Die Präsenz des Duns Scotus im Denken Edith Steins: Die Frage der Individualität [1 ed.] 9783428555055, 9783428155057

In diesem Band analysiert der Autor die Werke der Phänomenologin Edith Stein, um herauszufinden, welche scotistischen Qu

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Die Präsenz des Duns Scotus im Denken Edith Steins: Die Frage der Individualität [1 ed.]
 9783428555055, 9783428155057

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Philosophische Schriften Band 106

Die Präsenz des Duns Scotus im Denken Edith Steins Die Frage der Individualität Von Francesco Alfieri

Duncker & Humblot · Berlin

FRANCESCO ALFIERI

Die Präsenz des Duns Scotus im Denken Edith Steins

Philosophische Schriften

Band 106

Die Präsenz des Duns Scotus im Denken Edith Steins Die Frage der Individualität Von Francesco Alfieri

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Abbildung S. 7: Edith Stein, 1913–1914 © Edith Stein-Archiv – Köln Originalausgabe © 2014 Morcelliana, Brescia La presenza di Duns Scoto nel pensiero di Edith Stein. La questione dell’individualità (Filosofia, 55) Deutsche Übersetzung von Nicole Ludwig-Nicolaci (revidiert von Francesco Alfieri) Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 978-3-428-15505-7 (Print) ISBN 978-3-428-55505-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Gewidmet Frau Professor Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz als Zeichen der Dankbarkeit für ihren radikalen Einsatz, um Edith Steins Denken in der Welt bekannt zu machen und für die ausgezeichnete Leitung der Edith Stein Gesamtausgabe

Edith Stein (1891–1942)

Geleitwort Allein der Titel der 2014 in Italien erschienenen Abhandlung des Franziskaners Francesco Alfieri La presenza di Duns Scoto nel pensiero di Edith Stein. La questione dell’individualità lässt aufhorchen und etwas Außerordentliches und Bedeutungsvolles erwarten. In dieser Abhandlung unternimmt es ihr Verfasser, die zentrale Frage Edith Steins in ihrer phänomenologischen Anthropologie, die Frage nach der Individualität des menschlichen Individuums, so wie diese Frage von ihr in ihrem Opus Magnum Endliches und ewiges Sein entfaltet und beantwortet wird, philologisch und exegetisch zu untersuchen. Francesco Alfieri legt dar, wie Edith Stein die Behandlung der Individuationsfrage einerseits bei Thomas v. Aquin und andererseits bei Johannes Duns Scotus vergleicht und der Position des letzteren mit seinem Konzept der Haecceitas den Vorzug gibt. So erarbeitet Edith Stein im Gespräch mit den Schriften des Duns Scotus und in phänomenologischer Sichtweise, die sie Edmund Husserl verdankt, ihre Konzeption der Individualitätsfrage innerhalb ihrer phänomenologischen Anthropologie. Die Haecceitas als die Diesheit bzw. Dieseinzigkeit, die in jedem Individuum zur natura communis als die individuierende Differenz hinzutritt, ist es, die Edith Stein den Weg zu einer sie überzeugenden Beantwortung der Individuationsfrage weist. In ihrer Bevorzugung des Johannes Duns Scotus vor den anderen großen Scholastikern zeigt Edith Stein eine spürbare Nähe zu Martin Heidegger und dessen Habilitationsschrift Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus. In der Einleitung zu dieser Schrift äußert sich Heidegger darüber, warum er sich für die von ihm angestrebte Untersuchung der Kategorienlehre in der Scholastik für die Bearbeitung durch Duns Scotus entschieden hat. Dort lesen wir: „Zwar soll das Kategorienproblem nicht durch die ganze Geschichte der Scholastik hindurch verfolgt werden. Es wird vielmehr in der Bearbeitung durch den Franziskaner Duns Scotus, den ‚scharfsinnigsten aller Scholastiker‘, wie ihn Dilthey genannt hat, einer auswertenden Betrachtung unterzogen werden. Nicht allein die dem Duns Scotus mit Recht nachgerühmte und für logische Probleme so außerordentlich notwendige kritische Denkart lenkte unsere Aufmerksamkeit gerade auf ihn. Bestimmend ist seine ganze Denkerindividualität überhaupt mit ihren unverkennbaren modernen Zügen. Er hat eine größere und feinere Nähe (haecceitas) zum realen Leben, seiner Mannigfaltigkeit und Spannungsmöglichkeit gefunden als die Scholastiker vor ihm“ (GA 1, S. 202 f.). In der größeren und feineren Nähe zum realen Leben, die Heidegger bei Duns Scotus sieht, zeigt sich ihm eine Phänomen-Nähe des Duns Scotus, die ihn für seine Untersuchung des Kategorienproblems anzieht. Es ist somit der phänomenologische Geist, mit dem Heidegger seine Arbeit über Duns Scotus verfasst hat, der ihn zu diesem scholastischen Denker führt. Ähnlich ver-

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Geleitwort

hält es sich für die Phänomenologinnen Hedwig Conrad-Martius und Edith Stein, wenn auch sie sich den Schriften und dem Denken des Duns Scotus zuwenden, wie Francesco Alfieri erkannt hat. Ein besonderes Verdienst der Abhandlung von Francesco Alfieri ist es, aufgeklärt zu haben, dass und inwiefern einige Phänomenologen den phänomenologischen Zugang zur scholastischen Philosophie über Johannes Duns Scotus und dessen Phänomen-Nähe zum realen Leben, für die der Begriff der Haecceitas steht, gefunden haben. Die Präsenz des Duns Scotus im Denken Edith Steins. Die Frage der Individualität von Francesco Alfieri ist nach mehreren Hinsichten eine überaus gelungene Abhandlung zur Phänomenologie von Edith Stein, zur Individualitätsfrage bei Duns Scotus selbst und zur Bedeutung des Duns Scotus für den phänomenologischen Zugang zum mittelalterlichen Denken. Nachdem die italienische Urfassung seiner Abhandlung in englischer Sprache, Springer Verlag, USA „Analecta Husserliana“, und portugiesischer Sprache, Perspectiva Verlag, Brasilien, längst erschienen ist, erscheint diese hochbedeutsame Abhandlung über die große deutsche Philosophin Edith Stein endlich auch in ihrer Muttersprache Deutsch. Ich wünsche diesem wichtigen Buch eine weite Verbreitung und fruchtbare Aufnahme in der internationalen philosophischen Diskussion. 

Friedrich-Wilhelm von Herrmann

Vorwort Johannes Duns Scotus, neben Bonaventura einer der bedeutendsten franziskani­ schen Theologen der Scholastik, erfuhr in der Husserl-Schule große Beachtung. Seine Fassung des Universalienstreites beharrte zwar deutlich auf der Wirklichkeit der Allgemeinbegriffe, ohne wie Ockham in einen reinen Nominalismus, den flatus vocis, abzustürzen. Aber er beharrte ebenso auf der unabhängigen und gleichberechtigten Wirklichkeit des Einzeldings (des Menschen), also der Individuation, gegenüber einer allgemeinen Natur (des Menschseins). Dem Verhältnis des Individuums zu seiner Gattung widmete er tiefgründige Studien, in denen er sowohl die erkenntnistheoretische Erfassung des Individuums durch Intuition als auch den ontologischen Status (haecceitas) der individuellen Substanz behandelte. Zudem sprach er sich für die Willensfreiheit und Verantwortlichkeit des Individuums aus, war also in einem „modernen“ Sinn anschlussfähig an die Frage des unvertretbaren Einzelseins. Husserls „Wesensschau“ enthält parallele Elemente der Intuition des je einzelnen Phänomens; Martin Heidegger arbeitete in seiner Habilitation über das Verhältnis des Seins zum Seienden auf den vermeintlichen Spuren des Duns Scotus (was sich freilich im Nachhinein als Werk des Scotisten Thomas von Erfurt herausstellte, ohne an der Sachfrage etwas zu ändern); noch Hannah Arendt bezog sich auf die intuitive Erkenntnis der Einzeldinge sowie die Lehre vom freien und verantwortlichen Willen in der Spur des großen mittelalterlichen Lehrers. Auch Edith Stein wurde bei der (anonym bleibenden) Übersetzung 1921/22 von Alexandre Koyrés großem Werk Descartes und die Scholastik auf das subtile Denken des schottischen Franziskaners aufmerksam. Obwohl ihr Hauptwerk Endliches und ewiges Sein (1936/37) nicht viele Verweise auf Duns Scotus enthält und sie seine Arbeiten nur aus der Sekundärliteratur kennt, nutzt sie seinen Gedanken des Einzelseins unter anderem zu einer Korrektur des Thomas von Aquin und dessen Konzeption der Materie als Prinzip der Individuation. Einmal mehr erkennt man darin die starke Eigenständigkeit ihres Denkens, das trotz einer deutlichen Orientierung am Doctor Communis Alternativen aufgreift, die mit ihrer Analyse des Personseins kompatibel sind. 700 Jahre nach Duns Scotus zeichnet ein junger Ordensbruder die Frage der Individualität bei Edith Stein unter dem Einfluss des Doctor Subtilis nach. Francesco Alfieri hatte sich schon auf vielfache Weise mit Edith Steins Werk und dessen Rezeption befasst. Nicht nur hatte er die erste vollständige Bibliographie aller Werke von und über Edith Stein seit 1917 bis heute1 (bereits in zweiter Auflage) vorgelegt, 1 Vgl. F.  Alfieri, Die Rezeption Edith Steins. Internationale Edith-Stein-Bibliographie 1942–2012. Festgabe für M. Amata Neyer OCD, Vorwort von U. Dobhan OCD, Geleitwort von H.-B. Gerl-Falkovitz, Einführung von F. Alfieri, Echter Verlag GmbH, Würzburg 2012.

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Vorwort

sondern zugleich gelang es ihm mit unermüdlichem Spürsinn und Sammeleifer, bisher unbekannte Briefe Steins zu entdecken und neue Zeugnisse über sie, etwa von ihrer Freundin Hedwig Conrad-Martius, aufzufinden2. Diese Früchte seiner Arbeit werden in Bälde veröffentlicht. Nun zeigt seine Dissertation die hohe wissenschaftliche Qualität seines Heran­ gehens an das komplexe Werk der Meisterschülerin Husserls. Nach wie vor ist Edith Steins Rang in der Geschichte der Phänomenologie nicht nachdrücklich bestimmt. Die vorliegende Studie wird dazu dienen, diesen Rang zu unterstreichen. Denn die methodische Herausforderung, phänomenologische Wesensanalyse mit ontologischen Fragen zu verbinden, ist Edith Steins eigenständige Leistung. Es gibt im 20. Jahrhundert nicht viele Entfaltungen des Personseins, die an Systematik, Scharfsinn und Einbezug der europäischen Denktradition ihrem Werk gleichkommen. Francesco Alfieri hat dabei nicht einen Seitenstrang, sondern einen Hauptstrang ihres Denkens beleuchtet: die Unhintergehbarkeit des Einzelseins, das sich in der je besonderen Eigenheit der Person manifestiert. Der Charakter des singulare, des konkret und geschichtlich Einmaligen, ist ein Anliegen nicht allein der Philosophie, sondern auch der Theologie. Es entspricht zutiefst den Erfahrungen Edith Steins vom persönlichen Anruf des lebendigen Gottes in ihrem eigenen Leben. Francesco Alfieri hat wertvolle, zentrale Züge im Denken der ­Patronin Europas freigelegt. 

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Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Vgl. Id., Gli inediti su Edith Stein aprono un nuovo orizzonte di ricerca. Una ricognizione dei carteggi privati di H. Conrad-Martius, H.-L. Van Breda e A.-T. Tymieniecka, in: Ripartire da Edith Stein. La scoperta di alcuni manoscritti inediti (Quaderni per l’Università, 5), P. Manganaro / F. Nodari (Hrsg.), Geleitwort v. L. Boella, Morcelliana, Brescia 2014, S. 413–462.

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Erstes Kapitel

Historisch-kritische Untersuchung der von Edith Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen 24

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie im phänomenologischen Raum . . . 24 1.1. Die Schüler Edmund Husserls und die Wiederbelebung der „Schriften“ des ­Doctor Subtilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.2. Annäherung an die scotistische Perspektive in Edith Steins phänomenologischen Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.2.1. Das Jahr 1922: Entdeckung von Duns Scotus vonseiten Edith Steins und Hedwig Conrad-Martius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.2.2. Die „scotistischen“ Quellen in Endliches und ewiges Sein . . . . . . . . . . . 31 2. Quaestiones disputatae de rerum principio: historisch-literarische Problemfelder . . 36 2.1. Die handschriftliche Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.1.1. Todi, Stadtbibliothek, cod. 95 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1.2. Rom, Kolleg des Hl. Isiodor, cod. 1/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.1.3. Vatikanstadt, Bibliothek des Vatikans, cod. lat. Borghesiano 192 . . . . . . 40 2.2. Echtheit und Datierung der Quaestiones disputatae de rerum principio . . . . . . . 43 2.2.1. De rerum principio: qq. I–VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2.2. De anima et eius potentiis: qq. VII–XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.2.3. De cognitione: qq. XIII–XV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.2.4. De numeris, tempore et instanti: qq. XVI–XXIV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.2.5. Quaestiones selectae: qq. XXV–XXVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Vitalis de Furno: scriptor, compilator, commentator, auctor?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.1. Bibliographisches Profil des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.2. Abschließende Bemerkungen zu Quaestiones disputatae de rerum principio . . 61

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Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel



Die Frage des principium individuationis in den Schriften des Duns Scotus – Ordinatio / Lectura und Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13) 63

1. Das principium individuationis: Ein kontroverser mittelalterlicher Disput . . . . . . . . . 63 1.1. Faktoren, die zur systematischen Entwicklung des Disputes beitrugen . . . . . . . . 63 1.2. Die terminologische Stratifikation in den Werken des Doctor Subtilis . . . . . . . . 67 1.3. Literarisches Genre der quaestiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Die ultima realitas entis – Vollendung der ontologischen Perfektion . . . . . . . . . . . . . 70 2.1. Notwendigkeit der Individuation der substantia materialis . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.2. Das im intrinsischen und positiven Fundament enthaltene Merkmal . . . . . . . . . 76 2.3. Die ontologische Priorität des  esse essentiae vor  esse existentiae . . . . . . . . . . . . 79 2.4. Die Unmöglichkeit der „Quantität“, die substantia materialis zu erkennen . . . . 80 2.5. Die Unmöglichkeit der „Materie“, das Kompositum zu individuieren . . . . . . . . 84 2.6. Die ultima realitas entis und die distinctio formalis ex parte rei . . . . . . . . . . . . . 86 3. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13): Analyse der Schwierigkeiten 89 3.1. Das principium individuationis: Terminologische Diversifikation . . . . . . . . . . . 90 3.1.1. Die forma individualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.1.2. Von der forma individualis zum gradus individualis . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.1.3. Die  haecceitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.2. Die continentia unitiva  – Verbindung der gemeinsamen Natur mit dem principium individuationis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.3. Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Drittes Kapitel

Die „unberührbare“ Singularität des Menschen – Die Originalität der Perspektive Edith Steins 96

1. Die phänomenologische Untersuchung Edith Steins über das individuelle Sein  . . . . 97 1.1. Das „entropathische“ Erlebte: Die eigene Selbstheit in Bezug auf die Andersartigkeit des Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1.2. Die qualitative Individualität und die Öffnung der ultima solitudo der Gemeinschaft 101 1.2.1. Voraussetzungen und qualitative Determinierungen des „Kerns“ im ­psycho-​physischen Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1.2.2. Das individuelle Ich und die ultima solitudo nach Duns Scotus . . . . . . . 103 1.2.3. Die Ichheit des individuellen Subjekts als „ursprünglicher und letzter Ort“ und die Öffnung zur Dimension außerhalb der Ichheit . . . . . . . . . . 106

Inhaltsverzeichnis

15

1.2.4. Die Gemeinschaft als Analog der individuellen Persönlichkeit . . . . . . . . 108 2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens: Die Unberührbarkeit der „Person“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2.1. Die Individuierung als Möglichkeit zum Überdenken der anthropologischen Frage 110 2.1.1. Der „Wechsel der Blickrichtung“ für eine innere Wahrnehmung . . . . . . 110 2.1.2. Die „letzte“ Struktur des Seins: Die „leere Form“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2.1.3. Die Gefahr einer Unterdrückung der individuellen menschlichen Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2.2. Die Tiefe des Fühlens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2.2.1. Abgrenzung des Untersuchungsfeldes – „Naturwissenschaften“ und „Geisteswissenschaften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2.2.2. Die Intelligibilität des Individuellen quoad nos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2.2.3. Die Einordnung des Problems der Individuation anhand der formalen und materiellen Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.2.4. Die Herleitung im Kontext der materiellen Ontologie des objektiven Geistes und des subjektiven Geistes, Regionen, zwischen denen die Individualität ihren Ort findet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2.2.5. Die „Quelle“ der individuellen, dem affektiven Leben zugehörigen Erlebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2.2.6. Die „Naturwissenschaften“ und die „Geisteswissenschaften“ – die Fähigkeit einer Ermittlung der Individuation „in sich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2.2.7. Die formale Ontologie – „leere Form“ und „qualitative Fülle“ . . . . . . . . 132 2.2.8. Der Status des Konzepts der primären Materie; die formierten Materien. Vertiefende Erläuterung der Gründe, weshalb die Materie nicht als Individuationsprinzip gelten kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2.2.9. Von der sensiblen Wahrnehmung zur „spirituellen Wahrnehmung des Fühlens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.2.10. Das „sich selbst“ Fühlen – Ein Zugang zur qualitativen Fülle des Seins 146 3.   Die „positive Qualität des Seienden“ und die „leere Form“ – die Originalität des Fühlens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3.1. Einige vorbereitende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3.2. Der Lösungsansatz Edith Steins spiegelt sich in Duns Scotus wider . . . . . . . . . . 152 3.3. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Konsultierte Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Sigel und Abkürzungen 1. Kodizes der verwendeten Manuskripte Is T V

Rom, Kolleg des Hl. Isiodor, cod. 1/15 Todi, Stadtbibliothek, cod. 95 Vatikanstadt, Bibliothek des Vatikans, cod. lat. Borghesiano 192

2. Sigel der Werke Edith Steins ESGA ESW

Edith Stein Gesamtausgabe Edith Steins Werke

3. Zeitschriften und Sammlungen AFH

Archivum Franciscanum Historicum. Periodica publicatio trimestris cura PP. Collegii S. Bonaventurae, Ad Claras Aquas (Quaracchi-Grottaferrata 1908 ss.) Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge (Paris 1926 ss.) AHDL Analecta Husserliana (Dordrecht / London / Boston 1971 ss.) AHus Aristoteles Latinus (Leiden 1961 ss.) AL Anton Antonianum. Periodicum philosophico-theologicum trimestre. Editum cura Professorum Collegii S. Antonii de Urbe (Rom 1926 ss.) Acta Ordinis Fratrum Minorum (Florenz 1898 ss.) AOFM BullFr Bullarium Franciscanum Romanorum Pontificum constitutiones, epistolas ac diplomata continens. Ed. Joannes Hyacinthus Sbaralea; Conradus Eubel (Rom 1–7, 1759–1904; Suppl. 1780; Epitome 1908) Collectanea franciscana. Periodicum cura Instituti Historici Ordinis Fratrum MiCFr norum Capuccinorum editum (Assisi / Rom 1931 ss.) Dictionnaire de théologie catholique (Paris 1889–1950; Tables générales, Paris DThC 1951–1972) Études franciscaines. Publiées par des religieux de l’ordre des Frères mineurs caEtFr pucins (Paris 1899–1977) Franciscan Institute Publications. Philosophy Series (Franciscan Institute. St. BoFIP.P naventure University, St. Bonaventure, NY 1944 ss.) FrFr France franciscaine. Recherches de théologie, philosophie, histoire. Revue trimestrielle d’études franciscaines pour les pays de langue française (Paris 1912–1939) FrSA Franciscan Studies (The Franciscan Institute of St. Bonaventure University, St. Bonaventure, NY 1963 ss.) FS Franziskanische Studien (Werl in Westf. 1914 ss.) Giornale critico della filosofia italiana (Florenz 1920 ss.) GCFI

Sigel und Abkürzungen

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Histoire littéraire de la France (Paris 1733 ss.; nouv. éd. 1835 ss.) Historisches Wörterbuch der Philosophie (Basel 1971 ss.) Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung (Halle 1913–1930) Miscellanea francescana. Rivista trimestrale di scienze teologiche e di studi francescani (Rom 1936 ss.) MFS Miscellanea francescana di storia, di lettere, di arti (Foligno / Assisi / Rom ­1886–1935) Medieval Studies. Pontifical Institute of Medieval Studies (Toronto 1939 ss.) MS Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft (Fulda 1888 ss.) PhJ Phron Phronesis. A Journal for Ancient Philosophy (Assen 1955/1956 ss.) Rivista di filosofia neo-scolastica (Mailand 1909 ss.) RFNS Review of Metaphysics. A Philosophical Quarterly (New Haven, CT 1947 ss.) RMet RSPhTh Revue des sciences philosophiques et théologiques (Paris 1907 ss.) Studi francescani. Pubblicazione trimestrale a cura dei Frati Minori d’Italia (FloStFr renz 1914 ss.; cont. di La Verna, Florenz 1903–1913) Studia Patavina. Rivista di filosofia e teologia (Padua 1954 ss.) StPat Wissenschaft und Weisheit. Zeitschrift für Augustinisch-Franziskanische TheoloWiWei gie und Philosophie in der Gegenwart (Mönchengladbach 1934 ss.) HLF HWP JPPF MF

Einleitung Die Gelegenheit einer Einleitung bedarf, obzwar in groben Linien, einer Erläuterung der Motivationen, welche die vorliegende Arbeit – insbesondere aus der wissenschaftlichen Perspektive – ermöglicht haben. Die Themengebiete, die mit der philosophischen Anthropologie, dem Status der Person und, in primis, mit der Individualität verbunden sind, waren Forschungsobjekte zahlreicher Philosophen des 20. Jahrhunderts: Von denjenigen, die mit dem Neuaristotelismus in Verbindung stehen, was sich sogar bis zu den hermeneutischen Antworten des Existenzialismus ausdehnt – ergo zu Gadamer und Buber – bis hin zu denjenigen, die dem Neuthomismus verbunden sind; von denjenigen Autoren, die sich auf den Weg einer Neubewertung der politischen Philosophie begeben haben – Hannah Arendt gehört beispielsweise zu denjenigen klassischen Autoren der politischen Philosophie, welche ebenso in Bezug auf die Anthropologie berücksichtigt werden können und zwar insoweit, dass im Kern der Gedanken von Werken wie Vita activa oder The Life of a Mind das Problem der individuellen Freiheit und des wesentlich persönlichen Raumes der Person enthalten ist  – bis hin zu Autoren, die sogar eine Gründung einer Demokratie des Libertarismus (Nozick) versuchten. Diese kulturelle Atmosphäre, die sich durch einen Großteil der Philosophie des 20. Jahrhunderts zieht, wird, in ihrem Bedürfnis einer Klärung der grundlegenden Voraussetzungen der menschlichen Person sowie der Individualität, auch von Edith Stein geteilt. Diese Autorin, die sich zwischen dem Aristotelismus und dem Thomismus bewegt, gewinnt, fernab von diesen beiden Traditionen, wichtige Wirkungen sowie weitere Themenfelder der mittelalterlichen Philosophie zurück und bettet diese in das Innere des formal-ontologischen und gnoseologischen corpus der Phänomenologie Edmund Husserls ein. Vor etwas mehr als zwanzig Jahren – und dies sei vor allem unter Bezugnahme auf die philosophische Realität in Italien gesagt – wurde ein neuer Weg zu den Schriften Edith Steins, Schülerin von Edmund Husserl und von vielen bekannt für ihre existenzielle und spirituelle Frage, eingeschlagen. Es ist das Verdienst von Angela Ales Bello – der Gründerin des in Rom ansässigen italienischen Zentrums für phänomenologische Forschung – dass seit den 1970er Jahren bis in die Gegenwart hinein noch über unsere Autorin und ihren intellektuellen Beitrag diskutiert und geforscht werden kann. Dies ist ihrem weitsichtigen Projekt einer kritischen Ausgabe der Werke Edith Steins zu verdanken, welches initiiert wurde, als Edith Stein in Italien noch nahezu unbekannt war. Der lange Denkweg von Angela Ales Bello erreicht seinen Höhepunkt im Jahr 1992 mit ihrem Buch Fenomenologia

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Einleitung

dell’essere umano. Lineamenti di una filosofia al femminile1, welches zahlreichen Wissenschaftlern die Möglichkeit bietet, einige weibliche Figuren kennen zu lernen, und zwar Exponentinnen der phänomenologischen Strömung, die sich in der „Schule“ Husserls während seiner Zeit in Göttingen herauskristallisiert hatten: Hedwig Conrad-Martius, Edith Stein und später dann in Freiburg auch Gerda Walther. Dieses Buch und die interessanten theoretischen Gespräche mit Angela Ales Bello, kennzeichnen die hier vorliegenden Untersuchungen sowie auch meinen intellektuellen Weg. Ganz allgemein formuliert, liegt die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit insbesondere in dem Versuch, die mir evident erscheinende Lücke in den Studien zu Stein, die sich sowohl auf nationaler, als auch internationaler Ebene manifestiert (mit Ausnahme von einigen wenigen Arbeiten wie die von Angela Ales Bello2 und Bottin3, welche, unter anderem, hier mit einbezogen werden), zu schließen: Vor dem Hintergrund einer historiographischen Rekonstruktion wurde die Problematik der Person und der Individualität von den Interpreten und Kommentatoren Steins stets nur unter dem Deckmantel einer Kontinuität zu Aristoteles und Thomas von Aquin berücksichtigt. Natürlich mangelt es in den Werken Edith Steins nicht an Bezügen wie auch an ganzen Kapiteln, in denen eine Auseinandersetzung mit der aristotelisch-thomistischen Schule verankert ist. Aber was meiner Ansicht nach bislang in den historiographischen Studien fehlt, ist nicht nur die Anerkennung, dass die Kontakte Steins mit diesen beiden großen Philosophen hauptsächlich in einer sekundären literarischen Produktion vermittelt sind (mit Ausnahme von De veritate von Aquin und einigen Werken des Aristoteles, unter anderem der Metaphysik), sondern vor allem die Tatsache, dass die Beziehung zur Tradition des aristotelisch-thomistischen Denkens nicht intensiver oder gewinnbringender ist, als die Kontakte zu Duns Scotus, obgleich der Zugang zu den Primärquellen nicht immer vollends realisiert zu sein scheint. Daher erschien es mir notwendig diese Lücke der nationalen sowie internationalen historiographischen Tradition zu schließen. Genauer gesagt erschien es unentbehrlich dasjenige zu eruieren, was ich als sog. Scotistische Konvergenzen in den Werken Edith Steins erachte, und zwar ausgehend von Endliches und ewiges Sein und hier insbesondere von Kapitel VIII., was der offensichtliche Kulminationspunkt einer Reihe von Reflexionen ist, die verstreut sind über ihr gesamtes Werk und dies bereits seit ihrer Dissertation zum Problem der Einfühlung von 1916. Jenes Kapitel markiert den Ausgangspunkt für einen rückwärts angelegten, nicht durchgängig linearen Rekonstruktionsprozess der oben genannten scotistischen Einflüsse, was sich als wesentlich schwieriger gestaltete, als die Auseinander­ 1 Vgl. A. Ales Bello, Fenomenologia dell’essere umano. Lineamenti di una filosofia al femminile, Città Nuova, Rom 1992. 2 Vgl. Ead., Il „singolo“ e il suo volto, in: D. Vinci (Hrsg.), Il volto nel pensiero contemporaneo, Il Pozzo di Giacobbe, Trapani 2010, S. 176–190. 3 Vgl. F. Bottin, Tommaso d’Aquino, Duns Scoto e Edith Stein sulla individuazione, in: „Il Santo“ 49 (2009), S. 121–129.

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setzung mit dem Werk Aquins auf den ersten Blick die von Stein Bevorzugte erschien. Es schien nämlich anfangs, als würden Aquin und Aristoteles den doktrinalen Rahmen setzen, in welchem Edith Stein ihre phänomenologische Forschung zum Problem der Individuation betrieb. Allerdings wird aus ihren Schriften deutlich ersichtlich, dass die tiefgreifende Forschung die Phänomenologin zu einer immer dichteren Auseinandersetzung mit der Spekulation des Doctor Subtilis führte. Es versteht sich von selbst, dass Stein die scotistischen Thematiken anfangs nicht wortwörtlich akzeptiert oder auch umgesetzt hat: Weiter oben haben wir, wie gesagt, von den Konvergenzen zur scotistischen Doktrin gesprochen und damit gemeint, wie Edith Stein die phänomenologische Methode auf eine vollkommen originelle Weise interpretieren und in die Themen der mittelalterlichen Metaphysik einordnen konnte, mit dem Wissen, sowohl aus der einen, als auch aus der anderen Tradition derartige Anregungen, Erkenntnisse und theoretische Resultate zu gewinnen, um eine in der phänomenologischen Tradition verankerte, zum Thema der Individualität absolut originelle Abhandlung zu verfassen. Eine Originalität, die Edith Stein zu einer der wichtigsten Figuren der Philosophie des 20. Jahrhunderts erhebt, insbesondere in Bezug auf die anthropologischen Fragestellungen. Die Besonderheit in Edith Steins philosophischer Arbeit liegt darin, dass es sich seit den Anfängen um eine kommunitäre, eine gemeinschaftliche, Arbeit handelte: Jeder Winkel ihres Werkes ist voll von Konfrontationen und Bezugnahmen zu anderen Autoren, die sich für ihre Forschung als grundlegend erwiesen und sie auf ihrem Weg zum Wahren geprägt haben. Die in Husserls Schule gelernte Methode bestand in einer Arbeit, die jeglicher Form des Selbstgespräches entbehrte; Husserl selbst forderte seine Schüler dazu auf, bestimmte Forschungsstränge derart zu verfolgen, um sie dann in einer Art „Raum des Ausgleichs“ zusammenlaufen zu lassen. Darin wurden diese Forschungsstränge neu bewertet, geordnet sowie nochmals diskutiert, und zwar stets vor dem Hintergrund des immer wieder – dem Wort der Ordnung der Husserlschen Methode. Seine Schüler – erinnert sei hier an Hedwig Conrad-Martius, Alexander Pfänder, Max Scheler, Jean Hering, Alexandre Koyré, Gerda Walther – waren in dieser kommunitären Methode, die ihre Arbeitsweise vollständig durchdrang, fest verwurzelt. Diese Methode ging sogar dahin, ihnen in einer bemerkenswerten Weise eine Ausdehnung sowohl der epoché, als auch der phänomenologischen Reduktion zu ermöglichen und zwar nicht nur, wie bei Husserl, ausschließlich in Richtung der Weite des transzendentalen Ich, sondern auch in Richtung der Beiträge aus der philosophisch-historischen Tradition. Genau dies ist der spezifische Fall von Edith Stein und Hedwig-Conrad Martius. Diese kommunitäre Stimmung in der Forschung der Phänomenologen ist zentral in den Arbeiten von Angela Ales Bello, in denen sie die Eigentümlichkeit der Phänomenologie als solcher betont. In ihrer bereits vierzigjährigen Forschungsarbeit ist es ihr gelungen, diese Stimmung der kommunitären Zusammenarbeit ihren eigenen Mitarbeitern, die dem phänomenologischen Zentrum in Rom angehörig sind, aber oftmals durchaus der internationalen Forschungslandschaft entstammen, zu über-

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mitteln. Angela Ales Bello selbst betont nämlich: „Ein interessantes Charakteristikum, welches unsere beiden Philosophinnen sowie die weiteren philosophischen Kreise um Husserl ausmacht, besteht in der Modalität der Leitung der Forschung, einer Forschung, die nicht individuell, sondern tatsächlich gemeinschaftlich ist, so wie die Suche nach dem Wahren auch sein sollte“4. Es ist meiner Ansicht nach Möglichkeit zu bestätigen, dass zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Inneren dieser um Husserl rotierenden Gemeinschaft von Schülern nicht wenige ein faktisches, konkretes Interesse an Duns Scotus gezeigt hatten. Der Göttinger Kreis hatte bereits eine gewisse Konvergenz zu scotistischen Texten angenommen, die sich auf Grundlage der heutigen kritischen Ausgabe als apokryph erwiesen haben. 1916 schreibt Heidegger Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, während Edith Stein und Hedwig Conrad-Martius 1921 gemeinsam die Übersetzung von Alexandre Koyrés Essai sur l’idée de Dieu et les preuves de son existence chez Descartes ergreifen. In dieser Arbeit prüfen sie einige der Quaestiones, die Edith Stein später in Endliches und ewiges Sein wieder aufleben lassen wird und welche, aus der berühmten pseudo-Epigrafik, lange Zeit dem Doctor Subtilis unter dem Titel Quaestiones disputatae de rerum principio zugeschrieben wurden. Wie ich ausgehend von einer Analyse sowie einem genauen historisch-kritischen Vergleich der Kodizes (V+T+Is) zeigen werde, handelt es sich bei dem Autor der besagten Quaestiones allerdings um den Franziskaner Vitalis de Furno. Diese Tatsache musste sich notwendigerweise der Kenntnis Edith Steins entziehen, denn erst in jenen Jahren wurde ein systematisches Studium der kritischen Edition der scotistischen Schriften aufgenommen. Ferner wird sich die Frage stellen, ob Steins Interesse an der mittelalterlichen Philosophie, was grundsätzlich auf das Jahr 1929 mit der Herausgabe ihrer Übersetzung von Aquins De veritate zurückgeht, nicht bereits 1921 beginnt, so wie es aus der Analyse einiger im Kölner Edith-Stein-Archiv aufgehobenen Excerpta hervorgeht. Die Kenntnis sowie die Übersetzung von Koyrés Werk wird das kommunitäre Arbeiten, von welchem weiter oben die Rede war, so weit festigen, dass die Phänomenologin sogar die Durchsicht des ersten, die mittelalterliche Philosophie betreffenden Teils von Endliches und ewiges Sein Koyré anvertrauen wird. Gerade aufgrund dessen erschien eine möglichst erschöpfende Analyse der Schriften des Doctor Subtilis in Bezug auf die Frage des Prinzips der Individuation notwendig. Dies erwies sich als grundlegend wichtig, um dann den Diskurs zu den bereits erwähnten Konvergenzen Steins zu den scotistischen Themen gestalten zu können. Eine solche hauptsächlich philologische Analyse wird dazu dienen, bestimmen zu können, welches das letzte Wort, bzw. das reife Gedankengut von Scotus zur Frage der Individuation war. Als Referenzquellen dienen hierbei die Ordinatio / L ectura sowie die Quaestiones super libros Metaphysicorum (q. XIII). 4

A. Ales Bello / F. Alfieri / M. Shahid (Hrsg.), Edith Stein – Hedwig Conrad-Martius. Feno­ menologia, metafisica, scienze, Giuseppe Laterza, Bari 2010, S. 19.

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Aus all diesen Gründen wird diese Arbeit zunächst eine Rekonstruktion der Werke Edith Steins sein, und zwar unter der Berücksichtigung der Frage der Individuation. Denn es ist gerade in dieser Thematik, in welcher die Konvergenzen mit dem Denken des Scotus hervortreten. Es wird nämlich zu begreifen versucht, wie die thomistische Position der materia signata quantitate in den Augen von Stein nicht mehr ausreichend sind für den Endpunkt des Verständnisses des tiefen (und einzigen) Prinzips der Individuation; oder, wie ich es im weiteren Verlauf der Arbeit unterstreichen werde, der „Singularität“, um besser das Wesen des menschlichen Seins zu erfassen, und zwar nicht nur aus der metaphysischen Perspektive, sondern vielmehr aus der anthropologischen, um mit dieser Methode die phänomenologische Sichtweise durch den theoretischen Beitrag der mittelalterlichen Metaphysik weiter auszubauen.

Erstes Kapitel

Historisch-kritische Untersuchung der von Edith Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen Die Analyse der von Edith Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen führte zunächst auf einen rückwärts laufenden Weg im Inneren der phänomenologischen Schule, um zu dem Punkt zu gelangen, an welchem eine erste Annäherung Steins an Duns Scotus stattgefunden hat. Dieser Prozess konnte aus ihrem Epistolar sowie aus der Analyse der direkten und indirekten Quellen zu Scotus in ihren phänomenologischen Untersuchungen hergeleitet werden. Der Fokus liegt insbesondere auf den Quaestiones disputatae de rerum principio. Es erweist sich als notwendig den status quaestionis dieses pseudo-Epigraphen, der lange Zeit dem Doctor Subtilis zugeschrieben wurde, zu untersuchen, um die literarische Zugehörigkeit festlegen zu können.

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie im phänomenologischen Raum Die „Schriften“ des Duns Scotus im phänomenologischen Kreis wieder aufzunehmen, bedeutet den Weg zahlreicher Wortführer dieser Denkströmung zu durchlaufen: Anfangs ist es Martin Heidegger, der die mittelalterliche Spekulation mit einem phänomenologischen Schlüssel neu liest; ein derartiges Interesse konkretisiert sich auch in den Analysen Alexandre Koyrés, Edith Steins und Hedwig-­ Conrad Martius’. Um die Position Steins in Bezug auf die Doktrin des D ­ octor Sub­ tilis zu bestimmen, erscheint die Rezension der Quaestiones disputatae de rerum principio ebenso grundlegend, wie die Untersuchungen Koyrés.

1.1. Die Schüler Edmund Husserls und die Wiederbelebung der „Schriften“ des Doctor Subtilis Wollten wir im Inneren der phänomenologischen Schule den Beginn eines systematischen Studiums der mittelalterlichen Philosophie unter besonderer Berücksichtigung der Wiederbelebung der angenommenen „Schriften“ des Doctor Subtilis datieren, so müssen wir im Frühwerk Heideggers (1916), nämlich in der

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie   

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Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, beginnen1. In der Tat war die Rückkehr zur griechischen Philosophie für Edmund Husserl (erste Generation) nicht von so einer starken Aufmerksamkeit für die mittelalterliche Philosophie2 begleitet, wie es für Martin Heidegger, Max Scheler (zweite Generation) und folglich auch für Alexandre Koyré, Edith Stein und Hedwig Conrad-Martius (dritte Generation) der Fall gewesen ist. Diese Generation hat nämlich in ihren phänomenologischen Untersuchungen einige Schlüsselfiguren der mittelalterlichen Scholastik wiederentdeckt. Heideggers Arbeit zum Doctor Subtilis, welche partiell aus der Notwendigkeit heraus entstand sich einer Karriere als Universitätsdozent zu öffnen, wurde von ihm als Projekt einer Lebensarbeit erfasst: Die moderne und die mittelalterliche Philosophie nicht als Kontrast zu präsentieren, sondern als Schritte auf dem

1 Vgl. M.  Heidegger, Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, in: Id., Frühe Schriften, Gesamtausgabe, Bd. 1, Abt. 1: Veröffentlichte Schriften 1914–1976, hrsg. v. F.-W. v. Herrmann, Klostermann, Frankfurt a. M. 1978, S. 189–411. Dieses Buch ist dem Studium der Logik sowie den Kategorien in Duns Scotus im Sinne der spekulativen Grammatik gewidmet. Wie Grabmann bewiesen hat, ist dieses Werk jedoch nicht von Scotus, sondern von Thomas von Erfurt: vgl. M. Grabmann, Die Entwicklung der mittelalterlichen Sprachlogik. Tractatus de modis significandi, PhJ 35 (1922), S. 121–135. Derselben Meinung ist auch E. Longpré, La philosophie du B. Duns Scot, Librairie S. François d’Assise, Paris 1924, S. 15 (extrait des EtFr 18 [1922], S. 433–482). Der gegenteiligen Ansicht ist Onorio Pontoglio, der die Position verteidigt, dass sich Heideggers Untersuchung auf Werke mit einer gewissen scotistischen Attri­bution stützt: vgl. O.  Pontoglio, La dottrina scotista dell’intenzionalità nell’interpretazione di M. Heidegger, in: De doctrina Ioannis Duns Scoti. Acta Congressus Scotistici Internationalis Oxonii et Edimburgi 11–17 septembris 1966 celebrati, hrsg. Commissionis Scotisticae (Studia Scholastico-Scotistica, 2), Bd. IV, Poligrafica & Cartevalori, Romae 1968, S. 653–657. Dennoch nimmt Heidegger keine Position in Bezug auf die scottistische Attribution dieser Schrift ein, die er in seiner Monographie mit einem modernen Schlüssel studiert und kommentiert. 2 Das Mittelalter wird von einem Großteil der protestantischen Denker lediglich als Theologie wahrgenommen. Dies könnte erklären, weshalb es von Husserl vernachlässigt, bzw. hastig liquidiert worden ist. Im persönlichen Schriftverkehr des Autors, welcher im Husserl-Archief in Löwen aufbewahrt wird, fand ich nur ein einziges Exzerpt (Ms. trans. F I ­30/43a–b), in welchem sich Husserl explizit auf Duns Scotus bezieht. Ich möchte hier den gesamten Text aufzeigen: „Der ‚Randbemerkung Leibniz‘ zentrale Geist für alle diese Entwicklungen ist Leibniz (1646–1716). 14 Jahre nach Spinoza und Locke geboren, 38 nach Descartes. Anfangend als Rationalist, aber von vornherein bei seiner außerordentlichen historischen Bildung und Anregsamkeit vielfältig motiviert, hat er nicht nur von der neuen Naturwissenschaft und vom Cartesianismus her Bestimmungen erfahren, sondern aus antiken und mittelalterlichen Philosophien, von den italienischen Naturphilosophen und von den englischen Platonikern und sonstigen Philosophen der Renaissance. Charakteristisch ist die absolute Hochschätzung, mit der er immer wieder von Platon und Aristoteles, selbst von den Neu-Platonikern spricht, der Ernst mit dem er die Scholastik gegen die modischen Einwürfe verteidigt, wie er dann von Thomas und auch von Duns Scotus erheblich beeinflusst war. Die teleologische Weltanschauung hat in seinem Gemüt feste Wurzeln gefasst. Von konfessionellen Schranken, von kirchlichem Dogma ist er, der Mann eifriger Versöhnungsversuche aller christlichen Kirchen, frei“ (unser Fettdruck).

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Denkweg in Richtung einer Erklärung des Seins. Die Öffnung zum Studium der mittelalterlichen Philosophie bestand, wie es der junge Heidegger schrieb, darin, „[v]orerst weniger in einem Herausstellen der historischen Beziehungen unter den einzelnen Denkern, als in einem deutenden Verstehen des theoretischen Gehaltes ihrer Philosophie mit den Mitteln der modernen Philosophie. So entstand meine Untersuchung über die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus“3.

Unsere Zielsetzung berührt nicht diejenigen subtilen Interpretationsfragen, die das Wiederlesen der mittelalterlichen Spekulation von Seiten des Autors betreffen, sondern sie möchte lediglich die Ausgangsperspektive Heideggers untersuchen und wie folglich der Abschied mit der Arbeit zur mittelalterlichen Logik mit dem Umzug aus Freiburg zusammenfiel, nachdem der Ruf auf den Lehrstuhl, welcher ihm angekündigt worden war, ausblieb4. Heidegger konnte allerdings dieses Projekt nicht weiter verwirklichen, da sich sein Weg mit der Veröffentlichung von Sein und Zeit 5 in eine andere Richtung gewendet hatte. Es ist auch in jenem Werk, in welchem sich erste Unterschiede abzeichnen, die ihn schließlich von der Phänomenologie Husserls entfernten. Im Unterschied zu Heidegger erweiterte Edith Stein den Horizont ihrer Untersuchungen zur mittelalterlichen Spekulation – und obwohl sie in der phänomenologischen Methode, so wie sie insbesondere im zweiten Band der Logischen Untersuchungen 6 enthalten ist, verankert blieb – verfolgte sie dennoch den einzigen notwendigen Weg, um zu derjenigen christlichen Philosophie zu gelangen, wie sie von ihr in Endliches und ewiges Sein dargestellt wird und die Ergebnisse von Philosophie und Theologie harmonisch miteinander verbindet.

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H.  Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Campus, Frankfurt a. M. 1988, S. 86. 4 Vgl. W. Kölmel, Heidegger und Duns Scotus, in: L. Sileo (Hrsg.), Via Scoti. Methodologica ad mentem Joannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale, Roma 9–11 marzo 1993, Bd. II, Antonianum, Rom 1995, S. 1145–1155. 5 Vgl. M.  Heidegger, Sein und Zeit, in: Gesamtausgabe, Bd. 2, Abt. 1: Veröffentlichte Schriften 1914–1970, hrsg. v. F.-W. v. Herrmann, Klostermann, Frankfurt a. M. 1977. 6 Vgl. E. Husserl, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, hrsg. v. U. Panzer, Husserliana. Gesammelte Werke, Teil 1, Bd. 19/1, Nijhoff, The Hague / Boston / Lancaster 1984. Der Einfluss dieses Werkes auf die Forscherin ist derart bemerkenswert, dass sie sich dazu entschloss, an den 1913 in Göttingen gehaltenen Vorlesungen Husserls persönlich teilzunehmen, nachdem sie jenes Werk gelesen hatte; vgl. E. Stein, Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere autobiographische Beiträge, neu bearbeitet und eingeleitet v. M. A. Neyer, Fußnoten und Stammbaum unter Mitarbeit v. H.-B. Gerl-Falkovitz (ESGA, 1), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2002, S. 170.

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie   

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1.2. Annäherung an die scotistische Perspektive in Edith Steins phänomenologischen Analysen Es werden nun die Etappen der intellektuellen Bildung Edith Steins zurück­ verfolgt, um ihren ersten Kontakt mit der scholastischen Philosophie und der Spekulation des Doctor Subtilis ermitteln zu können. Zwei Wegmarken lassen sich auf diesem Weg festlegen: Die eine lässt sich aus ihrem Epistolar herleiten, die andere spezifiziert die möglichen scotistischen Einflüsse in Steins phänomenologischen Analysen. 1.2.1. Das Jahr 1922: Entdeckung von Duns Scotus vonseiten Edith Steins und Hedwig Conrad-Martius Die einzige ausdrückliche Bezugnahme im Briefwechsel Edith Steins, wo sich zweifelsohne vor dem Hintergrund ihrer Untersuchungen ein Interesse an der Doktrin des Duns Scotus abzeichnet, ist in einem an ihren polnischen Freund und Kommilitonen Roman Ingarden adressierten Brief auffindbar. Dieser wurde 1933 kurz nach ihrem Eintritt zu den Kölner Karmeliten geschrieben: „Ich habe in den letzten Wochen sogar ein bisschen Duns Skotus studieren können, wozu ich bisher nie Zeit fand, obwohl ich längst weiß, was für Schätze bei ihm zu finden sind“7. Tatsächlich schrieb bereits im Vorfeld Franz Pelster am 19. Mai 1931 einen Brief an Edith Stein, in welchem er ihr für die geschenkte deutsche Übersetzung der Quaestiones disputatae de veritate dankt und ihr ferner nahelegt: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie nach der gleichen Methode auch andere Werke von Thomas und nicht nur von Thomas – es ist ein fundamentaler Irrtum, wenn man alles Heil in der scholastischen Philosophie von Thomas erwartet u. andere, wie Heinrich von Gent, Scotus, Aureoli, oder Ockham vernachlässigt  – übersetzen wollten“8. Markiert das Jahr 1933 eine erste Annäherung der Autorin an Duns Scotus? Wie ist diese letzte Passage des Briefes an Ingarden zu interpretieren, in welchem sie beteuert, dass sie „längst weiß, was für Schätze bei ihm zu finden sind“? Um diese Fragen beantworten zu können, ist es notwendig den Weg zum Zeitpunkt ihrer Konversion zum Christentum (1921–1922) zurückzuverfolgen. Dieser Wendepunkt kennzeichnet selbstverständlich auch die Richtung ihrer intellektuellen Forschung. Im Vorwort zu Endliches und ewiges Sein nimmt Stein Bezug zu diesem Lebensabschnitt und informiert gleichzeitig auch folgendermaßen den Leser: „von 7

E. Stein, Selbstbildnis in Briefen. III. Briefe an Roman Ingarden, Einleitung v. H.-B. GerlFalkovitz, Bearbeitung u. Anmerkungen v. M. A. Neyer, Fußnoten mitbearbeitet v. E. AvéLallemant (ESGA, 4), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2001, S. 235 (Brief vom 27. XI. 1933). 8 Ead., Selbstbildnis in Briefen. I. Erster Teil: 1916–1933, Einleitung v. H.-B. Gerl-Falkovitz, Bearbeitung und Anmerkungen v. M. A.  Neyer, revidiert v. H.-B.  Gerl-Falkovitz (ESGA, 2), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005, S. 172.

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Hedwig Conrad-Martius hat die Verfasserin durch nahes Zusammenleben in einer jetzt lange zurückliegenden, aber für beide entscheidenden Zeit, richtunggebende Anregungen empfangen“9. Nur eine aufmerksame Analyse der gemeinsamen Angelegenheiten dieser beiden Gelehrten klärt einen bislang nicht in Betracht gezogenen Aspekt ihres intellektuellen Weges in Bezug auf die Scholastik. Die beiden Phänomenologinnen begegneten sich im August des Jahres 1920, als Edith Stein gerade die Herausgabe der Gesammelten Schriften in Gedenken an Adolf Reinach, einem Schüler Husserls, welcher während des Ersten Weltkrieges an der Front gefallen war, vorbereitete. In der Unterkunft von Pauline Reinach traf Edith Stein auf Hedwig Conrad-Martius. „Wir haben uns herrlich verstanden, und ich soll in den nächsten Ferien lange nach Bergzabern10 kommen“. Dies sind die Worte, die an die erste Begegnung erinnern und welche Edith Stein 1920 in einem Brief an R. Ingarden schrieb11. Im Mai 1921 begibt sich Stein von Göttingen nach Bergzabern, um Conrad-Martius bei der Arbeit zu unterstützen, aber auch um sich gemeinsam der wissenschaftlichen Forschung widmen zu können12. Stein bleibt zu Gast im Hause der Eheleute Conrad bis zum August desselben Jahres13. Ebenso wie Edith Stein, befand sich auch Hedwig Conrad-Martius in einem krisenhaften Lebensabschnitt, wie sie es in ihren Erinnerungen von 1958 erzählt: „Ich sagte es schon: als Edith zum letzten Mal zu uns kam, befanden wir uns beide in einer religiösen Krise […]“14. Dies ist 9

Ead., Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins. Anhang: Martin Heideggers Existenzphilosophie – Die Seelenburg, eingeführt und bearbeitet v. A. U. Müller (ESGA, 11–12), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2006, S. 7. 10 Der Wohnsitz der Eheleute Conrad in Bergzabern wurde mit der Zeit zu einem Treffpunkt für zahlreiche Schüler Husserls, wo sie ihre Forschung zur Phänomenologie betrieben. Bezüglich dieser Konstellation möchte ich auf eine interessante Studie von Joachim Feldes hinweisen, der engmaschig die Beziehungen zwischen Edith Stein, den Eheleuten Conrad, Hering, Koyré und anderen untersucht; Beziehungen, die nicht zufälligen, oder auch gelegentlichen Charakter hatten, sondern eine tiefe intellektuelle Einheit bedeuteten und die gesamte Person betrafen. Der phänomenologische Kreis offenbart sich damit als exemplarisch für eine Forschung, wie sie sich in Zusammenarbeit, in Freundschaft und in der gegenseitigen Mitteilung der Ergebnisse entfalten sollte: vgl. J. Feldes, Il rifugio dei fenomenologi. Il nuovo „Circolo di Bergzabern“ dopo la prima guerra mondiale, in: A. Ales Bello / F. Alfieri / M. Shahid (Hrsg.), Edith Stein – Hedwig Conrad-Martius. Fenomenologia, metafisica, scienze, Verlag Giuseppe Laterza, Bari 2010, S. 23–50. 11 E. Stein, Selbstbildnis in Briefen. III. Briefe an Roman Ingarden, cit., S. 130 (Brief vom 9. IX. 1920). 12 Vgl. ebd. 13 Vgl. ebd., S. 139–141 (Brief vom 30. VIII. 1921). 14 H.  Conrad-Martius, Meine Freundin Edith Stein. Bei diesem Text vom 9. März 1958 handelt es sich um einen Vortrag, den die Autorin vor der Gesellschaft für jüdisch-christliche Kooperation gehalten hat. Dieser wurde danach in „Hochland“ 51 (1958), S. 38–48 veröffentlicht. Der Textbezug wurde vom Original Ms. A XXI 2 (S. 9) übernommen. Dieses ist in der Hinterlassenschaft der Autorin in der Bayerischen Staatsbibliothek zu München aufbewahrt. (vgl. Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis. Die Nachlässe der Münchener Phänomenologen in der Bayerischen Staatsbibliothek, verzeichnet v. E. Avé-Lalle-

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie   

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auch jener Zeitabschnitt, in welchem Stein die Lektüre von Das Leben der ­Teresa von Avila in der Unterkunft der Freundin beendet, welche sie von Anne und Pauline Reinach geschenkt bekommen hat15. Was die beiden Phänomenologinnen miteinander verbindet, ist die Konversion, ein Schritt, welchen die beiden Frauen zeitgleich gehen, auch wenn das Ziel dieses Weges sie in unterschiedliche Richtungen führt: Während Edith Stein zum Katholizismus konvertiert, nimmt Hedwig Conrad-Martius den evangelischen Glauben an. Steins Aufenthalt in Bergzabern war auch auf eine wissenschaftliche Forschung ausgerichtet. Während dieser Zeit16 nahmen die beiden Autorinnen die deutsche Übersetzung aus dem französischen Original von Alexandre Koyrés17 Werk Essai mant, Tomus X, Pars I, Harrassowitz, Wiesbaden 1975, S. 224). Ich möchte an dieser Stelle dem leider verstorbenen Dr. Eberhard Avé-Lallemant danken, der mich in den Jahren meiner Forschung in München unterstützte, mit der Hinterlassenschaft von Conrad-Martius vertraut zu werden und mir den vollständigen Zugang zu ihren Manuskripten sowie denjenigen von Gerda Walther ermöglichte. 15 Sacra Congregatio Pro Causis Sanctorum, Canonizationis servae Dei Teresiae Benedictae a Cruce positio super causae introductione, Tipografia Guerra, Rom 1983, S. 437. Im August 1965 wird die Ordensschwester Pauline Reinach als Zeugin im Prozess des Rechtshilfeersuches von Namur aufgerufen, wo sie folgendes zu Protokoll gibt: „Au cours de l’été 1921, alors que la Servante de Dieu allant nous quitter, ma belle-soeur et moi-même l’avons invitée à choisir un ouvrage dans notre bibliothèque. Son choix se porta sur une biographie de Ste Thérèse d’Avila, écrite par elle-même. De ce détail, je suis absolument certaine. J’ai lu dans des biographies de la Servante de Dieu que celle-ci s’était aussi procurée une vie de Ste Thérèse chez Mme Conrad-Martius. Personnellement, je n’ai jamais eu connaissance de ce dernier fait, de science directe. J’ai lu que c’est dans la vie de Ste Thérèse que la Servante de Dieu aurait [trouvé la vérité]“. Diese Aussage deckt sich jedoch nicht mit dem, was sich in Ediths erster Biographie nachlesen lässt, die von der Ordensschwester Teresia Renata de Spiritu Sancto (T. R. Posselt) in den ersten Nachkriegsjahren verfasst wurde. Dieser Text ist in zahlreichen Auflagen sowie Übersetzungen erschienen: T. R.  Posselt, Edith Stein. Eine große Frau unseres Jahrhunderts, Herder Verlag, Freiburg i. Br. 1956, S. 55–56. Es folgender Wortlaut zu finden: „Es traf sich aber, dass während eines solchen Ferienbesuches beide Gatten auswärts zu tun hatten. Vor dem Weggehen hatte Frau Conrad-Martius die Freundin zum Bücherschrank geführt und sie aufgefordert, nach Belieben zu wählen. Alles stehe ihr zur Verfügung. Edith selbst erzählte: Ich griff hinein aufs Geratewohl und holte ein umfangreiches Buch hervor. Es trug den Titel: ‚Leben der heiligen Theresia von Avila‘, von ihr selbst geschrieben. Ich begann zu lesen, war sofort gefangen und hörte nicht mehr auf bis zum Ende. Als ich das Buch schloss, sagte ich mir: ‚Das ist die Wahrheit‘“. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte Edith dieses Buch, welches ihr von den Reinachs geschenkt worden war, bei sich und beendete die Lektüre zu dem Zeitpunkt, als sie Gast bei den Eheleuten Conrad war. 16 Vgl. E. Stein, Selbstbildnis in Briefen. III. Briefe an Roman Ingarden, cit., S. 150–151 (Brief vom 30. IX. 1922). 17 A.  Koyré (1892–1964) erreichte Göttingen 1908/09, um Mathematik und Philosophie bei Hilbert und Husserl zu studieren. Die Lektüre von Philosophie der Arithmetik und den ­L ogische Untersuchungen trieben Koyré an, im Jahr 1912 drei kurze Abhandlungen zur Philosophie und zur Mathematik vorzustellen, die jedoch von Husserl nicht als Promotionsarbeit anerkannt wurden; vgl. P. Zambelli, Alexandre Koyré alla scuola di Husserl a Gottinga, GCFI 78 (1999), S. 303–354. Im Anschluss daran zog Koyré nach Paris und begann 1929 an der Universität von Montpellier zu unterrichten, ohne jedoch die Beziehungen zum ersten Kreis der Phänomenologen zu unterbrechen.

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

sur l’idée de Dieu et les preuves de son existence chez Descartes18 auf. Diese gemeinsame Übersetzung bedeutete für die beiden Phänomenologinnen eine erste Annäherung, wenn auch auf eine indirekte Weise, an eine von Koyré verwendete Schrift, die lange Zeit dem Doctor Subtilis zugesprochen wurde: Quaestiones dispu­tatae de rerum principio. Bei den vom Autor in seiner Monographie verwendeten quaestiones handelt es sich um q. IV n. 1819 und um q. 11 n. 1520. Es besteht kein Zweifel daran, dass er zwischen den tatsächlichen Werken und denjenigen, die fragwürdigerweise Scotus attribuiert wurden, nicht unterscheidet21. Ich beziehe mich hier insbesondere auf die Unterscheidung zwischen dem Tractatus de primo rerum omnium principio und den Quaestiones disputatae de rerum principio. In der Folge wird Edith Stein einige Passagen der Quaestiones disputatae de rerum principio übersetzen, wie es sich aus dem persönlichen Schriftverkehr Steins, welcher im Kölner Edith Stein Archiv22 aufbewahrt ist, ableiten lässt. Auf diese wird sie sich explizit im Laufe der Seminare beziehen, die sie 1933 in Münster hätte halten sollen (Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie)23 und auch

18 A. Koyré, Essai sur l’idée de Dieu et les preuves de son existence chez Descartes (Biblio­ thèque de l’École des Hautes Études. Sciences Religieuses, 33), Leroux, Paris 1922. Die Übersetzung wurde 1923 mit dem Titel Descartes und die Scholastik vom Verleger Cohen Bonn ohne die Namen der Übersetzer veröffentlicht (fot. Neudruck Bouvier, Bonn 1971 und Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971). Das Werk wurde dennoch in die ESGA integriert: E. Stein / H. Conrad-Martius, Übersetzung von Alexandre Koyré. Descartes und die Scholastik, Einführung, Bearbeitung u. Anmerkungen v. H.-B. Gerl-Falkovitz (ESGA, 25), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005. 19 Ebd., S. 79, 192–193: „Voluntas Dei est causa rerum, et nullum habet motivum in causando“ (ed. Vivès IV, S. 310a). 20 Ebd., S. 71, 183–184: „Substantia animae est idem, quod sua potentia realiter, ita quod anima dicitur forma per comparationem ad corpus quod perficit, cui dat esse substantiale: sortitur vero nomen et rationem potentiae, solo respectu et comparatione ad varia objecta et operationes, ita quod anima et actum suum eliciat, et actum subjective suscipiat, ut patet in actu intelligendi: per suam substantiam est principium eliciens actum et efficienter, et etiam subjective, non per aliquam potentiam re absoluta differentem ab ea“ (ed. Vivès IV, S. ­468b–469a). 21 Die Opera omnia von Scotus, welche erstmals 1639 in Lyon von Luca Wadding veröffentlicht wurde, wurde wieder gedruckt unter: Joannes Duns Scotus, Opera omnia. Editio nova iuxta editionem Waddingi XII tomos continentem a patribus Franciscanis de observantia accurate recognita, Vivès, Parisiis 1891–1895. Sowohl in der einen, als auch in der anderen Ausgabe sind die authentischen sowie falschen bzw. unauthentischen Schriften des Scotus enthalten. In seiner Monographie greift Koyré auf die Ausgabe von Vivès zurück. 22 Abteilung Exzerpte (einzelne Blätter). Für das Verständnis des literarischen Genres der quaestio verweise ich auf B. C. Bazan u. a., Les questions disputées et les questions quodlibétiques dans les facultés de théologie, de droit et de médecine (Typologie des sources du Moyen Âge occidental, 44–45), Brepols, Turnhout 1985, S. 31–40. 23 E. Stein, Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie, bearbeitet und eingeleitet v. B. Beckmann-Zöller (ESGA, 15), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005, S. 61. Die Autorin verwendet, in der Durchführung ihres excursus zur Freiheitsdoktrin in Augustinus, die q. IV von De rerum principio und versucht einen Vergleich der Position von Scotus mit denjenigen von Augustinus und Thomas zu erzielen.

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie   

31

in ihrem Werk Endliches und ewiges Sein24 daran anknüpfen. Hier ist ein weiterer Punkt zu betonen, denn gerade die q. IV: Utrum Deus de necessitate producat res? schlägt eine Brücke, die die Untersuchung Koyrés zu Descartes mit den beiden Werken Steins verbindet, auf welche ich mich weiter oben bezogen habe. Zudem verdient es diese quaestio genauer rekonstruiert zu werden, und zwar sobald die gesamte Struktur der Quaestiones disputatae de rerum principio analysiert wird. Nur wenn wir nicht die Wirkung unterschätzen, die das Studium von Koyrés Werk auf Edith Stein ausgeübt hat, können wir verstehen, aus welchem Grund sie ihm während eines Besuches 1935 bei den Karmelitinnen zu Köln den Entwurf der ersten Kapitel zu Endliches und ewiges Sein anvertrauen wollte, damit er insbesondere die Passagen zur Scholastik durchsehen konnte25. In der gleichen Weise können wir auch den Zeitabschnitt ihrer Konversion zum Katholizismus sowie ihre neue Orientierung ihrer Forschung ausgehend von den Quaestiones disputatae de rerum principio aus dem Jahr 1922 neu lesen. Das Studieren der Quaestiones nimmt deutlich das Interesse einer tiefgreifenden und systematischen Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin vorweg. 1929 erscheint Husserls Phänomenologie und die Philosophie des hl. Thomas von Aquin26, wo sie Husserls Phänomenologie mit der Philosophie Aquins konfrontiert. Die Begegnung mit Thomas von Aquin benötigt sie für eine Erweiterung ihres Horizontes in Richtung einer christlichen Metaphysik, ohne jedoch die Phänomenologie ihres Lehrers Husserl zu negieren. 1.2.2. Die „scotistischen“ Quellen in Endliches und ewiges Sein In der Erarbeitung von Endliches und Ewiges Sein setzt Edith Stein den begonnenen Weg weiter fort, der sie an die Doktrin des Duns Scotus annähert. Auf diese Doktrin bezieht sie sich sowohl implizit, als auch explizit. Ersteres geschieht durch die Frage nach den Universalien27 sowie durch die mittelalterliche Doktrin der Ideen. Dies und die Berücksichtigung einflussreicher Autoren der Zeit führt

24

Die Autorin wird auf die quaestiones VII, VIII und IV zurückgreifen: vgl. Ead., Endliches und ewiges Sein, cit., S. 346–348 und 355. 25 Vgl. E.  Stein, Selbstbildnis in Briefen. II. Zweiter Teil: 1933–1942, Einleitung v. ­H.-B. Gerl-​Falkovitz, Bearbeitung und Anmerkungen v. M. A. Neyer, 2. Auflage durchgesehen und überarbeitet v. H.-B. Gerl-Falkovitz (ESGA, 3), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2006, S. 158–159 (Brief vom 17. XI. 1935 an Hedwig Conrad-Martius). Die Briefe von Stein an Conrad-Martius erschienen auch in Briefe an Conrad-Martius mit einem Essay über Edith Stein, hrsg. v. H. Conrad-Martius, Kösel, München 1960. 26 Ead., Husserls Phänomenologie und die Philosophie des heiligen Thomas von Aquin. Versuch einer Gegenüberstellung, in: Festschrift Edmund Husserl zum 70. Geburtstag ge­ widmet (JPPF, 10. Erg.-Bd.), Neimeyer, Halle 1929, S. 315–338 (Nachdruck: Neimeyer, Tübingen 1974). 27 Vgl. Ead., Endliches und ewiges Sein, cit., S. 92–97.

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

sie direkt zu einem Werk des Dominikaners Gallus Manser28, womit der Kontrast zwischen dem scotistischen Voluntarismus29 und dem thomistischen Intellektualismus unterstrichen werden kann. An expliziten Bezugnahmen gibt es jedoch nur drei in ihrer Forschung, in welcher sie einige „scotistische“ Quellen verwendet, die wir noch untersuchen werden. Diese vorbereitende Darstellung ist nicht nur notwendig, um die von Edith Stein verwendeten direkten sowie indirekten Quellen zu verstehen, sondern insbesondere wie sie mit Hilfe dieser die Doktrin des Doctor Subtilis erfasst hat. Am Ende des dritten Kapitels, Wesenhaftes und ewiges Sein, bezieht sich Edith Stein auf die Doktrin der Großartigkeit Christi von Duns Scotus, indem sie mit einem Aufsatz von Ephrem Longpré  – Duns Skotus, der Theologe des fleischgewordenen Wortes30 – arbeitet. Dieser Aufsatz gestaltet einen Vortrag um, den Longpré 1933 in Köln vor den Mitgliedern des akademischen Verbundes der Cattolica hielt. Edith Stein schneidet diese Studie zwar an, hat allerdings kein Interesse an einer Vertiefung von rein theologischen Fragen, die über ihr Arbeitsumfeld hinausgehen31. Im achten Kapitel, Sinn und Begründung des Einzelseins, geht die Autorin systematisch das Problem des individuellen Seins und dessen Ursprung an, indem sie nach der Natur dieses individuellen Wesens fragt. Im Rahmen dieses Themas, welches für das mittelalterliche Denken grundlegend ist, bezieht sie eindeutig Stellung und unterstützt, dass das Fundament der Individualität nicht in der materia signata quantitate gedeiht, wie es Thomas von Aquin auslegt, sondern vielmehr in der Konkretion, wie sie sich zwischen der leeren Form und ihrer qualitativen Füllung ergibt. Edith Stein scheint es in diesem Kontext, dass sich ihre Position an diejenige des Duns Scotus annähert, nämlich „[insofern diese] als principium individuationis etwas positiv Seiendes an[nimmt], das die individuelle Wesensform von der allgemeinen scheidet“32. Die hier verwendete Textreferenz ist ein Aufsatz von Reinhold Meßner mit dem Titel Das Individuationsprinzip in skotistischer Schau 33. Lediglich im siebten Kapitel, Das Abbild der Dreifaltigkeit in der Schöpfung, in der Untersuchung, ob Engel aus Form und Materie zusammengesetzt sind, verwendet Stein die Quaestiones disputatae de rerum principio und – unter Berück 28

G. M. Manser, Das Wesen des Thomismus, Rütschi, Freiburg (Schweiz) 19352. Vgl. E. Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 265: „Für Duns Scotus beruht – nach der Darstellung von G. Manser – die Verbindung einfacher Wesenheiten zu den zusammengesetzten Ideen, die als Urbilder der Dinge anzusehen sind, auf Gottes freier Wahl“. 30 Vgl. E.  Longpré, Duns Skotus, der Theologe des fleischgewordenen Wortes, WiWei 1 (1934), S. 243–272. Das französische Original mit dem Titel Le B. Duns Scot, docteur du Verbe Incarné, wurde in StFr 30 (1933), S. 171–196 veröffentlicht. 31 Vgl. E. Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 112. 32 Ebd., S. 408–409 (Herv. d. Autors in Zitaten in Kursivdruck). 33 Vgl. R.  Meßner, Das Individuationsprinzip in skotistischer Schau, WiWei 1  (1934), S. 8–27; it. Übers. Il principio di individuazione nella visione scotista, von F. Alfieri, in: „Idee“ 64 (2007), S. 19–41. 29

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie   

33

sichtigung eines Aufsatzes von Marianus Müller aus dem Jahr 1934, welcher auf dem Vortrag Longprés vor dem akademischen Verbund der Cattolica basiert  – unterstützt sie, dass die Echtheit des Werkes von Longpré persönlich als sicher angesehen wird34. Ich gehe nun zu einem Vergleich der beiden Texte über: E. Stein, Endliches und ewiges Sein, S. 346, Fußnote 74:

M. Müller, Stand der Skotus-Forschung 1933, S. 67 [und P. E. Longpré]:

Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die „Quaestiones disputatae de rerum principio“, herausgegeben von R. P. Marianus Fernández García OFM, Quaracchi 1910, q 7/8. Die Echtheit der Schrift wird von P. Ephrem Longpré als sicher angesehen. (Vgl. „Stand der Skotusforschung 1933“, in der Zeitschr. „Wissenschaft und Weisheit“, I 1, 1934, S. 67).

Die Echtheit der Schrift De primo omnium rerum principio ist sicher bezeugt.

Vergleicht man die betreffenden Passagen miteinander, wird deutlich, dass E.  Longpré und M.  Müller von der Echtheit des [Tractatus] de primo omnium rerum principio sprechen und nicht von den Quaestiones disputatae de rerum principio. Ein weiteres Argument, welches bestätigt, dass Edith Stein diese beiden „scotistischen“ Texte miteinander verwechselt hat, zeigt sich darin, dass sich M. Müller während der Erarbeitung der kritischen Edition des Tractatus de primo principio35 der Studie Longprés36 in den die Authentizität betreffenden prolegomena bediente. Des Weiteren schien sich Edith Stein nicht bewusst gewesen zu sein, dass im Aufsatz von R. Meßner eine explizite Bezugnahme über die zweifelhafte Echtheit der [Quaestiones disputatae] de rerum principio37 enthalten ist (vgl. diesbezüglich auch Bild 1 und 2, welche ff. 828 e 829 aus Ms. Endliches und ewiges Sein anbieten). 34

Vgl. M. Müller, Stand der Skotus-Forschung 1933. Nach Ephrem Longpré O. F. M. (Referat, gehalten zu Köln am 27. März 1933), WiWei 1 (1934), S. 63–71; it Übers. Il punto della ricerca su Scoto 1933. Basato su Ephrem Longpré O. F. M. (Relazione tenuta a Colonia il 27 marzo 1933), von F. Alfieri, in: „Quaderni di studi scotisti“ 4 (2007), S. 11–24. In Endliches und ewiges Sein, cit., S. 346, Fußnote 74; die Autorin zitiert den Stand der Skotus-Forschung 1933 ohne den Autor anzugeben, spricht aber Longpré die Verantwortung der „sicheren“ ­Attributierung zu Duns Scotus hinsichtlich der Quaestiones disputatae de rerum principio zu. 35 Ioannis Duns Scoti, Tractatus de primo principio, ed. criticam curavit M. Müller, Herder, Friburgi Brisgoviae 1941. 36 Ebd., S. IX. 37 Vgl. R. Meßner, Das Individuationsprinzip in skotistischer Schau, cit., S. 11, Fußnote 10: „Insbesondere zwingt die Unechtheit der drei Schriften: De perfectione statuum, de rerum principio, Theoremata, denen Landry wie viele Neuere die extremsten skotistischen Sätze entlehnt haben, zu einer Revision der Darstellung des skotistischen Systems gegenüber der früheren, auch an dieser Stelle vertretenen“ (unser Fettdruck).

34

1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Abbildung 1: Ms. Endliches und ewiges Sein (f. 828)

1. Die Möglichkeit einer scotistischen Philosophie   

Abbildung 2: Ms. Endliches und ewiges Sein (f. 829)

35

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

2. Quaestiones disputatae de rerum principio: historisch-literarische Problemfelder Seit dem 17. Jahrhundert wurden die Quaestiones disputatae de rerum principio, welche nicht zu verwechseln sind mit dem authentischen Tractatus de primo rerum omnium principio, Duns Scotus zugeschrieben. Dies geschah auf der Grundlage eines einzigen Manuskripts, nämlich dem cod. 1/15 des Hl. Isidor von Rom (= Is)38. Die Mediävisten begannen die Echtheit der Quaestiones anzuzweifeln, als sie den starken augustinischen Einfluss in ihnen feststellten, welcher der im Jugendwerk vorhandenen aristotelischen Orientierung des Doctor Subtilis entgegengesetzt ist. Unzählige Kommentare zum Gedankengut von Scotus wurden aufgrund der gewagten Hypothese einiger Wissenschaftler in die Irre geführt, die, wie unter anderem Landry39 und Harris40, im Versuch einer Erklärung der doktrinären Inkongruenzen im Werk, zu dem Schluss kamen, eine Entwicklung des Denkens anzunehmen, welche Scotus vom Augustineismus von De rerum principio zum Aristotelismus in Opus Oxoniense geführt habe. Die Entdeckung der Manuskripte T und V ermöglichten es den Historikern jedoch den Autor der quaestiones zweifelsfrei zu bestimmen und zu zeigen, wie einige dieser quaestiones vor Scotus und dessen Lehre zu datieren sind.

2.1. Die handschriftliche Überlieferung Im Folgenden wird nun die externe sowie interne Beschreibung der drei Kodizes (T, Is, V) vorgestellt, und zwar mit der dazugehörigen Geschichte ihrer Besitzer unter Bezugnahme detaillierter Indikationen über den Standort der Quaestiones disputatae de rerum principio.

38

Vgl. J. Pits, Relationum historicarum de rebus Anglicis, Bd. I, R. Thierry et S. Cramoisy, Parisiis 1619, S. 392. 39 B. Landry, Duns Scot (Les grands philosophes), Alcan, Paris 1922. Der Autor unterstützte die These, dass Scotus zu Beginn seiner Karriere von einem augustinischen Einfluss geprägt war, und zwar in dem Sinne, dass er sich zu jenem Zeitpunkt noch nicht vom Denken seiner Lehrer getrennt hatte, die jeweils dem Denken des Augustinus folgten. (vgl. ebd., S. 336–338). Diese These von Landry ist allerdings nicht haltbar, da sich in den ersten Schriften von Scotus, zu denen auch der Tractatus de primo rerum omnium principio gehört, keine einzige Spur dieser augustinischen Einflüsse nachweisen lässt. 40 Ch. R. S. Harris, Duns Scotus, Bd. II, Clarendon Press, Oxford 1927, S. 371: „Such a discrepancy of doctrines needs a considerable amount of explanation, but it is not unintelligible if we assume a development of Scotus’ thought from the traditional Augustinianism which was current at Oxford in his early days to the purer Aristotelianism which was fashionable at Paris“.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

37

2.1.1. Todi, Stadtbibliothek, cod. 95 T – Todi, Stadtbibliothek, cod. 9541: ms., membranartig, 14. Jhd., 280 × 120 mm; ff. 110. Text auf zwei Spalten verteilt; Schrift von mehreren Schreibern verfasst. Der Kodex enthält höchst unterschiedliche Themen, die jeweils perfekt angeordnet sind: die ff. 1–6 setzen sich mit Fragen und Anmerkungen zur Physik auseinander und sind in gotischer Kursive aus dem 15. Jhd. geschrieben, was der Erstellung des Index nachgestellt ist und vermutlich zum Zeitpunkt des Bindens hinzugefügt wurde. F. 7, geschrieben in gotischer Schrift der Schule des 13. Jhd., erfasst folgende Rubriken: quid sit justum bellum; quid possit bellum movere; quomodo componere debeat habens justum bellum cum adversario suo; etc. Mit f. 8ra beginnt derjenige Abschnitt des Kodex, der bis zu dessen Abschluss einer einzigen Feder entstammt. FF. 105ra–107va enthält eine stark gegliederte, alphabetisch-analytische tabula, die allerdings einige Fragen verwechselt, häufig ungenau bleibt und Auslassungen enthält. FF. 108ra–110va enthält eine weitere tabula der Themen. Auf der Rückseite von f. 110 lässt sich deutlich Conventus Saxiferrati lesen. Ein derartiger Schriftzug scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass sich der Kodex ursprünglich in Sassoferrato in der Region Marche in Italien befand42 und von diesem Ort in das Kloster des Hl. Fortunato in Todi gelangte, um schließlich in der Stadtbibliothek von Todi zu enden. INC. (f. 1ra): „Utrum tempus sit in anima …“. EXPL. (f. 110vb): „Expliciunt problemata 91 questionum in isto libro contentarum“. In der alphabetisch-analytischen Tabula (f. 107va) befindet sich ein allgemeiner Titel, welcher den 18 quaestiones gegeben wurde und welcher ursprünglich vermutlich am oberen Rand von f. 8ra stand, was allerdings im Zuge der Bindung unglücklicherweise abgeschnitten wurde: Memorabilia questionum J de Persona; sie nehmen sieben Spalten des cod. (ff. 8ra–9va) in Anspruch. Die Spalte von f. 9vd ist leer geblieben. In ff. 10ra–13vb gibt es eine Liste von elf quaestiones, welche in der alphabetisch-analytischen Tabula Vitalis de Furno zugeschrieben werden: Memorabilia questionum frartis Vitalis de F. FF. 12vb–18ra beinhalten 18 questiones von Quodlibet I von Vitalis de Furno, denen ein incipit vorausgeht: Incipit primum Quodlibet Vitalis. In ff. 18ra–22ra folgen sieben kurze quaestiones, welche in der Tabula (f. 108ra) mit dem Titel Alie questiones Vitalis angezeigt sind. Sie entsprechen, mit Ausnahme der fünften quaestio, den quaestiones I–VI von De rerum principio. Daran direkt anschließend finden sich weitere vier quaestiones, die in der Tabula (f. 108ra) mit einem gemeinsamen Ti-

41

Für eine detaillierte Beschreibung des Kodex, vgl. L. Leonij, Inventario dei codici della Comunale di Todi, [Tip. Z. Foglietti], Todi 1878, S. 95; F. Delorme, L’œuvre scolastique du maître Vital du Four d’après le Ms. 95 de Todi, FrFr 9 (1926), S. 421–471. 42 Vgl. Appendix I (XXX Marchiae Anconitanae, V Aesina), in: BullFr, V, S. 599.

38

1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

tel angezeigt werden: Memorabilia quarumdam questionum. Von f. 24rb bis zu f. 51rb folgen sieben quaestiones disputatae de anima: Mit Ausnahme der ersten (ff. 24rb–27va), handelt es sich bei den weiteren sechs um eine wörtliche Reproduktion der quaestiones VII–XII aus De rerum principio. Am Rand der Spalte von f. 51 rb kündigt sich das Secundum Quodlibet, in quo sunt XIIII questiones an; das Quodlibet schließt mit f. 58rb. FF. 58rb–89ra enthalten weitere acht quaestiones disputatae de cognitione. Die erste, die zweite sowie die vierte entsprechen ad litteram den quaestiones XII, XIV und XV aus De rerum principio. FF. 89rb–104vb bestehen aus 15 quaestiones des Tertium Quodlibet, deren Autor Vitalis des Furno ist. 2.1.2. Rom, Kolleg des Hl. Isiodor, cod. 1/15 Is – Rom, Kolleg des Hl. Isiodor, cod. 1/1543: ms. membranartig; Mitte 14. Jhd.; 220 × 165 mm.; ff. 103. Die Paginierung stammt aus der Epoche der Neuzeit, mit Ausnahme der letzten beiden Seiten, die keinerlei Nummerierung aufweisen (ff. 102–103). Die ff. 16, 45, 52, 55 und 84 sind an mehreren Stellen beschädigt; F. 101 wurde vollständig leer gelassen. Der Text ist auf zwei Spalten verteilt. Der Kodex setzt sich aus vier Fünfern und acht Vierern zusammen, wobei der letzte ebenfalls beschädigt ist; Die Bindung ist modern. Der Kodex entstammt einer einzigen Feder, bis auf das finale colophon (f. 103vb), welches im Nachhinein von einer anderen Hand hinzugefügt wurde, und zwar mit Sicherheit nicht vor 1450: Iste Quæstiones fuerunt disputatæ Oxoniæ per Magistrum Joannem Scotum de Ordine Fratrum Minorum; et sunt Quæstiones generales super Philosophiam44. Auf f. 101r, zwischen den beiden Spalten auf der unteren Ebene, findet sich eine Unterschrift des Kopisten. Auf der letzten Seite wurde am oberen rechten Rand eine zusätzliche antike Schrift vermerkt, die auf den Besitzer hinweist.45 Der Kodex gehörte Fernandus de Ylliescas und wurde Wadding geschenkt. Er enthält quaestiones, die Duns Scotus zugeschrieben werden. INC. (f. 1ra): „Quaeritur utrum sit dare unum primum principium omnium simpliciter et absolute. Circa istam quaestionem …“. EXPL. (f. 103vb): „… in qua esse eius cognitum formaliter continetur ab aeterno et eius esse reale“. 43

Für die Beschreibung des Kodex vgl. Vitalis de Furno, Quodlibeta tria, ed. F. M. Delorme (Spicilegium Pontificii Athenaei Antoniani, 5), Typis Polyglottis Vaticanis, Romae 1947, S. X–XII. Nachdem der Kodex übergangsweise im Archiv der Generalkurie OFM zu Rom aufbewahrt worden war, befindet er sich derzeit in der Wadding Bibliothek des Kollegs des Hl. Isiodor in Rom. Ich danke an dieser Stelle Mícheál Mac Craith OFM, dass er mir freundlicherweise den cod. Is zur Verfügung stellen konnte. 44 Vgl. infra, S. 39. 45 Ebd.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

39

Abbildung 3: Cod. Is. Colophon (f. 103vb)

Die Anordnung der Quaestiones disputatae de rerum principio. Der Kodex enthält 26 quaestiones46: [6] De rerum principio (ff. 1ra–18ra); [6] De anima et eius potentiis (ff. 24va–48rb); [3] De cognitione (ff. 48rb–63rb); [9] De numeris, tempore et instanti (ff. 63va–101rb); e le [2] quaestiones finales (ff. 102ra–103vb). Wadding, der sich für seine Herausgabe der Werke des Scotus von 1639 genau dieses einzigen Kodex bediente, ging davon aus, dass die 26 quaestiones insgesamt auf das Problem von de rerum principio bezogen seien, und obwohl dies lediglich

46 In die eckigen Klammern setze ich die Gesamtzahl der quaestiones für jede einzelne Gruppe.

40

1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

für die ersten sechs zutreffend ist, hat er sie aufgrund des finalen colophon den Werken des Doctor Subtilis47 zugerechnet. 2.1.3. Vatikanstadt, Bibliothek des Vatikans, cod. lat. Borghesiano 192 V  – Vatikanstadt, Bibliothek des Vatikans, cod. lat. Borghesiano 19248: ms. membranartig; Mitte 14. Jhd.; 250 × 175 mm.; ff. I. + 145 (+ 124 bis). Der Kodex enthält unterschiedliches Material. Der Text ist auf zwei Spalten verteilt; Die Schrift entstammt mehreren Federn. FF. 1r–v, 40v–44v, 84v, 129v, 146r–v sind unbeschrieben, lediglich auf ff. 41v und 42v–44v finden sich Spuren einer Bleistiftmine. INC. (f. 1r): „Christiane religionis propositum in hoc precipue dicitur consistere ut a terrenis homines prouocet …“. EXPL. (f. 145v): „… cum predictis laboribus et expenssis annexis et quod illis penssatis ad r(aci)onale precium et cetera“. Die Anordnung der Quaestiones disputatae de rerum principio. Der Kodex enthält Auseinandersetzungen hinsichtlich der Beziehung zwischen dem klerikalen und dem religiösen Status (ff. 1r–84r). Folgende Figuren werden dargestellt: Thomas von Aquin (ff. 1ra–40rb); Wilhelm von Saint-Amour (ff. 45ra–60vb) und Nicolas di Lisieux (ff. 61ra–84rb). Im weiteren Verlauf des Kodex (ff. 85ra–92vb) finden sich anonyme quaestiones: [6] De Deo et productione rerum, de essentia et existentia (ff. 85ra–92vb), die von einer Person geschrieben wurden; [9] De numeris, tempore et instanti (ff. 93ra–129rb), die von einer anderen Hand geschrieben wurden, welche jedoch vollständig derjenigen aus cod. Is (ff. 63va–101rb) entspricht. Der Kodex schließt mit 28 quaestiones (ff. 130ra–145vb) ab. Von diesen entsprechen die ersten beiden (130ra–132rb) den letzten beiden der quaestiones finales (ff. 102 ra–103vb) des cod. Is (vgl. in detaillierter Ansicht die folgende Tabelle 1).

47 Für eine Vertiefung der angenommenen Motive Waddings in Bezug auf die Beweise der Echtheit von De rerum principio, verweise ich auf D.  Scaramuzzi, La prima edizione dell’„Opera Omnia“ di G. Duns Scoto (1639), StFr 27 (1930), S. 392–393. 48 Für die Beschreibung des Kodex vgl. M. Bierbaum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. Texte und Untersuchungen zum literarischen Armuts- und Exemtionsstreit des 13. Jahrhunderts (1255–1272), eingefügt, FS 2 (1290), S. 397; O. Lottin, Le Quodlibet XV et trois Questions ordinaires de Godefroid de Fontaines. Texte inédit, in: J.  Hoffmans / A.  Pelzer (Hrsg.), Étude sur les manuscrits des Quodlibet (Les Philosophes Belges. Textes et Études, XIV), Institut supérieur de philosophie de L’Université, Louvain 1937, S. 262–266; Vitalis De Furno, Quodlibeta tria, cit., S. XII–XIII; A. Maier, Codices Burghesiani Bibliothecae Vaticanae (Studi e Testi, 170), Biblioteca Apostolica Vaticana, Città del Vaticano 1952, S. 245–248.

ff. 18va–19ra ff. 19ra–19va

ff. 21va–22ra ff. 27va–30vb

Utrum a primo principio pluralitas, scilicet multitudo creaturarum, per se et immediate procedat?

Utrum primum principium absque sui mutatione possit novum effectum producere?

Utrum Deus de necessitate producat res?

Utrum Deus possit aliquid educere de nihilo?

Utrum creatura possit aliquid creare?

Utrum substantia spiritualis per se subsistens, vel apta nata subsistere, innitatur fundamento materiae?

q2.

q3.

q4.

q5.

q6.

q7.

ff. 35ra–42va

Supposito quod anima rationalis sit composita ex materia et forma, utrum vere et essentialiter faciat unum cum corpore?

Utrum sensitiva hominis sit a generante vel a creante?

Utrum anima sit sua potentia?

Utrum sensitiva hominis sit in qualibet parte corporis?

q9.

q10.

q11.

q12.

ff. 49vb–51rb

ff. 45vb–49vb

ff. 42va–42vb

ff. 30vb–35ra

Utrum, supposito quod in omnibus substantiis, tam spiritualibus quam corporalibus, sit materia, an sit in omnibus eadem secundum eamdem rationem univocam?

q8.

ff. 21ra–21va

ff. 19va–20va

ff. 18ra–19va

Utrum sit dare unum primum rerum omnium simpliciter et absolute?

T

q1.

Quaestiones disputatae de rerum principio

De rerum principio

De anima et eius potentiis

Tabelle 1

ff. 46va–48rb

ff. 42ra–46va

ff. 38ra–42ra

ff. 28va–38ra

ff. 18ra–24va

ff. 24va–28va

















ff. 13vb–15va ff. 15va–18ra









V

ff. 9ra–13vb

ff. 6ra–8vb

ff. 3rb–6ra

ff. 1ra–3rb

Is

Codices

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

41

De cognitione

De numeris, tempore et instanti

ff. 63ra–67rb

ff. 70vb–74rb

– – – – – – – – –

Supposito quod intellectus coniun­ctus directe intelligat singulare, utrum talis intellectus intelligat universale vel particulare per speciem aliquam in intellectu impressam?

Utrum intellectus cognoscat se et habitus suos per essentiam, vel per actus, vel per speciem, ET HOC EST QUAERERE: utrum essentia animae et suorum habituum sit ei ratio cognoscendi sicut actus, vel requiratur species aliqua genita cognoscentis sui intellectus, quae sit ratio et medium cognoscendi eam?

Utrum numerus differat re absoluta a rebus numeratis, ut ternarius quo numeramus tres lapides ab ipsis tribus lapidibus.

Utrum unum accidens numero possit esse in diversis subiectis?

Utrum tempus et motus sint idem re, vel utrum tempus sit aliquid extra animam?

Utrum sint solum duae mensurae durationis creaturarum?

Utrum tempus sit idem numero.

Utrum sit dare tempus discretum.

Utrum sit idem instans aevi, temporis et aeternitatis?

Quid sit instans, quomodo ad tempus comparetur?

Utrum instans possit dividi secundum rationem mensurae, et per diversos respectus possit opposita mensurare?

Utrum Christus sit unum, vel plura?

Utrum creatura rationalis sit capax gratiae vel alicuius accidentis, antequam sit in effectu.

q14.

q15.

q16.

q17.

q18.

q19.

q20.

q21.

q22.

q23.

q24.

q25.

q26.





ff. 58rb–63ra

Supposito quod anima intellectiva inquantum intellectiva sit forma corporis, quaeritur utrum intellectus coniunctus intelligat singulare?

q13.

ff. 103ra–103vb

ff. 102ra–103ra

ff. 100rb–101rb

ff. 98rb–100rb

ff. 94vb–98rb

ff. 88rb–94vb

ff. 84va–88rb

ff. 80ra–84va

ff. 74vb–80ra

ff. 69va–74vb

ff. 63va–69va

ff. 59ra–63rb

ff. 53vb–59ra

ff. 48rb–53vb

ff. 131ra–132rb

ff. 130ra–131rb

ff. 128ra–129rb

ff. 125va–128rb

ff. 123ra–125vb

ff. 117ra–123rb

ff. 109va–117rb

ff. 104ra–109vb

ff. 99ra–104rb

ff. 93ra–98vb







42 1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

43

2.2. Echtheit und Datierung der Quaestiones disputatae de rerum principio Die intensive Auseinandersetzung mit den Kodizes T und V erlaubte es den Mediävisten endgültig den tatsächlichen Autor des Pseudo-Epigraphen mit dem Titel Quaestiones disputatae de rerum principio, welcher von Wadding dem ­Doctor Subtilis zugesprochen worden war, zu ermitteln und gleichzeitig dank einer akribischen Untersuchung jeder einzelnen quaestio den terminus a quo sowie ad quem festzulegen. Ich beabsichtige nun den status quaestionis der 26 quaestiones disputatae anzugehen. Eine solche Analyse erfolgt in unterschiedlichen Abschnitten in Anbetracht dessen, dass die quaestiones hervorragend thematisch gegliedert und angeordnet werden können. 2.2.1. De rerum principio: qq. I–VI Die Analyse des cod. T, geleitet von Delorme, hat ergeben, dass die sieben quaestiones (ff. 18ra–22ra), die in der Tabula (f. 108ra) mit dem Titel Alie questiones Vitalis49 angekündigt werden, den ersten sechs – ausgenommen der fünften – aus De rerum principio entsprechen, was von Wadding 1639 herausgegeben und Duns Scotus zugeschrieben wurde. Weitere Herausgeber, wie Vivès und Fernandez ­Garcia50, folgten und sie haben dieses Werk mit dem Titel De rerum principio erneut aufgelegt. Sie gingen ebenfalls davon aus, dass der Doctor Subtilis der wahre Autor sei, und zwar aufgrund des einzigen cod. Is, der Wadding zur Verfügung stand. Delorme hat also die tatsächliche literarische Zugehörigkeit der sechs quaestiones von De rerum principo lösen können, denn diese stammen eindeutig von Vitalis de Furno. Damit beendete er gleichzeitig auch eine lang andauernde Debatte um die Frage der Autorenschaft des Werkes, die das Interesse zahlreicher Mediävisten, wie Parthenius Minges51, Ephrem 49 Vgl. F. Delorme, L’œuvre scolastique du maître Vital du Four d’après le Ms. 95 de Todi, cit., S. 428–429. Den sieben quaestiones im cod. T ist das Quodlibet I von Vitalis de Furno vorangestellt (ff. 12vb–18ra). Davor steht noch das Memorabilia quaestionum fratris Vitalis de F, ff. 10ra–13vb. Der cod. T enthält in chronologischer Reihenfolge die quaestiones disputatae und das Quodlibet von Vitalis de Furno. 50 Vgl. Ioannis Duns Scoti Quaestiones disputatae de rerum principio. Tractatus de primo rerum omnium principio, novi curis ed. M. Fernandez Garcia, ex typ. Collegii S. Bonaventurae, Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1910. In dieser Arbeit wird auf diese Ausgabe Bezug genommen, da diese auch von Stein in ihren Werken verwendet wird. 51 Bereits 1905 unterstützte P. Minges im Vorwort seiner Promotionsarbeit, dass einige der in Waddings Ausgabe enthaltenen Werke – wie beispielsweise De rerum principio – Scotus aufgrund zahlreicher interner Inkongruenzen nicht zugeschrieben werden können. Vgl. P. Minges, Ist Duns Scotus Indeterminist? (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, 5/4), Aschendorff, Münster 1905; Id., Die skotistische Literatur des XX. Jahrhunderts, FS 4 (1917), S. 185: „Gewiß ist der Traktat De rerum principio, in welchem die Franziskanerlehre ausdrück-

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Longpré52 und folglich auch Joaquin Carreras y Artau53 weckte. Eine intensive innere Kritik sowie Auseinandersetzung klärten schließlich auf, dass eine grundlegende Inkompatibilität zwischen De rerum principio und den authentischen Schriften – Opus Oxoniense – des Doctor Subtilis besteht. De rerum principio unterscheidet sich nämlich in zahlreichen Aspekten diametral vom Denken des Duns Scotus, was dazu führte, dass die Kommentatoren mit Kniffen und Eingriffen operieren mussten, um diesen Text überhaupt in das scotistische Werk logisch eingliedern zu können. Es wäre in diesem Sinne nicht möglich die scotistischen Einflüsse im Denkweg Edith Steins zu untersuchen, wenn man nicht dem wahren Autor von De ­rerum principio Rechnung tragen würde54. An dieser Stelle kann vorausgegriffen werden, dass Edith Stein zwar diesen Pseudo-Epigraphen durchaus verwendet, sie allerdings – wie der Leser im weiteren Verlauf erfahren wird – in Bezug auf das Prinzip der Individuation nicht die Doktrin des Vitalis de Furno annimmt, sondern diejenige des Duns Scotus. Es folgt nun eine Liste mit den ersten sieben quaestiones des cod. T an, die verglichen werden mit den ersten sechs aus De rerum principio:

lich und ausführlich bewiesen wird, zweifelhaft“. Vgl. H. Spettmann, Neuere Forschungen zur Franziskanerschule, FS 10 (1923), S. 100. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist, dass im Nachlass von Hedwig Conrad-Martius, welcher sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München befindet, in der Abteilung Exzerpte zur Philosophie Seit 1930 persönliche Aufzeichnungen der Phänomenologin zur Promotionsarbeit von Minges (B III 7; 4 ff.) enthalten sind, ebenso wie zu einer Arbeit von H. Klug, Die Lehre des Johannes Duns Scotus über Materie und Form, (B III 8; 3 ff.): vgl. Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis, cit., S. 231. Die Exzerpte von Conrad-Martius zeigen, dass sie – ebenso wie Edith Stein – einigen stark umstrittenen Themen des mittelalterlichen Denkens, wie der Doktrin über die Materie, besondere Aufmerksamkeit widmete. 52 E. Longpré hatte anfangs konstatiert, dass De rerum principio eindeutig von den tatsächlichen Schriften des Doctor Subtilis, was die traditionelle Interpretation der franziskanischen Schule betrifft, abweicht. Allerdings ging er nie so weit, das Werk als nicht authentisch zu erklären. Vgl. E. Longpré, Le Cursus Philosophicus scotisticus du Zacharie Van de Woestyne, FrFr 5 (1922), S. 349–356. Gegen Ende des Jahres 1922 musste der Autor jedoch die falsche Zuschreibung anerkennen. Vgl. Id., La philosophie du B. Duns Scot, cit. Ich verweise weiter auf E. Parent, Necrologia Ephrem Longpré, in: AOFM 85 (1966), S. 589–591. 53 Vgl. J. Carreras y Artau, Ensayo sobre el voluntarismo de J. Duns Scot. Una contribución a la historia de la filosofía medieval, Tipografía Carreras, Gerona 1923. Die Untersuchung der Doktrin fokussiert sich auf einige grundlegende Punkte, wie beispielsweise auf die Distinktion zwischen Essenz und Existenz, oder das Prinzip der Individuation. Am Ende seiner Arbeit befindet sich ein langer Anhang – Sobre la autenticidad del tratado De rerum principio (S. 74–84) – und er zieht den gleichen Schluss wie Longpré: Das Opus Oxoniense und De rerum principio stammen von zwei verschiedenen Autoren. 54 In seiner Forschung trägt Massimo Epis nicht der Tatsache Rechnung, dass De rerum principio auf der Grundlage der neuen kritischen Ausgabe der Werke des Duns Scotus in den nicht authentischen Werken, deren Autor Vitalis de Furno ist, eingeordnet ist: Vgl. M. Epis, Fenomenologia della soggettività. Saggio su Edith Stein (Il Filarete, 212), LED, Mailand 2003, S. 148.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio  Codice T

45

De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

1. Queritur utrum sit tantum unum prin­ cipium primun omnium rerum: et arguitur quod sic … (ff. 18ra–19va)

I. Utrum sit dare unum primum prin­cipium rerum omnium simpliciter et absolute (ff. 1ra–3rb)

2. Queritur utrum ab uno principio possunt plura procedere immediate: arguitur quod sic … (ff. 18va–19ra)

II. Utrum a primo principio pluralitas, scili­ cet multitudo creaturarum, per se et imme­ diate procedat, respondeo: circa istam quaestionem sic potest procedi … (ff. 3rb–6ra)

3. Queritur utrum a primo principio, quod est Deus, potest produci effectus nouus sine aliqua permutatione in eo facta: et arguitur quod sic … (ff. 19ra–19va)

III. Utrum primum principium absque sui mutatione possit nouum effectum producere. Cum queritur … (ff. 6ra–8vb).

4. Queritur utrum a primo principio procedant res per modum libertatis uel necessitatis: et arguitur quod … (ff. 19va–20va)

IV. Utrum Deus de necessitate producat res. Circa istam questionem sic est pro­ cedendum … (ff. 9ra–13vb)

5. Cum queritur utrum mundus quoad ­omnia que in eo sunt, subdatur divine ­prouidentie, dicendum … (ff. 20va–21ra) 6. Queritur utrum Deus possit aliquid de ­nichilo educere … (ff. 21ra–21va)

V. Utrum Deus possit aliquid educere de nichilo. Circa hanc questionem est sic … (ff. 13vb–15va)

7. Queritur utrum creatura possit aliquid de nichilo educere: et arguitur quod non … (ff. 21va–22ra) 

VI. Utrum creatura possit aliquid creare? Circa istam questionem tria sunt ostendenda … (ff. 15va–18ra)

Was den Rumpf der quaestiones betrifft, lässt sich eine Ähnlichkeit in den beiden Kodizes feststellen und zwar sowohl der Form, als auch dem Inhalt nach. Darüber hinaus konstituieren sie eine organische Gruppe aufgrund einiger textinterner Verweise, welche eine quaestio an die nächste binden: secundum quod ostensum est in praecedenti quaestione (q. II, a. 2, n. 52); ut ostensum fuit in praecedenti quaestione (q. II, a. 2, n. 57); ostendi autem in praecedenti quaestione (q. III, a. 2, n. 82); ut ostensum fuit in alia quaestione (q. V, a. 2, n. 155); sicut visum est in quaestione de unitate principii (q. V, a. 2, n. 160); ut in praecedenti patuit quaestione (q. VI, a. 1, n. 164); ut ostensum fuerat supra in quadam quaestione de primitate (q. VI, a. 1, n. 171). Ferdinand Delorme bemerkt, dass die ersten vier quaestiones des cod. T mit der für die scholastischen Disputationen typischen Struktur des pro und contra beginnen. Alle diese Argumente fehlen im cod. Is vollständig. Der weitere Verlauf ist jedoch weitestgehend identisch in den beiden Kodizes und die quaestiones sechs sowie sieben stimmen mit qq. V und VI aus De rerum principio überein. Aus­gehend von diesen ersten Aspekten geht Delorme von zwei parallelen Fassungen aus: einer kurzen (cod. T) und einer ausführlichen (cod. Is). Die quaestiones des cod. T

46

1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

entstanden nachträglich und sind kürzer, im Vergleich zu den ersten sechs des cod. Is. Zudem sind im cod. T getreue Zusammenfassungen enthalten55. Doch sind die ersten sechs quaestiones aus De rerum principio tatsächlich auf Vitals de Furno zurückzuführen? Eine weitere Untersuchung, die von Stephen D. Dumont56 geleitet wurde, zeigt, dass Vitalis einen Großteil des Materials, welches in den quaestiones I, II, V und VI von De rerum principio behandelt wird, Egidios Romanos (1243–1316) Quaestiones disputatae de esse et essentia verdankt. Dies ist aus den Fragen selbst sowie aus deren Inhalt zu entnehmen: De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

Egidio Romano, Quaestiones disputatae de esse et essentia57

I. Utrum sit dare unum primum principium rerum omnium simpliciter et absolute.

1. Utrum sit dare plura principia simpliciter prima?

II. Utrum a primo principio pluralitas, ­scilicet multitudo creaturarum, per se et ­inmediate procedat.

2. Utrum ab uno principio simplici possint procedere plura inmediate?

III. Utrum primum principium absque sui mutatione possit novum effectum producere. IV. Utrum Deus de necessitate producat res. V. Utrum Deus possit aliquid educere de ­nichilo.

3. Utrum a primo principio, quod Deus est, possit aliquid produci ex nichilo?

VI. Utrum creatura possit aliquid creare? Circa istam questionem tria sunt ostendenda: primo, quod creatura creare non potest;

5. Utrum creatura aliqua possit esse causa alicuius effectus ut sit ens et ut habet esse? secundo, quod nec communicari ei potest hoc; Quodlibet V, I 58: Utrum [Deus] potuerit creature communicare potentiam creandi? tertio, quod nec cooperari Deo potest.

Die Fragen I, II und V aus De rerum principio entsprechen den Fragen eins, zwei und drei des Werkes De esse et essentia von Egidio Romano. Dumont, der die quaestio VI aus De rerum principio unterteilt hat, bemerkt, dass sich Vitalis im ersten Abschnitt in groben Linien der quaestio fünf aus De esse et essentia bedient, während er sich im zweiten Abschnitt auf das Quodlibet V, I von Egidio bezieht59. Dank dieser Tatsache ist es möglich, den terminus ad quo der ersten 55

Vgl. F. Delorme, Les questions brèves „De rerum principio“ du cardinal Vital du Four, in: „Sophia“ 10 (1942), S. 290–327. 56 Vgl. S. D. Dumont, Giles of Rome an the „De rerum principio“ attributed to Vital du Four, AFH 77 (1984), S. 81–109. 57 Egidius Romanus, De esse et essentia, Venetiis 1503 (fot. Neudruck Minerva, Frankfurt a. M. 1968), ff. 2r–35v. 58 Id., Quodlibet V, Bononie 1481. 59 Vgl. S. D. Dumont, Giles of Rome and „De rerum principio“ attributed to Vital du Four, cit., S. 85.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

47

sechs Fragen des Vitalis zu determinieren. Egidios Quodlibet V ist auf das Jahr 1290 datiert und daher können folglich die sechs Fragen des Vitalis nicht vor diesem Datum entstanden sein60. Es ist nicht zu übersehen, dass bereits in dieser ersten Gruppierung der quaestiones grundlegende Unterschiede zwischen der Lehre von De rerum principio und dem Opus Oxoniense bestehen: Einige der enthaltenen Doktrinen sind Scotus sogar vollkommen entgegengesetzt. Hierbei sei zunächst auf die Überzeugung hingewiesen, dass es keine eindeutige Kenntnis des Seins gebe, vorgesehen von Gott und der Geschöpfe. Des Weiteren lehnt Scotus die These der reellen Distinktion zwischen Essenz und Existenz ab, ebenso wie die thomistische Theorie, die in der quantifizierten Natur das Prinzip der Individuation der körperlichen Dinge sieht61. Vitalis wiederholt in seiner Argumentation die Position Egidio Romanos, was der Doctor Subtilis explizit zurückweist. Vermutlich sind es gerade diese doktrinären Divergenzen, welche den Herausgeber Garcia, im Versuch De rerum principio mit der Lehre des Duns Scotus zu vereinbaren, dazu führten, dessen Denken an dasjenige von Egidio Romano anzupassen62. Neben dem expliziten Einfluss der Doktrin Egidios, richtet der Autor von De rerum principio seine Aufmerksamkeit auch auf die arabischen Doktrinen, insbesondere auf Avicenna, um diese zu widerlegen. Eine derartige Orientierung ist interessant, da sie enthüllt, dass Vitalis zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Textes die Lehrverurteilungen der arabischen Spekulation von Étienne Tempier von 1277 vor Augen hatte63. Jenes Dokument steht stellvertretend für die Position der Intellektuellen seiner Zeit und Vitalis möchte auf dieses Dokument in seinen quaestiones zurückgreifen, um eine Stichhaltigkeit der Verurteilungen bestimmen zu können64. Die gesamte quaestio IV: Utrum Deus de necessitate producat res? ist gegen die Doktrin des arabischen Philosophen gerichtet, die davon ausging, dass die Schöpfung eine notwendige Wirkung göttlicher Tätigkeit sei. Vitalis steht an dieser Stelle vor der komplexen Problematik des Einklangs von menschlicher Freiheit und der Gewissheit göttlicher Vorsehung. Articulus II: Ponitur et confirmatur opinio doctorum Catholicorum, besteht aus sechs Einwänden: primo, quod Deus vult bonitatem suam et de necessitate, non necessitate coactionis quae tollit libertatem, sed necessitate immutabilitatis quae eam non excludit; secundo, quod vult 60

Ebd., S. 108. Für eine Vertiefung dieser doktrinären Divergenzen vgl. E. Longpré, La philosophie du B. Duns Scot, cit., S. 22–29 und Id., Pour la défense de Duns Scot, RFNS 18 (1926), S. 32–42. 62 Vgl. Ioannis Duns Scoti Quaestiones disputatae de rerum principio. Tractatus de primo rerum omnium principio, cit., S. 8, Fußnote 1. 63 Vgl. G. Théry, Le „De rerum principio“ et la condamnation de 1277, RSPhTh 13 (1924), S. 173–181. 64 Ioannis Duns Scoti Quaestiones disputatae de rerum principio. Tractatus de primo rerum omnium principio, cit., q. 4, a. 2, n. 108, S. 62: „Sequitur secundo, videre quae sit positio Catholicorum, et eam confirmare“. 61

48

1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

alia a se et haec volendo se; tertio, quod voluntas Dei est causa rerum et nullum habet motivum in causando; quarto, quod Deus agendo res per voluntatem, nullo genere necessitatis eas agit, sed potuit non producere quidquid produxit, et ante vel post; quinto, oportet ostendere qualiter contingentia possit simul stare cum immutabilitate voluntatis et infallibilitate scientiae Dei de rebus; sexto, quomodo est certitudo in Scripturis et Prophetis et divinis promissis. Von diesen Einwänden verwendet A. Koyré den dritten in seiner Monographie zu Descartes65. Edith Stein bezieht sich hingegen auf alle sechs Einwände in ihrer Analyse des göttlichen Willens im Denken von Augustinus und Scotus66. Der sechste Einwand wird sogar in Endliches und ewiges Sein auffindbar sein67. 2.2.2. De anima et eius potentiis: qq. VII–XII Nachdem er die Herkunft der ersten sechs quaestiones von De rerum principio analysiert hat, fällt Delorme auf, dass in ff. 27va–51rb des cod. T eine weitere Gruppe von quaestiones über die Seele gelistet ist, deren Eigenschaften „vom ersten bis zum letzten Wort eine exakte Reproduktion der quaestiones VII–XII desselben Werkes sind“68. Die beiden Kodizes miteinander vergleichend, beschränke ich mich hier lediglich auf incipit und explicit der einzelnen quaestiones: Codice T

De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

1. Questio est, utrum substantia spiritualis per se subsistens uel apta nata subsistere innatur fundamento materie. Ad evidentiam huius questionis … | sic nec sua compositio est terminata. Ad alia patet solutio ex dictis (ff. 27va–30vb).

VII. Utrum substantia spiritualis per se ­subsistens vel apta nata subsistere, innatur fundamento materiae. Ad evidentiam ­huius quaestionis … | sic nec sua compositio est terminata. Ad alia patet solutio ex dictis (ff. 24va–28va).

2. Questio est, supposito quod in ­omnibus tam spiritualibus quam materialibus sit ­materia, utrum in omnibus sit eadem secundum eamdem rationem uniuocam quemadmodum in omni ligno ratio ligni est uniuoce. Respondeo: circa istam questionem … | sed ut sunt sub hoc situ uel illo. Per hoc patet responsio ad omnia (ff. 30vb–35ra).

VIII. Utrum, supposito quod in omnibus substantiis, tam spiritualibus quam corporalibus, sit materia, an sit in omnibus eadem secundum eamdem rationem univocam. Respondeo: circa istam quaestionem … | sed ut sunt sub hoc situ vel illo. Per hoc patet ratio ad omnia (ff. 18ra–24va).

65 Vgl. E. Stein / H. Conrad-Martius, Übersetzung von Alexandre Koyré. Descartes und die Scholastik, cit., S. 193. 66 Vgl. E. Stein, Was ist der Mensch?, cit., S. 61. 67 Vgl. Ead., Endliches und ewiges Sein, cit., S. 355. 68 F. Delorme, L’œuvre scolastique du maître Vital du Four d’après le Ms. 95 de Todi, cit., S. 434: „du premier au dernier mot la reproduction littérale des questions VII–XII du même De rerum principio“.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio  Codice T

49

De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

3. Questio est, supposito quod anima rationalis sit composita ex materia et forma, utrum uere et essentialiter faciat unum cum corpore. Respondeo: quedam hic de unitate … | hoc autem quantum ad omne genus operationis totaliter complebitur in statu glorie (ff. 35ra–42va).

IX. Supposto quod anima rationalis sit composita ex materia et forma, utrum vere et essentialiter faciat unum cum corpore. Respondeo: quedam hic de unitate … | hoc autem quantum ad omne genus operationis totaliter completur in statu glorie. Deo gratias, qui nos ad illum statum perducat (ff. 28va–38ra).

4. Queritur utrum sensitiua hominis sit a generante uel a creante: et arguitur quod sit a generante sic … | et in isto consistit finis nature. Ex hiis patet solutio ad argumenta in oppositum satis de se (ff. 42va–42vb).

X. Utrum sensitiva hominis sit a generante vel a creante. Arguitur quod sit a generante sic … | et in isto consistit finis naturae. Ex his satis patet solutio ad argumenta in oppositum (ff. 38ra–42ra).

5. Questio disputata fuit utrum anima sit sua potentia. Circa istam questionem oportet uidere primo  … | et oportet, ut dictum est, quod illi respectus secundum rationes obiectorum determinentur organice et non organice modo supra dicto (ff. 45b–49b).

XI. Utrum anima sit sua potentia. Circa istam quaestionem primo oportet videre … | et oportet, ut dictum est, quod illi respectus secundum relationes obiectorum determinentur, et sint organicae et non organicae, modo supra dicto (ff. 42ra–46va).

6. Questio nostra fuit utrum sensitiua hominis sit in qualibet parte corporis. Respondeo: tria sunt hic uidenda circa aspectum quem habet anima … | teneatis quod vultis; primus modus uideretur michi ad presens esse probabilior (ff. 49vb–51rb).

XII. Utrum sensitiva hominis sit in qualibet parte corporis. Respondeo: quatuor sunt hic videnda circa aspectum quem habet anima … | Teneatis quod vultis: primus modus videtur michi ad presens probabilior (ff. 46va–48rb).

Es erscheint offensichtlich, dass diese Gruppe von quaestiones ebenso vom selben Autor stammt, wie die oben untersuchten sechs Fragen, da ihr literarisches Genre sowie die textinternen Verweise, welche eine quaestio mit der Folgenden verbinden, eindeutig ihre gemeinsame Herkunft enthüllen69. 69

Ioannis Duns Scoti, Quaestiones disputatae de rerum principio. Tractatus de primo rerum omnium principio, cit., S. 119–323: „sicut ostensum fuit in primo articulo praecedentis quaestionis. […] Nec tamen ut ibi complete ostensum fuit […] ut ibi dixi […] ut ostendi […] ut ibi patet“ (q. VIII, a. 1, n. 230); „Et quia, ut dictum est in praecedenti quaestione“ (q. VIII, a. 1, n. 233); „Item, ostensum fuit in praecedenti quaestione“ (q. VIII, a. 2, n. 241); „ostensum est enim in praecedenti quaestione“ (q. VIII, a. 2, n. 243); „ut patuit in praecedenti quaestione“ (q. VIII, a. 2, n. 245); „ut ostensum est in praecedenti quaestione“ (q. VIII, a. 6, n. 281); „quia satis declaratum est in praecedentibus quaestionibus, in distinctis articulis“ (q. IX, a 1, n. 287); „ut visum est in praecedenti quaestione“ (q. IX, a. 1, n. 288); „Huius positionis falsitas quoad hoc quod dicit sensitivum ab extra fieri, supra patuit in praecedenti quaestione valde clare“ (q. XI, a. 2, n. 397); „ut patuit supra in quaestione de unione animae“ (q. XI, a. 2, n. 401); „Item, omnis forma communicat actum suae materiae, vel saltem composito, ut patuit in quaestione de unione animae“ (q. XI, a. 2, n. 402); „ut ostensum fuit in quaestione de compositione animae“ (q. XI, a. 3, n. 409); „Ostensum est autem supra, quod sensitiva et intellectiva vere habent ra-

50

1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Die intensive Analyse der qq. drei und fünf des cod. T (korrespondierend zu den qq. IX und XI von De rerum principio) zeigte Delorme eindeutig und zweifelsfrei, dass Scotus nicht der Autor dieses Werkes sein konnte. Der Autor von De rerum principio offenbart nämlich ein auffälliges Interesse an den theologischen Debatten, die um die Doktrinen von Pietro di Giovanni Olivi (1248–1298) kreisen: in den qq. drei und fünf „griff Vitalis die Theorie von Pietro Olivi über die Weise der Verbindung des intelligiblen Teils der menschlichen Seele mit dem Körper entschieden an und wogegen Olivi glaubte Punkt für Punkt in einem Appendix der Quaestio LI (i. e. in seinen Quaestiones II libri Sententiarum) antworten zu müssen“70. Die textinterne Bezugnahme zu Olivis q. LI erlaubt es den terminus ad quem der qq. I–XII von De rerum principio festzusetzen: Dieser kann nicht vor 1298 liegen. In der q. VIII von De rerum principio von Vitalis de Furno findet sich eine dreifache Unterscheidung, oder besser gesagt eine Abstufung der von den Arabern formulierten Materie, und zwar in materia primo prima, secundo prima und tertio prima. Um die einzelnen Stufen der „Materie“ klären zu können, ist es notwendig als Ausgangspunkt einen vollständigen „Körper“, so wie er in der tatsächlichen Realität erscheint, anzunehmen. Durch das wahrgenommene Phänomen soll versucht werden, den mit der Bewegung entstandenen Komplex, welcher sich von außen nach innen bewegt, zu durchdringen, um von diesem Komplex – als letzter Stufe der Materie – das „einfache“, bzw. das „gemeinsame Element“ der ersten Stufe der Materie, unter welcher sich das Nichts befindet, herauszufiltern. Gehen wir also von der materia tertio prima aus, die denjenigen Körper bestimmt, dessen sich die Ursache bedient, um ein neues Sein zu produzieren: Sie ist insofern konkret, als sie einen eindeutig determinierten Körper konstituiert71. Nehmen wir als Beispiel einen Künstler wie Michelangelo an, der aus Marmor die Figur des David meißelt. Dasjenige, was sich vor dem Auge des Künstlers manifestiert, ist ihm vor-gestellt; es ist ein vollständig konstituierter Körper, der mittels Blick oder Tastsinn wahrgenommen werden kann. Der Marmor ist dementsprechend die Materie der Statue, und zwar von dem Augenblick an, wenn sich die Idee des Künstlers realisiert. Natürlich muss eine bestimmte Komponente noch hinzukommen, ohne die die Realisierung nicht denkbar wäre: Eine „wirkende tionem formae respectu corporis humani“ (q. XII, a. 1, n. 426); „ut dictum est in praecedenti quaestione de potentiis animae“ (q. XII, a. 3, n. 433). 70 F. Delorme, L’œuvre scolastique du maître Vital du Four d’après le Ms. 95 de Todi, cit., S. 449: „attaqua la théorie de Pierre Olivi sur le mode d’union de la partie intellective de l’âme humaine avec le corps et contre lequel Pierre Olivi se crut en devoir de répondre point par point dans Appendix à sa Quaestio LI (i. e. in seinen Quaestiones II libri Sententiarum)“. 71 Vgl. Ioannis Duns Scoti Quaestiones disputatae de rerum principio. Tractatus de primo rerum omnium principio, cit., q. VIII, a. 3, n. 254: „Dicitur autem materia tertio prima materia cuiuslibet artis, et materia cuiuslibet agentis naturalis particularis; quia omne tale agit veluti de aliquo semine, quod quamvis materia prima sit respectu omnium quae per artem producuntur, supponit tamen materiam quae est subiectum generationis, et ulterius aliquam forman per naturam productam“.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

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Ursache“ bediente sich der Materie des Marmors, ohne welche die David-Statue nicht präsent wäre und auch nicht etwas „Konkretes“ sein könnte. Die Materie des Marmors konstituiert also die erste Stufe des „konkreten Komplexes“, welche die Einfügung in das Reale eines „dieses da“ von etwas Konkretem ermöglichte. Auf einer weiteren Ebene der Gradation der Materie finden wir die materia secundo prima: Ist die Stufe des determinierten Körpers der materia tertio prima überwunden, repräsentiert diese nun die Stufe der Materie, welche als „Körperlichkeit“ zu begreifen ist, was die Realisierung unserer abstrakten Idee von Körper bedeutet. Dadurch, dass diese nicht mehr zum real Konkreten gehört, bezeichnen wir mit ihr nicht mehr die gewöhnliche Materie, so wie beispielsweise den Marmor zur Realisierung der David Statue, sondern lediglich dasjenige, was zum Wesen aller stofflichen Körper gehört. So wie es beispielsweise für die Staute des Michelangelo gilt, befindet sich nämlich in allen stofflichen Körpern ein „Etwas“, welches nicht mit dem einfachen Marmor identifiziert werden kann. Auf dieser zweiten Stufe verbindet sich mit der Materie ein formales Element, welches als Komponente für die Konstituierung des stofflichen concretum fungiert. Die materia secundo prima bedeutet also das Substrat für die substantielle Veränderung, die Generierung sowie den Verfall: Sie ist nicht simpel, sondern zusammengesetzt aus einer Materie und einem formalen Element, welches sie determiniert. Außerdem ist sie quantitativ determiniert und allen körperlichen Dingen gemeinsam; allerdings ist es keine reine Materie, da sie bereits durch eine Art von substantieller Form eingebracht ist72 und eine „gewisse“ Quantität besitzt. Selbstverständlich ist diese „Quantität“, welche der materia secundo prima zuzuschreiben ist, nicht in sich selbst abgeschlossen, sondern es handelt sich um eine indeterminierte Quantität mit undefinierten Konturen, welche ein „Handeln“ benötigt, was von natürlichen Wirkstoffen verursacht wird und diese sie durch die Prägung einer spezifischen Form determinieren. Auf einer tieferen Ebene befindet sich die materia primo prima, welche aller Schöpfung – sowohl körperlicher, als auch geistlicher – gemein ist. Zudem ist diese homogen in den Engeln, den Menschen sowie in den vergänglichen, wie auch unvergänglichen physischen Körpern. Ihr Charakteristikum ist die Passivität, die Möglichkeit, jegliches Ding werden zu können73. 72 Vgl. ebd., q. VIII, a. 3, n. 253: „Dicitur autem materia secundo prima quae est subiectum generationis et corruptionis, quam mutant et transmutant agentia creata, seu Angeli, seu agentia corruptibilia; quae, ut dixi, addit ad materiam primo primam; quia esse subiectum generationis non potest sine aliqua forma substantiali, aut sine quantitate, quae sunt extra rationem materiae primo primae“. 73 Vgl. ebd., q. VIII, a. 2, n. 235: „Materia enim de ratione sua nominat substantiam quamdam actu in composito existentem cuius actualitas est imperfecta, et actualitati omnis formae opposita. Unde nominat illam substantiam modo absoluto, absque respectu positivo ad aliud. Potentia vero passiva materiae nominat ipsam eamdem substantiam sub respectu ad formam, sub indifferentia tamen ad omnes, et hoc in quantum nec est in motu, nec in quantum est in transmutatione ad aliquam istarum; […] nec ad unam potius quam ad aliam; et sic potentia passiva nominat materiam sub respectu ad formas. Unde aliud quam respectus fundatus in materia: […] Et hoc est potentia pure passiva, ad quam habet reduci omnis ratio potentiae passivae“.

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Diese skizzenhafte Andeutung der in De rerum principio enthaltenen Doktrin dient lediglich der Betonung, dass die authentischen Werke des Duns Scotus diese dreistufige Teilung der Materie nicht kennen, da sie von einer einzigen Materie ausgehen: der materia primo prima74. 2.2.3. De cognitione: qq. XIII–XV Im cod. T findet sich in ff. 58rb–89ra eine Reihe von acht quaestiones disputatae über das Wissen. Von diesen entsprechen die erste, die zweite und die vierte den quaestiones XIII–XV aus De rerum principio75. Codice T

De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

1. Supposito quod anima intellectiva in quantum intellectiva sit forma corporis, est questio nostra utrum intellectus coniunctus intelligat singulare. Respondeo: circa istam questionem tria ostendo … | prior est notitia singularis et a sensu et ab intellectu quam notitia universalis (ff. 58rb–63ra).

XIII. Supposito quod anima intellectiva in quantum intellectiva sit forma corporis, quaeritur utrum intellectus coniunctus intelligat singulare. Respondeo: circa hanc quaestionem tria ostendo … | prior est notitia singularis, et a sensu et ab intellectu, quam notitia universalis (ff. 48rb–53vb).

2. Questio nostra est, supposito quod intellectus conjunctus directe intelligat singulare secundum modum in precedenti questione expositum, utrum talis intellectus intelligat uniuersale uel particulare per speciem aliquam in intellectu impressam. Circa istam questionem tria sunt declaranda … | a specie que est in sensu sicut a specie que est in imaginatiua (ff. 63ra–67rb).

XIV. Supposito quod intellectus coniunctus directe intelligat singulare, utrum talis intellectus intelligat universale vel particulare per speciem aliquam in intellectu impressam?

74

Circa istam quaestionem tria sunt declaranda … | a specie quae est in sensu, sicut a specie quae est in imaginativa (ff. 53vb–59ra).

Vgl. Ioannes Duns Scotus, Lectura in Librum Secundum Sententiarum, studio et cura Commissionis Scotisticae ad fidem codicum edita, Opera omnia, t. XIX, Typis Polyglottis Vaticanis, Civitas Vaticana 1993, dist. 12, n. 1–81 (ed. Vat., S. 69–101). Mit dem Terminus lectura (literarische Form) wird der Lehrtext eines magister zu einem spezifischen Thema angezeigt, der von dessen Schülern im Verlauf der Lektionen aufgezeichnet wird. In der Regel handelt es sich um eine einfache reportatio, im Unterschied zur vom magister persönlich vollständig ausformulierten Vorlesungsreihe, die mit expositio, oder mit apparatus bezeichnet wird; vgl. O. Weijers, Terminologie des universités au XIIIe siècle (Lessico Intellettuale Europeo, 39), Edizioni dell’Ateneo, Roma 1987, S. 299–301; M. Teeuwen, The Vocabulary of Intellectual Life in the Middle Ages (Civicima. Études sur le vocabulaire intellectuel du Moyen âge, 10), Brepols, Turnhout 2003, S. 292–297. 75 Vgl. F. Delorme, L’œuvre scolastique du maître Vital du Four d’après le Ms. 95 de Todi, cit., S. 440–442.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio  Codice T

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De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

3. Questio nostra fuit, supposito quod intellectus humanus conjunctus intelligat per speciem informantem, utrum illam speciem recipiat ab obiecto uel formatam de seipso. Circa istam questionem sic procedo … | et sic semper ut mouet se est in actu, ut est motum, est in potentia (ff. 67rb–70vb). 4. Questio nostra fuit utrum intellectus cognoscat se et habitus suos per essentiam suam uel per actus uel per speciem, et hoc est querere utrum essentia anime et quorum habituum sit ei ratio cognoscendi se „et“ eos uel ratio cognoscendi sit actu vel requiratur species aliqua genita in actu cognoscentis seu intellectus, que est ratio et medium cognoscendi ea. Ad hujus questionis euidentiam est sciendum … | per speciem expressam in actu cogitantis se et intelligentis (ff. 70vb–74rb). 5. Questio nostra est utrum intellectus conjunctus cognoscat substantiam rei materialis per propriam speciem substantie uel solum per accidentia. Circa hanc questionem uarii sunt modi … | propter certitudinem quorum actuum. Ad argumenta (ff. 74rb–77vb). 6. Questio nostra est utrum intellectus conjunctus, ad hoc quod intelligat rem, indigeat actuali existentia rei. Circa quod est sciendum quod non est hic intentio … | Ex hiis satis patet solutio ad argumenta (ff. 77vb–81vb). 7. Questio nostra est utrum intellectus conjunctus lumine naturali cognoscat futura. Respondeo: Ut modus notitie et cognitionis humane … | fuit satis tactum. Per hoc patet solutio ad argumenta in oppositum (ff. 81vb–84va). 8. Questio nostra est utrum intellectus conjunctus ad certitudinem ueritatis indigeat irradiatione luminis increati uel lumen naturale sibi sufficiat ut saltem de rebus inferioribus ueritatem apprehendat. Ad hujusmodi questionis euidentiam … | objective cognoscitur in uia (ff. 84vb–89ra).

XV. Utrum intellectus cognoscat se et habitus suos per essentiam, vel per actus, vel per speciem, et hoc est querere: utrum essentia animae et quorum habituum sit ei ratio cognoscendi sicut actus, vel requiratur species aliqua cognoscendi sui intellectus, quae sit ratio et medium cognoscendi eam. Ad huius quaestionis evidentiam est sciendum … | dum abstracta est ab imaginatione rerum corporalium arguitivam (ff. 59ra–63rb).

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Der cod. Is wiederholt lediglich die quaestiones 1, 2 und 4 und ignoriert die übrigen fünf, bzw. lässt diese aus. Die acht quaestiones, die im cod. T enthalten sind, konstituieren eine in sich geschlossene und kohärente Gruppe, innerhalb derer die einzelnen Teile eng miteinander verbunden sind. Dies lässt sich aus den fortlaufenden, textinternen Verweisen ableiten, die die einzelnen quaestiones aneinander binden76. Der Titel der ersten quaestio: Supposito quod anima intellectiva in quantum intellectiva sit forma corporis (cod. T, f. 58rb) lässt die Vermutung zu, dass die oben genannten acht quaestiones der vorher analysierten Gruppe über die Natur der Seele – qq. VII–XII: De anima et eius potentiis77 folgen. Außerdem verrät die Andeutung auf f. 84ra: Sicut declaravi in quadam questione quam disputavi, utrum scilicet Deus de necessitate producat, wie der Autor dieser Gruppe der quaestiones ausdrücklich auf die quaestio IV von De rerum principio verweist: Utrum Deus de necessitate producat res? Für Delorme gibt es an diesem Punkt keine weiteren Zweifel mehr: Vitalis de Furno ist der unbestrittene Autor der ersten fünfzehn quaestiones in De rerum principio. 2.2.4. De numeris, tempore et instanti: qq. XVI–XXIV Lediglich cod. V (ff. 93ra–129rb) gibt den Text der quaestiones XVI–XXIV aus De rerum principio weiter78. Ich gehe nun zu einem Vergleich der beiden Texte über, wobei ich mich auf die Transkription des incipit sowie des explicit jeder einzelnen quaestio beschränken werde:

76

Ebd. Ich verweise an dieser Stelle auf eine Studie von Delorme, in welcher der Autor die starken textinternen Verhältnisse dieser acht quaestiones mit den vorangehenden quaes­ tiones disputatae über die Seele und ihre Eigenschaften unterstreicht, und zwar insbesondere mit den qq. VII und XII von De rerum principio. Ein weiteres Argument, welches nachweist, dass der Autor Vitalis de Furno ist, lässt sich durch die expliziten Verweise in den quaestiones auf seine Quodlibeta I (ff. 12vb–18ra) und II (ff. 51rb–58rb) feststellen: vgl. F. Delorme, Le cardinal Vital du Four. Huit questions disputées sur le problème de la connaissance, AHDL 2 (1927), S. 151–337. Für eine grundlegende Bibliographie zu der in den quaestiones De cognitione enthaltenen Doktrin sei verwiesen auf: L. von Untervintl, Die Intuitionslehre bei Vitalis de Furno, O.Min. († 1327), CFr 25 (1955), S. 53–113 und 2­ 25–258; G. Bonafede, Antologia del pensiero francescano, Mori, Palermo 1961, S. 232–237; F ­ .-X. Putallaz, La connaissance de soi au Moyen Âge. Vital du Four, in: Études de philosophie et théologie médiévales offertes À Camille Bérubé pour son 80 e Anniversaire (Mélanges ­Bérubé. Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 40), Istituto Storico dei Cappuccini, Rom 1991, S. 285–317. 78 Vgl. P. Glorieux, Pour en finir avec le „De rerum principio“, AFH 31 (1938), S. 225–234. 77

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

Codice V

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De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is

1. Questio nostra fuit utrum numerus differat re absoluta a rebus numeratis, ut ternarius quo numerantur tres lapides, ab ipsis tribus lapidibus. Respondeo. Tria sunt hic intelligenda … | inconueniens quod prius. Et ideo dicitur aliter (ff. 93ra–98vb).

XVI. Utrum numerus differat re absoluta a rebus numeratis, ut ternarius quo numeramus tres lapides ab ipsis tribus lapidibus. Respondeo: tria sunt hic tractanda …| inconveniens quod prius. Et ideo dicitur aliter (ff. 63va–69va).

2. Queritur utrum unum accidens numero possit esse in diuersis substantiis. Respondeo. Duo sunt hic dicenda … | non interrumpitur (ff. 99ra–104rb).

XVII. Utrum unum accidens numero possit esse in diversis subiectis. Respondeo: duo sunt hic videnda … | non interruptum (ff. 69va–74vb).

3. Queritur utrum tempus et motus sint idem re uel utrum tempus sit aliquid extra animam. Respondeo. Cum tempus sit accidens quoddam … | causa corruptionis. Ad aliud patet solucio (ff. 104ra–109vb).

XVIII. Utrum tempus et motus sint idem re, vel utrum tempus sit aliquid extra animam. Respondeo: Cum tempus sit accidens quoddam … | causa corruptionis. Ad aliud patet solutio (ff. 74vb–80ra).

4. Queritur utrum sint solum due mensure duracionis creaturarum. Respondeo quod innata est nobis uia …| magis quam in alio motu locali (ff. 109va–117rb).

XIX–XX. Utrum sint solum duae mensurae durationis creaturarum. Respondeo, quod innata est nobis via …| magis quam in alio motu locali (ff. 80ra–84va; 84va–88rb)79.

5. Queritur utrum sit dare tempus discretum. Respondeo. Cum discretum ex unitatibus indiuisibilibus componatur … | acciones angeli, potest responderi et cetera (ff. 117ra–123rb).

XXI. Utrum sit dare tempus discretum. Respondeo: Cum discretum ex unitatibus indivisibilibus componatur … | mensurans actiones Angeli, potest responderi etc. (ff. 88rb–94vb).

6. Queritur utrum sit idem instans eui, temporis et eternitatis. In questione ista duo sunt uidenda … | tacta est in primo articulo et cetera (ff. 123ra–125vb).

XXII. Utrum sit idem instans aevi, temporis et aeternitatis. In quaestione ista duo sunt videnda … | tacta est in primo articulo (ff. 94vb–98rb).

7. Queritur utrum sit idem instans in toto tempore secundum rem, diuerssum tamen secundum esse. Respondeo. Sicut dicit Commentator … | nec est pars temporis (ff. 125va–128rb).

XXIII. Quid sit instans, quomodo ad tempus comparetur. Respondeo: sicut dicit Commentator … | et non continuatum ad ipsum, omnino est non ens (ff. 98rb–100rb).

79 Die qq. XIX–XX: Utrum sint solum duae mensurae durationis creaturarum? und Utrum tempus sit idem numero wurden im cod. V in einer einzigen quaestio angeordnet. Diese trägt den Titel Queritur utrum sint solum due mensure duracionis creaturarum (ff. 109va–117rb).

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

Codice V 8. Queritur utrum instans quod secundum se est indiuisibile possit diuidi secundum rationem mensure per diuerssos respectus possit opposita mensurare sic et quodam modo naturam plurium signorum habere. Respondeo. Ad huius questionis euidenciam … Quamuis non faciant plus quam unum instans ⁄⁄⁄ (ff. 128ra–129rb)80.

De rerum principio (ed. Garcia)  Codice Is XXIV. Utrum instans possit dividi secundum rationem mensurae, et per diversos respectus possit opposita mensurare. Respondeo: ad huius quaestionis evidentiam … quamvis non faciant plus quam unum instans ⁄⁄⁄ (ff. 100rb–101rb).

Die qq. XVI–XXIV bilden thematisch eine recht homogene Gruppe: Es werden die Probleme der Zahl, der numerischen Einheit, der Zeit, der Dauer und des ­Moments diskutiert. Aus dem Vergleich der beiden Kodizes (Is + V) leitet Glorieux ab, dass „die Unvollkommenheit sowie die Lücken, welche in De rerum ‚principio‘ enthalten sind, identisch sind mit denjenigen im Ms. romano“81. Dies lässt die Hypothese zu, dass der Kopist des cod. Is den cod. V. als Vorlage hatte, oder, alternativ dieselbe Quelle zur Verfügung hatte, wie der Schreiber der Kodizes V und Is. Delorme setzt als Autor dieser Gruppe der quaestiones ebenfalls Vitalis de Furno fest, obwohl nur zwei Anhaltspunkte in q. XVII: Utrum unum accidens numero possit esse in diversis subiectis? dafür sprechen82. Der erste Punkt markiert die Verwandtschaft mit der q. V aus Quodlibet VI von Godefroy de Fontaines83: Utrum aliquod accidens unum numero possit esse in duobus subiectis. Die Parallele mit den Quodlibeta Godefroy sind in den qq. XXV–XXVI noch offensichtlicher, was im weiteren Verlauf noch zu untersuchen ist. Der zweite Punkt lässt sich den gedanklichen Ähnlichkeiten entnehmen, die zwischen der q. XVII und der q. VIII bestehen. Letztere stammt zweifelsohne von Vitalis de Furno, der sich auf die Doktrin der materia prima bezieht84. Die Feststellung, dass Vitalis Godefroy de Fontaines’ Quodlibet VI verwendet, ermöglicht es Glorieux den terminus  a quo der qq. XVI–XXIV von De rerum principio um das Jahr 1289 zu datieren. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Disputation Godefroy gehalten. Der Forscher gliedert gleichermaßen die qq. I–XV von De rerum principio chronologisch in den Zeitraum um 1289 ein, da Vitalis 80 Die Frage im cod. V wird, ebenso wie im cod. Is, in der Hälfte der Spalte von f. 129ra unterbrochen: „quamvis non faciant plus quam unum instans ⁄⁄⁄ “. 81 P. Glorieux, Pour en finir avec le „De rerum principio“, cit., S. 229: „les incorrections et les lacunes que présente le De rerum ‚principio‘, se trouvent trait pour dans le Ms. romain“. 82 Vgl. F. Delorme, Autour d’un apocryphe scotiste. Le De rerum principio et Godefroy de Fontaines, FrFr 8 (1925), S. 279–295. 83 Vgl. J. Hoffmans / M. De Wulf (Hrsg.), Les Quodlibet cinq, six et sept de Godefroid de Fontaines (Les Philosophes Belges. Textes et Études, III), Institut supérieur de philosophie de l’Université, Louvain 1914, S. 122–132. 84 Vgl. P. Glorieux, Pour en finir avec le „De rerum principio“, cit., S. 230.

2. Quaestiones disputatae de rerum principio 

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sowohl in der q. I, als auch in der q. XXI das Quodlibet XIII von Heinrich von Gent einbezieht, welches aus dem selben Jahr stammt, wie das Quodlibet VI von Godefroy de Fontaines85. Die Datierung von Glorieux ist sicherlich nicht gleichermaßen zuverlässig wie die Tatsache, dass sich Vitalis in qq. I–VI auf das Quodlibet V von Egidio Romano bezieht, welches auf 1290 datiert wird, wodurch die erste Gruppe der quaestiones I–XV nicht vor 1290 entstanden sein kann. Daraus folgt, dass der terminus a quo der qq. XVI–XXIV nicht auf die qq. I–XV des selbigen Werkes (De rerum principio) übertragen werden kann. Allerdings ist es möglich anzunehmen, dass die beiden Gruppen der quaestiones zu verschiedenen Zeitpunkten verfasst worden sind, was nicht zuletzt die grundsätzlich unterschiedlichen Doktrinen andeuten, die verwendet wurden. Ein weiteres Argument, welches diese Hypothese stützt, ist, dass allein der cod. Is die Gruppierungen der quaestiones (I–XV, XVI–XXIV) enthält, während cod. T lediglich die qq. I–XV trägt und cod. V die verbleibenden qq. XVI–XXIV. 2.2.5. Quaestiones selectae: qq. XXV–XXVI Der cod. V enthält in ff. 130r–145v insgesamt 28 quaestiones, von denen allerdings lediglich die ersten beiden – enthalten in cod. Is (ff. 102ra–103vb) – den qq. XXV–XXVI, welche De rerum principio abschließen, entsprechen. Codice V

De rerum principio (ed. Garcia) – Codice Is

1. Queritur utrum Christus sit unum uel plura. Respondeo. Primo declaran-dum quod est unum secundum subpositum et plura secundum naturam. Unde Damascenus, tertio libro, capitulo XV: unus quidem est christus … | Sed sibi hoc competit per unionis gratiam et cetera (ff. 130ra–131rb).

XXV. Utrum Christus sit unum, vel plura. Respondeo: primo declarando, quod est unum secundum suppositum, et plura secundum naturam. Unde Damascenus, III. lib. Orthod. fidei, ca. 15: Unus idemque est Christus … | sed sibi hoc competit per unionis gratiam, etc. (ff. 102ra–103ra).

2. Queritur utrum creatura rationalis sit capax gratie uel alicuius accidentis an(te) quam sit in effectu. Respondeo. Primo est tacendo (sic) quedam opinio que potest (sic) esse existencie (?) ab eterno et cetera. Sed hoc uidetur inconueniens … | non diferat natura potentia et cetera (ff. 131ra–132rb).

XXVI. Utrum creatura rationalis sit capax gratiae vel alicuius accidentis, antequam sit in effectu. Respondeo: primo est ponenda quaedam opinio, quae ponit esse essentias ab aeterno, etc … | et eius esse reale ⁄⁄⁄ (ff. 103ra–103vb)86.

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Vgl. ebd., S. 231. Im cod. Is ist die q. XXVI beschädigt. Dieser folgt ein von einem Schreiber angefertigtes finales colophon: „Iste Quæstiones fuerunt disputatæ Oxoniæ per Magistrum Joannem Scotum de Ordine Fratrum Minorum; et sunt Quæstiones generales super Philosophiam“ (vgl. supra, S. 39). 86

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

In einer Untersuchung der qq. XXV–XXVI konstatierte Delorme, dass „der Autor von De rerum principio drei Quaestiones von Godefroy de Fontaines (die erste aus Quodlibet VI, und die erste sowie die dritte aus Quodlibet VIII) verwendet und sie in sein Werk teilweise vollständig, teilweise aber auch selektiv, integriert hat, wodurch ein wahrhaftes Plagiat entstanden ist“87. Die Komposition dieser letzten Gruppe der quaestiones, die im Grunde genommen nichts anderes sind als Extrakte aus Godefroy Quodlibeta VI und VIII, wurde zwischen 1291 und 1295 verfasst88. Ausgehend von einer Analyse des cod. Is bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die qq. XXV–XXVI nachträglich hinzugefügt wurden und dass ihre Anwesenheit in der Sammlung nicht berücksichtigt werden sollte: am unteren Rand von f. 101r befindet sich eine Unterschrift des Kopisten und der Anordnung der quaestiones ist 101v vorangestellt, was jedoch unbeschrieben geblieben ist. Man könnte annehmen, dass die qq. Delormes nicht zu den quaestiones disputatae von Vitalis de Furno gehören. Auf der Grundlage der betriebenen Analysen schlussfolgert Delorme, dass diese quaestiones dieselben Charakteristiken aufweisen, wie die q. XVII: sowohl der Inhalt, als auch die sich wiederholenden Kontinuitäten mit der q. V des Quodlibet VI Godefroy89 und der Schreibstil weisen die übliche Vorgehensweise von Vitalis de Furno auf.

3. Vitalis de Furno: scriptor, compilator, commentator, auctor? 90  Der Franziskaner und unbestrittener Autor der Quaestiones disputatae de rerum principio Vitalis de Furno (um 1260–1327), zog die Aufmerksamkeit der Historiker aufgrund seiner spezifischen Modalität seine quaestiones zu verfassen auf sich. Daher werden auf seine Biographie sowie Bibliographie einige abschließende Bemerkungen zu seinem untersuchten Werk folgen. Eine oberflächliche Beurteilung seines Gesamtwerkes ist sicherlich nicht erstrebenswert, da Vitalis, der von einigen lediglich als Kompilator abgewertet wird, der sich der Schriften seiner unmittelbaren Vorgänger bedient, einen durchaus originellen Denkansatz entwickelt. 87

F. Delorme, Autour d’un apocryphe scotiste, cit., S. 293. Vgl. ebd., S. 295. 89 Ebd., S. 288–292. 90 Sancti Bonaventurae Commentaria in Primum Librum Sententiarum, studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura ad plurimos codices mss. emendata, Opera omnia, t. I, ex typ. Collegii S. Bonaventuræ Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1882, 14a–15a: „Ad intelligentiam dictorum notandum, quod quadruplex est modus faciendi librum. Aliquis enim scribit aliena, nihil addendo vel mutando; et iste mere dicitur scriptor. Aliquis scribit aliena, addendo, sed non de suo; et iste compilator dicitur. Aliquis scribit et aliena et sua, sed aliena tamquam principalia, et sua tamquam annexa ad evidentiam; et iste dicitur commentator, non auctor. Aliquis scribit et sua et aliena, sed sua tamquam principalia, aliena tamquam annexa ad confirmationem; et talis debet dici auctor“. 88

3. Vitalis de Furno  

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3.1. Bibliographisches Profil des Autors Vitalis de Furno91 wurde in Basaz, einer Kleinstadt in Aquitanien, ungefähr 60 Kilometer süd-östlich von Bordeaux, geboren. Sein genaues Geburtsjahr ist unbekannt, allerdings datiert die Forschung seine Geburt um 126092. Sehr jung trat er den Franziskanern in der Provinz von Aquitanien bei93 und wurde 1285 zum Studium generale nach Paris geschickt. Dort arbeitete er zwischen 1291 und 1292 unter der Leitung von Jacobus de Carceto an einem Kommentar zum Liber Sententiarum von Petrus Lombardus94. Es ist möglich, dass Duns Scotus sein Kommilitone war, da sich dieser zu jener Zeit ebenfalls (1292) in Paris aufhielt. Callebaut zufolge sei es durchaus wahrscheinlich, dass Scotus während der vier akademischen Jahre, zwischen 1293 und 1296, ebenfalls an der Pariser Universität war95. Die Meinungen unterscheiden sich allerdings hinsichtlich des Zeitraumes, in welchem Vitalis als magister in Paris seine Tätigkeit ausübte. Basierend auf den Arbeiten von Glorieux96, kann man davon ausgehen, dass Vitalis zwischen 1292 91 Vitalis spielt in seinem Quodlibet II, q. 3 an den Beinamen „du Four“ an: „Quaerebantur tertio de Deo ut unitur naturae humanae duo, et primo: Utrum corpus Christi possit esse simul in diversis locis?“, edito dal Delorme in Vitalis De Furno, Quodlibeta tria, cit., S. 63: „Item, ponatur quod idem corpus sit Romae et Parisius, Parisius in furno, Romae in Tiberi; ergo simul erit calidum et frigidum, et sic calidum et non calidum, et per consequens contradictio. […] et in uno loco occiditur et in alio nutritur, et sic vivit et non vivit“ (n.tto nostro). Der Beiname leitet sich entweder vom Ortsnamen ab, oder aber von einer Bäckerei, die für seine Familie erbaut worden war. 92 Für eine grundlegende Bibliographie zum Leben des Vitalis de Furno, vgl. – in chronologischer Reihenfolge  – Geremia da Bologna, Necrologio francescano, M}FS 5  (1890), S. 60; Ch. V. Langlois, Vital du Four Frère Mineur, HLF 36 (1927), S. 295–305; Vitalis De Furno, Quodlibeta tria, cit., S. V–IX; Godefroy de Paris, Vital du Four, DThC 15/2, 1950, coll. ­3102–3115; L. von Untervintl, Die Intuitionslehre bei Vitalis de Furno, cit., S. 53–57; J. E. Lynch, The Theory of Knowledge of Vital du Four, FIP.P 16, 1972, S. 1–10; G. d’Onofrio (Hrsg.), Storia della teologia nel Medioevo. III. La teologia delle scuole, Piemme, Casale Monferrato 1996, S. 53–55. 93 Vgl. Godefroy de Paris, Vital du Four, cit., coll. 3111–3112; Vitalis De Furno, Quodlibeta tria, cit., S. VI: „Matris nostrae religionis sanctissimae quae ab infantia suo lacte dulcissimo nos nutrivit et tenere educavit“. Brief vom 08. Mai 1313 von Vitalis, der bereits Kardinal war, aus Anlass des Generalkapitels seines in Barcelona zusammengekommenen Ordens. 94 Der Name seines magister stammt aus einer Inschrift aus dem 15. Jahrhundert (Cod. Vat. lat. 1095), welche am Anfang eines Kommentars zum vierten Buch der Sentenzen platziert ist: Ch. V. Langlois, Vital du Four Frère Mineur, cit., S. 295: „Iste quartus Sententiarum fuit recollectus Parisius per magistrum fratrem Vitalem de Furno, quia postea fuit cardinalis, sub magistro fratre Jacobo de Carceto. Et postea per eundem fratrem Vitalem fuit lectus in Montepessulano tempore quo frater Jacobus de Fabr. ibi erat studens“. 95 Vgl. A. Callebaut, Le B. Duns Scot étudiant à Paris vers 1293–1296, AFH 17 (1924), S. 3–12. 96 Vgl. P. Glorieux, D’Alexandre de Hales à Pierre Auriol. La suite des maîtres franciscaines de Paris au XIII e siècle, AFH 26 (1933), S. 257–281. Innerhalb der Reihe der franziskanischen Lehrmeister in Paris, ist die Regentschaft von Vitalis (1292–94) in den zeitlichen Intervall zwischen Jacobus de Carceto (1291–92) und Simone di Lens (1294–95) einzuordnen.

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

und 1294 magister regens in Paris war, bevor er 1295/96 zum lector des Studium generale in Montpellier ernannt wurde. Während seines Aufenthaltes in Montpellier publizierte Vitalis erneut die lectura, welche er bereits in Paris mit seinem magister Jacobus de Carceto erarbeitet hatte; und begann zusätzlich mit einem Kommentar des IV Librum Sententiarum97. 1297 wechselte er an die Universität von Toulouse, wo er zehn Jahre lang lehrte98. In jener Zeit beteiligte er sich in den qq. IX und XI der Quaestiones disputatae de rerum principio aktiv daran, die Theorie von Petrus Johannis Olivi über die Weise der Verbindung des intelligiblen Teils der Seele mit dem Körper zu widerlegen. Zum Zeitpunkt von Olivis Tod (1298) nahm Vitalis folglich an den theologischen Debatten teil, die eine endgültige Verurteilung des Olivismus einleiteten. Während seiner letzten Jahre in Toulouse, bevor er 1307 Minister der Provinz Aquitanien wurde, publiziert Vitalis um 1305 das Speculum morale totius Sacrae Scripturae. Im Jahre 1309 wurde er von Papst Clemens V beauftragt, die verdächtige doktrinäre Orthodoxie Olivis zu untersuchen und zusätzlich auf vier Fragen zu antworten, die dem Orden der Franziskaner gestellt worden waren. Diese betrafen die Kontroverse um die Frage nach dem Umgang mit Armut. Diese Kontroverse war zwischen Geistlichen, die von Olivi angeführt wurden, und der übrigen Kommunität entflammt: abdicatio dominii oder usus pauper. Clemens V entsandte ihn im Anschluss daran zum Konzil von Wien (16. X. 1311). Wenig später wurde er von ihm zum Kardinal von San Martino in montibus gewählt (23. IX. 1312). Auch in seiner Funktion als Kardinal beschäftigte sich Vitalis weiterhin mit den internen Fragen der Franziskaner und nach dem Tod von Papst Clemens V (20. IV. 1314) unterstützte er die Kandidatur des zukünftigen Papstes Johannes XXII, welcher am 07. VIII. 1316 gewählt wurde und Vitalis zahlreiche Privilegien zugestand. Die Freundschaft mit dem neuen Papst ging allerdings schon bald in die Brüche und zwar aus Anlass eines Rates (1323), der zusammentrat, um die Kontroversen zu schlichten, die um die Frage nach dem Umgang mit der Armut innerhalb der Franziskaner entfacht war: Als Papst Johannes XXII die Frage stellte, ob es Häresie sei zu unterstützen, dass Jesus und seine Apostel keinerlei Besitztümer hatten, weder in der Kommunität, noch als Einzelpersonen99, schlug sich Vitalis entschieden auf die Seite der Franziskaner zugunsten der franziskanischen These der absoluten Armut, wodurch er sich jedoch der päpstlichen Linie widersetzte. 97 Eine weitere Lehreinheit zum IV um Librum Sententiarum ist im cod. Vat. lat. 1095 (ff. 11ra–67vb) in Form einer Reportatio aufbewahrt: vgl. F. Delorme, L’œuvre scolastique du maître Vital du Four d’après le Ms. 95 de Todi, cit., S. 449–450. 98 Vgl. Vitalis De Furno, Quodlibeta tria, cit., S. VI. 99 Johannes XXII stellte in seiner Bulle Quia nonnumquam (26. März 1932) die Frage vor: „Suspendit prohibitiones et poenas a Nicolao III latas et comminatas in eos, qui super regula fratrum Min. glossas facere audent (1322 martirii 26, Avinione)“, in: BullFr, V, n. 434, S. 224: „Utrum asserere Christum et apostolos non habuisse aliquid in communi sit haereticum?“

3. Vitalis de Furno  

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Vier Jahre später starb Kardinal Vitalis de Furno am 16. 08. 1327 in Avignon und wurde dort in seiner Ordenskirche beigesetzt. Seine literarische Tätigkeit war breit gefächert: er schrieb sowohl philosophische Werke, als auch theologische, exegetische und homiletische Schriften. Ein Großteil seines Werkes wurde von Delorme ediert100.

3.2. Abschließende Bemerkungen zu Quaestiones disputatae de rerum principio Vitalis de Furno verdankt seinen Ruhm insbesondere De rerum principio, das über einen langen Zeitraum dem Doctor Subtilis zugeschrieben wurde. Die Urteile über die Quaestiones disputatae de rerum principio sind unter den Historikern der mittelalterlichen Philosophie sehr verschieden. Étienne Gilson bemerkte folgendes: „Es scheint, dass sich Vitalis für die Quaestiones der Werke seiner unmittelbaren Vorgänger (Matteo di Acquasparta, Giovanni Peckam, Ruggero Marston, Heinrich von Gent und Egidio Romano) bediente […]. Aus diesem Grund kann man von ihm nicht erwarten, dass er einen eigenen Denkweg entwickelt“101. Ihre Einflüsse sind in der Tat derart vorherrschend, dass sie nahezu plagiiert erscheinen. Delorme jedoch, im Unterschied zu De Wulf 102, der als Fundament von Vitalis Werk Matteo d’Acquasparta annimmt, unterstützte eine andere These: Lediglich die Quaestiones de cognitione, welche in Toulouse zwischen 1297–1300 vorgestellt wurden, enthalten eine persönliche Abhandlung des Autors und seien den zehn Quaestiones disputatae selectae de fide et cognitione (1278–1279) von Matteo d’Acquasparta überlegen103. Eine Ausnahme bilden hierbei die qq. XVII, XXV und XXVI von Vitalis, die nichts anderes seien, als eine schlecht gelungene Zusammenfassung der Quodlibeta von Godefroy de Fontaines. Die von Dumont durchgeführte Analyse der ersten sechs Quaestiones aus De rerum principio hat ergeben, dass Vitalis einen Großteil der Inhalte, aber auch der Struktur der quaestiones an sich Egidios Romanos De ente et essentia zu verdanken hat: „Diese ersten Fragen von De rerum principio sind insofern das Werk

100

Die Werke von Vitalis de Furno sind angezeigt in: Ch. V. Langlois, Vital du Four Frère Mineur, cit., S. 300–305; Vitalis De Furno, Quodlibeta tria, cit., S. IX–XVII; Godefroy de Paris, Vital du Four, cit., coll. 3105–3113; L. von Untervintl, Die Intuitionslehre bei Vitalis de Furno, cit., S. 55–57. 101 É. Gilson, La philosophie au Moyen-Âge. Des origines patristiques à la fin du XIV e, Payot, Paris 19472, S. 456. 102 Vgl. M. De Wulf, Histoire de la philosophie médiévale. 2. Le treizième siècle, Institut supérieur de philosophie-Vrin, Louvain / Paris 19366, S. 230–231. 103 Matthaei ab Aquasparta, Quaestiones disputatae de fide et de cognitione, cura PP. Collegii S. Bonaventurae (Bibliotheca Franciscana scholastica Medii Aevi, 1), ex typ. Collegii S. Bonaventurae, Quaracchi, Florentiae 19572.

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1. Kap.: Untersuchung der von Stein verwendeten „scotistischen“ Quellen

von Vitalis de Furno, als er diese kompiliert hat, aber der eigentliche Autor der inhärenten Doktrin sowie der Argumentation ist Egidio Romano“104. Unterteilt man das Werk in die einzelnen Gruppen der quaestiones, kann man davon ausgehen, dass Vitalis de Furno sowohl compilator, als auch commentator und auctor der Quaestiones disputatae de rerum principio ist.

104

S. D. Dumont, Giles of Rome and the „De rerum principio“ attributed to Vital du Four, AFH 77 (1984), S. 109: „Thus these first questions of the De rerum principio are the work of Vital du Four in the sense that he compiled them, but the author of their doctrine and arguments is Giles of Rome“.

Zweites Kapitel

Die Frage des principium individuationis in den Schriften des Duns Scotus – Ordinatio / Lectura und Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13)  Eine detaillierte Analyse der Frage des principium individuationis führt zu einer systematischen Untersuchung der scotistischen Schriften Ordinatio und den Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13). Parallel zu diesen beiden Schriften wird zwischen der Ordinatio und der Lectura vergleichend vorgegangen, und zwar unter Berücksichtigung des Kontextes, in welchem sich Duns Scotus mit anderen Exponenten bzw. Schulen des Denkens konfrontiert. Gerade aus dieser Konfrontation geht sein origineller Ansatz hervor.

1. Das principium individuationis: Ein kontroverser mittelalterlicher Disput Die Betrachtung des Individuums in seiner gesamten konstitutiven Realität – ein herausragendes Untersuchungsobjekt des XIII. Jahrhunderts – führte zahlreiche Denker und Magister zu unterschiedlichen Lösungsansätzen. Vor der Analyse des scotistischen Vorschlages zum principium individuationis ist es zunächst unentbehrlich, den Kontext sowie die diversen Faktoren, welche den Zugang zur Thematik unweigerlich konditionierten, zu skizzieren. Die Werke von Duns Scotus weisen nicht nur eine, sondern mehrere Lösungen der Problematik auf, und die unterschiedliche Terminologie, die der Autor verwendet, lässt ein kontinuierliches hermeneutisches Überdenken der Frage vermuten.

1.1. Faktoren, die zur systematischen Entwicklung des Disputes beitrugen Das zu behandelnde Problem, beziehungsweise die Untersuchung des konstitutiven Elements der individuellen Realität der sowohl materiellen, als auch geist­ lichen Substanzen, ist eine metaphysische Frage, die im Verlauf des XIII. Jahrhunderts von zahlreichen mittelalterlichen Philosophen diskutiert wurde. Die dichte Verkettung diverser Aspekte und Gründe im Umfeld dieser scholastischen Kon­

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

troverse ist gebunden an eine Lösung, welcher man sich nicht aus einer beliebigen Richtung nähern kann1. Die mittelterlichen Denker haben verschiedene Lösungsansätze entwickelt2. Dies ist der Schwierigkeit geschuldet, die innere Natur des Individuationsprinzips, welches zahlreiche Disziplinen beeinflusst, zu definieren: Dies betrifft zunächst die Metaphysik, welche die Natur der Seienden untersucht, aber auch die Noetik, da von der Art und Weise, wie die individuelle Realität einer res begriffen wird, auch abhängt, wie diese gewusst wird. In der Tat ist diese Lösung unzertrennlich mit der aristotelischen Metaphysik verbunden, einer notwendigen Bedingung, um die interpretativen Ansätze der einzelnen Denker in ihren Untersuchungen, die sich in den aristotelischen Doktrinen bewegen, einzubetten. Den Kontext zu verfolgen, in welchem dieser mittelalterliche Streit verankert ist, würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, denn dies bedürfte einer eigenständigen Abhandlung. Die Zielsetzung besteht daher vordergründig darin, die Faktoren zu ermitteln, welche die Notwendigkeit einer systematischen Studie zum individuellen Real-konkreten aufgezeigt haben. Der Ausgangspunkt der Problematik liegt in der Beziehung zwischen dem Universalen und dem Spezifischen. Die Aufgabe des Philosophen besteht darin, das Prinzip, auf welchem die Konkretisierung des Universalen im Realen basiert, wiederherzustellen. Den Übergang vom Universalen zum Singulären, ergo zum Individualen, zu verfolgen, konstituiert den Kern dieser Untersuchung. Aus der Art und Weise, wie die scheinbar antithetische Beziehung zwischen dem Universalen und dem Singulären begriffen wird, können drei verschiedene Ansätze herausgefiltert werden, die den hermeneutischen Kontext konstituieren, innerhalb welchem die einzelnen Lösungen des Problems eingebettet sind. Einer dieser drei Ansätze, der auf platonischer Interpretation basiert, geht von der Existenz zweier getrennter „Reiche“ aus: davon sei das eine aus ursprünglichen und universalen Bildern (Ideen) zusammengesetzt und nur über die Vernunft zugänglich. Das andere Reich hingegen sei dasjenige der Erscheinungen, welches die einzelnen Abbilder enthalte. Folglich sind beide „Reiche“ strikt voneinander getrennt und das allgemein Seiende wird niemals zu einem Individualen. Das Reich der Universalien konstituiert die Realität, während die Individuen eine reine Illu 1

Für ein breites Panaroma zu den mittelalterlichen Debatten hinsichtlich der Individuation, sei auf folgende Einführungen hingewiesen: J. J. E. Gracia (Hrsg.), Individuation in Scholasti­ cism. The Later Middle Ages and the Counter-Reformation (1150–1650), State University of New York Press, Albany 1994, S. 1–20 und J. Hüllen, Individuation. Individuationsprinzip, HWP 4 (1976), coll. 295–299. 2 Vgl. I. Tonna, The Problem of Individuation in Scotus and Other Franciscan Thinkers of Oxford in the 13th Century, in: De doctrina Ioannis Duns Scoti. Acta Congressus Scotistici Internationalis Oxonii et Edimburgi 11–17 septembris 1966 celebrati, cura Commissionis Scotisticae (Studia Scholastico-Scotistica, 2), Bd. IV, Poligrafica & Cartevalori, Romae 1968, S. 257–270.

1. Das principium individuationis 

65

sion erzeugen. Die Universalie befindet sich über dem Individuellen und ist dessen Prinzip sowie dessen Ursprung. Die zweite und radikale Position (Nominalismus), erachtet das Singuläre als das Primat der Wirklichkeit und dass damit folglich die Universalie lediglich den Raum im abstrakten Denken einnehme. Dies erklärt den Grund, weshalb es im späten 13. Jahrhundert einige Denker nicht für notwendig erachteten, das principium individuationis zu ermitteln, insofern als jedes Seiende an sich individuell für seine jeweilige einzelne Natur ist. Die dritte, gemäßigte Position hingegen, die stark vom Doctor Subtilis geformt wurde, sieht die Universalie und das Einzelne nicht in einer Opposition, sondern in einer Korrelation. Louis Mackey fasst dies folgendermaßen zusammen: „Dieser Perspektive folgend, schafft die Universalie die vollständige Realität – das Konkrete – lediglich im Einzelnen; und das Einzelne ist nur dann vollständig individualisiert – vollkommen determiniert – sofern es erfüllt ist von der Universalie“3. Die Universalie und das Einzelne sind gleichursprünglich und determinieren gleichermaßen die Wirklichkeit der Welt. Allein eine Korrelation zwischen diesen beiden führt zur ontologischen Dimension der Individualität: jedes konkrete Individuum findet, trotz der Unterscheidung des universalen Seins, sein ursprüngliches Fundament in der singulär-universalen Korrelation. Universalie und Einzelnes, Letzteres konstituiert in sich selbst als individuale Einheit, tragen gemeinsam zu einer Bestimmung des realen Objektes bei. Ein weiteres Problem, welches mit der Lösung der Individuation in Zusammenhang steht, ist eng verbunden mit den wesentlichen Merkmalen der Individualität sowie den unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Auffassung: Die beiden üblichen Interpretationsmöglichkeiten sind zum einen die Annahme der Individualität als Unteilbarkeit und zum anderen als Unterscheidung zwischen den Seienden. Natürlich suchen diese beiden unterschiedlichen Konzeptionen des Individuellen nicht dasselbe principium individuationis. In der Auffassung der Individualität als Unteilbarkeit wird nicht primär die Möglichkeit der Vervielfachung der Individuen einer Spezies begriffen, was dazu führt, dass das principium individuationis in allen Faktoren und Aspekten enthalten sein muss, die die einzelnen Wesen von den anderen unterscheiden. Es wird nämlich der Fokus auf die Suche nach demjenigen vereinenden und intrinsischen Prinzip des Individuums als solches gerichtet, welches in seiner Einzigartigkeit vollständig determiniert und fundiert ist sowie verantwortlich ist für die Unmöglichkeit in subjektive Teile geteilt zu werden.

3

L. Mackey, Singular and Universal. A Franciscan Perspective, FrSA 39 (1979), S. 130. Für das Problem der Universalien zwischen 1240 und 1300 verweise ich auf T. Barth, Individua­ lität und Allgemeinheit bei Duns Skotus. Eine ontologische Untersuchung, WiWei 16 (1953), S. 106–119.

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

Ein weiterer und abschließender Faktor hinsichtlich der Individualität betrifft ihre ontologische Charakteristik: nämlich die Individualität der Akzidenzien sowie weitere Merkmale der Substanzen. Die Annahme, dass die Bedingung der Individuation „wesentlich“ und „intrinsisch“ sei, entwickelte sich zu einer feststehenden Tatsache. Allerdings drifteten die Meinungen auseinander, sobald die Frage aufgeworfen wurde, was letztlich die Individuation der Wesen hervorbringe: die wesentlichen Merkmale, wie Form und Materie, oder das Synolon von Form und Materie (Problem des Hylemorphismus4). Von der ontologischen Auffassung der Individualität hängt die Analyse der Unterscheidung ab, die zwischen der Individualität und der gemeinsamen Natur besteht. Geht man von einer engen Verbindung der gemeinsamen Natur mit der Theorie der Universalien aus, so müssen wir im Verlauf unserer Untersuchung definieren und begreifen, wie die beiden Realitäten in einem individuellen Seienden vereint bestehen können. Nachdem nun die grundlegenden Parameter fixiert wurden, innerhalb welcher sich der Disput über das principium individuationis bewegt, ist es nun möglich den terminus a quo der Untersuchung zu bestimmen: Es ist der 07. März 1277, als Étienne Tempier, Bischof von Paris, 219 Thesen der Magister der Fakultät der Künste verurteilte5. Die Artikel 81, 96 sowie 191 zensierten explizit die theologischen Implikationen der Individuationsdoktrin der Formen. Laut dieser Doktrin sind es die Materie und, beziehungsweise oder, die Materie mit der Quantität, die für die Individuation verantwortlich sind. Sofern also keine Materie vorhanden ist, wie im Fall der Engel, ist jegliche Individuation ausgeschlossen. Eine Vervielfachung der Formen ereignet sich nur, wenn ausreichend Materie vorhanden ist – dies ist eine grundsätzliche Bedingung für die Pluralität der Individuen einer Spezies6. Die Prüfer waren in diesem Kontext besorgt, dass die Materie als das ausschließliche individuierende Prinzip der Vervielfachung der Formen betrachtet werden könnte. Die Verurteilung beeinflusste die Debatte über die Individuation derart umfassend, dass dies die Notwendigkeit hervorbrachte, die Problematik der Individuation der stofflichen Substanzen auch in das Innere der Angelologie einzubringen. Dies darf allerdings nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, dass die Individuation von der Angelologie abhinge, obwohl das Zurückverfolgen der Ursache der diver­ gierenden hermeneutischen Positionen über die Individuation der stofflichen Subs 4 Bezüglich dieser Thematik, vgl. P. T. Stella, La teoria ilemorfica nel sistema scotista, in: De doctrina Ioannis Duns Scoti, cit., Bd. II, Poligrafica & Cartevalori, Romae 1968, S. ­241–295. 5 Vgl. H. Denifle, Chartularium universitatis Parisiensis. Sub auspiciis consilii generalis facultatum Parisiensium, Tomus I, Ex typis fratrum Delalain, Parisiis 1889, S. 543–558. Zur Theorie der universitären Verurteilung von 1277, siehe A. De Libera, Storia della filosofia medievale (Biblioteca di cultura medievale, 389), Jaca Book, Mailand 1999, S. 388–390. 6 H. Denifle, Chartularium universitatis Parisiensis, cit., art. 81, S. 548: „Quod, quia intelligentie non habent materiam, Deus non posset facere plures ejusdem speciei“; art. 96, S. 549: „Quod Deus non potest multiplicare individua sub una specie sine materia“; art. 191, S. 554: „Quod forme non recipiunt divisionem, nisi per materiam. Error, nisi intelligatur de formis eductis de potentia materie“.

1. Das principium individuationis 

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tanzen durchaus hilfreich sein kann, um die Persönlichkeit der Engel und deren Faktoren der Individuation zu erfassen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde man sich daher der Notwendigkeit einer systematischen Analyse der Problematik bewusst, um einen Ausweg aus der „unendlichen silva opinionum“7 über das mögliche principium individuationis zu finden.

1.2. Die terminologische Stratifikation in den Werken des Doctor Subtilis Um die scotistische Lösung des Problems der Individuation zu bewerten8, bedarf es eines untersuchenden Querschnittes der beiden Versionen der distinctio tertia: De principio individuationis, des II. Buches des Sententiae (Lectura und 7

Petrus Joannis Olivi, Quaestiones in secundum librum Sententiarum quas primum ad fidem codd. mss. edit Bernardus Jansen, t. I, Quaestiones 1–48, ex typ. Collegii S. Bonaventurae, Ad Claras Aquas (Quaracchi) prope Florentiam 1922, q. 12, S. 213. 8 Vgl., in chronologischer Reihenfolge, T. Barth, Individualität und Allgemeinheit bei Duns Skotus. Eine ontologische Untersuchung, WiWei 16 (1953), S. 122–141 und 191–213; 17 (1954), S. 112–136; 18 (1955), S. 192–216; 19 (1956), S. 117–136; 20 (1957), S. 106–119 und 198–220; K. C. Clatterbaugh, Individuation in the Ontology of Duns Scotus, FrSA 32 (1972), S. 65–73; T. Rudavsky, The Doctrine of Individuation in Duns Scotus, FS 59 (1977), S. 320–377 und 62 (1980), S. 62–83; A. Squittieri, La definizione del principio di individuazione in Duns Scoto. Analisi delle difficoltà, StPat 34 (1987), S. 5–28; W. Park, The Problem of Individuation for Scotus. A Principle of Indivisibility or a Principle of Distinction?, FrSA 48 (1988), S. 105–123; Id., Common Nature and Haecceitas, FS 71 (1989), S. 188–192; Id., Haecceitas and the Bare Particular, RMet 44 (1990), S. 375–397; M. Donà, Haecceitas e materia mignata. Sul senso di una radicale questione metafisica. Note sul principium individuationis, in: R.  Masiero / R. Codello (Hrsg.), Materia signata-haecceitas tra restauro e conservazione, FrancoAngeli, Mailand 1990, S. 167–194; A. Manno, Introduzione al pensiero di Giovanni Duns Scoto (Centro studi personalisti Giovanni Duns Scoto, 3), Levante, Bari 1994, S. 43–59; P. King, Duns Scotus on the Common Nature and the Individual Differentia, in: „Philosophical Topics“ 20/2 (1992), S. 51–76; S. D. Dumont, The Question on Individuation in Scotus’ „Quaestiones super Metaphysicam“, in: L. Sileo (Hrsg.), Via Scoti. Methodologica ad mentem Joannis Duns Scoti. Atti del Congresso Scotistico Internazionale, Roma 9–11 marzo 1993, Bd. I, Antonianum, Rom 1995, S. 193–227; T. B. Noone, Scotus’s Critique of the Thomistic Theory of Individuation and the Dating of the „Quaestiones in Libros Metaphysicorum“, VII q. 13, in: L. Sileo (Hrsg.), Via Scoti, cit., Bd. I, Antonianum, Rom 1995, S. 391–406; Id., Universals and Individuation, in: T. Williams (Hrsg.), The Cambridge Companion to Duns Scotus, Cambridge University Press, New York 2003, S. 100–128; A. D. Conti, Alcune note su individuazione e struttura metafisica della sostanza prima in Duns Scoto, Anton 76 (2001), S. 111–144; L. Iammarrone, Giovanni Duns Scoto metafisico e teologo. Le tematiche fondamentali della sua filosofia e teologia (I maestri francescani, 10), Miscellanea Francescana, Rom 20032, S. 223–235; P. King, Duns Scotus on Singular Essences, in: „Medioevo“ 30 (2005), S. 111–137; G. Pini, Scotus on Individuation, in: „Proceedings of the Society for Medieval Logic and Metaphysics“ 5  (2005), S. 50–69, http://www.fordham.edu/gsas/phil/klima/smlm/psmlm5/psmlm5. pdf; Id., Univocity in Scotus’ Quaestiones super Metaphysicam. The Solution to a Riddle, in: „Medioevo“ 30 (2005), S. 69–110; K. Shibuya, Duns Scotus on „ultima realitas formae“, in: M. Carbajo Núñez (Hrsg.), Giovanni Duns Scoto. Studi e ricerche nel VII Centenario della sua morte (Medioevo, 15), Bd. I, Antonianum, Rom 2008, S. 379–394.

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

Ordinatio 9); und zwar der quaestio 13: Utrum natura lapidis de se sit haec vel per aliquid extrinsecum, einem Kommentar von Scotus über das VII. Buch der Metaphysik des Aristoteles10. Ein Disput Scotus’ mit dem dominikanischen Theologen Guillelmus Petri de Godino, welcher sich in den Jahren 1305/611 ereignete, ist darin ebenfalls enthalten: Utrum materia sit principium individuationis. In diesem Disput führt Scotus Argumente gegen die thomistische Theorie auf, welche ich hier allerdings nicht weiter ausführen kann, da dies den Rahmen der Untersuchung sprengen würde und einer eigenen Studie bedarf12. Ebenso werde ich bewusst nicht auf die Reportata Parisiensa eingehen, da diese Transkriptionen der von Scotus in Paris gehaltenen Vorlesungen noch nicht in einer kritischen Auflage verfügbar sind. Während die Lectura die reportatio der Lesungen ausformt, die Scotus um 1290 in Oxford hielt, handelt es sich bei der Ordinatio um eine in seinen letzten Lebensjahren (1301) persönlich überarbeitete Version. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum hingegen sind schwer zu datieren13. Da es keine terminologische 9 Bzw. Ioannes Duns Scotus, Lectura in Librum Secundum Sententiarum, Distinctiones 1–6, studio et cura Commissionis Scotisticae ad fidem codicum edita, Opera omnia, t. XVIII, Typis Polyglottis Vaticanis, Civitas Vaticana 1982, Lectura 2, dist. 3, p. 1, qq. 1–7, n. 1–229, S. 229–301 e Id., Ordinatio, Liber Secundus, Distinctiones 1–3, studio et cura Commissionis Scotisticae ad fidem codicum edita, Opera omnia, t. VII, Typis Polyglottis Vaticanis, Civitas Vaticana 1973, Distinctio 3, p. 1, qq. 1–7, n. 1–254, S. 391–516. 10 Id., Quaestiones super Libros Metaphysicorum Aristotelis (Opera Philosophica, IV), Hrsg. G. J.  Etzkorn, Franciscan Institute, St. Bonaventure University, St. Bonaventure NY 1997: Liber VII, q. 13, n. 1–181, S. 215–280. 11 Durch F. Pelster wurde dieser Disput bekannt. F. Pelster, Handschriftliches zu Skotus mit neuen Angaben über sein Leben, FS 10 (1923), S. 15–16. Der Text dieses Disputs ist ediert von C. Stroick, Eine Pariser Disputation vom Jahre 1306. Die Verteidigung des thomistischen Individuationsprinzips gegen Johannes Duns Scotus durch Guillelmus Petri de Godino OP, in: W. P. Eckert (Hrsg.), Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption. Studien und Texte (Walberberger Studien. Philosophische Reihe, 5), Grünewald, Mainz 1974, S. 559–608. 12 Für eine Vertiefung der Thematik, siehe T. B. Noone, Scotus’s Critique of the Thomistic Theory of Individuation and the Dating of the „Quaestiones in Libros Metaphysicorum“, VII q. 13, cit., S. 391–406. 13 Die scotistische Kommission in Rom geht von der traditionellen These aus, nach welcher Scotus zuerst die Quaestiones super Libros Metaphysicorum verfasste, womit es sich bei dieser um das Frühwerk handelt, und erst später die Lectura. Hinsichtlich dieser Problematik verweise ich auf De ordinatione Ioannis Duns Scoti disquisitio historico-critica, in: Ioannis Duns Scoti Opera omnia, studio et cura Commissionis Scotisticae ad fidem codicum edita, t. I, Typis Polyglottis Vaticanis, Civitas Vaticana 1950, S. 155*, Fußnote 1 e a L. Modrić, Rapporto tra la Lectura II e la Metaphysica di G. Duns Scoto, Anton 62 (1987), S. 504–509. Neuerdings wird diese Position von den Herausgebern der kritischen Ausgabe der philosophischen Schriften des Duns Scotus – des Franciscan Institute der St. Bonaventura Universität – angezweifelt. Der Grund dafür ist, dass die Quaestiones super Libros Metaphysicorum und insbesondere die Quaestio 13 eine deutlich fortgeschrittene Perspektive hinsichtlich des Individuationsprinzips aufweisen, als es in Lectura / Ordinatio der Fall ist. Daraus folgt, dass dieses Werk nicht einfach nur als Jugendwerk klassifiziert werden kann, da es im Laufe der Zeit mehrere Überarbeitungsphasen erfahren hat, wodurch eine genaue Datierung unmöglich ist.

1. Das principium individuationis 

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Konvergenz hinsichtlich des principium individuationis zwischen der Ordinatio und der Quaestio 13 (QM VII) gibt, neigt unsere Untersuchung zu einer Ermittlung des letzten möglichen Stadiums einer langwährenden theoretischen Stratifikation der scotistischen Lösung des principium individuationis. In beiden Werken (Ordinatio und Q. 13) – ich werde die Lectura im Vergleich zur Ordinatio lediglich für einige detaillierte linguistische Feinheiten in Betracht ziehen14 – gelangt man zu einigen identischen Lösungen: das Prinzip der Individuation ist in der Ordnung der Substanzen positiv präsent, aber es ist weder in der Form, noch in den akzidenziellen Formen, noch im Akt der Existenz, oder in der Materie enthalten. Das zu untersuchende Problem besteht nämlich in den terminologischen Variationen, welche einer doktrinären Entwicklung entsprechen, um das principium individuationis aufzeigen zu können: in der Ordinatio wird es als entitas, realitas, ultima realitas formae, ultima realitas entis15 definiert, während sich in der Quaestio 13 (QM VII) die Begriffe forma individualis, gradus individualis, continentia unitiva und haecceitas16 finden. Unter Berücksichtigung der Lectura,

Zur Vertiefung dieses Problemfeldes verweise ich auf die Einleitung der neuen kritischen Ausgabe der Quaestiones super Libros Metaphysicorum Aristotelis (Opera Philosophica, IV), Hrsg., G. J. Etzkorn, Franciscan Institute, St. Bonaventure University, St. Bonaventure NY 1997, S. XLIII. 14 In der Vorbereitung des zweiten Buches der Ordinatio bediente sich Duns Scotus hauptsächlich der Lectura, wie es Barbara Hechich in ihrer Rezension zum Bd. VII von Ordinatio, in: Anton 49 (1974), S.128 herausarbeitet. 15 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 180 (ed. Vat. VII, S. 479): „Quoad hoc ista realitas individui est similis realitati specificae, quia est quasi actus, determinans illam realitatem speciei quasi possibilem et potentialem, – sed quoad hoc dissimilis, quia ista numquam sumitur a forma addita, sed praecise ab ultima realitate formae“; ebd., n. 188 (ed. Vat. VII, S. 483): „Non est igitur ‚ista entitas‘ materiae vel forma vel compositum, in quantum quodlibet istorum est ‚natura‘, – sed est ultima realitas entis quod est materia vel quod est forma vel quod est compositum“; ebd., n. 190 (ed. Vat. VII, S. 485): „Quaecumque natura non est de se haec, sed determinabilis ad essendum haec (sive ut determinetur per aliam rem, quod est impossibile in quocumque, – sive ut determinetur per aliam realitatem), non est simpliciter simplex“; ebd., n. 197 (ed. Vat. VII, S. 498–499): „Et quia illa entitas quam addit super speciem“ (unser ­Fettdruck). Weitere Verweise zu den Termini entitas / realitas finden sich in folgenden Abschnitten: q. 6, n. 147 (ed. Vat. VII, S. 465); n. 169 (ed. Vat. VII, S. 475); n. 170 (ed. Vat. VII, S. 475); n. 176 (ed. Vat. VII, S. 478); n. 177 (ed. Vat. VII, S. 478); n. 181 (ed. Vat. VII, S. 480); n. 182 (ed. Vat. VII, S. 481); n. 183 (ed. Vat. VII, S. 481); n. 186 (ed. Vat. VII, S. 483); n. 187 (ed. Vat. VII, S. 483); n. 189 (ed. Vat. VII, S. 484–485); n. 192 (ed. Vat. VII, S. 486); n. 201 (ed. Vat. VII, S. 490); n. 206 (ed. Vat. VII, S. 492); n. 207 (ed. Vat. VII, S. 493). 16 Vgl. QM VII, q. 13, n. 84 (IV, S. 246): „Natura est haec per substantiam aliquam quae est forma; et prior hic lapis, et per formam individualem distinguitur ab alio individuo“; ebd., n. 109 (IV, S. 255): „Sed natura, quam ego pono, determinatur ad unitatem numeralem per formam individualem“. Weitere Verweise zum Terminus forma individualis finden sich in folgenden Abschnitten: n. 86 (IV, S. 247); n. 87 (IV, S. 247); n. 96 (IV, S. 250); n. 97 (IV, S. 251); n. 101 (IV, S. 253); n. 112 (IV, S. 256); n. 113 (IV, S. 256). Für den Terminus continentia unitiva vgl.: n. 131 (IV, S. 263); n. 132 (IV, S. 264); n. 135 (IV, S. 265); n. 137 (IV, S. 265); n. 138 (IV, S. 265); n. 144 (IV, S. 267); n. 147 (IV, S. 268); n. 179 (IV, S. 279). Für den Terminus gradus individualis vgl.: n. 131 (IV, S. 263); n. 133 (IV, S. 264); n. 135 (IV, S. 265); n. 136 (IV, S. 265);

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

werden wir daher zunächst die in der Ordinatio enthaltenen qq. 1–6 untersuchen. Im Anschluss werden wir diese mit den Ergebnissen aus der Analyse der Quaestio 13 (QM VII) vergleichen, um neben den Ähnlichkeiten insbesondere die oben angedeuteten doktrinären Divergenzen, die mit den terminologischen Variationen einhergehen, zu begreifen.

1.3. Literarisches Genre der quaestiones Die Frage, welche Scotus zu vertiefen beabsichtigt, wird zu Beginn formuliert, die Lösung wird hingegen erst nach der Analyse der pro- und contra-Haupt­ argumente angeführt. Die Argumente dienen einer Präzisierung der Bedeutung der aufgeworfenen Frage. Der opinio propria von Scotus zu jeder Frage ist stets sowohl mindestens eine konträre These (opiniones aliorum), als auch eine Kritik derer (opinionis improbatio) vorangestellt. Häufig werden die aliqui, ausgehend von denen Scotus die Doktrinen wiederlegt, nicht genannt. Dies lässt durchaus die Vermutung zu, dass sich die Widerlegung auf den doktrinären Charakter der opiniones aliorum bezog und nicht dazu diente, auf die literarische Zugehörigkeit hinzuweisen.

2. Die ultima realitas entis – Vollendung der ontologischen Perfektion Das Problem, welches zum Gegenstand die Bestimmung der Individuation der substantia materialis hat, findet seinen Ursprung in der Analyse der allgemeinen Natur (Spezies), gelangt dann aber in das Innere der substantiellen Ordnung, um die Natur des intrinsischen und positiven principium individuationis zu definieren und gleichzeitig in der Lage zu sein, die gemeinsame Natur auf die Singularität zu kontrahieren. Zunächst werden die einzelnen Lösungen untersucht, die von einigen franziskanischen Magistern vorgestellt wurden, um danach die Originalität des scotistischen Ansatzes erfassen zu können.

n. 138 (IV, S. 265); n. 146 (IV, S. 268); n. 147 (IV, S. 268); n. 177 (IV, S. 278). Der Terminus haecceitas erscheint lediglich an zwei Stellen: n. 61 (IV, S. 239–240): „Probatio minoris: quia si nulla unitas realis naturae est minor haecitate (!)“; n. 176 (IV, S. 278): „Si in quantum ad actum cognoscendi, sic in sensu, quia haecitas (!) non sentitur“ (unser Fettdruck).

2. Die ultima realitas entis 

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2.1. Notwendigkeit der Individuation der substantia materialis17 Die Quaestio I der Ordinatio gründet sich auf der Singularität der substantia materialis. Einige Autoren interpretierten auf eine eigenständige Weise die Persönlichkeit der Engel, oder auch die Einheit einer Spezies18. Dies ist den unterschiedlichen Auffassungen über die Ursache der Individuation der materiellen Substanzen geschuldet. Es ist daher nötig, zunächst das Problem des principium individuationis der materiellen Substanzen anzugehen, bevor die Frage der Angelologie geklärt werden kann. Diese wurde von Scotus lediglich in der siebten und letzten Quaestio untersucht: Utrum sit possibile plures angelos esse in eadem specie19. Scotus eröffnet seine Diskussion mit der Frage, ob es die substantia materialis, oder das Sein eines Seienden ist, welches ex se – ergo aufgrund seiner Natur – individuell ist. Die Lösung der Frage, welche unmittelbar mit dem Disput über die Universalien verknüpft ist, ist von grundlegender Relevanz, denn sofern wir die substantia materialis von sich aus für individuell oder singulär annehmen, ist es nicht länger notwendig, den letzten Grund für ihre Individualität zu ermitteln. Wir müssen berücksichtigen, dass der Terminus substantia materialis sowohl als „Primärsubstanz“, als auch als „Sekundärsubstanz“ aufgefasst werden kann: Während erstere Auffassung auf ein zu einer bestimmten Spezies bzw. Natur zugehöriges Individuum verweist, handelt es sich bei Letzterer um die Spezies, zu welcher das Individuum gehört20. Allein die „Primärsubstanz“ ist an sich individuell. Die „Sekundärsubstanz“ hingegen, sofern sie als substantia materialis angenommen wird, kann nicht an sich individuell sein. Dies ist damit zu begründen, dass eine Spezies, zu der notwendigerweise mehrere Individuen gehören, nicht einigen von diesen individuell zuzuschreiben ist, sondern im Gegenteil selbst bestimmt werden muss. Um das Individuum zu definieren, welches nicht getrennt von seiner Spezies existieren kann, setzt Scotus bei der „Sekundärsubstanz“ an, da die Spezies (oder auch die gemeinsame Natur) eine Mehrzahl von Individuen in sich einschließt. Natur und Individualität entsprechen sich nicht in den Geschöpfen, und, da die geschaffene Natur an sich nicht individuell ist, benötigt sie eine spezifizierte „causa singularitatis“21.

17 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 1–42 (ed. Vat. VII, S. 391–410); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 1–38 (ed. Vat. XVIII, S. 229–239). 18 Vgl. Lect. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 1 (ed. Vat. XVIII, S. 229): „Quia secundum quod diversimode dicitur de causa individuationis in substantiis materialibus, secundum hoc sentiunt diversimode diversi de personalitate angelorum, de personalitate eorum in una specie vel unitate“. 19 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 7, n. 213–254 (ed. Vat. VII, S. 495–516). 20 Vgl. E. Berti, Introduzione alla Metafisica, Utet, Torino 2006, S. 68. 21 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 42 (ed. Vat. VII, S. 410): „Et posita communitate in ipsa natura secundum propriam entitatem et unitatem, necessario oportet quaerere causam singularitatis, quae superaddit aliquid illi naturae cuius est“.

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

Angesichts dieser Prämisse können wir nun die Position der Nominalisten (opinionis expositio), deren exponierter Vertreter Gottfried von Fontaines († 1306 o 1309)22 ist, verorten. Sie werden sehr detailliert von Scotus vorgestellt. Die Nominalisten gehen davon aus, dass die materiellen Substanzen, welche ex se individuierbar sind, keiner weiteren causa singularitatis bedürfen, die von der Ursache der Natur des Seienden unterschieden ist23. Die „Ursachen“, die die Existenz auf eine Natur übertragen, werden auch als verantwortlich für deren Singularität erachtet: Letztere wurden, in der inneren metaphysischen Struktur von Aristoteles, mit den vier für die Veränderung verantwortlichen physischen Ursachen (Form, Stoff, Wirkung, Zweck) identifiziert. Daraus folgt, dass die Suche nach einem principium individuationis für die materiellen Substanzen insofern irreführend ist, als alles, was real in der Welt existiert, singulär ist. Daher ist stattdessen die Ursache zu erörtern, durch welche eine Natur universal ist24. Ausgehend hiervon schließt damit jedes Seiende, welches fernab vom Geist existiert, notwendigerweise eine Singularität ein. Die opinionis improbatio von Scotus bestätigt in diesem Kontext folgendes: Wenn das Reale individuell aufgrund seines eigenen Wesens ist, kann ein Universalbegriff, anstatt eines Individualbegriffs, kein tatsächliches Wissen darüber konstituieren. Singularität einer Natur zuzuschreiben würde die Destruktion deren Seins – im objektiven Sinne mittels des Intellekts – bedeuten. Weiterhin also den Weg zu verfolgen, dass es in der Realität lediglich einzelne Seiende gibt, mündet zwangsläufig in widersprüchliche Behauptungen, sobald diese singulären Seienden mit universalen Termini begriffen werden. Im Falle des Individuums können wir in diesem Sinne nicht annehmen, dass seine humanitas (die gemeinsame Natur)

22

Vgl. L.  Sileo / F.  Zanatta, I maestri di teologia della seconda metà del Duecento, in: G. d’Onofrio (Hrsg.), Storia della teologia nel Medioevo. La teologia delle scuole, Bd. III, Piemme, Casale Monferrato 1996, S. 77–84. 23 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 5–6 (ed. Vat. VII, S. 393–394). 24 Vgl. A.  Squittieri, Considerazioni sulla natura indifferens di Scoto, StFr 90  (1993), S. 355–384. Dem Autor zufolge sowie den Abschnitt aus Ordinatio II (q. 1, n. 6) paraphrasierend, markiert die von Scotus untersuchte Individualität ein sekundäres Problem: „Wir müssen die Ursache ausfindig machen, durch welche die Substanzen eine universale Natur zu haben scheinen, aber es ist nicht notwendig eine Ursache für die Singularität der Natur zu suchen“ (ebd., S. 384). Obwohl sie mit dem Universalienstreit verknüpft ist, kann die Frage der Individuation in den materiellen Substanzen unserer Ansicht nach nicht von der Notwendigkeit absehen zu verstehen, wie es möglich ist, dass ein Universal in einem Singulären erscheinen kann. Scotus versucht in Ordinatio jenes intrinsische und ursprüngliche Prinzip ausfindig zu machen, welches den Zusammenzug der gemeinsamen Natur (Universal) in ein Individuelles, als Singuläres, ermöglicht. Das Universal (die gemeinsame Natur) markiert den Ausgangspunkt der Untersuchung (q. 1), allerdings muss die Aufmerksamkeit auf die realistisch konnotierte Kehre von Scotus gerichtet werden. Der Denker spricht der Persönlichkeit und der Perfektion des Einzelnen einen größeren Wert zu, nachdem das gründende Prinzip ermittelt wurde, dank welchem das Singuläre einzigartig und unwiederholbar wird. Daraus folgt, dass sich das Problem der Individuation mit der gemeinsamen Natur auseinandersetzen muss, welche nicht in sich die causa singularitatis trägt (vgl. ebd., Fußnote 22).

2. Die ultima realitas entis 

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als singulär oder individuell aus sich heraus zu erachten ist, da diese mehreren Individuen zugehörig ist. Daher bedarf es einer bestimmten Handlung, die es ermöglicht, von der universalen und allgemeinen Charakteristik, individuell-objektiv zu werden. Ausgehend von hier erfasst jegliche Form des sinnlichen Wissens stets das Einzelne, welches ihm durch die unmittelbare Erfahrung „gegenübersteht“ und zu einer Abstraktion von diesem individuell-objektiven zum universalen Charakter fähig ist. Allein die Analyse der gemeinsamen Natur markiert den Wendepunkt in der Quaestio I: „Praeterea, cuiuscumque unitas realis, illud non est de se unum unitate numerali (sive non est de se hoc); sed naturae exsistentis in isto lapide, est unitas propria, realis sive sufficiens, minor unitate numerali“25. Diese Einheit der gemeinsamen Natur, die jedoch minor ist im Vergleich zur unitas numeralis des Individuums (vgl. Tabelle 2), ist nicht in sich individuell. Damit trägt sie auch nicht dazu bei, die Singularität der Seienden zu determinieren. Die Überarbeitung der realistischen Voraussetzungen für die intellektuelle Erkenntnis des Singulären führt zu der Annahme, dass die dem Individuum eigene Einheit (numerische Einheit) den Vorrang in Bezug auf die Spezies (spezifische Einheit) hat. Die Singularität besitzt für Scotus eine größere Einheit als die spezifische oder generische Einheit, die auf dem Fundament der aristotelischen Autorität steht. Dieser affirmiert das Primat der Primärsubstanz vor der Sekundärsubstanz (q. II, n. 53). Wenn die Spezies keine eigenständige, oder hinreichende Einheit hat, ist es unmöglich zu verstehen, wie die Individuen dieser einen Spezies voneinander unterschieden und verschieden sind. Scotus ist daher gezwungen zu beweisen, dass in den Individuen einer Spezies eine Einheit vorhanden ist, die nicht numerisch, sondern real ist. Wenn dem nämlich nicht so wäre, wären selbst die elementarsten intellektuellen Handlungen, auf denen sich unsere gesamte Erkenntnis stützt, nicht möglich. Wird die Gültigkeit dieses Argumentes negiert, müssten wir anerkennen, dass es keine reale Einheit zwischen den Seienden (res) gibt, die sich von der numerischen Einheit (individuum) unterscheidet. Wir untersuchen lediglich einige der für die Diskussion relevanten Argumente, welche von Scotus zugunsten der unitas realis der gemeinsamen Natur dargestellt werden. Ein erstes Argument basiert auf der Unterscheidung zwischen „Gattung“ und „Spezies“26: Im Inneren einer Gattung, oder einer Spezies ist eine gewisse reale Einheit notwendig, die als Maßstab für ihre Elemente fungiert27. Innerhalb einer Spezies sind die einzelnen Individuen nicht wesentlich angeordnet, sprich untereinander identisch in ihrer Perfektion. Daher handelt es sich bei der Einheit, die

25

Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 8 (ed. Vat. VII, S. 395). Vgl. ebd., n. 11–15 (ed. Vat. VII, S. 396–397). 27 Vgl. Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, siue translatio media. Anonymus saec. XII uel XIII translator Aristotelis, edidit G. Vuillemin-Diem (AL, 25/2), Brill, Leiden 1976, lib. X c. 1, 1052b 18: „Maxime vero metrum esse primum cuiuslibet generis“. 26

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

eine Kenntnis der Individuen ermöglicht, nicht um die unitas numeralis, sondern um die spezifische Einheit der gemeinsamen Natur. Darüber hinaus kann das Fundament in einer gewissen Einheit, die real ist, von Individuen einer Spezies durchaus auch in der „Ähnlichkeit“28 aufgefunden werden, die zwischen diesen einzelnen Individuen besteht. Bei dieser handelt es sich um eine Relation, die nicht nur begrifflich ist, sondern tatsächlich eine „reale Basis“ im Objekt benötigt. Diese kann allerdings nicht die unitas numeralis sein, da kein Ding sich weder ähneln, noch identisch sein kann, so wie es lediglich die spezifische Einheit der Spezies sein kann. Zu behaupten, dass zwei res einander ähneln, bedeutet äquivalent eine gemeinsame realitas anzunehmen, die den res selbst zugrunde gelegt sind. Einer solchen Art ist das Beispiel der humanitas, welche darüber entscheidet, dass im Inneren dieser Spezies jedes Individuum dem anderen ähnelt, da das gemeinsame und relationale Fundament der Individuen ihr konstitutives Element darstellt. Abschließend unterstreicht Scotus: Sofern die eine unitas realis die unitas numeralis wäre, so wäre jeglicher Unterschied numerisch29. Dies würde bedeuten, dass jede res gleichermaßen von den anderen unterschieden wäre und der Verstand könnte folglich nichts Gemeinsames zwischen Platon und Sokrates und zwischen Sokrates und beispielsweise einer Linie abstrahieren. Daraus ergibt sich (opinio propria)30, dass jede Natur von sich aus indifferent gegenüber der Singularität oder der Universalität ist und daher nicht in sich selbst die Ursache für die Individuation oder die Singularität trägt. Die Theorie der Nominalisten wird von Scotus insofern entkräftet, als jede Natur kontrahiert werden muss, um singulär zu werden. Um universal zu werden, muss der Verstand ihr genau dieses Merkmal verleihen. Dadurch, dass die gemeinsame Natur für sich selbst eine weniger-als-numerische Einheit (minor unitate ­numerali) hat, kann sie in sich nicht die causa singularitatis enthalten. Folglich hat die gemeinsame Natur aufgrund der minor unitate numerali ein von dem individuellen Sein differierendes Sein. Gleichermaßen unterscheidet sich die spezifische Einheit von der numerischen Einheit. Zudem wird die Natur insofern allgemein genannt, als es ihre Eigenschaft ist, für sich mitteilbar zu sein. Dies führt dazu, dass sie von Individuen anderen Individuen mitgeteilt werden kann. Die Individualität ist hingegen nicht mitteilbar. Es sind die Merkmale der Spezies zu welcher jedes Individuum gemeinschaftlich gehört, die mitteilbar sind.

28

Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 18 (ed. Vat. VII, S. 398). Vgl. ebd., n. 23–27 (ed. Vat. VII, S. 399–401). 30 Ebd., n. 30 (ed. Vat. VII, S. 402): „Sicut etiam deducit secunda ratio (cum suis probationibus omnibus), aliqua est unitas in re realis absque omni operatione intellectus, minor unitate numerali sive unitate propria singularis, quae ‚unitas‘ est naturae secundum se, – et secundum istam ‚unitatem propriam‘ naturae ut natura est, natura est indifferens ad unitatem singularitatis; non igitur est de se sic illa una, scilicet unitate singularitatis“. 29

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2. Die ultima realitas entis 

Die Mitteilbarkeit ist also eine proprietas, die es ermöglicht, die Spezies als eine vom Individuum unterschiedene Entität anzunehmen. Das Individuum ist mit einer vollkommeneren Einheit versehen als der spezifischen Einheit der Spezies (gemeinsame Natur). Die gemeinsame Natur, die „indifferent“ ist, existiert mit der Singularität, aber sie ist nicht von sich aus auf die Singularität beschränkt, da sie natürlich dieser Charakteristik vorangestellt ist.

GATTUNG

GENERISCHE EINHEIT

SPEZIES (oder auch allgemeine Natur)

INDIVIDUUM

SEKUNDÄRSUBSTANZ

PRIMÄRSUBSTANZ

SPEZIFISCHE EINHEIT

NUMERISCHE EINHEIT

(diese ist weniger vollkommen als die numerische Einheit, aber vollkommenerer als die generische Einheit)

(vollkommenere Einheit)

„Sicut etiam deducit secunda ratio, aliqua est unitas in re realis absque omni operatione intellectus, minor unitate numerali sive unitate propria singularis, quae ‚unitas‘ est naturae secundum se, – et secundum istam ‚unitatem propriam‘ naturae ut natura est, natura est indifferens ad unitatem singularitatis“ (Ord. d. 3, p. 1, q. 1, n. 30, ed. Vat., S. 402)

Abbildung 4

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

2.2. Das im intrinsischen und positiven Fundament enthaltene Merkmal31 Nachdem festgesetzt werden konnte, dass die substantia materialis nicht in sich selbst individuell ist, muss nun die causa singularitatis, die in der Übertragung der Singularität die gemeinsame Natur zusammenzieht, bestimmt werden. Scotus untersucht die Doktrin von Heinrich von Gent (ca. 1217–1293)32, dem zufolge eine negatio duplex die letzte Ursache der Individuation sei: „scilicet indivisio in se et divisio ab omni alio“33. Scotus ist bestrebt diese Doktrin zu entkräften, indem er mehrere Argumente aufführt. Zu diesem Zweck stützt sich Scotus auf eine Debatte von 1280/81 von Heinrich von Gent, die im Quodlibet V vorgestellt wird34. Die doppelte Negation, die keine ontologische Steigerung impliziert, bezieht sich sowohl auf das Innere, als auch auf das Äußere: nach innen bringt sie die Individualität um jegliche Möglichkeit sich zu vervielfachen und ferner sich zu differenzieren (indivisio); nach außen hingegen verliert die Individualität jegliche Möglichkeit sich mit einer anderen Individualität zu identifizieren (incommunicabilitas). Nach dieser Theorie werden die materiellen Substanzen nicht von einem intrinsischen und positiven Prinzip erkannt und die Negation bezieht sich auf den Entzug des Seienden an sich und auf den Entzug der Identität mit etwas anderem. Die nach innen gerichtete Negation entzieht der Individualität jegliche Möglichkeit sich zu vervielfachen und sich weiter zu differenzieren. In gleicher Weise verliert die Individualität von außen jegliche Möglichkeit sich mit einer anderen Individualität zu identifizieren. Scotus widerlegt diese Theorie, da er sie als unzureichend erachtet, um den Ursprung der Individuation zu erklären. In einer ersten Analyse unterstützt er, dass die „Primärmaterie“ nicht von einem extrinsischen Prinzip ausgemacht werden kann, da es nicht erklärt, woher die innere Unmöglichkeit der weiteren Unterteilung des Wesens stammt. Der letzte Grund der Unteilbarkeit der Substanz befindet sich in 31

Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 43–58 (ed. Vat. VII, S. 410–417); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 39–53 (ed. Vat. XVIII, S. 240–244). 32 Vgl. L.  Sileo / F.  Zanatta, I maestri di teologia della seconda metà del Duecento, cit., S. 59–77. 33 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 47 (ed. Vat. VII, S. 412); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 40 (ed. Vat. XVIII, S. 240). Vgl. auch Quodlibeta Magistri Henrici Goethals a Gandavo doctoris Solemnis, Parisiis 1518, Quodlibet quintum, q. 8 (f. 166M): „Quae quidem ‚negatio‘ non est simplex, sed duplex, quia est removens ‚ab intra‘ omnem plurificabilitatem et diversitatem, et ‚ab extra‘ omnem identitatem“. 34 Für ein Panorama der quodlibetalen Debatten des XIII. Jahrhunderts, in besonderem Maße die Quodlibeta Heinrich von Gents, verweise ich auf die wichtige Studie von M. Pickavé The Controversy over the Principle of Individuation in Quodlibeta (1277–ca 1320). A Forest Map, in: C. Schabel (Hrsg.), Theological Quodlibeta in the Middle Ages. The Fourteenth Century (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 7), Brill, Leiden / Boston  2007, S. 17–79, insbesondere S. 23–32.

2. Die ultima realitas entis 

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der positiven Natur, ergo in der Substanz selbst35. Eine einfache Negation reicht daher nicht aus, um das singuläre Moment eines konkreten Individuums auszumachen, sondern es ist nötig, dass sich die Individualität auf ein positives Sein stützt: „cum ille ponat naturam ‚ex se esse unam et individuam‘, numquam tamen per aliquam negationem ‚positam in natura‘ repugnabit sibi formaliter dividi, et ita numquam erit aliquod ens positivum in rebus quod erit complete individuum“36.

Die von Heinrich von Gent vorgeschlagenen Negationen beschreiben lediglich Aspekte der Individualität des Individuums, aber sie demaskieren nicht was schließlich dazu führt, dass die Individuen solche und bestimmte Merkmale besitzen. Die Unteilbarkeit einer Substanz in subjektive Teile ist eine Perfektion dieser und eine Perfektion ist etwas evident Positives. In letzter Instanz partizipiert die Negation nicht positiv an der Entität und kann daher auch nicht als eine Perfektion des Seienden angenommen werden. Aus diesem Grund kann die Negation die Primärsubstanz nicht weiter perfektionieren im Vergleich zu den Sekundärsubstanzen und die Negation kann nicht als Prinzip der Individuation der Primärsubstanz erachtet werden37. Die Negationen müssen als ontologische Prinzipien aufgefasst werden, dass die numerische Einheit, auf welche sie zu verweisen haben, in sich ein positives Merkmal des Individuums ist. Scotus zweifelt, dass Heinrich von Gent erklären kann, was die doppelte Negation in die Lage versetzt ein Individuum von einem anderen unterscheiden zu können: Dass ein Individuum nicht mit einem anderen identisch, oder von diesem unterschieden ist, kann nicht der Grund für die Individualität eines Seienden sein. Tatsächlich enthält die doppelte Negation nicht das Moment der Individuation, sondern sie ist in allen Individuen gleich. Damit diese dergestalt sein können, müssen sie notwendigerweise eine größere Einheit (numerische Einheit) im Vergleich zu der Spezies (spezifische Einheit) besitzen. Es ist nötig den Ursprung zu erklären, von dem die doppelte Negation ausgeht. Nachdem die Doktrin von Heinrich von Gent widerlegt worden ist, formuliert Scotus in der solutio propria38 die Notwendigkeit einem positiven und intrinsischen (positivum intrinsecum) Fundament für die negatio duplex. Es muss etwas Posi­ 35

Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 49 (ed. Vat. VII, S. 413): „Primo, quia nihil simpliciter repugnat alicui enti per solam privationem in eo, sed per aliquid positivum in eo“. 36 Ebd., n. 51 (ed. Vat. VII, S. 414–415). 37 Vgl. ebd., n. 53 (ed. Vat. VII, S. 415): „Item, negatione non constituitur aliquid formaliter in entitate perfectiore quam sit illa entitas praesupposita negationi (alioquin negatio esset formaliter entitas quaedam positiva); sed prima substantia est maxime substantia, et etiam est magis substantia quam secunda substantia; igitur non formaliter constituitur in entitate primae substantiae per negationem, in quantum distinguitur a secunda“. 38 Vgl. ebd., n. 57 (ed. Vat. VII, S. 416–417): „Quod necesse est per aliquid positivum intrinsecum huic lapidi, tamquam per rationem propriam, repugnare sibi dividi in partes subiectivas; et illud positivum erit illud quod dicetur esse per se causa individuationis, quia per individuationem intelligo illam indivisibilitatem sive repugnantiam ad divisibilitatem“.

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tives und Intrinsisches im Seienden an sich geben, aufgrund dessen das Seiende nicht in subjektive Teile teilbar, sondern unterschieden ist von anderen individuellen Objekten. Nur durch ein positives und intrinsisches Prinzip kann das Individuum die notwendigen Unterschiede erhalten, durch die es sich von anderen ähnlichen Individuen extrinsisch unterscheiden kann. Die Neuerung besteht darin, dass in dieser positiven Entität des singulär-Seins der Wert der Einzigartigkeit des Individuums zum Vorschein kommt, und zwar fernab von der Spezies und nur aus dem Grund, dass seine eigene Perfektion eine Teilung verhindert und ihm damit eine in sich geschlossene Einheitlichkeit verleiht. Ohne die Ergebnisse unserer Untersuchung vorgreifen zu wollen, kann bereits angedeutet werden, dass Scotus in der q. 6 (n. 187–188), nachdem er die möglichen Lösungen des Individuationsprinzips analysiert hat, die Natur dieses Prinzips als positiv definiert. An dieser Stelle sind einige Bemerkungen einzufügen: Das positivum intrinsecum muss in sich die Fähigkeit tragen, die gemeinsame Natur zu kontrahieren und jede weitere Teilung in subjektive Teile zu verhindern (indivisibilitas)39. Dies impliziert, wie es Tamar Rudavsky unterstreicht, einen Umsturz der traditionellen Position einiger Philosophen, die unterstützten, dass das principium individuationis den einen numerischen Unterschied (oder Unterscheidung) zwischen den einzelnen Angehörigen einer Spezies erklären müsse40. Vor diesem Hintergrund sind auch die Analysen von Louis Mackey zu der scotistischen Theorie einzuordnen, der die Frage der Individuation unter Berücksichtigung der Einigkeit, der onto­ logischen Priorität des Individuums als einheitliches Wesen, stellt41.

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Scotus fasst Unteilbarkeit als indivisibilitas in subjektive Teile auf; hierzu verweise ich auf einige Textpassagen, aus welchen sich die Position aus der Lect. II, d. 3, p. 1 ableitet: „Intelligitur an sustantia materialis habeat indivisibilitatem ita quod repugnat sibi“ (q. 2, n. 42; ed. Vat. XVIII, S. 241); „Ergo individuum in genere substantiae non habebit esse indivisibile a quantitate primo“ (q. 4, n. 81; ed. Vat. XVIII, S. 254); „Igitur ista responsio est magis impossibilis quam prior, quae ponit substantiam habere aliquod esse, scilicet indivisibile a quantitate“ (ebd., n. 85; ed. Vat. XVIII, S. 256); „Et ideo natura specifica substantiae materialis non potest dividi nisi per quantitatem“ (ebd., n. 102; ed. Vat. XVIII, S. 261); „Nam substantia non habet de se quod sit divisibilis, sed quantum est de se est indivisibilis, et tamen per quantitatem dividitur. […] Unde si substantia materialis esset de se indivisibilis“ (q. 6, n. 162; ed. Vat. XVIII, S. 279–280); „Igitur unitas singularitatis, cui repugnat dividi, habebit entitatem sibi proportionalem“ (ebd., n. 166; ed. Vat. XVIII, S. 280); „Quae [differentia specifica] non ­potest dividi in plures naturas specificas“ (ebd., n. 170; ed. Vat. XVIII, S. 282; unser Fettdruck). 40 T. Rudavsky, The Doctrine of Individuation in Duns Scotus, cit., S. 320: „Philosophers generally view the problem of individuation as the problem of how to account for the numerical difference of any two members of the same species“. 41 Vgl. L. Mackey, Singular and Universal, cit., S. 150: „When Scotus raises the question of individuation, he is not asking primarily about the possibility of the multiplication of individuals within a species. He is concerned in the first place with the unity of the individual as such; that is, with its indivision“.

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Nachdem er dieses Prinzip der indivisibilitatis erörtert hat, vergleicht Scotus unterschiedliche Positionen bezüglich eines möglichen angezeigten Faktors, der als individuierendes Prinzip eines Seienden fungiert, miteinander. Diese Positionen werden im weiteren Verlauf der kommenden quaestiones noch analysiert werden. Ich beschränke mich an dieser Stelle lediglich auf den Hinweis, dass jede denkbare Lösung eines möglichen Individuationsprinzips der Unteilbarkeit gerecht werden muss.

2.3. Die ontologische Priorität des  esse essentiae vor  esse existentiae42 Nachdem nun die Notwendigkeit eines intrinsischen und positiven Fundamentes des individuellen Seins erläutert wurde, analysiert Scotus, in welchem Modus des Seins (esse existentiae oder esse essentiae) die Ursache der Individuation zu suchen ist. Aristoteles unterstützte, dass das „Sein der Existenz“ die letzte von den Individuen empfangene Handlung sei, und daher daraus folge, dass die Existenz die letzte Bestimmung der Individuen sei43. Die letzte Determinierung muss der letzten Handlung – der Existenz – folgen, welche zu einer Determinierung und Unterscheidung, unter Einbezug von etwas Positivem, in der Lage ist. In diesem Sinne könnte dies der formale Grund für den Zusammenzug der gemeinsamen Natur zu einem individuellen Sein bedeuten. Diese Position wurde von Heinrich von Gent in seinem Quodlibet II (q. 8) von 127744 übernommen. Für ihn bedeutet die Individualität einen Modus der Existenz und allein dieser sollte die Individualität eines realen Seins erklären können. Für Scotus hingegen kann die Existenz nicht die substantia materialis ermitteln, nicht nur weil sie in allen existierenden Seienden vorhanden ist, sondern auch weil die Unterscheidung zweier res aus der Differenz zwischen den Wesen herrührt und nicht aus einer Differenz des Sinnes ihres Existierens. Die Existenz, die keine eigenen Differenzen hat, ist an sich undifferenziert und kann daher jeglichem Existierenden angehören; ein Existierendes ist das, was es ist45 aufgrund 42

Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 59–65 (ed. Vat. VII, S. 418–421); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 54–60 (ed. Vat. XVIII, S. 244–246). 43 Vgl. Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. VII c. 13, 1039a 3–8 „Impossibile autem substantiam ex substantiis esse que insunt sicut perfectiones; duo namque sic perfectione numquam sunt unum perfectione, sed si potestate duo sunt, erunt unum (ut duplum ex duobus dimidiis potestate; nam entelechia separat)“. 44 Vgl. L.  Sileo / F.  Zanatta, I maestri di teologia della seconda metà del Duecento, cit., S. 71–74. 45 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 61 (ed. Vat. VII, S. 418–419): „Quia quod non est ex se distinctum nec determinatum, non potest esse primum distinguens vel determinans aliud; sed esse existentiae, eo modo quo distinguitur ab esse essentiae, non est ex se distinctum nec determinatum“.

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seiner Natur, nicht jedoch aufgrund seiner Existenz. Um die gegenwärtige Existenz eines Individuums zu behaupten, muss dieses, Scotus zufolge, bereits vollständig auf die Individualität als mögliches Existierendes festgelegt sein. Die Tatsache zu existieren, bestimmt nicht das Individuum an sich: Vielmehr muss das Fundament der Unterscheidung zwischen den existierenden Individuen grundsätzlich in ihrem Wesen verankert sein. Zwei Individuen unterscheiden sich nicht voneinander aufgrund ihrer Existenz, denn sofern beide existieren, haben sie die Tatsache des Existierens gemeinsam; dies scheint ebenso gemeinsam zu sein, wie die Natur selbst, die sie unterscheiden sollte. Die Existenz, die an sich kein haec ist, kann den materiellen Wesen nicht die Individualität übertragen. Jedes Individuum muss in seiner Einzigartigkeit sein eigenes principium individuationis haben. Dieses ist nicht identisch, sondern primär verschieden und unterschieden von demjenigen eines anderen Individuums. Natürlich ist das Ziel unserer Untersuchung das existierende Individuum, aber die Existenz ist einer anderen Ordnung als das Individuationsprinzip, welches in der Lage ist die Existenz zu determinieren und nicht vice versa46. Die entitas individualis gehört dem actus essentialis und nicht dem actus existenzialis an. Durch diese Zugehörigkeit gründet sie das wesentliche Sein. Der actus existenzialis realisiert die Existenz eines Seins: Als letzte Begründung der Existenz gehört dieser nicht wesentlich zur Seinsordnung, sondern er wird ihr hinzugefügt und ist damit nachgeordnet47. Scotus versucht damit die ontologische Priorität des Wesens zu bewahren und gleichzeitig eine Grundlage der Individuation innerhalb einer in sich selbst individuellen Entität zu finden.

2.4. Die Unmöglichkeit der „Quantität“, die substantia materialis zu erkennen48 Von dem Standpunkt der Feststellung aus, dass die Individualität, die ein Positives ist, im esse essentiae ermittelt werden muss, entkräftet Scotus nun in der q. IV diejenigen Positionen, die das principium individuationis mit akzidenziellen Termini, anstatt mit substantiellen Termini erklären: Und zwar erforscht in der 46 Wir können, ausgehend von einer Paraphrase des Versuches Heideggers, eine Ontologie in Sein und Zeit zu skizzieren, feststellen, dass die metaphysische Herausforderung eines derartigen Projektes aus dem Inneren der wesentlichen Ordnung (Sein) das Fundament finden muss und nicht im Dasein als existenzielles Moment (Da-sein). 47 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 3, n. 65 (ed. Vat. VII, S. 420) „Existentia autem actualis est ultimus actus, sed posterior tota coordinatione predicamentali“. In Bezug auf die Individuation ist die aktuale Existenz dem Wesen untergerodnet und fügt nichts Grundlegendes der individuierten Essenz hinzu. 48 Ebd., q. 4, n. 67–128 (ed. Vat. VII, S. 421–457); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 61–124 (ed. Vat. XVIII, S. 246–268).

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„Quantität“, die verantwortlich ist für die Individuation der substantia materialis. Scotus widmet dieser quaestio eine besondere Aufmerksamkeit. Dies ist nicht verwunderlich, denn tatsächlich werden sich viele Scholastiker der Autorität des Aristoteles bedienen, um ihre eigenen Positionen zu entwickeln. Gottfried von Fontaines49 und auch Thomas von Aquin50, die gleichermaßen auf die aristotelische Definition der „Quantität“ zurückgreifen, laut welcher „Quantum dicitur quod est divisibile in eis que insunt, quorum utrumque aut singulum unum quid et hoc aptum natum esse“51 gilt, stellten folgende Behauptung auf: Da die Individuen einer gemeinsamen Spezies primär aufgrund der Quantität voneinander unterschieden sind, ist diese folglich entscheidend für die Individualität der substantia materialis. In diesem Fall ist die Quantität nicht nur für die spezifische Teilung innerhalb einer Spezies verantwortlich, sondern markiert auch das Unterscheidungsmerkmal der einzelnen Individuen untereinander. Die Funktion der Teilung von Teilen der gleichen Art besitzt demnach die Quantität. Zudem unterscheiden und differenzieren sich die Individuen einer Spezies (einer gemeinsamen Natur) aufgrund einer ihnen angehörigen akzidentiellen Eigenschaft. Wenn wir annehmen, dass der locus der individuierende Faktor in der Determinierung des Wesens eines Seienden ist, dann würden verschiedene loci numerisch verschiedene Wesen determinieren. Das Absurde dieses Ansatzes liegt in dem Bestreben, etwas attribuieren zu wollen, was der Substanz nachgeordnet ist – nämlich die Fähigkeit zu erkennen, was vorausgehend ist (das Wesen). Scotus erkennt daher die Notwendigkeit festzustellen, ob das akzidentielle Sein ausreichend ist, um die Individualität der Seienden zu erklären – ein Prinzip, nach welchem das Individuum unteilbar ist in subjektive Teile – und er widerlegt diese Position in seinen Analysen. Wir müssen berücksichtigen, dass Scotus, der die Frage der Individuation stellt, nicht nach der Möglichkeit der Vervielfachung der Individuen innerhalb einer Spezies fragt, sondern seine Forschung auf die Suche nach dem Kern der „individuellen Einheit“ richtet, und zwar als: „individuum incompossibile est dividi in partes subiectivas“52. Die substantia materialis kann nicht von „diesem hier“, mit einer determinierten Singularität, „dieses dort“ werden, es sei denn sie würde eine wesentliche Wandlung erfahren. Wenn es tatsächlich die Quantität sein sollte, die die Substanz in 49 Gaufridus de Fontibus, Quodlibet VII, q. 5 (riferimento indicato nelle fonti in Ord. II, n. 71; ed. Vat. VII, S. 423). 50 Thomas de Aquino, Summa contra gentiles II, c. 49 arg. 3: „Principium diversitatis individuorum eiusdem speciei est divisio materiae secundum quantitatem: forma enim huius ignis a forma illius ignis non differt nisi per hoc quod est in diversis partibus in quas materia dividitur, – nec aliter quam divisione quantitatis, sine qua substantia est indivisibilis; quod autem recipitur in corpore, recipitur in eo secundum quantitatis divisionem; ergo forma non recipitur in corpore nisi ut individuata“ (Bezug in den Quellen angegeben in Ord. II, n. 73; ed. Vat. VII, S. 425). 51 Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. V c. 13, 1020a 7–9, 101. 52 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 76 (ed. Vat. VII, S. 427).

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dividuiert und damit sowohl „dieses hier“ als auch „dieses dort“ entstehen lassen würde, dann wäre dieselbe singuläre Substanz zwei verschiedene Substanzen: Dies ist jedoch widersprüchlich53. Die konträre These, welche die Individuation von den quantitativen Akzidenzien abhängig macht, würde dazu führen, dass eine Veränderung der Akzidenzien zu einer Veränderung der Individualität führen würde. Dies kann jedoch nicht bestätigt werden, da sich durchaus die Akzidenzien verändern können, ohne dass davon das Wesen an sich, oder die Individualität des Seienden betroffen sind. Daraus lässt sich ableiten, dass die Individuation nicht aus dem Umfeld der Akzidenzien eines externen Faktors stammen kann. Vielmehr muss sie in der Tiefe des Wesens verankert sein, da ansonsten bei jeder akzidentiellen Veränderung auch die Individualität mutieren müsste. Die Individualität steht im Wesen selbst geschrieben, die in einzigartiger Weise jedem Individuum angehört, was in ihren akzidentiellen Manifestationen sichtbar wird. Aber was sich manifestiert, verweist auf eine tiefe Schicht des wesentlichen Seins und ist damit der Natur selbst intrinsisch: Somit können wir mit Gilson formulieren, dass „die Individuation im Herzen des Seins geschrieben steht, in der Substanz selbst aufgrund derer sie ist, was sie ist“54. Scotus, der sich auf die Ansicht Aristoteles’ bezieht55, welcher die ontologische Priorität der Substanz gegenüber den Akzidenzien betont56, eliminiert jegliche mögliche Annahme, dass die Akzidenzien Faktoren der Individuation sein könnten. Die Primärsubstanz ist ein ens prius, welches für sich aufgrund ihrer Individualität existieren kann. Zudem weist sie eine ontologische Priorität über den Sekundärsubstanzen auf sowie – und zwar in stärkerem Maße – über den Akzidenzien, welche entia posteriora sind: „Substantia est prior naturaliter omni accidente“57. Die Substanz ist dem Akzidenz aufgrund einer natürlichen Priorität vorangestellt. Obwohl die Akzidenzien dem Seienden eine qualitative Individualität übertragen, können sie dennoch nicht eine numerische Einheit der Substanz determinieren, da die Individualität der Substanz zuzuschreiben ist. Auf dieser

53 Ebd., n. 79 (ed. Vat. VII, S. 428): „Sed contradictio est eandem substantiam manentem esse duas substantias, sine mutatione substantiali, et hoc tam successive quam simul, – quod tamen sequitur si per aliquod accidens esset formaliter ‚haec substantia‘: tunc enim succedente accidente accidenti, eadem substantia non mutata esset successive duae substantiae“. 54 É. Gilson, Giovanni Duns Scoto. Introduzione alle sue posizioni fondamentali, hrsg. v. C. Marabelli und D. Riserbato, Jaca Book, Mailand 2008, S. 476. 55 Vgl. Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. VII c. 1, 1028a ­37–1028b 2, 124: „Et scire tunc singula maxime putamus, quando quid est homo cognoscimus aut ignis, magis quam aut quale aut quantum aut ubi, quoniam et horum eorundem tunc singula scimus, quando quid est ipsum quale aut quantum scimus“. 56 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 4, n. 87 (ed. Vat. VII, S. 432): „Eo modo substantia est prior naturaliter omni accidente, quo est subiectum omni accidenti“. 57 Ebd., n. 82 (ed. Vat. VII, S. 429). Aristoteles unterstützt, dass die Akzidenzien nicht per se existieren, sondern lediglich ausgehend vom individuellen Wesen affirmiert werden können: Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. V c. 9, 1018a 1, 96.

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Grundlage kann Scotus folgendes annehmen: „ergo convenit substantiae primae, ex ratione sua, quod sit ‚haec‘ prius naturaliter quam determinetur aliquo accidente“58. Das Wesen ist den Akzidenzien vorangestellt, denn diese können nur durch die Substanz, der sie zugehörig sind, bestimmt werden. Alles Wesenhafte ist von Natur aus einem konkreten Ding vorausgehend und somit kann die Quantität, die ein Akzidenz ist, nicht für die Aufteilung einer Spezies in einzelne Individuen verantwortlich sein59. Ein Akzidenz kann lediglich die Substanz determinieren, aber es kann diese nicht individuieren, weil es selbst noch nicht individuell ist. Darüber hinaus ist die Quantität einer Spezies nicht inhärent, da diese in subjektive Teile teilbar ist60. Die Quantität ist nicht verantwortlich für die Teilung innerhalb der Spezies in subjektive Teile, da ein Teil niemals die gesamte Quantität an sich sein kann. Dennoch ist ein Teil stets seine bestimmte und gesamte Quantität, ebenso wie ein „subjektiver Teil“ stets sein Ganzes ist. Aus der quantitativen Unterteilung folgt nicht, dass der „Teil“ Ausdruck des „Ganzen“ ist; der geteilte „Teil“ bleibt nämlich als „Teil“ des „Ganzen“ bestehen. Nehmen wir folgendes, rein hypothetisches, Beispiel der Verdeutlichung halber an: Könnte man ein Individuum unterteilen, so wären diese Einzelteile niemals der Ausdruck des „Ganzen“, sondern lediglich Ausdruck des einen präzisen „Teiles“. Aus diesem Beispiel folgt, dass das Prinzip, welches wir suchen, in sich die Möglichkeit haben muss, eine Spezies in „subjektive Teile“ (Individuen) zu unterteilen, von denen jedes Einzelne ein Ausdruck des „Ganzen“ ist. Die Unterteilung der Spezies in „subjektive Teile“ führt dazu, dass jeder einzelne Teil eine „in sich geschlossene Einheit“ sowie numerisch ein Einzelnes darstellt. Gerade diese Teilung muss daher von Natur aus substantiell, sprich wesentlich, sein und muss damit einen Anteil an der Hierarchie, ebenso wie die anderen Substanzteilungen, haben. Dieser Argumentation folgend, kann man deduzieren, dass diese Funktion sicherlich nicht der Quantität eines Seienden attribuiert werden kann. Die quantitativen Teile besitzen von Natur aus eine andere Beschaffenheit, als die subjektiven Teile: Während erstere undeterminiert sind, sind letztere von Natur aus in sich geschlossen sowie determiniert. Aufgrund dieser Tatsache ist es folglich nicht möglich, dass sie etwas determinieren oder individuieren können. Die Quantität kann aufgrund ihrer „Quiddität“ somit nicht als Individuationsprinzip fungieren und damit ist es auch „impossibile per aliquod accidens substantiam esse individuam“61. Die Individualität ist etwas grundsätzlich Ursprünglicheres, weshalb es unmöglich ist, sie aus einem Akzidenz wie der Quantität herzuleiten.

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Ebd. (ed. Vat. VII, S. 431). Ebd. (n. 83). 60 Ebd., n. 105 (ed. Vat. VII, S. 443): „Sed quantitas non inest formaliter speciei in quantum est divisibilis in partes subiectivas; igitur ipsa non est ‚ratio formalis‘ divisibilitatis talis totius in partes tales“. 61 Ebd., n. 111 (ed. Vat. VII, S. 446). 59

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2.5. Die Unmöglichkeit der „Materie“, das Kompositum zu individuieren62 Da wir das principium individuationis in der Tiefenstruktur des substantiellen Seins aufsuchen, könnte man vermuten, dass die Individualität von der Materie abhängt. Schließlich ist diese eines der konstitutiven Elemente der substantia. Scotus beobachtet, wie aufgrund eines Textabschnittes aus der aristotelischen Mataphysik, nach welchem einige Seiende die „Einheit der Anzahl nach konstituieren und zwar diejenigen, die eine einzige Materie besitzen“63, zahlreiche Denker fälschlicherweise zu dem Schluss kamen, dass Aristoteles die substantia materialis aus der Materie herleite64. Die scotistische Opposition zielt auf eine Widerlegung dieser Interpretation ab und will gleichzeitig beweisen, wie die These bezüglich der Herleitung der Individuation aus der Materie nicht von aristotelischen Texten stammen kann65. Wenn das Fundament der Einheit, von welcher Aristoteles spricht, tatsächlich in der „Materie“ aufzusuchen ist, so ist es zunächst notwendig, diesen Begriff zu semantisieren. Die Materie kann entweder als „undeterminiert und nicht verschiedenartig“, oder als „verschiedenartig und determiniert“ aufgefasst werden: Im ersten Fall kann sie kein Konstitutivum für ein determinierendes Prinzip sein, da sie nicht individuell ist – sie ist kein haec66. Im zweiten Fall kann die Materie, welche quantitativ signata67 ist, nicht der entscheidende Punkt zur Individuation 62 Ebd., q. 5, n. 129–141 (ed. Vat. VII, S. 458–463); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 5, n. 125–138 (ed. Vat. XVIII, S. 268–273). 63 Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. V c. 6, 1016b 32–33. Dieser Abschnitt befindet sich in einem Kapitel, in welchem Aristoteles Gründe liefert, die dazu führen, dass Dinge als „eines“ definiert werden können. Daraus ergibt sich, dass Aristoteles das „eines-Sein“ der Dinge der Anzahl nach bestätigt, sofern die Materie eine einzige ist. Wir können diesen Abschnitt nicht dahingehend interpretieren, dass Aristoteles von der Individuation durch die einzige Materie ausgeht, da er nicht von einer Individuation spricht, sondern von einer „Einheit“ eines gesamten, dauernden Individuellen. 64 Um diese Meinung zu stützen, bezieht sich Scotus auch auf weitere Texte aus der Metaphysik, mittels welcher man interpretieren kann, dass Aristoteles die Materie als Individuationsprinzip erachtet: Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. VII c. 8, 1035b 27–31, 141; lib. XII c. 8 1074a 31–34, 218. Egidio Romano ist einer der Denker, die den Ursprung der Individuation entweder in der Materie, oder in der Quantität sehen: vgl. M.  Pickavé, The Controversy over the Principle of Individuation in Quodlibeta, cit., S. 35–43. 65 Vgl. W.  Charlton, Aristotle and the Principle of Individuation, Phron 17  (1972), S. ­239–249. Der Autor formuliert einige Vorbehalte hinsichtlich der Anzahl der Denker, die von einem aristotelischen Individuationsprinzip mit einer einzigen Materie ausgehen. 66 Für Scotus ist die Materie kategorisch als Ursprung der Individuation ausgeschlossen, weil „[sed] quod non est in se distinctum nec diversum, non potest esse prima ratio diversitatis vel distinctionis alterius“: Ord. II, d. 3, p. 1, q. 5, n. 131 (ed. Vat. VII, S. 458). 67 Für das Problem der Materie in den aristotelischen Schriften, verweise ich auf H. Seidl, Sulla concezione della materia in Aristotele e S. Tommaso D’Aquino, in: M. S. Sorondo (ed.),

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sein, und zwar aufgrund der Argumentation, die wir bereits in Bezug auf die quantitativen Akzidenzien ermittelt haben. Wenn das letzte Fundament in der Materie auszumachen ist und sofern dieses Fundament vollständig indeterminiert ist, so folgt daraus, dass die Materie weder der Grund für die Diversität, noch für die Individuation sein kann. Kallias und Sokrates68 sind zwei ontologische Komposita, die aus Materie und Form bestehen. Letztere ist in beiden gleich und stellt sicher, dass Kallias und Sokrates nicht in der Form bestehen können, sondern lediglich in ihrem Gegenteil, welches die determinierte Materie – nämlich die körperliche – ist. Durch die Form hat jedes Individuum den eîdos eines Menschen und durch die determinierte Materie ist das spezifische menschliche Wesen vervielfacht. Aristoteles beabsichtigt damit auszudrücken, dass dieser Mensch von einem anderen verschieden ist, weil sein Fleisch und Blut anders sind. Wir können daher die Vermutung anstellen, dass diese Quantität von Fleisch und Blut von der anderen unterschieden ist, weil sie diesen einen Menschen ausmacht und nicht einen anderen. Allerdings besitzt die determinierte Materie allein nicht die Fähigkeit den Menschen an sich zu konstituieren. Als gemeinsames Prinzip ist die Materie in jedem Individuum gleich und ist von der Form determiniert; daher kann sie nicht allein das Kompositum aus sich heraus bestimmen. In der Tat berücksichtigt Aristoteles in seiner Unterstützung der „et eorum que sunt in eadem specie diversa, non specie sed quia singularium aliud, tua materia et species et mouens et mea, uniuersali autem ratione eadem“69, die Differenzierung sowohl von der Form, als auch von der Materie, ebenso wie ihre Einheit auf gemeinsamer Ebene70. Es ist nicht möglich, dass die Materie einer zusammengesetzten Substanz ein konstitutives Element ist und gleichzeitig dasjenige darstellt, was das Zusammengesetzte individuiert, weil ein Teil nicht etwas individuieren kann, an dem es selbst einen Anteil hat. Sowohl Form, als auch Materie konstituieren die Spezies der zusammengesetzten Wesen. Dennoch kann keine der beiden für die Individuation in Betracht gezogen werden. Obwohl es sich um einen grundlegenden Konstituenten der substantia materialis handelt, kann das Zusammengesetzte kein „an sich“ sein. Selbiges gilt für die Materie, da sie nicht der Grund unterschiedlicher Dinge sein kann71. Da sie mehreren Individuen gleichermaßen zukommt, erfüllt sie nicht die Physica, cosmologia, Naturphilosophie. Nuovi approcci (Dialogo di filosofia, 10), HerderUniversità Lateranense, Rom 1993, S. 15–36. Mittels der Anaylse der Differenz zwischen der determinierten und der undeterminierten Materie bestätigt Seidl die thomistische Position, der stets „die Materie als das Prinzip der Individuation [der stofflichen Dinge] annahm“ (ebd., S.33). Vgl.auch ders., Metafisica e realismo. Dibattito su critiche moderne alla metafisica tradizionale e al suo realismo (Dialogo di filosofia, 11), Lateran University Press, Città del Vaticano 2007, S. 46–47. 68 Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. VII c. 8, 1034a 5–8. 69 Ebd., lib. XII c. 5, 1071a 27–29. 70 Ord. II, d. 3, p. 1, q. 5, n. 138 (ed. Vat. VII, S. 462). 71 Vgl. ebd., n. 136–139 (ed. Vat. VII, S. 461–462).

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Bedingung der Unwiederholbarkeit und der Einzigartigkeit, die das Individuum zu einem in sich geschlossenen „das“ werden lassen sollte. Man könnte nun erwarten, dass Scotus jetzt sein Augenmerk auf die „Form“ richtet – was allerdings unerfüllt bleibt. Dies markiert einen der grundlegenden Unterschiede zwischen der Ordinatio und den Quaestiones super Libros Metaphysicorum. Die Materie wird erst dann individuell, wenn das einzelne Kompositum auf die Individualität von einem anderen „originärem“ Prinzip zusammengezogen wurde, welches die Funktion der Kontraktion der gemeinsamen Natur auf die Singularität hat.

2.6. Die ultima realitas entis und die distinctio formalis ex parte rei In der Quaestio 6 stellt Duns Scotus die Frage, ob die substantia materialis durch eine positive Entität zu ermitteln / individuieren ist, welche die Funktion eines Zusammenzuges der gemeinsamen Natur (Spezies) hat, damit diese singulär und nicht mitteilbar wird (Individuum)72: Die Einheit dieser positiven Entität muss sich notwendigerweise mit der spezifischen Einheit der gemeinsamen Natur einigen; somit könnte aus ihrer Einigung das konkrete Individuum entstehen73, welches intrinsisch „eines“ sowie in sich vollkommen ist. Diese Vollkommenheit der individuellen Einzigartigkeit führt dazu, dass diese Entität eine positive Konnotation innerhalb der substantiellen Ordnung annimmt, da das Abweisen der Teilbarkeit eine Vollkommenheit der individuellen Einzigartigkeit bedeutet. Wir haben weiter oben festgestellt, dass weder die negatio duplex (q. 2), noch die existentia (q. 3), noch die quantitas (q. 4), noch die materia (q. 5) als mögliche Faktoren der Individuation fungieren, da die Individualität nicht in der gemeinsamen Natur, aber auch nicht im Akzidenz eines Seienden ansässig sein kann. Dies liegt daran, dass beide nicht ausreichend sind, um zu erklären, aus welchem Grund ein Individuum nicht in diverse subjektive Teile teilbar und somit von allen anderen unterschieden ist. Daher unterstützt Scotus die Notwendigkeit, dass eine

72 Ebd., q. 6, n. 142–211 (ed. Vat. VII, S. 463–494); Lect. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 139–195 (ed. Vat. XVIII, S. 273–293). 73 Vgl. ebd., n. 169 (ed. Vat. VII, S. 474–475): „Sicut unitas in communi per se consequitur entitatem in communi, ita quaecumque unitas per se consequitur aliquam entitatem; ergo unitas simpliciter (qualis est ‚unitas individui‘ frequenter prius descripta, scilicet cui repugnat divisio in plures partes subiectivas et cui repugnat ‚non esse hoc, signatum‘), si est in entibus (sicut omnis opinio supponit), consequitur per se aliquam per se entitatem; non autem consequitur per se entitatem naturae, quia illius est aliqua unitas propria et per se, realis, sicut probatum est in solutione primae quaestionis; igitur consequitur aliquam entitatem aliam, determinantem istam, et illa faciet unum per se cum entitate naturae, quia ‚totum‘ cuius est haec unitas, perfectum est de se“.

2. Die ultima realitas entis 

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positive Entität die gemeinsame Natur insofern individualisiert, als das Ergebnis dieses Zusammenzuges ein in sich individuelles, einzigartiges und unwiederholbares Seiendes ist74. An diesem Punkt fehlt nun eine Definition der inneren Natur dieser „positiven Entität“, welche in der Lage ist, das Individuum von der Spezies abzuheben und damit einen Beitrag zu seiner vollen Realisierung innerhalb der Ordnung der Geschöpfe zu leisten. Tatsächlich definiert Scotus nicht den metaphysischen Status dieser Entität: Anders formuliert, verleiht er ihr keine spezifische Bezeichnung im Inneren der wesentlichen Ordnung, sondern er versucht die Beziehung zwischen dem Individuationsprinzip und der gemeinsamen Natur zu definieren. Und in der Tat wird dieses nicht der gemeinsamen Natur als etwas Externes hinzugefügt, im Gegenteil muss es von innen sein ganzes Sein investieren, um der realen Einheit des Individuums seinen Anfang ermöglichen zu können. Die einzige Textpassage, in welcher Scotus seine Lösung explizit nennt und erklärt, was er mit „positiver Entität“ meint, ist die Folgende: „Et si quaeras a me quae est ista ‚entitas individualis‘ a qua sumitur differentia individualis, estne materia vel forma vel compositum, – respondeo: Omnis entitas quiditativa – sive partialis sive totalis – alicuius generis, est de se indifferens ‚ut entitas quiditativa‘ ad hanc entitatem et illam, ita quod ‚ut entitas quiditativa‘ est naturaliter prior ista entitate ut haec est, – et ut prior est naturaliter, sicut non convenit sibi esse hanc, ita non repugnat sibi ex ratione sua suum oppositum; et sicut compositum non includit suam entitatem (qua formaliter est ‚hoc‘) in quantum natura, ita nec materia ‚in quantum natura‘ includit suam entitatem (qua est ‚haec materia‘), nec forma ‚in quantum natura‘ includit suam. Non est igitur ‚ista entitas‘ materia vel forma vel compositum, in quantum quodlibet istorum est ‚natura‘, – sed est ultima realitas entis quod est materia vel quod est forma vel quod est compositum“75.

Die entitas individualis ist weder aus der Materie, noch aus der Form, noch aus der Zusammensetzung aus Form und Materie ableitbar. Sie schöpft nämlich ihren Ursprung aus der „ultima realitas entis“. Die Individuation findet somit ihr ontologisches Fundament in der letzten Realität des Seienden insofern als das individuelle Sein nicht zurückführbar ist auf das von der Materie oder von der Form abstammende generische Sein. Dies führt dazu, dass die entitas individualis ihrer wesentlichen Struktur nach formal von der spezifischen Natur der Spezies unterschieden ist, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen Teil (Materie oder Form), oder um ein konkretes Gemeinsames aus Materie und Form handelt. Das Individuum entsteht somit als Ergebnis der Vereinbarung aus der gemeinsamen Natur (Spezies) und der entitas individualis. Einerseits ähneln sich diese beiden Komponenten, und zwar aufgrund ihrer Unteilbarkeit, andererseits sind sie aber 74 Vgl. ebd., n. 170 (ed. Vat. VII, S. 475): „Igitur erunt entitates positivae, per se determinantes naturam“. 75 Ebd., n. 187–188 (ed. Vat. VII, S. 483–484; unser Fettdruck).

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

auch grundverschieden. Diese Verschiedenheit manifestiert sich darin, dass die spezifische Entität der gemeinsamen Natur in quantitative Teile teilbar ist, wohingegen dies für die individuelle Entität nicht zutrifft. Beide sind somit formal durch eine distinctio formalis ex parte rei voneinander unterschieden76, sodass die Singularität des Individuums und seine gemeinsame Natur unauflöslich miteinander verbunden sowie ontologisch unteilbar sind. Diese distinctio formalis darf allerdings nicht mit der realen Unterscheidung zwischen zwei „Dingen“ (res et res) verwechselt werden. Die individuelle Differenz verhält sich nicht zu der gemeinsamen Natur, wie eine res zu einer anderen, sondern vielmehr steht sie in einem vergleichbaren Verhältnis wie ein Aktuales zu einem Potenzialen in ein und demselben Seienden. Aus diesem Grund betont Scotus, dass die individuelle Differenz keine Form sein kann, die der spezifischen Natur hinzugefügt wird und definiert folgendermaßen das principium individuationis: es ist die „letzte [die unterliegende] realitas formae“77, nicht jedoch eine „individuelle Form“; die Individualität kann nicht die „Form“ (in dem Moment, sobald alle Formen nachvollziehbar sind) sein, sondern sie ist die finale Realität der Form, die die Form selbst vervollständigt. Würde man das principium individuationis als eine individuelle Form definieren, so würde man dieses als eine res erachten, die einer anderen res (spezifische Natur) hinzugefügt wird. Die gemeinsame Natur und die individuelle Differenz müssen über eine formale Unterscheidung erfasst werden, die sich jedoch nicht zwischen res manifestiert, sondern zwischen diversen Perfektionen einer gleichen Form – die von Scotus als realitates oder formalitates78 definiert werden – ebenso wie die Komposition der aktualen und potenzialen Realität in einem und demselben Ding: ex realitate et realitate actuali et potentiali in eadem re 79. Die innere Beziehung zwischen der gemeinsamen Natur und der individuellen Differenz anzuerkennen, gleicht nicht nur ihre Unterschiede aus, sondern trägt auch dazu bei, dass nicht mehr der gemeinsamen Natur unterliegende Individuum dahingehend aufzubauen, die letzte und höchste Perfektion der Schöpfung zu sein.

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Zwei Entitäten sind formal untereinander unterschieden, sofern sie konstitutive Elemente einer einzigen und gemeinsamen Realität darstellen. Aber keine der beiden kann weder per se existieren, noch in die von der anderen definierten Darstellung hineinfallen. Bezüglich der formalen Unterscheidung laut Scotus, vgl. W. Park, Common Nature and Haecceitas, FS 71 (1989), S. 188–192. 77 Ebd., n. 180 (ed. Vat. VII, S. 479): „Quoad hoc ista realitas individui est similis realitati specificae, quia est quasi actus, determinans illam realitatem speciei quasi possibilem et potentialem, – sed quoad hoc dissimilis, quia ista numquam sumitur a forma addita, sed praecise ab ultima realitate formae“. 78 Ebd., n. 188 (ed. Vat. VII, S. 484): „Nec possunt istae duae realitates esse res et res, sicut possunt esse realitas unde accipitur genus et realitas unde accipitur differentia (ex quibus realitas specifica accipitur), – sed semper in eodem (sive in parte sive in toto) sunt realitates eiusdem rei, formaliter distinctae“. 79 Ebd., n. 189 (ed. Vat. VII, S. 484).

3. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum  

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Die Originalität dieser Lösung besteht darin, dass Scotus die Individuation in der Tiefe des substantiellen Seins ausmacht, und zwar kraft einer „transzenden­ talen“ Vision, deren ontologische Basis in der letzten Realität der Form liegt: Das Fundament der Individuation muss in der letzten Realität des Seienden auffindbar sein. Über die distinctio formalis ex parte rei weiter zu eruieren, hilft uns zu verstehen, wie irreführend es ist, sich zu fragen, was das principium individuationis für Scotus ist. Für unseren Denker bedeutet das Prinzip der Individuation nicht ein „Ding“ (res), das extern der gemeinsamen Natur hinzugefügt wird, um sie somit zu individualisieren. Es handelt sich vielmehr um etwas (oder besser um eine entitas) Inneres und Fundierendes in der Natur selbst des Seins: Dies ist eine neue Modalität das Sein aufzufassen, fernab von dessen kategorialer Ordnung. Hinsichtlich der Originalität dieser neuen scotistischen Lösung des Individuationsprinzips unterstreicht Timotheus Barth, welcher als erster systematisch sämtliche Werke von Scotus analysiert hat, dass „er über die noch kategoriale Bestimmung (vor einer Formalität her) hinausschreitet und versucht, die Individualität transzendental-ontologisch als positive Entität zu bestimmen“80. Wir können an diesem Punkt bereits vorausgreifen, dass Edith Stein dieses innere Fundament mit dem „leeren“ Teil (steinischer Terminus) des Seins identifiziert, welcher dazu vorgesehen ist mit subjektiven, jedem Individuum eigenen, Determinationen „befüllt“ zu werden, damit dieser einzigartig und unwiederholbar im Verhältnis zu seinen Ähnlichen ist. Diese Singularität ist die einzige, die dazu in der Lage ist, das Fundament der individuellen Realität verständlich werden zu lassen.

3. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13): Analyse der Schwierigkeiten Obgleich die Ähnlichkeiten, welche zwischen den Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13)81 und der Ordinatio bestehen, berücksichtigt werden, bleibt dennoch zu unterstreichen, dass die in der quaestio 13 verwendete Terminologie von der in der Ordinatio enthaltenen Lösung abweicht. Zu den Ähnlichkeiten zählt beispielsweise der Bezug auf die zentrale Thematik der gemeinsamen Natur, welche ein principium individuationis benötigt, obwohl sie eine weniger-als-numerische, reale Einheit besitzt. Das Individuationsprinzip identifiziert sich in etwas

80 T. Barth, Individualität und Allgemeinheit bei Duns Skotus. Eine ontologische Untersuchung, WiWei 19 (1956), S. 129. 81 Eine erschöpfendere Darstellung der quaestio 13 liefert die Studie von G. W. Salamon, Una „quaestio“ di Scoto intorno alla natura di una cosa. Analisi di „Quaestiones super ­Libros Metaphysicorum Aristotelis“, in: Religioni et doctrinae. Miscellanea di studi offerti a Bernardino de Armellada in occasione del suo 80º compleanno (Bibliotheca Seraphico-Capuccina, 89), Istituto Storico dei Cappuccini, Rom 2009, S. 301–345.

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

Positivem und mit der Verbindung einer spezifischen Natur wird die gemeinsame Natur somit individuell. Es bleibt nun übrig zu entscheiden, welche der beiden möglichen Lösungen – die ultima realitas entis (Ordinatio) oder die forma individualis (QM) – den Kulminationspunkt scotistischer Reflexion über dieses Problem bedeutet. Berücksichtigt werden natürlich in diesem Zusammenhang auch die doktrinären Positionen, die sich aus der einen, oder aus der anderen Position ergeben.

3.1. Das principium individuationis: Terminologische Diversifikation Im Kontext der Individuation – q. 13 (QM) – bestätigt Scotus, dass das Individuum bestimmt ist durch die Verbindung aus der gemeinsamen Natur und der „forma individualis“. Im Nachtrag zur q. 13 (nn. 115–181) führt Scotus eine neue Terminologie des principium individuationis ein: Es spricht nicht mehr von einer forma individualis, sondern von einem gradus individualis. Zugleich definiert er das Verhältnis zwischen der gemeinsamen Natur und dem Individuationsprinzip als eine continentia unitiva. Zu dieser terminologischen Varietät ist noch der Begriff haecceitas hinzuzufügen, ein Terminus, welcher üblicherweise Scotus attribuiert wird, allerdings ausschließlich in der q. 13 vorkommt, während er in Ordinatio / L ectura im Kontext der Individuation ausbleibt. 3.1.1. Die forma individualis Nach einer akkuraten Widerlegung der von seinen Vorgängern etablierten Doktrinen bezüglich der Individuation, formuliert Scotus in der quaestio 13: Utrum natura lapidis de se sit haec vel per aliquid extrinsecum82, dass das principium individuationis von der „Form“ konstituiert ist, welche als einzige zu einer Determinierung der gemeinsamen Natur in der Lage ist, wodurch das „dieses hier“ individuell wird. Dies geht aus folgendem Abschnitt hervor: „quod natura est haec per substantiam aliquam quae est forma; et prior hic lapis, et per formam individualem distinguitur ab alio individuo. Intellige hanc conclusionem sicut postea exponitur“83.

Die gemeinsame Natur ist somit im Inneren der substantiellen Ordnung mittels der Form individuiert. Wir wissen, dass das Individuum das Ergebnis der Verbindung von der spezifischen Natur, welche per se nicht individuell ist, und der

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Ioannes Duns Scotus, Quaestiones super Libros Metaphysicorum Aristotelis, lib. VII, q. 13, n. 1–181 (IV, S. 215–280). 83 Ebd., n. 84 (IV, S. 246; unser Fettdruck).

3. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum  

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individuellen Entität ist. Dennoch ist hier die Individualität durch eine determinierte Form erreicht, und zwar durch die eigene forma individualis84, aufgrund derer sich ein konkretes Individuum innerhalb seiner Spezies von den anderen, ihm ähn­lichen, unterscheidet. Diese forma individualis ist der gemeinsamen Natur „hinzugefügt“: Die Hinzufügung der Form führt dazu, dass ein Individuum genau dieses eine wird und nicht ein anderes. Die forma individualis ist in ihrer Funktion der Determinierung des Individuums (bzw. des konkreten hoc aliquid), nicht die alleinige verantwortliche Komponente, da auch die gemeinsame Natur zu der Determinierung beiträgt. Dennoch ist das Individuum, welches einer gemeinsamen Natur angehört, nicht vollkommen eines mit dieser, sondern trägt in sich etwas Einzigartiges: Scotus identifiziert dies mit der forma individualis, die nicht in der gemeinsamen Natur enthalten ist, sondern sich außerhalb dieser befindet. Um ein Individuum zu haben, muss die gemeinsame Natur notwendigerweise von der individuellen Form komplettiert werden. Diese Notwendigkeit gründet sich auf der Tatsache, dass die Individuen ihre individuelle Form grundlegend benötigen, um sich von den anderen Individuen unterscheiden zu können. Das Individuum besitzt die gemeinsame Natur nie in absoluter Weise, da es anderenfalls keine Mehrzahl an Individuen der gleichen Spezies geben könnte. Die individuelle Einzigartigkeit, Resultat der beiden Faktoren, ist ontologisch nicht als einfach aufzufassen, sondern als zusammengesetzt85. Scotus erklärt so das Individuationsprinzip als ein Derivat einer eigenen forma individualis. Diese Lösung ist derjenigen aus der Ordinatio / L ectura direkt entgegengesetzt: in diesen beiden Versionen der distinctio tertia ist das principium individuationis überhaupt nicht als forma individualis definiert, sondern als ultima realitas formae86. Zudem, um jeglichen Zweifel einer terminologischen Konkordanz mit den QM (q. 13) aufzulösen, kann die individuelle Differenz in Ordinatio nicht als eine der 84 In Bezug auf den historischen Kontext des von Scotus verwendeten Terminus forma individualis, vgl. S. Dumont, The Question on Individuation in Scotus’ „Quaestiones super Metaphysicam“, cit., S. 211–212: „Rather, it seems that Scotus appropriates the term from a somewhat older theory of individuation based on the same text of Averroes, reported and rejected by both Bonaventure and Robert Kilwardby. As reported by Bonaventure, this theory holds that individuation occurs through an individual form added to the ultimate specific form. Als is clear from a comparison of passages, this position corresponds verbatim to Scotus own resolution in the Metaphysics“. 85 Vgl. Ioannes Duns Scotus, Quaestiones super Libros Metaphysicorum Aristotelis, lib. VII, q. 13, n. 113 (IV, S. 256): „Ad aliud: quod sicut nullum simplex potest esse species alicuius generis, sic nec aliquid omnino est particulare contentum sub specie, quia individuum habet compositionem speciei, et formam individualem ultra“. 86 Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, wie Alessandro Ghisalberti, der von der ultima realitas formae sowie von der forma individualis spricht, nicht bei deren Differenz innehält, sondern – wie es mir scheint – beide Termini als äquivalent betrachtet. Vgl. dazu Individuo ed esistenza nella filosofia di Giovanni Duns Scoto, in: C. Bérubé (Hrsg.), Regnum hominis et regnum Dei. Acta quarti Congressus Scotistici Internationalis (Studia Scholastico-Scotistica, 6), Bd. I, Societas Internationalis Scotistica, Romae 1978, S. 355–365, insbesondere S. 361.

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

spezifischen Natur hinzugefügte Form angenommen werden, in dem Sinne, dass die Individuation nicht von außen der gemeinsamen Natur hinzugefügt wird, um sie zu individuieren. Lediglich im Inneren des Seins ist es möglich, das höchste und die Singularität des Individuums determinierende Stadium ausfindig zu machen und jegliche kategoriale Determination zu überschreiten. 3.1.2. Von der forma individualis zum gradus individualis Im Nachtrag zur quaestio 13 (nn. 115–181) findet sich die erste terminologische Wandlung in der Definition des principium individuationis, welches nicht als forma individualis, sondern als gradus individualis aufgefasst wird, und zwar im Sinne eines dem Individuum innewohnenden Grades, bzw. einer Intensität87. Diese Position erscheint auch in Ordinatio (Adnotatio Duns Scoti)88 wo Scotus, wie es Katsumi Shibuya beweist, „bereits die Theorie des Grades verlassen hat, da er sie als unzureichend erachtete“89 und zwar aufgrund der Tatsache, dass sich diese Theorie auf die akzidentiellen Formen bezieht, nicht jedoch auf die substantielle Ordnung, innerhalb welcher das Individuationsprinzip aufgesucht werden muss. Der „Grad“ ist per se nicht zu einem Zusammenzug der Natur in der Lage, um sie so zu einem „das“ werden zu lassen, sondern repräsentiert eine progressive Modalität, in welcher dieser nicht die Funktion in sich trägt, ein Seiendes zu einem Singulären zu determinieren. Es wird in diesem Kontext stets von einer inhärenten Gradualität auf der akzidentiellen Ebene gesprochen, welche etwas manifestieren lässt. Die Individualität des sich-Manifestierenden muss jedoch dem Manifestieren vorausgehend sein. Damit ist die substantielle Ordnung ihrem sich-Manifestieren vorangestellt und benötigt eine innere Fundierung, die jedoch nicht vom „Grad“ bestimmt werden kann, da dieser jeglicher Determination nachgestellt ist. Was sich manifestiert, in unserem Fall die Individualität, ist kein hinreichender Grund, um zu erklären, woher die Individualität eines Seienden entspringt. Dies erklärt, weshalb Scotus nicht mehr die Terminologie des gradus individualis verwendet, son 87

Vgl. QM VII, q. 13, n. 131 (IV, S. 263–264): „Et homini, secundum gradum suum proprium, naturaliter priorem gradu singularitatis, non repugnat in multis esse […] numquam separatur ab illa perfectione unitive secum contenta, vel ab illo gradu in quo accipitur differentia individualis“. 88 Ord. I, d. 17, n. 214 (ed. Vat. V, S. 245). 89 K. Shibuya, Duns Scotus „on ultima realitas formae“, cit., S. 379. Der Autor stimmt nicht mit der Lösung von Dumont überein. Dieser geht davon aus, dass die Diversität zwischen Ordinatio und der q. 13 (QM) „can perhaps be dispelled by recognizing that in the Ordinatio individual grade refers only to the grades of intension and remission of accidental forms, while in the Metaphysics Scotus is countenancing some sort of individuating grade in the substantial order. (I think this is in fact the case)“: S. Dumont, The Question on Individuation in Scotus’ „Quaestiones super Metaphysicam“, cit., S. 217. Die Position Dumonts wird auch von G. Pini in seinem Scotus on Individuation, in: „Proceedings of the Society for Medieval Logic and Metaphysics“ 5 (2005), S. 50–69 übernommen.

3. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum  

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dern auf die ultima realitas entis zurückgreift, da allein diese in der Lage ist, das letzte Substrat, oder auch die fundative Realität der Individuation zu bestimmen. 3.1.3. Die  haecceitas Der Terminus haecceitas, von Scotus nie in Ordinatio / L ectura und selten in den Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. 13)90 sowie in den Reportata Parisiensia verwendet, reflektiert den aristotelischen Terminus (tóde ti)91, der das numerisch singuläre und Individuum charakterisiert, wodurch dieses quantitativ als ein hoc definierbar wird. Dem konkreten Individuum (hoc) wird seine Singularität „hinzugefügt“, woraus die haecceitas (Diesheit) folgt, was den Menschen zu diesem einen in seiner unwiederholbaren und einzigartigen Weise werden lässt. Dies führt zu einigen interpretatorischen Schwierigkeiten, denn man könnte nun vermuten, dass „dieses“ Individuum aus der gemeinsamen Natur (hier des Menschseins) durch die externe Hinzufügung der haecceitas hervorgeht. Der Terminus hat einen entscheidenden Nachteil, da er annehmen lässt, dass dasjenige, was die gemeinsame Natur zusammenzieht, nicht nur etwas Externes ist, sondern auch eine abstrakte Qualität, wie die Rationalität. Doch es ergeben sich noch zusätzliche Problemfelder, sobald wir den Begriff haecceitas semantisieren: Das substantivierende Suffix -tas (-tà) hat die Bedeutung eines „das“, daher bedeutet haecceitates „das, was das ist“ – was allerdings in einer Tautologie aufgeht. Ein Neologismus ist ebenso der Terminus, der auf die quidditas verweist und an sich der Determination der ultima realitas entis nachgeordnet ist. Aus diesem Grund werden wir nicht auf den Begriff der haecceitas zurückgreifen, solange wir nicht sicher sind, dass dieser auch tatsächlich in Scotus präsent ist92. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde der Begriff von seinen eigenen Schülern geprägt, welche eine Terminologie festzulegen versuchten, die nicht nur die „positive Entität“ zu definieren vermag, die ansonsten als abstrakt erscheinen könnte, sondern auch in der Lage ist die Meinungen zu kontrastieren, laut welchen die Individuation lediglich von einigen konkreten Elementen wie der Materie, der Quantität, oder auch der Existenz artikuliert ist. 90

Es ist nötig zu betonen, dass der Terminus haecceitas an verschiedenen Punkten auftritt, nicht jedoch im Zusammenhang mit dem Faktor der Individuation. Scotus greift auf diesen Begriff zurück, um sich auf die Individualität zu beziehen und nicht, um primär das Prinzip, oder den Ursprung der Individualität eines Individuums aufzuzeigen. 91 Vgl. Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, cit., lib. VII c. 1, 1028a 11–12, 123; c. 3–4, 1029a 28, 126–1030a 4–6, 128. Aristoteles unterstützt, dass die Substanz dasselbe sei, wie das tóde ti und damit keinerlei Relation brauche, um identifiziert oder individuiert werden zu können. 92 Vgl. É. Gilson, Giovanni Duns Scoto. Introduzione alle sue posizioni fondamentali, cit., 483, Fußnote 69: „L’uso di haecceitas, rara in ogni caso nello stesso Duns Scoto, si è universalizzata nella sua scuola. È un termine comodo, il cui solo inconveniente consiste nel suggerire una ‚cosa‘, piuttosto che l’estrema attualità che determina ciascun essere reale alla singolarità“.

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2. Kap.: Die Frage des principium individuationis  

3.2. Die continentia unitiva – Verbindung der gemeinsamen Natur mit dem principium individuationis Nachdem nun die Anwesenheit der gemeinsamen Natur und des principium individuationis festgestellt wurde, erörtert Scotus nun, wie diese beiden Prinzipien gleichzeitig im Individuum bestehen können. Hierzu schlägt er die Doktrin des vereinheitlichenden Beinhaltens vor. Aus der Verbindung des principium individuationis und der gemeinsamen Natur ergibt sich keine reelle Trennung93, obwohl sie ontologisch verschieden sind. Die beiden Prinzipien können nicht voneinander separiert werden, sondern sie greifen einander in einer continentia unitiva auf94. Das Individuationsprinzip sowie die spezifische Essenz sind beide als einende Inhalte in ein und demselben Individuum definiert. Das Beinhalten verweist auf einen Behälter (das konkrete Individuum), ebenso wie auf dessen Inhalt (die gemeinsame Natur und das principium individuationis). Mit diesem Gedankengang bestätigt Scotus nicht, dass die gemeinsame Natur in sich das Individuationsprinzip enthält, oder vice versa. Vielmehr beabsichtigt er herauszuarbeiten, dass das Individuum beide Prinzipien auf eine einende Weise in sich trägt, woraus folgt, dass jene nicht unabhängig voneinander sein können: Das Menschsein (oder auch gemeinsame Natur) schließt in sich nicht die individuelle Differenz des Sokrates ein, auch nicht die „Sokratesheit“ (Individualität), sondern sie schließt in sich wesentlich das Menschsein ein. Sokrates enthält in sich sowohl die gemeinsame Natur, als auch die „Sokratesheit“ und beide Elemente sind wesentlich für die Konstitution in einem konkreten Individuum95. Die Doktrin des vereinheitlichenden Beinhaltens ist nicht in der Ordinatio präsent, wo die formal unterschiedenen Entitäten (gemeinsame Natur und principium individuationis) durch die „reelle Identität“ im Kompositum vereint sind96.

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Vgl. QM VII, q. 13, n. 131 (IV, S. 264): „Sicut tamen in aliis unitive contentis non est sepa­ ratio realis, nec etiam possibilis, sic natura, cui intellectus tribuit intentionem speciei quae dicta est esse in re et communis – sicut commune est possibile in re –, numquam separatur ab illa perfectione unitive secum contenta vel ab illo gradu in quo accipitur differentia individualis“. 94 Vgl. ebd., n. 136–137 (IV, S. 265): „Naturae in se non repugnat forte separari ab omnibus gradibus individualibus, quia intelligendo naturam sine istis, non intelliguntur contradictoria. Quia tamen in esse repugnat sibi quod separetur ab omnibus, non autem quod separetur ab hac – hoc enim est possibile, ut in illa, et e converso; non ergo potest fieri nisi sub aliquo gradu individuali, quare et ‚ille‘, ‚iste‘ non potest differre re. In hoc conceditur secundum argumentum, et ita stat inseparabilitas propter continentiam unitivam“. 95 Ebd. 96 Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 6, n. 189 (ed. Vat. VII, S. 485): „Secundo modo est necessario compositum, quia illa realitas a qua accipitur differentia specifica, potentialis est respectu illius realitatis a qua accipitur differentia individualis, sicut si essent res et res; non enim reali­ tas specifica ex se habet unde includat per identitatem realitatem individualem, sed tantum aliquod tertium includit ista ambo per identitatem“.

3. Die Quaestiones super Libros Metaphysicorum  

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3.3. Abschließende Bemerkungen Scotus modifizierte sukzessive seine Bezugnahme auf das principium individuationis: Anfänglich, in seinem philosophischen Frühwerk (QM), basiert er auf einer Sicht der Individuation als forma individualis, was Bonaventura zurückgewiesen hat, um im Nachtrag zur quaestio 13 zu einer Wandlung der Terminologie in gradus individualis zu gelangen. Die interne Schwierigkeit dieser terminologischen Wandlung führte zu einer Debatte unter seinen eigenen Schülern, unter ihnen auch William of Alnwick97 und Francesco de Meyronnes98, welche eine mögliche Entwicklung auszumachen versuchten, die eine derartige Wandlung rechtfertigen könnte. Aus diesem ersten Anlauf lässt sich eine neue Modalität der Auffassung des Problems mittels einer systematischeren Reflexion (Ordinatio) herausfiltern, die fähig ist innerhalb der ultima realitas entis den ursprünglichen Kern der Individuation zu erfassen99. Ausgehend von der ausschlaggebenden Frage, was genau das principium individuationis ist, gelangt Scotus dazu, das letzte Substrat zu definieren, von welchem man ausgehen muss, um eine neue Ontologie des Individuums zu begründen. Durch diese Brille ist die Entwicklung der scotistischen Reflexion zu lesen, welche bis an den Punkt gelangt, wo es sich bei der Individuation nicht mehr um ein zu erforschendes Prinzip handelt, sondern eine neue Modalität zur Analyse der Struktur des „Seins“ darstellt. An diesem Punkt können wir ansetzen, um die von Scotus gegebene transzendentale Kehre zur Lösung der Individuation zu begreifen, damit wir verstehen können, wie das Individuum als Person von seinem gründenden Moment, welches auch die konstitutive Ebene seiner individuellen Natur repräsentiert, zu sich selbst gehört. Die ultima realitas entis wird somit zu dem ursprünglichen Ort, welcher es dem Individuum ermöglicht, nicht etwas Allgemeines zu sein, sondern seine Festigkeit in sich selbst zu haben, ebenso wie eine eigene und einzigartige Position im Universum der Schöpfung zu besitzen: Eine partikulare Realisierung eines generischen Konzeptes weicht einer Partikularität per se.

97 Vgl. S. Dumont, The Univocity of the Concept of Being in the Fourteenth Century. John Duns Scotus and William of Alnwick, MS 49 (1987), S. 1–75. 98 Vgl. Id., The Univocity of the Concept of Being in the Fourteenth Century. II. The De ente of Peter Thomae, MS 50 (1988), S. 186–256. 99 Ich verweise auf einige Bemerkungen von K. Shibuya in: Duns Scotus „on ultima realitas formae“, cit., S. 388: „Scotus has already abandoned the older theory of individuation through a forma individualis which he adopted in his Metaphysics and then developed the more refined explanation found in his mature Ordinatio“.

Drittes Kapitel

Die „unberührbare“ Singularität des Menschen  – Die Originalität der Perspektive Edith Steins Die hintergründige Bedeutung des principium individuationis des mensch­lichen Wesens, welches in den Schriften des Doctor Subtilis zum Ausdruck kommt, wurde bereits ausführlich geklärt. Ausstehend ist an dieser Stelle nun das Verständnis des originellen Ansatzes von Edith Stein, welcher eine Neuinterpretation aus phänomenologischer Perspektive vorsieht. Dank der ersten synoptischen Analyse der Ordinatio (qq. 1–6), zusammen mit der q. 13 der scotistischen Abhandlung über das IV. Buch der Metaphysik des Aristoteles, kann bestätigt werden, dass Ordinatio die höchste Stufe der Reflexion Duns Scotus’ zur Individuation ist. Das intrinsische und positive Prinzip des esse essentiae – die entitas individualis – hat die Funktion einer Kontraktion der allgemeinen Natur, indem diese singulär wird. Diese ist weder aus der Materie, noch aus der Form, noch aus dem Kompositum beider ableitbar, da sie ihren Ursprung in der ultima realitas entis findet. Durch die Klärung der von Scotus vorgeschlagenen Lösung konnte ferner verstanden werden, dass wir die Untersuchungen Steins über das individuelle Sein an die scotistische Position aus Ordinatio heranrücken können, und zwar mittels einer „fortsetzenden Lektüre“ der Werke Edith Steins. Hierzu gehören: Zum Problem der Einfühlung; Einführung in die Philosophie; Aus dem Leben einer jüdischen Familie; Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften; Der Aufbau der menschlichen Person; Potenz und Akt und schließlich auch Endliches und ewiges Sein. Die Anwendung eines phänomeno­ logischen Schlüssels zur Interpretation dieser mittelalterlichen quaestio ermöglicht uns eine Annäherung der Termini entitas individualis von Scotus und der aus der steinischen Konkretion entspringenden Singularität der „leeren Form“ entsprechend zu der qualitativen Füllung. Dabei kann ebenfalls die profunde Ähnlichkeit der beiden Denksysteme unterstrichen werden. Zudem erlaubt die spirituelle Wahrnehmung des Fühlens dem menschlichen Wesen in eine „neue Region des Seins“ einzutauchen, wo es mit dem eigenen inneren Blick sein gesamtes „Sichselbst-Sein“, eine unberührbare Singularität, auffasst.

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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1. Die phänomenologische Untersuchung Edith Steins über das individuelle Sein  Die Frage nach dem Wesen des Menschen, welche in die weitreichende Nachforschung über das konstitutive Element der Individualität eingegliedert ist, markiert einen der theoretischen Schlüsselpunkte im Denken Edith Steins. Diesen hat sie, ähnlich wie es auch Hedwig Conrad-Martius1 unternahm, in mehreren Schriften aufgenommen und vertieft. Dies können wir von ihrer Dissertation Zum Problem der Einfühlung2, in welcher sie eine Lücke im husserlschen Ansatz zu schließen beabsichtigte3, bis hin zu ihrem letzten Werk Endliches und ewiges Sein beobachten, in welchem sie im Schlussteil die Frage zur Doktrin des Prinzips der Individuation aufgreift.

1 Aus meinem Forschungsaufenthalt in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (Abteilung Handschriften des Nachlasses von Hedwig Conrad-Martius) habe ich verstanden, dass auch Conrad-Martius an der Frage der Individuation interessiert war, was aus Ms. A XVIII 2 (a) – trans. 2 (b), Individuationsprinzip, 1946 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis. Die Nachlässe der Münchener Phänomenologen in der Bayerischen Staatsbibliothek, verzeichnet v. E. Avé-Lallemant, Tomus X, Pars I, Harrassowitz, Wiesbaden 1975, S. 219) hervorgeht. Für vertiefende Informationen zum Nachlass ihrer Manuskripte, welche von E. Avé-Lallemant geordnet wurden, verweise ich auf meinen Text Hedwig Conrad-Martius. A Philosophical Heredity Illustrated by Eberhard Avé-Lallemant, in: „Axiomathes“ 18 (2008), S. 515–531 (http://www.springerlink.com/openu-rl.asp?genre=article&id=​ doi:10.1007/s10516-008-9044-1) sowie auf meine Bio-bibliographical Note, ibi, S. 533–542 (http://www.springerlink.com/openurl.asp?genre=article&id=doi:10.1007/s10516008-9038-z). Für eine weitere Vertiefung zum Denken von Conrad-Martius und zur Analyse einiger ihrer Manuskripte, verweise ich auf folgende Studien: L’ancoraggio ontico tra „Natura“ e „­Spirito“ nel Das Sein di H. Conrad-Martius. Una questione aperta, in: E.  Baccarini / M. D’Ambra / P.  Manganaro / A. M.  Pezzella (Hrsg.), Persona, Logos, Relazione. Una fenomenologia plurale. Scritti in onore di Angela Ales Bello, Città Nuova, Rom 2011, S. 346–362; Dalla fenomenologia husserliana al „realismo meta-fenomenologico“ di H. Conrad-Martius. Quali sono i „confini“ fenomenologici che vengono „oltrepassati“?, in: D. De Leo (Hrsg.), Pensare il senso. Perché la filosofia. Scritti in onore di Giovanni Invitto (Filosofie, 326), Bd. I, ­Mimesis, Mailand / Udine  2014, S.  43–53; Gli inediti su Edith Stein aprono un nuovo orizzonte di ricerca. Una ricognizione dei carteggi privati di H. Conrad-Martius, H.-L. Van Breda e A.-T. Tymieniecka, in: P. Manganaro / F. Nodari (Hrsg.), Ripartire da Edith Stein. La scoperta di alcuni manoscritti inediti, Geleitwort v. L. Boella (Quaderni per l’Università, 5), Morcelliana, Brescia 2014, S. 413–462. 2 Vgl. E. Stein, Zum Problem der Einfühlung, eingeführt und bearbeitet v. M. A. Sondermann (ESGA, 5), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2008. 3 Wie bekannt ist, bestätigt Stein explizit folgendes: „In seinem Kolleg über Natur und Geist hatte Husserl davon gesprochen, daß eine objektive Außenwelt nur intersubjektiv erfahren werden könne […]. Husserl nannte diese Erfahrung im Anschluß an die Arbeiten von Theodor Lipps Einfühlung, aber es sprach sich nicht darüber aus, worin sie bestünde. Da war also eine Lücke, die es auszufüllen galt: Ich wollte untersuchen, was Einfühlung sei“: vgl. Ead., Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere autobiographische Beiträge, neu bearbeitet und eingeleitet v. M. A. Neyer, Fußnoten und Stammbaum unter Mitarbeit v. ­H.-B. GerlFalkovitz (ESGA, 1), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2002, S. 218–219.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

Unser Ziel ist es, eine mögliche Neuinterpretation aus phänomenologischer Perspektive des konstitutiven und grundlegenden Elements des individuellen Seins zu skizzieren, indem wir die zentralen Momente des philosophischen Werdegangs Ediths Steins verfolgen. Um diesen Weg beschreiten zu können, ist es zunächst notwendig eine innere Haltung der epoché anzunehmen, die von Husserl mit einer „religiösen Umkehrung“4 verglichen wurde: Dabei handelt es sich um eine unerlässliche Voraussetzung, die bislang erzielten Ergebnisse „außerhalb des Kreises“ zu stellen, um das Problem an sich zu „begreifen“ und somit sein eigentliches Wesen ergründen zu können.

1.1. Das „entropathische“ Erlebte: Die eigene Selbstheit in Bezug auf die Andersartigkeit des Anderen Der Ausgangspunkt unserer Arbeit ist Edith Steins Dissertation zum Problem der Einfühlung. Dieser Terminus wurde von Filippini mit dem Begriff „entropatia“, statt mit „empatia“ übersetzt, um den Charakter des Erlebten des Bewusstseins gegen eine psychologistische Interpretation eines sympathetischen Aktes abzusetzen5. Im Einklang mit der Position von Angela Ales Bello und unter Ausschluss jeglicher Interpretation, welche das Konzept der Entropathie der „Einfühlung“ nach Theodor Lipps oder dem „Mitfühlen“ nach Scheler zuschreibt, können wir folgendes festhalten: „Im Individuieren des Erlebten der Entropathie […] behalten die menschlichen Wesen ihre Individualität bei, welche auch fest mit der eigenen Körperlichkeit in Verbindung steht und dies obwohl diese sich gegenseitig erkennen können und miteinander kommunizieren können“6. Dies ist möglich, da das entropathische Erlebte, durch ein stetiges Bekunden des „von mir unterschiedenen“, den phänomenologischen Ursprung des Individuums in dessen doppelter konstitutiver Struktur zu begreifen erlaubt: Nämlich sowohl als „Leib“, als auch als Persönlichkeit. Die Entropathie ist nach Edith Stein keine bloße Wahrnehmung, sondern Akt: Die Wahrnehmung kann selbstständig rein physisch-wahrnehmbare Individuationen annehmen, wodurch sie die verschiedenen „Jene“ und „Diese“ des Körpers

4

E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, hrsg. v. W.  Biemel, Husserliana. Gesammelte Werke, Bd. 6, Nijhoff, Den Haag 19762, S. 140. 5 Vgl. A.  Ales Bello, L’universo nella coscienza. Introduzione alla fenomenologia di ­Edmund Husserl, Edith Stein, Hedwig Conrad-Martius, ETS, Pisa 2003 (erweiterte Neuauflage 2007), S. 141: „Tale atto si distingue dalla simpatia, che è un vissuto ulteriore che può accompagnare o meno l’entropatia, individuata quasi per via negativa, attraverso una serie di distinzioni operate per mezzo dell’evidenziazione di altri atti“. Man beachte auch für eine vertiefende Lektüre der historiographischen Frage des Terminus Einfühlung die Analysen von Ales Bello in Edith Stein o dell’armonia. Esistenza, pensiero, fede, Studium, Rom 2009, S. 77–92. 6 Ebd.

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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unterscheidet. Um jedoch das „Lebende“ konstituieren zu können, ist ein neues Erlebtes notwendig, welches sowohl zum Wahrnehmen, als auch zum „Fühlen“ ist7. In ihrer Analyse der Konstitution des psychophysischen Individuums fragt sich Edith Stein in Bezug auf das reine Ich, was eigentlich mit dem Begriff der Individualität gemeint ist, sofern wir behaupten, dass „es ‚es selbst‘ ist und kein anderes“8. Um zu der Konstitution des individuellen Ich als einheitliches Objekt zu gelangen, müssen wir dessen Selbstheit sowie den eigentümlichen Inhalt erlebter Erfahrung (Erlebnisgehalt) berücksichtigen. Wir könnten die Hypothese aufstellen, dass die einzige qualitative Differenz unseres Erlebten, aufgrund dessen ein jeder zu seiner eigenen Weltanschauung gelangt, ausreichen könnte, um den individuellen Unterschied zwischen einem „Ich“ und einem „Du“ zu erklären. Dies ist jedoch nicht ausreichend, wie es Edith Stein in Bezug auf die Frage nach der Selbstheit darlegt: Diese „ist erlebt und Fundament allen dessen, was ‚mein‘ ist. […] So erfährt das Ich keine Individualisierung, indem ihm ein anderes gegenübertritt, sondern seine Individualität, oder, wie wir lieber sagen wollen, […] seine Selbstheit kommt zur Abhebung gegenüber der Andersheit des andern“9. Die Relation, welche im empathischen Prozess entsteht, ermöglicht es, sich selbst als Individuum zu erkennen. Dies geschieht durch die drei Stufen der Verwirklichung der Empathie, durch welche wir uns einerseits eines außenstehenden Erlebten bewusst werden und andererseits wir mittels der Wahrnehmung des Fühlens uns selbst in unserer eigenen und unberührbaren Singularität leben. Um verstehen zu können, wie wir von dem entropathischen Akt zum Verständnis unserer Individualität gelangen, greifen wir auf ein Beispiel von Stein zurück: „Ein Freund tritt zu mir herein und erzählt mir, daß er seinen Bruder verloren hat, und ich gewahre seinen Schmerz“10. Auf der ersten Stufe erscheint das Erlebte des Schmerzes eines anderen Individuums vor mir – allerdings kann man es nicht „auf eigener Haut“ spüren. Also beschreite ich auf der zweiten Stufe den Weg des Schmerzes des Anderen und beziehe mich dadurch in seinen seelischen Zustand mit ein. Dadurch verliere ich mich in ihm und „erlebe“ den Schmerz, als wäre es mein eigener. Auf der dritten Stufe vergegenständliche ich dieses explizierte Erlebte. Die Einsicht, dass es sich um ein Begreifen der Essenz des Erlebten eines Anderen handelt, eröffnet mir nicht nur die Andersheit des „Du“, welches vor mir steht, sondern auch die Originarität (zweite Stufe)  meiner eigenen Singularität, welche im „Erleben“ des Erlebten eines Anderen sich selbst grundlegend als „Ich“ in seiner Totalität lebt: Somit erfahre ich durch den anderen auch mich selbst. Dies ereignet sich, weil das reine Ich einem doppelten Bewusstsein des Seins entspricht: Kraft des Bewusstseins über das „leben an sich“, das Sein des Subjekts, welches 7 Vgl. A. Ales Bello, Il „singolo“ e il suo volto, in: D. Vinci (ed.), Il volto nel pensiero contemporaneo, Il Pozzo di Giacobbe, Trapani 2010, S. 179. 8 E. Stein, Zum Problem der Einfühlung, cit., S. 54. 9 Ebd. 10 Ebd., S. 14.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

auf eine „punktuelle“ Weise bewusst ist und das Bewusstsein, welches das andere Subjekt von außen her begreift. Auf der zweiten Stufe des empathischen Prozesses entsteht durch das Erleben des fremden Erlebten eine erste gemeinschaftliche Form eines „Wir“. In diesem bewahren sowohl das „Ich“, als auch das „Du“ ihre Singularität bei und sind dadurch in der Lage, sich als ein „Wir“ zu konstituieren. Diese Ausrichtung des Ich konstituiert sich soweit in seiner Ausdehnung als individuelles Subjekt, dass Anna M. Pezzella zu folgendem Schluss gelangt: „Es ist nicht möglich von einem individuellen menschlichen Wesen zu sprechen, ohne dieses als Teil einer Gemeinschaft, in welcher es herangereift und formiert ist, zu denken“11. Aber dieses „Wir“, welches aus dem entropathischen Erlebten heraus konstituiert wird, und zwar im Sinne, dass die Singularität eines jeden gesetzt ist, führt uns notwendigerweise zu der auch von Anna M. Pezzella erläuterten Einsicht, dass „das Individuum zunächst als gemeinschaftliches Wesen geboren wird und sich erst danach als individuelles und singuläres Subjekt begreift“12. Nur der vollständige Besitz der Singularität des Individuums, obgleich diese im entropathischen Erlebten objektiviert wird, kann eine Gemeinschaft entstehen lassen und nicht umgekehrt; ich werde von dem Anderen immer und lediglich mich selbst begreifen können, nicht jedoch den Anderen an sich. Man könnte außerdem noch einwenden, dass derjenige, der nicht die drei Stufen des entropathischen Erlebten leben kann, keine eigene Individualität besitzt. Aber dies fechtet nicht die Tatsache an, dass jeder seine eigene Individualität innehat. Das Problem liegt vielmehr in der Frage, wie dies zu einer Gegebenheit mittels des Fühlens werden kann. Denn im Fühlen wird es meinem eigenen Ich möglich, die eigene Selbstheit auf eine punktuelle und bewusste Weise in Bezug auf andere Selbstheiten zu leben, welche wesentlich von meiner unterschieden sind. Die Individualität als solche wird von jedem Individuum nur als etwas Singuläres verspürt, sofern es sich selbst dergestalt „fühlt“, wie „es selbst ist“. Die Individualität wird darüber hinaus auch in einem anderen verspürt, wenn man von dieser „berührt“ wird. Dank dieser ureigenen Individualität ist das Individuum außerdem Teil einer Lebenswelt, nämlich in einer gegenseitigen Relation mit den anderen, die seinesgleichen und doch von ihm „unterschieden“ sind.

11

A. M. Pezzella, L’antropologia filosofica di Edith Stein. Indagine fenomenologica della persona umana, Città Nuova, Rom 2003, S. 116. 12 Ebd.

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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1.2. Die qualitative Individualität und die Öffnung der ultima solitudo der Gemeinschaft Es ist an dieser Stelle sinnvoll, eine weiterführende Reflexion über die Frage der Singularität anzupeilen, und zwar indem wir eine Schrift von Edith Stein analysieren, welche 1922 im fünften Band des Jahrbuches für Philosophie und phänomenologische Forschung zum ersten Mal unter dem Titel Beiträge zur philo­sophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften13 anlässlich des sechzigsten Geburtstages von Edmund Husserl erschienen ist. Auf Grundlage der bislang erzielten Resultate hebe ich hier lediglich hervor, dass die Geisteswissenschaften die einzigen sind, welche die Person in seiner qualitativen Individualität berücksichtigen. Wir werden, ganz im Gegenteil zur Herangehensweise der Psychologie, im ersten Teil der Beiträge die qualitativen Determinationen des „Kerns“ der Persönlichkeit sowie dessen Voraussetzungen analysieren und im zweiten Teil der Schrift werden wir versuchen, die Punkte der Gedanken Steins zur „unaufhebbaren Einsamkeit“ des Individuums in seiner Singularität zu verfolgen, um die Gemeinsamkeiten mit der scotistischen Doktrin der ultima solitudo aufzuweisen. Ausgehend von diesem Punkt öffnet sich eine neue Möglichkeit für das Individuum sich in einer Gemeinschaft zu konstituieren – und zwar analog zu einer individuellen Persönlichkeit. 1.2.1. Voraussetzungen und qualitative Determinierungen des „Kerns“ im psycho-physischen Individuum Im ersten Teil des Werkes (Psychische Kausalität)14, hebt die Autorin das Prinzip hervor, nach welchem das Individuum einen „Kern“ besitzt. Dieser „Kern“ – losgelöst von jeglichem physischen und psychischen Einfluss – determiniert individuell jedes menschliche Wesen und färbt „qualitativ“ sämtliche Handlungen und Erlebnisse. Jedes psychophysische Individuum findet daher in einem solchen Kern sein eigenes Moment der Individualität, worin die Möglichkeit besteht, die eigene Einzigartigkeit und Singularität zu bestimmen. Den „Bereich“ des Kerns abzugrenzen, entspricht der Überlegung, inwiefern die Singularität des Individuums an sich eine authentische „Qualität“ ist, die sich auf keine quantitative, numerisch formulierbare Individuation zurückführen lässt. Daher können wir von einer qualitativen Singularität sprechen, welche vorausgehend 13 Vgl. E. Stein, Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften (JPPF, 5), Neimeyer, Halle 1922, S. 1–283; Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, Neimeyer, Tübingen 19702; kritische Edition Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, eingeführt und bearbeitet v. B. Beckmann-Zöller (ESGA, 6), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2010. 14 Vgl. ebd., S. 2–116.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

und begründend ist für jegliche individuelle Determination. Diese ontologische Priorität des qualitativen Moments kann anhand der Analyse zweier Voraussetzungen gerechtfertigt werden, welche Stein dem Kern der Persönlichkeit zuschreibt: Die „Konsistenz seines Seins“ und die „bleibende Eigentümlichkeit“. Von der Untersuchung des psychischen Prozesses angeregt, geht Stein davon aus, dass letztere „bestimmt ist durch den ‚Persönlichkeitskern‘, jenem unwandelbaren Seinsbestand, der nicht Resultat der Entwicklung ist, sondern umgekehrt den Gang der Entwicklung vorschreibt“15. Wir können annehmen, dass der Kern des Individuums dessen ontogenetische Quelle darstellt und sich selbst generiert. Dadurch verleiht sie – in dem Maße, wie sie einen ähnlichen „inneren“ Prozess vollzieht – dem ganzen Sein in dessen stetigem und externem Entfalten Bestand. Ein derartiger Prozess kann nicht von der Entwicklung des Individuums beeinflusst werden, da dieser lediglich durch die wiederholte Hinwendung nach innen sein „Tendieren zu“ motiviert. Es ist durchaus möglich, dass jede quantitative Determination daher dem qualitativen und inneren Moment nachgeben muss, wobei es problematisch sein kann, diesen in seiner Totalität zu begreifen und zwar aufgrund der Tatsache, dass wir uns keines raum-zeitlichen Prinzips oder eines quantitativen Elements bedienen können, um ihn vollständig zu definieren. Diese Erkenntnis führt zu einem tiefen Umdenken der Singularität, sodass Edith Stein sich bewusst wird, dass die quantitative Individuation nicht ausreichend ist, um das Problem des principium individuationis zu lösen und interpretiert die Singularität nicht nur im Sinne der Quantität, sondern als ein einzelnes qualitatives Moment, als originäre Essenz, welche in ihrer Entfaltung eine qualitative Erfüllung erreicht. Ein weiteres Element der Unantastbarkeit des Kerns, aus dessen Quelle alles seinen Ursprung erfährt, zeigt Edith Stein in der Tatsache, dass „das geistige Leben eines Individuums durch die Eigentümlichkeit dieses Kerns derart mitbestimmt ist“16. Tatsächlich lebt das Individuum ausgehend von diesem Kern, welcher in der Lage ist, das Individuum zu einer qualitativ unitären „Person“ werden zu lassen. Das spirituelle Leben sowie die Singularität sind qualitative Bestimmungen, welche in ihrem Kern das jeweilige Sein begründen. Die Natur des Kerns als Teil des spirituellen Lebens, losgelöst von jeglichem psychischen und physischen Einfluss, kann sich jedoch nicht mit diesem identifizieren. Die zweite Bedingung des Kerns der Persönlichkeit ist für Edith Stein in seinem Sein als „bleibende Eigentümlichkeit“17 erkennbar, welche auf ein klar determiniertes qualitatives Moment verweist, das trotz jeglicher psycho-physischer Bedingtheit stets weiter besteht. In diesem Zusammenhang ist ein Vermerk Edith Steins über ihre Tante Friederike interessant, die einen schweren Schlaganfall erlitten hat:

15

Ebd., S. 84. Ebd., S. 87. 17 Ebd., S. 89. 16

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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„Hand und Fuß waren gelähmt […]. Allmählich versagte nicht nur die Ausdrucksfähigkeit, sondern auch das Verständnis. […] Aber der Verfall aller geistigen Fähigkeiten konnte den Kern der Persönlichkeit nicht zerstören“18.

Ausgehend von der Kenntnis eines solchen Kerns kann man also vorhersagen, dass der Fortbestand von jeglichem psycho-physischen Prozess vollkommen unabhängig ist. Dadurch ist der Kern auch nicht aus einem solchen Prozess ableitbar und in dem Maß, in welchem er unberührbar und in sich fortbestehend ist, kann er einer gelebten Handlung ihre „Färbung“ geben. Jeder von uns trägt in sich individuelle Potenzialitäten, die vor jeder bewussten Wahl oder einer erlernten Erfahrung existieren. Der télos eines jeden Individuums sowie dessen vollständige Entwicklung sind immer schon in seinem Kern festgeschrieben; der Ursprung, von welchem auszugehen ist, um die Totalität des Seins zu erreichen. 1.2.2. Das individuelle Ich und die ultima solitudo nach Duns Scotus Die Entwicklung unserer Fragestellung gewinnt insbesondere im zweiten Teil des Werkes (Individuum und Gemeinschaft19) mehr an Klarheit, denn hier widmet die Autorin erneut ihre Aufmerksamkeit dem „individuellen Ich“. Dies ist der ursprüngliche und grundlegende Terminus für die Konstitution eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Daher ist es notwendig, zu den bereits erarbeiteten Ergebnissen in Bezug auf das reine Ich zurückzukehren. Vor dem Hintergrund einer progressiven Leseart der Werke Edith Steins ist es nämlich unentbehrlich, die eigene Singularität eines jeden mit neuen Elementen zu umschreiben: Diese Unternehmung ist notwendig, um zu unterstreichen, dass nur wenige Anthropologien die Einzigartigkeit und damit auch den Wert jedes einzelnen Individuums derart betont haben. „Das individuelle Ich ist der letzte Auslaufspunkt alles Bewußtseinslebens. […] sondern zunächst nur das Ich, das dies ist und kein anderes, einzig und ungeteilt“20. Das Individuum trägt in sich strukturell bedingt das Prinzip der Einzigartigkeit, wodurch es einzigartig in seiner Art wird. Zudem kann die Singularität des Individuums weder einem allgemeinen Begriff untergeordnet werden, noch ist es möglich, diese mit allgemeinen Termini auszudrücken. Diese Determinierung zur Singularität, die nicht verallgemeinert werden kann, verleiht dem Individuum insbesondere im Inneren eines gemeinschaftlichen Zusammenlebens eine eigene Position. Darüber hinaus kann das in seiner Einzigartigkeit erlebte individuelle Ich kein zufälliges Charakteristikum der Person sein, sondern es ist der wesentlich

18 Ead., Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere autobiographische Beiträge, cit., S. 13 (Herv. d. Autors in Zitaten in Kursivdruck). 19 Vgl. Ead., Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 116–283. 20 Ebd., S. 119.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

nicht reduzierbare Kern, der das Fundament jeder Aktualisierung konstituiert. In dieser Singularität – dem höchsten und nicht weiter definierbaren Punkt – wird das Individuum auf einzigartige und nicht wiederholbare Weise in sich selbst verankert erlebt. „Eben dieses Ich, das keiner materialen Beschaffenheit bedarf, um sich in seinem Ichsein von allem anderen abzugrenzen, ist es, was wir als reines Ich bezeichnen“21. Da es in seinem Inneren auf eine einzigartige und unwiederholbare Weise konstituiert ist, ist dem Individuum eine ultima solitudo gegeben, was kein Verschließen, sondern ein absolutes „In-sich-gestellt-Sein“ bedeutet. Diese solitudo ist das Ergebnis einer freien Begegnung mit der Tiefe des eigenen Ich. In der Tat hebt Scotus hervor, dass „ad personalitatem requiritur ultima solitudo, sive negatio dependentiae actualis et aptitudinalis“22. An diesem entscheidenden Punkt nähert sich die phänomenologische Forschung der scotistischen Reflexion über die ultima solitudo an – dem ontologischen Ursprung des Seins, der die absolute Autonomie des Individuums markiert: Es ist „höchst wunderbar, wie dieses Ich, unbeschadet seiner Einzigkeit und unaufhebbaren Einsamkeit, eingehen kann in eine Lebensgemeinschaft mit anderen Subjekten“23. Das Individuum ist aufgrund seiner Natur eine in sich geschlossene Monade und dank seiner Einzigartigkeit und der „Anerkennung“ der eigenen Singularität kann es aus sich selbst herauskommen und sich „frei“ den anderen und der umgebenden Welt öffnen24. Allein auf der Grundlage der ultima solitudo wird die Transzendenz des anderen zugänglich; durch die unmittelbare Anerkennung der anderen Singularität, welche niemals mein eigener Besitz werden kann, da diese nie vollständig fassbar ist.

21

Ebd. Ord. III, d. 2, q. 1, n. 17. Scotus, der sich bei Riccardo di San Vittore inspiriert, Scoto, nimmt als Merkmal der Person seine einzigartige und nicht wiederholbare Existenz an. Eine nicht-Mitteilbarkeit / Einsamkeit, welche die Person einzigartig werden lässt; vgl. Ord. I, d. 23, q. un., n. 15 (ed. Vat. I, 355–357): „Quod accipiendo definitionem personae quam ponit Richardus IV De Trinitate, cap. 22, quod est ‚intellectualis naturae incommunicabilis exsistentia‘“. 23 E. Stein, Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 119. Interessant ist zu betonen, wie H. Conrad-Martius in Metaphysische Gespräche die Frage analysiert: vgl. H. Conrad-Martius, Metaphysische Gespräche, Niemeyer, Halle 1921, S. 69: „Diese immanente Verlassenheit, die den Menschen auf Grund seines eigentlichsten Wesens auszuzeichnen scheint. […] Nur würde ich es dahin präzisieren, daß dieses Moment der immanenten Verlassenheit zwar vom Wesen des empirischen Menschen unabtrennbar, für die reine Idee des Menschen aber nur insofern äußerst charakteristisch ist, als das seinsmäßige in sich selbst oder in das eigene Zentrum Gestelltsein jene Möglichkeit in sich schließt – nicht aber mir ihr notwendig verbunden, oder gar identisch mit ihr ist“. 24 Vgl. E. Stein, Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 200–201: „Um in das Wesen der Persönlichkeit einzudringen, muß man sich vor Augen halte, daß die Psyche – des Einzelnen wie der Gemeinschaft – eine merkwürdige Doppelnatur aufweist: Sie ist einmal in sich geschlossene Monade, sie ist andererseits Korrelat ihrer Umwelt, offenes Auge für alles, was ‚Gegenstand‘ heißt“. 22

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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„[…] des individuellen Ich ein Subjekt, das eine Mehrheit von individuellen Ichen umgreift. Gewiß bin ich, das individuelle Ich, von Trauer erfüllt. Aber ich fühle mich nicht allein damit, sondern ich fühle sie als unsere Trauer […]“25.

In diesem Sinne ist das Merkmal der ultima solitudo stets eine „Öffnung zu etwas“ und folglich eine „Solidarität“ mit einem anderen „du“. Aus dem individuellen Fundament wird also die erste gemeinschaftliche Dimension geschaffen und aus der Öffnung zu einem anderen hin entdeckt das Individuum seine wirkliche Individualität, oder um es eindeutiger zu formulieren, seine Identität. Ferner wird dies durch den Umstand bestätigt, dass Edith Stein das gesamte intentionale Leben des Bewusstseins als eine radikale Öffnung zur Welt betrachtet, und zwar zu Verwobenheiten in der Realität (sowohl in der natürlichen Realität, als auch in der individuellen, wie in der sozio-kommunitären und damit spirituellen Realität), die ein freies Konstituieren des Subjekts beschränken: „So erweist sich alles intentionale Leben, sofern es eine dingliche Welt aufbaut, als ein objektiv gebundenes. […] Es ist davon gesprochen worden, daß eine feste Gesetzlichkeit den Verlauf des intentionalen Lebens regele. Wir können sie als Motivationsgesetzlichkeit bezeichnen. Das Subjekt gibt sich diese Gesetze nicht selbst. Es lebt danach und hat nicht die Freiheit, von ihnen abzuweichen (sie selbst begrenzen den Bereich seiner Freiheit). Es stößt darauf, wenn es auf sein eigenes Leben reflektiert und es reflektierend zergliedert. Das Bestehen der Gesetzlichkeit, die das Bewußtseinsleben regelt, ist objektives Sein, d. h. vom Subjekt unabhängiges, und weil es für das Bewußtseinsleben vorausgesetzt ist, a priori“26.

Im Inneren der Reflexion Edith Steins ist, so kann abschließend betont werden, auch die tiefe Nähe zum Thema der „Freiheit“ singulär, wodurch sie an die scotistische ultima solitudo gebunden ist, da diese davon ausgeht, dass der Wert, welcher die einzelnen Individuen dazu führt, sich in einer Gemeinschaft zu konstituieren, „lediglich in Befreiung des Individuums von seiner naturhaften Einsamkeit“27, erfolgen kann. Allein die unbedingte Öffnung, Ergebnis einer freien Anerkennung des Anderen, eliminiert die in der ultima solitudo versteckte Gefahr eines „Solipsismus“28, der das Ich als in sich gekehrt und geschlossen annimmt. Die Öffnung des individuellen Ich zur kommunitären Dimension führte Edith Stein dazu, das Moment der Singularität nicht als Absolutes in einem unilateralen Sinn zu stellen.

25

Ebd., S. 120. Ead., Potenz und Akt. Studien zu einer Philosophie des Seins, eingeführt und bearbeitet v. H. R. Sepp (ESGA, 10), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005, S. 242. 27 Ead., Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 247. 28 In Bezug auf den falschen solipsistischen Abschluss der husserlschen Untersuchung zur Subjektivität, vgl. A. Ales Bello, Edmund Husserl. Pensare Dio, credere in Dio, Messaggero, Padua 2005, S. 48–51; engl. Übers. The Divine in Husserl and Other Explorations, v. A. Calcagno, AHus 98, 2009, S. 33–35. 26

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

1.2.3. Die Ichheit des individuellen Subjekts als „ursprünglicher und letzter Ort“ und die Öffnung zur Dimension außerhalb der Ichheit Das Individuum formiert sich, beginnend bei seiner ultima solitudo, als „Person“29 in einer vollständigen Totalität. Im Inneren dieser gibt es bereits eine Spur einer Öffnung zur gemeinschaftlichen Dimension, außerhalb der Ichheit. Es bleibt nun die Frage offen, ob wir aufgrund dieser Öffnung behaupten können, dass der letzte télos der Person, zusammen mit den individuell erlebten Erfahrungen, seine Vollendung in der Formierung eines kommunitären Subjekts (Gemeinschaft) findet. Im Inneren der Dynamik Person / Gemeinschaft unternimmt Stein den Versuch festzulegen, wie ein kommunitäres Erlebtes entsteht und welche Rolle dabei die individuell erlebten Erfahrungen spielen: „Das Gemeinschaftssubjekt […] ist nicht als ‚reines Ich‘ zu fassen wie das individuelle. Das Gemeinschaftserlebnis entspringt dem Gemeinschaftssubjekt nicht in derselben Weise wie das individuelle Erlebnis dem individuellen Ich, das eben als solch letzte Ursprungsstelle in seiner Ichheit charakterisiert ist. Die Erlebnisse der Gemeinschaft haben letzten Endes, wie die individuellen, ihren Ursprung in den individuellen Ichen, die zur Gemeinschaft gehören“30.

Die Betonung des Ursprungs der gemeinschaftlichen Erfahrung in der individuellen Persönlichkeit entspricht der Überlegung, wie das Wesen der Gemeinschaft immer ausgehend von der Person erlebt werden muss, die in ihrer Individualität – dem letzten Begriff – erfasst wird, um Gemeinschaftserfahrungen zu verstehen. Von diesem Punkt aus bewahrt die Individualität, im Erleben außerhalb sich selbst, die ihr eigene ursprüngliche Autonomie und in dem Maße, in dem sie sich selbst besitzt, ist sie in der Lage andere und von ihr unterschiedene Individualitäten zu erkennen, ohne die Gefahr einer Depersonalisierung. Im Gegenteil kann sie den Raum zur Entstehung einer Gemeinschaft geben, in welcher die einzelnen Individualitäten durch eine gegenseitige Anerkennung zusammenwirken können, um zur Vollendung ihrer Koexistenz zu gelangen: der vollkommenen Harmonie der Entfaltung der eignen Persönlichkeit sowie der der anderen. Wir gehen davon aus, dass die in ihrem Inneren determinierte Individualität nicht nur die Garantie eines Gemeinschaftslebens ist, in welchem das „sich selbst Erkennen“ die spirituelle Aktivität darstellt, wodurch die Mitglieder fähig sind, den jeweils anderen zu erkennen, sondern auch, dass die Individualität nie eliminiert wird, da in ihr 29 Was den Begriff „Person“ betrifft, welcher in der mittelalterlichen Theologie Verwendung findet, um „göttliche Personen“ zu bestimmen, ziehen wir – im Einklang mit A. Ales Bello, Persona, in: L’universo del corpo, Bd. V, Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 2000, S. 59–64 vor – die neue Konnotation zu verwenden, welche dem menschlichen Wesen gegeben wird, um dessen kommunitäres Leben zu betonen. 30 E. Stein, Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 120.

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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das qualitative Wesen der Person, was „hinter“ sämtlicher natürlicher Veranlagung steht, verankert ist. Patrizia Manganaro präzisiert diesbezüglich, dass „die Gemeinschaft die Vielfalt nicht beseitigt, sondern diese einschließt und konstituiert […] und wo Subjekte in Beziehung treten, es auch fruchtbaren Boden für eine Einheit des Lebens gibt“31. Die Beziehung zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft basiert auf einer „gegenseitigen Anerkennung“. Dabei handelt es sich um denjenigen dynamischen Prozess, welcher in der Lage ist das innere Leben unserer Individualität zu öffnen, um uns aus der Begegnung des Erlebten in der Gemeinschaft heraus das Wissen zu ermöglichen, dass die individuellen Erlebniserfahrungen objektiviert sind und dadurch auf einer bewussten Ebene in einer stetigen Erneuerung in einem „sich neigen zu“ vor das Individuum gestellt werden. Die grundlegende Beziehung, welche sich von der Person zu deren Gemeinschaft ergibt, ist von Stein durch „die individuelle Note der konstituierenden Einzelerlebnisse die besondere noetische Eigentümlichkeit des Gemeinschaftserlebnisses“32 bestärkt. Dies geschieht in dem Maße, dass „der Einzelne lebt, fühlt, handelt als Glied der Gemeinschaft, und sofern er das tut, lebt, fühlt und handelt die Gemeinschaft in ihm und durch ihn“33. Von der Einheit individueller Erlebnisse gelangt man so zu einer Entstehung von Erlebnissen einer Gemeinschaft, aber lediglich einige von diesen besitzen die­jenigen Attribute, um ein gemeinschaftliches Erlebnis zu konstituieren. Nicht alles, was Teil der individuellen Sphäre ist, kann auch Teil der Gemeinschaft werden. Stein führt diesbezüglich das Beispiel auf, dass „das ganze Sinnenleben, an sich unfähig ist, ein Gemeinschaftserlebnis zu konstituieren“34, da die Sphäre der Empfindsamkeit, welche nicht an ein gegenseitiges Erleben gekoppelt ist, ihren Sinn verliert, sobald sie die Sphäre der Subjektivität überschreitet. Ebenfalls individuell sind auch die sogenannten ichlichen Daten, welche Stein als einfach subjektiv definiert und bemerkt, „daß es ichliche Daten sind, die uns Werte konstituieren und daß diese Werte eingreifen in unser Innenleben, eine ganz persönliche Bedeutung für uns haben“35. Die individuellen Erlebnisse haben eine gemeinschaftliche Valenz lediglich sofern man nicht nur von einer eigenen individuellen Dimension sprechen kann, sondern auch von einer überindividuellen Sphäre. Es ist in diesem Kontext kein Zufall, dass Stein von folgendem ausgeht: „Phantasie und Phantasiewelt geben sich 31 P. Manganaro, Comunità e comunione mistica, in: A. Ales Bello / A. M. Pezzella (Hrsg.), Edith Stein. Comunità e mondo della vita. Società, diritto, religione, Lateran University Press, Città del Vaticano 2008, S. 140. 32 E. Stein, Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 125. 33 Ebd. 34 Ebd., S. 130. 35 Ebd., S. 147.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

einerseits als schlechthin individuell und relativ auf das einzelne Subjekt, andererseits als überindividuell“36. Die individuelle Komponente ist die „Intuition“ der Phantasie, welche ihren Gegenstand, ihr Objekt, jedem auf eine eigene Art und Weise vorstellt. Die „Intention“ des Gegenstandes hingegen zeigt sich mir ebenso, wie den anderen auch. Trotzdem ist nur der wahrgenommene Gegenstand, auf welchen man gerichtet ist, Teil des individuellen Erlebens. Zunächst wollen wir aber bei der individuellen „Intuition“ des Gegenstandes verweilen, da Stein nämlich zeigt, dass es eine Wahrnehmung der Sache gibt, in welcher „die Subjektsetzung denselben Gegenstand unter einer allgemeinen Bedeutung faßt“37. Diese Bedeutung kann die wesentliche Determinierung bedeuten, oder aber die „leere Form, die den Gegenstand lediglich als Substrat von Bestimmungen hinstellt, seinen inhaltlichen Bestand aber, obwohl er als ein in sich völlig bestimmter gemeint ist, ganz offen läßt“38. Diese leere Form ist nichts anderes als ein determiniertes Substrat, welches zu seiner „Erfüllung“39 durch eine qualitative Befüllung gelangen muss. 1.2.4. Die Gemeinschaft als Analog der individuellen Persönlichkeit Vorausgesetzt, dass die ultima solitudo nichts anderes ist als eine „ontologische Grenze“ des individuellen Seins, so muss hierin nun der Grund erörtert werden, weshalb Individuen sich in der „Welt der Gemeinschaft“ vereinen. Indem sie sich von ihrer natürlichen Einsamkeit, die für ihre Einzigartigkeit konstitutiv ist, loslösen, läuten sie die Entstehung einer Gemeinschaft ein, „was sie zum Analogon einer individuellen Persönlichkeit stempelt“40. Eigentlich handelt es aber eine Abstraktion, das menschliche Wesen als isoliert zu betrachten. Sofern daher Edith Stein in ihren Werken von der Korrelation ich – andere spricht, zieht sie daher folgenden Gedanken vor: „sein Dasein ist Dasein in einer Welt, sein Leben ist Leben in Gemeinschaft“41.

36

Ebd., S. 135. Ebd., S. 137. 38 Ebd. 39 Der husserlsche Terminus, der detailliert behandelt wird in: E. Husserl, Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, hrsg. v. U. Panzer, Husserliana. Gesammelte Werke, Teil 1, Bd. 19/1, Nijhoff, The Hague /  Boston / Lancaster 1984, par. 14. Vgl. auch E. Fink, VI. Cartesianische Meditation. Teil I. Die Idee einer transzendentalen Methodenlehre, hrsg. v. H. Ebeling, J. Holl, G. van Kerckhoven, Husserliana Dokumente, Bd. II/1, Kluwer, Dordrecht 1988, S. 206. 40 E. Stein, Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 200. 41 Ead., Der Aufbau der menschlichen Person. Vorlesung zur philosophischen Anthro­ pologie, neu bearbeitet und eingeleitet v. B. Beckmann-Zöller (ESGA, 14), Herder, Freiburg /  Basel / Wien 2004, S.  134. 37

1. Die phänomenologische Untersuchung  Steins über das individuelle Sein 

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Die Sphäre der Persönlichkeit, welche üblicherweise mit individuellem „Charakter“ bezeichnet wird, macht den individuellen Kern sichtbar. Anders ausgedrückt, muss das Individuum eine Bewegung vom Inneren seines eigenen Kerns nach außen durchführen, wodurch die eigene Singularität durch die Qualität des Charakters explizit wird. Dennoch betont Stein, „daß es gerade zum Wesen der Person gehört, nicht ein bloßer Inbegriff von typischen Eigenschaften zu sein, sondern einen individuellen Kern zu besitzen, der auch jedem typischen Charakterzug ein individuelles Gepräge verleiht“42. Es ist nicht zu bezweifeln, dass „der Kern […] ein schlechthin Individuelles, Unauflösliches und Unnennbares [ist]“43. Ohne eine Objektivierung der Charaktereigenschaften wären wir aber nicht in der Lage die „vor mir stehende“ Singularität zu erfassen und sie würde daher ein unverständliches quoad nos bleiben. Es ist notwendig, ständig von einem „inneren Blick“ begleitet zu werden, welcher in der Lage ist in der eigenen Singularität sowie in derjenigen der anderen, die eigenen Charaktereigenschaften zu erkennen, die ein Ausdruck einer viel tieferen, uns transzendierenden Realität sind. Die innere Andersheit, die sich dem Menschen mit der Möglichkeit öffnet, gerade weil er es an sich erlebt, einer Entdeckung der Transzendenz des alter ego, die analog ist zum unendlichen Sein. Zusammengefasst bedeutet dies, dass in der gegenseitigen Relation des gemeinschaftlichen Erlebens die Person die erste Möglichkeit in Richtung einer tieferen Transzendenz erlebt. Dennoch bedarf die Öffnung zum aktualen Lebendigen der gemeinschaftlichen Dimension einer stetigen Beaufsichtigung der Person, denn „wo die Seele aus der Lebensaktualität ausgeschaltet ist, fehlt dem Verhalten und dem sichtbaren Sein des Individuums die individuelle, oder, wie wir auch sagten, die ‚persönliche‘ Note“44. In diesem Fall wird, wie es Stein betont, das Leben nicht mehr aus dem Kern des Seins heraus kommen, sondern „sein Leben wird von sinnlichen Kräften und evtl. vom Willen getrieben oder auch von fremden seelischen Kräften getragen“45. Nur wenn das individuelle Leben im inneren seines Kerns zentriert ist, ist es möglich von einem „Charakter der Gemeinschaft“ als analog der individuellen Persönlichkeit sprechen. Dennoch „[…] kann von einem ‚Kern‘ der Gemeinschaft überhaupt nicht gesprochen werden. […] sondern dieser weist auf den Kern der individuellen Personen zurück, die sein Fundament bilden“46.

42 Ead., Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, cit., S. 238. 43 Ebd., S. 208. 44 Ebd., S. 212. 45 Ebd. 46 Ebd., S. 249.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens: Die Unberührbarkeit der „Person“  Richten wir nun den Fokus auf das Konzept der „leeren Form“ und der qualitativen Füllung, dem letzten Stadium für das Verständnis der „Singularität“ des Menschen durch die spirituelle Wahrnehmung des Fühlens. Sobald wir die Singularität definiert haben, zeigen wir, inwiefern die Theorie der materia signata quantitate nicht als hinreichend für die Individuierung der spirituellen Seienden betrachtet werden kann.

2.1. Die Individuierung als Möglichkeit zum Überdenken der anthropologischen Frage Vor dem Horizont einer weiter gefassten Entwicklung zum principium individuationis ist es nötig, sich hinsichtlich unserer Fragestellung einige Analysen Steins aus ihren Seminaren vor Augen zu führen, welche sie im Wintersemester 1932/33 in Münster unter dem Titel Der Aufbau der menschlichen Person47 abhielt. Die phänomenologische Forschung sowie das Studium der mittelalterlichen Philosophie ermöglichen ihr die Begründung einer neuen Anthropologie, welche – indem sie sich gegen eine naturalistische Leseart des menschlichen Wesens (positivistische Einstellung) wendet – eine Hilfe für das Verständnis des menschlichen Wesens in seiner vollendeten Totalität darstellen kann. Lediglich „ein Wechsel der Blickrichtung“ ermöglicht es, zum qualitativ determinierten Substrat des Individuums zu gelangen, was der letzten Realität seines Seins entspricht. Von hier aus werden wir weiter fortfahren, um zu bestimmen, wie allein ein „zur Kenntnis nehmen“ des Individuums auf der Grundlage seiner Singularität dieses als ein in sich unüberschreitbares unicum konstituieren kann. 2.1.1. Der „Wechsel der Blickrichtung“ für eine innere Wahrnehmung Die Reflexion über eine neue Anthropologie ergibt sich für Stein aus der Anforderung, die Ergebnisse der phänomenologischen Untersuchungen mit dem neuen Bildungsprojekt in Verbindung zu bringen, welches auf die Bildung des individuellen Wertes der Persönlichkeit abzielt. Es handelt sich um den Versuch einer katholischen Pädagogik, in welcher sich die Methode Husserls mit dem Beitrag der mittelalterlichen Philosophie auf gemeinsamen Boden treffen. Dieser markiert das Studium des Individuums als stratifizierte Realität, wodurch er eine neue Lesart sowie ein Verständnis der individuellen Persönlichkeit bietet. Für ein derartiges 47 Für das vollständige Schema von Der Aufbau der menschlichen Person. Vorlesung zur philosophischen Anthropologie, vgl. Fußnote 41.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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Projekt erachtet Stein folglich eine Anthropologie, die nur von der Naturwissenschaft ausgeht, als unangemessen, denn ein „Exemplar eines Typus sein heißt niemals: restlos aus dem Typus ableitbar und erklärbar sein, […] sondern zeigt ihn in einer individuellen Ausprägung“48. Das Individuum ist nicht als Exemplar, oder eine einfache Wiederholung der „Spezies“ zu betrachten, sondern nur ausgehend von seiner Individualität kann ein Bildungsprojekt aufgebaut werden, welches das Individuum auf seine unwiederholbare Einzigartigkeit fokussiert und es somit über die Spezies sowie über jegliches, allgemeines Gesetz stellt. Das Programm, welches Stein zu entwickeln beabsichtigt, zeichnet sich in dem Moment ab, als sie die Pflicht eines ernsthaften pädagogischen Projekts verspürt, welches gegen das abscheuliche Bild des „Rassenmythos“ des Nationalsozialismus wirken muss: Das Bild dieses „NS-Rassenmythos“, welches im Individuum das Attribut des Individuellen zum Zweck der Entstehung eines allgemeinen Konzeptes vernichten will, begreift das Individuum als einen simplen Schnittpunkt unterschiedlicher Daten (Alter, Geschlecht, soziale Stellung, Volk) und als ein „Produkt“ von Vererbungen sowie Umfeldern. Die Anthropologie Steins ist hingegen durch das Einbringen der Geisteswissenschaften gekennzeichnet, da diese die einzige Möglichkeit bieten, die Individualität im Inneren eines pädagogischen Prozesses49 zu integrieren, in welchem die generische Essenz des Menschen für die menschliche Person als individuelles Subjekt Raum lässt. Die Rolle des Pädagogen50 besteht daher vordergründig aus der Heranführung an einen „Wechsel der Blickrichtung“, welcher in einer ersten äußeren Wahrnehmung das determinierte Substrat des Individuums erreicht und zu einem seelischen Kontakt fähig ist: „Der individuellen Eigenart kann er nur durch lebendigen seelischen Kontakt nahe kommen: […] kann in die Tiefen eindringen“51. Gleichzeitig kann dieser aber nicht den Anspruch einer vollständigen Klarheit über die Natur, welche vor ihm steht, erheben, da es unmöglich ist, die qualitative Dimension seines „wie“ zu „messen“. „[…] Der eigentliche Erzieher [ist] Gott, der allein jeden einzelnen Menschen bis ins Innerste kennt […]“52. Diese pädagogische Handlung ist an das Individuum gerichtet, welches, obwohl es Teil des Ganzen (Spezies) ist, in sich selbst bereits ein Mikrokosmos darstellt. Dessen gesamte individuelle, qualitative Prägung kann weder allgemeinen Konzepten untergeordnet, noch mit allgemeinen Termini ausgedrückt werden. Und auch der Schüler selbst kann kein allgemeines Schema sein: „Für den Zögling, der diese Brechung spürt und der doch nach der unmittelbaren Zuwendung verlangt, 48

Ebd., S. 19 (Herv. d. Autors in Zitaten in Kursivdruck). Vgl. ebd., S. 24. 50 Für eine vertiefende Lektüre sei verwiesen auf: A. M. Pezzella, Lineamenti di filosofia dell’educazione. Per una prospettiva fenomenologica dell’evento educativo, Lateran University Press, Città del Vaticano 2007, S. 85–90. 51 E. Stein, Der Aufbau der menschlichen Person, cit., S. 15 (Herv. d. Autors in Zitaten in Kursivdruck). 52 Ebd., S. 14. 49

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

und zwar nach der Zuwendung zu ihm als Individuum, als diesem Menschen mit seiner unwiederholbaren Eigenart, der nicht als Exemplar eines Typus behandelt werden mag“53. Man kann die Individualität nicht verstehen, es sei denn durch einen Wechsel des „inneren“ Blickes, der die Einzigartigkeit der individuellen Qualitäten, welche dem Individuum vor jeder bewussten Entscheidung oder einer pädagogischen Erfahrung zu eigen sind, anerkennen kann: Das Individuum kommt uns entgegen, spricht über sich selbst als individuelle Person mittels einer gegenseitigen Beziehung oder eines „inneren Blickes“. Ausgehend von diesem Standpunkt bringt der Pädagoge den Schüler allmählich zu einer Kenntnis seiner bereits vorhandenen individuellen Qualitäten, die jedoch eines Bewusstseins bedürfen, welches jedes Seiendes begleitet und die Person schließlich zu einer Erfüllung vollständiger Harmonie in der Entfaltung des spirituellen Seins befähigt. Stein wird sich im weiteren Verlauf darüber bewusst, dass der pädagogische Prozess, welcher an das Individuum in seiner „Komplexität“ gerichtet ist, nicht „den Unterschied von geschaffenem54 und ungeschaffenem Sein und das Verhältnis beider“55 außer Acht lassen darf. Tatsächlich ist „die Individualität […] was der Einzelseele eigen ist und was, wie die Seele selbst, von nirgends anders herstammt als unmittelbar vom Schöpfer alles Seins“56. Diese enge Verbindung der Beziehung der Individualität und des Schöpfers – der Mensch, welcher in Gott versinkt, versinkt in der eigenen Individualität – greift Steins Intention voraus, die in Münster gehaltenen Seminare weiter zu verfolgen; und zwar mit einer Forschung zu einer theologischen Anthropologie, wie es sich aus dem Titel der Schrift Was ist der Mensch?57 ergibt. 2.1.2. Die „letzte“ Struktur des Seins: Die „leere Form“ In dem Abschnitt, welcher dem Ursprung der Spezies58 gewidmet ist, finden wir nicht nur eine Weiterentwicklung der Frage zur Individuation, welche in Einführung in die Philosophie skizziert wird, sondern auch das verfolgte Ziel der Autorin: „Zu den letzten noch rational faßbaren Grundstrukturen durchzustoßen ist der Weg einer radikalen philosophischen Analyse“59.

53

Ebd., S. 19–20 (Herv. d. Autors in Zitaten in Kursivdruck). Die Schöpfung des endlichen Seins geschieht vor dem Hintergrund, dass es sich qualitativ um etwas „Einzigartiges“, von den anderen Unterschiedenes handelt. 55 Ebd., S. 26. 56 Ebd., S. 157. 57 Ead., Was ist der Mensch? Theologische Anthropologie, bearbeitet und eingeleitet v. B. Beckmann-Zöller (ESGA, 15), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005. 58 Ebd., Der Aufbau der menschlichen Person, cit., S. 57–73. 59 Ebd., S. 61. 54

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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Im Anschluss an die Feststellung, dass die uniformierte Materie60 „ihr Wesen durch die Form erhält“ und dass diese eine Raum-Zeit-Dimension erfordert, damit sich ein Individuum von einem anderen durch ein Prinzip einer extrinsischen Individuation unterscheiden kann, bleibt für Stein die Frage zu klären, was den Übergang von der Spezies zum Individuum markiert, und zwar unter der Berücksichtigung, dass die Individuation die Person in ihrer „Einheit“ aus Körper und Seele determiniert. Das Individuum ist primär in sich „eins“ nicht in Bezug auf seinesgleichen, denn die Individuation wird als das Prinzip der Unterscheidung verstanden, sofern sie in ihrer selbstbestimmten Subjektivität konstituiert ist. Dadurch ist nun die stetige Bezugnahme Steins auf die Individuation als intrinsisches Prinzip zu verstehen, welches hierin gefunden wird: „Die Leerform des geschaffenen Seienden als solchen ist ausgefüllt durch eine Reihe qualitativ unterschiedener allgemeiner Formen, die wir als Gattungen des Seienden (Genera) bezeichnen können“61. Das Individuum wird mit seiner äußeren Form als eine von Innen zusammengehaltene Realität wahrgenommen, wobei eine der Eigentümlichkeiten gerade dieses sich formieren aus dem Inneren heraus ist. Einer äußeren Form entspricht eine „leere Form“ als qualitativ determiniertes „Substrat“, durch welches das Individuum eine Einheit des Sinns in seiner vollständigen Totalität erwirbt. In unserem Fall verhält es sich folgendermaßen: Während die „leere Form“ die innere Struktur darstellt, die durch eine Reihe qualitativer Bestimmungen erfüllt werden kann, repräsentieren diese nicht die Vollständigkeit der Individuation, sondern lediglich einen „Teil“ davon. Das konstituierende Element im Inneren des Individuums ermöglicht auch das Verständnis wie das Individuum in der Relation Universalität–Singularität die letzte Perfektion der Spezies oder der gemeinsamen Natur darstellt: „Indessen ist klar geworden, dass am Individuum nicht alles, was es ist, auf Rechnung seiner Species zu setzen ist“62. Dieser Prozess lässt sich an die Philosophie von Duns Scotus63 anknüpfen, auf welche sich Edith Stein mehrmals bezieht. Ein weiteres großes Interesse besteht in der Behauptung, dass die Singularität ebenfalls in der doppelseitigen „‚Teilung‘ in männliche und weibliche Form“64 60

Sofern sie jedoch frei von jeglicher Qualität ist, kann die Materie entsprechend nichts charakterisieren. 61 Ebd., S. 61. 62 Ebd., S. 68. 63 Bezüglich dessen, vgl. die Schlussfolgerungen von Ph. Secretan und zwar nachdem er die Frage der Individuation in Der Aufbau der menschlichen Person in seinem Personne, individu et responsabilité chez Edith Stein, in: A.-T. Tymieniecka (ed.), The Crisis of Cuture etc., AHus 5, 1976, S. 247–258 hat: „Que cette démarche implique le recours à une problématique beaucoup plus nettement scotiste que thomiste. […] Les questions qui se posent au sujet des sources d’Edith Stein philosophe excèdent le cadre de cette modeste analyse. Mais il peut être de quelque intérêt de la voir refluer en arrière de Husserl et de Descartes ver Duns Scot“. 64 E. Stein, Der Aufbau der menschlichen Person, cit., S. 69. Siehe auch ibi, S. 34 e 44: Stein attribuiert eine Doppelform des Männlichen und des Weiblichen, wobei sie deutliche individuelle Differenzen markiert.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

vertieft werden könne. Dadurch werden die Grundlagen für eine „duale Anthro­ pologie“65 geschaffen, in welcher Stein die inhärenten Eigentümlichkeiten zwischen männlich und weiblich skizziert. 2.1.3. Die Gefahr einer Unterdrückung der individuellen menschlichen Persönlichkeit Das Ziel, welches sich Stein in den Analysen zum Menschen setzt, wird in der wachsenden Sorge gegenüber denjenigen sichtbar, die „den Menschen als allein durch seine Gliedschaft im sozialen Ganzen bestimmt ansehen und die individuelle Persönlichkeit leugnen“66. Diese Untersuchungen zum menschlichen Wesen strukturieren sich ausgehend vom Kern der menschlichen Individualität. Steins gesamte Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die Hindernisse, die einer vollständigen Entwicklung des Bewusstseins der Individualität des Individuums im Wege stehen. Nur so kann sie aufzeigen, welche Verzerrungen sich aus einer Vernichtung der individuellen Persönlichkeit ergeben. Gleichzeitig beschreibt sie die innere Arbeit, die das Individuum vollziehen muss, um anzuerkennen, dass seine einmal besessene Individualität unveräußerlich bleibt. Dies verlangt allerdings ein bestimmtes Maß an Verantwortung sowohl gegenüber der eigenen persönlichen Sphäre, als auch gegenüber derjenigen des Anderen. Die menschliche Person konstituiert sich als unicum nur in der Anerkennung der eigenen Individualität. Diese ermöglicht es ihr, aus sich heraus zu treten und sich der Welt zu öffnen sowie den anderen Individuen zu begegnen. Sofern eine bewusste Anerkennung fehlt, wäre das Individuum von externen Einflüssen und Geschehnissen „geleitet“ und seine Reaktionen würden dann auch nicht vom letzten, inneren Mittelpunkt abhängig sein, obwohl es gerade dieser Mittelpunkt ist, von welchem das Individuum seine volle Existenz sowie die Verantwortung der eigenen, freien Handlungen bezieht.

65

Für eine Untersuchung dieser Frage verweise ich auf die folgenden Studien von A. Ales Bello: Maschile-femminile. Antropologie contemporanee e problema del „genere“, in: Servizio nazionale progetto culturale CEI, Cattolici in Italia tra fede e cultura, Vita e Pensiero, Mailand 1997, S. 209–222; Edith Stein. La passione per la verità, Messaggero, Padua 20032, S. 77–83; Il contributo specifico della donna nella formazione culturale, in: Ead., Sul femminile. Scritti di antropologia e religione, hrsg. v. M. D’Ambra, Città Aperta, Troina 2004, S. 61–65. 66 E. Stein, Der Aufbau der menschlichen Person, cit., S. 134. Die individuelle „Persönlichkeit negieren“ ist ein Thema, das auch von Hannah Arendt aufgenommen wird, wenn sie die Erfahrung von David Rousset beschreibt, der im Konzentrationslager Buchenwald in seinem Eichmann in Jersualem. A report on the banality of evil, the Viking Press, New York 1963, S. 9 schreibt: „The triumph of the SS demands that the tortured victim allow himself to be led to the noose without protesting, that he renounce and abandon himself to the point of ceasing to affirm his identity“.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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Dieser Wunsch nach dem „Anerkennen“ umreißt die unbedingte Notwendigkeit eines Kerns einer autozentrierten Individualität, andernfalls besteht die Gefahr, dass das einzelne Individuum aufgrund einer Dezentralisierung der individuellen Persönlichkeit den äußeren Umständen ausgeliefert ist und dass das Leben sich in den Reaktionen auf diese Umstände „erschöpft“. Durch das wache (und zentrierte) Leben hingegen „fühlt“ das Individuum und steht in Kontakt mit dem Fluss seiner Individualität. Diese wird durch ein Anerkennen der eigenen Andersheit und der Bereitschaft im stetigen Prozess der „Regenerierung“ erhoben zu werden, vergegenständlicht. Der Prozess der „Regenerierung“ betrifft nicht nur die persönliche Sphäre, sondern auch jede einzelne Antwort auf äußere Einflüsse. Trotz jeglichem Versuch einer Unterdrückung der individuellen menschlichen Persönlichkeit, wird es niemals möglich sein, sie vollständig zu vernichten, da sie die letzte und höchste Realität des spirituellen Seins in ihrer ersten Konstituierung als Fundament ist. Damit ist sie auch ein Garant, dass alles natürliche Leben der Person in sich die Prägung des „ursprünglichen“ und unüberschreitbaren Ortes trägt.

2.2. Die Tiefe des Fühlens Die Suche nach dem Sinn und dem Fundament des Einzelseins  – und damit dem Prinzip der Individuation  – stellt Edith Stein vor die Notwendigkeit einer vorläufigen Klärung des ontologischen „Ortes“ der Untersuchungen. Anders formuliert, muss sie die Seinsmodi (esse existentiae oder esse essentiae) definieren, in welchen sie das letzte Fundament der Singularität des Seins ergründen will. Abhängig von der Wahl des entsprechenden Seinsmodus wird, obwohl beide Modi einander gegenüberstehen, festgestellt, in welcher Form die Forschungen Steins mit der Position von Duns Scotus in Ordinatio67 in Verbindung zu bringen sind. Nachdem bereits gezeigt wurde, wie die beiden Autoren die „letzte Realität des Seins“, das Fundament des Einzelseins erfassen, folgt nun, dass die Individuation auf der Ebene des esse essentiae auszumachen ist, da das esse existentiae lediglich eine Erscheinung einer bereits konstituierten Singularität auf letzter Ebene des Seins ist. In diesem Sinne können die von Stein dargelegten Forschungen in Potenz und Akt68 aus dem Sommer des Jahres 1931 – mit einer Überarbeitung 193569 – den Anspruch erheben, auf Grundlage der Singularität eine neue Ontologie, gedacht 67

Vgl. infra, cap. II, par. 2.3. Für das vollständige Schema von Edith Stein, Potenz und Akt. Studien zu einer Philosophie des Seins, vgl. supra, Fußnote 26, S. 105. 69 Die Entstehung sowie die einzelnen Überarbeitungsphasen von Potenz und Akt, dem ersten Kern von Endliches und ewiges Sein, sind in einer Reihe von Briefen dokumentiert, die E. Stein zwischen 1932 und 1940 an H. Conrad-Martius schrieb: vgl. H. Conrad-Martius (Hrsg.), Briefe an Hedwig Conrad-Martius. Mit einem Essay über Edith Stein, Kösel, München 1960. 68

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

als Bereich des Wesens, zu entwickeln. Des Weiteren verankert Stein auf der Basis der „eidetischen Ontologie“ Husserls, welche keine empirischen Bestimmungen benötigt, die neue Lesart der metaphysischen Frage der Individuation in einer phänomenologischen Perspektive. An dieser Stelle werden wir nun das Konzept der „leeren Form“ weiter vertiefen, und zwar hinsichtlich der Problematik ihrer Befüllung (der „qualitativen Fülle“) durch die spirituelle Wahrnehmung des Fühlens. 2.2.1. Abgrenzung des Untersuchungsfeldes – „Naturwissenschaften“ und „Geisteswissenschaften“ Zwei Forschungsprojekte von Edith Stein gehören in den Rahmen des 1916 von Husserl in Freiburg gehaltenen universitären Seminars Natur und Geist 70 eingegliedert: Zum einen die Forschung zum Leben der Einfühlung und zum anderen die Einführung in die Philosophie71 (1919–1932). Bei letzterer handelt es sich um eine Schrift, die von der doppelseitigen Struktur Natur / Geist (Subjektivität) ausgeht und neue Elemente zur Klärung der Individuation bietet. Diese wurden von der Autorin bereits in ihrer Dissertation (Zum Problem der Einfühlung, 1917) entworfen, in der Einführung zur Philosophie werden diese allerdings soweit vertieft, dass diese frühe Schrift als ein hermeneutischer Traktat über „das Bewusstsein der Dinge (ón) in ihrer Individualität“ angesehen werden kann. Unter Berücksichtigung dieses Werkes werden wir zunächst die Modalität der Kenntnis der Individualität bestimmen, um im Anschluss daran die eigentlich individuellen Erlebnisse zu determinieren. In der Gegenüberstellung von der Forschungsmethode der Naturwissenschaften und der Geisteswissenschaften werden wir das Untersuchungsfeld ausmachen, von welchem ausgehend wir uns zu bewegen haben, um die „intrinsische“ Individualität des singulären Seins zu erfassen. 2.2.2. Die Intelligibilität des Individuellen quoad nos Die Möglichkeit der Kenntnis der Seienden in ihrer Individualität führt uns – aus epistemologischer Sicht – zu einer Reihe von Fragen, die die Intelligibilität des Individuellen an sich betreffen und in der Folge die Möglichkeit dieses Individuelle quoad nos zu erkennen. Wie ist es möglich die Gegenständlichkeit der individuellen Seienden zu erfassen, da das Seiende als Träger dessen erkennbar ist, was allgemein ist? Können wir darüber hinaus argumentieren, dass das „Individuelle“ /  70

E. Husserl, Natur und Geist, in: Aufsätze und Vorträge (1911–1921), hrsg. v. Th. Nenon u. H. R. Sepp, Husserliana. Gesammelte Werke, Bd.  25, Nijhoff, Dordrecht / Boston / Lancaster 1987. 71 E. Stein, Einführung in die Philosophie, Einführung, Bearbeitung und Anmerkungen v. C. M. Wulf (ESGA, 8), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2004.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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­Singuläre als Gegenstand des Wissens als „Allgemein“ betrachtet werden kann? Und ist es schließlich überhaupt möglich, das Wissen des Individuellen zu erlangen? Angenommen, dass das allgemeine Wesen des Individuellen, was am Beginn jedes Wissens steht, nicht in sich die Kenntnis der eigenen individuellen Merkmale einschließt, welche eine Unterscheidung zwischen zwei Individuen der gleichen Spezies in ihren jeweiligen Singularitäten ermöglichen, müssen wir dennoch festsetzen, von welcher Art von Kenntnis wir sprechen, sofern wir die Individualität des Seienden beteuern. Um dies zu unternehmen, werden wir zunächst einen Vergleich zwischen den Positionen von Stein in Einführung in die Philosophie und von Scotus in den Werken Quaestiones super Secundum et Tertium, De anima72 und Ordinatio anstellen, um in tabellarischer Form, wie sie nun folgen wird, einige Ähnlichkeiten herauszuarbeiten. Duns Scotus, De anima und Ordinatio

E. Stein, Einführung in die Philosophie

Dicendum igitur quod singulare est a ­nobis intelligibile secundum se, quia intelligibilitas sequitur entitatem. Quod igitur secundum se non diminuit de ratione entis, nec intellegibilitas; sed singulare secundum se non diminuit de ratione entis, iam est ens actu perfectum (De anima, q. 22, n. 17; ed. St. Bonaventure, V, 231) Praetera, si esset per se intelligibile, posset de ipso esse demonstratio et scientia (Ord. II, d. 3, p. I, q. 6, n. 145; ed. Vat. VII, 464)

Quoad hoc ista realitas individui est similis realitati specificae, quia est quasi actus, determinans illam realitatem speciei quasi possibilem et potentialem, – sed quoad hoc dissimilis, quia ista numquam sumitur a forma addita, sed praecise ab ultima realitate formae (Ord. II, d. 3, p. I, q. 6, n. 180; ed. Vat. VII, 479)

So ist das Sein der individuellen Gegenstände wohl seiner Totalität nach erfaßbar, aber nicht erkennbar, und entsprechend ist die Anschauung des Individuellen nicht ihrem vollen Bestande nach in Erkenntnis überzuführen (S. 98).

[…] das Erfassen der letzten Seinsformen (S. 99).

Aus dem Vergleich geht unmittelbar hervor, dass für Duns Scotus in De anima die Individualität die am meisten perfekte Form des Seienden ist und als solche vom Intellekt erkannt werden kann. Das Individuelle / Singuläre ist zwar an sich 72

Ioannes Duns Scotus, Quaestiones super Secundum et Tertium De anima (Opera Philo­ sophica, V), general ed. T. B. Noone, Franciscan Institute, St. Bonaventure University, St. Bona­ venture NY 2006, q. 22, n. 17, S. 231.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

intelligibel, es kann aber nicht quoad nos sein, wie es Luigi Iammarrone behauptet, indem er sich auf Étienne Gilson stützt: „Das Singuläre, sofern wir es kennen würden, könnte von uns gesehen, oder erahnt werden, allerdings nicht definiert, weil die Entität, die es hinzufügt, nicht den Rang der Quiddität hat“73. Wenn wir es also nicht kennen können, stellt Scotus in Ordinatio die Behauptung auf, dass es sich weder um ein Objekt der Wissenschaft, noch um eine Beweisbarkeit handelt. Diese Reflexion über die Unmöglichkeit der Kenntnis des Individuellen quoad nos hängt gut mit dem Gedanken zusammen, den Stein in Bezug auf die Naturwissenschaften fasst: Das Individuelle / Singuläre sei nur intuitiv erfassbar, obwohl wir es nicht vollständig in unser Bewusstsein bringen können. Die „Intuition“ als kognitives Werkzeug nimmt eine grundlegende Rolle im phänomenologischen Ansatz ein, und zwar insofern, als die Individualität des Seienden unmittelbar und von sich selbst erfasst wird, und zwar ohne eine Zuhilfenahme einer Mediation der Erkenntnis an sich. Jede Form von Erkenntnis erfordert notwendigerweise eine intuitive Erkenntnis, weil jeder Erkenntnisprozess von einer Intuition ausgeht. Die Intuition initiiert die Erkenntnis, welche auf der Grundlage des von der Intuition angebotenen Materials aufgebaut ist. Im Anschluss an die Intuition des Seienden folgt entsprechend die Wahrnehmung, beziehungsweise die Handlung, in welcher sich das dingliche Sein mir „leibhaftig“ und „aus sich selbst heraus“ vorstellt. Das Intellekt, in Kontakt stehend mit dem dinglich-konkreten Seienden, richtet den Blick darauf und erfasst es (so wie es ist) „unmittelbar“ in dessen Wert als Seiendes „aus sich selbst heraus“. „Schließlich gehört es zur Wahrnehmung, daß sie Wahrnehmung eines individuellen Gegenstands von ganz bestimmtem Gehalt ist“74. Es zeichnet sich aber eine doppelte Modalität in der Herangehensweise an das Individuum ab: Während die Naturwissenschaften das Individuum lediglich aus einer allgemeinen Perspektive erkennen, erfasst die Wahrnehmung „[…] ihren Gegenstand in seiner vollen Konkretion: das Individuum mit allen seinen individuellen Besonderheiten“75. Abschließend ist zu sagen, dass sowohl Stein, als auch Scotus die Individuation als ein „Erfassen der höchsten Formen des Seins“ definieren. An diesem Punkt laufen die metaphysische Ebene und die phänomenologische Ebene zusammen: Dennoch werden wir zunächst ersteres Feld isolieren, da wir nun das Individuelle / Singuläre auf eine andere Weise erforschen wollen, und zwar mit dem für die Phänomenologie charakteristischen Terminus der „intuitiven Erfassung des Wesens“.

73

L. Iammarrone, Giovanni Duns Scoto metafisico e teologo. Le tematiche fondamentali della sua filosofia e teologia (I maestri francescani, 10), Miscellanea Francescana, Rom 20032, S. 235. Siehe auch É. Gilson, Giovanni Duns Scoto. Introduzione alle sue posizioni fondamentali, hrsg. v. C. Marabelli und D. Riserbato, Jaca Book, Mailand 2008, S. 566–580. 74 E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 18. 75 Ebd., S. 86.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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2.2.3. Die Einordnung des Problems der Individuation anhand der formalen und materiellen Ontologie Bevor wir uns den Problempunkten hinsichtlich der Stratifizierung der individuellen Erlebnisse innerhalb der affektiven Sphäre zuwenden, ist es zunächst notwendig, den Diskurs im Inneren der beiden großen Bereiche des Seins zu verorten, in welchen – Stein zufolge – dieses Erlebte intelligibel wird. Ich beziehe mich hier auf die Bereiche des objektiven Geistes und des subjektiven Geistes. Die Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung, da sie in den Voraussetzungen der Phänomenologie – in primis in der husserlschen – wurzelt. Aus dieser bezieht Stein mit einer deutlichen Kontinuität ihre eigenen doktrinären Positionen. Stein greift insbesondere die Doktrin der formalen und materiellen Ontologie auf und senkt die ontologische, aristotelisch anmutende Doktrin Husserls entsprechend in einer thomistischen Ontologie ab, welche sicherlich anders geartet ist als diejenige Husserls. In diesem Kontext bestätigt Angela Ales Bello: „Indem sie die Aufmerksamkeit insbesondere auf Husserl und Aquin richtet, unterstreicht Edith Stein, dass die Phänomenologen zwischen der Ontologie, als Bereich des Wesens, und der Metaphysik, als Bereich der Existenz, unterscheiden. Während Aquin in diesem zweiten Sinn die Ontologie in Bezug auf die Existenz auffasst, bezieht sich Husserl auf die formalen und materiellen Möglichkeiten, nicht spezifisch auf die existentiellen Realitäten“76. Den Weg, welchen Stein verfolgt, ist in diesem Sinne ein dritter Weg der Verbindung dieser beiden ontologischen Instanzen77. Dabei trifft man direkt 76

A. Ales Bello, Ontology and Phenomenology, in: R. Poli / J. Seibt (Hrsg.), Theory and Applications of Ontology. Philosophical Perspectives, Springer, Dordrecht 2010, S. 312. 77 Dies bedeutet allerdings nicht, dass Steins Position zur formalen und materialen Ontologie nicht übereinstimmend mit derjenigen von Husserl wäre. Husserl spricht ab der Dritten logischen Untersuchung im Sinne Stumpfs von unabhängigen Inhalten, und zwar wenn die Inhalte der komplexen Veranschaulichung auf eine von dem Anderen unabhängigen Weise verbildlicht werden können. Gleichzeitig gibt es aber ebenso nicht-selbstständige Inhalte (­Unselbständigkeit). In diesem Sinne kann die Farbe nicht nur in unseren Gedanken kognitiv von der Extension getrennt werden, sondern auch ihrem Wesen nach, oder eben in den Dingen an sich: Es ist die räumliche Darstellung an sich, welche sich als von chromatischen Bestimmungen durchdrungen zeigt. Indem sich Husserl gegen Kant stellt, spricht er in diesem Sinne von einem materialen apriori und nicht mehr von einem formalen, da der Raum nicht mehr eine (leere) Form der Elaboration, oder der Anordnung psychischer Inhalte, bzw. sekundärer Qualitäten ist, welche chromatische Inhalte darstellen können. Stets in Opposition zu Kant, bestätigt Husserl, dass die Gesetze, deren Objekte jene unselbstständigen Inhalte sind, nicht analytischer Natur sein können, da sie nichts mit den logischen Gesetzen gemeinsam haben. Dadurch, dass sie in der Natur der räumlichen, oder sensiblen Inhalte ihren Ursprung haben, handelt es sich um synthetische Gesetze und nicht um analytische Gesetze. In diesem Sinne definiert Husserl die Konzepte der Analytik und der Synthetik neu: Alle Propositionen, die sich aus der intrinsischen Natur, aus der Homogenität, der Affinität, oder aus der Zugehörigkeit ergeben, sind notwendigerweise analytische Gesetze. Solche Gesetze, bestätigt Husserl, können vollständig formalisiert werden (im logisch-rechnenden Sinne), bzw. sie können ihrer Inhalte entleert werden, was durch indeterminierte Objektivierungen ersetzt werden kann.

120

3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

auf das primum, von dem aus jede Analyse beginnen muss, so wie es Husserls Phänomenologie und die cartesianische sowie augustinische Philosophie lehrten: Dieses ist mein Faktum zu sein78. Indem sie die Position Husserls wiedergibt, geht daraus eine Ontologie hervor, die Stein folgendermaßen skizziert: Selbstständigkeit

Unselbstständigkeit Seiendes

Allgemeinheit

Gegenstand Genus

Was

Spezies

Individuum

Beschränkte Allgemeinheit

Einzelheit

Sein primär

sekundär

Wie Quale

Qualität generelle spezifische

ideal

dies Individuum (konkret)

dies Individuum (Form)

individuelles Sein

Akzidens

indiv. Quale

indiv. Qualität

Abbildung 5

Betrachten wir das Schema, wird uns bewusst, wie Stein die ontologischen Formen anordnet: Sie ordnet die leeren ontologischen Formen (aliquid, quod quid est, esse) nicht nur nach dem Grad ihrer Universalität (oder Leere), in welcher sie das Stadium der „Fülle“ lediglich im konkreten Individuum erlangen, was einzigartig und singulär ist (ein Objekt, das auf nichts anderes verweist), sondern auch nach dem Aspekt der Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit. Beide sind jeweils authen­tisch husserlianisch: „Wenn wir das Sein untersuchen, ist nur das Sein selbstständig, welches keine weitere Relation hat. Das Sein aller leeren Formen hingegen, ist unselbstständig. Selbstständig sind nur die konkreten Objekte, und ihre Formen bereiten die Selbstständigkeit vor. An dieser Stelle können auch die Oppositionen zwischen dem Ganzheitlichen und dem Teil sowie zwischen

In diesem Sinne ist die Logik eine formale Ontologie, und zwar weil sie die in ihren Sätzen enthaltenen Inhalte absolut außer Acht lässt: Sie beachtet nur die Form der Erwägung, oder Argumentation. Vgl. E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie (1913), hrsg. v. W. Biemel, Husserliana. Gesammelte Werke, Bd. 3/1, Nijhoff, Den Haag 1976, § 15, S. 30. Husserl ist insbesondere an der Relation zwischen der Unselbstständigkeit und dem Dies-da interessiert; eine Frage, die auch für Stein von Bedeutung ist. „Ein Dies-da, dessen sachhaltiges Wesen ein Konkretum ist, heißt ein Individuum“ (vgl. S. 29). Mit gleicher Intention erscheinen diese Relationen auch in Formale und transzendentale Logik. 78 E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 10; vgl. A. Ales Bello, Ontology and Phenomenology, cit., S. 312.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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dem Zusammengesetzten und dem Einfachen angeführt werden. Allein das Ganzheitliche kann selbstständig sein. Die universalen Formen sind einfach, aber nicht unselbstständig, da sie von einem potenziellen Ganzheitlichen abhängig sind, die spezifischen Formen sind zusammengesetzt, während die Individuen selbstständig und einfach sind“79.

Die formale Ontologie schafft, ebenso wie bei Husserl, die Grundlagen für die materielle Ontologie, deren fundamentales Werkzeug die Intuition ist: Gerade die Phänomenologie bedient sich der abstrahierenden Intuition, die sich in vorstellende und generalisierende Intuition teilt. So kann mittels ihrer beispielsweise von einer Farbe hic et nunc ausgegangen werden und zu immer allgemeineren Stufen von „Farbe“ gelangen, bis hin zur höchsten „Farbe im Allgemeinen“. Im umgekehrten Prozess hingegen geht man immer weiter zum konkreten „Ding“, zum Individuum, herab, was laut formaler Ontologie das Selbständigste ist, was es gibt80. Wie Angela Ales Bello feststellt, sind Beispiele materieller Ontologien für Stein die euklidische Geometrie, welche aus wenigen Prinzipien eine geschlossene Axiomatik ermöglicht, aber auch die reinen Doktrinen der Farben und der Töne, auch wenn diese noch nie aufgegriffen und konkretisiert worden sind81. Die materielle Idee, welche die materiellen Ontologien dominiert, ist allerdings nicht materiell, sondern sie ist lediglich durch den Geist verständlich. Aus diesem Grund sind die zwei Stämme des Geistes unverzichtbar, worin alle Schichten der „formierten Materien“ geklärt werden, und zwar der „objektive Geist“ und der „subjektive Geist“. Es sind genau diese „Bereiche“, von denen wir hier ausgegangen sind. 2.2.4. Die Herleitung im Kontext der materiellen Ontologie des objektiven Geistes und des subjektiven Geistes, Regionen, zwischen denen die Individualität ihren Ort findet Die Ideen sowie die höchsten Gattungen, oder auch letzte Formen der formalen Ontologie, sind laut Stein „ewig“, wodurch sie ihr Merkmal der Aktualität auf eine unabhängige Weise von deren Ein- und Austreten in die Existenz haben (werden). In diesem Sinne ist ihre Weise zu sein eine übergeordnete Seinsweise im Vergleich zu den erschaffenen Dingen82. In ihrem reinen „Sein“ sind sie ebenso starr, wie die primäre Materie83. Wenn aber, wie es Stein weiter formuliert, die natür­ lichen Dinge, also die phänomenologischen Dinge, dennoch eine Form haben, ist es durchaus vorstellbar, dass sie als Voraussetzung einerseits die Ideen und anderer-

79

A. Ales Bello, Ontology and Phenomenology, cit., S. 314. Vgl. ebd. 81 Vgl. ebd., S. 314–315. 82 Vgl. E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 75–76. 83 Vgl. ebd., S. 78. 80

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

seits die Materie haben: Mit anderen Worten, ihr Werden ist ein Zusammentreffen zwischen Geist und Materie84. Phänomenologisch gesprochen haben wir es laut Stein also immer mit Dingen in der Welt zu tun, die materia signata, oder anders ausgedrückt – objektiver Geist und subjektiver Geist85 sind. Wie jedoch später noch verständlich wird, kann man ohne Angst vor Irrtum behaupten, dass für Stein das letzte Element der Individuation in Bezug auf Personen nicht in der thomistisch aufgefassten materia signata liegt86. Diese Materie, welche sich an die fundamentale Kategorie des materiellen Dinges anbindet, ist, so darf ich es formulieren, eine zweite Stufe oder phänomenologische Stratifikation dieser selbst. Unter dieser selbst sieht Stein, indem sie gewinnbringend die phänomenologische Perspektive Husserls in einem metaphysischen Sinn erweitert, die materia prima, ein Konzept, welches hier eine logisch-metaphysische Valenz annimmt. Diese materia prima wird als materia signata der Synolen in der Individuation variabel umgedeutet sowie elaboriert und kennt dadurch eine Gradualität der Potenzialität abhängig von den Ganzen, in die sie eintritt. Allgemein gesprochen ist die Behauptung durchaus plausibel, dass sowohl die diversen Grade der potenzialen Strukturierung der Materie  – ergo diejenigen Grade, in welche sie eintreten kann, oder vom Geist durchdrungen werden kann –, als auch ihr ursprüngliches materia prima informe-Sein (aus logisch-metaphysischer Sicht), eine notwendige Relation mit dem Geist voraussetzen: „Die bisherige Untersuchung kann vor allem deshalb nur als eine vorläufige gelten, weil sie dazu geführt hat, daß das ‚materielle‘ Ding kein rein materielles ist und in seinem Aufbau eigentlich erst vom Geist her zu verstehen“87.

84

Vgl. ebd., S. 76–77. Vgl. ebd., S. 80–82. 86 Für diesen letztgenannten Aspekt möchte ich gerne auf meinen Beitrag Il „Principium individuationis“  e il „fondamento ultimo“ dell’essere individuale. D.  Scoto  e la rilettura feno­menologica di E. Stein, in: M. Shahid / F. Alfieri (Hrsg.) Il percorso intellettuale di Edith Stein, Einleitung v. A. Ales Bello, Giuseppe Laterza, Bari 2009, S. 234–245 verweisen. Dabei sollte auch folgende Passage aus Potenz und Akt berücksichtigt werden: „Bei den toten Dingen fanden wir als das Individuationsprinzip das ‚Stück Materie‘, das jeweils durch die Spezies geformt ist. Wie steht es nun bei den geistigen Individuen mit der Individuation? Es kann gerade hier die Spezies das Individuierende sein (nach Thomas ist es so bei den Engeln); es ist auch denkbar, daß die Spezies Individuation erfährt durch Bindung des geistigen Subjekts an ein Stück Materie, den materiellen Leib (so ist es nach Thomas bei den menschlichen Individuen, wir nehmen zu dieser Auffassung hier noch nicht Stellung). Es kommt aber noch ein drittes in Betracht: Das Ich als solches ist Individuum, auch abgesehen von der Bindung an einen materiellen Leib und ohne Berücksichtigung der Spezies, die es qualitativ von anderen unterscheidet. Es liegt das Gesondertsein von allem andern in seinem Sein und ist für es selbst faßbar in dem Bewußtsein seiner selbst, das etwas unverwechselbar Verschiedenes ist von jedem Bewußtsein von etwas anderem: Ein Ich kann nur sich selbst ‚Ich‘ nennen und sich so ‚haben‘ daß es ‚Ich‘ sagen kann“ (E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 85–86). 87 E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 81. 85

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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Dies scheint sich vollständig mit den Analysen Husserls zu decken. Die materielle Ontologie bezieht sich also auf die fundamentale Kategorie des „materiellen Dings“. Diese erfährt eine Artikulation unter der Anerkennung, dass sie als Kategorie nicht rein materiell ist. Genau betrachtet spaltet sie sich in zwei Achsen der materiellen Dinge auf: Die, die sich nicht gegenseitig durchdringen können, und die des objektiven oder objektivierten Geistes, in welchem die Dinge sich als vom Geist durchdringbar sowie als unselbstständig zeigen88. Der objektive Geist, sofern dieser in sich genommen wird, ist wiederum derjenige, der bezüglich seiner leeren Formen seit der Ewigkeit vor dem Geist Gottes steht. Dieser göttliche Geist findet in den endlichen Seienden, ergo in den bewusstseinshabenden Seienden (wir klammern hier die Engel aus) – wie es der Geist des menschlichen Wesens ist –, ein analogon. „Ihr Leben ist ein in verschiedenen Dimensionen gebrochenes; ein Nacheinander zeitlich sich ablösender Akte, ein Nebeneinander gleichzeitiger Akte, ein Auseinander qualitativ gesonderter Akte. […] Aber einem Lebensimpuls entspringt alles Gesonderte und schließt sich in ihm wieder zusammen zu einer Einheit des Seins, die keine Zusammensetzung ist. Die Sonderung und Spaltung geschieht durch die Aufnahme und Verarbeitung von ‚Inhalten‘. Darin baut sich für das Subjekt eine Objektwelt auf“89.

Der objektive Geist muss danach auf eine weitere Subregion des Geistes abzielen, und zwar auf den subjektiven Geist, welcher wiederum unterschieden ist in den Bereich der reinen, endlichen Seienden und in den Bereich der menschlichen Personen. Die obigen Aussagen bilden die Grundlage für die systematische Betrachtung der Materie als Potenzialität, die in endlichen Seelen, wie zum Beispiel im Menschen, auf verschiedenen Stufen und Ebenen zum Ausdruck kommt: Im Übergang vom Körper zur Seele sind stets verschiedene Grade an „Materialität“, oder „Potenzialität“ am Werk, was die Aktualität des Lebens nur teilweise „eingrenzen“ kann. Im Inneren dieses Übergangs laufen diese Grade auf unterschiedlichen Ebenen, um zum Geist und zur Totalität der Person in ihrem unüberschreitbaren „Kern“ zu gelangen. Wir sind nun zu einer zweiten Richtung einer möglichen Lesart des Textes von Stein angekommen, welche ebenso auf einen komplementären, wie alternativen Weg zu Husserl abzielt und könnten somit in Bezug auf die Ontologie mit Hilfe von Angela Ales Bello im Sinne von dem „dritten Weg“, welcher vorher angedeutet wurde, folgendes behaupten: „Stein schlägt einen Mittelweg ein, welcher sich sowohl bei der einen, wie bei der anderen Position inspirieren lässt, und weil sie die Konzepte von Akt und Potenz in Bezug auf die formale und materielle Ontologie zu studieren beabsichtigt, ist in letzterer Richtung die materielle Ontologie die Doktrin des Seins in seiner Vollständigkeit und die Doktrin des Seienden in dessen unterschiedlichen Gattungen“90.

88

Ich verweise nochmals auf die entsprechenden Passagen Potenz und Akt (S. 81), welche den vierten Paragraphen des Werkes abschließen. 89 Ebd., S. 88. 90 A. Ales Bello, Ontology and Phenomenology, cit., S. 312–313.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

Steins materielle Ontologie ist somit an ihre letzten Determinierungen durch die Spezifizierung des materiellen Dinges und des objektiven Geistes, von welchem man die Notwendigkeit einer Ableitung der Materie aus dem Geist herleiten konnte, angelegt. Dies ermöglicht schließlich auch den Zugang zum subjektiven, oder persönlichen Geist. Wir stehen nun vor der Aufgabe einer Rekonstruktion der „Allokation“ der verschiedenen Grade von Aktualität und Potenzialität der Materie im subjektiven Geist. 2.2.5. Die „Quelle“ der individuellen, dem affektiven Leben zugehörigen Erlebnisse Das Problem der „Subjektivität“ ist das Leitmotiv, welches die Dissertation Zum Problem der Einfühlung (1917) mit dem zweiten Abschnitt der Einführung in die Philosophie (1919–1932) verbindet, sodass die Diskussion dieses Themas, welches in Steins Untersuchungen von 1919 weiter vertieft wurde, es uns erleichtert, die beiden Werke mit einem synoptischen Blick zu lesen. Unsere Untersuchung muss sich nun vom reinen Ich aus bewegen. Dieses reine Ich ist „der Urquell des Erlebens, der Ausgangspunkt, von dem die Erlebnisse nach ihren Zielpunkten, den Objekten, hinstrahlen“91. In diesem kontinuierlichen „Leben“ des reinen Ich, verbunden mit der Flut der ihm zugehörigen Erlebnisse, konstituiert sich jede Person als ein „Es-selbst-und-kein-anderes-Sein“, also als ein „absolutes Individuum“92, welches in sich eine vollständig singuläre Prägung aufsucht. Die Individualität liegt im ursprünglichen Feld des „Lebens“ des Ichs. Von diesem ausgehend kann das wache Individuum „fühlen“, dass jedes Erlebnis, welches dem Mittelpunkt von dessen Sein entspringt, Träger einer eigenen Singularität ist und es somit von den anderen unterscheidet. Das wache Sein des Ich ist eine unverzichtbare Bedingung, um die gelebte Singularität zu fühlen, welche aufgrund ihrer Natur an keine raum-zeitliche Dimension gebunden ist, da sie die alleinige qualitative Essenz unserer Erlebnisse repräsentiert. Es bleibt zu bestimmen, wie ein Begreifen des Erlebnisses, des Trägers unserer ursprünglichen Individualität, möglich ist. Diesbezüglich beschreibt Stein die Weise eines individuellen Erlebens: Dies „ist nichts Dauerndes, […] sondern ist vorbei, sobald es abgeschlossen, als Ganzes aufgebaut ist“93. Die Schwierigkeit besteht im Verständnis der individuellen Note. Dies liegt daran, dass in dem Moment, in dem sich das Erleben entfaltet, dieses mit seiner individuellen Besonderheit bereits vollständig hinter uns verschwindet. „Das ‚Sein-selbst-bewußt-Sein‘ ist kein immer gleichbleibendes Moment an allem Erleben, es gibt Grade der Bewußtheit,

91

E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 104. Vgl. ebd., S. 104. 93 Ebd., S. 107. 92

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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das ‚innere Licht‘ kann mehr und minder hell leuchten“94. Die einzige Möglichkeit die Teile des individuellen Erlebens zu begreifen, besteht in der stetigen Wahrnehmung des Erlebten, welches in seinem kontinuierlichen Fluss die wesentlichen Teile manifestiert und es somit eine immer klarere Wahrnehmung mit wiederholten Befüllungen erlaubt. Aber welche Erlebnisse sind Träger unserer Individualität? Für Edith Stein gilt: „Wenn wir einerseits von einer Individualität aller Erlebnisse […] reden, andererseits feststellen, daß nicht alle an der persönlichen Eigenart Anteil haben, so kann es nicht dieselbe Individualität sein, die hier und da das unterscheidende Moment bildet“95. So gehören beispielsweise empfindbare Inklinationen und Inklinationen des Intellekts den „äußeren Bedingungen“ der Entwicklung des Individuums an. „Diese äußerlich bedingte Individualität ist im strengen Sinn keine Eigenart“96. Wenn ich Empfindungen habe, oder eine intellektuelle Aktivität leiste, bin ich mir dieser Erlebnisse unüberlegt bewusst, gleichzeitig fehlt aber das ursprüngliche Bewusstsein, da ich mir nicht als Individuum mit seinen individuellen Eigenschaften bewusst bin. Lediglich die Erlebnisse, die dem „affektiven Leben“ zugehörig sind und diejenigen, die in der Tiefe des Seins wurzeln, ohne von einem äußeren Element bedingt zu sein, sind Träger einer bedingungslosen Individualität des Menschen. Stein spricht in diesem Kontext davon, dass diese Erlebnisse „aus der Tiefe der Seele […] kommen und die Stempel ihrer Eigenart […] tragen. Im Vollzug solcher Erlebnisse selbst spüre ich diese ‚individuelle Note‘, spüre ich den Ursprung aus bestimmter Tiefe und die Tiefenschicht selbst“97. Nachdem wir nun die entsprechenden Erlebnisse ermitteln konnten, müssen wir nun zu der Quelle zurückkehren, aus welcher das Individuum das originäre Leben schöpft, von welcher es generiert ist: Wir müssen, um es auf den Punkt zu bringen, zum „Kern“ der Persönlichkeit zurückkehren. Das Thema wird von Stein unter dem Schutz und der Leitung der Hauptachse der Phänomenologie behandelt: der Intentionalität. Intentionalität, Intelligibilität und Persönlichkeit sind das spezifische Merkmal des spirituellen Lebens98. Das spirituelle Leben besteht aus „Akten“, aus erkennenden und abwägenden Akten, aus Akten des Gefallens und des Kummers, etc.99. Aber im spirituellen Leben der subjektiven Geister trifft man stets auf eine gewisse Gradation der Materie. Eine erste materielle Schicht trifft man in der fundamentalen Öffnung an, welche von der Intentionalität konstituiert ist, ergo im Intention-Welt sein100. Wir wesentlich endlichen Menschen sind etwas anderem geöffnet: 94

Ebd., S. 108. Ebd., S. 133–134. 96 Ebd., S. 134. 97 Ebd., S. 176. 98 Vgl. Ead., Potenz und Akt, cit., S. 83. 99 Vgl. ebd., S. 96–97. 100 Vgl. ebd. 95

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

„Betrachten wir nur den reinen Geist und die Seele, sofern sie Geist ist, so bezeichnet Verstand oder Intellekt eine Wesenseigentümlichkeit des Geistes: durchleuchtet (d. i. für sich selbst sichtbar) und geöffnet (anderem erfassend zugewendet) zu sein. Bei Gott ist beides unendlich. Darum ist sein Verstand ewig aktuelle und vollkommene Erkenntnis seiner selbst und alles andern Erkennbaren. Endliche Geister sind nicht alles, was sie sind, in dauernd unveränderter Aktualität. Ihr Sein ist ihnen zugemessen, es ist auf ein begrenztes Maß eingeschränkt. Damit ist auch ihr Durchleuchtet- und Geöffnetsein ein begrenztes“101.

Ein zentrales Problem, welches Stein hier anzugehen scheint, ist dasjenige, dass Potenzialität und Aktualität (Materie und Akt) aus der Perspektive der Kontinuität des zeitlichen Lebens miteinander verflochten sind. Wie wir noch sehen werden, ist dies ein Thema, welches eng mit der Frage des Kerns der Person verbunden ist. Stein merkt an, wie aus phänomenologischer Sicht die Möglichkeit eines Übergangs vom wachen Leben in ein halbbewusstes, oder auch unbewusstes Leben bekannt ist, behauptet jedoch auch, dass wir alle diese Stufen der Aktualität durchlaufen, ohne „uns zu verlieren“102. Wie steht es also um die Dinge mit diesen „leeren Merkmalen“ im Fluss des inneren Zeitbewusstseins, welches unsere persönliche Identität verbindet? „Ist wirklich für den rückschauenden Blick ein Nichts zwischen zwei Strecken bewußten und material erfüllten Lebens? Ich glaube nicht, daß man das sagen kann. Das innere Zeitbewußtsein, das zu meinem ‚Bewußtseinsstrom‘ gehört, mit ihm erwächst und an seinem Erwachsen Anteil hat, – das Bewußtsein der Dauer, die sich kontinuierlich mit meinem Leben füllt, – geht durch die ‚leere‘ Strecke hindurch. Es ist nicht bloß das Wissen vorhanden, daß zwischen den beiden erfüllten Strecken objektiv Zeit verstrichen sein muß, sondern die lebendige Dauer geht hindurch, nur ohne feststellbare Erfüllung. Auch die Strecken des Stroms, die in wachem Leben erwachsen sind, sind ja nicht lückenlos ausgefüllt für den rückschauenden Blick; vielfach ist nur das Bewußtsein vorhanden, ‚daß dort etwas war‘, aber was es war, darüber gibt die Erinnerung keine Auskunft“103.

Diese kontinuitätsbezogene Lösung von Stein hinsichtlich der Einzigartigkeit des persönlichen Lebens des Menschen ermöglicht ihr diese Einzigartigkeit von den Möglichkeiten einer aktiven Wiedererinnerung zu befreien, da diese begrenzt sind: „So wird man sagen müssen: Die geistige Existenz beginnt nicht notwendig erst in dem Augenblick, wo sie für uns feststellbar wird. Der Beginn der Feststellbarkeit weist auf eine Veränderung in dem Seienden selbst hin, auf einen Übergang zu einem höheren Typus der Geistigkeit, zur Intellektualität, auf eine Steigerung der Lebensaktualität und Bewußtheit, zugleich auf eine Erweiterung des Umfangs der Geöffnetheit“104.

Diese grundlegenden Schritte vereinen den Diskurs über Akt und Potenz – und damit auch den Diskurs über die Schichten der Materialität – mit der Frage nach 101

Ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 105. 103 Ebd. 104 Ebd. 102

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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der Veränderlichkeit oder Unveränderlichkeit des Kerns der Person. In letzterer ist einerseits eine deutliche Anlehnung an die Werke von Hedwig Conrad-­Martius zu spüren und andererseits erweitert Stein auf bewundernswerte Weise die phäno­ menologische Analyse des Ich, was ihr Lehrer Husserls lediglich teilweise ausgearbeitet hatte. Aber wir werden schrittweise vorgehen. Das persönliche Ich lebt sozusagen auf dem Gipfel seiner Akte und ist daher in diesem Sinne gewissermaßen „veroberflächlicht“; es muss allerdings auch betont werden, dass das persönliche Ich nicht alle seine Akte gleichermaßen erlebt105. Das aktuale Leben ist durchzogen von einer „Partizipation des Ich“, einer Teilnahme, mit der das Ich zu bestimmten materiellen Inhalten hingezogen wird: Bereits die Wahrnehmungen können mit einer mehr oder weniger starken „persönlichen Partizipation“ erfolgen106. Dies bedeutet, dass das persönliche Ich die unterschiedlichen Inhalte – emotionaler, wertender, oder sensorischer Art – mit einer mehr, oder minder starken Tiefe annimmt, welche bereits für jedes menschliche Wesen in greifbarer Nähe sein muss, unabhängig davon, ob es sie in seinem Charakter aktualisiert107. Die Interaktion zwischen dem Inhalt und der Form der Innerlichkeit, das heißt der Tiefe, markiert einen Kontakt mit dem Objekt. Es handelt sich um einen Kontakt, durch welchen es sich zum Tiefen mit mehr oder weniger Kraft durchschlagen kann. Dies bedeutet, dass eine rein materialistisch-sensorische Lesart der Elaboration der sensiblen Daten, ausgehend von der menschlichen Spiritualität, für Edith Stein überhaupt nicht in Frage kommt, weil jene Lesart nämlich selbst die phänomenologischen Daten verkennt: Die Art und Weise, wie die interpretierende Auffassung die Inhalte animiert, kann unbeschadet der Identität dieser Inhalte unterschiedlich sein, sodass der Unterschied zwischen den verschiedenen Auffassungen nicht auf die gleiche Stufe des Sensibel-Materialen zusammenfallen kann: „Dasselbe Geräusch, das ich einmal einfach abgleiten lasse, das mir ein andermal durch seinen Mißklang Unbehagen verursacht […], kann mich im Tiefsten erregen: Es liegt mir alles daran, bei dem, was mich eben geistig beschäftigt, gesammelt zu bleiben; ich glaube der Lösung einer wesentlichen Frage sehr nahe zu sein und hoffe, sie bestimmt zu finden […] – da kommt der Mißton, der mich aus allem herausreißt. Ich bin empört über die Störung, untröstlich über den Verlust, verzweifelt über mich selbst, weil ich mich so leicht ablenken lasse. Es ist dasselbe Geräusch in allen drei Fällen […]. Aber die Bedeutung für mich ist jedesmal eine andere, und zwar, weil ich jedesmal in einer anderen Verfassung bin“108.

Stein befreit in der Beschreibung dieser Tiefe des Ich das Feld direkt von möglichen Vermischungen „räumlichen“ Charakters: Diese ist keine Tiefe in einem räumlichen Sinne, da sie sich in einigen Individuen durchaus auch auf der extremen Oberfläche ihres Seins konzentrieren kann. Es gibt durchaus Menschen, die scheinbar konstant weit entfernt von ihrem „qualifizierenden Zentrum“, ihrem 105

Vgl. ebd., S. 123. Vgl. ebd., S. 124. 107 Vgl. ebd., S. 125. 108 Ebd. 106

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

Kern der Person, leben109. Es muss sich daher um eine Art der „Räumlichkeit“ handeln, die vollständig der Seele zu eigen ist und nicht mit der dreidimensionalen vergleichbar ist: „Das ‚Gemüt‘ erscheint als ein ‚Innenraum‘, und die Gefühle, Gemütsstellungnahmen, Affekte […] haben ihren spezifischen ‚Ort‘ in diesem ‚Raum‘. So ordnen sich auch die entsprechenden Potenzen und Habitus […] nach Oberfläche und Tiefe. Nicht alles, was die Person charakterisiert, ist gleich charakteristisch für sie und gleich bedeutsam für die Beurteilung ihres Charakters“110.

In diesem Kontext sind auch die folgenden Worte von Angela Ales Bello sehr erhellend: „Der Nukleus unterscheidet sich durch seine Einfachheit – er ist nicht aus Teilen formiert – er ist potenziell in Bezug auf die Aktualisierung des spirituellen Lebens, in welchem er sich auf adäquate Weise äußern sollte, um dessen Akt zu erreichen. Natürlich kann er ‚verdunkelt‘ bleiben, aber auch in diesem Fall hat er eine Aktualität, denn er ist immer aktiv und real, selbst wenn er nicht vollständig realisiert ist“111.

Der Kern der Person ist also eine kontinuierliche Entität, welche in der Tiefe ihres Seins liegt und eine Veroberflächlichung einiger ihrer Aspekte in Form von Akten ermöglicht, welche üblicherweise mit „Charakter“ genannt werden. Im Unterschied zum kontinuierlichen Fluss des inneren Bewusstseins der Zeit, wird der Kern der Person zum Anschlusspunkt jenes Flusses, bleibt aber außerhalb von diesem gesetzt. In diesem Sinne ist er Fundament der analogia entis zwischen menschlichem Wesen und Gott112. Welche sind also seine spezifischen Gewichte hinsichtlich Akt und Potenz? „Es [Der Kern] ist actu ens, aktuell Seiendes, im Gegensatz zu bloßer Möglichkeit, und zwar nicht nur zu logischer Möglichkeit, sondern auch zu bloßer Potenz im Sinn unausgebildeter Fähigkeit; er ist aber nicht actus purus, sondern ein Aktuelles, das einer Seinssteigerung fähig ist, und zwar zu der Seinsform bewußten Geisteslebens. Im Hinblick auf diese Seinssteigerung kann sein Sein potentiell genannt werden“113.

Dieser Kern der Person nähert sich durch seine Einfachheit an das göttliche Sein an, unterscheidet sich von diesem aber, da er sich in seinen Handlungen lediglich relativ während seines endlichen Lebens konzentrieren kann. Andererseits ist es wichtig zu betonen, dass das aktuale Leben der Person nicht allein auf dem Kern gegründet ist, sondern auch auf der objektiven Welt, mit welcher sie in Kontakt steht, und zwar in der absolut potenziellen Disposition Gewohnheiten zu entwickeln114. Der Kern der Person ist somit der tiefliegende Pol, um welchen sich der persönlich-individuelle Charakter der Person spannt, ein Element, das eine ober 109

Vgl. ebd. Ebd., S. 127. 111 A. Ales Bello, Il „singolo“ e il suo volto, cit., S. 182–183. 112 Vgl. E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 146. 113 Ebd. 114 Vgl. ebd., S. 147. 110

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flächliche und gemeinschaftliche Resonanz erfahren hat. „Der Kern der Person, der sich in ihrem Charakter entfaltet, ist von dieser individuellen Färbung durchtränkt und macht die unlösliche Einheit des Charakters aus“115. Mittels der einen Transzendenz der „inneren Perzeption“ entfaltet sich „die Einheit der ursprünglich erlebten individuellen Eigenart in einzelne ‚Charakterzüge‘ auseinander, die in verschiedener Tiefe wurzeln“116. Das Ich bewegt sich in seinem Leben zum Äußeren hin, und zwar ausgehend von seinem inneren Kern, welcher in sich die Quelle dessen individueller Eigenheiten in sich trägt. Das „Leben“ und das „Neigen zu“ sind zwei Pole, zwischen denen sich die individuelle Partikularität des Ichs darstellt, welches sich in stetigem Wachzustand befindet. Dies zeigt uns, dass das Ich stets aktiv und stets in Aktion ist. Hier konstituiert sich das Ich in seiner persönlich-individuellen Struktur als Person. In dieser Aktualität wird das Leben des Ich, welches nach außen drängt, kontinuierlich von der Aktualität der Gegenwart wiedererweckt. Im Bewusstwerden des „Sich selbst“ als einheitliche Person, verwirklicht sich das allgemeine Bild des eigenen „Lebens“. Als Person besitzt das Ich eine eigene Aktualität, eine einheitliche Lebensrichtung, ein unbedingtes Verlangen, die tiefsten Stufen des eigenen Seins zu erreichen; es ist ein Verlangen, welches auf eine zusammenfassende Weise alle möglichen und realen Verlangen vereint. Die Reflexion des ursprünglichen Kerns umarmt also das gesamte konkrete Leben des Ich im Sinne eines harmonischen Lebens. Dieses ist insofern harmonisch, als es sich seines kontinuierlichen Autogenerierens aus dem Inneren heraus bewusst ist. „Der Persönlichkeitskern ist […] dasjenige, was in der psycho-physischen Entwicklung der empirischen Person zur Entfaltung kommt und sie zu einer einheitlichen Person von individueller Eigenart gestaltet“117. Diese individuellen Qualitäten – Güte, Großherzigkeit, Stolz, Energie – drücken für Edith Stein „das schlechthin Einzigartige, die individuelle Note, die sie an sich tragen: die ‚persönliche Eigenart‘“118 aus. Jede Angelegenheit, welche zum Leben der Person gehört, hütet in sich „das Gepräge seiner Persönlichkeit119: seiner typischen Züge wie seiner persönlichen Eigenart“120.

115

E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 136. Ebd., S. 178. 117 Ebd., S. 144. 118 Ebd., S. 142. 119 Interessant ist im Zusammenhang mit der Prägung der eigenen Persönlichkeit, welche auf den Dingen des alternden Menschen verbleibt, der Gedankengang von Bruno Callieri in „Corporeità del tramonto“ in seinem Werk Corpo, esistenze, mondi. Per una psicopatologia antropologica, EUR, Rom 2007, S. 96: „Nell’invecchiante, le implicazioni relative allo spazio vissuto, alla distanza, al contatto, si presentano spesso con ricchezza di rilievi intessuti di prospettive e ricordi, con densità di fantasie, intuizioni, percorsi compiuti e da compiere, intessuti del tempo del desiderio“. 120 E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 144. 116

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

2.2.6. Die „Naturwissenschaften“ und die „Geisteswissenschaften“ – die Fähigkeit einer Ermittlung der Individuation „in sich“ Es bleibt nun zu überprüfen, wie die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften121 in der Lage sind, das letzte Fundament der „spirituellen“ Individuen zu ermitteln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die ontologische Struktur des Menschen recht komplex ist, da der Mensch sowohl aus Natur, als auch aus Geist konstituiert ist. Aus einer kategorialen Perspektive sind wir dazu begabt, zwei völlig verschiedene „ursprüngliche Ebenen“ des Seins, die aber miteinander verbunden sind, zu abstrahieren. Ich gehe davon aus, dass wir zwei Ebenen im Individuen annehmen können, da die psychologisch-ursprüngliche „Natur“ ihre externe Quelle in der Relation zum „Geist“ findet, welcher jedoch in einer spirituell-ursprünglichen und vollständig inneren Quelle sitzt. Der Mensch ist grundsätzlich ein auf singuläre Weise zusammengesetztes Sein, wie es in keiner anderen natürlichen Entität vorkommt. An dieser Stelle können wir bereits vorausgreifen, dass wir aus der doppelten, ontischen Konstitution des Individuums a priori ein doppeltes Prinzip der Individuation (extrinsisch = Natur – intrinsisch = Geist) ausschließen können, weil sich das eîdos der Phänomenologie primär auf ein Erfassen des wesentlich-individuellen Moments (intrinsisch) richtet, von dessen Inneren heraus das persönliche Leben des Ich ausstrahlt, richtet. Wir könnten somit festsetzen, dass die Individuation die Partikularität hat, der ursprüngliche Ort des „Lebens“ zu sein, welcher aus dem Inneren des Individuums nach außen drängt und dem Individuum somit die eigene, singuläre Note verleiht. Der Blick, welcher sich von innen nach außen richtet, konstituiert die Einheit des Sinns des Individuums in seiner absoluten Einzigartigkeit. Aus diesen Prämissen ergibt sich zwangsläufig eine hermeneutische Schwierigkeit für die Naturwissenschaften, welche lediglich von „außen“ her betrachtet die Individualität determinieren können, indem sie sich der „Zeit“ und des „Raumes“ als principia individuationis bedienen122: Ein Individuum ist ein solches insofern, 121 Die von Wilhelm Dilthey 1883 getroffene Distinktion zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften bleibt diesbezüglich von grundlegender Bedeutung: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und Geschichte, hrsg. v. B. Groethuysen, Gesammelte Schriften 1, Teubner-Vandenhoeck & Ru­ precht, Leipzig / Göttingen  1990, Bd.  I, par. II: „Der Geisteswissenschaften ein selbständiges Ganzes neben den Naturwissenschaften“. 122 Vgl. E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 201–202. Wichtig sind für diesen Aspekt die Analysen von R. De Monticelli: L’ordine del cuore. Etica e teoria del sentire, Garzanti, Mailand 20082, S. 190: „Giulietta […] non si distingue da Socrate soltanto per come è fatto il suo corpo e per la materia che lo compone o per lo spazio e il tempo che occupa, come vuole quell’assurda teoria dell’individuazione che la maggior parte di filosofi (con le grandi eccezioni di Scoto e Leibniz) ha condiviso da Aristotele a Strawson“. Von R. De Monticelli vgl. auch L’individualità essenziale. Appunti per una personologia fenomenologica, in: S. Besoli / L. Guidetti (Hrsg.), Il realismo fenomenologico. Sulla filosofia dei circoli di Monaco e Gottinga, Quodlibet, Macerata 2000, S. 657–672.

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als es einen bestimmten Ort beansprucht, oder insofern es „hier“ und „jetzt“ ist. Diese Position, welche der Theorie ähnelt, die in der dimensionalen „Quantität“ das Individuationsprinzip sieht, ist allerdings höchst problematisch, da sie nicht in der Lage ist zu klären, was intrinsisch ein Individuum ausmacht. Zudem führt diese Position zu der Hypothese, dass Zeit und Raum an sich auto-individuierende Charakteristiken sind. Dies ist schon deshalb nicht haltbar, da das Individuum seine wesentliche Einheit hat, die jeder weiteren akzidentiellen Einheit vorausgeht. Selbstverständlich sind die Akzidentien ontologisch betrachtet demjenigen nachgestellt, dem sie innewohnen, und sie können auch lediglich als „sichtbare Zeichen“ der Individuation angenommen werden und nicht als die determinierenden Gründe. Daraus resultiert, dass die raum-zeitliche Verortung nicht ausreichend ist, um die Individuation als „individuelle“ Qualität im Inneren der Struktur des Individuums zu begründen. Man kann daher die radikale Position Edith Steins, welche nah an der scotistischen Kritik der Individuation in akzidentiellen Termini steht, entsprechend interpretieren, da sie davon ausgeht, dass die Naturwissenschaften nicht in der Lage seien die „intrinsische“ Individuation des Individuums zu ermitteln, wodurch sie in Bezug auf die Persönlichkeit folgendes annimmt: Die „Persönlichkeit als geistige Individualität ist unabhängig von ihrer Raum- und Zeitstelle eindeutig festzulegen, und es ist andererseits nicht möglich, sie durch die Raum- und Zeitstelle festzulegen“123. Diese Annahme kann besser verstanden werden, wenn wir mit der Unterscheidung von Körper (physischer Körper) und Leib (lebender Körper) operieren124. Die von den Naturwissenschaften angewendete raum-zeitliche Verortung kann nur den Körper determinieren. Für die Bestimmung der Individuation des Leibes bedarf es hingegen eines anderen Anhaltspunktes, wie es Stein erklärt: „Wenn es eine Wissenschaft von den geistigen Individuen geben soll, so muß Individualität hier etwas anderes bedeuten als dort: nicht bloß numerische Einzigkeit, sondern einen qualitativen Eigenbestand“125. Edith Stein tendiert eher zu einer Verortung des principium individuationis in der Qualität des Seienden, anstatt in dessen quantitativem Moment. In diesem Sinne nähert sie sich deutlich der Position von Duns Scotus an. Diese Annäherung werden wir im weiteren Verlauf, sobald wir uns eingehender mit Endliches und ewiges Sein auseinandersetzen, näher betrachten können. Wir konnten bislang die Unzulänglichkeit der numerischen Deter­

123

E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 202. In ihrem Aufsatz Freiheit und Gnade unterscheidet Stein zwischen dem beseelten Leib und dem unbeseelten Körper: vgl. Natura, libertà e grazia, übers. v. M. D’Ambra in E. Stein, Natura, persona, mistica. Per una ricerca cristiana della verità, hrsg. v. A. Ales Bello, Città Nuova, Rom 20023, S. 87–88. Für eine Vertiefung der Distinktion von Körper und Leib vgl. H. Vetter (Hrsg.), Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe (Philosophische Bibliothek, 555), Meiner, Hamburg 2004, S. 331–337 (s. v. Leib, hrsg. v. K. Meyer Drawe). 125 E. Stein, Einführung in die Philosophie, cit., S. 212. 124

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

mination in der Spezifizierung des individuellen Wesens ausmachen126 und zwar in Bezug auf den von Stein eingeschlagenen Weg, welcher sich in die Richtung einer Untersuchung orientiert, die primär den Inhalt des qualitativen Wesens des individuellen Moments erforscht. Stein eröffnet somit einen direkten Übergang von den Naturwissenschaften, welche sich für das „quantitative“ Moment interessieren, zu den Geisteswissenschaften. Diese allein sind in der Lage, das Wesen der individuellen Person von „innen“ her zu begreifen, ohne sich dafür eines externen Elementes zu bedienen. Auch Hedwig Conrad-Martius unterstützt in ihrem Werk Die Geistseele des Menschen, dass ohne die „qualitative Einzigartigkeit der Geistseele wäre auch die quantitative ohne Sinn“127. 2.2.7. Die formale Ontologie – „leere Form“ und „qualitative Fülle“ Husserls Werk Formale und transzendentale Logik (1929)128, eines der komplexesten Werke des Philosophen, ist für Edith Stein die explizite Referenz für die Erforschung des ontologischen Konzepts der „leeren Form“ und des relativen „Befüllens“ in konkreten Individuen. Wir gelangen somit zu den von Stein eingeführten Schlüsselbegriffen, welche für die Individuation des Einzelseins in der dualen Bedeutung von determiniertem Substrat (leere Form) im formal-ontolo­gischen Gerüst und Fülle des Seins (Fülle) entscheidend sind. Letzteres macht das Individuum nicht nur zum statischen Träger der Merkmale der Spezies, sondern auch zum Träger des Singulären, da die qualitative Füllung in Bezug auf die anderen Singularitäten derselben Spezies eine „eigene“ Singularität verleiht. Eine Analyse der Charakteristiken, die der Mehrzahl der Individuen derselben Spezies auf eine gleiche Weise zukommen, würde leider den Rahmen unserer Untersuchung sprengen, da diese nur ausgehend vom Einzelsein in ihrem Sein begründet sind. Dieses Einzelsein ist Träger eines Seinsprinzips, welches nicht darauf zu antworten hat, „wie“ sich die Individuen voneinander unterscheiden, sondern auf die konstitutive, einzigartige und unüberschreitbare Struktur ausgerichtet ist, welche die qualitative Determination im Füllen des letzten Substrats des Seins darstellt. Die Wesensfülle hat daher den Vorrang vor jeglicher individuellen Differen-

126

Vgl. ebd., S. 203: „Die Individualität des Dinges bedeutet, daß es numerisch eines ist. Die Individualität der Person besagt dasselbe auch, aber darüber hinaus, daß sie qualitativ einzigartig ist, und die Einzigartigkeit ist das Mittel, um die Einzigkeit zu fassen“. 127 H.  Conrad-Martius, Die Geistseele des Menschen, Kösel, München 1960, S. 45. Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang die Untersuchungen im II. Kapitel (Quantitative und qualitative Individuierung der Geistseele. Ihre biologischen Bedingungen und metaphysischen Grundlagen. Theologische Aspekte), S. 23–40. 128 E. Husserl, Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft, hrsg. v. P. Janssen, Husserliana. Gesammelte Werke, Bd. 17, Nijhoff, Den Haag 1974.

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zierung zwischen den Angehörigen der ein und derselben Spezies. All dies führt zu einer radikalen Trennung der Singularität als einzigem konstitutivem Akt im Inneren des Individuums von dem Grund der Differenzierung zwischen den Individuen einer Spezies. Was ein Individuum von einem anderen unterscheidet, kann nicht als letztes Prinzip der Singularität angenommen werden. Möchte man das letzte Fundament der Singularität exakt begreifen, bedarf es eines „retrospektiven Blickes“, welcher noch tiefer in das Innere des Einzelseins eindringen kann: Jede „äußere Differenzierung weist auf innere zurück: auf ein letztes einfaches Quale […]. Andererseits ist die äußere von der inneren her als möglich zu ersehen“129. Es kann durchaus den Anschein erwecken, dass Stein den Gedanken einer Individualisierung der physischen Dinge durch die Form fasste und zwar aufgrund eines Unterschiedes zwischen der ersten und der zweiten Version des Manuskriptes Potenz und Akt: Wie aus dem nachfolgenden Zitat hervorgeht, gibt es eine Bemerkung Steins, dank welcher die materiell-quantitative Zugehörigkeit der physischen Dinge in der Individuation deutlich wird: Die „qualitative ‚und quantitative‘ Fülle, an die seine individuelle Existenz gebunden ist, seine Konkretion“130. Der in Klammern stehende Nachtrag ist Teil des zweiten Manuskripts, auf dessen Grundlage die kritische Edition erarbeitet wurde. An dieser Stelle wird nicht die Überzeugung einer Zugehörigkeit der Individuation der Personen, jener Formen diskutiert, die von dem Punkt ausgeht, in welchem sich die ultima solitudo des Seins dieser öffnet, sondern der Bezug liegt eindeutig auf den physischen Dingen und damit auf den materiellen Aspekten. Diese sind sicherlich in den Personen vorhanden, allerdings kann man nicht aus deren Präsenz die Hypothese einer Duplizität oder Multiplizität des Individuationsprinzips schließen. Die Wirkung ist die „Konkretion“, ein Terminus, welchen die Autorin verwendet und der die scottistische contractio evoziert. 129

E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 59. Ebd., S. 21. Bemerkenswert ist, dass die bereits zitierte italienische Ausgabe (S. 72–73; im Text von ESW XVIII vorgestellt) „qualitative und quantitative Fülle“ vorschlägt. In der neuen kritischen Ausgabe der Werke Edith Steins (ESGA, 10) stellen wir dagegen lediglich eine „qualitative Fülle“ fest, wobei die „quantitative Fülle“ ein von der Autorin später hinzugefügter Nachtrag ist. Die Lektüre des Manuskripts, welches Edith Stein 1933 der Freundin H. Conrad-Martius zukommen ließ, bestätigt dies: Es findet sich keine einzige Bezugnahme auf die „quantitative Fülle“, was erneut die ursprüngliche Ausgangsthese beweist, dass lediglich die qualitative Determinierung in Steins Untersuchungen die Fülle des Einzelseins darstellt. Vgl. Conrad Martiusiana F I 2, Potenz und Akt. Studien zu einer Philosophie des Seins, f. 29: „Seine Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit, die es von allem andern sondert, nennen wir seine Individualität, die qualitative Fülle, an die seine individuelle Existenz gebunden ist, seine Konkretion“ (unser Fettdruck). Dieses Exemplar befindet sich in zwei Ordnern des Nachlasses von H. Conrad-Martius in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (vgl. Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis, cit., S. 250). Für seine kritische Ausgabe (ESGA, 10) konnte der Herausgeber Hans Rainer Sepp lediglich auf eine Kopie des Manuskripts zurückgreifen, welche von Lucy Gelber zurückgegeben wurde. Er definiert es dennoch als exemplarisch F I 2 (vgl. Introduzione a E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. XXXIV). 130

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

Abbildung 6: Ms. Potenz und Akt, f. 29 (vgl. S. 140, Fußnote 130)

Sofern wir tiefer in dieses Konzept eindringen wollen – und diese Angelegenheit verlangt eine weitere Auseinandersetzung mit Steins materialer Ontologie – können wir sehen, dass Stein ab dem zweiten Kapitel eine Determinierung des tragenden Konzeptes der Ontologie sucht: Ohne die Unterteilung Husserls in formale und materiale Ontologie in Frage zu stellen, findet Stein dennoch einen eigenen doktrinären Weg hinsichtlich der tragenden Konzepte dieser beiden Achsen der Ontologie. Für die formale Ontologie kann dabei nur das Konzept der „qualifizierten-leeren Form“ gelten, welches die gesamte Doktrin einer Phänomenologie der Person zu halten hat: Die formale Ontologie ist für Stein die Doktrin der Formen des Seins und des Seienden131. Die „Form“ ist nichts anderes als alles, was – im Sinne der Abgrenzung – jeglichen Inhalt aktualisiert, indem er ihn ganz 131

E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 21.

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oder teilweise seiner Inhaltselemente beraubt, die in Teil der Potenzialität eines Individuums sind: „Auf die Formen im Sinne der formalen Ontologie aber kommen wir erst, wenn wir diese Formen ihres Inhalts entleeren. Das, was uns in der Erfahrung begegnet, sind inhaltlich bestimmte Gegenstände, mögen sie materiell oder geistig sein; so bestimmt, daß jeder von jedem andern unterschieden ist, sei es auch nur durch seine Raum- und Zeitstelle“132.

Inhaltlich gesprochen, erweisen sich also alle Individuen, sowohl materielle als auch spirituelle, als „unwiederholbar“. In ihrem Inneren findet sich eine qualiquantitative Fülle, welche deren Konkretion konstituiert: Jene Individuen sind auf eine Doktrin bezogen, die sich mit den „selbstständigen“ Seienden auseinandersetzt (siehe hierzu das Schema Steins zur Ontologie133). Alle Bedeutungen des Begriffes „Form“ (räumliche Form der sichtbaren Dinge, Form als vitale Kraft eines Organismus, Form als Idee der Dinge) sind also Bedeutungen, die sich an das Konzept der aktualen Begrenzung eines Potenzialen anbinden, welches wiederum die vollständig informe Materie ist: „Als der Gegensatz dazu erscheint das völlig Formlose, die Materie im Sinne der prima materia, nach Aristotelisch-scholastischer Terminologie“134.

Ich habe bereits angedeutet, dass die Relation zwischen den letzten Gattungen der formalen Ontologie und die ihnen untergeordneten Gattungen sowie Spezies in Form der Abgrenzung besteht. Diese Relation ist allerdings nicht immer einseitig im Sinne einer Spezifizierung aufzufassen. Sofern die Relation der Spezifizierung für das Verhältnis von Gattung–Spezies (Granat–böhmischer Granat)135 gilt, ist es jedoch nicht hinreichend für das Verhältnis Spezies–Individuum: Meiner Ansicht nach ist dies relativ zur qualitativen Füllung der Qualifikationsform der Persönlichkeit im Bereich des subjektiven Geistes nicht ausreichend. Es erscheint allerdings plausibel anzunehmen, dass für Edith Stein die Relationen der Unselbstständigkeit mehr vom Verhältnis der Spezifizierung markiert zu sein scheinen, während jenes Verhältnis nicht mehr ausreicht, sofern die persönliche Individuation berücksichtigt werden muss, für welche der Terminus Konkretion durchaus angemessener ist. Allein in einem konkreten und selbstständigen „diesem hier“ realisiert sich mittels der „Infusion“ die personalisierende Individuation, welche anhand der Form qualifiziert wird: „Farbe kann sich nur innerhalb der Farbenskala spezialisieren und nicht etwa in verschiedenen Raumgestalten, obgleich sie in verschiedenen Raumgestalten konkret auftreten kann. Der Unterschied von Spezifikation, Konkretion, Individuation tritt hier deutlich hervor. Individualität bekommt die Farbe, indem sie in den Aufbau eines konkreten Individuums,

132

Ebd. Vgl. supra, S. 120. 134 Ebd., S. 21. 135 Vgl. ebd., S. 24. 133

136

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in diesem Falle eines Raumgebildes, eingeht. Konkretion ist das ‚Zusammenwachsen‘ mit den anderen Momenten, die zum Aufbau des Individuums gehören“136.

Wenn also dieses Konzept der Konkretion eine Erklärung der Verbindungspunkte der Selbstständigkeit auch in den Bereichen der inorganischen Synolen liefern kann, so muss es auch für die qualitative Individuation der persönlichen Form relevant sein, welche offensichtlich ihre grundlegende Stütze in der ultima solitudo des Kerns findet. Ich meine eine Bestätigung dieser Vermutung in den folgenden Worten von Francesco Bottin finden zu können: „Stein scheint, im Unterschied zu Scotus, die Individuation durch Materie einzugestehen, jedoch nur für materielle Realitäten. Für derartige Realitäten kann der von Thomas von Aquin eingeschlagene Weg als akzeptabel erscheinen. Wenn es sich aber um spirituelle Realitäten, oder um solche, die mit der Spiritualität verbunden sind, handelt, ist jener Weg sicher nicht mehr praktikabel“137.

Das Person-Individuum verkörpert daher die Spezies mit seiner Fülle. Dagegen sind Gattung sowie Spezies im Verhältnis zu diesem leer. Diese Leere spezifiziert sich nicht einfach nur in den Person-Individuen, sondern sie taucht in sie tief ein. Die Individuen „exemplifizieren“ sie, aber sie verorten sich außerhalb dieser Form, außerhalb dieses selben quid. Lediglich die erfüllten Formen, welche sich verkörpert in den Individuen vorfinden, stehen außerhalb der Relation der Spezifizierung und stehen somit auch außerhalb der mereologischen Beziehung, wodurch sie der konkreten Singularität ihren Raum verleihen138. Wie Angela Ales Bello präzise anmerkt, ermöglicht dies Edith Stein eine hervorragende Synthese aus dem für die Phänomenologie paradigmatischen, essenzialistischen Ansatz und dem aus der thomistischen Tradition stammenden metaphysischen Ansatz, welcher ebenso auch mittelalterlich (ich denke dabei auch an Scotus) ist und eine deutliche Aufmerksamkeit dem Moment des aktual-realen concretum widmet, in welchem sich die Individuation realisiert: „In Anbetracht der nachvollziehbaren Stratifikation der Essenzen, sind nun auch die weiteren Ansätze verständlich: Sowohl der phänomenologische, welcher durch die Reduktion der natürlichen Einstellung sich dem quid der Dinge, bzw. dem ‚dinghaften‘ Sinn nähert und auf der Ebene des Wissens so zum Bewusstsein gelangt, welches die spirituelle Bedeutung der Dinge erfasst, als auch der linguistische Ansatz, denn sofern auf eine Analyse des linguistischen Ausdrucks eingegangen wird, findet sich auch die linguistische Bedeutung. Dies ermöglicht auch, keine Perspektive ausschließen zu müssen, sondern im Gegenteil die verschiedenen Ansätze der philosophischen Forschung erfassen zu können. Daher gibt es für Edith Stein zwischen der phänomenologischen und der metaphysischen Forschung keinen Kontrast: Es handelt sich nämlich um zwei Wege der Forschung, die in der selben Realität zusammentreffen und den jeweiligen, untersuchten Aspekt zum Vorschein brin 136

Ebd., S. 31. F.  Bottin, Tommaso D’Aquino, Duns Scoto  e Edith Stein sulla individuazione, in: „Il Santo“ 49 (2009), S. 127. 138 Vgl. ebd. 137

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

137

gen. Natürlich ermöglicht die Individuation des wesentlichen Seins ein tieferes Eindringen in den Sinn der Realität. Die wesentlichen Seienden unterscheiden sich sowohl von den zeitlich-aktualen, als auch von den lediglich gedachten; jedoch sind alle drei Momente für das menschliche Sein verbunden“139.

Betrachten wir nun aufmerksam die Ergebnisse des bislang Erarbeiteten, so ist es nun offensichtlich, dass wir für die Erforschung der persönlichen Individuation des menschlichen Wesens von der Form und nicht von der Materie ausgehen müssen. Allerdings handelt es sich paradoxerweise nicht um eine Form, die von Edith Stein als „Sammlerin“ von generalisierenden Intentionen aufgefasst werden kann. Stein unterstreicht die alleinige, qualitative Determinierung der Füllung der leeren Form, denn sie möchte aufzeigen, dass das was (der Dinge) – ähnlich wie es auch Scotus in Ordinatio140 vornimmt – im Individuum der Spezies weder erforscht, noch benannt werden kann: „Das principium individuationis muß hier außerhalb der Spezies liegen“141. Dies ist damit zu begründen, dass aufgrund ihrer nicht-Mitteilbarkeit jede Singularität ein Fundament im Individuum haben muss. Für ein klares Verständnis dieser Gedankengänge müssen wir nun den Grund analysieren, weshalb die „quantitative Fülle“ nicht als ontologische Priorität in der Füllung der leeren Form für die Determinierung der Singularität angenommen werden kann. Es handelt sich dabei sicherlich nicht um einen Zufall, dass Stein diese im Prozess der Konkretion nicht zusammen mit der qualitativen Fülle eingliedert. Zunächst stellen wir fest, dass die leere Form uns nicht als solche empirisch „entgegen kommt“, sondern wir begegnen ihr stets als eine von Inhalten gefüllte Form. Wäre die „quantitative Fülle“ in den Prozess der Konkretion miteingeschlossen, würde die Singularität – ähnlich wie die raum-zeitliche Determinierung  – notwendigerweise von externen Faktoren am Individuum selbst determiniert werden, wodurch der intrinsische und begründende Charakter einer Singularität, die eine solche nur dann ist, sofern sie in sich selbst bereits alles sie Determinierende schon enthält, verloren gehen würde. Allein das „was“ als „qualitative Fülle“, repräsentiert also die individuelle Tonalität des Einzelseins, welches trotz aller Veränderungen aus der „quantitativen Dimension“ in sich bestehen bleibt: „Das Individuum ist ein Singuläres […]. Das kann in dem begründet sein, was es ist: wenn dieses keine Wiederholung zuläßt“142. Hier wird nun ersichtlich, dass die nicht-Mitteilbarkeit als Garant der unüberschreitbaren Einzigartigkeit des Individuums nur der qualitativen Determinierung des eigenen Seins zugehörig 139

A. Ales Bello, Il „singolo“ e il suo volto, cit., S. 184. Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 1, n. 30 (ed. Vat. VII, 402): „Sicut etiam deducit secunda ratio (cum suis probationibus omnibus), aliqua est unitas in re realis absque omni operatione intellectus, minor unitate numerali sive unitate propria singularis, quae ‚unitas‘ est naturae secundum se, – et secundum istam ‚unitatem propriam‘ naturae ut natura est, natura est indifferens ad unitatem singularitatis; non igitur est de se sic illa una, scilicet unitate singularitatis“. Siehe auch infra, Absatz 2.1. 141 E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 29. 142 Ebd., S. 28. 140

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sein kann und nicht der „quantitativen Fülle“, welche an sich mehreren Individuen mitteilbar ist. Mit anderen Worten ist es nicht die „Füllung“ als Inhalt, sondern die qualitative Tonalität der Füllung, durch welche das Individuum ein singuläres, einzigartiges und unwiederholbares Sein wird. Nachdem wir nun die qualitative „Füllung“ im Prozess der Konkretion klären konnten, wenden wir uns nun der „leeren Form“ zu, welche ihre Ausfüllung nur von einem konkret individuellen erhält. Die formale Ontologie, welche sich mit der „leeren Form“ auseinandersetzt, welche wiederrum „mit ihrer vollen Ausfüllung ein Singuläres bezeichnet, umgekehrt, daß nur ein Singuläres ihre unmittelbare Ausfüllung sein kann“143. Von der „leeren Form“ in ihrem allgemeinen Charakter eines determinierten Substrats müssen wir den Sinn unterscheiden, den Edith Stein in ihren Analysen der „Doppelform der Individualität“144 zuspricht. Die Autorin betont vorläufig, dass die Determinierung einer doppelten Form in der Individualität liege und zwar in „einer, in der die ‚haecceitas‘ (das ‚dieses sein‘) in der ‚quidditas‘ begründet ist, und einer, bei der ihr Grund außerhalb des Quid liegt“145. In beiden Fällen beschreibt Stein einen jeweils anderen Bereich des Füllens; entweder handelt es sich um die haecceitas in Bezug auf die letzte Realität der leeren Form, oder es handelt sich um eine einfache materiale Realität, in welcher das Fundament außerhalb des Quid liegt. Wir sehen hier zwei verschiedene kategoriale Bereiche des Seins („leere Form“ und Synole „Form-Materie“), in welchen die Individualität, um sich in sich selbst zu gründen, intrinsisch zu der letzten Realität der Form gehören muss. Hinsichtlich der Synole „Form-Materie“ ist hingegen zu sagen, dass es sich hierbei um einen Bereich handelt, in welchem sich die Individualität manifestiert. Das Fundament ist in der Synole hingegen nicht ausfindig zu machen, denn dieses findet seinen Ursprung allein in der letzten Realität des Seins. Die „leere Form“ bleibt unverändert erhalten, auch wenn man aufgrund der radikalen Veränderungen der physischen Formen eine Pluralität wesentlicher Formen (bzw. eine Pluralität individueller Entitäten) annehmen könnte. Dies erklärt auch, weshalb Stein von einem individuierenden Fundament spricht, welches im Inneren des Seins liegt und welches außerhalb des Quid in Bezug auf die Synole Form-Materie steht. In beiden Fällen sprechen wir von derselben Individualität, ungeachtet der Unterscheidung des intrinsischen Fundaments des Einzelseins von seiner externen Erscheinung, für die das Individuum „‚quidditas‘ in ‚haecceitate‘“146 ist. Eine Unterstützung des individuellen Seins ist die „leere Form“, welche – zu der qualitativen Füllung zugehörig – die entelechia (oder auch „innere Form“147) des Seins zeichnet, von welchem ausgehend sich die ontische Struktur des Indi 143

Ebd., S. 22–23. Ebd., S. 29. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Ebd., S. 45. 144

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viduums in einer Bewegung von Innen nach Außen entwickelt, und zwar auf eine einzigartige und nicht wiederholbare Weise, da die innere Formierung von einem entelechialen Ursprung – qualitativ singulär und nicht messbar – determiniert ist. Wir können also auf der Grundlage unserer Argumentationen und in Übereinstimmung mit Redmond annehmen, dass die Position Steins zum intrinsischen Prinzip der Individuation „auf evidente Weise die Doktrin von Scotus evoziert […] und wenn die von der Autorin vorgeschlagene externe Individuation grundsätzlich thomistisch ist, dann ist die innere hingegen eine persönliche Kreation“148. 2.2.8. Der Status des Konzepts der primären Materie; die formierten Materien. Vertiefende Erläuterung der Gründe, weshalb die Materie nicht als Individuationsprinzip gelten kann Die grundsätzlichen Fragen, welche im sechsten Kapitel (und dort insbesondere in den letzten Abschnitten) von Potenz und Akt untersucht werden, beziehen sich in erster Linie auf das Verhältnis von der materia prima und der individualisierenden Konkretion sowie erhaltend auf die Natur des Ich und des persönlichen Geistes, und zwar unter Berücksichtigung der Doktrin von Conrad-Martius. Gerade durch die stetige Auseinandersetzung mit ihr erachtet es Stein als notwendig, die eigene Position in Bezug auf den ontologischen Status, welcher der materia prima zuzusprechen ist, klar zu präzisieren. Sie teilt mit Conrad-Martius den Gedanken, dass alle erschaffenen, materiellen Körper von der Tiefe in Richtung der Höhe auftreten müssen, als würden sie von einem in der Tiefe gelegenen Ursprung ausgehen. Gleichzeitig empfindet Stein jedoch die Notwendigkeit auch jener materia prima einen Grund zu geben, ohne sie als ein „dunkles Fundament“ zu erachten: „Alles, was Gestalt gibt, auch schon im niedersten geformten Gebilde, im ‚Stoff‘, ist von oben ‚Idee‘, ‚objektiver Geist‘, von ursprünglichem Sein in den Stoff hineingesenkt zu eigenem substantiellen Sein. Als ‚von unten‘ bleibt schließlich nur die ‚prima materia‘. Deren Bestimmung bleibt nun freilich nach den verschiedensten Richtungen hin dunkel. Hat auch sie ihren Ursprung in Gott […]? Die Frage wird an verschiedenen Stellen der Gespräche berührt, aber nicht eindeutig beantwortet. Müßte die prima materia als das absolute Nichts aufgefaßt werden, dann käme ihr freilich kein Ursprung aus dem absoluten Sein zu. Aber ist 148

W. Redmond, La rebelión de Edith Stein. La individuación humana, in: R. J. Rizo Patron / G. Vargas Guillén (Hrsg.), Acta fenomenológica latinoamericana. Actas del III Coloquio Latinoamericano de Fenomenología / I Coloquio Iberoamericano de Fenomenología y Hermenéutica, Lima, enero 12–16, 2004, San Pablo-Pontificia Universidad Católica del Perú, Bogotá / Lima  2005, S. 96–97: „De la individuación interna dice que si la species specialissima, la forma última de la cosa, puede existir en solo ejemplar, hay que llamar a la diferencia específica ‚individual‘ y al ejemplar un ‚individuo‘. […] evidentemente evoca a la doctrina de Escoto; […] La individuación externa que propone Stein es básicamente tomista, pero la interna es de su propia cosecha“ (unser Fettdruck).

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das Nichts als lebendig, als gierig zum Sein drängend denkbar? […] So ruht diese gesamte, grandios entworfene Naturauffassung auf einem dunklen Grunde“149.

Für Stein ist die materia prima also kein dunkles Fundament, jedenfalls nicht hinsichtlich ihres Ursprungs – obgleich sie nicht die Informität bezweifelt – aber sie zweifelt, dass die materia prima der bestimmende Faktor für die Individuation sowie die Formierung der Seienden (insbesondere der persönlichen) sein kann: Die Begründung und die Bewertung des materialen Faktors muss über die Frage hinausgehen, ob es sich bei allem Formierten lediglich um misslungene Beispiele der einen großen „Idee“ handelt, zu welcher diese hintendieren wie zu etwas Höherem150. Da sie von der letzten, individuellen Determinierung die materia prima fernhalten muss, bestätigt Stein insbesondere, dass „was die ‚lebendige Form‘, die Entelechie, in sich aufnimmt, ist nicht die prima materia, sondern ein ‚Stoff‘, also schon ein Geformtes“151. Die körperliche, individualisierende Konkretion verdankt die Permanenz der Gleichheit nicht dieser materia prima; auch nachdem ein Körper Form und Leben aus einem präexistenten, unorganischen Material annimmt, um nach seinem Leben wieder bloße Materie zu sein, kann diese „Gleichheit“ – und hier gilt es zu verstehen, was das Individuierende ist – keine ungeformte Materie sein, sondern anderes. Was aber dann? „Wenn ‚in demselben‘ eine substantiale Form der andern Platz macht, ist ‚dasselbe‘ dann die ungeformte Materie? Offenbar geht auch das nicht an. Allerdings war es ein ‚Stück Materie‘ […]. Was kann dann noch ‚dasselbe‘ sein, wenn weder substantielle Form noch Materie es sind? Es bleibt die Gegenstandsform des Individuums, das ‚Dieses da‘, in einer Kontinuität des Seins […]“152.

Dies bedeutet nicht, dass Stein die Individuation auf eine wenig höhere Ebene stellt, als die bloße materia prima: Sie bestimmt lediglich die mindeste Ebene, auf welcher sich die Verkörperlichung bestätigt. Isoliert man diese Ebene, gibt es fernab der materiellen Wechselfälle ein persönliches Leben. Die lebendige Form stimmt also nicht mit der „materialen Form“ überein, obwohl diese als formierter Stoff für die individualisierend-personalisierende Konkretion bereits vorausgesetzt werden muss: „[…] was durch die Seele ‚belebt‘ wird ‚Potenz‘ genannt wird, so ist damit nicht mehr die bloße Materie gemeint, sondern bereits ein geformtes materielles Gebilde. Denn wenn es auch so aufzufassen ist, daß die ‚lebendige Form‘ nicht zur ‚materiellen Form‘ hinzu-, sondern an ihre Stelle tritt, so ist es doch nicht gleichgültig, welche Form ihr vorausgegangen ist: Es ist eine bestimmte Materie, die zur Aufnahme des Lebens bereit ist, und eine jeweils anders bestimmte für diese oder jene lebendige Form. […] Das besagt einmal fortschreitenden Aufbau des Organismus selbst: Aufnahme der zum Aufbau nötigen Materie […] 149

E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 184–185. Vgl. ebd., S. 185. 151 Ebd. 152 Ebd., S. 187–188. 150

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und Hineinformung der aufgenommenen Materie in die eigentümliche Gestalt des sich formenden Organismus“153.

Es gilt also das thomistische Prinzip, laut welchem dasjenige, was ein Ding ist, dies aufgrund dessen Form ist: Die Materie wird aus der Form formiert, welche daher eine ontologische Priorität hat. Wenn also zwei Dinge etwas gemeinsam haben, kann dies nicht die Materie sein, sondern es ist die Form. Die Materie erhält also ihre Form nicht durch sich selbst, sondern von etwas anderem. Woher stammt also die erste Form der materia prima? „[…] kann die prima materia nur von dem ersten Sein erhalten: Das ist die erste Ursache und die Schöpfung die erste Kausalität, die allem andern zugrunde liegt. Nicht erste Formung, sondern nur Umformung kommt für irdische Kausalität in Betracht. Die niederste Gattung im Bereich des Materiellen stellt das dar, was der materia prima am nächsten steht: die einfachen Stoffe oder Elemente, aus denen anderes Materielles besteht und entsteht, die aber selbst nicht mehr aus anderem bestehen und entstehen. Sie weisen nur auf die erste Formung, auf keine andere zurück. Jedes Element ist eine Spezies, und zwar eine species specialissima, die keine Differenzierung mehr zuläßt“154.

Die materia prima findet ihre letzte Begründung im ersten schöpferischen Akt Gottes; alles, was sich im Namen der Transformation an den einfachen Substanzen ereignet, geschieht stets in der Folge jenes schöpferischen Aktes. Die innerweltlichen Kausalitäten, die materiellen Verhältnisse zwischen den Dingen, die körperlichen Substantiationen jeglicher Art sind der ersten Annahme der Form der Materie a posteriori formierte Substanzen. Eine derartige materia prima nimmt also den Charakter eines Mittels an, welches theoretisch notwendig ist, um die Verhältnisse von Individuation–Konkretion im Lichte der offenbarten Wahrheiten erfassbar werden zu lassen und nicht nur im Lichte der Philosophien von Aristoteles, Thomas, Scotus und Husserl. Es handelt sich um eine Notwendigkeit, die wir als logischen Charakter definieren können. Diese Notwendigkeit erklärt sich, wie wir es auch aus Endliches und ewiges Sein ableiten können, anhand zweier Motive: Es ist eine materia prima notwendig, die jeder festgesetzten Materie vorausgehend ist; aber diese materia prima muss ihren Ursprung im Fiat des Schöpfers finden, um eine Dopplung der formierenden Prinzipien zu vermeiden. Dies ist für Stein grundlegend, um nicht dieselben Ambiguitäten zu wiederholen, wie es Aristoteles unternahm. Als sich Aristoteles mit den Worten „‚Nimmer ist gut Willherrschaft der Welt; nur Einer sei Herrscher!‘“155, auf Homer beruft, ist er sich nicht bewusst, dass er seinem Monismus

153

Ebd., S. 189. Ebd., S. 195. 155 Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, siue translatio media. Anonymus saec. XII uel XIII translator Aristotelis, edidit G. Vuillemin-Diem (AL, 25/2), Brill, Leiden 1976, lib. XII, 1076a 4–5, S. 523; deutsche Übers. Aristoteles Metaphysik, v. H. Bonitz, hrsg. v. E. Wellmann, Druck und Verlag von Georg Reimer, Berlin 1890, S. 268. 154

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nicht nachkommt, weil die materia prima ebenso unbeweglich oder auch ewig156 wird, wie der unbewegliche Motor. Stein formuliert dies folgendermaßen: „Die Annahme eines ungewordenen und unvergänglichen Urstoffs stützt sich auf die Voraussetzung, daß aus Nichts nichts werden könne und daß etwas, was ist, nicht zu Nichts werden könne“157. Sie glaubt diese Problematik umgehen zu können, indem sie denselben Weg wie in Potenz und Akt einschlägt, nämlich den Weg des Kreationismus hinsichtlich der materia prima: „Beides entfällt mit der Anerkennung eines unendlichen Seienden, in dessen Macht es steht, etwas aus dem Nichts ins Dasein zu rufen oder Seiendes zu vernichten. Die Schwierigkeit, wie der Stoff zur Form gelange und der geformte Stoff zum wirklichen Dasein, löst sich, wenn es keinen Stoff gibt, der vor und unabhängig von dem schöpferischen ‚Werde!‘ ein – wenn auch nur mögliches – Dasein hätte. Und die Frage, wie ein nur ‚Mögliches‘ wirklich werde, findet ihre Antwort, wenn Form und Stoff und Dasein durch das eine ‚Werde!‘ geschaffen werden“158.

Die formierten Materien, sind also in ihren unterschiedlichen Stadien ein jeweiliger Grad der Objektivierung der Individuation, und zwar a posteriori zu dem logisch postulierten Element, welches die materia prima ist: Wie endliche Seiende haben wir es allein mit unterschiedlichen Graden der Formierung der Materie zu tun, ohne jemals auf eine derartige materia prima zu treffen, die nur in der Gegenwart des Fiat Schöpfers einen Sinn hat. Es ergibt sich nun das Problem zu verstehen, aus welchem Grund Stein den Weg der Materie (und der Form), des Ko-Prinzips der Qualifikation, oder Individuation, als nicht begehbar erachtet. Der Vollständigkeit halber ist es an dieser Stelle notwendig kurz eine Hypothese einer Interpretation der Texte Steins zu schildern, welche sich als Alternative der bereits erörterten Thesen darstellt. Rosa Errico zeigt, indem sie insbesondere die Position von Thomas von Aquin analysiert, dass für ihn das Individuationsprinzip einmal die determinierte, raum-zeitliche Materie ist (De ente) und ein andermal die Form der persönlichen Seele bedeutet, die wesentlich an den Körper gebunden ist (De anima)159. Verfolgen wir diesen Interpretationsstrang von Errico weiter: „In Bezug auf dies, gehört die materia signata dem Wesen an und damit auch der Definition des speziellen Individuums […]. Die Materie ist also dasjenige, was mir eine Definition des Sokrates ermöglicht. Diese wäre nichts anderes, als die über die als Zustand fungie 156 An dieser Stelle muss gesagt werden, dass Stein hier nicht erläutert, inwiefern der von Aristoteles verwendete Begriff der „Ewigkeit“ nicht mit demjenigen der jüdisch-christlichen Kultur – im Unterschied zum Ewigkeitsbegriff der Griechen – übereinstimmend ist. 157 E. Stein, Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins. Anhang: Martin Heideggers Existenzphilosophie – Die Seelenburg, eingeführt und bearbeitet v. A. U. Müller (ESGA, 11–12), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2006, S. 204. 158 Ebd., S. 204–205. 159 Vgl. R. Errico, Quantità e qualità. La questione dell’individuazione nel confronto tra Tommaso d’Aquino e Edith Stein, in: M. Shahid / F. Alfieri (Hrsg.), Il percorso intellettuale di Edith Stein, cit., S. 187.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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rende Extension ausgedrückte und manifestierte Materie. Da also im Seienden die Existenz nicht mit der Essenz übereinstimmt, würde die materia signata, für die etwas eine Entität ist, nicht etwas als Wesensindividuelles werden lassen, sondern nur als Existenz. Sie ist dasjenige, durch welches wir sehen, dass ein bestimmtes Seiendes existiert; sein reales, existenzielles Erscheinungsbild, dasjenige, weshalb ein Seiendes als eines erscheint, und nicht dasjenige, weshalb es eines ist“160.

Errico scheint diese Duplizität auch in den individualisierenden Prinzipien in Edith Stein161 ausfindig machen zu können. Sie gelangt sogar zu der Annahme, dass „sich hinsichtlich der Individualität des menschlichen Wesens, die Uneinigkeit zwischen Thomas von Aquin und Edith Stein soweit abschwächt, bis diese sich vollständig auflöst“162. In Anbetracht des im Vorfeld Gesagten glaube ich, dass ich diese Lektüre der Position Edith Steins in Bezug auf Thomas von Aquin nicht teilen kann, da es im Kontext Steins nicht möglich ist – jedenfalls hinsichtlich der Personen – von einem doppelten Prinzip der Individuation zu sprechen: Dieses Prinzip muss einzigartig sein. Die Einzigartigkeit dieses Prinzips kann, so wie ich es in anderen Arbeiten unternommen habe, parallel zu Francesco Bottin und in einer vollständigen Unabhängigkeit des einen von dem anderen, erklärt werden und zwar aus der einfachen Konstatierung heraus, dass das principium individuationis absolut außerhalb jeglichen essenziellen Aspekts situiert sein muss; und zwar sowohl außerhalb jeg­lichen formalen, als auch jeglichen materialen Aspekts und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Akzidenzien sowohl logisch ihrem Substrat nachfolgend sind, als auch dem Faktum nach, dass sie immer in der „Allgemeinheit“ gefasst werden können. „Zunächst wird bei Stein klar, wie es rigoroserweise Scotus festgesetzt hatte, dass die Merkmale, die eine spirituelle Realität individuell werden lassen, nicht aus den Prinzipien hergeleitet werden können, die diese Realität in einer wesentlichen Gattung konstituieren“163. Was ich damit sagen möchte: Wenn das Individuationsprinzip, wie es richtigerweise von Errico erfasst wurde164, nicht mitteilbar ist, so ist es nicht deshalb, „weil wir die Wurzel des individuellen Seins in der formalen Struktur ausmachen, im Faktum, dass die Stütze, in welcher die Essenz des Individuums als leere Form umschlossen ist, nicht mitteilbar ist“165, sondern weil wir sie außerhalb jeglicher Determinierung, sowohl der materialen, als auch der formalen (im Sinne einer Universalisierung) ausmachen. Es handelt sich sicherlich nicht um einen Zufall, dass Stein sich in ihren Werken später die Gedanken macht, dass „meine ‚Art‘ und die des andern lassen sich nicht in etwas Gemein-

160

Ebd., S. 194. Vgl. ebd., S. 195–197. 162 Ebd., S. 208. 163 F. Bottin, Tommaso D’Aquino, Duns Scoto e Edith Stein sulla individuazione, cit., S. 127. 164 Vgl. R. Errico, Quantità e qualità, cit., S. 205. 165 Ebd. 161

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

sames und etwas Unterscheidendes auseinanderlegen. In diesem Sinn müssen wir zugestehen, daß der Wesensunterschied des Einzelnen nicht faßbar ist“166. In dieser Richtung der Interpretation kann Bottin noch sagen, dass Scotus in seinen zu Stein sehr ähnlichen Gedankengängen von seinen Schülern nicht gefolgt worden ist, insbesondere als diese sich einbildeten, mit dem Terminus haecceitas übersetzen zu können, was für Scotus undefinierbar war; ein Undefinierbares, wie es auch für die analytischen Philosophen des 20. Jahrhunderts ist167. 2.2.9. Von der sensiblen Wahrnehmung zur „spirituellen Wahrnehmung des Fühlens“ Versuchen wir nun die erkennende Determinierung der Singularität in ihrer ersten Konstitution zu ermitteln; dazu müssen wir zunächst die einfache, äußere Erscheinung des Einzelseins in die epochè setzen, um im Anschluss eine Regression bis zu dem Punkt zu unternehmen, an dem keine weitere Regression mehr möglich ist, da das von der Singularität determinierte Substrat, dem letzten Fundament, erreicht wurde. Von diesem Punkt kann man nur noch zurück an die „Ober­ fläche“ gelangen. Zugleich können wir nun auch auf die Frage nach dem Wesen der Singularität antworten, und zwar unabhängig von ihrer einfachen Erscheinung. Wir müssen nicht feststellen, inwiefern diese äußere Erscheinung, welche sich uns empirisch gibt, das Einzelsein in seiner Singularität bestimmt. Die „Einheit“ des Einzelseins ist die Synthese einer doppelten Stratifikation zwischen der quantitativen Determinierung (materiales Element) und der qualitativen Determinierung (geistiger Bereich). In ihrem Wahrnehmen eines jeden erkennenden Systems könnte uns die quantitative Determinierung aufgrund der Tatsache, den ersten Zugang zum Erkennen eines vor mir „stehenden“ „Etwas“ zu der Annahme veranlassen, dass jene erste Berührung ausreichend sei, um die letzte Determinierung der Singularität zu klären. Es ist durchaus verlockend, sich dem menschlichen Wesen gegenüberzustellen, um es zu analysieren, wodurch man quasi einige konstitutive Aspekte „herausnimmt“, als würde es sich um ein „externes Objekt“ handeln. Wir müssen aber ganz im Gegenteil eine eindeutige Unterscheidung treffen zwischen der scheinbaren quantitativen Determinierung des intrinsischen Prinzips der Form von der „innen her wirkenden ‚Entelechie‘“168 und der einfachen Wahrnehmung von der „spirituellen Perzeption des Fühlens“. Nach Edith Stein ist für das Individuum mit der materiellen „Intuition“ – demjenigen Akt der Vernunft, durch welchen das inhaltliche „Etwas“ ergriffen wird –

166

E. Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 420. Darauf wird sich auch F. Bottin in Tommaso D’Aquino, Duns Scoto e Edith Stein sulla individuazione, cit., S. 127 beziehen. 167 Ebd., S. 128. Für eine Vertiefung dieser Aspekte verweise ich auf Absatz 3.3. 168 Ead., Potenz und Akt, cit., S. 54.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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„noch nicht die letzte Scheidung getroffen“169. Was wir mit der sensiblen, oder auch materiellen Wahrnehmung begreifen, entspricht nicht der qualitativen Fülle des Seins, dessen Fülle trotz kontinuierlicher Veränderungen im Erscheinen die einzige fortbestehende und von dem Erscheinen unabhängige Fülle ist. Das vollständige Bewusstsein seiner selbst im vollkommenen Besitz seiner selbst – in sich individuell und einfach einzigartig – ist ein Akt der spirituellen Wahrnehmung eines Fühlens. Edith Stein spricht in diesem Zusammenhang von einer Stimmung: Diese „‚Stimmung‘ ist die gegenwärtige innere Verfassung: So bin ich gegenwärtig […] Das ‚Fühlen‘ ist das Bewußtsein dieser Stimmung“170. Allein das Fühlen als spirituelle Wahrnehmung ad intra ermöglicht uns ein noch tieferes Eindringen in das Innere unseres „Sich-selbst-Seins“, welches in einer kontinuierlichen Reihe von Akten der Wahrnehmung erfasst wird, um sich schließlich vom Fluss der Singularität in dessen erneuter Selbsterzeugung determinieren zu lassen. Wir werden nie die volle Singularität besitzen können, da wir mit dem Fühlen lediglich die Möglichkeit eines Bewusstseins desjenigen Bereiches haben, in welchem alle qualitativen Dimensionen gelebt werden können, ohne jedoch eine Singularität vollständig besitzen zu können, die ihrer Natur nach weder von außen manipuliert werden, noch vollständig von demjenigen „besitzt“ werden kann, der sie erforscht. Dies garantiert eine Intangibilität sowie einen freien Prozess einer Singularität, die keiner Veränderung unterworfen ist. Mit der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens entzieht sich das Individuum, als käme es von einem inneren Antrieb heraus, jeglicher äußeren Konditionierung des einfachen Lebens und erhebt sich in die innere Singularität des eigenen Seins, in dessen Inneren es sich frei bewegen kann. Untersucht man in diesem Fall die Singularität zusammen mit dem Inneren des Seins, aus welchem diese hervorgeht, so zeigt sie sich als bestimmendes und charakterisierendes Element des Individuums an sich, welches direkt aus dem Inneren kommt. Nur wenn das Einzelsein in diese „neue Region des Seins“ eintaucht, erfasst es mit seinem eigenen, inneren Blick sein „sich selbst sein“. Durch dieses Erfassen der eigenen Singularität unterscheidet es gleichzeitig auch die eigene Qualität des Seins von den anderen Individuen. Daher erfasst das Individuum im ersten Moment lediglich seine individuelle Qualität, die fundamentale Essenz des eigenen „sich seiner selbst bewusst seins“, und fühlt in sich die Weite einer inneren Sphäre fließen. Es handelt sich hier um etwas wesentlich Neues, da wir vor einem „ursprünglichen Beschreiten“ des mensch­lichen Seins171 stehen, welches sich von einem einfachen Beschreiten unterscheidet, das 169

Ebd., S. 57 (Herv. d. Autors in Zitaten in Kursivdruck). Ebd., S. 119. 171 Es gilt allerdings zu beachten, dass die Erforschung der Singularität von uns nicht vollständig definiert oder begriffen werden kann, da sie sich jeglicher Definition entzieht. Für unsere Untersuchung bleibt dennoch die Tatsache bestehen, dass das Individuum eine individuelle Charakteristik „zeigt“, die durch sein Inneres determiniert wird. Darüber sprach die Autorin in ihren Berichten zu ihren Vorlesungen und Seminaren für die Frauenbildung: vgl. Ead., Die Frau. Fragestellung und Reflexionen, Einleitung v. S. Binggeli, bearbeitet v. M. A. Neyer 170

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

zu einem direkten Erfassen in der qualitativen Partikularität der Singularität nicht in der Lage ist. Durch einen retrospektiven, inneren Blick fühlt das Individuum, dass sein „Sichselbst-Sein“ aus einer letzten Quelle stammt, die fernab von der sekundären Schicht des eigenen Seins liegt. In dieser Quelle befindet sich das Einzelsein in sich selbst verankert und in vollkommener Einsamkeit, wodurch es schrittweise jeden Kontakt nach „außen“ hin verliert. Stein formuliert dies folgendermaßen: „Je stärker er aus der Tiefe lebt, je reiner er seinen Kern entfaltet, desto belangloser werden die äußeren Veränderungen sein“172. Eine „Tiefe“, in welcher die Singularität des Einzelseins nicht an irgendein akzidentielles Merkmal der Person gebunden ist, sondern sie ist an den wesentlichen und irreduziblen Kern gebunden, welcher das Fundament jeglicher Aktualisierung bedeutet. 2.2.10. Das „sich selbst“ Fühlen – Ein Zugang zur qualitativen Fülle des Seins Im letzten Teil von Potenz und Akt, welcher mit einer Gegenüberstellung mit den Metaphysischen Gesprächen173 der Biologin und Phänomenologin Hedwig ­Conrad-Martius schließt, vertieft die Autorin sowohl die Frage der „leeren Form“, als auch die Frage nach der Interpretation der qualitativen Determinierung des Einzelseins als dasjenige, was das menschliche Wesen als solches ausmacht. Die ontologische Voraussetzung dieser Gegenüberstellung ist das Wesen der Beziehung zwischen der Geistseele und dem Leib, was analog zum Verhältnis zwischen „Form“ und „Materie“ aufzufassen ist. Wir werden an dieser Stelle versuchen, vertiefende Erläuterungen zum Konzept der „leeren Form“ zu erfassen. Stein verwendet anfänglich den Terminus haecceitas, um die Individualität der geistigen Wesen (Engel, Menschen) zu skizzieren, insofern als sich diese ­haecceitas in der quidditas gründet. Folglich definiert sie für die Individuierung des Menschen die Seele als Prinzip, und zwar als individuelle species174. Nachdem sie verschiedene mögliche Lösungen analysiert hat – unter welchen auch die Frage der materia signata quantitate – geht Edith Stein für das Prinzip der Individuierung des Einzelseins von der „Seele“ als Entelechie aus, welche die Entwicklung des Menschen von seinem Inneren heraus leitet, da die individuelle Form in der Innerlichkeit, der Entelechie gesucht werden muss: (ESGA, 13), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2000, S. 161: „Die Philosophie kann noch die Individualität, im Sinne von Einzigartigkeit, als zur Species des Menschen gehörig aufzeigen; die jeweilige Individualität zu erfassen, ist nicht ihre Sache, sondern die einer spezifischen Erfahrungsfunktion, von der wir im Umgang mit Menschen täglich Gebrauch machen“. 172 Ead., Potenz und Akt, cit., S. 141. 173 H. Conrad-Martius, Metaphysische Gespräche, cit. 174 E.  Stein, Potenz und Akt, cit., S. 156: „‚Eine Seele‘ bezeichnet ein Individuum. ‚Der Mensch hat eine Seele‘ besagt: Es wohnt in ihm etwas Individuelles, was wir ‚Seele‘ nennen“.

2. Die „Verantwortung“ der spirituellen Wahrnehmung des Fühlens 

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„Von innen heraus bewegt und gestaltet zu werden, ist das Eigentümliche lebender Wesen, ihr Seinsmodus: Es ist Leben. Und die lebendige innere Form, die Leben gibt, ist die Seele“175.

Stein unterscheidet klar die Form in ihrem Entstehen als Wesensform, welche für die Entwicklung des Individuums verantwortlich ist, von der Form als entelechiale Struktur (Wesen oder auch Was), in welcher die Singularität oder Potenzialität des eigenen individuellen Zuges bereits vor jeglicher bewussten Entscheidung, oder Erfahrung des „sich selbst“ existiert. Wir gehen davon aus, dass Stein damit eine korrekte Vision der Singularität zu begründen beabsichtigt, um eine eventuelle reduktionistische Lesart des menschlichen Seins zu vermeiden, in welcher die Entwicklung, oder auch die einfache Erfahrung als interpretativer Schlüssel für den Zugang zur Singularität als individuelle Note ausgelegt werden könnten. Das Einzelsein, Träger einer im Inneren seines Seins gegründeten Singularität, begreift im vollen Bewusstsein „seiner selbst“, wie die eigene individuelle Note jedem anderen „Du“ attribuiert wird. Über die unteilbare Einheit des eigenen Seins zu wissen, entspricht der Empfindung des eigenen (wie auch desjenigen der anderen) sensiblen Lebens, als spirituelles Leben, welches aus der Tiefe des eigenen Seins hervorquellt. Diese kehrt danach wieder in einen kontinuierlichen Fluss mittels der retrospektiven Wahrnehmung zurück, und zwar zur Quelle der eigenen Singularität, damit der Mensch sein eigenes Bewusstsein darüber frei annehmen kann, dass die eigene Diversität das unverwechselbare und nächste Element des persönlichen Seins ist. In der Tat sind wir an diesem Punkt bereits im Herzen der Hermeneutik Steins angelangt, und zwar auf der onto-metaphysischen Grundlage des Einzelseins, welches das metaphysische Substrat der „leere Form“ bedeutet: „Jene Leerform ist die spezifische des Menschen, das, was ihn als Menschen qualifiziert […] und sein aktuelles Leben eine individuelle qualitative Prägung haben. Diese Prägung aus der Materie herzuleiten geht nicht an“176.

Die qualitative Fülle des Seins erfüllt die „leere Form“ eines Welches, was „‚gespürt  (!)‘177, von jedem darin, wie er ‚sich selbst fühlt‘ […]: wie er selbst als er selbst ist“178.

175

Ebd., S. 164–165. Ebd., S. 256 u. 260. 177 Wir ziehen eine Übersetzung des Terminus vor, der in deutscher Sprache „spüren“, „[innerlich] berührt sein“ bedeutet, da diese Lösung dem Gemeinten wesentlich näherkommt. In diesem Fall, auch wenn es sich um eine innere Erfahrung handelt, unterscheiden wir zwischen einem „innerlichen berührt sein“ von der inneren Wahrnehmung des „Fühlens“. 178 E. Stein, Potenz und Akt, cit., S. 261 (unser Fettdruck). 176

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

3.   Die „positive Qualität des Seienden“ und die „leere Form“ – die Originalität des Fühlens  In Endliches und ewiges Sein fasst Edith Stein ihre Ergebnisse aus vorausgehenden Werken zusammen. Damit erreicht sie eine Erweiterung der Frage der Singularität, und zwar durch die Erforschung der „qualitativen Füllung“ des Seins in Bezug auf die „positive Qualität“ der Individuation des Duns Scotus.

3.1. Einige vorbereitende Beobachtungen Das philosophische Hauptwerk Steins, Endliches und ewiges Sein179 führt die mittelalterliche Tradition mit der Phänomenologie zusammen. Dennoch ist der große Einfluss der Spekulation des Duns Scouts auf dieses Werk ein systematisch wenig analysierter Aspekt (insbesondere im Vergleich zur Rezeption von Thomas von Aquin), obwohl einige Studien auf die Affinität der beiden Denksysteme aufmerksam gemacht haben180. Exemplarisch sei hier das Urteil von Sarah Borden genannt, welche schreibt, dass „Edith Stein im gesamten Werk von Endliches und ewiges Sein zahlreiche thomistische Konzepte eingliedert, auch wenn sie sich an einigen Stellen von Aquin entfernt, um ein Modell der Person zu entwerfen, welches Scotus näherkommt“181. Andererseits bemerkt Stein im Vorwort, dass „[…] angesichts mancher Ergebnisse dieses Buches die Frage auftauchen wird, warum sich die Verfasserin nicht statt an Aristoteles und Thomas an Plato, Augustinus und Duns Scotus angeschlossen habe“182. Dadurch erhält der Leser unmittelbar einen hermeneutischen Schlüssel für das Verständnis des letzten Teils des Werkes über „Sinn und Begründung des Einzelseins“183. Hier greift Stein die bereits behandelte, aber nicht abschlie-

179 Für das vollständige Schema von Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins, vgl. supra, Fußnote 157, S. 152. 180 Folgende Untersuchungen sind in chronologischer Reihenfolge zu berücksichtigen: A.  Höfliger, Das Universalienproblem in Edith Steins Werk „Endliches und ewiges Sein“ (Studia Friburgensia, 46), Universitätsverlag, Freiburg (Schweiz) 1968, S. 66–83 u. 100–107; P. Schulz, Edith Steins Theorie der Person. Von der Bewußtseinsphilosophie zur Geistmetaphysik, Alber, Freiburg / München  1994, S. 228–245; H. Hecker, Phänomenologie des Christ­ lichen bei Edith Stein (Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 12), Echter, Würzburg 1995, S. 96–100; P.  Volek, Erkenntnistheorie bei Edith Stein. Metaphysische Grundlagen der Erkenntnis bei Edith Stein im Vergleich zu Husserl und Thomas von Aquin (Europäische Hochschulschriften, Reihe XX, Philosophie, 564), Lang, Frankfurt a. M. 1998, S. 203–209; W. Redmond, La rebelión de Edith Stein, cit., S. 96–97. 181 S. R. Borden S., Edith Stein, Continuum, London / New York  2003, S. 104: „Throughout Finite and Eternal Being, Stein appropriates many Thomistic concepts, yet also departs from Thomas, developing a more Scotist model of person and being“. 182 E. Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 6. 183 Vgl. ebd., S. 395–441.

3.   Die „positive Qualität des Seienden“ und die „leere Form“  

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ßend geklärte Frage des Einzelseins – und damit auch die Frage der Individualität des Wesens als Substrat – wieder auf. Nach einer möglichen Klärung dieser Frage nähert sich die Determinierung der Person ihrem Abschluss. Edith Stein beginnt diesen Klärungsprozess mit dem Terminus individuum. Diesen übersetzt sie mit Einzelding, was dem aristotelischen Begriff des Diesda entspricht: Das „Ding“, welches nicht genannt werden kann, da es sich jeglicher Definition entzieht. Die Schwierigkeit, das Diesda zu bestimmen, liegt darin, die übertragbaren Eigenschaften (allgemeine Bestimmungen) vom Substrat zu trennen. Allein das Substrat ist fähig, sein Diesda auf eine unverwechselbare Weise zu zeigen, da es aufgrund seiner Beschaffenheit nicht mitteilbar ist. Das Diesda schließt sowohl das Anders-Sein (also ein anderes Individuum), als auch das Inmehreren-Sein aus. Die Problematik des Substrats des Seins kann also ausgehend von der Einheit des Individuums angegangen werden. Diese Einheit ist ihm zugehörig, sobald es als eine „in sich geschlossene Totalität“ erscheint. Das Individuum als „einziges Ding“ zeigt sein ungeteiltes Sein an, das heißt einzigartig darin, dass es in sich eine „Einheit“ besitzt, welche von dessen individuellem Subjekt ausgeht. Stein klärt bereits zu Beginn des achten Kapitels, dass es sich bei der Einheit nicht um eine „quantitative Einheit“, oder numerische Einheit handele, da man nicht davon ausgehen könne, dass das einzige Sein des Einzelseins von der quantitativen Determinierung abstamme, auch wenn das Einzelsein an deren Ursprung stehe184. Der Autorin zufolge kann die numerische Einheit nicht der Ursprung der Individuation sein, weil die dimensionalen Merkmale durchaus veränderbar sind, während das Wesen des Einzelseins konstant bleibt. Des Weiteren können die akzidentiellen Determinierungen nicht per se existieren, wodurch sie nichts der letzten Determinierung hinzufügen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass Stein bereits in der Diskussion über die „Transzendentalen“ nicht die Definition des unum nach Aquin annimmt. Vielmehr definiert sie das unum nicht auf vollständig negative Weise, als etwas in sich nicht Unterschiedenes, aber von den anderen Unterschiedenes, sondern sie stellt in der nicht-Unterschiedenheit lediglich eine Interpretation des positiven Aspekts der „Einheit“ als letzte, nicht reduzierbare Sache fest, welche die Fülle des Seins zusammenhält185. Um es auf den Punkt zu bringen: Weder die transzendentale, noch die numerische Einheit sind für Stein hinreichend, um das Fundament der nicht-Unterscheidbarkeit des Individuums zu konstituieren. Ich habe die Disputation über die „Transzendentalien“ erwähnt, weil diese Tatsache Edith Stein zu einer anderen Lösung führen wird, als es Thomas von Aquin vorgeschlagen hatte.

184 185

Vgl. ebd., S. 396–397. Vgl. ebd., S. 250.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

Die Schwierigkeit besteht im direkten Wissen um das individuelle Wesen. Die Autorin kritisiert die Argumentation von Gredt in Elementa186, eines der wichtigsten Handbücher der neuthomistischen Philosophie. Sie scheint nicht die Position des Autors hinsichtlich des Verständnisses des Einzelseins ausgehend von den wahrnehmbaren Charakteristiken nicht zu akzeptieren: „Wir unterscheiden […] die körperlichen Einzeldinge untereinander durch zufällige, äußerlich sinnfällige Merkmale, insbesondere durch die Gestalt, die Stellung im Raum und in der Zeit“187.

Stein fragt sich, ob es möglich ist, dass die Individualität unmittelbar den sensiblen Inhalt des Einzelseins betrifft. Die inhaltliche Diversität gliedert sich nicht in die formale Distinktion des Seienden ein, sondern vielmehr in die materiale; was Anlass zu der Vermutung gibt, dass sie auf eine ursprüngliche Weise auf die äußeren Einflüsse zurückgeht188. Diese Frage ist für die Autorin entscheidend, um der inhaltlichen (oder der materialen), per se wahrnehmbaren Determinierung dasjenige Prinzip beizufügen, welches das Diesda als das genau eine individuiert und nicht als etwas anderes. Natürlich verbirgt sich hinter dieser Untersuchung Steins Kritik an der Theorie von Gredt. Seine Theorie möchte zeigen, dass die materia nicht nur das Maß für die Unterscheidung des Einzelseins von anderem ist, sondern dass sie gleichzeitig auch das Seinsprinzip ihres Substrats ist. Sowohl für Gredt, als auch für Stein ist eindeutig, dass es sich nicht um eine simple materia prima handelt, da diese unter keinen Umständen als Individuationsprinzip fungieren könnte, weil sie sich als „ursprüngliche Materie“ jeglicher Determinierung vollkommen entzieht und somit nicht das Fundament für die Determinierung des Einzeldings sein kann. Beide beziehen sich auf die materia prima, die durch raum-zeitliche Bestimmungen bereits für Informationen prädisponiert ist. Die Materie, welche von der Form empfangen und auf eine Erweiterung prädisponiert bzw. ausgerichtet worden ist, ist die materia signata quantitate. Für Stein kann die aus der thomistischen Tradition stammende materia signata quantitate nicht das Fundament des Einzeldings sein, da man hierbei immer noch im zu allgemeinen Verhältnis zwischen Form und Materie verbleibt, ohne etwas über sein wesentliches Sein des „Diesda“ zu sagen. Dies geschieht trotz der Tatsache, dass im Falle der materia signata quantitate die „Form“ das aktive und überlegene Element ist, während die „Materie“ das passive Element bedeutet. Die Autorin beharrt darauf, dass – sofern die „Form“ des Synols noch ein Teil der ge 186

Vgl. J. Gredt, Die aristotelisch-thomistische Philosophie, 2 Bde., Herder, Freiburg i. Br. 1935. Stein bezieht sich hier auf die deutsche Fassung von Gredts Elementa philosophiae aristo­telico-thomisticae, welche in der Originalfassung auf Latein abgefasst sind. (2 Bde., Friburgi Brisgoviae 19264). 187 E. Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 397. 188 Vgl. ebd., S. 416.

3.   Die „positive Qualität des Seienden“ und die „leere Form“  

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meinsamen Struktur des menschlichen Seins (der Spezies) ist – auch unterschiedliche individuelle Formen existieren müssen189. Obwohl die Qualitäten grundsätzlich allen gemein sind, hat jeder einzelne jene Qualitäten auf eine individuelle Weise, insofern als „die Freundlichkeit oder Güte des Sokrates anders ist als die eines anderen Menschen“190. Das Einzelsein ist der Träger der Spezifizität der Spezies! Folglich kann Stein nicht die Begründung der inhaltlichen Mannigfaltigkeit einer Spezies durch die von Thomas von Aquin formulierte Materie (Individuum est de ratione materiae)191 akzeptieren. Auf der Grundlage dieser Voraussetzungen ergibt sich, dass die Individualität weder von der Form, noch von der Materie abhängt, da es sich bei diesen um zwei allgemeine Aspekte handelt. Die Individualität hängt aber auch nicht von einer „gewissen Quantität der Materie“ ab, weil die Quantität ein Akzidenz der Substanz ist. Schließlich ist sie nicht einmal von der eigenen „Existenz“ abhängig, denn diese muss davon ausgehen, dass das Einzelsein192 fortbesteht. Das Diesda, die innigste Wahrnehmung der Singularität als ein so, bedeutet für Stein etwas Einzigartiges und daher wird das Individuationsprinzip des Menschen derart konstituiert, dass es sich in der formalen Konstitution des letzten Substrats des Seins gründen muss. Auch wenn sich die Wahrnehmung der Singularität dennoch als unerklärbar erweist, wäre es unlogisch auf der Grundlage von Husserls „Prinzip aller Prinzipien“, nach welchem „jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei“193, darauf zu verzichten. Da es also nicht möglich ist, die innige und individuelle Differenz auf die „Form“, oder auf die quantitative Differenz zurückzuführen, bleibt nun noch der Weg der „leeren Form“ als letzte Realität des Wesens offen.

189

Vgl. ebd., S. 402: „Bedeutsam ist ferner, was hier als ‚Einzelwesen‘ in Anspruch genommen ist: der ‚artgebende Teil‘ des Einzeldinges, z. B. die Menschheit dieses Menschen. Danach hat jedes Einzelding sein Wesen, aber das gleiche wie alle andern seiner Art. Es ist früher schon deutlich geworden, daß wir uns dieser Auffassung nicht anschließen können: wir sehen das Wesen des Sokrates in seinem Sokratessein (in dem das Menschsein eingeschlossen ist) und betrachten es als nicht nur zahlenmäßig, sondern durch eine besondere Eigentümlichkeit vom Wesen jedes anderen Menschen verschieden“. 190 Ebd., S. 142. 191 Vgl. ebd., S. 416–417. 192 Vgl. ebd., S. 409–413. 193 E. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie (1913), cit., § 24, S. 43.

152

3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

3.2. Der Lösungsansatz Edith Steins spiegelt sich in Duns Scotus wider In der kritischen Analyse des Individuationsprinzips lehnt Stein die materia signata quantitate als Fundament der Individuation ab, da ein solches Fundament das Individuum weder auf eine quantitative, noch auf eine rein numerische Weise konstituieren darf. Die fundamentale Struktur des Seienden besteht aus Materie und Form. Sofern die Materie nicht in Betracht gezogen werden kann, bleibt das Konzept der „Form“ übrig. Aber das Einzelsein ist Teil der „leeren Form“, weil es sich inhaltlich nicht vom Sein einer anderen Sache unterscheidet. Die „leere Form“ konstituiert – ähnlich wie die objektive Abgrenzungslinie, die das fertige Wesen äußerlich von allen anderen trennt und das Substrat, oder die Tiefe des Seins innerlich begrenzt – den „Grund“ (sozusagen die Basis) der Singularität. In diesem Sinne hält sich Stein an Duns Scotus194: „Wenn ich ihn recht verstehe, tut das auch Duns Scotus: er sieht als principium individuationis etwas positiv Seiendes an, das die individuelle Wesensform von der allgemeinen scheidet“195.

Das Individuationsprinzip ist nicht als etwas zu betrachten, was sich von außen kommend hinzufügt, sondern es handelt sich um etwas positiv Seiendes, was bereits steht, im Inneren vorhanden ist, und zwar im Sinne einer Perfektion des Seins. Das positiv Seiende besteht im individuellen Wesen (des „das“ Seins) und ist nicht als eine zweite Natur neben der allgemeinen Spezies anzusehen, sondern vielmehr als eine gemeinsame Natur innerhalb der singulären Natur196: Dem Menschen wird nichts durch das Sokrates-sein hinzugefügt, aber im Sokrates-sein ist das menschliche Sein enthalten. Die Originalität Steins – durch den eingebrachten Terminus der „leeren Form“ – besteht im formalen Gerüst des Begriffes „leer“; dem „Grund“, welcher ihm intrinsisch zugehörig ist.

194

Vgl. supra, Kapitel II, Absatz 2.6. Ord. II, d. 3, p. 1, qq. 5–6, n. 169 (ed. Vat. VII, 474–475): „Sicut unitas in communi per se consequitur entitatem in communi, ita quaecumque unitas per se consequitur aliquam entitatem; ergo unitas simpliciter (qualis est ‚unitas individui‘ frequenter prius descripta, scilicet cui repugnat divisio in plures partes subiectivas et cui repugnat ‚non esse hoc, signatum‘), si est in entibus (sicut omnis opinio supponit), consequitur per se aliquam per se entitatem; non autem consequitur per se entitatem naturae, quia illius est aliqua unitas propria et per se, realis, sicut probatum est in solutione primae quaestionis; igitur consequitur aliquam entitatem aliam, determinantem istam, et illa faciet unum per se cum entitate naturae, quia ‚totum‘ cuius est haec unitas, perfectum est de se“. 195 E.  Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 408–409 (unser Fettdruck). Die Autorin greift auf die Untersuchung R. Meßners, Das Individuationsprinzip in skotistischer Schau, WiWei 1 (1934), S. 8–27 zurück; it. Übers. Il principio di individuazione nella visione scotista, v. F. Alfieri, in: „Idee“ 64 (2007), S. 19–41. 196 E. Stein, Endliches und ewiges Sein, cit., S. 402.

3.   Die „positive Qualität des Seienden“ und die „leere Form“  

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Dies verhindert das mögliche Missverständnis, welches aus dem Terminus principium individuationis resultiert, nämlich einer Auslegung jenes Prinzips als dem Sein von außen hinzugefügten Attributs. Die neue Terminologie von Stein entzieht jedem möglichen Missverständnis die Grundlage. Dies ist sicher ein wichtiger Meilenstein, wenn man das Problem der Terminologie mit der langen Debatte von Scotus in Ordinatio (q. 2; über das „intrinsische Prinzip“197) bedenkt und vergleicht. Abschließend gilt es noch zu betonen, dass auch wenn Stein hier nicht explizit „das etwas positiv Seiendes“ mit dem scotistischen Begriff der ultima realitas entis benennt, sie dennoch in Potenz und Akt auf den Terminus der haecceitas zurückgreift, um die Individualität des Einzelseins zu skizzieren. Die individuelle Natur erinnert an die entitas positiva von Scotus, in welcher die Singularität, wie wir zeigen konnten, weder ein Produkt der Materie, noch der Form, oder des Synols der Form-Materie ist, sondern eine Realität ist, die sich formal von der gemeinsamen Natur unterscheidet und die Funktion hat, diese zu kontrahieren, um sie somit als etwas individuell Existierendes werden zu lassen.

3.3. Offene Fragen Seit Platon war die Frage der Individualität – was das Sein und das Bewusstsein darüber sind, dass es „so ist“ – ein viel debattiertes Problem, welches sich durch die Geschichte zog und das Interesse zahlreicher Philosophen weckte. Sie alle hatten die Intention, eine scheinbar unmögliche Frage zu beantworten. Auf der Grundlage einer langen Tradition, hat Edith Stein im 20. Jahrhundert die Frage nach dem principium individuationis wieder aufgegriffen und unter Kenntnis sowohl der thomistischen Position der materia signata quantitate, als auch der Position des Franziskaners Duns Scotus der ultima realitas entis, eine neue und originelle Theorie erarbeitet, indem sie die scholastische Tradition an die Phänomenologie annäherte. Sie hat nie die historisch verankerten Begrifflichkeiten unkritisch übernommen, sondern sie hat stets versucht, diese einer Überprüfung und Klärung zu unterziehen, um sie für eine eigene Terminologie abbilden zu können. Während sich die metaphysische Struktur der Seinsdoktrin von Scotus annähert, bleibt jedoch der interpretative Schlüssel im Begriff der „Konstitution“ Husserls verankert: Wenn das Bewusstsein auf etwas gerichtet ist, fasst es dieses etwas als ein so oder so beschaffenes Ding auf. In unserem Fall wird die Wahrnehmung der Singularität als „eine besondere Art von etwas“, die in ihren einzelnen Merkmalen erscheint, aufgefasst. Mit hoher Wahrscheinlichkeit nimmt das korrekte Verständ 197

Vgl. Ord. II, d. 3, p. 1, q. 2, n. 57 (ed. Vat. VII, 416–417): „Quod necesse est per aliquid positivum intrinsecum huic lapidi, tamquam per rationem propriam, repugnare sibi dividi in partes subiectivas; et illud positivum erit illud quod dicetur esse per se causa individuationis, quia per individuationem intelligo illam indivisibilitatem sive repugnantiam ad divisibili­ tatem“.

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3. Kap.: Die „unberührbare“ Singularität des Menschen    

nis der wesentlichen Struktur unseres Seins für Stein eine prioritäre Stellung im Vergleich zur Kenntnis des Realen qua sensibler Perzeption ein. Indem sie sich der mittelalterlichen Tradition zuwendet, nimmt Stein die Herausforderung an, auf der Grundlage einer soliden, metaphysischen Struktur eine neue Ontologie der Person zu gründen, die in der Lage ist, die „volle“ Bedeutung des Seins zu begreifen und gleichzeitig einen Zugang zum Fundament des Ewigen Seins zu finden. Die unüberschreitbare Natur der Singularität ist einzigartig und wertvoll und „darum ist es nicht angemessen, ihr Wesen als eine ‚Art‘ zu fassen, die sich in einer Vielheit gleicher Gebilde ‚vereinzeln‘ könnte“198, um in jedem „ihre“ Bleibe zu fundieren. Wenn wir glauben das menschliche Wesen verstanden zu haben, sehen wir uns mit etwas konfrontiert, was wir niemals mit allgemeinen Termini ausdrücken oder als eine „Art“ klassifizieren können, und zwar aufgrund seiner Singularität, welche es zu etwas absolut „Einzigartigem“ macht.

198

E. Stein, Endliches und ewiges Sein, S. 425.

Schlusswort Ich möchte nun die abschließenden Linien meiner Arbeit skizzieren und dabei die Ziele berücksichtigen, welche ich mir in der Einleitung gesetzt hatte. Im ersten Kapitel war es mir ein Anliegen, einen Grundriss der Verwendung scotistischer Doktrinen von Seiten der Göttinger Autoren aufzureißen. Es muss jedoch spezifiziert werden, dass sich diese Verwendung auf pseudo-scotistische Quellen zu beziehen scheint, und zwar sowohl im Falle Heideggers, welcher eigentlich auf einen Text von Thomas von Erfurt zurückgreift, als auch im Falle Husserls, von dem in diesem Kontext lediglich ein excerptum vorhanden ist. Ähnliches ist auch bei Edith Stein1 und Hedwig Conrad-Martius zu beobachten, die sich dem scotistischen Denken 1921 während ihrer Übersetzungsarbeit von Alexandre Koyrés Essai sur l’idée de Dieu et les preuves de son existence chez Descartes2 zu öffnen glauben, tatsächlich aber mit dem Gedankengut von Vitalis de Furno in Berührung gelangen. Diese Ergebnisse konnten dank einer systematischen Lektüre des Epistulars von Edith Stein erarbeitet werden, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der an Conrad-Martius adressierten Briefe. Aus diesen geht nämlich eindeutig hervor, inwiefern sich ein Interesse an scotistischen Thematiken früher konkretisiert als für die durchaus relevante Philosophie von Thomas von Aquin. Ferner wurde das siebte Kapitel aus Endliches und ewiges Sein einer systematischen Lektüre unterzogen und zwar insbesondere dort, wo Edith Stein bestätigt, dass die Quaestiones disputatae de rerum principio als authentisch zu erachten seien, was auch von P. Ephrem Longpré versichert werde3. Durch die direkte Auseinandersetzung des von Stein verwendeten Textes konnten wir jedoch feststellen, dass sich Longpré nicht auf die Quaestiones bezog, sondern auf De primo omnium rerum principio. Dies ist eine vollkommen andere Schrift, die Garcia in der kritischen Edition den Quaestiones unmittelbar nachgeordnet hatte. Dies hat Steins Arbeit leider fehlgeleitet. Dieser Umstand ist zusätzlich durch die kritische Arbeit von Marianus Müller gestärkt, welcher 1941 die kritische Edition des ­Tractatus

1

Obwohl sie die Quaestiones von Vitalis de Furno verwendet, bleibt Stein unbeeinflusst in Bezug auf das Problem des principium individuationis, sondern nimmt – unter Verwendung der Sekundärliteratur zu Scotus – die scotistische Lösung an und interpretiert die gesamte mittelalterliche Kontroverse mit einem phänomenologischen Blick. 2 Vgl. E. Stein / H.  Conrad-Martius, Übersetzung von Alexandre Koyré. Descartes und die Scholastik, Einführung, Bearbeitung u. Anmerkungen v. H.-B. Gerl-Falkovitz (ESGA, 25), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005. 3 Vgl. supra, S. 33 und für die Reproduktion des Manuskriptes Endliches und ewiges Sein, S. 34–35.

156

Schlusswort

vorbereitet hatte, und zwar unter Berücksichtigung sowie Bestätigung der Authentizität der Arbeit Longprés. Durch die Analyse der 26 Quaestiones, welche im cod. des Hl. Isiodor enthalten sind, konnte folgendes ermittelt werden: Die ersten 16 sind im cod. T. enthalten, während die übrigen (qq. XVI–XXVI) im cod. V zu finden sind (für weitere Ausführungen verweise ich auf die hierfür angelegte synoptische Tabelle4). Die akkurate Untersuchung der drei Kodizes hat die jeweils inneren Verhältnisse aufzeigen können. Gleichzeitig konnte festgesetzt werden, dass der unbestrittene Autor der 26 Quaestiones der Franziskaner Vitalis de Furno sein muss, wodurch dieser Autor zu einer unbewussten Quelle pseudo-scotistischer Doktrinen nicht nur für Edith Stein und Hedwig Conrad-Martius, sondern auch für Koyré wurde. Diesbezüglich erschien es sinnvoll, das Hauptwerk sowie die sekundäre Bibliographie von Vitalis de Furno zu rekonstruieren, nicht zuletzt, um eine Möglichkeit für eine kritische Vertiefung der Werke Steins zu ermöglichen. Aus dieser Rekonstruktion entstand eine ebenfalls akkurate Arbeit für die Bestimmung der Werke des franziskanischen Bruders Vitalis de Furno und insbesondere seiner Quaestiones. Nachdem die Quellen Steins ermittelt werden konnten – und zwar sowohl die impliziten (scotistischen), als auch die expliziten (pseudo-scotistischen und scotistischen)  – habe ich im zweiten Kapitel den Fokus insbesondere auf die scotistische Doktrin des Individuationsprinzips gelegt. Hierzu musste zunächst der historische Kontext des Mittelalters hergeleitet werden, welcher zahlreiche Philosophen – und ebenso auch Duns Scotus – zu einer Auseinandersetzung mit der Disputation über die Individuation veranlasst hatte. Die Auseinandersetzung mit dem großen, scotischen Denker führte jedoch nicht hinsichtlich der Verortung der Individuationsdoktrin (welche vorrangig in Ordinatio zu finden ist) nicht zu erheblichen Schwierigkeiten, sondern vielmehr in Bezug auf die komplexe terminologische Stratifikation, was ein Symptom einer unstabilen Synonymie zwischen der diachronischen Achse und den Schlüsselbegriffen bedeutet. Selbst die Schüler von Duns Scotus standen aufgrund dieser unstabilen Terminologie vor der Notwendigkeit interpretativer Fluchtwege, indem sie Begriffe wie haecceitas prägten und dadurch eine weitere begriffliche-interpretative Stratifikation hinzufügten. Momentan existieren zwei Denkschulen in Anbetracht der kritischen Editionen der Werke von Duns Scotus; die eine von der Commissione Scotista di Roma, die andere vom Franciscan Institute der St. Bonaventure University: Verbleiben wir zunächst bei der ersten Schule, so stellen die beiden betreffenden Werke – Ordinatio und Quaestiones super Libros Metaphysicorum (q. XIII) – zwei unterschiedliche Stadien des scotistischen Denkens dar, wobei es sich bei Ordinatio sicherlich um das reifere Werk handelt. Laut der zweiten Denkschule finden wir den reifen Scotus hingegen in der Quaestio XIII. Ich habe es als notwendig erachtet, die Untersuchung der scotistischen Werke ausgehend von Ordinatio zu beginnen, indem 4

Vgl. supra, S. 41–42.

Schlusswort

157

ich die Quaestiones I–VI analysierte, da Scotus die Thematik der Individuation ausgehend von deren Widerlegung einleitet. Scotus betont, dass das Individuationsprinzip intrinsisch, positiv und einzigartig sein muss und es somit nicht den akzidentiellen Merkmalen, die jedes Seiende in Quantität und Qualität charakterisieren, anvertraut werden kann: Die Individuation kann weder aus der Materie, noch aus der Form hergeleitet werden; sie findet ihren Ursprung in der ultima realitas entis. Nach dieser Klarstellung konnten wir tiefer in die Quaestio XIII eindringen. Diese weist zwar durchaus Ähnlichkeiten zu Ordinatio auf, hinsichtlich der Problematik der Individuation bedient sie sich allerdings einer vollständig anderen Terminologie. Dies führt zu einer begrifflich scheinbar reduzierten Problemlösung im Vergleich zu der absoluten Originalität aus Ordinatio, da von dem Konzept der forma individualis Gebrauch gemacht wird, was sich in Ordinatio hingegen nirgends zeigt. Stattdessen tritt das Konzept der ultima realitas formae auf. Diese Position wird aber von einigen Autoren, wie beispielsweise von Katsumi Shibuya5, widerlegt, indem sie annehmen, dass sich Scotus mit dem positiven Prinzip der ultima realitas entis in eine theoretische Richtung positioniert, welche über das Konzept der forma individualis hinausgeht und wo noch aristotelische Ansätze nachklingen. Mit diesen Schritten konnte ich aufzeigen, wie Scotus allmählich seine Konzeption der Individuation modifiziert hat, indem er zwar von der forma individualis ausgegangen war, dies aber zum neuen Konzept der ultima realitas entis weiterentwickelte. Nach dieser Feststellung der Position Scotus’ zur Individuation, konnten wir uns dann im dritten Kapitel den Werken Edith Steins6 weiter zuwenden, und zwar unter Berücksichtigung der Problematik des konstitutiven Elements des Menschen und dessen Singularität. Wir sind von der Arbeit zur Einfühlung in ihrem ersten Werk7 ausgegangen, weil gerade hier die Frage zum Vorschein tritt, was mit Individualität gemeint ist, wenn behauptet wird, dass „es ‚es selbst‘ ist und kein anderes“. Im weiteren Verlauf mussten wir dann den Denkweg weiterverfolgen, um die für Stein wichtigen Quellen der Einheitlichkeit des Ich feststellen zu können. Die Thematik der Einfühlung knüpfte sich an ein bestimmtes Ergebnis: Auf der 5

Vgl. supra, S. 95, Fußnote 99. Nachdem ich mich mit diesen Problematiken an anderen Stellen auseinandergesetzt habe, habe ich mich auch auf die parallelen Doktrinen zur Individuation von Hedwig Conrad-Martius bezogen. Für die weitere Entwicklung dieses Punktes möchte ich an dieser Stelle auf meinen Beitrag hinweisen: Il principio di individuazione nelle analisi fenomenologiche di Edith Stein e Hedwig Conrad-Martius. Il recupero della filosofia medievale, in: A. Ales Bello / F. Alfieri / M. Shahid (Hrsg.), Edith Stein – Hedwig Conrad-Martius. ­Fenomeno­logia, metafisica, scienze, Giuseppe Laterza, Bari 2010, S. 143–197. 7 Es handelt sich um die Dissertation (1917) Zum Problem der Einfühlung, welche später weiter ausgearbeitet wurde. 6

158

Schlusswort

Grundlage von Scotus nimmt Stein die Singularität, oder auch Individualität, dasjenige, was die Persönlichkeit an sich unterscheidet, als etwas nicht vollständig Erkennbares an. Für die Phänomenologin gibt es keinerlei totale Form von Erkenntnis und Erklärung im Sinne eines Wissens um die Singularität der Person: Der einzige mögliche und intuitive Zugang geschieht über eine besondere Form der Wahrnehmung, nämlich der spirituellen Perzeption des Fühlens. Die Person kann in ihrer Singularität spirituell „gefühlt“ werden, aber sie kann in keiner Form diskursiver Erkenntnis erklärt werden. Bereits in Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften ist die Individuation, die ihren eigenen und persönlichen „Kern“ färbt, für Edith Stein qualitativ absolut einzigartig. Nachdem sie den wesentlichen „Ort“ der Person, also jenen „Kern“ verdeutlich hat, wird es im letzten Teil dieses Werkes möglich einen Parallelismus zwischen dem scotistischen Konzept der ultima solitudo und der „unaufhebbaren Einsamkeit“ Steins zu ermitteln. Indem sie sämtliche Zweifel über die Unbestimmbarkeit des Kerns durch quantitative und numerische Elemente im Zusammenhang mit der Singularität beseitigt, merkt Edith Stein, dass die Individuation jenseits einer möglichen geistigen, oder auch materiellen Determination liegt. Die unverzichtbaren Merkmale des Nukleus, nämlich die Unveränderbarkeit, Festigkeit sowie die fortwährende Eigenschaftlichkeit bestimmen eine gewisse Richtung der Entwicklung des Menschen und nicht umgekehrt: Es ist nicht die menschliche Entfaltung, die den Kern formt, sondern vielmehr ist er es, der jede Entwicklung geistiger und / oder materieller Natur des Menschen bestimmt. Wie ich in der vorliegenden Arbeit zu rechtfertigen versucht habe, kann daher eine quantitative Bestimmung kein qualitatives Element untergraben, was den Kern der Person kennzeichnet, ein Element, welches Stein über jede Raumzeitlichkeit hinaus zu setzen fordert, da Raumzeitlichkeit einen Verweis auf formale, oder materiale Bedingungen einschließe, die sich beide auf der Seite der ultima solitudo befinden. Diese ultima solitudo ist auf eine negative Weise von Stein bestimmt, und zwar als ein In-sich-Stehen; es ist ein in Berührung-Sein mit der Tiefe des eigenen Ich, was für die Autorin, ebenso wie für Scotus, eine ontologische Beschränkung bedeutet. Die ultima solitudo und die Tiefe ermöglichen eine Transzendenz des Ich hin zu den anderen, bzw. hin zu kommunitären Lebensformen: Nur indem man diese erhabene Tiefe, diese Verbindung jeder menschlichen Handlung, lebt, kann sich die Person in der Welt finden – also in der Gemeinschaft finden. Es ist sinnvoll, eine Weile über den ontologischen Status nachzudenken, den Stein meiner Ansicht nach auf die ultima solitudo überträgt, was das Wesen des Menschen auszeichnet: Obwohl sie den Menschen als solchen charakterisiert und obwohl dies jeden Menschen als solchen betrifft, ist die ultima solitudo nicht als universeller, oder universalisierbarer spezifischer Charakter, oder Charakterzug aufzufassen. Die Modalität der Adhärenz zur menschlichen Person ist in der Tat untrennbar. Sie wird durch die Färbung und ihr Sein bestimmt, was durch eine gewisse Stimmung wahrgenommen wird, die nur individuell sein kann. Gerade die Anwesen-

Schlusswort

159

heit dieser emotiven Tonalität, die jedem menschlichen Wesen die Möglichkeit verleihen kann, die eigene Tiefe als einzigartig zu empfinden, schließt jeglichen Diskurs einer potenziellen Universalisierung der ultima solitudo kategorisch aus. Die metaphysischen Instanzen, die Stein aus der mittelalterlichen Philosophie heraus erarbeiten konnte, kreuzen sich nun mit den relativen, deskriptiv-phänomenologischen Ergebnissen: In Der Aufbau der menschlichen Person bestätigt sie, dass sich eine radikale Philosophie dadurch auszeichnet, dass diese bis zu den letzten und ursprünglichen Strukturen des menschlichen Wesens vordringt. Wird das extrinsische Prinzip für die Bestimmung der menschlichen Person verworfen, beginnt die Individuierung des intrinsischen Prinzips, welches sicherlich in der leeren Form zusammen mit deren qualitativer Füllung identifiziert wird, da nur dadurch das Individuum eine Einheit im Sinne einer vollständigen Totalität erlangt. Unter Berücksichtigung dessen konnte im Anschluss das Werk Potenz und Akt zusammen mit dem dort enthaltenen Ansatz zu Individuation betrachtet werden. Wir konnten ermitteln, dass Edith Stein, die den Grenzen der formalen und materialen Ontologie Husserls folgt, diese in das Innere mittelalterlicher Kategorien (insbesondere thomistischer und seltener auch aristotelischer) eingliedern konnte, um das Konzept der Individuation zu stärken. Die Individuation wurzelt in ihrer Einzigartigkeit in dem bereits erarbeiteten Ansatz des persönlichen Kerns. Das grundsätzliche Ergebnis, welches meiner Ansicht nach zu betonen ist, liegt darin, dass Stein in diesem Werk keine Determinierung des Individuationsprinzips akzeptiert, welche thomistisch gesprochen auf quantitative Bedingungen der Materie (materia signata quantitate) zurückgehen könnte. Diejenigen Punkte, an denen Stein mit Thomas von Aquin bricht, wurden von Francesco Bottin8 auf eine bemerkenswerte Weise herausgestellt. Eine alternative Möglichkeit zur Interpretation, nach welcher Steins Individuationsprinzip einen thomistischen Weg verfolgt und sich mittels formaler Komponenten des Individuums äußert, ist hingegen von Rosa Errico9 vorgeschlagen worden. Hier bleibt jedoch eine Schwierigkeit offen, und zwar in Bezug auf die Tatsache, dass in den Schriften Steins das Individuationsprinzip nicht nur jenseits jeglicher materialen Bedingung, sondern auch jenseits jeglicher formalen Bedingung liegt; dies ist im Sinne einer Universalisierung aufgefasst, was sich für Stein bereits in ihren ersten indirekten Begegnungen mit Scotus’ Ordinatio ergibt. Erst vor kurzem hat Alejandro Bertolini in Empatía y Trinidad en Edith Stein die von uns erörterten theoretischen Anknüpfpunkte in den Schriften Steins bezüglich des principium individuationis wieder aufgenommen und in seiner Analyse bestätigt, dass der von uns erarbeitete Lösungsansatz am besten die enge Abhängigkeit Steins von der scotistischen Doktrin der Individuation widerspiegelt10. 8

Vgl. supra, S. 136 ff. Vgl. supra, S. 141 ff. 10 Vgl. A. Bertolini, Empatía y Trinidad en Edith Stein. Fenomenología, teología y ontología en clave relacional (Koinonia, 52), Prolog v. P. Coda, Epilog v. A. Ales Bello, Secretariado Trinitario, Salamanca 2013, par. 2.3. Individuación y forma vacía (S. 214–215); par. 2.3.1. Una 9

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Schlusswort

Die Angelegenheit erfährt eine zusätzliche Klärung, sofern man das achte Kapitel von Endliches und ewiges Sein hinzuzieht: Darin wird deutlich, dass für Stein die aus thomistischer Tradition stammende materia signata quantitate nicht das Fundament der Individualität sein kann, da man mit dieser nämlich im generischen Verhältnis zwischen Materie und Form blockiert bleibt und man entsprechend nichts zu der einen singulären Person erfährt. Daher wird Stein betonen, dass das principium individuationis „etwas positiv Seiendes“ sei und dass es nicht auf einer einfachen Leerform gründe, sondern auf einer positiven Qualität des Seienden. Diese wird in der Konkretion sichtbar, oder, um bei Potenz und Akt zu verweilen, in einer dem Menschen völlig eigenen Art und Weise Individualisierung zu finden, wobei jedoch klar ist, dass für den Menschen eine Individualisierung im Sinne einer Spezifizierung der fundamentalen Kategorien des Seins nicht hinreichend ist. Das authentische tóde ti der Persönlichkeit wird Stein zufolge nicht mittels formaler Kategorien des Seins erreicht, bei welchen es sich um nicht-selbstständige Kategorien der formalen Ontologie im Sinne einer aristotelisch-thomistischen Interpretation handelt, sondern vielmehr wird es erreicht, sofern es unmittelbar als Konkretion in die Selbstständigkeit eingelassen wird. In diesem Sinne kann das principium individuationis nicht aus der Herangehensweise einer bloßen Spezifizierung der miteinander verbundenen Gattungen und Arten hergeleitet werden. Es handelt sich um etwas, was in der menschlichen Realität nur dann gesehen werden kann, wenn es aus der Perspektive der qualitativen Fülle betrachtet wird. Dies ist insofern paradox, als dass wir uns hier auf ontologische Schichten der Tiefe und der ultima solitudo beziehen. Die hier vorgeschlagene Lesart des Werkes von Edith Stein fügt sich in eine heutige Problematik ein, die zu einer Naturalisierung der Persönlichkeit tendiert und auf phänomenologischer Grundlage zu zeigen versucht, dass die Konzepte der ultima solitudo und des unveränderlichen sowie unantastbaren „persönlichen Kerns“ als Gewährleister einer extremen Eigenart persönlicher Individualität, die über alle materiellen (hier mathematischen) und formalen Elemente hinausgeht, keinerlei Möglichkeit einer Betrachtung des wesentlichen Aspekts der Person unter mirada a las fuentes. La doctrina de Scoto (S. 215–217); par. 2.3.1.1. Debates de la época (S. 217–218); par. 2.3.1.2. La „ultima realitas entis“. Plenitud de la perfección ontológica (S. 218–220); par. 2.3.1.3. La doctrina de la Continentia unitiva (S. 220–221); par. 2.3.2. De la continencia unitiva  a la forma vacía. La relectura steiniana (S. 221–222); par. 2.3.2.1. ¿Qué es la forma vacía? Una primera noción (S. 222–224); par. 2.3.2.2. Las determinaciones cualitativas del Kern y sus requisitos (S. 224–226); par. 2.3.2.3. El Fühlen, o la percepción espiritual de lo peculiar (S. 226–229); par. 2.3.2.4. La captación de la última forma del ser (S. 230–241). – In seiner Arbeit verwendet Bertolini hauptsächlich F. Alfieri, Il „Principium individuationis“ e il „fondamento ultimo“ dell’essere individuale. D. Scoto e la rilettura fenomenologica di E. Stein, in: M. Shahid / F. Alfieri (Hrsg.), Il percorso intellettuale di Edith Stein, Einleitung v. A. Ales Bello, Giuseppe Laterza, Bari 2009, S. 209–259 e Id., Il principio di individuazione nelle analisi fenomenologiche di Edith Stein e Hedwig Conrad-Martius. Il recupero della filosofia medievale, in: A.  Ales Bello / F.  Alfieri / M.  Shahid (Hrsg.), Edith Stein  – Hedwig Conrad-Martius. Fenomenologia, metafisica, scienze, Giuseppe Laterza, Bari 2010, cit., S. 143–197.

Schlusswort

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Berücksichtigung qualitativer (hier soziologischer), oder auch quantitativer (hier neurowissenschaftlicher) Kategorien bieten. Aus unserer Sicht aber ist die gegenwärtige Debatte über die Möglichkeiten einer „Naturalisierung“ der Phänomenologie nach dieser umfassenden Analyse Steins deutlich anzuzweifeln, sofern natürlich eine solche Naturalisierung der Phänomenologie, derjenigen Wissenschaft der qualitativen Komplexität des Seienden schlechthin, überhaupt Zugang bis hin zu den spezifischen Punkten der Persönlichkeit zu erhalten beabsichtigt. Einige Instanzen der Naturalisierung, soweit sie von einer Definition der wesentlichen Identität abhängen, gehen, wie Roberta die Monticelli schreibt, von „dem Umstand aus, dass die gegenwärtige Welt auf eine bestimmte Art und Weise geschieht“11 und nehmen gleichzeitig als Bedingung für das Hervortreten der menschlichen Persönlichkeit über ausschließlich bio-psycho-physiologische Faktoren12 einen Naturalismus an. Jene Instanzen können unserer Ansicht nach nicht angenommen werden, da sie Teil der quantitativen Faktoren sind, die, obwohl konditionierend, immer diesseits dessen verweilen, was nach Stein die Person wirklich ausmacht. Wie bereits ausgeführt wurde, glauben wir nicht, dass dieselben wesentlichen Elemente der menschlichen Individualität, ihre Einzigartigkeit und Tiefe13, sich für eine Essentialisierung eignen können; ergo können sie nicht in das Konzept einer wesentlichen Identität eintreten, die einen unvermeidlichen Moment einer Universalisierung mit sich bringen würde. Eine Person zu sein bedeutet für Stein zu fühlen in einer unermesslichen Tiefe, einer ultima solitudo, herabgelassen zu sein; qualitative Elemente, die nicht als universelle zu einer Formalisierung fähige Invarianten behandelt werden dürfen. Wie nun mehrmals ausdrücklich betont wurde, liegt für Stein das principium individuationis fernab jeglicher quantitativer, oder formaler Bedingung; beides Aspekte, die in specie annehmbar sind. Allgemeiner formuliert ergibt sich eine Schwierigkeit in der Naturalisierung der Phänomenologie in Bezug auf das menschliche Sein, da die eine quantitativwissenschaftliche Interpretation von der Phänomenologie selbst in eine Krise gestürzt wird. Hinsichtlich der Frage, inwiefern eine Naturalisierung der Phänomenologie nicht möglich ist, unterstützt Angela Ales Bello inmitten der Debatte über die nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Dimension des Phänomens an sich, dass „im Inneren der phänomenologischen Schule die Idee erhalten bleibe, 11

R. De Monticelli, Persona e individualità essenziale. Un dialogo con Peter van Inwagen e Lynne Baker, in: M. Cappuccio (Hrsg.), Neurofenomenologia. Le scienze della mente e la sfida dell’esperienza cosciente, Bruno Mondadori, Mailand 2006, S. 364. 12 Cfr. ebd. 13 Ich möchte gerne darauf hinweisen – und zwar ohne einen polemischen Unterton – wie in De Monticelli hier der grundlegende Bezug zu Stein fehlt, während auf Leibniz verwiesen wird. Unter Berücksichtigung der „Klassizität“ des Themas der „Tiefe“ der Werke Steins, wären Verweise auf sie möglicherweise zutreffender gewesen, als ein Vergleich mit Autoren wie Van Inwagen und Baker, deren „Klassizität“ erst noch bewiesen werden muss. Andererseits ist die Affinität einiger Konzepte (wie „Tiefe“, oder „verborgene Realitität“ der Seele, vgl. ebd., S. 362) der Autorin zu Stein derart evident, dass sie durchaus in die Nähe der steinischen Termini der ultima solitudo, „inneres Schloss“ und „Tiefe der Seele“ gerückt werden kann.

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nach welcher eine wissenschaftliche Lesart der Natur nicht erschöpfend sei für das Verständnis ihrer“14. Eine weitere Erforschung dieses Feldes bleibt natürlich offen, ebenso wie die wissenschaftliche Gemeinschaft neuen Erkenntnissen aufgeschlossen gegenübertreten sollte. Ich bin der Überzeugung, dass eine theoretische Position, welche die Person als solche und die anthropologischen Besonderheiten des menschlichen Wesens achtet, nicht von den Merkmalen absehen kann, die die Phänomenologie Edith Steins der persönlichen Individualität verliehen hat: Es handelt sich um ein kulturelles und philosophisches Vermächtnis, was sie uns hinterlassen hat.

14 A. Ales Bello, Status quaestionis, in: Ead. / P. Manganaro (Hrsg.), … e la coscienza? Fenomenologia, Psico-patologia, Neuroscienze (Cerchi concentrici, 3), Giuseppe Laterza, Bari 2012, S. 38.

Konsultierte Bibliographie 1. Kodizes der verwendeten Manuskripte Is T V

Rom, Kolleg des Hl. Isiodor, cod. 1/15 Todi, Stadtbibliothek, cod. 95 Vatikanstadt, Bibliothek des Vatikans, cod. lat. Borghesiano 192

1.1. Repertoria der handschriftlichen Kodizes Bierbaum M., Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. Texte und Untersuchungen zum literarischen Armuts- und Exemtionsstreit des 13. Jahrhunderts ­(1255–1272), Beiheft, FS 2 (1290), S. 397. Leonij L., Inventario dei codici della Comunale di Todi, [Tip. Z. Foglietti], Todi 1878. Maier A., Codices Burghesiani Bibliothecae Vaticanae (Studi e Testi, 170), Biblioteca Apostolica Vaticana, Città del Vaticano 1952, S. 245–248.

2. Werke und Untersuchungen 2.1. Aristoteles Aristoteles Latinus, Metaphysica. Libri I–X, XII–XIV, siue translatio media. Anonymus saec. XII uel XIII translator Aristotelis, edidit G. Vuillemin-Diem (AL, 25/2), Brill, Leiden 1976; deutsche Übers. Aristoteles Metaphysik, von H. Bonitz, hrsg. v. E. Wellmann, Druck und Verlag von Georg Reimer, Berlin 1890.

2.1.1. Studien zu Aristoteles Berti E., Introduzione alla Metafisica, Utet, Turin 2006. Charlton W., Aristotle and the Principle of Individuation, Phron 17 (1972), S. 239–249.

2.2. Johannes Duns Scotus Opera omnia, quae hucusque reperiri potuerunt, collecta, recognita, notis, scholiis, et commentariis illustrata, a PP. Hibernis, Collegij Romani S. Isidori professoribus [edd. L. Waddingus etc.], sumptibus Laurentii Durand, Lugduni 1639; fot. Neudruck Olms, Hildesheim 1968 (ed. Wadding).

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2.3. Andere mittelalterliche Philosophen Sancti Bonaventurae, Commentaria in Primum Librum Sententiarum, studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura ad plurimos codices mss. emendata, Opera omnia, t. I, ex typ. Collegii S. Bonaventuræ Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1882. Egidius Romanus, De esse et essentia, de mensura angelorun, et de cognitione angelorum, impresse per Simonem de Luere, Venetiis 1503 (fot. Neudruck Minerva, Frankfurt a. M. 1968). Egidius Romanus, Quodlibet, cura industriaque Fratris Simonis de Ungaria, per Magistrum Dominicam de Lapis Bononie Impressa, 1481. Enrico di Gand, Quodlibeta magistri Henrici Goethals a Gandauo doctoris solemnis, vaenundantur ab Iodoco Badio Ascensio, in: chalcographia Iodoci Badii Ascensii, Parisiis 1518.

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Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, hrsg. v. U. Panzer, Husserliana. Gesammelte Werke, Teil 1, Bd. 19/1, Nijhoff, The Hague / Boston / Lancaster 1984. Natur und Geist, in: Aufsätze und Vorträge (1911–1921), hrsg. v. Th. Nenon u. H. R. Sepp, Husserliana. Gesammelte Werke, Bd.  25, Nijhoff, Dordrecht / Boston / Lancaster 1987. Ms. trans. F I 30  ⁄ 43a–b (unveröffentlicht).

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2.9. Edith Stein 2.9.1. Werke von Edith Stein Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere autobiographische Beiträge, neu bearbeitet und eingeleitet v. M. A. Neyer, Fußnoten und Stammbaum unter Mitarbeit v. H.-B. GerlFalkovitz (ESGA, 1), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2002. Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften (JPPF, 5), Neimeyer, Halle 1922; Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, Neimeyer, Tübingen 19702. Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften, eingeführt und bearbeitet v. B. Beckmann-Zöller (ESGA, 6), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2010. Briefe an Hedwig Conrad-Martius. Mit einem Essay über Edith Stein, hrsg. v. H. ConradMartius, Kösel, München 1960. Briefe an Roman Ingarden. 1917–1938, Einleitung v. H.-B. Gerl-Falkovitz, Anmerkungen v. M. A. Neyer, hrsg. v. L. Gelber u. M. Linssen (ESW, XIV), Freiburg / Basel / Wien, Herder 1991; – Selbstbildnis in Briefen. III. Briefe an Roman Ingarden, Einleitung v. H.-B. GerlFalkovitz, Bearbeitung u. Anmerkungen v. M. A. Neyer, Fußnoten mitbearbeitet v. E. AvéLallemant (ESGA, 4), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2001. Der Aufbau der menschlichen Person. Vorlesung zur philosophischen Anthropologie, neu bearbeitet und eingeleitet v. B. Beckmann-Zöller (ESGA, 14), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2004. Die Frau. Fragestellung und Reflexionen, Einleitung v. S. Binggeli, bearbeitet v. M. A. Neyer (ESGA, 13), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2000. Einführung in die Philosophie, Einführung, Bearbeitung und Anmerkungen v. C. M. Wulf (ESGA, 8), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2004. Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins, hrsg. v. L. Gelber u. R. Leuven (ESW, II), Herder, Freiburg / Basel / Wien 1962; – Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins. Anhang: Martin Heideggers Existenzphilosophie – Die Seelenburg, eingeführt und bearbeitet v. A. U. Müller (ESGA, 11–12), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2006. (mit H. Conrad-Martius), Übersetzung von Alexandre Koyré. Descartes und die Scholastik, Einführung, Bearbeitung u. Anmerkungen v. H.-B. Gerl-Falkovitz (ESGA, 25), Herder, Freiburg / Basel / Wien 2005; orig. fr. A. Koyré, Essai sur l’idée de Dieu et les preuves de son existence chez Descartes (Bibliothèque de l’École des Hautes Études. Sciences Religieuses, 33), Leroux, Paris 1922; I ed. ted. Descartes und die Scholastik, Cohen, Bonn 1923 (fot. Neudruck Bouvier, Bonn 1971 und Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971). Husserls Phänomenologie und die Philosophie des heiligen Thomas von Aquin. Versuch einer Gegenüberstellung, in: Festschrift Edmund Husserl zum 70. Geburtstag gewidmet (JPPF, 10. Erg.-Bd.), Neimeyer, Halle 1929, S. 315–338 (Nachdruck: Neimeyer, Tübingen 1974).

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Personenregister Albanese, C.  174 Ales Bello, A.  19–22, 28, 97–99, 105–107, 114, 119–123, 128, 131, 136, 137, 157, 159–162, 166, 168–171 Alexandre de Hales  59, 175 Alfieri, F.  9–12, 22, 28, 32, 33, 122, 142, 152, 157, 160, 166, 168–173, 180 Arendt, H.  11, 19, 114, 169 Aristoteles  16, 20, 21, 25, 68, 72, 73, 79, 81, 82, 84, 85, 93, 96, 141, 142, 148, 163 Augustinus von Hippo (St.)  30, 36, 46, 148 Aureoli, vgl. Petrus Aureoli Avé-Lallemant, E.  27–29, 97, 166, 167 Averroes (Ibn Ruschd)  91 Avicenna (Ibn Sina)  47 Babolin, A.  165 Baccarini, E.  97, 166 Baker, L.  161, 170 Barth, T.  65, 67, 89, 172 Bazan, B. C.  30, 174 Beckmann-Zoller, B.  30, 101, 108, 112, 167, 168 Bernardini, P.  169 Berti, E.  71, 163 Bertolini, A.  159, 160, 170 Bérubé, C.  54, 91, 171, 172, 176 Besoli, S.  130, 170 Biemel, W.  98, 120, 165 Bierbaum, M.  40, 163 Binggeli, S.  145, 167 Boella, L.  12, 97, 166 Bonafede, G.  54, 174 Bonaventura da Bagnoregio (St.)  11, 58, 95, 164 Borden, S. R.  148, 170 Bottin, F.  20, 136, 143, 144, 159, 170 Buber, M.  19 Buonarroti Michelangelo  50, 51 Calcagno, A.  105, 166

Callebaut, A.  59, 174 Callieri, B.  129, 170 Čapkun-Delić, P.  174 Cappuccio, M.  161, 170 Caputo, A.  168 Carbajo Nuñez, M.  67, 174 Carreras y Artau, J.  44, 175 Charlton, W.  84, 163 Chiodi, P.  165 Clatterbaugh, K. C.  67, 72 Clemens V (Papst)  60 Coda, P.  159, 170 Codello, R.  67, 172 Conrad-Martius, H.  10, 12, 20–22, 25, 27– 31, 44, 48, 97, 98, 104, 115, 127, 132, 133, 139, 146, 155–157, 160, 166–170, 180 Conti, A. D.  67, 172 Dal Pra, M.  175 D’Ambra, M.  97, 114, 131, 166, 169 De Leo, D.  97, 166 De Libera, A.  66, 172 De Monticelli, R.  130. 161, 170 De Wulf, M.  56, 61, 175 Del Torre, M. A.  175 Delorme, F. M.  37, 38, 43, 45, 46, 48, 50, 52, 54, 56, 58–61, 165, 175 Denifle, H.  66, 172 Descartes, R.  11, 22, 25, 30, 31, 48, 113, 155, 167 Dilthey, W.  9, 130, 165 Dobhan, U.  11, 169 Donà, M.  67, 172 d’Onofrio, G.  59, 72, 172, 174 Dumont, S. D.  46, 61, 62, 67, 91, 92, 95, 172, 175 Duns Scotus, J. passim Ebeling, H.  108, 126 Eckert, W. P.  68,174 Egidio Romano  46,47,57,61, 62, 84

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Personenregister

Enrico di Gand, vgl. Heinrich von Gent Epis, M.  44, 170 Errico, R.  142, 143, 159, 170 Étienne Tempier  47, 66 Etzkorn, G. J.  68, 69, 164 Feldes, J.  28, 170 Fernandez Garcia, M.  33, 43, 45–49, 52, 53, 55–57, 155, 168 Fernandus de Ylliescas  38 Filippini, E.  98 Fink, E.  108, 165, 180 Francesco de Meyronnes  95 Gadamer, H.-G.  19 Gelber, L.  133, 167, 168 Geremia da Bologna  59, 175 Gerl-Falkovitz, H.-B.  5, 11, 12, 26, 27, 30, 31, 97, 155, 167–169 Ghisalberti, A.  91, 172 Gilson, É.  61, 82, 93, 118, 172, 175 Giovanni Peckam  61 Giulietta 130 Glorieux, P.  54, 56, 57, 59, 175 Godefroy de Fontaines (Godefroy de Paris) ​ 56–59, 61, 175 Grabmann, M.  25, 171 Gracia, J. J.E.  64, 172 Gredt, J.  150, 172 Groethuysen, B.  130, 165 Guidetti, L.  130, 170 Guillelmus Petri de Godino  68, 174 Harris, Ch.R. S.  36, 175 Hechich, B.  69, 175 Hecker, H.  148, 170 Heidegger, M.  9, 11, 22, 24–26, 28, 80, 142, 155, 165, 167, 171, 180, 181 Heinrich von Gent  27, 57, 61, 76, 77, 79, 164 Herbstrith, W.  170 Hering, J.  21, 28 von Herrmann, F.-W.  10, 25, 26, 180, 181 Hilbert, D.  29 Hoffmans, J.  40, 56, 175, 176 Höfliger, A.  148, 170 Holl, J.  108, 156 Homer 141 Hüllen, J.  64, 172

Husserl, E.  9, 11, 12, 19–22, 24–26, 28, 29, 31, 97, 98, 101, 105, 108, 110, 113, 116, 119, 120–123, 127, 132, 134, 141, 148, 151, 153, 155, 159, 165–167, 169, 171 Iammarrone, L.  67, 118, 173 Ingarden, R.  27–29, 167 Invitto, G.  97, 166 Jacobus de Carceto  59, 60 Janssen, P.  132, 165 Johannes XXII (Papst)  60 Kallias (von Athen)  85 Kant, I.  119 Kilwardby, R.  91 King, P.  67, 173 Klug, H.  44, 175 Kölmel, W.  26, 171 Koyré, A.  11, 21, 22, 24, 25, 28–31, 48, 155, 156, 167, 171 Landry, B.  33, 36, 175 Langlois, Ch.V.  59, 61, 175 von Leibniz, G. W.  25, 130, 161 Leonij, L.  37, 163 Linssen, M.  167, 168 Lipps, Th.  97, 98 Locke, J.  25 Longpré, E.  25, 32, 33, 44, 47, 155, 156, 168, 175, 176 Lottin, O.  40, 176 Lynch, J. E.  59, 176 Mac Craith, M.  38 Mackey, L.  65, 78, 173 Maier, A.  40, 163 Manganaro, P.  12, 97, 107, 162, 166, 169, 170 Manno, A.  67, 173 Manser, G. M.  32, 168 Marabelli, C.  82, 118, 172 Masiero, R.  67, 172 Matteo di Acquasparta (Matthaeus ab Aquasparta)  61, 165 Meßner, R.  32, 33, 152, 168, 173 Meyer Drawe, K.  131 Michelangelo, vgl. Buonarroti Michelangelo

Personenregister Minges, P.  43, 44, 176 Modrić, L.  68, 173 Müller, A. U.  28, 142, 167 Müller, M.  33, 155, 164, 168 Nenon, Th.  116, 166 Neyer, M. A.  11, 26, 27, 31, 97, 145, 167– 169 Nicolas di Lisieux  40 Nodari, F.  12, 97, 166 Noone, T. B.  67, 68, 117, 164, 173 Nozick, R. E.  19 Ockham, vgl. Wilhelm von Ockham Ott, H.  26, 171 Panzer, U.  26, 108, 166 Parent, E.  44, 176 Park, W.  67, 88, 173 Pelster, F.  27, 68, 173 Pelzer, A.  40, 175, 176 Petrus Aureoli  27 Petrus Lombardus  59 Pezzella, A. M.  97, 100, 107, 111, 166, 170 Pfänder, A.  21 Pickavé, M.  76, 84, 173 Pietro di Giovanni Olivi (Petrus Johannis Olivi, Pierre Olivi)  50, 60, 67, 165 Pini, G.  67, 92, 173 Pits, J.  36, 176 Platon  25, 74, 153 Poli, R.  119, 169 Pontoglio, O.  25, 171 Posselt, T. R.  29, 171 Putallaz, F.-X.  54, 176

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Scapin, P.  164 Scaramuzzi, D.  40, 176 Schabel, C.  76, 173 Scheler, M.  21, 25, 98 Schubert-Soldern, R.  174 Schulz, P.  148, 171 Sécrétan, Ph.  113, 171 Seibt, J.  119, 169 Seidl, H.  84, 174 Sepp, H. R.  105, 116, 133, 166, 168 Severino, E.  180 Shahid, M.  22, 28, 122, 142, 157, 160, 169– 172 Shibuya, K.  67, 92, 95, 157, 174 Sileo, L.  26, 67, 72, 76, 79, 164, 171–175 Simone di Lens  59, 164 Simonis, S.  176 Sinclair, J.  181 Sokrates (Socrate)  74, 85, 94, 130, 142, 151, 152 Sondermann, M. A.  97, 168 Sorondo, M. S.  84, 174 Spettmann, H.  44, 176 Spinoza, B.  25 Squittieri, A.  67, 72, 174 Stein, Edith passim Stella, P. T.  66, 174 Strawson, P. F.  130 Stroick, C.  68, 174

Redmond, W.  139, 148, 171 Reinach, Adolf  28 Reinach, Anne  29 Reinach, Pauline  28, 29 Riccardo di San Vittore  104 Riserbato, D.  82, 118, 172 Rizo Patron, R. J.  139, 171 Rousset, D.  114 Rudavsky, T.  67, 78, 173 Ruggero Marston  61

Teeuwen, M.  52, 176 Teresia Benedicta a Cruce (ocd)  29, 171, vgl. Stein, Edith Teresia Renata de Spiritu Sancto (ocd), vgl. Posselt, T. R. Theresia von Avila (Theresia von Kinde Jesu, St.)  29 Théry, G.  47, 176 Thomas von Aquin (Tommaso d’Aquino, St.) ​ 9, 11, 20–22, 31, 32, 40, 68, 81, 84, 119, 136, 142, 144, 148, 149, 151, 155, 159, 167, 170, 171, 174 Thomas von Erfurt  11, 25, 155, 171 Tonna, I.  64, 174 Tymieniecka, A.-T.  12, 97, 113, 166, 169, 171, 180

Salamon, G. W.  89, 173

von Untervintl, L.  54, 59, 61, 176

180

Personenregister

Van Breda, H.-L.  12, 97, 166, 169 Van Inwagen, P.  161, 170 van Kerckhoven, G.  108, 165, 180 Vargas Guillén, G.  139, 171 Vetter, H.  131, 171 Vinci, D.  20, 99, 169 Vitalis de Furno  22, 37, 38, 40, 43, 44, 46, 47, 50, 54, 56–62, 155, 156, 165, 174, 176 Vivès, L.  30, 43, 164, 168 Volek, P.  148, 171 Vuillemin-Diem, G.  73, 141, 163

Wadding, L.  30, 38–40, 43, 163, 164, 168 Walther, G.  20, 21, 29 Weijers, O.  52, 176 Wellmann, E.  141, 163 Wilhelm von Ockham  11, 27 Wilhelm von Saint-Amour  40 William of Alnwick  95, 172 Williams, T.  67, 173 Wulf, C. M.  116, 167 Zambelli, P.  29, 171 Zanatta, F.  72, 76, 79, 174

Zum Autor Francesco Alfieri ist Philosophiedozent an der Universität Vita-Salute San Raffaele (Mailand). 2016 wurde er von Prof. Friedrich-Wilhelm von Herrmann zum persönlichen Assistenten ernannt. Er arbeitet mit Prof. Guy van Kerck­hoven an der Eugen Fink Gesamtausgabe für den Verlag Karl Alber. 2020 wurde er als Archivist des Nachlasses vom Philosophen Emanuele Severino ernannt. Er ist „Editorial Board“ der Reihe „Analecta Husserliana: The Yearbook of Phenomenological Research“, der „Heidegger Studies“ und der „Metafizika“ (Azerbaijan); er ist außerdem Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses der Zeitschrift „La Filosofia Futura“, „Humanitas“ und der Reihe „Filosofia – Testi e Studi“ für den Verlag Morcelliana (Brescia), er ist ferner Mitglied der Redaktion der Reihe „Obras de Edith Stein“ (Edith Steins Werke auf Portugiesisch) und Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses der internationalen Zeitschrift „Eternity and Contradiction: Journal of Fundamental Philosophy (E&C)“. 2017 erlangte er die nationale wissenschaftliche Habilitierung als Universitätsprofessor (2. Stufe) im Wettbewerbssektor 11/C1 „Theoretische Philosophie“ und im Wettbewerbssektor 11/C3 „Moralphilosophie“. Er ist wissenschaftlicher Direktor der italienischsprachigen kritischen Ausgabe des Gesamtwerks von Hedwig Conrad-Martius für den Verlag Morcelliana; bei demselben Verlag leitet er eine Philosophische Reihe über Anna-Teresa Tymienieckas Denken. Seine Forschungsthemen betreffen die deutsche Phänomenologie; das Interesse gilt insbesondere dem Einfluss der mittelalterlichen Philosophie auf einige der Mitglieder des phänomenologischen Zirkels von Göttingen und München: Edith Stein und Hedwig Conrad-Martius. In diesem Denkbereich entwickelte er das spezifische Thema des principium individuationis und der intersubjektiven Beziehungen. In den vergangenen Jahren untersuchte er auch eingehend die Frage der „Lebensphänomenologie“ von Anna-Teresa Tymieniecka. Weiterhin veröffentlichte er eine Monographie zu den Schwarzen Heften von Martin Heidegger, zusammen mit Prof. Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Zu seinen Publikationen gehören: Die Rezeption Edith Steins. Internationale Edith-Stein-Bibliographie 1942–2012 (Echter, Würzburg 2012); La presenza di Duns Scoto nel pensiero di Edith Stein: la questione dell’individualità (Morcelliana, Brescia 2014; engl. Übers. The Presence of Duns Scotus in the Thought of Edith Stein. The Question of Individuality, „Analecta Husserliana“ 120, Springer, Dordrecht 2015; rumän. Übers. Problema individualităţii: presenţa lui Duns Scotus în gîndirea lui Edith Stein, Ratio et Revelatio, Oradea 2015; portug. Übers. A presença de Duns Escoto no pensamento de Edith Stein: a questão da individualidade, Perspectiva, São Paulo 2016); Pessoa humana e singularidade em Edith Stein. Uma nova fundação da antropologia filosófica (Perspectiva, São Paulo

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Zum Autor

2014); mit F.-W. von Herrmann: Martin Heidegger. La verità sui Quaderni neri (Morcelliana, Brescia 2016; deutsche Übers. Martin Heidegger. Die Wahrheit über die Schwarzen Hefte, Duncker & Humblot GmbH, Berlin 2017; franz. Übers. Martin Heidegger. La vérité sur ses Cahiers noirs, Gallimard, Paris 2018; auf Kastilisch übers. Martin Heidegger. La verdad sobre los Cuadernos negros, Comares, 2019). Kürzlich gab er den Band Edith Stein. Una rosa d’inverno, v. Joshua Sinclair (Scholé-Morcelliana, Brescia 2019) heraus.