Bedingung für die Sündenvergebung und den Weg zu ihr bezeichnet; diese Auffassung veranlaßt manche Exegeten, v. 2c zu streichen, siehe Gunkel, Podechard u. a. Μ. E . ist es richtiger, dieses Wort mit „Untauglichkeit" zu übersetzen; es scheint mir wahrscheinlicher, daß v. 2c angibt, was der Sündenvergebung folgt, was sie begleitet, daß nämlich — so ließe sich sagen — der Makel der Sünde ausgelöscht wird; vgl. Cohen, K r a u s u. a. 8 Bei v. 9 stehen wir vor verschiedenen Schwierigkeiten, vgl. z. B . G. Castellino, Psalm X X X I I 9 , VT 2 (1952), 37—42. In engem Anschluß an Eerdmans übersetze ich den Vers folgendermaßen: „Seid nicht wie ein Pferd, wie ein Maultier, die nicht achten auf Zügel und Zaum, ihr Geschirr, mit dem sie gebändigt werden sollen. Dann wird dir kein Unheil nahen." Für Belege für die Übersetzung von mit „Geschirr" siehe Gesenius-Buhl s. v.; Castellino a. a. O. 39 (Castellino läßt diese Übersetzung allerdings nicht gelten). Der auffallende Plural in v. a läßt sich erklären, wenn man annimmt, daß die Aussage von v. a-c sprichwörtlichen Charakter hat. Für eine Begründung der Übersetzung von v. d (vgl. außer Eerdmans auch Kraus) siehe mein Buch De Psalmen, I z. St.

Psalm 32

235

die bereits in v. 1 f. vorkommen (ytPB steht nun im Plural); sodann wird noch die verstärkende Verbindung ΎΊΝΕΠ jlj? gebraucht. Die in v. l f. und v. 5 festgestellten Erscheinungen sind für die Beurteilung des Psalms im Ganzem von großer Wichtigkeit. Zwar muß m. E. angenommen werden (siehe oben), daß dem Schuldbekenntnis nicht nur Gewissensqualen, sondern auch eine äußere Not voranging. Das darf uns jedoch nicht dazu verleiten, die Augen vor der Tatsache zu schließen, daß der Dichter die äußere Not, in der er sich befunden hat, und seine Errettung aus ihr nicht — oder nur indirekt — erwähnt. Er spricht — und zwar mit großem Nachdruck — von seinen Sünden, von Gottes Vergebung und von seinem Schuldbekenntnis. Das eben macht ihm zu schaffen, daß er gegen Gottes Gesetz verstoßen hat. Das überwältigend Große ist für ihn, daß zwischen Gott und ihm nun alles wieder ins reine gebracht ist. Es besteht kein Grund, mit Gunkel zu behaupten: ,,die Buße des Psalmisten ist doch nur von ferne mit der christlichen verwandt" 9 . Wie aus dem bisher Gesagten hervorgeht, ist für diesen Psalm vor allem der Gebrauch von Synonymen charakteristisch; daneben aber werden auch manche Wörter öfter als einmal gebraucht. Beides dient dem Zweck, der Aussage Nachdruck zu verleihen und bestimmte Akzente zu setzen. Folgendes kam oben bereits zur Sprache: wird zweimal gebraucht, ν. l f., y ^ B zweimal, v. 1.5, ΠΧ13Π (ΠΝ10Π) dreimal, v. 1.5 (zweimal), pj? dreimal, v. 2.5 (zweimal). Zu ergänzen ist noch, daß auch n ^ J und HD3 sowohl in ν. l wie in v. 5 gebraucht werden. Mit Ausnahme von Π03 haben die genannten Wörter in v. l f. und in v. 5 dieselbe Funktion. Bei HD" ist dies nicht der Fall. V. l spielt darauf an, daß Jahwe die Sünden des Dichters „bedeckt" hat; v. 5 spricht davon, daß der Dichter sie nicht „bedeckt" hält. Hier dürfte wohl eine Art Wortspiel vorliegen: Dann eben, wenn der Mensch sie nicht mehr bedeckt hält, bedeckt Jahwe seine Sünde; vgl. § 12b. Daß Τ2Π (ΊΟΠ) , C , S3D sowohl in v. 6 f. wie in v. 10 gebraucht werden, unterstreicht, daß v. 6 f. und v. 10 ähnliche Gedanken ausdrücken.

* Es würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen, dies genauer herauszuarbeiten; siehe mein Buch De Psalmen, I 328 ff. Hier sei nur bemerkt, daß eich Gunkels Kritik an Ps 32 nicht mit der Erklärung von Kraus abweisen läßt, daß Gunkel „in den Begriff .christlich' eine dualistische Anthropologie" hineinprojiziere.

236

H L Spezieller Teil

Siehe im übrigen auch die obigen Bemerkungen zur Einteilung des Psalms. Wenn v. 1-5 in der Tat als der erste Hauptteil des Psalms gelten können, liegt durch den Gebrauch von > £>3 zu Beginn von v. l und am Schluß von v. 5 eine bezeichnende Korrespondenz zwischen Anfang und Ende dieses Hauptteils vor; vgl. § 15. V. 3 f. lassen Stufenrhythmus erkennen (zweimal ). Schließlich sei noch auf einige Details hingewiesen. V. 3 enthält eine eigenartige Aussage: „Als ich schwieg, wurden meine Gebeine mürbe, während ich den ganzen Tag schrie"; hier ist offenbar eine bestimmte Art des Schweigens gemeint, vgl. § 63c. Alliteration und Assonanz finden sich in v. 1: vier Zischlaute, zweimal -1 , vgl. § 16a. Vielleicht ist es sinnvoll, auch darauf hinzuweisen, daß v. 5 a — vor allem durch die Häufung von i-Lauten — einen viel helleren Klang hat als v. 1.

Psalm 33 V· 1—all Utile—eliof.1 ullis—ltl ief-1 istlllio—ίί

2—2—2|||2—2||2—2—2—2|2—2|2||2—2—2|2—2|2—2|||2—2—2

Ps 33 ist ein „alphabetisierender" Psalm, vgl. § 48. Nach den meisten Neueren ist dieser Psalm eine Hymne, die bei einem der Feste Israels gesungen wurde, etwa dem „großen Herbstfest". Nach vielen Älteren — und auch ζ. B. Kittel, Kissane — ist er nach der Errettung aus der Not gedichtet worden. J . Ridderbos u. a. meinen, daß er in einer bestimmten Notlage gedichtet wurde; für diese Auffassung stützt man sich insbesondere auf v. 20-22. Im Hinblick auf den wenig konkreten Charakter dieses Psalms ist es wohl am unverfänglichsten, ihn als eine Hymne zu betrachten, die ohne einen bestimmten Anlaß gedichtet worden ist — möglicherweise für eines der großen Feste. Wir können ferner annehmen, daß der Psalm bei verschiedenen Gelegenheiten gebraucht wurde. Er wird bei Israels großen Festen Verwendung gefunden haben. Es ist jedoch auch denkbar, daß er nach der Errettung aus Gefahr oder auch in einer Notlage gesungen wurde. Betrachten wir den Psalm als ein mehr oder weniger allgemeines Loblied, so braucht es nicht zu befremden, daß v. 20-22 den Schluß bilden; es is nichts Ungewöhnliches, daß ein Loblied in einer Bitte ausklingt, siehe ζ. B. 19 13 f 104 31_35 1391β f f . Auch wenn der Psalm als Danklied Dienst tat, waren v. 20-22 am Platze, da sich dem Danken

P s a l m 33

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stets das Bitten vereinen muß; so münden denn auch mehrere andere Danklieder in eine Bitte, siehe z. B. Ps 9 20 f 2 1 u 1388o. Wurde der Psalm in einer Notlage gesprochen, so erhielt die Hymne in v. 1-19 in mehr oder weniger starkem Maße den Charakter eines Beweggrunds für das Gebet, vgl. ζ. B. Ps 40 89. Siehe im übrigen auch § 54. 55. Wir wenden uns nunmehr dem A u f b a u des Psalms zu. Deutlich ist, daß v. 1-3 die Einleitung, v. 10-22 den Schluß bilden, u n d daß ferner die Aussagen von v. 4 f. 6 f. 8. 9.10 f. 12.13 f. 15.16 f. und 18 f. jeweils zusammengehören. Vielfach wird angenommen (vgl. Podechard, J . Ridderbos usw.), daß v. 4-9 Gottes Wort, v. 10-12 seinen R a t , v. 13-19 sein Auge besingen; damit ist gewiß eine wichtige Erscheinung hervorgehoben, jedoch zu wenig über den A u f b a u ausgesagt. Es scheint mir möglich, den Psalm folgendermaßen einzuteilen. Das eigentliche Loblied, v. 4-19, besteht aus einer Einleitung, v. 4 f., u n d aus zwei Teilen, v. 6-12.13-19; der erste Teil zerfällt in v. 6-9.10-12, der zweite Teil in v. 13-15. 16-19. Die Einleitung, v. 4f., enthält allgemeine Aussagen (die allerdings wohl einen eigenen Charakter haben, siehe unten). Der erste Teil, v. 6-12, besingt Gottes Größe, die er in der Schöpfung, v. 6-9, u n d in der Geschichte, v. 10 f., gezeigt hat. E r schließt mit dem Ausruf von v. 12: Wie glücklich das Volk, das diesen herrlichen Gott seinen Gott nennen darf. Der zweite Teil, v. 13-19, singt von dem allsehenden Gott, v. 13-15, von der Kraftlosigkeit des Menschen, v. 16 f., und mündet wiederum in den Lobpreis der Gunst, die Gott seinem Volk erweist, v. 18 f.. Die Parallelität zwischen beiden Teilen reicht weiter, als diese Übersicht erkennen läßt. Wir können sagen, daß beide Teile nacheinander von Gottes Hoheit, v. 6-9. 13-15, von der Nichtigkeit des Menschen, v. 10f. 16f., und von dem Heil des Volkes Gottes, v. 12. 18 f., sprechen. I n diesem Zusammenhang ist es merkwürdig, daß beide Teile zu Beginn den Himmel erwähnen. Der Anfang des ersten Teils singt davon, daß Gott den Himmel geschaffen hat, v. 6a; das erste Wort des zweiten Teils bezeichnet den Himmel als die Burg, von der Gott auf alles herabschaut, v. 13 a. Indessen läßt sich hier neben der Parallelität auch ein Gedankenfortschritt erkennen. Die H y m n e spricht zunächst von J a h wes Größe in der Schöpfung und ihrer Erhaltung, v. 6-9, sodann von seiner Größe in der Geschichte: der Ratschluß der Nationen wird zunichte gemacht, Jahwes Volk ist glücklich zu preisen, v. 10-12. Anschließend, so läßt sich behaupten, werden die Aussagen von v.

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III. Spezieller Teil

10-12 in y. 13-19 genauer herausgearbeitet. Das Zerbrechen des Ratschlusses der Nationen und das Glück von Jahwes Volk erklärt sich daraus, daß Jahwe die Werke aller Menschen ergründet. Was bei dieser göttlichen Prüfung offenbar wird, ist entscheidend. Denn keine Kraft irgendeines Geschöpfes kann Befreiung schenken, v. 16f.; sie kann nur von Jahwe kommen, dessen Auge in Gunst auf denen ruht, die ihn fürchten, v. 18 f. Man kann sicherlich sagen, daß v. 18 f. eine Ausgestaltung von v. 12 enthalten; v. 18 f. konkretisieren das Wort ι ^ χ in v. 12 und geben eine genauere Umschreibung derer, denen gilt. So können v. 18 f. als der H ö h e p u n k t des Psalms betrachtet werden. Alles Vorhergehende mündet in v. 18 f., die ihrerseits die Grundlage für v. 20-22 darstellen. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß v. 18 f. nicht nur das Heil des Volkes, sondern auch die Tugenden Gottes rühmen: Der erhabene Gott kümmert sich in herabbeugender Güte um die, die ihn fürchten. Läßt man dies außer acht, so kann die Feststellung, daß v. 18 f. den Höhepunkt des Psalms darstellen, zu einer anthropozentrischen Auffassung dieses Psalms führen, die sicherlich verfehlt ist. Die zwei Abschnitte, aus denen der vorstehenden Einteilung zufolge der Hauptteil der eigentlichen H y m n e besteht, sind gleich lang; sie zählen je vierzehn Stichen. Dies k a n n nachträglich als ein Argument f ü r die Richtigkeit dieser Einteilung gelten. Auch auf die Tatsache, daß mehrere andere Psalmen zweiteilig sind, kann man sich f ü r die Richtigkeit dieser Einteilung berufen; man sehe ζ. B. P s 18: wie in P s 18 mit v. 32, so beginnt in unserem Psalm mit v. 13 ein neuer Teil. Vgl. im übrigen auch § 46. Es ist möglich, daß dieser Psalm im Wechselgesang vorgetragen wurde. Eine Möglichkeit wäre etwa, daß v. 1-3 von einem Vorsänger, v. 4 f. vom ganzen Chor, v. 6-12 von dem einen Teil, v. 13-19 von dem anderen Teil des Chors und v. 20-22 wiederum von dem ganzen Chor gesungen wurden. Insonderheit bei P s 33 ist es sinnvoll, einen Vergleich mit J d c 5 anzustellen. Verschiedene Stilmerkmale, die sich in J d c 5 finden, kommen auch in P s 33 vor, jedoch auf einer anderen Entwicklungsstufe der Dichtkunst. Der Stil der Wiederholung ist sowohl f ü r J d c 5 1 wie f ü r P s 33 (siehe unten) charakteristisch, er wird in Ps 33 jedoch 1

Vgl. Gerleman, The Song of Deborah in the Light of Stylistics (VT 1,

1951, 168 — 180), 174-178.

Psalm 33

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mit sehr viel mehr Überlegung verwendet. Folgendes scheint mir vor allem wichtig: Es ist deutlich, daß J d c 5 aus „isolated episodes and scenes" aufgebaut ist, daß der Verfasser dieses Gedichts sich einer „atomizing technique" 2 bedient. Gewisse Spuren dieser Technik lassen sich auch in Ps 33 entdecken; vgl. bereits § 63c. Es k a n n sicher gesagt werden, daß in P s 33 der Hauptteil der eigentlichen H y m n e aus vier mehr oder weniger selbständigen Perik o p e n b e s t e h t , v . 6-9. 10-12. 13-15. 16-19. M a n b e a c h t e ζ. B . v . 13-15.

Hier wird beschrieben, wie Gott vom Himmel aus das Treiben aller Menschen beobachtet. Ähnliche Schilderungen begegnen in den Psalmen häufig. Oftmals wird diese Vorstellung dahingehend ausgearbeitet, daß Gott aller Tun beurteilt, über aller Tun Richter ist, u n d daß er als Richter eingreift, vgl. Ps l l 4 f f 10220 u. a. I n P s 33 1 3 _ 1 5 wird zumindest von diesem richterlichen Eingreifen nicht gesprochen 3 . Man m u ß v. 13-15 zunächst als eine selbständige Perikope auf sich einwirken lassen. D a n n erkennt man, daß der Dichter hier die ergreifende Vorstellung von J a h w e hervorruft, der immer nur zuschaut u n d immer nur zuschaut. Aber dabei darf m a n nicht stehenbleiben; v. 13-15 sind ein Teil des Ganzen. I n den anderen Versen des Gedichts wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, wohl aber angedeutet, daß das göttliche Sehen und Ergründen damit verbunden ist, daß Gott sich als Richter ein Urteil bildet; dies f ü h r t zum richterlichen Eingreifen Gottes, vgl. die obige Übersicht von v. 13-19, siehe auch v. 4f.. Auch dann aber gilt, daß der Dichter diese Gedanken in einer „atomizing technique", in einer aphoristischen Weise zum Ausdruck bringt. Ähnliche Betrachtungen lassen sich auch zu v. 6-9. 10-12. 16-19 anstellen. Der genaueren Ausarbeitung u n d Begründung des bisher Gesagten diene folgendes. I. V. 1-3 enthalten eine Einleitung, wie diese bei Lobliedern üblich ist. Hier erklingen nacheinander verschiedene Aufforderungen zum Lobe J a h w e s — ein kräftiger Ausdruck der Begeisterung, die den Dichter erfüllt und mit der er andere erfüllen will. Angeredet werden ' Gerleman a. a. O. 177.171. 3 Nach Gesenius- Buhl bedeutet hi. in v. 15 „auf etw. Acht geben", nach Köhler „achthaben auf". Mir scheint diese Übersetzung etwas zu schwach, man kann das Wort auch wie Gunkel mit „durchschauen" übersetzen. So läßt sich sagen, daß auch v. 15b wohl über Gott als Richter spricht, vgl. I Reg 3,; vgl. auch Ps 3 3 l s mit ζ. B. Jes 113. Dennoch bleibt wahr, daß die Vorstellung von Jahwe als Richter in Ps 33 weniger bestimmt, weniger deutlich herausgearbeitet und aphoristischer erscheint als in anderen Psalmen.

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III. Spezieller Teil

wohl die beim Heiligtum versammelte Gemeinde, v. l, u n d die Tempelmusiker, v. 2 f. Diese Perikope ist sehr regelmäßig aufgebaut; m a n beachte das Metrum u n d den Parallelismus. E s herrscht hier jedoch auch s t a r k e Abwechslung. F ü r , , l o b e n " werden sechs verschiedene W ö r t e r gebraucht. V. l u n d v. 2 lassen Chiasmus erkennen, nicht aber v. 3. Die Reihe der Aufforderungen wird durch v. lb unterbrochen, der zwar inhaltlich, aber nicht formal eine Aufforderung enthält. I I . V. 4-19 können als das eigentliche Loblied bezeichnet werden, siehe oben. A: I n v. 4 f. s t e h t die Einleitung des eigentlichen Loblieds. V. 5 gebraucht Partizipien, wie dies f ü r ein Loblied charakteristisch ist; vgl. auch v. 7.15. V. 4 r ü h m t das W o r t u n d das Werk Jahwes. Auch im weiteren Verlauf des Psalms wird J a h w e s W o r t u n d Werk besungen. D e r Dichter singt in erster Linie von dem W o r t Jahwes, siehe v. 6.94, jedoch auch von seinem Werk, siehe v. 6 usw. (vgl. d e n Gebrauch von ntTJ? in v. 4 u n d v.6); übrigens ist J a h w e s Sprechen Wirken, Machen, siehe auch hierfür v. 6. V. 4 f. e n t h a l t e n allgemeine Aussagen. Diese nehmen im ganzen des Psalms einen besonderen Platz ein. I n diesemPsalm hegt besonderer Nachdruck auf Gottes Allmacht u n d Erhabenheit, zu Beginn aber besingt der Dichter Gottes Gerechtigkeit u n d Gunst. Seine Allmacht u n d E r h a b e n h e i t f ü h r e n nicht zur Willkür; aus einer Aussage wie der in v. 10 k ö n n t e dies, wenn m a n sie f ü r sich betrachtet, gefolgert werden; v. 4 f. aber beseitigen in dieser Hinsicht jedes MißVerständnis. D a diese Verse einleitenden Charakter haben, k a n n es nicht verwundern, d a ß manche der in ihnen gebrauchten Wörter im folgenden wiederkehren, siehe bereits oben über " i m , vgl. v. 4.6, u n d vgl. v. 4.6, u n d siehe ferner zu v. 18.22 (10Π), v. 8.14 ( f l X ) . Auffallend ist aber, daß diese Verse durch den Gebrauch bestimmter W ö r t e r so 4

Übrigens besingt der Dichter nicht überall dasselbe Sprechen Gottes. In ν. β und v. 9 wird von dem Schöpfungswort gesprochen, während der Dichter in v. 4 wenigstens auch an ein anderes Sprechen denkt. Vielleicht kann aus " t i ^ sogar gefolgert werden, daß er in v. 4 überhaupt nicht an das Schöpfungswort denkt. E r wird hier an das Wort der Verheißung und der Forderung gedacht haben, das Gott speziell zu Israel gesprochen hat und spricht, und auch — das eine ist übrigens auf das engste mit dem anderen verbunden — an das in die Geschichte eingreifende und sie formende, mit Kraft geladene Sprechen Gottes, das zugleich ein Tun ist; die Fortsetzung des Psalms, siehe v. 10-12.16-19, kann für das letztere sprechen. Die Kombination von v. 4a und v. 6a vermittelt einen starken Eindruck davon, daß zwischen allem Sprechen Gottes eine tiefe Einheit besteht.

Psalm 33

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eng mit v. 1-3 verbunden sind: da das Wort Jahwes ist, v. 4, gebürt den D'H^" ein Lobgesang, v. l; da Jahwe Π ρ ί ϊ liebhat, v. 5, müssen die Qipillf ihn jubelnd rühmen, v. i. Β : V. 6-12 bilden den ersten Abschnitt des Hauptteils der eigentlichen Hymne, siehe oben. a. In v. 6-9 besingt der Dichter die Größe Jahwes in Schöpfung (und Erhaltung 5 ) der Welt, wie dies in vielen Hymnen geschieht 6 . Wie in Gen 1 tritt die Schöpfung des Firmaments in den Vordergrund, v. 6a; daneben werden die Schöpfung der Himmelskörper, v. 6b, und die Zuweisung eines Platzes an die Gewässer, v. 77, genannt. Das eine ist mit dem anderen auf das engste verbunden. Daß eine enge Verbindung zwischen v. 6a und v. 6b besteht, liegt in der Natur der Sache; für die Verbindung zwischen v. 6a und v. 7 siehe wiederum z.B. Gen 1. Der Dichter besingt in diesen Versen insonderheit Gottes Größe, Erhabenheit und Macht, siehe v. 6.8.9, er denkt aber gewiß auch an Gottes Weisheit und Güte, siehe namentlich v. 7 und meine Bemerkungen im nächsten Abschnitt. Es besteht eine enge Verbindung zwischen v. 6 und dem Vorhergehenden; siehe bereits oben über „das Wort Jahwes". Namentlich zwischen v. 5b und dem Folgenden besteht eine enge Verbindung: darum ist die ganze Erde voll von Jahwes Gunst, weil er getan hat, was in v. 6 f. beschrieben wird; man beachte auch „Erde" in v. 5 und v. 8 8, sowie den Gegensatz zwischen „Erde", dem letzten Wort von v. 5, und „Him.nel", v. 6. Wie bereits gesagt wurde, kann v. 7 eine Fortsetzung von v. 6 genannt werden. Im Schluß dieser Perikope, v. 9, greift der Dichter auf den Anfang, v. 6, zurück. V. 8 nimmt in dieser Perikope einen geson-

6 Wae ζ. B. in v. 7 beschrieben wird, hat Jahwe bei der Schöpfung getan, er tut dasselbe jedoch immer wieder aufs neue. »Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 74—78. ' Μ. E. ist es sehr zweifelhaft, ob in v. 7, wie man häufig meint (siehe jedoch A. Deissler, Der anthologische Charakter des Psalmes 33 [32], in: Melanges Bibliques A. Robert, 1955, 228), "INJ statt "D gelesen werden muß. B s ist sehr gut möglich, daß der Dichter das, was bei der Schöpfung (und Erhaltung) geschieht, in einer der Heilsgeschichte entnommenen Terminologie beschreiben wollte, vgl. E x 15 8 Jos 3 18 . 1β u. a. Dies ist jedenfalls offenbar die Auffassung der Massoreten. Siehe auch zu v. 10 f.. 8 Übrigens behandelt v. 8 einen anderen Aspekt von Gottes Größe als v. 5b.

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III. Spezieller Teil

derten Platz ein. Vielleicht kann gesagt werden, daß die Perikope in der Aussage von v. 8 ihr Ziel erreicht, und daß diese Aussage die Verbindung zu v. 10 f. herstellt. b. Nach der Größe Jahwes in der Schöpfung, v. 6-9, wird seine Größe in der Geschichte, v. 10 f., man kann auch sagen: in der Heilsgeschichte, vgl. v. 12, besungen. Es besteht aller Grund zu der Feststellung, daß mit v. 10 eine neue Perikope beginnt. Von einem plötzlichen Übergang kann dabei jedoch nicht gesprochen werden. Natürlich ist diese Perikope mit der vorhergehenden dadurch verbunden, daß beide von Gottes Größe singen. Hier muß auch bedacht werden, daß nach dem A T ein enges Band zwischen Schöpfung, Erhaltung und Gottes Wirken in der (Heils-) Geschichte besteht; siehe oben zu v. 7 (Anmerkung) und auch zu v. 8. Im vorhergehenden wurde über Gottes Wort und Werk gesprochen, v. 4, vor allem über sein Wort, v. 6.9. Nun versenkt sich der Dichter in das, was hinter beidem steht: die Überlegungen seines Herzens. Einander gegenüberstellt werden der Ratschluß der Völker, der von Jahwe zerbrochen wird, und der Ratschluß Jahwes, der ewig bestehen bleibt. Wie so häufig im AT wird auch hier eine krasse Sprache gesprochen; ein bestimmter Aspekt der Wirklichkeit wird in ein helles Licht gestellt (siehe auch zu v. 16-19 und Ps 20 g). Gemeint ist wohl, daß der Ratschluß der Völker zerbrochen zu werden verdient, und zwar vor allem deswegen, weil er sich gegen das Volk Jahwes richtet; dies wird jedoch nicht ausdrücklich gesagt. So liegt hier aller Nachdruck auf der Souveränität Jahwes, vgl. demgegenüber v. 4f., siehe dort, und siehe auch unten. Siehe für diese Verse auch zu v. 12. c. In v. 12 erreicht der Psalm einen vorläufigen Höhepunkt. Der Dichter hat von Gottes Gerechtigkeit und Gunst, v. 4 f., von seiner Allmacht, die er in der Schöpfung bewiesen hat, v. 6-9, und von seiner souveränen Beherrschung der Geschichte, v. 10 f., gesprochen; dieser Gott ist der Gott Israels; wie glücklich ist dieses V o l k ! Man vergleiche hiermit den Ausruf in Ps 891β, der in ähnlicher Weise vorbereitet wird. Dieser Vers ist somit ein Abschluß des gesamten ersten Teils des Lobgesangs, jedoch insbesondere auch ein Abschluß von v. lOf. In v. 10-12 lassen sich verschiedene Stilmerkmale, die für Israels Poesie charakteristisch sind, besonders deutlich erkennen. Sie wurden in § 11 bereits behandelt. C: V. 13-19 bilden den zweiten Abschnitt des Hauptteils der eigentlichen Hymne. Wie oben bereits dargelegt wurde, können v.

Psalm 33

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13-19 als eine nähere Ausgestaltung von v. 10-12 bezeichnet werden. Es ist dies eine sehr wichtige Präzisierung, V. 10-12 können, für sich betrachtet, den Eindruck erwecken, daß Jahwe sein Unbehagen und seine Gunst willkürlich walten läßt. V. 13-19 lassen jedoch erkennen, daß es sich nicht so verhält. Er, der den Ratschluß der Nationen zerbricht, v. 10, ist derjenige, der die Werke aller Menschen ergründet, v. 15. Das Volk Jahwes ist glücklich zu preisen, v. 12; aber die Zugehörigkeit zu diesem Volk allein ist noch keine Gewähr für die Gunst Jahwes: Sein Auge ruht auf denen, die ihn fürchten, v. 18. a. Wie der erste Teil, siehe v. 6-9, besingt auch der zweite Teil, siehe v. 13-15, zunächst Gottes Erhabenheit. Merkwürdig ist, daß v. 13 ebenso wie v. 6 über den Himmel spricht; siehe hierüber bereits oben. Nach Gottes Wort, v. 6-9, und seinem Ratschluß, v. 10 f., ist nunmehr sein Auge, sein Sehen, v. 13-15, Gegenstand des Lobgesangs, vgl. auch v. 18. Starker Nachdruck liegt darauf, daß das göttliche Sehen, das ein Ergründen ist, alles erfaßt (siehe b" in v. I3b.l4b.l5b, vgl. auch *T)T in v. 15a). Über v. 13-15 wurde oben bereits verschiedentlich gesprochen. Dabei kam auch zur Sprache, daß in v. 13 zwar ein neuer Beginn gemacht wird, daß sich aber dennoch mancherlei Verbindungslinien zwischen v. 13-15 und dem Vorhergehenden ziehen lassen. Wir arbeiten diese noch etwas genauer heraus. Die Überlegungen der Völker, die von Jahwe vereitelt werden, v. 10, werden im Herzen geboren, v. n ; v. 15 sagt, daß dieses Herz von Jahwe gebildet und somit durchschaut wird (siehe unten). Wir können ferner darauf hinweisen, daß v. 15a denselben Geist atmet wie v. 6-9, daß v. 13 f. mit v. 8 verwandt sind, und daß v. 4 und v. 6 über das ,,Werk'' Jahwes, v. 15 über das „Werk" der Menschen sprechen. Übrigens ist es natürlich keineswegs sicher, daß es dem Dichter darum ging, eine bestimmte Verbindung zwischen der Aussage von v. 4b und derjenigen von v. 15b herzustellen. Auch bei dieser Perikope kann von einem sorgfältigen Aufbau gesprochen werden, in dem sowohl der Regelmäßigkeit wie der Abwechslung eine Funktion zukommt. In v. 13 und v. 14 liegt externer Parallelismus vor; v. 15 unterscheidet sich formal stark von v. 13 f. V. 13 f. gebrauchen drei Synonyme für „sehen". Für siehe bereits oben. Der Gegensatz, den sowohl v. 13 wie v. 14 enthalten, wird in v. 14 durch den zweimaligen Gebrauch von unterstrichen. In v. 15 drückt der Dichter sich knapp aus; er wird sagen wollen: Weil Jahwe das Herz bildet, ergründet er es; und weil er das Herz ergründet, ergründet er die Taten, die im Herzen ihren U r s p r u n g finden. Wir können sagen, daß diese Perikope in v. 15 ihren Höhe-

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III. Spezieller Teil

punkt erreicht, und daß vor allem v. 15 eine Verbindung mit demFolgenden herstellt; vgl. übrigens auch „sehen" in v. 13 f. mit „Auge" in v. 18. b . W i e m u ß d e r Ü b e r g a n g v o n v . 13-15 zu v . 1 6 g e s e h e n w e r d e n ? E b e n s o wie i n v. 6-11 wird in v . 13-17 d e r M a j e s t ä t G o t t e s die S c h w ä c h e d e s M e n s c h e n gegenübergestellt. W i c h t i g e r ist j e d o c h folgendes. D e r D i c h t e r m e i n t : W i e das S c h i c k s a l eines M e n s c h e n s i c h g e s t a l t e n wird, h ä n g t d a v o n a b , was G o t t e s A u g e in s e i n e m H e r z e n f i n d e t , ν . 13-15, n i c h t d a v o n , ü b e r wieviel K r a f t er v e r f ü g t , v . 16 f.. D i e S c h w ä c h e des M e n s c h e n w i r d h i e r n o c h s c h ä r f e r b e l e u c h t e t a l s in v . 10 f.; es i s t n i c h t nur so, d a ß er v o r G o t t n i c h t b e s t e h e n k a n n , v . 10, s o n d e r n i m G r u n d e h a t er ü b e r h a u p t k e i n e K r a f t 9 ; es s c h e i t e r n n i c h t n u r seine Ü b e r l e g u n g e n , v. 10, so d a ß er d e n Sieg n i c h t e r r i n g t , s o n d e r n er k a n n n i c h t e i n m a l der G e f a h r e n t k o m m e n .

V. 16 f. gebrauchen zweimal · , dreimal Π ; dabei wird 2 1 zweimal mit Svi verbunden; vgl. Schwab, 1955, 71 f. D i e V e r w e n d u n g des P a r a l l e l i s m u s i s t a u c h i n diesen V e r s e n reich a n A b w e c h s l u n g . M a n b e a c h t e ζ. B . d e n s t a r k e n N a c h d r u c k , der i n v . 17 a u f

l i e g t ; vgl. auch d a s e n t g e g e n g e s e t z t e HJlttK i n v. 4.

c. D e r e r s t e T e i l v o n v. 6-19 f i n d e t in v. 12 seinen A b s c h l u ß u n d a u c h w o h l s e i n e n H ö h e p u n k t , d e r z w e i t e T e i l i n v . 18 f.. Ü b e r diese Verse wurde bereits verschiedentlich gesprochen. H i n z u w e i s e n i s t n o c h a u f die e n g e V e r b i n d u n g zwischen v . 16 f. u n d v . 18 f. V . 16 f. u n d v . 18 f. bilden e i n e n G e g e n s a t z , der d u r c h d a s Wort

i n v . 16 u n d v. 19 u n t e r s t r i c h e n wird. Ü b r i g e n s ist

dieser

G e g e n s a t z w e n i g e r a b s o l u t g e m e i n t als er h i e r e r s c h e i n t : G o t t k a n n s i c h a u c h d e r S t ä r k e d e s Helden u n d d e r K r a f t des P f e r d e s b e d i e n e n , um Errettung

z u s c h e n k e n ; siehe f ü r die „ k r a s s e "

Ausdrucksweise

a u c h z u v . 10 f. V . 16 f. bilden z u s a m m e n m i t v . 18 f. die F o r t s e t z u n g v o n v . 13-15, siehe o b e n (u. a. ü b e r „ s e h e n " in v . 13 f. u n d „ A u g e " i n V. 18j.

I I I . D a s L i e d s c h l i e ß t m i t e i n e m B e k e n n t n i s u n d einer B i t t e , v . 20-22; i e h e o b e n . Z w i s c h e n diesen V e r s e n u n d v. 18 f. b e s t e h t ein e n g e r Z u s a m m e n h a n g , n a m e n t l i c h z w i s c h e n v . 22 u n d v . 18. G o t t e s

Auge

b e o b a c h t e t m i t W o h l g e f a l l e n die, die a u f seine G u n s t w a r t e n , v . 18. D i e G e m e i n d e e r s e h n t ihn, w a r t e t a u f i h n . S i e d a r f d e n n a u c h g l ä u b i g a u s s p r e c h e n , d a ß e r i h r Helfer i s t , u n d u m d i e B e s c h ü t z u n g d u r c h

* In diesem Zusammenhang sei bemerkt: V. 16 und v. 17 sind die einzigen Verse dieses Psalms, in denen nicht direkt zu oder über Jahwe gesprochen wird.

245

Psalm 33

seineGunst beten. Siehe ΠΟΠ in v. 18.22 und bereits in v. 5, ^ΓΡ in v. 18.22, sowie auch in v. 19.20. Zur Ergänzung und Zusammenfassung sei noch folgendes bemerkt. Für die Verwendung des Stils der Wiederholung siehe v. 1.5, - φ \ ν . 1.4, " Q 1 , v . 4 . 6 (siehe a u c h v . 9), ntPJ?' v.4.6.15, T D " , v.5.18.22, p K , V. 5.8.14, D ' ö t f , v . 6 . l 3 , a # \ V. 8.14 (zweimal), n2fj>, v . l O . n . U , v . 10.12, m a t f n ü » v . 10.11, η ? , V. 10.12, a b , V. 11.15, fe, v . 13.14.15, ytf«, v . 16.17, a n , V. 16 (zweimal). 17, ^Tt. v . 16.17, ·?ϊ3, ν . 16.19, ^ v . 18.22,

v. 19.20. Ich will durchaus nicht behaupten, daß es sich in all diesen Fällen um bewußte Wiederholungen handelt. In den meisten Fällen jedoch wird durch die Wiederholung eine bestimmte, mehr oder weniger beabsichtigte, Wirkung erzielt; siehe oben (auch über die Korrespondenz zwischen Anfang und Schluß in v. 6-9). Der Chiasmus kommt in diesem Psalm noch öfter vor als oben erwähnt wurde, siehe v. 1 f. 4 f. 8.16 f. Nach den obigen Ausführungen darf sicherlich behauptet werden, daß dem Dichter eine große Kunstfertigkeit nicht abgesprochen werden kann. I n manchen Fällen dürfte es auch dem heutigen Leser nicht schwerfallen, diese Kunstfertigkeit zu würdigen. Psalm

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V. 2-t||5-9||l0 f.112-15II 16 f.|l8-2l|22 f. 2—2—2||2—2 —2—2—2||2—2|2—2 —2 — 2||2—2|2 — 2 — 2 —2|2—2 Ps 34 ist ein alphabetischer Psalm; vgl. § 48. Er läßt eine Verwandtschaft mit anderen alphabetischen Psalmen, insbesondere mit Ps 25, erkennen; siehe unten zu v. 23. Dies ist ein Dankpsalm eines einzelnen. Manche Danklieder weisen gewisse Züge der Chokma auf 1 , bei Ps 34 ist dies in besonderem Maße der Fall. 1

Vgl. Gunkel-Begrich, 1933, 277.387. Übrigens darf man der Verwandtschaft dieses Psalms mit der Chokma nicht zu viel Gewicht beimessen. Nach Kissane enthalten v. 9-15 das allgemeine Thema dieses Psalms; v. 2-8 illustrieren es. Μ. E. ist dies weniger richtig ausgedrückt: dieser Psalm ist kein Lehrgedicht mit einer dem persönlichen Leben entnommenen Illustration, sondern ein Dankpsalm mit dem Einschlag eines Lehrgedichts (so auch Gunkel usw.). Danken und Loben ist in diesem Psalm das Primäre. Das Gegenteil behauptet Murphy, A consideration of the classification „Wisdom Psalms", SVT 9 (1963), 162 f. (der Artikel von Murphy enthält viele wertvolle Beobachtungen, als Ganzes aber zeigt er m. E., wie man die Gattungsforschung nicht betreiben darf). Ridderbos, PaalmeD

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ΠΙ. Spezieller Teil

Zwei Vorstellungsreihen beherrschen den Psalm. Er spricht von dem Sich-an-Jahwe-Wenden, v. 5.11, dem Schauen auf Jahwe, v. 6, dem Rufen, v. 7, dem Sich-Bergen bei Jahwe, v. 9.23, dem Stöhnen, v. 16, dem Schreien, v. 18, und — damit korrespondierend — von dem Hören Jahwes, v. 7.18, siehe auch v. 16, seinem Antworten, v. 5, seinem Entreißen, v. 5.18.20, Befreien, v. 7.19, Retten, v. 8, und Erlösen, v. 23. Unermüdlich spricht der Dichter immer wieder aus, daß Jahwe denen, die zu ihm rufen, hilft. Daneben steht eine zweite Reihe von Vorstellungen, Begriffen, die auch eine wichtige Rolle in diesem Psalm spielt. V. 9.11.13.15 sprechen von „gut", „das Gute", v. 14.15.17.20.22 von „das Böse". In diesem Zusammenhang kann auch genannt werden, daß v. 8.10 (zweimal). 12 von „das Fürchten Jahwes", v. 16.20.22 von „die Gerechten" sprechen. So gewinnen wir einen Einblick in das Ganze des Psalms. Der Dichter hat auf sein Gebet hin Hilfe von Jahwe empfangen. Er schickt sich an, Jahwe dafür zu preisen. Zum Ruhme Jahwes und zur Unterrichtung seiner Zuhörer sagt er: immer wieder hilft Jahwe denen, die zu ihm rufen. Dann gibt er genauer an, wer die sind, denen von Jahwe geholfen wird, anders gesagt: welchen Weg man gehen muß, um auf die Hilfe Jahwes rechnen zu dürfen. Jahwe hilft denen, die zu ihm rufen, die ihn fürchten. Worin aber muß das Fürchten Jahwes sich äußern? V . 12-15 geben die Antwort: es muß sich in dem Tun des Guten zeigen. Dann besingt der letzte Teil, v. 16-23, in verschiedenen Tonarten, daß denen, die das Gute tun, den Gerechten, von Jahwe geholfen wird, während diejenigen, die das Böse tun, ihre gerechte Strafe empfangen. Im vorstehenden wurde deutlich, daß dieser Psalm viele Synonyme enthält und daneben auch manche Wörter öfter als einmal gebraucht. Eine wichtige Rolle in diesem Psalm spielen die Wörter „ g u t " und „böse". V. 9 macht die fundamentale Aussage, daß Jahwe gut ist. Damit hängt zusammen, daß es denen, die sich an Jahwe wenden, an nichts Gutem gebricht, v. 11, daß das Fürchten Jahwes der Weg zum Sehen des Guten ist, v. 13, und daß das Fürchten Jahwes sich im Tun des Guten zeigen muß, v. 15. Dem Guten wird das Böse gegenübergestellt, v. 15, siehe auch v. 14. Wer das Böse tut, wird von Gottes zornigem Blick getroffen, v. 17. E r wird, wie es in v. 22 sehr prägnant heißt, vom Bösen getötet. Eine wichtige Funktion, die der Stil der Wiederholung zuweilen hat, tritt hier deutlich hervor. Vor allem im Hinblick auf v. 13-15 können wir sagen: Durch die Verwendung des Stils der Wiederholung

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Psalm 34

drückt der Autor aus, wie rational sein Unterricht ist2. Er verkündet: Will man das Gute sehen, so muß man das Gute tun; wer vom Bösen befreit werden will, muß vom Bösen lassen. Siehe ferner § 17.66. Besonders gegen diesen Hintergrund gesehen, ist die Aussage von v. 20a besonders merkwürdig: p "Ίϊ ΓΛJ?*1 Dte" . So „rational" ist die Lebensauffassung des Dichters freilich nicht, daß ihm entginge, daß auch, wer das Gute tut, häufig vom Bösen getroffen wird. Übrigens wird der Unterschied zwischen dem Schicksal des Gerechten und dem des Gottlosen damit keineswegs verwischt. Der Gottlose wird vom Bösen getötet, v. 22. Der Gerechte wird zwar vom Bösen getroffen, aber Jahwe entreißt ihn dem Bösen, v. 203. Daher wird er vom Bösen nicht getötet: er empfängt das Leben, v. 13. Auch der Ausdruck „das Fürchten Jahwes" spielt in diesem Psalm eine besondere Rolle. Neben „gut" kann „das Fürchten Jahwes" als ein Schlüsselwort der Perikope v. 10-15 gelten. V. 8 nennt — man könnte fast sagen: beiläufig — als „Bedingung" des Gerettet-Werdens das „Fürchten Jahwes". Im Anschluß daran steht in v. 10 eine kräftige Aufforderung zur Furcht Jahwes. In v. 12-15 erteilt der Dichter Unterricht in der Furcht Jahwes. Es ist wohl kein Zufall, daß das Wort „gerecht" erst in der zweiten Hälfte des Psalms gebraucht wird. V. 14 f. geben an, was zum Fürchten Jahwes gehört, worin es sich offenbaren muß. Sodann spricht v. 16 über „die Gerechten"; gemeint sind die Menschen, die die in v. 14 f. gestellten Forderungen erfüllen. Siehe ferner v. 20.22. Außer den bereits genannten enthält der Psalm noch einige andere Beispiele für die Stilfigur der Wiederholung. Bei v. 2 f. (zweimal •Λπ) und v. 10 f. (zweimal N'f und zweimal *TDn) kann von Stufenrhythmus gesprochen werden. Merkwürdig ist der Gebrauch von * ^ ^ in v. 19 und v. 21; wie kraß die Aussage von v. 2lb ist, wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, daß v. 19 von denen, „die zerbrochenen Herzens sind", spricht. Der in v. 22 f. hervortretende Gegensatz wird dadurch unterstrichen, daß beide Verse Qt^K gebrauchen. Siehe noch unten über Π0Π in v. 9 und v. 23. Hier sei auch auf das Wortspiel in v. 3 hingewiesen: «.nöfeV lptttf"', vgl. § 16a.

2 Für eine nähere Erörterung dieser Feststellung siehe mein Buch De Psalmen, I 353 f. 3 Liebreich, HUCA 27, 186, schreibt: ,,whereas the righteous are spared from many a misfortune to which they are exposed (vs. 20), a single catastrophe suffices to bring about the complete downfall of the wicked (vs. 22a)".

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III. Spezieller Teil

Ich versuche im folgenden, eine Einteilung des Psalms vorzunehmen; dabei gehe ich zugleich näher auf den spezifischen Charakter dieses Psalms und auf verschiedene Details ein. I. V. 2-4 bilden eine Einleitung. Eine solche Einleitung ist bei Dankpsalmen üblich. Jedoch läßt sich hier schon erkennen, daß dieser Psalm den Einschlag eines Lehrgedichts hat; der Dichter läßt sehr ausdrücklich andere an seiner Freude teilhaben, v. 3b4, siehe auch „alle Zeit, fortwährend" in v. 2. II. V. 5-9 machen zur Begründung von v. 2-4 die Aussage, daß Jahwe ein Helfer in der Not ist. Der Dichter bringt hier den Bericht von seiner Not und Errettung. Dieser ist ein fester Bestandteil der Dankpsalmen. Charakteristisch für diesen Psalm ist einerseits, daß der Dichter über seine eigene Erfahrung in sehr unbestimmten Wendungen spricht, und andrerseits, daß er mit allem Nachdruck feststellt: wie Jahwe mich auf mein Beten hin gerettet hat, so hilft er immer wieder denen, die sich an ihn wenden. Es besteht eine weitdurchgeführte Parallelität zwischen v. 5 und v. 7. Inhaltlich gesehen sind v. 6 und v.8 parallel: in v. 5 und v. 7 erzählt der Dichter von seiner eigenen Erfahrung; sie ist ihm ein Anlaß für die Erklärung, daß Jahwe die, die ihn fürchten, immer wieder rettet, v. 6 und v. 8. Formal gesehen besteht eine Parallelität zwischen v. 6 und v. 5.7.; zwischen vs. 5-7 besteht externer Parallelismus. V. 9 bildet einen gewissen Abschluß dieser Perikope 4 ; eine Glücklichpreisung, wie sie in v. 9b steht, dient des öfteren als Abschluß, siehe Ps 2 12 33 12 u. a. Der Aufbau dieser Perikope zeugt vonderKunstfertigkeitdesDichters. Neben der Wiederholung sorgt der Dichter doch auch für genügend Abwechslung. Es besteht eine große Übereinstimmung zwischen v. 5 und v. 7. Aber es gibt auch Unterschiede. Über den Dichter wird in v. 5 in der ersten Person, in v. 7 in der dritten Person gesprochen. Weder in v. 5 noch in v. 7 noch auch in den anderen Versen dieser Perikope wird irgendein Wort — ausgenommen ΓΤ1ΓΤ1 und (v. 5 und v. 7) — öfter als einmal gebraucht; der Dichter verwendet Synonyme. Man könnte erwarten, daß, nachdem v. 7 eine Parallele zu v. 5 gebracht hat, der nächste Vers eine Parallele zu v. 6 enthalten werde; inhaltlich ist dies auch tatsächlich der Fall, nicht aber formal. In v. 4

Μ. E. mit Recht umsehreibt Gunkel v. 9a folgendermaßen: „Hier könnt ihr (wie an einer Kostprobe) schmecken, daß Jahve gütig ist!" Bs ist nicht ausgeschlossen, daß der Dichter bei „schmecken" auf das Dankopfermahl anspielt.

Psalm 34

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5-7 gebraucht der Dichter externen Parallelismus, er führt ihn jedoch nicht weiter durch. V. 9 stellt einen Abschluß dar, der sich formal von allem Vorhergehenden unterscheidet. Zwischen dieser und der nächsten Perikope, v. 10-15, besteht eine Verbindung, die darin liegt, daß die Kernwörter von v. 10-15, „dasFürchten Jahwes" und „gut", auch bereits in v. 8 f. vorkommen; in den übrigen Versen dieses Psalms werden diese Wörter nicht gebraucht; siehe auch oben. I I I . V. 10-15. In v. 12-15 spricht der Dichter sehr deutlich als Weisheitslehrer; dies zeichnet sich bereits in v. 10 f. ab. Im Vorhergehenden wurde gerühmt, daß Jahwe diejenigen rettet, die zu ihm rufen. Wer sich an Jahwe wendet, muß jedoch in Wahrheit zu ihm rufen; das betonen diese Verse. In v. 10 f. fordert der Dichter zur Furcht Jahwes auf; wer von ihm Hilfe begehrt, muß ihn fürchten, siehe auch bereits v. 8. Anschließend erteilt der Dichter in v. 12-15 Unterricht in der Furcht Jahwes 5 . Siehe hierüber bereits oben. Bei „fürchtet" in v. 10 klingt vielleicht als Gegensatz mit an, daß man Menschen nicht zu fürchten braucht. Die Aufforderung von v. 10a wird in v. 10b begründet; v. 10b wird durch die Aussagen von v. Ii, die einen Gegensatz enthalten, verdeutlicht. V. 10 f. lassen Stufenrhythmus erkennen; siehe oben. Der in v. 12-15 erteilte Unterricht in der Furcht Jahwes enthält zwei Elemente: Der Dichter weist auf den Segen hin, der mit der Furcht Jahwes verbunden ist, v. 13, siehe auch v. 10 f., und deutet an (zunächst negativ, dann positiv), was zur Furcht Jahwes gehört, worin sie sich offenbaren muß, v. 14 f. Auf dem letzteren Element liegt m. E. der Akzent: in v. lOf. hat der Dichter zur Furcht Jahwes aufgefordert, hier gibt er an, worin sie besteht. Überblicken wir den Psalm als Ganzes, so können wir auch sagen: In v. 14 f. werden diejenigen gekennzeichnet, die in Wahrheit zu Jahwe rufen und sich 5

J. Ridderbos schreibt zu v. 10: „De uitnodiging om bij Jahwe te echuilen, wordt afgewisseld door de opwekking om Hem te vrezen, zieh aansluitend bij de letter 1 (natuurlijk oefent het schema, waaraan de dichter zieh heeft gebonden, invloed op de gedachtengang)" [deutsch etwa: „Die Einladung, sich bei Jahwe zu bergen, wird von der Aufforderung abgewechselt, ihn zu fürchten, und zwar im Anschluß an den Buchstaben * (natürlich übt das Schema, an das der Dichter sich gebunden hat, einen Einfluß auf den Gedankengang aus)"]. Nach dem Vorstehenden ist es m. E. nicht erforderlich und auch nicht erlaubt, die Ursache der besagten Abwechslung im Zwang des alphabetischen Schemas zu erblicken. Mail denke nur daran, wie viele Möglichkeiten gerade das 1 dem Dichter bot.

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I I I . Spezieller Teil

an ihn wenden; vgl. Ps 152_s 244_g. Der „rationale" Charakter der Anforderungen tritt hier deutlich ans Licht; siehe bereits oben. In der in v. 12-16 enthaltenen Zusammenfassung von Israels Religion werden deutliche und kräftige Linien gezogen. Der unkomplizierte Charakter dieser Aussagen darf nicht als Zeichen einer gewissen Naivität des Dichters gewertet werden; es handelt sich hier vielmehr um einen Aufruf, auf männliche Weise einen Standpunkt im Leben zu wählen. IV. V. 16-23. In v. 5-9 hat der Dichter gerühmt, daß diejenigen, die zu Jahwe rufen, die ihn fürchten, von Jahwe gerettet werden. In v. 10-15 hat er dargelegt, worin die Furcht Jahwes sich zeigt, nämlich im Meiden des Bösen und im Tun des Guten. In v. 16-23 zieht er die Schlußfolgerung: Die Gerechten erfahren Jahwes Hilfe; diejenigen, die das Böse tun, kommen um. Manche dieser Aussagen sind denen von v. 5-9 verwandt; ein neues Element ist jedoch, daß nun auch das Schicksal der Gottlosen gekennzeichnet wird, und auch wohl, daß nun über ΰ ρ Ή ϊ gesprochen wird, siehe bereits oben. V. 16f. enthalten das Thema dieses Teils; sie stellen das Schicksal des Gerechten und das des Gottlosen einander gegenüber. Man beachte den Parallelismus in diesen Versen: Der Parallelismus von v. 16 ist wiederholend, der von v. 17 klimaktisch; formal gesehen besteht ein reiner Parallelismus zwischen v. 16a. 16b und 17a (wobei nacheinander Jahwes Augen, Ohren und sein Antlitz genannt werden), dies gilt jedoch nicht von v. 17b; so findet sich auch hier Abwechslung. Siehe ferner § 43 a. V. 18-21 bringen eine nähere Ausgestaltung von v. 16. Deutlich kommt zum Ausdruck, daß auch die Gerechten von großen Unglücken heimgesucht werden, aber Jahwe bewahrt und rettet sie. verbindet v. 18 mit v. 20, v. 19 mit v. 21, siehe oben. Vor allem v. 18 stellt eine enge Verbindung zwischen diesem Teil des Psalms und v. 5-9 her, siehe besonders v. 7, auch v. 5: was der Dichter erfahren hat, geschieht immer wieder. V. 22 f.® stellen noch einmal das Los der Gottlosen und das der Gerechten einander scharf gegenüber; siehe oben über das zweimalige e V . 23 durchbricht — wie auch P s 25 22 — d a s alphabetische Schema; merkwürdig ist, d a ß beide Verse mit ΓΠΒ beginnen. Man h a t die Vermutung geäußert, d a ß der Dichter oder ein Abschreiber seinen N a m e n versteckt anbringen wollte, siehe ζ. B. bei D u h m . E s spricht viel dafür, daß P s 2 5 : : als ein späterer Zusatz betrachtet werden m u ß . I m Hinblick auf P s 3 4 : s ist dies weniger sicher. F ü r die Fragen wenigstens, die u n s hier beschäftigen,

Psalm 34

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Auch in ν. 16 f. wurden sie einander gegenübergestellt; während jedoch in v. 16 f. zunächst über die Gerechten, dann über die Gottlosen gesprochen wurde, ist die Reihenfolge hier umgekehrt. Bei der von mir vorgenommenen Einteilung schließen sowohl der zweite wie der vierte Teil des Psalms mit 1 ΠΟΠ7· Psalm 35 V. 1-3||4-β||7 f.||9 f.|||ll-ie||l7||l8|||l9||20f.||2a-24a|24b-2e|27||28 2—2—2—2||2—2—2—2||2—1—2||2—9—2|||2—2—2—1—2—2—2—2|| 1—2||2|||2||3—3||2—2—2|2—2—2—2|1—2||2'

Ps 35 gehört zu den Klageliedern eines einzelnen. Dieser Psalm kann in drei Teile eingeteilt werden, v. 1-10.11-18.19-28; diese Einteilung ergibt sich vor allem daraus, daß dreimal ein Gelübde abgelegt wird,

ist dieses Problem von geringer Bedeutung. Wenn v. 23 ein späterer Zusatz ist, kann der Inhalt der letzten Perikope dieses Psalms folgendermaßen wiedergegeben werden: V. ie f. enthalten das Thema dieses Teils; v. 18-21 bringen eine Ausgestaltung von v. 16, v. 22 von v. 17. ' A u c h Liebreich, HUCA 27, 182—186, gibt eine Betrachtung über Ps 34, wobei er von „ t h e key words" ausgeht. E r gelangt zu ähnlichen Ergebnissen wie wir. Ein Unterschied liegt u. a. darin, daß v. 10 f. nach Liebreich zum zweiten Teil des Psalms gehören, während sie m. E . besser als der erste Nebenabschnitt des dritten Teils betrachtet werden können. Vielleicht m u ß gesagt werden, daß Liebreich eine zu schematische Vorstellung vom Stil der Wiederholung hat. So schreibt er (186): „A final point t o be noted in t h e construction of the Psalm is the employment of in each of its component parts and t h e alternate application of this verb to m a n and God" und verweist dazu auf v. 3. 7.12.18; es scheint mir sehr die Frage, ob diese Bemerkung sinnvoll ist. Als Argument f ü r die Behauptung, daß v. 23 kein späterer Zusatz ist, f ü h r t er u. a. an (186): „ b y t h e inclusion of vs. 23 a numerical harmony is introduced between the second and fourth units of the Psalm b y the sixfold recurrence of the tetragrammaton in each"; m. E . ist es nicht richtig, dies als ein Argument zu benützen. 1 Inhaltlich gesehen entspricht die Einteilung von K r a f t im wesentlichen der von mir gegebenen. K r a f t nimmt jedoch an, daß der Text an vielen Stellen entstellt ist und gelangt daher zu der Folgerung: „it seems as though the psalm a t present is structurally organized as ten triads with two intervening couplets" (nämlich v. llf. 13f.). K r a f t hält es für wahrscheinlich, daß ν. 11-14 ursprünglich auch eine ,triad' bildeten. Die ersten vier, die zweiten vier und die letzten drei .triads' gehören zusammen (v. 1-10. 11-21. 22-28). K r a f t folgert, daß „ t h e present state of the t e x t makes is impossible t o declare with certainty, b u t merely to state the possibility — or even probability — t h a t Psalm 35 originally was composed of twelve triads grouped b y fours into three stanzas''; siehe § 33.

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III. Spezieller Teil

siehe v. 9 f. 18. 28. Der erste Teil enthält ein ungestümes Gebet, der zweite besteht zu einem großen Teil aus Klagen, im dritten Teil n i m m t wiederum das Gebet den größten R a u m ein. I m ersten Teil betet der Dichter, J a h w e möge diejenigen bekriegen, die ihn bekriegen; dies wird in aller Ausführlichkeit dargestellt. I m zweiten Teil liegt der Nachdruck auf der Klage über die Undankbarkeit der Feinde. Der dritte Teil wird von der Vorstellung beherrscht, daß der K a m p f mit den Feinden ein Rechtsstreit ist. Es besteht aleo ein Unterschied zwischen dem I n h a l t der drei Teile; namentlich der Inhalt des erstenTeilsunterscheidet sichbeträchtlich von dem der anderen Teile. Indessen lassen sich auch deutliche Verbindungslinien ziehen. Zu Beginn des Psalms wird von einem Streit gesprochen; v. 11 beschreibt ihn genauer; im dritten Teil k a n n „Streit", „Rechtssache" als die beherrschende Vorstellung betrachtet werden 2 . Schon im ersten Teil wird über die Grundlosigkeit der Feindschaft geklagt, v. 7; im zweiten Teil wird sie breit ausgemalt, u n d auch im dritten Teil ist sie Gegenstand der Klage, siehe vor allem v. 19. F ü r die Verbindung des ersten mit den anderen Teilen des Psalms vgl. ζ. B. auch v. 4 mit v. 26, ΠΧ1Φ in v. 8 (zweimal) u n d in v. 17 (übrigens k o m m t dieses W o r t in den Psalmen nur noch in P s 63 10 vor). Der zweite und der d r i t t e Teil sind in verschiedener Hinsicht eng verwandt: Der Dichter fürchtet die Verleumdung der Feinde, siehe v. li.l5f. 20f., und ihre Schadenfreude, v. 15 f. 19.24-26; auch werden die Feinde in beiden Teilen mit reißenden Tieren verglichen, vgl. v. 15-17.21.25. Hier sei auch darauf hingewiesen, daß sich im A u f b a u der drei Teile eine gewisse Parallelität erkennen läßt. Der erste Teil besteht aus einem Gebet, v. 1-8 (mit einer Klage in v. 7), u n d einer Äußerung der Erhörungsgewißheit, v. 9 f.; der zweite Teil aus einer Klage, v. 11-16, einem Gebet, v. 17, und einer Äußerung der Erhörungsgewißheit, v. 18; der dritte Teil aus einem einleitenden Wunsch, v. 19, einer Klage, v. 20 f., einem Gebet, v. 22-27, u n d einer Äußerung der Erhörungsgewißheit, V. 28. Der A u f b a u des Psalms stellt uns vor ähnliche Fragen, wie sie bereits bei Ps 31 behandelt wurden, u n d m. E. müssen hier auch ähnliche Antworten gegeben werden. Der Psalm muß als eine Einheit ausgelegt werden, obschon die Möglichkeit, daß v. l-io ursprünglich ein selbständiger Psalm waren, nicht ausgeschlossen zu werden braucht 3 . 2

Siehe v. 23.24a, p"7!T in v. 27 und v. 28, auch v. 20-22 (siehe noch z. St.). Hier sei noch die folgende Möglichkeit angedeutet. E s spricht viel für die Annahme, daß der Dichter keine Privatperson war; v. 1-3 passen, wörtlich 3

Psalm 35

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Durch die Verwendung von im Kultus ausgebildeten Formen drückt der Dichter die Bewegtheit aus, die das Glaubensleben kennzeichnet. Da ist der Übergang von Bitte und Klage zu Dank (in Ps 31 zweimal, hier sogar dreimal), da ist auch die Rückwendung von Dank und Lob zu erneuten Klagen. Die Gelübde des Danks haben im Ganzen die Funktion kräftiger Beweggründe des göttlichen Einschreitens. Siehe für diese Erscheinungen die Behandlung von Ps 31, wo auch auf jene Erscheinung hingewiesen wurde, daß die Klage im ersten Teil einen kleinen Raum einnimmt, siehe v. 7, und sich im weiteren Verlauf des Psalms breit entfaltet. Dieser Psalm hat einen ausgesprochen „direkten" Charakter. Nur eins beschäftigt den Dichter: die Bekämpfung durch die Feinde. Und darüber spricht er. Er klagt nicht über seine körperliche Verfassung, über seine Sünden, nicht darüber, daß er von Gott verlassen ist; er klagt über das Tun der Feinde, siehe v. 7.11-16.20 f. Er beruft sich nicht darauf, daß er auf Jahwe vertraut, daß er das Heiligtum jiebhat usw. Außer den genannten Klagen und den Dankgelübden, v. 9 f. 18.28, enthält dieser Psalm nur Gebete, in denen der Dichter bittet, Jahwe möge gegen seine Feinde einschreiten, nicht zulassen, daß sie über ihn frohlocken, sie zuschanden werden lassen, v. 1-8.17.19. 22-26; erst in v. 27, siehe auch v. 20, nennt er seine Anhänger. Zwar herrscht in diesem Psalm eine gewisse Breite, daneben aber kommt in ihm auch Ungeduld zum Ausdruck; man beachte außer dem erwähnten direkten Charakter der Aussagen (der besonders in v. 1-10 hervortritt) auch v. 17.23. Nachstehend wird darauf hingewiesen, daß verschiedene Wörter in diesem Psalm öfter als einmal gebraucht werden, siehe zu v. l. 5b-6b. 6. 7 f. 9. 10. 15. 19. 21 ο - 22 a. 24-27. 28. Wie sich versteht, ist der Ausdruck „Stil der Wiederholung" in dem einem Fall eher am Platze als in dem anderen Fall. I. V. l-io. Der erste Hauptteil dieses Psalms hat einen sehi eindringlichen Klang. Die direkte Klage, die Schilderung des Elends, die in vielen Klagepsalmen, wie auch im weiteren Verlauf dieses Psalms, einen breiten Raum einnimmt, kommt nur in v. 7 vor; siehe bereits oben. Der Dichter beginnt nicht mit einer Einleitung, in der er um verstanden, nur in den Mund eines Königs. Eine Möglichkeit wäre etwa, daß der König von ausländischen Feinden bedrängt wurde und infolgedessen innerisraelitische Spannungen entstanden. V. 1-10 bezögen sich dann besonders auf die ausländischen Feinde, v. 11-28 auf die Gegner im eigenen Lande.

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Ι Π . Spezieller Teil

Jahwes Aufmerksamkeit bittet; er fällt vielmehr mit der Tür ins Haus und bittet Jahwe ohne Umschweife, gegen seine Feinde einzuschreiten. Dabei spricht er eine energische Sprache. In v. 1-8 steht eine dramatische Schilderung mit einer deutlichen Klimax; vgl. § 19. Zunächst gebraucht der Dichter das allgemeine Wort „streiten", danach das konkretere Wort „kämpfen", „Krieg führen". Die Feinde stürmen heran; sie kämpfen gegen den Dichter, v. l, verfolgen ihn, v. 3, suchen seine Seele und führen Böses gegen ihn im Schilde, v. 4. Der Dichter bittet, Jahwe möge zu den Waffen greifen - zunächst werden die Verteidigungs -, v. 2 a, dann die Angriffswaffen, v. 3a, genannt — und ihm die Gewißheit der Befreiung geben, v. 3c. d4. Nun ist alles für den Kampf bereit. Der Dichter betet, daß die Feinde besiegt werden mögen. Er gebraucht wiederum zunächst allgemeine Wörter, „beschämt werden" usw., dann den konkreteren Ausdruck „zurückweichen", v. 4. Während der Engel Jahwes seine Hiebe austeilt, stieben die Feinde auseinander wie die Spreu im Wind, v. 5. Der Engel Jahwes verfolgt sie. Die Feinde fliehen im Dunkeln — so betet der Dichter — auf einem Wege, auf dem sie jeden Moment auszugleiten drohen; auf einer Flucht vor menschlichen Verfolgern kann die Dunkelheit Rettung bringen, vgl. Jos 1012 f , auf der Flucht vor dem Engel Jahwes aber macht die Dunkelheit die Situation nur um so schreckenerregender; v. 6. In v. 8 steht die entscheidende Verwünschung: der Untergang möge über die Feinde kommen; es ist wohl kein Zufall, daß der Dichter gerade dieser Verwünschung eine Begründung vorausschickt, v. 7. V. 9 f. schließen diesen Teil mit dem Gelübde eines Danklieds ab. A: V. 1-3 enthalten eigentliche Bitten. Zunächst gebraucht der Dichter 2Ή , dann ΒΠ1? ; eigenartig ist, daß „kämpfen" in v. 2 ff., „streiten" in v. n ff. breit ausgemalt wird; man könnte hier, ebenso wie bei Ps 18j (siehe dort), von Chiasmus sprechen; vgl. § 29. Durch den zweimaligen Gebrauch von I"1") und ΟΠ1? wird die Vorstellung hervorgerufen, daß das Tun Jahwes das Spiegelbild des Tuns des Menschen ist; siehe zu Ps 182e f . Hier läßt sich eine ähnliche Feststellung machen wie an anderen Stellen (vgl. § 12b. 17): durch die Verwendung des Stils der Wiederholung bringt der Dichter zum Ausdruck, wie „rational" seine Bitte ist. 4

Vor dem K a m p f wurde des öfteren ein Grottesspruch vernommen; wir können sagen, d a ß der E m p f a n g eines solchen Gottesspruchs ebensogut zu den Kampfvorbereitungen gehörte, wie die Beschaffung der nötigen Waffen; siehe ferner ζ. B. K r a u s z. St.

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Β: Υ. 4-6. Den eigentlichen Bitten folgen nunmehr Wünsche und Verwünschungen, v. 4-6.8, siehe § 52. Zwischen v. 4a.b und v. 4c.d, zwichen v. 5 und v. 6 hegt externer Parallelismus vor. Es besteht eine große Übereinstimmung zwischen v. 5b und v. 6b, wodurch die Unerbittlichkeit des Einschreitens von Jahwes Engel besonders hervortritt. Das Wort npbp^n in v. 6 ist sehr plastisch. Der Dichter bittet, daß die „Verfolger", v. 3, „verfolgt" werden mögen, v. 6. C: V. 7.8 enthalten eine Klage und eine Verwünschung, siehe bereits oben. Während v. 1-6 eine deutliche Kriegssprache sprechen, wird hier eine Terminologie gebraucht, die eher an die Jagd denken läßt. Indessen paßt v. 8a völlig in die Vorstellungswelt von v. 6: Der Engel Jahwes möge die im Dunkeln fliehenden Feinde unversehens Treffen. V. 8b schließt sich an v. 7 an, v. 8c vereinigt die Gedanken von v. 8a und 8b. Ganz unverkennbar ist der Stil der Wiederholung in v. 7f.; DJn » JtttD, n t f - , , HXIttf werden zweimal gebraucht. Dies verleiht dieser Perikope einen sehr nachdrücklichen Charakter. Im Hintergrund dieser Verse steht offenbar der Gedanke des ins talionis; die Wiederholung von „verbergen des Netzes" unterstreicht diesen Gedanken, anders gesagt: sie betont den „rationalen" Charakter dessen, worum der Dichter bittet; vgl. § 17. Vielfach werden in v. 7 Textänderungen vorgenommen; in der Gedrängtheit des Stils kann sich jedoch die Gemütsbewegung des Dichters äußern. In diesem Zusammenhang kann auch auf das Fehlen eines parallelen Stichos nach v. 8a hingewiesen werden, vgl. § 7. Bemerkenswert ist, daß in v. 8, der letzten Verwünschung, von dem Feind im Singular gesprochen wird; vielleicht soll damit gesagt werden: alle Feinden mögen zusammen untergehen wie ein einziger Mann. Vor allem das zweimalige Ε|Π in v. 7 stellt eine Verbindung zwischen v. 1-10 und dem übrigen Teil des Psalms her. D: V. 9.10 schließen den ersten Teil mit einer Äußerung der Erhörungsgewißheit ab. Der Übergang ist nicht plötzlich. Man bedenke u. a. folgendes: V.9 gebraucht zwar Imperfekte und die Verbalformen ΗΝΏΓ) usw. in v. 8 werden als Jussive zu betrachten sein; grammatisch aber können "Π usw. auch Imperfekte sein, und es ist die Frage, ob bzw. in welchem Maße der Israeht in einem Fall wie diesem das Dilemma „Imperfekt oder Jussiv" empfand; siehe auch zu v. 18 und vgl. § 56. Der Dichter kündigt an, daß er ein Danklied singen wird. Das Dank lied, das er im voraus anstimmt, hat die Form einer Hymne. kommt in diesem Psalm auffallend oft vor, siehe v. 3.4.7.9.12.

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III. Spezieller Teil

13.17.25. Vielleicht stellt der Dichter dieses Wort absichtlich mit Nachdruck an den Beginn dieser Perikope, so daß sich seine Absicht folgendermaßen umschreiben ließe: „Meine Seele, die von den Feinden so bedrängt wird, sie wird jubeln usw." Das Wort njHti*1 in v · 9 spricht davon, daß Jahwe sein Wort gehalten hat, siehe v. 3. Das zweimalige "ij? in v. 10 macht die Aussage nachdrücklicher; es besteht kein Grund, das zweite ijy zu streichen, wie viele tun; vgl. § 18a. I n v. 9.l0a.b finden wir eine häufig vorkommende Form desParallelismus: die drei ersten Stichen sagen dasselbe mit anderen Worten, der vierte Stichos f ü h r t ein neues Element ein; siehe § 43a. II. V. 11-18. Dieser Teil besteht aus einer Klage, v. 11-16, einem Gebet, v. 17, und einer Äußerung der Erhörungsgewißheit, v. 18. A: V. 11-16. Im Unterschied zum ersten Teil nimmt die Klage im zweiten Teil einen breiten R a u m ein. Es ist, als habe der Dichter, nachdem er sich in die künftige Errettung versenkt hat, v. 9 f., das Bedürfnis, sein gegenwärtiges Elend vor Jahwe breit auszumalen. Man beachte denplötzlichenÜbergang von v. 9 f. zu v. n ff.. Der Dichter h a t in seinem vorausgreifenden Danklied davon gesungen, daß Jahwe den Elenden seinem Berauber entreißt. Wie aber ist die Lage, in der sich der Dichter befindet?: „Frevelhafte Zeugen stehen auf." Siehe auch zu Ps 3 1 1 0 f f . In der Klage erhalten die Grundlosigkeit der Feindschaft, die Undankbarkeit der Feinde starken Nachdruck. Der Israelit war zutiefst davon überzeugt, daß die Regel „Wer das Gute tut, wird das Gute erfahren" zu gelten habe; vgl. § 66. So muß eine „irrationale" Handlungsweise wie die der Feinde, siehe vor allem v. 13-16, den Dichter als etwas Ungereimtes, als ein Verhalten, durch das die „Grundpfeiler zerstört werden" (Ps 113), besonders schockiert haben. Auch bei diesen Versen können wir von einer Klimax sprechen, siehe zu v. l-io. V. ll spricht von unbegründeten Anschuldigungen. V. 12 drückt sich stärker aus: Die Feinde vergelten dem Dichter Gutes mit Bösem. Dies ist eine allgemeine Aussage, die in v. 13-16 besondert wird. Auch in v. 14 f. läßt sich eine Klimax erkennen(für v. 14 vgl. § 19). Es sei noch auf einige Details hingewiesen. V. 13c erhält durch das Fehlen eines parallelen Stichos einen besonderen Akzent; vgl. § 7. Das zweimalige pjDK in v. 15 stellt ein deutliches Beispiel f ü r Stufenrhythmus dar. Zu TlJ}Y üb in v. 15 vgl. v. ll, auch v. 8. Bei lJHp in v. 15 denken viele an Textkorruption; es ist jedoch möglich, daß es sich hier um ein Wortspiel handelt; JHp bezeichnet gewöhnlich das Zerreißen der Kleider als Zeichen der Trauer; hier wird gesagt: Als die Feinde in Not waren, „zerriß" der Dichter, nämlich seine Kleider, vgl. v. 13 f.;

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jetzt, da ihn das Unglück getroffen hat, „zerreißen" auch sie, nicht aber ihre Kleider, sondern den Dichter; vgl. § 12b. Β: V. 17. Der langen Klage in ν. n - i e folgt eine direkte Bitte. Im Unterschied zum ersten und dritten Teil ist diese Bitte kurz, nichtsdestoweniger jedoch kräftig und dringend. V. a enthält einen ungeduldigen Ausruf, der durch das Fehlen eines parallelen Stichos gesteigerten Nachdruck erhält. Es wäre falsch, zu meinen, daß der Dichter sich von einer spontanen Aufwallung zu diesem ungeduldigen Ausruf hinreißen läßt. Dafür ist der Aufbau dieses Psalms zu wohlüberlegt. Auch hat ein Ausruf wie dieser etwas Stereotypes an sich, vgl. Ps 132 f usw. Andrerseits besteht kein Grund, zu bezweifeln, daß sich hier eine heftige Gemütsbewegung äußert. Der Dichter hat sich eingehend in das von Undankbarkeit zeugende, herzlose Tun seiner Feinde vertieft, das ihn immerhin zu dem Ausruf: „Herr, wie lange wirst du zusehen?" führen konnte. V.b.c weisen Alliteration und Assonanz auf; vgl. § 16a. C: I n v. 18 äußert sich die Gewißheit der Erhörung. Es besteht ein deutlicher Gegensatz zwischen der Einsamkeit, über die der Dichter geklagt hat (siehe besonders ΤΠΤΡ , das letzte Wort in v. 17), und dem Umringtsein von einer gewaltigen Schar, das ihm vor Augen steht. Es ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob "[TIN als Imperfekt oder als Kohortativ aufgefaßt werden muß; siehe zu v. 9 f. Auf jeden Fall ist der Übergang von v. 17 zu v. 18 plötzlicher als der von v. 8 zu v. 9 f. I I I . V. 19-28. Formal gesehen enthält dieser Teil einen Wunsch v. 19, Klagen v. 20f., Gebete v.22-24a, Wünsche v.24b-27 und eine Ankündigung des Dankes v. 28. I n diesen Versen nehmen somit die Wünsche und die Gebete einen breiten, die Klagen nur wenig Raum ein; ebenso verhält es sich in v. 1-10; in v. 11-18 ist das Verhältnis umgekehrt. Der Ton ist vielleicht etwas weniger energisch als in v. 1-10. Dennoch hat das Gebet auch hier einen drängenden Charakter, den es sowohl den vielen Jussiven und Imperativen als auch den vor allem in v. 22 f. gebrauchten krassen Ausdrücken verdankt. V. 19 hat den Charakter einer Einleitung. I n den Klagen von v. 20 f. wird das Tun der Feinde beschrieben. I n v. 22-27 bittet der Dichter Jahwe, er möge seine Rechtssache führen (v. 22-24a), den Feinden nicht Freude, sondern Schande schenken (v. 24b-26) und seinen Anhängern Grund zu jubeln geben (v. 27). Anschließend erfolgt die Ankündigung des Dankes, v. 28. Ebenso wie ν. l ff. und v. 11 ff. bilden auch v. 22-27 eine Klimax;

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sie läßt sich sowohl in v. 22-24a als in v. 24b-26, wie auch in v. 22-27 als Ganzem erkennen; siehe noch unten. A: V. 19. Der Dichter beginnt diesen neuen Teil mit der Äußerung eines Wunsches; vgl. v. 24b.25. In diesem einleitenden Wunsch spricht er von zwei Dingen, die ihm sehr zu Herzen gehen: von der Grundlosigkeit der Feindschaft und von der Gefahr, daß die Feinde frohlocken werden. Das Wort ntttP hat in diesem Psalm eine wichtige Funktion; es kann gesagt werden, daß die große Frage in diesem Psalm lautet: wer wird frohlocken, die Feinde oder der Dichter und seine Anhänger ? V g l . v . (9.) 15.19.24.26.27.

Der Übergang vom zweiten zum dritten Teil ist weniger unvermittelt als der vom ersten zum zweiten Teil (siehe zu v. 11-16), zumal, wenn man die Verben in v. 18 als Kohortative auffaßt. Übrigens kann natürlich wohl von einem Gegensatz zu v. 18 gesprochen werden: Der Dichter hatte sich dort bereits in den Augenblick versetzt, in dem er einen frohen Dankpsalm singen wird; in Wirklichkeit aber droht die Gefahr, daß die Feinde ein Triumphlied singen werden; diese Gefahr möge Jahwe abwenden. B : Dem einleitenden Wunsch in v. 19 folgt eine Klage, v. 20 f., v g l . V. 7.11-16.

C: V. 22-27 enthalten ein Gebet; für die Einteilung dieses Gebets siehe bereits oben. Der Ausruf „du hast gesehen" in v. 22, der offensichtlich auf „unser Auge hat gesehen" in v. 21 zurückgreift 5 , kann als die Achse, um die sich v. 19-28 drehen, bezeichnet werden. Namentlich das Gebet von v. 22-24a hat einen dringenden Charakter, den es verschiedenen Faktoren verdankt. Der Dichter gebraucht krasse Ausdrücke. E r spricht kurze, rasch aufeinanderfolgende Aufforderungen aus. Im Unterschied zu den vorhergehenden Gebeten werden hier verschiedene Gottesnamen gebraucht, denen in v. 23 f. „mein" hinzugefügt wird. V. 22 spricht negativ, v. 23 positiv. In der Bitte von v. 24a finden v. 22-24a ihren Höhepunkt: diese Bitte hat im dritten Hauptteil des Psalms eine zentrale Stellung.

5

Das Fehlen eines Objekts zu ΠΝ"Ί verlebendigt die Ausdrucksweise, stellt tins jedoch vor die Frage, was als Objekt hinzugedacht werden muß. Μ. E . muß in v. 21 ergänzt werden: „seine Übeltaten", in v. 22: „wie mein Leben ist, wie die Feinde sich grundlos gegen mich gekehrt haben"; siehe ζ. B . Schmidt, Kraus.

Psalm 36

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V . 24b-27 ä u ß e r n W ü n s c h e , die d i e F o l g e n v o n G o t t e s richterlichem E i n s c h r e i t e n , v . 24a, s c h i l d e r n ; d e r e r s t e W u n s c h i s t e i n e W i e d e r a u f n a h m e d e s W u n s c h e s , m i t d e m d e r d r i t t e Teil d e s P s a l m s b e g i n n t , v . 19a. A u c h h i e r l ä ß t s i c h e i n e d e u t l i c h e K l i m a x e r k e n n e n : d e r D i c h t e r w ü n s c h t , d a ß d i e F e i n d e sich n i c h t seines F a l l s f r e u e n , v . 24b.25 ( d a b e i s p r i c h t v . 25 k o n k r e t e r als v . 24b), s o n d e r n v i e l m e h r s e l b s t z u s c h a n d e n w e r d e n , v . 26, u n d d a ß d i e F r e u d e s e i n e n A n h ä n g e r n , v . 27, u n d i h m s e l b s t , v . 28, b e s c h e r t w e r d e n m ö g e . N i c h t z u l e t z t i n v . 24b-27, s i e h e a u c h b e r e i t s v . 19, f ä l l t u n s e i n e gewisse B r e i t e a u f , d i e ü b r i g e n s d e r D r i n g l i c h k e i t d e s G e b e t s k e i n e n A b b r u c h t u t . M a n s i e h e ζ . B . d i e H ä u f u n g v o n W ö r t e r n i n v . 26: t ^ i i , ~|ΒΠ , , n t t S s . I s t d i e V e r w a n d t s c h a f t z w i s c h e n d e r e r s t e n (v. 4) u n d d e r l e t z t e n (v. 26) V e r w ü n s c h u n g d e r F e i n d e z u f ä l l i g ? " ß K s t e h t i n v . 25 (zweimal) u n d i n v . 27; d e r P s a l m l e g t g r o ß e n N a c h d r u c k d a r a u f , daß die Feinde einen gottlosen Gebrauch von ihrer Zunge machen, s i e h e v.21.25 u s w . ; d e r D i c h t e r u n d d i e S e i n e n g e b r a u c h e n i h r e Z u n g e , u m G o t t z u l o b e n , s i e h e v . 10.27.28. S i e h e d a s z w e i m a l i g e i n v . 26 f.: d i e F e i n d e m a c h e n sich g r o ß , G o t t i s t g r o ß . D a s z w e i m a l i g e rttttP i n v . 26 f. d i e n t w o h l d e r U n t e r s t r e i c h u n g d e s G e g e n s a t z e s z w i s c h e n d e n F e i n d e n u n d d e n A n h ä n g e r n des D i c h t e r s ; s i e h e ü b e r pttttP a u c h b e r e i t s z u v . 19. A u c h d e r z w e i m a l i g e G e b r a u c h v o n ^ΒΠ i n v . 27 k a n n schwerlich als rein zufällig gelten: die A n h ä n g e r des D i c h t e r s finden, i m G e g e n s a t z z u d e n F e i n d e n (siehe v.26 u s w . ) , a n d e r R e c h t f e r t i g u n g d e s D i c h t e r s G e f a l l e n , v . 27a; d a m i t s t e h e n sie a n d e r S e i t e J a h w e s s e l b s t , v . 27c. D e r r i ^ v o n J a h w e s K n e c h t w i r d h e r b e i g e f ü h r t (v. 27), d e m W i d e r s t a n d d e r F e i n d e z u m T r o t z (v. 20). D : A m Schluß ä u ß e r t der D i c h t e r wiederum seine Gewißbeit d e r E r h ö r u n g . H i e r b e s t e h t n o c h w e n i g e r G r u n d als b e i v . 9 f., s i e h e dort, von einem plötzlichen Übergang zu sprechen. B e m e r k e n s w e r t ist der G e b r a u c h v o n p l j f a m Schluß dieses P s a l m s . D e r D i c h t e r b e r u f t s i c h a u f d e n p u t J a h w e s , v . 24; n a c h d e r E r h ö r u n g w i r d e r d e n n a u c h J a h w e s pi2f p r e i s e n , v . 28®; a b e r i n d e r E r r e t t u n g w i r d n i c h t n u r J a h w e s p u t , s o n d e r n a u c h d e r plJf d e s D i c h t e r s o f f e n b a r , v . 27.

* In ähnlichem Zusammenhang steht in v. 9 „Befreiving"; dieses Wort dürfte einen Rückgriff auf „Befreiung" in v. 3 darstellen.

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I I I . Spezieller Teil

Psalm 36 V. 2-5||θ f.18—10II 10-13 2 — 2—2—2—3112 — 2 —1|3 —2— 2||2 — 2—2 Wir stehen hier vor einer ähnlichen Frage wie bei Ps 14: Ist dieser Psalm eine Ankündigung des Gerichts und der Bestrafung der Sünden, in der auch einige Bitten, v. ll f., einen Platz haben, oder sind die Bitten das eigentliche Hauptanliegen dieses Psalms ? Μ. E. verdient hier das letztere den Vorzug. Bei der nachstehenden Behandlung gehe ich denn auch von dieser Auffassung aus, der zufolge der Psalm als ein Klagelied eines einzelnen bezeichnet werden kann. Er besteht aus einer Schilderung des Gottlosen, v. 2-5, einer Hymne, v. 6-10, und einem Gebet mit einer Äußerung der Erhörungsgewißheit, y. 11-13. 8-6. Der Dichter beginnt sein Gebet mit einer Schilderung des Gottlosen, siehe ferner zu v. 6-10. H-13. Bei v. 2 f. erheben sich schwierige Fragen. Es muß sicher mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß die massoretische Überlieferung (die hier übrigens nicht völlig einstimmig ist) nicht den ursprünglichen Text dieser Verse bietet; in diesem Falle lassen sich diese Verse m. E. auch nicht mit genügender Sicherheit rekonstruieren. Hält man sich an den MT, so sind v. 2 f. m. E. am besten folgendermaßen zu übersetzen: 2

Ein Spruch über die Übertretung 1 , die der Gottlose begeht 2 , ist im Innern meines Herzens 3 : Kein Schrecken Gottes 4 ist vor seinen Augen.

1 JJtt^B m u ß m. E . mit König, Schmidt u. a. als Genitiv des Objekts aufgefaßt werden. 2 F ü r die dieser Übersetzung zugrunde liegende Auffassung des ^ vgl. Gesenius-Kautzsch, § 129b. König übersetzt: „Eine Enthüllung über die Rebellion ist (erschallt) f ü r den Gottlosen in meinem Herzen"; ähnlich Schmidt; ein Einwand gegen diese Übersetzung ist, daß der Gottlose im folgenden nicht angeredet wird. 3 Der I n h a l t des Spruches ist bis in den Kern des Daseins des Dichters gedrungen, vgl. ζ. B. Jer 1516 E z 3 , _ , . 1 Dieser Ausdruck h a t die zwei ineinanderübergehenden Bedeutungen „der von Gott bewirkte Schrecken", I Sam 11 7 usw., und „die von Gott ausgehenden schrecklichen Taten", J e s 2 10 usw.; die letztere h a t m. E . hier das Übergewicht. Viele übersetzen: „Schrecken, F u r c h t vor G o t t " ; dagegen spricht der Zusammenhang und die Bedeutung, die dieser Ausdruck andernorts h a t . Die Bedeutung von v. 2c.d kann m . E . folgendermaßen umschrieben werden: der Gottlose wird einstweilen nicht vom göttlichen Gericht getroffen, er erfährt d a s Gericht nicht, er h a t kein Auge dafür, daß andere Gottlose wohl v o m Gericht

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Psalm 36 3

Denn er schmeichelt ihm, in seinen (eigenen) Augen, auf daß er seine Missetat nicht finde und hasse 5 .

Mir scheint es am richtigsten, v. 2a.b als die Überschrift des Psalms zu betrachten®. Bei der Beschreibung des Gottlosen kommt der Dichter sofort auf den Kern der Sache, vgl. Ps 14 la b. Der Gottlose vergegenwärtigt sich nicht, daß er vom „Schrecken Gottes", vom göttlichen Gericht getroffen werden wird. Die Erklärung der im Grunde ungereimten Tatsache, daß der Gottlose seine Ungerechtigkeiten unbekümmert begeht und begehen kann, liegt darin, daß ihm der Schrecken Gottes nicht vor Augen steht, v. 2c.d. Der Gottlose meint, Gott mit schönen Worten oder auch mit Opfern zufriedenstellen, beschwichtigen zu können, v. 3. Durch das zweimalige vyj? in v. 2 f. wird unterstrichen, daß der Gottlose nur in dem lebt, was seine Augen sehen. Da der Gottlose nicht mit dem göttlichen Gericht rechnet, v. 2c.d. 3, begeht er Übertretungen in seinen Worten, Gedanken und Taten, getroffen werden, u n d vergegenwärtigt sich nicht, daß es auch über ihn hereinbrechen wird. Vgl. ζ. B. L. A. F . le Mat, Textual Criticism and Exegesis of Psalm X X X V I , 1957, 9 f. ®V. 3b heißt wörtlich: „mit Bezug auf das Finden seiner Missetat, das Hassen (der Missetat)". 6 Vor allem, wenn m a n davon ausgeht, d a ß der Psalm in. seinem K e r n ein Gebet ist, k a n n es befremden, daß er ein OK} genannt wird. Zu bedenken ist jedoch zunächst, daß die Abfassung von Liedern zur E h r e Gottes, vor allem von kultischen Liedern, u n d ihr Vortrag im AT als etwas der Prophetie Verwandtes gilt; siehe mein Buch De Psalmen, I 45 f. Sodann — dies h ä n g t m i t dem ersten auf das engste zusammen — wie immer m a n den Psalm auffaßt, m a n m u ß anerkennen, daß jedenfalls Aussagen wie die in v. 2c.d und v. 13 eine wichtige Rolle in ihm spielen. — Übrigens m u ß hierbei im Auge behalten werden, daß es nicht feststeht, ob der Psalm in seinemKern ein Gebet ist. Aus den Darlegungen des vorigen Abschnitts — so k a n n hinzugefügt werden — geht hervor, daß die Auffassung, der zufolge der Psalm in seinem K e r n ein Gebet ist, u n d die andere Auffassung, nach der die Ankündigung des Gerichts und die Bestraf u n g der Sünden den K e r n des Psalms darstellen, einander nicht zu scharf gegenübergestellt werden dürfen. Dies gilt πτη so mehr, wenn man, was m. E . zu empfehlen ist, annimmt, daß das „ I c h " , siehe v. 12, nicht das einer Privatperson ist; es k a n n das „ I c h " eines Königs sein, auch wohl ζ. B. das eines kultischen Propheten, vgl. H a b 3 18 t u. a. — W a s die F u n k t i o n des QK3 angeht, sei schließlich noch bemerkt: Meint man, der Psalm müsse als ein Gebet betracht e t werden, und hält m a n f ü r wenig wahrscheinlich, daß ein Gebet als D ) 0 charakterisiert wird, so ist die folgende Betrachtungsweise möglich: V. 2a.b sind nicht die Überschrift des Psalms; der I n h a l t des in v. 2a.b erwähnten QVj findet sich in v. 2c. d. Eidderboa, Psalmen

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III. Spezieller Teil

v. 4 f. Hier werden sehr allgemeine Ausdrücke gebraucht. Vielleicht kann gesagt werden, daß v. 4a und v. 5a (siehe u. a. das zweimalige pN), v. 4b und v. 5b (siehe u. a. das zweimalige Sto1*) zusammengehören, während v. 5c, der als alleinstehender Stichos einen besonderen Akzent trägt, einen abschließenden Charakter hat. II. V. 6-10. Wie mit einem Ruck wendet der Dichter seinen Blick nun von dem Gottlosen ab und richtet ihn auf Gott. Er bereitet sein Gebet nicht nur durch eine Schilderung des Gottlosen vor, sondern auch durch ein Loblied. Vielleicht waren v. 6-10 ursprünglich eine selbständige Hymne, sie liegen uns jedoch als ein Teil von Ps 36 vor. Wir müssen v. 6-10 in erster Linie nicht als eine Fortsetzung von v. 2-5, sondern als eine Vorbereitung von v. 11 f., als einen Beweggrund für das Gebet, betrachten. So läßt sich erklären, daß in ν. 6-io viel mehr Nachdruck auf den Wohltaten liegt, die Jahwe schenkt, als auf den Strafen, die er auferlegt. Übrigens bestehen auch zwischen v. 6-10 und v. 2-5 mancherlei Verbindungen. So wird der Dichter in v. 6-10 einen Gegensatz zu v. 2-5 schaffen wollen: es besteht ein Gegensatz zwischen dem Tun des Gottlosen, siehe v. 4 f., und dem Tun Jahwes und ebenfalls zwischen der Vorstellung, die der Gottlose von Jahwe hat, v. 2 f., und Jahwes Handeln, wie es in Wirklichkeit ist. Gerade die Tatsache, daß die Hymne gleichzeitig verschiedene Funktionen hat, macht ihre Aussagen inhaltschwer. Hier sei noch darauf hingewiesen, daß die Hymne von v. 6-io sehr kräftig unterstreicht, wie schlimm das Treiben des Gottlosen ist. Wie immer wir diese Verse auslegen (siehe unten), der Inhalt der Hymne ist doch wohl recht verschieden von dem, was wir erwarten würden. Aber das bedeutet keineswegs, daß sie sich nicht in den Zusammenhang fügt. Um nur dies zu nennen: Der Dichter singt in v. 7c: So groß ist die Gunst Jahwes, daß sie Mensch und Tier Lebensraum gibt. Dies ist ein mächtiger Beweggrund für das Gebet von v. n f.: der Gott, der so reich an Gunst ist, kann doch die, die ihn kennen, nicht umkommen lassen? Zusammenfassend können wir sagen: die hier besungenen Tugenden Gottes verbürgen die Bestrafung der Gottlosen und die Befreiung derer, die geraden Herzens sind. Die Bedeutung dieser Hymne und der Zweck, den der Dichter mit ihr verfolgt, dürften im wesentlichen deutlich sein. Bei mehreren Details aber ergeben sich Schwierigkeiten. Μ. E. spricht viel dafür, daß im Hintergrund dieser Hymne eine oder mehrere alte israelitische (oder nichtisraelitische) Hymnen, Epen oder Überlieferungen welcher Art auch immer stehen, die etwa von der Sintflut handelten. Siehe ferner unten.

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Psalm 36

V. 6 . 7 a . b . Im ganzen stellt der Dichter viermal eine Verbindung zwischen den Tugenden, dem Handeln Jahwes und einem großartigen Teil der Schöpfung her, nämlich dem Himmel, den Wolken, den Bergen und der großen Wasserflut. Der in v. 6 genannte Himmel und die Wolken gehören zusammen, und für das Empfinden des Israeliten gilt dasselbe von den in v. 7 genannten Bergen und dem Weltenmeer: das Fundament der Berge liegt im Weltenmeer. I n v. 6a wird die Verbindung durch 2 , in v. 6b durch 1}?, in v. 7a durch 2 hergestellt, während in v. 7b eine Verbindungspartikel fehlt; hierin läßt sich eine Klimax erkennen. Daneben wird eine gewisse Abwechslung dadurch bewirkt, daß v. 6 chiastisch, v. 7 nicht chiastisch aufgebaut ist. Alle vier Aussagen sollen den Leser davon beeindrucken, wie ehrfurchtgebietend, wie allesumfassend Gottes Tugenden sind. Aber damit ist noch nicht alles gesagt. I n v. 6 soll ausgedrückt werden: In der Existenz des Firmaments, das die Gewässer voneinander scheidet und so die Erde bewohnbar macht, offenbart sich Gottes Gunst, siehe auch unten; dadurch, daß Gottes Zuverlässigkeit bis zu den Wolken reicht, geben diese zur rechten Zeit fruchtbarmachenden Regen, wird aber das Wasser nicht wieder, wie bei der Sintflut, alles Leben auslöschen, vgl. Gen 9 1 1 _ 1 7 . V. 7a soll auf die Unerschütterlichkeit von Gottes Gerechtigkeit hinweisen; in v. 7b wird die Rede von der Wasserflut sein, da Gott sich ihrer bei seinen Gerichten bedient; hierdurch kann auch das Fehlen von 3 erklärt werden. Es ist reizvoll, anzunehmen, daß diese vier Aussagen sich — wenigstens ursprünglich — auf die Ezählung von der Sintflut beziehen. Bei der Sintflut überschwemmten die Wasser der ΠΙΠΠ, ν. 7, die Erde, siehe Gen 71X 8 2 . Bei v. 6 könnte dann insbesondere an den Regenbogen gedacht werden; für v. 6b siehe bereits oben. Über „Berge" in v. 7 siehe ζ. B. Gen 8 4 . Siehe auch zu v. 7c. V. 7c muß m. E. zu v. 6 . 7 a . b gezogen werden; es handelt sich dann wieder um einen alleinstehenden Stichos, siehe zu v. 5c, vgl. auch v. 8a, siehe unten. Dadurch, daß Jahwe, wie in v. 6 . 7 a . b angedeutet wird, die Schöpfung instand hält, daß er dafür sorgt, daß die Erde, die Gewässer, die Himmelskörper usw. auf ihrem Platz bleiben, daß er Sonnenschein und Regen schenkt usw., gibt er Mensch und Tier einen Lebensraum, die Möglichkeit zu leben. V. 7c spricht m. E. dafür, daß diese Perikope sich — wenigstens ursprünglich — auf die Sintflut bezieht 7 . ' Hengstenberg, Delitzsch u. a. verweisen bei v. 7c auf die Sintflut. Duhm, Gunkel, J. Ridderbos bestreiten die Berechtigung dieser Verweisung, m. E. 18*

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III. Spezieller Teil

V. 8-10. Mit beginnt der zweite Teil der Hymne. V. 7c spricht über das Gute, das Jahwe allen Menschen gibt, siehe auch zu v. 6.7a.b. Das kann dafür sprechen, daß auch v. 8-10 von Jahwes allen Menschen geltender Güte handeln. Dann aber muß man den Ausdrücken ,,im Schatten deiner Flügel", v. 8, und „dein Haus", v. 9, eine andere Bedeutung zusprechen, als sie im AT sonst haben. Die hierin gelegene Schwierigkeit könnte ein Zeichen d a f ü r sein, daß es sich bei dieser Perikope um eine Bearbeitung eines älteren Stoffes handelt. Es spricht m. E. viel dafür, v. 8 folgendermaßen zu übersetzen: Jahwe, wie köstlich ist deine Gunst; Götter lind Menschenkinder: im Schatten deiner Flügel bergen sie sich8.

Die Massoreten fassen Ο'Π^Ν offenbar als Vokativ auf. Der Ausdruck m x QViSx kann von einer polytheistischen Vorlage übernommen worden sein, was allerdings keineswegs notwendig ist. Der Dichter von Ps 36 kann mit diesem Ausdruck die Menschen aller Schichten von hoch bis niedrig gemeint haben 9 . Nach der von mir vertretenen Auffassung nennt v. 7 „Mensch und Tier", v. 8 „Götter und Menschenkinder" als Objekt der Sorge Gottes; man kann hier von einer Klimax sprechen. Mit „Schatten deiner Flügel" kann in der Vorlage die geflügelte Sonnenscheibe gemeint gewesen sein 10 . I n Ps 36 wird sich dieser Ausdruck, wie auch andernorts in den Psalmen, wohl speziell auf die Beschirmung beziehen, die Jahwe seinem Volk angedeihen läßt. Der Ausdruck „dein Haus" in v. 9a hatte in der Vorlage 11 vielleicht nur den Zweck, die Gottheit als Gastgeber zu bezeichnen; er kann jedoch auch eine speziellere, von uns nicht mehr zu ermittelnde

nicht mit Recht; die Rettung war bei der Sintflut sicher ein ebenso deutliches Zeichen der Tugenden Gottes wie der Untergang. 8 Vgl. L. A. F. le Mat a. a. Ο. 21 — 23, wo auf Jdc 9,; l 3 und den ugaritischen Text 51, VII, Z. 49—52 (Zählung Gordon) verwiesen wird. Le Mats Auffassung ist m. E. den wenig überzeugenden Konjekturen, die man gewöhnlich vorschlägt, bei weitem vorzuziehen. 9 Vgl. den Gebrauch von DTiSx P® f. 82 l e u. a. und von DIN in Ps 49 s 62 10 u. a. 10 Vgl. le Mat a. a. Ο. 23.99 (mit Verweisung auf die ugaritischen Texte 9, Z. 6; 76, II, Z. 10). 11 Zu bedenken ist, daß in v. 9 auf jeden Fall ein alter Stoff verarbeitet worden sein dürfte, siehe ζ. B. Gunkel zu „Lebensborn", Kraus zu „Bach deiner Wonnen".

Psalm 36

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Bedeutung gehabt haben12. „Das Haus Jahwes" bezeichnet an allen anderen Stellen des AT das Heiligtum; es kann schwerlich angenommen werden, daß der Dichter von Ps 36 nicht an das Heiligtum gedacht haben sollte. V. 9 f. nennen nacheinander: Haus, Bach, Quelle. Die Kombination von Haus und Bach finden wir auch in Ez 47 1 f f . Möglicherweise herrschte die Vorstellung, daß der in v. 9 genannte Bach der in v. 10 genannten Quelle entsprang. Stellen der Bach und die Quelle einen Gegensatz zu der „großen Wasserflut" in v. 7 dar? Siehe für einen ähnlichen Gegensatz Ps 104e f f . Der Ausdruck in v. 9 wird in irgendeiner Weise ein Nachklang der in Gen 2 10 skizzierten Vorstellung sein13. Mit „in deinem Licht" in v. 10 kann in der Vorlage sehr wohl das von der Gottheit ausstrahlende, das von ihr gegebene Sonnenlicht gemeint sein; siehe zu v. 8c. Für den Gebrauch dieses Ausdrucks in Ps 36 vgl. Ps 4, usw. Das „wir" in v. 10 bildet offensichtlich den Übergang zu v. l i f . Auch bei v. 8-10 ist es reizvoll, anzunehmen, daß diese Verse sich ursprünglich auf die Geschichte von der Sintflut beziehen. Sie würden dann auf die Rettung aus dem Gericht und auf den üppigen Reichtum anspielen, den „die neue Erde" nach der Sintflut gewährte. Die dunklen Wolken sind vorübergezogen; mehr denn je erblickt der Mensch im Strahlen der Sonne ein Zeichen von Gottes Gunst: „In deinem Licht sehen wir Licht", vgl. auch v. 8c. Vielleicht ist es im Hinblick auf v. 8b (siehe oben) sinnvoll, darauf hinzuweisen, daß Gen 6 2 von • " H e r r i n spricht14. III. V. 11-13. Der Dichter hat eine Schilderung des Gottlosen gegeben; dieser stört sich nicht an Gott und seinem Gebot. Danach hat er eine Hymne auf Gottes Tugenden gesungen. Sowohl durch das eine wie durch das andere, wie auch durch die Verbindung von

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Man denke ζ. B. an die wichtige Rolle, die das Haus Baals in der ugaritischen Literatur spielt. 13 Vgl. ζ. Β. H. Gressmann, Der Messias, 1929, 179 f., siehe auch bereits ζ. B. Hengstenberg z. St. 14 Es schien mir notwendig, v. 6-10 ausführlicher zu behandeln. Sollte die im vorstehenden mit allen Vorbehalten vorgetragene Hypothese richtig sein, so gilt: In der Vorlage hatte die Hymne einen straffen Aufbau mit einem deutlichen Gedankenfortschritt; durch die Neuinterpretation, die der Dichter von Ps 36 mit diesem Stoff vornahm, hat der Gedankenfortschritt — zwar nicht in ν. β f., wohl aber im Ganzen — gewissen Schaden erlitten.

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III. Spezieller Teil

beidem hat er ein starkes Fundament für das nun folgende Gebet gelegt; siehe noch zu v. 6-10. Groß sind die Tugenden Gottes; Mensch und Tier empfangen die Wohltaten ihres Wirkens. Es gibt aber Menschen, die in allem sein Gegenteil sind: er ist zuverlässig, sie sind unzuverlässig usw., v. 4f.; dabei meinen sie sogar, daß sie diesen großen Gott betrügen können, v. 3. Aber es gibt auch Menschen, die ihn kennen und anerkennen, v. IIa, die etwas von seinem Ebenbild aufweisen, v. lib. Nun drohen die Gottlosen über die Menschen, die geraden Herzens sind, zu triumphieren. Das kann Jahwe doch nicht dulden, er, dessen Gerechtigkeit ist wie die Berge Gottes usw. V. 11 bildet den Übergang. Wie die Hymne — naturgemäß — in allgemeinen Ausdrücken spricht, so ist auch dieser Vers allgemein gehalten. Die Worte,,Gunst, Gerechtigkeit" greifen deutlich auf v. 6 f. zurück. „Die dich kennen, die geraden Herzens sind" bezieht sich auf „wir" in v. 10. In v. 12 geht der Dichter vom Allgemeinen zum Besonderen über. Er sagt nun konkret, auf welche Offenbarung von Jahwes Gunst und Gerechtigkeit er hofft. In diesem Vers wird am deutlichsten ausgesprochen, welches Begehren ihn bei der Abfassung dieses Psalms erfüllt. Hier ist wieder von den Gottlosen die Rede. Wir können sagen, daß v. 11 vor allem auf v. 6-10, v. 12 vor allem auf v. 2-5 zurückgreift; kann hier von Chiasmus gesprochen werden? In v. 13 sieht der Dichter das künftige Gericht bereits vor sich. Dieser Vers spricht von der Erhörung seines Gebets, gibt die Antwort auf seine Fragen (siehe zu v. 2e.d). Für „Gottlose, Sünde" werden verschiedene Wörter gebraucht, v. 2-5.12; manche von ihnen werden öfter als einmal gebraucht, siehe ytih , v. 2.12, ρχ, V. 4.5.13 (siehe oben, auch bereits über H"_e'"—f""—e"" I (c-d)"'

Bei der Behandlung des Stils der Wiederholung in diesem Psalm sei zunächst auf folgendes hingewiesen: dreimal erklingt in diesem Psalm die Aufforderung "ΙΠΓΙΓΓ^Ν, v. l. 7. 8; hier ist zu bedenken, daß das hitp. von ΓΗΠ außer in Ps 37 nur noch in Prov 24 1 9 vorkommt. JJJ? wird in v. 4 und v. Ii gebraucht; dieses Wort kommt in den Psalmen sonst nicht vor. Mannigfach ist der Gebrauch von und jjt^ , siehe zu v. l - i i . Auffallend ist auch die Verwendung des Ausdrucks v. 9.11.22.29.34, der im Psalter außer in Ps 37 nur noch i n P s 25 1 3 44 4 (69 3e ) begegnet, siehe auch Ps 140 12 . Auch verwandte Wendungen werden gebraucht, so etwa „(in dem Land) wohnen", v. 3.27.29, Π^Γΰ , ν. 18. Das Subjekt zu „das Land in erblichem Besitz haben" wird in immer neuen Wendungen genannt: Der Dichter führt den Stil der Wiederholung nicht zu weit durch. Von den Ausdrücken mit entgegengesetzter Bedeutung muß vor allem ΓΠ3 genannt werden, siehe V. 9.22.28.34.38. Ausdrücke wie „gerecht", „gottlos", „das Land in erblichem Besitz haben", „ausgerottet werden" können als Schlüsselwörter dieses Psalms bezeichnet werden. Nicht ohne Grund schreibt Muilenburg, 1953, 107: „There are a number of examples where successive strophes begin with the same emphatic construction such as the imperative in Ps X X X V I I 1.3.5.7.8: fret, trust, commit, betill, refrain." Siehe im übrigen unten zu ν. 5 („vertraue"). 7 („Weg"). 8 - n . 14 f..17.20. 21-26 (Korrespondenz zwischen Anfang und Schluß). 25 f.. 27-29. 33. 37 f.. 39 f..

Es folgen einige Bemerkungen über den Parallelismus. Von verschiedenen Versen kann mit mehr oder weniger Sicherheit gesagt werden, daß sie eine ungerade Anzahl Stichen enthalten, siehe v. 5.7.20.25.34.40. In einigen Fällen trägt der letzte Stichos dadurch, daß ihm kein paralleler Stichos folgt, einen besonderen Akzent, so in v. 20.40 und möglicherweise auch in v. 5; vgl. § 7. Dies gilt jedoch nicht in allen Fällen. Bei v. 7. 34 kann man sich sogar fragen, ob diese

Psalm 37

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Verse nicht entgegen der gemeinhin herrschenden Auffassung vier Stichen zählen. In v. 8 sehen wir die in den Psalmen wiederholt auftretende Erscheinung (vgl. § 43a), daß v. aa. &ß und ba parallel sind, während hß ein neues Element einführt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß die Gerechten in v. 14 mit drei verschiedenen Ausdrücken bezeichnet werden: parallel zu ,,der Elende und Arme" in ν. ο steht „die geraden Herzens sind" in v. d; siehe auch v. 37. Wir gehen genauer auf die Einzelheiten ein. I. V. l-ll. Dies ist der einleitende und zugleich der grundlegende Teil dieses Psalms. E r ist mit dem Folgenden durch viele Verbindungslinien verbunden, hat jedoch unverkennbar einen ganz eigenen Klang. Hier werden im Gegensatz zu dem Folgenden, siehe jedoch v. 34, die Ermahnungen laut, nicht „erhitzt zu sein", v. 1.7.8, dem Neid, v. l, und dem Zorn, v. 8, nicht nachzugeben, sondern auf Jahwe zu vertrauen, v. 3.5, ihm den Weg zu befehlen, v. 5, vor Jahwe zu schweigen und auf ihn zu harren, v. 7. Dementsprechend wird hier nicht von „Gerechten" gesprochen (siehe übrigens pilf in v. 6), wie dies im folgenden immer wieder geschieht, siehe v. 12.16.17.21.25.29.30.32.39, oder von „Aufrichtigen", v. 18, usw., sondern von „denen, die auf Jahwe warten", v. 9, „den Demütigen", v. ll. Hier breitet der Dichter sich nicht über das Tun der „Übeltäter", v. 1.9, sondern die Aufmerksamkeit wird nur darauf gerichtet, daß sie Glück haben und den Frommen nachstellen, siehe vor allem v. 7. Damit hängt auch zusammen, daß, während die Übeltäter im folgenden nahezu ausschließlich mit dem Namen „Gottlose" genannt werden — siehe v. 12.14.16.17.20.21.28.32.34.38.40 (vgl. auch v. 33, siehe dort); nur v. 22 und v. 38 bilden eine Ausnahme —, dieser Name hier nur in v. 10 gebraucht wird. Zur Begründung der Warnungen vor Neid usw., sowie der Aufforderungen, auf Jahwe zu vertrauen, wird auf den nahenden Untergang der Übeltäter und die der Frommen wartenden Wohltaten hingewiesen. Α. V. 1-7. V. 1-4 bilden einen kraftvollen Beginn des Psalms. Sie geben die Hauptgedanken dieses Teils — wir können auch wohl sagen: des ganzen Psalms — wieder, und zwar zunächst, ν. l f., in negativer, dann, v. 3 f. 3 , in positiver Form. Wir stehen hier vor dersel3

V . 3 f. enthalten eine Aufforderung, das Leben eines Frommen mit den dazugehörigen Verpflichtungen und Vorrechten zu führen. Nach Kittel, Kraus u. a. bedeutet Π310Χ in v. 8: „bewahre Treue", nach Gunkel, J.

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III. Spezieller Teil

ben Erscheinung, der wir bereits verschiedentlich begegneten: in den ersten Versen ist der gesamte Psalm wie in einer Knospe enthalten; siehe ζ. B. zu Ps 26. V. 5 f. enthalten eine nähere Ausarbeitung von v. 3 f. (siehe ζ. B. „vertraue" in v. 3 und v. 5) ,v. 74 enthält eine solche von v. l f. (siehe ζ. B. „sei nicht erhitzt" in v. l und v. 7). Wir können somit sagen, daß die ersten vier Strophen chiastisch angeordnet sind. Β: V. 8-11. Wir kommen nun zu den zwei Strophen, die den ersten Abschnitt abschließen. V. 8 wiederholt noch einmal nachdrücklich die Aufforderung „sei nicht erhitzt" von v. 1 und v. 7 (siehe bereits oben). V. 9 gibt dafür eine doppelte Begründung an; im Vorhergehenden wurde vom Untergang der Übeltäter und den die Frommen erwartenden Wohltaten getrennt gesprochen; v. 9 spricht von beiden in einem Atemzug. Diese doppelte Begründung wird als Abschluß des ersten Teils in v. 10 f. besondert, indem das Schicksal des Gottlosen und das des Frommen einander mehr im einzelnen gegenübergestellt werden. Bei v. 8-11 kann von Stufenrhythmus gesprochen werden. Die Schlußworte von v. 8, „es führt nur zum Übeltun" verleihen den Warnungen vor Zorn usw. einen schweren Akzent; es besteht die Gefahr, daß man wird wie die Übeltäter, und diese, so f ä h r t v. 9a fort, werden ausgerottet. Siehe ferner „das Land in erblichem Besitz haben" in v. 9 und v. 11 und vor allem das zweimalige p t in v. 10. Daß der Übeltäter nun ein „Gottloser" genannt wird, v. 10, bildet einen Übergang zum folgenden Teil, siehe oben. I I . V. 12-20. Zur Begründung des Vorhergehenden wird hier von den Anschlägen der Gottlosen gegen die Gerechten und über ihr Scheitern gesprochen, v. 12-17. Am Schluß dieses Teils stehen, wie auch im vorigen Teil, allgemeine Aussagen über den Untergang der Gottlosen und das Heil der Gerechten, v. 18-20. Mit dem Umstand,

Ridderbos u. a.: „weidest in Sicherheit". Μ. E. ist es nicht nötig, eine Wahl zu treffen: namentlich in Sprüchen wie diesem stehen häufig zweideutige Aussagen; vgl. § 12b. * „Der seinen Weg zu einem guten Ende bringt" in v. 7 ist eine auffallende Bezeichnung des Übeltäters; Ps 1 3 sagt nahezu dasselbe von dem Gerechten. Daß diese Menschen ungeachtet ihrer Gottlosigkeit dennoch Glück hatten — das war es, was die Frommen betroffen machte. Man kann hier von einem aphoristischen Stil sprechen, siehe § 63c. Vielleicht liegt hier ein bewußter Gegensatz zu „seinen Weg Jahwe befehlen" in v. 5 vor.

P s a l m 37

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daß hier viel spezieller als im ersten Teil über die Anschläge der Übeltäter gegen die Frommen gesprochen wird, hängt zusammen, daß nun immer wieder die Wörter „gerecht" und „gottlos" gebraucht werden; siehe bereits oben. ρ*Ί1> wird hier, wie auch andernorts in den Psalmen, eine weite Bedeutung haben, jedoch speziell andeuten, daß der als solcher Gekennzeichnete dem Gottlosen gegenüber das Recht auf seiner Seite hat. Auch dieser Teil unterscheidet sich seinem Inhalt nach von den übrigen Teilen des Psalms. Zwar geht der ganze Psalm davon aus, daß der Gottlose dem Gerechten nachstellt, zwar ist davon auch in anderen Teilen des Psalms ausdrücklich die Rede, siehe vor allem v.7d, aber nur hier werden die Anschläge der Gottlosen (abgesehen vom Schlußteil, siehe unten) ausführlich und gesondert behandelt. A: V. 12-17. Sowohl die erste, v. 12 f., wie die zweite, v. 14 f., wie m. E. auch die dritte Strophe, v. 16 f., sprechen von den Anschlägen der Gottlosen gegen die Gerechten und von ihrem Scheitern. V. 12 spricht von den Anschlägen der Gottlosen, v. 13 von dem göttlichen Spott über sie. V. 14 beschreibt diese Anschläge genauer und v. 15 spricht von ihrem Mißlingen. Siehe über diese Verse auch § 27. V. 16 kann m. E. am besten folgendermaßen aufgefaßt werden: Der Lärm, der Tumult, den viele Gottlose namentlich bei ihren Anschlägen gegen die Gerechten an den Tag legen, hat letztlich weniger zu bedeuten als das Wenige an Besitz und Macht, über das der Gerechte verfügt 5 . Nach dieser Auffassung wird auch in v. 16 f. über das Scheitern der Anschläge der Gottlosen gesprochen (obschon in etwas anderer Weise als in v. 12-15, denn in v. 16 f. werden auch Aussagen über die Gerechten gemacht). V. 15 spricht vom Zerbrechen der Bogen, v. 17 vom Zerbrechen der Arme. Durch den zweimaligen Gebrauch von tritt u m so deutlicher hervor, daß diese Aussagen eine Klimax enthalten. Β: V. 18-20. Das diese Perikope abschließende Strophenpaar macht im Anschluß an v. 17 allgemeinere Aussagen über das Heil der Gerechten, v. 18 f., und den Untergang der Gottlosen, v. 20. V. 20 bildet einen kraftvollen Schlußakkord des zweiten Teils. V. c, der allein schon durch die Wiederholung von „sie vergehen" 5

Gewöhnlich übersetzt man. jlöÜ in diesem Vers unter Berufung auf E z 29 le 30j K o h 5 β I Chr 2 9 l e mit „Reichtum". Erstens aber ist die normale Bedeutung dieses Worts „Lärm", zweitens ergeben sich bei dieser Übersetzung einige Schwierigkeiten mit C S " ! , und drittens paßt die Aussage dann weniger g u t in den Zusammenhang.

274

I I I . Spezieller Teil

große Ausdruckskraft besitzt, erhält durch das Fehlen eines Parallelglieds noch einen besonderen Akzent. III. V. 21-29. In v. 12-20 steht der Gottlose im Mittelpunkt, in v. 21-29 der Gerechte. Man kann sagen, daß diese Perikope einundzwanzig Stichen zählt; nur drei von ihnen, v. 2ia.22b.28d, sprechen von dem Gottlosen®. Namentlich das Tun des Gerechten tritt hier mehr in den Vordergrund als im vorhergehenden; er wandelt auf dem Weg, an dem Jahwe Gefallen hat, v. 23; er meidet das Böse und tut das Gute, v. 27; er übt das Recht, v. 28, und zweimal wird von ihm gesagt, daß er sich erbarmt und schenkt, ausleiht, v. 21.26. A: V. 21-26. Wir können sagen, daß der dritte Teil des Psalms ebenso wie der zweite Teil mit drei Strophen beginnt, deren Inhalt im wesentlichen derselbe ist. Alle drei Strophen schildern das Tun und das Schicksal des Gerechten. Merkwürdig ist die große Übereinstimmung zwischen v. 26 und v. 2if.;man kann bei dieser Perikope von einer Korrespondenz zwischen dem Anfang und dem Schluß sprechen, siehe § 15. V. 21 f. stellen den Gerechten und den Gottlosen auf eine neue Weise in ihrem Handeln und ihrem Schicksal einander gegenüber. Man beachte den Chiasmus. Zwischen v. 2ia und b besteht chiastischer Parallelismus; v. 2la korrespondiert mit v. 22b, v. 2ib mit v. 22a. I s t in v. 21 vom Schicksal oder von der Gesinnung (und dem ihr entspringenden Handeln) des Gottlosen u n d des Gerechten die Rede ϊ Μ. E . wird vor allem auf den Unterschied zwischen beider Schicksal, daneben aber auch auf den zwischen beider Gesinnung hingewiesen 7 . V. b lenkt die Aufmerksamkeit auf die Mildtätigkeit des Gerechten; er erbarmt sich und schenkt. Das besagt zugleich, d a ß er schenken kann; auch wenn er wenig besitzt, v. 16, h a t er doch immer noch genug, u m anderen etwas zu geben. Wie wird demgegenüber der Gottlose dargestellt? Natürlich nicht als jemand, der etwas ausleiht; auch wenn er es könnte, würde er es nicht wollen. Der Dichter stellt dem Bild eines Geschenke verteilenden Gerechten das Bild eines Gottlosen gegenüber, der seine Zuflucht in der Bitte u m Anleihen suchen m u ß . E r sagt von ihm: E s geht i h m immer schlimmer; er k a n n das Geliehene nicht zurückerstatten. Man bedenke, d a ß dies schwerwiegende Folgen h a t ; er m u ß ζ. B. sein E r b e verkaufen. 8

E s k a n n gesagt werden, daß der zweite Teil des Psalms ebenfalls 21 Stichen zählt, von denen 15 über die Gottlosen sprechen. 7 Gunkel übersetzt: ,,Der Gottlose m u ß leihen und k a n n nicht zahlen, der Gerechte k a n n schenken u n d geben"; so im wesentlichen auch K r a u s . Diese Übersetzung gibt die ursprüngliche Bedeutimg zu einseitig wieder. I n d a s andere E x t r e m verfällt ζ. B. D u h m ; nach ihm soll v. 21 n u r „die A r t des F r o m m e n " ins Licht stellen. F ü r die von mir vertretene Auffassung siehe ζ. B. Kissane.

Psalm 37

275

V. 22 ist keineswegs etwa (wie es vor allem nach v. 9 scheinen könnte) eine blasse Wiederholung dessen, was bereits gesagt wurde. V. 22a können wir folgendermaßen umschreiben: Diejenigen, die das rechte Verhältnis zu Jahwe haben, haben an dem Segen teil, den die Erzväter empfangen haben; daher werden sie das Gelobte Land in erblichem Besitz haben. Zu v. b ist zu bemerken: Bereits in formaler Hinsicht sind die Worte „die von ihm Verfluchten" — statt „die Gottlosen" — auffallend, siehe zu v. l-ll; inhaltlich gesehen ist dies die einzige Stelle des Psalms, wo das Unheil, das über den Gottlosen kommt, als unmittelbar von Jahwe herbeigeführt dargestellt wird 8 . Auch der Zusammenhang mit v. 21 ist hier zu beachten: der Gottlose kann nicht zurückzahlen, ja, der göttliche Fluch treibt ihn dem völligen Ruin entgegen; zwischen der Mildtätigkeit und dem Empfangen des Segens wird auch an anderen Stellen ein Zusammenhang hergestellt, siehe außer v. 26 ζ. B. auch Prov 22,.

Die in v. 23 f. gegebene Schilderung des Tuns und des Schicksals des Gerechten wird von der Vorstellung des Weges, beziehungsweise des Gehens beherrscht (siehe zu Ps 18 33 _ 37 ). Der Dichter denkt hier offenbar vor allem daran, daß der Gerechte nicht von Unheil niedergeschmettert wird; dies schließt jedoch auch in sich, daß er den Weg der Gebote Jahwes geht ohne zu straucheln. I n v. 25 beschreibt der Dichter das segensreiche Schicksal des Gerechten und stützt sich dabei auf seine persönliche Erfahrung. Dem schließt sich die Aussage von v. 26 an, die zusammenfaßt, was in v. 21 f. gesagt wurde, und damit die in v. 21-26 gegebene Schilderung des Gerechten abrundet. Ein wichtiges Element in dieser Strophe ist das Schicksal des „Samens" (JHT, v. 25.26) des Gerechten; v. 28 stellt dem das Schicksal des Samens des Gottlosen gegenüber 9 . Β: V. 27-29. Der dritte Teil, in dem die Beschreibung des Gerechten im Mittelpunkt steht, findet einen angemessenen Abschluß in der in v. 27.28a.b erklingenden energischen Aufforderung, nicht das Leben des Gottlosen, sondern das des Gerechten zu führen. In dieser Strophe gehen — wie auch in v. 21-26 — die Bezeichnungen dessen, was der Gerechte t u n muß, was er t u t und was er empfängt, ineinander über. I n der letzten Strophe, v. 28c.d.29, werden wiederum das Schicksal der Gerechten und das der Gottlosen einander gegenübergestellt, wie dies vor allem in den Schlußstrophen der einzelnen Teile zu geschehen pflegt. Es sei noch darauf hingewiesen, daß in v. 27-29 zweimal ν. 27.29 (vgl. auch v. 3), und zweimal Dt?15?t7 , v. 27.28 (vgl. auch v. 18), gebraucht wird, siehe auch tj?'? , v. 29. 8

Siehe ferner mein Buch De Psalmen, I 394. * Übrigens klang der Qedanke an die Nachkommenschaft im vorhergehenden immer wieder an, siehe ζ. B. v. 8.9-11.18.

276

I I I . Spezieller Teil

IV. V. 30-40. Im ersten Teil erklang die Aufforderung: „Sei nicht erhitzt gegen die Übeltäter; vertraue auf Jahwe und tue das Gute". Der zweite Teil gab eine Beschreibung der Anschläge der Gottlosen. Im dritten Teil stand das Tun und das Schicksal des Gerechten im Mittelpunkt. Im vierten Teil kehren die Motive der drei ersten Teile wieder. Es kann gesagt werden: Die erste, v. 30 f., und die dritte Strophe, v. 34, schließen sich dem dritten Teil an, indem sie vor allem die Lebensweise und das Schicksal des Gerechten behandeln; die zweite, v. 32 f., und die vierte Strophe, v. 35 f., die von den Anschlägen der Gottlosen und ihrem Scheitern sprechen, versetzen uns in die Atmosphäre des zweiten Teils, während in den zwei Schlußstrophen, v. 37-40, noch einmal der Untergang der Gottlosen und das Heil der Gerechten einander gegenübergestellt werden. A: V. 30 f. fügen allem, was bereits über den Gerechten gesagt wurde, noch neue Elemente hinzu: erwähnt werden „die Weisheit" und „das Gesetz". Der Reihe nach kommen zur Sprache: Mund, Herz, Schritte; vgl. § 43c. V. 32 f. stellen fest, daß die Anschläge der Gottlosen gegen die Gerechten von Jahwe vereitelt werden, vgl. v. 12 ff. Bemerkenswert ist Ujj t£H" in v. 33; zwölfmal wird in diesem Psalm der Übeltäter genannt (siehe zu v. l-ll). Hier wird gesagt: Der Gottlose strebt danach, daß der Gerechte für einen Gottlosen angesehen und als solcher behandelt wird; Jahwe vereitelt dieses Streben nach einer Umkehrung der Verhältnisse. Hingewiesen sei noch auf in v. 25.28.33.

V. 34 fordert dazu auf, das Leben eines Gerechten zu führen, vgl. v. 27, auch ζ. B. v. 3.7; die Aufforderung wird durch die in diesemPsalm übliche Beschreibung des Schicksals der Gerechten und der Gottlosen begründet. I n v. 35 f. 10 beschreibt der Dichter den Untergang eines Gottlosen, dessen Zeuge er war. Mit Hilfe von Gewalt verschaffte der Gottlose sich eine hohe Stellung; eine Zeitlang besaß er Macht, Reichtum und Einfluß; das alles aber fand ein jähes und radikales Ende. B: Die zwei Schlußstrophen, v. 37-40, widmen dem Unterschied zwischen der Zukunft des Gerechten und der des Gottlosen noch 10

E s ist m . E. nicht nötig, bei v. 35 Änderungen Man k a n n übersetzen: „ l o h sah einen Gottlosen, der war, und der sich schamlos ausbreitete wie eine grüne Böhl; zu Π"1ίΚ siehe ζ. B. den Gebrauch von ppif in I I

im MT vorzunehmen. ein Mann der Gewalt Wucherpflanze'', vgl. Chr 26 I 9 .

277

Psalm 37

einmal besondere Aufmerksamkeit. Der Ausdruck „Mann des Friedens" in v. 37 steht dem „Mann der Gewalt" in v. 35 gegenüber. Das zweimalige ΓΙΤΙΝ in v. 37 f. unterstreicht den Gegensatz zwischen dem Schicksal des Gerechten und dem des Gottlosen. Wurde die erste Hälfte des Psalms mit einer wuchtigen Ankündigung des Untergangs der Gottlosen beschlossen, v. 20, so schließt die zweite Hälfte mit einem mächtigen Jubel über das Heil der Gerechten, v. 39f.; siehe das zweimalige ^Ιί^ und das zweimalige ft^ß . Durch das Fehlen eines parallelen Stichos kommt das Ende des Psalms — seiner Länge zum Trotz — gewissermaßen doch noch unerwartet; vgl. § 7. Psalm 38 V. 2f.|4f.||ef. |8f.|||l0|ll|l2f.|l4f.|ie|||l7|l8f.|20f.|22f. 2—2|2—2||2—2|2—2|||2|3|2—3|2 —2|2|||2|2—2|2—2|2 —2

Dieses Klagelied eines einzelnen — m. E. ein Krankheitspsalm im eigentlichen Sinne — h a t einen eigenartigen Aufbau. Es unterscheidet sich von vielen anderen Klageliedern eines einzelnen u. a. darin, daß der Schluß nicht von einem „vorausgreifenden Danklied" oder etwas diesem Vergleichbaren gebildet wird, vgl. § 50 b, sondern, ebenso wie der Anfang, von Bitten 1 . Die Vertrauensäußerung in v. 16b würden wir eher am Schluß des Psalms erwarten; siehe übrigens auch das letzte Wort dieses Psalms. Auch hier zeigt sich, daß das Grundschema einer bestimmten Gattung recht freizügig verwendet wird. Viermal redet der Dichter Jahwe an: V. 2 enthält eine flehentliche Bitte, einen Angstschrei, der dem Bewußtsein entspringt, daß Gottes Grimm gegen den Dichter erwacht ist; in v. 10 stellt der Dichter seine Sache Gott in tiefer Demut anheim; in v. 16 richtet er sich mit Äußerungen seines großen Vertrauens an Jahwe; v. 22 f. beschließen den Psalm mit dringlichen Bitten um Hilfe. Es kann gesagt werden, daß der Dichter mit wachsendem Vertrauen zu Jahwe betet. Vom Zorn Jahwes wird nur zu Beginn gesprochen. I m ersten Vers erwähnt der Dichter Gottes Grimm, in der letzten Zeile nennt er Gott „meine Befreiung". Zu Anfang erwähnt er außer Gottes Zorn seine Ungerechtigkeiten; im letzten Teil klingt dieser

1

E s weist in dieser Hinsicht eine gewisse Übereinstimmung mit P s 25 und 39 auf; dennoch liegen die Dinge in P s 25 und 39 doch noch anders als in P s 38. Bldderboa, Psalmen

19

278

III. Spezieller Teil

Ton zwar ebenfalls an, v. 19, er sagt jedoch auch, daß er dem Guten nachjagt, v. 21. Allerdings bedeutet das nicht, daß sich durch den Psalm eine gerade Linie hinzieht, die aus der Tiefe in die Höhe führt. So folgen etwa den Vertrauensäußerungen von v. 16 wiederum bange Klagen, siehe ζ. B. v. 18 f. Wie in vielen Psalmen wird auch hier das Auf und Nieder, das das Glaubensleben kennzeichnet, wiedergegeben. Daß dem Ausruf „Du, du wirst antworten" in v. 16 erneute Klagen folgen, läßt eine gewisse Verwandtschaft mit Ps 31 35 u. a. erkennen, siehe zu Ps 31; übrigens weisen die dort genannten Psalmen diese Erscheinung in viel ausgeprägterer Form auf als Ps 38. Auch in diesem Psalm hat die eigentliche Bitte eine auffallende Funktion. Nur zweimal, am Anfang, v. 2, und am Schluß des Psalms, v. 22 f., richtet der Dichter sich mit einem eigentlichen Gebet an Gott; vgl. ausserdem noch v. 17. Zwar r u f t er Gott auch in v. 10 und v. 16 an, er spricht hier aber keine Bitten aus. Auch die direkten Bitten, v. 2.22 f.,sind wenig konkret gehalten. So ist es auffallend, daß in diesem Psalm nirgends ausdrücklich um Genesung oder um Vergebung gebetet wird. Dies dürfte seine Erklärung darin finden, daß das Schuldbekenntnis, v. i f. 19, für das Empfinden des Dichters die Bitte um Vergebung bereits in sich schließt, vgl. Ps 32 s . Natürlich gilt dies auch in einem weiteren Sinne. Die bangen Klagen, die den größten Teil dieses Psalms darstellen, sind ein dringlicher Appell an Gottes Erbarmen, und auch die Aussagen von v. 10 und v. 16 sind im Grunde kräftige Gebete. Vielleicht ist das Fehlen von konkreteren Gebeten ein Zeichen der Demut des Dichters; man beachte in diesem Zusammenhang vor allem v. 10, siehe unten; vgl. § 53. Wie bereits gesagt, beginnt und schließt der Psalm mit einer Bitte. Alle anderen Aussagen werden von diesen Bitten umschlossen, sie dienen ihrer Unterstützung. I n v. 2 steht die Bitte völlig unvorbereitet, vgl. ζ. B. Ps 6 2 (dieser Vers deckt sich beinahe wörtlich mit Ps 382), siehe dort. Die Bitten von v. 22 f. hingegen werden in sämtlichen vorhergehenden Versen vorbereitet. Siehe hierzu auch § 53b. c. Die Bitte in v. 22 f. unterscheidet sich ihrem Ton nach wesentlich von der in v. 2, siehe unten zu v. 22 f. Die einzige positive Bitte dieses Psalms findet sich in dem kurzen Ausruf des letzten Verses. F ü r die Kürze dieser Bitte vgl. ζ. B. Ps 3 8a . Ps 38 ist ein alphabetisierender Psalm, vgl. § 48. Der Chiasmus findet in diesem Psalm mannigfache Verwendung, siehe V. 3.8.10.11.13.19.20.22.

279

Psalm 38

Auch bei diesem Psalm kann von dem Stil der Wiederholung gesprochen werden2. Auffallend ist, daß in manchenYerszeilen bestimmte Wörter öfter als einmal gebraucht werden, siehe ΠΠ5 in v. 3, p t und ^JfiB in ν. 4 3 , in v.5, ni2JJ in v. 12, ΓΠΓ) und SIE in v. 21; dies kann zumindest in einigen Fällen als Ausdruck der inneren Bewegung des Dichters gewertet werden. Dasselbe läßt sich auch von der Erscheinung sagen, daß in v. 16-19 vier aufeinanderfolgende Verszeilen mit Έ beginnen; vgl. § 12d. In diesem Zusammenhang kann auch die Wiederholung von "INE TJJ in v. 7 und v. 9 genannt werden (v. 7a und 9a sind gleichartig aufgebaut; man beachte auch, daß v. 7a asyndetisch ist), wie auch die Wiederholung von DT" in v. 7 und v. 13, siehe auch Ttifl i n v · 18 · Einige Wörter aus v. 4a werden in v. 8b refrainartig wiederholt. Indem der Dichter die Aussage von v. 14 in v. 15 zum Teil mit denselben Worten wiederholt, verleiht er ihr starken Nachdruck; diese Verse lassen externen Parallelismus erkennen. Siehe auch "IJJ in v. 10.12.18(.19), 3TJ? in v. 11.22, ppH in v. 11.22. Es ließen sich noch weitere Beispiele anführen. Hat es eine bestimmte Bedeutung, daß neben pj? in v. 5 und v. 19 in v. 7"1J? gebraucht wird? Der Dichter gebraucht mehrere Gottesnamen. Der Psalm beginnt mit ΓΤΠ" ; in v. 10, aus dem tiefe Demut spricht, wird " I K gebraucht, in v. 16, der Äußerungen starken Vertrauens enthält, finden sich ΠΓΡ und Ti^N ^"IN ; die drängenden Bitten in v. 22 gebrauchen nW , Τ6Κ und -J-IK . Das Wort "ιΓΗΠΟ in ν. 11 stellt eine Art Klangmalerei dar. V. 13 enthält Alliteration. Vgl. § 16a. V. 6b fällt durch seine Kürze auf, die ihm einen besonderen Akzent verleiht. Der Ausdruck VTÖJ? pmiü O n p l i n v. 12 birgt einen schmerzlichen Gegensatz in sich; vgl. § 24. Der Dichter macht Aussagen, die, streng logisch betrachtet, widerspruchsvoll erscheinen können. V. 14 f. beschreiben den Dichter sehr eindringlich als einen Taubstummen; in v. 7 lesen wir vom Sprechen des Dichters, in v. 9 selbst von seinem Brüllen. Der Dichter spricht wiederholt von seiner Sünde und Ungerechtigkeit, v. 4-6.19; dennoch sagt er auch, daß er dem Guten nachjagt, v. 21. Er erblickt

2

Vgl. K r a f t z. St.: „repetition is evidently a feature of this poet's work".

3

Zumal da sowohl v. 4a wie v. 4b

und

gebrauchen, fällt es stark

auf, daß v. b nicht mit einem Synonym von „deine Verwünschung", sondern mit „meine Sünde" schließt.

20«

280

ΠΙ. Spezieller Teil

in seinem Leiden eine Folge von Gottes Zorn, v. 2 f., nennt Gott aber auch „meine Befreiung", v. 23. Es handelt sich hierbei nicht um wesentliche Widersprüche. Der Exeget wird jedoch der aphoristischen Ausdrucksweise der Psalmisten und auch anderer Autoren des AT Rechnung tragen müssen. Siehe § 63c. Wir befassen uns nunmehr näher mit der Einteilung, dem Aufbau und dem Gedankengang dieses Psalms. Gunkel meint, daß dieser Psalm eine „regelmäßige Strophenbildung" habe: die Verszeilen gehören nach ihm paarweise zusammen; siehe auch Delitzsch, J. Ridderbos. Man kann mit mehr oder weniger Sicherheit sagen, daß v. 2 und v. 3, v. 4 und v. 5, v. 6 und v. 7, v. 8 und v. 9, v. 12 und v. 13, v. 14 und v. 15, v. 18 und v. 19, v. 20 und v. 21, v. 22 und v. 23 zusammengehören, indessen können v. lOund v. ll trotz der Verbindung, die zwischen beiden Versen besteht (siehe unten), nicht ohne Bedenken zusammengezogen werden. Noch bedenklicher scheint es mir, v. 16 und v. 17 zusammenzuziehen; v. 16 bildet den Abschluß des Vorhergehenden, während ΤΗΪ2Χ ^ in v. 17 einen neuen Anfang darstellt4. Es scheint mir am richtigsten, den Psalm mit Ewald (bei Kraft) und Kissane in v. 2-9. 10-16. 17-23 einzuteilen. Der erste Teil besteht aus acht, def zweite und dritte Teil aus je sieben Verszeilen; die Verszeilen sind übrigens nicht gleichlang, siehe vor allem v. 135. I. V. 2-9. In diesem ersten Teil spricht der Dichter von Gottes Zorn und von seiner Sünde und seinem Elend. Er bittet Jahwe, 4 In diesem Zusammenhang ist zu bedenken: auch Gunkel ist der Ansicht, daß mit v. 17 „eine neue Stimmung einsetzt"; er hält v. 15 jedoch für eine Variante von v. 14 und betrachtet v. 21 als einen späteren Zusatz; er faßt demnach v. 14 und v. 16, v. 17 und v. 18, v. 19 und v. 20, v. 22 und v. 23 zusammen. Abgesehen davon, daß es kaum zulässig ist, v. 15 und v. 21 zu streichen, ist es überdies wenig sinnvoll, v. 17 und v. 18, v. 19 und v. 20 zusammenzuziehen. Kraft betrachtet v. 15 und v. 19 als spätere Zusätze und zieht v. 14 und v. 16, v. 17 und v. 18, v. 20 und v. 21, v. 22 und v. 23 zusammen. 5 Kissane schreibt: „The psalm consists of three strophes of seven verses each". Zu diesem Resultat gelangt er, indem er v. 6 mit v. 4 zu einem „verse" verbindet. B s dürfte deutlich sein, daß dies abgewiesen werden muß. — Delitzsch nimmt folgende Einteilung vor: v. 2-9. 10-15. 16-23; ähnlich PannierRenard u. a. E s ist sicher nicht ausgeschlossen, daß diese Einteilung richtig ist. E s ist reizvoll, anzunehmen, daß die Verszeilen paarweise zusammengehören. Indessen haben die Psalmdichter sich m. E. kaum oder gar nicht u m eine regelmäßige Strophenbildung bemüht. Geht m a n aber v o m Inhalt aus, so muß v. 16 wohl zum Vorhergehenden gezogen und v. 17 als der Anfang eines neuen Teils betrachtet werden.

Psalm 38

281

ihn nicht in seinem Zorn zu bestrafen. Zur Unterstützung dieses Gebets schildert er die elende Lage, in die ihn Gottes Zorn und seine eigene Sünde gebracht haben. A: V. 2-5. Diese Verse sprechen hauptsächlich von Jahwes Zorn und von der Sünde des Dichters; nur hier ist vom göttlichen Zorn die Rede. Es besteht eine enge Verbindung zwischen v. 2 und v. 3, zwischen v. 4 und v. 5. Der Dichter fällt mit der Tür ins Haus, siehe oben. Er beginnt seinen Psalm mit der Bitte, Jahwe möge seinen Zorn abwenden, v. 2; v. 3 gibt eine genauere Beschreibung der Folgen von Gottes Zorn. Auch v. 4 spricht noch von dem göttlichen „Zorn", der göttlichen „Verwünschung" (DJ?T); zugleich wird hier eine konkrete Beschreibung des Elends gegeben, in dem der Dichter sich befindet (und das in v. 6-9 breit ausgemalt wird); am Schluß dieses Verses spricht der Dichter von seiner Sünde: Gottes Zorn verursacht sein Elend, aber er hat diesen Zorn selbst durch seine Sünde erregt; in v. 5 geht er ausführlicher auf seine „Sünde, Ungerechtigkeiten" ein. Β: V. 6-9. Nun bringt der Dichter eine ausführliche Schilderung des Elends, in dem er sich befindet. In dem Ausdruck „meine Torheit", v. 6, klingt der Ton der Verse 2-5 an. Auch dieser Teil zerfällt in zwei Abschnitte, v. 6 f. und v. 8 f.; man beachte den Parallelismus zwischen v. 7a und 9a, siehe oben. II. V. 10-16. Hier steht das Verhalten der Freunde und Feinde und die Haltung des Dichters ihnen gegenüber im Vordergrund. Wir können den Gedankengang folgendermaßen umreißen: In v. 10 bittet er, wenn auch indirekt, um Gottes Hilfe; in v. 11-15 wird sichtbar, wie sehr er auf diese göttliche Hilfe angewiesen ist: sein Zustand ist kläglich, v. Ii, seine Freunde halten sich fern von ihm, v. 12, seine Feinde stellen ihm nach, v. 13, er selbst kann und will nicht für seine Rechte eintreten, v. 14 f.; seine Augen sind in der Gewißheit des Glaubens, daß Gott helfen wird, auf Gott gerichtet, v. 16. In v. 10 redet der Dichter Gott erneut an. Auch in v. 2 wird Gott angeredet, hier aber ist der Ton ruhiger geworden. Er spricht keine direkte Bitte aus, sondern macht eine Aussage, aber eben in ihr ist ein erschütterndes Gebet enthalten. Es ist, als wage er sein Begehren nicht in Worte zu kleiden; es bedarf auch keiner Worte. In v. Ii, der sich eng an v. 10 anschließt (siehe „mein Seufzen" in ν. io), beschreibt der Dichter ebenso wie in v. 6-9 seine klägliche Verfassung. In v. 12 f. schildert er die Haltung seiner Freunde und seiner Feinde, bzw. seiner Freunde, die seine Feinde geworden sind.

282

III. Spezieller Teil

I n v. 14 f. wird die Haltung des Dichters selbst beschrieben. E r reagiert nicht auf das Tun der Feinde. E r will nicht reagieren, denn er h a t sein Elend durch seine Sünde verdient, vgl. v. 4-6.19; er kann nicht reagieren, denn er ist machtlos, siehe v. 11-13; und es ist auch nicht nötig, daß er reagiert: Jahwe wird statt seiner antworten, V. 16. V. 16, der Schluß des zweiten Teils, macht Aussagen, wie sie am Schluß eines Psalms des öfteren begegnen; siehe oben. I n diesem Vers redet der Dichter Gott zum drittenmal an, diesmal weder mit einer von großer Bedrängnis zeugenden, flehentlichen Bitte, v. 2, noch mit einer Aussage, in der er in tiefer Demut seine Sache Gott zu Füßen legt, v. 10, sondern mit Äußerungen seines starken Vertrauens. E s besteht eine enge Verbindung zwischen v. 16 und dem Vorhergehenden. Der Dichter reagiert nicht auf das Tun der Feinde, v. 14 f., sondern seine Augen sind auf Gott gerichtet, v. 16a; er spricht aus: „Du, du wirst antworten", v. 16b. Gott wird anstelle des Dichters auf die Worte der Feinde antworten, siehe v. 12-15, und damit zugleich auf das Gebet des Dichters. I I I . V. 17-22. Die wichtigsten Motive des Vorhergehenden kehren hier wieder. Der Dichter spricht von seinem Elend und seinen Sünden, v. 18 f., von seinen Feinden, v. 20 f., und schließt mit einem Gebet, v. 22 f. V. 17 bildet die Einleitung dieses Teils. TH12X Έ markiert einen neuen Anfang, vgl. Ps 4I 5 u. a. Wir können sagen, daß der Dichter sein Begehren nur hier verhältnismäßig konkret ausdrückt, vgl. v. 2.10.16.22 f.; während der Dichter sein Verlangen, geheilt zu werden, nirgends ausdrücklich vorbringt, äußert er hier wohl den Wunsch, daß seine Feinde nicht über ihn frohlocken mögen. V. 18 f. erneuern die Klagen des ersten Teils; in v. 20 f. kehren die Klagen des zweiten Teils wieder. Vor allem in diesen Versen haben die Klagen sehr deutlich den Charakter von Beweggründen des göttlichen Einschreitens. Der Dichter klagt über sein Elend, v. 18, und bekennt, daß er es durch seine Sünde verdient habe, v. 19; sowohl das eine wie das andere fungiert als Beweggrund. Und ferner: Sowohl der bittere Gegensatz zwischen dem Wohlstand 6 und der Menge der Feinde einerseits und der Schwäche und Einsamkeit des Dichters andrerseits, wie auch die Grundlosigkeit der Feindschaft mögen Jahwe dazu bewegen, einzuschreiten; v. 20 f. Die Klage dieses Teils, und 6

Viele lesen QJH statt Π"Π — m · E. ohne hinreichenden Grund. D a ß 4 Q P s a Β3Π hat, ist kaum ein neues Argument für diese Lesart.

Psalm 38

283

damit auch die Klage des ganzen Psalms, mündet in den Ausspruch: „zum Lohne dafür, daß ich dem Guten nachjage". Der Akzent liegt hier wohl anders als in den Anfangsversen des Psalms. Es ist sicher kein Zufall, daß gerade dieser Ausspruch dem Schlußgebet vorangeht; die Beweggründe des göttlichen Einschreitens erreichen gewissermaßen in diesem Ausspruch ihre Klimax. Den Klagen, beziehungsweise den Beweggründen läßt der Dichter schließlich einige kurze, eindringliche Gebete folgen, v. 22 f.; siehe bereits oben. E r spricht nicht mehr über seine Krankheit oder seine Feinde; letztlich geht es um eine Sache zwischen Gott und ihm. Auch hier haben sich die Akzente gegenüber dem Anfang beträchtlich verschoben: Der Dichter wünscht zwar, daß Jahwe sein zorniges Antlitz von ihm abwende, v. 2, er will aber nicht, daß Gott ihn allein läßt; er bittet, daß die niederdrückende, v. 3, eine helfende Hand werden möge. Den Gott, von dessen Zorn und Verwünschung er sich heimgesucht wußte, v. 2-4, nennt er hier: „meine Befreiung". Wir können sagen: die Worte „meine Befreiung" stehen hier an Stelle der Äußerungen der Erhörungsgewißheit, die gewöhnlich den Schluß von Klageliedern eines einzelnen bilden.

Psalm 39 V . 2-4|||5-7||8|9 f . | U f . | l 3 f .

4—3—3[ [ 13—3—3||2|2—2|2—4|3—2—2 Den Dichter dieses Klageliedes eines einzelnen hat großes Unglück getroffen, es fällt ihm schwer, in dieser Lage an Gott festzuhalten. E s droht die Gefahr, daß unwillige und aufsässige Worte über seine Lippen kommen. Aber er zügelt seine Zunge. Und während es in ihm brodelt, schickt er sich an, zu Gott zu beten. Der erste Teil des Gebets, v. 2-4, besteht aus einer Beschreibung seiner Gemütsverfassung: nur mit größter Mühe gelingt es ihm, der Neigung, aufsässige Worte auszusprechen, zu widerstehen. I n v. 5 ff. wendet er sich direkt zu Gott. I n v. 5-7 breitet er vor J a h w e die Vergänglichkeit und Nichtigkeit des Menschen aus. V. 8-14 enthalten das eigentliche Gebet. Damit ist der Aufbau dieses Psalms, wie er sich mir darstellt, mit wenigen Zügen umrissen. Die Ansichten über den Aufbau gehen jedoch weit auseinander. I m Kähmen dieses Buches mögen folgende Bemerkungen genügen. V o n Wichtigkeit ist die Auffassung von T]™Q*1 in v. 4. Gewöhnlich wird dieses Wort auf die Vergangenheit bezogen. Wenn m a n daneben noch mit den meisten

284

Π Ι . Spezieller Teil

Exegeten 1 — m. E . mit Recht — in v. 5-14 den Inhalt des in v. 4 genannten „Sprechens" erblickt, gelangt man zu der Auffassung, daß der Dichter in diesem Psalm mitteilt, wie er einstmals zu Gott gebetet hat. V. 2-4 erscheinen dann als eine Einleitung zu der Mitteilung des Gebets (vgl. Kraus: „Ungewöhnlich ist schon der Introitus, in dem eine beinahe biographisch klingende Notiz zu finden ist"). E s erhebt sich die Frage, ob ein durch die Verbindung solcher Teile entstehendes Gebilde ein Psalm genannt werden und bei welcher Gelegenheit es zu Gehör gebracht worden sein kann. Auf jeden Fall begegnen wir in unserer Sammlung keinem zweiten Gedicht, das in ähnlicher Weise zusammengestellt ist. Daher verdient es m. E . den Vorzug, in v · 4 auf die Gegenwart zu beziehen (vgl. Buber: „ich rede"; Podechard: „je laisse parier"). Grammatikalisch ist dies sicher möglich. Man kann mit Michel2 u. a. von einem „perfectum declarativum" sprechen. V . 2-4 sind dann nicht eine Einleitung zu der Mitteilung, wie der Dichter einet gebetet hat, sondern zu dem Gebet selbst, anders gesagt: sie sind ein Teil des Gebets 3 . Eine andere Frage ist die folgende: Häufig wird angenommen, daß das in v. 2-4 Beschriebene dem Beten von v. 5-14 vorangeht. Der Dichter faßt den Entechluß zu schweigen und führt ihn aus; aber gerade durch sein Schweigen entbrennt sein Herz, er hält da« Schweigen nicht aus und beginnt zu reden. Man kann dann weiter fragen: Inwieweit wird der Dichter seinem in v.2 geäußerten Vorsatz durch das „Reden" in v. 4c schlechterdings untreu? Schärfer zugespitzt: „Sündigt" der Dichter „mit seiner Zunge", v.2b, durch daein v.4cgenannte Reden? Auf diese Fragen werden verschiedene Antworten gegeben. Μ. E . muß die Ansicht, derzufolge der Dichter durch das in v. 4c genannte Reden seinen Vorsatz von v.2 schlechterdings bricht, als unbegründet zurückgewiesen werden. In Wirklichkeit besteht selbst kaum Grund, zu sagen, daß das Reden von v. 4c das Schweigen von v. 3 bricht: dieses Schweigen ist nämlich nicht absolut gemeint; man beachte vor allem, daß auf v. 4c wiederum die Aussage von v. 10 folgt: Aus v. 10 geht deutlich hervor, daß „schweigen" und „reden mit der Zunge", v. 4, einander nicht ausschließen; vgl. auch etwa in Ps 37 v. 7 mit v.80, in Ps 38 v. 14f. mit v. 17, siehe § 63c.

1 Nach Kissane wird der Inhalt des in v. 4 genannten „Redens" von v. 5 gebildet, nach Hengstenberg, Tournay-Schwab von v. 5-7; es führte zu weit, hierauf näher einzugehen. 2 Michel, Tempora und Satzstellung in den Psalmen, 1960, 92; Michel gibt mehrere Beispiele aus den Psalmen; übrigens übersetzt Michel in Ps 39 4 „ich sprach" (75). 3 Ergänzungshalber sei noch folgendes bemerkt. Μ. E . bedeutet THöK in v.2 so viel wie: „ich bin zu dem Entschluß gelangt zu sagen (und führe ihn aus)". Man übersetzt gewöhnlich mit „ich sagte, habe gesagt"; diese Übersetzung scheint mir auch wohl richtig. Man braucht keine Bedenken zu tragen, das Perfekt in v. 2a etwas anders aufzufassen ale in v. 4c, vgl. ζ. B . in Ps 31 v. 15 (Michel a. a. O. 84: „ich spreche") mit v.23 (Michel 79: „ich hatte gesprochen"). Man kann das Perfekt in v. 2a übrigens auch, ebenso wie in v. 4c, durch ein Präsens übersetzen.

Psalm 39

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Es scheint auch mir nicht unmöglich, zu sagen, daß das in v. 2-i Beschriebene dem Beten von v. 5-14 vorangeht. Eigenartig ist dann wohl, daß die Aussage von v.3 in v. 10 wiederholt wird (mit gewissen Änderungen). So halte ich es denn auch für richtiger, in v. 2-4 die Beschreibung der Gemütsverfassung zu erblicken, in welcher der Dichter zu beten beginnt. Das hindert uns nicht, anzunehmen, daß sich die Unruhe seines Herzens, v.3, während des Gebets und durch das Gebet gelegt haben wird.

I. V. 2-4. Der Dichter beginnt den Psalm mit einer Schilderung seiner Gemütsverfassung, vgl. Ps 77 u. a. Welche Funktion haben diese Verse? Am sichersten ist es, uns bei der Beantwortung dieser Frage auf die Feststellung zu beschränken, daß der Dichter hier ausspricht, was er erfährt; er legt sein Herz bloß. Wir werden hinzufügen müssen, daß diese Verse als eine Art Beweggrund des göttlichen Einschreitens fungieren: der Dichter zeigt, wieviel Mühe es ihn kostet, so zu beten, wie er es in v. 5-14 tut. II. V. 5-14. Der Dichter wendet sich nun direkt an Gott. Er spricht zunächst von der Armseligkeit des Menschen, v. 5-7; damit bahnt er sich den Weg für das eigentliche Gebet, v. 8-14. Diese Verse stützen die diesem Buch zugrunde hegende Anschauung, daß der Character der Psalmen weniger spontan und ihr Aufbau wohlüberlegter ist, als man zu denken geneigt sein kann. Es ist deutlich, daß die Aussagen über die Eitelkeit des Menschenlebens, über die Vergänglichkeit des Menschen einen breiten Raum einnehmen, siehe v. 5-7 und v. 12-14. Was dabei auffällt ist, daß diese Aussagen mehrere Funktionen haben, daß sie sehr verschiedenen Absichten dienen. Der Mensch ist vergänglich; darum geziemt es ihm nicht, Gottes Tun zu kritisieren, vgl. ζ. B. Hi 38ff.; zumal da die Eitelkeit, die Armseligkeit des Menschen eine Folge seiner Ungerechtigkeit ist, siehe v. 12. Der Mensch ist vergänglich — das gilt auch von dem Gottlosen, vgl. v.7; daran muß man denken, wenn man das Glück des Gottlosen sieht, vgl. ζ. B. Ps 49 eff . Wer sich diese beiden Aspekte der Vergänglichkeit des Menschen vor Augen hält, wird davor bewahrt, Worte des Unwillens und der Empörung auszusprechen. Es sind denn auch insbesondere diese zwei Aspekte, die dem Dichter in v. 5-7 vor Augen stehen. Daneben aber gibt es noch einen weiteren Aspekt: Der Dichter weist auf die Vergänglichkeit des Menschen auch hin, um das göttliche Mitleid zu erregen, siehe besonders v. 13 f., vgl. Ps 89 4ef usw. A: V. 5-7. Der Dichter weiß: will er nun in der rechten Weise sprechen, so muß er sich der Vergänglichkeit des Menschen und vor

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III. Spezieller Teil

allem seiner eigenen Vergänglichkeit bewußt sein. Damit er sich seiner Vergänglichkeit aber recht bewußt werde, muß Gott ihm die Augen öffnen. E r betet also zunächst, daß Gott dies tun möge, v. 54. Ein Gebet wie das in v. 5 schließt im Grunde die Erhörung bereits in sich; so kann der Dichter sein Reden fortsetzen, indem er seinem Wissen um des Menschen Vergänglichkeit Ausdruck verleiht, v. 6 f. Β : V. 8-14. Es folgt das eigentliche Gebet. Statt Worte des Unwillens und der Empörung zu sprechen, hat der Dichter sich tief vor Gott gebeugt, v. 5-7, und eben darum kann er nun mit Vertrauen beten, vgl. Ps 138e usw. Seine Nichtigkeit, die den Dichter davon abhalten soll, Gottes Tun zu kritisieren, möge Gottes Mitleid erregen. Dreimal bittet der Dichter umErrettung, v. 9.ll.l3f., wobei der Akzent jedesmal anders hegt. a. V. 8 enthält die einleitenden Worte des eigentlichen Gebets. Wie aus v. 6 f. hervorgeht, hat der Dichter weder von sich selbst noch von seinen Mitmenschen Rettung oder irgendwelche wesentliche Hilfe zu erwarten. Das einzige, was ihm übrigbleibt, ist sein Vertrauen auf Gott zu setzen. Diesen Weg schlägt er denn auch ein. Statt sich Gottes Führung zu widersetzen, setzt er sein Vertrauen auf Gott und nur auf ihn allein. Dies ist der einzige Vers dieses Psalms, der eine Vertrauensäußerung enthält; sie unterstützt die nun folgenden Bitten als ein Beweggrund des göttlichen Einschreitens. b. V. 9 f. enthalten die erste Bitte um Errettung, v. 9, der sich ein Beweggrund anschließt, v. 10. Es ist wohl bezeichnend, daß das erste Wort der ersten Bitte um Errettung von den Übertretungen des Dichters spricht. So weit hat sich der Dichter nun von Unwillen und Empörung entfernt, daß er bekennt, er habe sein Elend durch seine Sünde verdient. V. 10 wiederholt das Wort Tllü^KJ aus v. 3, siehe auch iß in v. 2 und v. 10; der Dichter bleibt seinem Vorsatz von v. 2 treu; hier hat diese Aussage deutlich den Charakter eines Beweggrundes: Der Dichter bittet, daß sein Elend ein Ende finden möge, v. 9, es ist dies jedoch kein aufsässiges Bitten. Bemerkenswert ist, daß sowohl in v. 3 wie in v. 10 das Wort 'fitt^lO unmittelbar nach der Erwähnung des Gottlosen, des Törichten steht. Der Gedanke an ihn macht das Schweigen doppelt schwer, läßt aber auch die Notwendigkeit des Schweigens um so deutlicher empfinden.

4

Mit Kraus, Tournay-Schwab usw. behalte ich den überlieferten Text bei; Gunkel: „ich tue dir, Jahve, kund", Kissane: „Yahweh has made known to me", Podeehard: „Souviens toi, Jahve".

Psalm 39

287

c. In v. ll f. bittet der Dichter erneut um Errettung: Jahwe hat das jetzige Elend über den Dichter gebracht, siehe auch bereits v. 10b, er ist der einzige, der ihn davon befreien kann. V. 12 kann in gewissem Sinne als der Schlüsselvers dieses Psalms gelten. Wie im vorhergehenden bereits angedeutet wurde, siehe vor allem v. 9-11, auch bereits v. 7 f., ist die Eitelkeit des Menschenlebens und ein Elend wie das, in dem der Dichter sich befindet, die Folge von Gottes Fügung; und Gott schickt dies alles, um die Sünden des Menschen zu bestrafen. Indem er dies ausspricht, beugt der Dichter sich wiederum tief vor Gott und appelliert damit zugleich an Gottes Erbarmen. I n v. I2d wird die Aussage von v. 6c mit gewissen Änderungen, vgl. auch v. 7, refrainartig (vgl. § 14) wiederholt; in diesem Vers wird der Zusammenhang zwischen der Eitelkeit des Menschenlebens und der Sünde deutlicher aufgezeigt und die Aussage fungiert in stärkerem Maße als Beweggrund. d. Der Dichter schließt mit der ergreifenden Bitte von v. 13 f. Vor allem hier appelliert er an Gottes Erbarmen. Es ist nicht viel, worum er bittet: Jahwe möge ihm die kurze Zeit, die er noch zu leben habe, erträglich machen. Siehe ferner unten. Dem Dichter von Ps 39 fällt es schwer, Gottes Tun gutzuheißen. E r befindet sich in schwierigen Umständen. Warum bringt Gott dieses Elend über ihn ? Man kann mit Grund annehmen, daß vor allem der Vergleich des Schicksals der Frommen mit dem der Gottlosen den Dichter in große Schwierigkeiten bringt, siehe u. a ν. 2. Dies sind Nöte, die in den Psalmen wiederholt zur Sprache kommen, siehe vor allem Ps 37 49 73. I n Ps 39 geschieht dies jedoch in einer ganz besonderen Weise. Von den genannten Psalmen bringt Ps 73 am deutlichsten die Schwere des Kampfes zum Ausdruck. Die Zeit aber, da „die Füße beinahe abwichen", v. 2, liegt in Ps 73 hinter dem Dichter. I n Ps 39 hingegen spricht ein Mann, dessen Füße im Begriff sind abzuweichen. E r hat seine Zunge zügeln müssen, ehe er zu beten begann. Und wir können wohl sagen, daß diese mit Mühe errungene Selbstbezwingung sein gesamtes Beten charakterisiert. Mit dem Gesagten hängt zusammen: Die Aussagen dieses Psalms sind zwar wohlüberlegt, wie dies in den Psalmen gewöhnlich der Fall ist (siehe bereits oben, besonders zu v. 5-14), der Psalm weicht jedoch in hohem Maße von dem ab, was als das „traditionelle Schema" bezeichnet werden könnte. Bei der Behandlung von Ps 38 wurde darauf hingewiesen, daß dieser Psalm im Gegensatz zu den meisten Klageliedern eines einzelnen

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III. Spezieller Teil

nicht mit einem vorausgreifenden Danklied oder etwas diesem Vergleichbarem schließt. Ungeachtet dessen aber fehlt in Ps 38 die Äußerung der Erhörungsgewißheit nicht, siehe v. 16, und der Psalm schließt dennoch mit den Worten „Herr, meine Befreiung". Ps 39 weicht viel stärker von dem geeichten Schema ab als Ps 38. Ebenso wie Ps 38 schließt Ps 39 mit einer Bitte, die jedoch in Ps 39 nicht mit dem Ausruf „Herr, meine Befreiung", sondern mit dem wehmütigen Seufzer „bevor ich hingehe und nicht mehr bin" ausklingt. I n Ps 39 findet sich keine einzige Äußerung der Erhörungsgewißheit. Wohl kann gesagt werden, daß v. 8 eine Vertrauensäußerung enthält. Man vergleiche Ps 39 unter diesem Gesichtspunkt auch mit Ps 88. Auch Ps 88 schließt mit trübseligen Klagen, auch dieser Psalm enthält keine Äußerung der Erhörungsgewißheit. Auf das Ganze gesehen aber ist Ps 88 zumindest seinem Aufbau nach weniger eigenwillig als Ps 39. Wie immer wieder lohnt es auch bei Ps 39 die Mühe, den eigentlichen Bitten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. V. 5 enthält die erste eigentliche Bitte, diese aber hat einen ganz eigenen Charakter, sie ist keine Bitte um Errettung; siehe oben. Die erste Bitte um Errettung steht in v. 9. Der Dichter h a t dieser Bitte viel vorausgeschickt. Zunächst h a t er gezeigt, wieviel Mühe es ihn kostet, so zu beten, wie er es nun tut, v. 2-4. Sodann h a t er von seiner Vergänglichkeit gesprochen, v. 5-7. Anschließend hat er bezeugt, daß seine Hoffnungen allein auf den Herrn gerichtet sind, v. 8. D a n n erst spricht er die Bitte aus: „Allen meinen Abtrünnigkeiten entreiße mich"; siehe bereits oben. Bitten um Errettung stehen ferner in v. 11 und v. 13 f.. Der Dichter kleidet in bescheidener Weise in Worte, was er begehrt. Er bittet nicht, wie dies so häufig geschieht, daß Gott ihm helfen, ihn befreien, seiner gedenken möge. In dieser Hinsicht ist vor allem die Bitte „Bücke hinweg von mir" in v. 14 bemerkenswert; oftmals wird in den Psalmen gebetet, daß Jahwe sein Angesicht nicht verbergen, den Beter (in Gunst) anschauen möge usw., siehe Ps 13 2 4 usw.; dieser Dichter kommt nicht weiter als bis zu der Bitte: Wende deinen (strafenden, zürnenden, tötenden) Blick von mir ab. I n anderer Hinsicht merkwürdig sind v. I3a.b; derartige Bitten stehen des öfteren am Anfang eines Psalms, siehe ζ. B. Ps 5 2 ff 17j f f ; es ist, als habe der Dichter nun erst die nötige Ruhe gefunden, um vor Jahwe ein Gebet mit einem wohlgeordneten Anfang auszusprechen.

Psalm 39

289

Der Stil der Wiederholung macht sich vor allem in der Wiederholung von TIö'äM aus v. 3 in v. 10, sowie einiger Wörter aus v. 6 in v. 12 bemerkbar; in beiden Fällen lassen sich refrainartige Züge erkennen; siehe bereits oben. Wir müssen hierauf noch etwas genauer eingehen. I n v. 2 f. 10 werden mehrere Wörter für „still sein, verstummt sein" gebraucht. Wir können sagen, daß diese Wörter Stichwörter dieses Psalms sind. Auch bnn , da* dreimal vorkommt, v. 6.7.12, kann als ein Stichwort dieses Psalms gelten. Merkwürdig ist auch das vierfache "[Κ , v. 6.7 (zweimal). 12, vgl. § 12d; mit Ausnahme von Ps 62, in dem es sechsmal vorkommt, kommt dieses Wort nach den Angaben Mandelkerns in keinem Psalm so oft vor wie in Ps 39. Bei v. 5-7 kann von Stufenrhythmus gesprochen werden: zweimal wird ""βΐ, HÖ > > (siehe auch S"tn und Ί'ρΠ) gebraucht, dreimal J?T und ~JX ; in diesem Zusammenhang sei auch vermeldet, daß „stehen, umherlaufen, sich zu schaffen machen" in. ν 6 f. das ganze Menschenleben umschließt. Siehe ferner noch ζ. B. in v. 2 und v. 4. Auch in diesem Psalm lassen sich gewisse aphoristische Züge erkennen. Wiederholt und mit starken Ausdrücken spricht der Dichter von seinem Schweigen, v. 2 f. 10, aber dieses „Schweigen" schließt das „Sprechen mit der Zunge, laut reden" nicht aus, v. 4, siehe oben. I n v. 9 bekennt der Dichter seine Abtrünnigkeit und sagt in demselben Atemzug, daß er kein „Tor" sei. Psalm 40 V. 2-Φ f. 117—9110—1211113-1β 3—4—4|4-6||7|4—4—4|||6—2-6—4-4 I n diesem Psalm haben wir m. E. ein deutliches Beispiel dafür vor uns, daß Dank und Lob im Gebet als Beweggrund des göttlichen Einschreitens fungieren können, siehe u. a. § 61. Der Dichter ist in Not, v. 13. E r will um Errettung beten. Er beginnt damit, Jahwe zunächst f ü r eine frühere Errettung, beziehungsweise für frühere Wohltaten zu danken, v. 2-4. Im Anschluß daran singt er Jahwes Lob, v. 5 f.. Er bezeugt, daß er vor Jahwe tritt, während das Gesetz in seinem Innern ist, v. 7-9, spricht mit starkem Nachdruck aus, daß er Jahwe preist, v. 10 f., und äußert sein Vertrauen, daß Jahwe ihn behüten wird, v. 12. So hat er ein Fundament gelegt, auf das er sich stellen kann, um mit K r a f t zu beten, v. 13-18 1 . 1

Vgl. Hengstenbergs Bemerkung: „Es beginnt der zweite Teü, in dem sich auf Grund des im ersten Teile gelegten Fundamentes das Gebäude der

290

I I I . Spezieller Teil

Die einzelnen Abschnitte von v. 2-12 haben also, so kann gesagt werden, eine doppelte Funktion. Der Dichter erzählt in v. 2-4, daß Jahwe ihn aus großer Not gerettet hat. Indem er dies erzählt, bringt er Jahwe Dank, zugleich aber klingt auch die Bitte an: „Du, der du mich früher gerettet hast, lasse mich nun nicht im Stich." In dem Loblied von v. 5 f. klingt die Bitte an, daß Jahwe die lange Reihe von Wundern, die er verrichtet hat, fortsetzen möge zugunsten des Dichters, eines Mannes, der auf ihn vertraut. Die Beteuerung in v. 7-11, daß das Gesetz Jahwes in seinem Innern sei und daß er als Ausdruck dessen Jahwes Gerechtigkeit verkünde (siehe unten), kann als eine Fortsetzung, eine Erläuterung des Dank- und Loblieds, v. 2-6, bezeichnet werden; daneben fungiert sie auch als Einleitung des folgenden Gebets: Der Dichter verkündet Jahwes Gerechtigkeit; er darf somit verlangen, daß Jahwes Gerechtigkeit ihn befreit. V. 12 bildet den Abschluß des Vorhergehenden und die Überleitung zum Folgenden. Daß dies das Anliegen des Dichters ist, verrät sich m. E. auch darin, daß manche Wörter und Ausdrücke sowohl im ersten wie im zweiten Teil des Psalms gebraucht werden2, vgl. Cohen z. St. Der Dichter hat „Behagen" an dem „Wohlgefallen" (}HT~i) Jahwes, v. 9; Jahwe möge daran „Wohlgefallen haben" (Π2Ρ"|), den Dichter zu entreißen, v. 14 3; diejenigen, die „Behagen haben" (^ßn) an dem Unglück des Dichters, mögen beschämt werden, v. 15, für siehe auch v. 7. V. 6 sagt, daß die Wunder Jahwes „zu zahlreich sind, um sie aufzuzählen" ("TBDö IttlfJ?): in v. 13 klagt der Dichter über Unglücke „ohne Zahl" (iBDÖ j v n j ? ) . die „zahlreicher sind" (1 öJtJ?) als die Haare auf seinem Haupt. V. 6 gebraucht den Ausdruck U^N , ν. 18 den Ausdruck ^ 3ΪΡΓΓ4 (nur hier hat H^n die Bedeutung

Bitte erhebt" (Hengstenberg schreibt dies zu v. 12; m. E . beginnt der zweite Teil jedoch mit v. 13). Ähnlich auch W . Beyerlin, ZAW 79 (1967), 219 f. 2 Daß sich zumindest hinter einer Reihe der genannten Fälle eine Absicht verbirgt, ist um so wahrscheinlicher, da der Dichter auch im weiteren Verlauf des Psalms den Stil der Wiederholung anwendet, siehe unten. 3 Dieses Beispiel h a t besondere K r a f t , da v. 14 i n recht ungewöhnlicher Weise gebraucht, vgl. ζ. B . Köhler s. v. 4 Viele nehmen an, daß hier Πϊί'ΙΠ gelesen werden muß, vgl. P s 70 e . E s erhebt sich dann jedoch die Frage, wie ΙΙί^ΓΡ aus Πϊ^ΊΠ werden konnte. Sie scheint mir schwierig zu beantworten. Viel leichter läßt sich denken, daß der Autor von Ps 40 itt^P! in v. 18 unter dem Einfluß von ν. β in einem etwas ungewöhnlichen Sinn gebrauchte, und daß, als v. 14-18 sich als ein selbständiger Psalm absonderten, durch das gebräuchlichere Γϊΐ^ΊΠ ersetzt wurde, siehe auch Ps 70 2 .

Psalm 40

291

„denken an, sorgen für", siehe Gesenius-Buhl s. v.). Siehe noch -[rijjisrn i n ν .

π

und

v.

17.

Viele bestreiten die ursprüngliche Einheit dieses Psalms. Gunkel n i m m t an, daß v. 2-12 und v. 14-18 ursprünglich zwei selbständige Psalmen gewesen seien, und daß „ein Späterer", „der bei allem Danken noch über sehr vieles zu klagen h a t t e " , diese zwei Psalmen durch v. 13 miteinander verbunden habe. Siehe ζ. B. auch Delitzsch, Noordtzij, Herkenne, Podechard, J . Ridderbos, Kraus. Μ. E . m u ß der Psalm, der als eine Einheit überliefert ist, jedenfalls als eine Einheit interpretiert werden. Dabei genügt es nicht, festzustellen, daß der Dichter oder der Kompilator Danken und Bitten vereinen wollte. Nehmen wir einmal an, daß der Psalm auf die von Gunkel beschriebene Weise entstanden ist. D a n n h a t „der Spätere" den Psalm doch wohl als eine Einheit gedacht, und v. 2-12 erhielten f ü r ihn eine andere, beziehungsweise eine zusätzliche F u n k t i o n ; der D a n k u n d da« Lob erhielten f ü r ihn die F u n k t i o n eines Beweggrundes des göttlichen Einschreitens; siehe im einzelnen oben. Übrigens ist es m. E. k a u m wahrscheinlich, d a ß v. 2-12 und v. 14-18 ursprünglich zwei selbständige Psalmen waren. W a r dies dennoch der Fall, so war die Übereinstimmung in der Wortwahl jedenfalls auffallend groß, siehe oben 5 . Sodann m u ß sowohl im Hinblick auf v. 2-12 wie auf v. 14-18 gefragt werden, ob es wahrscheinlich ist, daß diese Teile ursprünglich eine selbständige Einheit bildeten. E s ist m. E . nicht sehr wahrscheinlich, daß v. 14-18 ursprünglich ein selbständiger Klagepsalm waren. E s m u ß vor allem darauf hingewiesen werden, daß dieser Teil (nahezu) vollständig aus Bitten und Wünschen besteht. Bei einem selbständigen Klagepsalm ist dies keineswegs normal, denn Klagepsalmen pflegen aus verschiedenen Elementen aufgebaut zu sein 6 . Sicherlich würde der Inhalt von v. 2-12 befremden, wenn dieser Teil ein selbständiges Danklied wäre. Ein Danklied pflegt weder mit einem Bericht der E r r e t t u n g zu beginnen' noch mit einer Vertrauensäußerung zu schließen,

5 Natürlich k a n n m a n sich gegen Gunkel nicht auf die Übereinstimmung der Wortwahl in v. 13 u n d ν. 6 berufen. Hier m u ß jedoch angemerkt werden, daß Gunkels Auffassung von v. 13 selbstverständlich hypothetisch ist; K r a u s schreibt (486): „Welche Rolle P s 40 1 3 gespielt h a t , läßt sich k a u m noch ergründen." 6 E s ist zwar wahr, daß P s 40 1 4 _ 1 8 eine selbständige Funktion erhielt, siehe Ps 70. Aber m a n k a n n sich viel leichter vorstellen, daß einer der Teile von P s 40, v. 14-18, als selbständiger Psalm gebraucht wurde, als daß v. 14-18 ursprünglich als ein selbständiger Psalm gedichtet wurden. I n diesem Zusammenhang sei auf die Meinung von Delitzsch hingewiesen. Nach Delitzsch k a n n m a n Ps 40 schwerlich als eine ursprüngliche Einheit betrachten. Aber Delitzsch schließt hieraus nicht etwa, d a ß v. 14-18 ursprünglich ein selbständiger Psalm gewesen seien. E r schreibt: „ E s liegt nahe anzunehmen, daß v. 13ff. . . . Fragm e n t eines anderen Ps. ist." ' Gunkel-Begrich, 1933, 268, Anm. 7, nennt als Stellen, wo das Danklied mit der Erzählung der E r r e t t u n g beginnt, außer P s 40 s _ 4 : H i 33 27 b_ 28 J o n

292

III. Spezieller Teil

siehe unten zu v. 12. Und man beachte vor allem v. 7-11: Wenn v. 2-12 ein selbständiges Danklied wären, wäre ΠΝΪ3Π , ν. 7, hier nicht am Platze 8 ; dies gilt um so mehr, da das Sündopfer nirgends sonst in der Psalmensammlung genannt wird. Auch würden, wenn v. 2-12 ein selbständiges Danklied wären, die Perfekte in v. 10 f. befremden·. Bei der von mir vertretenen Auffassung bereiten die genannten Erscheinungen keine Schwierigkeiten. Der Dichter tritt in seiner N o t vor Gottes Antlitz, nicht mit einem Klagelied, nicht mit Opfern, sondern mit einem Dank- und Loblied, v. 2-6. In v. 7-11 erklärt er, warum er so handelt: Gott verlangt nicht Opfer, weder Brandopfer noch Sündopfer — man beachte, wie gut ΑΝΙϊΠ sich hei dieser Auffassung in den Zusammenhang fügt —, sondern das Herz. Der Dichter spricht aus, daß Gottes Gesetz tief in seinem Innern ist, und bezeugt mit großem Nachdruck, daß er zum Beweis dessen Gottes Gerechtigkeit verkündet hat und verkündet 1 0 . Nach all dem kann er mit Nachdruck um Befreiung aus der Not beten. Ob man die von mir vertretene Auffassung für annehmbar hält, hängt gewiß auch von den Ansichten ab, die man über den Aufbau der Psalmen im allgemeinen hegt. Daß so viele Exegeten die ursprüngliche Einheit von P s 40 bestreiten, findet seine Erklärung zum Teil darin, daß eine wichtige Tatsache vielfach übersehen wird: die Psalmen haben im allgemeinen einen wohlausgewogenen Aufbau, sie sind dem „Gestaltgeeetz der Vernunft" 1 1 unterworfen, wie dieses Buch darzulegen versucht, siehe für P s 40 vor allem die Ausführungen über Ps 89 in § 53c. Die von mir vertretene Auffassung von Ps 40 als Ganzes ist derjenigen von Kissane sehr verwandt. Eine Verteidigung (oder jedenfalls keine Bestrei-

2 3 _ 8 P s Sal 15i 16 1 _ 1 . Ich begnüge mich mit dem Hinweis, daß keine dieser Stellen aus unserer Psalmensammlung stammt. 8 Gunkel schreibt, daß „Ganzopfer" und „Sühnopfer" „hier wohl als die Opfer in Betracht kommen, die der Dichter in seiner vormaligen Not zur Sühnung seiner Sünden hätte bringen können". K r a u s behauptet: ,,7b könnte ein Nachtrag sein". Beides ist unbefriedigend. 9 Gewöhnlich faßt man diese Perfekte dann als „Perfekte des Vollzugs" auf; dies ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, jedoch nehmen die „Perfekte des Vollzugs" in einem Danklied gewöhnlich nicht so großen R a u m ein. Gunkel meint: „Die Perfekte sind als Rückblick auf den soeben vollendeten Psalm zu verstehen"; hiergegen läßt sich einwenden: E s wäre eigenartig, wenn ein so großer Teil des Danklieds aus einem Rückblick auf das in v. 2-β gesungene Dank- und Loblied bestünde. Michel, 1960, 93f., meint, daß wohl das Perfekt in v. 10a, nicht aber die Perfekte in v. 11 „perfecta declarativa" sind; dies macht einen etwas gekünstelten Eindruck. Siehe noch die folgende Anmerkung. 10 Indem der Dichter mit Ausnahme von v. 10b in v. 10 f. Perfekte gebraucht, weist er m. E . auf das Lied von v. 2-e zurück; ungeachtet dessen aber bilden v. 10f. auch selbst ein Loblied. Zu bedenken ist: es ist gewiß häufig notwendig, die Frage zu stellen, ob ein bestimmtes Perfekt ein „Perfekt des Vollzugs" ist oder nicht. Indessen ist es in unserem Falle wie s o o f t kaum möglich, zwischen beiden Bedeutungsmöglichkeiten zu wählen. 11 Vgl. Buber-Rosenzweig, 1936, 238 (siehe bereits § 66).

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Psalm 40

tung) der ursprünglichen Einheit findet sich ferner ζ. B. bei Hengstenberg, Baethgen, Cohen, Eerdmans, Tournay-Schwab 12 .

I. V. 2-12. Dieses vorangestellte Dank- und Loblied zerfällt in zwei Teile, v. 2-6. 7-12. A: V. 2-6. Dieser Teil besteht aus einem Bericht der Errettung, v. 2-4, und einem Loblied, v. 5 f. Es zeichnet sich ein deutlicher Gedankenfortschritt in ihm ab. Der Dichter erzählt: Er hat gespannt auf Jahwe gewartet, und Jahwe hat sich zu ihm herabgeneigt, sein Hilferufen gehört, ihn aus dem K o t der Schlammpfütze gezogen, seine Füße auf einen Fels gestellt, während er seine Schritte fest machte, und ihm einen Lobgesang in den Mund gelegt, v. 2-4; anschließend folgt der Lobgesang, v. 5f.; vgl. § 19. a. V. 2-4. Der Psalm beginnt mit dem Bericht der Errettung, siehe bereits oben. b. V. 5.6. Wie dies in einem Dank- und Loblied öfter der Fall ist, vgl. ζ. B. Ps 32! 146s, singt der Dichter in v. 5 indirekt Jahwes Lob, indem er den Mann, der sein Vertrauen in Jahwe setzt, glücklich preist; zugleich enthält diese Aussage eine Aufforderung, Jahwe zu vertrauen, vgl. v. 4. In v. 6 r u f t der Dichter als Fortsetzung seines Lobgesangs die Erinnerung an die Heilstaten wach, die Jahwe Israel im Laufe seiner Geschichte erwiesen hat; er nennt nicht bestimmte Heilstaten oder bestimmte Tugenden Jahwes, die in jenen Taten offenbar geworden sind, sondern r u f t aus, daß er verlegen ist, daß er nicht weiß, wo er beginnen oder enden soll, wenn er sie besingen will. E r entschuldigt sich gleichsam, daß sein Loblied nicht länger ist. Es kann gesagt werden, daß dieser Vers eine Begründung von v. 5 bringt; zugleich bereitet er v. 7-9 vor: dieser unvergleichlich große Gott h a t keinen Bedarf an Opfern, er fordert vielmehr das ganze Leben, vgl. Ps 50 8 f f . Β: V. 7-12. Siehe bereits oben. Der Dichter erklärt, warum er in seiner Not nicht mit Opfern, sondern mit einem Dank- und Loblied vor Gott erscheint. Jahwe, der unvergleichlich große Gott, v. 6, verlangt keine Opfer, er verlangt das Herz. Der Dichter nun beteuert, daß es seine Lust sei, zu tun, was Gott wohlgefällig ist, v. 7-9. Daß 12 Für die Exegese des Psalms als einer Ganzheit ist übrigens nicht in erster Linie entscheidend, ob man den Psalm als eine ursprüngliche Einheit betrachtet oder nicht, sondern ob man gelten läßt, daß v. 2-12 wenigstens in der vor uns liegenden Gestalt des Psalms eine Einleitung zu v. 13-18 bilden. So hat die Exegese, die Delitzsch von dem Psalm als Ganzem gibt, größere Verwandtschaft mit meiner Exegese als diejenige von Eerdmans, obwohl jener die ursprüngliche Einheit leugnet, während dieser sie anerkennt.

Bidderbos, Psalmen

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I I I . Spezieller Teil

dies so sei, gehe doch daraus hervor, daß er ein Loblied singe, v. 10 f. Dieses Loblied mündet in eine Vertrauensäußerung, v. 12. Wir können die Bedeutung dieser Perikope auch folgendermaßen umschreiben: Der Mensch darf sich, wenn er um Hilfe fleht, nicht darauf berufen, daß er so viele Opfer darbringt. Er darf sich jedoch wohl darauf berufen, daß er Gott ein Dank- und Loblied singt; ein Loblied, das dem Herzen entspringt, ist Gott angenehm, vgl. ζ. B. Ps 19 ls . Auch bei diesen Versen kann von einem aphoristischen Stil gesprochen werden; vgl. § 63c. Der Dichter sagt wieder und wieder, daß Jahwe keine Opfer verlangt. Was aber verlangt Jahwe? Es ist wohl deutlich, daß der Dichter meint: Jahwe verlangt, daß sein Gesetz tief im Innern des Menschen ist, daß der Mensch sich ihm ganz und gar zur Verfügung stellt, v. 9. Aber er spricht dies nicht direkt aus. Nach der von mir vertretenen Auffassung kann ferner gesagt werden: daß der Mensch sich Gott ganz und gar zur Verfügung stellt, muß nach der Vorstellung des Dichters 13 vor allem darin zum Ausdruck kommen, daß er Gottes Lob singt, siehe v. lOf.; aber auch dies sagt der Dichter nicht ausdrücklich, wir müssen es vielmehr zwischen den Zeilen lesen. a. V. 7-9. Der Dichter bekundet hier, daß sein Herz, mit dem er vor Gott erscheint, so ist, wie Gott es verlangt. Diese Verse weisen einen eigenartigen Parallelismus auf (dies hängt mit dem aphoristischen Stil zusammen), dem folgendes Schema zugrunde hegt: a—b—a' — b' — c — b " — c'; merkwürdig ist, daß sich bei dem Parallelismus in v. 13 ein ähnliches Schema erkennen läßt; übrigens is der Parallelismus in verschiedenen Versen dieses Psalms auffallend, siehe ζ. B. auch v. 6.10. f.. Die Bedeutung von v. 8 läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Μ. E . verdient folgende Übersetzung den Vorzug: „Damals sagte ich: siehe, ich komme, | m i t der beschriebenen Buchrolle bei m i r " (für eine linguistische Begründung dieser Übersetzung siehe ζ. B. Eerdmans). D a n n läßt sich die Bedeutung von v. 8f. folgendermaßen umreißen. Der Dichter, der m . E . der König ist 14 , spricht hier aus: „ A m Tage meiner Thronbesteigung bin ich mit einer Abschrift des Gesetzes vor dein Angesicht getreten 1 5 , zum Zeichen dessen, daß es meine Absicht war, nach deinem Willen zu leben. S t a t t mich m i t Opfern zu begnügen, t r u g u n d trage ich d a s Gesetz tief in meinem I n n e r n . "

13

E s besteht eine enge Verwandtschaft zwischen P s 40 und P s 50. Man k a n n sagen, d a ß der Dichter von Ps 40 den Aufforderungen von Ps 50 14 f m i t diesem Psalm genau nachkommt. 11 Vgl. mein Buch De Psalmen, I 433 ff. " V g l . I I Reg 11, 2 Π Chr 23,,.

Psalm 40

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b. V. 10.11. Der Dichter beteuert hier mit auffallendem Nachdruck, daß er Gottes Größe besungen hat und noch besingt 16 . Fünfmal spricht er dies aus. Drei dieser fünf Aussagen haben die Form von Negationen, was ihnen einen besonderen Akzent verleiht. Der Dichter ruft Jahwe zum Zeugen, daß er seine Größe besingt. Zweimal sagt er, daß er „in, vor einer großen Gemeinde" singt. Daß der Dichter das Bedürfnis hat, dies mit so starkem Nachdruck zu versichern, läßt sich aus dem Zusammenhang erklären. Es geht ihm darum zu beteuern: ich bringe kein Opfer dar, sondern als Zeichen meiner Lust, zu tun, was Gott wohlgefällig ist, singe ich ein Loblied. Das Loblied ist Gott wohlgefällig; Gott will, daß sein Name gepriesen werde; nun, der Dichter — er beteuert es fünfmal — verkündet Gottes Lob; dann hat er doch wohl einen Anspruch darauf, daß Gott ihn aus seiner Not rettet. Besondere Beachtung verdient die Wendung DJ^T ΠΠΚ in v. I0d;sie bedeutet nicht etwa: ,,Du weißt, daß ich deine Gerechtigkeit verkünde", sondern: „Du, der du das Herz prüfst, kennst meine Verkündigung deiner Gerechtigkeit, du weißt: diese Verkündigung zeigt, daß dein Gesetz tief in meinem Innern ist". Bereits in v. 10 hat der Dichter die Aussagen gemacht, um die es ihm in diesem Teil geht; um ihnen stärkeren Nachdruck zu verleihen, werden sie in v. 11 in Varianten wiederholt. Wir finden in diesen Versen verschiedene Bezeichnungen für Gottes Tugenden: p*75f dient als zusammenfassender Begriff; v. 10 gebraucht nur ρΠΪ , in ν. 11 ist TTplSf das erste der betreffenden Wörter, es wird anschließend durch vier andere Wörter weiter herausgearbeitet. bnp wird in dem ersten und dem letzten Doppelstichos dieser Perikope gebraucht; es markiert gleichsam deren Anfang und Ende. c. V. 12. Dieser Vers bildet den Übergang zwischen den zwei Teilen dieses Psalms. Das Dank- und Loblied endet mit einer Äußerung des Vertrauens 17 . Daß eine Hymne oder ein Danklied mit der Versicherung schließt, daß Gott (auch) in der Zukunft den Seinen helfen 16

Für die in diesen Versen gebrauchten Perfekte siehe bereits oben. Manche fassen v. 12 als eine Bitte auf („halte nicht zurück", „mögen mich behüten"), siehe ζ. B. Buber, Tournay-Schwab. Diese Auffassung hat inhaltlich gesehen — vor allem bei der von mir vertretenen Auffassung dieses Psalms als Ganzem — wohl Anziehungskraft (man kann v. 12 dann als den Beginn des zweiten Teils des Psalms betreichten). Aber es ist die Frage, ob sie grammatikalisch haltbar ist. Delitzsch schreibt: „ I n abwehrender Bitte an Gott steht immer und in verbietendem Befehl Gottes an den Menschen ^ ! ; auch hier 12a hat Κ 7 nicht den deprekativen Sinn von , sondern Ν τ 5 Γ 1 Κ ? ist Ausdruck zuversichtlicher Erwartung." 17

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wird, begegnet nur selten, vgl. Ps 29 u 1387f. An dieser Stelle kann dies jedoch nicht verwundern. Im vorhergehenden nämlich ging es dem Dichter doch auch darum, hervortreten zu lassen, daß er einen Anspruch auf Gottes Hilfe erheben kann. Er kann einen Anspruch auf sie geltend machen, darf sie also auch erwarten, v. 12; dies kann in dem nun folgenden Gebet als ein kräftiger Beweggrund des göttlichen Einschreitens gelten. Der enge Zusammenhang zwischen diesem Vers und dem Vorhergehenden, namentlich v. 10 f., wird durch die Wiederholung hervorgehoben. In v. Ii hat der Dichter ausgesprochen: „Ich verhehle nicht deine Gunst und deine Treue"; dann darf er auch die Gewißheit haben: „Deine Gunst und deine Treue werden mich ständig behüten", v. 12. Der Dichter „hält seine Lippen nicht zurück", v. 10; dann wird auch Jahwe seine Barmherzigkeit nicht von ihm „zurückhalten", v. 12 (nb^ wird in der Psalmensammlung außer in Ps 40 nur in Ps 889 119101 gebraucht). II. V. 13-18. Das nun folgende Gebet besitzt dadurch große Kraft, daß ihm Dank und Lob vorangehen. Abgesehen von v. 13 hat es einen ausgesprochen traditionellen Charakter. So besteht eine auffallende Übereinstimmung zwischen v. 15-18 und Ps 352e_28. Dies bedeutet jedoch nicht, daß es keine besonderen Züge hätte, siehe vor allem v. 18, z. B. TtKn · V. 13. Wie das Dank-und Loblied mit dem Bericht der Errettung, v. 2-4, so beginnt der Klagepsalm mit der Beschreibung des elenden Zustande, in dem der Dichter sich befindet; vgl. Ps 3 2f u. a. Dies ist die einzige direkte Klage dieses Psalms. Zwar bildet v. 12 einen Übergang vom ersten zum zweiten Teil des Psalms, dennoch aber besteht ein schroffer Gegensatz zwischen v. 12 und v. 13. Man beachte die „Personifikationen"18: Der Dichter darf erwarten, daß ihn gute Engel (Jahwes Gunst und Treue) behüten werden, aber in Wirklichkeit haben ihn böse Engel (Unglücke, seine Ungerechtigkeiten) umringt, erreicht. Auch hier hat der Parallelismus einen eigenartigen Charakter; man kann in ihm folgendes Schema erkennen:a — b — a' —c19 - b ' - c'. V. 14. Der Klage folgt eine kurze, dringende Bitte. 18 Zu der Frage, inwieweit in derartigen Fällen von „Personifikation" gesprochen werden kann, vgl. ζ. B. Gerleman, Bemerkungen zum altteetamentlichen Sprachstil, in: Studie Biblica et Semitica, 1966, 108—114. 19 Μ. E. muß man übersetzen: „und ich kann nicht sehen"; der Dichter vergleicht sich hier mit einem Blinden, Dtn 28 l a Jes 5910 usw., oder mit einem Menschen, den die Finsternis überfallen hat, Fe 35, usw.; siehe ζ. B. Cohen, Eissane.

Psalm 40

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V. 15-18. Die kurze Bitte von v. 14 wird im einzelnen entfaltet. Der Dichter spricht der Reihe nach über seine Feinde, v. 15 f., seine Schicksalsgenossen, v. 17, und sich selbst, v. 18. Er äußert vor dem Angesicht Jahwes den Wunsch, daß seine Feinde beschämt werden mögen, v. 15 f., und daß diejenigen, die Jahwe suchen, sich seiner freuen mögen, v. 17. Der Gegensatz zwischen den Feinden des Dichters und seinen Schicksalsgenossen wird durch die Wiederholung unterstrichen, siehe in v. 15 und v. 17, U2K in v. 16 und v. 17. Der Dichter schließt mit zwei kurzen Gebeten, v. 18. All diese Verse weisen externen Parallelismus auf. Tn v. 15 f. läßt sich sowohl in den Verwünschungen, siehe zu Ps 35 lb _ 10 , wie in der Schilderung der Feinde eine gewisse Klimax erkennen. In v. 18 spricht der Dichter nicht mehr über seine Feinde und seine Anhänger, sondern bittet Gott direkt um Aufmerksamkeit für seine Not, vgl. v. 14 und siehe ζ. B. Ps 3822 f . Ebenso wie bei v. 15-17 können wir hier von einem externen Parallelismus sprechen, wobei v. a und v. c in chiastischem Verhältnis zueinander stehen. Wir können sagen, daß v. c eine Zusammenfassung des ersten Teils, v.d eine Zusammenfassung des zweiten Teils dieses Psalms gibt. Im vorstehenden wurde bereits auf verschiedene Erscheinungsformen des Stils der Wiederholung aufmerksam gemacht. Man beachte: ,,Vertrauen" in v. 4 und v. 5, „Gedanken, denken an" in v. 6. 18, D2fJ? und~| Dinv.6. 13, „Behagenhaben"in v. 7.9.15,„Wohlgefallen(haben)" in v. 9.14, „Gerechtigkeit" i n v . 10.11, „eine große Gemeinde" in v. 10.11, „zurückhalten" in v. 10.12, „deine Befreiung" i n v . 11.17, „deine Gunst und deine Treue" in v. 11.12, „suchen" in v. 15.17, „sagen" i n v . 16.17. wird außer in v. 10 f. auch in v. 4. 6 gebraucht. Auffallend ist ferner der zweimalige Gebrauch von "pfi , v. 9.11.; will der Dichter zu verstehen geben, daß der Gehorsam gegenüber Gott zwar tief im Innern, im Herzen sein muß, dort jedoch nicht eingeschlossen bleiben darf? Bei der Besprechung von v. 7-12 wurde auf die aphoristischen Züge des Stils hingewiesen. Als Zeichen eines aphoristischen Stils kann auch gelten, daß der Dichter in v. 9 sagt: „Dein Gesetz ist tief in meinem Innern" und in v. 13 über seine zahlreichen Ungerechtigkeiten spricht. Wir erwähnen schließlich noch das Wortspiel TIC" in v. 4, vgl. § 16a.

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III. Spezieller Teil

Psalm

41

V. 2-4||5|6-10|l]||l2f.|||l4

2—3—211212—3 — 2—2— 2[2||2 — 2| 1121

Nach Ewald, Gunkel, Schmidt, Weiser, Podechard, Kraus u.a. ist Ps 41 ein Dankpsalm, eine Dankliturgie; nach Delitzsch, Kittel. Eerdmans, Kissane, Tournay-Schwab, J . Ridderbos u. a. ist er ein Klagepsalm. Allein die Tatsache, daß eine solche Meinungsverschiedenheit möglich ist, ist für die Psalmen bezeichnend. Wenn die Psalmen spontane Äußerungen dessen wären, was den Dichter erfüllte, wären so veschiedene Ansichten über den allgemeinen Inhalt eines Psalm kaum möglich. Es ist m. E. die Frage, ob man sich mit Bestimmtheit für eine dieser beiden Auffassungen entscheiden muß. Es ließe sich denken, daß dieser Psalm sowohl von Menschen, die für ihre Heilung danken wollten, als auch von Menschen, die um Heilung beteten, gesprochen wurde. Wenn er bei der Heilung verwendet wurde, fungierten v. 2-i, um mit Schmidt zu sprechen, als der Gruß, mit dem der Priester den Geheilten „bei seinem ersten Kirchgang" begrüßte. An die Stelle des Berichts der Errettung tritt die Mitteilung des Gebets, das in der Not gebetet wurde, ν. 5-11. V. 12 f. enthalten das eigentliche Danklied. Merkwürdig ist bei dieser Auffassung allerdings, daß das eigentliche Danklied so viel kürzer ist als die Mitteilung des Gebets in der Not. Aus diesem und anderen Gründen ist es m. E. wahrscheinlich, daß der Psalm zumindest ursprünglich als ein Gebet bei Krankheit gedacht war; vgl. § 60. Diese Auffassung liegt denn auch den folgenden Ausführungen zugrunde. Der Psalm besteht aus drei Teilen: der Einleitung zu dem Gebet, v. 2—4, dem Gebet, v. 5-11, und einer Äußerung der Erhörungsgewißheit, v. 12 f. I. V. 2-4. Es ist möglich, daß hier eine andere Stimme spricht als in den übrigen Versen des Psalms; dieser Teil könnte von einem Diener des Heiligtums gesprochen worden sein. Er enthält eine Glücklichpreisung. Es kommt wiederholt vor, daß ein Gebet aus der Not nicht mit einer Klage oder einer Bitte beginnt, siehe § 53c. Wie der Dichter von Ps 32 sein Danklied, so beginnt der Dichter von Ps 41 Nach K r a f t , Kissane, Pannier-Renard u. a. besteht dieser Psalm aus vier Strophen von je drei Verszeilen, v. 2-4. 5-7. 8-10. 11-13. E s besteht jedoch kein Grund, bei v. 8 eine Zäsur anzusetzen, und v. ll kann besser zum Vorhergehenden als zum Folgenden gezogen werden. 1

Psalm 41

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sein Gebet aus der Not mit einer Glücklichpreisung. E s wird kein Zufall sein, daß gerade dieser Psalm, in dem die Worte des Unheils eine so wichtige Rolle spielen, siehe v. 6-9, mit einer Glücklichpreisung beginnt, siehe auch v. 3b (sowohl in v. 2 wie in v. 3 wird der Stamm gebraucht). E s ist, als durchbreche der Dichter mit dieser Glücklichpreisung, die einem Segenswunsch eng verwandt ist2, gleich zu Anfang die Atmosphäre der unheilvollen Worte und Verwünschungen. Die Massoreten haben v. 2a offenbar folgendermaßen aufgefaßt: „Wie glücklich ist der, der sich klug verhält gegenüber einem Schwachen." Wenn diese Auffassung richtig ist 3 , gilt von der Glücklichpreisung in v. 2-4 dasselbe, was in diesem Buch bei verschiedenen Aussagen in den Psalmen konstatiert wurde: Sie hat nicht nur eine einzige Funktion. Auf der einen Seite wird hier sicherlich angenommen, daß die „Frömmigkeit", v. 13, des Beters sich u. a. in seinem „klugen Verhalten gegenüber einem Schwachen" offenbart; die Glücklichpreisung schließt also in sich, daß der Beter Befreiung von den Feinden und Heilung erwarten darf, v. 3c.4. Andrerseits enthält die Glücklichpreisung eine Aufforderung, sich einem Schwachen gegenüber klug zu verhalten, sowie eine Warnung für diejenigen, die das nicht tun; man könnte fast von einer indirekten Verwünschung der Feinde sprechen. Alle Aussagen von v. 2b-4 beziehen sich auf den Zustand, in dem der Beter sich befindet (vgl. in v. 2 mit J?1 in v. 6 und v. 8), am konkretesten aber geschieht dies in v. 3c.4. I I . V. 5-11. Diese Verse enthalten die Bitte und die Klage. Der größte Teil, v. 6-10, wird von der Klage eingenommen, die sich auf das Tun der Menschen bezieht. Das eigentliche Gebet ist verhältnismäßig kurz: der erste und der letzte Vers enthalten flehentliche Bitten; der letzte Vers greift mit dem Ausruf „Jahwe, sei mir gnädig" auf den ersten zurück. Dieser Teil beginnt mit ΤΠ0Ν~ΌΚ . Das Vorhergehende enthielt eine allgemeine Aussage; nun bittet der Beter um Aufmerksamkeit für sich selbst. Vielleicht stellt der Beter auch sein Sprechen dem Sprechen der Feinde gegenüber, siehe ~|QK in v. 6,"QT in v. 7 (zweimal) und v. 9. 2

Man k a n n sich sogar — vor allem im Hinblick auf v. 3c — fragen, ob nicht wenigstens ein Teil von v. 2-4 eher ein „Segenswunsch" als eine „Glücklichpreisung" genannt werden m u ß ; siehe f ü r "ΠΙΠΓΓ'τΝ i n v - 3c jedoch GeseniusKautzsch, § 109 e. 3 Übrigens m u ß zugegeben werden, d a ß die Frage nach der Funktion von v. 2-4 leichter zu beantworten ist, wenn m a n v. 2a übersetzt: „Wie glücklich ist der Schwache, der auf Gott a c h t e t " , vgl. ζ. B. Podechard.

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III. Spezieller Teil

Bei v. 6-10 kann von einer Klimax gesprochen werden. Die Klage findet jedenfalls ihren Höhepunkt in v. lo (vielleicht bilden in v. 10 die Ausdrücke „der Mann, mit dem ich befreundet war", „auf den ich vertraute", „der mein Brot a ß " ihrerseits auch eine Klimax). Ferner sprechen v. 6 von den Feinden, v. 7 von einem (heuchlerischen, treulosen) Freund, v. 8 f. von den Feinden, v. 10 von einem Freund; dazu kann gesagt werden, daß v. 8 f. krasser als v. 6, v. 10 krasser als v. 7 sprechen. Auffallend sind die Übereinstimmung und der Unterschied zwischen v.5 und v. ll. Sowohl in v. 5 wie in v. n lautet die erste Bitte "ΟΙΓ! miT , siehe bereits oben. Die zweite Bitte von v. 5, „Heile doch meine Seele", greift auf v. 4 zurück, die zweite Bitte von v. ll, „Laß mich aufstehen", auf v. 9 („Er steht nicht wieder auf"). In v. 5 folgt den beiden Bitten das Bekenntnis „denn ich habe gegen dich gesündigt". Durch dieses Bekenntnis seiner Sünde bahnt sich der Beter gleichsam den Weg für seine Klagen über das Tun seiner Bedränger. Er klagt: Jeder wendet sich gegen mich, selbst der Mann, der mein Brot aß. Sodann wendet er sich mit den Worten Π\Τ !"1ΓΙΚ1 in v. ll erneut an den einzigen Freund und Helfer, der ihm geblieben ist. Wieder spricht er zwei Bitten aus; und nun, da er das Tun seiner Bedränger vor Gott gebracht hat, hat er die Freimütigkeit, diesen Bitten nicht ein Schuldbekenntnis, sondern den Satz „dann werde ich es ihnen vergelten" hinzuzufügen (besteht eine bestimmte Verbindung zwischen Hö in v. ll und "öl # in ν. io?). I I I . V. l2.l3.Der Psalm schließt mit einer Äußerung der Erhörungsgewißheit; vgl. § 36a. Es ist nicht unmöglich, daß zwischen v. ll und v. 12 eine kultische Handlung, etwa ein ermutigendes Wort des Priesters, gedacht werden muß; dann könnte sich DiiD auch auf die kultische Handlung beziehen, vgl. Ps 20, u. a. Eine andere Möglichkeit wäre, daß hier eine Nachwirkung des kultischen Rituals vorliegt; vor allem in diesem Fall läge es nahe, daß flND auf die folgenden Aussagen vorausdeutet. Auch in v. 12 f. ist die Reihenfolge der Aussagen nicht willkürlich. Die allgemeine Aussage in v. 12a, ^ ΠΪΕΠ wird in v. 12b.i3 besondert. I n v. 12b spricht der Dichter über seinen Feind, in v. 13 (OKI) über sich selbst; v. 13 b bildet den Höhepunkt dieser Perikope und des ganzen Psalms. Wie im Vorstehenden schon erwähnt wurde, wird gebraucht in v. 2 und v. 3, " JH, JTl in v. 2.6.8, "©N in v. 5, 6 , i n v. 7 (zweimal). 9, p n in v. 5. ll, Dp in v. 9. ll, o^tf in v. 10. n .

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Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft H e r a u s g e g e b e n v o n GEORG FOHRER

Zuletzt erschienen: Yarih und Nikkal und der Preis der Kutarät-Göttinnen. Ein kultisch-magischer Text aus Ras Schamra. Von W. HERRMANN. X, 48 Seiten. Mit 1 Tafel. 1968. DM 18,— (Heft 106) The Samaritan Chronicle No. Π (or: Sepher Ha-Yamim) From Josua to Nebuchadnezzar. By J. MACDONALD. Vffl, 227, 93 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 70— (Heft 107) The Problem of Etiological Narrative in the Old Testament. By B. O. LONG. V M , 94 Seiten. 1968. Ganzleinen DM 24,— (Heft 108) Ursprünge und Strukturen alttestamentlicher Eschatologie. Von H.-P. MÜLLER. XU, 232 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 46,— (Heft 109) Mose. Überlieferung und Geschichte. Von Η. SCHMID. VIII, 113 Seiten. 1968. Ganzleinen DM 32 — (Heft 110) The Prophetic Word of Hosea. A Morphological Study. By Μ. J. Buss. XIV, 142 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 46,— (Heft 111) Text und Textform im hebräischen Sirach. Untersuchungen zur Textgeschichte und Textkritik der hebräischen Sirachfragmente aus der Kairoer Geniza. Von Η. P. RÜGER. VIII, 117 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 46,— (Heft 112) Die Wurzel schalom im Alten Testament. Von W. EISENBEIS. XVI, 367 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 80,— (Heft 113) Das Todesrecht im Alten Testament. Studien Zur Rechtsform der Mot-Jumat-Sätze. Von H. SCHULZ. X, 208 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 42,— (Heft 114) Studien zur alttestamentlichen Theologie und Geschichte (1949—1966). Von G. FOHRER. X, 371 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 74,— (Heft 115) Prophet und Tradition. Versuch einer Problemstellung. Von M. L. HENRY. X, 77 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 22 — (Heft 116) Strukturen und Figuren im Kult von Jerusalem. Studien zur altorientalischen, vor- und frühisraelitischen Religion. Von F. STOLZ. XI, 235 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 58,— (Heft 118) Geschichtliche Rückblicke und Motive in der Prophetie des Arnos, Hosea und Jesaja. Von J . VOLLMER. X, 217 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 62,— (Heft 119) Die Priesterschrift von Numeri 1, 1 bis 10, 10 — literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht. Von D. KELLERMANN. VI, 168 Seiten. 1970. Ganzleinen DM 48,— (Heft 120) Ezechiel und Deuterojesaja. Berührungen in der Heilserwartung der beiden großen Exilspropheten. Von D. BALTZER. XX, 193 Seiten. 1971. Ganzleinen DM 58,— (Heft 121) Untersuchungen zur sogenannten Baruchschrift. Von GUNTHER WANKE. XII, 156 Seiten. 1971. Ganzleinen DM 42,— (Heft 122) Vorformen der Schriftexegese innerhalb des Alten Testaments. Untersuchungen zum literarischen Werden der auf Arnos, Hosea und Micha zurückgehenden Bücher im hebräischen Zwölfprophetenbuch. Von INA WILLI-PLEIN. X, 286 Seiten. 1971. Ganzleinen DM 88,— (Heft 123) Prophetie Conflict. Its Effect Upon Israelite Religion. Von JAMES L. CRENSHAW. XVI, 134 Seiten. 1971. Ganzleinen DM 54,— (Heft 124)

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G

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Die Mischna

Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung Mit eingehenden geschichtlichen und sprachlichen Einleitungen und textkritischen Anhängen B e g r ü n d e t v o n G E O R G B E E R u n d OSCAR HOLTZMANN

Unter Mitarbeit zahlreicher Gelehrter des In- und Auslandes in Gemeinschaft mit RUDOLF MEYER h e r a u s g e g e b e n v o n K A H L H E I N R I C H RENGSTORF u n d LEONHARD R O S T

Zuletzt erschienen: L Seder: Zeraim, 5. Traktat: Schebiit (Vom Sabbatjahr), bearb. von Dr. DIETRICH CORRENS. Vffl, 181 Seiten. 1960. DM 26,— L Seder: Zeraim, 6. Traktat: Terumot (Priesterheben), bearbeitet von Dr. EBERHARD GÜTING. X , 235 Seiten. 1969. D M 6 8 , —

I. Seder: Zeraim, 7.—8. Traktat: Μ aaserot/Maaser scbeeni (Vom Zehnten/Vom zweiten Zehnten), bearb. von Dr. WOLFGANG BUNTE. VIII, 285 Seiten. 1962. DM 38,— Π. Seder: Mo'ed, 6. Traktat: Sukka (Laubhüttenfest), bearb. von Prälat Dr. HANS BORNHÄUSER. V I I I , 1 9 7 S e i t e n . 1 9 5 5 . D M

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Π. Seder: Mo'ed, 7. Traktat: Bisa (Ei), bearb. von Dr. WOLFGANG E. GERBER. VIII, 108 Seiten. 1963. DM 20,— Π. Seder: Mo'ed, 10. Traktat: Megilla (Esther-Rolle), bearb. von LOTHAR TETZNER, VIII, 154 Seiten. 1968. DM 50,— ΠΙ. Seder: Naschim, 1. Traktat: Jebamot (Von der Schwagerehe), bearb. von Prof. D. KARL HEINRICH RENGSTORF. XII, 328 Seiten. 1929. Verbesserter Neudruck. 1958. DM 48,— ΙΠ. Seder: Naschim, 4. Traktat: Nazir (Nasiräer), bearb. von Prof. Dr. MAAS BOERTIEN. V M , 243 Seiten. 1971. DM 68,— ΙΠ. Seder: Naschim, 6. Traktat: Sota (Die des Ehebruchs Verdächtigen), bearbeitet von P r o f . D r . HANS BIETENHARD. V I I , 2 1 2 Seiten. 1956. D M 2 6 , —

V. Seder: Kodaschim, 5. Traktatx'Arakin (Schätzungen), bearb. von Dr.MICHAEL KRUPP. X , 161 Seiten. 1971. DM 48,— VI. Seder: Toharot, 4. Traktat: Par a (Die rote Kuh), bearb. von Dr. GÜNTER MAYER, VUI, 164 Seiten. 1964. DM 38,— VI. Seder: Toharot, 9. Traktat: Zabim (Die mit Samenfluß Behafteten), bearb. von Dr. WOLFGANG B U N T E . V I I , 1 2 2 S e i t e n . 1 9 5 8 . D M

26,—

VI. Seder: Toharot. 10. Traktat: Tebuljom (Der am selben Tag Untergetauchte), bearb. von D r . G E R H A R D LISOWSKY. V I , 6 9 S e i t e n . 1 9 6 4 . D M

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VI. Seder: Toharot, 11. Traktat: Jadajim (Hände), bearb. von Dr. GERHARD LISOWSKY. V I , 97 Seiten. 1956. DM 18,— VI. Seder: Toharot, 12. Traktat: Uksim (Stiele), bearb. von Dr. GERHARD LISOWSKY. VI, 62 Seiten. 1967. DM 21,— In Vorbereitung VI. Seder: Toharot, 1. Traktat: Kelim, bearb. von Pastor Dr. WOLFGANG BUNTE. Etwa 560 Seiten. 1971. Etwa DM 128,— Der Verlag gewährt Abonnenten einen Subskriptionspreis, der 15% unter dem Ladenpreis liegt.

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Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten Herausgegeben von WALTER

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Der Reliquienkult im Altertum. Von FRIEDRICH PFISTER. Nachdruck geplant. Subskr. DM 86,— 1. Das Objekt des Reliquienkultes. 1909. 2. Die Reliquien als Kultobjekt. Geschichte des Reliquienkultes. — XII, 686 Seiten. 1912. ( V )

Die kultische Keuschheit im Altertum. Von EUGEN druck 1966. Ganzleinen DM 34,— (VI)

FEHRLE. X I I , 2 5 0

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1910.

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Antike Heilungswunder. Untersuchungen zum Wunderglauben der Griechen und Römer. Von OTTO WEINREICH. X I I , 2 1 2 Seiten. 1 9 0 9 . Nachdruck 1 9 6 9 . Ganzleinen D M 4 4 , — (νιπ,ΐ) Die sakrale Bedeutung des Weines im Altertum. Von K A R L Nachdruck 1970. Ganzleinen DM 19,80 (IX, 2) Epiktet und das Neue Testament. Von ADOLF druck 1965. Ganzleinen DM 42,— (X)

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ΧΠ, 412 Seiten. 1911. Nach-

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Triskaidekadische Studien. Beiträge zur Geschichte der Zahlen. Von OTTO WEINREICH. X, 124 Seiten. 1916. Nachdruck 1967. Ganzleinen DM 24,— (XVI, 1) De philosophorum Graecorum silentio mystico. Von ODO Nachdruck 1967. Ganzleinen DM 24,— (XVI, 2)

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Das Fasten bei den Griechen und Römern. Von P. R. ARBESMANN. VHI, 131 Seiten. 1929. Nachdruck 1966. Ganzleinen DM 22,— (XXI, I) Sylloge inscriptionum religionis Isiacae et Sarapiacae colleg. 373 Seiten. 1969. Ganzleinen DM 98,— (XXVIH)

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Isis und Saraphis bei den Griechen und Römern. Epigraphische Studien zur Verbreitung und zu den Trägern des ägyptischen Kultes. Von LADISLAV VIDMAN. VI, 1 8 9 Seiten. 1 9 7 0 . Ganzleinen DM 52,— (XXIX) Garizim und Synagoge. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur samaritanischen Religion der aramäischen Periode. Von HANS GERHARD KIPPENBERG. XIV, 374 Seiten. 1971. Ganzleinen DM 88,—(XXX) Die iranischen Feuerheiligtümer. Von KLAUS

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