Die performative Oberflächlichkeit der Dinge: Design und die De-Konstruktion der Geschlechterverhältnisse 9783839464076

Die Einsicht, dass Sprache performativ Geschlecht herstellen kann, markiert seit langem den Kern des feministischen Main

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge: Design und die De-Konstruktion der Geschlechterverhältnisse
 9783839464076

Table of contents :
Inhalt
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Siglenverzeichnis – Werke von Judith Butler
Danksagung
1 Einleitung
2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung
3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion
4 Designtheoretische Überlegungen
5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive
6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten
7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion
8 Zusammenfassung und Ausblick
Bibliographie

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Julia Krumme Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Edition Moderne Postmoderne

Editorial Die Edition Moderne Postmoderne präsentiert die moderne Philosophie in zweierlei Hinsicht: zum einen als philosophiehistorische Epoche, die mit dem Ende des Hegel’schen Systems einsetzt und als Teil des Hegel’schen Erbes den ersten philosophischen Begriff der Moderne mit sich führt; zum anderen als Form des Philosophierens, in dem die Modernität der Zeit selbst immer stärker in den Vordergrund der philosophischen Reflexion in ihren verschiedenen Varianten rückt – bis hin zu ihrer »postmodernen« Überbietung.

Julia Krumme (M.A.), geb. 1975, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Augsburg und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Designtheorie, politischer Philosophie und Ethik. Sie studierte Philosophie an der Hochschule für Philosophie München.

Julia Krumme

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge Design und die De-Konstruktion der Geschlechterverhältnisse

Zugleich Dissertation an der Hochschule für Philosophie München (eingereicht im Wintersemester 2021/22)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839464076 Print-ISBN 978-3-8376-6407-2 PDF-ISBN 978-3-8394-6407-6 Buchreihen-ISSN: 2702-900X Buchreihen-eISSN: 2702-9018 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis............................................... 11 Siglenverzeichnis – Werke von Judith Butler .......................................13 Danksagung ........................................................................ 17 1 1.1 1.2 1.3 1.4

1.5

1.6 1.7

2 2.1

Einleitung..................................................................... 19 Feministische Perspektiven: Post(-)feminismus, Pop(-)feminismus und die Hyperästhetisierung des alltäglichen Lebens ........................... 19 Makro-, Meso- und Mikroebene der Analyse .................................... 25 Forschungsfrage ............................................................. 28 Theoretischer Bezugsrahmen ................................................. 29 1.4.1 Diskursiver Konstruktivismus als theoretische Grundlage ............... 30 1.4.2 Praxistheoretische Ergänzung – Konsum als Kulturleistung und soziale Praxis ..................................................... 35 1.4.3 Poststrukturalistische Ergänzungen – gegen den »horror materiae« .......................................... 37 Erwartete Ergebnisse und vorzunehmende Abgrenzungen ..................... 40 1.5.1 Ziel der Arbeit ......................................................... 42 1.5.2 Abgrenzungen des Gegenstandsbereichs ............................... 43 Aufbau der Arbeit und Anordnung der Kapitel ................................. 46 Implikationen und Anschlussmöglichkeiten.................................... 48 1.7.1 Unvermeidbarkeit von Ausschlüssen ................................... 49 1.7.2 Erweiterung des Design-Begriffs – Gestaltungs-»Netzwerke« ............ 51 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung ............ 53 Alltagsweltliche Grundannahmen und Architektur des »Geschlechterverhältnisses« ............................................. 54

2.2 Geschichtliche Perspektive: Differenztheoretische Überlegungen .............. 58 2.2.1 Antike ................................................................. 58 2.2.2 Bürgerliche Moderne................................................... 59 2.2.3 Second Wave Feminism ................................................. 61 2.2.4 Kritik der differenztheoretischen Überlegungen ........................ 62 2.3 Historisch-kulturelle Perspektive: »soziales Geschlecht« als Konstruktion...... 65 2.3.1 Trennung von Sex und Gender .......................................... 66 2.3.2 Jenseits der Unterscheidung von »Geschlecht« und »Geschlechtsidentität«............................................ 69 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion .................................. 71 Struktur des Kapitels und ideengeschichtlicher Hintergrund .................... 71 3.1.1 »Geschlecht« – Sex und/oder Gender?.................................. 75 3.1.2 Variabilität der biologischen Grundlage................................. 75 3.1.3 Unerfüllbarkeit des eigenen Anspruchs und implizite Binarität .......... 80 3.1.4 Konsequenzen......................................................... 82 3.2 »Geschlecht« als das »radikal Konstruierte« ................................. 84 3.3 »Geschlecht« – eine zentrale soziale Kategorie................................ 86 3.3.1 Diskurse als struktureller Rahmen und Modus der Geschlechtskonstitution ........................................... 88 3.3.2 Konkrete Praktiken der Geschlechtskonstruktion – soziale Interaktion .. 95 3.3.3 Identitätsbildung – »Geschlecht« als ein Modus der Subjektwerdung ... 105 3.4 Querschnitt, Kritik und Ausblick .............................................. 112 3 3.1

Designtheoretische Überlegungen ........................................... 115 Design – eine systematische Annäherung ..................................... 117 4.1.1 Geschichtliche Dimension ............................................. 117 4.1.2 Anthropologische Dimension ........................................... 119 4.1.3 Ästhetische Dimension ................................................ 119 4.1.4 Handlungstheoretische Dimension ..................................... 127 4.1.5 Symboltheoretische Dimension ....................................... 130 4.2 Semiotik – Sprache, Bild, Design ............................................. 135 4.2.1 Differenzierungen: Text – Bild – Artefakte ............................. 140 4.2.2 Semiotik und Design ................................................... 141 4.3 Semantisierung von Artefakten .............................................. 144 4.3.1 Designsemantische Theorieansätze ................................... 149 4.3.2 Kritik am Modell der Produktsprache ...................................157 4 4.1

Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive .................. 159 Gestaltungsmacht von Designern: Gestalter*innen und Gestaltung ............ 160 5.1.1 Bewusste Vergeschlechtlichung: gendered Design...................... 164 5.1.2 Implizite Vergeschlechtlichung: implizite Gender-Skripte und Sexuierung durch Objekt-Konzepte.................................... 166 5.1.3 Design-Codes......................................................... 168 5.1.4 Gender-Skripte als deterministisches Konzept?........................ 173 5.2 Gestaltungsmacht von Nutzer*innen: Konsument*innen, soziale Praxis und Non Intentional Design (NID) ........................................176 5.3 Gestaltungsmacht von Artefakten ............................................. 179 5.4 Verschränkung der Sphären ................................................. 182 5 5.1

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten..................... 6.1 Subjektwerdung: Das Selbst im Kontext pluraler Praktiken .................... 6.2 Ein deskriptives Raster von Design-Codes und präskriptive Assoziationen..... 6.2.1 Bosch Professional GSR 12V-15 ........................................ 6.2.2 Braun Multiquick 3 MR300............................................. 6.3 »Strukturierende Struktur«: Zuweisung von Räumen und Möglichkeiten .......

185 186 192 196 198 201

Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion .. 209 Potentiale zur Subversion? – Zwischen Voluntarismus und Determinismus .....210 7.1.1 Bedingtheit und Handlungsfähigkeit – ein Widerspruch? ................210 7.1.2 Inszenierung und Konstruktion: Alles nur Theater? .....................212 7.1.3 Semiotischer Monismus – Alles nur Zeichen? ...........................215 7.1.4 Subversion durch Nachahmung? ...................................... 218 7.2 Implizite Heteronormativität und Asymmetrie ................................ 227 7.3 Handlungsmacht, Anerkennung und soziale Beziehung........................ 233

7 7.1

8 Zusammenfassung und Ausblick ............................................ 239 8.1 Zusammenfassung .......................................................... 239 8.2 Ausblick..................................................................... 242 Bibliographie ..................................................................... 245

Für Lotte, Franziska und Fritzi

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abb. 1: Chromosomal bestimmtes Geschlecht: Verschränkung von Karyotyp, gonadalem Geschlecht und Phänotyp | Seite 79 Abb. 2: Das triadische Zeichenmodell nach Peirce | Seite 137 Abb. 3: Der Semantisierungsprozess in formalisierter Darstellung | Seite 146 Abb. 4: Die Theorie der Produktsprache | Seite 152 Abb. 5: Die Akku-Bohrmaschine Bosch Professional GSR 12V-15 | Seite 197 Abb. 6: Der Stabmixer Braun Multiquick 3 MR300 | Seite 199

Tab. 1: Dichotome Aufstellung psychischer und mentaler Merkmaler | Seite 55 Tab. 2: Deskriptive Analyse von Design-Codes an der Oberfläche | Seite 200

Siglenverzeichnis – Werke von Judith Butler

FsL

GL Hsp KeG KvG

MdG

PdM

RdK UdG

»Für ein sorgfältiges Lesen«. In: Seyla Benhabib, Judith Butler, Drucilla Cornell, Nancy Fraser (Hg.), Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Frankfurt a.M.: S. Fischer 1993, S. 122-132 Gefährdetes Leben (5. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2017 [Precarious Life: The Powers of Mourning and Violence]. London/New York: Verso 2004]. Haß spricht (5. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2016 [Excitable Speech: A Politics of the Performative]. New York/London: Routledge 1997]. Kritik der ethischen Gewalt (5. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2018 [Giving an Account of Oneself ]. New York: Fordham UP 2005]. Körper von Gewicht (8. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2014 [Bodies that Matter: On the Discursive Limits of »Sex«]. New York/London: Routledge 1993]. Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen (3. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2015 [Undoing Gender]. London/New York: Routledge 2004]. Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung (8. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2015 [The Psychic Life of Power: Theories in Subjection]. Stanford: Stanford UP 1997]. Raster des Krieges. Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2010 [Frames of War: When is Life Grievable?]. London u.a.: Verso 2009]. Das Unbehagen der Geschlechter (17. Aufl.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2014 [Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity]. New York/ London: Routledge 1990].

Weitere Schriften sind mit Autor*innennamen und Jahreszahl im Text nachgewiesen. Entsprechende Literaturangaben finden sich in der Bibliografie am Ende der Arbeit.

»Ja, ich wünsche mir, dass Geschlecht dekonstruiert wird und in Zukunft keine Definitionsmacht mehr über die Gesellschaft hat […].« (Eismann, 2007, S. 12)

»Ob es uns gefällt oder nicht, ob es uns bewusst ist oder nicht: Alle Produkte, Zeichen, Dienstleitungen, denen wir (sic!) – entweder gezwungenermaßen – täglich konfrontiert sind oder mit denen wir uns – freiwillig – alltäglich umgeben, sprechen zu uns immer auch vergeschlechtlicht.« (Brandes, 2010, S. 3)

»To understand why it is that patriarchy persists despite formal legal equality, feminists have had to analyze how gender inequality is so deeply entrenched in social norms that individual free choice cannot overcome it.« (Chambers, 2008, S. 8)

Danksagung

Mein Dank gilt zu allererst Antje, die mich zu jeder Zeit dieses Projekts in höchstem Maße unterstützt hat und mir nicht nur in Phasen der Anspannung stets mit Nachsicht und Geduld begegnet ist, sondern immer auch als kritische Diskussionspartnerin zur Verfügung stand und so maßgeblich zur Schärfung meiner Gedanken beigetragen hat. Für die zahl- wie auch hilfreichen Kommentare und die kritische Vorablektüre danke ich Jörg, ohne dessen Hilfe meine Nerven wahrscheinlich nicht für den Abschluss des Projekts gereicht hätten. Auch Anita und Miriam sei gedankt, insbesondere dafür, dass sie mich als Schreibpartnerinnen durch immer wieder auftauchende Motivationstäler getragen haben. Das gleiche gilt für Dzifa und alle Teilnehmer*innen des Schreib-Retreats im Sommer 2019, wo ich viel über den Schreibprozess und die Höhen und Tiefen eines Promotionsvorhabens lernen durfte. Der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen (LaKoF) danke ich für die finanzielle Unterstützung. Ohne die zweijährige Förderung wäre eine Fertigstellung des Manuskripts in der vorliegenden Qualität kaum möglich gewesen. Ein großer Dank gilt auch meinen Eltern, die mich seit meiner Entscheidung für die Philosophie immer unterstützt und mich in all den Jahren niemals dazu aufgefordert haben, vielleicht doch etwas »Vernünftiges« zu lernen. Prof. Dr. Michael Reder und Prof. Dr. László Kovács danke ich für die aufrichtige und wohlwollende Betreuung, die zahlreichen gedanklichen Anregungen und kritischen Diskussionen rund um mein Vorhaben, die immer auch mit Freude verbunden waren. Und auch Fritzi und Franzi möchte ich nicht vergessen. Ihnen danke ich für ihre Geduld, für das schweigende Erdulden der Formung meiner Gedanken beim Sprechen und dafür, dass sie Teil meines Lebens sind.

1

Einleitung

1.1

Feministische Perspektiven: Post(-)feminismus, Pop(-)feminismus und die Hyperästhetisierung des alltäglichen Lebens

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Kategorie Geschlecht und der sozialen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen – ist das im Jahr 2021 überhaupt noch zeitgemäß? Ist die Frauenbewegung mit der zweiten Welle der 1970er Jahre nicht schon lange an ihrem Ende angekommen? Hat sie ihre Ziele nicht schon lange erreicht? Die Geschlechter sind in unserer Gesellschaft gesetzlich gleichberechtigt, Geschlechterpolitik hat sich im Gender Mainstreaming institutionalisiert, Mädchen sind sozial wie auch schulisch meist die erfolgreicheren Kinder1 . Man könnte also mit gutem Recht annehmen, der Feminismus sei überholt bzw. an seinem Ende angekommen; die Kämpfe, die heute noch ausgetragen werden, seien Scheingefechte, ausgetragen von »unattraktive[n], humorlose[n], männerfeindliche[n]« Frauen (Kauer, 2009, S. 7f.). Und tatsächlich gibt es heute mindestens zwei dominante Argumentationsstrategien, wenn es darum geht, zu begründen, warum feministische Perspektiven nicht mehr gebraucht werden. Während die eine Begründungslinie darauf abzielt, zu zeigen, dass die Frauenbewegung nach den 1970er Jahren ihre Ziele erreicht habe und alle heute noch stattfindenden feministischen Kämpfe schlicht Scheingefechte seien, weist der andere Diskurs darauf hin, dass die Frauenbewegung ihr Soll übererfüllt und eigentlich nur zusätzliche Probleme erzeugt habe. Beiden Linien gemeinsam ist die 1

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2010 zeigt exemplarisch, dass sich im Hinblick auf den Schulerfolg tatsächlich eine Richtungsumkehr der etablierten sozialen Stratifikation abzeichnet und es Schülerinnen offenbar besser gelingt, sich in die heute herrschenden Sozialisationsbedingungen des Schulsystems einzupassen. (vgl. Quenzel und Hurrelmann, 2010)

20

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Deutung der gesellschaftlichen Lage dahingehend, dass spätestens seit den 1990er Jahren die postfeministische Ära angebrochen sei. Die erste These, der Postfeminismus sei angebrochen und der Feminismus am Ende, weil er seine Ziele erreicht habe, erweist sich allerdings schon bald bei etwas genauerer Betrachtung als kontrafaktisch: Die postulierte Gleichheit der Geschlechter mag zwar gesetzlich fixiert sein2 , im Alltag ist diese allerdings noch lange nicht etabliert, auch wenn die Entwicklung mit Blick auf die Gleichstellung in den vergangenen zehn Jahren grundsätzlich als positiv bewertet wird (YouGov, 2020). Besonders augenfällig zeigen sich beobachtbare Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, wenn man die angenommene Egalität im Beruf in den Blick nimmt: Die Lücke zwischen den Gehältern von Männern und Frauen (der sogenannte Gender-Pay-Gap) bleibt in Deutschland seit Jahrzehnten gleich, auch wenn die Löhne auf beiden Seiten kontinuierlich anwachsen3 . Im Schnitt beträgt der Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern 18 %, wobei die Differenz zwischen den Geschlechtern nicht in allen Wirtschaftsbereichen dieselbe Ungleichheit abbildet. Verdienen Frauen im Sektor der freiberuflich ausgeübten wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen ca. 68 % des männlichen Bruttojahresverdienstes, sind es bei den Dienstleistungen insgesamt immerhin knapp 84 %4 . Ein ähnliches Bild bietet sich, wenn man die Chancenverteilung der beiden Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt betrachtet: So war laut statistischem Bundesamt im Jahr 2019 nur jede dritte Führungskraft (29,4 %) in Deutschland weiblich. 2

3

4

So zum Beispiel im Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), das für die Verwirklichung der Gleichstellung von Männern und Frauen in den Dienststellen und Unternehmen des Bundes sorgen soll, oder im Gleichberechtigungsgesetz (GleichberG), das den Auftrag des Grundgesetzes »Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.« (Art. 3, Abs. 2) konkret umsetzen soll. Statistisches Bundesamt (2021); Durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst von Arbeitnehmern in Deutschland nach Geschlecht bis 2020, zitiert nach de.statista.com, URL h ttps://de.statista.com/statistik/daten/studie/698806/umfrage/durchschnittlicher-bru ttomonatsverdienst-von-arbeitnehmern-in-deutschland-nach-geschlecht/, Abruf am 04.05.2021, 16.05 Uhr. Zu den Zahlen vgl. Statistisches Bundesamt (2020); Bruttojahresverdienst nach Wirtschaftsbereichen und Geschlecht 2020, zitiert nach de.statista.com, URL https://de.statist a.com/statistik/daten/studie/2912/umfrage/verdienst-nach-wirtschaftsbereichen-gesch lecht-voll--teilzeit/, Abruf am 04.05.2021, 16.28 Uhr.

1 Einleitung

Betrachtet man die Frage nach den Bildungschancen, bietet sich bei differenzierter Beobachtung ein ähnliches Bild, auch wenn der erste Eindruck ein anderer ist: Es mag zwar stimmen, dass Mädchen die schulisch und sozial erfolgreicheren Kinder sind und dass sie die Mehrzahl der Studierenden stellen (51,8 % aller Studienanfänger in der Bundesrepublik Deutschland waren im Jahr 2019 weiblich). Weitet man die Perspektive aber ein wenig aus, so muss man korrigierend feststellen, dass im gleichen Jahr nur 11,7 % aller C4-Professuren in Deutschland von Frauen besetzt waren5 . Weitere Statistiken ließen sich anführen, die untermauern, dass die Themen »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«, »Recht auf sexuelle Selbstbestimmung« oder auch die gerechte Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit bei weitem noch nicht zu Ende diskutiert, geschweige denn für alle Seiten zufriedenstellend gelöst sind. Die allgemein konstatierte Gleichstellung von Mann und Frau scheint also eher eine »rhetorische Gleichheit« (McRobbie, 2016, S. 2), denn gelebte soziale Wirklichkeit zu sein. Und dennoch wird spätestens seit den 1990er Jahren immer wieder das Ende des Feminismus heraufbeschworen (vgl. McRobbie, 2016, S. 37), auch weil bzw. obwohl in westlichen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts noch immer patriarchale Strukturen präsent und dominant sind. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, auf welche Weise jene Strukturen der Ungleichheit sowohl gesellschaftlich-strukturell wie auch individuell verwurzelt sind, sodass sie trotz formaler und legislativer Gleichheit weiterhin die soziale Wirklichkeit von Männern und Frauen in einem so hohen Maße mitbestimmen. Wie ist es erklärbar, dass seit den 1990er Jahren einerseits »Frauen–Power« und weiblicher Erfolg in den Medien gefeiert wurde, andererseits die Gleichstellung der Geschlechter von einer zunehmenden Frauenfeindlichkeit flankiert wurde und wird? (vgl. Gill, 2018) Wie lässt es sich verstehen, dass Feminismus heutzutage zwar irgendwie berücksichtigt, gleichzeitig jedoch abgelehnt wird? (vgl. dazu unter anderem McRobbie, 2016) Für eine kritische Auseinandersetzung mit derartigen Fragen bedarf es zunächst einer genaueren Analyse dessen, was Feminismus in einer Zeit, die auch als postfeministisch bezeichnet wird, eigentlich bedeutet. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass mit »Post-Feminismus« und »Postfeminismus« nicht

5

Zu den Zahlen vgl. Statistisches Bundesamt (2020); Frauenanteile an Hochschulen in Deutschland bis 2019, zitiert nach de.statista.com, URL https://de.statista.com/statist ik/daten/studie/249318/umfrage/frauenanteile-an-hochschulen-in-deutschland/, Abruf am 26.05.2021, 11.55 Uhr.

21

22

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

nur unterschiedliche Schreibweisen existieren6 , sondern dass sich hinter dem Begriff des Post(-)feminismus mindestens drei verschiedene Lesarten verbergen (vgl. Gill, 2018), die jeweils eine andere Schwerpunktsetzung bei der Ausdeutung ihrer Inhalte in den Vordergrund stellen. So wird von einigen Autor*innen der Post-Feminismus als antifeministische Gegenbewegung im Sinne einer (negativen) Antwort auf den Second Wave Feminism der 1970er Jahre gelesen: Populär wurde diese Interpretation des Postfeminismus als antifeministische Gegenreaktion durch ein Buch der amerikanischen Journalistin Susan Faludi mit dem Titel Backlash: The Declared War Against American Women (Faludi, 1991). Dort wird aufgezeigt, dass der Feminismus der zweiten Welle in vielen Diskursen »für die persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme moderner Frauen« (Gill, 2018, S. 5) verantwortlich gemacht wird. Doch tatsächlich greift diese Interpretation deutlich zu kurz, insofern der Postfeminismus durchaus in der Lage ist, eine wesentlich »komplexere Beziehung zwischen Kultur, Politik und Feminismus [zu] suggerier[en], als es das bekanntere Rahmenkonzept des »Backlash« erlaubt« (Tasker und Negra,

6

Hanafi el Siofi et al. machen darauf aufmerksam, dass sich hinter den verschiedenen Schreibweisen (Post-Feminismus und Postfeminismus) potentiell auch immer noch eine grundsätzliche Ablehnung des Feminismus verbergen kann (Hanafi El Siofi, Moos und Muth, 2010, S. 30). Diese Ablehnung wird auch in der Lesart des Post-Feminismus als antifeministische Gegenreaktion im Sinne eines »Backlash« in den Vordergrund gerückt, wie sie z.B. von Faludi (Faludi, 1991) herausgearbeitet wurde. Im weiteren Verlauf werde ich, um die verschiedenen Lesarten auch über die Schreibweise differenzieren zu können, folgende Varianten einsetzen: Mit »Post-Feminismus« bezeichne ich den antifeministischen »Backlash«, der über die Betonung des Präfixes »Post-« hervorhebt, dass der Feminismus eine überholte Sache, »vorbei« bzw. »vergangen« ist. Im Gegensatz dazu steht der Postfeminismus, der im Sinne Gills eine »theoretische Wende innerhalb des Feminismus« (Gill, 2018, S. 4) darstellt und anschlussfähig ist für die poststrukturalistischen Ideen Judith Butlers. Eine weitere Lesart des Post(-)feminismus stellt der Popfeminismus dar, der in den 1990er Jahren Kontur gewann und wiederum selbst in mindestens zwei verschiedenen Lesarten bzw. Schreibweisen auftritt. Mit Pop-Feminismus, mit der Betonung auf der Vorsilbe, die auf die Verbindung zur Populärkultur anspielt, bezeichne ich die eher kritisch-abwertende Lesart, die u.a. von Kauer (Kauer, 2009) vertreten wird und die im Verdacht steht, für die »Desartikulation des Feminismus« (McRobbie, 2016, S. 37) seit den 1990er Jahren insbesondere in der Sphäre der Populärkultur verantwortlich zu sein. Popfeminismus hingegen bezeichnet in meiner Ausarbeitung diejenige Perspektive auf die Kategorie, die eine komplexe Verbindung aus Populärkultur, Feminismus und Neoliberalismus darstellt (vgl. u.a. Eismann, 2007; Gill, 2007; Eismann, Köver und Lohaus, 2012; McRobbie, 2016).

1 Einleitung

2007a, S. 1; Übersetzung: JK). Unter anderem McRobbie und Gill haben herausgearbeitet, wie in der postfeministischen Perspektive feministische und antifeministische Ideen auf komplexe Weise miteinander verwoben sind, sodass es zu einer Art »Annullierung« (Gill) bzw. »Desartikulation« (McRobbie) der traditionellen Perspektive des 70er-Jahre-Feminismus der zweiten Welle kommt. In der Folge wird der »[…]Feminismus zwar berücksichtigt und als Common Sense geltend gemacht, gleichzeitig jedoch gefürchtet und verworfen« (Gill, 2018, S. 5). Auf diese Weise gelesen, zeigt sich der Postfeminismus innerhalb bestimmter Konturen, die seine Deutung in der Nähe eines »geschlechtsspezifischen Neoliberalismus« nahelegen, in dem das neoliberale Subjekt7 mit der postfeministischen Weiblichkeit eine immer wieder »gefährliche Liaison« (Fraser, 2013) eingeht. Dieses riskante Bündnis ist der Kern einer weiteren Lesart des Feminismus der dritten Welle seit den 1990er Jahren, die unter der Bezeichnung »Popfeminismus« wiederum in verschiedenen Interpretationslinien heute den Schauplatz feministischer Auseinandersetzungen prägt und dominiert8 . Die pop(-)feministische Variante des Postfeminismus zeichnet sich – wie der Name schon nahelegen will – durch ihre große Nähe zur Populärkultur aus (vgl. u.a. Tasker und Negra, 2007a, 2007b; Thomas, 2012, 2018; Smith, 2020; Thomas und Wischermann, 2020) und verweist damit auf die Hyperästhetisierung des alltäglichen Lebens, die unter anderem von Postrel als Charakteristikum unserer Kultur seit dem beginnenden 21. Jahrhundert beschrieben wird. (vgl. Postrel, 2003) Dabei zeigt sich der ästhetische Imperativ nicht auf einen singulären Standard dessen beschränkt, was innerhalb der kulturellen Gemeinschaft als schön empfunden wird, sondern verweist auf

7

8

Unter »neoliberalen Subjekten« verstehe ich Subjekte, die den neoliberalen Forderungen nach Marktorientierung, Flexibilität und dem »Credo[…] der Machbarkeit und Veränderbarkeit« (Thomas, 2012, S. 218) unterworfen sind. Eine detailliertere und kritische Auseinandersetzung mit diesem Konzept findet sich u.a. bei McRobbie (McRobbie, 2016) und bei Gill (Gill, 2018). Im weiteren Verlauf meiner Argumentation werde ich verschiedene Lesarten des Popfeminismus (in sicherlich vereinfachender Form) zusammengefasst betrachten, ohne tiefer auf die verschiedenen Interpretationslinien einzugehen. Auf eine weitere Untergliederung in Pop-Feminismus und Popfeminismus, wie sie in Anlehnung an die differenzierenden Schreibweisen des Post(-)Feminismus möglich wäre, verzichte ich zugunsten einer besseren Lesbarkeit, zumal eine noch stärkere Untergliederung der Begriffsbedeutung für die Perspektive dieser Arbeit nicht notwendig erscheint.

23

24

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

gesteigerte Ansprüche im Hinblick auf Selbstinszenierung, Genuss und Lust, die Hand in Hand mit einem ästhetischen Pluralismus gehen. Der Feminismus ist also mitnichten »vorbei« oder »überholt«, sondern zeigt sich vielmehr in einem veränderten Gewand, das sich über zentrale Merkmale konturieren lässt (vgl. dazu auch Gill, 2018, S. 6): Erstens wird – insbesondere mit Blick auf Frauen – eine überragende Akzentuierung des Körpers offensichtlich. Der Körper wird zum Ort der Weiblichkeit und zum Brennpunkt des Wertes von Frauen. Zweitens ist dieser »neue« Feminismus geprägt von neoliberalen Subjekten und ihrer Verbindung zu Vorstellungen von Selbsttransformation und drittens, so die Diagnose Gills, wird das »postfeministische Subjekt aufgefordert, sich […] selbst zu überwachen, zu disziplinieren und umzugestalten« (Gill, 2018, S. 6), eingebettet in Diskurse zu Emanzipation und Selbstbestimmung. Insbesondere in seiner Spielart als Popfeminismus zeigen sich innerhalb des Postfeminismus also starke Interdependenzen von Feminismus und Konsumkultur, insofern gerade die Feminist*innen seit den 1990er Jahren »Konsum als kulturelle Praxis [und] als Ausdruck ihrer feministischen Positionierungen« (Wagner, 2020, S. 24) definieren. Innerhalb der neoliberalen Konsumgesellschaft werden die materiellen Besitztümer der Individuen als Repräsentanten des jeweils authentischen, wahren und individuellen Selbst betrachtet. Sie werden als Technologien des Selbst 9 bzw. als Werkzeuge eingesetzt, mit deren Hilfe sich die Personen selbst in die gesellschaftliche Existenz »konsumieren«. (vgl. Evans und Riley, 2015, S. 9f.) Dabei wird der Erwerb und Gebrauch von Konsumgegenständen als Mittel zur Distinktion eingesetzt und zwar vor dem Hintergrund einer »Kultur der Fiktionalisierung« (vgl. Ullrich, 2009, S. 45f.), in der die Dinge eine »Portraitfunktion« (Ullrich, 2009, S. 29) innehaben10 . Dies bedeutet, mit anderen Worten, dass die gestalteten Artefakte ausgerichtet sind auf Möglichkeiten und sich oft über anderes definieren als ihre reinen Materialeigenschaften. So erscheinen sie umgeben von einer »Aura erfüllter Zukunft« (Ullrich, 2009, S. 33) und dienen dem Ausdruck und der

9

10

Der Begriff der »Technologien des Selbst« geht auf Foucault zurück (Foucault, 1993) und beschreibt diejenigen Praktiken, »in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt« (Foucault, 1993, S. 27), um z.B. eine historisch und gesellschaftlich spezifische Verortung zu erreichen. Bereits 1995 weist Sparke darauf hin, dass in Massenproduktion hergestellte Artefakte als kulturelle Ausdrucksform dienen. (vgl. Sparke, 1995, S. VIII)

1 Einleitung

Darstellung des Selbst. Individuen werden – so die zugrunde liegende Überlegung – auch insofern als Subjekte konstituiert, als sie konsumieren (vgl. Tasker und Negra, 2007b, S. 8); das gilt im Übrigen für Männer und Frauen gleichermaßen, ebenso wie für Personen, die sich beispielsweise als genderqueer, non-binary oder genderfluid identifizieren11 , vorausgesetzt natürlich, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Subjektpositionen bereithalten, die auf die entsprechenden Weisen markiert sind. Auch im Jahr 2021 ergibt es also durchaus Sinn, sich mit Fragen nach der Kategorie »Geschlecht« und der sozialen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen: Feminismus als pluralistische Bewegung – insbesondere als Postfeminismus mit popkultureller Prägung – markiert keine Ära nach oder jenseits feministischer Kämpfe und Auseinandersetzungen, auch wenn er teilweise in enger Verwicklung mit Elementen der Populärkultur zu sehen ist, die auf einer Stufe operieren, als ob es die dritte Welle des Feminismus nie gegeben hätte. Im Gegenteil: Er kann eine Brücke hin zu einem besseren Verständnis dessen bauen, was die offensichtlichen Widersprüche und Ungereimtheiten in der Darstellung von Frauen und den Zielen des Zweite-Welle-Feminismus ausmacht, und er kann dabei helfen, diejenigen Elemente aufzudecken, die dafür sorgen, dass in der Gesellschaft auch heute noch ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den Geschlechtern herrscht.

1.2

Makro-, Meso- und Mikroebene der Analyse

Rückt man »Geschlecht« als sozial konstruierte Kategorie in das Zentrum des Interesses, werden in der Folge gleichzeitig verschiedene Ebenen des Sozialen sichtbar, auf denen sich das zu untersuchende Phänomen betrachten lässt

11

Diese Aufzählung von Identifikationskategorien erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Begrifflichkeiten, mit denen geschlechtliche Identifikationskategorien heute von denjenigen beschrieben werden, die sich nicht als heterosexuell identifizieren oder deren Geschlechtsidentität nicht dem binären Modell »männlich/weiblich« entspricht, lassen sich als fluide begreifen, insofern sie sich seit den 1980er Jahren beständig erweitert und verändert haben: Was in den 80er Jahren mit »schwul« und »lesbisch« begann, umfasst heute im Jahr 2021 mit der Abkürzung »LGBTQIA+« ein viel breiteres Spektrum von Möglichkeiten. Dabei steht »L« für »lesbisch«, »G« für »gay«, »B« für »bisexuell«, »T« für »trans*«, »Q« für »queer«, »I« für intersexuell, »A« für »asexuell« und »+« für alle anderen Varianten, die sich (zumindest bisher) noch nicht durch Begriffe erklären und/oder mit Buchstaben abkürzen lassen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

und die jeweils einen bestimmten Fokus der Analyse vorgeben. In Anlehnung an Saar möchte ich im Folgenden drei Ebenen von Gesellschaft (vgl. Saar, 2019) beleuchten und eine knappe Skizze dessen abgeben, wie sich »Geschlecht« in den verschiedenen Feldern jeweils zeigt12 . Dabei wird die Antwort auf die Frage, was Gesellschaft sei und welche Bedeutung dem Geschlecht zukommt, in verschiedener Granularität abgebildet. In Analogie zur Fotografie könnte man davon sprechen, dass die jeweiligen Fragestellungen der Dimensionen zwar auf das gleiche Motiv gerichtet sind, allerdings Aufnahmen unterschiedlicher Körnung oder Auflösung liefern. Auf der Makroebene, dem Feld der Ordnung (Saar, 2019, S. 162), bezeichnet der Gesellschaftsbegriff zuallererst »das Faktum sozialer Bestimmtheit« (Saar, 2019, S. 163). Geschlecht stellt, auf dieser Ebene, den Modus einer Strukturierung dar, der den Rahmen dessen konturiert, was den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft als Handlungsmöglichkeiten zugebilligt wird. In dieser Perspektive erscheint Geschlecht als Strukturkategorie, die sich als Ordnungsprinzip in der Folge von Vergesellschaftung ergibt13 . Die zweite Perspektivierung, die sich auch als Mesoebene in den Gesamtzusammenhang einordnen ließe, lenkt den Blick auf jene Prozesse und Regu-

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Saar unterscheidet in seiner Analyse des Gesellschaftsbegriffs drei Ebenen: Makroebene, Mesoebene und Mikroebene. Wichtig an dieser Stelle erscheint mir, dass sich die Differenzierung, die Saar vornimmt, in der Bedeutung ihrer Begrifflichkeiten nicht mit der gängigen Analyse von »Makro« und »Mikro« deckt, wie sie in der Soziologie eigentlich vorherrschend ist. Dort wären Praktiken, die Saar auf der Mesoebene verortet, Gegenstand der Mikroebene, also derjenigen Ebene, die in der Betrachtung Saars »den einzelnen Elementen dieses Praxiszusammenhangs« (Saar, 2019, S. 164) vorbehalten ist. Kathrin Braun (Braun, 1995) macht darauf aufmerksam, dass der Begriff der »Strukturkategorie« zwei differenzierbare Dimensionen umfasst, die in der Analyse eigentlich noch strikter voneinander zu trennen wären, auch wenn sie weiterhin aufeinander bezogen bleiben: Zum einen bezeichnet er die hier im Text angesprochene Tatsache, dass Geschlecht als sozialer Platzanweiser fungiert. In »dieser Dimension [trifft er] die Wirkung des Geschlechterverhältnisses auf die Individuen.« (Braun, 1995, S. 109) Eine zweite Dimension, die auf einer davon zu unterscheidenden Ebene angesiedelt ist, zielt auf die »konstitutive Verbindung zwischen Geschlechterverhältnis und Gesellschaftsstruktur« (Braun, 1995, S. 110) ab. Hier geht es »um den systematisch-kategorial zu erbringenden Nachweis, daß die kapitalistische Gesellschaftsstruktur sich als solche nicht reproduzieren könnte, ohne ein spezifisches, hierarchisches und durch die Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit bestimmtes soziales Verhältnis« (ebd.) der Genusgruppen.

1 Einleitung

lierungen, die die Ordnung herstellen, die sich auf der Makroebene gezeigt hat. Auf jener zweiten Ebene stellt Gesellschaft also in erster Linie einen Praxiszusammenhang dar: In dieser Perspektivierung »[ü]ber Gesellschaft zu reden heißt über ihre praktische Herstellung zu reden« (Saar, 2019, S. 163f.), sodass das Feld der Ordnung eine Erweiterung erfährt. Der Begriff des Geschlechts zielt in diesem Zusammenhang primär auf die Herstellungspraxis des Doing Gender, mit all seinen vielfältigen Prozessen der Produktion und Regulation. An dieser Stelle (auf der Mesoebene) zeigt sich eine Vielfältigkeit, die – innerhalb der Vorgaben des strukturierenden Rahmens – Prozesse der Regulierung und Normalisierung ebenso in sich trägt wie auch Potentiale zur Widerständigkeit gegen mögliche Ausschlüsse, die im Praxiszusammenhang des Doing Gender vollzogen werden. Schließlich – und das stellt vielleicht den entscheidendsten Moment von Gesellschaft dar – lässt sich die Analyse von Sozialität auf der Mikroebene des Subjekts auf die einzelnen Elemente des Praxiszusammenhangs der Mesoebene fokussieren. Gesellschaft tritt, auf dieser Mikroebene der Betrachtung, in Subjekten auf, wobei die Subjekte gleichzeitig als Objekte der sozialen Verhältnisse, wie auch als Gestalter*innen eben dieser beschrieben werden können. »Gesellschaft verkörpert sich […] in Subjekten und ihrem Selbstverständnis, aber dies wirkt auf die Mesopraktiken und Makroordnungen zurück, die von den Subjekten ausgefüllt, interpretiert und transformiert werden.« (Saar, 2019, S. 164f.) Die Kategorie »Geschlecht« nimmt, in dieser feinkörnigen Betrachtung, noch einmal eine gesonderte Rolle ein: Um anerkanntes Subjekt in der Gesellschaft sein zu können, ist die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtskategorie unausweichlich. Geschlecht stellt, auf dieser Ebene betrachtet, eine Identitätskategorie dar, indem es spezifische Normen dessen festlegt, was »weiblich« oder »männlich« ist und sein kann. Für die Analyse der herrschenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sind auf den ersten Blick vor allem die Makro- und die Mesoebene von Bedeutung: Lässt sich auf der Makroebene in erster Linie darstellen, dass es eine Ordnungsstruktur in der Gesellschaft gibt, die unter anderem die Kategorie »Geschlecht« als Platzanweiser nutzt, um Subjekten bestimmte Handlungs- und Seinsweisen zu- bzw. abzusprechen, zeigt sich auf der Mesoebene, wie in konkreten Praxiszusammenhängen die Ordnungsstruktur hergestellt, iteriert und durch Prozesse der Regulierung normalisiert wird. Dabei zeigt sich allerdings auch, auf der Mikroebene, welche Subjektpositionen für Individuen innerhalb der Gesellschaft überhaupt besetzbar sind bzw. un-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

ter welchen Bedingungen der Prozess der Hervorbringung vergeschlechtlichter Subjekte stattfinden kann. In Entsprechung zum bisher Gesagten werden sich die drei Analyseebenen durch die gesamte Arbeit ziehen und als Ordnungssystem für verschiedene Detailfragen dienen, damit die unterschiedlichen Facetten, die mit der Forschungsfrage verbunden sind, systematisch untersucht werden können.

1.3

Forschungsfrage

Gesellschaft und Geschlecht erweisen sich also als untrennbar miteinander verwoben, indem Geschlecht einen maßgeblichen Beitrag in Subjektivierungsprozessen leistet14 . Dabei, so die Grundthese dieser Arbeit, spielt Design – insbesondere in der Form der Oberflächengestaltung von Objekten – eine herausragende Rolle, die allerdings in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Ausgehend von der Annahme, dass die ästhetische Gestaltung von Produkten einen gewichtigen Beitrag zur Konstruktion binärer Geschlechtermodelle in der Konsumkultur leisten, ist der Fokus dieser Arbeit ein doppelter: Eine der Leitfragen der vorliegenden Untersuchung beschäftigt sich damit, welchen Einfluss gestaltete Artefakte für die prozessuale Hervorbringung der Geschlechtskategorie und damit für die Subjektwerdung von Individuen haben. Eng damit verbunden schließt die zweite Ebene der Untersuchung an, die sich mit der Rolle gestalteter Artefakte in der Pluralität konkreter Praktiken auseinandersetzt: Hier soll untersucht werden, welchen Einfluss gestaltete Objekte in der Interaktion haben, wenn es auf der Mesoebene um die Naturalisierung und Normalisierung der Geschlechterkategorien geht.

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Für den Prozess der Subjektwerdung sind in der Literatur unterschiedliche Begriffe zu finden, die jeweils spezifische Aspekte adressieren. Während der Begriff der »Subjektivation« auf Foucault und Butler verweist und die paradoxe Bewegung der »Schaffung des Subjekts durch den anrufenden Diskurs« (Distelhorst, 2007, S. 31) meint, richtet sich der in gewisser Weise dynamischer zu lesende Begriff der »Subjektivierung« an Hegel aus. Gleichzeitig spricht letzterer Begriff – in anderen Diskursen – noch etwas ganz anderes an, nämlich die Anpassung von bestimmten Prozessen oder Gegebenheiten an ein bereits gegebenes Subjekt. Diese Deutung von »Subjektivierung« wird in der vorliegenden Arbeit allerdings keine Rolle spielen. Eine weitere Auseinandersetzung mit der Unterscheidung von Subjektivation und Subjektivierung findet sich ab S. 106.

1 Einleitung

Dabei möchte ich sowohl affirmative wie auch subversive Potentiale in den Blick nehmen: Wie wirken gestaltete Artefakte an der (Wieder-)Herstellung hegemonialer Vorstellungen von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« mit? Auf welche Weise (re-)produzieren sie die der bestehenden Ordnung innewohnenden Ungleichheiten? Wie lassen sich gestaltete Artefakte als »Agenten für Subjektivität und Identitätsbildung« (Bublitz, 2000, S. 289) fassen? Können sie gelesen werden als »Machttechniken der Normierung und Disziplinierung, die sich auch in individuelle Lebensentwürfe und -muster einschreiben«? (Thomas, 2012, S. 215) Als Zielpunkt meiner Überlegungen steht die Einsicht, dass gestaltete Artefakte in konkreten Praxiszusammenhängen sowohl affirmative wie auch subversive Potentiale entfalten können. Die Visualität von Objektoberflächen, so werde ich zeigen, verfügt über einen Verweisungscharakter, dessen grundsätzliche Iterabilität und Mehrdeutigkeit es prinzipiell unmöglich macht, eine singuläre Bedeutung des jeweiligen Artefakts zu fixieren. Was ein Artefakt für die Benutzer*innen im konkreten Praxiszusammenhang jeweils bedeutet, lässt sich nicht festschreiben und zeigt sich nicht bereits im Voraus abschließend bestimmt, sondern bleibt – auch – abhängig von Interpretations- bzw. Deutungsleistungen der Individuen innerhalb einer Gesellschaft. Auf diese Weise können gestaltete Artefakte in konkreten Praxiszusammenhängen nicht nur die Festschreibung hegemonialer Normen initiieren, sondern tragen auch schon immer grundsätzlich die Möglichkeit in sich, Irritation und Widerständigkeit entstehen zu lassen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann die gestaltete Oberfläche von Artefakten auch verstanden werden als »Ausdruck und Werkzeug von Freiheit und kultureller Selbstbestimmung« (Schweppenhäuser, 2020, S. 376). Allerdings ist diese Freiheit keine bedingungs- oder grenzenlose: Sie ist immer nur im engen Rahmen einer bereits vorgängig diskursiv geprägten Ordnungsstruktur zu erreichen, die einen regulierenden Einfluss auf die potentiell zur Verfügung stehenden Bedeutungsverschiebungen ausübt.

1.4

Theoretischer Bezugsrahmen

Grundsätzlich wurde im Laufe der Geschichte mit ganz unterschiedlichen Modellen versucht, die Kategorie »Geschlecht« und die mit ihr verbundenen »Geschlechterverhältnisse« zu bestimmen und zu erklären. Wiederholt wurden bereits seit der Antike und werden immer noch, wenn auch »in unter-

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schiedlichem Maße, doch mit großer Beharrlichkeit immer wieder angeblich konstitutive Geschlechterdifferenzen bemüht« (Kerner, 2004, S. 137), um die nach wie vor bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen innerhalb der Gesellschaft zu begründen und zu rechtfertigen15 . Wie genau dabei »Geschlecht« zu bestimmen sei, ist auch innerhalb der feministischen Theorie und Wissenschaft nicht eindeutig geklärt. Bedeutende Diskussionspunkte kondensieren allerdings in der jüngeren Zeit vor allem an zwei Fragestellungen, die sich auf unterschiedliche Facetten der theoretischen Betrachtung beziehen. Zum einen geht es darum, ob ein Rekurs auf Geschlechterdifferenzen politisch überhaupt erwünscht sein kann, insofern er potentiell auch kontraproduktive Folgen nach sich ziehen könnte. Zum anderen wird bei der Bestimmung des Geschlechtsbegriffs in den aktuellen Debatten darüber diskutiert, wie »natürlich« Geschlechtsmerkmale überhaupt aufzufassen sind und wie tiefgreifend entsprechend die Durchführung einer Entnaturalisierung der Kategorie »Geschlecht« angelegt werden müsste. Beide Diskussionspunkte durchziehen auch, mal mehr, mal weniger sichtbar, den historischen Verlauf der Debatte um die schrittweise Entbiologisierung, die schließlich in der Annahme mündet, »Geschlecht« sei weniger ein biologisches Faktum als vielmehr eine soziale Konstruktion. Dabei liegen verschiedene Analysen vor, um die Mechanismen zu benennen und zu beschreiben, die eine solche Konstruktion und Normalisierung von Geschlechterkategorien begleiten, während es gleichzeitig auch darum geht, welche Konsequenzen die Herstellung von Geschlecht für die Strukturierung gesellschaftlicher Zusammenhänge hat.

1.4.1

Diskursiver Konstruktivismus als theoretische Grundlage

In der vorliegenden Arbeit wird grundsätzlich an diejenigen Positionen aus der gesamten Variationsbreite angeschlossen, die auf der Idee von Gesellschaft als »diskursiv konstruiertes Gemeinsames« (Thomas, 2012, S. 214) im Sinne Foucaults aufbauen. Allerdings bedarf diese Beschreibung einer weiteren Spezifikation, denn sowohl der Begriff des »Diskurses« wie auch der Begriff der »Konstruktion« sind so hochfrequent gebraucht, wie ihre Bedeutung vielschichtig und bisweilen schillernd ist. Im Rahmen poststrukturalistischer Denkformationen lassen sich grundsätzlich drei unterscheidbare Varianten 15

Die Existenz einer Differenz zwischen den Geschlechtern, die politisch relevant sein sollte, ist allerdings bereits seit der Antike nicht unumstritten.

1 Einleitung

ausmachen, wie Diskurs gedacht werden kann. Während die erste den Diskurs primär sprachlich versteht, sieht die zweite in Diskursen mehr eine Verbindung aus Sprache und Praktiken. Die dritte Variante rekurriert auf den Begriff in metaphorischer Weise, »um zu verdeutlichen, dass Bedeutung im Bereich des Sozialen immer im Verhältnis zu anderen Bedeutungen steht« (Distelhorst, 2009, S. 40). Der in dieser Arbeit verwendete Diskursbegriff steht in enger Verwandtschaft mit der zweiten Variante und damit auch mit dem Diskursverständnis von Foucault, das auch im Rahmen der Gender- und Queertheorie eine zentrale Rolle spielt. (vgl. Babka und Posselt, 2016, S. 51) In dieser Lesart handelt es sich um einen »analytischen Diskursbegriff« (Nonhoff, 2004, S. 66), der in erster Linie die ununterbrochene Produktion von Bedeutung auf sprachliche (und auch auf nicht-sprachliche) Weise bezeichnet16 . Diskurse erschöpfen sich dabei allerdings nicht darin, eine Zusammenstellung von sprachlichen Äußerungen oder Zeichen zu sein, vielmehr bilden sie sich aus Zeichenformationen, bringen aber gleichzeitig diejenigen Dinge zuallererst hervor, die bezeichnen. Von diesem Standpunkt aus haben Diskurse eine epistemologische Funktion: Sie produzieren Wissensobjekte, sie spannen den Möglichkeitsraum des Sag- und Denkbaren auf und übernehmen eine ordnungsstiftende Funktion. Nimmt man eine solche Perspektive auf den Diskursbegriff ein, schwächt sich auch ein gängiger Einwand ab, der aus der phänomenologischen Tradition kommend davon ausgeht, dass sich Erfahrung nicht erschöpfend diskursiv fassen lässt, da der Bereich des Diskurses (d.h. der Sprache) nicht vollständig koextensiv mit unseren Erfahrungen ist – und umgekehrt. Schließlich, so die phänomenologische Argumentation, gibt es durchaus »vorprädikative Erfahrung«, die wir zwar durch Bezü-

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Davon abgrenzen lässt sich das normative Diskursverständnis, wie es bei Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas, 2019a, 2019b) zu finden ist. Diskurs, wie er bei Habermas ausgedeutet wird, kann auch »als ein Prozess intersubjektiver, auf Verständigung ausgerichteter Meinungsbildung beschrieben werden, in dessen Verlauf die Diskursteilnehmer[*innen] in reflexiver Weise strittige Geltungsansprüche klären« (Nonhoff, 2004, S. 67). Allen Varianten, dem analytischen Diskursbegriff Foucaults, dem normativen Diskursbegriff Habermas’ wie auch dem Alltagsverständnis von »Diskurs« ist gemeinsam, dass sie einen Zusammenhang mit Sprache bzw. sprachlichen Äußerungen markieren. Letzterer weist dabei eine noch stärkere Engführung auf, wenn er in erster Linie für »Wortwechsel«, »Streitgespräch« oder »Debatte« steht. Insbesondere der produktive Aspekt, der in der Foucaultschen Perspektive zentral ist, geht in dieser Begriffsbestimmung verloren.

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ge thematisieren, aber niemals »vollständig zu Sprache« (Alcoff, 1997, S. 240) bringen können. Dieser Analyse ist zuzustimmen; allerdings steht sie meines Erachtens nicht im Widerspruch zum bisher Gesagten, sondern verweist vielmehr darauf, dass der Bereich des Diskursiven weiter zu fassen ist als der Bereich sprachlicher Äußerungen. Sie fordert nicht, anders als es u.a. Saskia Wendel fordert, »eine dem Diskurs vorgängige Subjektperspektive« (Wendel, 2012, S. 328), die sie als notwendige Bedingung dafür ansieht, dass wir uns überhaupt auf das, was wir als »Welt« bezeichnen, beziehen können. Einer solchen Forderung ist insbesondere dann zu widersprechen, wenn »Subjekt« im Sinne Butlers als eine fragile und immer gefährdete Möglichkeit verstanden wird, die eben gerade erst innerhalb diskursiver Praktiken konstituiert und konstruiert wird. Fraglos bleibt – davon unberührt – eine vorreflexive Selbstgewissheit, die sich unmittelbar und intuitiv vollzieht, als Grundlage des Selbst- und Weltbezuges vonnöten. Unter diesen Voraussetzungen stellt die phänomenologische eher eine ergänzende Heuristik zur diskursiven Perspektive dar, um eben jene Bereiche erfassen zu können, die gerade nicht auf der Ebene der bewussten bzw. reflexiven Erfahrung angesiedelt sind. Noch einmal anknüpfend an die Aussage, Gesellschaft sei diskursiv konstruiert, ist weiterhin zu klären, was es bedeutet, wenn eine konstruktivistische Perspektive auf das Soziale eingenommen wird17 , wenn man Gesellschaft als das Resultat von (sprachvermittelten) Konstruktionsprozessen versteht. Ohne an dieser Stelle eine detaillierte Darstellung vornehmen zu können, sei dennoch auf einige Punkte hingewiesen, die im Zusammenhang mit dem Konstruktionsbegriff von Bedeutung sind. Ganz allgemein gesprochen wird, wenn von »konstruktivistischen Positionen« die Rede ist, auf erkenntnistheoretische Kontexte verwiesen. Auch in der vorliegenden Arbeit wird – im Unterschied z.B. zu realistischen oder empiristischen 17

Maihofer weist darauf hin, dass der Begriff der Konstruktion, insbesondere der sozialen Konstruktion, eine Tendenz zu Verkürzungen hat. Ihre Kritik knüpft daran an, dass sich mit »sozial« oft eine Neigung verbindet, »gesellschaftliche Verhältnisse (worunter auch ökonomische, technologische, institutionelle sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu verstehen sind) auf soziale Beziehungen zwischen Individuen oder gar auf bloße Interaktionsprozesse zu reduzieren« (Maihofer, 1995, S. 82). Da auch im alltagssprachlichen Gebrauch laut Duden die Begriffe »sozial« und »gesellschaftlich« synonym gebraucht werden, schließe ich mich der Kritik Maihofers nicht an, sondern verwende in dieser Arbeit den Begriff des Sozialen, wenn nicht explizit anders gekennzeichnet, in seiner weiten Fassung, sodass »sozial« und »gesellschaftlich« jeweils gegeneinander austauschbar sind.

1 Einleitung

Positionen – davon ausgegangen, dass sich menschliche Erkenntnis nicht wesentlich dadurch auszeichnet, dass sie eine unabhängig vorliegende Realität einfach registriert. Vielmehr wird angenommen, dass Beobachter*innen einen wesentlichen Anteil an der Konstitution von Wirklichkeit haben. Entsprechend werden naturalisierende, respektive ontologisierende Konzepte kritisiert und zurückgewiesen. Aufgegriffen und weitergeführt wird dieser Gedanke der Konstruktivität unter anderem von poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Ansätzen. Sie machen dabei deutlich, dass »jegliche Erkenntnis auf einer Reihe impliziter diskursiver Organisationsprinzipien und Ordnungsschemata beruht.« (Babka und Posselt, 2016, S. 67) Charakteristisch für Theorieansätze aus diesem gedanklichen Spektrum ist dabei das Aufzeigen einer notwendigen Verwobenheit von Individualisierungsprozessen mit Prozessen der Totalisierung, ohne dass erstere als reine Effekte der letzteren gesehen werden. In feministischer Perspektive gewendet entstammt wohl eine der einflussreichsten theoretischen Auseinandersetzungen dieser Blickrichtung der Feder von Judith Butler. Im Anschluss an Foucaults diskurstheoretische und poststrukturalistische Überlegungen und im Kielwasser des Linguistic Turn18 setzt sie sich insbesondere mit der Produktion von Geschlecht in sprachlicher Prägung auseinander. Grundsätzlich wird seit Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Emergenz der linguistischen Wende der Fokus auf Sprache als unhintergehbare Bedingung des Denkens gelegt. Entsprechend wird der »Glaube in philosophische Metaerzählungen […] schwächer« (Fraser, 1993, S. 145) und der »Weltbezug vornehmlich oder ausschließlich anhand sprachlicher Artikulationen verstanden« (Feige, 2019, S. 167). Zu diesem zentralen Aspekt der linguistischen Wende möchte diese Arbeit, wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird, Ergänzungen vornehmen, indem sie Weltbezüge visueller Natur in das Zentrum der Untersuchung stellt und die Produktion der Kategorie Geschlecht durch gestaltete Oberflächen analysiert.

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Im Zusammenhang mit der Diskussion über Feminismus und Postmoderne hat sich zu Beginn der 1990er Jahre eine Debatte darüber entzündet, »wie die linguistische Wende am besten zu interpretieren« (Fraser, 1993, S. 145) sei. Ungeachtet der Differenzen scheint mir allen diskutierten Ansätzen gemeinsam zu sein, dass sie zum einen Sprache als unhintergehbare Bedingung des Denkens annehmen und zum anderen »auf Sprache […] als Ort und Modus der Konstruktion von Wirklichkeit« (Villa, 2010, S. 149) fokussieren.

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In Übereinstimmung mit Butler werden dabei Identitätskategorien, zu denen auch das Geschlecht gehört, »als Effekte von Institutionen, Praktiken und Diskursen mit multiplen und diffusen Ursprüngen« (Kerner, 2004, S. 147) gefasst. Ihre Analysen, die in Kapitel 3 noch tiefgreifender thematisiert werden, dienen als Ausgangs- und Referenzpunkt für die Überlegungen dieser Arbeit, insofern sie sich als besonders anschlussfähig für die Integration von Praxiszusammenhängen erweisen, die Subjekte und Artefakte in den konkreten Herstellungsprozessen von Geschlecht miteinander verbunden sehen. Butlers poststrukturalistische Perspektive erweist sich auch deswegen als fruchtbar, da sie den praxeologischen Ansatz des Doing Gender vor dem Hintergrund einer strukturierenden und strukturierten Matrix betrachtet, die auf restriktive Art und Weise immer nur bestimmte Ausformungen von Geschlecht innerhalb der sozialen Konstruktionsprozesse zulässt. Mit Butler wird auf diese Weise eine Verbindung zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene von Gesellschaft und Geschlecht sichtbar, die in anderen Ansätzen weniger ausgeprägt fokussiert wird19 . Allerdings, und darin sehe ich eine gewisse methodische Einschränkung, die es zu überwinden gilt, zeigen sich die diskurstheoretischen Ansätze mit einem deutlichen Schwerpunkt auf einer sprachlich geprägten Produktion von »Geschlecht«. Eine solche Ausrichtung ist insofern verständlich, als der Zugang des Menschen zur Welt immer ein sprachlicher sein muss (vgl. dazu u.a. Villa, 2012, S. 88), da das menschliche Denken immer schon sprachlich strukturiert ist. Entsprechend hat sich, insbesondere im Anschluss an den Linguistic Turn, die wissenschaftliche Auseinandersetzung auf dem Gebiet der Geschlechterkonstruktion bisher nicht auf die Bedeutung visueller Kommunikation fokussiert, sondern Aspekte der Sprachhandlung im Sinne von Austins Sprechakttheorie in das Zentrum gerückt20 . 19

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So zeigen insbesondere die mikrosoziologischen Ansätze des Doing Gender einen starken Fokus auf die Interaktionen in der Alltagswelt und lassen sich entsprechend als akteur*innenzentrierte Perspektive beschreiben, die quasi bottom-up aus der »Froschperspektive« (Villa, 2011a, S. 39) die Konstruktion der sozialen Wirklichkeit thematisiert und so primär die Mesoebene im Blick hat. Makrosoziologische Ansätze gehen den umgekehrten Weg und betrachten top-down die strukturellen Bedingungen und Kontexte, die das Handeln und die Interaktionen auf der Mesoebene rahmen und beeinflussen. Austin geht in seiner Theorie davon aus, dass performative Äußerungen oder Sprechakte durch ihre situationsgebundene Verwendung eine Handlung bewirken, die gelingen oder misslingen kann. (vgl. u.a. Austin, 2015)

1 Einleitung

Dabei zeigt sich gerade in der Visualität, also in den Voraussetzungen dafür, wie wir Dinge sehen und wie wir dem, was wir sehen, Bedeutung verleihen, ein wirkmächtiger Modus, durch den die Kategorie »Geschlecht« in der westlichen, postindustriellen Kultur eingeschrieben wird. (vgl. Jones, 2010a, S. 2) Design, d.h. die Art und Weise, wie Artefakte gestaltet sind, wird von Konsumenten immer auch geschlechterspezifisch wahrgenommen und kategorisiert – ein Phänomen, das bisher wenig Beachtung gefunden hat, da es im Bewusstseinshorizont der Rezipient*innen gar nicht auftaucht (vgl. Brandes, 2010, S. 4), sondern in erster Linie vorbewusst geschieht. Die Verknüpfung von Artefakten und »Geschlecht« wird so geformt und hergestellt, dass die Kategorie »Geschlecht«, die durch die Symbolik der Gestaltung bzw. über Aspekte der Produktsemantik auf eine spezifische Weise hergestellt wird, entweder gleich naturalisiert und damit inkorporiert wird und dann als normal gilt, oder aber zur Gänze unsichtbar bleibt. (vgl. Kirkham und Attfield, 1996, S. 1) Bereits im Kindesalter beginnt diese verdeckte, kulturelle Konstruktion von Geschlecht, zum Beispiel über Spielwaren die speziell für die differenzierenden Kategorien »Mädchen« und »Jungen« produziert werden. (vgl. Hendershot, 1996)21

1.4.2

Praxistheoretische Ergänzung – Konsum als Kulturleistung und soziale Praxis

Aber es ist nicht nur Spielzeug im Kindesalter, das einen Beitrag zur Konstruktion von Geschlecht leistet. Grundsätzlich umgeben sich Menschen innerhalb von Konsumgesellschaften mit entsprechenden Gütern und definieren ihren Status über sie. (vgl. McRobbie, 2016, S. 75) Artefakte, so lässt sich eine der Kernthesen der kulturtheoretischen Betrachtung von Konsum ausdeuten, nehmen eine vermittelnde Position (zwischen Kultur auf der einen 21

Allerdings ist – insbesondere z.B. für den Spielzeugmarkt – der Versuch einer grundsätzlichen Abgrenzung von Produktdesign und Marketing-Strategie vorzunehmen. Zahlreiche Phänomene, die zu einer erneuten Verengung der Geschlechterrollen führen, sind primär durch Marketing-Überlegungen und nicht so sehr durch designtheoretische Annahmen gesteuert (charakteristisch dafür ist z.B. das Aufteilen der Zielgruppe »Kinder« in die differenzierten und differenzierenden Zielgruppen »Mädchen« und »Jungen« und die damit einhergehende unterscheidende Gestaltung zumindest der äußeren Hülle der Produkte, um den Absatz in einem rückläufigen/stagnierenden Markt zu steigern). Die Fragen des Marketings werden, auch wenn sie aktuell ein drängendes Problem darstellen, nicht in diese Arbeit integriert.

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und den konsumierenden Subjekten auf der anderen Seite) ein. (vgl. Schütte, 2020, S. 295) Schließlich ist das Individuum dazu gezwungen, um seine Existenz verwirklichen zu können, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen; und eine der grundlegenden Formen dieser Auseinandersetzung mit der sozialen wie auch materiellen Umwelt stellt – zumindest in westlich-kapitalistischen Gesellschaften – der Konsum dar. (vgl. Schrage, 2008; Hahn, 2011, S. 92) Im Prozess des Konsumierens werden, im Sinne eines Sich-verfügbarmachens, die Gegenstände semantisch aufgeladen. Die Oberfläche gestalteter Artefakte lässt sich auf diese Weise insofern als »Ort« von kultureller Ordnung lesen, als diese Bedeutungen, und mit ihnen bestimmte soziale Ordnungsmuster, in den Dingen gespeichert, in ihre Oberflächen eingeschrieben werden. Im Zuge der Konsumpraxis geht es für Individuen nicht nur darum, die je eigenen Bedürfnisse22 zu befriedigen, sondern auch um Aspekte der Selbstrepräsentation und Selbstinszenierung: Um soziale, sexuelle, ökonomische und kulturelle Anerkennung zu erlangen, setzen Individuen Konsumgegenstände ein und exponieren sie – mit ihrer Hilfe inszenieren wir, was und wer wir sind. Wir konsumieren uns also streng genommen auf unsere jeweiligen Subjektpositionen innerhalb der Gesellschaft, sodass auf der Mesoebene der konkreten Praxiszusammenhänge im Zusammenspiel von Individuen und Artefakten die einzelnen Elemente als vergesellschaftete Subjekte hervorgebracht und bestätigt – oder verworfen – werden. In diesem Zusammenhang und im Rückgriff auf praxistheoretische Überlegungen gehe ich in meiner Arbeit davon aus, dass den Artefakten innerhalb einer Praxis keine rein objekthaft-passive Rolle der Repräsentation zukommt. »Ihre soziale Relevanz besteht nicht alleine darin, dass sie in spezifischer Weise interpretiert, sondern dass sie ›gehandhabt‹ werden und damit die Gestalt einer jeweiligen sozialen Praktik erst möglich machen.« (Reckwitz, 2008, S. 151)23 In Bezug auf das Werk Butlers zeigt sich der hier ange22

23

Dabei verweist der Bedürfnisbegriff, so, wie er in diesem Zusammenhang eingesetzt wird, nicht »auf eine zeitlich und logisch vor dem Konsumakt zu lokalisierende Instanz, sondern auf etwas, das mit dem Konsumakt entsteht und ihn zugleich ermöglicht« (Schütte, 2020, S. 301). Ein kurzer ideengeschichtlicher Abriss über den Bedürfnisbegriff aus soziologischer Perspektive findet sich unter anderem bei Schrage (Schrage, 2008). Der hier eingesetzte Grundgedanke der Praxistheorie verweist unter anderem auf Butlers Theorie der Performativität als Konvergenzpunkt: Beide legen ihren Akzent auf das »Gemacht-sein« in alltäglichen Handlungen, z.B. auf das Doing im Doing Gender, oder allgemeiner gesprochen, auf das Doing im Doing Culture.

1 Einleitung

peilte Fluchtpunkt in ihrer Theorie der Performativität, die ebenfalls auf das Gemacht-sein in alltäglichen Handlungszusammenhängen rekurriert. Butler stützt sich dabei in ihren Ausführungen primär auf John L. Austins Überlegungen zur Performativität sprachlicher Äußerungen (vgl. Austin, 2015) und arbeitet ihr Konzept innerhalb eines sprachphilosophisch-linguistischen Bezugsrahmens aus.

1.4.3

Poststrukturalistische Ergänzungen – gegen den »horror materiae«

Um performative Leistungen jenseits der sprachlichen Aspekte fassen zu können und um mit Butler und über Butler hinaus die Bedeutung gestalteter Artefakte innerhalb von Konstruktionsprozessen analysieren zu können, bedarf es also ergänzender theoretischer Werkzeuge jenseits der sprachanalytischen Auseinandersetzungen, wie sie im Werk Butlers zu finden sind. Dabei bleibt die zentrale analytische Bedeutung von Butlers Modell unberührt24 : Ihre Konzeptualisierung einer ›heterosexuellen Matrix‹ als Ordnungsprinzip weist darauf hin, dass das Gebot zur Dichotomie der Geschlechter und zur Heterosexualität nicht mehr als Zwang gedacht werden kann, der den Individuen von außen (z.B. durch patriarchale Macht) aufgezwängt wird. Butler zeigt auf, dass Subjekte selbst daran beteiligt sind, sich selbst den geltenden Normen zu unterwerfen, eine (hetero-)sexuell und geschlechtlich bestimmte, gesellschaftlich anerkennbare Subjektposition einzunehmen, und auf diese Weise die strukturierenden Normen immer wieder zu zitieren und zu aktualisieren. (vgl. Klapeer, 2015, S. 36) Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, wie Butler davon sprechen kann, »dass der Geschlechtsunterschied ein realer ist, der aber nicht in seinen einzelnen symbolischen Repräsentationen – sei es in Biologie oder Soziologe – gänzlich aufgeht.« (Feige, 2018) Im Übrigen sieht Butler selbst, dass die sprachkritische Wende des Linguistic Turn,

24

Die Überlegungen dieser Arbeit stellen also keinen Widerspruch zu den theoretischen Ausführungen Butlers dar, sondern verstehen sich als Ergänzung, die an Butlers Ideen durchaus anschlussfähig sind. Dass bisher entsprechende Anknüpfungen noch nicht stattgefunden haben, mag auch an der spezifischen Rezeptionsgeschichte liegen. Distelhorst weist zurecht darauf hin, dass Butlers Theorie – trotz der unbestreitbaren Popularität – »aufgrund des Verlaufs der Rezeption […] relativ unerschlossen und [bisher] in ihrem potentiellen Reichtum nicht im Ansatz ausgeschöpft [ist]«. (Distelhorst, 2007, S. 11)

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getragen von konstruktivistischen und poststrukturalistischen Ansätzen, Gefahr läuft, missverstanden und auf einen sprachlichen Monismus und Determinismus reduziert zu werden. (vgl. FsL) Da sie selbst aber grundsätzlich an der linguistisch geprägten Perspektive ihres Systems festhält, versucht diese Arbeit nun den notwendigen Brückenschlag, um die Perspektive der sozialen Konstruktion von Geschlecht um grundsätzlich-semiotische Aspekte zu ergänzen. Dabei geht es mir ausdrücklich nicht um eine Kritik im Sinne des Vorwurfs des linguistischen Monismus. Vielmehr sollen formal-ästhetisch vermittelte Konstruktionsprozesse aufgedeckt und beschrieben werden, um gewissermaßen ein Korrektiv zum »horror materiae« (Verbeek, 2005, S. 1) des Linguistic Turn bilden zu können. Damit folgt die vorliegende Untersuchung einer aktuell an Bedeutung zunehmenden Tendenz, durch die die Dinge stärker in das Zentrum wissenschaftlicher Untersuchung gerückt werden25 , sodass sie aus der Marginalisierung enthoben nicht länger als »transparenter Ausdruck menschlicher Zwecke missverstanden« (Feige, 2020, S. 155) werden und »ihr Eigensinn« (ebd.) die notwendige Sichtbarkeit erlangt. Dabei geht es in dieser Arbeit allerdings nicht darum, diesen Bogen in das andere Extrem zu überspannen und eine einseitige Hinwendung allein zu den Dingen zu leisten beziehungsweise einem grundsätzlichen Material Turn das Wort zu reden. Stattdessen soll die Bedeutung von Artefakten in Konstruktionszusammenhängen um die oben erwähnte praxistheoretische Perspektive erweitert werden, um für den Gedanken zu sensibilisieren, dass Artefakten als nicht-menschlichen Akteuren in bestimmten Kontexten Handlungsmacht zugesprochen werden kann. Entsprechend werden in der vorliegenden Arbeit die theoretischen Überlegungen Butlers im Anschluss an die oben ausgeführten Überlegungen flankiert von zwei sich ergänzenden designtheoretischen Perspektiven: Während sich mit der kritischen Designtheorie, wie sie von Gerhard Schweppenhäuser vertreten wird, »Manifestationen materieller und geistiger Arbeit als soziokulturelle Praxisformen« (Schweppenhäuser, 2020, S. 372) reflektieren lassen, ergänzen Ansätze aus dem Spektrum der produktsemantischen Ansätze, zu denen u.a. die Product Semantics wie auch der Offenbacher Ansatz zu zählen sind, diejenige Dimension, in der Design-Objekte als Bedeutungsträger zu interpretieren sind. Die von mir eingesetzten Theorien verweisen dabei auf 25

Zu dieser Entwicklung haben die wissenschaftstheoretischen Arbeiten Bruno Latours zur Akteur-Netzwerk-Theorie sicherlich maßgebliche Beiträge geleistet (vgl. u.a. Latour, 2005).

1 Einleitung

ergänzende ideengeschichtliche Ausrichtungen, wie den Iconic Turn bzw. den Visualistic Turn26 und den Semantic Turn, ohne jedoch eine dieser Wendungen absolut setzen zu wollen27 . Vielmehr geht es um ein mehrdimensionales, gegenseitiges Fruchtbarmachen verschiedener Theorien, Ansätze und Blickwinkel, sodass die visuelle Dimension von Kultur gerade auch im Zusammenhang mit der Herstellung von Geschlecht in das Zentrum des Interesses gerückt werden kann. Während der theoretische Ansatz der Product Semantics – in den 1980er Jahren von Reinhardt Butter und Klaus Krippendorff unter dem Einfluss des Poststrukturalismus und sozialkonstruktivistischer Überlegungen entwickelt (vgl. u.a. Krippendorff, 1984, 1989b, 2012b; Krippendorff und Butter, 1984) – den Schwerpunkt auf die Analyse der semantischen Ebene von gestalteten Artefakten legt, geht das Bestreben des Offenbacher Ansatzes von Jochen Gros und Dagmar Steffen dahin, verschiedene Funktions-Dimensionen von Arte-

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Grundsätzlich geht es in diesem Kontext um eine theoretische Positionierung der Bildsprache im Sinne einer postlinguistischen Hinwendung zu bildhaften Zeichen. Je nach Definition und Diskurs ist dabei vom Iconic Turn, vom Pictorial Turn oder auch vom Visualistic Turn die Rede, Begriffe, die allesamt unter der Klammer der »ikonischen Wende« zusammenfassbar sind. Während die »Wende zum Bild« (Pictorial Turn), die sich in erster Linie mit dem Gebrauch von Bildern in der Alltagskultur und in den Wissenschaften orientiert, auf den US-amerikanischen Kunsthistoriker William Thomas Mitchell zurückgeht (vgl. Mitchell, 2009) und seinen theoretischen Ausgangspunkt in Luhmann und Foucault nimmt, ist der von Gottfried Boehm geprägte Iconic Turn in seiner Ausrichtung und Fragestellung grundsätzlicher, insofern für ihn im Zentrum der Analysen steht, auf welche Weise Bilder Sinn bzw. Bedeutung erzeugen. Seine theoretische Fundierung erfährt der Ansatz Boehms durch die Hermeneutik Gadamers. (vgl. Sachs-Hombach, 2009) Klaus Sachs-Hombach fasst das »Projekt der Wende« noch ein Stück weiter. Sein Visualistic Turn versteht sich nicht als Alternative zum Linguistic Turn, sondern als dessen Vollendung. Sachs-Hombach geht es um die Betonung der These, dass alle sprachlich vermittelten Formen unseres Selbst- und Weltbezugs immer schon nicht-sprachliche Zeichen voraussetzen. Grundsätzlich hat wohl jede einzelne dieser programmatischen und paradigmatischen Wenden die Tendenz, seine eigene Perspektive jeweils auf Kosten der anderen Blickwinkel überzubetonen. Dadurch werden meines Erachtens zum Teil Gegensätze und Widersprüche hergestellt, die bei genauerer Betrachtung gar nicht nötig wären. Ich gehe davon aus, dass keine der genannten Perspektiven absolut zu setzen ist, sondern vielmehr in einer Gesamtschau als sich gegenseitig ergänzende Analyseperspektiven verstanden werden können.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

fakten zu analysieren. (vgl. u.a. Gros, 1976a, 1983, 1987; Steffen, 1997, 2000)28 Beiden gemeinsam ist die Ausrichtung auf die Bedeutungsebene von gestalteten Artefakten, deren Effekte sich insbesondere über symbolische Funktionen auf die soziale und psychologische Dimension interaktiver Zusammenhänge auswirken, sodass sich zeigen lässt, dass Formen- bzw. Produktsprache in der heutigen Gesellschaft ein wirkmächtiger Ort hinsichtlich der Konstruktion sozialer Wirklichkeit ist: Tagtäglich umgeben wir uns mit Objekten, um unserer individuellen Identität Ausdruck zu verleihen – wir haben unsere Wohnzimmer mit dysfunktionalen Möbeln eingerichtet, einfach, weil sie uns gefallen, wir fahren teure und zu große Autos, obwohl ein billigeres, kleineres Modell im gegebenen Kontext mindestens ebenso funktional wäre, wir tragen Kleidung (nur) von bestimmten Marken (oder auch eben gerade nicht) und wir besitzen Computer und Telefone, deren eigentlicher Zweck für uns nicht in ihrer primären, praktischen Funktion liegt, sondern in ihrer semantischen Abbildung bestimmter Fiktionen.

1.5

Erwartete Ergebnisse und vorzunehmende Abgrenzungen

Mit diesem Theorienbündel als heuristischer Hintergrundfolie werde ich der These nachgehen, dass die Oberfläche von gestalteten Artefakten im Zusammenspiel mit Individuen in konkreten Praxiszusammenhängen eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Geschlecht und damit auch für die Subjektivierung einnimmt. Diese Herstellungs- und Konstruktionsprozesse lassen sich insbesondere auf der Ebene der Mesopraktiken von Gesellschaft analysieren, wo Individuen und gestaltete Artefakte als Elemente der Praxiszusammenhänge die Pluralität von Praktiken ausmachen, die einerseits normalisierend aber auch widerständig wirken können. Geschlecht als soziale Kategorie erscheint in unterschiedlichen Perspektiven auf den drei Ebenen von Gesellschaft: Als Platzanweiser auf der Ebene der Ordnung, als Normalisierungskomplex auf der Ebene der Praxis und als performative Leistung auf der Ebene der Subjektivation. In der Verflechtung

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Der Offenbacher Ansatz differenziert 1. praktische Funktionen, 2. formal-ästhetische Funktionen und 3. semantische Funktionen, wobei die letzte Kategorie wiederum in Subkategorien untergliedert ist. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit diesem designtheoretischen Ansatz findet sich in Kapitel 4.3.1.

1 Einleitung

von Mikro-, Meso- und Makroebene lässt sich zeigen, dass die Herstellungsprozesse auf der Mesoebene, die die einzelnen Subjekte der Mikroebene hervorbringen, gleichzeitig auf die übergeordnete Ebene der Ordnung zurückwirken, insofern sie die Kategorie »Geschlecht« mit ihren jeweiligen Ausdeutungen als Strukturierungsprinzip der Gesellschaft re-iterieren und in den konkreten Produktionszusammenhängen aufrechterhalten.29 In der Konsequenz sind folgende drei zentralen Ergebnisse der Arbeit zu erwarten: Erstens verdeutlicht sich auf der Mikroebene der einzelnen vergesellschafteten Individuen die signifikante Rolle von gestalteten Objekten für die Subjektwerdung. Ob ein Individuum eine gesellschaftlich anerkannte und anerkennbare Subjektposition besetzen kann, hängt dabei auch maßgeblich davon ab, in welchen Praxiszusammenhängen der Mesoebene mit welchen Artefakt-Bezügen sich das Individuum bewegt und verhält.30 Gleichzeitig wird sich zweitens zeigen, dass, blickt man auf der Ebene der Praxis auf die konkreten Interaktionszusammenhänge, über die Oberfläche von gestalteten Artefakten eine »doppelte Zitation« stattfindet. Doppelt deswegen, weil zunächst im Designprozess – bewusst oder unbewusst – Normen und Vorstellungen hinsichtlich der Geschlechterkategorien durch die Gestalter*innen zitiert und in die Oberflächen der Objekte eingeschrieben werden. Die zweite, dem eigentlichen Designprozess zeitlich nachgeordnete Zitation findet in den konkreten Praxiszusammenhängen statt, wenn Akteur*innen, Artefakte und Kontext interagieren. Drittens, und dieses Ergebnis folgt aus dem bisher Gesagten, können gestaltete Artefakte auf zweifache Weise ihre performative Macht ausüben: Einerseits können sie als »Härter«31 der bestehenden sozialen Ordnung fungieren, bedingt durch die doppelte Zitation, die unter Umständen in doppel-

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Eine parallele Bewegung ausgehend von der Dominanz sprachlicher Analysen in den Überlegungen Butlers und des Feminismus generell lässt sich auch in der relativ jungen Disziplin der Cultural Studies nachzeichnen. (vgl. dazu auch Jones, 2010b) Als Praxiszusammenhänge fasse ich an dieser Stelle diejenigen Komplexe aus Akteur*innen, Artefakten und den jeweils konkreten Handlungskontexten, deren Verbindung in einer wechselseitigen Beziehung aus Sinnzuschreibung(en) und Handhabung besteht: »Damit Artefakte Wirkung zeigen, müssen sie benutzt werden und damit sie benutzt werden können, ist eine Kenntnis kultureller Codes notwendig« (Reckwitz, 2008, S. 153). Handlungen in diesem Sinne zeigen sich immer schon eingebettet in Vorstellungs-, Norm- und Werthorizonte und auf diese Weise symbolisch gerahmt. Den Begriff der »Härtung« setze ich hier in Anlehnung an Latours Referenztext »Technology is Society Made Durable« von 1991 ein. (vgl. Latour, 1991)

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ter Wiederholung Normen und Vorstellungen performativ herstellt, normalisiert und verfestigt. Zugleich, sozusagen als Kehrseite der Medaille, öffnet sich mit ihnen aber auch der Horizont potentieller Widerständigkeit, und dies geschieht in einer entsprechenden Weite. Denn auf die gleiche Weise, wie der Modus der doppelten Zitation Artefakte zu besonders wirkmächtigen Stabilisatoren der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung machen kann, bewahrt er gleichzeitig die zweifache Potentialität subversiver Verschiebungen und des Widerstands gegen etablierte Normen in sich, insofern ein Bedeutungsüberschuss sowohl im Prozess der Gestaltung wie auch in den Praxiszusammenhängen gegeben ist.

1.5.1

Ziel der Arbeit

Mit dem Aufweisen der Bedeutung von gestalteten Objekten für die Subjektwerdung von Individuen und der Explikation des Modus der doppelten Zitation, verfolgt die vorliegende Arbeit eine doppelte Zielsetzung, die sich – anknüpfend an die vorhergehenden Überlegungen – als analytisch wie auch normativ zugleich erweist. So fokussiert der eine Blickwinkel zunächst auf eine deskriptive Analyse der Mechanismen, die in der heutigen Gesellschaft dazu beitragen, dass die Kategorie »Geschlecht« durch die Oberfläche gestalteter Artefakte mit-konstruiert wird, und darauf, zu zeigen, welche Rolle dabei gestaltete Artefakte in den jeweils konkreten Praxiszusammenhängen einnehmen. Ziel ist es an dieser Stelle, die Rolle von Artefakten in den Blick zu bekommen, um letztendlich auf einen angemessenen Begriff der Konstruktion von Geschlecht rekurrieren zu können. Eine zweite Perspektive lenkt das Augenmerk in Richtung einer normativen Ebene, wenn es darum geht, mögliche Wege hin zu einer Praxis aufzuzeigen, die auf eine potentielle Veränderung der gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhänge abzielt. Wie ist eine De-Konstruktion der bestehenden Geschlechter-Verhältnisse denkbar? Welche Potentiale lassen sich aufzeigen, um »Geschlecht« als Strukturkategorie auf der Makroebene zu verschieben, in seiner Bedeutung zu verändern bzw. neu zu bestimmen? Und an welchen Stellschrauben der Designpraxis und der Designtheorie ist zu drehen, damit sich das widerständige Potential gestalteter Artefakte auf der Mesoebene der Praxiszusammenhänge gegen die herrschenden Normalisierungskomplexe und Prozesse der Regulierung entfalten kann?

1 Einleitung

1.5.2

Abgrenzungen des Gegenstandsbereichs

Den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden gestaltete Artefakte aus dem Spektrum des Industriedesigns. Mit einer derartigen Festlegung auf einen bestimmten Gegenstandsbereich sind natürlich und notwendigerweise Ausschlüsse verbunden: So werden unter anderem Kunstwerke – als Gegenstück zu Design-Gegenständen – damit genauso ausgenommen wie PrintProdukte oder Grafiken und anderes zweidimensional-flächiges Design. Keine nähere Berücksichtigung finden außerdem Bewegtbilder (Animation oder Film). Diese Reduktion der Untersuchungsgegenstände auf die Gruppe der (Konsum-)Objekte geschieht vor einem doppelten Hintergrund: Zum einen, weil insbesondere dreidimensionale Gegenstände aus dem Industriedesign allgegenwärtig sind und eine zentrale Rolle als Elemente innerhalb von Alltagspraktiken spielen. Es gibt quasi kaum eine menschliche Interaktion, die ohne gestaltete Artefakte auskommen würde: Wir bewegen uns in Räumen, die mit gestalteten Gegenständen gefüllt sind, wir bewegen uns, sei es im Individual- oder im öffentlichen Verkehr, mit gestalteten Verkehrsmitteln von einem Ort zum anderen, wir hantieren in der Arbeit und im Privatleben mit Werkzeugen, Hilfsmitteln und Gegenständen, die auf eine bestimmte Art gestaltet sind usw. In all diesen Situationen interagieren Menschen auf die eine oder andere Weise mit den gestalteten Oberflächen. Im Kontext dieser Handlungspraktiken, die immer auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen verankert sind, zeigt sich eine Wirklichkeit, in der Artefakte, Akteur*innen und Kontext miteinander verschränkt sind und eine eigene Form der Performativität an den Tag legen in dem Sinne, dass kulturelle Kategorien, wie z.B. die Kategorie »Geschlecht«, nicht als nachträgliche Effekte von dahinterliegenden Normen zu verstehen sind, sondern Normen und Praxis sich gegenseitig bedingen und hervorbringen. Indem Menschen Dinge mit Dingen tun, (re-)produzieren sie Normen und Regeln; und diese Normen und Regeln wiederum setzen den Rahmen der Handlungsmöglichkeiten, die sich den Menschen in der Praxis eröffnen. Ein weiterer Grund, der für eine derartige Eingrenzung des Gegenstandsbereichs spricht, ist die Tatsache, dass dreidimensionale Objekte, wie sie Konsumgüter darstellen, auf ihre spezifische Art ein Zeichensystem bzw. ein komplexes semiotisches Feld konstituieren, das in der sozialen Auseinandersetzung der Konsumpraxis jeweils eigene Bedeutungen, einen eigenen Sinn

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

produziert und in seiner Zeichenhaftigkeit eine Form der Performativität darstellt. Um den eigentlichen Kern der Konstruktionsmechanismen im Design nicht aus dem Blick zu verlieren, ist dabei allerdings noch eine weitere Einschränkung sinnvoll: Keine weitreichende Rolle wird in dieser Arbeit eine eingehende Auseinandersetzung mit Kleidung und Kleidungsstilen spielen, auch wenn an der einen oder anderen Stelle Beispiele aus dem Feld der Mode zur Illustration eingesetzt werden. Für diesen Ausschluss gibt es unterschiedliche Gründe: Zum einen sind zu diesem Teilbereich der Warenwelt von anderer Stelle umfassende Beiträge geleistet worden, auch und gerade mit einem soziologischen Blick auf die Konstruktion von Geschlecht32 . Zum anderen verleitet gerade die Mode mit ihren offensichtlichen Querverbindungen zu Kostümierung und Inszenierung dazu, den Begriff der Performativität und den Begriff der Performanz ineinander verschwimmen zu lassen, was zu schwerwiegenden Missdeutungen führen kann. Wie später noch zu zeigen sein wird, ist es aber gerade hinsichtlich der Konstruktion von Geschlecht von großer Bedeutung, die Performativität nicht dahingehend fehlzudeuten, es handle sich um eine Gelegenheit freier Rollen- oder Kategorienwahl, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt auch wieder getauscht bzw. gewechselt werden könne. Eine letzte Einschränkung betrifft eine übergeordnete Ebene zur Warenwelt. Bereits in den 1970er Jahren war Werbung (und ihre Kritik) ein Untersuchungsfeld der Frauen- und Geschlechterforschung, und auch heute spielt geschlechtsspezifische Forschung zur Werbung, insbesondere hinsichtlich Gender-Marketing und Femvertising33 , eine herausragende Rolle. 32

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So finden sich bei Pierre Bourdieu (vgl. Bourdieu, 2018) in den Untersuchungen Elemente, die Kleidung als zentrale Komponente für die Konstruktion des vergeschlechtlichen Körpers ausmachen, während Roland Bartes’ »Die Sprache der Mode« (vgl. Barthes, 1985) den strukturalistisch-semiotischen Ansatz für den Bereich der Mode ausbuchstabiert, und Cordula Bachmann in ihrer Dissertation eine ethnografische Untersuchung zu Kleidung und Geschlecht in der Alltagspraxis ausführt (vgl. Bachmann, 2008). Der Begriff Femvertising gewinnt im Zusammenhang mit dem Pop-Feminismus der dritten Welle an Bedeutung, insofern durch diesen der Feminismus nicht nur im Mainstream der Gesellschaft angekommen, sondern dadurch auch »marktfähig« geworden ist. Unternehmen verschiedenster Couleur nutzen diese Tatsache aus, um frauenbestärkende und inspirierende Inhalte als Marketinginstrument einzusetzen. Dabei existieren verschiedene Spielarten, je nachdem, ob sich die Unternehmen tatsächlich für frauenpolitische und feministische Themen einsetzen, oder dies – im Sinne eines Fem-

1 Einleitung

Auch sie transportiert über Kanäle visueller Kommunikation Bedeutungen und Botschaften von Konsumgütern, allerdings, und darin liegt meines Erachtens ein zentrales Differenzierungsmerkmal, tun sie dies im Sinne einer Meta-Kommunikation: Werbung und Marketing versuchen auf indirektem Weg das Kauf- und Konsumverhalten zu beeinflussen, indem Meinungen und Einstellungen über kulturelle Muster, Werte und Ideen manipuliert werden. Sie stellen also eine Kommunikation über ein Produkt oder ein Artefakt dar, das wiederum selbst kulturelle Muster in sich bzw. auf der Oberfläche trägt. Auch wenn auf der Meta-Ebene der Werbung ebenfalls eine Konstruktion von spezifischen Wirklichkeiten stattfindet, indem Wert- und Normvorstellungen vermittelt und Wunsch- und Distinktionspotentiale bereitgestellt werden, so hat sie doch einen starken Drang zu Stereotypisierung, indem sie vermeintliche Differenzierungen herausarbeitet und verstärkt. Werbung und Marketing, so ließe sich feststellen, sind »ritualisierte Ausdrucksformen« (Goffman, 1981, S. 18), die auf bereits formalisierte Darstellungsformen zurückgreifen. Entsprechend könnte man mit Krippendorff davon sprechen, dass in diesem Fall eine »banale marketingorientierte Fokussierung« (Krippendorff, 2012a, S. 11) aktiv ist, die in erster Linie vorführt, was in einer Gesellschaft typischerweise für männlich und weiblich gehalten wird, welche Erwartungen an Männer und Frauen herangetragen werden und welches Verhalten für sie jeweils als akzeptabel gilt. Werbung geschieht also – als strategische Kommunikation – immer unter Bedingungen, die eine klischeehafte Darstellung und Reduktion der tatsächlichen Komplexität begünstigen. Im Gegensatz dazu möchte diese Arbeit darauf hinweisen, dass gerade auch in einem Design-Verständnis, das sich nicht derart offensichtlich dem Diktum des Marketings und seinen stereotypen Botschaften unterordnet, die symboltheoretische Dimension von gestalteten Gegenständen eine tragende Rolle für unseren Welt- und Selbstbezug spielt. Auch wenn Werbung und Marketing (ebenso wie Filme, Fernsehen und Zeitschriften) eine herausragende Rolle für das »Sperrfeuer an Geschlechterstereotypen« spielen – man denke nur an Auswüchse des Marketings wie »Männersalz« und »Frauensalz« oder »Müsli für ihn« und »Müsli für sie« – soll in dieser Arbeit der Schwerpunkt auf einer subtileren Konstruktion von

washing – nur vorgeblich tun. Allen gemeinsam scheint mir aber zu sein, dass sie als Werbetechniken nur sekundär das Ziel verfolgen, pro-weibliche Botschaften zu vermitteln, primär aber darauf ausgerichtet sind, den Gewinn des Unternehmens zu maximieren.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Geschlecht liegen. Vor diesem Hintergrund findet keine ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik der »Rosa-Hellblau-Falle«, die insbesondere in den Kinderzimmern weitreichenden Einfluss hat und der Strategie Pinkit-and-shrink-it 34 im Rahmen dieser Untersuchung statt. Im Rahmen dieser vorgenommenen Einschränkungen ist es möglich, mit den angeführten theoretischen Werkzeugen die Konstruktion von Geschlecht und von Geschlechterverhältnissen im Kontext von Artefakten und sozialen Praktiken zu beschreiben und zu durchleuchten. Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass durch die damit verbundene Engführung des Untersuchungsgegenstandes auf Elemente von Praxiszusammenhängen, die zugleich und grundsätzlich einer zeichentheoretischen Analyse zugänglich sind, auf einige interessante Facetten aus dem weiten Feld der sozialen Praktiken verzichtet werden muss.

1.6

Aufbau der Arbeit und Anordnung der Kapitel

Die vorliegende Untersuchung gliedert sich – im Anschluss an diese Einleitung – in insgesamt sieben Abschnitte, wobei sechs Kapitel den eigentlichen Hauptteil des Textes ausmachen, an dessen Ende ein Fazit als Abschluss und Ausblick der Untersuchung angefügt ist. Im ersten Kapitel des Hauptteils geht es zunächst um eine ideengeschichtliche Rahmung und eine Einführung in die verschiedenen Konzeptualisierungen von »Geschlecht«, wie sie im Laufe der Philosophiegeschichte entwickelt wurden. Dabei versucht der Text keine erschöpfende Darstellung des historischen Verlaufs, sondern greift schlaglichtartig einige einflussreiche theoretische Ansätze der feministischen Debatte heraus, um eine erste überblicksartige Skizze dessen anzufertigen, was gemeint ist, wenn von »Geschlecht« die Rede ist. Hierfür wird das Phänomen »Geschlecht« in drei unterscheidbaren Dimensionen analysiert; zunächst als Phänomen der Alltagswelt, wo Geschlecht als grundliegende Eigenschaft von Personen durch

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Pink-it-and-shrink-it beschreibt eine Marketing-Strategie, die im Rückgriff auf stereotype Vorstellungen von Geschlecht versucht, Frauen als Zielgruppe anzusprechen. Dafür werden Produkte, die bisher nicht geschlechtsspezifisch gestaltet waren, etwas filigraner und oder kleiner gestaltet und in ihrem Farbschema an die vermeintlichen Wünsche der Zielgruppe angepasst, d.h. rosa eingefärbt und ggf. mit floralen Mustern o.ä. versehen.

1 Einleitung

drei Grundannahmen bestimmt wird: Die These der Binarität, die These der Naturhaftigkeit und die These der Konstanz (vgl. Kapitel 2.1). In einem zweiten Schritt geht es dann um Geschlecht und Geschlechterverhältnisse auf der Makroebene und darum, wie sie in ihrer dichotomen Gegenüberstellung die gesellschaftlichen Zusammenhänge konturieren und strukturieren. Diese Perspektive der Differenz wird von der Antike über die bürgerliche Moderne bis zum Differenzfeminismus des Second Wave Feminism nachgezeichnet (vgl. Kapitel 2.2). Als dritte und letzte Dimension werden konkrete Konstruktionsprozesse von Geschlecht im Sinne des mikrosoziologischen Doing Gender in ihrer theoretischen Bedeutung untersucht und damit verbunden auch die Frage nach einer Möglichkeit, jenseits der Unterscheidung von Sex und Gender zu argumentieren. Dieser historisch motivierte Ansatz der Analyse in den drei Dimensionen dient dazu, argumentative Leerstellen, blinde Flecken und Widersprüche in bestehenden Konzeptionen herauszuarbeiten und eine Basis dafür zu schaffen, »Geschlecht« – und die Wirklichkeit in allen ihren Facetten – als sozial konstruiert zu verstehen. Die Hauptthese des dritten Kapitels schließt daran an und vertieft bzw. radikalisiert die bisherigen Überlegungen, indem sie auf die Überlegungen Judith Butlers aufbaut und die Unterscheidung von Sex und Gender dekonstruiert, um in Kapitel 3.2 die Kategorie Geschlecht als etwas »radikal Konstruiertes« herauszuarbeiten. Dabei werden wiederum verschiedene Dimensionen in den Brennpunkt des Interesses gerückt: Auf der Ebene konkreter Konstruktionspraktiken geht es um die Kategorie »Geschlecht« als Modus der Subjektwerdung und damit ganz grundsätzlich um Subjektivation im Spannungsfeld von Anrufung, Unterwerfung und Anerkennung. Auf einer übergeordneten Ebene werden die Rahmenbedingungen konkreter Konstruktionspraktiken in den Blick genommen: Welche Strukturen und Normen bilden die Konstitutionsverhältnisse, in denen Geschlecht hergestellt wird? Und welche konkreten Handlungs- und Deutungsmuster sind damit verbunden? Nach dieser ersten Einordnung von Geschlecht und seiner Konstruktion in den theoretischen Rahmen poststrukturalistischer Überlegungen, wende ich mich in Kapitel 4 einer systematischen Annäherung an den Designbegriff und einer Ausführung designtheoretischer Überlegungen zur Semantik von Artefakten zu. Einleitend geht es zunächst darum, verschiedene systematische Zugänge zum Designbegriff zu differenzieren und die für die vorliegende Arbeit wesentlichen Aspekte herauszuarbeiten (vgl. Kapitel 4.1). Zielpunkt ist dabei eine semiotische Perspektive, die Symbolfunktionen von Designge-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

genständen als eine besondere Art kommunikativer Funktion in den Mittelpunkt des Interesses stellt (vgl. Kapitel 4.2). Um eine angemessene Analyse von Artefakten in ihrer Bedeutung für die Konstruktion von Geschlecht in sozialen Praktiken leisten zu können, wird im darauffolgenden Unterkapitel eine kritische Auseinandersetzung dahingehend geführt, wie Bedeutung »in« Artefakte gelangen kann (vgl. Kapitel 4.3). Schwerpunktmäßig geschieht das anhand des sogenannten Offenbacher Ansatzes, der in seiner semantischen Perspektive flankiert wird von den Konzepten der Design-Codes und der DesignSkripte, wie sie u.a. in den Arbeiten von Madeleine Akrich zu finden sind (Akrich, 1995, 1997). Um ein umfassendes Bild dessen zeichnen zu können, wie Artefakte über ihre »semiotische Haut« (Romero-Tejedor und van den Boom, 2013) in die Praxiszusammenhänge konkreter Konstruktionsprozesse eingreifen, werden verschiedene Facetten der Bedeutungs- und Geschlechtskonstruktion voneinander differenziert (vgl. Kapitel 1). Auf diese Weise wird – neben der Gestaltungsmacht von Designer*innen – der Gestaltungsmacht von User*innen genauso Rechnung getragen wie dem »Eigensinn der Dinge« (Hahn, 2011). In der Folge schließen sich dann in Kapitel 6 konkrete Ausformungen gestalteter Artefakte an, die zur Illustration der theoretischen Überlegungen herangezogen werden. An den Beispielen von Bohrmaschine und Stabmixer lässt sich aufzeigen, wie sich Geschlecht an der Oberfläche von gestalteten Artefakten zeigt. Im Zusammenhang mit den konkreten Überlegungen aus der Gestaltungspraxis wird im Anschluss in Kapitel 7 diskutiert, welche Implikationen sich vor der Matrix aus feministisch-poststrukturalistischer Gesellschaftstheorie und designtheoretischen Überlegungen auf den verschiedenen Ebenen von Gesellschaft ergeben. Abschließend, in Kapitel 8 sollen die Forschungsergebnisse noch einmal zusammengefasst und in einen übergreifenden Kontext weiterführender Forschungsfragen eingeordnet werden.

1.7

Implikationen und Anschlussmöglichkeiten

Die Ergebnisse dieses Bandes weisen in verschiedene Richtungen. Exemplarisch möchte ich drei Elemente hervorheben, die insbesondere dazu dienen mögliche Anschlüsse auf der Mikro- und Mesoebene aufzuzeigen, ohne dabei gleichzeitig die Auswirkungen auf die Makroebene auszublenden: Wird einerseits deutlich, dass Geschlecht als soziale Kategorie auch durch perfor-

1 Einleitung

mative Akte der visuellen Kommunikation konstruiert und aufrechterhalten wird, zeigen sich andererseits gerade durch den Modus der doppelten Zitation verstärkt Potentiale, die in Richtung einer größeren Sensibilität gegenüber möglichen Ausschlüssen deuten – auch in Feldern des Designs, die in dieser Arbeit aus Platzgründen nicht thematisiert werden können. Drittens – und damit möchte ich meine Arbeit abschließen – ergibt sich aus dem Gesagten eine notwendige Offenheit gegenüber einem erweiterten Designbegriff, der mehr Gewicht auf partizipatorische Aspekte legt und der Konstruktion von Geschlecht in den vielschichtigen Netzwerken sozialer Interaktion Rechnung trägt. Wichtig wäre im Anschluss an diese theoretische Auseinandersetzung eine Übersetzung der Ergebnisse in die Praxis – vor allem auch in der Designer*innen-Ausbildung, die bisher dem Thema »Geschlecht« und »Geschlechterverhältnisse« noch zu wenig Beachtung schenkt. Dabei wäre ein weiteres Desiderat, das Faktum sozialer Konstruktion stärker in das Bewusstsein der Menschen zu holen und Möglichkeiten dafür zu schaffen, die gesellschaftlich tief verwurzelten Grundannahmen über die Kategorie »Geschlecht«, nämlich, dass Geschlecht erstens binär verfasst, zweitens konstant und drittens biologisch fundiert ist35 , hinterfragen zu können.

1.7.1

Unvermeidbarkeit von Ausschlüssen

Geschlecht derart als soziale Kategorie gefasst – dies ist meines Erachtens eine der zentralen Folgerungen aus Judith Butlers Gender Trouble – schafft notwendigerweise Grenzen, die wiederum für Ein- und Ausschlüsse sorgen, und fixiert gleichzeitig Subjekte in einer essentialistisch zu denkenden Art und Weise, die dem prozesshaften Charakter des Doing Gender und der Pluralität von Individuen innerhalb der Gesellschaft ganz grundsätzlich nicht gerecht werden kann. Schon die zweite Welle des Feminismus hat offengelegt, dass das Subjekt des Feminismus, so wie es bis in die 1970er Jahre gefasst war, sich bei genauerer Betrachtung in Auflösung befand, insofern es »die Frauen« als homogene Gruppe nicht gibt und gar nicht geben kann. Schließlich, so stellt Butler fest, legen die »Bereiche der politischen und sprachlichen »Repräsentation« […] vorab die Kriterien fest, nach denen die Subjekte selbst gebildet werden, so daß nur das repräsentiert werden kann, was als Subjekt gelten

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Die alltagsweltlichen Grundannahmen zur Kategorie Geschlecht werden ausführlicher in Kapitel 2.1 thematisiert.

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kann.« (UdG, S. 16). Oder, in anderen Worten: »Das feministische Subjekt erweist sich als genau durch dasjenige politische System diskursiv konstituiert, das seine Emanzipation ermöglichen soll.« (UdG, S. 17) Gerade mit Blick auf die Intersektionalitäts-Debatte zeigen sich zahlreiche Überschneidungen mit klassenspezifischen, ethnischen, rassischen und eben auch sexuellen Modalitäten der jeweiligen Identitäten, sodass der Begriff »Frau« mitnichten dazu in der Lage ist, eine homogene Gruppe an Individuen zu bezeichnen. Die Kategorie »Frau(en)«, wie sie zu Beginn der zweiten Welle verstanden wurde, ist also eigentlich ein instabiler, brüchiger Begriff, der sich auf die Fiktion eines stabilen vorgesellschaftlichen Subjekts stützt. Zugleich zeigt sich, dass Identitätskategorien, wie das kollektive »wir« des Feminismus, wie »Mann« oder »Frau«, dahingehend Einfluss nehmen, dass sie »eine Begrenzung und Einschränkung der Möglichkeiten bewirken« (UdG, S. 215). Jede Festlegung als »etwas« oder »jemand« bedeutet zugleich auch eine Festlegung auf »nicht-etwas-anderes« bzw. »nicht-jemand-anderes«. D.h. jede Einordnung in Kategorien produziert – gleichsam als Kehrseite – Ausschlüsse dessen, was nicht den Beschreibungsaspekten genügt, die für eine Zugehörigkeit zu eben den Kategorien qualifizieren. Wenn dabei eine binäre Regulierung den Rahmen bildet, wird die subversive Pluralität von Geschlecht, die »mit den Hegemonien der Heterosexualität, der Fortpflanzung und des medizinisch-juristischen Diskurses bricht« (UdG, S. 41), unterdrückt. Die vorliegende Arbeit soll deshalb den Fokus auf den Prozess der Kategorisierung, auf die Ein- und Ausschlussmechanismen lenken, die für die Konstruktion der Kategorie »Geschlecht« insbesondere im Kontext von Design und kultureller Praxis mit gestalteten Artefakten, am Werk sind. Erst wenn diese Mechanismen aufgedeckt sind, lassen sich neue Möglichkeiten und Wege aufzeigen, um Praktiken zu etablieren, die »heteronormative Strukturen und andere Formen von Normierung und Normalisierung demontier[en]« (Kilian, 2010, S. 104). Ziel kann es also nicht sein, ganz prinzipiell auf eine Auflösung jedweder Identitätsposition hinzuarbeiten. Vielmehr soll es darum gehen, die Aufmerksamkeit auf unerwünschte Normierungen von Identität, auf die unwanted legislation of identity (Butler, 2004, S. 7), zu lenken, sodass queere Interventionen mobilisiert werden können, mit dem Ziel, eine Befreiung von der Binarität und eine Öffnung für alternative Identitäten zu erreichen.

1 Einleitung

1.7.2

Erweiterung des Design-Begriffs – Gestaltungs-»Netzwerke«

Dazu braucht es unter anderem auch ein neues Design-Verständnis: Auch wenn sich die Industriedesigner*innen des »alten Schlages« möglicherweise gegenwärtig noch als zentrale Akteur*innen im Gestaltungsprozess verstehen, kann es durchaus sein, dass dieses Selbstverständnis von einer anderen Realität eingeholt wird oder – zumindest teilweise – bereits wurde. (vgl. Haarmann, 2020) In diesem Sinne ließe sich die Frage von John A. Walker, ob »Design – wie auch die Kunst – ein offenes Konzept in dem Sinn [sei], daß es erweitert, berichtigt und verändert werden kann« (Walker, 1992, S. 45) zwingend bejaht werden. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass sich die Inhalte bzw. die Gegenstände der Gestaltung zunehmend verändern: Neue Technologien, die fortschreitende Digitalisierung der verschiedensten Lebensbereiche wie auch die Individualisierung von Produktions- und Kommunikationsprozessen setzen neue Rahmenbedingungen für die Profession der Gestalter*innen. Es sind nicht mehr nur physische Produkte, die den Gegenstand der Gestaltung ausmachen. Designer*innen »der Gegenwart gestalten nicht mehr nur Muster, Formen und Produkte, sondern Datenflüsse, Unternehmensstrukturen, humane Selbstverhältnisse, Kommunikationsplattformen [und] soziale Prozesse« (Haarmann, 2020, S. 217). Und auch das Verständnis dessen, was den Gestaltungprozess ausmacht, durch den diese Objekte ihre Bedeutung erlangen, hat Verschiebungen erfahren. Bedeutung entsteht nicht in einer Top-Down-Struktur, wo durch Designer*innen gleichsam eine Semantik in die Gegenstände eingesetzt wird. Was ein Gegenstand bedeutet, zeigt sich immer nur in Abhängigkeit vom Interaktionskontext, von den in die Interaktion eingebundenen Akteur*innen, von den kulturellen Rahmenbedingungen und der jeweiligen Praxis. Auch die Vergeschlechtlichung von Artefakten vollzieht sich in solchen komplexen Netzwerken, die keine Reduktion auf einen einfachen Ursache-WirkungsZusammenhang zulassen. Anschlussfähig zeigt sich meine Untersuchung entsprechend an aktuelle designtheoretische Debatten, die darauf Bezug nehmen, dass »das Dasein […] in einem Netzwerk von aktiven informationellen, veränderlichen, gestaltbaren Bezügen« (Haarmann, 2020, S. 220) situiert ist. Es ergibt, im Anschluss an den schwedischen Designtheoretiker Pelle Ehn, keinen Sinn, den Gestaltungsprozess weiterhin als etwas zu fassen, in dem Designer*innen als aktive Subjekte passiven Objekten eine Form geben. (vgl. Ehn, 2013) Stattdessen

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

wäre eine Erweiterung der Perspektive wünschenswert, sodass auf der Mesoebene konkreter Praktiken das gesamte Netzwerk an Akteuren berücksichtigt werden kann. Dadurch ließe sich in Zukunft das Potential von Gestaltung besser ausschöpfen, um gegen eine essentialistische Identitätspolitik und für die subversive Pluralität einzutreten. Schließlich, so Butler, muss die »Kritik an den Geschlechternormen […] im Kontext der Menschenleben situiert werden, so wie diese Leben gelebt werden, und sie muss von der Frage geleitet werden, was die Möglichkeiten, ein lebenswertes Leben zu führen, maximiert und was die Möglichkeit eines unerträglichen Lebens oder sogar eines sozialen oder buchstäblichen Todes minimiert.« (MdG, S. 20)

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

Im folgenden Kapitel möchte ich in Anlehnung an (de-)konstruktivistische Ansätze darlegen, was ich unter der Kategorie »Geschlecht« verstehe und warum Geschlecht keine unumstößliche biologische Tatsache ist. Vielmehr, so die hier von mir vertretene These, wird Geschlecht durch vielfache gesellschaftliche Prozesse hergestellt und – nachgängig – naturalisiert. Um diese Aussagen zu stützen, werde ich zunächst von einem Alltagsverständnis des Begriffs »Geschlecht« ausgehend, in einem ersten Schritt einen Überblick über verschiedene Ansätze philosophischer Geschlechtertheorien mit ihren Hauptvertreter*innen skizzieren. Diese Rekonstruktion soll weniger in einer umfassenden chronologischen Nacherzählung der Geschichte feministischer Philosophie erfolgen, als vielmehr anhand dreier differenzierbarer Dimensionen vorgenommen werden, die im Zusammenhang mit dem Nachdenken über die Kategorie »Geschlecht« in den Blick geraten. So lassen sich die Begriffe »Geschlecht« und »Geschlechterverhältnis« zum einen ausgehend von der Ebene des Natürlichen bzw. der Biologie problematisieren. Zum anderen ist eine »historisch-kulturelle, gesellschaftliche Dimension« (Bublitz, 2016, S. 111) zu berücksichtigen, die sich insbesondere in denjenigen Ansätzen niederschlägt, die auf Grundlage poststrukturalistischer, postmoderner und dekonstruktivistischer Perspektiven argumentieren und auf diese Weise die sozialen Aspekte des Geschlechts in den Fokus nehmen. Eine dritte Dimension der Kategorie »Geschlecht« eröffnet sich, wenn die normativen Implikationen in den Blick genommen werden, die mit der natürlich-biologischen und der historisch-kulturellen Ebene verwoben sind, wenn die Klassifikation von Personen in verschiedene Geschlechter – meist unbemerkt – als »grundlegendes Typisierungsmuster« (Gildemeister, 2008, S. 176) zur Ordnung des sozialen Umfeldes eingesetzt wird. In der Folge werden durch »die Zuschreibung von Tätigkeiten, Eigenschaften und Positionen […] Handlungsspielräume, Macht-

54

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

ressourcen und Verhaltensmöglichkeiten je nach Geschlechtszugehörigkeit abgesteckt« (Hirschauer, 1996, S. 240). In einem zweiten Schritt werde ich dann, mit Schwerpunkt auf dem Werk Judith Butlers, rekonstruieren, welche Mechanismen sich identifizieren lassen, dass »Diskurs als Ort und Modus« (Villa, 2008b, S. 203) für die Konstruktion von Geschlecht derart nachhaltig wirksam werden kann. Dabei geht es mir nicht darum, das Werk Butlers in seiner ganzen Breite darzustellen oder in seiner vollen Tiefe zu diskutieren. Vielmehr möchte ich anhand einiger theoretischer Schlaglichter, die ich dem Butlerschen Ansatz entnehme, die diskurstheoretisch und dekonstruktivistisch orientierte Hintergrundfolie für die weitere Diskussion in meiner Arbeit grundlegen.

2.1

Alltagsweltliche Grundannahmen und Architektur des »Geschlechterverhältnisses«

Im Alltagsverständnis wird »Geschlecht« als Eigenschaft von Personen gefasst. Mit dem Begriff des »Geschlechts« wird eine der fundamentalen Kategorien beschrieben, die innerhalb von Gesellschaften herangezogen wird, um sich selbst eine Ordnung zu geben. Dabei stehen in der westlichen Tradition grundsätzlich zwei komplementäre Unterkategorien als binäres Typisierungsmuster zur Verfügung, »männliches Geschlecht« und »weibliches Geschlecht«, welchen Personen exklusiv zugeordnet werden und mit deren Hilfe – meist unbemerkt – die soziale Wirklichkeit von »Männern« einerseits und »Frauen« andererseits gestaltet wird. (vgl. Gildemeister, 2008, S. 176) Die Zuteilung von Individuen zu einer der beiden Kategorien wird mithilfe eines breiten Repertoires an Charakteristika vorgenommen, wobei den primären Geschlechtsorganen dabei eine herausragende Rolle zukommt: Männliche Individuen sind als solche zu kategorisieren, weil sie sich insbesondere anhand ihrer Genitalien eindeutig dieser Kategorie zuordnen lassen. Allerdings spielt bei der Genitalbestimmung, darauf haben Suzanne Kessler und Wendy McKenna bereits 1978 hingewiesen, der Penis die allein ausschlaggebende Rolle. Mit anderen Worten ist die Bestimmung der Geschlechtszuschreibung gleichzusetzen mit der Genitalzuschreibung, die wiederum gleichgesetzt ist mit der Penis-Zuschreibung: Aus der Prämisse »x hat einen Penis« lässt sich logisch folgern »x ist männlich«; im Umkehrschluss gilt, dass alle diejenigen Personen, die keinen Penis haben, eben auch nicht-männlich sind, sondern entsprechend in die zweite Kategorie fallen: Sie sind als weiblich, als das andere

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

Geschlecht 1 , zu klassifizieren, weil es kein positives Merkmal gibt, über das die Kategorie der Frau wahrgenommen wird. »Penis equals male but vagina does not equal female« (Kessler und McKenna, 1978, S. 151) – als Frau wird nur wahrgenommen, »wer nicht als Mann wahrgenommen werden kann.« (Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 234) Tabelle 1: Dichotome Aufstellung psychischer und mentaler Merkmale

Physische Charakteristika Psychische/charakterliche Merkmale Mentale Charakteristika

männlich

weiblich

markant, eckig

weich, rundlich/abgerundet

kräftig

schwach/zart

rational

irrational

selbstbeherrscht

impulsiv

technische Kompetenz

soziale Kompetenz

abstraktes Denken

Einfühlsamkeit

Dichotome Aufstellung psychischer und mentaler Merkmale, die in Zusammenhang mit und in Abhängigkeit von physischen (Geschlechts-)Merkmalen gesetzt werden.

Aber nicht nur in der unterschiedlichen Ausprägung anatomischer Gegebenheiten manifestiert sich der Geschlechtsunterschied: Wir erkennen typische Differenzen zwischen Männern und Frauen auch im Verhalten und – wenn man die chromosomale Ausstattung berücksichtigt – eigentlich in jeder einzelnen Zelle des menschlichen Körpers. (vgl. Hirschauer, 1996, S. 242) Dabei bleibt das Geschlecht aber keine rein private Kategorie – zwischen natürlichem Geschlechtskörper und den jeweiligen sozialen Geschlechterrollen lassen sich Verbindungen oder gar Abhängigkeiten erkennen. Es scheint, als sei das menschliche Verhalten, als seien die jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten, als sei der Ort und die Bedeutung des Individuums innerhalb der Gesellschaft direkter Effekt der natürlichen, d.h. körperlichen Geschlechtlichkeit. Dem Alltagsdiskurs zufolge »sind sowohl das gesellschaftliche Verhältnis der Geschlechter als auch deren verschiedene Rollen primär in der unterschiedlichen körperlichen Beschaffenheit« (Maihofer, 1995, S. 19) weiblicher und männlicher Personen begründet. Maßgeblich für die Typisierung

1

So der deutsche Titel von de Beauvoirs Le Deuxième Sexe. (vgl. auch Doyé, Heinz und Kuster, 2002, S. 430)

55

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

als Mann oder Frau sind dabei in der Regel drei »Alltagstheoreme der Zweigeschlechtlichkeit« (Hark und Villa, 2017, S. 29), die mit Blick auf ein erwachsenes, vollständig sozialisiertes Mitglied der westlichen Gesellschaft als zentrale Annahmen fungieren. (vgl. u.a. Hirschauer, 1996, S. 243; Gildemeister, 2008, S. 174; Bublitz, 2016, S. 102f.) Sie lassen sich wie folgt als Thesen formulieren: T1 These der Binarität: Es gibt genau zwei Geschlechter, nämlich männlich und weiblich. Jeder Mensch gehört exklusiv entweder der einen oder der anderen Kategorie an. T2 These der Naturhaftigkeit: Welcher der beiden Geschlechtskategorien ein Mensch zuzuordnen ist, lässt sich eindeutig von seinem biologischen Körper ableiten, wobei die Genitalien für die Klassifizierung ein herausragendes Merkmal darstellen. T3 These der Konstanz: Diese Zugehörigkeit zu der einen oder der anderen Kategorie des binären Modells ist angeboren und unveränderbar. Das Geschlecht eines Menschen ist konstant – und zwar von der Geburt bis zum Tod. Das heißt: So, wie sich die Kategorie »Geschlecht« im Alltagsverständnis darstellt, gehören alle Menschen, wechselseitig exklusiv, entweder dem weiblichen oder aber dem männlichen Geschlecht an, wobei diese binäre Klassifikation (T1 ) unveränderbar ist (T3 ) und sich aus biologischen Fakten ableiten lässt (T2 ). Über diese selbstverständlichen alltagsweltlichen Grundannahmen wird »Geschlecht« und die »Geschlechterdifferenz« vornehmlich im biologischen Körper lokalisiert und ein direkter Zusammenhang zwischen natürlichem Geschlechtskörper und den Geschlechterrollen angenommen. (vgl. Maihofer, 1994a, S. 168) Entsprechend lassen sich in Abhängigkeit von physischen Merkmalen geschlechtstypische Charakteristika identifizieren, die sowohl auf mentaler wie auch auf psychischer Ebene lokalisierbar sind, von denen einige exemplarisch in der obenstehenden Tabelle (vgl. Tabelle 1 2.1, S. 55) aufgezeigt sind. In dieser Deutung liegt es also in der Natur des jeweiligen Geschlechts begründet, wie der geschlechtliche Körper konstituiert ist, welche Charaktermerkmale dominant sind und über welche Kompetenzen der einzelne Mensch verfügt. Bezogen auf unser intuitives Alltagswissen hinsichtlich dieser Matrix des »Männlichen« und des »Weiblichen« verfügen wir über zahlreiche Zuschreibungen von Merkmalen, mit deren Hilfe sich jeweils exklusiv das eine oder andere Geschlecht charakterisieren lässt. Innerhalb dieser Zuweisungen sind, neben deskriptiven (d.h. beschreibenden) Anteilen auch präskriptive An-

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

teile auszumachen, die in der menschlichen Wahrnehmung eine Qualität des offensichtlich Natürlichen und damit Normalen haben. Frauen und Männer werden nicht nur auf diese oder jene Art beschrieben – sie sollen auch – je nach sozialem Kontext – auf eine bestimmte Art aussehen, handeln bzw. sich verhalten. Ist dies nicht der Fall, so wird dies zunächst als eine Abweichung von der Norm wahrgenommen, als etwas (graduell) Widernatürliches oder Pathologisches, insofern sich die betreffende Person gegen die biologisch begründeten Implikationen der ihr zugeschriebenen Kategorie sperrt: »Wer das im jeweiligen Kontext gebotene Maß »eigengeschlechtlichen« Verhaltens nicht aufbringt, erleidet teils massive soziale Sanktionen, kann Freundschaft und Liebe, den Arbeitsplatz oder ein politisches Amt verlieren, wird u.U. zusammengeschlagen oder sexuell gedemütigt.« (Hagemann-White, 1993, S. 76). Die dichotome Gegenüberstellung der Kategorien »Männlich« und »Weiblich« lässt sich – ähnlich wie viele andere Gegensatzpaare der abendländischen Geistesgeschichte (Natur/Kultur, Körper/Geist, Leiblichkeit/Vernunft, Privates/Öffentliches) – als Matrix des Denkens bis in die Gegenwart nachverfolgen. (vgl. Deuber-Mankowsky, 2012, S. 218) Dabei erweisen sich die aufgezeigten Dualismen des »binären Denkens« (vgl. Nagl-Docekal, 2001, S. 38) als in sich hierarchisch strukturiert2 : Die beiden – jeweils gegenübergestellten – Begriffe schließen sich nicht nur gegenseitig aus, sondern werden in ihrem Verhältnis auch von einer »Logik der Unterordnung bestimmt« (NaglDocekal, 2001, S. 38). So wird z.B. das Weibliche in der abendländischen Tradition als »natürlich«, als »das Leibliche« vorgestellt, während dagegen Männlichkeit mit Geist assoziiert wird; die Konsequenz: Beide – Weiblichkeit und Natur – werden auf diese Weise »zum Objekt der Unterwerfung« (KrügerFürhoff, 2013, S. 78). In Variationen findet sich der Grundgedanke der dichotomen Strukturierung in verschiedenen Denksystemen von der Antike bis in die Gegenwart: Spätestens seit Platon wird die menschliche Vernunft als unsterblich gedacht – als dasjenige, das über den (sterblichen) Körper herrschen muss, damit der Mensch überhaupt Erkenntnis erlangen kann. (vgl. Alcoff, 1997, S. 229)

2

Vgl. das Konzept des Logozentrismus im Anschluss an Derrida, der auf diese Weise eine charakteristische Denkstruktur des christlichen Abendlandes beschreibt, die »von einem externen Referenzpunkt von Bedeutungen ausgeht« und zugleich »mit sich wechselseitig ausschließenden Gegensatzpaaren […] [operiert], »die hierarchisch strukturiert sind.« (Meißner, 2012, S. 29)

57

58

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Und auch die Positionen von Descartes, Rousseau, Nietzsche und Schopenhauer sind von einer analogen asymmetrischen Dichotomisierung geprägt: Dem Diskurs der Aufklärung verpflichtet, wird die Natur der Kultur nicht nur gegenübergestellt, sondern in einem Ungleichheitsverhältnis untergeordnet. Diese Matrix der ungleichen Opposition (vgl. Kinsky-Ehritt, 1999, S. 66) von Natur auf der einen und Kultur auf der anderen Seite findet sich abgeleitet auch in philosophischen Geschlechtertheorien. Für die Architektur des Geschlechterverhältnisses bedeutet dies, dass innerhalb der gesellschaftlichen Konstellationen immer schon eine Relation der Unterordnung gegeben ist, so dass »die Rangordnung der Geschlechter« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 36) als vorgeordnete Bedingung der Sozialstruktur angesehen werden kann . Eine so verstandene Strukturkategorie zeigt sich als »inhärenter und essentieller Bestandteil der […] Gesellschaftsform« (Wilz, 2008, S. 13) und prägt wesentlich die Vorgaben dessen, was für den einzelnen Menschen als den Genus-Gruppen zugehörig zu gelten hat bzw. welche Möglichkeiten für den Einzelnen/die Einzelne offen sind und welche nicht.

2.2 2.2.1

Geschichtliche Perspektive: Differenztheoretische Überlegungen Antike

Schon seit der Antike sind die Kategorie »Geschlecht« und die Frage nach den Geschlechterverhältnissen immer wieder Thema philosophischer Auseinandersetzung, insofern immer wieder »in unterschiedlichem Maße, doch mit großer Beharrlichkeit immer wieder angeblich konstitutive Geschlechterdifferenzen bemüht« (Kerner, 2004, S. 137) werden, um eine gesellschaftlich relevante Ungleichbehandlung der Geschlechter im Vergleich zu legitimieren. Bereits bei Platon finden sich im fünften Buch der Politeia Überlegungen zur wesenhaften, essentialistisch gedachten Differenz zwischen den Geschlechtern. Allerdings konstatiert Platon, bezogen auf den Geschlechtskörper, keine ontologische Differenz zwischen Männern und Frauen. Vielmehr ist die Frau – im Sinne einer geringeren Ausprägung des Männlichen – defizitär gedacht (vgl. Heinz, 2002c): » […] die natürlichen Anlagen sind auf ähnliche Weise in beiden [Männern und Frauen; JK] verteilt, und an allen Geschäften kann das Weib teilnehmen ihrer Natur nach, wie der Mann an allen; in allen aber ist das Weib schwächer als der Mann.« (Platon, Politeia V, 455d-e) D.h., der

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

Unterschied zwischen den Geschlechtern wird eher quantitativ als qualitativ gedacht, so dass sich aus der Natur des jeweiligen Geschlechts keine spezifische Rolle und kein spezifischer gesellschaftlicher Ort ableiten lassen. Eine Wende erfährt das Denken der Geschlechterdifferenz mit Aristoteles. Er ersetzt die Elemente der platonischen Geschlechterordnung durch eine gegenteilige Doktrin, insofern seinen Überlegungen zufolge Mann und Frau »ihrem Wesen nach [differieren], d.h. ihrer Natur nach und nicht nur graduell« (Heinz, 2002b, S. 94). Durch diese, der Frau eigenen, defizitären Natur wird ihre gegenüber dem Mann untergeordnete Stellung innerhalb der Hausund Wirtschaftsgemeinschaft (οἶκος) und ihr Ausschluss aus dem öffentlichen Raum der Polis (πόλις) begründet (Aristoteles, Politik, Nikomachische Ethik). Diese aristotelische Konzeption wurde dann bis in 20. Jahrhundert hinein »bestimmend für die europäische Sozialordnung« (Heinz, 2002b, S. 94).

2.2.2

Bürgerliche Moderne

Erst ab dem 18. Jhdt. – mit der »Erfindung« der bürgerlichen Geschlechterdifferenz – wird dann die biologische Verschiedenheit zugleich Grundlage für die fundamentale Differenz zwischen den Geschlechtern bezüglich der Eigenschaften, Fähigkeiten und der Stellung in der Gesellschaft. (vgl. Maihofer, 1995, S. 32) Interessanterweise findet diese Sedimentierung einer konstitutiven Ungleichheit der Geschlechter vor dem Hintergrund der politischen Idee »der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen« (Kerner, 2004, S. 137) statt, die seit der Neuzeit das Denken prägt3 . Zwischen den Geschlechtern wird eine inkommensurable ontologische Differenz gedacht, deren zentrales Merkmal der radikale Dimorphismus der primären Geschlechtsorgane darstellt. So werden bei Rousseau beide Geschlechter als fundamental unterschiedlich und in ihrer Differenz komplementär gedacht. Dabei ist die jeweilige Geschlechtsrolle »natürlich vorgezeichnet, doch wirkt die Natur im Menschen nicht mehr so ungebrochen, als daß nicht eine durch Erziehung gestiftete gewohnheitliche Praxis sie befestigen müßte« (Kuster, 2002a, S. 161). Während der Mann über eine »instrumentell-kalkulierende Rationalität« verfügt, die ihn der Abstraktion und des spekulativen Denkens befähigt, sind dem weiblichen Geschlecht vor allem soziale Kompetenzen zu eigen. (vgl. Kuster, 2002a, 3

So waren zum Beispiel das sogenannte »allgemeinen Wahlrecht« betreffend mitnichten tatsächlich »alle« gemeint. In vielen Staaten blieben – trotz seiner Einführung – Frauen noch jahrzehntelang ausgeschlossen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

S. 162) Damit ist die Differenz der Geschlechter analog zu den Gegensatzpaaren Kultur/Natur, Vernunft/Gefühl, Aktivität/Passivität konzipiert. Auch bei Kant (GSE, AA II) begründet die unterschiedliche Natur der beiden Geschlechter, dass »Mann und Frau nicht als Menschen ›von einerlei Art‹ zu betrachten sind« (Heinz, 2002a, S. 194): Während Frauen, ähnlich wie schon bei Rousseau, ein »angebornes stärkeres Gefühl für alles, was schön, zierlich und geschmückt ist« haben (GSE, AAII, S. 229), großen Wert auf Reinlichkeit legen und das Schöne dem Nützlichen vorziehen, wird bei Kant in einem regelrechten Gegenverhältnis dazu das männliche Geschlecht konzipiert, welches er als das edle bezeichnet. Entsprechend der differenten Eigenschaften der Geschlechter ergeben sich Konsequenzen für ihre moralische Beurteilung und Erziehung. (vgl. Heinz, 2002a, S. 194) Die Frau ist, begründet durch die natürliche Differenz, immer nur in Abhängigkeit vom Mann zu denken: »Alles Frauenzimmer und überhaupt jedermann, der nicht nach eigenem Betrieb, sondern nach der Verfügung Anderer (außer der des Staats) genöthigt ist, seine Existenz (Nahrung und Schutz) zu erhalten, entbehrt der bürgerlichen Persönlichkeit, und seine Existenz ist gleichsam nur Inhärenz.« (Kant, GMS, AA VI, S. 314) D.h. bei Kant wird quasi die Linie des dialektischen Verhältnisses zwischen den Geschlechtern weiter gezeichnet, das seinen Ursprung in der »Natur der Sache« zu haben scheint: Die Frau wird als »das Andere« gedacht, das zur »Veredlung des Mannes« dienen soll und deshalb entsprechend »ihrem Geschlechtscharakter konform« (Heinz, 2002a, S. 197) erzogen werden soll. Ein Gedanke, der dann später insbesondere durch Simone de Beauvoir in ihrem Werk Le Deuxième Sex (frz. Erstausgabe 1949) systematisch kritisiert wurde. Die essentialistische Auffassung, dass aus der Natur abgeleitet werden könne, in wieweit das weibliche Geschlecht in Relation zum männlichen grundsätzlich bzw. wesentlich defizitär sei, zeigt sich auch in nachfolgenden Entwürfen philosophischer Geschlechtertheorien. So konstatiert Schopenhauer im Jahr 1851, dass »[s]chon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist« (Schopenhauer, 1988, S. 527). »Und Nietzsche erklärt: ›Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung‹« (Kinsky-Ehritt, 1999, S. 65; Fußnote 43). All diesen Überlegungen gemeinsam ist, dass sie die Thesen T1 –T3 (vgl. S. 56 2.1) des Alltagsverständnisses von Geschlecht stützen, ein universales,

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

homogenes Bild der beiden Geschlechtskategorien zeichnen und – darauf aufbauend – den jeweils zugehörigen Individuen ihren entsprechenden Platz in der Gesellschaft zuweisen – immer mit Rückgriff auf die biologischen/natürlichen Grundlagen. Dabei übt spätestens seit Aristoteles die Differenz eine hierarchisierende Ordnungsfunktion aus, sodass die unterschiedlichen Charakteristika, gesellschaftlichen Rollen, Orte und Möglichkeiten der beiden Geschlechter mehr oder weniger direkt aus der natürlichen Grundlage abgeleitet werden können.

2.2.3

Second Wave Feminism

Die lange Tradition, einen nicht weiter hintergehbaren Geschlechtsdimorphismus anzunehmen, hält sich von der bürgerlichen Moderne an bis in die verschiedenen Theoriemodelle des Differenzfeminismus im Second Wave Feminism4 durch: Gemeinsamer Ausgangspunkt der differenztheoretischen Modelle ist die These, dass es grundlegende, unveränderbare Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt (vgl. These der Binarität T1 sowie These der Konstanz T3 ) und dass diese Differenz entsprechend nicht dekonstruiert werden kann5 . Um die von der feministischen Theorie diagnostizierte Asymmetrie zwischen den Geschlechtern aufheben zu können, ist eine Umdeutung der Differenz notwendig. Als eine exemplarische Vertreterin des Differenzfeminismus ist Luce Irigaray zu betrachten, die zwar einerseits an einem unhintergehbaren Geschlechtsdimorphismus festhält (vgl. Kuster, 2002b, S. 449), sich andererseits auf die Suche nach einem neuen, symbolisch geprägten Körperbegriff begibt,

4

5

Als erste Welle des Feminismus wird die Frauenbewegung um 1900 bezeichnet, deren zentrale Forderungen u.a. das Wahlrecht für Frauen umfasste. Eine zweite Welle formierte sich in Europa Ende der 1960er Jahre im Anschluss an das US-amerikanische Women’s Liberation Movement. Strukturelle Ungleichheit wird innerhalb feministischer Theorien nicht nur mit Blick auf die Differenz von Männern und Frauen thematisiert, sondern auch innerhalb der Debatte um »Achsen der Differenz« vielgestaltig diskutiert. Ende der 1990er Jahre wird der Fokus, insbesondere in der angloamerikanischen Frauenforschung, umgelenkt, um sich auf diese Weise mit der »Diversität des feministischen Kollektivsubjekts Frauen« (Knapp, 2000, S. 108) auseinanderzusetzen: In das Zentrum der Debatte rückt die Differenz innerhalb der Kategorie »Frauen«, die »wichtige gesellschaftliche Konfliktlinien und damit auch wesentliche« Unterschiede zwischen Frauen sichtbar macht (Knapp, 2000, S. 107).

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durch den sie versucht, die Differenz der Geschlechter auf neuartige Weise zu denken« (Stoller, 2010, S. 71). Ziel ist es, die Differenz umzuwerten und nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch »unbeschadet männlicher Vorherrschaft« (Kuster, 2002b, S. 449) zu etablieren.

2.2.4

Kritik der differenztheoretischen Überlegungen

Binäre Modelle, wie die oben skizzierten theoretischen Ansätze, bestechen zunächst durch ihre Einfachheit und werden innerhalb des Alltagsverständnisses oft herangezogen, um die offensichtlichen Differenzen zwischen Frauen und Männern zu erklären. (vgl. Daly, 2017, S. 81) Allerdings birgt die Simplizität derartiger Begründungsansätze einige blinde Flecken und Probleme, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen. In einem ersten Schritt soll das Problem des Ausschlusses auf der einen Seite und das Problem der Asymmetrie auf der anderen Seite dargestellt und aufgezeigt werden, dass mit einem Rückgriff auf eine »natürliche« Begründung für beide Problemlagen keine Lösung gefunden werden kann. In einem zweiten Schritt wird die in den Alltagstheoremen vorausgesetzte strikte Binarität der Geschlechterklassifikation sowohl aus naturwissenschaftlicher wie auch aus kulturanthropologischer und ethnologischer Perspektive kritisiert. Eine zentrale Schwierigkeit, für die binäre Modelle keine plausible Lösung anbieten können, ist das Problem des Ausschlusses: Mit Blick auf die körperlichen Merkmale d.h. die natürliche Grundlage, die innerhalb des Sexualdimorphismus jeweils exklusiv der Kategorie »weiblich« oder »männlich« zugeschrieben werden, fallen diejenigen Menschen durch das Raster, die sich nicht eindeutig einer der beiden gültigen Geschlechtskategorien zuordnen lassen. Zu den Gruppen, die durch die binäre Matrix ausgeschlossen werden, zählen Transsexuelle genauso wie Intersexuelle oder androgyne Menschen, deren Geschlechtskörper über die gegebenen Devianzen pathologisiert werden. Die binäre Matrix, die nur Männer und Frauen kennt, stützt nicht nur die alltagsweltlichen Grundannahmen und normalisiert diese, sondern sorgt mit ihren impliziten normativen Annahmen dafür, dass Abweichungen von der gültigen Norm ausgeschlossen werden. Die gleichen Überlegungen lassen sich unter anderem auch auf das wechselseitige Begehren der beiden Geschlechter ausweiten, insofern das Begehren innerhalb des binären Modells zunächst in Abhängigkeit von dem jeweiligen natürlich (d.h. biologisch) gegebenen Geschlecht zu verstehen ist. Dabei ist das Begehren von Frauen innerhalb der vorgegebenen Matrix auf Männer

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

gerichtet – und umgekehrt. Auch hier wird jegliche Abweichung pathologisiert und entsprechend sozial sanktioniert.6 (vgl. Hirschauer, 1996, S. 245) Ein zweiter blinder Fleck betrifft die Asymmetrie zwischen den beiden Geschlechtskategorien: Zwar kann das binäre Modell im Rückgriff auf die biologischen Grundlagen eine Erklärung dafür abgeben, dass es überhaupt Männer und Frauen (und zwar ausschließlich Männer und Frauen) gibt, es kann aber keine befriedigende Antwort dafür liefern, warum die scheinbar natürliche Differenz zwischen den beiden Kategorien asymmetrisch strukturiert ist, in der Art und Weise, dass innerhalb der binären Matrix das Weibliche dem Männlichen untergeordnet ist. Es lässt sich zwar durchaus ein Zusammenhang zwischen der Differenz und einer Hierarchisierung herausarbeiten, insofern »sich nur hierarchisieren lässt, was unterschieden und klassifiziert ist« (Meißner, 2008, S. 11). Allerdings ist die These der »Gleichursprünglichkeit von Differenz und Hierarchie« noch einmal kritisch zu hinterfragen, zumindest, wenn sie so interpretiert wird, dass Unterschiede zwingend mit einer Hierarchisierung einhergehen. Schließlich ist durchaus eine Differenzierung denkbar, bei der die unterschiedenen Elemente nicht auf unterschiedlichen Hierarchiestufen zu verorten sind, sondern eine gleichwertige Vielfalt abbilden. Weder für das Problem des Ausschlusses noch für das Problem der Asymmetrie können mithilfe eines biologisch begründeten Modells der Zweigeschlechtlichkeit hinreichende Lösungsansätze entwickelt werden. Im Gegenteil: So plausibel – nicht nur hinsichtlich der bestehenden Alltagstheoreme – der Rückgriff auf die »universell zweigeschlechtlich gedachte »Natur des Menschen« (Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 208) zu sein scheint, so wenig trennscharf zeigt sich bei genauerer Betrachtung die biologische Klassifikation körperlicher Differenzen, wenn man sie im wissenschaftlichen Licht der Physiologie und Biologie betrachtet. (vgl. Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 71) Traditionell wird hier das Geschlecht nach mehreren Gesichtspunkten bestimmt u.a. chromosomal, gonadal, phänotypisch, hormonell, verhaltensbiologisch sowie gehirnanatomisch. Die »Komplexität der Wechselwirkungen zwischen den genannten Ebenen« (Maurer, 2002, S. 83) spricht dafür, dass ein

6

In diesem Sinne lassen sich die Ausschlüsse ausweiten auf alle Personen, die sich im Spektrum der LGBTQIA+ identifizieren. Für diese Individuen gilt, dass über die klassischen binären Modelle keine Subjektpositionen angeboten werden, sei es, weil ihre Körper nicht der Norm entsprechen, sei es, weil ihre Form des Begehrens innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses als pathologisch gilt.

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universell gültiges binär gedachtes Geschlechtermodell aus der naturwissenschaftlichen Perspektive nicht gerechtfertigt werden kann. Vielmehr scheint es sinnvoll, das strikte »Entweder-Oder« der zweigeschlechtlichen Matrix zugunsten eines kontinuierlichen »Mehr-oder-Weniger« zwischen zwei Polen aufzugeben. Entsprechend wäre es »falsch anzunehmen, dass Geschlecht immer und ausschließlich die Matrix des ›Maskulinen‹ und ›Femininen‹ bedeutet« (Butler, 2002, S. 7), was wiederum eine Begründung dafür liefert, dass die These der Binarität (T1 ) – zumindest in ihrer strikten Form – nicht aufrecht zu erhalten ist. Ein weiterer Kritikpunkt an der strikt zweigeschlechtlich gedachten »Natur des Menschen« ist ethnologisch und kulturanthropologisch begründet. Keineswegs in allen Kulturen sind die These der Binarität (T1 ), die These der Naturhaftigkeit (T2 ) und die These der Konstanz (T3 ) schon immer gültig gewesen: »Es hat Kulturen gegeben, die ein drittes Geschlecht anerkannten. Es hat bestimmte Kulturen gegeben, die bestimmten Menschen zugestanden, ihr Geschlecht zu wechseln, ohne dies mit einem Irrtum bei der anfänglichen Zuordnung begründen zu müssen. Und es hat Kulturen gegeben, bei denen die Geschlechtszugehörigkeit aufgrund der Ausführung der Geschlechtsrolle und unter Umständen unabhängig von den Körpermerkmalen erfolgte«. (Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 208) Entsprechend lässt sich die Frage stellen, »inwiefern die zentrale Rolle, die der biologische Körper in westlichen Gesellschaften für die soziale Verortung des Individuums spielt, kulturspezifisch ist« (Meißner, 2008, S. 5f.), so dass spezifische Thesen des Alltagswissens implizit durch wissenschaftliche Theorien reproduziert werden und ein »reflexiver Zirkel« entsteht: Geschlechtszugehörigkeit wird aufgrund von Indizien zugewiesen, die nur vor dem Hintergrund einer vorgängig festgelegten Binarität überhaupt als Indizien auftreten können. Mit anderen Worten: Die Zugehörigkeit zu den beiden exklusiven Kategorien »Mann« und »Frau« wird deshalb »gefunden«, weil ausschließlich innerhalb einer binären Matrix »gesucht« wird und nicht, weil ein vorgegebenes Koordinatensystem existiert, in dem nur die beiden Pole »Mann« und »Frau« gegeben sind. Durch diese Überlegungen wird deutlich, dass der Rückgriff auf eine biologisch gegebene Zweigeschlechtlichkeit nicht ohne weiteres sinnvoll ist. »Was Natur oder ›natürliches Geschlecht‹ ist, ist immer von den spezifischen Deutungen abhängig, die eine bestimmte Kultur von der Natur oder dem

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

natürlichen Geschlecht liefert.« (Stoller, 2010, S. 72). Die Differenz zwischen den Geschlechtern ist nicht als notwendige Folge körperlicher Unterschiede zu denken, sondern muss unabhängig von seinen biologischen Voraussetzungen diskutiert werden. »Biologie als Schicksal« zu überwinden ist entsprechend auch eines der Ziele, die der Second-Wave-Feminism seit den 1970er Jahren verfolgte.

2.3

Historisch-kulturelle Perspektive: »soziales Geschlecht« als Konstruktion

In Ihrem Werk Das andere Geschlecht (veröffentlicht 1949, deutsche Erstausgabe 1951), das als eines der Schlüsselwerke für die zweite Welle des Feminismus zu sehen ist, diskutiert de Beauvoir umfassend die These, »dass die Frau in der Geschichte des Geschlechterverhältnisses immer die untergeordnete, unwesentliche »Andere« des Mannes war« (Konnertz, 2005, S. 32). In Ihrer Analyse, deren Kern sich in ihrem berühmten Satz On ne naît pas femme, on le devient (»man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es«) ausdrückt, weist sie jeglichen reduktionistischen Naturalismus zurück und betont stattdessen das soziale Werden bzw. das Gewordensein der Geschlechter. Biologie wird nicht länger als unabänderliches Schicksal, als Zwang verstanden, sondern die Kategorien »Mann« und »Frau« als kulturell und sozial »hergestellt« ausgewiesen. Dabei diagnostiziert de Beauvoir auch, dass »wenn zwei menschliche Kategorien da sind, jede der anderen ihre Souveränität aufzwingen will« (de Beauvoir, 2002, S. 430). Weder die Biologie determiniert »das, was eine Frau ist, noch ist es eine abstrakte ahistorische wesenhafte Weiblichkeit, die sie zu einer Frau macht« (Konnertz, 2005, S. 34). Vielmehr gibt es, so de Beauvoir, einen ›kleinen Unterschied‹, der, kulturell überformt, innerhalb der jeweiligen sozialen Wirklichkeit zu großen Unterschieden in Bezug auf Geschlechterstereotype führt7 , und zwar in einer Art und Weise, dass die Kategorie »Frau« als 7

Inwieweit de Beauvoir einen, ihr in der Rezeptionsgeschichte immer wieder vorgeworfenen, Naturalismus bzw. biologischen Determinismus tatsächlich vertreten hat, darüber sind sich die Expert*innen auch heute nicht einig (Konnertz, 2005, S. 53). So zeigt u.a. Butler in ihrer Beauvoir-Interpretation eine Wende, wenn sie in Das Unbehagen der Geschlechter schreibt: »Trotz meiner früheren Versuche, das Gegenteil zu beweisen, scheint Beauvoir den Geist-Körper-Dualismus beizubehalten, auch wenn sie eine Synthese der beiden Termini beabsichtigt.« (Butler, 2014a, S. 31). Allerdings ist eine abschließende Antwort auf diese Frage für meine Arbeit nicht von zentraler Bedeutung.

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Negation der Kategorie »Mann« gedacht wird: Frau zu sein bedeutet, NichtMann zu sein – »die Frau« ist in dieser Perspektive das »andere«, das »unwesentliche« Geschlecht, dessen Existenz durch seine »Situation« innerhalb eines gegebenen Sets von sozio-historischen Umständen bestimmt ist – und zwar unabhängig von den individuellen Abweichungen, die jede einzelne Frau in Bezug auf Erfahrung, Möglichkeiten etc. erfährt. (vgl. Young, 1980, S. 138f.) Die Differenz und die damit verbundene Asymmetrie innerhalb der binären Opposition der Geschlechter wurzelt also weder in einer unhintergehbaren biologischen Grundlage, noch fußt sie auf einer invariablen metaphysischen Essenz des Weiblichen, sondern muss in Abhängigkeit von den jeweiligen – veränderbaren und sich ändernden – gesellschaftlich-historischen Gegebenheiten gesehen werden: Die beiden Kategorien »Mann/Männer« und »Frau/Frauen« werden als Gegensatzpaar sozial »hergestellt«. Die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern wird dabei auf verschiedenen Ebenen sichtbar, sei es in Bezug auf die Zugangsmöglichkeiten zu ideellen und materiellen Ressourcen, seien es Chancen der politischen Partizipation oder andere gesellschaftliche Diskriminierungen, die ihren Ausdruck in einem Defizit von Anerkennung finden. (vgl. Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 12)

2.3.1

Trennung von Sex und Gender

Dieser Idee der sozialen Konstruktion von Geschlecht wurde ab Ende der 1960er Jahre innerhalb der feministischen Forschung (insbesondere im angelsächsischen Sprachraum) auch terminologisch Rechnung getragen, indem das Begriffspaar Sex/Gender als Analysekategorie eingeführt wurde: Während Sex im Deutschen oft mit »biologischem Geschlecht« wiedergegeben wird, sind für Gender »soziales Geschlecht« oder »Geschlechtsidentität« in der Literatur gebräuchlich. Den gängigen Denkmodellen feministischer Theorie zufolge herrscht zwischen den beiden Konzepten Sex und Gender eine »hierarchisch-additive Beziehung« (Maurer, 2002, S. 71), bei der Sex als die natürliche, genetisch festgelegte Basis angenommen wird, auf die eine sozial konstruierte Geschlechtsidentität (Gender) nachträglich aufsattelt8 . Mit dieser Trennung von sozialem 8

Neben dieser, spätestens seit den 70er Jahren in der feministischen Theorie gebräuchlichen, Auffassung, der zufolge mit Gender die kulturelle Interpretation bzw. Überformung der physiologischen Geschlechterdifferenz gemeint ist, weist Nicholson auf ei-

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

und biologischem Geschlecht wird verdeutlicht, dass zwischen den beiden Kategorien keine kausale Verbindung besteht, dass also die soziale Ungleichheit der Geschlechter nicht mit einem Verweis auf die biologischen Differenzen zwischen Männern und Frauen begründet werden kann. (vgl. Maihofer, 1994a, S. 173) Gender ist also nicht als Konsequenz oder einfacher Effekt von Sex zu verstehen, vielmehr wird im Verhältnis der beiden Pole der Geschlechtsidentität eine Priorisierung gegenüber der Kategorie Sex zugesprochen. Entsprechend werden die Differenz und die soziale Ungleichheit der Geschlechter »in den Kontext soziokultureller Normierungen gestellt« (Gildemeister, 2001, S. 65f.) und folglich als wandelbar gedacht, so dass dem »hegemonialen Diskurs über die natürliche Bestimmung der Geschlechter« (Maihofer, 1995, S. 19) begegnet werden kann. Durch die begriffliche Unterscheidung lassen sich innerhalb des »herkömmlichen Bedeutungsfeldes von »Geschlecht« (Nagl-Docekal, 2001, S. 46) notwendige Differenzierungen klarer beschreiben und eine Abkehr von der aristotelischen Substanzontologie (Wendel, 2012, S. 318) sowie die Zurückweisung biologischer Argumente zur »Natur der Frau« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 71) besser begründen. Letztendlich, so ließe sich die facettenreiche Debatte um die Unterscheidung von Sex und Gender zusammenfassen, geht es um eine Standortbestimmung im Verhältnis von Natur und Kultur, die sich in verschiedenen zentralen Problemstellungen verdichtet. Als paradigmatisch sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Argumentationen aus der konstruktivistischen Perspektive des Doing Gender sowie Judith Butlers Dekonstruktivismus zu sehen, von denen die erste im Folgenden kurz umrissen werden soll, während Butlers dekonstruktivistischer Kritik im folgenden Kapitel ausführlicher behandelt wird. Im differenzierten Feld konstruktivistisch orientierter Ansätze lassen sich inhaltlich zwei schwerpunktmäßige Themenbereiche hinsichtlich der Herstellung von Geschlecht ausmachen: So steht auf der einen Seite die Hinwendung zur sozialen Konstruktion von Geschlecht als prozesshafte Kategorie, die sowohl durch die Darstellung von Geschlechtszugehörigkeit durch Individuen wie auch durch Zuschreibung derselben gegenüber Individuen hergestellt wird. Dieser Strang der Diskussion setzt sich, anschließend an empiri-

ne weitere, abstraktere Definition des Begriffs hin, in welcher mit Gender »alle gesellschaftlichen Konstruktionen des Mann/Frau-Unterschieds« (Nicholson, 1994, S. 188) bezeichnet werden. Während innerhalb der ersten, spezifischeren Bedeutung Sex und Gender voneinander getrennt werden, subsumiert die zweite Definition die Kategorie Sex unter den Begriff Gender.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

sche Studien insbesondere zur Transsexualität, mit dem interaktiven Charakter des Doing Gender (vgl. u.a. Kessler und McKenna, 1978; West und Zimmerman, 1987) im ethnomethodologisch-sozialkonstruktivistischen Feld auseinander und ist in erster Linie daran interessiert, wie die »situationsspezifische Konstruktionspraxis« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 76) in der Interaktion von Individuen dafür sorgt, dass eine spezifische Geschlechtszugehörigkeit angenommen wird. Dabei ist »angenommen« ist hier im doppelten Wortsinn zu verstehen, insofern die Geschlechtszugehörigkeit einerseits von einem Subjekt in darstellender Weise für sich angenommen werden muss, andererseits gleichzeitig aber auch von anderen Individuen für das Gegenüber im Sinne einer Zuschreibung angenommen wird. Die interaktionstheoretische Perspektive fragt dabei insbesondere auch danach, »wie es zu der binären und wechselseitig exklusiven Klassifikation von zwei Geschlechtern kommt« (Gildemeister, 2008, S. 175) und warum die alltägliche Routine sozialer Praktiken auf die Binarität als grundlegendes Typisierungsmuster zurückgreift. Ein anderer Strang in der konstruktivistischen Auseinandersetzung mit dem Gender-Begriff widmet sich der Frage nach der Ungleichheit im Verhältnis der Geschlechter und den sozio-strukturellen Auswirkungen des Doing Gender. In diesem makrosoziologischen Themenfeld wird Geschlecht eher statisch im Sinne einer »Strukturkategorie« gedeutet und die »hierarchisierende Ordnungsfunktion der Geschlechterdifferenz« (Hark und Villa, 2017, S. 27) in den Blick genommen. »Die Kategorie Geschlecht übernimmt die Funktion der Positionierung von Männern und Frauen im sozialen Raum.« (Bublitz, 2016, S. 108). Untersuchungen in dieser Perspektive legen nahe, dass sich die soziale Konstruktion der Geschlechterdifferenz zwar auf mikrosoziologischer Ebene hinsichtlich der Inhalte im Einzelnen als nicht-festgelegt erweist und immer wieder in der Interaktion hergestellt wird, dass sich andererseits aber die binäre Struktur der Klassifikation als überaus stabil herausstellt: »Wie es in der Natur nur Männer und Frauen gibt und nichts dazwischen, so gibt es im Erwerbsbereich nur männlich und weiblich geprägte Berufe – und nichts dazwischen.« (Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 228) Allerdings, so lässt sich insgesamt gegen die Konzeption von Gender einwenden, bleibt im Rahmen der hierarchisch-additiven Beziehung zwischen Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht die binäre Matrix »Mann – Frau« als Hintergrundfolie wirksam. Auch wenn von »sozialem Geschlecht« oder »Geschlechtsidentität« gesprochen wird, rekurrieren wir immer wieder auf die Dichotomie von »männlich« und »weiblich«, auf ein Entweder-oder. Die beiden Konzepte Sex und Gender sind also nicht in der Lage, ein wirksa-

2 »Geschlecht« – Drei Dimensionen einer Phänomenbeschreibung

mes Mittel bereitzustellen, um die »binäre und hierarchische Grundstruktur […] außer Kraft« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 80) zu setzen. Letztendlich, so ließe sich diagnostizieren, basiert die Unterscheidung von Sex und Gender auf der Unterscheidung von Natur und Kultur, die selbst historisch kontingent ist (vgl. Landweer und Newmark, 2012, S. 193) und, zu Ende gedacht, eine versteckt biologistische Argumentation stützt (vgl. u.a. BeckerSchmidt und Knapp, 2000, S. 68; Nagl-Docekal, 2001, S. 46; Villa, 2011a, S. 77), insofern die biologische Ungleichheit »sozial festgeschrieben« (Bublitz, 2016, S. 111) wird. Auf diese Weise wird der Rückgriff auf die Biologie/die Natur nicht aufgehoben, sondern lediglich verschoben, da weiterhin an dem »universellen Status eines biologischen Rohmaterials« (Villa, 2011a, S. 78) festgehalten wird. Nimmt man diese Kritik ernst, bedeutet dies, dass das Konzept des biologischen Geschlechts in letzter Konsequenz in Frage gestellt werden müsste, wenn man den Vorwurf ernst nimmt, die Sex-Gender-Unterscheidung argumentiere implizit biologisch. Zugleich wird in der Gesamtkonstruktion dieser Differenzierung auf eine erkenntnistheoretisch nicht weiter ausgewiesene Prämisse zurückgegriffen: Schließlich wird auf die – in der Regel nicht explizierte – Vorannahme aufgebaut, sowohl biologisches wie auch soziales Geschlecht seien binär verfasst, sodass »zwischen Natur und Kultur […] in Hinblick auf die zweigeschlechtliche Strukturierung ein mimetisches Verhältnis« (Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 207f.) bestünde. Damit verbunden ist ein weiterer Kritikpunkt: Durch die Differenzierung von biologischem und sozialem Geschlecht rückt die physische Natur aus dem Blickfeld der Sozialforschung in den Bereich der Biologie, und gleichzeitig wird, dadurch dass an der Kategorie des biologischen Geschlechts festgehalten wird, ein »sozial relevanter Ort jenseits des Sozialen« (Villa, 2011a, S. 78) als gegeben vorausgesetzt, der aber, so dabei die normative Setzung, keinerlei Auswirkungen auf die »soziale Stellung und Rolle haben sollte« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 72). Schließlich ist das Konzept der »Geschlechtsidentität« bzw. des »sozialen Geschlechts« (Gender) als gesellschaftlich hergestellt und kontingent zu denken.

2.3.2

Jenseits der Unterscheidung von »Geschlecht« und »Geschlechtsidentität«

Wie beschrieben, bildet de Beauvoirs Leitmotiv eigentlich die zentrale Idee aller (de)konstruktivistischen Positionen innerhalb des Feminismus, insofern es

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

diesen um die Überwindung des biologischen Essentialismus hinsichtlich der Geschlechtskategorien geht. (vgl. u.a. Villa, 2007b, S. 49, 2008b, S. 201) Und spätestens mit der zweiten Welle des Feminismus ab den 1960er Jahren stellen die Fragen nach der »Erzeugung der Geschlechterdifferenz« (Villa, 2007b, S. 49) und nach der Asymmetrie innerhalb derselben einen breiten Strang der feministischen Forschung dar, der sich unter anderem in postmodernen und (de)konstruktivistischen Perspektiven abbildet. Seit den 1980er Jahren besteht dabei das Bemühen, die Perspektive der physischen Natur wieder in die Überlegungen und Analysen mit einzubinden. Wegweisend dafür ist unter anderem die mikrosoziologische Perspektive des Doing Gender und die Schriften von Carol Hagemann-White, die sich dafür ausspricht, »die Idee einer sexuell-eindeutigen Dualität zugunsten der Vorstellung eines morphologischen Kontinuums zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit aufzugeben« (Schröter, 2000, S. 12). Dabei versteht sie die Kategorien »männlich« und »weiblich« nicht als natürlich gegebene, fixierte Größen, sondern »als Symbole in einem sozialen Sinnsystem« (HagemannWhite, 1984, S. 79) und nimmt damit die Ideen Judith Butlers in gewisser Weise vorweg, die allerdings in der akademisch-feministischen Gemeinschaft des deutschsprachigen Raumes zunächst nur zögerlich rezipiert wurden. (vgl. Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 202f.)9

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Hanna Meißner weist darauf hin, dass erst mit der Diskussion um Butlers Gender Trouble eine Art »Rezeptionssperre« innerhalb der deutschsprachigen Frauen- und Geschlechterforschung gelöst wurde. (vgl. Meißner, 2012, S. 87ff.)

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

3.1

Struktur des Kapitels und ideengeschichtlicher Hintergrund

Im Anschluss an einen ersten Überblick über verschiedene Perspektiven auf die Kategorie »Geschlecht« mit ihren jeweiligen Einschränkungen und blinden Flecken soll es im folgenden Abschnitt um eine Vertiefung und kritische Auseinandersetzung mit der sozialen Konstruktion von Geschlecht gehen. Der Schwerpunkt wird dabei auf den Grundlagen des Ansatzes von Judith Butler liegen, die als feministische Theoretikerin nicht nur im deutschsprachigen Raum die Debatte um Geschlechtsidentität, soziale Konstruktion und Geschlechterdifferenz maßgeblich geprägt hat. Mit ihrem Buch Gender Trouble (1990), dass bereits 1991 in deutscher Übersetzung unter dem Titel Das Unbehagen der Geschlechter publiziert wurde, lieferte sie die Initialzündung für anhaltende Debatten, in denen eine biologisch begründete Differenzierung der Kategorien »Mann« und »Frau« grundsätzlich in Frage gestellt wurden. In einem ersten Abschnitt wird dieses Kapitel entsprechend darauf eingehen, wie eine solche Argumentation nachzuzeichnen ist, und warum die Trennung von Sex und Gender nicht den erhofften Effekt hinsichtlich einer DeEssentialisierung von Geschlecht erzielen kann. Dies geschieht im Rückgriff auf Butlers Ansatz, die bestehenden Grundannahmen feministischer Theorie rückhaltlos zu problematisieren, indem die Sex-Gender-Unterscheidung radikal dekonstruiert wird. Dabei liegt ein Schwerpunkt darauf, die zunächst kontraintuitiv anmutende Einsicht, das »biologische Geschlecht« sei (ebenso wie die »soziale Geschlechtsidentität«) erst durch wiederholte performative Akte hervorgebracht, transparent und nachvollziehbar zu machen. Im Ergebnis steht hier die erste zentrale These, dass sich eine Unterscheidung und Trennung von Sex (dem biologischen Geschlecht) und Gender (dem sozialen Geschlecht) im strengen Sinn nicht aufrechterhalten lässt.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Aufbauend auf diese Analyse der radikalen Konstruiertheit wird »Geschlecht« dann in einem zweiten Abschnitt zunächst als zentrale soziale Kategorie beschrieben. In der Folge wird, in einem dritten Abschnitt, das Phänomen auf drei verschiedenen Ebenen noch einmal differenzierter betrachtet, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich »Geschlecht« als soziale Kategorie immer auch auf verschiedenen Ebenen zeigt, die, ineinander verwoben, den eigentlichen Konstitutionszusammenhang bilden, in dem Geschlecht und Geschlechterverhältnisse (re-)produziert werden. Geht es auf der Makroebene darum, die zunächst eher statisch wirkenden, strukturellen Rahmenbedingungen konkreter Konstruktionszusammenhänge der Kategorie »Geschlecht« in den Blick zu nehmen, sind es auf der Mesoebene die konkreten Konstruktionspraktiken, die mit dem Analyseansatz des Doing Gender und dem Konzept der Anrufung in den Fokus gerückt werden, um zu zeigen, im Rückgriff auf welche Modi die Prozesse der Regulierung und Normalisierung in konkreten Handlungszusammenhängen gemacht werden. In einer dritten Perspektive verschiebt sich der Schwerpunkt der Untersuchung dann von der Meso- auf die Mikroebene und damit von der Praxis des Herstellens auf die einzelnen Elemente der Praxiszusammenhänge und auf die Frage nach dem »Geschlecht« als Modus der Subjektwerdung. Für die verschiedenen Analyseebenen sind unterschiedliche Werkzeuge von Bedeutung, die sich für diese Arbeit in ihrem vollen Umfang aus dem Werk Butlers extrahieren lassen. Zum einen lässt sich, auf eine sehr grundsätzliche Weise, der Konstruktionsgedanke als Hintergrundfolie ihrer Überlegungen lesen, den sie im Rückgriff auf Simone de Beauvoir und ihren berühmten Satz: »On ne naît pas femme: on le devient« (»man kommt nicht als Frau zur Welt: man wird es«1 ), entwickelt, dann aber mit ihrem radikalen Konstruktivismus offensichtlich weit über Beauvoir hinausgeht. Wenn es im ersten Teil des dritten Abschnitts dieses Kapitels vor allem darum geht, die Strukturierung und den Rahmen der Regulierungs- und 1

Es existieren auch abweichende Übersetzungen, vor allem was den zweiten Teil von Beauvoirs berühmtem Zitat betrifft. Allerdings scheint mir eine Übertragung des französischen Verbs devenir mit der oft wiedergegebenen Übersetzung »man wird dazu gemacht« als zu passiv. »Man wird es« lässt potentiell noch Raum für eine Mitverantwortung bzw. »Mittäterschaft« der Frau an ihrem Frausein – und dieser Gedanke scheint mir näher an Butler und auch an Beauvoir zu sein, weswegen ich mich für die – im Deutschen zugegebenermaßen etwas holprige – Übersetzung »man wird es« entschieden habe. Eine weiterführende Diskussion zur Übersetzung dieses einen Satzes findet sich bei Bonnie Mann und Martina Ferrari (Mann und Ferrari, 2017).

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

Normalisierungsmechanismen auf der Makroebene zu beschreiben, geschieht dies im Rückgriff auf den Diskursbegriff, der ein zentrales Element von Butlers Überlegungen bildet. (vgl. Weinbach, 1999, S. 298) Sie entwickelt diesen in Anlehnung an Foucault, geht aber auch über Foucault hinaus, wenn sie seinen juridischen Machtbegriff erweitert und zwei Arten von Macht (juridisch-repressive auf der einen und strategisch-produktive Macht auf der anderen Seite) unterscheidet. (vgl. auch Lorey, 2017, S. 89ff.) Diskurse, so die zentrale Annahme der übergeordneten Analyseebene, stellen den Ort und auch den Modus dar, an dem und durch den Geschlecht konstituiert wird. Auf der Makroebene werden Möglichkeitsräume und Ordnungen sichtbar gemacht, die als »Vektoren der Macht« (MdG, S. 259) den Rahmen der Regulierungen für die konkreten Praxiszusammenhänge der Mesoebene bilden. Dort – auf der mittleren Ebene der Analyse – lassen sich vor allem die beiden Konzepte von Anrufung und Anerkennung fruchtbar machen. Während Butler die Frage der Subjektwerdung v.a. in Hass spricht und Psyche der Macht mit dem Konzept der Anrufung in Anlehnung an Althusser zu beantworten sucht2 , entwickelt sie in späteren Publikationen ihre Überlegungen eher in Kontakt zum Hegelschen Begriff der Anerkennung, der vor allem ab der Kritik der ethischen Gewalt im Werk Butlers eine »eigenständige Ausarbeitung« (Distelhorst, 2009, S. 65) erfährt.3 In Verbindung mit den konkreten Konstruktionszusammenhängen der mittleren Ebene erweist sich zusätzlich, wie bereits weiter oben erwähnt, der Analyseansatz des Doing Gender 4 als ein sinnvolles 2

3

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Wenn Butler in ihren Texten von »Anrufung« bzw. »Interpellation« spricht, nimmt sie damit explizit Bezug auf Louis Althusser und seine Überlegungen zur Subjektivation. (vgl. u.a. PdM S. 101ff.) Ohne an dieser Stelle eine umfassende Exegese und Interpretation dieser beiden bei Butler implizit und explizit zitierten Autoren leisten zu können und zu wollen, ist für das Verständnis der vorliegenden Arbeit eine grobe Skizze der wesentlichen Aspekte ihrer Überlegungen wohl unerlässlich und wird in den entsprechenden Abschnitten später noch ausgeführt. Doing Gender geht als Begriff auf Candance West und Don H. Zimmerman zurück (vgl. West und Zimmerman, 1987) und ist ein Konzept aus der Soziologie und den Gender Studies, das den zentralen Begriff der interaktionistischen Geschlechterforschung darstellt. Doing Gender fokussiert zum einen auf diejenigen Praktiken, die Individuen einsetzen, um die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu inszenieren, zum anderen wird in den Blick genommen, auf welche Weise sich die Akteur*innen zu ihrer jeweiligen Zugehörigkeit verhalten; dies kann affirmativ, kritisch, ironisch oder auch subversiv geschehen. Drittens verweist das Konzept auf das praktische Wissen, das für eine sinn-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Werkzeug, um verstehen zu können, dass und wie Geschlecht in der sozialen Interaktion gemacht wird. Auch Butler greift auf das entsprechende Konzept unter anderem in Macht der Geschlechternormen (MdG) zurück, ohne jedoch explizit auf die eigentlichen Autor*innen des Ansatzes Bezug zu nehmen. (vgl. West und Zimmerman, 2009, S. 113) In einem dritten Teil innerhalb des dritten Abschnitts wird, aufbauend auf die bisher bearbeiteten Analyseebenen, die Ebene des Subjekts in den Vordergrund gerückt. Die Frage danach, wie Subjekte gebildet werden, wird hier auf der Mikroebene mithilfe des Konzepts der Performativität bearbeitet. »Geschlecht« zeigt sich in dieser Perspektive als Modus der Subjektivation und als notwendige Kategorie der Identitätsbildung. Menschen orientieren sich in den Möglichkeitsräumen intelligibler Subjektpositionen, und indem sie sich an bestimmten Subjektpositionen ausrichten, erhalten sie »nicht nur eine Geschlechtsidentität (gender), sondern zugleich auch einen Geschlechtskörper (sex)« (Weinbach, 1999, S. 290). Performativität spielt hier als Zitatförmigkeit eine zentrale Rolle, insofern Butler Performativität »als ritualisiertes Zitieren von normativen Äußerungen konzipiert« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 93). Bei der Ausarbeitung ihres Ansatzes greift sie dabei insbesondere auf die Thesen von John L. Austin zur Performativität von Sprechakten zurück (vgl. Austin, 2015), die sie allerdings dahingehend modifiziert, dass sie Performativität nicht länger an ein intentionales Subjekt gebunden versteht, sondern einen Konnex zum Diskurs herstellt. (vgl. u.a. FsL, KvG, Hsp) Performativität als Zitatförmigkeit verweist zusätzlich auf Jaques Derridas Überlegungen zu Kontextualität und Iterabilität von sprachlichen Äußerungen: Die Iteration von Normen zeigt keinen wiederholten Vollzug bzw. keine identische Kopie derselben, sondern verweist auf das automatische Verschieben der Identität des Wiederholten durch die Zitation, die immer in einem anderen Kontext und zu einem neuen Zeitpunkt stattfindet. (vgl. KvG) Makro-, Meso- und Mikroebene als unterschiedliche Perspektiven der Phänomenbeschreibung zeigen sich auf vielfältige Weise ineinander verflochten und in der Praxis voneinander zwar unterscheid- aber dennoch nicht trennbar. Im Ergebnis der Analyse steht hier die zweite zentrale These des Kapitels: Geschlecht als soziale Kategorie wird innerhalb normativer Grenzen performativ hergestellt und lässt sich eben nicht aus einer vorgängigen Geschlechtsidentität ableiten. volle bzw. verständliche Geschlechtsinszenierung und Geschlechtszuschreibung notwendig ist.

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

3.1.1

»Geschlecht« – Sex und/oder Gender?

Bereits im ersten Kapitel wurde kurz auf die Unterscheidung von Sex (im Sinne des biologischen Geschlechts) und Gender (verstanden als Geschlechtsidentität) als Analysekategorie eingegangen. Von Relevanz ist die Frage nach der Bedeutung von der Differenzierung von Geschlecht und Geschlechtsidentität deshalb, weil sie ursprünglich eingeführt wurde, um einer möglichen Biologisierung entgegenzuwirken, sodass soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nicht länger als direkter Effekt einer biologischen Grundlage interpretiert werden können. War bis zur Einführung der die Sex-Gender-Unterscheidung das politische Subjekt des Feminismus einheitlich als »die Frauen« gedacht, bringt die Differenzierung von biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität den großen Vorteil, dass nun eine Pluralität an Identitäten zugelassen ist und nicht mehr nur heterosexuelle, weiße Frauen der Mittelschicht mitgedacht und -gemeint sind, insofern Individuen mit einem weiblichen Geschlechtskörper (Sex) unterschiedliche Erfahrungen und damit auch unterschiedliche Identitäten (Gender) aufweisen – und zwar aufgrund von kulturellen, klassenspezifischen und/oder ethnischen Differenzen. »Geschlecht/Geschlechtsidentität erlaubt […] die Geschlechtsidentität als vielfältige Interpretation des Geschlechts zu denken« (UdG, S. 22). Allerdings sind mit der Trennung der beiden Analysekategorien auch Schwierigkeiten verbunden, die im Folgenden dargestellt und untersucht werden sollen. Dafür werden zunächst zwei Probleme ausgearbeitet – die Uneindeutigkeit der biologischen Grundlage (1) und die Unerfüllbarkeit des eigenen Anspruchs (2). Die daraus folgende Konsequenz – das Zusammenfallen von Sex und Gender und die damit verbundene Auflösung der Einheit des politischen Subjekts des Feminismus (3) – wird in einem zweiten Schritt als Ausgangspunkt für die weitere Argumentation der Arbeit ausgeführt.

3.1.2

Variabilität der biologischen Grundlage

Geht man davon aus, dass sich Geschlechtsidentität und Geschlechtskörper voneinander trennen lassen, legt das Alltagsverständnis von Geschlecht nahe, dass sich zumindest die Zuordnung des biologischen Geschlechts eindeutig aus der materialen Grundlage des biologischen Körpers ableiten lässt (vgl. T2 – These der Naturhaftigkeit, vgl. S. 56). Allerdings erweist sich dieses »natürliche« Fundament bei genauerer Betrachtung als vielschichtig, nicht im

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

strengen Sinne dualistisch und in der Folge als widerspenstig und uneindeutig: Werden die Biowissenschaften zur Bestimmung des Geschlechts befragt, so erhält man ein vielstimmiges Konzert von Antworten, je nachdem welche Teildisziplin gerade die Deutungshoheit innehat und welchen Gesichtspunkten bei der Geschlechtsbestimmung eine maßgebliche Rolle zugesprochen wird. Denn es sind unterschiedliche Faktoren, die zwar zum Teil zueinander in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis stehen, deren Verbindung allerdings nicht durch strenge Korrelationen gekennzeichnet ist. Ganz allgemein gesprochen lassen sich in der Biologie vier Variablen der Geschlechtsdifferenzierung unterscheiden. Jede Variable hat abgrenzbare Expressionsmuster und auf jeder der vier Ebenen lassen sich Individuen anhand dieses Musters entweder als Männer oder als Frauen charakterisieren. So sind – erstens – für das chromosomale Geschlecht die Gonosomen5 bestimmend; je nachdem, ob zwei X-Chromosomen oder ein X- und ein YChromosom vorliegen, wird das Individuum als weiblich oder als männlich kategorisiert. Zweitens wird, auf einer anderen Ebene, nämlich der Ebene der Keimdrüsen, das gonadale Geschlecht bestimmt. Es findet seinen Ausdruck beim Mann in den Hoden, bei der Frau in den Eierstöcken6 . In der Regel ist eine Verbindung zwischen dem chromosomalen und dem gonadalen Geschlecht herstellbar, es gibt allerdings auch Abweichungen, bei denen sich keine entsprechende Parallelität nachzeichnen lässt, wenn bestimmte Genprodukte, die für die

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6

Für jedes Lebewesen ist ein bestimmter Chromosomensatz kennzeichnend. Der Mensch verfügt, wie beinahe alle Säugetiere, über ein sogenanntes XY/XX-System, bei dem weibliche Individuen durch zweimal das gleiche Geschlechtschromosom (XX) gekennzeichnet, männliche hingegen hemizygot (XY) sind. (Davon zu unterscheiden wäre u.a. das ZW-ZZ-System, bei dem die weiblichen Individuen hemizygot (mit einem W- und einem Z-Chromosom) sind, männliche im Gegensatz dazu zwei ZChromosomen (ZZ) besitzen. Menschen haben in der Regel 23 Chromosomenpaare, wobei das 23. Chromosomenpaar als Geschlechtschromosomen (Gonosomen) bezeichnet wird. In Kurzschreibweise lässt sich das für beide Geschlechter wie folgt abbilden: 2n=46, XX (für Frauen) und 2n=46, XY (für Männer). Das gonadale Geschlecht wird bei Menschen um die 7. Schwangerschaftswoche festgelegt und zeigt in seiner Exprimierung eine Verbindung zum Y-Chromosom. Das Gen, das für die Bildung des sogenannten Testis-determinierenden Faktors (TDF) zuständig ist, ist auf dem kurzen Arm des Y-Chromosoms verortet, weshalb die Heranbildung von Hoden (lat. testes) mit dem Auftreten eines Y-Chromosoms in Verbindung gebracht wird. (vgl. Christiansen, 1995)

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

Entwicklung männlicher Gonaden notwendig sind, nicht hergestellt werden können. Daneben lässt sich das Geschlecht – drittens – auch noch auf der Ebene der Hormone (hormonales Geschlecht) oder anhand der Morphologie (morphologisches oder phänotypisches Geschlecht) differenzieren. Auch zwischen hormonalem und gonadalem Geschlecht lassen sich in der Regel Verbindungslinien ziehen, insofern das hormonale Geschlecht von denjenigen Hormonen abhängt, die zum größten Teil, aber nicht ausschließlich, in den Gonaden produziert werden. Für die Bestimmung des hormonalen Geschlechts gibt es – anders als z.B. bei der Kategorisierung des chromosomalen Geschlechts – keine Alles-oder-Nichts-Regel, die eine eindeutige Zuweisung ermöglichen würde. Da Gestagene, Androgene und Östrogene sowohl bei männlichen wie auch weiblichen Individuen in unterschiedlicher Konzentration im Blut nachweisbar sind, entscheiden hier Wert-Bereiche über das Geschlecht7 . Schließlich, so lässt sich als vierte Ebene noch ergänzen, gibt es die Kategorisierung über das phänotypische Geschlecht, das sich aus den sekundären Geschlechtsmerkmalen eines Individuums ableitet. Im Gegensatz zu den hormonalen, gonadalen und chromosomalen Geschlechtsunterschieden sind die sekundären Geschlechtsmerkmale diejenigen Charakteristika, die wir an Personen tagtäglich suchen und wahrnehmen, obwohl diese nicht immer sehr ausgeprägt oder sehr groß sind. Vielmehr handelt es sich hierbei um graduelle Differenzen, die erst in ihrer Gesamtheit eine Zuordnung zu den Kategorien »Mann« oder »Frau« erlauben.8 So finden sich unter anderem hinsichtlich des Körperbaus Merkmale, die zwar für ein bestimmtes Geschlecht als typisch angesehen werden (wie z.B. breite Schultern und gleichzeitig schmale Hüften bei Männern oder Brüste bei Frauen), die jedoch tatsächlich in allen Geschlechtern – mehr oder weniger ausgeprägt – vorhanden sind. Ein Besuch an einem Badesee im Sommer genügt, um festzustellen, dass diese ide7

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So findet sich z.B. bei Christiansen eine Übersichtstabelle, die für Frauen einen Referenzwert von 0,08-0,08 Nanogramm Testosteron pro Milliliter im Serum angibt, während für Männer 2,1-10,9 ng/ml festgelegt werden. Die Hormonwerte unterliegen offensichtlich regulär gewissen Schwankungsbreiten, die entsprechend keine Eindeutigkeiten mehr festlegen können. Entsprechend wird so ein gewisser Bereich abgesteckt, »in dem sich der Wert einer Variablen befinden sollte.« (Christiansen, 1995, S. 21) Christiansen weist darauf hin, dass sich die Geschlechter »im durchschnittlichen Ausprägungsgrad vieler körperlicher Merkmale […] zwar im Mittelwert [unterscheiden]« (Christiansen, 1995, S. 22), dass gleichzeitig »das Ausmaß des Überschneidungsbereichs […] jedoch stark variieren [kann]« (ebd.).

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

altypischen Beschreibungen tatsächlich einen in der Realität kaum erreichten Zielwert darstellen. Es gibt also verschiedene Ebenen, auf denen unterschiedliche biowissenschaftliche Gesichtspunkte bei der Geschlechtsbestimmung eine maßgebliche Rolle spielen, die z.T. in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, zwischen denen es aber keine strengen Korrelationen gibt. Vor diesem Hintergrund muss wohl eher von einer multidimensionalen Matrix gesprochen werden, die sowohl die phänotypische bzw. morphologische Geschlechtsbestimmung umfasst, die für das Alltagsverständnis so maßgeblich ist, wie auch chromosomale, gonadale und verhaltensbiologische Faktoren. Werden die verschiedenen Elemente miteinander in Beziehung gesetzt, so wird deutlich, dass innerhalb der Matrix auf den verschiedenen Ebenen nicht immer deckungsgleiche Ergebnisse hervorgebracht werden, sondern z.T. sogar miteinander in Widerspruch tretende Aussagen möglich sind. So kann zum Beispiel ein Individuum, die aufgrund seiner phänotypischen Ausprägungen dem männlichen Geschlecht zugeordnet wird, durchaus über den weiblichen Karyotyp 46, XX verfügen. Und auch Zuordnungen, die anhand des gonadalen Geschlechts und der morphologischen Ausprägung vorgenommen werden, müssen nicht zwingend zu deckungsgleichen Ergebnissen führen (vgl. Abbildung 1). Wenn also die Anwendung der unterschiedlichen Analyseebenen keine eindeutigen Ergebnisse liefern kann, stellt sich die Frage, wie denn nun das natürliche Geschlecht, das so grundlegend für das Alltagstheorem T2 ist, bestimmt werden kann. Nach welchen Kriterien sollten die einzelnen Faktoren innerhalb des multidimensionalen Modells gewichtet werden, um zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen? Sind die vier Ebenen unter Umständen hierarchisch zu denken, sodass einer Ebene eine größere Bedeutung zukommt, während die anderen untergeordnet sind? Wird zum Beispiel die Zugehörigkeit zur Kategorie »männlich« mit Blick auf die externe Struktur der Genitalien d.h. über die Morphologie entschieden? Nicht zwingend, denn erstens gibt es im Bereich des Phänotyps keine zwei klar voneinander unterschiedenen Variablen-Punkte, die eine einfache, dichotome Zuordnung ermöglichen würden. Vielmehr ist insbesondere bei den sekundären Geschlechtsmerkmalen ein Mehr-oder-Weniger der Ausprägung gegeben, sodass sich durchaus Mischformen innerhalb eines Kontinuums ausbilden können, die sich einer exklusiven Zuordnung zunächst wi-

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

dersetzen9 . Zweitens weisen Ärzt*innen bisweilen Personen mit weiblichen Genitalien das Geschlecht »männlich« zu und gleichen entsprechend die externen Strukturen so an, dass sie dem chromosomalen Geschlecht entsprechen (vgl. Fausto-Sterling, 1989, S. 329) – und auch der entgegensetzte Fall ist möglich. Offensichtlich lässt die »Natur« nicht nur an dieser Stelle Widersprüche zwischen den verschiedenen Ebenen zu, sodass eine eindeutige Zuordnung im Sinne einer in allen Bereichen gültigen Geschlechtskategorie aus dem binären System in solchen Fällen zum Scheitern verurteilt ist.

Abbildung 1: Chromosomal bestimmtes Geschlecht: Verschränkung von Karyotyp, gonadalem Geschlecht und Phänotyp

Rot markiert sind jeweils die Formen, die in unserer Kultur aktuell als Devianzen eingestuft werden. Der Karyotyp 45, Y0 (bei fehlendem X-Chromosom) ist zwar in der Theorie denkbar, wird aber in der Grafik nicht aufgeführt, da diese Form der Variation letal ist.

Erfolgt also die Geschlechtszuweisung anhand der Chromosomen? Auch das ist nicht zwingend der Fall – schließlich ist den meisten Menschen weder der eigene noch der Karyotyp anderer Personen bekannt. Eine Bestimmung der Geschlechtschromosomen findet in der Regel nur dann statt, wenn eine 9

Hier sei nicht nur auf die verschiedenen Formen der Intersexualität verwiesen, die auf chromosomalen, gonadalen oder hormonellen Variationen beruhen. Der Gedanke des Kontinuums ist auch bezogen auf eher kulturell bedingte Einschätzungen z.B. hinsichtlich der Größe von Penis oder Klitoris.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

medizinische Indikation gegeben ist – und diese wird häufig aufgrund von Devianzen hinsichtlich der sekundären und/oder tertiären Geschlechtsmerkmale festgestellt.10 Die bisherigen Erkenntnisse liefern jedenfalls einen deutlichen Hinweis darauf, dass der zunächst angenommene Dualismus alleine aus biowissenschaftlicher Perspektive nicht so leicht haltbar und entsprechend für eine Begründung der These T2 nicht hinreichend ist. Es zeigt sich also, dass die scheinbar »natürlichen Sachverhalte des Geschlechts« (UdG, S. 23) innerhalb einer multidimensionalen Matrix zu verorten sind, die einerseits keine strenge Dichotomie von zwei Kategorien zulässt, und die andererseits – in Bezug auf die Priorisierung der in ihr verschränkten Faktoren – keineswegs eindeutig ist (vgl. dazu Abbildung 1).

3.1.3

Unerfüllbarkeit des eigenen Anspruchs und implizite Binarität

Denkt man die Trennung zwischen Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht konsequent zu Ende, fällt auf, dass dies eigentlich eine radikale Unabhängigkeit zwischen beiden Kategorien erfordern würde11 . Oder anders herum: Geht man von einer Abhängigkeit der beiden Kategorien aus, kann dies eigentlich nur bedeuten, dass das Problem des Essentialismus nicht gelöst, sondern nur in einen anderen Bereich verschoben wird: Denn nimmt man den Ausgangspunkt, dass Gender als »kulturelle Interpretation des Geschlechts (sex)« (UdG, S. 25) zu deuten sei, so bliebe die Vorstellung implizit erhalten, dass offensichtlich bestimmte (kulturelle) Gesetze existieren, die die Geschlechtsidentität »in die anatomisch differenzierten Körper« (ebd.) einschreiben, »wobei diese Körper ihrerseits als passive Empfänger eines unumstößlichen kulturellen Gesetzes verstanden werden« (ebd.). Entsprechend

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Das entwicklungsbiologische Stufenmodell, das auf der Basis des XY/XX-Systems (also auf Grundlage des chromosomalen Geschlechts) die primäre Geschlechterdifferenz erklärt, existiert erst seit den 1950er Jahren und ist wahrscheinlich immer noch als bekanntestes biomedizinisches Konzept zur Geschlechtsentwicklung ein funktionierendes Modell, aber »keine Wahrheit« (Ebeling und Schmitz, 2006, S. 36). Mit der radikalen Unabhängigkeit zwischen den beiden Kategorien ist in diesem Fall gemeint, dass es, wenn man eine Trennung zwischen Sex und Gender annimmt, um die These des biologischen »Schicksals« zu entkräften, es eigentlich keine Verbindungslinie oder Ableitung geben dürfte, die das biologische Geschlecht mit der Geschlechtsidentität verknüpft. Schließlich wäre dann der Sinn und Zweck der Differenzierung verfehlt.

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

zeigte sich aus dieser Perspektive Gender auf gleiche Weise determiniert, wie nach der Annahme »Biologie ist Schicksal« – mit dem Unterschied, dass durch die Sex-Gender-Trennung das Ensemble kultureller Gesetzmäßigkeiten die Rolle des Schicksals übernommen hätten. Butlers grundsätzliche Kritik an der Unterscheidung von biologischem Geschlecht auf der einen und sozial konstruierter Geschlechtszugehörigkeit auf der anderen Seite setzt also an der Aporie an, die sich auftut, wenn diese Trennung folgerichtig zu Ende gedacht wird. Im Anschluss an Butlers Argumentation lässt sich zeigen, dass das konsequente Ernstnehmen der Trennung beider Kategorien notwendig dazu führt, dass ein stringenter Kausalzusammenhang zwischen biologischem und sozialem Geschlecht nicht länger annehmbar ist. Im Gegenteil: Es muss von einer »grundlegende[n] Diskontinuität zwischen den sexuell bestimmten Körpern und den kulturell bedingten Geschlechtsidentitäten« (UdG, S. 23) ausgegangen werden, was nichts anderes bedeutet, als dass man die kulturell hervorgebrachte Geschlechtsidentität in ihrem Status als »radikal unabhängig« (ebd.) vom anatomischen Geschlecht denken muss: »Die Begriffe Mann und männlich können dann ebenso einfach einen männlichen und einen weiblichen Körper bezeichnen wie umgekehrt die Kategorien Frau und weiblich« sich auf einen männlichen Körper beziehen könnten (ebd.). Die Geschlechtsidentität wird so selbst zu einem »freischwebenden Artefakt« (ebd.). Ergänzend dazu ergibt sich noch eine zweite, erkenntnistheoretische Aporie innerhalb der Sex-Gender-Unterscheidung: Durch die Parallelisierung findet eine nicht weiter explizierte Prämisse des Alltagswissens ihren Eingang in die Theorie, nämlich, dass beide Kategorien – Sex und Gender – binär verfasst sein müssen12 . Wenn das biologische Geschlecht verstanden wird als vor jeder kulturellen Einschreibung und damit kulturunabhängig, müsste eine solche Universalisierung für alle Gesellschaften gelten – schließlich wird im Zuge der Konstruktion einer so verstandenen kulturellen Geschlechtsidentität immer auf ein schon vorhandenes, zweigeschlechtlich strukturiertes, »natürliches« Substrat zurückgegriffen, auf welches die Konstruktion nachgeordnet aufsatteln kann. In der Folge erscheinen die jeweiligen kulturspezifischen Differenzen »stets als unterschiedliche

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Für Butler liegt an dieser Stelle der Verdacht nahe, dass eine derartige »strukturelle Analogie« (Meißner, 2012, S. 18) zwischen Sex und Gender auf dem »Glauben an ein mimetisches Verhältnis zwischen Geschlechtsidentität und Geschlecht« (UdG, S. 23) beruhe.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Ausgestaltung einer nicht weiter hinterfragbaren, weil von der Natur bereitgestellten Zweigeschlechtlichkeit« (Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 208). Dies wiederum bedeutet, dass die Sex-Gender-Trennung, die zuallererst eingeführt wurde, um einen kausalen Zusammenhang zwischen biologischem und sozialem Geschlecht zurückzuweisen, in letzter Instanz genau diese Verknüpfung eher bestätigt. (vgl. Maihofer, 1994b, S. 251)13

3.1.4

Konsequenzen

Unter diesen Voraussetzungen drängt sich die Frage auf, ob man überhaupt »noch von einem »gegebenen« Geschlecht […] sprechen« kann (UdG, S. 23), oder ob biologisches Geschlecht und kulturell bedingte Geschlechtsidentität nicht insofern zusammenfallen, als das Geschlecht (Sex) im Sinne einer anatomisch fixierten Zweigeschlechtlichkeit ebenso kulturell hervorgebracht ist, wie die Geschlechtsidentität (Gender)14 . Entsprechend kann es nicht hinreichend sein, nur diejenigen Normen kritisch zu analysieren, die die Hervorbringung von Gender regulieren. Auch »die an der Herstellung des biologischen Geschlechts beteiligten Diskurse müssen in die Auseinandersetzung einbezogen werden« (Distelhorst, 2007, S. 23), um die Geschlechterdifferenz in ihrer vermeintlichen Natürlichkeit ent-naturalisieren zu können. Da es keine Wahrnehmungs- und Beschreibungsmöglich-

13

14

Diese Schlussfolgerung lässt sich auch empirisch stützen, insofern sich die implizite Vorbedingung eines derartigen Kausalzusammenhangs zwischen Sex und Gender vor dem Hintergrund ethnologischer und kulturanthropologischer Überlegungen als nicht sonderlich standfest erweist. Das ist insbesondere deshalb der Fall, weil die interaktionistische Perspektive dazu neigt, die soziale Konstruktion quasi in »Reinform« zu betrachten, ohne die historisch gerahmten Gesellschaftsverhältnisse mit in den Blick zu nehmen. Entsprechend besteht die Tendenz, einen latenten Biologismus in die Gesamtkonstruktion (vgl. Gildemeister und Wetterer, 1995, S. 207) zu integrieren. Die Kritik richtet sich an dieser Stelle demnach nicht in einer grundsätzlichen Weise gegen die Existenz eines »biological raw material« (Rubin, 1975, S. 165) wie sie Chromosomen, Hormone, Anatomie und Physiologie darstellen. Es geht nicht darum, zu argumentieren, es gebe keine Hormone, Chromosomen oder anatomischen Unterschiede zwischen den Menschen. Wenn von der sozialen Konstruktion des biologischen Geschlechts die Rede ist, wird vielmehr darauf verwiesen, dass die im Körper verorteten Fakten an sich noch keine Geschlechter und keine Geschlechterordnung hervorbringen können, sondern dass erst »aus einer Geschlechterordnung heraus […] Genitalien mit Bedeutung aufgeladen« (Gildemeister, 2008, S. 171) werden und so zu Merkmalen bzw. Zeichen des Geschlechts werden.

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

keit von Sex außerhalb des Rahmens »seiner soziokulturellen und diskursiven Verfasstheit« (Babka und Posselt, 2016, S. 57) gibt, wird deutlich, dass eine Trennung von Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht sinnvoll aufrecht erhalten werden kann.15 Die Annahme, es gebe ein vordiskursives biologisches Geschlecht (Sex) und damit verbunden einen natürlichen Körper, aus welchem in einem zeitlich nachgeordneten Schritt durch kulturelle Einschreibungsprozesse und soziale Praktiken eine Geschlechtsidentität (Gender) geformt und ausgebildet wird, ist entsprechend nicht länger haltbar und erweist sich somit als ungeeignet, um sich aus dem Griff »biologistisch-naturalistischer Argumentationen« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 86) zu befreien. Die Kategorien »Mann« und »Frau« sind eben nicht als »begriffliche Widerspiegelung einer natürlichen Unterscheidung männlicher und weiblicher Körper« (Meißner, 2012, S. 7; Hervorhebung JK) zu deuten, sondern zeigen sich – nimmt man die oben genannten Argumente ernst – in ihrer umfassenden Gesamtheit als radikal konstruiert. Sex und Gender fallen entsprechend zusammen, und die daraus resultierende Kategorie »Geschlecht« erweist sich als immer in Herstellung begriffen, als eine »gemachte Struktur, eine in komplexen Prozessen vom Menschen erzeugte Realität« (Villa, 2008b, S. 202), die sich in gesellschaftlichen Zusammenhängen zeigt. Entsprechend ist es nicht hinreichend, nur diejenigen Normen kritisch zu analysieren, die das soziale Geschlecht (Gender) regulieren. (vgl. Distelhorst, 2007, S. 23) Vielmehr lässt sich die Kategorie Sex – folgt man der Argumentation von Butler in Gender Trouble – als »von Anfang an normativ« (UdG S. 21) demaskieren, was bedeutet, dass die Annahme einer vordiskursiven, biologisch begründeten Geschlechtlichkeit im Sinne der Kategorie Sex sowie die Voraussetzung einer natürlichen Ordnung der Geschlechter als von machtvollen diskursiven Konstruktionsprozessen hervorgebracht dekonstruiert werden (Kilian, 2010, S. 96). Mit Butler lässt sich zeigen, dass die angenommene natürliche körperliche Differenz durch eine begrifflich15

Diese Unmöglichkeit der Trennung zwischen Sex und Gender findet auch seinen Ausdruck in meiner Wortwahl in den nachfolgenden Textabschnitten dieser Arbeit. Wenn nicht gesondert ausgewiesen oder spezifiziert, ist mit »Geschlecht« der übergeordnete Begriff gemeint, der nach keiner weiteren Differenzierung verlangt. Die Unterscheidung wird nur an denjenigen Stellen aufrechterhalten, mit denen explizit auf die »SexGender-Debatte« Bezug genommen werden soll, ohne dabei jedoch die damit implizierte Trennung zwischen körperlichem Geschlecht und Geschlechtsidentität bestätigen oder stützen zu wollen.

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symbolische Ordnung, die die Identifizierung von Individuen entweder als Mann oder als Frau verlangt, erst hervorgebracht« wird (Meißner, 2012, S. 7): »[T]hat what is called gender identity is a performative accomplishment compelled by social sanction and taboo« (Butler, 1988, S. 520). Die Kategorie »Geschlecht« ist also nicht »etwas, was man hat, oder eine statische Beschreibung dessen, was man ist« (KvG, S. 22), sondern stellt in diesem Verständnis »ein ideales Konstrukt [dar], das mit der Zeit zwangsweise materialisiert wird.« (KvG, S. 21)

3.2

»Geschlecht« als das »radikal Konstruierte«

Wenn nun aber das biologische Geschlecht als Grundlage einer möglichen Geschlechtsidentität nicht länger haltbar ist und beide, biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität, zusammenfallen, wie ist »Geschlecht« in der Konsequenz zu denken? Auf welche Weise und unter Berücksichtigung welcher Mechanismen und Bedingungen werden Geschlechter in einem solch umfassenden Sinne »gemacht«? Wie werden Geschlechter konstruiert, hergestellt und naturalisiert? Grundsätzlich findet die Analyse der Konstruktion von Geschlecht im Spannungsfeld zweier differenter Fragestellungen statt und lässt sich als Phänomen in unterschiedlicher Granularität auf drei Ebenen abbilden: Geht es auf der Makroebene darum, wie die konstitutive Rolle von sozialen Praxen »als Generator sozialer Ordnung« (Villa, 2008a, S. 203) verstanden werden kann, lenkt die Frage nach der produzierten Wirklichkeit der Geschlechterkategorien als Effekt eben dieser sozialen Ordnung den Blick auf die Mesoebene sozialer Praxis. Folgt man der ersten Fragestellung, rückt eine übergeordnete, »grobkörnigere« Ebene in das Zentrum der Betrachtung, deren Inhalt die Konstitutionsverhältnisse und Rahmenbedingungen umfasst, die den kulturell bestimmten Möglichkeitsraum für die konkreten Konstruktionsprozesse aufspannt. Diese Perspektive beschäftigt sich mit der Frage, welche Normen, welche Strukturen, welche normativen Muster zum Einsatz kommen, um die konkreten Konstruktionspraxen, in denen Individuen miteinander interagieren, zu regulieren, und wie Diskurs als Ort und Modus der Konstruktion verstanden werden kann. Außerdem zeigt sich Geschlecht

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

in dieser Perspektive als ein Ordnungsprinzip des Sozialen im Sinne einer Strukturkategorie16 . Die zweite Frageperspektive hingegen blickt durch das Netz der übergeordneten Struktur hindurch, um einen freien Blick darauf zu bekommen, wie Menschen durch Handeln ihre geordnete, soziale Welt interaktiv herstellen. Sie richtet den Fokus auf die Mesoebene, auf der sich Geschlecht in jeweils konkreten, situativ gegebenen Konstruktionsprozessen zeigt. Auf dieser Ebene verschiebt sich das Verständnis von Geschlecht weg von einem »den Akteuren vorgängige[n] Strukturprinzip der Gesellschaft« (Wilz, 2008, S. 13) hin zu einer prozesshaften Kategorie. Von Bedeutung sind hier insbesondere die dazugehörigen »›Konstruktionsleistungen‹ der Akteure« (Villa, 2008a, S. 208), die innerhalb der jeweiligen Handlungsvollzüge und Praxen zu verorten sind. Hier verschiebt sich der Fokus, der auf der übergeordneten Ebene Geschlecht als Strukturkategorie beschreiben konnte, hin zu einer Perspektive, in der Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit prozessual zu denken sind, als etwas, das – im Sinne des Doing Gender – ununterbrochen »gemacht« werden muss. Das, was auf den ersten Blick auf der Makroebene als gesetzte Wahrheit erscheint, wird hier, auf der Mesoebene, entlarvt als tatsächlich in konkreten Praxen immer wieder aufs Neue hergestellt und daher prinzipiell kontingent. Beide Analyseperspektiven, Meso- und Makroebene, gründen in einer dritten Dimension der Beschreibung, die Geschlecht als einen Modus der Subjektwerdung fasst und die einzelnen Individuen als Elemente der Interaktionszusammenhänge in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Hier geht es um den individuellen Prozess der Unterwerfung unter Normen und das paradoxe Verhältnis von Normen, Diskurs und Subjekt. Alle drei Dimensionen sind zwar analytisch voneinander zu unterscheiden, zeigen sich aber im Vollzug eng miteinander verwoben, beziehungsweise als drei differenzierte Betrachtungsweisen des gleichen Phänomens. Eine erfolgreiche Visibilität und Visualisierung von Geschlecht kann auf der Ebene der Interaktion immer nur innerhalb eines strukturellen Rahmens gelingen, 16

Die Perspektive auf Geschlecht als Strukturkategorie wird in ihrer klassischen Form als Diskussion der Zusammenhänge zwischen Hausarbeit, Patriarchat und Klassengesellschaft (vgl. Degele, 2005) dieser Arbeit nicht weiter vertieft. Eine ausführlichere Darstellung dessen, was es bedeutet, dass bestimmte Vorstellungen über Geschlecht in gesellschaftliche Verhältnisse eingeschrieben sind, sowie des Zusammenhangs zwischen Geschlechterverhältnis und kapitalistischer Produktionsweise findet sich u.a. bei Aulenbacher, Becker-Schmidt sowie Becker-Schmidt und Knapp (Becker-Schmidt, 1993, 2003, 2007; Becker-Schmidt und Knapp, 2000; Aulenbacher, 2008)

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der die normativen Muster bereitstellt, die dafür sorgen, dass Sichtbarkeit und Sichtbarmachung für die Subjekte innerhalb der jeweiligen Praxis intelligibel, d.h. verständlich sein können. Der aufgespannte normative Rahmen bzw. der Möglichkeitsraum der Intelligibilität markiert dabei die Grenzen zwischen Ein- und Ausschlusskriterien, welche die Vorstellungen dessen, was es heißt ein Mensch zu sein, strukturieren. (vgl. Distelhorst, 2009, S. 9) Folgt man dieser Argumentation, lässt sich das Scheitern jeder natürlichen »Wahrheit des Geschlechts« aufzeigen. Im Folgenden soll zunächst näher bestimmt werden, was darunter zu verstehen ist, wenn Geschlecht als zentrale soziale Kategorie gefasst wird (Abschnitt 3.3). Im Anschluss daran erfolgt die Untersuchung der strukturellen Rahmenbedingungen und diskursiven Bedingungen konkreter Konstruktionspraktiken (Abschnitt 3.3.1), um dann, in einem dritten Schritt, den Blick darauf zu richten, wie in konkreten, sozialen Prozessen Geschlecht jeweils interaktiv hergestellt wird (Abschnitt 3.3.2) bevor abschließend der Aspekt der Identitätsbildung in den Blick genommen wird, in dem Geschlecht als Modus der Subjektwerdung thematisiert ist (Abschnitt 3.3.3).

3.3

»Geschlecht« – eine zentrale soziale Kategorie

Geschlecht und die vermeintlich biologisch fundierte Zweigeschlechtlichkeit erweisen sich, nimmt man das bisher gesagte ernst, als ein kontingentes Phänomen, das zusätzlich über eine herausragende Besonderheit verfügt: Die exklusive Zugehörigkeit zu einer der beiden zur Verfügung stehenden Kategorien (»männlich« oder »weiblich«) wird auf eine grundsätzliche Weise als Eigenschaft der Person angesehen (vgl. Meißner, 2008, S. 5) und beginnt für jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft streng genommen eigentlich schon vor seiner Geburt – spätestens nämlich dann, wenn durch bildgebende Verfahren oder Gentests in der Schwangerschaft das Geschlecht des Fötus bestimmt und den werdenden Eltern mitgeteilt wird, ob es sich bei dem erwarteten Kind um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. Das Geschlecht, das neben dem Alter vielleicht eines der Hauptmerkmale darstellt, wenn es um die Beschreibung einer Person geht, etabliert sich also unter Umständen bereits pränatal17 , was gleichzeitig impliziert, dass Menschen gar nicht die 17

Es gibt natürlich auch Ausnahmen, die sich der vorgeburtlichen Geschlechtsbestimmung entziehen: Wenn werdende Eltern z.B. den Gentests nicht zustimmen oder ex-

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

Möglichkeit haben, kein Geschlecht zu sein. Ein Geschlecht zu haben bzw. zu sein ist also unausweichlich – eine Tatsache, die sich bekanntermaßen auch im Alltagswissen über »Geschlecht« widerspiegelt, nimmt man die drei Alltagstheoreme der Zweigeschlechtlichkeit ernst. (vgl. Hark und Villa, 2017, S. 29) In ihrer Unausweichlichkeit erfolgt die Geschlechtszuschreibung innerhalb der beiden – sich gegenseitig ausschließenden – Möglichkeiten, die eine Art Kippfigur der Geschlechter darstellen: Was »männlich« ist kann »weiblich« nicht sein und umgekehrt. Interessant ist dabei insbesondere, dass auf diese Weise nicht nur ein kategorischer, umfangslogischer Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern konstatiert wird, sondern dass dieser Unterschied gleichzeitig eine soziale Bedeutung annimmt: »In dieser Perspektive […] ist Geschlecht nicht einfach nur jemandem zu eigen, sondern ein überpersönlicher Träger einer kulturellen Differenz.« (Pasero, 1995, S. 54) Das heißt nichts anderes, als dass mit dem Geschlecht immer schon eine gesellschaftliche Bedeutung verbunden ist. »Geschlecht als soziale Kategorie bedeutet nicht einfach die Summe von weiblichen oder männlichen […] Individuen« (Becker-Schmidt, 1993, S. 38), sondern weist darauf hin, dass Männer und Frauen immer schon in ein gesellschaftlich relevantes, hierarchisches Verhältnis gesetzt sind. »Männlich« oder »weiblich« zu sein heißt unter anderem auch, mit bestimmten Rollenerwartungen konfrontiert zu sein, bestimmte Job-Möglichkeiten zu haben (und andere nicht) und bestimmte Verdienstmöglichkeiten zu haben (und andere nicht)18 . Ab Geburt hat also jedes einzelne Individuum innerhalb der Gesellschaft die unbedingte Verpflichtung, »Mann« oder »Frau« zu sein, da die Zugehörigkeit zu einer der beiden Geschlechtskategorien maßgeblich für die soziale Relevanz und den Subjektstatus des Individuums ist. Keine »gültige Geschlechtszugehörigkeit« zu besitzen ist – mit anderen Worten – gleichbedeutend mit dem sozialen oder im Extremfall auch mit dem realen

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plizit den Wunsch äußern, das Geschlecht des Kindes vor der Geburt nicht erfahren zu wollen. Spätestens aber mit der Entbindung nimmt die Zuschreibung zu einer der beiden exklusiven Geschlechtskategorien ihren Lauf. Zwar besteht seit 2018 in Deutschland die Möglichkeit für Menschen mit Varianten in der Geschlechtsentwicklung die Option »divers« als sogenannte »dritte Option« des Personenstandes zu wählen, davon unberührt bleibt allerdings die Tatsache, das die Option kein Geschlecht zu haben, in der Gesellschaft nicht vorgesehen ist. Zahlen, die diese Differenz in den Einkommensmöglichkeiten von Männern und Frauen belegen, finden sich bereits weiter vorne im Einleitungsteil der Arbeit.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Tod. Um dazugehören zu können, orientieren sich Menschen an konkreten Vorgaben, die charakterisieren, was unter »Maskulinität« und »Femininität« zu verstehen ist. Diese Maßstäbe können Farben, Formen, Kleidung, spezifische Handlungsvollzüge, soziale Räume, Eigenschaften oder Positionen sein, durch die »Handlungsspielräume, Machtressourcen und Verhaltensmöglichkeiten« (Hirschauer, 1996, S. 240) für Frauen und Männer abgesteckt werden, sodass die Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr nur als individuelles Merkmal der Person angesehen werden kann, sondern als soziale Kategorie betrachtet werden muss, die gleichsam als Platzanweiser (vgl. Knapp, 2012, S. 83; 92) innerhalb der Gesellschaft tätig wird und Männern und Frauen ungleiche Arbeits- und Lebenschancen (vgl. Aulenbacher, 2008, S. 161) zuteilt.

3.3.1

Diskurse als struktureller Rahmen und Modus der Geschlechtskonstitution

Doch woher kommen diese konkreten Vorgaben und Regelsysteme, die festlegen, was als »weiblich« und was als »männlich« gilt und damit welche Positionen und welche Möglichkeiten Personen jeweils offenstehen? Eine mögliche Antwort verweist auf gesellschaftliche Normen, die in Diskursen zu verorten sind und die gleichsam als Leitplanken entsprechende Maßgaben vorgeben, welche Handlungsspielräume und Verhaltensmöglichkeiten dem Individuum zur Verfügung stehen, um als Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden – und anerkannt zu bleiben. In dieser Lesart weist der Diskursbegriff klar über seine alltagssprachliche Bedeutung hinaus19 . Der Diskursbegriff, wie er sich im Werk Butlers findet, bezieht sich in seiner Konzeption auf Foucault, wenn er davon ausgeht, dass »›Diskurs‹ […] nicht bloß gesprochene Wörter, sondern ein Begriff der Bedeutung« (FsL, S. 129) ist. Diskurse sind also »sprachlich-begriffliche Organisationsformen von Wirklichkeit« 19

Der Begriff des Diskurses erweist sich sicherlich als einer der wandelbarsten und schillerndsten Fachtermini innerhalb sozialwissenschaftlicher, philosophischer und kulturwissenschaftlicher Debatten, der in den vergangenen Dekaden je nach Kontext ganz unterschiedliche Bedeutungen angenommen hat. Man denke nur an Habermas’ Diskursethik oder die Verwendung des Diskursbegriffs im linguistischen Kontext – ganz zu schweigen von der alltagssprachlichen Bedeutung. Allen hier genannten Bedeutungsdimensionen gemeinsam ist eine enge Rückbindung an den sprachlichen Kontext als Basis. Die in dieser Arbeit verwendete Bedeutung von Diskurs teilt die sprachliche Grundlage, geht aber in ihrer spezifischen Auslegung über die alltagsprachliche Bedeutung von »Debatte, Erörterung« hinaus.

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

(Villa, 2008b, S. 214), die den Rahmen des Möglichen und Denkbaren überhaupt abstecken und auf diese Weise Wirklichkeit erzeugen. Der Begriff des Diskurses bezeichnet einen jeweils komplexen Nexus aus einer Vielzahl charakteristischer Denk- und Handlungsweisen, Praxen und Wissensformen, die im Sinne epistemischer Systeme (welche die Welt im Allgemeinen für Individuen erst sinnvoll ordnen und so intelligibel, d.h. verständlich und denkbar, machen) wirken. (vgl. Villa, 2010, S. 149) Diskurse stehen also in gewisser Weise immer schon zwischen Welt und Individuum, da unsere Bezugnahme auf die Welt prinzipiell ein »linguistischer Rekurs« (KvG, S. 11) ist. Entsprechend stellen sie »geregelte[…] Praxen [dar], die vermittels gehäufter und geregelter Aussagen über Wissensgegenstände in einem diskursiven Praxisfeld soziale Wirklichkeit hervorbringen« (Yıldız, 2009, S. 32). Dabei erweisen sie sich – auch in diesem Punkt lehnt sich Butler in ihrer Konzeption an Foucault an – als immer schon von Macht durchzogen, da sie aufgrund ihrer wirklichkeitserzeugenden Kraft mit Wahrheitsansprüchen arbeiten. Sie sind eben »nicht einfach ›Reden‹ und ›Diskussionen‹ […], sondern machtbestimmte soziale Prozesse« (Ullrich, 2008, S. 21). Allerdings, und das ist für das gesamte Verständnis von Butler und Foucault fundamental, ist ihr Machtverständnis ein anderes, als es zum Beispiel bei Max Weber oder Robert Dahl zu finden ist20 . Was Diskurse in diesem poststrukturalistischen Verständnis auszeichnet und was sie derart wirkmächtig macht, ist ihre Befähigung, abweichende Bedeutungen auf den ersten Blick regelrecht unmöglich zu machen. (vgl. Villa, 2012, S. 22f.) Dabei operieren sie präreflexiv, sodass sie den Bereich denk- und lebbarer Möglichkeitsräume bereits abgesteckt haben, bevor wir überhaupt beginnen, darüber nachzudenken. Alternative Optionen werden so in den Bereich des Unmöglichen abgeschoben und als undenkbar zum Verschwinden gebracht. Neben dieser unterdrückenden Komponente – und das ist ein entscheidendes Element von Foucaults Macht-Konzeption – zeigt sich Macht allerdings auch mit einem produktiven Moment ausgezeichnet. (vgl. u.a. Chambers, 2008; Villa, 2011b) Daran anknüpfend wird bei Butler das klassische Machtverständnis nicht nur auf den Kopf gestellt, sondern von einer linearen

20

Distelhorst (Distelhorst, 2009) weist darauf hin, dass sowohl bei Weber wie auch bei Dahl Macht auf eine Weise definiert wird, die zwar »in praktischer Weise auf die Realität übertragbar« (S. 35) ist, die allerdings nicht ausreicht, um die Machteinwirkungen zu beschreiben, die Butler oder Foucault im Blick haben, wenn sie über Macht sprechen.

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Konzeption in ein Netzwerk überführt: Verläuft traditionell die Wirkungslinie der Macht top-down, also von derjenigen, die die Macht hat, zu demjenigen, der sie nicht hat, durchwirkt sie hier in Butlers Entwurf die gesamte Gesellschaft wie ein Netz. Die Stelle des hierarchischen Top-Down-Systems wird bei ihr durch ein zirkuläres System besetzt, in dem es sich wesentlich schwieriger gestaltet, Verantwortlichkeiten konkret zu verorten und zuzuschreiben. (vgl. Distelhorst, 2009, S. 38) Zudem wird Macht bei Butler nicht als dasjenige verstanden, was von außen Druck auf Subjekte ausübt, was sie zur Unterordnung zwingt und erniedrigt, sondern zeigt sich primär als ihr konstitutives Element: Macht ist das, was die Subjektwerdung erst ermöglicht, wovon das Subjekt in seiner Existenz »als Bedingung seiner Möglichkeit und Gelegenheit seiner Formung« (PdM, S. 18) abhängig ist. Macht erweist sich aus diesem Blickwinkel als unmittelbar produktiv, indem sie »Menschen mit einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten Sprache, einer Perspektive auf die Welt und einem spezifischen Verständnis des Möglichen« (Distelhorst, 2009, S. 37) hervorbringt – und sie bündelt sich nicht in einer zentralen Instanz, der die alleinige Verantwortung zugeschrieben werden könnte. »In jedem Fall nimmt die Macht, die zunächst von außen zu kommen und dem Subjekt aufgezwungen und es in die Unterwerfung zu treiben schien, eine psychische Form an, die die Selbstidentität des Subjekts ausmacht.« (PdM, S. 9) Die Macht wirkt durch Diskurse und durch die in den Diskursen geprägten und transportierten Normen. Diese fungieren in erster Linie als Kompass, nach dem sich Menschen in den meisten Fällen freiwillig richten, um überhaupt eine Orientierung dafür zu haben, wie sie sich verhalten sollen. In diesem Sinne dienen Normen dazu, menschliches Zusammenleben in sozialen Gefügen grundsätzlich zu ermöglichen. Selbst diejenigen Individuen, die sich mit aller Kraft gegen eine Norm auflehnen, haben in ihr einen unverzichtbaren Anker, insofern die Norm in diesem Fall als Negativfolie für die lebensleitenden Prinzipien dient. Allerdings, und das kann die Norm so schmerzlich machen, ist sie eben auch jene Instanz, die im Prozess der Subjektivation Individuen erst zu in der Gesellschaft anerkennungsfähigen Subjekten macht: Wer sich gegen die Norm erhebt, setzt unter Umständen »durch diesen Akt seine soziale Überlebensfähigkeit aufs Spiel.« (Distelhorst, 2009,

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

S. 38)21 Gleichzeitig – und hier schließt sich der Bogen zu der produktiven Macht der Normen innerhalb der Diskurse – wird durch sie soziale Wirklichkeit erzeugt: Die Normen bilden den regulativen Rahmen dessen, was möglich ist, und haben auf diese Weise präskriptiven Charakter. Sie stecken den Raum der »Konstitutionsverhältnisse« (Villa, 2004, 2008a, 2011a) ab. Hier wird deutlich, wie Geschlecht als soziale Kategorie normierenden Charakter hat und Ausdruck der Macht ist, die einen Möglichkeitsraum von sozial überlebensfähigen Subjekten eröffnet. Wer mit seiner Geschlechtsidentität die Grenzen überschreitet, setzt unter Umständen seine Intelligibilität aufs Spiel. Frauen und Männer haben auf ganz bestimmte Weisen zu sein; es existieren konkrete Vorgaben, die z.B. eine Variabilität des Geschlechts oder eine Uneindeutigkeit kategorisch ausschließen. Es sind strukturelle Rahmenbedingungen dieser Art, die nicht nur normalisieren, sondern gleichzeitig untrennbar mit Anreiz und Konsens verbunden sind. In diesem Sinne normalisieren Normen nicht nur, sondern »werten auch, indem sie Konformität belohnen und Devianz bestrafen« (do Mar Castro Varela und Dhawan, 2018, S. 128). D.h. die gegenwärtige Ordnung der Geschlechter erzwingt eine Unterscheidung von verständlichen und unverständlichen Geschlechtsidentitäten, »die sich auf den sozialontologischen Status von Geschlecht auswirkt« (von Redecker, 2011, S. 57) und sich daran orientiert, was bei Butler mit heterosexueller Matrix 22 , Zwangsheterosexualität (UdG) bzw. heterosexueller Hegemonie (KvG) bezeichnet wird23 . Damit ist angesprochen, dass innerhalb der Gesellschaft 21

22

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Butler geht in ihrer Argumentation noch einen Schritt weiter, wenn sie neben der sozialen Überlebensfähigkeit auch die wörtlich gemeinte, reale Überlebensfähigkeit in Anschlag bringt (vgl. MdG, S. 20). Dem zentralen Kritikbegriff der heterosexuellen Matrix bei Butler gehen verschiedene unmittelbare Vorläufer voraus. Dazu zählen unter anderem das »sex/gender system«, das Gayle Rubin bereits 1975 beschreibt (Rubin, 1975), wie auch Monique Wittigs »heterosexuelles Gesellschaftssystem« und der »heterosexuelle Vertrag« (Wittig, 1980). Peter Wagenknecht macht darauf aufmerksam, dass der Begriff der Zwangsheterosexualität ursprünglich bereits 1911 von Sándor Ferenci geprägt wurde und bei Butler in der von Adrienne Rich 1980 ausgeführten Bedeutung zum Einsatz kommt (vgl. Wagenknecht, 2007, S. 19), auch wenn sich Butler selbst eher auf Monique Wittig beruft, denn auf die Ausführungen von Rich (vgl. UdG, S. 219; Anmerkung 6) Leider bleibt der Hegemoniebegriff, der in zahlreichen feministischen Analysen eingesetzt wird, auch bei Butler verschwommen, »da sie […] an keiner Stelle definiert« (Distelhorst, 2007, S. 65), in welcher Bedeutung er genau in ihrem Werk eingesetzt wird. Was allerdings bei Butler deutlich wird, ist der Bezug zwischen Diskurs und Hegemonie, insofern der Bereich des Diskursiven von ihr als durch hegemoniale Verhält-

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dezidierte Vorstellungen davon existieren, wie Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren aufeinander bezogen sind. Im Konkreten wird damit von den Individuen verlangt, sich einem Raster kultureller Intelligibilität zu beugen, dass in seinen Anforderungen auf den Thesen des Alltagswissens (T1 -T3 ) beharrt und diese in eine kohärente Beziehung mit sexueller Praxis und dem Begehren setzt (vgl. UdG, S. 38). Wer sich aus dieser »Verklammerung von biologischem Geschlecht, sozialem Geschlecht und Begehren nach einem geschlechtlich binären und heterosexuellen Muster« (Distelhorst, 2009, S. 103) löst, läuft Gefahr, aus dem strukturellen Rahmen zu fallen und damit seine kulturelle Intelligibilität zu verlieren. Die individuelle Annahme24 einer Geschlechtsidentität wird also durch »einen regulierenden Apparat der Heterosexualität erzwungen« (KvG, S. 36), der bestimmt, »dass Geschlecht binär verfasst ist und mit einem gegengeschlechtlichen Begehren verbunden ist. Zugleich sind diese dualistisch verfassten Geschlechter in ein komplementäres und hierarchisches Verhältnis gestellt« (Meißner, 2010, S. 33). Das bedeutet, um intelligibel zu sein und um eine Einheit zu bilden, muss es ein festes, unveränderliches Geschlecht geben, welches Körper annehmen, wobei dieses Annehmen oder Verkörpern wiederum durch »die zwanghafte Praxis der Heterosexualität gegensätzlich und hierarchisch« (UdG, S. 220) bestimmt ist. Es besteht also ein konstitutiver Zusammenhang von Geschlechterdifferenz und Heterosexualität, durch den eine hegemoniale Geschlechterordnung entsteht, die drei aneinander verwobene, jeweils dichotom organisierte Ebenen vereint, die gemeinsam eine symmetrische Matrix von »normativen Rahmenbedingungen der Zwangsheterosexualität« (KvG, S. 137) bilden: Geschlechtsidentität (gender), Geschlechtskörper (sex), und sexuelles Begehren folgen »dem Muster einer eindeutigen Zuordnung« (Reckwitz, 2008, S. 84) und bestimmen die spezifische Weise, in der Subjekte konfiguriert sein müssen. Anerkennung erfahren also zunächst nur

24

nisse geordnet beschrieben wird. Eine ausgearbeitete Hegemonietheorie, die auch in Butlers Arbeiten noch sichtbare Spuren hinterlassen hat, findet sich bei Laclau/Mouffe (Laclau und Mouffe, 2000). Der Begriff der Annahme steht hier deswegen in Anführungszeichen, weil die Grammatik des Satzes zunächst den Anschein erweckt, es gäbe ein vorgängiges Subjekt, dass sein Geschlecht – im Sinne einer reflektierten Wahl bzw. eines voluntaristischen Aktes – annimmt. Diese Vorstellung widerspricht aber den bisher durchgeführten Untersuchungen und der damit zusammenhängenden Konzeption des Subjekts als postsouveränes Subjekt. (vgl. dazu auch KvG, S. 35f.)

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

diejenigen Subjekte, die sich innerhalb des Möglichkeitsraumes einer obligatorischen Heterosexualität befinden »und jede andere Form der Sexualität wird als unvollkommene Kopie« (Brady und Schirato, 2011, S. 48) dieses ursprünglichen und vermeintlich natürlichen Begehrens verstanden. Gleichzeitig zeigt sich im Rahmen der Analyse ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den beiden zur Verfügung stehenden Kategorien, und diese hierarchische Relation, die in Verbindung mit der heteronormativen Binarität der Geschlechter auftritt, lässt sich im Rückgriff auf Derrida mit dem Konzept des Phallogozentrismus fassen: Damit gemeint ist eine charakteristische Denkstruktur in der westlich-abendländischen Tradition, die einen »Imperialismus des Logos«25 (Derrida, 1983, S. 12) suggeriert und entsprechend alle Weiblichkeitsentwürfe innerhalb dieser Denkstrukturen als aus dem männlichen Blickwinkel abgeleitet betrachtet. So wird im Mann das Grundmodell des Menschen gesehen, während die Frau nur als dessen Ableitung angelegt ist: Sie wird verstanden als der mangelhafte, penislose Mann, dem Intellekt und Vernunft fehlen.26 Diese Asymmetrie und innere Abhängigkeit des Gegensatzpaares Mann/Frau durchdringt auch eine ganze Reihe anderer zentraler dichotomer Oppositionspaarungen, die in sich ebenfalls hierarchisch strukturiert sind. Dazu gehören Geist/Körper ebenso wie Subjekt/Objekt oder Kultur/Natur. Und immer wird die zweite Komponente der entgegengesetzten Paarungen nicht nur als vom ersten Element abgeleitet und damit als defizitär verstanden, sondern gleichzeitig auch als weiblich konnotiert, während der erstgenannte Teil primär und männlich konnotiert ist. Untersucht man die Oppositionspaare des auf diese Weise heteronorm strukturierten Denkens noch einmal genauer, ergeben sich weitreichende Konsequenzen bis in die sozialen Räume hinein, die Subjekte innerhalb der Gesellschaft besetzen können. Die Tatsache, dass der Geist männlich, der Körper hingegen weiblich konnotiert ist (vgl. dazu u.a. Gildemeister und Wetterer, 1995; Gildemeister, 2001; Fausto-Sterling, 2002), lässt sich bis in die vergeschlechtlichten Territorien der Arbeitswelt verfolgen, wo Aufgaben, die eng mit dem Körper ver-

25 26

Mit dem »Imperialismus des Logos« ist die »Suggestion einer Präexistenz der Idee vor dem Wort (Logozentrismus)« (Meißner, 2010, S. 33) gemeint. Allerdings bleibt festzuhalten, dass innerhalb der asymmetrischen Gegensatzpaare der als »ursprünglich« gesetzte Term (in diesem Fall der Begriff des »Mannes«) für seine Existenz notwendigerweise auf seinen abgeleiteten Gegenpol angewiesen ist, der seine konstitutive Außengrenze bildet: männlich zu sein bedeutet, eben genau keine Frau zu sein.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

knüpft sind (z.B. Pflege von Kindern und alten Menschen, aber auch Umweltschutz und Konsum), als – natürlicherweise – primär weiblich besetzte Domänen gelten. Aber nicht nur in konkreten Beschäftigungs- und Berufsfeldern lässt sich eine derartige Strukturierung aufweisen. Auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens reguliert die »heterosexuelle Matrix«27 (UdG, S. 21) Zuständigkeiten und Möglichkeiten der einzelnen Subjekte: So kann unter anderem das Konzept des nachhaltigen Konsums als ein Aufruf verstanden werden, »der sich vorrangig an Frauen richtet, da die als typisch weiblich geltenden Charakteristika wie z.B. die der Fürsorge auch den Charakteristika des nachhaltigen Konsums entsprechen und Frauen für den täglichen Konsum im Haushalt zuständig« (Wassermann und Ulmer, ohne Datum, S. 18) sind. Die Konstruktion von Geschlecht ist also – innerhalb der westlich-abendländischen Kultur – immer schon mit der Konstruktion von Geschlechterdifferenz28 verbunden, wobei Differenz und Asymmetrie ineinandergreifen und gleichursprünglich sind: Männer und Frauen werden als grundsätzlich verschieden verstanden – und beiden Personengruppen werden – davon ausgehend – jeweils bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, die auch Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche konzeptionelle Gefüge von Wertigkeiten haben. (vgl. Rendtorff, Kleinau und Riegraf, 2016, S. 9) Insgesamt lässt sich für den strukturellen Rahmen auf der Makroebene festhalten, dass sich hier Geschlecht als soziale Kategorie in Diskursen und 27

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Der Begriff der »heterosexuellen Matrix« bei Butler verweist auf Monique Wittigs Begriff des »heterosexuellen Vertrags« (vgl. Wittig, 1992) und umreißt ein hegemoniales diskursives Modell, das allen »verständlichen« Geschlechtskategorien zugrunde liegt. Um die Kohärenz gewährleisten zu können, muss es ein fixiertes Geschlecht geben, das wiederum in einer festen Geschlechtsidentität seinen Ausdruck findet, wobei diese »durch die zwanghafte Praxis der Heterosexualität gegensätzlich und hierarchisch definiert ist.« (Butler, UdG; Anmerkung 6) Der Begriff der »Geschlechterdifferenz« geht zurück auf einen regelrechten Merkmalskatalog, den die Historikerin Karin Hausen bereits in den 1970er Jahren mit Blick auf die »Geschlechtscharaktere« herausgearbeitet hat (Hausen, 1976); diese stellten vor allem im Übergang zum 20. Jahrhundert eine Standard-Interpretation der Geschlechterunterschiede dar, indem sie eine direkte Verbindung zwischen körperlichen bzw. biologischen Faktoren und psychischen, sozialen und kulturellen Ausprägungen als gegeben ansahen. In der Folge gelten – z.T. bis heute – Frauen als sanft, freundlich, auf das häusliche Leben gerichtet, anpassungsfähig und passiv, während Männer »für das öffentliche Leben bestimmt seien« (Gildemeister, 2004) und Unabhängigkeit, Aggressivität und Rationalität zu ihren angeborenen Charaktereigenschaften zählen müssen.

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

durch Diskurse formiert zeigt. Die Kategorien »Mann« und »Frau« dienen dazu, Ordnung in das Gesamtgefüge der Gesellschaft zu bringen, indem sie die Mitglieder der Gesellschaft sozial bestimmen. Zentral sind in diesem Prozess spezifische Machtformationen, die nicht nur eine Differenzierung der Individuen in Männer und Frauen erzwingt, sondern diese »Unterscheidung selbst unlösbar verknüpft mit der heterosexuellen Normierung des Begehrens« (Becker-Schmidt und Knapp, 2000, S. 87). Diskurse sind dabei allerdings keine rein repressiven Schranken, die an das Denken und Wahrnehmen von außen herangetragen werden, um es in seinen Möglichkeiten zu beschneiden, sondern – und darin liegt das produktive Moment von Diskursen – sie »durchdringen unser gesamtes Sein, denn sie ermöglichen unser Denken, weil sie […] der Welt eine Ordnung geben.« (Villa, 2012, S. 24) Diese Ordnung besteht – aktuell – in einem hegemonialen Diskurs der Heterosexualität, der sich dafür verantwortlich zeichnet, »dass die Geschlechterdifferenz immer wieder als binäre, identitätsstiftende und natürlich legitimierte Dualität wahrgenommen und gelebt wird« (Villa, 2011a, S. 172). In Abhängigkeit von diesen kulturell und historisch geprägten Deutungs- und Handlungsmustern wird Geschlecht auf eine Weise hergestellt, die in sich die dichotome Struktur der Zweigeschlechtlichkeit als wesentlichen Grund für kohärente Identitäten trägt: Die Konstruktion von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« sind an »die Norm der Zwangsheterosexualität« (UdG, S. 181) geknüpft – ebenso wie andersherum die Hypothese einer »natürlichen« Heterosexualität ein System der Zweigeschlechtlichkeit unterstellt (Balzer, 2014, S. 422). Beiden haftet dabei ein Modus des Selbstverständlichen an, der die tatsächliche Kontingenz verdeckt.

3.3.2

Konkrete Praktiken der Geschlechtskonstruktion – soziale Interaktion

Werden also auf einer sehr grundlegenden Ebene die Handlungsmöglichkeiten von Subjekten durch die Norm der heterosexuellen Matrix bzw. durch den hegemonialen Diskurs der Heterosexualität in Prozessen der Normalisierung und Normierung geregelt und begrenzt (vgl. Babka und Posselt, 2016, S. 80), findet die Ausformung der jeweiligen Geschlechtszugehörigkeit immer innerhalb konkreter sozialer Praktiken statt, in denen die Norm auf verschiedenste Weisen zitiert werden kann und muss. Es ist diese Sphäre der Mesopraktiken, die den Ort für eine mögliche Vielfältigkeit innerhalb der Gesellschaft bildet.

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Dieses aktive Herstellen von Geschlecht, das natürlich immer im Rahmen der strukturellen Ordnung stattfinden muss, lässt sich hier auf der mittleren Ebene beschreiben, wo die Inszenierung der kategorialen Zugehörigkeiten von Subjekten vor allem im Rückgriff auf praxeologische Überlegungen und mit Hilfe des Analyseansatzes des Doing Gender formuliert werden können. Verlässt man also die zuerst besprochene Ebene der Ordnung und begibt sich auf die hier gemeinte Ebene der Praxis, lässt sich die Herstellung von Geschlecht nicht nur als ein Effekt der regulierenden und normalisierenden Ordnung beschreiben, sondern zeigt sich gleichzeitig als eine Praxis, die eben genau diese Ordnung, durch die sie regulierend gerahmt wird, herstellt und bestätigt. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass es einen regulativen Rahmen – einen Möglichkeitsraum – gibt, der die konkreten Praxen strukturiert und in dessen Grenzen die Interaktionen stattfinden müssen, damit das jeweils hergestellte Geschlecht verständlich, d.h. intelligibel, ist. Wer in der Gesellschaft als real und intelligibel gelten möchte, ist darauf angewiesen, innerhalb dieses Rasters von »Vorschriften« zu agieren und bestimmte Körperpraxen anzuwenden, um die Differenz den geltenden Normen entsprechend sichtbar zu machen. Frauen epilieren sich zum Beispiel die Beine und Achseln29 , zupfen Haare an Oberlippe und Kinn, besuchen im FitnessStudio Bauch-Beine-Po-Kurse für eine schlanke Figur, tragen Push-Up-BHs und investieren täglich viel Zeit und Mühe, um dem weiblichen Körperideal zu entsprechen. Geschlechtstypische Differenzierungen finden sich aber nicht nur in derartigen »Körper-Strategien, die Individuen anwenden« (Villa, 2011a, S. 111) – die Differenz von »Männlichem« und »Weiblichem« wird auch durch Verhaltensweisen, Formen der Interaktion und Charaktereigenschaften in Szene gesetzt. Innerhalb dieser Inszenierungen findet gleichzeitig ein

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Interessanterweise unterliegen die Normen im Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen, was ein Hinweis darauf ist, dass dasjenige, was Geschlecht ausmacht, nicht ein für alle Male festgelegt sein kann: So zeigt sich bei der Lektüre von Goffman (Goffman, 1981), dass noch in den 1980er Jahren die Enthaarungspraxis, die heute auch für unsere Gesellschaft gilt, primär in den USA vorzufinden war: »Die Tatsache hingegen, daß die Frauen auf amerikanischen Reklamebildern keine Haare an den Beinen oder unter den Achseln sehen lassen, spiegelt die allgemeine Gepflogenheit der Amerikanerinnen wider, sich an diesen Stellen zu rasieren. (Wenn aber auf französischen Reklamefotos unbehaarte Beine und Achselhöhlen zu sehen sind, dann können wir daraus nicht in gleicher Weise auf die Art schließen, wie die Französin jenseits der Kamera aussieht, denn in Frankreich haben sich die amerikanischen Enthaarungspraktiken bislang erst in der Welt der kommerziellen Bilder durchgesetzt.)« (Goffman, 1981, S. 87).

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

Prozess der Regulierung statt, der wiederum direkte Auswirkungen auf die Ordnung der Gesellschaft und die damit verbundenen Normen hat, indem hier die Normen, die die Grenzen der Interaktion festlegen, aufgerufen und in die Realität gebracht werden. Im Allgemeinen haben Menschen eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein – und wann eine Person von dieser Vorstellung in illegitimer Weise abweicht. Allerdings zeigt sich gleichzeitig, dass dieselbe Norm erstaunlich unkonkret bleibt, wenn man versucht, dieses implizite Wissen in präzise Worte zu fassen, um eine Gesetzmäßigkeit zu formulieren, die es ermöglicht, zwischen »richtigen« und »falschen« Formen der geschlechtlichen Identität zu differenzieren. Die Norm erscheint hier als »Grenzvorstellung […] als schwankende Grenze […] ohne jede Vorstellung von Endgültigkeit« (MdG, S. 299f.), als »Leerstelle«, die in ihrem Kern nicht definiert ist und so die »die Grenze zwischen Normalen und Anormalem beliebig verschiebbar« (Hark, 1999, S. 77) hält. Was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein, kann nicht abschließend definiert werden, sondern wird täglich in tausenden von Interaktionen sowohl bestätigt wie auch neu bestimmt. Die inhaltliche Determination dessen, was es bedeutet, der einen oder der anderen Kategorie anzugehören, kann niemals abschließend erfolgen. Im Gegenteil: Das Bild, das wir von den Geschlechtern in uns tragen, stellt einen niemals erreichbaren, idealen Grenzwert dar, dem wir uns in performativen Akten Tag für Tag anzunähern versuchen, der aber für Verschiebungen und Widerständigkeit grundsätzlich offen bleibt. Geschlecht ist also nicht »etwas, was man hat, oder eine statische Beschreibung dessen, was man ist«, (KvG, S. 22) die eigene Geschlechtszugehörigkeit muss immer wieder von Neuem hergestellt werden. Diese Konstruktion der jeweiligen Geschlechtszugehörigkeit verläuft interaktiv innerhalb von gesellschaftlichen Konstruktionspraxen und muss entsprechend »als »Effekt interaktiver Leistungen« angesehen werden« (Maihofer, 1994b, S. 246). Wir haben meist spontan – d.h. vor jeder reflexiven Auseinandersetzung – ein Verständnis davon, welcher Geschlechtskategorie unsere Interaktionspartner*innen angehören, und diese wissen auf die gleiche Weise um unsere Geschlechtszugehörigkeit, ohne dass wir unser Geschlecht explizit thematisieren oder uns gegenseitig unsere Genitalien zeigen müssten. (vgl. Villa, 2011a, S. 89) In der Regel »sehen« Menschen das Geschlecht ihres Gegenübers, ohne dabei auf vermeintlich sichere Indizien aus der Biologie, wie z.B. Brüste, Penis, Chromosomensatz oder Hormonkonzentration zu rekurrieren. Offensichtlich orientieren sich Menschen intuitiv an einem Set von kulturellen

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Geschlechtsindizien, die dafür sorgen, dass sie die gegenseitige Geschlechtsattribution und Geschlechtsdarstellung erfolgreich durchführen können30 . Innerhalb von Konstruktionspraxen greifen Individuen auf »Strategien und Zeichen […] [zurück] die das Geschlecht unmissverständlich und spontan, d.h. präreflexiv zum Ausdruck bringen« (Villa, 2011a, S. 89) und sind dabei »gleichermaßen verantwortlich und gezwungen« (Villa, 2011a, S. 98) die eigene »Geschlechtszugehörigkeit« (Hirschauer, 1989, S. 112) zu verkörpern bzw. darzustellen. Im Rahmen der sozialen Interaktion ist jedes Individuum als Interaktionspartner*in aber nicht zur Darstellung des eigenen Geschlechts verpflichtet, sondern übernimmt gleichzeitig auch die Verantwortung für die Geschlechtsattribution des Gegenübers. Entsprechend zeigt sich die Zugehörigkeit zu den möglichen Geschlechtskategorien innerhalb der Interaktionszusammenhänge durch zwei konstitutive Verhältnisse bestimmt: Welcher Geschlechtskategorie ein Individuum zugeordnet wird, ist auf der einen Seite abhängig von den sozialen Beziehungen zwischen den Interaktionspartner*innen, die noch einmal differenziert werden können in eine kollaborative und eine kontrollierende Verbindung31 . Beide – Darsteller*in und Betrachter*in – sind insofern voneinander abhängig, als sie miteinander zusammenarbeiten müssen, um ihr Geschlecht mit Rückgriff auf gemeinsame – präreflexiv gegebene – Zeichen und Deutungsmuster jeweils kohärent darzustellen und sich gegenseitig zuzuschreiben. Auf der anderen Seite sind das Doing Gender und die zuweisende Geschlechtsattribution geprägt vom alltagsweltlichen Wissen zur Zweigeschlechtlichkeit (vgl. Thesen T1 –T3 , S. 56). Dieses bildet den intelligiblen Rahmen, der zwischen Darsteller*in und zuschreibenden Personen als Hintergrundfolie für die Normen sozialer Kontrolle dient (vgl. Hirschauer, 1989, S. 113): Nur wenn die Darstellung der Geschlechtszugehörigkeit mit den Anforderungen des alltagsweltlich fundierten Sets an Überzeugungen bezüglich der Zweigeschlechtlichkeit sinnvoll zur Deckung gebracht werden kann, resultiert die Zusammenarbeit von Darsteller*innen und Betrachter*innen in einer erkennbaren und validierten Geschlechtszugehörigkeit.

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Kessler & McKenna haben bereits Ende der 1970er Jahre für diese Indizien den Begriff der kulturellen Genitalien (»cultural genitals«) geprägt. (Kessler und McKenna, 1978, S. 155) So stellt etwa Butler fest: »that what is called gender identity is a performative accomplishment compelled by social sanction and taboo«. (Butler, 1988, S. 520)

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

Neben diesen beiden Verbindungslinien zwischen den Individuen, die sich durch eine gemeinsame Praxis zueinander in Relation setzen, lässt sich in der Interaktion noch eine weitere Dimension identifizieren: Der Nexus zwischen den Akteuren und den kulturellen Ressourcen, die in den konkreten Herstellungspraxen für die jeweilige Inszenierung von Geschlecht32 zur Verfügung stehen, sind für den Interaktionszusammenhang ebenfalls konstitutiv. (vgl. Villa, 2011a, S. 99) Es kommt also (auch) darauf an, welche Gegenstände, welche Artefakte. welche »kulturellen Genitalien« zum Einsatz kommen, um situativ angemessene Handlungsmuster ausführen zu können, sodass das Geschlecht für das Gegenüber verständlich zum Ausdruck gebracht wird. Denn nur wenn beide Partner*innen in der Interaktion auf gemeinsame Ressourcen zur »Typisierung und Klassifikation« (Gildemeister, 2010, S. 138) zurückgreifen, kann eine erkennbare und verständliche Zugehörigkeit hergestellt werden. Dabei gilt für beide Geschlechter stets als oberste Maxime, dass innerhalb der Konstruktionsprozesse nicht sein kann, was nicht sein darf: »Richtige« Männer zeigen keine Emotionen, richten ihr Begehren nicht auf andere Männer und tragen keine Schminke; Frauen dagegen interessieren sich nicht für Technik, kommen mit körperlicher Anstrengung nicht zurecht und sind nicht abenteuerlustig usw. Diese normierende Spaltung trägt sich fort bis in die Arbeitswelt, wo eine »geschlechtertypisierende Territorien-Ordnung« im Bereich der Arbeitsteilung dafür sorgt, dass z.B. technische oder mathematische Berufe eindeutig männlich konnotiert sind, während Themenfelder wie Sprachen, Psychologie oder klassischer Tanz ganz klar als weibliche Territorien ausgewiesen sind. In der Folge ist es für beide Geschlechter ungleich schwerer, im territorialen Gebiet des jeweils anderen Geschlechts eine Arbeitsstelle zu besetzen und innerhalb dieses Gefüges dennoch glaubhaft sein Geschlecht zu »verkörpern«.

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Dass der Begriff der Inszenierung – ähnlich den anderen Begrifflichkeiten aus dem Themenfeld des Theaters, die sich immer wieder im Sprachschatz konstruktivistischer Autor*innen finden – an dieser Stelle keine grenzenlose Beliebigkeit impliziert, wird noch Gegenstand des folgenden Abschnitts werden, wenn es um Performativität und die Abgrenzung zur Performanz/Performance geht (vgl. S. 84). Im Zusammenhang mit der Konstruktion von Geschlecht geht es vor allem darum, eine grundsätzliche Veränderbarkeit und Kontingenz der dargestellten Inhalte und dafür eingesetzten Requisiten begrifflich fassen zu können. Der Begriff der Inszenierung kann dies in seiner Bedeutung als »Darbietung« oder »Gestaltung« gut abbilden.

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Dabei ist nicht vorgängig festgelegt, welche Ressourcen eingesetzt werden können, um eine sinnhafte Geschlechtszugehörigkeit zu konstruieren, die von Beobachter*innen verstanden werden kann. Als soziale Ressource für die Herstellung der beiden dichotomen Kategorien »männlich« und »weiblich« können und müssen Gegenstände, Mimik, Kleidung, Raumnutzung, Frisuren usw. eingesetzt werden. Da sich soziale Praktiken nicht nur auf das intersubjektive Bezugssystem beschränken lassen, sind in die Darstellungen und Attributionen regelmäßig bestimmte Artefakte eingebunden. Damit sie ihrer Funktion als kulturelle Genitalien gerecht werden und ihre Wirkung entfalten können, müssen sie benutzt werden – und damit sie benutzt werden können, müssen Akteur*innen über entsprechende Kenntnisse der zugehörigen kulturellen Codes verfügen. (vgl. Reckwitz, 2008, S. 153) In diesem Zusammenhang ist es allerdings wichtig, daran zu denken, dass es »weder für Personen noch für andere Objekte der sozialen Wirklichkeit […] ein von der Natur vorgeschriebenes Geschlecht« (Villa, 2011a, S. 99) gibt. Vielmehr werden die Objekte erst in der Praxis vergeschlechtlicht (sexuiert)33 , d.h. mit einer geschlechtlichen Bedeutung aufgeladen, wobei dieser Prozess der Sexuierung grundsätzlich zirkulär verläuft: Sind z.B. Röcke traditionellerweise von Frauen getragene Kleidungsstücke, so wird der Rock selbst zu einem weiblich konnotierten Artefakt. Individuen, die einen Rock in der sozialen Interaktion verwenden, werden durch das Tragen des Kleidungsstücks in der Folge verweiblicht, da die Bedeutung des sexuierten Gegenstandes im Rahmen der beobachtenden Interpretation auf das Individuum übertragen wird. Aus einer praxeologischen Perspektive lässt sich »Geschlecht« also verstehen als eine prozessual gedachte »öffentliche, kulturell intelligible, Knowhow-abhängige Demonstration ›gekonnter‹ Akte körperlicher Bewegungen« (Reckwitz, 2003, S. 285), zu deren Gelingen verschiedene Ressourcen eingesetzt werden. Die Geschlechtszugehörigkeit lässt sich entsprechend nicht auf vorgängige Merkmale oder Eigenschaften von Individuen zurückführen, sondern erweist sich als Produkt gelungener Interaktion zwischen Darsteller*innen und Betrachter*innen (Völker, 2019, S. 512; Hervorhebung JK). ›Gelungen‹ bedeutet in diesem Kontext, dass implizite Wissensordnungen, die »in Form von kollektivem Know-how-Wissen, Systemen von Deutungsschemata und von kulturell codierten Absichten und Affekten« (Reckwitz, 2016, S. 39) von 33

Der Begriff der Sexuierung wurde von Hirschauer eingeführt, um insbesondere die Zuschreibung von Geschlechtsbedeutungen für kulturelle Objekte zu fassen. (vgl. Hirschauer, 1989)

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

den Akteur*innen zur Inszenierung und zur Attribution der Geschlechtszugehörigkeit eingesetzt werden, zu einer Validierung der Geschlechtsdarstellung durch das Gegenüber führen. Diese kollaborative Verbindung zwischen Individuen im Prozess der Geschlechtskonstruktion lässt sich mit Butler durch die Konzepte der Anrufung und Anerkennung beschreiben. In Haß spricht illustriert sie den Prozess der Subjektwerdung mit der Anrufungsszene aus Althussers Ideologie und ideologische Staatsapparate (vgl. Hsp, S. 46f.): Dort ruft ein Polizist einem Menschen auf der Straße »Hallo, Sie da!« zu. Der Passant wendet sich um, weil er sich in dem Angerufen-werden wiedererkennt, um auf diesen Ruf zu antworten; und in dieser Umwendung, so Butler, »erhält er eine bestimmte Identität« (Hsp, S. 46). In dieser anschaulichen Szene wird deutlich, wie Anrufung bzw. Anrede und Anerkennung das Subjekt erst konstituieren. Anrufung ist – im Prozess der Subjektivation – also immer auf die »Komplementärbewegung der ›Umwendung‹ von Personen« (Villa, 2011b, S. 57) angewiesen. Die Anrufung übt dabei einen Zwang auf das Individuum aus, indem sie die Normen vorgibt, unter die es sich zu unterwerfen gilt. Es handelt sich bei der konstruktivistischen Perspektive auf Geschlecht also nicht »um einen vergnüglichen Maskenball, worin wir alle nach Lust und Laune einmal Frau, einmal Mann sein können« – auch wenn diese Perspektive gerade in der deutschen Butler-Rezeption der 1990er Jahre durchaus an Popularität gewinnen konnte. (vgl. Hagemann-White, 1993, S. 69) D.h. das Individuum erwirbt seine bestimmte Identität, seinen intelligiblen Subjektstatus in diesem Prozess immer nur zu dem Preis der Unterwerfung, zu dem Preis der Anerkennung der in der Anrufung an das Individuum herangetragenen Normen: Wenn der Hebamme den werdenden Eltern bei der Geburt mitteilt, »Es ist ein Mädchen!«, so wird in diesem Sprechakt die Norm aufgerufen und gleichzeitig in dem Kind instantiiert. Mit der Bezeichnung des Kindes als weiblich wird der gesamte gesellschaftliche Diskurs zu »Weiblichkeit« und »Geschlecht« aufgerufen und der Möglichkeitsraum, der intelligiblen Subjektpositionen, die das Kind einnehmen und besetzen kann, aufgespannt. Hier wird deutlich, dass »[d]ie Matrix der geschlechtsspezifischen Beziehungen […] dem Zum-Vorschein-Kommen des ›Menschen‹« (KvG, S. 29) vorausgeht. Der Akt der Interpellation (im Althusserschen Sinn) sorgt dafür, dass das Kind sexuiert und, in unserem Beispiel, zum »Mädchen« gemacht wird – streng genommen stellt die Hebamme die Geschlechtskategorie des Mädchens nicht deskriptiv fest, sondern bestimmt diese normativ. Denn gleichzeitig werden mit der Aussage »Es ist ein Mädchen!« verschiedene ge-

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sellschaftliche Vorstellungen und Bedeutungen aufgerufen, die für alle weiteren Akte der Subjektivation den Möglichkeitsraum der Intelligibilität festlegen. So wird man zum Beispiel davon ausgehen, dass dieses Kind, das in der Anrufung zum Mädchen gemacht wird, entsprechend dem binären DifferenzSystem eben ein Mädchen und kein Junge ist (vgl. dazu auch These T1 des Alltagswissens). Des Weiteren impliziert die Aussage, dass das Kind in seinem späteren Leben einen Menschen männlichen Geschlechts begehren wird, dass es wahrscheinlich in der Zukunft die Verantwortung für Kinder und Haushalt zu übernehmen hat und dass es z.B. über bestimmte körperliche Fähigkeiten signifikant weniger verfügen wird, als Altersgenossen der entgegengesetzten Kategorie34 usw. Mit dem Benennen des »Mädchens« wird ein Prozess angestoßen, »mit dem ein bestimmtes ›Zum-Mädchen-Werden‹ erzwungen wird« (KvG, S. 318), sodass das Individuum quasi genötigt ist, diejenigen diskursiven Normen, die mit dem Konzept des weiblichen Geschlechts verbunden sind, anzuerkennen, sie immer wieder zu zitieren und zu wiederholen, »um sich als lebensfähiges Subjekt zu qualifizieren« (KvG, S. 318) und soziale Bedeutung zu erlangen. Die pure Möglichkeit, Subjekt sein zu können, zeigt sich hier in einer »grundlegenden Abhängigkeit von einem Diskurs, den wir uns nicht ausgesucht haben, der jedoch paradoxerweise erst unsere Handlungsfähigkeit ermöglicht und erhält.« (PdM, S. 8) Die diskursiv hervorgebrachten, idealtypischen Normen bestimmen, was »weiblich« ist und münden in konkreten Handlungsweisen, die das Subjekt intelligibel machen – sofern das Individuum sich nach der (unterwerfenden) Anrufung umwendet und – in dieser Umwendung – die Normen anerkennt. Hier zeigt sich noch einmal, dass das Konzept der Anrufung und die dadurch angestoßene Subjektwerdung existentiell mit einer responsiven Dimension verbunden ist. Dies gilt insbesondere, weil ein Subjekt durch Andere in der sozialen Praxis nur dann anerkannt werden kann, wenn es sich selbst innerhalb des Möglichkeitsraumes der diskursiven Normen situiert, sich also den Normen, die an es herangetragen werden, unterwirft, indem es diese als handlungsleitend anerkennt. Nur wenn sich die angerufene Person umwendet, d.h. die Anrufung annimmt und sich den an sie herangetragenen Normen

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Iris Marion Young hat bereits Ende der 1970er Jahre in ihrer phänomenologischen Analyse zur weiblichen Körperbewegung und Räumlichkeit diskutiert, warum Mädchen ab einem bestimmten Alter die Fähigkeit, einen Ball zu werfen, im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen »verlieren«. (vgl. Young, 1980)

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unterordnet, findet das dialogische Geschehen seinen produktiven Abschluss: D.h. Anerkennung ereignet sich innerhalb eines Verhältnisses zwischen Subjekten »in einem Antwortgeschehen« (Flatscher und Pistrol, 2018, S. 111). Entsprechend sind – innerhalb des Prozesses der Anrufung und Umwendung – die Normen »untrennbar mit Anreiz und Konsens verbunden« (do Mar Castro Varela und Dhawan, 2018, S. 128). Konformität wird mit einer intelligiblen Subjektposition »belohnt«, Abweichung und Devianz mit Ausschluss bestraft. Um eine Geschlechtsidentität haben zu können, ist das Individuum also einerseits dazu aufgerufen, diese in der sozialen Interaktion darzustellen, um »durch das Wirken von Normen anerkennbar« zu werden (KeG, S. 48). Andererseits sind Individuen simultan darauf angewiesen, dass diese Darstellung von anderen Subjekten in der Praxis entsprechend gedeutet, verstanden und anerkannt wird. Durch den Bezug auf die Normen, »die dem Subjekt innerhalb des ontologischen Feldes einen Raum eröffnen« (KeG, S. 18), sucht es sich »anerkennbar zu machen« (KeG S. 50) und erlangt seinen Subjektstatus innerhalb eines Beziehungsgeschehens mit anderen. Entscheidend für die Subjektwerdung sind also »[s]owohl die gesellschaftlichen Normen als auch die Adressierung bzw. die Anerkennung durch den und die Andere(n)« (Balzer, 2014, S. 506). Wobei diese Anerkennung wiederum nur in Abhängigkeit von und im Rückgriff auf normative Vorgaben möglich ist, die den Möglichkeitsraum intelligibler Subjektpositionen markieren und bestimmen »wer oder was überhaupt und mit welchen Mitteln als Subjekt der Anerkennung in Frage kommt.« (Flatscher und Pistrol, 2018, S. 113). All diejenigen Positionen, die sich innerhalb der Grenzen des Möglichkeitsraumes befinden, implizieren aber gleichzeitig und notwendigerweise ein »konstitutives »Außen« (KvG, S. 30), d.h. einen Ort derjenigen Formen, denen als Verwerfungen »die Möglichkeit kultureller Artikulation regelrecht verwehrt wird« (KvG, S. 30), die aber gleichzeitig als Negativfolie die Grenzen des Möglichen setzen und stabilisieren.35 In der Konstruktion der intelligiblen Geschlechter wird also das Verworfene, das Undenkbare simultan mit hergestellt. Allerdings ist an dieser Stelle zentral festzuhalten, dass dieses Außen nicht in einem absoluten Sinne zu verstehen ist:

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»Die Konstruktion des Geschlechts arbeitet mit den Mitteln des Ausschlusses, und zwar so, daß das Menschliche nicht nur in Absetzung gegenüber dem Unmenschlichen produziert wird, sondern durch eine Reihe von Verwerfungen, radikalen Auslöschungen, denen die Möglichkeit kultureller Artikulation regelrecht verwehrt wird.« (KvG, S. 30)

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»Denn es gibt zwar ein ›Außen‹ gegenüber dem, was vom Diskurs konstruiert wird, aber es handelt sich dabei nicht um ein absolutes ›Außen‹, nicht um ein ontologisches Dortsein, welches die Grenzen des Diskursiven hinter sich läßt oder ihnen entgegensteht;« (KvG, S. 30) Das Verworfene wird von Butler also nicht in Opposition zu den diskursiven Konstruktionen gedacht, sondern als immer in Abhängigkeit vom Diskurs, sodass es streng genommen keinen »einfachen Rahmen oder eine deutliche Grenze« (Babka, 2007, S. 30) bildet, sondern nur »in bezug [sic!] auf diesen Diskurs gedacht werden kann, an dessen dünnsten Rändern und als dessen dünnste Ränder.« (KvG, S. 30) Jedes Anerkennungsgeschehen ist also insofern ein »Ort der Macht« (MdG, S. 11), als es konstitutiv von verworfenen Positionen und Ausschlüssen begleitet wird, die an den Außengrenzen des Möglichkeitsraumes oszillieren. Identität und innere Kohärenz des Subjekts – also Intelligibilität – kommen nur vor dem Hintergrund von Ausschlüssen zustande (Bublitz, 2002, S. 70; Butler, 2014a, S. 30), sodass Anerkennung und »Anerkennbarkeit […] Bedingung[en] der Subjektwerdung« darstellen (Posselt, Schönwälder-Kuntze und Seitz, 2018, S. 15). Die Grenzen des Verstehbaren werden in diesem Zusammenhang dadurch gebildet, dass die verworfenen Optionen jeweils das konstitutive Außen des Subjekts bilden und die Kategorie des »Normalen« definitorisch umgreifen. Pathologisierungen sind also in der Subjektwerdung als notwendig mitzudenken, insofern es ohne sie überhaupt keine Subjekte geben kann: »[…] denn die Konstruktion des Menschlichen ist ein differentieller Vorgang, der das mehr oder weniger ›Menschliche‹, das Unmenschliche und das menschlich Undenkbare erzeugt. Diesen ausgeschlossenen Orten fällt die Rolle zu, das ›Menschliche‹ als dessen konstitutives Außen zu begrenzen und diese Grenzen als andauernde Möglichkeit ihrer Durchbrechung und Reartikulation heimzusuchen.« (KvG, S. 30) Wir brauchen Normen einerseits »um leben zu können, und gut leben zu können« (MdG, S. 327). Andererseits können Normen nur als gemeinschaftsstiftendes Bindeglied funktionieren, indem sie abweichende Verhaltensweisen und Subjektpositionen exkludieren und delegitimieren. Wenn also davon ausgegangen wird, dass die Normen das diskursive Feld der Möglichkeiten strukturieren, ist es allerdings wichtig festzuhalten, dass kein deterministisches Verhältnis besteht zwischen den regulierenden Normen und den möglichen Subjektpositionen, die von Individuen eingenom-

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

men werden können: Konstituiert zu sein bedeutet nicht dasselbe wie determiniert zu sein (UdG, S. 210) – das Subjekt erweist sich als nicht »von seinen Konstruktionen« KvG, S. 177) festgelegt. Innerhalb des Prozesses der Subjektivation bleiben die Normen »kontingent und offen für Umgestaltungen« (Flatscher und Pistrol, 2018, S. 114). Wie eine solche grundsätzliche Veränderbarkeit aussehen kann und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wird in den folgenden Abschnitten noch weiter thematisiert werden.

3.3.3

Identitätsbildung – »Geschlecht« als ein Modus der Subjektwerdung

Durch die vorhergehende Analyse auf der Mesoebene der Praxis wird vorstellbar, wie man sein Geschlecht nicht von Natur aus ›hat‹ oder als Subjekt zu seinem Geschlecht ›gemacht wird‹ (so, wie es das berühmte Zitat von de Beauvoir zunächst impliziert), sondern wie man vielmehr an der Herstellung seines Geschlechts in immer wiederkehrenden, unablässigen performativen Prozessen der Interaktion selbst aktiv beteiligt ist. In der Folge ist die Subjektwerdung und das damit verbundene beständige Herstellen (das »machen«) von Geschlecht ein Vorgang wiederholender Konstitution, der in Prozessen bzw. durch »eine stilisierte Wiederholung von Akten« (Butler, 2015b, S. 302) stattfindet. Dabei ist – diese Einsicht lässt sich aus der Analyse der Makroebene an diese Stelle übertragen – die Zugehörigkeit zu den zur Verfügung stehenden intelligiblen Subjektpositionen nicht voluntaristisch und beliebig wählbar. Weder sind die besetzbaren Kategorien frei gestaltbar, noch lässt sich die Wahl einfach rückgängig machen oder verändern, im Sinne eines »Geschlechts«, das man an einem Tag auf die eine Weise frei wählt und zu einem anderen Zeitpunkt eben auf eine andere36 . Die Geschlechtskategorie, der ein Individuum angehört, ist nicht arbiträr und wechselbar wie ein Hemd, eine Hose oder ein Rock – vielmehr gibt es innerhalb des kulturell-geschichtlich geprägten Rahmens bestimmte »Möglichkeitsräume«, innerhalb derer die hergestellten Subjektformen intelligibel sind.

36

Auf dieses dezisionistische Missverständnis im Blick auf den Konstruktivismus von Geschlecht macht auch Hirschauer aufmerksam, wenn er dafür argumentiert, dass sozial Konstruiertes eben nicht »›irreal‹ und dem individuellen Belieben anheimgestellt« (Hirschauer, 1993, S. 56, 1995, S. 69) ist.

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Nimmt man diese beiden Elemente zusammen, so zeigt sich diese Subjektwerdung als »paradoxe Bewegung« (Distelhorst, 2007, S. 31), die sich einerseits von diskursiven Normen bestimmt erweist, gleichzeitig aber genau diese Normen, die ihre Konstruktionsbedingungen darstellen, erst im Prozess der Subjektwerdung hervorbringt. Zwischen Normen und Subjekt besteht also eine notwendige und enge Verbindung, die verdeutlicht, dass Subjekte insofern von der Macht der Diskurse abhängig sind, als sie erst durch Unterwerfung unter die Norm hervorgebracht werden. Butler setzt zur Analyse und Beschreibung dieses Prozesses den Begriff der »Subjektivation« ein, den sie in Rückbindung an Foucault entwickelt und als »den Prozess des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich den Prozess der Subjektwerdung« (PdM, S. 8) interpretiert. So verstanden betont die Subjektivation den stets prekären Status des Subjekts, der in der Wechselseitigkeit von Autonomie und Unterwerfung nie zur Vollendung kommt, sondern immer nur vorläufig bleibt. (vgl. Distelhorst, 2007, S. 258ff.) In einem gewissen Kontrast dazu steht das Konzept der Subjektivierung, welches im Anschluss an Hegel zu verorten ist und eher dynamisch zu denken wäre, insofern es unter anderem mit dem Konzept der Anerkennung Praktiken einbezieht, die die Subjekte explizit adressieren. Wichtig erscheint mir an diesem Punkt, dass die beiden Theorieansätze, die sich mit den Begriffen der Subjektivation bzw. der Subjektivierung fassen lassen, sich nicht grundsätzlich gegenseitig ausschließen müssen. Vielmehr scheint es sinnvoll, beide Aspekte – Subjektivierung und Subjektivation – als Facetten desselben Geschehens auf unterschiedlichen Analyseebenen zu lesen. Während sich die Subjektivierung auf der Mesobene konkreter Interaktionen und des Doing Gender nicht nur auf Alltagspraktiken fokussiert, um die je kulturell und historisch kontingenten Subjektformationen zu produzieren, sondern auch insbesondere die intersubjektive Perspektive über die Heuristik der Anerkennung in ihrem subjektivierenden Effekt in den Blick nimmt, lässt sich auf der Mikroebene des Subjekts der Aspekt der Subjektivation in den Vordergrund rücken. In einem ersten, noch zu explizierenden Entwurf lässt sich die Kernidee wie folgt zusammenfassen: Individuen werden zu Subjekten, weil und indem sie sich Normen unterwerfen, welche wiederum durch ihren performativen Charakter eine subjektkonstitutive Dimension aufweisen. Die Unterwerfung geschieht durch Zitation. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, wird in den folgenden Abschnitten expliziert. Zunächst zum Aspekt der Unterwerfung im Prozess der Subjektivation: Jedes Aufrufen von Normen in konkreten Interaktionen muss als eine Zitati-

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

on bereits bestehender, kulturell-historisch sedimentierter gemeinsamer sozialer Standards für das Sprechen, Handeln, und Denken verstanden werden. Diese Standards zeigen sich in unserer Gesellschaft vor der Hintergrundfolie der heterosexuellen Matrix und werden unter anderem in den drei Thesen zum Alltagswissen über Geschlecht als quasi-gegeben vorausgesetzt. Sie umgreifen den Möglichkeitsraum – ein »framework of intelligibility« (Brady und Schirato, 2011, S. 47) –, der im Prozess der Subjektivation festlegt, »in welcher Form Individuen als Subjekte anerkannt werden« (Meißner, 2012, S. 13) und welche Formen als nicht intelligibel verworfen werden und »bilden [so] den Gegenstand für Identifikation und Unterwerfung. Ohne Normen kein Subjekt« (von Redecker, 2011, S. 51). Es ist in diesem Sinne, dass Normen Handlungscharakter haben: »Normen ›handeln‹ […] in spezifischer Weise, indem sie ein lebendiges Wesen zu einem anerkennbaren Subjekt machen.« (RdK, S. 13) Allerdings, und das scheint mir die zentrale Pointe an dieser Stelle zu sein, sind die Normen für ihr eigenes Fortbestehen gleichzeitig darauf angewiesen, dass sie im Prozess der Subjektivation überhaupt zitiert werden. Wenn sich kein Mensch der Norm unterwirft, verliert sie ihre Wirkmächtigkeit und verschwindet gleichsam aus der Struktur des Möglichkeitsraums in die Bedeutungslosigkeit. Normen behalten ihren normativen Charakter nur so lange und insofern sie zum Zweck der Selbststilisierung konsultiert und zitiert werden. Sie funktionieren also nur für die Dauer, die »sie sich in wiederholten Einschreibungen bewähren; sie bedürfen der ständigen Zirkulation, um ihre Hegemonie zu festigen« (Flatscher und Pistrol, 2018, S. 114). »Thus, the arrival of a subject takes place within a network of meaning that has a long and established history of citation – where any citation echoes past citations.« (Brady und Schirato, 2011, S. 47). Hier zeigt sich, neben dem ko-konstitutiven Verhältnis von Normen und Subjekten, der performative Charakter von Normen in einer doppelten Weise. Zum einen, weil sie eben nur dadurch Gewicht haben, »dass sie performiert, d.h. in sprachlichen und körperlichen Praktiken, Verhaltensweisen und Handlungen aufgerufen, inszeniert und zitiert werden« (Wieder, 2019, S. 267); zum anderen, weil sie selbst performative Effekte hervorrufen, insofern sie im Prozess der Subjektivation die Subjekte nicht nur regulieren sondern zugleich konstituieren. Mit dem Begriff der Performativität wird also auf den Handlungscharakter der diskursiv geprägten Normen verwiesen. Er liefert eine Antwort darauf, woher die Normen eigentlich die Macht erhalten, tatsächlich – und in einem außersprachlichen Sinne – zu erzeugen, wovon sie lediglich sprechen. (vgl. Rose und Koller, 2012, S. 87) Butler konzeptioniert, im Rückgriff auf J.

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L. Austins Sprachphilosophie und seine Überlegungen zur performativen Dimension von Sprechakten, genau diesen Handlungscharakter. Sein Werk How to Do Things with Words verweist mit dem Begriff der Performativität auf die handlungspraktische Dimension des Sprechens und zeigt auf, dass Sprache durchaus handeln kann, indem sie diejenige Wirkung erzeugt, die im Sprechakt benannt wird. Sätze, wie der auf dem Standesamt geäußerte » … und hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau …«, erweisen sich, auch wenn sie »[a]n der Oberfläche […] das Aussehen – oder jedenfalls die grammatische Politur – von »Aussagen« (Austin, 2015, S. 63) haben, als etwas anderes: Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass Sätze dieser Art keine Beschreibung, kein Bericht über z.B. eine Heirat sind, keine Aussagen, die wahr oder falsch sein können37 . Aussagen dieser Art tun etwas: Sie vollziehen die Handlung, die sie benennen: »Eine performative Handlung ist eine solche, die das, was sie benennt, hervorruft oder in Szene setzt« (FsL, S. 123f.). Mit Blick auf die Szene im Standesamt greift der Sprechakt modifizierend in die Realität ein, weil die Ehe des Hochzeitspaares erst durch den Sprechakt des*der Standesbeamt*in hervorgebracht wird. D.h. in der performativen Dimension des Sprechens »bekommen die Worte [eine] Kraft zur Veränderung von Welt- und Beziehungszuständen« (Krämer, 2017, S. 242). Genauso verhält es sich mit den Normen in Prozessen der Subjektivation. Dadurch, dass sie von Subjekten in der Unterwerfung zitiert und aufgerufen werden, konstituieren sie diese. Wenn aber das Subjekt erst im Prozess der Unterwerfung unter Normen hervorgebracht wird und wenn dieser Prozess gleichzeitig die Norm erst durch Zitation hervorbringt, wird deutlich, dass sich das klassische Subjektverständnis, das einen rationalen Akteur voraussetzt, der sich mit guten Gründen und autonom für die Übernahme von Normen entscheidet, als Fiktion erweist: Schließlich sind es die Normen, die den strukturellen Rahmen des Lesbaren eröffnen und gleichzeitig begrenzen und die die Subjekte produzieren, indem sie regulierend in die sozialen Interaktion eingreifen. Auf diese Weise entwickelt Butler eine neue Lesart des Subjekts jenseits der humanistischen Konzeption: Es wird nicht mehr als mit sich selbst identisch und mit einer vorgängigen Substanz ausgestattet verstanden (Meißner, 2008, S. 8), sondern neu als »postsouverän« (Villa, 2012, S. 38) begründet. Subjekte sind »niemals vollständig konstituiert« (Butler, 1993b, S. 45) sondern werden 37

Einen Wahrheitswert zu haben (wahr oder falsch im Rahmen einer zweiwertigen Semantik) wird von Austin als »typisches Merkmal« von Aussagen betrachtet. (Austin, 2015, S. 63)

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

nun gelesen als diskursive Konstruktionsbedingung, als »sprachliche Kategorie […], als Platzhalter, als in Formierung begriffene Struktur« (PdM, S. 15) und gleichzeitig als Effekt der Unterwerfung unter Normen: »Es gibt kein Subjekt vor seinen Konstruktionen« (KvG, S. 177). Das bedeutet, dass sie sich nicht mehr als gegebene Substanzen denken lassen, sondern »immer nur [als] vorläufiger Effekt diskursiver Dynamiken« (Villa, 2012, S. 44). Entsprechend müssen Subjekte prozessual gedacht werden, wobei – wie oben bereits dargelegt – Zitation und Wiederholung (Iterabilität) der Normen maßgebliche Funktionen der Subjektwerdung darstellen; das Subjekt wird in Unterordnung gebildet und gleichzeitig ist die Unterordnung »fortgesetzte Möglichkeitsbedingung seiner Existenz« (PdM, S. 13). Subjektivation ist also ein Vorgang wiederholender Konstitution, in dem Geschlecht durch das Zitieren von Normen beständig und immer wieder hergestellt wird. Dabei werden unterschiedliche Modi der Zitation eingesetzt: Mit Hilfe von Sprache, Bewegungen, aber auch über den Einsatz von Artefakten (z.B. über die Art und Weise und den Stil, wie man sich kleidet, über Körperpraktiken oder auch über den Gebrauch von Gegenständen, Maschinen, Möbeln etc.) werden Normen aufgerufen, wiederholt und bestätigt. Dabei dürfen sich die Zitationen, um weiterhin intelligible Subjektpositionen markieren zu können, nicht zu weit von der historisch etablierten Reihe entfernen. Denn Normen können nur durch beständige Zirkulation funktionieren und ihre Hegemonie stabilisieren. Allerdings liegt es in der Natur des Zitierens, dass das Zitat niemals identisch sein kann mit dem Zitierten. Tatsächlich entsteht durch den Prozess der Wiederholung immer eine Differenz, sodass »Veränderung und Alternation Teil des Prozesses der »Performativität« sind« (FsL, S. 123). Schließlich findet jede konkrete Praxis, jeder Prozess der Interaktion in einem veränderten Kontext und zu einer anderen Zeit statt. Aufgrund dieser inhärenten »Unsicherheit« können performative Akte, wie sie die Subjektivation darstellt, gelingen oder auch misslingen: Ob das Urteil eines Richters zum Beispiel tatsächlich etwas tut, ist abhängig davon, ob es sich auf geltende kulturelle Konventionen stützt: Der Sprechakt ist dann gelungen, wenn er in gewisser Weise ritualisiert ist, d.h. wenn er »eine ihm in der Zeit vorausliegende Handlungsfigur wiederholt, also ›zitiert‹.« (Krämer, 2017, S. 251) »Tatsächlich erlangt der Sprechakt des Richters seine bindende Kraft durch die Anführung [d.h. durch das Zitieren; JK] von Konventionen.« (KvG, S. 310). Zitation und Wiederholung sind also maßgebliche Funktionen performativer Prozesse, performative Akte ihrem Wesen nach »immer schon Imitation« (Villa, 2012, S. 77). In diesem Sinne ist Geschlecht als Identität

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performativ, bestehend aus »wiederholte[n] Darbietungen« (UdG, S. 206); eine endlose Aneinanderreihung von performativen Akten, die immer wieder Normen aufruft, zitiert und wiederholt, ohne je ein für alle Mal abgeschlossen zu sein. Dabei gibt es kein vorgängiges ›Original‹ der Geschlechtsidentität, auf das die Individuen im Prozess zurückgreifen könnten. Geschlecht als Identität ist keine Kopie eines Originals, sondern verbindet, und das ist an dieser Stelle der springende Punkt, Wiederholung mit Andersheit: »Es gibt kein Kriterium für die Identität dessen, was jeweils wiederholt wird« (Krämer, 2017, S. 226), weswegen immer ein Spalt bleibt, der offen ist für Bedeutungsverschiebungen und Veränderbarkeit, insofern Wiederholungen und Zitate anfällig bleiben für ein Misslingen. Genauer gesagt ist »innerhalb der Performativität, der praktisch bestätigenden Wiederholung, immer ein Moment der Nicht-Übereinstimmung aufbewahrt« (Rose und Koller, 2012, S. 92), und damit grundsätzlich auch die Möglichkeit einer Veränderung gegeben38 . Auf diese Weise konstituiert zu sein bedeutet »hervorgebracht [zu] werden, und zwar innerhalb eines gegebenen Macht- und Diskursgeflechtes, das für Umdeutung, Wiederentfaltung und subversive Zitate […] offen ist« (FsL, S. 125), sodass der Möglichkeitsraum intelligibler Subjektstellen zwar einerseits vorgegeben ist, diese aber nicht festgeschrieben oder fixiert sind, sondern durch Re-Iteration grundsätzlich veränderbar bleiben. D.h. der Bedeutungsrahmen ist zwar schon immer gegeben und dem Prozess in gewisser Weise vorgängig, wird aber gleichzeitig erst durch den Prozess – durch das Echo der Zitationen – aufrechterhalten und weiterhin »erzwungen«. Er kann aber, dadurch, dass jedes Zitat immer sowohl Abweichungen als auch Veränderungen bereits in sich trägt, durchaus verschoben werden, wenn auch nicht beliebig. Die Verbindung zwischen Norm und Subjekt ist also keine deterministische, ebenso wenig wie sie voluntaristisch ist. Auf den ersten Blick mag es naheliegen, die konstituierenden Praktiken der Mesoebene in einem theater-metaphorischen Sinn zu verstehen: Das Individuum betritt, einem*einer Schauspieler*in gleich, die Bühne, um das eigene Geschlecht – wie eine Rolle

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Genau genommen wird bei Butler, im Rückgriff auf Derridas Begriff der »Iterabilität«, das Performativ in seiner wirklichkeitskonstituierenden Wirkung mit Wiederholung und gleichzeitig mit Andersheit verbunden. Anders als Austin, dessen KontextVerständnis ein deterministisches ist, setzt Butler auf die Kontingenz und die Möglichkeit verschiebender »Resignifikation« (UdG, S. 212) als Heimat von subversiven Potentialen.

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

– darzustellen. Diese Metapher, die es in der Butler-Rezeption zu einer gewissen Prominenz gebracht hat, führt allerdings zu einem folgenschweren Missverständnis: Denn wird sie auf diese Weise gedacht, gleicht die Herstellung von Geschlecht eher einer künstlerischen Performance39 , was mindestens zwei Schlussfolgerungen impliziert: Erstens mag man davon ausgehen, dass der*die Künstler*in den jeweiligen Akt bzw. den Inhalt und die Form der jeweiligen Performance frei und selbst auswählt. Zweitens, und dies folgt konsequenterweise aus dem ersten Gedanken, scheint diese Art der Performance ein handelndes, autonomes Subjekt vorauszusetzen (Posselt, 2018, S. 47), das in einem vorgängigen Akt den Inhalt und die Form der Darbietung für sich bestimmt und festlegt. Im Gegensatz dazu bestreitet der Begriff der Performativität, so wie er mit Butler zu verstehen ist, aber gerade die Vorstellung eines autonomen, intentional handelnden Subjektes: »Meine These ist […], daß es keinen »Täter hinter der Tat gibt«, sondern daß der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.« (Butler, 2014a, S. 209) Ein »voluntaristisches Subjekt […], das ganz unabhängig von den regulierenden Normen existiert« (Butler, 2014b, S. 39), ist als Effekt, als Fiktion zu verstehen. Geschlecht ist also keine frei gewählte Rolle, die Subjekte, vergleichbar mit Schauspieler*innen, auf der »Bühne« der sozialen Interaktion aufführen und die in der Auslegung der Bedeutung beliebig wäre40 . So, wie es vollkommen sinnlos wäre, die Lautkombination »quackilmen« auszusprechen, um zu behaupten, man habe damit nun eine Bedeutung geschaffen, ist es unmöglich, sinnhaft von außen in einen Diskurs einzutreten, ohne bereits von diesem Diskurs mitgeprägt zu sein. (vgl. Villa, 2011a, S. 157)

39

40

In diesem Zusammenhang scheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Begriff des »Performativen« auch als Kernbegriff der Theaterwissenschaften fungiert, dort aber in einem anderen Diskurszusammenhang zu sehen ist, der m.E. keinen direkten Verweis auf Austin oder Butler zulässt, sondern in der Nähe der Performanz-Debatte angesiedelt ist. Dort geht es nicht so sehr um die wirklichkeitskonstituierende Wirkung, sondern um das Verhältnis zwischen Text und Aufführung. In einer gewissen Weise lässt sich das Bild von der theatralen Aufführung allerdings doch lesen, ohne über die aufgezeigten Missverständnisse zu stolpern, nämlich dann, wenn man die Analogie auf die jeweilige Situation auf der Bühne beschränkt. Von Redecker (von Redecker, 2011, S. 55) rekonstruiert die Metapher in der Weise, dass sie den Blick auf die Figuren lenkt, die »auf der Bühne« entstehen, gerade dadurch, dass Schauspieler*innen einen Text zitieren, der selbst auf »solche Manifestation angewiesen« ist. Analog ließe sich dieses Bild auf Normen und Subjekte übertragen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

3.4

Querschnitt, Kritik und Ausblick

In der Zusammenschau lässt sich festhalten, dass Geschlecht als soziale Kategorie und als zentrales Element der Identitätsbildung keine natürliche Basis oder »Essenz« hat, sondern von Individuen in beständig zu wiederholenden Prozessen der Interaktion hergestellt werden muss. Geschlecht lässt sich auf mindestens drei verschiedenen Ebenen des Sozialen analysieren – sodass auf jeder Stufe jeweils spezifische Elemente in den Vordergrund treten. Zeigen sich auf der Makroebene der Ordnung vor allem die diskursiv geprägten Normen, die den Bereich des Sozialen strukturieren, verschiebt sich der Fokus auf der Mesoebene der Praxis hin zum dialogischen Geschehen der Herstellungsprozesse. Auf der Mikroebene des Subjekts schließlich rückt die Identitätsbildung durch Subjektivation in den Fokus, die den performativen Charakter der Normen in den konkreten Konstruktionspraktiken erhellt und die produktive Dimension der Macht noch einmal pointiert. Konstruktionsprozesse, in denen Geschlecht hervorgebracht wird, sind also normativ bestimmt, wobei sich der Bereich des Diskursiven, in dem die Normen gleichsam »aufgehoben« sind, durch hegemoniale Verhältnisse strukturiert zeigt: Die heterosexuelle Matrix findet ihren Ausdruck darin, dass innerhalb der Konstruktionsprozesse die Intelligibilität des Geschlechts »als Teil einer ontologisierten Geschlechterdifferenz konfiguriert« (Villa, 2011a, S. 254) wird. Dabei sind es nicht der Konstruktion vorgängige Subjekte, die sich das Geschlecht in einem Akt freier Entscheidung einfach aneignen, sondern es werden in performativen Akten die entsprechenden Normen so instantiiert, dass in ihnen »beide, die Subjekte und die Normen eigentlich ihr Dasein haben.« (von Redecker, 2011, S. 55) Es ist diese konstitutive Gleichzeitigkeit von Normen und intelligiblen Subjekten im Prozess der Geschlechtskonstruktion, die dafür sorgt, dass der Gedanke des universalen »modernen humanistischen Subjekts« (Meißner, 2008, S. 16) verworfen werden muss. Subjekte sind von Fragilität und Vulnerabilität geprägt, insofern sie (1) beständig darauf angewiesen sind, prozessual konstituiert zu werden, sich also dauerhaft in Konstruktion befinden, und (2) dieser Prozess der Subjektwerdung durch die Zitation und Re-Iteration von Normen in sich schon immer eine Möglichkeit des Scheiterns birgt. Überlegungen, die derart radikal auftreten und sich in direkte Konfrontation mit dem bestehenden Alltagswissen über Geschlecht begeben, sind natürlicherweise – auch bisweilen scharfer – Kritik ausgesetzt. Im Folgenden

3 »Geschlecht« als umfassende Konstruktion

möchte ich zwei zentrale Stränge in aller Kürze rekonstruieren und auf entsprechende Gegenargumente eingehen. Der erste Kritikpunkt bezieht sich auf den Aspekt der Diskursivität in Butlers Ausführungen und tritt mit dem Vorwurf des linguistic monism (vgl. Vasterling, 1999) an die theoretischen Überlegungen heran: Wenn Diskurse derjenige Ort sind, an dem soziale Wirklichkeit vornehmlich konstituiert und konstruiert wird, ist dann alles eigentlich nur Text? Kommt es zu einer »Dematerialisierung menschlicher Existenz« (Distelhorst, 2007, S. 42)? Butler selbst ist vor allem immer wieder auf diejenigen Vorwürfe eingegangen, die ihr einen linguistischen Monismus unterstellen. Ihre Entgegnung lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: Die Annahme, dass Sprache und Diskurs das Subjekt konstituieren, bedeutet nicht, dass man gleichzeitig annimmt, das Subjekt sei vollständig durch Sprache determiniert. (vgl. KvG) Eine derartige Engführung basiert auf einem falschen Verständnis des radikalen Konstruktivismus, insofern Butlers Ideen gar nicht auf ontologische Aussagen über die Wirklichkeit abzielen, sondern primär die erkenntnistheoretische Zugänglichkeit von diskursiven Körpern thematisieren. Der zweite Punkt, der vor allem in einer lang anhaltenden Kontroverse mit Nancy Fraser, Seyla Benhabib und Drucilla Cornell thematisiert und diskutiert wurde (vgl. Benhabib et al., 1993), stellt den potentiellen Verlust der sozialen Handlungsfähigkeit des Subjekts in das Zentrum der Kritik. Wie soll ein Subjekt die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zum Handeln haben, wenn es von einem Diskurs konstituiert ist? (vgl. Benhabib, 1993, S. 109) »Was befähigt das Selbst, die Geschlechtercodes zu ›variieren‹, hegemonischen Diskursen zu widerstehen?« (ebd). Und wie ist Handlungsfähigkeit denkbar, wenn es gar kein vorgängiges Subjekt, keinen Handlungsträger gibt? Auch diese Frage lässt sich mit dem Verweis auf die paradoxe Bewegung der Subjektivation als Unterwerfung und Erzeugung beantworten. Für Butler steht die Subjektivation als Konstitutionsprozess des Subjekts »nicht im [notwendigen] Gegensatz zur Handlungsmöglichkeit« (UdG, S. 216), sondern stellt »deren notwendige Bühne [dar], die Bedingungen, in denen sich die Handlungsmöglichkeit artikuliert« (ebd.). Auf diese Weise lässt sich das Subjekt in seiner Ambivalenz »sowohl als Effekt einer vorgängigen Macht wie als Möglichkeitsbedingung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit« (PdM, S. 19) lesen. Durch die Zitation in immer wiederkehrenden Konstruktionszusammenhängen sind Subjekte als prekär und schwankend zu denken, sodass sie niemals vollständig hergestellt oder vollständig determiniert sind.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Ausgehend von der vorhergehenden Analyse der Kategorie »Geschlecht« als radikal konstruiert, die sich auf drei verschiedenen Ebenen des Sozialen in jeweils unterschiedlichem Gewand zeigt, wird es in den folgenden Überlegungen darum gehen, welche Rolle verschiedene Kommunikationsmedien in den Akten der Konstruktion spielen. Eine der zentralen Thesen, die dieser Arbeit zugrunde liegt, geht davon aus, dass die Zitation der Norm nicht nur – wie in der breiten Butler-Rezeption oft angenommen – sprachlich geschieht, sondern durch verschiedene Zeichensysteme umgesetzt kann. Nicht nur performative Sprechakte prägen die Art und Weise wie Geschlecht konstruiert wird; auch in visueller Kommunikation und in praktischen Vollzügen werden bestimmte Vorstellungen und Muster der Geschlechterkategorien immer wieder aufgegriffen und wiederholt, die als zunächst unsichtbare Bedeutungen und Werte in die Oberfläche von gestalteten Gegenständen eingeschrieben sind. Um diesen Aspekt im Detail erklären und begründen zu können, sind sowohl zeichen- wie auch design-theoretische Überlegungen anzustellen und mit der Denkfigur der Performativität zu verschränken.

4 Designtheoretische Überlegungen

Normen, so die Annahme, können nicht nur – so wie es u.a. von Butler beschrieben wird – durch performative Sprechakte zitiert, wiederholt und materialisiert werden. Zitation und Re-Iteration kann ebenso im Rückgriff auf andere Zeichensysteme stattfinden. Ein solches Zeichensystem, so eine der zentralen Thesen dieses Kapitels, stellen gestaltete Artefakte dar. Sie verfügen über eine kommunikative Funktion, die auf eine noch näher zu bestimmende Weise Vorstellungen, Handlungsmöglichkeiten und Fiktionen übermittelt sowie diskursiv geprägte Normen in ihrer und über ihre Oberfläche zitieren. Auf diese Weise, so ließe sich schlussfolgern, haben sie einen prägenden Einfluss auf die Konstruktion und Konstitution von Geschlecht und damit auch von Subjekten. Mit dem Ziel, die These der Konstruktion von Geschlecht durch DesignObjekte zu erarbeiten, zu begründen und zu verteidigen, sind zunächst einige vorbereitende Überlegungen notwendig. Zu Beginn des Kapitels geht es deshalb zunächst um eine erste Annäherung an einen angemessenen DesignBegriff. Dabei werde ich mich, um einen systematischen Zugang zum Design zu erarbeiten, an Daniel M. Feige (Feige, 2019) orientieren, bei dem Design auf verschiedenen, sich jeweils ergänzenden, Ebenen beleuchtet wird. Neben der historischen, der handlungstheoretischen und der anthropologischen Perspektive sind im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit die ästhetische und die symboltheoretische Perspektive von herausragender Bedeutung, weswegen insbesondere die letzten beiden in den vorliegenden Überlegungen eine etwas ausführlichere Ausarbeitung erfahren. Im Anschluss an die Entwicklung eines Design-Begriffs folgen dann in einem zweiten Schritt einige allgemeine Überlegungen zur Zeichentheorie. Denn wenn aus dem ersten Abschnitt folgen soll, dass gestaltete Artefakte (auch) über kommunikative Funktionen verfügen, so braucht es, um diese auf angemessene Weise analysieren zu können, entsprechende Werkzeuge.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Nur so lässt sich »ein Verständnis der verschiedenen Referenz-Beziehungen und Dimensionen« (Steffen, 2000, S. 24), über die Design-Objekte verfügen, überhaupt entwickeln. Aus der Vielzahl existierender Modelle und Systeme innerhalb der Semiotik, mit denen sich derartige kommunikative Funktionen abbilden und analysieren lassen, ist für diese Arbeit insbesondere die triadische Zeichenrelation von Charles Sanders Peirce von Gewicht, nicht zuletzt, weil sie innerhalb der Designtheorie bereits eine breite Rezeption erfahren hat. Da sie unter anderem die Grundlage der meisten designsemantischen Ansätze – zu nennen wären hier z.B. die Theorien der Product Semantics, der Design Semantics oder auch der Offenbacher Ansatz – darstellt, werde ich diesen Ansatz in diesem Abschnitt in seinen Grundzügen skizzieren. In einem dritten Schritt, noch vor der Rekonstruktion der Theorie der Produktsprache, wird die Idee des Design-Objekts als Zeichen wiederum aufgegriffen und in zwei ergänzenden Perspektiven untersucht. Kernanliegen dieser Überlegungen ist eine Rekonstruktion möglicher Semantisierungsprozesse, durch die Bedeutung »in« die Artefakte gelangt und – damit verknüpft – eine Beschreibung gestalteter Gegenstände als sogenannte Compound-Zeichen, die eher als vielschichtige Zeichenverbindung gelesen und interpretiert werden, nicht so sehr jedoch als Einzelzeichen. Um die Wirkmacht gestalteter Artefakte für die Konstruktion von Geschlecht angemessen herausarbeiten zu können, wird der Fokus dabei auf der Mesoebene sozialer Interaktion liegen, wo sich Artefakte und Individuen in Praxiszusammenhängen »begegnen«: Es ist dort, im Rahmen konkreter Konstruktionsprozesse, wo Individuen zu Subjekten werden (können). Mesopraktiken, die Artefakte ebenso einschließen wie die interagierenden Individuen, werden gerahmt von bestimmten Prozessen der Regulierung und Komplexen der Normalisierung, ohne je dabei das Potential zur Widerständigkeit ablegen zu können. Und es ist auf dieser Ebene, wo sich im Anschluss an die zunächst allgemein angestellten Überlegungen der Aspekt der »Gestaltungsmacht« in seinen verschiedenen Ausprägungen und mit Blick auf die einzelnen Akteur*innen-Gruppen thematisiert werden kann. Durch welche Prozesse kommen die Bedeutungen »in« die Artefakte? Auf welchen Wegen wird Objekten des Designs ihre jeweilige semantische Haut »übergezogen«? Wie lassen sich Semantisierungsprozesse im Zusammenhang mit gestalteten Artefakten abbilden und nachzeichnen? Und an welchen Stellen lassen sich darin Potentiale zur Subversion und Widerständigkeit aufzeigen? Auf diese Weise soll gezeigt werden, wie – zum einen – Semantisierungsprozesse im Zusammenhang mit Design-Objekten abgebildet werden kön-

4 Designtheoretische Überlegungen

nen und – zum anderen –, welchen Einfluss gestaltete Artefakte auf die Subjektbildung in sozialer Interaktion ausüben. Die ästhetische Gestaltung von Designobjekten, so die hier vertretene These, leistet einen Beitrag zur Konstruktion von sozialen Kategorien und in der westlichen Kultur insbesondere zur Konstruktion binärer Geschlechtermodelle. Artefakte wirken also »an der (Re-)Produktion hegemonialer Vorstellungen über gesellschaftliche Ordnung« (Thomas, 2012, S. 215) mit und können aus dieser Perspektive gelesen werden als »Machttechniken der Normierung und Disziplinierung, die sich auch in individuelle Lebensentwürfe und -muster einschreiben« (ebd.). Mit einem Fokus auf die Mesoebene der Praxis sozialer Interaktion sollen gleichzeitig auch die subversiven Potentiale ausgelotet werden, die auf der Ebene symbolischer Bedeutungszuschreibungen angelegt sind und die eine grundsätzliche Widerständigkeit als Potential in sich bergen, durch welche die bestehende gesellschaftliche Ordnung in Frage gestellt und gar verändert werden kann. Für den Bereich der Sprachhandlungen und der Sprechakte findet sich eine Ausarbeitung der Gedanken in der Performativitätstheorie Judith Butlers und ihren Überlegungen zur diskursiven Konstruktion von Geschlecht. Im Verlauf der folgenden Kapitel soll diese Perspektive mit Blick auf visuelle Kommunikation erweitert werden, wobei exemplarisch gestaltete Artefakte und ihre Zeichenfunktion in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses gerückt werden.

4.1 4.1.1

Design – eine systematische Annäherung Geschichtliche Dimension

Es gibt verschiedene Wege, um sich in theoretischer Perspektive dem Thema des Designs anzunähern. Viele, wenn nicht sogar die meisten Designtheoretiker*innen wählen den Zugang über die geschichtliche Entwicklung ihres Forschungsgegenstandes und verknüpfen die Entstehung von Design als Disziplin mit dem Beginn der industriellen Revolution. (vgl. zu diesem Ansatz u.a. Walker, 1989, 1992; Bürdek, 2015) Design wird in dieser historischen Dimension vor allem in seiner Verwobenheit mit technischen, ökonomischen und kulturellen Transformationen betrachtet und nimmt seinen Ausgangspunkt nicht selten in einer etymologischen Betrachtung des Ausdrucks »Design«. So beginnt, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, auch Schweppenhäu-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

ser in seiner Einführung zur Designtheorie (vgl. Schweppenhäuser, 2016) mit der Entstehung des Designs als »vieldeutiges sozialgestalterisches Konzept der europäischen und nordamerikanischen Kultur« im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die Frage nach dem Forschungsgegenstand, danach, was Design ist, wird beantwortet, indem verschiedene Stationen der Geschichte nachgezeichnet werden: Über die britische Arts-and-Crafts-Bewegung und den deutschen Werkbund hin zum Bauhaus und zur Ulmer Hochschule für Gestaltung. Eingeleitet wird diese historische Rekonstruktion durch einen Rückgriff auf etymologische Überlegungen, welche die Herkunft des Wortes »Design« bis in die Renaissance zurückverfolgen. (vgl. Schweppenhäuser, 2016, S. 1) Gleichzeitig lassen sich aus dieser historischen Betrachtung heraus die Unschärfen und Mehrdeutigkeiten, die dem Design-Begriff bis heute innewohnen, erklären und erhellen, wenn man mit Schweppenhäuser davon ausgeht, dass mindestens zwei Design-Begriffe im Umlauf sind, die sich nicht nur durch ihren unterschiedlichen Umfang voneinander abgrenzen lassen, sondern gleichzeitig die historische Entwicklung der jeweiligen Zuständigkeit von »Design« nachzeichnen. In der eng gefassten Form bezeichnet Design das »Entwerfen und Gestalten von dreidimensionalen Dingen«1 (Produktdesign) sowie das »Entwerfen und Gestalten von zweidimensionalen Artefakten« (Kommunikationsdesign). Von dieser Definition lässt sich ein weiter gefasster Designbegriff abgrenzen, der sich auf die Gestaltung von »ganzen Systemen und Umgebungen« (Schweppenhäuser, 2016, S. 11) bezieht. In dieser zunächst begrifflichen Differenzierung zwischen engem und weitem Designbegriff spiegelt sich gleichzeitig die historische Entwicklung, die in geschichtlicher Perspektive von der reinen Unterstützungsfunktion für die industrielle Fertigung und Vermarktung von Waren hin zu einer Semiotisierung und Hermeneutisierung der gesamten Objektwelt weist. Damit ist eine Facette von Geschichtlichkeit angesprochen, die eine Annäherung an den Gegenstandsbereich darstellt, insofern sich dieser »geschichtlich entstanden […] und in Veränderung begriffen […]« (Feige, 2019, S. 63) verstehen lässt.

1

Im Folgenden werden die beiden Begriffe des »Entwerfens« und »Gestaltens« zusammen verwendet und -gedacht. In Anlehnung an Feige (vgl. Feige, 2019, S. 155; Fußnote 22) verweisen beide Begriffe auf je unterschiedliche Dimensionen: Während »Entwerfen« primär als Ergebnis einen Plan oder eine Blaupause zur Erstellung bestimmter Artefakte hat, verweist »Gestalten« eher auf eine materiale Dimension, »im Sinne des Gebrauchs bestimmter Medien und Techniken« (ebd.).

4 Designtheoretische Überlegungen

4.1.2

Anthropologische Dimension

Aus einer anderen Perspektive blickt eine Anthropologie des Designs auf ihren Forschungsgegenstand: Insofern Objekte des Designs, seien es nun Plakate, Stühle, Telefone oder Leitsysteme, stets Funktionen innerhalb sehr konkreter gesellschaftlicher Kontexte erfüllen, scheint in ihnen immer auch eine historisch-kulturelle Lebensform auf, die aber zugleich schon ein »Ausdruck der Lebensform des Menschen« (Feige, 2019, S. 64) ist. Das bedeutet nichts anderes, als dass Entwicklungen, die im Design angestoßen und umgesetzt werden, davon abhängig sind, welche Auffassung vom Menschen zugrunde gelegt wird. So wird ein reduktionistisch-deterministisches Menschenbild, das die Natur des Menschen ausschließlich in den Begriffen von Physik, Chemie und Biologie beschreibt, aktuelle Strömungen wie z.B. den Ansatz des Neurodesigns affirmativ stützen, während die Annahme, der Mensch sein ein durch und durch kulturell geprägtes Wesen, einem solchen Ansatz eher kritisch gegenüberstehen wird. Auch wenn derartige Vorannahmen in vielen Fällen nicht expliziert oder gar begründet werden, liegen doch nahezu allen Arbeiten zur Designtheorie anthropologische Vorannahmen zugrunde, die sich wiederum auf die Praxis des Gestaltens wie auch auf die gestalteten Artefakte auswirken und sich in ihnen spiegeln. Die Betrachtung von Design aus einer anthropologischen Warte kann also einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der Tiefengrammatik leisten, die dem Design implizit oder explizit eine Struktur gibt – sie kann aber nicht hinreichend erklären, was genau Design ist.

4.1.3

Ästhetische Dimension

Dies Frage nach dem, was Design sei wird oft versucht, im Rückgriff auf die Ästhetik zu beantworten. Ungeachtet der Tatsache, dass mit dem Begriff des Ästhetischen eine doppelte Schwierigkeit einhergeht, die dann in der Konsequenz oft in die Antworten eingetragen wird. Zum einen zeigt sich der Begriff bereits in seiner alltagssprachlichen Verwendung sehr vielschichtig: Wir sprechen von Buchcovern genauso als »ästhetisch« wie auch von Naturerlebnissen, Möbeln oder einem sinnlich ansprechenden Dinner. Aber auch gänzlich unsinnliche Eindrücke, wie z.B. ein eleganter mathematischer Beweis oder ein entsprechendes Argument können als ästhetisch bezeichnet

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

werden2 . Zum anderen ist innerhalb der philosophischen Disziplin der Ästhetik keinesfalls unumstritten, welche Grundbegriffe zu Rate gezogen werden müssen, um eine Grundbestimmung des Ästhetischen formulieren zu können. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten, für deren Diskussion an dieser Stelle der Raum fehlt, lassen sich mit Hilfe einer ästhetischen Bestimmung des Designs dennoch Abgrenzungen vornehmen, die für den weiteren Verlauf der Argumentation hilfreich sein können. Als philosophische Disziplin wurde und wird die Ästhetik vornehmlich als Theorie sinnlicher Erkenntnis, als Theorie des Schönen oder als Theorie der Kunst behandelt. Entsprechend ließe sich zunächst, soll Design aus einem ästhetischen Blickwinkel betrachtet werden, eine kategoriale Abgrenzung zur Kunst vornehmen (vgl. Feige, 2019, S. 87), insofern sich Kunst- und Designgegenstände in ihrer Art der ästhetischen Erfahrung grundsätzlich unterscheiden. Während Kunsterfahrung als selbstgenügsam beschreiben werden kann, zeigt sich eine Ästhetik des Designs »in irgendeiner Weise von den Funktionen der Gegenstände wie unserem Gebrauch dieser Gegenstände« (Feige, 2019, S. 107; Hervorh. im Original) abhängig. Das, was ein Designobjekt ausmacht, ist also unter anderem seine Funktion3 . Was jedoch genau unter seiner Funktion zu verstehen ist, entzieht sich bei genauer Betrachtung einer einfachen Analyse und Festlegung. Nehmen wir zum Beispiel den Plastic Side Chair von Charles und Ray Eames, der unter den Sitzmöbeln zu den Design-Klassikern gezählt wird. Es ist unter anderem die Tatsache, dass er eine Funktion hat, nämlich, dass er dafür gestaltet wurde, dass Menschen auf ihm sitzen können, die ihn, so wäre die These – im Unterschied zu einem Kunstgegenstand – zu einem Objekt des Designs macht. Allerdings ist bereits an dieser Stelle ersichtlich, dass die Angabe dieser Funktion kein hinreichendes Kriterium darstellt, um dem Plastic Side Chair »Design« zusprechen zu können. Denn zum einen stellt sich die Frage, was geschieht, wenn

2

3

Feige macht darauf aufmerksam, dass einige dieser Begriffsverwendungen relativ schnell als Homonyme zu identifizieren sind, sodass sie nicht weiter in die Überlegungen einbezogen werden müssten. Mir kommt es an dieser Stelle in erster Linie darauf an zu zeigen, dass es zumindest nicht trivial ist, auf die Kategorie des Ästhetischen in der Definition von Design zurückzugreifen. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen sei an dieser Stelle explizit darauf hingewiesen, dass damit keine Ausschließlichkeit markiert werden soll. DesignGegenstände sind nicht nur deshalb dem Design zuzuschreiben, weil sie eine Funktion besitzen; die Funktion ist eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung.

4 Designtheoretische Überlegungen

der Stuhl nicht als Sitzgelegenheit, sondern in einer abweichenden Funktion, z.B. als Tisch oder als Kleiderständer, eingesetzt wird: Handelt es sich dann, aufgrund des Funktionswechsels, nicht länger um ein Design-Objekt? Die Annahme, es handle sich bei dem fraglichen Gegenstand in einem solchen Fall nicht länger um einen Designer-Stuhl, sondern vielmehr um einen Designer-Tisch oder einen Designer-Kleiderständer jedenfalls scheint offensichtlich kontraintuitiv. Und auch der erste Vorschlag, dem Gegenstand nach einem Funktionswechsel grundsätzlich das »Design« abzusprechen, widerspricht der Intuition hinsichtlich dessen, was Design sei. Der Zusammenhang zwischen Gegenstand, Funktion und Design muss also noch auf eine andere Art und Weise gedacht werden. Rückt man noch einmal das Beispiel des Stuhls in den Fokus so lässt sich ein möglicher Hinweis darin finden, dass sein praktischer Zweck darin liegt, als Sitzmöbel zu dienen (auch wenn es durchaus praktisch sein kann, einen Eames-Chair als Kleiderständer zu verwenden). Mit anderen Worten: Der Stuhl wurde auf ein bestimmtes Ziel, auf eine Funktion hin entworfen, und diese Funktion, so scheint es, erweist sich als dasjenige Kriterium, an dem sich ein Gegenstand auszurichten hat, wenn er »Design« hat. Ein Design ist dann besonders gelungen oder »gut«, wenn das gestaltete Objekt seinen Zweck- bzw. Nützlichkeitsaspekten entspricht. Überlegungen dieser Art prägen u.a. die Strömung des Funktionalismus4 in Architektur und Design: Der technisch-funktionale Verwendungszweck rückt in den Mittelpunkt des Interesses und drängt die ästhetische Form in die Peripherie. Gutes Design bzw. die »gute Form«5 ergeben sich aus der Funktionalität der Objekte. D.h. der relevante Gesichtspunkt bei der Gestaltung eines Artefakts ist seine praktische Funktion – rein dekorative oder ornamentale

4

5

Der Begriff des Funktionalismus beschreibt einen vielschichtigen und komplexen Themenbereich, der im Rahmen dieser Arbeit nicht vollständig abgebildet werden kann. Im Folgenden geht es also nicht darum, ein vollständiges Bild zu zeichnen, sondern darum, einen kompakten Einblick in die disziplinären Rahmenbedingungen zu geben, die den Funktionalismus und die sich daraus entwickelnden Strömungen umklammern. Der Begriff der »guten Form« verweist an dieser Stelle nicht unbeabsichtigt auf einen Ansatz, der in den 1950er Jahren an Bedeutung gewinnen sollte: Die »Gute Form« (im Sinne eines Eigennamens mit Versalien gesetzt) vertrat die Grundidee eines Designs, das zeitlose Gültigkeit haben sollte und mit dem »Deutschen Werkbund« und dem Architekten und Künstler Max Bill verbunden ist. Bill studierte am Dessauer Bauhaus und war einer der Mitbegründer der »Ulmer Hochschule für Gestaltung« (HfG).

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Aspekte werden als illusionistische Dekoration ausgeklammert. (vgl. Misselhorn, 2010, S. 91) Ausdruck findet dieses Paradigma unter anderem in dem Diktum »form follows function«, das ursprünglich dem Architekten Louis Sullivan zugeschrieben wird und welches im Laufe des 20. Jahrhunderts auch zum Leitsatz des Industriedesigns avanciert6 und auf das sich auch viele Positionen verpflichtet haben, die nicht explizit in der Traditionslinie des Funktionalismus zu verorten sind, so zum Beispiel Peter Behrens (Behrens, 2006) oder der Bildhauer Naum Gabo (Gabo, 1928). In der Konsequenz dieses funktionalistischen Grundgedankens konzentriert sich Gestaltung insbesondere auf materiale und formale Aspekte des Designs und die Verbindung zwischen der gestalteten Form und der Funktion des Gegenstandes: Material und Form sollen im Gestaltungsprozess so gewählt werden, dass sie die dem Artefakt eigentümliche Funktion optimal unterstützen bzw. ermöglichen. Die Form des Objekts ordnet sich somit der Funktion unter, indem sie sich andient, diese auszudrücken bzw. transparent zu machen. (vgl. Feige, 2019, S. 128) Entsprechend soll die Form auf das Notwendige reduziert und von unnötigem Zierrat bzw. reinem Styling unberührt bleiben – das ornamentale Schmücken wird im Paradigma des Funktionalismus als »Verbrechen« angesehen (Loos, 1962, S. 277). Blickt man parallel zu den ästhetischen Überlegungen noch einmal auf die historische Entwicklung, lässt sich feststellen, dass die reduzierte Formen6

Paradoxerweise orientiert sich Sullivan in seinen Überlegungen zu Form und Funktion an der Natur, wenn er sagt: »Jedes Ding in der Natur hat eine Gestalt, das heißt eine Form, eine äußere Erscheinung, durch die wir wissen, was es bedeutet, und die es von uns selbst und von allen anderen Dingen unterscheidet. In der Natur bringen diese Formen das innere Leben, den eingeborenen Wert der Geschöpfe oder Pflanzen, die sie darstellen, zum Ausdruck; […] Ob wir an den im Flug gleitenden Adler, […] die ziehenden Wolken oder die über allem strahlende Sonne denken: immer folgt die Form der Funktion.« (Sullivan zitiert nach Godau, 2003, S. 10). Sein Kerngedanke sieht also die äußere Form als die logische Konsequenz dessen, was man auch mit dem Begriff des »Wesens« einer Entität bezeichnen könnte, und was sich über die Form wiederum nach außen kommuniziert. Allerdings bleibt festzuhalten, dass Sullivans Beschreibungen der Formen der Natur in weiten Teilen unzutreffend sind: Es gibt zahllose Beispiele, die die These, natürliche Objekte zeigten durch ihre Form ihr Wesen, eindeutig widersprechen. Man denke in diesem Zusammenhang nur an das Phänomen der Mimikry oder an die Tatsache, dass die Evolution keineswegs immer die optimale Lösung für funktionale Herausforderungen gefunden hat und findet. (In diesem Sinne argumentiert z.B. Stephen J. Gould in seinem Buch Illusion Fortschritt. Die vielfältigen Wege der Evolution, Frankfurt a.M.: Fischer, 1999).

4 Designtheoretische Überlegungen

sprache zu Beginn der Industrialisierung sicherlich nicht nur ästhetischen Überlegungen geschuldet ist, sondern auch teilweise dadurch bedingt wird, dass die Massenproduktion und die Prinzipien der Standardisierung nun als richtungsweisend gelten. (vgl. Bürdek, 2015, S. 21) Dazu wird schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts – u.a. mit der Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 in München – eine starke programmatisch-theoretische Ausrichtung für das gestalterische Arbeiten kennzeichnend. Das funktionalistische Ziel zu dieser Zeit ist es, »die Umwelt durch Gestaltreinheit7 vorzuordnen« (Schwer, 2014, S. 49). D.h. die theoretische Maßgabe gestalterischer Konzepte soll dafür sorgen, dass für die Gestaltung komplexer Oberflächen in erster Linie einfache Körper und Elemente (wie Dreieck, Kreis, Quadrat, Kubus, Pyramide oder Kugel) eingesetzt werden (vgl. Bürdek, 2015, S. 257), oder, wie es der Industriedesigner Dieter Rams immer wieder betonte: »Weniger Design ist mehr Design« (Bürdek, 2015, S. 157).8 Einzig relevanter Gesichtspunkt für den Gestaltungsprozess eines Gebrauchsgegenstandes »ist […] seine praktische Funktion, während weder rein dekorative noch symbolische Aspekte eine Rolle spielen sollten.« (Misselhorn, 2010, S. 91) Mit anderen Worten entwirft das Design, dem funktionalistischen Paradigma zufolge, Formen, die den erforderlichen praktischen Funktionen und den Materialbedingungen der Gegenstände untergeordnet sind. Im Zentrum stehen Effizienz und Einfachheit der Handhabung – die Artefakte sind auf eine bestimmte Funktionalität hin gestaltet. Diese theoretische Ausrichtung von Design ist dann in der Folge auch für das Weimarer (und Dessauer) Bauhaus9 kennzeichnend, erlebt nach 7

8

9

Mit »Gestaltreinheit« werden diejenigen Formen gefasst, die aus wenigen Grundbausteinen zusammengesetzt und deswegen leicht wahrzunehmen sind. Der Begriff geht zurück auf den Begründer der Gestaltpsychologie Christian von Ehrenfels (1859-1932). Die gestalttheoretischen Überlegungen zu den Kategorien von Ordnung und Komplexität wurden im Laufe der Design-Geschichte immer wieder kritisiert und auch angepasst. Später, in den 1970er Jahren, wurden an der Hochschule für Gestaltung Offenbach verschiedene Begriffspaare aus den Ehrenfelsschen Kategorien »Ordnung« und »Komplexität« abgeleitet, die unterstützend für die Entwurfsarbeit eingesetzt werden sollten. Dazu zählen unter anderem dichotom organisierte Paare wie »einfach – kompliziert«, »regelmäßig – unregelmäßig«, »symmetrisch – asymmetrisch«, »geschlossen – offen« (vgl. Bürdek, 2015, S. 159). Diese Ausrichtung wird unter anderem im folgenden Zitat von Walter Gropius, Begründer des Bauhauses in Weimar, aus dem Jahr 1925 deutlich: »Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, daß es richtig funktioniert […] muß sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zweck vollendet dienen, d.h. seine Funktionen praktisch erfüllen […].« (Gropius, 1925, S. 5)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

dem zweiten Weltkrieg seine Blütezeit und prägt die gestalterische und intellektuelle Auseinandersetzung an der 1955 gegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm (HfG Ulm). (vgl. Schwer, 2014, S. 27) An dieser Stelle möchte ich noch einmal die Frage nach der Funktion eines Artefakts aufgreifen, die sich bereits im Zusammenhang mit dem Beispiel des Plastic Side Chair gestellt hat und wo bereits deutlich wurde, dass die Funktion eines Designobjektes zwar einerseits mit dem Gebrauch zusammenhängt, dass aber durchaus eine Differenzierung vorgenommen werden kann und muss, zwischen dem Gebrauch, in den das Objekt tatsächlich eingebunden ist und derjenigen Verwendung, für die es ursprünglich gedacht und gestaltet wurde. Der Stuhl als Sitzmöbel ist dazu gedacht, dass man auf ihm sitzt – entsprechend lässt sich »Sitzen« als seine praktische Funktion definieren (im Gegensatz zu seinem Einsatz als Beistelltisch oder Garderobe). Diese praktische Funktion, die einem gestalteten Artefakt zugesprochen werden kann, ist das Resultat eines mehr oder weniger kreativen Prozesses; sie entspringt einem Plan, den der*die Designer*in bewusst entwickelt hat und der dem Produkt, in diesem Fall dem Plastic Side Chair, zugrunde liegt. Der Stuhl hat seine Funktion, weil er von dem*der Designer*in dazu entworfen wurde, als Sitzmöbel zu dienen. Diese Auffassung wird vom Grundgedanken eines intentionalistischen Ansatzes getragen10 : Ein Artefakt (A) hat eine bestimmte Funktion (F) genau dann, wenn der*die Gestalter*in von (A) die Intention hatte, dass (A) für (F) verwendet wird. Allerdings, so ließe sich anhand der ausgeführten Beispiele einwenden, werden Objekte aus unterschiedlichsten Gründen oft gerade nicht dafür eingesetzt, wofür sie ursprünglich gedacht waren. So ist es – wie oben bereits gezeigt – durchaus möglich, dass ein Stuhl als Kleiderständer oder als Tisch verwendet wird. Allerdings handelt es sich in diesen beiden Fällen um praktische Zwecke, die nicht der Intention des*der Designer*in entsprechen. Entsprechend müsste der intentionalistische Ansatz ergänzt und damit präzisiert werden:

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Die hier holzschnittartig skizzierten Überlegungen zum intentionalistischen Ansatz sowie die dazugehörigen Einwände und Präzisierungen orientieren sich an den Überlegungen von Glenn Parsons und Allen Carlson (Parsons und Carlson, 2008). Im Übrigen ist – trotz der begrifflichen Gleichheit – keinerlei Überschneidung oder Verbindung mit der Functionalists vs. Intentionalists-Debatte im Zusammenhang mit dem Holocaust gegeben.

4 Designtheoretische Überlegungen

Ein Artefakt (A) hat eine bestimmte Funktion (F) genau dann, wenn (S) der*die Gestalter*in oder Nutzer*in von (A) ist und (S) die Intention hat, dass (A) für (F) verwendet wird. Nach dieser Auffassung wechselte die Funktion des Stuhls – je nachdem, welche Intention gerade hinter dem jeweiligen Gebrauch stünde: Stellte man den Stuhl neben das Bett und verwendete ihn als Buchablage, so wäre seine Funktion die eines Nachttisches; stünde er jedoch an einem Tisch und diente einer Person zum Sitzen, so wäre seine Funktion die eines Sitzmöbels. Allerdings, so wird man eingestehen müssen, widerspricht diese Interpretation unserem Alltagsverständnis: Es scheint doch trotz allem so, als hätten Artefakte dennoch eine bestimmte primäre Funktion – im Falle des Stuhls eben genau die Funktion als Sitzmöbel und nicht all die anderen denkbaren Optionen, wie man einen Stuhl nutzen könnte (als Nachttisch, als Türstopper, als Leiter etc.) Allerdings ergeben sich für den intentionalistischen Ansatz einige Schwierigkeiten, eine präzise Analyse dessen zu geben, was eine Funktion zur primären Funktion des Artefakts macht. Zunächst lässt sich jedoch Folgendes festhalten, auch wenn der Funktionsbegriff noch nicht hinreichend präzisiert ist: Objekte sind Designobjekte genau dann, wenn sie einerseits auf eine gewisse Funktionalität verweisen, und wenn andererseits diese Funktionalität innerhalb eines ästhetischen Zeichensystems bewertet werden kann und wird. (vgl. Steinbrenner, 2016, S. 97) In diesem zweiten Aspekt ähneln sie in gewisser Weise Kunstwerken. Design ist also mehr als reine »Oberflächengestaltung« oder Styling: Design entwickelt die Form eines Gegenstandes unter anderem unter Berücksichtigung einer bestimmten Zielsetzung (z.B. orientiert an der oben bereits vorgestellten Formel form follows function des Funktionalismus), sodass die Ergebnisse zweckoptimierte, ästhetisch gestaltete Produkte darstellen, die Menschen dazu nutzen, gewünschte Ziele – also das, was Parsons mit »desired ends« bezeichnet (Parsons, 2016, S. 7) – zu erreichen. Gestaltete Artefakte dienen dazu, einen bestimmten praktischen Zweck zu erfüllen: Ein Föhn dient dazu, die Haare zu trocknen, eine Bohrmaschine dazu, Löcher in feste Materialien zu bohren, ein iPod dazu, Musik abzuspielen, wobei – wie oben dargelegt – die Frage nach der primären Funktion nicht vollständig beantwortet werden kann.11 11

Allerdings ist diese Grenze zwischen Kunst und Design – trotz der prinzipiellen Ausrichtung des Designs an praktischen Zwecken – nicht ganz trennscharf zu ziehen: Man denke nur an Design-Gegenstände und Gebrauchsgrafiken, die mittlerweile ganze

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Neben dieser Unterbestimmtheit des Funktionsbegriffs lassen sich weitere Kritikpunkte gegen die Grundidee des Funktionalismus ins Feld führen. So lässt sich die Frage nach der Relation von Funktion und Form stellen: Nimmt man den Funktionalismus ernst, dürften ästhetische, vermittelnde und expressive Aspekte nicht in Designprobleme eingebracht werden. In der Gestaltung dürften ausschließlich funktionale Gesichtspunkte relevant sein, die Schönheit – so das Paradigma – ergebe sich in der Folge. Impliziert wird damit, dass eine Betrachtung der gewünschten Funktion ausreiche, um die Lösung für ein Design-Problem zu finden. Allerdings, darauf macht Parsons aufmerksam, lässt die Funktion die Form unterbestimmt: Zwischen Form und Funktionalität klafft mitunter eine unüberbrückbare Lücke. (vgl. Parsons, 2016, S. 103f.) Man denke nur an das von Dieter Rahms für BRAUN sehr nüchtern gestaltete Radio RT20. Auch wenn dieses Produkt zunächst dem Grundprinzip des Modernismus zu folgen scheint, hält diese Annahme einer näheren Überprüfung kaum stand: Die Funktionalität des Röhren-Radios beruht auf seinen elektronischen Bauteilen (Widerständen, Röhren, Kondensatoren etc.) und deren Verschaltung. Die hohe Komplexität der Schaltung spiegelt sich allerdings in keiner Weise auf der glatten, nur durch wenige Knöpfe und Regler unterbrochenen Oberfläche des Geräts wider. Im Gegenteil – die Hülle, die das Radio umschließt, könnte eigentlich jede erdenkliche Form annehmen, ohne auch nur den geringsten Einfluss auf die Funktionalität des Geräts zu haben12 , solange im Inneren ausreichend Platz für die elektronischen Bauteile in der für die Funktion notwendigen Verschaltung gegeben ist. Ein weiterer Einwand gegen das Paradigma des Funktionalismus hängt mit einer prinzipiellen Unterbestimmtheit der Form durch den Funktionsbegriff zusammen: Denn selbst wenn es nur eine äußere Form gäbe, die optimal dazu geeignet wäre, die Funktion zum Beispiel eines Tisches oder eines Stuhles zu realisieren, so ließen sich immer noch weitere Aspekte der äußeren Objektform identifizieren, die durch ein Angeben der Funktion weiterhin unberührt und unthematisch bleiben würden. Farbe stellt in dieser Hinsicht vielleicht den offensichtlichsten Aspekt dar. Denn ob der ideale Stuhl (bei gleich-

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Museen füllen: »Künstler spielen mit der Ästhetik des Designs und Designer sind in Kunstausstellungen vertreten« (Meer, 2013, S. 67). Das gleiche Phänomen findet sich – in weitaus extremerer Ausprägung – ebenso bei Geräten der Unterhaltungselektronik, die dazu geeignet sind, digitale Bilder zu machen. (Parsons, 2016, S. 104f.)

4 Designtheoretische Überlegungen

bleibender konstruktiver Form und gleichbleibendem Material) in Rot, Grün oder Grau gefertigt ist, kann für Funktionalität keine Rolle spielen. Innerhalb des Gestaltungsprozesses kann die Frage nach der Farbe anhand von ästhetischen, finanziellen und/oder individuell-geschmacklichen Gesichtspunkten entschieden werden (vgl. Parsons, 2016, S. 106) – nicht aber im Rückgriff auf die (technische) Funktionalität des Gegenstands13 . Auch wenn, wie hier gezeigt, kein entsprechendes Folgerungsverhältnis zwischen Funktion und daraus resultierender Form postuliert werden kann, wie es in der These form follows function gefordert ist, zeigt sich, aus ästhetischer Perspektive, dennoch eine spezifische Einheit der beiden Aspekte (vgl. Feige, 2019, S. 131), insofern die Funktionen von Design-Gegenständen und die jeweiligen Formen, die durch die Funktionen konturiert werden, für eben diese Gegenstände wesentlich sind. In der Design-Ästhetik besteht also durchaus eine Verbindung zwischen Funktion und Form – allerdings auf eine andere Weise, als es zum Beispiel durch den Funktionsbegriff in der Biologie beschrieben wird. Aus der ästhetischen Perspektive muss es also darum gehen, den Funktionsbegriff im Kontext des Designs auf eine besondere, differenzierte und differenzierende Art zu denken. Ein Aspekt der im Zusammenhang mit dem Offenbacher Ansatz und der symboltheoretischen Dimension von Design noch konkreter in den Fokus der Untersuchung gerückt wird.

4.1.4

Handlungstheoretische Dimension

Gehen wir davon aus, dass gestaltete Artefakte sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie intentional auf eine bestimmte Funktion und einen bestimmten Gebrauch hin entworfen werden, gewinnt eine weitere Ebene der Betrachtung an Bedeutung, die den Blick auf die Designer*innen und die Logik des Entwerfens und Gestaltens richtet. Hier geht es, in einer handlungstheoretischen Perspektive, darum, den Prozess des Entwerfens und Gestaltens nachzuzeichnen und zu erläutern – und zwar in seiner Eigenart als menschliche Handlung und unter Berücksichtigung der besonderen Logik des Entwerfens und Gestaltens14 . Eine solche Untersuchung kann wiederum 13 14

Eine Ausnahme bilden dabei sicherlich Artefakte, bei denen die Farbe einen funktionalen Aspekt (wie z.B. Warnung o.ä.) darstellt. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, worauf Mara Recklies bereits hingewiesen hat, nämlich »dass es zwar eine Vielzahl von Analysen menschlichen Handelns gibt […] jedoch erst wenige handlungstheoretische Untersuchungen zur Entwurfspraxis des Designs existieren.« (Recklies, 2018, S. 68f.) Eine der wenigen Ausnahmen in

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aus verschiedenen Blickwinkeln bzw. mit unterschiedlichen Akzenten durchgeführt werden. Dass der Prozess des Entwerfens und Gestaltens eine Handlungsform darstellt, die sich von Handlungen in anderen Praxisfeldern unterscheiden lässt, sollte an dieser Stelle unbenommen sein. Anhand welcher Kriterien eine solche Unterscheidung vorgenommen werden kann und ob die Differenz von Design und Nicht-Design darauf beruht, dass man gestalterisches Handeln und nicht-gestalterisches Handeln als einander entgegengesetzt denken muss, erweist sich in diesem Zusammenhang als weniger eindeutig15 ; zumal die Tätigkeiten des Gestaltens und Entwerfens im Design eine ausgesprochen disparate Palette an Dingen hervorzubringen vermag, je nachdem welches Praxisfeld des Designs gerade im Mittelpunkt des Interesses steht bzw. in welchem Bereich die handelnde Person tätig ist. Feige stellt aus diesem Grund zurecht die Frage danach, ob es eine Klammer geben kann, die diese »verschiedenen Handlungen und Teile von Handlungen […] begrifflich zusammenhält« (Feige, 2019, S. 155), und kommt zu dem Schluss, dass Handeln im Sinne des Entwerfens und Gestaltens, wie es in der Designpraxis vorkommt, ein Handeln ist, »dass [sic!] der Form nach Aspekte dessen, was Handeln überhaupt kennzeichnet, explizit macht.« (Feige, 2019, S. 161; Hervorh. im Original). Damit zielt er auf die prinzipielle Offenheit des Handelns ab, die sich dann auch in der Entwurfspraxis des Gestaltens zeigt, insofern diese sich gerade nicht beschreiben lässt als eine »Ausfaltung von etwas, was dem Handeln im Geiste des Designers oder der Designerin schon fertig bestimmt gewesen wäre.« (Feige, 2019, S. 160) Vielmehr erweisen sich Entwerfen und Gestalten als Dimensionen eines Handelns, das in seiner Offenheit und in seiner Eigenheit auf gewisse Charakteristika verweist, die sich auch in dem Paradigma der Improvisation aufzeigen lassen. Feige verweist auf drei interdependente Elemente, die sich einerseits in der Analyse von Improvisation finden, die andererseits aber auch für die Bestimmung einer Entwurfs- und Gestaltungspraxis fruchtbar gemacht werden können. Charakteristisch für beide sind ihre Prozessualität, ihre Dynamik und ihre Autopoietik: Prozessual zeigt sich die Praxis, insofern in ihr »keine vorgängig gegebenen Regeln ab[ge]spult« (Feige, 2019, S. 159) werden, sondern selbst dann, wenn sie gewisse Bestimmungen

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diesem Zusammenhang stellt die philosophische Analyse des Designs von Feige dar (vgl. Feige, 2019). Ähnliche Überlegungen im Zusammenhang mit Kunst und künstlerischem Handeln stellt Judith Siegmund in ihrem Aufsatz »Gedanken zu einer sozialen Handlungstheorie der Kunst« an (Siegmund, 2015).

4 Designtheoretische Überlegungen

einschließt, sich doch entsprechende Bestimmungen selbst gibt (ebd). Dynamisch sind Gestalten und Entwerfen dahingehend, dass sich die Idee bzw. die Intention des*der Designer*in immer erst im Prozess selbst (also durch bestimmte Werkstoffe und durch die Arbeit mit ihnen) geklärt und gleichzeitig bestimmt wird. (ebd). Als drittes Element der Bestimmung schließlich zeigt sich ein autopoietisches Moment in der Gestaltungs- und Entwurfspraxis, dahingehend, dass sich der Prozess gegenüber vorhergehenden Prozessen des Entwerfens und Gestaltens »nicht einfach imitierend verhalten kann« (ebd.). Unter dieser Rücksicht kann ein Stuhl, dessen Form sich nicht merklich von z.B. einem Plastic Side Chair unterscheidet, nicht als relevanter oder überzeugender Designerstuhl bezeichnet werden; »Erst im und durch den Prozess des Handelns selbst klärt sich die Designidee und erhält ihren spezifischen Sinn wie zugleich ihre spezifische Verkörperung, die entsprechend dem Gehalt der Idee nicht äußerlich ist.« (Feige, 2019, S. 160) Eine solche handlungstheoretische Perspektive konzentriert sich darauf, die Eigenarten des Gestaltungs- und Entwurfsprozesses aus der Perspektive und mit Blick auf die Designer*innen herauszuarbeiten. Andere Ansätze, beispielhalft seien hier die Überlegungen von Mara Recklies (Recklies, 2018) und Katharina Bredies (Bredies, 2014) genannt, rücken partizipative Prozesse der Gestaltung in den Vordergrund, sodass die Grenze zwischen Design und Gebrauch »weniger vehement gezogen« werden kann und muss. Je nach Designansatz und -methode lassen sich in der Folge Design und Gebrauch stark, schwach oder gar nicht voneinander getrennt betrachten16 . Unabhängig davon, ob Design nun verstanden wird als professionelles Handeln, das rationale Problemlösungen für planendes Handeln liefert, als professionelle Praxis, deren Ergebnisse in gewissem Maße in Abhängigkeit von den Nutzer*innen gedacht werden müssen, oder ob die Trennung von Design und Gebrauch vollständig aufgegeben wird: Allen Betrachtungsweisen gemeinsam ist die Tatsache, dass sie in der einen oder anderen Weise auf symbolische Aspekte oder Funktionen der gestalteten Artefakte rekurrieren, die in den Prozessen von

16

In der letzten Variante ist die Annahme enthalten, dass Gestaltung nicht mehr nur im Design-Prozess stattfindet. Eine Vorstellung, die sich unter anderem auch im Ansatz des Non Intentional Design (NID) wiederfindet, das zu einem späteren Zeitpunkt im Abschnitt zur Gestaltungsmacht der Nutzer*innen thematisiert wird (vgl. S. 176).

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Gestalten und Entwerfen gestaltet werden. Eine systematische Rekonstruktion derselben wird Gegenstand des folgenden Abschnitts sein, der sich mit der symboltheoretischen Perspektive auf Design auseinandersetzt.

4.1.5

Symboltheoretische Dimension

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass – denkt man über die Funktion von Designgegenständen nach – zunächst einmal die praktische Funktion in den Vordergrund tritt, ohne dass sich die Funktion des Objekts dadurch erschöpfend beschreiben ließe. Neben einer Zweckmäßigkeit oder Funktionalität, die sich zum Beispiel bei einem Designer-Stuhl in seiner Beschreibung als Sitzmöbel darstellt, weisen gestaltete Artefakte immer auch symbolische Dimensionen auf17 . Gestaltung ist also »eine Disziplin, die nicht nur materielle Realität erzeugt, sondern insbesondere kommunikative Funktionen erfüllt« (Bürdek, 2015, S. 83). Mit diesem Aspekt, dass einerseits das Objekt, andererseits auch die Nutzer*innen in der Verwendung des Objekts etwas kommunizieren, beschäftigt sich die symboltheoretische Perspektive auf Design. Epistemologische Basis derartiger Überlegungen bilden konstruktivistische Theorien, die sich für die Thematisierung der »besonderen Art kommunikativer Funktionen von Designgegenständen« (Feige, 2019, S. 164)

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An dieser Stelle zeigt sich ein paradigmatischer Unterschied zwischen dem Funktionsbegriff, wie er zum Beispiel in der Biologie verwendet wird, und demjenigen, wie er sich im Gebrauch von Design-Gegenständen zeigt. Nehmen wir als Beispiel das (menschliche) Herz: Diejenige Eigenschaft, die dieses Organ »definiert«, ist seine Funktion, Blut zu pumpen; sie kommt dem Organ nicht akzidentell zu, sondern ist ein wesentliches Charakteristikum: Etwas ist nicht zunächst ein Herz und hat dann – ergänzend – noch die Eigenschaft, Blut zu pumpen, sondern die Funktion definiert das Organ, insofern es ein Herz ist, weil es Blut pumpt; in dieser Hinsicht ist es dazu grundsätzlich unerheblich, wie das Organ aussieht und ob es ein Kunstherz ist oder aus körpereigenem Gewebe besteht, solange es die Funktion, Blut zu pumpen, erfüllen kann. Überträgt man diese Überlegungen nun auf Gegenstände des Designs, scheint es zunächst plausibel, dass zum Beispiel ein Stuhl sich dadurch definiert, dass man auf ihm sitzen kann. Allerdings – und das ist an dieser Stelle der springende Punkt – erschöpft sich das Stuhlsein nicht im Sitzmöbel-Sein; wie ein Plastic Side Chair aussieht, ist nicht so nebensächlich wie die äußere Erscheinung eines Herzens: Design-Gegenstände verfügen immer auch über kommunikative Funktionen. Allein schon dadurch, dass eine Person einen Plastic Side Chair verwendet, wird vielfältiges ausgedrückt. (vgl. Feige, 2019, S. 130f; 163)

4 Designtheoretische Überlegungen

fruchtbar machen lassen. Bezüge zu dem, was Designgegenstände ausdrücken bzw. kommunizieren, werden in den verschiedensten theoretischen Konzepten hergestellt. So findet sich ein Nexus zur symboltheoretischen Dimension von Design unter anderem ebenso im Skript-Konzept von Madeleine Akrich wie auch in den Publikationen Klaus Krippendorffs zum Semantic Turn. Allen gemeinsam ist, dass sie gestaltete Artefakte als etwas sehen, dass gerade nicht nur in einem praktischen Sinne funktioniert, sondern daneben auch verschiedenes auszudrücken vermag. Feige illustriert diesen Aspekt im Rückgriff auf ein typografisch gestaltetes Buchcover: Solche Umschläge drücken, selbst wenn ihre Gestaltung keine weiteren Elemente außer Buchstaben umfasst, »immer noch mehr aus als das, was auf ihnen zu lesen ist.« (Feige, 2019, S. 165) Einen Buchumschlag in seiner Gänze zu erfassen bzw. zu lesen, bedeutet, mehr zu verstehen, als den bloßen Sinn der Wörter, die auf ihm abgedruckt sind. Typografie ganz allgemein »meint [eben] die Form der materialen Verkörperung von Buchstaben als eines Mediums sprachlichen Sinns und nicht diesen selbst« (ebd.). Die symbolischen Dimensionen von gestalteten Artefakten und von Design ganz allgemein werden insbesondere in designsemantischen Ansätzen explizit behandelt. Diese entwickelten sich seit den 1970er Jahren als Gegenentwurf zum bis dahin herrschenden Paradigma des Funktionalismus. Zu den zentralen Ansätzen zählen u.a. der Offenbacher Ansatz einer Theorie der Produktsprache (im weiteren Verlauf dieser Arbeit auch einfach als Offenbacher Ansatz bezeichnet), ursprünglich von Jochen Gros ab 1976 ausgearbeitet (Gros, 1976a, 1976b), die Product Semantics ab 1984 von Krippendorff und Butter (Krippendorff und Butter, 1984; Krippendorff, 1989a, 1989b) sowie die Design Semiotics ab 1995 von Susan Vihma (Vihma, 1995). Allen drei Ansätzen gemeinsam ist, dass sie an die symbolphilosophische und semiotische Tradition anknüpfend, eine neue Perspektive auf Gestaltung einnehmen: Sie bieten eine Möglichkeit, mit der diejenigen Produktfunktionen, die sich über die sinnliche Wahrnehmung vermitteln und auf Betrachter eine psychische Wirkung haben (vgl. Steffen, 2000, S. 34) in den Blick genommen werden können. Designobjekte werden also nicht mehr nur als reine »Funktionsträger, sondern auch als Informationsträger verstanden« (Kellner, ohne Datum, S. 2; Hervorhebung: JK). Damit gerät der Aspekt der Kommunikation in den Fokus: Die Mensch-Objekt-Verbindung rückt in das Zentrum des Interesses und mit ihr die semantische und symbolische Dimension der Artefakte. Während das Konzept der Product Semantics Produkte im Sinne von »Texten« versteht, die über verschiedene Bedeutungsebenen verfügen und den As-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

pekt der sozialen Konstruktion von Bedeutung betont, legt der Ansatz der Design Semiotics den Schwerpunkt auf eine zeichentheoretische Differenzierung von Ikon, Index und Symbol sowie auf die drei semiotischen Dimensionen Syntaktik, Semantik und Pragmatik. Das dritte Modell, der Offenbacher Ansatz, formuliert schwerpunktmäßig die wichtige Erkenntnis, dass gestaltete Artefakte immer auch symbolische Dimensionen aufweisen. Als Wegbereiter dieser Theorie lassen sich Susanne Langer und ihre Überlegungen zur Symboltheorie wie auch – in semiotischer Hinsicht – Charles W. Morris und sein expliziter Bezug auf Charles Sanders Peirce ausmachen18 . Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist Design etwas, das zwar einerseits durch praktische Funktionen gekennzeichnet ist, das aber andererseits immer auch auf zusätzliche Dimensionen jenseits der Zweckmäßigkeit hin geöffnet ist. Mit den Worten Feiges ließe sich sagen: »Es gibt keinen unschuldigen Gebrauch« (Feige, 2019, S. 163). Die wachsende Bedeutung der symbolischen Dimension von Produkten – man kann an dieser Stelle auch mit Wolfgang Ullrich von ihrem Fiktionswert 19 sprechen (Ullrich, 2011) – gegenüber ihrem eigentlichen Zweck oder Gebrauchswert, lässt sich recht eindrücklich am Angebot von Haarwaschmitteln verdeutlichen: Es gibt nicht nur ein Mittel, um sich die Haare zu waschen. Im Gegenteil: Die Regale in Drogerien und Supermärkten weisen eine schier unüberblickbare Fülle von Shampoos auf,

18

19

Für alle drei Ansätze gilt – wie für die Theoriebildung im Design ganz allgemein – dass das primäre Ziel, das verfolgt wurde, darin besteht, »die Designpraxis zu verbessern« (Steffen, 2000, S. 31). Dabei dienen die theoretischen Überlegungen in erster Linie als analytisches Instrument, um »einen rationalen Zugang zum Entwurf [zu] ermöglichen« (Steffen, 2000, S. 32). Allen Ansätzen gemeinsam ist, dass sie primär aus der Perspektive der Designer*innen entwickelt wurden; das Hauptziel war und ist, den »richtigen Weg« zu beschreiben, um Gegenstände so zu designen, dass sie einfach zu gebrauchen und zu verstehen sind (vgl. Hjelm, 2002, S. 1). Die in dieser Arbeit vorgenommene Erweiterung der Perspektive auf die Nutzer*innen von Artefakten und deren Gestaltungsmacht ist also (noch) nicht expliziter Bestandteil der bestehenden Theorien, meines Erachtens aber nicht nur mit ihnen vereinbar, sondern durchaus auch aus ihnen ableitbar. Ullrich konzipiert seine Überlegungen zum Fiktionswert in Anlehnung an das Konzept des day dreaming von Colin Campbell (Campbell, 2018). Fiktionswerte beschreiben in diesem Sinne Eigenschaften von Artefakten, insbesondere von Waren bzw. Konsumgütern, die nicht primär in Abhängigkeit von ihrer materiellen Beschaffenheit zu betrachten sind, sondern die vor allem auf die Imaginationskraft und Fantasie der Nutzer*innen bzw. Konsument*innen abzielen. (vgl. dazu auch Opp, 2019, S. 95)

4 Designtheoretische Überlegungen

die sich primär durch ihr äußeres Erscheinungsbild und ihren Duft unterscheiden. Ein spezifisches Produkt dieser Auswahl wird in erster Linie nicht wegen seiner Funktion gekauft (für die Haarpflege dürften alle Produkte gleichermaßen geeignet sein), sondern aufgrund seiner symbolischen Aussage, aufgrund des suggerierten Versprechens, das seine Oberfläche dem*der Konsument*in anbietet, wenn er*sie das Shampoo in den Lebensentwurf integriert20 . Erst wenn Menschen den Dingen eine Bedeutung zuschreiben, erhalten diese eine neue Dimension von Wert, und diese Dimension »ist unabhängig von ihrem Gebrauchswert zu betrachten.« (Hahn, 2011, S. 95) Richtet sich der Gebrauchswert eines Artefakts in erster Linie auf seine Nützlichkeit bzw. auf die primäre Funktion, verweist der Fiktionswert auf eine symbolische Dimension, die sich zwischen Subjekten und Objekten aufspannt21 . Durch das »Anheften von Bedeutungen mithilfe von Zeichen« (Hahn, 2011, S. 105) werden individuelle (und kollektive) Wünsche und Konsumbedürfnisse zum Ausdruck gebracht. Entsprechend gilt für die meisten – wenn nicht sogar alle – Produkte, die wir kaufen und die unsere Wohnungen füllen, dass sie eigentlich nur da sind, weil wir sie zu einem bestimmten Zeitpunkt wollten. In diesem Sinne ist ihre Präsenz im Alltag weniger eine Folge rationaler Überlegungen, wie sie der Funktionalismus propagiert hat, sondern das Ergebnis emotionaler Zustände, insbesondere unseres Verlangens. (vgl. Campbell, 2004, S. 38) Über ein derartiges Verständnis der kommunikativen Dimension nichtsprachlicher Gegenstände nachzudenken bedeutet dann in der Konsequenz, dass ein solches Nachdenken nur vor dem Hintergrund semiotischer Überlegungen stattfinden kann, um »die Sprache der Dinge« (Bieling, 2019) angemessen verstehen zu können. Damit verbunden ist aber gleichzeitig auch die Frage, ob und inwieweit Design-Gegenstände tatsächlich als Zeichen interpretiert werden können, wenn doch die meisten Artefakte prima facie zunächst keine Zeichen sind, sondern Dinge, die konstruiert und gestaltet wurden, um eine bestimmte praktische Funktion zu erfüllen. (vgl. Siefkes, 2012, S. 68)

20 21

Eine beispielhafte Analyse, welche Produktversprechen z.B. von einem bestimmten Duschgel geleistet werden, findet sich bei Misselhorn (Misselhorn, 2010). Eine solche symbolische Dimension kann verstanden werden als Ausdruck von »Emotionen, Leitbilder[n] und Werte[n]« (Misselhorn, 2010, S. 86), die für die Individuen, die sich mit dem Artefakt auseinandersetzen, von Bedeutung sind, und die sich aus der Oberfläche der Artefakte in irgendeiner Weise »auslesen« bzw. »ablesen« lassen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Die designtheoretischen Ansätze der Product Semantics, der Design Semiotics und auch die Theorie der Produktsprache verweisen allesamt auf die Zeichenhaftigkeit und damit auf die Bedeutungsdimension von Artefakten, die jenseits der praktischen Funktion liegt22 . Für die heutige Form von Zeichentheorie, wie sie im Design für eine solche Analyse zur Anwendung kommt, sind in erster Linie zwei Strömungen prägend gewesen: Zum einen die Semiologie, aus der u.a. die heutigen Sprachwissenschaften hervorgegangen sind und die sich auf die Überlegungen des Linguisten Ferdinand de Saussure zurückführen lässt. Zum anderen die Semiotik im heutigen Sinne, deren Wurzeln in der Theorie des amerikanischen Pragmatismus bei Charles S. Peirce liegen. (vgl. Bürdek, 2015, S. 87) Beiden Ansätzen als allgemeinen Zeichentheorien gemeinsam ist der Versuch, eine Begründung und Erklärung von Beziehungen von Zeichen und Strukturen auf verschiedenen semiotischen Beschreibungsebenen zu geben. Zwar arbeiten beide mit einem ähnlichen Vokabular, dennoch gibt es, trotz »ähnlicher Terminologie, ja teilweise gleichen Begriffen […] erhebliche Unterschiede zwischen den […] [beiden] Ansätzen.« (Kroehl, 1987, S. 34) Entsprechend kann die Bedeutung eines Begriffs immer nur im Kontext der jeweiligen Theorie erklärt werden, ohne eine Übertragbarkeit zwischen den verschiedenen Ansätzen gewährleisten zu können. Entsprechend ist es von weitreichender Bedeutung, die eingesetzte Terminologie zu Beginn in einem der beiden Systeme zu verorten. Für die Auseinandersetzung mit gestalteten Artefakten und dem Design ganz allgemein erweist sich meines Erachtens insbesondere der Ansatz von Peirce als anschlussfähig, da er eine stärkere Akzentuierung auf den prozessualen Charakter von Zeichen und Bedeutung legt. In den folgenden Abschnitten werden nun zunächst die Grundgedanken der Peirceschen Zeichentheorie holzschnittartig umrissen und mit einem besonderen Blick in Richtung designtheoretischer Überlegungen dargestellt. In einem zweiten Schritt geht es dann darum, das mögliche Zusammenspiel

22

Vereinfachend könnte man sagen, dass sich der Ansatz der Product Semantics eher damit beschäftigt, was die Dinge bedeuten, während der Ansatz der Design Semiotics seinen Fokus darauf hat, auf welche Weise die Dinge ihre Bedeutungen ausdrücken. (vgl. dazu auch Zuo und Jones, 2007, S. 13) Auch die Theorie der Produktsprache ist als »Versuch einer Theorie sinnlicher Funktionen« (Gros, 1983, S. S. 7; Schwer und Vöckler, 2021, S. 89) zu verstehen, die sich mit der Bedeutung bzw. der zeichenhaften Dimension von Design-Artefakten auseinandersetzt.

4 Designtheoretische Überlegungen

von Semiotik und Linguistik näher zu bestimmen. Dominierend ist in diesem Kontext die Frage, ob ästhetische Zeichen, wie es zum Beispiel gestaltete Artefakte oder auch Kunstwerke sind, überhaupt im Rückgriff auf eine Disziplin gedeutet und untersucht werden können, »die auf der Analyse normaler Sprache aufbaut« (Walker, 1992, S. 167), die also zunächst in enger Verbindung mit den Sprachwissenschaften steht. In Anlehnung an die Ausführungen von Heinz Kroehl werde ich dafür plädieren, dass sich »bei der Übertragung auf die Problematik spezifischer Zeichensysteme […] eine Semiotik der bildlichen Zeichen [und der gestalteten Artefakte] an der spezifischen Theoriebildung im Bereich der Sprache orientieren [kann].« (Kroehl, 1987, S. 29), auch wenn natürlich eine substantielle Differenz zu den verbalsprachlichen Zeichen, wie sie in der Semiotik bisher bevorzugt thematisiert werden, existiert.23

4.2

Semiotik – Sprache, Bild, Design

Innerhalb der Semiotik ist »Zeichen« ein zentraler Begriff. Für Saussure und sein dyadisches Zeichenmodell ist ein Zeichen aus zwei Komponenten zusammengesetzt: dem Signifikat (dem Bezeichneten bzw. dem Zeicheninhalt) auf der einen, und dem Signifikant (dem Bezeichnenden bzw. der äußeren Zeichenform) auf der anderen Seite. Beide Elemente – Signifikat und Signifikant – treten immer gemeinsam auf, lassen sich also, im Sinne zweier Seiten einer Medaille, faktisch nicht voneinander trennen: Eine reine Zeichenform ohne Signifikat ist genauso leer und sinnlos, wie die Vorstellung eines reinen Zeicheninhalts, der von jeglicher äußeren Form abgetrennt ist. Nimmt man zum Beispiel das Wort »Stuhl«, das sich aus den Buchstaben »S«, »t«, »u«, »h« und »l« zusammensetzt; es bildet den Signifikanten (d.h. die Zeichenform), der das Konzept »Stuhl« bezeichnet. Beide Elemente, das Wort als Signifikant und das Konzept als Signifikat, lassen sich sinnvollerweise nicht ohne jeweils das andere denken und bilden so eine zweistellige Relation. Dabei bezieht sich das Wort nicht zwingend auf einen realen Stuhl, sondern

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Angesichts der Tatsache, dass die menschliche Sprache dasjenige Zeichensystem ist, das im 20. Jahrhundert äußerst intensiv untersucht wurde, ist es nicht verwunderlich, dass die Linguistik häufig als Modell für sämtliche Sparten der Zeichentheorie herangezogen wird. (vgl. Walker, 1992, S. 167) Ob eine Übertragung der Erkenntnisse aus der Linguistik auf das System visueller Zeichen 1:1 möglich und sinnvoll erscheint, sei an dieser Stelle zunächst dahingestellt.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

eher auf ein allgemeines Konzept eines Stuhls. (vgl. Hjelm, 2002, S. 3) Nach strukturalistischer Auffassung im Gefolge von Saussure sind es die Signifikanten, die Sprachzeichen, die die Welt als wahrnehmbare strukturieren und Sinn und Bedeutung erst ermöglichen. D.h. Sprache wird nicht mehr in dem Sinne verstanden, dass sie eine objektiv und vorgängig vorhandene Bedeutung lediglich repräsentiert. Vielmehr wird »im semiologischen Verständnis von Sprache das bezeichnete Objekt (Signifikat) erst im Akt des Bezeichnens (also durch den Prozeß der Signifikation) diskursiv hergestellt.« (Maihofer, 1995, S. 47) Auch wenn Saussure und Peirce darin übereinstimmen, dass man, bevor man die Bedeutung eines Zeichens überhaupt erkennen kann, seine Struktur verstehen muss (vgl. Crow, 2005, S. 30), unterscheiden sich die Zeichentheorien der beiden Semiotiker in einigen zentralen Aspekten. Zum einen baut das erstgenannte Modell auf der Idee linguistischer Zeichen auf und erscheint deshalb in erster Linie im Rahmen von Sprachen und deren Analyse sinnvoll einsetzbar. (vgl. Chandler, 2017, S. 31) Zum anderen baut Peirce – im Gegensatz zu Saussures dyadischem Modell – auf einem Verständnis von Zeichen als dreistelliger Relation auf (vgl. Abbildung 2) und betont den prozessualdynamischen Charakter von Zeichen. Das Zeichen (auch Repräsentamen genannt) setzt sich aus den Relata Objekt, Mittel und Interpretant zusammen, die im Prozess der Semiose zusammenwirken. Semiose wird dabei verstanden als derjenige Vorgang, in dem etwas als Zeichen fungiert und in dieser Funktion zwischen Objekten in der Welt und den Konzepten in den Köpfen der Menschen vermittelt (vgl. Chandler, 2017, S. 32), indem es seine Wirkung entfaltet. Ein solcher Prozess der Semiose ist in Abhängigkeit von vier Faktoren zu denken: Dazu gehören (1) das sinnliche Material, das Mittel, das als Zeichen wirkt – also der Zeichenträger; (2) der Interpretant, verstanden als derjenige Effekt, den das Zeichen in einem*einer Rezipient*in hervorruft; (3) das Objekt, d.h. dasjenige, worauf das Zeichen referiert und (4) dem Interpreten, der*die als Akteur*in der spezifischen Semiose das Zeichen interpretiert und versteht. Entsprechend rückt innerhalb dieses Modells der relative Charakter von Zeichen in den Mittelpunkt, insofern sich »ihre Existenz ausschließlich in der Beziehung zwischen einem Objekt und einem Interpreten« (Bürdek, 2015, S. 87) verstehen lässt. Als Zeichenträger kann im Zeichenprozess grundsätzlich jeder materielle Gegenstand, dessen Eigenschaften oder auch ein materielles Ereignis sein, insofern es als Zeichen von Rezipient*innen interpretiert wird, d.h. sobald es von je-

4 Designtheoretische Überlegungen

manden als etwas gesehen wird, das für etwas anderes, nämlich sein Objekt, steht. (vgl. Kroehl, 1987, S. 35)

Abbildung 2: Das triadische Zeichenmodell nach Peirce

Das triadische Zeichenmodell nach Peirce lässt sich hinsichtlich seiner verschiedenen Bezüge (Mittelbezug, Objektbezug und Interpretanten-Bezug) mit den drei AnalyseEbenen der Semiotik (Syntaktik, Semantik und Pragmatik) in Verbindung setzten, ebenso wie mit den Dimensionen des Offenbacher Modells der Produktsprache.

Ausgehend von den drei Bestandteilen lassen sich im Peirceschen Modell verschiedene Klassifikationen von Zeichen vornehmen, je nachdem, welche Beschreibungsebene gewählt wird: Während auf der Ebene der Syntaktik24 24

Der Begriff der »Syntaktik« geht zurück auf Charles W. Morris, der versuchte, mit diesem Neologismus eine Abgrenzung zum Begriff der »Syntax« aus dem Bereich der

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

die materielle Seite der Zeichen in den Blick genommen wird und ZeichenZeichen-Relationen im Mittelpunkt des Interesses stehen, beschäftig sich die Ebene der Semantik mit der Beziehung zwischen Zeichen und bezeichnetem Objekt im Sinne von Zeichen-Bedeutungs-Relationen. Auf der dritten Ebene, der Pragmatik, geht es um die Untersuchung der Beziehungen zwischen Zeichen und Benutzer*innen. Für die vorliegende Arbeit ist insbesondere die Ebene der Semantik von Interesse. Hinsichtlich des Objektbezugs lassen sich Zeichen in drei verschiedene Klassen einordnen und sind entweder Ikon, Symbol oder Index. Während ikonische Zeichen auf ihr Objekt aufgrund einer Ähnlichkeitsbeziehung verweisen (als Beispiel ließen sich Hieroglyphen oder auch andere Bilderschriften anführen), verweisen Index-Zeichen unmittelbar und ohne Ähnlichkeit auf ein tatsächlich vorhandenes, singuläres Objekt, zu dem sie eine räumliche oder zeitliche Verbindung aufweisen (so, wie z.B. Rauch auf Feuer verweist). Die dritte Klasse wird von den Symbolzeichen gebildet. Ihr Objektbezug entsteht aufgrund von Definitionen oder Konventionen, sodass die Prinzipien der Arbitrarität und Konventionalität gelten. Ein paradigmatisches Beispiel für diese Zeichenklasse stellen sprachliche Zeichen dar. Natürlich lassen sich Zeichen auch auf der Ebene der Syntaktik hinsichtlich ihres Mittelbezugs oder aber auf der Ebene der Pragmatik hinsichtlich ihrer Beziehung zum Interpretanten untersuchen. Allen drei Beschreibungsebenen gemeinsam ist der Rückgriff auf die Lehre der drei Universalkategorien, die Peirce im Rahmen seiner semiotischen Überlegungen einführt und die in die entsprechende Dreigliederung der jeweiligen Klassifikationen mündet25 . So lassen sich hinsichtlich der Untersuchung der materiellen Seite des

25

Grammatik zu schaffen (vgl. Morris, 1979). In der Rezeption wurde diese Differenzierung allerdings nicht stringent durchgehalten und der Begriff der Syntaktik immer wieder durch den der Syntax ersetzt. Peirce unterscheidet in seiner »Phänomenologie der universalen Kategorien« (Peirce, 1983, S. 54) zwischen Erstheit, Zweitheit und Drittheit. Unter Erstheit wird dasjenige verstanden, »was so ist, wie es eindeutig und ohne Beziehung auf irgend etwas anderes ist« (Peirce, 1983, S. 55), was sich mit dem Blick auf etwas Rotes veranschaulichen lässt: »die Röte ist nicht relativ zu irgend etwas anderem, sie ist absolut und eindeutig.« (Peirce, 1983, S. 56) Die Zweitheit ist für Peirce dasjenige, das »so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist, wie sie ist, ohne Beziehung auf etwas Drittes.« (Peirce, 1983, S. 55). Hier geht es also um den »stoffliche[n] Bezug zweier Dinge« (Crow, 2005, S. 32), um Phänomene, die nur in Abhängigkeit von anderen Kontur gewinnen: Die Kraft, die man aufwenden muss, um den Widerstand einer klemmenden Tür zu überwinden, damit sich diese öffnet, wäre eine solche dyadische Relation. In die Kategorie der Drittheit schließlich wird dasjenige gerechnet, »dessen Sein darin besteht, daß es

4 Designtheoretische Überlegungen

Zeichens Quali-, Legi- und Sin-Zeichen unterscheiden, während hinsichtlich des Interpretanten-Bezugs in Rhema, Argument bzw. Dicent unterschieden werden kann26 . Dabei sind die jeweiligen Zuordnungen nicht exklusiv, sondern können durchaus überlappen, sodass die verschiedenen Klassifikationen als Kombination in einem Zeichen in Erscheinung treten27 : So lässt sich ein Wetterhahn, der auf dem First eines Hausdaches die Windrichtung anzeigt, als dicentisches Sinzeichen kategorisieren, während zum Beispiel das Demonstrativpronomen »diese« in dem Satz »diese Tomate hat eine Druckstelle« als rhematisch indexikalisches Legizeichen bestimmt werden kann. Auch auf ein und derselben Bezugsebene sind Mehrfachzuordnungen denkbar und möglich. So kann z.B. ein Verkehrszeichen, das auf eine Ampel hinweist, gleichzeitig als Ikon wie auch als Symbol gedeutet werden. Ein Ikon ist es, insofern die abgebildete Ampel auf dem Schild dem repräsentierten Gegenstand ähnelt. Gleichzeitig ist es ein Symbol, weil seine Bedeutung von Menschen gelernt werden muss und sie durch Übereinkunft zustande kommt. (vgl. Crow, 2005, S. 32) Für die Übertragung auf die Praxis visueller Kommunikation scheint dieses Modell unter anderem deshalb besonders geeignet, weil es den prozessualen Charakter von Zeichen und die notwendige Verbindung von Zeichen und Interpret*innen akzentuiert. Ein Zeichen wird erst dann zu einem Zeichen, wenn es als solches »gelesen« bzw. interpretiert wird. Mit Blick auf die Ebene des Objektbezugs und der damit verbundenen semantischen Funktion lassen sich hier Zeichenstrukturen beschreiben, deren Offenlegung eine Analyse, Modellierung und Beschreibung von Bedeutung ermöglicht. Ein Verständnis von Semiotik in dem hier dargelegten Sinne bildet auch den Ausgangspunkt für den Offenbacher Ansatz einer Theorie der Produktsprache, insofern »die semiotische Betrachtung […] ein Verständnis der verschiedenen Referenz-Beziehungen und Dimensionen von Zeichen ermöglicht« (Steffen,

26

27

eine Zweitheit hervorbringt.« (Peirce, 1983, S. 55). D.h. in diese Seinskategorie fallen für Peirce Gedanken und Zeichen, »die die beiden anderen Ebenen in Beziehung bringen« (Crow, 2005, S. 32). Da für die Frage nach der symbolischen Dimension von gestalteten Artefakten sowohl die Ebene des Mittelbezugs wie auch diejenige des Interpretanten-Bezugs von nachgeordneter Bedeutung sind, wird an dieser Stelle auf ihre weitere Ausführung verzichtet. Eine auf den Gegenstandsbereich des Designs zugeschnittene Auseinandersetzung findet sich unter anderem bei Chandler (Chandler, 2017) und (Kroehl, 1987). Allerdings sind nicht alle Kombinationen sinnvoll: Insgesamt werden in der Literatur 10 geeignete Kombinationen genannt. (vgl. u.a. Nöth, 2000, S. 67)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

2000, S. 24)28 . So gelten als Wegbereiter der Theorie u.a. Susanne Langer und Charles W. Morris, wobei Morris explizit in seinen Ausführungen an Peirce anschließt.

4.2.1

Differenzierungen: Text – Bild – Artefakte

Die zeichentheoretischen Überlegungen, die in den vorhergehenden Abschnitten skizziert sind, haben vor allem im Bereich der Linguistik die Theoriebildung vorangetrieben, auch weil Sprache als Zeichensystem eine besonders herausragende Rolle spielt. Im Rahmen des Strukturalismus und dem damit verbundenen Linguistic Turn wurde Sprache geradezu als paradigmatisches Erklärungsmuster herangezogen, um Phänomene auch in anderen Wissenschaftsbereichen zu beschreiben und zu begründen. Sprache, als unhintergehbare Voraussetzung für das menschliche Denken, so der Ausgangspunkt, ist dasjenige, was menschliche Erkenntnis strukturiert und möglich macht. Entsprechend fand in der Philosophie seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst eine starke Hinwendung zur Sprache statt, in der Überzeugung, durch eine Analyse der sprachlichen Bedingungen Erkenntnisse über die Struktur der menschlichen Vernunft zu erlangen. Wenn alle Erkenntnis der Logik und Struktur der Sprache folgen muss, so bildet die linguistische Struktur einerseits die Grundlage, andererseits aber auch die Grenze des Wissbaren. Eine entsprechend herausragende Bedeutung kommt deshalb der Linguistik als Wissenschaft der menschlichen Sprache zu. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass »die Linguistik wie auch beim Strukturalismus häufig als Modell für alle Sparten der Semiotik [dient]« (Walker, 1992, S. 167; Hervorhebung: JK). Das heißt allerdings auch im Umkehrschluss, dass ein Großteil der semiotischen Theoriebildung bisher am Beispiel der Sprache entwickelt wurde, auch wenn der Gegenstandsbereich der Semiotik eigentlich nicht darauf beschränkt ist, sondern sie sich ganz allgemein mit Zeichensystemen auseinandersetzt. Bei dem Versuch, eine Übertragung auf die Probleme visueller Kommunikation vorzunehmen, ist daher zunächst der Frage nachzugehen, ob »diese von einer Disziplin gedeutet werden können, die auf der Analyse normaler

28

Allerdings, und das scheint mir – auch und gerade mit Blick auf die notwendige Verbindung von Interpret*in und Zeichen – eine zentrale Ergänzung zu sein, ist im Rückgriff auf die Semiotik keine letztgültige Bestimmung von Sinn und Bedeutung konkret gegebener Zeichen möglich (vgl. Steffen, 2000, S. 24).

4 Designtheoretische Überlegungen

Sprache aufbaut.« (Walker, 1992, S. 167) Schließlich unterscheiden sich visuelle und verbale Zeichen grundsätzlich voneinander, sodass eine Übertragung der Terminologie aus Linguistik und Rhetorik nicht per se gerechtfertigt erscheint.

4.2.2

Semiotik und Design

Ein augenscheinlicher Unterschied, der zwischen Sprache als Zeichensystem und gestalteten Artefakten besteht, ist die Tatsache, dass die meisten Artefakte prima facie gar keine Zeichen sind, sondern Gegenstände, die dazu konstruiert wurden, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. (vgl. Siefkes, 2012, S. 69) Entsprechend muss man davon ausgehen, dass Designobjekte eben nicht in demselben Sinn als Botschaften verstanden werden können, wie man zum Beispiel Sprechakte oder Buchstaben versteht. (vgl. Walker, 1992, S. 171) Gestaltete Artefakte sind nicht exakt einer Sache zuordenbar, für die sie stehen, wie es bei Buchstaben oder Zahlen der Fall ist. Buchstaben stehen für bestimmte Laute29 , Zahlen für genau bestimmbare Werte – und im Gegensatz dazu können Designobjekte gerade nicht buchstabiert werden, sondern sind als relativ offene Zeichensysteme in ihrer Bedeutung wesentlich vieldeutiger und wandelbarer. (Friedrich und Schweppenhäuser, 2010, S. 25) Damit verbunden sind unter anderem Differenzen, was die innere Struktur und die in ihnen auffindbaren Codes betrifft: In Opposition zu anderen Zeichensystemen, wie sie z.B. die Alphabete, Zahlensysteme oder auch die Notenschrift in der Musik darstellen, sind gestaltete Artefakte in ihrer Zeichenhaftigkeit »nicht so exakt dem zugeordnet, wofür sie stehen« (ebd.). Und sie sind, im Gegensatz zu jenen, »nicht an Unidirektionalität gebunden« (Chandler, 2017, S. 130; Übersetzung: JK). Während also Noten, Zahlen und Buchstaben bzw. Wörter zumindest im lateinischen Schriftsystem unidirektional von links nach rechts und die daraus entstehenden Zeilen von oben nach unten geschrieben und gelesen werden30 , haben Bilder und Artefakte 29

30

Tatsächlich ist diese Aussage aus einer linguistischen Perspektive angreifbar, insofern eine Entsprechung zwischen Lauten und Buchstaben nicht zu 100 % gegeben ist. So steht der Buchstabe »h« im Wort »Kuheuter« für keinen Laut. Allerdings ist für den hier vorliegenden Gedankengang eine derartige Differenzierung meines Erachtens nicht von tragender Relevanz. Allerdings werden nicht alle Schriftsysteme der Welt in derselben Richtung geschrieben bzw. gelesen. Allen Schriftsystemen gemeinsam ist zwar die Unidirektionalität, allerdings weicht die jeweilige Ausrichtung unter Umständen von dem für uns gewohn-

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keine derart festgelegte »Richtung«. Allerdings lassen, sich – darauf macht Chandler im Rückgriff auf Lakoff und Johnson aufmerksam – in Anlehnung an die über das Schriftsystem gelernte Leserichtung – Achsen der Dominanz ausmachen, die die Konventionen zur Bildinterpretation bestimmen. (vgl. Chandler, 2017, S. 130ff.) Die räumliche Anordnung von Elementen entlang horizontaler und vertikaler Achsen stellt keine neutrale Dimension bildlicher Repräsentation dar, sondern wird primär entsprechend der jeweiligen Ausrichtung der Unidirektionalität im herrschenden Schriftsystem »gelesen«; in der europäischen Malerei herrscht zum Beispiel schon lange die Tendenz, dass Bewegung eher von links in das Bild eintritt. Vor diesem Hintergrund ist es auch erklärbar, warum eine nach rechts gerichtete Bewegung sogar als Steigerung der Geschwindigkeit wahrgenommen wird. (vgl. Chandler, 2017, S. 131)31 Diese Links-rechts-Konvention gilt übrigens unabhängig von dem tatsächlich verfolgten Blickpfad, anhand dessen die Augen ein konkretes Bild oder Artefakt »abtasten«. Es gibt also – zumindest hinsichtlich der Wahrnehmung – Gemeinsamkeiten zwischen Texten und Artefakten. Seit mit Beginn des 21. Jahrhunderts die Rolle der Semiotik für das Design immer stärker in das Zentrum des Interesses rückt (vgl. Bürdek, 2015, S. 83), werden allerdings auch strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen visueller und verbaler Kommunikation über eine gemeinsame Terminologie der Semiotik gesucht. So wird in der Bildsemiotik bei einem »quasi-diskursiven Charakter der Bilder an[gesetzt], die als Zeichensysteme spezieller Art verstanden werden« (Friedrich und Schweppenhäuser, 2010, S. 25), und auch was den Designprozess und gestaltete Artefakte betrifft, werden semiotische Analysen des Gegenstandsbereichs in die Theoriebildung mit aufgenommen, denn auf die gleiche Weise, wie es von Journalist*innen oder Schriftsteller*innen erwartet wird, dass sie Grammatik (und damit die Syntax) einwandfrei beherrschen, sollten auch Gestalter*innen in der Lage sein, die grundlegenden Regeln ihres Fachbereichs zu kennen und anwenden zu können. (vgl. Steffen, 2000, S. 35) In der Folge haben sich verschiedene Übertragungen der Peirceschen Semiotik in den Bereich des De-

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ten Modus ab. So werden z.B. Arabisch und Hebräisch auch in Zeilen, allerdings von rechts nach links, Chinesisch, Koreanisch und Japanisch dagegen in Spalten von oben nach unten geschrieben. Aufgrund dieser Richtungskonvention ist es auch möglich, dass ein mit der Spitze nach rechts ausgerichtetes Dreieck als in die Zukunft gerichteter Pfeil interpretiert und z.B. auf Media-Playern als Markierung für »play« bzw. »fast forward« gelesen wird.

4 Designtheoretische Überlegungen

signs etabliert, die die drei Dimensionen der Zeichentheorie (Syntaktik, Semantik und Pragmatik) für ihr Anliegen übersetzen und transformieren. Wie man bei der Analyse von Sprache verschiedene Ebenen differenzieren kann (und muss), lassen sich auch bei der visuellen Sprache unterschiedliche Dimensionen unterscheiden (vgl. Kroehl, 1987, S. 31): Stehen auf jener Seite Laute, Begriffe und Aussagen, lassen sich auf dieser Seite Texturen, Gegenstände und Bilder als Ebenen ausmachen. Man kann also »Designobjekte […] nicht in demselben Sinn als Botschaften ansehen […] wie Sprechakte oder Buchstaben« (Walker, 1992, S. 171), dennoch fungieren sie in gewisser Weise als Zeichen, insofern sie über ihre symbolische Dimension dazu in der Lage sind, Ideen und Botschaften zu kommunizieren. Es gibt also durchaus »gedankliche Parallele[n] zwischen gestalterischem und verbalsprachlichem Ausdruck« (Schwer und Vöckler, 2021, S. 91), auch wenn sich die beiden Gegenstandsbereiche in ihrer Strukturierung nicht einfach wechselseitig aufeinander übertragen lassen. Diese Parallele findet inzwischen auch vermehrt Ausdruck in der theoretischen Auseinandersetzung mit visueller Kommunikation aus semiotischer Perspektive. Semantik – als Theorie der Bedeutung – untersucht innerhalb eines semiotischen Systems in einem ganz grundsätzlichen Sinn die Beziehungen zwischen Zeichen auf der einen und dem bezeichneten Objekt auf der anderen Seite. Als Teilbereich der Linguistik lässt sie sich weiter präzisieren: Dort beschäftigt sie sich mit Zeichen und Zeichenstrukturen, um eine Analyse und Beschreibung von Bedeutung zu ermöglichen. Betrachtet man die Konventionen zur Bildinterpretation, wie unter anderem von Gunther Kress und Theo van Leeuwen durchgeführt (vgl. Kress und van Leeuwen, 1996), lässt sich eine Analogie zwischen Design-Codes und einer sprachlichen Grammatik herstellen, die auf gewisse Ähnlichkeiten zwischen visueller und verbaler Kommunikation hinweisen kann. D.h. auch wenn eine semantische Untersuchung von gestalteten Artefakten nicht gleichzusetzen ist mit einer semantischen Untersuchung von Sprache, so »kann sich eine Semiotik der bildlichen Zeichen [durchaus] an der spezifischen Theoriebildung im Bereich der Sprache orientieren« (Kroehl, 1987, S. 29) und deren Begrifflichkeiten für die Anwendung im Bereich der Kunst- und Designtheorie fruchtbar machen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

4.3

Semantisierung von Artefakten

Geht man davon aus, dass gestaltete Artefakte prima facie nicht als Zeichen fungieren, sondern als Mittel zu einem bestimmten Zweck, stellen sich zwei zentrale Fragen: Erstens gilt es zu klären, wie sich die Bedeutungen, die symbolischen Aussagen von Design-Produkten, in die Oberfläche einschreiben und eingeschrieben werden. Zweitens, und diese Frage schließt sich an die erste an, wäre zu untersuchen, welche Strukturen sich identifizieren lassen, die den Bedeutungen der Dinge in letzter Instanz zugrunde liegen. Während die Auseinandersetzung damit, wie Dinge sind, wie sie so geworden sind und welche Wirkungen sie haben, im Mittelpunkt der Designforschung steht, bleibt die Untersuchung der zugrundeliegenden Strukturen bisher ein Desiderat. (vgl. Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012) Den ersten Punkt kann ein Blick auf Semantisierungsprozesse im Zusammenhang mit Design-Objekten erhellen, die über eine Untersuchung der materialen und formalen Aspekte und des Zusammenhangs zwischen Form und Funktion hinausgehen. Dabei ist – im Anschluss an Siefkes (Siefkes, 2012) – zwischen kontextabhängiger und kontextunabhängiger Zeichenhaftigkeit der Artefakte zu differenzieren. Rückt man diejenigen Prozesse der Bedeutungsübertragung auf gestaltete Artefakte in das Zentrum des Interesses, die zunächst einmal vollständig (oder zumindest teilweise) ohne direkte Kontextabhängigkeit fungieren, lassen sich wiederum verschiedene Wege unterscheiden, auf welchen DesignObjekte zu Bedeutungsdimensionen gelangen. Diese Prozesse werden im Folgenden mit dem Begriff der Semantisierung bezeichnet32 und lassen sich anhand sieben verschiedener Prinzipien, die den Objektbezug des Zeicheninhalts klassifizieren, noch einmal untergliedern. Das wohl offensichtlichste Semantisierungsprinzip ist das Prinzip der Funktion bzw. die Einbettung des Artefakts in einen Assoziationsrahmen, der mit der Funktion verbunden wird. So wird mit einem Küchensieb nicht nur sein eigentlicher Zweck, nämlich das Zurückhalten von Feststoffen bei

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Ursprünglich aus den Sprachwissenschaften kommend bezeichnet das Verb »semantisieren« zunächst einmal den Vorgang, wenn z.B. durch Umschreibung oder Paraphrasierung die Bedeutung eines bisher unbekannten Wortes oder eine bisher unbekannte Bedeutung eines bekannten Wortes (v)ermittelt wird. Im Zusammenhang mit DesignObjekten wird der Begriff hier in einem übertragenen Sinne eingesetzt und bezeichnet das Einschreiben der Bedeutungsdimension in die Oberfläche von Artefakten.

4 Designtheoretische Überlegungen

gleichzeitigem Abscheiden von Flüssigkeiten, sondern eher der gesamte Assoziationsrahmen (»Küche«, »Mensch bei der Arbeit«, »warmes Essen«, »Nudeln« etc.), mit dem es in Verbindung steht, aufgerufen. Ein solcher Assoziationsrahmen lässt sich deuten als organisierter Ausschnitt aus einem Weltwissen, in dem ein Situationstyp und die damit verbundenen Rollen, typischen Handlungsmuster und auch Artefakttypen beschrieben werden. (vgl. Siefkes, 2012, S. 81) Zu einem solchen Assoziationsrahmen gehören neben bestimmten Rollen (Hausfrau, Küchenchef, Küchenhilfe, Gast etc.) auch Persönlichkeitsattribute, die mit den jeweiligen Rollen verbunden werden (genuss-orientiert, durchschnittlich, fleißig, …), Handlungstypen (kochen, putzen etc.), andere Artefakte (Schürze, Messer, Küchenmaschinen etc.), aber auch Emotionen und Gefühle (angestrengt sein, Zeitdruck, Hunger etc.). In der Folge wird über eine derartige Form des Assoziationsrahmens die Funktion des Artefakts präziser bestimmt und eingeordnet. Weitere Prinzipien der Semantisierung sind Ikonizität, Stil, individuelle Erfahrung der Nutzer*innen, kulturelle Aufladung, Verknüpfung mit gesellschaftlichen Gruppierungen und spezifische Kontexte, in denen Artefakte eine zusätzliche Bedeutung – in Abhängigkeit von den kontextrelevanten Regeln – erhalten. Ein Beispiel für letzteres wäre der Kontext der Sammlung: Wenn Artefakte Teile einer Sammlung werden, spielen Zweck, Funktionalität und ästhetische Eigenschaften durchaus noch eine Rolle, werden aber durch zusätzliche Kriterien wie Seltenheit, Vollständigkeit der Sammlung, aber auch Fehlerhaftigkeit33 ergänzt. (vgl. Siefkes, 2012, S. 89) Je nachdem, welche dieser Prinzipien bei der Erzeugung von Bedeutung eine Rolle spielen, unterscheidet sich der semantische Gehalt, der mit dem Objekt verknüpft wird. Dabei kommt es immer wieder zu Überlappungen der semantischen Möglichkeitsräume, die durch Ikonizität, Stil, Erfahrung, kulturelle Aufladung, spezifische Kontexte oder auch die Verknüpfung mit gesellschaftlichen Gruppierungen hervorgebracht werden. Allen gemeinsam ist ein zugrundeliegender Semantisierungsprozess, der sich, unabhängig von den im Prozess aktiven Prinzipien, wie folgt formalisieren lässt:

33

Fehlerhaftigkeit kann dabei im Kontext des Sammelns durchaus ein positiver Aspekt sein, wenn zum Beispiel Fehldrucke von Briefmarken oder Büchern gesammelt werden, sodass Fehlerhaftigkeit Rarität impliziert und die Bedeutung der Artefakte für die Sammlung prägt.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Abbildung 3: Der Semantisierungsprozess in formalisierter Darstellung

Grundsätzlich lässt sich der Prozess der Bedeutungsübertragung so darstellen, dass zwei Repräsentationsräume (R1 und R2) über eine kausative Relation verbunden sind, wobei R1 eine Bedingung enthält und R2 die Zeichenrelation abbildet. Das Erfüllen der Bedingung in R1 sorgt dafür, dass die Zeichenrelation zwischen dem Zeichenträger (x) und dem Designat (y) in R2 existieren kann. (in Anlehnung an Siefkes, 2012, S. 91)

In einem Repräsentationsraum R1 wird eine, je nach Semantisierungsprinzip unterschiedliche, Bedingung gegeben, die über eine kausative Relation mit dem Repräsentationsraum R2 verbunden ist, in dem die dazugehörige Zeichenrelation abgebildet wird. Wenn die Bedingung erfüllt ist, bezeichnet der Zeichenträger (x) das Designat (y); das Artefakt fungiert als Zeichen mit der Bedeutung (y)34 . Nimmt man als Beispiel das Semantisierungsprinzip »Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe«, so kann man zeigen, dass ein bestimmtes Kleidungsstück (z.B. ein schwarzer Nietengürtel), zu einer bestimmten Zeit (seit den 1970er Jahren) vor allem von Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe getragen wurde und wird (der Punk-Szene). Entsprechend wird ein solcher Gürtel mit der subkulturellen Bedeutung aufgeladen und kann für die Zugehörigkeit zu einer spezifischen gesellschaftlichen Gruppierung stehen. Die Prozesse der Semantisierung, die mit den Prinzipien der Ikonizität, der Funktion, der kulturellen Aufladung etc. abgebildet werden können, spielen sich – weitet man den Blick für einen Moment auf die drei Beschrei34

Dabei ist zu beachten, dass die »Bedingung« nicht im Sinne einer logisch notwendigen Verknüpfung oder Implikation zu verstehen ist. Das Diagramm soll keine logische Proposition abbilden, die dann und nur dann wahr ist, wenn die Bedingung in R1 eine hinreichende Bedingung für die Existenz der Zeichenrelation in R2 darstellt. Es sind schließlich Fälle vorstellbar, in denen zwar die Bedingung in R1 erfüllt ist, die Zeichenrelation in R2 aber dennoch nicht zustande kommt, da andere, konkurrierende Faktoren den Prozess der Semantisierung beeinflusst haben.

4 Designtheoretische Überlegungen

bungsebenen von Gesellschaft – allesamt auf der Mesoebene der Praxis ab. In der sozialen Interaktion zwischen Individuen und Artefakten schreiben sich Bedeutungen in die Oberflächen von Artefakten ein, und zwar sowohl in Prozessen der Gestaltung und Produktion wie auch in Anwendungskontexten, in denen gestaltete Artefakte eingesetzt werden. Hier, auf der Praxisebene, spielen die Elemente der Praxiszusammenhänge mit den Möglichkeiten, die sich, trotz aller Vielfalt, im Rahmen einer bestehenden Ordnung ereignen. Dabei sind die Bedeutungen gestalteter Artefakte, die im Prozess der Semiose in die Existenz treten, vielschichtiger Natur: Anders als zum Beispiel sprachliche Zeichen, kommunizieren sie eine Vielzahl, sich zum Teil überlagernder Bedeutungen über ihre Form, ihr Material und ihre Gestaltung. Designobjekte teilen nicht nur mit, was ihr primärer Zweck ist bzw. wozu und wie sie zu gebrauchen sind, über ihre Oberfläche werden auch »Versprechen« wie Langlebigkeit (z.B. aufgrund der Materialbeschaffenheit) vermittelt, aber auch abstraktere Aspekte wie Abenteuer, Unabhängigkeit oder Genügsamkeit. Dabei ergänzen, verstärken und überdecken sich verschiedene Bedeutungen zum Teil in einem Artefakt, sodass man an dieser Stelle sinnvollerweise von Artefakten als Compound-Zeichen sprechen kann. Damit ist keine systematische Beziehung zwischen den einzelnen Teil-Zeichen gemeint, wie sie z.B. zwischen Wörtern und ganzen Sätzen besteht. Anders als bei der vom Strukturalismus betonten Relation der Zeichen untereinander, die bestimmten grammatikalischen Regeln folgt, unterliegen bei Compound-Zeichen die Verbindungslinien weniger strikten Vorgaben. Entsprechend sind die Überlagerungen und die damit einhergehenden Interpretationsspielräume auch vielfältiger und weniger festgeschrieben in ihrer Botschaft. Die zweite Frage, die mit dieser Tatsache unmittelbar in Verbindung zu sehen ist, zielt auf den Themenkomplex der zugrundeliegenden Strukturen, die ihrerseits Einfluss auf die Bedeutungszuschreibung ausüben. Auch wenn die Bedeutungen, die auf der Mesoebene in die Oberflächen gestalteter Artefakte eingeschrieben werden, nicht primär im Sinne einer ikonischen oder indexikalischen Objektbeziehung zu denken sind und in diesem Sinne eigentlich konventionell sind bzw. auf arbiträren Definitionen beruhen (vgl. Abbildung 2), so ist deren Bedeutung dennoch nicht in einem umfassenden Sinne willkürlich. Hier – auf der Makroebene – lässt sich ein diskursiv geprägtes Gefüge ausmachen, dass die Möglichkeitsräume individueller Bedeutungszuschreibung und Semantisierung rahmt und kanalisiert: Individuen schöpfen nicht aus einem grenzenlosen Reservoir möglicher Interpretations- und Zuschrei-

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bungsraster; die semantischen Möglichkeitsräume, die durch Ikonizität, Stil, Erfahrung, kulturelle Aufladung, spezifische Kontexte oder auch die Verknüpfung mit gesellschaftlichen Gruppierungen als Bedingung im Repräsentationsraum R1 für das Zustandekommen einer Zeichenrelation in Repräsentationsraum R2 fungieren, sind ihrerseits wiederum nur in Abhängigkeit von kulturell geprägten diskursiven Mustern zu verstehen (vgl. Abbildung 3). Ähnlich der Butlerschen Analyse performativer Sprachhandlungen, kann in Auseinandersetzung mit zeichentheoretischen Überlegungen nun in den folgenden beiden Abschnitten verdeutlicht werden, dass die Realität – auch im Hinblick auf die Bedeutungen gestalteter Gebrauchsgegenstände – konstruiert ist. Um zu verstehen, wie Designobjekte zu ihrer Bedeutung, ihrem Sinn »kommen«, den sie für Individuen haben, wird im Folgenden eine zweigliedrige Analyse angeschlossen, die sich in einem ersten Schritt damit beschäftigt, wie Objekte wahrgenommen werden und mit welchen zeichenhaften Funktionen ihr jeweiliger Bedeutungsgehalt verbunden ist. Dies geschieht unter Rückgriff auf designsemantische Theorieansätze, die als heuristische Hintergrundfolie angesetzt werden, um verschiedene produktsprachliche Funktionen zu differenzieren und um den kommunikativen Aspekt von Design zu erhellen, der unmittelbar mit der dreidimensionalen Körpersprache und der zweidimensionalen Oberflächensprache verbunden ist35 . Darauf aufbauend, wird es dann im folgenden Kapitel darum gehen, die Konstruktion von Bedeutungen innerhalb sozialer und kulturell geprägter Praktiken zu rekonstruieren. Ausgehend von der semiotischen Perspektive auf gestaltete Artefakte aus dem ersten Schritt, soll gezeigt werden, dass soziale Praktiken unmittelbar verbunden sind mit der Konstruktion, Kommunikation und Aufrechterhaltung von Sinn bzw. Bedeutung, die mit Artefakten verbunden sind. Für diesen Schritt dienen die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) (vgl. Latour, 2005; Verbeek, 2005; Kneer, 2009) sowie praxistheoretische Überlegungen als gedanklicher Rahmen (vgl. Reckwitz, 2003, 2008, 2010). Aus dieser Perspektive zeigen sich Individuen und Artefakte wechselseitig aufeinander bezogen: Im Sinne eines aktiven Zusammenspiels zwischen Subjekten und Objekten, erweisen sich beide in ihren Bedeutungen gegenseitig durch

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Die Theorie der Produktsprache differenziert eigentlich drei produktsprachliche Funktionen; neben »Körpersprache« und »Oberflächensprache« berücksichtigt dieser Ansatz als dritten Aspekt die »Lautsprache«. Da es in der vorliegenden Arbeit um gestaltete Oberflächen und visuelle Kommunikation geht, wird die akustische Ebene allerdings nicht weiter berücksichtigt.

4 Designtheoretische Überlegungen

das jeweils andere bedingt: Erst im praktischen Vollzug, im Doing, werden Bedeutungen konstruiert, aufrechterhalten und ggf. verschoben. Auf diese Weise, so die These, dienen Artefakte u.a. als Ressource, um sich selbst und seine Geschlechtszugehörigkeit für die Mitglieder der Gesellschaft verständlich darzustellen – und um die Geschlechtszugehörigkeit der anderen kompetent abzulesen und entsprechend zu zuzuschreiben.

4.3.1

Designsemantische Theorieansätze

Da sich die drei bereits oben eingeführten Theorieansätze (Offenbacher Ansatz, Product Semantics und Design Semiotics) in ihrem Fokus auf die kommunikative Funktion von Design-Gegenständen sehr ähnlich sind, sich ihre Unterschiede dagegen bei Fragen der gestalterischen Praxis kumulieren, wird für das weitere Vorgehen auf den Offenbacher Ansatz als exemplarische Theorie zurückgegriffen. Dies geschieht aus zweierlei Gründen: Erstens lassen sich die Theorieansätze der Product Semantics sowie der Design Semiotics designhistorisch auf den Offenbacher Ansatz zurückführen. Zweitens ist die Theorie der Produktsprache, auch aufgrund ihrer über 40jährigen Geschichte, am umfassendsten ausgearbeitet und schriftlich dokumentiert. Außerdem lassen sich die zentralen Elemente, die als Heuristik für die weiteren Überlegungen diese Arbeit dienen sollen, in allen drei Ansätzen wiederfinden: Schließlich geht es an dieser Stelle primär um eine systematische Untersuchung der Tatsache, dass gestaltete Artefakte über eine reine Zweckorientierung hinaus über kommunikative, zeichenhafte Eigenschaften verfügen, die sich aus zeichentheoretischer (also semiotischer) bzw., enger gefasst, aus bedeutungstheoretischer (also semantischer) Perspektive beleuchten lassen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass Design bzw. die visuell-kommunikative Ebene ähnlich einer Sprache analysiert werden kann. Bereits in den 1970er Jahren beginnt Jochen Gros an der Hochschule für Gestaltung Offenbach eine Theorie der Produktsprache zu entwickeln36 – der sogenannte Offenbacher Ansatz. Ging es im Funktionalismus mit seinem Credo 36

Die Theorie der Produktsprache ist ein Designansatz, der sich über die Hochschule für Gestaltung Offenbach an die Hochschule für Gestaltung Ulm zurückverfolgen lässt, wo sich bereits in den frühen 1960er Jahren u.a. Klaus Krippendorf mit der Anwendung von Semiotik auf Produktdesign beschäftigte. Ab den 1970er Jahren wurde die Theorie der Produktsprache, die auch unter dem Namen Offenbacher Ansatz bekannt ist u.a. von Richard Fischer, Dieter Mankau, Bernhard Bürdek und Dagmar Steffen an der HfG Offenbach weiterentwickelt. (Kellner, ohne Datum)

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form follows function noch darum, die praktische Funktion der Artefakte im Zentrum des Interesses zu halten, rücken mit der Theorie der Produktsprache die zeichenhaften Funktionen in den Mittelpunkt. In seinen Grundzügen erstmals vorgestellt wird der am Fachbereich für Produktgestaltung der HfG Offenbach entwickelte Ansatz in den 1970er Jahren. Ausgangspunkt für die theoretische Auseinandersetzung bildet für Gros die Funktionalismus-Debatte der frühen 1970er Jahre und die Funktionalismus-Kritik u.a. von Adorno (Adorno, 2003), Mitscherlich (Mitscherlich, 1965), Lorenzer (Lorenzer, 1970) und Klotz (Klotz, 1985) sowie Impulse aus dem Denken von Susanne K. Langer (Langer, 1979). In den Jahren 1983 bis 1987 folgt eine Schriftenreihe zu den »Grundlagen einer Theorie der Produktsprache« (Gros, 1983, 1987; Fischer und Mikosch, 1984), die sich mit der Differenzierung von Anzeichen- und Symbolfunktionen auseinandersetzt. Im Jahr 2000 wird die Theorie der Produktsprache durch Dagmar Steffen an der HfG aktualisiert (Steffen, 2000). Die kommunikative Funktion von Design rückt in das Zentrum des Interesses und mit ihr die verschiedenen Verbindungen, die sich zwischen Menschen und Objekten ausmachen lassen. (vgl. Bürdek, 2015, S. 148) Es geht mehr und mehr darum, die Beziehungen zwischen Nutzer*innen und Gegenstand zu analysieren und verstehen zu wollen, weswegen den »wahrnehmungsvermittelten Funktionen« (ebd.) besondere Aufmerksamkeit zuteilwird. Ähnlich der Sprachwissenschaft, die zwischen Syntax und Semantik unterscheidet, differenziert diese Theorie bei ihrem Erkenntnisobjekt formalästhetische und zeichenhafte Funktionen: Während erstere diejenigen Faktoren umfasst, die »unabhängig von ihrer inhaltlichen Bedeutung betrachtet werden können« (Steffen, 1997, S. 16) und damit analog zur Ebene der Syntax zu zählen wären, umfassen letztere die bedeutungstragenden Elemente, die in der Analogie zur Linguistik der Ebene der Semantik zugeordnet werden können. In der folgenden Grafik (vgl. Abbildung 4) werden die für diese Arbeit zentralen Begriffe und Konzepte in den Gesamtzusammenhang der Offenbacher Theorie der Produktsprache eingeordnet und ihre Bedeutung für die vorliegenden Untersuchungen verdeutlicht. Die in der Abbildung hellgrau dargestellten Aspekte (zum einen die Lautsprache und zum anderen die formalästhetischen Funktionen) sind der Vollständigkeit halber aufgeführt, werden aber im weiteren Verlauf nicht umfassender beschrieben, da sie für die Fragestellung dieser Arbeit keine zentrale Bedeutung haben. Als Grundannahme geht der Offenbacher Ansatz davon aus, dass jedes Artefakt verschiedene kommunikative Funktionen (d.h. produktsprachliche

4 Designtheoretische Überlegungen

Funktionen) erfüllt. Berücksichtigt werden in dem Modell sowohl akustische Artefakte mit ihrer Lautsprache, wie auch zweidimensionale Artefakte mit ihrer Oberflächensprache und dreidimensionale Objekte, die für die weiteren Überlegungen dieser Arbeit von besonderer Bedeutung sind. In einer ersten Differenzierung wird hinsichtlich der »Körper«-Sprache von Designobjekten eine Unterteilung vorgenommen, die sich an der Peircschen Unterscheidung von Mittelbezug und Objektbezug und den daraus resultierenden AnalyseEbenen der Semiotik (Syntaktik und Semantik) orientiert. Allerdings – und das ist meines Erachtens an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis, um Missverständnisse zu vermeiden – spricht die Theorie der Produktsprache statt von Syntaktik von Syntax, vielleicht auch, um den sprachlichen Charakter des Untersuchungsgegenstandes bzw. die theoretische Nähe zur Verbalsprache zu betonen37 . Während auf der syntaktischen Ebene in erster Linie sogenannte formalästhetische Funktionen abgehandelt werden, die der materiellen Seite des Artefakts in seiner Zeichenhaftigkeit Rechnung tragen, beschäftigt sich die semantische Dimension mit der Beziehung zwischen Zeichen und bezeichnetem Objekt, den »zeichenhaften Funktionen« in der Terminologie des Offenbacher Ansatzes. Die zeichenhaften Funktionen lassen sich dann noch einmal differenzieren in Symbolfunktionen und Anzeichenfunktionen. Während letztere auf der Ebene der Denotation Antworten auf die Fragen »Was ist das Artefakt?« und »Wie benutzt man das Artefakt?« geben, stehen erstere für die konnotative Dimension der Artefakte als Zeichen und geben insbesondere über Assoziationen Auskunft darüber, was das Objekt für die Nutzer*innen bedeutet. Formalästhetische Funktionen bilden entsprechend so etwas wie die »›Grammatik‹ der Produktsprache« (Steffen, 2000, S. 62). Entsprechende Gestaltungsmittel stellen ein Mittel zum Zweck dar: Sie werden dazu eingesetzt, um bestimmte Inhalte bzw. definierte Gestaltungsziele zu artikulieren und umzusetzen und lassen sich »unabhängig von […] zeichenhaften Bedeutung[en]« (Steffen, 2000, S. 34) analysieren. Ihre zentralen, antagonistischen

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Darauf, dass eine solche Nähe nur analog verstanden werden kann, da sich im Kern mit verbaler und visueller Sprache eigentlich zwei grundverschiedene Zeichensysteme gegenüberstehen, wurde bereits zu Beginn der Arbeit hingewiesen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Abbildung 4: Die Theorie der Produktsprache

Die Theorie der Produktsprache rückt den kommunikativen Aspekt von Design in den Fokus, insofern Designobjekte als Informationsträger verstanden werden. Im Offenbacher Ansatz werden verschiedene produktsprachliche Funktionen unterschieden. Besonders relevant für die vorliegende Arbeit ist das Feld der Assoziationen innerhalb der Produktsemantik.

Kategorien sind Ordnung und Komplexität – wobei der Zusammenhang zwischen den beiden Kategorien sich einer eindeutigen Bestimmung entzieht38 . Alle Überlegungen zu formalästhetischen Funktionen gründen sich in Gedanken aus der Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie: Objekte werden von Menschen als Ganzheiten wahrgenommen – nicht als Summe ihrer Bestandteile; und die Gestalt von Objekten definiert sich stets über die relationalen Verbindungen zwischen ihren Teilen. In den Bereich der formalästhetischen Funktionen fallen Fragen wie die der Gestaltreinheit und der Gestalthöhe. Das Konzept der Gestaltreinheit, das sich auf Christian von Ehrenfels

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Ganz abgesehen davon, dass die Begriffe »Ordnung« und »Komplexität« ähnlich unscharf sind, wie z.B. der Begriff der »Kälte«, sodass sich für den Gestaltungsprozess keine exakten Werte angeben lassen.

4 Designtheoretische Überlegungen

(Ehrenfels, 1974) zurückführen lässt, beruht »weitgehend auf einer Maximierung von Ordnung bei gleichzeitiger Minimierung von Komplexität« (Steffen, 2000, S. 54) – ein Beispiel eines dreidimensionalen Körpers von unüberbietbarer Gestaltreinheit wäre z.B. eine mathematisch exakte Kugel oder aber ein regelmäßiges Polyeder anzuführen. Dem Konzept der Gestaltreinheit entgegengesetzt findet sich die Gestalthöhe. Auch hier geht es wieder um eine bestimmte relationale Verknüpfung der Kategorien Ordnung und Komplexität: Gestalthöhe wird verstanden als eine parallele Ausprägung von gestalterischer Ordnung auf der einen und Komplexität auf der anderen Seite. Beide Parameter werden verstanden als in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehend, wobei »das ästhetische Maß […] dann maximal [ist], wenn beide Pole integriert« sind. (Steffen, 2000, S. 55) Im Zentrum der designsemantischen Ansätze steht, wie der Name bereits nahelegt, die Bedeutung gestalteter Artefakte. Der Blick richtet sich »vom Gegenstand auf die Mensch-Objekt-Beziehung« (Kellner, ohne Datum, S. 1) und konzentriert sich auf die semantische und symbolische Dimension. Jedes Designobjekt verfügt nicht nur über praktische Funktionen und formalästhetische Funktionen, vielmehr lassen sich daneben auch zwei differenzierbare Bereiche zeichenhafter Funktionen aufzeigen, für deren Unterscheidung sich die Konzepte von »Denotation« und »Konnotation« aus der Semiotik als hilfreich erweisen. Auf der Ebene der Denotation geht es darum, was ein Gegenstand ist (z.B. ein Stuhl, ein Telefon, ein Bügeleisen) – die Theorie der Produktsprache bezeichnet diese Anzeichenfunktion als Wesensanzeichen. Zusätzlich umfasst die denotative Dimension auch diejenigen Anzeichen, die kommunizieren, wie man das Objekt benutzt bzw. wie es funktioniert (man sitzt darauf, man drückt Tasten um Anrufe zu tätigen, man glättet damit Stoff) – d.h. was seine primäre Funktion ist. (vgl. Verbeek, 2005, S. 206) Diese Zeichen werden auch als Funktionsanzeichen bezeichnet, insofern sie auf »die zeichenhafte Umsetzung von praktisch-funktionalen Produkteigenschaften« verweisen (Steffen, 2000, S. 82) und so eine vermittelnde Rolle zwischen Mensch und Artefakt einnehmen. Auf beiden Ebenen, auf der Ebene der Wesensanzeichen wie auch auf derjenigen der Funktionsanzeichen, wird auf kommunikative Weise eine Relation zwischen Menschen und Objekten hergestellt. Auf der Ebene der Konnotation verweisen gestaltete Artefakte »indirekt und mittelbar auf übergeordnete gesellschaftliche Kontexte« (Steffen, 2000, S. 62). Ein gestalteter Gegenstand verfügt in diesem Sinne über Symbolfunktionen; er ruft über Symbolkomplexe (z.B. bestimmte Epochenstile oder Partialsti-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

le39 ) und Assoziationen konkrete Bedeutungen auf, die er jeweils für die Nutzer*innen in einem bestimmten gesellschaftlichen Bezugsrahmen hat40 . Dabei sind die symbolischen Bedeutungen, d.h. der Sinn, den ein Objekt jeweils für eine Person hat, nicht eindeutig definiert, sondern immer nur »aus den jeweiligen soziokulturellen Kontexten heraus« (Bürdek, 2015, S. 170) deutbar. Für die Bedeutung, die ein Gegenstand für den*die Einzelne*n hat, spielen insbesondere die konkreten Assoziationen, die sich für die Konsument*innen mit dem Objekt verbinden, eine entscheidende Rolle. Produkte werden heute im Allgemeinen nicht mehr primär aufgrund ihrer praktisch-funktionalen Eigenschaften erworben, sondern zur »Symbolisierung der sozialen Identität« (Bürdek, 2015, S. 173). Das, wofür Dinge eigentlich als nützlich betrachtet werden, ist »irrelevant, wenn es um die Frage geht, was die Attraktivität der als Konsumgüter verfügbaren Dinge« (Hahn, 2011, S. 96) ausmacht. Aussagen über die soziale Zugehörigkeit geschehen vordergründig hauptsächlich über ein Aktionsfeld, das in unmittelbarer Verbindung mit dem Körper steht: Wir inszenieren uns über Frisuren, Kleidung und Schmuck; über Manipulationen der Haut, wie z.B. Tätowierungen oder Make-up, über Uhren und Brillen. Aber auch mittelbare Symbole, die zwar nicht direkt »auf der Haut« getragen werden, aber einen Bezug zum eigenen Körper aufweisen, werden eingesetzt, um den sozialen Status darzustellen. Persönliche Accessoires (Handtaschen, Schreibgeräte oder auch Rucksäcke), Nahrung oder Fortbewegungsmittel sind genauso an der Selbstinszenierung und der sozialen Integration der Benutzer*innen beteiligt (vgl. Bürdek, 2015,

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Unter Epochenstilen werden in der Theorie der Produktsprache Stilbildungen bestimmter Epochen, wie z.B. Biedermeier, Historismus, Jugendstil, Funktionalismus/ Moderne und Postmoderne verstanden. Partialstile beziehen sich unter anderem auf bestimmte »Looks« (z.B. Ethno-Look, Hightech-Look oder Retro-Look), Designer-Stile (Stile, die auf eine Designer-Persönlichkeit wie z.B. Colani oder Stark verweisen) oder auch Konzeptdesign, wie z.B. Styling/Stromliniendesign oder Öko-Design. Durch diese Differenzierung sollen die Semantik der Stilgeschichte auf der einen Seite und die faktischen Partialstile auf der anderen Seite begrifflich voneinander getrennt werden (Steffen, 2000). Da Fragen der Stilgeschichte für diese Arbeit nicht im Vordergrund stehen, werde ich mich im Weiteren auf die Assoziationen konzentrieren, die mit Designobjekten verbunden sind, und die Symbolfunktion der Symbolkomplexe nicht näher in die Überlegungen mit einbeziehen, auch wenn selbstverständlich Stilgeschichte und assoziativsymbolische Wirkungen in alltagsweltlichen Situationen stets miteinander verflochten sind.

4 Designtheoretische Überlegungen

S. 171) und treffen Aussagen über Ungleichheiten, Zugehörigkeiten, gesellschaftliche Differenzierungen und Abgrenzungen (vgl. Hahn, 2011, S. 96). In diesem Kontext wird deutlich, dass Waren und Güter zur Sicherung des gesellschaftlichen Status eingesetzt werden. Erst die an das Artefakt angehefteten emotional-sozialen Funktionen bzw. Fiktionswerte machen die Güter begehrenswert: Die meisten (wenn nicht sogar alle) Gegenstände, die uns in unserem Alltag umgeben – seien es die Möbel in unserer Wohnung, seien es die Bücher im Regal, der Fahrradhelm, die Jacke oder die Schreibtischlampe – sind eigentlich nur deswegen da, weil wir sie zu einem bestimmten Zeitpunkt »gewollt« haben. Und dieses Begehren ist nicht primär geknüpft an die technisch-praktischen Funktionen des Artefakts41 , sondern speist sich aus subjektiv geprägten Vorstellungen und Bedürfnissen. Der Fiktionswert lässt sich nicht durch die Eigenschaften des Dings erklären, sondern ist wesentlicher schwerer zu fassen, da er einen breiteren Spielraum für Interpretationen bietet. Die symbolischen Bedeutungen »können nur aus den jeweiligen soziokulturellen Kontexten heraus gedeutet werden« (Bürdek, 2015, S. 170). Entsprechend lassen sich über die Fiktionswerte keine allgemeingültigen Aussagen treffen. Relativ eindrücklich lässt sich diese Bedeutungsdifferenz für die Nutzer*innen zwischen praktischen Funktionen und der jeweiligen symbolischen Wirkung der gestalteten Artefakte am Beispiel der SUVs (Sport Utility Vehicles) veranschaulichen42 . Fahrzeuge dieser Kategorie zeichnen sich durch verschiedene praktische Funktionen aus: Sie verfügen meist über Allradantrieb, ein Reduktions- bzw. Untersetzungsgetriebe43 , über ausgeprägte Stoßfänger und eine erhöhte Sitzposition, um nur ein paar wenige Features zu nennen, die diesen Fahrzeugtyp charakterisieren. Seit den 1990er Jahren erweisen sich Fahrzeuge dieser Kategorie, die, was ihre praktischen Funktionen betrifft, scheinbar insbesondere auf Landwirt*innen, Forstwirt*innen und diejenigen

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Zu den technisch-praktischen Funktionen eines Objektes zählen unter anderem seine Handhabbarkeit, Sicherheit, Haltbarkeit, technische Qualität, Ergonomie, ökologischer Wert und Zuverlässigkeit. (vgl. Schlüter, 2009) Dieses Beispiel übernehme ich von Bürdek (vgl. Bürdek, 2008, 2015). Ein Reduktionsgetriebe ist ein weiteres Getriebe, dass zwischen Motor und Getriebe geschaltet ist und über zwei Schaltstufen verfügt. Auf diese Weise kann man zwischen zwei Gängen wählen, den »hohen Gang« für den Normalbetrieb auf der Straße und den »niedrigen Gang« für Geländefahrten, Anhängerbetrieb, sehr steile Anstiege oder auch als Motorbremse für sehr steile Abwärtsgefälle.

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Menschen abzielt, die in abgelegenen Bergregionen wohnen, als außerordentlich erfolgreich auf dem internationalen Markt44 . Das Überraschende daran ist, dass die tatsächlichen Nutzer*innen de facto in (Groß-)Städten wohnen und ihre SUVs für die alltäglichen Wege auf, meist ebenen, Straßen nutzen. Die Outdoor-Features, die die Fahrzeuge in praktischer Hinsicht von anderen Autotypen unterscheiden, sind gar nicht notwendig, um z.B. die Kinder in die Schule zu fahren oder um den Supermarkt für den Wocheneinkauf zu erreichen. Warum dann Autos mit genau diesen praktischen Eigenschaften? Bei der Kaufentscheidung übernimmt in diesem Fall offensichtlich eine andere Dimension die Hauptrolle. Abwägungen und Bewertungen finden nicht hinsichtlich der tatsächlichen praktischen Nützlichkeit statt – vielmehr rücken in diesem Fall die symbolischen Wirkungen der SUVs in den Vordergrund. »Die erhöhte Sitzposition verschafft Überblick, nicht nur über den Verkehr, sondern überhaupt« (Bürdek, 2015, S. 176) und vermittelt, gepaart mit den ausgeprägten Stoßfängern ein gesteigertes Gefühl von Sicherheit. Zusätzlich scheinen Reduktionsgetriebe und Allradantrieb ein Symbol dafür zu sein, in der urbanen Gesellschaft überlebensfähig sein zu können (Bürdek, 2008, S. 167). Fahrzeuge der Kategorie SUV sind dazu konzipiert, »kleine Fluchten aus den Arbeitswelten in den Bürotürmen oder aus dem Alltagsleben in den Vorstadtsiedlungen zu ermöglichen« (Bürdek, 2015, S. 176). Entsprechend zeigt sich ihre gestaltete Oberfläche und ihre vordergründige praktische Funktionalität semantisch aufgeladen: Die primären Funktionen, die den Fahrzeugtyp auszeichnen, verlieren an Bedeutung bzw. treten in den Hintergrund, während die Kaufentscheidung durch die Konsument*innen offensichtlich vorrangig in Abhängigkeit von den symbolischen Funktionen, die mit dem Auto verbunden sind, getroffen wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im produktsprachlichen Ansatz gestaltete Objekte nicht als reine Zweckträger gesehen werden. Die Theorie der Produktsprache expliziert die unterschiedlichen Kommunikationsfunktionen, die über die Oberfläche von Design-Produkten erfüllt werden. Neben der Denotation der praktischen Funktion(en) verfügen gestaltete Artefakte zusätzlich über symbolische Eigenschaften: Über Material,

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Waren allein in Deutschland im Jahr 2018 noch 2.622.224 SUVs registriert, stieg die Anzahl in den darauffolgenden Jahren auf 4.296.727 bis zum 1. Januar 2021 (KBA, 2021). Weltweit machten im Jahr 2019 große SUV 11,8 % des Branchen-Umsatzes aus (Statista Mobility Market Outlook, 2020).

4 Designtheoretische Überlegungen

Formen, Farben und Struktur werden weitere Informationen transportiert, die eine zusätzliche semantische Ebene eröffnen. Diese Dimension beschreibt nicht, was der Gegenstand ist bzw. wie er funktioniert. In dieser Dimension geht es darum, welche Bedeutung er für die Konsument*innen hat.

4.3.2

Kritik am Modell der Produktsprache

Hintergrund und Motivation für die Entwicklung einer Theorie der Produktsprache war in den 1970er Jahren, »gestalterische Entscheidungen aus dem Bereich des Intuitiven herauszuholen« (Steffen, 1997, S. 18) und sie intersubjektiv kommunizierbar zu machen. Damit wurde allerdings auch von Anfang an die Perspektive mit ihrem Fokus auf die Designer*innen enggeführt. Aus diesem Grund zeigt sich im Offenbacher Ansatz die Konstruktion von Bedeutung auf einseitige Art und Weise interpretiert: Es wird der Eindruck erweckt, der*die Designer*in könne, sobald genügend Kenntnis über die gewünschten symbolischen Bedeutungen vorliegt, über die Anwendung bestimmter formaler Kriterien und unter Berücksichtigung von Syntax und Semantik der Produktsprache im Prozess der Oberflächengestaltung dem jeweiligen Produkt einen bestimmten Sinn bzw. eine bestimmte Bedeutung aufprägen und so eine unmissverständliche Verbindung zwischen Bedeutung und Objekt knüpfen. Für die Konsument*innen lässt sich dann, durch Interpretation des ästhetischen Eindrucks am fertigen Objekt, diese Verknüpfung problemlos nachvollziehen und so der im Gestaltungsprozess »gemeinte« Sinn bzw. die Bedeutung des Produkts erfassen bzw. von der Oberfläche des Objekts ablesen. So verstanden, entspräche die Trias Designer*in–Objekt–Konsument*in in etwa dem klassischen Kommunikationsmodell Sender–Transmitter–Empfänger, bei dem eine lineare Informationsübertragung von einem Sender (Gestalter*in) über einen Informationskanal (Medium – gestaltetes Artefakt) zum Empfänger stattfindet. Sinn und Bedeutung werden aber nicht ausschließlich wie in einem Sender/Empfänger-Modell konstruiert und vermittelt. Bedeutungsproduktion ist kein einseitiger Prozess, der sich auf das Ausdrücken von Information durch einen Sender reduzieren lässt, sondern findet in komplexen und offenen Prozessen statt, die weder linear strukturiert sind noch jemals abgeschlossen sein können. Dabei sind ganz unterschiedliche Akteur*innen eingebunden, die jeweils zu einem Gelingen oder Misslingen der Kommunikation beitragen können. Natürlich gibt es auch den*die Designer*in, der*die, angetrieben durch bestimmte Intentionen, das Objekt auf die eine oder andere Art

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

gestaltet. Allerdings, und das ist hier der zentrale Punkt, lässt sich der Kommunikationsprozess gestalteter Oberflächen nicht auf die expressive Seite der Gestalter*innen reduzieren. Eine stimmige Rekonstruktion derartiger Prozesse muss die Rezipient*innen wie auch die Artefakte in die Modellierung einschließen und berücksichtigen. Neben dieser unzulässigen Einschränkung auf die Sender-Perspektive lässt sich an der Theorie der Produktsprache weiterhin kritisieren, dass nicht berücksichtigt wird, dass die Konstruktion von Sinn/Bedeutung immer auch kontextabhängig ist. Die »Bedeutung«, der »symbolische Gehalt« ist nicht bereits irgendwo in der Welt, in Büchern oder in den Gegenständen enthalten, Bedeutung ist nichts, was vorgängig vorhanden ist und nur noch von einem Sender zum Empfänger übertragen werden muss. Bedeutung wird von Individuen in der sozialen Interaktion und im Rückgriff auf komplexe Codes45 konstruiert und zugewiesen, wobei diese Codesysteme normalerweise implizit bleiben. (vgl. Hjelm, 2002, S. 2) Dabei kommt auch den Konsumenten eine entscheidende, aber nicht alleine ausschlaggebende, Rolle zu. So lassen sich Design, Design-Codes und die durch das Design kommunizierte Bedeutung als Teile eines sozialen Prozesses verstehen, der zwischen den Artefakten, den Individuen, welche die Artefakte benutzen, und den kulturell geprägten Normen stattfindet46 . In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn Chandler davon spricht, dass Codes eine soziale Komponente haben: »All codes are social since their conventions are constructed in social and cultural contexts. […] David Halperin writes: ›I consider semiotic codes to be constructive of the meaning out of which individual subjectivity is born. They define the social and symbolic context within which subjectivity takes shape‹ (2012, 335).« (Chandler, 2017, S. 194)

45 46

Der Begriff des Codes und insbesondere des »Design-Codes« wird im Folgenden (Kapitel 5.1.3 Design-Codes) noch einmal aufgegriffen und näher erläutert. Der Prozess der Bedeutungszuweisung als intersubjektiv, prinzipienbasiert sowie gleichzeitig kontextabhängig und mit einem gewissen Grad der Freiheit hinsichtlich des Ergebnisses wird auch bei Siefkes beschrieben (vgl. Siefkes, 2012). Die dort vorgenommene Unterscheidung zwischen »Prinzipien« und »Codes« wird hier nicht aufgegriffen, da meiner Meinung nach auch Codes die geforderte Spannung zwischen Interpretationsfreiheit und intersubjektiver Kommunizierbarkeit abbilden können.

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

Die Kategorie »Geschlecht« und die Oberflächen gestalteter Gegenstände sind maßgebliche Komponenten des sozio-kulturellen Frames, der gesellschaftliche Identität zusammenbindet und rahmt. Denn gestaltete Artefakte gehören zu den stärksten Bedeutungsträgern in unserer Gesellschaft (Kirkham und Attfield, 1996, S. 1). Warenförmige Dinge, wie es industriell gefertigte Designprodukte sind, tragen in ihrer Oberfläche, so die These, immer auch schon kulturelle Bedeutungen und Praktiken eingeschrieben, »die für die Formierung gegenwärtiger Subjektivität konstitutiv sind.« (Drügh, 2011, S. 15) Die Oberfläche gestalteter Artefakte kommuniziert also in spezifischer Weise Bedeutungen, zu denen neben der Funktionsbedeutung des Gegenstandes unter anderem auch ein geschlechtlich geprägter Gehalt gehört. Welche konkreten Codes die Zugehörigkeit zu bestimmten Kategorien festschreiben, liegt nicht in der Natur des Gegenstandes, sondern erweist sich als kulturell geprägt und prinzipiell kontingent. Entsprechend kann aus einer designsemantischen Perspektive heraus gezeigt werden, wie sich ein Zusammenhang zwischen der »semiotischen Haut der Dinge« (Romero-Tejedor und van den Boom, 2013) und der Kategorie »Geschlecht« in westlichen Gesellschaften darstellen lässt. Den theoretischen Hintergrund dafür bildet dabei schwerpunktmäßig der Offenbacher Ansatz einer Theorie der Produktsprache, dessen analytische Aufgliederung produktsprachlicher Funktionen meines Erachtens eine geeignete Heuristik darstellt, um die verschiedenen Verbindungslinien nachzuzeichnen, die sich zwischen der Semantik gestalteter Oberflächen und der Kategorie »Geschlecht« aufspannen. Im folgenden Kapitel soll im Anschluss an die bisher geleisteten Vorüberlegungen gezeigt werden, wie der Zusammenhang zwischen Design – im Sinne von gestalteten Oberflächen – und Geschlecht als sozialer Kategorie zu denken ist. Eine zentrale These dabei ist, dass Artefakte nicht nur über

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

eine je eigene praktische Funktion verfügen, sondern darüber hinaus politische Macht ausüben, insofern sie als »Härter« wirken, indem sie soziale Ordnungen bestätigen und manifestieren und gleichzeitig Ausschlüsse produzieren können. Diese Wirkung zeigt sich in situativ-konkreten Konstruktionsprozessen, die innerhalb eines Netzwerks aus Designer*innen, Artefakten und Anwender*innen zu verorten sind. In diesem Sinne sind »Konsumartikel […] aktiv an der Bedeutungsgenerierung unseres gesellschaftlichen und geschlechtlichen Seins beteiligt« (Buchmüller, 2016). Allerdings nehmen auch Gestalter*innen und Konsument*innen aktiven Einfluss auf die Konstruktion der Geschlechterkategorien in sozialen Praxen. Die komplexen Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Akteur*innen sozialer Interaktionen lassen sich aus der Perspektive der einzelnen Positionen heraus analysieren: Welche Handlungsmacht kommt den Beteiligten jeweils zu, wenn es um die Vergeschlechtlichung von Artefakten und Individuen geht? Wie wirkt die gestaltete Oberfläche von Artefakten auf individueller Ebene, sodass die heterosexuelle Matrix als unhintergehbare Wirklichkeit nicht nur zitiert, sondern weiterhin stabilisiert wird? Welche strukturellen Rahmenbedingungen, welche gesellschaftlichen Normierungen prägen die jeweiligen Gestaltungspotentiale konstruktiver Praxen? Mögliche Antworten auf diese Fragen werden in den folgenden Abschnitten im Rückgriff auf das Skript-Konzept von Akrich (Akrich, 1995, 1997) und die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) von Latour (Latour, 2005) entwickelt. Während das Skript-Konzept einen Beitrag zur Erklärung leisten kann, wie Artefakte zur Normalisierung von Geschlechterverhältnissen beitragen können, ermöglicht die Akteur-Netzwerk-Theorie eine genauere Analyse der Zusammenhänge, die in der Interaktion von Individuen untereinander sowie zwischen Individuen und Artefakten bestehen.

5.1

Gestaltungsmacht von Designern: Gestalter*innen und Gestaltung

Interaktion zwischen Individuen und gestalteten Artefakten findet unabdingbar innerhalb eines geschlechtlich geprägten Rahmens statt – und das auf mindestens dreifache Weise (vgl. Brandes, 2014, S. 26): Erstens handeln Subjekte/Individuen immer geschlechtlich (wie bereits im Eingangskapitel festgestellt, kann es keine Subjekte ohne Geschlecht geben). Zweitens sind Artefakte an sich, und darauf wird im Folgenden noch näher einzugehen sein, nicht neutral, insofern sie nicht geschlechtsneutral entworfen werden können

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

(ganz unabhängig davon, ob diese Vergeschlechtlichung in Rahmen des Gestaltungsprozesses bewusst oder unbewusst geschieht). Und drittens erfolgt das Design von Artefakten in einem diskursiv geprägten Rahmen von »gesellschaftlich konstruierten Vorstellungen von Männlichkeit oder Weiblichkeit. Diese Gender-Projektionen finden sich im realen Verhalten der Menschen wieder, womit ihre Legitimität vermeintlich bestätigt wird – so entsteht eine klassische double bind-Situation oder self fulfilling prophecy.« (Brandes, 2014, S. 26) Auch wenn mittlerweile alternative methodische Entwicklungen in DesignTheorie und -Anwendung Einzug gehalten haben, um das klassische Vorgehen zu erweitern und zu ergänzen, hat das »benutzerorientierte Design […] seinen Status als vorbildliche Praxis nach wie vor inne«. (Bredies, 2014, S. 3) Entsprechend ist die Perspektive, dass sich Designer*innen in ihrer Arbeit an Nutzer*innen orientieren, noch immer das Maß aller Dinge und resultiert in gewissen Folgen für die Gestaltungsmacht von Gestalter*innen, insofern hier eine Ungleichheitslage bzw. Asymmetrie installiert und aufrechterhalten wird, die Designer*innen den aktiven Part in der Kommunikation zubilligt, während die Nutzer*innen in der passiven Rolle der Rezeption verhaftet bleiben. Geht man davon aus, dass Designobjekte mit Hilfe ihrer Oberfläche Funktions- und formalästhetische Bedeutungen kommunizieren (vgl. dazu auch Kapitel 4), lässt sich leicht nachvollziehen, welche Möglichkeiten Designer*innen zukommen, soziale Interaktionen über den ArtefaktKonsument*innen-Zusammenhang zu beeinflussen. Über Qualitäten wie Form, Materialbeschaffenheit und Farbgebung werden bestimmte Informationen und Funktionen des Objekts ausgewählt, hervorgehoben oder auch unterschlagen. Verschiedene Funktionen werden auf eine bestimmte Art und Weise angeordnet und zueinander in Beziehung gesetzt, ggf. werden Hierarchisierungen vorgenommen und mögliche Interaktionsmodi zwischen Individuum und Artefakt bestimmt (und dabei andere notwendigerweise ausgeschlossen). Dies geschieht insbesondere deshalb, weil »gestalterische Entscheidungen meist im Hinblick auf eine Zielgruppe und bestimmte Gebrauchs- und Anwendungskontexte vorgenommen werden« (Buchmüller, 2016, S. 70). Mit dem Blick auf spezifische Zielgruppen rückt automatisch auch eine vergeschlechtlichte Perspektive in das Zentrum des Interesses: Das Design als Medium nutzend, sollen konkrete Personengruppen angesprochen werden, die innerhalb des sozialen Kontextes, in dem sie agieren, immer nur

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162

Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

als Individuen mit einem Geschlecht existieren können. In der Folge sind Designentscheidungen nicht mehr geschlechts-neutral, sondern beziehen sich immer auch, mehr oder weniger explizit und bewusst, auf herrschende Vorstellungen, die mit den Geschlechterkategorien verbunden sind. Der kategoriale Unterschied zwischen »männlich« und »weiblich« schlägt sich unter anderem in den verschiedenen Design-Codes nieder, die für die Markierung von zwei gegensätzlichen Produktwelten eingesetzt werden. Während »Maskulinität« verknüpft wird mit kontrastreichen, dunklen Farben, harten und eckigen Oberflächen, mit praktischen, funktionalen und intelligenten Artefakten, finden sich auf der Seite der »femininen« Codierung helle Pastelltöne, weiche und runde Oberflächen, verspielte, dekorative und leichte Gegenstände (Weller und Krämer, 2012, S. 10). Interessant dabei ist, dass die Dichotomie der Geschlechter innerhalb der Design-Praxis bisher kaum in Frage gestellt wird. Vielmehr wird in weiten Teilen der Designforschung die klassische Sex-Gender-Trennung als Ausgangspunkt und eine grundsätzliche Differenz von Männern und Frauen aufgrund biologischer Gegebenheiten angenommen. Auch in diesem Bereich gibt es offensichtlich kaum eine Möglichkeit, sich der streng binären Klassifikation zu entziehen. Schließlich ist »[d]ie binäre Klassifikation […] der kategoriale Rahmen alltagsweltlichen Denkens« (Gildemeister, 1988, S. 496), dessen Grenzen sich nicht einfach so überschreiten lassen1 . Entsprechend bildet sich eine normalisierende Beziehung zwischen den beiden Geschlechterkategorien und gestalteten Objekten, die in letzter Instanz dazu führt, dass die Sexuierung der Objekte »natürlich« wirkt und damit unsichtbar wird. (vgl. Kirkham und Attfield, 1996, S. 1) Als problematisch erweist sich hierbei – das sei bereits an dieser Stelle angemerkt – dass durch die unbewusste Engführung auf dichotom organisierte Geschlechterverhältnisse innerhalb der Sphäre des Designs zwingend Ausschlüsse produziert werden: Geht man davon aus, dass die Kategorie »Geschlecht« eher als komplexes Kontinuum sozialer Konstruktion verstanden werden muss, stellt die Einteilung in zwei diskrete Sphären eine

1

Die hier angesprochene Leerstelle in der designtheoretischen Auseinandersetzung mag zum Teil auch daher rühren, dass die meisten Überlegungen in diesem Feld zunächst vor allem auf ethnomethodologische Untersuchungen aufsatteln, deren Fokus bei der Untersuchung der Kategorie »Geschlecht« vor allem auf der Mesoebene der Praxis liegt. Sie thematisieren in erster Linie die grundsätzlich bestehenden kulturellen Normen in ihrer Vielfalt und stellen weniger die Entstehung und die potentielle Subversion dieser Normen in den Vordergrund ihres Erkenntnisinteresses.

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

Engführung dar, die für alle Individuen, die sich an den Außengrenzen verorten, blind ist. Die Vergeschlechtlichung von Design-Objekten innerhalb des Gestaltungsprozesses kann auf zwei grundliegend unterschiedliche Arten und Weisen geschehen: Zum einen kann die Entscheidung, z.B. einen Rasierapparat für eine weibliche oder eine männliche Zielgruppe zu entwerfen, durch den Gestalter bzw. die Gestalterin bewusst getroffen werden.2 Zeigt sich der Gestaltungsprozess auf diese Weise motiviert, werden im Rahmen der ästhetischen Ausarbeitung von Artefakten bestimmte Bilder und Visionen von potentiellen Nutzer*innen aktiv in die Oberflächen der Objekte eingeschrieben: Das Objekt soll über seine Gestalt, so die Intention des Gestalters bzw. der Gestalterin, ausdrücklich »Männer« ansprechen oder »Frauen«; – und die Nutzer*innen sollen sich mit dem gestalteten Gegenstand so identifizieren, dass sie diesen in ihre Praxen einbinden d.h. »verwenden«. In der Interaktion zwischen Konsument*in und Artefakt findet dann – innerhalb der sozialen Praktiken – ein Transfer statt: die Bilder und Visionen, die die Gestalter*innen von ihrer potentiellen Zielgruppe, sei sie nun männlich oder weiblich, haben, übertragen sich von der Oberfläche der Artefakte auf die Individuen, die auf bestimmte Arten und Weisen mit ihnen interagieren. Gestaltung kann so einen wesentlichen Einfluss darauf nehmen, für welche Anwendungskontexte und Interaktionsmodi ein Objekt geeignet und einsetzbar ist. Zum anderen kann die Einschreibung von spezifischen Geschlechtervorstellungen im Designprozess auch unbewusst erfolgen: Gerade dann, wenn im Verlauf der gestalterischen Tätigkeit keine Geschlechterkategorie explizit im Fokus steht, d.h. wenn von Seiten der Designer*innen ein grundsätzlich geschlechtsneutraler Entwurf anvisiert wird, besteht die Gefahr, dass auf Grundlage des alltagsweltlichen Denkens hegemoniale Vorstellungen von Maskulinität im Sinne einer Gestaltung für »jedermann« reproduziert werden.

2

So geschehen unter anderem in der Produktgestaltung des niederländischen Produzenten Phillips. Bei seinem Markteintritt in den 1930er Jahren wurden zunächst elektrische Rasierapparate gebaut, die auf dem europäischen Markt vorerst primär von Männern genutzt wurden. Während der Konkurrent Gillette bereits um 1910 den ersten Rasierer für Frauen herstellte, dauerte es bei Philips bis zum Jahr 1939. Das erste Frauen-Modell glich in seinem äußeren Erscheinungsbild dem Modell für Männer – allerdings war seine Aufbewahrungsbox femininer gestaltet. (vgl. van Oost, 2005)

163

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

5.1.1

Bewusste Vergeschlechtlichung: gendered Design

Der erste Fall, nämlich die explizite Thematisierung der Geschlechterkategorien, tritt vor allem dann in Erscheinung, wenn Gestalter*innen bestimmte Zielgruppen für ihre Design-Produkte in den Blick nehmen und – basierend auf den eigenen Vorannahmen und Vorstellungen – durch ihre schöpferischen Entscheidungen bestimmte Gebrauchskontexte und Use-Cases auswählen. Innerhalb des Gestaltungsprozesses entwerfen Designer*innen in der Regel ein gewisses Spektrum an unterschiedlichen Visionen, die sich »letztendlich materiell-diskursiv in den Artefakten« (Bath, 2011, S. 222) bzw. an deren Oberfläche abzeichnen, weil sie, übersetzt in das Zeichenrepertoire der Produktsprache, in die Gegenstände eingeschrieben sind. Diese Visionen bzw. Vorstellungen, die dem kreativen Prozess als Leitlinien zugrunde gelegt und in die gestalteten Artefakte eingeschrieben werden, lassen sich im Sinne von Akrich als Skripte bezeichnen (Akrich, 1995, 1997). Basieren diese auf expliziten Repräsentationstechniken, wie zum Beispiel Usability-Tests, Marktanalysen oder nachträglich eingeholten Rückmeldungen zu tatsächlichen Nutzerkonstellationen, spricht man von expliziten Skripten. Werden innerhalb dieser Skripte zusätzlich noch geschlechtsspezifische Schablonen aufgerufen, sodass die gestalterisch umgesetzten Artefakt-Visionen bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit oder Weiblichkeit kommunizieren, handelt es sich um explizite Gender-Skripte3 (van Oost, 2005). 3

Der Begriff des Gender-Skripts wurde Mitte der 1990er Jahre von Ellen van Oost und Nelly Oudshoorn in die Debatte eingeführt. Das aus der sozialwissenschaftlichen Technikforschung stammende Konzept dient der Fassung von Vergeschlechtlichungsprozessen von Artefakten (vgl. dazu auch Bath, 2011, S. 222). Grundsätzlich basiert die Idee des Gender-Skripts auf dem von Madeleine Akrich eingeführten Konzept des Skripts (Akrich, 1997) und weist Verbindungen zur Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) auf (vgl. etwa Latour, 2005). Rommes, Bos und Geerdink unterscheiden noch einmal zwischen gender specific scripts und gender stereotypical scripts (Rommes, Bos und Geerdink, 2011). Eine Differenzierung, der in meinen Augen für diese Arbeit kein größeres Gewicht zukommt, insofern meine Kritik auf einer anderen Ebene angreift: Sowohl bei den gender specific scripts wie auch bei gender stereotypical scripts wird im Hintergrund eine streng binäre Struktur angenommen: Skripte resultieren aus den expliziten oder auch impliziten Annahmen, die Gestalter*innen von ihren Zielgruppen haben, und diese Annahmen basieren auf dem Alltagswissen, das von den beiden dichotomen Kategorien »männlich« und »weiblich« ausgeht. Entsprechend zeigen sich beide Skript-Konzepte gegenüber der Idee der Konstruktion von Geschlecht insofern hermetisch, als sie weiterhin auf eine scheinbar biologisch begründbare, binäre Differenz zurückgreifen. Das

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

In dieser expliziten Ausprägung können Gender-Skripte wiederum auf zwei verschiedenen Ebenen sexuierend auf gestaltete Artefakte einwirken: Zum einen kann ein direkter Bezug von der Oberfläche des Artefakts zum Geschlecht der erwarteten und zugrunde gelegten Zielgruppe hergestellt werden, sodass das Produkt anzeigt, für wen es gemacht wurde. Für den Gestaltungsprozess werden »projizierte Identitäten« (vgl. Cockburn und Ormrod, 1993) angenommen, die entweder männlich oder weiblich sind, und auf Grundlage der vorausgesetzten Präferenzen, Interessen und Kompetenzen der jeweiligen Kategorie dieser Identitäten Entwürfe entwickelt. Auf besonders plakative Weise zeigt sich diese Verknüpfung von Geschlecht und Objekt beispielsweise bei Kinderspielzeug, wenn Spielsachen für Mädchen rosa und für Jungen hellblau eingefärbt werden. Allerdings wird durch die Farbgebung in der Folge nicht nur das Geschlecht der intendierten Zielgruppe für das Spielzeug expliziert. Vielmehr – und hier zeigt sich die zweite Ebene der Sexuierung – wird im Prozess der Sexuierung die Geschlechtszuordnung auf den Gegenstand selbst übertragen: Das Spielzeug zeigt nicht nur das Geschlecht seiner potentiellen Nutzer*innen an, sondern wird entsprechend selbst »männlich« oder »weiblich«.4

4

macht sie an verschiedenen Punkten angreifbar (Vorwurf des Essentialismus, Implikation einer Einheit der Kategorie »Frauen« oder auch Ausgrenzung nicht-binärer Identitäten). Diese Schwachstellen wären dann gemindert, wenn sich die Visionen und Vorstellungen, die von Gestalter*innen in den Gestaltungsprozess eingebracht werden, nicht mehr im binären Denken, nicht mehr in dichotomen Vorstellungen von den Geschlechterkategorien verhaftet zeigten. Berücksichtigt man diese prinzipielle Offenheit des Skript-Konzeptes, lässt es sich durchaus als Heuristik für die hier vorliegende Arbeit nutzen. Der Prozess der Sexuierung verläuft streng genommen zirkulär, darauf hat bereits Hirschauer 1989 hingewiesen (Hirschauer, 1989, S. 103). Personen, Orte, Bezeichnungen, aber auch Gegenstände können und müssen durch derartige Konstruktionsprozesse vergeschlechtlicht werden: »[I]st der Nagellack ein traditionellerweise von Frauen benutzter Körperschmuck, wird der Nagellack zu einem weiblichen Objekt, woraufhin die Personen, die ihn benutzen, weiblich bzw. verweiblicht werden.« (Villa, 2011a, S. 99) Vgl. dazu auch die Ausführungen im Abschnitt 3.3.2)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

5.1.2

Implizite Vergeschlechtlichung: implizite Gender-Skripte und Sexuierung durch Objekt-Konzepte

Zum anderen kann die Sexuierung gestalteter Artefakte innerhalb des Design-Prozesses auch implizit erfolgen: Der Bezug zum Geschlecht der anvisierten Zielgruppe wird dann von den Gestalter*innen, nicht direkt und bewusst, über bestimmte Form- oder Farbgebung geknüpft. Im Gegenteil geschieht die Vergeschlechtlichung der Objekte in dieser Variante auf eine wesentlich subtilere Weise, insofern hier die Sexuierung von den Gestalter*innen gar nicht angestrebt ist, sondern sozusagen als nichtintendierte Nebenfolge implizit geschieht5 . Schließlich werden nicht alle Artefakte mit Blick auf eine geschlechtlich gefasste Zielgruppe entworfen: »Viele Objekte und Artefakte werden für ›jedermann‹ konzipiert, ohne dass eine bestimmte Benutzergruppe in den Blick genommen wird« (van Oost, 2005, S. 196; Übersetzung: JK). In diesem Fall wirken sogenannte implizite Skripte in der Gestaltung der Artefakte. Diese Skripte greifen auf implizite Repräsentationstechniken zurück, bei denen die Designer*innen versuchen, die Perspektive zukünftiger Nutzer*innen einzunehmen, um stellvertretend für diese aus der Laienperspektive zu sprechen. (vgl. Akrich, 1995, S. 173) Design-Entscheidungen werden dann unbewusst aufgrund von eigenen Präferenzen, Interessen und Kompetenzen getroffen, ohne dass dies im Prozess explizit angestrebt würde. Insbesondere in denjenigen Entwürfen, die unspezifisch für jede(n) entworfen werden, zeigen sich oftmals einseitige Verzerrungen in Richtung eines männlichen Nutzerbildes.6 Der an dieser Stelle durchschimmernde Andro-

5

6

Eine ähnliche Differenzierung in Bezug auf visuelle Kommunikation findet sich bei Kress und van Leeuwen, die von »zwei verschiedenen Formen der sozialen Kontrolle über die Bedeutung« sprechen (Kress und van Leeuwen, 1996, S. 28; Übersetzung: JK). Die implizite Variante zeigt sich als Ausdruck eines bereits bestehenden Diskurses, dessen Ergebnis in der Folge »natürlich« oder einfach »gegeben« erscheint. Dabei erweisen sich bei näherer Betrachtung auch diese Bedeutungen als konstruiert. Gerade männliche Gestalter neigen wohl dazu, die sogenannte Ich-Methode (Imethodology) anzuwenden. D.h. sie setzen sich selbst als potenzieller User im DesignProzess ein, wodurch innerhalb des Prozesses eine einseitige Ausrichtung hin zu männlich konnotierten Symbolen und Kompetenzen entstehen kann: »[…] recent studies have shown that in those cases in which designers develop artifacts for ›everybody‹ they often unconsciously base their design choices on a one-sided, male user image (Rommes, van Oost und Oudshoorn, 1999)«. (van Oost, 2005, S. 196)

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

zentrismus und die damit verbundene Heteronormativität verweisen erneut auf die binär organisierten und asymmetrisch vermachteten Strukturen, die unser Denken über Geschlecht beeinflussen und formen. Die gesellschaftlich tief verankerte, binäre Geschlechterdifferenz mit ihrer Asymmetrie zeigt sich hier an der Oberfläche und dupliziert sich über die I-methodology, ohne jemals den Blick auf ihre eigene Konstruktion freizugeben. Konkret bedeutet dies, dass Produkte, die im Rückgriff auf die Ich-Methode entworfen werden, oft nicht für jede(n) gestaltet sind, wie ursprünglich angenommen, sondern vielmehr für jedermann. Eine weitere Variante unbewusster Vergeschlechtlichung von gestalteten Artefakten kann dann geschehen, wenn die Gender-Skripte aus dem zugrundeliegenden Objekt-Konzept erfolgen. Dieser Prozess kann vielleicht am besten anhand eines Beispiels erläutert werden: Eine haushaltsübliche Waschmaschine verfügt über einen Motor, eine rotierende Trommel, verschiedene Steuerungsknöpfe und ggf. eine dazugehörige Anzeige, Zu- und Ableitungen und einen Stromanschluss und qualifiziert sich mitunter durch diese Merkmale als technisches Artefakt. In dieser Eigenschaft wäre es durchaus möglich und sinnvoll, dieses technische Gerät einer maskulin dominierten Sphäre zuzuordnen – schließlich erscheint uns in den meisten Fällen Technik als männlich konnotiert.7 Allerdings ist genau das Gegenteil der Fall: Waschmaschinen werden in der Regel, wie im Übrigen die meisten anderen Haushalts»helfer« auch, als weiblich empfunden. Und das, obwohl weder Form- noch Farbwahl im Sinne der Produktsprache eine eindeutige Richtung vorgeben. Küchengeräte und andere weiße Ware stehen unter anderem auch für einen bestimmten sozialen Raum, dem sie zugewiesen sind: dem Raum des »Privaten«, der wiederum – im Gegensatz zur männlich konnotierten Sphäre des »Öffentlichen« – mit dem weiblichen Geschlecht verbunden ist. Das Artefakt erweist sich in diesem Fall in erster Linie über die Zuordnung zu einem bestimmten sozialen Raum sexuiert und nicht so sehr über die Form- und Farbgebung bzw. die Gestaltung seiner Oberfläche.8 7

8

Auf die männliche Konnotation von technischen Artefakten weist u.a. auch Wajcman hin, wenn sie feststellt, dass in Technologien in der Regel Symbole, Metaphern und Werte integriert sind, die Begleitvorstellungen evozieren, die in der westlich industrialisierten Kultur mit »Männlichkeit« in Verbindung gebracht werden. (vgl. Wajcman, 1991) Attfield macht zusätzlich noch darauf aufmerksam, dass weiße Ware in der Regel zwar entworfen wird, um Frauen im Haushalt zu entlasten. Allerdings wird sie in der Regel immer noch unter der stillschweigenden Vorannahme gestaltet, dass es Frauen

167

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

5.1.3

Design-Codes

Gleichgültig, ob die Vergeschlechtlichung der Artefakte nun auf implizite oder explizite Weise erfolgt: In allen genannten Fällen haben Gestalter*innen eine Vielzahl an Möglichkeiten über die Auswahl der formalästhetischen Anmutungsqualitäten (wie zum Beispiel Form, Material und Farbgebung), die Beziehung zwischen potentiellen Nutzer*innen und dem Artefakt zu beeinflussen. Aus dieser Perspektive betrachtet fungieren sowohl explizite wie auch implizite Gender-Skripte als Begrenzungen des gestalterischen Möglichkeitsraumes: Sie sorgen dafür, dass bestimmte Individuen bzw. Personengruppen von der gestalteten Oberfläche »angesprochen« und zur Interaktion »zugelassen« werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Skripte explizit geschlechtliche Vorstellungen hinsichtlich der jeweiligen Nutzer*innengruppe transportieren: Die Zielgruppe für das jeweilige Artefakt wird gemäß dem Skript als männlich oder weiblich gefasst – mit den angenommenen entsprechenden Vorlieben, Fähigkeiten, Motiven und Wünschen. Dabei – und das ist an dieser Stelle der springende Punkt – wird auf z.T. stereotype Vorstellungen zurückgegriffen, deren Basis das implizite Alltagswissen über die Geschlechter ist (vgl. dazu auch Kapitel 2.1). Aus der Perspektive der Ethnomethodologie werden die Vorstellungen über die beiden Geschlechter (männlich und weiblich) vor einem Hintergrund erzeugt, der einerseits nicht weiter hinterfragt wird und der sich andererseits aus verschiedenen Wahrnehmungsprozessen und Begründungsfiguren zusammensetzt (vgl. Hirschauer, 1996, S. 243), die auf den drei axiomatischen Thesen des Alltagswissens von Geschlecht beruhen (T1 –T3 ; vgl. Seite 2.156). In der Folge werden im Verlauf des Designprozesses die formalästhetischen Gesichtspunkte des Objektes so ausgestaltet, dass das Artefakt letztendlich mit einer bestimmten, geschlechtlich konnotierten Bedeutung aufgeladen wird, die im Einklang mit genau diesen axiomatischen Thesen des Alltagswissens stehen und diese iterativ aktualisieren. Ein Artefakt wird insbesondere dann als »männlich« oder »weiblich« verstanden, wenn entsprechende Bedeutungen von seiner Oberfläche, von seiner Gestalt abgelesen und verstanden werden können. Allerdings, und das ist an dieser Stelle bemerkenswert, gründen diese Bedeutungen nicht in einem sind, die die Wäsche machen und das Essen kochen. (vgl. Attfield, 1989, S. 203) Entsprechend reflektieren diese Produkte immer auch die jeweiligen Vorstellungen, die in einer Gesellschaft vorherrschen.

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

Wesenskern des Gegenstandes oder lassen sich auf eine unveränderliche, ontologische Grundlage, eine Essenz, zurückführen. Vielmehr funktionieren die Oberflächen von gestalteten Objekten als Zeichensysteme, deren Sinn9 arbiträr und damit gemacht ist. Sowohl dyadische wie auch triadische Modelle der Zeichentheorie gehen davon aus, dass die Beziehung, die in einem Kommunikationsprozess zwischen Zeichen und bezeichnetem Objekt besteht, eben nicht auf die Weise natürlich gegeben ist, dass eine inhärente Verbindung zwischen dem Referenten und dem bezeichneten Objekt vorliegt10 . Vielmehr konstruiert sich der Sinn von Zeichen erst innerhalb eines gegebenen Bezugsrahmens, eines Zeichensystems, das auch als Code bezeichnet wird. »Codes bieten [entsprechend] einen Rahmen, in dem Zeichen einen Sinngehalt haben. Sie verkörpern Regeln oder Interpretationskonventionen, die systematisch festlegen, wie Bedeutungen erzeugt werden.« (Chandler, 2017, S. 178; Übersetzung und Kursivierung: JK) Der Sinn bzw. die Bedeutung ist dabei nicht vollständig in den Zeichen enthalten, so dass das Zeichen nur »übersetzt« werden müsste. Den Sinngehalt von Zeichen zu erfassen erfordert immer auch Interpretationsarbeit, die sich auf einen Kontextrahmen im Sinne bestimmter Vorkenntnisse, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten stützt. Allerdings, und das scheint mir an dieser Stelle ein zentraler Punkt zu sein, erweisen sich Bedeutungen andererseits als nicht vollkommen frei und willkürlich festlegbar: Wenn Humpty Dumpty in Lewis Carolls Through the Looking Glass behauptet, ein Wort bedeute, wenn er es benutze, nur und ausschließlich das, was er festlege, dass es bedeuten soll, so liegt er falsch.11 Zeichen sind zwar offen für Interpretationen,

9

10 11

Zeichentheoretisch ist dabei zwischen zwei verschiedenen Dimensionen der Bezugnahme von Zeichen auf Bedeutungen zu differenzieren: Zum einen gibt es die begriffliche Bedeutung (den Sinn bzw. die Konnotation), zum anderen die referentielle Bedeutung (die Referenz bzw. die Denotation). Dabei bezieht sich der Sinn auf ein spezifisches begriffliches Konzept, auf eine Vorstellung, während Referenz einen Bezug zur Außenwelt herstellt. (vgl. Chandler, 2017, S. 11) Im Gegensatz dazu steht zum Beispiel die Verbindung zwischen Objekt und Schatten, die eine natürliche bzw. inhärente Beziehung darstellt. Mit einer solchen Auffassung der Unmöglichkeit einer Sprache, bei welcher ausschließlich der*die Sprecher*in über die Bedeutung der Begriffe wissen kann, setzt sich auch Wittgensteins Privatsprache-Argument auseinander, dass er in den Philosophischen Untersuchungen entwickelt. (vgl. Wittgenstein, 1999)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

allerdings sind sie gleichzeitig in einen Rahmen interpretativer Möglichkeiten eingebettet, der sowohl der encodierenden wie auch der decodierenden Seite zumindest partiell bekannt sein muss. Nur wenn ein solcher relationaler Rahmen in Form von Codes für Sender wie auch für Empfänger*innen12 zur Verfügung gestellt wird, lassen sich Bedeutung und Sinn herstellen. Solange sich »Zeichen« außerhalb eines solchen Rahmens befinden, sind sie nicht verständlich und damit im strengen Sinne gar keine Zeichen. Diese Analyse gilt nicht nur für sprachliche Zeichen, sondern lässt sich auf die Formsprache im Sinne der Product Semantics übertragen: Ohne eine bereits bestehende und bekannte Hintergrundfolie mit Interpretations- bzw. Übersetzungsoptionen gibt es keine Möglichkeit, einen semantischen Gehalt zu lesen, zu erfassen und zu verstehen. Ohne eine bereits bestehende Hintergrundfolie gibt es keinen semantischen Gehalt, sondern nur bedeutungsfreie Oberfläche. Im Kontext der Gestaltung von Artefakten übernehmen Design-Codes die Aufgabe des relationalen Interpretations-Rahmens. In Form von expliziten oder impliziten Codes werden sie von Gestalter*innen in die Oberfläche der Objekte eingeschrieben (encodiert), um von den Rezipient*innen als symbolischer Gehalt des Artefakts mit einer bestimmten Bedeutung decodiert werden zu können. Allerdings ist der Gehalt dessen, was decodiert wird, nicht zwingend deckungsgleich mit demjenigen, der encodiert wurde. Interpretationsräume ergeben sich innerhalb des Code-Rahmens, sodass sich ein Sinn für die Rezipient*innen nur dort ergibt, wo auf bekannte interpretative Erwartungen, Regeln und Konventionen zurückgegriffen werden kann. So kann z.B. ein pinkfarbenes Fahrradschloss nur deswegen als Fahrradschloss »für Mädchen« verstanden werden, weil der Interpretationsrahmen unserer kulturellen Sphäre heute die Farbe Pink mit dem weiblichen Geschlecht verknüpft. Allerdings ist diese, für viele Menschen heute natürlich wirkende, Zuordnung der Farbe Pink zur Kategorie »weiblich« erst seit den 1940er Jahren von Bedeutung und nur eine kurze Zeit länger überhaupt als Bedeutungsverbindung aktiv13 . In den Jahrhunderten davor war die Farbe Rosa kleinen Jungen vorbehalten, und Rot galt als Signalfarbe für das männliche Geschlecht. Für Frau12

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In diesem Fall verzichte ich einerseits auf das Gendern des Senders (auch wenn es theoretisch natürlich auch Senderinnen geben kann), insofern der Fokus dieser Arbeit auf Artefakten als Sender liegt. Andererseits erachte ich es für sinnvoll, den Begriff des Empfängers zu gendern: Schließlich geht es hier in erster Linie um Personen, die die Bedeutung von Artefakten decodieren und interpretieren. Die Kategorisierung der Farbe Rosa als weiblich und Hellblau als männlich begann bereits um 1920 und wurde in den darauffolgenden Jahren immer bedeutsamer. Heute

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

en und Mädchen war die Farbe Blau vorgesehen, da dies die Farbe der Jungfrau Maria war. (vgl. dazu auch Heller, 1989) Ein Artefakt oder Kleidungsstück in dem entsprechenden Farbton hätte also zur Jahrhundertwende des vorigen Jahrhunderts über den gleichen Code eine entgegengesetzte Bedeutung kommuniziert, insofern bei Encodierenden wie auch Decodierenden der gleiche (im Vergleich zu heute differente) symbolische Interpretationsrahmen bekannt und gewusst gewesen wäre. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass Codes immer auch mit ideologischen Implikationen belegt sind: »Es gibt keine ideologisch neutralen Zeichensysteme: Zeichen dienen sowohl der Überzeugung wie auch der Repräsentation ([und] Repräsentation dient immer [irgendwelchen] Zwecken).« (Chandler, 2017, S. 191; Übersetzung: JK) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Sinn/die Bedeutung von symbolischen Gehalten nicht »in der Natur der Objekte« liegt, sondern arbiträr ist. Durch die Tatsache, dass die Sinnhaftigkeit von gestalteten Oberflächen nur innerhalb eines durch Codes festgelegten interpretatorischen Rahmens gegeben ist, lassen sich immer auch Spielräume ausmachen, in denen sich Differenzen zwischen dem encodierten (d.h. gemeinten) und dem decodierten (d.h. verstandenen) Sinn zeigen können. Noch einmal angewendet auf die Oberfläche gestalteter Artefakte: Um eine bestimmte Zielgruppe erfolgreich ansprechen zu können, müssen Gestalter*innen auf Design-Codes zurückgreifen, die den symbolischen Gehalt, der in die Oberfläche eingeschrieben wird, möglichst verlustfrei an die (zukünftigen) Nutzer*innen kommunizieren; dies wiederum bedeutet, dass der Rahmen interpretativer Möglichkeiten für beide Seiten der Kommunikation möglichst ähnlich gefasst sein muss, d.h. dass sich beide Seiten – Designer*in und Nutzer*in – innerhalb des gleichen interpretativen Rahmens eines Codesystems bewegen müssen. Denn »Zeichen können […] erst dann kommunizieren, wenn sie schon mit Semantik aufgeladen sind. Die Semantik kann nicht aus der Kommunikation selbst kommen. Semantik kommt aus der Weltkategorisierung oder Welterschließung.« (Romero-Tejedor und van den Boom, 2013, S. 50) Bedeutungen, die bereits innerhalb bestehender Codesysteme festgelegt sind, werden für den Gestaltungsprozess in Design-Spezifikationen umgewandelt, die mit der kulturellen Symbolik z.B. von »Maskulinität« und »Femininität« übereinstimmen. (vgl. van Oost, 2005, S. 195)

werden mit der Farbe Rosa »im positiven wie im negativen Sinn […] typisch weibliche[…] Eigenschaften« (Heller, 1989, S. 115) assoziiert.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Die Pointe an dieser Stelle ist, dass gestaltete Artefakte, wenn ihnen (explizite) Gender-Skripte zugrunde gelegt werden, über ihre Oberfläche nicht nur kommunizieren, wie und in welchen Kontexten sie zu verwenden sind und welche Funktion sie haben. Eingesetzte Design-Codes können auch dazu dienen, bestimmte Vorstellungen, die die Designer*innen von Geschlechtsidentitäten oder Geschlechterverhältnissen haben, seien diese nun bewusst oder unbewusst in den Gestaltungsprozess integriert, zu übersetzen und in die Materialität des Artefakts einzuschreiben. (vgl. van Oost, 2005, S. 195) Das wiederum bedeutet, dass bereits bestehende Vorstellungen und zum Teil auch stereotypisierende Bilder von »männlichen« und »weiblichen« Identitäten in Codes transformiert werden, die in Übereinstimmung mit den bestehenden kulturellen Symbolen14 stehen. Wie oben gezeigt, muss dieses Eröffnen und Verwehren von Interaktionsmöglichkeiten nicht immer auf Grundlage der Einschreibung expliziter Nutzer*innenbilder geschehen. Auch implizite Gender-Skripte können für die Sexuierung von Design-Objekten verantwortlich sein und über Codes das Geschlecht in die Oberfläche der Artefakte einschreiben. Es ist nicht die Intention der Designer*innen, die ausschlaggebend für die Vergeschlechtlichung von Gegenständen ist. Erst innerhalb des Gesamtzusammenhangs aus interpretativem Rahmen und entsprechender Decodierung der Zeichen durch Nutzer*innen und andere Personen im soziokulturellen Kontext werden Artefakte mit Geschlechterkategorien aufgeladen. Dies kann auch dann geschehen, wenn keine gezielte Absicht dahintersteht, wenn also durch Farb- und Formgebung sowie andere formalästhetischen Funktionen unbeabsichtigt eine Sexuierung vorgenommen wird. Man denke an dieser Stelle nur an das Beispiel des Funktionalismus. Mit seinem intendiert neutralen GestaltungsCredo form follows function scheinbar gerade nicht an einem geschlechtsspezifischen Design interessiert, hat dieser Ansatz in letzter Konsequenz dann doch primär männlich konnotierte Artefakte hervorgebracht. Ein weiteres Beispiel findet sich auch in der Gestaltung der »Digital City of Amsterdam« (vgl. Rommes, van Oost und Oudshoorn, 1999): Im Januar 1994 wurde in Amsterdam eine internetbasierte Plattform in Betrieb genommen, die eingerichtet wurde, um zum einen die politische Partizipation in der Stadt anzuregen und zum anderen die damals noch relativ neue Internet-Technologie einer breiteren

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Eine umfangreiche Auseinandersetzung zu derartigen kulturellen Symbolen findet sich bei Sparke (Sparke, 1995).

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch trotz der angestrebten allgemeinen Zugänglichkeit und Barrierefreiheit waren die Nutzer*innen der »Digitalen Stadt« keineswegs repräsentativ für die tatsächliche Bevölkerung von Amsterdam. Eine Umfrage, die 3 Monate nach Implementierung der Plattform durchgeführt wurde, ergab, dass die virtuelle Stadt »hauptsächlich von jungen, hochgebildeten Menschen ›bewohnt‹ wurde, von denen nur 9 % weiblich waren« (Rommes, van Oost und Oudshoorn, 1999, S. 477; Übersetzung: JK). Tatsächlich sind es gerade diejenigen Designentscheidungen, die auf impliziten Gender-Skripten beruhen, die für vorurteilsbehaftete Vergeschlechtlichung im Design verantwortlich sind. Oft ist es ein stereotyper Blick, der z.B. durch ornamentale Oberflächenverzierung, durch schmuckstückartige Anmutung oder Anwendung des Kindchen-Schemas bzw. der Formel »pink it and shrink it« versucht, eine weibliche Zielgruppe anzusprechen. (vgl. dazu etwa Johnson und Learned, 2004; Barletta, 2005)

5.1.4

Gender-Skripte als deterministisches Konzept?

Ein Kritikpunkt, der gegenüber dem Gender-Skript-Konzept angeführt wird, ist der Vorwurf des Determinismus: Ein Skript, das dafür sorgt, dass Geschlechtskategorien in die Oberfläche von Artefakten eingeschrieben sind, hat Auswirkungen auf die Nutzer*innen, insofern zum einen die Sexuierung von der Oberfläche des Design-Objektes auf das Individuum übergehen kann; zum anderen, weil die Begrenzung auf je »männliche« oder »weibliche« Nutzer*innen dazu drängt, sich für die eine oder die andere Kategorie zu entscheiden, um nicht unsichtbar zu werden. (vgl. Rommes, Bos und Geerdink, 2011, S. 187) Allerdings, so lässt sich gegen diesen Einwand ins Feld führen, ist die Idee der Gender-Skripte nicht in der Weise zu verstehen, dass ein spezifisches Skript deterministisch auf passive Individuen einwirkt: »Users don’t have to accept the script, it is possible for them to reject or adapt it. Gender scripts do not force users to construct specific gender identities, but scripts surely act invitingly and/or inhibitingly.« (van Oost, 2005, S. 196) Skripte attribuieren zwar Kompetenzen, Handlungsmöglichkeiten und Vorlieben mit Blick auf vorgestellte bzw. antizipierte Nutzer*innen. Allerdings ist weiterhin zwischen »projizierten Identitäten« und »subjektiven Identitäten« zu unterscheiden. Eine Differenzierung, die das Skript-Konzept durch

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die Idee der Skript-Akzeptanz öffnet: Bestimmte Kompetenzen, Handlungsmöglichkeiten, Vorlieben und Interessen werden zwar mit Hilfe von Skripten an vorgestellte Identitäten delegiert, allerdings haben die Individuen immer auch eine Wahl, ob sie die Vorgaben des Skripts annehmen, modifizieren oder ablehnen. Es besteht also immer auch die Möglichkeit, in der Verbindung aus Skript, Artefakt und Individuum Umdeutungen vorzunehmen und Lücken zur Subversion auszumachen. Grundsätzlich lassen sich drei Varianten des sogenannten De-Scripting15 ausmachen: (1) Non-User: Ein Objekt wird mit Blick auf eine bestimmte Zielgruppe entworfen, aber die Zielgruppe nimmt das Objekt nicht an. Ein Beispiel dafür ist die Mikrowelle, deren Markterfolg maßgeblich davon abhing, dass sie nach ihrer Einführung noch einmal die geschlechtliche Konnotation änderte16 . (2) Non-intended User: Auch hierfür ist die Mikrowelle ein Beispiel: Das Produkt wird mit einer bestimmten Zielgruppe (technisch interessierte Männer) im Hinterkopf entwickelt, allerdings dann von einer anderen Zielgruppe, die im Prozess der Gestaltung gar nicht von Bedeutung war (im Falle der Mikrowelle die Frauen, die für die Zubereitung der Mahlzeiten zuständig sind), adaptiert. In eine ähnliche Richtung weist die gesellschaftliche Nutzung des Telefons: Ursprünglich von den Telefongesellschaften als Geschäftsinstrument (primär für Männer) entwickelt, fokussierte sich die tatsächliche Anwendung dann auf eine weibliche Nutzerinnen-Gruppe. Frauen auf dem Land setzten es zur Überwindung der eigenen Einsamkeit ein. (vgl. Oudshoorn und Pinch, 2005, S. 1)

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De-Scripting beschreibt Nutzungseffekte, die von den Intentionen, auf denen der Gestaltungsprozess ursprünglich basiert, abweichen. Sie resultieren in dem Fehlen einer Übereinstimmung zwischen projizierten Identitäten und subjektiven Identitäten (vgl. Cockburn und Ormrod, 1993, S. 6) bzw. zwischen antizipierten und realen Nutzer*innen. Ursprünglich als High-Tech-Gerät entwickelt, dass auf alleinstehende, technikaffine, junge Männer zugeschnitten war, die keine Zeit zum Kochen hatten (oder sich keine Zeit dafür nehmen wollten), wurden Mikrowellen zunächst gemeinsam mit Unterhaltungselektronik im Kontext von Stereoanlagen und Videorekordern vermarktet. Da der Absatz nur schleppend lief, kam es zu einem Umdenken bei den Herstellern, das eine Re-Sexuierung des technischen Artefakts zur Folge hatte. (vgl. Cockburn und Ormrod, 1993; Oudshoorn, Saetnan und Lie, 2002)

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

(3) Non Intentional Design (Umnutzung): Hier spielt die »interpretative Flexibilität« (Pinch und Bijker, 1984) von Artefakten eine zentrale Rolle17 , wenn zum Beispiel ein Bürostuhl als Türstopper eingesetzt oder eine leere Konservendose als Vase. Insgesamt sind Nutzer*innen also den Vorgaben von Skripten nicht bedingungslos ausgeliefert, sondern haben im Sinne der Handlungsautonomie immer auch die Möglichkeit, sich dazu zu verhalten: »They can simply refuse to use the artifact, ore use it selectively and even in novel and unexpected ways« (Verbeek, 2005, S. 161). Nur, wenn sie die durch Gestaltung eingeschriebenen Funktions- und Bedeutungsbeschreibungen eines Artefakts für sich selbst als symbolisch und funktional bedeutsam betrachten, können Skripte tatsächlich ihre Wirkmächtigkeit zeigen. Dabei sind Gestaltung, Aneignung, Gebrauch und Bedeutung auf komplexe Weise miteinander verflochten. Oder noch einmal anders gesagt, lässt sich der »Anwendungsprozess […] nicht vollständig vom Designer durch eine bestimmte Gestaltung des materiellen Gegenstands allein festlegen, sondern muss vom Benutzer situationsabhängig interpretiert werden.« (Bredies, 2014, S. 40). Im Folgenden soll die Umnutzung von Objekten durch die User*innen noch einmal näher in den Blick genommen werden: Wie geschieht die Einpassung von Artefakten in die Alltagsroutinen? Welche Bedeutung hat die gegenseitige Bedingung von Objektnutzung und Objektgestaltung für die Subjektwerdung? Wo liegen die Grenzen von Handlungsautonomie und Selbstbestimmung? Als Hintergrund der Überlegungen wird das Konzept des Non Intentional Design (NID) von Brandes genutzt, das im Sinne des De-Scripting Nutzungseffekte beschreibt, die von den Intentionen der Designer*innen abweichen.

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An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich das Fehlen der Intention bei Non Intentional Design nicht auf einen grundsätzlichen Mangel von Zielsetzungen im Design-Prozess bezieht. Vielmehr ist damit die Tatsache angesprochen, dass gestaltete Artefakte in ihren intendierten Einsatzmöglichkeiten niemals hermetisch sind, sondern immer gewisse Interpretationsspielräume offenlassen, die für Nutzer*innen kreative Freiräume im praktischen Umgang mit den Gegenständen eröffnen.

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5.2

Gestaltungsmacht von Nutzer*innen: Konsument*innen, soziale Praxis und Non Intentional Design (NID)

Non Intentional Design (NID) wird das erste Mal in den 1990er Jahren im Bereich der Designforschung beschrieben und bezieht sich auf »das laienhafte Re-Design von eigentlich professionell gestalteten Objekten« (Brandes, 2008, S. 270; Übersetzung: JK). NID findet statt, wenn Artefakte in einer Art und Weise im Alltag eingesetzt werden, die von der ursprünglich intendierten abweicht. Dabei beschreibt das Konzept keinen Design-Prozess im eigentlichen Sinne: Tatsächlich liefert schon die adverbiale Beschreibung »nicht-intentional« einen wichtigen Hinweis darauf, dass zwar offensichtlich ein Handlungssubjekt aktiv und kreativ vorgeht, indem es ein Objekt einer neuen Zweckbestimmung zuführt. Allerdings ist dies nicht mit Design gleichzusetzen, da eigentlich kein Impuls besteht, bewusst etwas Neues zu erschaffen.18 Bei Non Intentional Design wird ein bereits – mit einer anderen Intention – gestaltetes Objekt einer Umnutzung zugeführt. Dennoch, darauf macht u.a. Bredies aufmerksam, liegt diesem Prozess etwas Kreatives zugrunde: »Wie Menschen ein Objekt im Umgang und in einem bestimmten Nutzungskontext deuten und ihm dadurch Bedeutung verleihen, wird nur zu einem Teil durch den Gegenstand vorgegeben und kann als kreative Leistung verstanden werden.« (Bredies, 2014, S. 3) Es ist in diesem Kontext, dass die »Aneignung« durch die Nutzer*innen von Bedeutung ist. Damit wird der kreative Prozess bezeichnet, in dem Menschen aktiv die Bedeutung der eingesetzten Artefakte im Prozess der Nutzung konstruieren. Ein Stuhl dient dann nicht mehr als Sitzmöbel, sondern als Kleiderständer oder als Leiter, um eine Glühbirne zu wechseln; die Untertasse wird zum Aschenbecher; die Tür des Kühlschranks dient als Pinnwand etc. NID lässt sich auf verschiedene Weisen realisieren, die sich in folgenden drei Prinzipien zusammenfassen lassen: Bei der reversiblen Nutzung (1) 18

Tatsächlich ist diese Nicht-Intentionalität aber nicht mit Zufälligkeit, dem Fehlen einer Strategie oder mangelnder Vernünftigkeit gleichzusetzen, insofern die Umnutzung der Artefakte im NID durchaus aus dem Wunsch heraus resultiert, Bedürfnisse zu befriedigen oder eine Lösung für Probleme zu finden: »In NID, the users’ motives lie more in wanting to use a thing differently from the professionally determined aim, in order to balance a deficit–either momentary (emergency solution, provisional, improvisional; for instance saucers as ashtrays) or systematic (no product suited to the specific purpose: like beer coasters under a leg to steady a wobbling table).« (Brandes, 2008, S. 171)

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

werden Artefakte dauerhaft oder temporär in einem neuen Kontext eingesetzt, ohne Originalzustand und -funktion zu verändern (z.B. ein Marmeladenglas, dass auf dem Schreibtisch als Stiftehalter dient). Resultiert NID in einer Irreversiblen Nutzung (2), lassen sich am Artefakt dauerhafte Spuren dieser Nutzung ausmachen, so zum Beispiel, wenn der Originalzustand verändert werden muss, damit das Objekt an die neue Anwendung angepasst ist (z.B. ein Schraubglas, in dessen Deckel kleine Löcher gestanzt werden, um es als Salzstreuer zu verwenden). Zu guter Letzt sei noch die Ortsveränderung (3) erwähnt. Hier werden Objekte aus ihrem ursprünglichen räumlichen Kontext entfernt, z.B. dann, wenn Euro-Paletten, die eigentlich zum Warentransport gedacht sind, als Bettgestell eingesetzt oder aber wenn Räume in Ihrer Nutzung und Funktion umgewidmet werden – z.B., wenn eine Fabrikhalle als Party-Location genutzt wird. (vgl. Brandes, 2008) Auch im Non Intentional Design zeigt sich das Paradigma des Funktionalismus als fehlerhaft: Die Funktion determiniert nicht die Form, sondern die Form bestimmt in gewisser Weise den Gebrauch. In der Anwendung werden ähnliche Formen für denselben Zweck eingesetzt, auch wenn sie ursprünglich für unterschiedliche Zielsetzungen gestaltet wurden. »So öffnen wir Briefe mit dem Messer und könnten umgekehrt notfalls mit einem Brieföffner Brote schmieren« (Brandes, Stich und Wender, 2009a, S. 55). Artefakte werden in solchen Fällen in die Alltagsroutinen eingepasst; ausschlaggebend für die Einbindung in Handlungen ist nicht, ob das gestaltete Objekt für diesen Einsatz tatsächlich gedacht war; ausschlaggebend ist, ob das gestaltete Objekt für den Anwendungszweck geeignet ist. Dabei geschieht die Umnutzung von vielen Gegenständen im Alltag so selbstverständlich, dass sie den Akteur*innen oft gar nicht bewusst ist – man denke nur an das Öffnen eines Briefumschlages mit dem Schlüssel auf dem Weg zur Wohnungstür. Wenn Objekte im Sinne des Non Intentional Design zweckentfremdet, also für ein Ziel eingesetzt werden, dass nicht der ursprünglichen gestalterischen Intention entspricht, dann nicht deshalb, weil nicht erkannt wurde, wofür der Gegenstand eigentlich gut sein sollte, sondern weil Individuen dazu in der Lage sind, die Interpretationsfreiräume zu erkennen, die sich aus Formen ergeben. Man setzt den Schlüssel nicht deshalb als Brieföffner ein, weil man nicht verstanden hat, dass er grundsätzlich zum Öffnen einer Tür zu gebrauchen ist, sondern weil der Schlüssel »mit einem Muster im Kopf zur Lösung des Problems übereinstimmt und sich zur Bewältigung des Problems [zum richtigen Zeitpunkt] anbietet.« (Brandes, Stich und Wender, 2009b, S. 57)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Innerhalb des Phänomens des NID lassen sich zwei verschiedene Perspektiven differenzieren, die jeweils unterschiedlich fokussieren: Auf der einen Seite rücken die Nutzer*innen in das Zentrum des Interesses, indem zu einer Intention (wie im oben genannten Beispiel des Brief-Öffnens) unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten herangezogen werden (Brieföffner, Messer, Wohnungsschlüssel). Auf der anderen Seite liegt der Fokus auf den gestalteten Objekten, die in ihrer interpretativen Flexibilität verschiedene Benutzungsmöglichkeiten anbieten. (Brandes, Stich und Wender, 2009b, S. 56). Die Umnutzung von Artefakten findet sich im Alltag in beinahe allen Lebensbereichen. Non Intentional Design zeigt sich auf der Straße, wenn Fahrräder an Straßenschilder angeschlossen werden, im Büro, wenn die Kaffeetasse zur Aufbewahrung von Stiften genutzt wird, oder in der Wohnung, wenn die Zimmerpflanzen mit der Wasserflasche gegossen werden. Die Motivationen, mit denen gestaltete Artefakte aus ihrer ursprünglichen, primären Funktion herausgelöst werden, sind dabei vielfältig. NID veranschaulicht die interpretative Flexibilität der Objekte und zeigt das prinzipielle Potential für Bedeutungsverschiebungen, die in der Praxis vorgenommen werden können. Dabei bezieht sich die Offenheit auf der Ebene der zeichenhaften Funktionen (vgl. Abbildung 4) nicht nur auf die Anzeichenfunktionen (und dort insbesondere auf die Funktionsanzeichen), sondern auch auf die Symbolfunktionen. Das, was ein Artefakt für ein Individuum bedeutet, ist nicht eindeutig über die Semantik festgelegt, sondern abgängig von individuellen Interpretationsentscheidungen im Prozess der Decodierung. Zwar erfolgt im Alltag »die Bezugnahme auf die Kodes fast automatisch, so daß man die Dekodierungsprozesse als bedingte Reflexe verstehen kann« (Eco, 2016, S. 188), allerdings sind die verwendeten Codes eingebettet in kulturelle Lernvorgänge und Unschärfen, die Spielräume für Bedeutungsverschiebungen eröffnen, deren Ergebnisse nicht vorhersehbar sind. In ihrer funktionellen und interpretativen Offenheit werden gestaltete Artefakte in sozialen Kontexten unterschiedlich eingesetzt und genutzt. Sie werden eingesetzt, um Zugehörigkeiten und Abgrenzungen zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu signalisieren. Im Sinne bedeutungstragender »Darstellungsinstrumente« bzw. »Inszenierungsmittel« dienen Objekte dazu, Aussagen über soziale Verhältnisse zu kommunizieren, insofern gesellschaftliche Differenzierung mitunter durch den Besitz ausgedrückt wird. (vgl. Hahn, 2011, S. 96) D.h. neben der funktionsbasierten Interaktion, die zwischen Individuen und Artefakten stattfindet, zum Beispiel, wenn wir einen Stuhl als Sitzmöbel verwenden, lässt sich eine bedeutungsbasierte Interaktion ausmachen, die in verschiedenen Varianten – unter an-

5 Artefakte und Geschlecht – eine semiotische Perspektive

derem im Rückgriff auf die sozialen Konnotationen, die den Objekten eingeschrieben sind – beschreibbar ist. Menschen interessieren sich für ein bestimmtes Auto, weil es »schlicht«, weil es »umweltfreundlich« wirkt oder weil sie es als »leistungsorientiert« deuten. Kleidungsstücke und Accessoires werden, bewusst und unbewusst, von Menschen eingesetzt, um die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, politische Einstellungen oder auch bevorzugte Freizeitaktivitäten zu kommunizieren. (vgl. Siefkes, 2012, S. 74f.) Aber diese Bedeutungen sind nicht festgeschrieben oder in der »Natur« der Gegenstände begründet. Artefakte bedeuten etwas, weil ihnen Bedeutungen zugeschrieben werden, wenn sie integraler Bestandteil einer sozialen Praxis werden (und sie werden in die Praxis integriert, weil sie eine Bedeutung haben). Dinge werden auch durch gesellschaftliche Prozesse mit Bedeutung aufgeladen (Hahn, 2011, S. 96). Die Semantik von gestalteten Artefakten begründet sich also nicht nur durch Intentionen, die im Vorgang des Gestaltens in Form von Skripten das Design beeinflussen. Was die Dinge bedeuten (und wofür sie zu verwenden sind), wird auch in der Interaktion mit den Artefakten durch die Nutzer*innen bestimmt. In dieser Perspektive wird der Gestaltungsprozess gewissermaßen durch die Nutzer*innen aufgegriffen und weitergeführt, sodass sich aus einer konstruktivistischen Perspektive der Blick auf Gebrauch und Design dahingehend zuspitzen ließe, dass die Konstruktion von Bedeutung im Prozess des Gebrauchs derjenigen im Prozess des Gestaltens strukturell ähnlich ist. (vgl. Bredies, 2014, S. 3) Semantisierungsprozesse von gestalteten Objekten lassen sich entsprechend beschreiben als von kulturell geteilten Prinzipien der Bedeutungszuweisung getragene Prozesse, deren Ergebnisse nicht vollständig festgelegt sind. Entsprechend sind die Prinzipien innerhalb der kulturellen Gemeinschaft intersubjektiv geteilt und nicht spontan und beliebig von den Zeichen-Nutzer*innen eingesetzt, ohne jedoch auf ein gewisses Ausmaß an interpretativer Freiheit und Kontextbezogenheit zu verzichten. (vgl. Siefkes, 2012, S. 69)

5.3

Gestaltungsmacht von Artefakten

Etwas weniger offensichtlich als die oben beschriebene Perspektive der Nutzer*innen zeigt sich die Tatsache, dass auch Artefakte eine gewisse Gestaltungsmacht in sich tragen. Sie sind nicht als reine Objekte zu verstehen, die losgelöst von jeglicher Sozialität existieren und nur von Individuen im prak-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

tischen Umgang gebraucht werden. Vielmehr soll im Folgenden gezeigt werden, dass gestaltete Artefakte selber einen aktiven Beitrag zur Konstruktion von Subjektivität leisten und so überhaupt Gesellschaft erst ermöglichen. Hintergrund der Überlegungen ist der Versuch, die klassische Dichotomie von Subjekt und Objekt aufzuweichen und das Konzept der sozialen Konstruktion einem weiteren Verständnis zuzuführen, als gemeinhin üblich19 . Dazu wird unter anderem auf praxistheoretische Überlegungen und die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) als Heuristik zurückgegriffen, da die ANT einen »generalisierten Akteursbegriff [verwendet], der eine Engführung auf menschliche Personen vermeidet« (Kneer, 2009, S. 21)20 . Durch die damit einhergehende Betonung der Handlungsorientierung kann verdeutlicht werden, wie Artefakte im Sinne von Aktanten21 Handlungsfähigkeit besitzen und immer wieder verändernd in die soziale Praxis eingreifen. Wie innerhalb konstruktivistischer Ansätze im Allgemeinen wird auch hier davon ausgegangen, dass Artefakte und sozialer Kontext eng miteinander verwoben sind und sich in einem komplexen Wechselspiel aus Interpretation, Anwendung und Stabilisierung gegenseitig bedingen. Allerdings, und das scheint mir an dieser Stelle besonders wichtig zu sein, ist die Akteurschaft nicht zu denken im Sinne eines intentional handelnden Subjektes.

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Die Idee, den »Sozialkonstruktivismus« zu einem »Konstruktivismus« zu erweitern, übernehme ich von Verbeek, der in seiner Auseinandersetzung mit Latour darauf aufmerksam macht, dass Sozialkonstruktivismus derart verstanden werden kann, dass die Realität auf die soziale Interaktion von menschlichen Handlungssubjekten begrenzt wird. (vgl. Verbeek, 2005, S. 150) Allerdings sehe ich keine Notwendigkeit darin, den Begriff des »Sozialkonstruktivismus« zugunsten des Begriffs des »Konstruktivismus« aufzugeben. Vielmehr optiere ich dafür, den Bereich des Sozialen umfassender zu verstehen, sodass auch Netzwerke aus verschiedenartigen Aktanten – menschlicher und nicht-menschlicher Natur – eingeschlossen werden können. Die Akteur-Netzwerk-Theorie gründet im Social Constructivism of Technology (SCOT). Während letzterer vor allem die interpretative Flexibilität und damit die gesellschaftliche Gestaltbarkeit in den Mittelpunkt stellt, versucht die ANT, »die Dualität von Technik und Gesellschaft radikal in Frage« (Degele, 2002, S. 99) zu stellen. Mit »Aktanten« versucht die ANT, eine gewisse Handlungsfähigkeit von Artefakten begrifflich zu fassen. Die Ausgangsthese ist, dass sich in einem Netzwerk der Beitrag der einzelnen Elemente nicht im Voraus festlegen lässt, »weshalb alle Elemente des Netzwerkes unter Einschluß der technischen Artefakte mit Blick auf die Strukturierung des Netzwerks« (Schulz-Schaeffer, 1998, S. 128) als Entitäten betrachtet werden müssen, die etwas in diesem Netzwerk tun – in der Terminologie der ANT dann als »Aktanten« bezeichnet. Entsprechend gibt es menschliche und nichtmenschliche Aktanten.

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Durch die Oberfläche von Design-Objekten drückt sich die Gestaltungsmacht in zweifacher Weise aus. Zum einen zeigen sie auf der semiotischen Ebene – sozusagen als Medium der Kommunikation – die Macht der Gestaltung: Artefakte kommunizieren über ihre Oberflächen in Beschaffenheit, Form, Farbe und Material einerseits wozu sie zu gebrauchen sind bzw. welche praktische Funktion sie haben, aber auch Fiktionswerte, Visionen und Konnotationen, d.h. den Sinn, den sie für die Nutzer*innen haben. Sie transportieren unter anderem die Inhalte, die von den Gestalter*innen – sei es nun bewusst oder unbewusst – in ihre Oberfläche eingeschrieben wurden. Indem Artefakte kommunizieren, was sie sind (d.h. ihre primäre Funktion) und was sie bedeuten (d.h. ihre sekundären Funktionen), werden gleichzeitig immer auch Ausschlüsse produziert; Ausschlüsse dessen, was sie nicht sind und was sie nicht bedeuten. Allerdings bleibt zu berücksichtigen, dass diese Gestaltungsmacht, die von den Designer*innen mittels der Objekte auf die Nutzer*innen ausgeübt wird, weder eindimensional noch deterministisch wirkt: Zwar limitiert die eingesetzte Oberflächensprache den Interpretationsüberschuss bzw. dem Möglichkeitsraum intersubjektiv verständlicher Deutungen, insofern sie auf Codes in impliziten und expliziten Skripten zurückgreift. Dennoch bleiben innerhalb der Codes Freiräume der Deutung, deren Inhalt nicht vollständig vorbestimmt ist. Eine zweite Weise, auf die Artefakte über Gestaltungsmacht verfügen, liegt in den Mensch-Objekt-Handlungszusammenhängen begründet. Auf der materialen Ebene greifen Artefakte ordnend und formend in den Handlungszusammenhang ein. Hier zeigt sich ihre Macht zur Gestaltung. Was Subjekte sind und was ihre Umwelt ist, wird vermittels Artefakte konstruiert. Diese Vermittlung findet aber nicht einfach zwischen Subjekt und Objekt statt, sondern formt Subjektivität und Objektivität in der Interaktion mit. (vgl. Verbeek, 2005, S. 130) Im Sinne der ANT könnte man in diesem Zusammenhang auch von Kollektiven sprechen, die nicht nur menschliche Akteure umfassen, sondern Netzwerke aus menschlichen Personen, naturalen und technischen Dingen. (vgl. Kneer, 2009, S. 20) Bestimmte Dinge oder Artefakte sind in diesem Verständnis unersetzliche Bestandteile bestimmter sozialer Praktiken: Ihre Bedeutung besteht nicht alleine darin, dass sie auf eine bestimmte Weise interpretiert werden, sondern auch darin, dass sie auf eine bestimmte Art gehandhabt werden und so zu konstruktiven, wirksamen Elementen sozialer Praxis werden. (vgl. Reckwitz, 2002, S. 210) Dabei ist die Fähigkeit von Artefakten, die Beziehung zwischen Individuen und der Umwelt mitzuprägen,

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nicht als intrinsische Eigenschaft des Artefakts selbst aufzufassen (eine solche Interpretation würde bedeuten, dass, sozusagen durch die Hintertür, die Subjekt-Objekt-Dichotomie wieder Einzug erhält, die es ja eigentlich zu überwinden galt). Mit einer solchen Deutung leistete man einem strengen Realismus Vorschub, durch den Artefakten bestimmte Eigenschaften zugewiesen würden, unabhängig von den Subjekten, für die diese Artefakte existierten. (vgl. Verbeek, 2005, S. 117) Nimmt man den Ansatz der Akteur-Netzwerk-Theorie ernst, so lassen sich Prozesse der sozialen Interaktion und Konstruktion, einschließlich der Vergeschlechtlichungsmechanismen, bruchlos auch auf Netzwerkprozesse übertragen, an denen menschliche und nicht-menschliche Akteur*innen gleichermaßen beteiligt sind. Gestaltete Artefakte verfügen über eine Macht zur Gestaltung in der Hinsicht, dass sie innerhalb gesellschaftlicher Kontexte bestimmte Nutzungsräume und -möglichkeiten eröffnen und sich als Requisiten der individuellen Inszenierung verstehen lassen: Sie werden von Individuen innerhalb von Alltagsroutinen eingesetzt, um bestimmte Aspekte der gesellschaftlichen Zugehörigkeit und Subjektivität darzustellen und dienen in diesem Sinne als performative Displays: Sie stellen das, was sie darstellen, auch gleichzeitig her.

5.4

Verschränkung der Sphären

An dieser Stelle zeigt sich ein fruchtbarer Anknüpfungspunkt zu Butlers Performativitätstheorie der Geschlechter: Artefakte spielen eine maßgebliche Rolle im Zusammenhang mit Körperroutinen, Codes und Wunschstrukturen, die sich Individuen einverleiben müssen, um zu »zurechenbaren, von sich selber und anderen anerkannten ›Subjekt[en]‹ zu werden« (Reckwitz, 2008, S. 14). Während Butler jedoch den Schwerpunkt ihrer Publikationen auf die Untersuchung der Performativität auf der sprachlich-diskursiven Ebene legt, wird hier die Wirkmacht von performativen Praktiken und den innerhalb dieser Praktiken eingesetzten Artefakte in den Blick genommen. Gestaltete Gegenstände sind aufgrund ihres Designs dazu in der Lage, in den Individuen, die sie in der Interaktion einsetzen, bestimmte Assoziationen hervorzurufen. Die Tatsache, dass ein Artefakt zum Beispiel als »schnell«, »modern«, »extravagant«, »lustig« oder »risikobeladen« wahrgenommen wird, kann unter anderem darüber entscheiden, in welchen sozialen Kontexten der Gegenstand eingesetzt wird, wie mit ihm umgegan-

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gen wird und wer ihn überhaupt verwendet. (vgl. Krippendorff, 1984, S. 15) Diese kommunikative Struktur der Oberflächen hat auch einen performativen Einfluss auf die Herstellung von Geschlecht: Artefakte werden dabei auf unterschiedliche Arten und Weisen eingesetzt, nicht nur, um geschlechtlich konnotierte Assoziationen hervorzurufen. Im Prozess der Darstellung und Zuschreibung von Geschlecht tragen die Artefakte zur Konstruktion der Geschlechterkategorien bei, indem sie die entsprechenden Codes und Bedeutungen wiederholen, manifestieren und naturalisieren. Subjekte erweisen sich so als kontingente Wechselbeziehungen zwischen Individuen und Praxis-/Diskurskomplexen. Geschlechtlich markierte Subjektivität ist etwas, das das Individuum beständig herstellen muss und was sich als eine »in Formierung begriffene Struktur« (Butler, 2015c, S. 15) beschreiben lässt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Netzwerk aus Artefakten, Gestalter*innen und Nutzer*innen ein mehrdimensionales, kommunikatives Gewebe darstellt, in dem »Geschlecht« interaktiv konstruiert wird. Geschlecht ist also das »Ergebnis eines sozialen Konstruktionsprozesses und gesellschaftlicher Konventionen« (Rendtorff, Kleinau und Riegraf, 2016, S. 10), das performativ hergestellt wird – immer auch im Rückgriff auf Artefakte. Der Möglichkeitsraum annehmbarer22 Geschlechtskategorien wird dabei von bereits bestehenden, aus Erfahrungen, Erwartungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen geformten Grenzen gerahmt, wobei die performative Konstruktion von Geschlecht immer wieder auch auf diese Strukturen zurückwirkt und sie mit formt. Der Sinn und die Bedeutung, mit der die Oberflächen gestalteter Artefakte semantisch aufgeladen sind, speist sich zum Teil aus den innerhalb der Gesellschaft bestehenden Normen und Vorstellungen, die den strukturellen Rahmen der Konstitutionsverhältnisse aufspannen, innerhalb dessen intelligible Subjektpositionen möglich sind. Diese Normen sind Teil eines komplexen »Wissenssystems« (Hirschauer, 1996), das Alltagswissen, wissenschaftliches Wissen und normative Annahmen in sich vereint und gesellschaftsstruk22

Der Begriff »annehmbar« ist in diesem Fall bewusst doppeldeutig: Er zeigt, dass die jeweilige Geschlechtskategorie nicht nur vom Individuum selbst im Sinne einer Darstellung ›angenommen‹ werden muss, für das Erlangen des Subjektstatus nicht nur eine erfolgreiche Inszenierung des eigenen Geschlechts notwendig ist. Vielmehr ist das Subjekt immer auch auf seine Anerkennung angewiesen. Dies bedeutet wiederum, dass auch der/die Andere das inszenierte Geschlecht im Sinne einer Zuschreibung für das darstellende Subjekt ›annehmen‹ muss. Wird eine der beiden Facetten nicht erfüllt, scheitert die Subjektwerdung.

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turierende Wirkung besitzt. Über den Fiktionswert designter Objekte wird dieses Wissenssystem nicht nur kommuniziert, sondern in die Subjekte eingeschrieben und in sozialen Verhältnissen fixiert. Was die Kategorie »Geschlecht« betrifft, greifen insbesondere DesignCodes oft unhinterfragt auf ein binäres, hierarchisches System zurück. Design, als kultureller Prozess, beginnt als Idee, als Vorstellung im Inneren des Designers und bezieht sich auf das, was »wissbar«, was intelligibel ist. Oft wird dabei im Prozess auf vereinfachende Strategien zurückgegriffen, so dass es zu popkulturellen Stereotypisierungen kommt, da im Industriedesign eine wesentliche Herausforderung darin besteht, am Ende des Prozesses ein eindeutiges und verständliches Produkt zu erhalten. Das gelingt natürlich leichter, wenn eindeutige und erwartbare Assoziationsketten zitiert werden, die sich im Zentrum des Möglichkeitsraumes befinden, als wenn auf unsicheres Terrain am Rande der Sphäre des Intelligiblen verwiesen wird.

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

Wurde in der vorliegenden Arbeit bisher in jeweils verschiedenen Kapiteln getrennt voneinander ausgearbeitet, wie zum einen, aus poststrukturalistischer Perspektive, Subjektivation und damit verbunden die Konstruktion von Geschlecht zu denken ist, und wie, zum anderen, Design über eine semantischsymbolische Dimension verfügt, wird es in den folgenden Abschnitten darum gehen, eben diese Gedanken miteinander zu verschränken. Im Verlauf des Kapitels soll nun exemplarisch herausgearbeitet werden, wie Diskurse – vermittelt durch die Performativität gestalteter Oberflächen – körperliche Gestalt annehmen können.1 Dabei werden wiederum die drei Ebenen in den Blick genommen, auf denen sich das Soziale (und damit auch die Kategorie Geschlecht) jeweils zeigt, wobei ein Schwerpunkt auf der Meso-Ebene praxeologischer Zusammenhänge und auf der Mikro-Ebene des Selbst liegen wird, wobei das Subjekt in diesem Bezugsrahmen immer schon als »Selbst im Kontext« (Benhabib, 2015) zu verstehen ist. Das Faktum der Bestimmtheit und Ordnung, das analytisch auf der übergeordneten Makro-Ebene zu verorten ist, wird über den Begriff der Strukturkategorie aufgegriffen, aber in diesem Kapitel in seiner Ableitung nicht weiter vertieft. Das folgende Kapitel wird also primär durch das Spannungsfeld zweier – miteinander verbundener – Fragestellungen gegliedert, die auf bereits ausgearbeitete Aspekte des dritten Kapitels zurückgreifen und die sich in der übergreifenden Frage Butlers wiederfinden, wie »Menschen in unserer Kultur zu Subjekten gemacht« (Butler, 2017b, S. 59) werden. In einem ersten Teil geht es um die individuelle Perspektive der Herstellungspraxis und Subjektwerdung (zu verorten auf der Mikroebene), während sich der zweite Teil der 1

Diese Formulierung steht in Anlehnung an Bublitz (Bublitz, 2002, S. 21), wo allerdings performative Sprechakte als vermittelnde Instanz angeführt werden.

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(Meso-)Ebene dynamischer Praxiszusammenhänge zuwendet und der Frage nachgeht, welchen Beitrag gestaltete Artefakte innerhalb der Pluralität der Praktiken leisten, wenn die Strukturierung (d.h. die Makro-Ebene) der sozialen Interaktion und der individuellen Existenzmöglichkeiten in den Blick genommen werden. Auch an dieser Stelle wird wiederum deutlich, dass die beiden Problemfelder jeweils miteinander verwoben sind und sich gegenseitig bedingen2 : Ähnlich dem Schachspiel, das es ohne seine Regeln nicht gibt, existieren die Regeln nicht ohne das Spiel. Geht es also im ersten Teil um den Prozess der Konstruktion subjektiver Lebensweisen innerhalb von Handlungspraxen, die natürlich immer schon in soziale Kontexte eingebettet sind, wendet sich der zweite Teil des Kapitels der Struktur der sozialen Ordnung zu, die wiederum in ihrer Existenz auf die Handlungspraxen verwiesen ist.

6.1

Subjektwerdung: Das Selbst im Kontext pluraler Praktiken

Im nun folgenden Abschnitt setze ich mich zunächst mit der konstruktiven Rolle von Artefakten in sozialen Praktiken auseinander, um herauszuarbeiten, welche Rolle die gestalteten Oberflächen von Artefakten bei der Konstruktion von Geschlecht und also auch bei der Subjektbildung spielen. Dafür werden – vor der heuristischen Hintergrundfolie designtheoretischer Überlegungen zur Produktsemantik – Judith Butlers Gedanken zur Konstruktion von Geschlecht und die damit verbundene Idee postsouveräner Subjekte anhand zweier Praxisbeispiele ausgearbeitet. Dieses Vorhaben lässt sich als dreistufiger Prozess darstellen: Zunächst werden die formalästhetischen Elemente von zwei konkreten Artefakten innerhalb eines gegebenen Kontextes deskriptiv analysiert und die Ergebnisse u.a. tabellarisch zusammengefasst. Auf der zweiten Stufe erfolgt die Erweiterung des deskriptiven Rasters um Assoziationen und Symbolik und die Übertragung der Erkenntnisse in die Beschreibung der normativen Einstellungen und Annahmen über Geschlechter, die sich hinter den jeweiligen freigelegten Design-Codes verbergen, um

2

Die gleiche – paradoxe – Bewegung zeigt sich im Prozess der Performativität, die mit Butler und Foucault als wechselseitige Verbindung aus Unterwerfung unter die strukturierenden Normen und Autonomie verstanden werden kann: »Jede freie Entscheidung des Subjekts wird von seiner Unterwerfung und jede seiner Unterwerfungen durch die ihm eigene Autonomie geprägt«. (Distelhorst, 2007, S. 260)

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

herauszuarbeiten »[w]elche Projektionen und welches Verständnis von ›weiblich‹ und ›männlich‹ sich in den Objekten [verdinglicht]« (Brandes, 2010, S. 8). Schließlich, in einem dritten Schritt, werden die gewonnenen Ergebnisse in ihrem Einfluss auf den Prozess der Subjektivation und interaktiven Herstellung von Geschlecht untersucht: Wie lässt sich die paradoxe Bewegung zwischen den Normen, die in den Oberflächen von Artefakten sedimentiert sind, und den Subjekten konkret fassen? Und welchen Beitrag leisten Artefakte für die eine mögliche Sichtbarkeit bzw. Anerkennung von Subjekten? Noch einmal zur Erinnerung: Neben anderen Modi der Subjektwerdung (wie z.B. ethnischer oder glaubensbasierter Identifikationen, Nationalität, Klassenzugehörigkeit usw.) »konstituiert die Opposition männlich/weiblich die Kategorie der Identität wesentlich mit« (Kottow, 2004, S. 69), und zwar so fundamental, dass die Möglichkeit, nicht männlich oder weiblich zu sein, in der gesellschaftlichen Realität gar nicht vorkommt. Wir können uns der Vergeschlechtlichung nicht entziehen: Um Subjekt sein zu können, brauche ich ein Geschlecht. Dabei ist Geschlecht nicht etwas, das wir haben oder das wir sind, sondern etwas, dass wir immer wieder herstellen. Dies geschieht in kontextabhängigen Interaktionen zwischen Individuen und basiert auf einem gegenseitigen Erkennen und Gewähren von kategorialen Zuschreibungen. (vgl. u.a. West und Zimmerman, 1987; Hirschauer, 1989) Geschlecht ist also »keineswegs eine stabile Identität oder ein Ort der Entscheidungsfreiheit, von dem aus verschiedene Handlungen ausgehen; vielmehr handelt es sich um eine Identität, die sich in der Zeit fragil konstituiert – eine Identität, die durch eine stilisierte Wiederholung von Handlungen hergestellt wird.« (Butler, 1988, S. 519; Übersetzung: JK) Eben diese »stilisierte Wiederholung von Handlungen« gilt es, in den Fokus der Untersuchung zu rücken, insofern offensichtlich nicht jede beliebige Form der Handlung für eine gelingende Konstruktion qualifiziert3 . Die Konstruktion von Geschlecht findet, wie in Kapitel 3 gezeigt, vor dem Hintergrund des sedimentierten Alltagsverständnisses von Geschlecht statt und zeigt sich – als »Effekt interaktiver Leistungen« (Maihofer, 1994b, S. 246)

3

Bereits die Tatsache, dass man von »gelingender Konstruktion« sprechen kann, zeigt, dass es auch Formen der Herstellung gibt, die sich außerhalb des Erwarteten und Zulässigen bewegen.

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gebunden an T1 , T2 und T3 4 : Die Kategorie Geschlecht ist binär verfasst, sie ist von der Geburt bis zum Tod konstant und die Zugehörigkeit lässt sich eindeutig aus dem biologischen Körper ableiten (vgl. S. 56). Gerade diese Rückbindung an den biologischen Körper ist es, die in unserer Kultur verlangt, dass in der sozialen Interaktion stellvertretende Ressourcen bzw. Requisiten eingesetzt werden: Da unser Gegenüber in der Regel keinen unmittelbaren Zugriff auf unseren (nackten) Körper hat, sind wir, um unsere Geschlechtszugehörigkeit verständlich zu machen, auf Requisiten als vermittelnde Instanzen angewiesen, die uns dabei unterstützen und die die Funktion »kultureller Genitalien« (Kessler und McKenna, 1978, S. 155; Übersetzung: JK) übernehmen: Kleidung, Körperhaltungen und Frisuren, aber auch Aktentaschen, Armbanduhren, Mobiltelefone oder Fahrräder – alle diese Dinge geben nicht zuletzt über ihre formalästhetischen Eigenschaften immer auch Auskunft über Vorstellungen von Geschlecht. Und dies geschieht in einem wechselseitigen Prozess: Sie helfen uns auf der einen Seite bei der Darstellung unserer eigenen kategorialen Zugehörigkeit, indem sie an ihrer Oberfläche diejenigen kulturellen Normen zitieren und erscheinen lassen, die den Möglichkeitsraum der jeweiligen Geschlechtskategorie rahmen. Gleichzeitig unterstützen sie uns aber auch auf demselben Weg darin, zu erkennen, welcher Kategorie das Gegenüber zuzuordnen ist. So wird eine kontrollierende Verbindung geknüpft zwischen Darsteller*innen und Betrachter*innen, wobei die vermittelnde, kommunikative Rolle der Artefakt-Oberflächen nicht in der Weise zu verstehen ist, als seien sie (neutrale) Medien im Sinne eines Sender-MediumEmpfänger-Kommunikationsmodells. Die Gegenstände selbst werden, im Prozess der Sexuierung (vgl. Hirschauer, 1989), mit geschlechtlicher Bedeutung belegt. Der Prozess der Konstruktion von Geschlecht stellt sich also als konzertiertes Zusammenspiel von Darstellen und Zuschreiben in konkreten Interaktions-Settings dar, für dessen Gelingen entsprechende Requisiten nötig sind. Mit anderen Worten: Für die Inszenierung oder Herstellung werden, zum Teil unter großem Aufwand, neben »körperlichen Indikatoren« (MdG, S. 143) Gegenstände eingesetzt, die zwischen mir und den anderen vermittelnd kommunizieren; schließlich reicht es nicht aus, einfach nur »da« oder »anwesend« zu sein, um als kompetentes Mitglied der Gesellschaft 4

Diese Thesen fungieren dabei als Orientierungslinien; ihre Zitation und Wiederholung sind maßgebliche Funktionen der gelingenden Subjektwerdung: »Ohne Normen kein Subjekt« (von Redecker, 2011, S. 51).

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

anerkannt werden zu können, denn wir wissen »ja nicht, wie unsere Mitmenschen ohne Kleidung aussehen oder wie deren Chromosomen beschaffen sind« (Villa, 2007a, S. 12). Aus dieser Perspektive lässt sich Geschlecht als ein Ergebnis »sozialer, kultureller Prozesse auf der Grundlage symbolvermittelter sozialer Interaktion« (Gildemeister, 2007, S. 60) verstehen; wobei die formal–ästhetischen Elemente gestalteter Artefakte als Zeichen interpretiert werden können, die eine gelingende Kommunikation zwischen Darstellenden und Zuschreibenden auf vorreflexive Weise ermöglichen. Der springende Punkt an dieser Stelle ist, dass die Individuen einer Gesellschaft diesen konstruktiven Interaktionszusammenhang nicht verlassen können: Es herrscht eine Art kultureller Zwang – von Lindemann als »Zumutung« beschrieben (Lindemann, 2011), von Hirschauer als »Zuständigkeit« gefasst (Hirschauer, 1989) –, als Teil der Gesellschaft ein eindeutiges Geschlecht zu verkörpern (vgl. Villa, 2011a, S. 98). Im Rahmen dieser Geschlechtszuständigkeit ist jedes Individuum in seiner Funktion als Interaktionspartner*in dazu gezwungen, erstens sein eigenes Geschlecht für die anderen verständlich darzustellen und gleichzeitig zweitens auch das jeweilige Geschlecht der anderen Individuen im Rahmen der sozialen Interaktion anzuerkennen. Das aber bedeutet, dass ich gar keine Möglichkeit habe, meine Geschlechtszugehörigkeit nicht darzustellen, sondern zu jedem beliebigen Zeitpunkt in sozialen Kontexten dazu genötigt bin, sowohl mich selbst »in Szene zu setzen«5 , wie auch als Anerkennungsinstanz für die Darstellungen anderer Personen zu fungieren.6 Hierbei scheint mir von elementarer Bedeutung zu sein, dass wir in unserer Kultur zwingend darauf angewiesen sind, ein Geschlecht zu haben, und dass dieses Geschlecht nicht irgendein beliebiges Konstrukt sein kann, sondern eines, dass mit den strengen Vorgaben der gegenwärtigen Geschlechterordnung übereinstimmt. (Auf die Rolle des Geschlechts als kulturspezifische Ordnungsstruktur wird später noch eingegangen, weswegen sie hier zunächst einmal in den Hintergrund rücken kann). Warum das so ist, wird deutlich, 5

6

Der Ausdruck des »In-Szene-Setzens« birgt natürlich die Gefahr, das Konstruktionsgeschehen im Sinne einer »Bühnenshow« fehlzudeuten, bei der*die Protagonist*innen ihre Rolle frei wählen können. Vgl. dazu auch die Überlegungen zur Performativität und der Fehlinterpretation im Sinne der Theatermetaphorik auf S. 84. Eine zentrale Rolle dabei spielt dabei der Konsum: »Konsum bietet Möglichkeiten der Selbst-Identifikation im Spiegel« von Artefakten und diese »Identitätsbildung erfolgt natürlich in Auseinandersetzung mit der Bewertung durch andere«. (Voswinkel, 2008, S. 3965)

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wenn man die kommunikative Struktur innerhalb der Konstruktionspraxen ernst nimmt. Denn die soziale Anerkennung durch andere verweist schon immer darauf, dass dasjenige, was anzuerkennen ist, für die anerkennende Instanz zu allererst verständlich sein muss, und damit auf eine zeichenhafte Vermittlung angewiesen ist. Nur, wenn es eine gemeinsame »Sprache« gibt, die von beiden Seiten verstanden wird, ist ein solches Anerkennungsgeschehen überhaupt möglich. Dabei sind Menschen nicht auf Sprechakte im engeren Sinne angewiesen; Kommunikation funktioniert auf verschiedenen Kanälen, von denen die visuelle Kommunikation ein entscheidendes Element darstellt. Für die Darstellung und Identifikation werden, neben Gesten und Frisuren etc. auch (semantisch aufgeladene) Artefakte eingesetzt, um die individuellen Grenzen der eigenen Existenz zu markieren. Wenn wir ein Geschlecht brauchen, um sozial überhaupt Sichtbarkeit erlangen zu können, müssen wir dieses für andere verständlich »darstellen«, damit die richtige Geschlechtszugehörigkeit, und damit der Subjektstatus, zugewiesen werden kann. Die »Anerkennung richtet sich auf andere Menschen und orientiert sich dabei entlang einer Norm, die sowohl den beteiligten Individuen als auch ihrer Beziehung vorhergeht« (Distelhorst, 2009, S. 72). Das bedeutet, dass die konkrete Darstellungspraxis immer auch abhängig von anderen Personen im sozialen Kontext ist – und natürlich auch von dezidierten (gemeinsamen) Vorstellungen, von deren Negation man sich abzugrenzen versucht.7 Eine zentrale Rolle spielen in diesem Kommunikationszusammenhang gestaltete Artefakte, die über die Semantik ihrer Oberflächen Versprechen geben können, die »deutlich über ihren Gebrauchswert« (Ullrich, 2011, S. 112) hinausgehen. Es ist dieser Fiktionswert von Alltagsgegenständen, der für die Subjektivierung und gesellschaftliche Anerkennung eine zentrale Rolle spielt und der einen maßgeblichen Einfluss auf die Herstellung von Geschlecht hat. Stellen wir uns zu diesem Zweck ein Hotelzimmer vor: Ein Gast hat am späten Nachmittag eingecheckt. Er hat sein Gepäck verstaut und das Zimmer für – nehmen wir an – ein Abendessen in der Stadt verlassen. Auf dem kleinen Tisch liegt eine schlichte Aktenmappe aus braunem, gewachstem Rindsleder; daneben ein dunkles Etui, das eine Powerbank in sich tragen könnte, oder einen Trockenrasierer (den Inhalt können wir durch die Oberfläche hindurch 7

Es »gewinnt […] das Subjekt seine Identität über eine Sequenz von Differenzen, die es zu dem in Opposition bringen, was es verwirft. Hier besetzt der Konsum aus systematischen Gründen eine herausgehobene Stellung.« (Reckwitz, 2006, S. 428)

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

allerdings nicht erkennen). Viel mehr hat die Person im Zimmer nicht offen zurückgelassen – sieht man von der Shampoo-Flasche ab, die sich im Bad mit ihrer dunklen Farbe von den hellen Fliesen abhebt. Obwohl von der Person so gut wie nichts bekannt ist – und obwohl die Beschreibung der Artefakte an dieser Stelle bewusst sehr rudimentär ausfällt – glaubt man doch intuitiv ein Gefühl, eine Tendenz dafür ausmachen zu können, welches Geschlecht der Gast wohl haben mag. Jedes der nur angedeuteten Artefakte ließe, für sich genommen, das Bild wahrscheinlich noch sehr verschwommen erscheinen, in der Summe jedoch können die Interpretierenden deutlichere Anzeichen dafür lesen, welche Geschlechtskategorie der betreffenden Person wohl zuzuschreiben sei. (Interessanterweise funktioniert dieser Prozess sogar dann, wenn, wie in dem hier geschilderten Fall, der*die Protagonist*in gar nicht im Raum zugegen ist: Die Geschlechtszuschreibung funktioniert offensichtlich auch und in erster Linie vermittelt über die Artefakte, die der jeweiligen Person zugeschrieben werden.) Ganz abgesehen davon lässt sich anhand dieser kurzen Episode noch einmal zweierlei verdeutlichen: Zum einen wird noch einmal sichtbar, wie Betrachten und Darstellen in der Konstruktion von Geschlecht zusammenspielen. (vgl. Prager, 2018, S. 190) Es ist ein Prozess der Gegenseitigkeit (von Geschlechtsdarstellung und Geschlechtszuschreibung), der das Geschlecht als »Effekt interaktiver Leistungen« (Maihofer, 1994b, S. 246) hervorbringt und der eine kollaborative Verbindung zwischen Darstellenden und Betrachtenden schafft. Zum anderen legt sie offen, dass es innerhalb dieser kollaborativen Verbindung einen Rahmen der Verständigung bzw. einen Rahmen der Bedeutung geben muss, den beide Seiten gleichermaßen kennen, verstehen und anwenden können. Es ist nur innerhalb dieser Grenzen des Verständlichen, dass intelligible Geschlechter und damit auch Subjekte hergestellt werden können. Und es ist auch nur auf der Grundlage dieser gemeinsamen Basis verständlicher Normen, dass Geschlechtsdarstellung und -zuschreibung (auch) in Abwesenheit und also vermittelt – wie in unserem Hotelzimmer – funktionieren kann. Bezogen auf die gestalteten Oberflächen von Artefakten bedeutet dies: Erstens gibt es innerhalb von Gesellschaften kulturell bestimmte Bedeutungen oder Normen, die für alle Subjekte verständlich und bekannt im Sinne einer gemeinsamen semantischen Ebene sind; zweitens schreiben sich diese Normen im Rahmen von Semantisierungsprozessen in die Oberflächen von Artefakten ein und drittens übertragen sich diese Normen im Rahmen von Subjektivierungsprozessen in die sich unterwerfenden Subjekte. Innerhalb

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der Konstruktionsprozesse stellt sich die Subjektwerdung also als eine paradoxe Bewegung dar, in der sich das Individuum bestimmten Normen unterwirft, welche es gleichzeitig eben durch die Unterwerfung wiederholt, bestätigt und somit hervorbringt. (vgl. von Redecker, 2011, S. 55) Beide Elemente der paradoxen Bewegung sollen im Folgenden noch einmal im Rückgriff auf konkrete Artefakte abgebildet werden.

6.2

Ein deskriptives Raster von Design-Codes und präskriptive Assoziationen

Für die Untersuchung stehen zwei Alltagsgegenstände im Zentrum des Interesses: eine Akku-Bohrmaschine (Bosch Professional GSR 12V-15) und ein Stabmixer (Braun Multiquick MQ 3025)8 . Beide Modelle sind auf eine gewisse Weise typisch für ihre jeweilige Produktkategorie und haben einen deutlich ausgewiesenen Funktionswert, der jeweils auf einen bestimmten Kontext verweist. Diese beiden Elemente – Kontext und Funktionswert – sind Elemente, die den Rahmen potentieller Nutzungsmöglichkeiten9 der Artefakte mitbestimmen. Auch wenn Bohrmaschine und Stabmixer Alltagsgegenstände sind, die in erster Linie dazu geeignet scheinen, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen (nämlich Löcher in festes Material zu bohren oder Lebensmittel zu zerkleinern), sind sie nicht nur Mittel zum Zweck. Sie sind, ebenso wie Mobiltelefone, Autos oder Rasierer, mehr als reine Gebrauchsgegenstände, die eine bestimmte praktische Funktion erfüllen. Sie fungieren immer auch als Träger von sozialen Botschaften: Artefakte bzw. alltägliche Gegenstände des Industriedesigns verfügen immer auch über eine kommunikative Seite. Ein Mobiltelefon zeigt mithilfe seiner gestalteten Oberfläche natürlich seine möglichen Einsatzzwecke an: Wir erkennen auf einen Blick, dass es sich bei dem Artefakt um ein Telefon handelt, dass es uns ermöglicht, mit anderen Personen 8

9

Bohrmaschine und Stabmixer sind auch Gegenstand der Untersuchungen von Ehrnberger et al., dort allerdings mit einem etwas anderen Schwerpunkt. (vgl. Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012) Zwar bietet die Firma Bosch für ein anderes Modell ihrer Akkuschrauber auch Zubehör an, dass eine Nutzung als Küchengerät nahelegt (so z.B. einen Pfeffermühlenaufsatz bzw. eine Ergänzung, die eine Umnutzung des Gerätes als Korkenzieher zulässt). Allerdings stellen diese Zusatzelemente wohl eher Randerscheinungen dar, die primär einen Marketing-Vorteil bringen sollen.

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

in Kontakt zu treten. Gleichzeitig suggeriert die Form – ganz im Sinne des non-intended-Design – auch andere Verwendungszwecke des Gegenstands: Ein Mobiltelefon lässt sich auch als Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch nutzen, als Kapselheber, wenn kein Flaschenöffner zur Hand ist, als Abdeckung des Trinkglases im Sommer, damit keine Wespen darin ertrinken etc. All diese Möglichkeiten erkennen wir, indem wir die Form, Farbe und Materialität des Objekts erfassen. Aber nicht nur der Gebrauchswert bzw. mögliche praktische Funktionen der Gegenstände werden über die Oberfläche mitgeteilt. Neben den möglichen Verwendungszwecken werden zusätzlich Bedeutungen kommuniziert, die einen fiktionalen Charakter haben. Das Mobiltelefon ist eben nicht nur ein Telefon, sondern gleichzeitig auch Ausdruck eines bestimmten Status, eines Mindsets, eines Lebensentwurfs. Bestimmte Smartphone-Modelle stehen für Luxus, maximale Flexibilität und zukunftsorientierte Technik, andere Modelle stellen den Nachhaltigkeitsgedanken in den Vordergrund. Es gibt Modelle, die in ihrer Gestaltung eine gewisse Robustheit nahelegen, sodass der Einsatz als Kapselheber möglich erscheint, andere Ausführungen hingegen verwehren einen solchen Einsatz allein aufgrund der Materialität und der Formgebung ihrer Oberfläche. Allerdings ist diese Form der Kommunikation, wie in den vorhergehenden Kapiteln bereits gezeigt, nicht im Sinne einer Einbahnstraße zu verstehen: Nicht nur die Artefakte drücken Verschiedenes aus – dies würde die Kommunikation auf ein einfaches Sender-Empfänger-Modell reduzieren und der Komplexität der Verhältnisse nicht gerecht. »Vielmehr drücken auch diejenigen, die sie benutzen, schon dadurch etwas aus, dass sie eben diese […] benutzen.« (Feige, 2019, S. 163) So tritt neben den Gebrauchswert immer auch ein Fiktionswert10 , insofern das Objekt nicht nur zu etwas dient bzw. einen bestimmte Gebrauchsfunktion hat (z.B. Haare entfernen, telefonieren oder 10

Ullrich erläutert den Fiktionswert recht plastisch anhand verschiedener Typen von Pfeffermühlen, die zwar alle den gleichen Funktionswert besitzen, aber je nach Produkttyp sehr unterschiedliche Deutungen anbieten bzw. sehr differente Geschichten erzählen: »Eine elektrische Pfeffermühle macht das Würzen zu einem technoiden Präzisionsakt, während eine manuell zu bedienende es in eine Handreichung verwandelt […]. Und ist sie [die Pfeffermühle; JK] sechzig, gar achtzig Zentimeter groß, dann gerät das Pfeffern sogar zur zelebrierten Arbeit, mit der eine Speise von den Augen der Essenden vollendet und damit eigens gewürdigt wird. Mit einem Pfefferstreuer hingegen schüttet man das Gewürz lediglich über dem Essen aus, so als ginge es darum, einen Mangel ungeduldig – und etwas unwillig – zu kompensieren.« (Ullrich, 2011, S. 112)

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Löcher in eine Wand bohren), sondern auch für die Person, die das Objekt in einer Praxis einsetzt, etwas Bestimmtes bedeutet. Darauf zielt Feige ab, wenn er behauptet, es gebe keinen »unschuldigen Gebrauch« (Feige, 2019, S. 163). Was ein Gegenstand konkret für jemanden bedeutet, ist also immer abhängig von einem Kontext, der den Praxiszusammenhang, in dem der Gegenstand eingesetzt wird ebenso umfasst, wie die verschiedenen formalästhetischen Aspekte des Objekts (Form, Struktur, Materialität und Farbe). Der Fiktionswert bzw. die Symbolfunktionen von gestalteten Artefakten sind also nicht fragmentarisch und abschließend bestimmbar – und sie bleiben stets auf soziale und kulturelle Hintergründe hin transparent. Welche Bedeutungen einem Gegenstand zugeschrieben werden, ist in hohem Grad abhängig davon, welche Assoziationen den Prozess der Wahrnehmung begleiten. Zuo und Jones, die sich in ihrer Forschung unter anderem mit dem Zusammenhang von formalästhetischen Aspekten und assoziativen Bedeutungen auseinandergesetzt haben (vgl. Zuo und Jones, 2007), konnten zeigen, dass sich Form, Struktur, Farbe und Materialität von Artefakten zwar nicht im Sinne einer linearen Abhängigkeit oder Kausalrelation in Assoziationen übersetzen lässt, dass aber formalästhetische Aspekte und Assoziationen durchaus zumindest in gewissem Maße miteinander korrelieren. Die Korrelationen ist dabei allerdings nicht im Sinne statisch ableitbarer Ideenverknüpfungen zu denken – z.B. im Sinne von »rosa« sei notwendig verbunden mit der Vorstellung von Femininität. Vielmehr zeigen sich die Assoziationen ihrerseits wiederum stark kulturell beeinflusst und sind nur vor dem Hintergrund einer bestimmten diskursiven Prägung verständlich. Was in der westlich-abendländisch geprägten Gesellschaft »selbstverständlich« und »natürlich« bestimmte Vorstellungen z.B. von Männlichkeit hervorruft, muss in kulturell anders gestalteten Gesellschaften nicht notwendig verstanden werden. An dieser Stelle lässt sich ein prozessual zu denkendes Netzwerk skizzieren, dass die Verwobenheit von Artefakten, diskursiver Prägung und Akteur*innen abbildet: Jedes der Elemente leistet jeweils seinen Beitrag in dem komplexen Geschehen geschlechtlicher Konstruktion und jedes Element ist durch verschiedene Abhängigkeiten mit den anderen innerhalb der Netzwerkstruktur vorhandenen Elemente verbunden. In der folgenden Analyse sollen die verschiedenen Perspektiven noch einmal einzeln ausgeleuchtet werden: Dazu werden diejenigen Elemente, die hauptsächlich am Gestaltungs- und Interpretationsprozess von Artefakten beteiligt sind (Designer*innen und Anwender*innen ebenso wie diejenigen Personen die

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

in das Netzwerk sozialer Interaktion mit den Artefakten integriert sind, wie auch die Artefakte und ihre eigene Gestaltungsmacht), in den Fokus gerückt und ihre Bedeutung mit Blick auf die Konstruktion von Geschlecht herausgearbeitet. In der designtheoretischen Auseinandersetzung gibt es bisher bereits eine beträchtliche Anzahl von Arbeiten, die sich mit der Frage beschäftigen, auf welche Weise materielle Objekte geschlechtsspezifische Bedeutung erlangen (an dieser Stelle möchte ich noch einmal insbesondere auf den Abschnitt zur Gestaltungsmacht der Designer*innen verweisen). Allerdings ist bisher wenig dazu geforscht worden, auf welche Weise diese Objekte in die Konfiguration des Geschlechts der Nutzer*innen eingreifen. Ausnahmen dazu bilden z.B. die Untersuchungen von van Oost, (Rommes, van Oost und Oudshoorn, 1999; van Oost, 2005), in denen das Skript-Konzept von Akrich (Akrich, 1997) für gender-spezifische Fragestellungen fruchtbar gemacht wird, oder Ehrnberger, Räsenen und Ilstedt (Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012), die sich unter anderem mit Fragen der Produktsprache und dem Offenbacher Ansatz beschäftigen. Wie gezeigt, sind Designobjekte nicht als neutrale Objekte zu verstehen, die sich nur nachträglich und in einem ganz speziellen Kontext, zum Beispiel in der Werbung, oder punktuell im Gebrauch mit einer geschlechtsspezifischen Bedeutung aufladen; sie sind von Anfang an sexuiert und lenken – zumindest zu einem gewissen Grad – den Prozess des Erfassens ihrer Bedeutung. (vgl. van Oost, 2005, S. 194) Natürlich können durch Werbung bestimmte Effekte noch einmal kommunikativ verstärkt werden. Aber auch ohne die Werbeindustrie schreiben sich geschlechtliche Marker in die Oberfläche der gestalteten Artefakte ein, die dann im praktischen Umgang auch ein konstruierendes Element für die Geschlechtszugehörigkeit der Nutzer*innen darstellen. Grundsätzlich spielen »Vorstellungen über Nutzen, Anmutung, Funktion und emotionale Anbindung an Objekte« (Brandes, 2014, S. 27) eine wichtige Rolle bei der Konstruktion von Wirklichkeit und erweisen sich »durch die Kategorie Geschlecht konturiert« (ebd.) Beide Maschinen werden im Folgenden hinsichtlich ihrer Produktsprache untersucht. Grundlage und theoretischer Ausgangspunkt sind dabei die designtheoretischen Überlegungen aus Kapitel 4. Die Überlegung dahinter ist, dass es die formalen Funktionen der Gegenstände sind, die visuelle Reize zuallererst, ähnlich einer Grammatik, strukturieren und so die Vermittlung von Bedeutung überhaupt ermöglichen. Entsprechend werden beide Geräte hinsichtlich ihrer Form- und Farbgebung, der Materialität und ihrer Details

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hin untersucht und die Ergebnisse zusätzlich in Tabellenform festgehalten. In einem darauffolgenden Schritt lassen sich dann aus den extrahierten DesignCodes Assoziationen ablesen11 : Woran erinnert das Objekt? Welche generelle Anmutung verbinden wir mit ihm? Wirkt es funktional oder hat es eher etwas schmuckhaftes? usw. Diese Assoziationen wiederum erweisen sich als mit Konnotationen verknüpft, die unter anderem auch eine geschlechtliche Einordnung des Objekts erzwingen.

6.2.1

Bosch Professional GSR 12V-15

Die Maschine ist – laut Herstellerangaben – für den professionellen Einsatz konzipiert. Sie liegt, gemessen an ihrer relativ kompakten Größe, schwer in der Hand. Ihre Grundformen zeichnen sich durch eine gewisse Komplexität aus, die die gegebene Oberflächenstruktur innerhalb der Formgrenzen durch Fugen, Linien und Flächenbegrenzungen unterteilt. Die ergonomisch geformte Griff/Schalter-Einheit schließt sich von unten an das Gehäuse an und ist an den Stellen, an denen die Maschine gegriffen wird, mit einer Gummierung versehen, wobei der zur Handfläche gerichteten Griffseite zusätzlich noch mit einem regelmäßigen Lochmuster versehen ist. Das Gehäuse ist durch sieben gut sichtbare, aber versenkt angebrachte Schrauben verschlossen; seine Oberfläche ist an mehreren Stellen durch Lüftungsschlitze unterbrochen, die teilweise den Blick auf das Metall der Motoreneinheit im Inneren der Maschine freigeben. Es sind an der Außenseite der Maschine verschiedene Einstellmöglichkeiten vorgesehen, die z.T. durch numerische Skalen präzisiert werden können; die dazugehörigen Regler an der Oberseite des Gehäuses und am Übergang zum Griff sind, wie auch der An/Aus-Schalter, farblich vom Rest der Maschine deutlich abgesetzt. Die Produktsprache der Bohrmaschine basiert auf einer Symbolik, die primär Performance und Leistung suggeriert. Das Gehäuse mit seinen verschiedenen, leicht erhabenen Elementen – teilweise in unterschiedlicher Materialität gehalten –, mit seinen stromlinienförmig angeordneten Fugen, die an Racing-Streifen von Rennwagen erinnern, all das deutet darauf hin, dass

11

Zuo und Jones (Zuo und Jones, 2007) zeigen, dass zwischen formal-ästhetischen Funktionen und assoziativen Symbolfunktionen eine Korrelation besteht, wobei sie diesen Zusammenhang allerdings nicht als Kausalverknüpfung beschreiben, die eine lineare Abhängigkeit zwischen den beiden Dimensionen unterstellen ließe.

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

Abbildung 5: Die Akku-Bohrmaschine Bosch Professional GSR 12V-15

Die Akku-Bohrmaschine Bosch Professional GSR 12V-15: Entworfen für den professionellen Einsatz.

man es hier mit einem Gerät zu tun hat, das höchste Leistung bringt. Auch die diversen Lüftungsschlitze im Gehäuse verweisen hierauf: eine Erinnerung daran, dass der kraftvolle Motor im Inneren der Maschine durchaus das Potential birgt, im harten Einsatz des Arbeitsalltags zu überhitzen. Die Komplexität der Form wird durch den Einsatz verschiedener Materialien gestützt: Alle Elemente der Maschine, die in der Hand des*der Nutzer*in liegen, sind mit einer schwarzen Gummierung überzogen, die für eine erhöhte Griffigkeit sorgen soll. Dies deutet darauf hin, dass eine erhöhte manuelle Anstrengung notwendig sein kann, um die Maschine zu bedienen (insbesondere, da der Teil des Griffs, der die Handinnenfläche berührt, noch zusätzlich durch eine Noppung aufgeraut ist). Insgesamt liegt die Maschine, gemessen an ihrer Größe, relativ kompakt und schwer in der Hand. Sie macht einen robusten, widerstandsfähigen Eindruck, so dass man glaubt, auch schwerere Aufgaben mit ihrer Hilfe bewältigen zu können. Alle ergänzenden mechanischen Features (Schalter, Einstellhebel und -knöpfe) sind in Signalfarbe deutlich hervorgehoben. Der An-/Ausschalter erinnert in seiner Form und Platzierung an den Abzug einer Handfeuerwaffe (wie im Übrigen die gesamte Anmutung der Maschine waffenähnliche Züge trägt), was dafür sorgt, dass mit dem Artefakt Gefahr und Angst verbunden

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

werden. Dies wird zusätzlich durch fakultativ erhältliches Zubehör gestützt: In einer (zeitlich begrenzten) Marketing-Aktion wurde zu der Maschine passend ein Gürtelholster angeboten, dass in Form und Funktion Reminiszenzen an die Gürtelholster von Cowboys in Western-Filmen weckt. Alles in allem, so scheint es, hat man eine robuste, professionelle Maschine vor sich, deren Bedienung zwar Expertise und einen gewissen Krafteinsatz fordert, die aber dem harten Einsatz gewachsen ist und die entsprechende Motorkraft mit sich bringt, um auch schwierige Aufgaben zu meistern.

6.2.2

Braun Multiquick 3 MR300

Im harten Kontrast dazu steht der Stabmixer von Braun aus der MultiquickSerie12 . Das Gerät fällt in die Kategorie der sogenannten »weißen Ware« und ist für den Einsatz im Privathaushalt gedacht. Seine Grundformen sind organisch-fließend, rund, geordnet und reduziert gehalten. Die Konturlinie des Gehäuses um Motorelement und Schaft ist leicht s-förmig geschwungen. Die Oberfläche weist nur wenige Unterteilungen auf; die Materialität erscheint einheitlich. Auf den ersten Blick erkennt man – als einzige Durchbrechung der glatten Oberfläche – zwei Bedienelemente. Diese beiden An-/ Aus-Schalter (für zwei verschiedene Rotationsgeschwindigkeiten) sind in die Oberflächenstruktur der Motoreinheit eingelassen und mit einer farblich abgesetzten Gummierung überzogen. Motoreinheit und Schaft sind nur durch eine minimale Fuge voneinander abgesetzt. Alle sichtbaren Elemente des Geräts sind in weißem Kunststoff gearbeitet (Ausnahme: das Panel mit den beiden Schaltern, das kontrastierend in Blau gehalten ist); seine rotierende Klinge aus Metall entzieht sich unter einer Kunststoffglocke am unteren Ende des Schafts dem Blick der Analyse. Dadurch, dass das Gehäuse durchgängig in glänzend weißem Kunststoff gehalten ist, nur geringfügig unterbrochen durch hellblaue Farbakzente bei den Schaltern, wirkt das ganze Gerät leicht und lässt in seiner Farbgebung an einen hellen Sommertag am Meer denken. Die Silhouette des Stabmixers

12

Es ist in meinen Augen zumindest bemerkenswert, dass zwei Geräte, deren Funktionalität eigentlich bei genauer Betrachtung gewisse Parallelen aufweist (beide Maschinen sind so konzipiert, dass ein Motor ein Werkzeug sehr schnell um die eigene Achse dreht, um mit diesem Werkzeug ausgewähltes Material zielgerichtet zu zerkleinern), in ihrem äußeren Erscheinungsbild so stark divergieren.

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

Abbildung 6: Der Stabmixer Braun Multiquick 3 MR300

Der Stabmixer Braun Multiquick 3 MR300: Für den Einsatz im Privathaushalt konzipiert.

erinnert an eine Frauenfigur: die Glocke am unteren Ende, die das rotierende Messer umgibt, kann als Sommerkleid interpretiert werden, dessen Saum durch den Wind leicht eingedreht wird. Insgesamt ist die Anmutung des Artefakts wenig technisch. Die Bedienung erscheint intuitiv und mit wenig Aufwand zu bewerkstelligen, da nur zwei Knöpfe zur Verfügung stehen. Insgesamt scheint das Gerät für leichtere Aufgaben gedacht zu sein (das Fehlen von Lüftungsschlitzen für den Motor weist darauf hin, dass nicht so viel Kraft im Einsatz ist) und einen sorgsamen Umgang zu fordern. Ergänzend sei erwähnt, dass die Versprechen, die von den beiden Produkten ausgehen, angewiesen sind auf das Zusammenspiel der einzelnen visuellen Elemente. Nur, weil das »Produktdesign […] so angelegt [ist] […], dass es, ähnlich wie der Text im Buch, einen inneren Film in Gang setzt [der] dem Konsumenten ein ihm sympathisches Rollenangebot macht« (Ullrich, 2011, S. 118), funktionieren die beiden Artefakte, auf die beschriebene Art und Weise.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Tabelle 2: Deskriptive Analyse von Design-Codes an der Oberfläche Deskription visueller Aspekte und damit verbundene Assoziationen Bosch Professional GSR 12V-15

Braun Stabmixer Multiquick 3 MR300

Grundformen

komplex, differenziert, unterteilt

organisch-fließend, rund, geordnet, einfach, einheitlich

Farbgebung

matt schwarz, dunkelblau, rot, silber

weiß, matt pastellblau

Materialität/ Oberfläche

Kunststoff (z.T. gummibeschichtet), Metall

Kunststoff (z.T. gummibeschichtet)

Details

verschiedene Einstellmöglichkeiten, Arbeitslicht, Lüftungsschlitze an den Seiten und auf der Rückseite; Holster als Zubehör erhältlich

Zwei An-/Ausschalter (unterschiedliche Geschwindigkeiten), dünne Fuge zwischen Schaft und Motor

Assoziationen/ Symbolik

Waffe

Weibliche Figur, Sommertag

Anmutung

robust, performance-orientiert, komplex, gefährlich

leicht, weich

Konnotation

männlich

weiblich

Deskriptive Analyse von Design-Codes an der Oberfläche von Bohrmaschine und Stabmixer und die dazugehörigen Assoziationen/Konnotationen. (Das Tabellenraster orientiert sich an »Gender & Design. Leitfragen«, 2006). Anmerkung zur Farbgebung: Bei der nachfolgenden Erweiterung des deskriptiven Rasters um Konnotationen, Assoziationen und Anmutung spielt v.a. die psychologische Bedeutung von Farben eine wichtige Rolle. Die emotionale Anmutung der jeweiligen Farben ist dabei nicht als absolut anzusehen, sondern zeigt sich immer auch beeinflusst durch die Farbhelligkeit, den Farbton, durch Farbkontraste und die Sättigung. (vgl. Schlüter, 2009, S. 36)

Im Rahmen dieses »sympathischen Rollenangebots« werden Normen zitiert, wiederholt und auf diese Weise eine entsprechende soziale Realität erschaffen. Beide Geräte, Stabmixer wie auch Bohrmaschine, verweisen jeweils auf die strengen Vorgaben der gegenwärtigen Geschlechterordnung und zitieren in ihren Oberflächengestaltungen die vorherrschenden kulturspezifischen Ordnungsstrukturen der »geschlechtlichen Bipolarität und Heterosexualität« (Distelhorst, 2009, S. 47). Im Design der beiden Artefakte zeigen sich

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

exemplarisch das Ausschlussprinzip und das Prinzip der Hierarchisierung. Die Semantik der visuellen Kommunikation ist zweiwertig codiert in maskulin und feminin. Das Prinzip der Hierarchisierung, d.h. die Tatsache, dass die männliche Variante als die ursprüngliche, »eigentliche«, als die »echte« gedeutet wird, die weibliche als abgeleitet und defizitär, haben Ehrnberger et al. sehr eindrücklich mit ihrer Studie gezeigt (Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012), indem sie die Design-Codes der beiden Geräte vertauscht haben. Während der Stabmixer im technischen, robusten Design einer Bohrmaschine von den Betrachtern als besonders kraftvoll und funktional empfunden wird, sorgt eine Bohrmaschine mit der Formensprache eines Küchenhelfers für Irritation und wird als für seine eigentliche Bestimmung ungeeignet eingestuft13 .

6.3

»Strukturierende Struktur«: Zuweisung von Räumen und Möglichkeiten

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich eine zentrale Einsicht, die als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen dient: Das Doing Gender ist ein interaktiver Prozess; aber die aus diesem Prozess – möglicherweise – für die Individuen resultierende soziale Sichtbarkeit ist ambivalent. Sie ist nur zu einem gewissen Preis zu haben, nämlich, wenn sich das Individuum im Prozess der Subjektivierung unter bestimmte Normen unterwirft, die als kulturspezifische Ordnungsstrukturen, als hegemonialer Diskurs fungieren. Bezogen auf die Kategorie Geschlecht ist es die »heterosexuelle Matrix […] [die] für das Raster der kulturellen Intelligibilität« (UdG, S. 220; Anmerkung 6; Hervorh. im Original) steht. Im nun folgenden Abschnitt werden diese Ordnungsstrukturen in das Zentrum des Interesses gerückt. Unter der Leitfrage, welchen Beitrag gestaltete Artefakte zur Strukturierung des Möglichkeitsraumes leisten, wird untersucht, wie gestaltete Oberflächen den gesellschaftlichen Diskurs über »Ge-

13

Eine durchaus interessante Randbemerkung in diesem Zusammenhang ist auch die sprachliche Unterscheidung zwischen »Maschine« auf der einen Seite und »Küchenhelfer« auf der anderen. Auch hier zeigt sich bereits eine gewisse in den Begriffen liegende Asymmetrie, zumal der Begriff der »Maschine« für einen Stabmixer nicht ganz passgenau zu sein scheint (obwohl das mechanische Innenleben eine vergleichbare Funktion ausführen kann).

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

schlecht« mitprägen14 . Oder, noch einmal anders formuliert: Auf welche Weise strukturieren Artefakte durch ihre gestalteten Oberflächen den Bereich der sozialen Interaktion und der individuellen Existenzmöglichkeiten mit Blick auf die Kategorie »Geschlecht«? Dass Arbeit geschlechtsspezifisch vergesellschaftet ist, ist im Bereich der Soziologie hinreichend untersucht worden. Eine der Konsequenzen, die mit der Vergesellschaftung verbunden ist, ist die geschlechtliche Segregation des realen Raumes, was die Arbeitssphären von Männern (Erwerbsarbeit im öffentlichen Raum) und Frauen (Reproduktionsarbeit im privaten Raum) betrifft. Allgemein – das ist aus dem Bereich der Wissenschafts- und Technikforschung gut dokumentiert –, lässt sich zeigen, »dass Artefakte eine wichtige Rolle bei [der] Stabilisierung und Naturalisierung sozialer Beziehungen spielen« (Oudshoorn, Saetnan und Lie, 2002, S. 471; Übersetzung: JK). Und das tun sie oft durch ihre Gestalt, die im Detail oft gar nicht bewusst wahrgenommen wird: Wir halten gewohnheitsmäßig, »wenn unser Blick auf Dinge wie Straßen oder Brücken fällt, bestimmte Formdetails gewohnheitsmäßig für bedeutungslos […] und [betrachten] sie selten genauer« (Winner, 1980, S. 123; Übersetzung: JK). Dieses Zitat stammt aus dem Aufsatz Do Artifacts have Politics? von Winner, der nicht nur »außerordentlich einflußreich zitiert worden ist« (Joerges, 1997, S. 1), sondern auch ein maßgebendes Beispiel dafür vorbringt, wie Gegenstände aufgrund ihrer Gestaltung durchaus politisch sind. Durch ihr Design können Artefakte eine Strukturierung des Raumes vornehmen und auf diese Weise bestimmten gesellschaftlichen Gruppen Möglichkeiten eröffnen oder auch verwehren. Ein signifikantes Beispiel in dieser Hinsicht ist die Geschichte des 1888 geborenen New Yorker Stadtplaners Robert Moses, der in den 1950er Jahren viele prägende Bauprojekte in der Stadt umsetzen konnte, darunter auch die Autobahnüberführungen auf Long Island, einem Naherholungsgebiet unweit von New York City. In den Planungen wurden diese Parkways so konzipiert, dass die Durchfahrtshöhe zwar für PKWs geeignet

14

Der Begriff des Diskurses, darauf sei hier noch einmal ausdrücklich hingewiesen, verweist in diesem Fall nicht auf die alltagssprachliche Verwendung im Sinne einer Diskussion oder Erörterung. Diskurs meint hier den wesentlich weiter gefassten philosophischen Begriff, der – im Sinne Foucaults und Butlers – »das gesamte System von Ideen, Einstellungen, Handlungsweisen, Überzeugungen, Praktiken und Sprachen, die zu einer bestimmten Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt gehören« (Smith-Laing, 2017, S. 76) umschreibt.

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

war, nicht aber für die Busse des öffentlichen Personennahverkehrs. Die eigentliche Krux liegt in diesem Fall darin, dass zu der Zeit, als die Brücken gebaut wurden, insbesondere »rassische Minderheiten und die Armen, die sich keine Autos leisten konnten und in der Regel auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen waren, […] effektiv daran gehindert [wurden], die Strände [von Long Island] zu erreichen« (Verbeek, 2005, S. 116; Übersetzung: JK). Die Autobahnüberführungen regulierten also aufgrund ihrer Konstruktion und Bauweise den Zugang – und dabei ist es unerheblich, ob das zugrundeliegende Design mit genau dieser gesellschaftsstrukturierenden Intention umgesetzt wurde, ober ob die auf diese Weise generierten Ausschlüsse als nicht-intendierte Nebenfolge entstanden15 . Fakt ist, dass die Optionen für bestimmte Gruppen innerhalb der Gesellschaft durch die Konstruktion und Form der Bauwerke auf eine Weise reguliert wurden, die Winner eben als politics of artifacts (Winner, 1980) bezeichnet. Vergleichbares lässt sich auch bei gestalteten Oberflächen von Alltagsgegenständen wie z.B. Bohrmaschinen, Stabmixern oder Waschmaschinen (und auch in Rücksicht auf andere gesellschaftliche Strukturkategorien16 ) zeigen. Attfield macht, unter der Überschrift The Politics of Experience, darauf aufmerksam, dass Frauen die gestaltete Welt fundamental anders erfahren als Männer (vgl. Attfield, 1989, S. 202), vielleicht auch, weil sich der Kontext oft als implizit oder sogar explizit für Männer gestaltet, präsentiert. »Design shapes the environment and makes assumptions about women’s place in terms of buildings, public spaces and transport. […] Furthermore, it segregates the sexes through artefacts by endowing these with unnecessary gender definitions« (ebd.). 15

16

Die Erzählung von Robert Moses und den zugangsversagenden Parkways gleicht einer modernen Sage, von der es verschiedene Varianten gibt, von denen die eine Moses eine bewusst-rassistische Agenda unterstellt, während ein anderes Narrativ zumindest einen offensiven Rassismus nicht unterstützt. Eine Auseinandersetzung, die beide Perspektiven in den Blick nimmt, findet sich unter anderem bei Bernward Joerges (vgl. Joerges, 1997). Im Folgenden wird – entsprechend dem Fokus dieser Arbeit – das Augenmerk auf der Kategorie »Geschlecht« liegen. Allerdings treffen die Eingrenzungen der Möglichkeitsräume auch auf andere Strukturkategorien (wie z.B. Alter, körperliche Einschränkung, Klasse, Ethnizität …) zu. Eine differenzierte Ausarbeitung der Zusammenhänge in Bezug auf all diese Kategorien, die die Lebensmöglichkeiten von Individuen innerhalb einer Gesellschaft regulieren, würde allerdings den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Design, so Attfield weiter, spielt eine herausragende Rolle bei der »Formung unserer Vorstellungen über die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern« (Attfield, 1989, S. 203; Übersetzung: JK), wobei, und das ist meines Erachtens an dieser Stelle der springende Punkt, diese Konstruktionsprozesse in der Regel unsichtbar bleiben, obwohl sie gleichzeitig den Alltag der Individuen einer Gesellschaft strukturieren. Zeigen lässt sich dieses Phänomen unter anderem am Beispiel von Haushaltsgeräten, wie Waschmaschinen, Spülmaschinen etc.: Sie leisten zwar hilfreiche Dienste im Haushalt und sorgen dafür, dass die Arbeit körperlich weniger anstrengend ist, aber sie werden trotzdem immer noch mit der Zielgruppe »Frauen« im Hinterkopf produziert: Es sind Frauen, die diese Geräte einsetzen und die die Arbeit im Haushalt leisten. In der Folge wird die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern weiter aufrechterhalten. Männer leisten Erwerbsarbeit in der Sphäre des Öffentlichen, während Frauen ihren Platz im Privaten haben, wo sie den Haushalt führen17 . Auch an den Beispielen von Stabmixer und Bohrmaschine lässt sich eine solche Zuweisung von realen Räumen zeigen, die unter anderem durch die Gestaltung der Artefakte bedingt wird. Die Bohrmaschine zeichnet sich durch die Stromversorgung mit Akku mit einer maximalen Flexibilität hinsichtlich ihres Einsatzortes aus: Montage- und Reparaturarbeiten können überall anfallen; entsprechend unabhängig ist die technische Ausgestaltung des Geräts. Für ihren Einsatz ist keine elektrische Infrastruktur in der unmittelbaren Umgebung nötig, solange der Akku entsprechend aufgeladen ist. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ließe sich die Bohrmaschine in der Sphäre des Öffentlichen verorten. Dieser Eindruck wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Tätigkeiten, die mit einer Bohrmaschine assoziiert werden, nicht primär dem Haushalt zuzuordnen sind; vielmehr ist es durchaus vorstellbar (das suggeriert auch der Namenszusatz »professional«), dass die Maschine im Rahmen der Erwerbsarbeit eingesetzt wird. Im Gegensatz dazu steht die technische Ausstattung des Stabmixer-Modells: Um zu funktionieren, ist das Gerät auf die unmittelbare Gegenwart einer Steckdose für die Stromversorgung angewiesen. Das Kabel bindet das Gerät und seine Nutzer*innen quasi an den Raum, in dem es eingesetzt wird, und dieser Raum zeigt sich klar eingegrenzt als die Küche im Privathaushalt. 17

So zeigen Zahlen von 2019, dass in Deutschland 72 % der Frauen täglich mit Kochen und Hausarbeit beschäftigt waren, während sich nur 29 % der Männer täglich im Haushalt engagierten (vgl. Nier, 2019).

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

Interessant ist an dieser Stelle auch, dass die Zuweisung der Räume nicht nur exklusiv erfolgt (es scheint keine Möglichkeit des Übergangs von der einen in die andere Sphäre möglich), sondern auch dichotom: Private und öffentliche Sphäre fallen in einem binären Entweder-oder auseinander, wobei das Private mit der Kategorie »weiblich«, das Öffentliche mit der Kategorie »männlich« verknüpft ist. Eine derartige Positionierung in realen dreidimensionalen Räumen kann natürlich gleichzeitig auch eine Zuweisung von sozialen Räumen implizieren, die durch Gestaltung vorgenommen wird: »Die Kategorie Geschlecht übernimmt [dann] die Funktion der Positionierung von Männern und Frauen im sozialen Raum« (Bublitz, 2016, S. 108), indem bestimmte Lebensmöglichkeiten ermöglicht, gleichzeitig an deren Grenzen aber auch entsprechende Ausschlüsse vorgenommen werden. Ein derartige doppelte Zuweisung von realen und gleichzeitig sozialen Räumen illustriert Goffmans populäres Beispiel der Toiletten in öffentlichen Einrichtungen (Goffman, 2001): Begegnen sich Männer und Frauen im Privaten in der Regel in gemeinsamen Toiletten und Waschräumen, sind in allen öffentlichen Begegnungsstätten, sei es nun am Arbeitsplatz, in geschäftlichen Einrichtungen, in Museen oder in Bildungseinrichtungen die Toiletten und Waschräume nach Geschlechtskategorien getrennt18 . Diese Segregation und »parallele Organisation« (Goffman, 2001, S. 66) lässt sich, so Goffman, kaum auf biologische Grundlagen zurückführen – schließlich ähneln »sich Personen beiderlei Geschlechts hinsichtlich ihrer Ausscheidungen und deren Beseitigung« (ebd.) stark. Vielmehr scheint ein umgekehrtes Konstruktionsverhältnis vorzuliegen, denn tatsächlich ist die getrennte Ausweisung der Toiletten »mehr ein Mittel zur Anerkennung, wenn nicht gar zur Erschaffung dieses Unterschieds« (Goffman, 2001, S. 67). Das wiederum bedeutet in der Praxis, dass mit dem Betreten eines entsprechend ausgewiesenen Raumes die Vergeschlechtlichung geschieht – und zwar so, dass das Individuum eigentlich keine Wahl hat – was wiederum aktiv eingesetzt werden kann, um sich selbst (für andere) als bestimmtes Geschlecht zu entwerfen.

18

In der Regel stehen dabei genau zwei Toiletten-Kategorien zur Verfügung: eine für Männer und eine für Frauen. Über die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit der Einrichtung einer »dritten« Kategorie wird in erster Linie medienübergreifend vortrefflich gestritten, sodass diese Option im weiteren Text nicht berücksichtigt wird, obwohl es durchaus Einrichtungen gibt, die der gesellschaftlichen Diversität versuchen, auf diese Weise zumindest anteilig Rechnung zu tragen.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Geschlechtskategorie verbunden sind definierte soziale Räume und Möglichkeiten: Auf der Ebene der pluralen Praktiken sind immer nur bestimmte Subjekte zugelassen, die sich der gesellschaftlich anerkannten Ordnung der Normalisierung unterwerfen. Auf der Ebene der Pluralität der Praktiken ist es, wo Artefakte aktiv in die Konstruktion von sozialen Vorstellungen von Geschlecht mit eingreifen können. In dieser Perspektive konfigurieren Gegenstände das Geschlecht ihrer Nutzer*innen, wie es unter anderem auch van Oost am Beispiel der Emanzipation weiblich konnotierter Trockenrasierer der Marke Philips beschreibt (van Oost, 2005; Bath, 2011). Im Rückgriff auf das Konzept des Gender-Skripts macht sie deutlich, wie sich im Design von Rasierern der Marke Philips ab den 1950er Jahren zunächst ein Modell für Frauen emanzipierte, das dann, gemeinsam mit seinen nachfolgenden Modellen, in der Folge die Vorstellungen von Weiblichkeit mitgeprägt und Frauen von bestimmten Praktiken systematisch ausgeschlossen hat. Ähnliche Mechanismen der Bedeutungseinschreibung lassen sich auch an Bohrmaschine und Stabmixer zeigen, deren Oberfläche auf vergleichbare Weise Weiblichkeit mit technischer Inkompetenz gleichsetzen: Während die Bohrmaschine mit ihrer komplexen Oberfläche, den verschiedenen Einstellund Regulierungsmöglichkeiten und ihrem Performance-orientierten, waffenartigen Erscheinungsbild grundsätzlich eine komplexe, technische Anmutung hat, scheint die Oberfläche des Stabmixers alle Reminiszenzen an seine technische Provenienz systematisch zu verbergen. Interessant hierbei ist, dass das Skript des Stabmixers die Technik auf eine doppelte Weise verdeckt: zum einen symbolisch, indem das Gerät eben nicht als Maschine wahrgenommen wird und zum anderen auf eine sehr handfeste und reale Weise, indem – ganz im Gegensatz zur Bohrmaschine – das Gehäuse so konstruiert ist, dass es sich von außen nicht ohne weiteres öffnen lässt. Frauen, die die Hauptzielgruppe des Stabmixers ausmachen, werden entsprechend symbolisch und real darin gehemmt, sich selbst als technikinteressiert und technisch kompetent wahrzunehmen. Im Gegensatz dazu steht das Skript der Bohrmaschine, das Männern nahelegt, genau diese Kompetenzen für sich zu markieren: »To feel technical competent is to feel manly« (Cockburn, 1985, S. 12). Mit anderen Worten: Im praktischen Umgang mit der Maschine überträgt sich die Vorstellung der Technikkompetenz, die über das Skript in die Oberfläche des Artefakts eingeschrieben ist, auf das Individuum, das die Maschine benutzt. Dies geschieht zum einen in einem Akt der Selbstzuschreibung, zum anderen aber auch durch andere Personen, die in das relationale Gefüge der sozialen Inter-

6 Geschlechternormen an der Oberfläche von Artefakten

aktion eingebettet sind. Verknüpft mit der Zuschreibung der Technikkompetenz ist gleichzeitig eine geschlechtliche Konnotation, die regulierend in den Praxiszusammenhang eingreift. Durch sie wird die strukturierende Ordnung hergestellt, indem nur bestimmte Konstruktionen zugelassen werden, während die damit einhergehenden Ausschlüsse die notwendige Außengrenze der Möglichkeiten markieren. Interessant an dieser Stelle ist, dass sich diese Konstruktionen an drei Prinzipien ausrichten – dem Prinzip der Binarität, dem Ausschlussprinzip und dem Prinzip der Asymmetrie. Wie die zentralen Alltagstheoreme des Geschlechts richten sich die Konstruktionen an zwei Kategorien aus, denen eine Ausschließlichkeit zugeschrieben wird (entweder die Konnotation ist exklusiv männlich oder aber exklusiv weiblich – eine dritte Möglichkeit oder ein Wechsel der Kategorie erscheint unmöglich). Gleichzeitig stehen die beiden Kategorien untereinander in einem hierarchischen Verhältnis. Dass eine solche Asymmetrie auch in den Design-Codes eingeschrieben ist, lässt sich anhand des Kommutationstests zeigen19 , wie ihn Ehrnberger et al. für Stabmixer und Bohrmaschine in einer empirischen Studie durchgeführt haben (Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012). Es lässt sich zeigen, dass ein Stabmixer, dessen Oberfläche in der Produktsprache einer Bohrmaschine kommuniziert, von Individuen als besonders kraftvoll und leistungsstark eingeschätzt wird. Außerdem zeigen Männer wie auch Frauen Interesse daran, ein solches Gerät auch tatsächlich einsetzen zu wollen. Die Umkehrung hingegen – eine Bohrmaschine mit den visuellen Codes eines Stabmixers – wird von Menschen beiderlei Geschlechts grundsätzlich anders interpretiert. Dabei reicht die Bandbreite von einem Nicht-Anerkennen der Identität als Bohrmaschine bis hin zur Einschätzung, die Maschine sei keine »echte« Maschine20 , sondern nur ironisch zu verstehen. (vgl. Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012, S. 94) 19

20

Der Kommutationstest verweist auf die strukturalistische Semiotik. Er soll dazu dienen, die Bedeutung von Zeichen zu bestimmen und stellt eines der wichtigsten Werkzeuge im semiotischen Werkzeugkasten dar. Seine Ursprünge hat er in einem linguistischen Substitutionstest, der von den Strukturalisten der Prager Schule eingeführt wurde. (vgl. Chandler, 2017, S. 103) Mit der Einschätzung, es handle sich bei dem Gerät um keine »echte« Bohrmaschine eng verbunden ist die Vorstellung, es handle sich zwar um eine Bohrmaschine, allerdings um eine, die nur von Frauen zu gebrauchen sei. An dieser Stelle verschränken sich Asymmetrie und die Vorstellung, Technikkompetenz sei eine rein männliche Kompetenz: Personen, die mit dieser Bohrmaschine, die eine Bohrmaschine für Frauen ist, arbeiten, brauchen keine richtige Bohrmaschine. Das Feminine zeigt sich also auch hier –

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Natürlich sind auch hier die eingesetzten Skripte nicht deterministisch zu verstehen, sie können Individuen nicht dazu zwingen, bestimmte vergeschlechtlichte Identitäten anzunehmen: Es besteht für Individuen immer die Möglichkeit, das Skript des Artefakts zurückweisen, indem sie sich weigern, das Artefakt in ihren Alltagspraktiken einzusetzen; Skripte lassen sich außerdem auch grundsätzlich modifizieren bzw. »umschreiben«, zum Beispiel, indem man es gerade als technische Herausforderung ansieht, das Gehäuse des Stabmixers zu öffnen, obwohl die beiden Kunststoffschalen miteinander verpresst sind, um genau solch eine Demontage zu verhindern. Dennoch bleiben – trotz aller möglichen Pluralität der Praktiken und aller interpretativer Offenheit – Mechanismen der Normalisierung bestehen, sodass die grundsätzliche Einflussnahme der Gender-Skripte auf die Produktion von Geschlecht und auf die dezidierten Vorstellungen, die mit den Geschlechtskategorien verbunden sind, weiter bestehen bleibt.

in der phallogo-androzentristischen Tradition des Abendlandes – abgeleitet vom Maskulinen.

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Geschlecht in der sozialen Interaktion unter anderem auch durch den Einsatz von Artefakten situativ hergestellt wird. Designer*innen, Nutzer*innen und Artefakte spielen dabei eine je spezifische Rolle mit eigener Wirkmächtigkeit, die dazu beitragen kann, dass bestimme diskursive Rahmungen unreflektiert wiederholt und naturalisiert werden. Im Rahmen von Semantisierungsprozessen in die Oberfläche von Artefakten eingeschrieben, greifen geschlechtlich konnotierte Assoziationen als Normen in die Subjektwerdung ein und inszenieren die Zugehörigkeit zu bestimmten Geschlechtskategorien mit. Farben, Formen, Proportionen und Materialität bilden dabei das Rohmaterial bzw. die Ressourcen, die durch den »konventionalisiert zeichenhaften Gebrauch« (Meier, 2011, S. 513) bestimmte Bedeutungspotentiale entwickeln und diese in sozialen Praktiken repräsentieren. Das heißt in anderen Worten, dass »sowohl die explizite Benennung als auch die Nichtberücksichtigung geschlechtlicher Aspekte im Design« (Bieling, 2020b, S. 16) Auswirkungen auf seine Rezipient*innen hat. Mit jeder Entwicklung, mit jedem gestalteten Artefakt entsteht gleichzeitig eine Sachordnung, die wiederum auf die Menschen einwirkt.1 Wie genau diese Verbindung zwischen Gegenstand und Individuum – auch und gerade im Vergleich zur Verbindung zwischen Sprache und Individuum – zu denken ist, wird in den kommenden Abschnitten genauer untersucht. Dabei wird es auch darum gehen, wie mit Blick auf Butlers postsouveräne Subjektkonzeption individuelle Handlungsfähigkeit und Subversionspotentiale überhaupt

1

Diesen Aspekt hat bereits in den 1930er Jahren Ernst Cassirer herausgearbeitet, wenn er mit Blick auf Schiller davon spricht, dass die Technik als menschliche Schöpfung gleichzeitig auch die zweite Schöpferin des Menschen sei. (Cassirer, 1985, S. 70)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

denkbar sind und wie Autonomie verstanden werden kann, wenn gleichzeitig eine grundsätzliche Abhängigkeit des Subjekts von seinen »diskursiven Verortungen« (Villa, 2012, S. 44) und von der Anerkennung durch Andere vorausgesetzt werden muss.

7.1

Potentiale zur Subversion? – Zwischen Voluntarismus und Determinismus

Bisher wurde gezeigt, dass Designer*innen, gestaltete Artefakte und auch die Individuen selbst über eine Wirkmacht im Zusammenhang mit der Konstruktion von Geschlecht (und somit auch mit der Subjektivierung) verfügen. In den entsprechenden Konstruktionsprozessen werden bestehende, diskursiv geprägte Normen zitiert, wiederholt und immer wieder aufs Neue in die Existenz gerufen. Intelligible Subjektpositionen sind dabei diejenigen, die sich den geltenden Normen unterwerfen und auf diese Weise für verständliche Geschlechter sorgen, die sich in der sozialen Interaktion als »normal« erweisen. In diesem Zusammen–hang drängt sich dann allerdings die Frage auf, wie eine Handlungsfähigkeit von Subjekten weiterhin denkbar sein kann, wenn doch der Prozess der Subjektwerdung eine Unterwerfung unter vorgängige Normen und damit eine grundlegende Abhängigkeit darstellt.2

7.1.1

Bedingtheit und Handlungsfähigkeit – ein Widerspruch?

Der Vorwurf eines deterministischen Zusammenhangs zwischen sozialer Konstruktion von Geschlecht und den diskursiv geprägten gesellschaftlichen Normierungen ist seit den 1990er Jahren wesentlicher Bestandteil der Butler-Rezeption nicht nur im deutschsprachigen Raum. Wenn zum Beispiel Benhabib fragt, »Wie […] man von einem Diskurs konstituiert sein [kann], ohne von ihm determiniert zu werden [, und was] das Selbst [befähigt], die Geschlechtercodes zu ›variieren‹, hegemonischen Diskursen zu wiederstehen« (Benhabib, 1993, S. 109), liegt eine folgenschwere Fehldeutung von Butlers Ansatz vor. Das angesprochene Missverständnis liegt meines Erachtens in einem sehr grundsätzlichen Problem begründet, nämlich in einer

2

Eine Sammlung aller zentralen Argumente der Debatte um das handlungsfähige Subjekt finden sich in der Aufsatzsammlung »Streit um Differenz« (Benhabib u.a., 1993), die sich eingehend mit dem Thema auseinandersetzt.

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

bestimmten Lesart des Prozesses der Subjektivation und seiner paradoxen Bewegung zwischen Unterwerfung und Autonomie. Die Vorstellung »das Subjekt ginge aus der Unterwerfung hervor, impliziert [fast] zwangsläufig die Vorstellung eines kausalen Verhältnisses, in dem auf die Unterwerfung die Selbstständigkeit folgt« (Distelhorst, 2007, S. 295) – eine Idee, die den Gedanken allerdings gleichzeitig bis hin zur Absurdität widersprüchlich werden lässt. Wenn alle Subjekte von ihnen vorgängigen hegemonialen Diskursen konstituiert sind, wie ist dann Veränderung, wie die Entstehung von neuen Positionen, wie sind Diskursverschiebungen überhaupt denkbar? Für Butler sind der konstruktive Charakter der Identität und die Möglichkeit von Handlungsfähigkeit nicht als gegensätzlich zu denken. Sie versucht diesem Problem durch den Verweis auf die Gleichursprünglichkeit von Freiheit und Unterwerfung zu begegnen3 , indem sie durch ihr gesamtes Werk hindurch Subjekte als Schnittpunkte von Unterwerfung und Autonomie konzipiert: Im Akt der Subjektivation entsteht das prozessual zu denkende Subjekt in einem »Akt der Unterwerfung unter ihm vorausgehende Normen […], zu denen es niemals ja oder nein sagen konnte, bevor sie sich in Möglichkeitsbedingungen seiner Existenz verwandelten, die es zugleich aber auch befähigen […] seine Handlungsfähigkeit zu entfalten.« (Distelhorst, 2007, S. 31) Butler entwirft das Subjekt also als Schauplatz einer »Ambivalenz, in welcher das Subjekt sowohl als Effekt einer vorgängigen Macht wie als Möglichkeitsbedingung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit entsteht.« (PdM, S. 19). Auf diese Weise kann sie ihre Konzeption der Geschlechtszugehörigkeit »aus dem Rahmen substantieller Identitätsmodelle« (Butler, 2015b, S. 302) herauslösen und in die Sphäre »einer konstituierten sozialen Zeitlichkeit« (ebd.) versetzen. »Ist die Grundlage der Geschlechteridentität die stilisierte Wiederholung von Akten durch die Zeit und keine scheinbar nahtlose Identität, so sind die Möglichkeiten von Geschlechterveränderungen in der arbiträren Beziehung zwischen diesen Akten zu finden, in der Möglichkeit anderer Arten des Wiederholens, im Durchbrechen oder in der subversiven Wiederholung des Stils.« (Butler, 2015b, S. 302)

3

Bereits in Das Unbehagen der Geschlechter spricht sie davon, »daß es keinen ›Täter hinter der Tat gibt‹, sondern daß der Täter in unbeständiger, veränderlicher Form erst in und durch die Tat hervorgebracht wird.« (UdG, S. 209)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Der Prozess der Subjektivation im Sinne der Unterordnung unter diskursive Normen impliziert eben nicht, dass sich die »Handlungsfähigkeit […] logisch aus ihren Bedingungen ableiten« (PdM, S. 17) lassen muss. Vielmehr können »[h]egemoniale Diskurse […] widersprüchliche Effekte« (Villa, 2012, S. 161) haben, sodass sie gerade nicht determinieren, sondern oft auch »überraschende Wirkungen hervor[bringen]« (ebd.). Der Ursprung dieser »Überraschungen« liegt in der Lücke begründet, die sich zwischen den zitierten Normen, »durch die eine Subjektposition […] ihre Intelligibilität und Legitimität erhält, und ihrer performativen Verkörperung und (Re-)Produktion« (Wieder, 2019, S. 243) auftut. Durch den diskursiven Rahmen werden also Möglichkeitsräume für die Konstruktion intelligibler Positionen eröffnet, ohne dabei aber eine deterministische Fixierung auf je bestimmte Subjektstellen vorzunehmen. Das bedeutet, dass die Handlungsfähigkeit von Subjekten zwar »immer in die sie ermöglichenden Machtbeziehungen verwickelt« (Distelhorst, 2007, S. 265) ist, sich im selben Augenblick aber auch genau dieser Macht zumindest teilweise entzieht. Die Freiheit des Subjekts bleibt also immer bedingt von der sie ermöglichenden Unterwerfung, ohne jedoch in dieser vollständig aufzugehen.

7.1.2

Inszenierung und Konstruktion: Alles nur Theater?

Wenn sich nun die konstruktiven Prozesse der Subjektwerdung als nichtdeterminiert erweisen, ist dann alles nur ein grandioses Schauspiel? Wenn Geschlecht nun mit Hilfe von Requisiten innerhalb von sozialen Praktiken hergestellt wird und als brüchige Kategorie nie abgeschlossen ist, liegt dann nicht doch der Vergleich mit einer theatralen Performance nahe, welche das Schwanken des Subjekts in »einen vergnüglichen Maskenball« (HagemannWhite, 1993, S. 69) »postmoderner Beliebigkeit« (ebd.) verwandelt? Neben dem Vorwurf des Determinismus spielt auch dieses andere Extrem in der Rezeption von Butlers theoretischen Überlegungen eine Rolle: Der Vorwurf des »Geschlechter-Nihilismus« bzw. der »Beliebigkeit« (Purtschert, 2003, S. 148), ist insbesondere in der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte seit Gender Trouble virulent. Mit Blick auf die sozialen Praktiken und das Konstruktionsgeschehen, so die Kritik, entsteht der Eindruck, man könne »nach Lust und Laune einmal Frau, einmal Mann« (Purtschert, 2003, S. 148) oder vielleicht auch etwas ganz anderes sein. Gerade die Metapher des Maskenballs legt nahe, dass die einzelnen Individuen ihre Rollen jeweils frei wählen und wechseln könnten, so wie in einem Theater Schauspieler*innen in ei-

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

ner Spielzeit verschiedene Figuren verkörpern können, je nachdem, welches Stück gerade auf dem Plan steht. Wenn es sich um eine Inszenierung handelt, wenn die Konstruktion von Geschlecht im Doing Gender von den Subjekten selbst vorgenommen wird, kommt es dann nicht einfach darauf an, welche Requisiten Individuen einsetzen, um sich entsprechend darzustellen? Ist es dann nicht eine Frage der autonomen Wahl, welches Kostüm zum Einsatz kommt bzw. was ich jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt sein möchte? Mit Blick auf Butlers Subjekt-Konzept scheint mir dieser Vorwurf des »Geschlechter-Theaters« einer offensichtlich nur oberflächlichen Lektüre geschuldet, die zumindest zwei zentrale Aspekte ihres Denkens nicht berücksichtigen kann: Auf den ersten der beiden Punkte – die Gleichzeitigkeit von Normen und Subjekt – werde ich im Folgenden näher eingehen. Der zweite – der notwendige Zusammenhang von Autonomie und sozialer Beziehung – erfährt weiter unten im Text eine eingehendere Betrachtung. Butler argumentiert gerade gegen eine Bühnenmetaphorik der Beliebigkeit, wenn sie sagt: »Während theatralische […] Modelle das geschlechtlich bestimmte Selbst als seinen Akten vorhergehend betrachten, werde ich Konstruktionsakte nicht nur so verstehen, daß sie die Identität des Akteurs konstruieren, sondern so, daß sie diese Identität als zwingende Illusion konstituieren, als einen Gegenstand des Glaubens« (Butler, 2015b, S. 302). Das Subjekt ist der Konstruktion nicht vorgängig zu verstehen – ebenso wenig, wie die Normen, die im Akt der Subjektivation zitiert und realisiert werden und denen sich das Subjekt unterwirft. Täter (Norm) und Tat (Subjekt) sind in einer paradoxen Gleichzeitigkeit zu denken, sodass, und das scheint mir für das Argument die zentrale Aussage zu sein, »die Handlungsfähigkeit […] die sie ermöglichende Macht« (PdM, S. 20) übersteigt. Es ist also immer schon ein Bedeutungsüberschuss vorhanden, der das Feld diskursiv nicht fixierter Elemente abbildet. »In der zeitlichen Struktur performativer Akte ist also […] konstitutiv die Möglichkeit des Scheiterns« (Wieder, 2019, S. 282), oder – positiv gewendet – die Möglichkeit der Bedeutungsverschiebung und Veränderung bereits angelegt. Das bedeutet, dass die Relation zwischen Subjekt und Normen weder rein deterministisch (wie bereits oben gezeigt) noch rein voluntaristisch zu denken ist. Einerseits zeigt sich Gesellschaft immer schon in bestimmte Ordnungsstrukturen eingefügt, die sich aus dem Faktum sozialer Bestimmtheit ergeben. Qua sozialer Bestimmtheit sind Subjekte also in diese Ordnungszusammenhänge eingelassen, denen sie sich in vielfäl-

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tigen Praxiszusammenhängen jeweils unterwerfen. Andererseits zeigen sich gerade hier auf der Ebene der Praxis kreative Potentiale der Subversion, ohne die Tür der Beliebigkeit aufzustoßen: Individuen müssen, um anerkannte Subjektstellen innerhalb der Gesellschaft besetzen zu können, die Normen zitieren – allerdings immer mit der Option, dass dieses Zitieren scheitert oder misslingt. Es sind die Subjekte, die als »Mitglieder einer Gesellschaft […] genau diese Gesellschaft in ihren Praktiken aufrechterhalten und weitertreiben.« (Saar, 2019, S. 164) Und dabei ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Geschlechtskategorie weder vollkommen voluntaristisch noch deterministisch zu denken. Seine geschlechtliche Identität kann man nicht frei wählen, »ebenso wenig ist sie jedoch gegen jede Änderung resistent« (Distelhorst, 2009, S. 27), weil sie nichts ist, was rein im Ermessen des Individuums ist, sondern etwas, das sich – eingebettet in Diskurse – im Zusammenspiel von Einzelnem und Gesellschaft ereignet. »Weder bringt die Norm das Subjekt als ihre notwendige Wirkung hervor, noch steht es dem Subjekt völlig frei, die Norm zu missachten« (KeG, S. 29). Auch wenn die Argumentationslinien Butlers auf den ersten Blick nur auf die sprachliche Dimension zu verweisen scheinen, lassen sich diese Begründungsfiguren auch mit Butler über Butler hinaus auf die visuelle Kommunikation an der Oberfläche von Artefakten übertragen4 . Dies ist unter anderem auch deshalb möglich, weil Butler selbst den Begriff des Diskurses nicht primär bezogen auf seine alltagssprachliche Bedeutung verstanden wissen möchte. (vgl. FsL, S. 129) »Sprache« und »Diskurs« sind bei ihr nicht synonym zu verstehen. Für Butler ist der Diskurs »nicht bloß gesprochene Wörter, sondern ein Begriff der Bedeutung« (ebd.; Hervorhebung: JK). D.h. Diskurse sind, in Anlehnung an Foucault, als Systeme des Denkens zu verstehen, die eine produktive Macht haben, insofern sie »das, was sich überhaupt sinnvoll formulieren lässt, ermöglichen« (Villa, 2012, S. 20). In dieser Lesart lassen sich Diskurse auch als »das Gesamtsystem von Ideen, Einstellungen, Handlungsweisen, Überzeugungen, Praktiken und Sprachen, die zu einer bestimmten Kultur

4

Distelhorst weist darauf hin, dass innerhalb der poststrukturalistischen Theorie mindestens drei Lesarten existieren, wie der Diskursbegriff zu denken sei. Die erste, die »ihn als primär sprachlich« (Distelhorst, 2009, S. 40) versteht, greift in meinen Augen zu kurz. In meiner Lesart Butlers fasse ich den Diskurs als eine Verbindung aus Sprache in einem sehr umfassenden Sinne und Praktiken. So verstanden fallen auch visuelle Zeichenkombinationen, wie sie an der Oberfläche von Artefakten zu finden sind, unter den Diskursbegriff. (vgl. dazu auch Keller, 2007, S. 13ff.)

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

zu einem bestimmten Zeitpunkt gehören« (Smith-Laing, 2017, S. 76; Übersetzung: JK) interpretieren. Die Sprache im engeren Sinne ist also ein Medium des Diskurses unter anderen Medien. Ergänzend hinzu tritt die Sprache im weiteren Sinne, die sich nicht auf das gesprochene und/oder geschriebene Wort reduziert, sondern auch andere bedeutungstragende Einheiten umfasst. Die Sprache im weiteren Sinne bringt Einstellungen und Überzeugungen in Handlungsweisen und Praktiken interpersonal verständlich zum Ausdruck, um die Bedeutungen gleichzeitig im Akt des Benennens und Bezeichnens zuallererst diskursiv herzustellen5 . Entsprechend lässt sich, strenggenommen, die Verbindung zwischen Normen, Diskursen und Subjekten nicht ohne die bedeutungstragenden Oberflächen von Artefakten denken, die in den sozialen Praktiken der Inszenierung zum Einsatz kommen und die die jeweiligen Inszenierungen der Individuen als bedeutungstragende Kommunikationselemente überhaupt erst mit-ermöglichen. Allerdings sind auch unter dieser Rücksicht sowohl der Vorwurf des Determinismus wie auch der Vorwurf der grenzenlosen Beliebigkeit aus den oben genannten Gründen zurückzuweisen, insofern sich die strukturierten und strukturierenden Möglichkeitsräume, die durch diskursive Normen eingegrenzt sind, ihre normalisierende Wirkung über die Sprache im weiteren Sinne ausdrücken und ausüben.

7.1.3

Semiotischer Monismus – Alles nur Zeichen?

An dieser Stelle schließt ein weiterer Punkt an, der in der Butler-Kritik mit dem Begriff des »linguistischen Monismus« belegt ist. Dabei geht es, in einer weitergetragenen Engführung des Diskursbegriffs als »Sprache«, darum, dass die Annahme der wirklichkeitskonstituierenden Macht von Sprache, wie sie in den performativen Sprechakten dargestellt wird, gleichzusetzen sei mit der Ansicht, dass »alles Sprache ist« (Meißner, 2012, S. 39). Dieser Einwand basiert meines Erachtens allerdings auf einem doppelten Missverständnis: 5

Sprache (auch Sprache im weiteren Sinne) wird hier aus einer semiologischen Perspektive heraus verstanden. Dies geschieht im Anschluss an Saussures kritischer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Vorstellung, Sprache sei Repräsentation, würde also nichts weiter tun, als ein vorgängiges Objekt zu repräsentieren. Im Vergleich dazu deutet das semiologische Verständnis das bezeichnete Objekt (z.B. das Geschlecht) als erst im Prozess der Bezeichnung hergestellt. »Die Bedeutung des Objekts ist das Ergebnis des Bedeutens, ein Effekt der diskursiven Praxis und nichts dem Vorgängiges.« (Maihofer, 1995, S. 47)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Zum einen ist der Diskursbegriff, wie bereits im vorhergehenden Abschnitt gezeigt, nicht mit dem Begriff der Sprache gleichzusetzen. Zum anderen, und das ist an dieser Stelle das eigentliche, zentrale Argument, das Butler entgegengebracht wird, gehen ihre Kritikerinnen6 davon aus, dass »sie mit den binär strukturierten Geschlechtskörpern zugleich die existenzielle Dimension der Körperlichkeit als solche beseitige« (Distelhorst, 2007, S. 36). In einer Überbetonung des Diskurses, so die Begründung, käme es zu einer »Dematerialisierung menschlicher Existenz« (Distelhorst, 2007, S. 42). Mit der Frage, durch »welche regulierenden Normen […] das biologische Geschlecht selbst materialisiert [wird]« (KvG, S. 32 Hervorh.: JK) zielt sie allerdings nicht so sehr auf eine Aussage über den ontologischen Status von Körperlichkeit. Vielmehr impliziert die Frage, dass der Körper als diskursiv konstruierter Körper nur erkenntnistheoretisch zugänglich ist. (vgl. Vasterling, 1999, S. 19) An dieser Stelle zeigt sich auch die Schnittstelle zu einem weiteren Kritikpunkt, der in der Butler-Rezeption vor allem im deutschsprachigen Raum eine tragende Rolle gespielt hat: Der Vorwurf der »Entkörperung«. Während der erste Punkt primär darauf abzuheben versucht, Butler »semiologischen Idealismus« (Maihofer, 1995, S. 48) zu unterstellen, indem ihre Perspektive dahingehend interpretiert wird, einfach alles sei nicht mehr als Text, konzentriert sich der zweite Punkt auf eine andere Pointe: Hier wird die Zurückweisung des Substanzbegriffs mehr oder minder vorschnell gleichgesetzt mit der Negation alltäglicher Körperwahrnehmungen. (vgl. Purtschert, 2003, S. 152) Die De-Naturalisierung von Geschlecht wird, in diesem Fall fälschlicherweise, als Ent-Materialisierung verstanden. (vgl. von Redecker, 2011, S. 143) Bei Lorey fließen diese beiden Kritikpunkte ineinander, wenn sie davon spricht, »[…] daß sie [gemeint ist Judith Butler; JK] den Körper ausschließlich als Kategorie oder Begriff betrachtet, deren ontologische Natürlichkeit sie als Effekt einer Bezeichnungspraxis verschleiern will. So wird der Körper zum Text und seine Oberfläche zum Papier auf dem der Text einer geschlechtlichen Bezeichnungspraxis zu lesen ist.« (Lorey, 1993, S. 16) Diskursontologie und Entkörperung gehen hier, so scheint es, Hand in Hand. Die gleichen Einwände lassen sich auch anbringen, wenn man die Idee der Sprache als paradigmatisches System für die Semiotik erweitert, um Zei6

An dieser Stelle steht die rein weibliche Form »Kritikerinnen« insofern absichtlich, als die (kritische) Auseinandersetzung mit Butlers Werk in den 1990er Jahren erster Linie von weiblichen Autorinnen geleistet wurde.

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

chensysteme der visuellen Kommunikation, wie sie im Design zur Anwendung kommen, in den Ansatz integrieren zu können. Der Einwand würde sich dann auf einen semiotischen Monismus berufen, statt einen linguistischen Monismus innerhalb der Theorie zu vermuten. Wenn die Bezeichnungspraxis, so ließe sich die Argumentationslinie in ihrer erweiterten Form rekonstruieren, als Effekt den biologischen Körper erst hervorbringt, so gilt das selbstverständlich nicht nur für Markierungen, die textlicher Natur sind, sondern auch für Zeichenformen, wie sie sich an der Oberfläche von gestalteten Artefakten zeigen. Bezogen auf den Artefakt-Individuum-Komplex in konkreten Interaktionen würde das bedeuten, dass Artefakte in ihrer Eigenschaft als kulturelle Genitalien nicht nur die Geschlechtszugehörigkeit des Individuums in der Interaktion performativ konstituieren, sondern dessen geschlechtlich markierten Körper zuallererst hervorbringen. Eine solche These regt natürlich unmittelbar zu Widerspruch an, da eine derartige »[e]rfahrungsferne These von der Konstruiertheit der Geschlechter […] oft zu ontologischen […] Mißverständnissen [führt]: sozial Konstruiertes sei ›irreal‹« (Hirschauer, 1993, S. 56, 1995, S. 69). Dabei geht es Butler in ihren Darstellungen überhaupt nicht um ontologische Aussagen.7 Vielmehr, und das ist die eigentliche Pointe, nimmt Butler an dieser Stelle eine erkenntnistheoretische Perspektive ein, wenn sie schreibt, dass der Rekurs »auf die biologischen und die materiellen Bereiche des Lebens […] ein linguistischer Rekurs« (KvG, S. 11) ist. Große Teile von Körper von Gewicht (KvG) diskutieren genau diesen Aspekt. Dabei versucht Butler darzulegen, dass »die Dekonstruktion der binären Geschlechteroppositionen keineswegs einer Reduktion des Körpers auf die Sprache oder den Diskurs« (Babka und Posselt, 2016, S. 37) entspricht. Sie weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die theoretischen Optionen in dieser Frage nicht darin erschöpfen, entweder Materialität als gegeben vorauszusetzen oder aber Materialität zu negieren: Weder das eine noch das andere sind Anliegen, die Butler mit ihrem Projekt verfolgt. Vielmehr macht sie darauf aufmerksam, dass »[e]ine Voraussetzung in Frage zu stellen […] nicht das gleiche [sei], wie sie abzuschaffen« (KvG,

7

Grundsätzlich sind ontologische Aussagen nur insofern Thema von diskurstheoretischen Ansätzen, als jene gerade versuchen, keine ontologischen Aussagen zu machen. Hintergrund ist die Annahme, dass »die Welt jenseits des Diskurses als nicht zugänglich betrachtet wird« (Seifert, 1995, S. 278).

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

S. 56). Angewendet auf Artefaktsysteme8 , d.h. auf diejenigen Objekte, die in soziale Praktiken eingebunden sind und dadurch materiell wie auch kulturell strukturiert werden, hieße das schlicht, dass in der strukturierten Oberfläche der Artefakte auch geschlechtsspezifische Marker her- und dargestellt werden, die sich in Praxiszusammenhängen auf Subjekte übertragen und so die Zugehörigkeit zu einer Geschlechtskategorie mitbestimmen.

7.1.4

Subversion durch Nachahmung?

»Was Diskursen eigen ist – und was sie überaus wirkmächtig macht –, ist ihre Fähigkeit, alternative Bedeutungen zunächst geradezu unmöglich zu machen. Sie wirken präreflexiv und umso mächtiger, weil sie das Denken strukturiert haben, bevor wir überhaupt anfangen zu denken.« (Villa, 2012, S. 22f.) So verstanden bilden Diskurse also »eine Art Metaordnung […] die uns überhaupt eine […] symbolische Ordnung ermöglicht.« (Villa, 2012, S. 20) Das ist gemeint, wenn Butler davon spricht, dass «Diskurs« […] nicht bloß gesprochene Wörter, sondern ein Begriff der Bedeutung« (FsL, S. 129; Hervorhebung: JK) ist. Allerdings, so ist an dieser Stelle zu ergänzen, ist es eben nur »zunächst«, dass Bedeutungsverschiebungen unmöglich erscheinen (diese Stelle markiert den Ort, an dem der Determinismus-Vorwurf einhakt). Das hängt mit der zitathaften Struktur von Performativität zusammen, die bei Butler immer schon ein subversives Potential mitgedacht hat: Performative (Sprech-)Akte bedingen die Materialisierung von diskursiven Gehalten, indem sie bestimmte Normen oder Ideale wiederholen bzw. kopieren. Dabei kann »eine Aneignung und Darbietung bestimmter Normen [auch] quer zu ihrer gängigen Auffassung« (von Redecker, 2011, S. 80) geschehen, indem sie mit graduellen Abweichungen imitiert bzw. zitiert werden. Der Unterschied zwischen Original und Kopie, der in jeder Imitation zwangsläufig auftritt, kann dabei in einer Weise ausgeprägt sein, die zumindest unter bestimmten Rezeptionsbedingungen eine Infragestellung oder Verschiebung der zugrunde liegenden Norm zur Folge hat. Eine derartige Neucodierung wiederum ist nur möglich, 8

Der Terminus des Artefaktsystems, wie ich ihn an dieser Stelle einsetze, ist in der Kultursoziologie verortet. Die Frage nach den Artefaktsystemen geht davon aus, dass »Artefakte […] (wie Körper) Wirkungen [haben], […] eine Eigenmächtigkeit, die sich auf die Möglichkeit von Praktiken, Diskursen und Subjektivitäten auswirkt.« (Reckwitz, 2016, S. 38)

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

»weil die normativen Bedeutungen instabil, kontextabhängig und historisch wie auch kulturell variabel sind« (Bublitz, 2002, S. 110). Allerdings darf die Differenz zwischen Zitat und Norm nicht beliebig weit auseinanderklaffen, um noch verständlich zu bleiben. Auf die gleiche Weise, wie eine derartige Form der Bedeutungsverschiebung als strukturelle Instabilität Teil des Zeichensystems der Sprache ist, zeigt sie sich auch als prinzipielle Möglichkeit der Resignifikation in anderen Zeichensystemen, wie z.B. der Bild- und Objekt-Sprache9 . Auch wenn sich die Zeichenkonstitution der angesprochenen Systeme unterscheidet10 , lässt sich dennoch für beide Ausdrucksformen feststellen, dass sich – gleichgültig, ob man nun auf Sprache oder auf Objekte als Zeichensystem referiert – mit ihnen »niemals zweimal das Gleiche sagen lässt, da sich von einem aufs andere Mal der Kontext bereits verändert hat.« (Distelhorst, 2009, S. 106). Auch in der visuellen Kommunikation gestalteter Artefakte lässt sich also ein entsprechender Bedeutungsüberschuss erkennen, der für Variabilität, Veränderung und potentielle Subversion innerhalb der wiederkehrenden Zitationspraxis stehen kann (der aber auch immer das Potential misslingender Kommunikation in sich trägt, wenn Zitat und Norm nicht mehr nur durch eine Minimaldifferenz voneinander abweichen11 ).

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Unter Objekt-Sprache fasse ich im Folgenden diejenigen Aspekte, die im Offenbacher Ansatz auch als »Körper«-Sprache bezeichnet werden. (vgl. dazu Abbildung 5) Die gekoppelte Schreibweise dient unter anderem dazu, den Begriff von Barthes’ »Objektsprache« zu unterscheiden, mit der er »das Zeichensystem, dessen sich der Mythos bedient« (Barthes, 2020, S. 259) beschreibt. Während es sich im ersten Fall um eine »Sprache der Objekte« – d.h. um die kommunikative Funktion von Artefakten – handelt. verweist Barthes’ Verwendung des Begriffs darauf, dass die Sprache zum Objekt (nämlich des Mythos) wird. Während Bilder und Objekte wahrnehmungsnah, syntaktisch dicht und gestalthaft organsiert sind, zeichnet sich Sprache durch eine gewisse Wahrnehmungsferne, eine syntaktische Abfolge, Linearität und Arbitrarität aus. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Perzeptions- und Kognitionsmuster: Bilder und Objekte werden schnell und unmittelbar erfasst und ganzheitlich wahrgenommen, sind direkt emotionsverbunden und wirkungsstark. Sprache hingegen ist auf lineare Wahrnehmung angewiesen. Sie ist abstrakt und daher weniger direkt emotionsverbunden. (vgl. Meier, 2011, S. 513; Singer, 2009, S. 104f.) Auf diesen Aspekt spielt auch Barthes an, wenn er sagt: »Das Bild ist zwingender als die Schrift.« (Barthes, 2020, S. 253) Wie die Lücke bemessen sein muss, damit der performative Akt in seiner Bedeutungsverschiebung trotzdem gelingt, analysiert von Redecker sehr anschaulich. (vgl. von Redecker, 2011, S. 80)

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Bei gestalteten Artefakten und der ihnen eigenen Objekt-Sprache kommt nun noch eine Besonderheit hinzu, die ich mit dem Begriff der doppelten Zitation fassen und anhand des Beispiels der Bohrmaschine aus dem vorhergehenden Kapitel näher beschreiben möchte. Zu diesem Zweck wird zunächst noch einmal der Gestaltungsprozess einer genaueren Analyse unterzogen, um anschließend die Bohrmaschine in ihrer symbolischen Bedeutung in der sozialen Praxis zu betrachten. Das Aussehen der Bohrmaschine ist grundsätzlich nicht nur den Notwendigkeiten ihrer Funktion geschuldet. Natürlich gibt es Aspekte ihrer Gestaltung, die durch ihren primären Zweck quasi erzwungen sind – so kann eine Bohrmaschine z.B. nicht beliebig dünn gestaltet sein, da der Motor immer einen bestimmten Raum einnehmen wird. Ebenso ist ein Umfang, der das Halten des Geräts erschwert oder unmöglich macht, keine Option. Auch gewisse Materialanforderungen hinsichtlich der Haltbarkeit und der Haptik bilden Limitationen für die Design-Optionen. Dennoch ist der Funktionswert nicht allein ausschlaggebend für die Formgebung. Vielmehr werden Konventionen und konkrete Vorstellungen von Designer*innen mit Hilfe von GestaltungsCodes in die Oberfläche des Produkts eingeschrieben; darunter auch antizipierte Vorstellungen über potentielle Zielgruppen für das Produkt sowie die Vorstellungen der Designer*innen hinsichtlich der Vorstellungen und Assoziationen, die sich potentiell für die Nutzer*innen des Produkts durch die Gestaltung desselben ergeben. So wird im Gestaltungsprozess dafür gesorgt, dass der Entwurf des Bohrmaschinen-Gehäuses so ausfällt, dass die antizipierten Zielgruppen (in diesem Fall Handwerker und ambitionierte HobbyBastler) sich von der Gesamtheit aus Form- und Farbgebung sowie Materialität angesprochen fühlen. Dabei steht für die potentiellen Nutzer*innen nicht der Funktionswert im Vordergrund; durch das unvermittelte Wahrgenommenwerden und ihre direkte Emotionsverbundenheit rückt die ObjektSprache den Fiktionswert in das Zentrum12 und zielt damit »auf die Fantasie und Imaginationskraft der Konsumenten« (Opp, 2019, S. 95) ab. 12

Diese Objektbedeutung stellt immer auch einen Teil der Beziehung zu anderen Menschen dar, insofern sie als Komponente innerhalb einer Theorie der Subjektkonstitution und -stabilisierung angesehen werden kann, wie von Wolfgang Ullrich beschrieben (Ullrich, 2009). Fiktionswerte spielen insbesondere dort eine Rolle, wo es darum geht, sich selbst (für andere) in Szene zu setzen und die an die Produkte geknüpften Ideale durch den Konsum zu realisieren. Entsprechend lassen sich Produkte dann als Brücke zwischen Darsteller*in und Betrachter*in lesen, deren Oberfläche ein gemeinsames Zeichensystem darstellt.

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

Eingesetzte gestalterische Elemente, die zunächst eine funktionale Bedeutung zu haben scheinen (z.B. die Vielzahl von Lüftungsschlitzen im Gehäuse, die komplex unterteilte Oberfläche mit verschiedenen haptischen Zonen, die in Signalfarbe abgesetzten Schalter und Regler), erweisen sich bei näherer Betrachtung als zierendes Beiwerk, das für die Funktionalität der Maschine keine tragende Rolle spielt. Und dennoch fallen sie nicht sofort als Dekor auf, sondern werden von uns auf den ersten Blick als notwendig, als für eine Bohrmaschine »natürlich« und vielleicht auch »essentiell« angesehen. Sie zeigen sich aus dieser Perspektive beinahe zwingend an der gestalteten Oberfläche, nicht, weil sie notwendig zur Gestalt der Bohrmaschine dazugehören, sondern weil wir gelernt haben, zu glauben, dass sie zwingend die Gestalt einer Bohrmaschine ausmachen. Deshalb könnten sie auch eigentlich nicht »ganz anders« sein, sondern sie sind wichtig, um die Bohrmaschine als echte Bohrmaschine zu charakterisieren13 , sie als das, was sie ist und was sie für uns sein soll, zu markieren. Mehr noch als Sprache erweist sich das Zeichensystem visuell-haptischer Kommunikation als semantisch dicht und daher vage und mehrdeutig. In seiner flächigen Konfiguration ist es mit einer ganzheitlichen und direkten Wahrnehmung verbunden – anders als Sprache, die linear angeordnet und aus diesem Grund auch immer linear wahrgenommen werden kann. Während Bilder oder Gegenstände zu einem Zeitpunkt als Ganzes wahrgenommen werden, ist bei Sprache, sei sie nun gelesen oder gesprochen, immer eine Zeitspanne für die Perzeption notwendig. Die Fülle der Informationen, die in Gegenständen auf »einen Blick« erfasst werden kann, ist im Modell des Offenbacher Ansatzes (vgl. Kapitel 4.3.1) über die verschiedenen Funktionen abgebildet. Im Zusammenhang mit der Konstruktion von Geschlecht ist an dieser Stelle nicht so wichtig, welche Wesensanzeichen (es ist eine Bohrmaschine) oder welche Funktionsanzeichen (wie 13

Fallen Teile der gewohnten Codes weg, kann es sein, dass das Produkt nicht (mehr) in der gewünschten Weise verstanden wird. Werden Codes eingesetzt, die den kulturell gewachsenen Vorstellungen widersprechen, kann es sein, dass das Produkt als Parodie, als Witz, als nicht funktional verstanden wird. Ehrnberger et al. haben das eindrücklich in ihrer Studie gezeigt. (vgl. Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012) In etwas abgeschwächter Form lässt sich dieses Phänomen auch bei dem Akkuschrauber IXO von Bosch zeigen, dessen nur schwach geschlechtlich codiertes Design mit runderen Formen und ohne Lüftungsschlitze auskommt (vgl. Weller und Krämer, 2012, S. 80), und dessen Zubehör mit einem Pfeffermühlenaufsatz und einem KorkenzieherElement die Grenzen zwischen Werkstatt und Küche zu überschreiten versucht.

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benutzt man diese Bohrmaschine?) über die Oberfläche kommuniziert werden. Von Bedeutung sind hier die Symbolfunktionen und dabei besonders die Assoziationen, die der Maschine ihre Bedeutung geben. Diese werden von den Gestalter*innen im Entwurfs- und Gestaltungsprozess zum Teil bewusst in Skriptform angewendet: Die Maschine soll kraftvoll wirken und eine zuverlässige Performance suggerieren. Gleichzeitig zeigt sie sich als komplexes Gerät, zu dessen Einsatz ein gewisses technisches Knowhow gehört. Nur, wer sich mit den verschiedenen Einstellmöglichkeiten (Drehmoment, Geschwindigkeit, Schlagbohrfunktion etc.) auskennt, wird die Maschine richtig betreiben können. All diese Assoziationen ergeben sich aus der Gesamtheit des Zusammenspiels von Form, Farbe und Materialität, deren Bedeutung im Sinne eines Zeichens gelernt wurden. Warum aber sind die Gestaltungs-Codes der Maschine so gewählt, dass sie Kraft, Performance, Technikaffinität und Gefahr signalisieren? Die Vermutung an dieser Stelle liegt nahe, dass die Wahl auf genau diese Assoziationsmuster fällt, weil eine bestimmte Zielgruppe angesprochen werden soll: Die Maschine ist für »echte Handwerker« – ein Berufsbild und Hobby, das in unserer Kultur männlich belegt ist. Entsprechend werden Gestalter*innen in ihrem Entwurf mehr oder weniger bewusst versuchen, eine solche geschlechtliche Markierung auch in die Oberfläche des Objekts einzuschreiben und dabei, um die Verständlichkeit der Objekt-Sprache zu maximieren, auf bereits existierende Normen und Vorstellungen zurückgreifen, die in der Umsetzung des Designs zitiert, kopiert und mit einer Minimaldifferenz variiert werden. Diesen Aspekt im Prozess der Gestaltung bezeichne ich als Zitation erster Ordnung oder auch primäre Zitation. Am Ende des Designprozesses steht also ein Produkt bzw. ein Objekt, dass bereits eine geschlechtliche Markierung in sich trägt, die auf objekt-sprachlichen Zitationen von Normen beruht. Es ist dabei gleichgültig, ob diese primäre Zitation bzw. Wiederholung bestehender Normen dabei bewusst im Rückgriff auf explizite Skripte geschieht (zum Beispiel, weil einer Bohrmaschine auf der Grundlage von gendered scripts bewusst Vorstellungen und Visionen von Männlichkeit im Gestaltungsprozess eingeschrieben werden), oder ob der Prozess des Zitierens auf Seiten der Gestalter*innen unbewusst abläuft, sodass implizite Skripte die latenten Annahmen und Bilder zu einem Geschlecht an der Oberfläche sichtbar machen. Über den Prozess der Gestaltung werden Objekte also vergeschlechtlicht – ein Prozess, der über seine Skripte die erste Ebene der Normen-Zitation realisiert. Strukturalistisch-semiotisch gewendet lässt sich dieser Vorgang auch wie folgt darstellen: Der Signifikant (d.h. die Ausdrucksseite bzw. das Be-

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

zeichnende oder die äußere Zeichenform – im Falle des Stabmixers diejenigen gestalterischen Elemente, die in Tabelle 2 auf S. 95 dargestellt sind) und das Signifikat (die Inhaltsseite, also die Vorstellung bzw. das Konzept von z.B. Männlichkeit oder Weiblichkeit) bilden zusammen an der Oberfläche von Artefakten Zeichen, die auf bestimmte diskursiv geprägte Normen verweisen und diese zitieren. So werden bestimmte, gesellschaftlich normierte Vorstellungen von Geschlecht in die Oberflächen von Objekten eingeschrieben bzw. »verdinglicht« (Brandes, 2002, S. 51), während abweichende Vorstellungen, z.B. die Idee, dass Frauen grundsätzlich technikaffin seien, unartikuliert bleiben und so unsichtbar bleiben bzw. aus der Wahrnehmung verdrängt werden. Nimmt man vor diesem Hintergrund Barthes’ Ausführungen zu seinem erweiterten Mythos-Begriff in den Blick, so ließe sich sagen, dass an der Oberfläche der Bohrmaschine Materialität, Farb- und Formgebung ein »assoziatives Ganzes« (Barthes, 2020, S. 258) bilden, das wiederum als Ausgangspunkt für ein »sekundäres semiologisches System« (ebd.) fungiert, dessen Signifikant es darstellt. D.h. wir haben es hier mit einer Ausdruckseite eines Zeichens zu tun, die selbst wiederum aus Zeichen besteht14 . Werden Artefakte Bestandteil von Praxiszusammenhängen, ist dieses sekundäre System von Bedeutung: Der durch den Gestaltungsprozess mit geschlechtlicher Bedeutung aufgeladene Gegenstand wird in der Interaktion wiederum zur Requisite, sodass der Komplex aus Individuum und Artefakt in der Handlung erneut Normen performativ wiederholt und so diskursive Gehalte materialisiert. Wichtig ist an dieser Stelle, dass es sich um eine Verbindung von zwei grundsätzlich unabhängigen Zitationen handelt, die jede für sich eine potentielle Offenheit für Abweichungen und Verschiebungen in sich tragen. In der visuellen Kommunikation verbirgt sich, aufgrund dieser doppelten Zitation, entsprechend auch ein doppeltes Potential der Subversion und der Veränderung der diskursiven Rahmung. Schon bei der Analyse von Skripten war von einer gewissen Freiheit auch der Nutzer*innen die Rede, die in der Interaktion nicht zur Übernahme gezwungen werden können: »Users don’t have to accept the script, it is possible for them to reject or adapt it. Gender scripts do not force users to construct specific gender identities,

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Um die Doppeldeutigkeit des Zeichenbegriffs in diesem Zusammenhang zu umgehen, nennt Barthes das Zeichen (d.h. die Gesamtheit aus Signifikanten und Signifikat) »Bedeutung«.

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but scripts surely act invitingly and/or inhibitingly.« (van Oost, 2005, S. 196; mit Bezug auf Verbeek, 2005) Stehen wir an dieser Stelle also vor einem Tor zu größerer Flexibilität? Ich denke nicht. Schließlich hat auch die Medaille des doppelten Subversionspotentials eine Kehrseite: In gleicher Weise, wie durch die zweifache Zitation die Wahrscheinlichkeit von geglückten Verschiebungen an den Grenzen der Minimaldifferenz zwischen Original und Zitat wächst, verstärkt sich gleichzeitig auch das Potential zur Verfestigung, zur »Härtung« des gegebenen diskursiven Möglichkeitsraums. Der Ausschlag des Pendels ist in beide Richtungen erweitert, insofern der Kommunikationsprozess in Gestaltung und sozialer Interaktion immer gedoppelt ist. Findet die erste Zitation auf Ebene der Design-Skripte statt, die bestehende (unter Umständen auch stereotype) Vorstellungen von Geschlecht auf der Seite der Gestalter*innen in Form-, Farb- und Materialcodes übersetzt, findet die sekundäre Zitation der nun in codierter Form an der Oberfläche von Artefakten vorliegenden geschlechtlichen Normen anschließend im Interaktionszusammenhang von Artefakt und Individuen statt. Das bedeutet, dass bereits im Prozess der Gestaltung bzw. des Designs der Grundstein für die Bandbreite möglicher sekundärer Zitationen gelegt wird, der dann als Rahmen fungiert, »in welchem Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit […] hergestellt und sichtbar gemacht wird« (Krämer und Weller, 2020, S. 49). Ist dieser Rahmen durchdrungen von stereotypen Vorstellungen und möglicherweise unreflektierten Konzepten, werden die potentiellen Möglichkeiten für Benutzer*innen bereits in diesem Abschnitt des Kommunikationsprozesses zwischen Designer*in und gestaltetem Artefakt unnötig begrenzt. Dabei spielt es auch eine Rolle, in welchem Intensitätsgrad die jeweiligen Gender-Codes eingesetzt werden. Unter der Intensität lässt sich in diesem Fall die quantitative Verteilung von zitierten Geschlechternormen über die verschiedenen Gestaltungsattribute der gestalteten Oberfläche hinweg (Form, Farbe, Material, Proportion, Komplexität etc.) bestimmen. Je höher die Zitationsdichte von miteinander kohärenten Normen in den verschiedenen Attributen zusammengenommen ist, umso höher ist der Intensitätsgrad zu bewerten. Je homogener die über Form-, Farbund Materialitätscodes hinweg kommunizierten Gender-Skripte sind, umso formelhafter und wenig differenziert zeigen sich die zitierten Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit. Die vielfältigen Variationen und Differenzen innerhalb der an der Oberfläche der Objekte als homogen kommunizierten Kategorien (z.B. der Kategorie »Karrierefrau«) bleiben dabei unbe-

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

rücksichtigt. (vgl. Krämer und Weller, 2020, S. 51) In der Folge zeigen sich die Möglichkeiten der sekundären Zitation schon von vornherein stark eingeschränkt, sodass die Nutzer*innen der Artefakte mit zunehmendem Intensitätsgrad der eingesetzten Gender-Codes immer weniger Potentiale zur Bedeutungsverschiebung zur Verfügung haben, weil sich Form-, Farb- und Material-Codierung gegenseitig verstärken bzw. mögliche Bedeutungslücken des einen Attributs durch andere Attribute überschrieben und »normalisiert« werden15 . Dass es nicht notwendig zu einer doppelten Zitation kommt, lässt sich am Beispiel des Non Intentional Design (vgl. u.a. Brandes, 2008; Brandes, Stich und Wender, 2009a, 2009b) bzw. mit dem Ansatz »Gebrauch als Design« (vgl. Bredies, 2014) veranschaulichen. In beiden Fällen nämlich werden die Skripte, die in Folge des ursprünglichen Designprozesses durch die Designer*innen eine semiotisch aufgeladene Oberfläche der Dinge bilden, nicht in der erwarteten Weise gelesen und interpretiert. In der Umnutzung wird zunächst der Praxiszusammenhang des Artefakts modifiziert, wodurch es zu Verschiebungen innerhalb der Semantik der »Oberflächensprache« kommt: Nutzer*innen deuten, im Falle von NID und »Gebrauch als Design«, vor allem die Funktionsanzeichen auf der denotativen Ebene der Produktsprache anders als ursprünglich gedacht16 . Gleichzeitig verändern sich damit auch die Symbolfunktionen auf der Ebene der Konnotation: Die Frage nach der »Bedeutung« des Artefakts fordert in abweichenden Kontexten auch eine abweichende Antwort. Und es 15

16

Eine solche Möglichkeit des Überschreibens gilt allerdings nicht für alle Attribute in allen Kontexten gleichermaßen. Es scheint, dass bestimmte Attribute im Gegensatz zu anderen eine höhere Opazität besitzen und in ihrer Wirkung entsprechend dominanter erscheinen. Obwohl es weiterer Untersuchungen bedarf, um auf diesem Feld eine eindeutige Aussage treffen zu können, so scheint es auf den ersten Blick doch so, dass eine Überschreibung maskulin konnotierter Attribute durch feminin konnotierte grundsätzlich eher geschehen kann als eine Transformation in die entgegengesetzte Richtung. In der Theorie der Produktsprache des Offenbacher Ansatzes kommunizieren die Funktionsanzeichen auf der Ebene der Denotation, wie ein Artefakt zu benutzen ist. Es ist natürlich denkbar (und auch wahrscheinlich), dass Nutzer*innen sehr wohl erkennen, was die Oberfläche der Artefakte im ursprünglichen Sinne kommunizieren soll. Wenn wir einen Stuhl als Nachttisch umnutzen, wissen wir dennoch, dass es sich bei dem Objekt ursprünglich um einen Stuhl handelt, dessen primäre Funktion es ist, als Sitzmöbel zu fungieren. D.h. wir können die Wesensanzeichen und Funktionsanzeichen »richtig« lesen, haben aber gleichzeitig die Möglichkeit, abweichende Handhabungsalternativen aus der Oberfläche abzulesen.

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sind diese neuen oder veränderten Bedeutungszuschreibungen, die sich dem Zitieren der im Designprozess eingeschriebenen Normen zumindest teilweise widersetzen. Im »Gebrauch als Design« ebenso wie im Non Intentional Design wird der jeweilige Bedeutungsüberschuss sichtbar, der der als Zeichen charakterisierten Oberfläche von gestalteten Objekten innewohnt17 und der es überhaupt möglich macht, dass Zeichen ganz grundsätzlich in ihrer Bedeutung veränderbar sind, ohne ihre Verständlichkeit zu verlieren. Und an dieser Stelle zeigt sich auch, dass diejenigen Normen, die durch den Designprozess in die semantische Haut der Gegenstände eingeschrieben werden, durch die Nutzer*innen in der Praxis zwar anerkannt und re-zitiert werden können, sie aber nicht notwendig der doppelten Zitation unterliegen. In konstruktivistischer Perspektive lässt sich diese Verbindung von Gestaltung und GebrauchsKontext mit Krippendorff als interfacing beschreiben, das einen beständigen Abgleich der sinnlichen Wahrnehmung mit der subjektiven Konstruktion von Bedeutung darstellt. (vgl. Bredies, 2014, S. 30) Gestaltete Artefakte, so ließe sich das Gesagte vielleicht kurz zusammenfassen, haben aufgrund der doppelten Zitation zwischen Gestaltungsprozess und praktischem Umgang mit den Objekten die Möglichkeit, entweder als doppelte Härter bestehender Normen zu wirken, oder aber als äußerst wirksame Katalysatoren für eine Bedeutungsverschiebung. In beiden Fällen bleibt festzuhalten, dass die jeweiligen Bedeutungen (seien sie nun Kopien bestehender Normen mit einer kaum wahrnehmbaren Minimaldifferenz zwischen Original und Zitat, oder auch nicht) notwendigerweise Ausschlüsse produzieren: »Designprodukte können ihre Benutzerinnen und Benutzer sowohl einschränken als auch entschränken […] Davon ist die Formgebung […] geprägt, und dies ist keine Ambivalenz und auch keine ›dem Design inhärente Dichotomie‹, sondern ein dialektisches Geschehen, denn Produkte und Kommunikationsprozesse tun das eine, indem sie das andere tun.« (Schweppenhäuser, 2020, S. 381f.; Hervorhebung im Original)

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Eine solche Kontextverschiebung in der Verwendung von Artefakten lässt sich im Sinne Foucaults auch als »Kommentar« deuten, insofern dieser »per definitionem einen Überschuss des Signifikats im Verhältnis zum Signifikanten voraus[setzt], einen notwendigerweise nicht formulierten Rest des Denkens, den die Sprache im Dunkeln gelassen hat.« (Foucault, 2016, S. 14)

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

7.2

Implizite Heteronormativität und Asymmetrie

Designtheoretische Überlegungen, so wie sie bisher in dieser Arbeit thematisiert wurden, zeigen bei genauerer Betrachtung einen blinden Fleck, der sich auf den unterschiedlichen Ebenen im Design durchhält. Sowohl was die Strukturierung der Ausbildung und die darauffolgende Design-Arbeit betrifft, wie auch in Bezug auf die in dieser Arbeit eingesetzten Gestaltungsraster wird in den meisten Fällen stillschweigend die exklusive Existenz zweier Geschlechter vorausgesetzt18 . Im Produktdesign, wie es die Alltagsgegenstände heute prägt, werden in der Regel zwei gegensätzliche Welten generiert (vgl. Krämer und Weller, 2020) – sehr deutlich zu erkennen zum Beispiel beim Blick in Spielzeugabteilungen oder in Drogeriemärkte, wo sich der Raum einteilen lässt in einen Bereich der dunkle, geordnete, geradlinige, eckige und praktische Produkte bereithält und seinen »Gegenbereich«, in dem man helle, verspielte, runde, weiche und dekorative Objekte findet. Diese Zweiteilung des Produkt-Kosmos und die damit verbundene, immer konsequenter umgesetzte genderspezifische Ausrichtung ist nicht zuletzt eine Folge der kapitalistischen Bemühungen, neue Absatzmärkte zu erschließen. Ist der Markt für althergebrachte Bügeleisen erst einmal gesättigt, kann der Umsatz nur dann gesteigert werden, wenn das Produkt diversifiziert und für neue Zielgruppen zugänglich gemacht wird; inzwischen werden z.B. Bügeleisen auch mit einer dezidiert männlichen Formsprache angeboten. Während das Gendered Design also allein aus marktwirtschaftlichen Überlegungen heraus immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist gleichzeitig feststellbar, dass dies auf eine relativ unreflektierte und oberflächliche Art und Weise stattfindet, sodass die eingesetzten Farb-, Material- und Formcodes oftmals sehr stereotyp die im Alltagswissen verwurzelten Vorstellungen von Geschlecht aufgreifen und auf diese Weise ein großes Potential zur Vielfältigkeit ungenutzt lassen. Problematisch wird dies dort, wo diese Engführung auf stereotype Attribute in Produktkonzepten und visuellen Codes dafür sorgt, dass Nutzer*innen stigmatisiert, eingeschränkt, ausgeschlossen oder unsichtbar werden. Erstaunlicherweise – darauf hat Brandes bereits im Jahr 2002 hingewiesen – scheint in »der Gestaltungspraxis von Design […] die Geschlechterkategorie bisher […] wenig Berücksichtigung gefunden« (Brandes, 2002, 18

Zur historischen Entwicklung der impliziten Dichotomie auch im Selbstverständnis von Designer*innen vgl. beispielsweise Godau (Godau, 2020).

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

S. 51) zu haben. Daran, und auch an der Tatsache, dass es nur am Rande Untersuchungen dazu gibt, inwieweit Objekte, die sich nicht bewusst an eine geschlechtlich markierte Zielgruppe richten, trotzdem männlich oder weiblich konnotiert sind, hat sich in der Zwischenzeit nicht viel geändert19 . Die Kategorie »Geschlecht« scheint, wenn es nicht gerade um Gendered Design geht, ein blinder Fleck zu sein. Und wenn es darum geht, in Auseinandersetzung mit geschlechterdifferenzierender und geschlechterspezifizierender Gestaltung zu gehen, zeigt sich, dass in der Regel, mehr oder weniger unreflektiert, bestehende implizite Annahmen wie die Geschlechterdichotomie, das damit zusammenhängende Modell der Heteronormativität und eine androzentristische Perspektive perpetuiert werden. Die alltagsweltliche Annahme von »männlich« und »weiblich« als einzig gültige und lesbare Geschlechtskategorien zeigt sich bereits in den eingesetzten gestalterischen Dichotomien und binären Oppositionspaaren, die zur Beschreibung formal-ästhetischer Aspekte zur Verfügung gestellt werden20 . Man denke an dieser Stelle nur an die entsprechende Gegenüberstellung dichotomer Begriffspaare zur Beschreibung formalästhetischer Funktionen im Offenbacher Ansatz. Dort werden Einfachheit und Vielfältigkeit, Symmetrie und Asymmetrie, Ordnung und Komplexität etc. kontrastierend positioniert – wobei die eine Seite eher männlich, die andere Seite eher weiblich konnotiert ist. Zwischenstufen oder gar eine Option für weitere Geschlechterkategorien sind zunächst nicht abbildbar. Wie eingangs bereits erwähnt, werden insbesondere in der Produktgestaltung zwei exklusive, entgegengesetzte Welten erschaffen. In der Folge werden auch die symbolischen Funktionen gestalteter Artefakte, die sich unter anderem auch auf soziale, kulturelle, ökologische und historische Hintergründe beziehen, in ein Raster von Polaritäten eingeordnet, das wenig Spielraum für komplexere Deutungsmuster zulässt. Wenn das Aussehen ein zentraler Faktor dafür ist, wie gestaltete Objekte in Bezug auf das Geschlecht zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrgenommen werden (vgl. Kirkham und Attfield,

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Eine der wenigen Ausnahmen stellt in dieser Hinsicht die Untersuchungen von Brandes zur »Geschlechtersprache der Produkte« (Brandes, 2002) dar, in der unter anderem Sitzmöbel, Tragebehältnisse (vor allem Rucksäcke) und Mobiltelefone hinsichtlich ihrer geschlechtlichen »Natur« untersucht werden. In der Theorie der Produktsprache wird hinsichtlich der formalästhetischen Elemente durchgängig mit einer Einteilung in Oppositionspaare gearbeitet. Diese wiederum zeigen sich durchgängig »männlich« und »weiblich« konnotiert.

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

1996, S. 4) und wenn die Wahrnehmung dieses Aussehens wiederum durch ein dichotomes Schema von möglichen Beschreibungspaaren vorstrukturiert und konturiert wird, zeigt sich der Raum interpretativer Möglichkeiten ebenfalls binär gefasst. Dabei steht als Beschreibungsoption immer nur ein Element einer dichotomen Paarung zur Verfügung: entweder »geometrisch« oder »organisch«, »symmetrisch« oder »asymmetrisch«, »dunkel« oder »hell«, »in einem Raster angelegt« oder »frei geformt« etc. Diese binäre Zuschreibung geschieht in einer Weise, die das beschreibende Element gleichzeitig durch die Negation seines Gegenteils definiert. Geometrisch ist gleichzeitig nichtorganisch, asymmetrisch gleichzeitig nicht-symmetrisch usw. Diese Oppositionspaare gestalterischer Elemente finden ihre Entsprechung in einer der beiden Geschlechtskategorien – »männlich« oder »weiblich«. D.h. eine Oberfläche die z.B. dunkel, schwer, geradlinig und geometrisch anmutet, wird als »maskulin« gelesen, wohingegen eine pastell-weiche, organische, volumenreiche Form wahrscheinlich als »weiblich« gedeutet wird. Mit dem Wissen um diese beiden Kategorien ist der Grundstein für eine weitreichende Matrix gelegt, die das binäre Geschlechtersystem mit der hegemonialen Norm verbindet, »[…] ›normalerweise‹ heterosexuell zu sein« (Villa, 2012, S. 69). Damit zeigt sich ein grundliegendes Problem der hier vorgestellten designtheoretischen Ansätze: Insbesondere was die Wirkmacht der Gestalter*innen betrifft – sei es nun aus der Perspektive des Non Intentional Design oder aus dem Blickwinkel der Gender-Skript-Theorie – formt eine »binäre Regulierung der Sexualität« (UdG, S. 41) den Möglichkeitsraum der potentiellen Oberflächengestaltungen. Design stützt sich meist auf eine doppelte, nicht weiter hinterfragte Annahme: Zum einen wird von einer klaren Dichotomie der Geschlechter ausgegangen (es gibt »Männer« und es gibt »Frauen«); zum anderen setzen insbesondere diejenigen Gestaltungspraktiken, die auf explizite Gender-Skripte zurückgreifen, meist auf die Vorstellung eines »normalen« Begehrens, verbunden mit grundlegenden Differenzen zwischen Männern und Frauen, die dann im Prozess der Gestaltung ausgedrückt und in die Oberflächen eingeschrieben werden. Auf diese Weise werden bereits im Gestaltungsprozess Devianzen pathologisiert, als »anders« markiert und in letzter Konsequenz unsichtbar gemacht, da für sie im binären System der Gestaltungselemente und seiner stereotypisierenden Anwendungen keine möglichen Ausdrucksformen bereitgestellt werden. Weder lassen sich durch die dichotom konturierten Design-Codes »inkohärente« Geschlechter oder abweichende Positionen direkt ausdrücken, noch ist eine Lesbarkeit und damit eine Möglichkeit der Anerkennung explizit gegeben.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

In der Konsequenz kommt es durch diesen blinden Fleck der DesignTheorien bisher zu einer Wiederholung der bestehenden Muster und zur »Härtung« des Alltagswissens. Visuelle Kommunikation leistet auf diese Weise einen großen Beitrag dazu, dass die tradierten Thesen (T1 -T3 ) hinsichtlich des Verständnisses der Kategorie »Geschlecht« weitergetragen werden, obwohl aufgrund der doppelten Zitation und des Bedeutungsüberschusses in der Oberfläche der Dinge grundsätzlich ein Potential zur Umdeutung und Bedeutungsverschiebung angelegt ist21 . »Als gestaltende Disziplin ist Design […] grundlegend an der Verbreitung und Verfestigung von Normalitätskonstrukten beteiligt, indem es aufgreift, widerspiegelt und zugleich vorgibt, wie es sich augenscheinlich um die Dinge verhält bzw. wie sie zu sein haben.« (Bieling, 2020b, S. 7) Die normative Kraft der gestalteten Artefakte (in dem Sinne, dass sie soziale Konstellationen, Strukturen und Wertordnungen regulieren) nimmt im Kontext sozio-materieller Verknüpfungen Einfluss auf die Kategorie »Geschlecht«, indem die Objekte bestimmte tradierte Ideale und Leitbilder für Männer und Frauen transportieren und an die Nutzer*innen weitertragen bzw. auf diese übertragen. Dabei geht es aber nicht nur um die dichotome Geschlechterordnung, nach der es eben nur Männer und Frauen gibt. Über die semantische Oberfläche von gestalteten Objekten wird die gesamte heterosexuelle Matrix stabilisiert und aufrechterhalten sowie ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern fixiert. Das Weibliche wird im Verhältnis zum Männlichen als abgeleitet oder als geringer eingestuft. Die Dekonstruktion der eingeschriebenen androzentristischen Perspektive lässt sich, wie es auch Ehrnberger et al. (Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012) gezeigt haben, durch eine Umkehrung der visuellen Marker an der Oberfläche zeigen. Während ein ursprünglich »weibliches« Produkt durch das Einkleiden in eine »männliche« Semantik in den Augen der Betrachter*innen an Wert gewinnt oder zumindest gleichwertig und funktionstüchtig bleibt, verliert ein ursprünglich »männliches« Objekt unmittelbar an Glaubwürdigkeit und Tauglichkeit, sobald die Oberflächen-Sprache eine weibliche Anmutung hat.

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Auch Bieling macht darauf aufmerksam, dass Design grundsätzlich das Potential hat, um Normvorstellungen zu dekonstruieren und kritisch zu hinterfragen und dass »Gestaltung und unsere Vorstellung von Wirklichkeit miteinander zusammenhängen.« (Bieling, 2020b, S. 9)

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

Nicht alle Design-Elemente haben dabei das gleiche Gewicht. Grundsätzlich, so scheint es, wirken potentiell weibliche Marker (wie organische Formen, Pastellfarbtöne, Miniaturisierung, Weichheit, Leichtigkeit etc.) stärker. So kann zum Beispiel eine Bohrmaschine, sobald sie pink eingefärbt wird, unter Beibehaltung aller übrigen maskulin konnotierten Design-Codes den Eindruck erwecken, sie sei »nicht ernst gemeint«, »nicht besonders kraftvoll«, »keine echte Bohrmaschine, sondern eine Maschine speziell für Frauen« etc. Besonders interessant daran scheint mir die Vorstellung, es handle sich dabei um keine echte Bohrmaschine im strengen Sinn, sondern um eine abgeleitete Variante, ein Derivat, das nur für Frauen ist – während das echte, männliche Modell den Anspruch erhebt, für jeden und damit normal zu sein22 . Durch eine derartige Klassifizierung als »vom Eigentlichen abweichend« sind auch die Machtverhältnisse innerhalb der Geschlechter-Kategorien fixiert, sodass »das Konstrukt ›Macht‹ niemals auf sogenannte ›weibliche‹ Produkte zutrifft, sondern [exklusiv] für ›männliche‹ reserviert ist.« (Brandes, 2020, S. 31) Im Schatten des hegemonialen Androzentrismus erscheint alles feminin Konnotierte in der Folge als »schwach, niedlich, sanft, harmlos – oder sogar lächerlich« (Brandes, 2020, S. 32), insbesondere dann, wenn die Produktsprache dazu genutzt wird, ein primär männlich konnotiertes Artefakt weiblich zu überformen. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass im Anschluss an eine derartige Überformung über die Oberfläche das »falsche« Geschlecht angezeigt wird. Denn der Umkehrschluss, dass eine maskuline Überformung weiblicher Objekte diese ebenfalls der Lächerlichkeit preisgeben würde, stimmt so nicht. Das Experiment des Geschlechtertauschs in umgekehrter Richtung unterstreicht noch einmal die konventionelle Asymmetrie im Verhältnis der beiden Kategorien, insofern weibliche Artefakte durch männliche Markierungen eher dazu tendieren, einschüchternd oder vielleicht befremdlich zu wirken. Eine maskuline Überformung verleiht also eher Stärke und Macht. (vgl. auch Ehrnberger, Räsänen und Ilstedt, 2012) Der Faktor Stärke/Macht ist es vielleicht auch, der dafür sorgt, dass eine Femininisierung (und der damit einhergehende Macht-Verlust) durch die entsprechenden Design-Codes sehr viel schneller eintritt, als umgekehrt der Gewinn von Stärke. Wie eingangs bereits

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Dieses Phänomen drückt sich auch in dem Begriff des Malestream aus, der eine Dominanz der männlichen Perspektive innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin beschreibt. Erstmals verwendet wurde der Begriff zu Beginn der 1980er Jahre durch die politische Philosophin Mary O’Brian in ihrem Buch The Politics of Reproduction. (O’Brian, 1981)

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

festgestellt, wirken – was das Potential zur gegengeschlechtlichen Überformung betrifft – weiblich konnotierte Gestaltungselemente machtvoller. Auch in der Wirkmächtigkeit zeigt sich also das ungleiche Verhältnis, wenn auch in umgekehrter Form: Was die Überformung betrifft, ist die Kategorie des Weiblichen dominanter; zum Teil genügt der Farbwechsel hin zu einer dezidiert weiblichen Farbe oder auch eine Verkleinerung der Gesamtform, um eine Verweiblichung zu erreichen23 . Noch einmal rückbezogen auf das Beispiel der Bohrmaschine bedeutet das, dass die »echte« Maschine, die keinen expliziten Geschlechtsmarker trägt (schließlich ist sie für jedermann) – nur durch Veränderung der Farbe sofort »verweiblicht« wird, während eine männliche Färbung bei tendenziell weiblicher Formgebung nicht zum erwarteten Geschlechtswechsel des Objekts führt24 . Heteronormativität und die Asymmetrie zwischen den beiden exklusiven Geschlechtskategorien als konventionelle Hintergrundfolie in der Gestaltungspraxis werden bisher nicht in den Fokus des Interesses gerückt. Der Blick auch in die aktuelle Literatur zeigt (dazu z.B. Bieling, 2020a), dass »Geschlecht« bzw. Gender meist gleichgesetzt wird mit der Möglichkeit, einer der beiden vorgegebenen Kategorien zu entsprechen, oder aber »neutral« zu sein. (vgl. auch Weller und Krämer, 2012) Die Bemühungen liegen hier eher darin, im Prozess des Designens stereotype visuelle Kommunikation zu vermeiden, um allzu augenfällige Geschlechterklischees, die auch innerhalb der kulturellen Gemeinschaft mittlerweile hinterfragt bzw. in Frage gestellt werden, zu umgehen. Eine weitere Differenzierung hinsichtlich einer breiter auszulegenden Diversität sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Status Quo im Design bleibt bislang ein Desiderat.

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Nicht umsonst galt im Gender-Marketing lange die Devise »pink it and shrink it«, um ein ursprünglich maskulines Produkt für eine weibliche Zielgruppe aufzubereiten. (van Tilburg, Lieven und Herrmann, 2015) Beobachten lässt sich das u.a. an dem Akku-Schrauber-Modell IXO-6 der Firma Bosch, dass in seinen Grundformen eher weiblich konnotiert ist. Abgesehen davon, dass es hier – ganz im Sinne der oben bereits beschriebenen marktwirtschaftlich motivierten Produktdiversifizierung – mehrere Modelle gibt, die sich nur farblich unterscheiden, lässt sich an dieser Stelle sehr gut zeigen, dass die gleiche Form in der »klassischen« Bohrmaschinen-Farbgebung (dunkelgrün-schwarz-rot-silber) nicht dafür sorgt, dass das Gerät eine männliche, starke, machtvolle Ausstrahlung erhält. Aufgrund der weiblichen Formgebung mit einer homogenen Oberflächenstruktur behält das Objekt seinen femininen Charakter.

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

7.3

Handlungsmacht, Anerkennung und soziale Beziehung

Die paradoxe Bewegung der Subjektivation zwischen Unterwerfung und Autonomie war zu Beginn des Kapitels schon Thema und damit zusammenhängend auch die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer Autonomie des Subjekts. Wie kann unter den gegebenen Voraussetzungen weiterhin sinnvollerweise von Autonomie gesprochen werden, wenn die Handlungsspielräume des Subjekts durch Normen eingegrenzt und strukturiert werden? Wie lässt sich ein Subjekt denken, wenn es als Individuum in seiner Subjektposition immer schon abhängig ist von einer Anerkennung durch Andere? Wie steht es um die Autonomie des Subjekts, wenn es doch erst performativ hervorgebracht werden muss, wenn in »diesem Sinne […] der »Täter« als Effekt der Tat produziert« (FsL, S. 126) wird? Wer übt die performativen Handlungen aus, »wenn es kein souveränes Subjekt gibt […]?« (Meißner, 2012, S. 44). War der erste Aspekt der zweifachen Abhängigkeit Thema des vorhergehenden Abschnitts, soll im Folgenden der Zusammenhang zwischen Handlungsfähigkeit und Anerkennung noch einmal genauer beleuchtet werden. Subjekte sind »immer und systematisch [auf] eine Adressierung« (Villa, 2012, S. 43) angewiesen. Subjektwerdung kann, so also die These, in dieser Perspektive und mit Butler immer nur als Beziehungsgeschehen verstanden werden (vgl. GL, S. 40f.). Das Selbst in seiner Angewiesenheit, in seinem Ausgeliefertsein an die Anderen (vgl. KeG, S. 106) kann also im strengen Sinne gar nicht autonom sein: »Das Subjekt ist genötigt, nach Anerkennung seiner eigenen Existenz in Kategorien, Begriffen und Namen zu trachten, die es nicht selbst hervorgebracht hat, und damit sucht es das Zeichen seiner eigenen Existenz außerhalb seiner selbst – in einem Diskurs, der zugleich dominant und indifferent ist. […] Dieses Streben ist nicht Wahl, aber es ist auch nicht Notwendigkeit.« (PdM, S. 25) Butler geht in Anlehnung an Hegel davon aus, dass das Subjekt »nur durch die Begegnung mit dem Anderen zu einem Selbstverhältnis gelangen« (Distelhorst, 2007, S. 191) kann. Dabei erweist sich die Anerkennung aber gebunden an Normen und damit als etwas, das nicht selbstverständlich ist, sondern als »etwas, das ebenso gewährt wie auch entzogen werden kann, wenn ein Mensch sich als nicht anerkennungswürdig erweist.« (Distelhorst, 2009, S. 67). Erst wenn und insofern Menschen von anderen angesprochen, adres-

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

siert werden (vgl. GL, S. 154f.), können sie eine intelligible Subjektposition einnehmen25 . Welche Positionen sich dabei als anerkennungswürdig erweisen, entscheidet sich eben in Abhängigkeit von genau diesen gesellschaftlichen Normen, die sich auch in den Oberflächen von Artefakten eingeschrieben finden. Im alltäglichen Interaktionszusammenhang zwischen Individuen und Objekten finden Anerkennungsprozesse statt, indem z.B. im Rückgriff auf bestimmte, geschlechtlich markierte Artefakte die eigene Geschlechtszugehörigkeit inszeniert und von anderen gelesen und zugeschrieben (also anerkannt) wird. Diese Inszenierung und Zuschreibung innerhalb der Grenzen diskursiver Normen – als notwendige Bedingung für eine intelligible Subjektposition – bleibt dabei ein ständig umkämpfter Prozess, der nie zu einem endgültigen Abschluss kommen kann26 . Subjekt zu sein bedeutet immer auch in »einer prekären Existenzform« (Distelhorst, 2007, S. 192), ein »gefährdetes Leben« (GL) zu leben, weil die Subjektivierungsprozesse ununterbrochen laufen (müssen): Menschen können »nicht existieren […], ohne den Anderen anzusprechen und von ihm angesprochen zu werden.« (KeG, S. 48) Dabei orientiert sich die Anerkennung entlang von Normen, die den Menschen, die am Anerkennungsgeschehen beteiligt sind, vorausgehen. Gerade in Prozessen der Anerkennung entfalten die Normen bei Butler ihre positive Wirkung, indem sie »eine Interpretation des Anderen anbiete[n]« (Distelhorst, 2009, S. 73) und so dabei helfen, den Zugang zu ihm zu erleichtern27 . 25

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Wichtig ist an dieser Stelle, dass Butler von Anfang an Abstand nimmt, Anerkennung in Sinne einer zweigliedrigen bzw. privaten Grundkonstellation zu denken. Vielmehr besteht sie nachdrücklich auf eine Dreigliedrigkeit der Grundfigur und damit in direkter Folge auch auf die politische Dimension. (vgl. u.a. RdK, S. 13) »Immer und notwendig greift Anerkennung auf normative Vorgaben zurück und wird von diesen bestimmt. Diese zentrale Einsicht fasst Butler begrifflich eigens mit dem von ihr ins Feld geführten Neologismus ›Anerkennbarkeit‹ (recognizability).« (Flatscher und Pistrol, 2018, S. 113; Hervorh. im Original) Im Gegensatz zu Hegel weist Butler die Möglichkeit, Anerkennung abschließend zu realisieren, zurück. (vgl. Distelhorst, 2009, S. 67) Distelhorst macht darauf aufmerksam, dass an dieser Stelle eine große Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft sichtbar wird: »Normen beanspruchen universelle Gültigkeit und tendieren in starkem Maße dazu, Menschen einander gleich zu machen. Das Verständnis des Anderen in seiner Andersheit wird also paradoxerweise über ein Medium hergestellt, das die Gefahr mit sich bringt, die Andersheit des Anderen zu beseitigen.« (Distelhorst, 2009, S. 73) Im Design kann man diese Einebnung der Andersheit unter anderem bei der Verwendung von stereotypen Geschlechterbildern in der Formsprache beobachten. Zu Gunsten einer leichteren Lesbarkeit werden

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

Bedeutet nun aber eine solche inhärente Angewiesenheit auf den Anderen, dass die Autonomie des Subjekts nicht länger denkbar bleiben kann, mit all seinen politischen und ethischen Implikationen? Besteht nicht, wie auch von Redecker fragt, »ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen Butlers Subjekttheorie, die die Entstehung des Subjekts aus den es umgebenden herrschenden Normen erklärt, und […] [der] Handlungsfähigkeit […]?« (von Redecker, 2011, S. 102) In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, sich noch einmal genauer mit den Begriffen der Autonomie und der Handlungsmacht auseinanderzusetzen. Denn beide sind vor dem Hintergrund des bisher Gesagten nicht synonym zu setzen. Mit Butlers Konzeption des »postsouveränen Subjekts« einhergehend zeigt sich die Tatsache, dass Handlungsfreiheit »weder gänzlich determiniert noch radikal frei« (KeG, S. 29; Hervorhebung: JK) ist. Das bedeutet aber gleichzeitig auch, dass Autonomie28 im strengen Sinne nicht mehr möglich ist. Im Gegenteil: Die Handlungsmacht, wie sie mit Butler zu lesen ist, ist zumindest mittelbar daran beteiligt, dass »die Möglichkeit einer radikalen Autonomie« (Hsp, S. 49) verworfen wird. Was ist in diesem Zusammenhang mit der mittelbaren Beteiligung gemeint? Subjekte sind, wie oben bereits gezeigt, abhängig von anderen Subjekten und deren Ansprache bzw. Anerkennung: »Wir können uns selbst nur denken und wahrnehmen, wenn wir zuvor bereits angesprochen und adressiert worden sind« (GL, S. 166). Und diese Anrede, dieses Angesprochensein durch den*die Andere*n eröffnet zuallererst die Möglichkeit einer Handlungsfähigkeit, um im gleichen Atemzug die Autonomie im strengen Sinne auszuschließen. Zu handeln fällt also gerade nicht in die Domäne des souveränen Subjekts. »Wer handelt […], handelt genau in dem Maße, wie er oder sie als Handelnde und damit innerhalb eines sprachlichen Feldes konstituiert sind, das von

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mögliche Unterschiede nivelliert, das Individuelle beseitigt und auf diese Weise mögliche Subjektpositionen eingeschränkt. Autonomie in dem hier gebrauchten Sinne bezieht sich auf das Konzept eines souveränen Subjektes, das sich am traditionellen Subjektbegriff des Subjektdiskurses der westlichen Moderne orientiert und »suggeriert, dass Subjekte autonome ontische Entitäten seien.« (Villa, 2012, S. 40) Im Sinne des liberalen Humanismus wird das Subjekt alltagstheoretisch verstanden als »vernünftige, aufgeklärte, bewusst handelnde Person, die die Welt kompetent – im Sinne von flexibel und souverän – unter Einbeziehung seiner Eigenverantwortlichkeit gestaltet«. (Jäckle et al., 2016) Dagegen steht der Entwurf einer neuen Lesart des Subjekts bei Butler, die das Subjekt »als diskursiv regulierte Performativität« (Reckwitz, 2008, S. 89) versteht.

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Anbeginn an durch Beschränkungen, die zugleich Möglichkeiten eröffnen, eingegrenzt wird.« (Hsp, S. 32) Die so charakterisierten Anerkennungsverhältnisse verfügen demnach über einen Doppelcharakter (vgl. Saar, 2004), der einerseits die Ermöglichung des Subjekts, andererseits aber auch die Unterwerfung desselben umfasst. Das Subjekt bzw. das Selbst ist also immer schon auf die dialogische Dimension eines anrufenden Gegenübers verwiesen, in Beziehungen verflochten und nur aus diesen heraus verständlich. Dabei ist die Anerkennung durch andere nicht im Sinne »einer[r] (intime[n] oder private[n]) dyadische[n] Grundfigur zu fassen« (Flatscher und Pistrol, 2018, S. 113). Gerade dadurch, dass der Blick auf die vorgängig bestehenden Beschränkungen gelenkt wird, zeigt sich eine ternäre Struktur, die von Butler auch im Begriff der »Anerkennbarkeit« (RdK, S. 13) gefasst wird: »Bezeichnet ›Anerkennung‹ einen Akt oder eine Praxis oder gar ein Aufeinandertreffen von Subjekten, so steht der Begriff der ›Anerkennbarkeit‹ für die allgemeineren Bedingungen, die ein Subjekt auf die Anerkennung vorbereiten oder ihm die dazu nötige Form vermitteln.« (RdK, S. 13) D.h. während »Anerkennung« bedeutet, Sichtbarkeit zu erlangen, wird eben diese Sichtbarkeit durch Intelligibilität (Anerkennbarkeit) verliehen. (vgl. Jäckle et al., 2016, S. 46f.) In der Anrufung als Akt der Anerkennung werden Subjektstellen und Identitäten vor dem bestehenden normativen Hintergrund konstituiert. Schlägt man nun den Bogen zurück zu einer möglichen Handlungsfähigkeit, bleiben folgende Punkte festzuhalten: Subjekte verfügen, trotz ihrer doppelten Angewiesenheit (auf ein anrufendes Gegenüber wie auf den normativen Hintergrund der Anerkennbarkeit) über das Potential zur Handlungsmacht. Dieses begründet sich allerdings nicht in ihrer Souveränität und lässt sich nicht auf eine Autonomie im klassischen Sinne zurückführen. Die Handlungsmacht zeigt sich vielmehr in der »Lücke« und auf dem Feld des Bedeutungsüberschusses, auf dem sich Möglichkeiten zur Subversion eröffnen. »Die Handlungsmacht des Subjekts ist als Macheffekt zwar eingeschränkt, aber durch die Strukturen der Macht nicht determiniert« (Bublitz, 2002, S. 125). Zur Subversion wird diese Handlungsmacht genau dann, wenn sie in die Struktur der iterativen Zitation von Normen mit dem Ziel eingreift »selbige von deren hegemonialer Bedeutung abzubringen und ihnen neuen Sinn zu verleihen« (Distelhorst, 2007, S. 266). Entsprechend hat das Subjekt

7 Herstellung von Geschlecht durch visuelle Kommunikation? – Diskussion

die Möglichkeit, über eine bloße Wiederholung der Normen an der Grenze der Minimaldifferenz hinauszugehen. Seine Handlungsmacht reicht unter Umständen bis in die Sphären jenseits der bestehenden Intelligibilität.

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8 Zusammenfassung und Ausblick

8.1

Zusammenfassung

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den Zusammenhang zwischen gestalteten Objekten und der (De-)Konstruktion von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen im Spannungsfeld zwischen Design- und Gesellschaftstheorie aufzuzeigen. Während theoretische Ausarbeitungen zur Performativität von (Verbal-)Sprache nicht nur aus dem Bereich der Linguistik schon länger vorliegen, war bisher eine Ausarbeitung, die das Feld der visuellen Kommunikation stärker in den Blick nimmt, bisher ein Desiderat der Forschung. Die in dieser Arbeit ausgearbeiteten feministischen Perspektiven auf die Artikulation von Geschlecht über die Oberfläche gestalteter Artefakte spannen ergänzende Dimensionen zu demjenigen Erkenntnisfeld auf, das im Rahmen sprachwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit Diskursen eine bekannte Größe darstellt. Im Anschluss an die diskurstheoretischen Überlegungen Judith Butlers und den Offenbacher Ansatz zu einer Theorie der Produktsprache kann gezeigt werden, dass die Oberflächen gestalteter Artefakte im Hinblick auf die Herstellung von Geschlecht und Geschlechterkategorien analog zu deuten sind, wie es performative Sprachhandlungen sind. Auch sie bilden nicht nur denotative Anweisungen, Vorstellungen und symbolische Konnotationen auf eine beschreibende Weise ab, sondern stellen dasjenige, das sie vermeintlich nur abbilden, gleichsam her. Sie dienen Individuen als Werkzeuge und Mittel der kulturellen Inszenierung und bergen hinsichtlich der Konstruktion von Geschlecht sowohl affirmatives wie auch subversives Potential in sich. Gleichzeitig ist »Geschlecht« nicht die einzige Strukturkategorie und nicht der einzige Modus der Subjektivation. Das relationale Gefüge gesellschaftlicher Interaktion zeigt sich durch eine Pluralität von Kategorien geordnet, die die Handlungsmöglichkeiten, das Selbstverständnis und die

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Die performative Oberflächlichkeit der Dinge

Lebbarkeit der Leben von Individuen rahmen. Menschen erfahren sich innerhalb der Gesellschaft als älter, als weiß, als homosexuell, als körperlich eingeschränkt, als männlich etc. und sie werden auch in diesen Kategorien wahrgenommen. (vgl. Sveinsdóttir, 2018) Jede einzelne dieser Kategorien, die auf der einen Seite als einschließende und identitätsstiftende Normierung wirkt, produziert notwendigerweise auch Ausschlüsse, die die Grenzen der Zugehörigkeit markieren. Versteht man Gesellschaft als sozial bestimmten Zusammenhang, der sich durch diese Kategorien geordnet darstellt, zeigen sich an den Rändern der einzelnen Kategorien eben diejenigen Leben, die weniger Wert oder wertlos sind, wobei Individuen von mehrfachen Ausschlüssen betroffen sein können1 . Diese Intersektionalität zeigt sich auch in der semantischen Haut der Artefakte: Neben Geschlechtsmarkern sind dort auch andere kategoriale Bestimmungen eingeschrieben, die ihrerseits Individuen für bestimmte Praktiken zulassen und andere ausschließen2 . Das Beispiel der restriktiven Architektur am Beispiel von Robert Moses (vgl. Kapitel 6.4, S. 202) konnte schon aufzeigen, wie Stadtplanung, zumindest mittelbar, Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit von bestimmten Gegenden fernhalten kann. Aber auch in kleineren Dimensionen finden Ausschlüsse aufgrund von Homosexualität, Alter, Ethnizität oder Klasse durch Design statt. Mobiltelefone können z.B. durch die kleinteilige Gestaltung der Tatstatur insbesondere ältere Menschen, die von Einschränkungen des visuellen Feldes und/oder von einer verringerten Beweglichkeit der Hände und Finger betroffen sind, von der Nutzung ausschließen. Diese Vielschichtigkeit von Kategorien und Ebenen, die für die Konstitution von Identitäten und Subjekten von Bedeutung ist, gilt es, nicht aus dem Blick zu verlieren.

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Auch Butler weist bereits in Körper von Gewicht auf das Problem der Intersektionalität hin, wenn sie sagt: »Wenn, worauf Norma Alarcón hingewiesen hat, farbige Frauen »mehrfach angerufen« werden, mit vielen Namen gerufen werden und in dem und von dem mehrfachen Anrufen konstituiert werden, dann besagt dies, daß sich der symbolische Bereich, der Bereich sozial instituierter Normen, aus rassisierenden Normen zusammensetzt und daß sie nicht bloß neben den Geschlechtsnormen her existieren, sondern über die jeweils anderen Normen artikuliert werden.« (KvG, S. 251f.) Für diese Arbeit ist es meines Erachtens nicht von zentraler Bedeutung, welche Kategorien im Einzelnen nun im Kontext der Intersektionalität zu berücksichtigen seien. Während z.B. im deutschsprachigen Raum Klinger von drei Kategorien ausgeht, werden von anderen Wissenschaftler*innen vier oder mehr Kategorien als für sozialstrukturelle Untersuchungen bedeutsam angenommen. (vgl. Degele und Winker, 2007)

8 Zusammenfassung und Ausblick

Mit diesen Einsichten verbunden sind dann auch gewisse Implikationen, die sich auf den verschiedenen Ebenen gesellschaftlicher Ordnung manifestieren. Auf der Ebene der Struktur ist Design zunächst einmal ein Ausdruck des Faktums der sozialen Bestimmtheit. Gerade im Hinblick auf die Vergeschlechtlichung von Design-Gegenständen zeigt sich, dass sich die Oberflächen immer schon in das Gefüge der bestehenden Ordnung und Struktur einpassen, indem sie die diskursiv geprägten Regeln aufgreifen, wiederholen und, vermittelt über ihre kommunikativen Funktionen, in die Existenz setzen. Gleichzeitig sind gestaltete Artefakte aber immer auch Elemente in den Praxiszusammenhängen der Mesoebene, wo sie einerseits an Prozessen der Regulierung beteiligt sind, die die bestehende Ordnung der Makroebene aufrechterhalten, andererseits aber auch Widerständigkeit gegen bestehende Normalisierungskomplexe initiieren können. Nicht zuletzt, und das betrifft die Mikroebene der Subjekte, dienen die Artefakte als Medium der Inszenierung von Geschlechtskategorien, damit Individuen überhaupt als intelligible Subjekte der Gesellschaft anerkannt werden können. Die Idee der genderneutralen bzw. »uncodierten« Gestaltung, wie sie von manchen Stellen als adäquate Lösung propagiert wird (vgl. dazu u.a. Weller und Krämer, 2012), übersieht entsprechend die Tatsache, dass wir auf Kategorien und Normen angewiesen sind und dass aufgrund der Omnirelevanz und Omnipräsenz von Geschlecht eine geschlechtsneutrale Gestaltung gar nicht realisierbar ist. Dies ist auch und gerade dann der Fall, wenn berücksichtigt wird, dass die Aneignung und Nutzung von Artefakten in konkreten Interaktionszusammenhängen erst diejenigen Effekte auftreten lassen, aus denen Ein- und Ausschlüsse resultieren3 . Mit Butler ist es aber möglich, den Doppelcharakter von Normen und Normativität zu analysieren und zu berücksichtigen, »dass wir zwar Normen brauchen, um leben zu können, und um gut leben zu können, und um zu wissen, in welche Richtung wir unsere soziale Welt verändern wollen, dass wir

3

Die Vorstellung, eine geschlechtsneutrale Anmutung könne dadurch erreicht werden, wenn maskuline und feminine Codes zu einer Einheit verschmolzen oder in einem »ausgewogenen Verhältnis« (Gender & Design. Leitfragen, 2006) eingesetzt werden, möchte ich an dieser Stelle aus dem gleichen Grund zurückweisen: Denn auch in dieser Auslegung bleiben die Aneignungs- und Nutzungskontexte der Artefakte jeweils unberücksichtigt, die allerdings für die Konstruktion von Geschlecht eine maßgebliche Rolle spielen.

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aber auch von den Normen in Weisen gezwungen werden, die uns manchmal Gewalt antun, so dass wir sie aus Gründen sozialer Gerechtigkeit bekämpfen müssen.« (MdG, S. 327) In der Gestaltung kann es also konsequenterweise nicht darum gehen, ein Undoing Gender im Sinne einer Neutralisierung zu erreichen oder einen Zustand der Geschlechtslosigkeit (De-Gendering) herzustellen. Aber es besteht die Möglichkeit, gerade aufgrund der Allgegenwärtigkeit von Geschlecht, für diese Kategorie in konkreten Gestaltungspraktiken Potentiale so anzulegen, dass die jeweils zugehörigen Grenzen zumindest temporär durchkreuzt, subversiv gebrochen und aktiv verschoben werden können.

8.2

Ausblick

In diesem Zusammenhang erscheint es angebracht, gerade in Verbindung mit Design und der Gestaltung von Alltagsgegenständen noch einmal kritisch zu hinterfragen, welche Rolle in Zukunft Identitätskategorien spielen sollten und können. Wie »geschlechtsspezifisch« muss bzw. darf ein Produkt ausgestaltet sein? Kann es überhaupt »geschlechtsneutrale« Produkte geben und falls nicht, wie kann nachhaltige Gestaltung gedacht werden, die nicht auf Missverständnisse, Klischees und vermeintliche geschlechtsspezifische Vorlieben zurückgreift? Wie lässt sich eine Pluralität kategorialer Zuordnungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Design denken? Und wie verhalten sich die Dinge, wenn man Butlers radikale Subjektkritik zu Ende denkt? Was bedeutet der Abschied von einem vorgängigen, universellen Subjekt für die DesignPraxis, insbesondere dann, wenn dieses vorgängige Subjekt bisher als durch eine vordiskursive anatomische Binarität begründet verstanden worden ist? Design, wenn es auf diese Weise verstanden wird, zeigt eine hochgradig politische Dimension: Einerseits wird über existierende Design-Codes und bestimmte Gestaltungsansätze (z.B. Gendered Design) ein immer schon standardisiertes und strategisches Feld aufgerollt, wo man sich auf bereits bestehende Ordnungen berufen kann (und in gewisser Weise auch muss), andererseits werden aber gleichzeitig Ausschlüsse und Ausgrenzungen geschaffen, die den Raum des »Undenkbaren« oder »Unmöglichen« markieren. Es ist dieses Undenkbare, dass »vollständig in die Kultur hinein[gehört]; vollständig ausgeschlossen ist es hingegen von der herrschenden Kultur.« (UdG, S. 121), so Butler. Paradoxerweise liegt m.E. gerade in diesem Punkt auch eine Chance für das Design: Gestaltung, so die These, ist nämlich in der Lage, auch das Verworfene noch einmal zu inszenieren, wieder hervorzuholen und für eine

8 Zusammenfassung und Ausblick

Subversion der bestehenden Ordnung fruchtbar zu machen. (vgl. Weinbach, 1999, S. 201) Als Element einer möglichen Subkultur kann es dann in der Folge Prozesse des Umdeutens anstoßen, die eine Verschiebung bestehender Grenzen einleiten. Voraussetzung dafür ist allerdings zweierlei: Zunächst braucht es innerhalb der Gesellschaft eine tiefgreifende Sensibilisierung für den konstruktiven Einfluss von Gestaltung auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse. Erst wenn es ein Bewusstsein dafür gibt, dass und auf welche Weise DesignObjekte am Prozess der Subjektivation beteiligt sind, lassen sich die Potentiale zur Subversion, zur Verschiebung und zur Re-Iteration in der sozialen Interaktion überhaupt nutzen. Zum anderen muss sich die Design-Praxis ihrer Grundlagen und Grenzen noch stärker bewusst werden und muss Antworten darauf suchen, wie feministisches Design sinnvollerweise aussehen kann und wie sich die theoretischen Konzepte in eine Designpraxis umsetzen lassen, die an und mit den Grenzen arbeitet. Es muss zukünftig darum gehen, eine visuelle Sprache zu finden, die die bestehende Metaphorik von Innen/ Außen zu überwinden versucht. Es finden sich in dieser Hinsicht zwar bereits vielversprechende Ansätze, so hat z.B. das Missy-Magazine im Mai 2021 einen Relaunch gestartet, der sich explizit mit der Herausforderung auseinandergesetzt hat, Grafikdesign feministisch zu denken. Allerdings beschränken sich solche Versuche bisher auf einzelne Teilbereiche der Gestaltung, die insbesondere Artefakte, die in der sozialen Interaktion eingesetzt werden, unberücksichtigt lassen. Für die Zukunft wünschenswert wäre stattdessen eine Erweiterung des Feldes und eine systematisch-kritische Auseinandersetzung mit der Frage nach »guter« Gestaltung im Sinne eines inklusiven Designs, dass sich nicht in heterosexistisch, eurozentristisch und cis-männlich geprägten Designdiskursen hermetisiert, sondern eine prinzipielle Offenheit und Sensibilität in sich trägt. Ein möglicher Weg dahin wäre eine konsequente Öffnung des DesignVerständnisses, das Designer*innen, User*innen und Artefakte in ihrer Gestaltungsmacht ernst nimmt. So könnte einerseits der Blick dafür geschärft werden, dass sich über das Design die Geschlechterordnung nicht nur in gegenständlichen Dingen darstellt, sondern auch immer wieder aufs Neue ausprägt und herstellt. Andererseits ließen sich auf diese Weise auch eine Pluralität von Ansätzen in den Prozess der Gestaltung integrieren, sodass eine größere Vielfalt von Perspektiven in den Diskurs eintreten kann. Es sind eben nicht die Gestalter*innen alleine, die bestimmen, was wird. Unter dem

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Stichwort des »partizipativen« bzw. »partizipatorischen Designs« sind in dieser Hinsicht schon vielversprechende Schritte unternommen worden, um die strikte Trennung von Design als aktivem Prozess auf der einen Seite und Gebrauch als passiv-rezeptivem Geschehen auf der anderen Seite aufzubrechen. (vgl. u.a. Mareis, Held und Joost, 2013; Bredies, 2014) Vielmehr zeigt sich eine zusätzliche Dimension von Gestaltung, wenn man den Interaktionszusammenhang aus Individuum, Artefakt und Kontext ernst nimmt. Der Gebrauch von Gegenständen im Sinne einer Praxis erweist sich dann als eine Form der Gestaltung, in der Sinn- und Funktionszuschreibungen innerhalb des jeweiligen Handlungskontextes gemeinsam von User*innen und Artefakten getätigt werden. Das bedeutet aber auch, dass die klassische Vorstellung, der Designprozess sei etwas dem Gebrauch zeitlich Vorgelagertes und von ihm abtrennbares, aufgegeben werden muss zugunsten eines erweiterten Gestaltungsbegriffs, der den Anwendungszusammenhang in sich integriert. In der Konsequenz werden die Gestalter*innen ihre vermeintliche »Kontrolle über die Bedeutung des gestalteten Gegenstands weitgehend mit den aktiven, kritischen Nutzern teilen müssen.« (Bredies, 2014, S. 21).

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Yener Bayramoglu, María do Mar Castro Varela

Post/pandemisches Leben Eine neue Theorie der Fragilität 2021, 208 S., kart., 6 SW-Abbildungen 19,50 € (DE), 978-3-8376-5938-2 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5938-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5938-2

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Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung Formen und Interventionsstrategien 2021, 334 S., kart., 3 SW-Abbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5281-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5281-3 ISBN 978-3-7328-5281-9

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Gender & Queer Studies Katrin Huxel, Juliane Karakayali, Ewa Palenga-Möllenbeck, Marianne Schmidbaur, Kyoko Shinozaki, Tina Spies, Linda Supik, Elisabeth Tuider (Hg.)

Postmigrantisch gelesen Transnationalität, Gender, Care 2020, 328 S., kart., 7 SW-Abbildungen 40,00 € (DE), 978-3-8376-4728-0 E-Book: PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4728-4

Ralph J. Poole

Queer Turkey Transnational Poetics of Desire 2022, 262 p., pb., col. ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-5060-0 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5060-4

Eliane Kurz

Intersektionalität in feministischer Praxis Differenzkonzepte und ihre Umsetzung in feministischen Gruppen 2022, 332 S., kart. 39,00 € (DE), 978-3-8376-6218-4 E-Book: PDF: 38,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-6218-8

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