Die Parlamentsfraktionen im deutsch-spanischen Rechtsvergleich [1 ed.] 9783428490912, 9783428090914

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Die Parlamentsfraktionen im deutsch-spanischen Rechtsvergleich [1 ed.]
 9783428490912, 9783428090914

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Beiträge zum Parlamentsrecht

Band 42

Die Parlamentsfraktionen im deutsch–spanischen Rechtsvergleich Von

Michael Winkler

Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL WINKLER

Die Parlamentsfraktionen im deutsch-spanischen Rechtsvergleich

Beiträge zum Parlaments recht Herausgegeben von

Wemer KalteOeiter, Ulrich Karpen, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider UweThaysen

Band 42

Die Parlamentsfraktionen im deutsch-spanischen Rechtsvergleich Von

Michael Winkler

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

WinkIer, Michael:

Die Parlamentsfraktionen im deutsch-spanischen Rechtsvergleich / von Michael Winkler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 42) Zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09091-8

Alle Rechte vorbehalten

© 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-09091-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

benefactoribus meis

Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 1996 als Dissertation vor. Ich danke vor allem meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Rainer Arnold, für die zuverlässige Betreuung und Förderung der Arbeit. Der weitende Blick über das ius germanicum hinaus geht auf seine Initiative zurück. Herrn Professor Dr. Udo Steiner bin ich für die prompte Erstellung des Zweitgutachtens verbunden. Besonders muß ich Professor Dr. Javier Cremades erwähnen, der mir sowohl in Deutschland als auch in Madrid mit viel Rat, Tat und praktischem Geschick zur Seite stand. Ohne ihn wäre das gesamte Projekt nicht glücklich zu Ende gegangen. Manuel Gonzalo und der gesamten Verwaltung des Congreso de los Diputados sei ebenfalls sehr herzlich gedankt sowie Ministerin Loyola de Palacio, der Studienstiftung des deutschen Volkes, der Hanns-Seidel-Stiftung für die finanzielle und ideelle Unterstützung, schließlich allen meinen Wohltätern, denen ich diese Arbeit widme.

München, im Juni 1997

Michael Winkler

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ............. ......................... ........ ................ ......... ........... ...................... ...... 19

B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen bis zu ihrer heutigen rechtlichen Gestalt ............. ................................................................................... 21 I. Die Entwicklung der Fraktionen in Deutschland von den Anfängen des Parlamentarismus bis zur Weimarer Republik................................................ ..... 21 1. Die Gruppenentwicklung im Vormärz .......................................................... 21 2. Die Fraktionsbildungen in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 22 3. Die Entwicklung in Preußen als Beispiel für die beginnende Parteienentwicklung ausgehend von den Fraktionen ................................................. ..... 24 4. Die Fraktionen zur Zeit des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreiches. 26 5. Die geschäftsordnungsrechtliche Anerkennung der Fraktionen in der Weimarer Republik ........................................................................................ 29 II. Die Entwicklung der Fraktionen in Spanien von den Anfängen des Parlamentarismus bis zur 2. Republik ............................ ...................... ............................. 31 1. Die Entwicklung bis zur ersten geschäftsordnungsrechtlichen Erwähnung der Fraktionen ................................................................................................ 31 a) Von der Verfassung von Clidiz bis zum Periodo Estatutario (1812-1834) 31 b) Der Periodo Estatutario (1834-1837) ....................................................... 32 2. Die indirekte Erwähnung von Fraktionen in der Geschäftsordnung von 1838 und in den nachfolgenden Epochen spanischer Verfassungsgeschichte 32 a) Die Geschäftsordnung von 1838 .............................................................. 32 b) Die Isabellinische Epoche ......... .... ... ...... ... ...... .......... ...... ........... ...... ........ 34 c) Der Sexenio Democnitico (1868-74) ........................................................ 34 d) Die Restauration (1874-1931) .................................................................. 35 3. Die geschäftsordnungsrechtliche Anerkennung der Fraktionen in der 11. Republik (1931-36) ................................................................................... 36 4. Cortes Organicas und Grupos Parlamentarios ............................................... 38

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Inhaltsverzeichnis

IH. Historischer Rechtsvergleich .............................................................................. 38

C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen Deutschlands und Spaniens ................................................................................. 41 I. Bildung und Auflösung der Fraktionen .............................................................. 41

1. Die Fraktionsbildung ..................................................................................... 41 a) Freiwilliger Zusammenschluß oder obligatorische Zugehörigkeit von Abgeordneten zu Fraktionen .................................................................... 41 aa) Die Regelung in Deutschland: Freiwilliger Zusammenschluß von Abgeordneten zu Fraktionen ............................................................. 41 (1) Freiwilliger Zusammenschluß zu Fraktionen ............................. 41 (2) Fraktionen als Zusammenschluß von Abgeordneten des Bundestages ................................................................................ 42 bb) Die Regelung in Spanien: Obligatorische Zugehörigkeit von Abgeordneten zu Fraktionen ............................................................. 44 (1) Obligatorische Bildung der Fraktionen ...................... ................ 44

(2) Der Abgeordnetenstatus als Voraussetzung der Fraktionsbildung ........................................................................................ 45 cc) Rechtsvergleich .................. .......................................................... ..... 47 b) Die Fraktionsmindeststärke ...................................................................... 47 aa) Vorbemerkungen .............................................................................. 47 bb) Die Regelung in Deutschland ........................................................... 50 cc) Die Regelung in Spanien .................................................................. 52 dd) Rechtsvergleich ................................................................................. 53 c) Die Bindung der Fraktion an eine Partei: Der requisito ideol6gico ......... 54 aa) Die geschäftsordnungsrechtlichen Regelungsmodelle ..................... 54 (1) Geschäftsordnungen ohne Verknüpfung von Partei und Fraktion ....................................................................................... 54 (2) Abgeschwächte Verknüpfung .................................................... 54 (3) Bindung der Fraktion an eine Partei ........................................... 55 (4) Mischform aus dem ersten und dem dritten Modell ................... 55 bb) Die Regelung in Deutschland: Deckungsgleichheit von Partei und Parlamentsfraktion (Politische Homogenität) ............................ 56

Inhaltsverzeichnis

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cc) Der requisito ideologico in der Geschäftsordnung des spanischen Kongresses ........................................................................................ 57 dd) Rechtsvergleich .......... ................. ...................................................... 61 d) Fonnale Voraussetzungen zur Fraktionsgründung ................................... 62 aa) Die Regelung in Deutschland ........................................................... 62 bb) Die Regelung in Spanien ................................................................... 64 cc) Rechtsvergleich ................................................................................. 67 2. Die Auflösung der Fraktionen ....................................................................... 67 a) Das Ende der Legislaturperiode als ordentlicher Auflösungsgrund ......... 68 aa) Deutschland ....................................................................................... 68 bb) Spanien ..... ... .... ............ .... .... .................. ... ............................. ............. 69 b) Außerordentliche Auflösungsgründe ........... .... ..... .................. .................. 69 aa) Die Selbstauflösung der Fraktion ...................................................... 69 (1) . Deutschland ........ ....................................................................... 69 (2) Spanien ....................................................................................... 70 bb) Das Absinken der Mitgliederzahl einer Fraktion unter die geschäftsordnungsrechtlich festgelegte Mindeststärke ....... .............. 70 (1) Deutschland ............. .... ....... .............. .......................... ... ............. 70 (2) Spanien ....................................................................................... 71 cc) Das Parteienverbot ..... .... ..... .............................................................. 72 (1) Deutschland ............................................. .................................. 72 (2) Spanien ...................................................................................... 73 II. Die Kompetenzen der Fraktionen ........................................................................ 74

1. Die Rechtslage in Deutschland ...................................................................... 74 a) Die Besetzung von Organen des Bundestages durch die Fraktionen ....... 74 aa) Das Präsidium des Bundestages ........................................................ 74 bb) Der Ältestenrat .................................................................................. 76 cc) Die Parlamentsausschüsse ................................................................. 78 (1) Die Besetzung der Ausschüsse ....... ... ..... ....... ...... ............. .......... 78 (2) Die Ausschußvorsitzenden und deren Stellvertreter ................... 81 (3) Die Besetzung der Stellen im Untersuchungsausschuß .............. 82

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Inhaltsverzeichnis (4) Die Vorsitzenden der Untersuchungsausschüsse und deren Stellvertreter .................... ....... .................................................... 82 dd) Der Gemeinsame Ausschuß gern. Art. 53 a GG ............................... 83 b) Parlamentarische Verfahrensrechte ................................................ .......... 83 aa) Parlamentarische Verfahrensrechte in der Plenardebatte ................. 84 bb) Parlamentarische Verfahrensrechte in der Gesetzesberatung ........... 85 cc) Parlamentarische Verfahrensrechte in den Ausschußberatungen ..... 86 dd) Verfahrenskontrollrechte .................................................................. 86 2. Die Rechtslage in Spanien .............................. ............................................... 87 a) Die Besetzung von Organen des Kongresses durch die Grupos Parlamentarios .............. ............................................................................ 87 aa) Das Präsidium des Kongresses (Mesa dei Congreso) ....................... 87 bb) Die Junta de Portavoces .................................................................... 89 cc) Die Parlamentsausschüsse ................................................................ 90 dd) Die Diputaci6n Permanente .............................................................. 91 b) Parlamentarische Verfahrensrechte .......................................................... 92 aa) Parlamentarische Verfahrensrechte in der Plenardebatte oder sonstigen Debatten ............................................................................ 92 bb) Parlamentarische Verfahrensrechte bei der Beratung von Gesetzen und untergesetzlichen Normen ......................................................... 93 cc) Parlamentarische Verfahrensrechte bei Ausschußberatungen .......... 94 dd) Verfahrenskontrollrechte .................................................................. 95 3. Rechtsvergleich ............................................................................................. 96

III. Die innere Struktur der Fraktionen ..................................................................... 97 1. Die Fraktionsstruktur in Deutschland ............................................................ 97

a) Die Geschäfts- und Arbeitsordnungen ..................................................... 97 b) Die Fraktionsversammlung ...................................................................... 98 aa) Personelle Zusammensetzung ........................................................... 98 bb) Aufgaben und Zuständigkeiten ......................................................... 99 (I) Politisch-sachliche Entscheidungskompetenz ............................ 99 (2) Personelle Entscheidungskompetenzen ...................................... 100 c) Der Fraktionsvorstand .............................................................................. 100 aa) Personelle Zusammensetzung ........................................................... 100

Inhaltsverzeichnis

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bb) Aufgaben und Zuständigkeiten ......................................................... 101 d) Der Fraktionsvorsitzende .......................................................................... 102 e) Die Parlamentarischen Geschäftsführer .................................................... 103 f) Die Arbeitskreise und Arbeitsgruppen ..................................................... 104

aa) Bildung und Zusammensetzung ........................................................ 104 bb) Funktion ............................................................................................ 105 g) Sonstige Organe und Gremien .................................................................. 105 aa) Landesgruppen .................................................................................. 105 bb) Organe mit Sonderfunktionen ........................................................... 106 cc) Andere Einrichtungen ....................................................................... 107 h) Die Verwaltungsorganisation ................................................................... 107 2. Die Fraktionsstruktur in Spanien ................................................................... 108 a) Die Reglamentos bzw. Estatutos der Fraktionen ...................................... 108 b) Das Fraktionsplenum ................................................................................ 109 c) Das Comite Permanente bzw. die Comisi6n Permanente ........................ 110 d) Der Fraktionsvorsitzende .......................................................................... 110 e) Der Portavoz ............................................................................................. 112 f) Der Portavoz Adjunto ............................................................................... 112

g) Der Consejo de Direcci6n ......................................................................... 112 h) Der Generalsekretär .................................................................................. 113 i) Der Generalsekretär Adjunto .................................................................... 114 j) Weitere Organe ......................................................................................... 114 3. Rechtsvergleich .............................................................................................. 115 IV. Die Finanzierung der Fraktionen ........................................................................ 116 1. Die Fraktionsfinanzierung in Deutschland .................................................... 116 2. Die Fraktionsfinanzierung in Spanien ........................................................... 120 3. Rechtsvergleich .............................................................................................. 122

v:

Die prozeßrechtliche Stellung der Fraktionen .................................................... 123 1. Die Rechtslage in Deutschland ...................................................................... 123 a) Die prozeßrechtliche Stellung vor dem BVerfG ...................................... 123 aa) Die Parteifähigkeit ............................................................................ 123

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Inhaltsverzeichnis (I) Im Organstreitverfahren (Organprozeß) ..................................... 123

(2) Bei der Wahl- und Mandatsprüfung ........................................... 124 (3) Bei der Abstrakten Normenkontrolle ......................................... 124 (4) Bei der Verfassungs beschwerde .................................................. 125 bb) Die Auswirkungen des Diskontinuitätsgrundsatzes auf die Parteifahigkeit der Fraktionen im Organprozeß ............................... 126 cc) Die Prozeßführungsbefugnis ............................................................. 127 b) Die prozeßrechtliche Stellung der Fraktionen in der nicht-verfassungsrechtlichen Gerichtsbarkeit ............................................... '" ..................... 128 aa) Zivil- und Arbeitsgerichte ................................................................. 128 bb) Verwaltungsgerichte ......................................................................... 128 2. Die Rechtslage in Spanien ............................................................................. 129 a) Die prozeßrechtliche Stellung vor dem spanischen Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) ......................................................................... 129 b) Die prozeßrechtliche Stellung in der nichtverfassungsrechtlichen Gerichtsbarkeit ......................................................................................... 129 aa) Zivil- und Arbeitsgerichte ................................................................. 129 bb) Verwaltungs gerichte ......................................................................... 130 VI. Fraktionslose Abgeordnete, Abgeordnetengruppen und der Grupo Mixto - Spaniens Modell als Vorbild für Deutschland? ............................................... 130 1. Die fraktionslosen Abgeordneten in Deutschland ......................................... 131 a) Die Berücksichtigung der Fraktionslosen bei der Besetzung von Organen des Deutschen Bundestages ....................................................... 131 aa) Mitgliedschaft und Tätigkeit fraktionsloser Abgeordneter in den Ausschüssen ...................................................................................... 131 bb) Fraktionslose Abgeordnete im Gemeinsamen Ausschuß ................. 134 cc) Fraktionslose Abgeordnete in der Enquete-Kommission ................. 135 dd) Fraktionslose Abgeordnete im Ältestenrat ....................................... 136 b) Die Verfahrensrechte der Fraktionslosen im Plenum ............................... 137 aa) Antragsrechte .................................................................................... 137 bb) Fragerechte ........................................................................................ 139 cc) Rederecht .......................................................................................... 140 dd) Sonstige Rechte ................................................................................. 142

Inhaltsverzeichnis

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(1) Individualrechte zur Gestaltung des innerparlamentarischen Verfahrensablaufs ....................................................................... 143 (2) Individualrechte außerhalb der parlamentarischen Verhandlung bzw. der parlamentarischen Tätigkeit ......................................... 143 c) Die finanzielle Ausstattung der fraktionslosen Abgeordneten ................ 144 d) Zusammenfassung ................................................................................... 145 2. Rechte von Abgeordneten des spanischen Kongresses unabhängig von deren Mitgliedschaft in Fraktionen, im Grupo Mixto oder in den Agrupaciones ................................................................................................. 146 a) Parlamentarische Verfahrensrechte in der Gesetzesberatung ................... 146 b) Verfahrenskontrollrechte .......................................................................... 146 c) Die prozeßrechtliche Stellung .................................................................. 147 3. Die Abgeordnetengruppen ............................................................................. 148 a) Unterscheidung und Einteilung der A~geordnetengruppen ..................... 148 aa) Die Institutionalisierten Abgeordnetengruppen .................................. 148 bb) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen ......................... 149 b) Die Institutionalisierten Abgeordnetengruppen gern. § 10 Abs. 4 GO-BT ...................................................................................................... 149 aa) Die Entstehung der Institutionalisierten Abgeordnetengruppen ....... 150 (I) Eine Partei überwindet die wahlrechtliche Sperrklausel des § 6 Abs. 6 BWG, erreicht aber nicht die Fraktionsmindeststärke ............................................................................................ 150 (2) Abgeordnete treten aus einer Fraktion aus, so daß die Mitgliederzahl unter die Fraktionsmindeststärke sinkt .......................... 151 (3) Zusammenschluß mehrerer fraktionsloser Abgeordneter zur sog. technischen Abgeordnetengruppe ....................................... 151 bb) Die Mitgliederzahl der Institutionalisierten Abgeordnetengruppen .. 152 cc) Politische Homogenität ..................................................................... 152 dd) Formale Voraussetzung rur eine Anerkennung als Institutionalisierte Abgeordnetengruppe ........................................... 154 ee) Kompetenzen und Rechte der Institutionalisierten Abgeordnetengruppen ..................................................................................... 154 (l) Das Prinzip der verhältnismäßigen Repräsentation bei der Besetzung der Ausschüsse, des Ältestenrates und des Gemeinsamen Ausschusses ........................................................ 156 (a) Die Besetzung der Ausschüsse ............................................ 156

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Inhaltsverzeichnis (b) Die Besetzung des Ältestenrates .......................................... 158 (2) Parlamentarischer Minderheitenschutz ...................................... 159 (a) Rederecht .............................................................................. 159 (b) Initiativrechte ...................................................................... 160 (c) Große Anfrage ..................................................................... 162 (d) Kleine Anfrage .................................................................... 163 (e) Aktuelle Stunde ................................................................... 164 ff)

Finanzielle Zuschüsse an die Institutionalisierten Abgeordnetengruppen ..................................................................................... 165

gg) Die Partei fähigkeit der Institutionalisierten Abgeordnetengruppen vor dem BVerfG ............................................................................... 167 c) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen ............................... 168 aa) Abgrenzung zur bloßen Abstimmungsminderheit ............................ 168 bb) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen in Deutschland ...................................................................................... 169 (1) Fonnen der Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen .... 169 (a) Intrafraktionelle Nichtinstitutionalisierte Abgeordnetengruppen ........................................................................ 169 (b) Interfraktionelle Nichtinstitutionalisierte Abgeordnetengruppen ........................................................................ 170 (2) Besetzung von Organen .............................................................. 170 (3) Die Rechte der Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen nach dem GG und dem Wahlprüfungsgesetz .............................. 171 (a) Art. 44 Abs. I und Art. 45 a GG .......................................... 171 (b) Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG ......................................................... 172 (c) § 14 WahlprüfungsG ............................................................ 172 (4) Die Rechte der Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen nach der Geschäftsordnung des Bundestages ............................. 172 (a) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen mit Fraktionsmindeststärke im Plenum ...................................... 173 (b) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen mit Fraktionsmindeststärke im Ausschuß ................................... 176 (c) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen unterhalb der Fraktionsmindeststärke .................................. 177

Inhaltsverzeichnis

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(5) Die Parteifahigkeit der Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen vor dem B VerfG ., .................................. 181 (6) Finanzierung ............................................................................... 184 bb) Die Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen in Spanien ..... 185 (I) Vorbemerkung: ........................................................................... 185 (2) Die Besetzung von Organen ....................................................... 185 (3) Kompetenzen .............................................................................. 185 (a) Parlamentarische Verfahrensrechte im Plenum .................... 185 (b) Parlamentarische Verfahrensrechte in der Gesetzesberatung und in der Beratung von untergesetzlichen Normen ............ 186 (c) Verfahrensrechte in den Ausschüssen .................................. 186 (d) Verfahrenskontrollrechte ...................................................... 187 (4) Die Parteifähigkeit der Nichtinstitutionalisierten Abgeordnetengruppen vor dem spanischen Verfassungsgericht .............. 187 4. Der Grupo Mixto und die Agrupaciones innerhalb des Grupo Mixto .......... 188 a) Vorbemerkung .......................................................................................... 188 b) Der Grupo Mixto in der Geschäftsordnung des spanischen Kongresses .. 189 aa) Bildung .............................................................................................. 190 (I) "ex regolamento" ........................................................................ 190 (2) Kein requisito ideol6gico ............................................................ 191 (3) Keine Mindeststärke ................................................................... 191 (4) Keine formalen Voraussetzungen ............................................... 192 bb) Auflösung .......................................................................................... 193 cc) Kompetenzen .................................................................................... 193 dd) Innere Struktur .................................................................................. 195 ee) Subventionen und Finanzierung ........................................................ 196 ff)

Die prozeßrechtliche Stellung des Grupo Mixto vor dem spanischen Verfassungsgericht ......................................................... 196

gg) Der außergewöhnliche Charakter des Grupo Mixto ......................... 196 c) Die Agrupaciones innerhalb des Grupo Mixto ......................................... 197 aa) Bildung .............................................................................................. 197 bb) Auflösung .......................................................................................... 198 cc) Kompetenzen .................................................................................... 199 2 Winkler

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Inhaltsverzeichnis dd) Innere Struktur .................................................................................. 200 ee) Finanzielle Ausstattung ..................................................................... 200 ff) Defizite bei der Regelung der Agrupaciones .................................... 200

5. Der Grupo Mixto - Diskussionsmodell fur Deutschland? ............................ 202

D. Die Rechtsnatur der Parlamentsfraktionen ....................................................... 206 I. Die wichtigsten Theorien und Auffassungen in Deutschland und in Spanien ... 206 1. Die Auffassung des BVerfG .......................................................................... 206 2. Die Auffassungen der Literatur ..................................................................... 207 a) Fraktion als Körperschaft des öffentlichen Rechts ................................... 207 b) Fraktion als Parlaments- oder Verfassungsorgan ..................................... 207 c) Fraktion als ein rechtlicher Teil der Partei ............................................... 209 d) Fraktion als Verein ................................................................................... 210 aa) Fraktion als öffentlich-rechtlicher Verein ......................................... 211 bb) Fraktion als privatrechtlicher Verein ................................................ 212 (1) Fraktion als nichtrechtsfähiger Verein des bürgerlichen Rechts mit parlamentarischer Innenrechtsfähigkeit ................... 212 (2) Fraktion als Verein des Privatrechts zur Erfullung öffentlicher Funktionen .................................................................................. 212 (3) Kritik ........................................................................................... 213 H. Stellungnahme ................................................................................................... 214 E. Gesamtergebnis .................................................................................................... 217

Literaturverzeichnis ................................................................................................... 221 Sachregister .................................................................................................................. 232

A. Einleitung Die vorliegende Arbeit untersucht vergleichend die Rechtsstellung der Parlamentsfraktionen in Deutschland und in Spanien, so wie sie sich heute im Parlamentsrecht bei der Länder darstellen. Ausgangspunkt der Untersuchung sind die historischen Vorläufer der Fraktionen. Anschließend werden im punktuellen Rechtsvergleich Bildung, Auflösung, Kompetenzen, die innere Struktur, Finanzierung und prozeßrechtliche Stellung der Fraktionen abgehandelt. Trotz Verschiedenheiten bei der Systeme lassen sich - wenn auch manchmal mit Schwierigkeiten - gemeinsame Oberbegriffe für den Rechtsvergleich finden. Ein wesentlicher Unterschied kommt dann zum Vorschein, wenn der spanische Grupo Mixto behandelt wird. Dieses Institut zwingt dazu, über die deutschen Fraktionen hinaus die fraktionslosen Abgeordneten und die Abgeordnetengruppen zu behandeln. Dennoch wird das Thema "Parlamentsfraktionen" dadurch nicht gesprengt, da diese weitergehenden Untersuchungen ausschließlich an der Fraktion des spanischen Grupo Mixto anknüpfen. Darüber hinaus lassen sich die fraktionslosen Abgeordneten und die Abgeordnetengruppen auch im deutschen Recht nur im Vergleich zu den Fraktionen definieren und beschreiben. Besonders anhand des Grupo Mixto können einige Vorschläge für die notwendige und anstehende Reform des Rechts der Institutionalisierten Abgeordnetengruppen und bedingt auch für die fraktionslosen Abgeordneten erarbeitet werden. Abschließend soll die Frage nach der Rechtsnatur der Parlamentsfraktionen insoweit untersucht werden, als deren Beantwortung für die P~rlamentspraxis von Bedeutung ist. Die Arbeit beschränkt sich dabei auf die Parlamentsfraktionen im Deutschen Bundestag und im spanischen Congreso de los Diputados. Nur zum besseren Verständnis wurden z. T. auch die Regelungen über Fraktionen von Landes- bzw. Regionalparlamenten oder auch von Parlamenten anderer Länder sowie des Europäischen Parlaments herangezogen.

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A. Einleitung

Im deutschrechtlichen Teil ist bereits das sog. Fraktionsgesetz berücksichtigt, das einige nötige Klarstellungen, insbesondere im Bereich der Finanzierung der Bundestagsfraktionen, erreicht hat. Ziel der Arbeit soll es sein, zur besseren Kenntnis von Rechtsordnungen in Europa beizutragen, aber auch das eigene Rechtssystem im Lichte eines anderen besser verstehen zu können. Desweiteren sollte die ein oder andere Interpretationshilfe für deutsches Recht gefunden werden. Schließlich bietet der Rechtsvergleich willkommene Anstöße für anstehende Neuregelungen nationalen Rechts.

B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen bis zu ihrer heutigen rechtlichen Gestalt I. Die Entwicklung der Fraktionen in Deutschland von den Anfängen des Parlamentarismus bis zur Weimarer Republik 1. Die Gruppenentwicklung im Vormärz Die Anfange des deutschen Fraktionswesens reichen bis weit zurück in die Frühzeit des deutschen Parlamentarismus. Bereits in den Zweiten Kammern des Vormärz, den sog. Abgeordnetenhäusern, gab es verschiedentlich Ansätze zur Gruppenbildung unter den Abgeordneten. Allerdings kann man darin nur die Vorläufer der späteren Fraktionen sehen. Dies hatte seine Gründe in den allgemeinen politischen Verhältnissen und in der rechtlichen Stellung der Volksvertretungen der nachabsolutistischen Ära, die von Gegensätzen zwischen Volksvertretung und monarchischer, vom Willen des Parlamentes unabhängiger Regierung' geprägt war. Letztere versuchten mit allen Mitteln, eine freie Entwicklung des Parlamentarismus zu behindern 2 • Die Volksvertretungen selbst hatten nur wenige Kompetenzen und Befugnisse, welche sich meistens in der bloßen Mitwirkung bei der Gesetzgebung, im Budgetrecht und in einem allgemeinen Petitionsrecht erschöpften3 • Ein weiteres Kennzeichen der frühkonstitutionellen Parlamente war die Art und Weise ihrer Zusammensetzung. Da direkte Wahlen nicht stattfanden und neben Bildungs- und Besitzbürgertum auch der Adel, der Klerus und das Beamtenturn stark vertreten waren, darüber hinaus die Wahlrechtsgleichheit wegen des Kramer, H., Fraktionsbindungen in den deutschen Volksvertretungen 1819-1849, Berlin 1968, S. 41. 2 Kramer, S. 263. 3 Kramer, S. 16; Huber, E., R., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789-1849,2. Aufl.; Stuttgart 1967, S. 343 ff.

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

Zensuswahlrechts nicht gewährleistet war, wiesen die Volksvertretungen zumindest in Ansätzen weiterhin die Strukturen des überkommenen Ständesystems auf'. Die von der Krone und ihrer Regierung durchaus beabsichtigte Folge war, daß die Ausbildung organisierter politischer Strömungen im Wahlvolk und damit auch im Parlament gehemmt wurde 5 . Die den Abgeordnetenhäusern verwehrte Autonomie äußerte sich am augenscheinlichsten in der Tatsache, daß der Parlamentspräsident von der Regierung ernannt wurde 6 . Weiter verhinderten die monarchischen Regierungen das Entstehen von politischen Strömungen und Gliederungen des Parlaments dadurch, daß es eine feste Sitzordnung gab, die eine bessere Verständigung von gleichgesinnten Abgeordneten verhindern sollte, sowie durch starre Redeordnungen, die sich schematisch an der Reihenfolge von Rede und Gegenrede orientierten, sowie schließlich durch die eingeschränkte Öffentlichkeit der Kammerverhandlungen 7. Die beschriebene Erschwerung der politischen und parlamentarischen Entfaltung, einhergehend mit dem Ausschluß von der Regierungsverantwortung, brachte einerseits zwar eine deutliche Frontstellung zwischen den Abgeordneten des Parlamentes und der Monarchie8 und ihrer Regierung, was unter den oppositionellen Kräften die politisch gleichgesinnten Kräfte näherrücken ließ, andererseits waren diese Gesinnungsgemeinschaften kaum in der Lage, sich dauerhaft zu organisieren. Die Zusammenarbeit der sich politisch nahestehenden Kammermitglieder war in dieser Epoche nur sehr locker und sporadisch. Feste Fraktion sollten erst in Laufe der weiteren Entwicklung des deutschen Parlamentarismus auftreten

2. Die Fraktionsbildungen in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 Das Wahlrecht für die Paulskirchenversammlung beruhte im Gegensatz zu dem bis dahin gebräuchlichen Wahlrecht auf den Grundsätzen der Allgemeinheit 4 Huber, Bd. I, S. 341; vgl. auch Bergsträsser, L., Die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland, in: Parlamentarismus, hrsg. v. Kluxen, K., 5. Aufl., KönigsteinJ Ts.l980, S. 139. 5 Kramer, S. 17; Huber, Bd. 1, S. 305, 344 ff. 6 Kramer, S. 18. 7 Achterberg, Die parlamentarische Verhandlung, Berlin 1979, S. 21 f.; Huber, Bd. 1, S.344. 8 Kramer, S. 263.

I. Die Entwicklung von den Anfangen bis zur Weimarer Republik

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und der Gleichheit9 . Wegen des an der Persönlichkeitswahl orientierten Wahlsystems sowie wegen des Fehlens durchorganisierter politischer Parteien waren die Abgeordneten fast ausnahmslos aufgrund ihres persönlichen Ansehens oder aufgrund von Empfehlungen einflußreicher Honoratioren in das Parlament gewählt worden 1o . Tatsächlich aber hat es nur während der kurzen Zeit der Paulskirchenversammlung ein dem liberalen Dogma entsprechendes Honoratiorenparlament gegeben, das lediglich in seiner Anfangsphase aus wirklich freien und unabhängigen Abgeordneten bestand. Schon bald nach dem Zusammentritt der Versammlung am 18. Mai 1848 herrschte ein Chaos von Interessen und Anschauungen 11. Eine Unmenge von einzelnen Anträgen, Petitionen und Reden zu den zahlreichen Verhandlungspunkten machte sehr schnell deutlich, daß sinnvolle Parlamentsarbeit ohne Bildung von einheitlich auftretenden Gruppen unmöglich war. Die Gruppen mußten imstande sein, eine Auswahl der Redner zu treffen und sich auf gemeinsame Anträge zu einigen. Schon früh wurde aus dieser praktischen Notwendigkeit heraus zu "Partey"- bzw. Fraktionsbildung aufgerufen l2 . Die wichtigen politischen Fragen während der Revolutionszeit von 1848 wie großdeutsche oder kleindeutsche Lösung, Republik oder Monarchie, wirkten schließlich als Katalysatoren für die notwendige Bildung von Fraktionen. Je nach Beantwortung dieser Fragen entstanden Gruppen, die sich um die herausragenden Vertreter der jeweiligen Meinung scharten 13 . In der Folgezeit entstand eine Reihe sog. politischer Klubs, zunächst nur als lockere politische Vereinigungen von gleichgesinnten Mitgliedern der Nationalversammlung. In diesem Entwicklungsstadium parlamentsinterner "Partey"-Bildung tauchte zum ersten Mal der Begriff "Fraktion" auf, wobei die bei den Be9 Hauenschild, W. D., Wesen und Rechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, Berlin 1968, S. 21; Huber, Bd. 2, S. 607. 10 Huber, Bd. 2, S. 608 f; Kramer, S. 74 f. 11 Hauenschild, S. 23; Valentin, Geschichte der deutschen Revolution, Bd. 2, Berlin 1931. S. 13. 12 Valentin, Die erste Deutsche Nationalversammlung, S. 27. 13 Appens, w., Die Nationalversammlung zu Frankfurt a.M. 1848/49, I. Aufl., Jena 1920, S. 35 ff.; Bergsträsser, Die Geschichte der politischen Parteien, mit einer Bibliographie von H.-G. Schumann, hrsg. v. W. Mommsen, 11. Aufl., MünchenlWien 1965 (Deutsches Handbuch der Politik, Bd. 2), S. 80.; ders., Die Parteien von 1848, in: Preußische Jahrbücher 177 (1919), 188.; Kremer, K., Der Abgeordnete zwischen Entscheidungsfreiheit und Parteidisziplin, 2. Aufl., München 1956, S. 15; Naumann, F., Die politischen Parteien, Berlin 1910, S. 6 f.; Rinck, H. w., Die Fraktionen in der Verfassungsgerichtsbarkeit, jur. Diss., Heidelberg 1957, S. 3; Tormin, w., Das Parlament in der Paulkirche, in: Schwarz, M., MdR, Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965, S. 15.

v.,

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

griffe anfangs noch synonym verwendet wurden, da es außerparlamentarische Gruppierungen, d.h. Parteien im modernen Verständnis noch nicht gab l4 . Die Fraktionen nannten sich anfangs meistens nach den Tagungslokalen, so beispielsweise Deutscher Hof, Württemberger Hof, Casino, Cafe Milani etc lS • Wenngleich die Fluktuation zwischen den Clubs noch recht groß war, zeigte sich doch bald nach ihrer Konstituierung, daß sie die eigentlich bestimmenden Kräfte in der Paulskirchenversammlung waren l6 . Die Abgeordneten stimmten in der überwiegenden Zahl der Fälle so ab, wie es vorher in den Fraktionssitzungen beschlossen worden war. Nur in den seltensten Fällen gelang es einem Redner im Plenum derart zu überzeugen, daß ein Abgeordneter gegen Abmachungen in der Fraktion stimmte. Gleichwohl waren 150 von 585 Abgeordneten der Paulskirchenversammlung nicht bereit, den sogar im Plenum erfolgten Aufrufen zur Fraktionsbildung nachzukommen 17. Auch hörten die personellen Wechsel und Übertritte unter den Fraktionen, sowie Abspaltungen und Neugründungen bis zum Ende der Nationalversammlung nie völlig auf, was aber dennoch nicht das damals erreichte Maß an fraktioneller Bindung relativieren soll.

3. Die Entwicklung in Preußen als Beispiel für die beginnende Parteienentwicklung ausgehend von den Fraktionen

Nach dem Scheitern der Revolution waren die politischen Bewegungen und "Parteyen" entweder zerschlagen worden oder sie hatten sich selbst aufgelöst. Die Wahl zur Preußischen Zweiten Kammer erfolgte nach dem Dreiklassenwahlrecht l8 . Aus Protest gegen dessen Einflihrung beteiligten sich die Radikaldemokraten flir rund zehn Jahre nicht an den Wahlen, so daß die Rechtsliberalen die Linke bildeten und die Konservativen die Mehrheit in der Kammer stellten l9 . Die bekanntesten Fraktionen waren die Katholische Fraktion, die im Jahre 1852 aus 64 Abgeordneten bestand und sich ab 1859 "Fraktion des Zentrums" entspre14 Paulskirche, 1848, Steno Ber., Bd.l, 18. Sitzung S. 122,21. Sitzung S. 468; V. Mohl, R., Vorschläge zu einer Geschäftsordnung des verfassungsmäßigen Reichstages, Heidelberg 1848, S. 34 ff. 15 Bergsträsser, Geschichte, S. 81 ; Duverger, M., Die politischen Parteien, hrsg. U. übersetzt V. S. Landshut, Tübingen 1959, S. 3; Huber, Bd. 2, S. 61. 16 Kramer, S. 80. 17 Kürschner, J., Die Statusrechte des fraktionslosen Abgeordneten, Berlin 1984, S. 25f.; Huber, Bd. 2, S. 614. 18 Huber, Bd. 3, S. 85 ff. 19 Tormin, Geschichte der Deutschen Parteien seit 1848, S. 47.

I. Die Entwicklung von den Anfangen bis zur Weimarer Republik

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chend ihrer Sitzordnung im Parlament nannte, sowie die Fraktionen "Vincke" und" Waldeck"2o. Wie schon ansatzweise in der Paulskirchenversamrnlung versuchten die Fraktionen Einfluß auf die außerparlamentarische Öffentlichkeit zu nehmen. Der Rückhalt in der Bevölkerung war für die Fraktionen deswegen so wichtig, da sie nicht über dieselben militärischen und staatsorganisatorischen Mittel verfügten wie die Regierung. Man veröffentlichte Rechenschaftsberichte der im Parlament geleisteten Arbeit, hielt öffentliche Reden und gab eigene Zeitungen heraus 21 . In den Jahren nach 1849 formierte sich langsam die außerparlamentarische Anhängerschaft der Fraktionen, mit deren Hilfe man wieder über die Wahlen stärkeren Einfluß im Parlament gewinnen wollte. Es kam schließlich zu zahlreichen Gründungen politischer Vereine in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, so beispielsweise des Deutschen Nationalvereins 1859, des Preußischen Volksvereins 1862 oder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863 22. Dadurch wurde zwar der Rückhalt der Fraktionen in der Bevölkerung immer größer, andererseits verlagerte sich auch das Schwergewicht der Arbeit der Abgeordneten aus dem Parlament heraus in die Parteiorganisation23 . Zunehmend mehr bestimmte jetzt die Partei und nicht mehr die Fraktion den politischen Kurs, die politsche Einflußnahme erfolgte nunmehr von der Bevölkerung (Partei) in das Parlament (Fraktion) hinein, also in anderer Richtung als in der Frühphase des Parlamentarismus24 . Die Fraktionen waren somit Schöpferinnen der Parteien, mit deren Erstarken sie jedoch immer mehr zu bloßen Werkzeugen, zu "Ausschüssen der Parteien" wurden, mit denen diese ihren Einfluß im Parlament geltend machten25 . Diese Entwicklung zeigte sich auch darin, daß die Fraktionen zu Beginn der sechziger Jahre sich nicht mehr nach ihren Führern oder Versammlungsorten nannten, sondern die Fraktionsbezeichnungen sich jetzt an den Namen der entsprechenden Parteien orientierten26 . Mit dem Aufkommen der Parteiorganisationen wurde 20

Hauenschild, S. 25.

21 Bergsträsser, Geschichte, S. 81 f.; ders., Die Parteien von 1848, S. 199 ff. 22 Nipperdey, Th., Die Organisation der deutschen Parteien vor 1848, Düsseldorf

1961, S. 12, 16,18. 23 Hauenschild, S. 27. 24 Duverger, S. 196; Naumann, S. 21; Lebenstein, W., Die Rechtsstellung der Parteien und Fraktionen nach deutschem Reichsstaatsrecht, jur. Diss., Frankfurt 1925, S. 11; Rinck, Fraktionen, S. 12. 25 Lebenstein, S. 21. 26 Plate, A., Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus, 22. Legislaturperiode, Berlin 1914, S. 192 f.

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

auch zwischen Partei und Fraktion unterschieden, beide Begriffe wurden nicht mehr synonym gebraucht27 • Die Fraktionen im Parlament waren jedoch nicht immer mit den Parteien deckungsgleich. Verschiedene Fraktionsspaltungen fiihrten vielmehr dazu, daß sich manchmal mehrere Fraktionen zu einer Partei zugehörig fiihlten und häufig zwischen den Fraktionen Streit darüber bestand, wer "in Wahrheit" die Partei vertrete28 .

4. Die Fraktionen zur Zeit des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreiches Im Reichstag des Norddeutschen Bundes und später im Reichstag des Zweiten Reiches kam es zu Fraktionsbildungen aus denselben Motiven und nach dem gleichen Muster wie in der Frankfurter Nationalversammlung und im Preußischen Parlament. Im Reichstag waren die Fraktionen bereits ausschließlich Vertretungen der politischen Parteien29 im Parlament. Nicht mehr nur herausragende Persönlichkeiten und die gleiche Beantwortung politischer Sachfragen waren ausschlaggebend für Fraktionsbildungen, sondern in zunehmendem Maße die gleiche Parteizugehörigkeit der Abgeordneten. Hinsichtlich ihrer Organisation und Arbeitsweise unterschieden sich die damaligen Fraktionen nicht sonderlich voneinander. Sie konstituierten sich unter einem gemeinsamen Fraktionsvorstand, der meistens aus den Partei führern gebildet wurden. Es gab neben den ordentlichen auch außerordentliche Fraktionsmitglieder, die sog. Hospitanten. Der finanzielle Bedarf wurde durch Beiträge der Fraktionsmitglieder aufgebracht. In den Fraktionssitzungen berieten sich die Abgeordneten und fiihrten Beschlüsse darüber herbei, wie man sich bei Wahlen im Plenum und bei Anträgen verhalten wollte. Es wurden die Fraktionsredner bestimmt, sowie die Mitglieder, die die Fraktion im Präsidium, in den Ausschüssen und sonstigen parlamentarischen Gremien vertreten sollten. Einen förmlichen Fraktionszwang, d. h. die statutenmäßig festgelegte Bindung des Abgeordneten an den Fraktionsbeschluß mit Sanktionsandrohung gab es nur selten3o, wenngleich die Ausschlußdrohung bei grobem Verstoß gegen fraktionsinterne AbmaBergsträsser, Die Parteien von 1848, S. 189. Nipperdey, S. 36; Tormin, Geschichte der Deutschen Parteien seit 1848, S. 89; Grotewold, c., Die Parteien des deutschen Reichstages, Leipzig 1908, S. 22. 29 Rinck, Fraktionen, S. 5. 30 Z. B. bei der Fraktion der Polen im Reichstag; sh. dazu Freyer, C., Der Deutsche Reichstag, 4. Aufl., Berlin 1892, S. 87; Grotewold, C., Die Parteien des deutschen Reichs27

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I. Die Entwicklung von den Anfangen bis zur Weimarer Republik

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chungen zweifelsohne das wirksamste Mittel war, um der "Fraktionsraison" Geltung zu verschaffen 31 . Für die faktische Bedeutung der Fraktionen beispielhaft ist das Absterben der Abteilungen und die Übernahme ihrer Funktionen durch die Fraktionen im Preußischen Abgeordnetenhaus und die entsprechende Entwicklung im Reichstag 32 • Nach belgischem und französischem Vorbild gliederte sich das Parlament in sieben Abteilungen 33 , die durch Verlosung aller Mitglieder zu Beginn jeder Session gebildet wurden und ursprünglich drei Aufgaben hatten: Vorberatung aller Vorlagen, Wahlprüfung und Wahl der Kommission, d.h. Ausschußmitglieder34 . Die Vorberatungen in den Abteilungen wurden jedoch schon 1849 aufgegeben 35 , weil sie zeitraubend waren, und weil wegen der Größe und Zusammensetzung der Abteilungen die Beratung durch die Abgeordneten nicht gründlich genug war36 • Die Vorlagen wurden nunmehr entsprechend der Geschäftsordnung nur noch in den den heutigen Ausschüssen entsprechenden Kommissionen beraten37 . Die Wahl prüfung war zumindest formell die Domäne der Abteilungen, bis diese im Jahre 1919 völlig beseitigt wurden 38 . Schon seit 1877 waren nur noch unbestrittene und unzweifelhafte Wahlen den Abteilungen zur Vorprüfung überlassen worden. Alle übrigen Wahlen wurden durch eine besondere Wahl prüfungskommission überprüft 39 , in der die Fraktionen das Geschehen dominierten. Auch die Wahl der Kommissionsmitglieder durch die Abteilungen war schon sehr früh zur Farce geworden. Seit Anfang der sechziger Jahre hatte sich nämlich tages, Leipzig 1908, S. 329; Stoltenberg, G., Der Deutsche Reichstag 1871-73, Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 7, Düsseldorf 1955, S. 36 f 31 Hauenschild, S. 29. 32 Vgl. dazu v.Mohl, Die Geschäftsordnungen der Ständeversammlungen, in: Staatsrecht - Völkerrecht und Politik, Tübingen 1860, S. 293 ff; Stier-Somlo, F., Parlament und Parlamentsrecht, in: Handwörterbuch der Rechtswissenschaft v. Stier-Somlo, Elster, Bd. 4, Berlin und Leipzig 1924, S. 370. 33 GO PrAH, §§ 2 ff. 34 GO PrAH, §§ 3 ff; § 15 Abs. 3 ff; § 19. 35 Plate, S. 11. 36 Vgl. hierzu v.Mohl, Geschäftsordnungen, S. 294 f; Cohen, G., Die Verfassung und Geschäftsordnung des englischen Parlaments mit Hinweis auf die Geschäftsordnungen der deutschen Kammern, 1861, S. 97. 37 Plate, Geschäftsordnungen, S. 11. 38 Vgl. Verf.geb. Pr.LVers., 1919 DS Nr. 5, S. 81 ff, unter I. B.; desgl. Steno Ber., 1. Sitzung, S. 11. 39 Plate, Geschäftsordnungen; S. 28 f

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

im Preußischen Abgeordnetenhaus der Brauch gebildet, daß die Fraktionen sich untereinander vor der Kommissionswahl einigten, wer - formell von den Abteilungen - in die einzelnen Kommissionen gewählt werden sollte 4o • Aus all dem läßt sich ersehen, daß die Abteilungen schon sehr früh zur Bedeutungslosigkeit herabsanken und an ihre Stelle weitgehend die Fraktionen traten. Dennoch existierten formell die Abteilungen noch bis 191441 • Die tatsächliche Macht der Fraktionen soll zum anderen verdeutlicht werden am Seniorenkonvent. Dieses Organ entstand in Preußen in der Mitte der sechziger Jahre als ständige, in der Geschäftsordnung jedoch nicht vorgesehene Versammlung von Vertrauensmännern aller Fraktionen42 , in der man sich zunächst vor allem über die Verteilung der Kommissionssitze auf die Fraktionen einigte, später aber auch mit anderen, allgemein interessierenden Fragen befaßte, so zum Beispiel mit dem Arbeitsplan, der Rede- und Geschäftsordnung oder der Verteilung der übrigen Ämter des Hauses43 • Daß die Abteilungsmitglieder sich in der überwiegenden Zahl der Fälle nach den Beschlüssen des Seniorenkonvents richteten, obwohl sie wegen des in der Preußischen Verfassung statuierten freien Mandats leicht hätten anders stimmen können, zeugt von dem großen Einfluß, den die Fraktionen im Parlament ausübten44 • Im Reichstag ging die Entwicklung in gleicher Weise wie im Preußischen Abgeordnetenhaus, was nicht zuletzt seinen Grund darin hatte, daß auch der Reichstag sein Verfahren nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses regelte45 • Parallel zu den Beratungen im Abgeordnetenhaus wurde 1912 zum ersten Mal im Plenum des Reichstages beraten, Pr AH 6/1, DS Nr. 72, S. 438; Pr AH 7/1, Steno Ber., 6. Sitzung, S. 65, 68. Gerlach, H., Das Parlament, in: Die Gesellschaft, Bd. 17, Frankfurt a. M. 1907, S. 46 ff.; Tormin, Das Parlament in der Paulskirche, S. 123; RT 13. WP/1914, Steno Ber., 1. Sitzung V. 4.8.1914, S. 4 A. 42 Decharnps, B., Macht und Arbeit der Ausschüsse, in: Parteien - Fraktionen Regierung, Bd. 4, Meisenheim a.d.Glan 1954, S. 132; Hatschek, Parlamentsrecht, S. 175; Plate, GO, S. 229. 43 Hatschek, J., Das Parlamentsrecht des Deutschen Reichs, BerliniLeipzig 1915 (Nachdruck: BerlinlNew York 1973), S. 185 ff; Lebenstein, S. 12; Plate, Geschäftsordnungen, S. 2, 230; Werberger, E. M., Die staatsrechtliche Stellung der Bundestagsfraktionen,jur. Diss., Würzburg 1959, S. 19. 44 Molt, P., Der Reichstag vor der improvisierten Revolution, Politische Forschung, H. 4,1963, S. 317. 45 Der konstituierende Reichstag des Norddeutschen Bundes übernahm in seiner Sitzung am 25.2.67 (Sten. Ber., S. 5) die GO des Pr AH provisorisch, in der 7. Sitzung vom 7.2.67 (Sten. Ber., S. 66) definitiv; dieselbe übernahm auch der RT des Norddeutschen Bundes in der Session 1867 in seiner ersten Sitzung vom 10.9.67 (Sten. Ber., S. 3); in der Session 1868 kam es in der 21. Sitzung am 12.6.68 (Sten. Ber., S. 368; DS Nr. 117, S. 433 fl) zu einer Neufassung, die aber an den hier interessierenden Bestimmungen der GO PrAH 40 41

V.

I. Die Entwicklung von den Anfangen bis zur Weimarer Republik

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ob man Fraktion und Seniorenkonvent in die Geschäftsordnung aufnehmen sollte. Eine Neuregelung wurde jedoch abgelehnt, so daß Fraktion und Seniorenkonvent weiterhin im "parlamentarischen Untergrund"46 blieben. Lediglich indirekt anerkannte der Reichstag die Fraktionen und den Seniorenkonvent47 durch seinen Beschluß v. 8.5.l912, wonach nur eine Vereinigung von 15 Mitgliedern als Fraktion für die Einberufung zum Seniorenkonvent in Betracht kam. Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß Fraktionen bzw. parlamentarische Gruppen in den deutschen Parlamenten von Anfang an existiert haben. Sie faßten die Abgeordneten bis auf wenige Ausnahmen zusammen, berieten und informierten sie, schalteten die weltanschaulichen Extreme aus und traten in der Regel geschlossen mit einheitlichen Meinungen im Parlament auf. Geschäftsordnungsfragen und die Besetzung der Parlamentsämter regelten sie untereinander durch Vereinbarung im Seniorenkonvent unter Ausschluß der fraktionslosen Abgeordneten. Seit jeher waren die Fraktionen die entscheidenden Faktoren in den Parlamenten. Zu keiner Zeit hat es in Deutschland das Parlament der unabhängigen, "autarken" Einzelabgeordneten mit den jeweils wechselnden Mehrheiten gegeben, sofern man von den Anfangen des deutschen Parlamentarismus, d.h. den ersten Sitzungen der Nationalversammlungen von Frankfurt und Berlin absieht48 . Geschäftsordnungsrechtlich blieben die Fraktionen jedoch über ein Jahrhundert von Beginn des deutschen Parlamentarismus an inexistent. Dies sollte sich erst in der Weimarer Republik ändern.

5. Die geschäftsordnungsrechtliche Anerkennung der Fraktionen in der Weimarer Republik Am 12.12.l922 beschloß der Reichstag, in Ausübung der durch Art. 26 S. 2 Weimarer Reichsverfassung (WRV) geregelten Geschäftsordnungsautonomie, eine neue Geschäftsordnung, die zum ersten Male Bestimmungen über die Stellung der Fraktionen enthielt49 . Während die Reichsverfassung selbst weiterhin nur den Abgeordneten als Einzelperson kannte, machte die am 1. Januar 1923 in PrAH nichts veränderte. Diese GO galt dann fiir den Reichstag des Deutschen Reiches von der Annahme am 21.5.71 (Sten. Ber., S. 5) bis zu der Auflösung des RT im Jahre 1918. 46 So Laband, P., Parlamentarische RechtsfrAbgeordnetengruppen, in: DJZ 1903, S. 9, der von geheimen Zusammenkünften der Fraktionsfiihrer spricht. 47 RTf 13. WPf Steno Ber. 56. Sitzung V. 8.5.1912, S. 1750 C. 48 Vgl. Tormin, Das Parlament in der Paulskirche, S. 15, 124. 49 Bekanntmachung vom 17.2.23 (RGBI S. 101).

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

Kraft getretene Geschäftsordnung des Deutschen Reichstages (GO-RT 1922) deutlich, daß der einzelne Abgeordnete wie auch das Parlament insgesamt der Fraktionen bedurfte, um handlungsfähig zu sein50 . § 7 GO-RT 1922 beschrieb die Fraktionen als "Vereinigungen von mindestens 15 Mitgliedern". Auf diese Mindeststärke hatte man sich im Spannungsfeld von oppositionellem Minderheitenschutz und zu verhindernder Zersplitterung nach längerer Diskussion geeinigt. Mehrere kleine Gruppierungen unter Fraktionsstärke konnten sich zu einer Fraktion zusammenschließen, um so in den Genuß der den Fraktionen vorbehaltenen Befugnisse zu kommen. Gruppen, die gemeinsam die Fraktionsstärke nicht erreichten, konnten sich hingegen nur zu Gemeinschaften zusammenschließen, ohne jedoch dadurch an den Fraktionsrechten partizipieren zu können 51 • Proportional zur Stärke der Fraktionen (§ 8 GO-RT 1922), bei der auch Gäste, sog. Hospitanten, mitzählten (§ 7 Abs. 2 GO-RT 1922), wurden den Fraktionen Anteile an den Stellen des Ältestenrates (§§ 10-12 GO-RT 1922) sowie der Ausschußvorsitzenden und deren Stellvertreter (§ 29 Abs. 1 Satz I GO-RT 1922) zugewiesen. Die Redeordnung, d.h. die Reihenfolge der Redner im Plenum, sah ebenfalls eine Berücksichtigung der Fraktionsstärke vor (§ 82 GO-RT 1922). Die zentrale Funktion der Fraktionen hatte nun endlich, nach langer Verzögerung seine geschäftsordnungsrechtliche Grundlage erhalten. Ungeschriebener Parlamentsbrauch war zu geschriebenem Geschäftsordnungsrecht geworden52 .

50 Radbruch, G., Die politischen Parteien im System des deutschen Verfassungsrechts, in: Handbuch des deutschen Staatsrechts (HdbdtStR), Bd. 1, hrsg. v. G. Anschützl R. Thoma, Tübingen 1930, S. 185,291 f. 51 Huber, Bd. 6: Die Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart 1981, S. 358. 52 Schönberger, K., Die Rechtsstellung der Parlamentsfraktionen, jur. Diss., Tübingen 1989, S. 24.

11. Die Entwicklung der Fraktionen in Spanien

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11. Die Entwicklung der Fraktionen in Spanien von den Anfängen des Parlamentarismus bis zur 2. Republik 1. Die Entwicklung bis zu ersten geschäftsordnungsrechtlichen Erwähnung der Fraktionen a) Von der Veifassung von Cadiz bis zum Periodo Estatutario (1812-1834)

Von 1812 bis 1837 gab es ähnlich wie in Deutschland in keinem Verfassungstext weder einen direkten, noch einen indirekten Bezug auf Parteien oder Fraktionen bzw. parlamentarische Gruppen. In den damaligen Cortes, dem spanischen Parlament, existierten allerdings bereits Gruppen, die zwar schwach intern organisiert waren, aber vor anstehenden politischen Entscheidungen inhaltlich Stellung bezogen. Schon in der Zeit der Verfassung von Oidiz nach dem Jahre 1812, als man über die Pressefreiheit und andere bürgerliche Freiheiten diskutierte, gab es zwei Gruppen im Parlament, die sogenannten liberales und serviles. Die serviles verstanden sich als in der katholischen Tradition Spaniens stehende Abgeordnete, die sich heftig gegen die aus Frankreich einströmenden Werte der Aufklärung zur Wehr setzten, die liberales hingegen waren liberal gesinnte Intellektuelle, die nach wirtschaftlich, politischer und gesellschaftlicher Emanzipation strebten53 • In den Cortes des trienio constitucional (1820-1823) gab es drei Gruppen, die sich realistas, moderados und exaltados nannten, wobei die beiden letztgenannten Gruppen die gemäßigte bzw. die progressive Richtung innerhalb des spanischen Liberalismus repräsentierten54 , die realistas eher konservativ eingefärbt waren. Ebensowenig wie in Deutschland waren die Fraktionen so organisiert, als daß sie kontinuierlich auf die parlamentarische Arbeit Einfluß hätten nehmen können. Dennoch muß man in den parlamentarischen Gruppierungen der ersten Cortes die Urzellen der Fraktionen und der sich aus ihnen entwickelnden Parteien sehen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden sind.

53 Nohlen, D., Länderbeitrag Spanien, in: Die Wahl der Parlamente, hrsg. v. D. Stemberger und B. Vogel, Bd. I, Berlin 1969, S. 1229 ff. 54 Nohlen, S. 1233.

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

b) Der Periodo Estatutario (1834-1837) Während des Periodo Estatutario von 1834 bis 1837 verlor das Parlament vollends seine bisherige, wenn auch nur recht schwach ausgeprägte Autonomie gegenüber dem König. So wurden Präsident und Vizepräsident des Parlamentes vom König ernannt. Ebenso konnte der König das Parlament jederzeit zusammenrufen und auch wieder auflösen. Darüber hinaus durfte das Parlament nur solche Gegenstände behandeln, deren Beratung ausdrücklich von einem königlichen Dekret erlaubt wurde 55 . Der schwache Einfluß der Cortes zeigte sich schließlich darin, daß die Krone die Regierung sogar gegen die Mehrheit des Parlamentes ernennen konnte 56 . Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Bildung von parlamentarischen Gruppen bzw. Fraktionen während dieser Jahre war die Ausübung des Petitionsrechts durch die Procuradores 57. Das Petitionsrecht zeichnete sich zum ersten Male in der spanischen Verfassungs geschichte durch einen pluralistischen Charakter aus. Dieses Recht mußten mindestens zwölfProcuradores gemeinsam gegenüber dem König ausüben. Es war also ein Quorum für die Ausübung dieses Rechtes notwendig, was als Bremse für dessen unbegrenzte Ausübung gedacht war. Um dieses Quorum zu erreichen, bildeten sich im Laufe der Zeit zwei große parlamentarische Gruppen, aus denen die beiden großen politischen Kräfte des 19. Jahrhunderts in Spanien hervorgegangen waren, die progresistas und die moderados 58 •

2. Die indirekte Erwähnung von Fraktionen in der Geschäftsordnung von 1838 und in den nachfolgenden Epochen spanischer Verfassungsgeschichte

a) Die Geschäftsordnung von 1838 Die Geschäftsordnung von 1838 regelte in Artikel 57 folgendes: "Die Stimmen der einzelnen Ausschußmitglieder, die von der Mehrheit abweichen, werden seArt. 31 des königlichen Statuts, nach dem der Periodo Estatutario benannt war. Nohlen, S. 1234. 57 Saiz Amaiz, Los Grupos Pariamentarios, Madrid 1989, S. 26 ff. 58 In diesem Sinne auch Sanchez Agesta, L., Historia dei constitucionalismo espafiol (1808-1836), 4. Aufl., Madrid 1984, S. 207; TuflOn de Lara, M., La Espafia dei siglo XIX,12. Aufl., Barcelona 1982, Bd. 1, S. 128 f; Tomas Villarroya, 1., EI sistema politico dei Estatuto Real (1834-1836), Madrid 1968, S. 328. 55

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11. Die Entwicklung der Fraktionen in Spanien

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parat gezählt und repräsentieren ebenfalls den Kongreß; ebenso verhält es sich bei den Stimmen der verschiedenen Fracciones, in die sich eine Kommission aufteilt, wenn keine Meinung eine Mehrheit erhält"59. Damit war die Möglichkeit von nicht nur individualisierten, sondern auch von kollektiven Gegenpositionen innerhalb der Cortes zugelassen. Mit Fracciones waren jedoch nicht organisierte, politische Parteien oder Fraktionen im Sinne von Grupos Parlamentarios gemeint, sondern Blöcke, Gruppen oder Fraktionierungen, die sich nur gelegentlich an Sachfragen bildeten, wenngleich an der Häufigkeit dieser Phänomene kein Zweifel sein darFo. Die Geschäftsordnung von 1838 legalisierte damit keinesfalls organisierte Fraktionen, dennoch erlaubte Art. 57 schon existierenden Gruppen im Kongreß zu agieren. Indirekt waren Fraktionen bzw. deren Vorläufer also schon 1838 in der Geschäftsordnung anerkannt worden. Alle zukünftigen Geschäftsordnungen der Cortes nahmen diesen Artikel wieder auF'. Eine andere Neuerung des Reglements von 1838 hinsichtlich der Fraktionen enthielt Artikel 46, wonach die Abgeordneten bei ihrer Rede sich zwar an einzelne Parlamentarier, nicht aber an Fracciones wenden konnten. Diese bei den Beispiele sollen zeigen, daß zum ersten Mal auf der Ebene der parlamentarischen Geschäftsordnung durch Abgeordnete repräsentierte Ideen, Meinungen oder Ansichten anerkannt wurden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer admission dei hecho colectiv062 • Fracciones waren, wenn auch bis zu den Grupos Parlamentarios noch ein weiter Weg war, eindeutig als ideelle und meinungsorientierte Gruppen zu verstehen 63 . Von diesem Zeitpunkt an bis zur zweiten Republik beeinflußte diese Vorstellung von Fracciones als ciertas realidades colectivas das Parlamentsrecht in Spanien. In der Praxis bildeten sich einige Fraktionen, die jedoch organisatorisch noch lange nicht so gefestigt waren wie die späteren Grupos Parlamentarios. 59 Vgl. Torres dei Moral, A., Los Grupos Parlamentarios, RDP Nr. 9, 1981, S. 28, wo der genaue Wortlaut der Norm abgedruckt ist: "Los votos de individos de la Cornision que disientan de la mayoria se extendnin por separado y se presentanin tambien al Congreso, corno asimismo los votos de las diversas fracciones en que se divide la Corni si on cuando no tenga mayoria ningun dictamen." 60 Torres dei Moral, Grupos Parlamentarios, S. 28. 61 Torres del Moral, Grupos Parlamentarios, S. 28: Geschäftsordnung von 1847: Artikel 79; Geschäftsordnung von 1854: Art. 73; Geschäftsordnung von 1867: Art. 74; Geschäftsordnung von 1873: Art. 57. 62 Saiz Amaiz; Grupos Parlamentarios, S. 35. 63 Vgl Torres del Moral, Grupos Parlamentarios, S. 35, der von einem sector des Parlamentes und einem Zusammenschluß von Abgeordneten mit derselben Überzeugung spricht.

3 Winkler

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

b) Die Isabellinische Epoche Während der Isabellinischen Epoche gab es drei Reglements der Cortes: die Geschäftsordnungen von 1847, 1854 und 1863. Die ersten beiden waren sehr identisch in ihrer Struktur. Zum ersten Mal in der Geschichte des spanischen Parlamentsrechts wurde der voto Iimitado bei der Wahl der vier Vizepräsidenten eingeführt, d.h. jeder Abgeordnete hatte vier Stimmen, wodurch es auch Minderheiten, also einem hecho collectivo, möglich wurde, im Präsidium vertreten zu sein64 • Die bisherigen, die Fraktionen betreffenden Rechte blieben dieselben wie in der Geschäftsordnung von 1838, hinsichtlich gewisser Legislativ- und Kontroll funktionen wurden einige kollektive Initiativrechte zusätzlich geschaffen. Mit jeder neuen Geschäftsordnung dieser Zeit wurde die Konzeption der Parlamentsarbeit immer weniger individualistisch und berücksichtigte immer mehr die Existenz von Abgeordnetenkollektiven im Parlament.

c) Der Sexenio Democnitico (1868-74) Im folgenden Sexenio Democratico (1868-74) gab es nur noch die Geschäftsordnung aus dem Jahre 1873, die im Gefolge der Verfassung von 1869 entstanden war. Diese Verfassung galt als die bis dahin demokratischste Verfassung Spaniens. In Art. 32 der Verfassung anerkannte man die Souveränität der Nation, in deren Namen die Cortes handelten. Dem Parlament wurde von der Verfassung volle Autonomie hinsichtlich der Ausarbeitung von Geschäftsordnungen zugestanden. Einzige Neuerung der Geschäftsordnung von 1873 war, daß die Abteilungen als Vermittlungsorgane zwischen den Ausschüssen und dem Plenum abgeschaffi wurden. Im Gang der Gesetzgebung waren also nur noch bei den letztgenannten Organe beteiligt. Für die Ausschüsse galt jetzt auch der voto ponderado, der die Stellung der Minderheiten stärkte (Art. 47). In Spanien wurden die Abteilungen also schon erheblich früher abgeschafft als in Deutschland. Die Fraktionen selbst wurden nur zweimal in dieser Geschäftsordnung erwähnt: in Artikel 57, der sich aufverschiedene Anschauungen innerhalb der Ausschüsse bezog, und in Artikel 99, der verhinderte, daß ein Abgeordneter sich in seiner Rede an Fracciones richtete 65 .

64 J. Torres Muro, J., Los organos de gobierno de las Cameras Legislativas, Madrid 1987,S. 169. 65 Saiz Arnaiz, Grupos Parlamentarios, S. 47.

II. Die Entwicklung der Fraktionen in Spanien

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Obwohl zu dieser Zeit das Recht auf Vereinigung anerkannt wurde 66 und obwohl man in den höchsten Instanzen des Staates der Ansicht war, daß für eine gute Regierung ein "Parteien-" bzw. Fraktionssystem notwendig sei67 , ignorierten die Cortes formal völlig die Existenz von "Parteien", d.h. Fracciones in ihrer Mitte. Damals wurde versäumt, die Ausübung des Rechts auf Vereinigung auch in der Volksvertretung zu garantieren. Man hätte nur die Entwicklung des außerparlamentarischen Vereinigungsrechts für eine Weiterentwicklung des Parlamentsrechts nützen brauchen. So hatte jedoch Spanien die Chance verpaßt, zum Pionier der formellen Anerkennung der Fraktionen in Europa zu werden 68 . Hinsichtlich des Verhältnisses von Parteien und Fraktionen gab es im wesentlichen dieselbe Entwicklung wie in Deutschland. Zwar existierten zunächst nur Fraktionen im Sinne von Fracciones aus denselben Gründen wie in Deutschland gründeten diese außerhalb der Parlamente Parteien, welche im Laufe der Zeit immer mehr Einfluß auf die Fraktionen gewannen. Die Fraktionen unterwarfen zunehmend ihre Arbeit der Billigung durch die entsprechenden Parteigremien. Einzelne Abgeordnete mußten sogar nach der Nominierung durch die Partei und ihrer Wahl vor den Parteigremien erscheinen, um Rechenschaft über ihre bisherige Arbeit im Parlament abzulegen 69 .

d) Die Restauration (1874-1931) Während der Zeit der Restauration in Spanien verloren die Cortes einige ihrer Autonomierechte, so beispielsweise das Einberufungs- oder Auflösungsrecht hinsichtlich der beiden Kammem70 • Von besonderem Interesse ist die Reform der Geschäftsordnung, die am 24. Mai 1918 in Kraft trat. Im wesentlichen gab es drei Neuerungen 71: • die Schaffung von ständigen Ausschüssen, • die Beschränkung der parlamentarischen Initiativen und

66 67

1958.

Dekret vom 20. November 1868 und Art. 17 der Verfassung von 1869. Sevilla Andres, D., Los partidos politicos espaftoles hasta 1868, in: RGD, Nr. 166 f,

Saiz Arnaiz, Grupos Parlamentarios, S. 49. Artola Gallego, M., Partidos y programas politicos 1808-1936, Bd. I, 2. Aufl., Madrid 1974, S. 199 f, 287 ff. 70 V gl. Art. 34 der Verfassung v. 1876. 71 Tomas Villarroya, La reforma de1 Reglamento dei Congreso de Dipitados de 1918, RICS Nr. 21, 1973, S. 11-59. 68

69

3'

36

B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

die Einrichtung von einigen Mechanismen, die destruktives Verhalten verhindern sollten. Um Minderheiten berücksichtigen zu können, wurden jetzt die Mitglieder der ständigen Ausschüsse von den formal wiedereingeflihrten Abteilungen mittels voto limitado gewählt 72 • Dennoch blieb die Regelung der Fraktionen in der Geschäftsordnung unzureichend und erreichte nicht das Niveau anderer europäischer Länder, wie zum Beispiel Italiens73 oder Frankreichs74 •

3. Die geschäftsordnungsrechtliche Anerkennung der Fraktionen in der 11. Republik (1931-36)

Die endgültige und volle juristische Anerkennung der Fraktionen erfolgte schließlich in der II. Republik. Die Verfassung von 1931 erwähnte, wenn auch nur beiläufig, die Fraktionen zum ersten Mal in der spanischen Verfassungsgeschichte. Art. 62 der Verfassung regelte die Zusammensetzung der Deputacion Permanente der Cortes, die entsprechend dem numerischen Stärkeverhältnis der im Parlament vertretenen Fracciones politicas erfolgen sollte. Die Fraktionen waren also nicht wie bisher nur geschäftsordnungsrechtlich, sondern auch durch eine Verfassungsnorm in ihrer Existenz anerkannt. Die provisorische Geschäftsordnung vom Juli 1931 (RP) regelte den Status der Fraktionen sehr ausführlich 75 . Titel III des Reglements war überschrieben mit "De las fracciones 0 grupos parlamentarios" . Grundsätzlich forderte Art. 11 Abs. 1 der Geschäftsordnung die ideelle Übereinstimmung von Parteien und Fraktionen, wobei aber Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen waren. Grundsätzlich hatte jeder Abgeordnete eine Erklärung abzugeben, woraus sich ersehen ließ, welcher Fraktion oder politischen Richtung er angehören wollte. Die Unentschlossenen oder Unabhängigen, also diejenigen, die sich keiner Partei oder Fraktion angeschlossen hatten, wurden vom Präsidium als eigene Gruppe angesehen (Art. 11 Abs. 3). Art. 12 Abs. 1 regelte die proportionale Besetzung der Sciiz Amciiz, Grupos Parlamentarios, S. 51. Savignano, A., I gruppi parlamentari, Neapel 1965, S. 19; ManzelIa, A., IJ Parlamento, Bologna 1977, S. 33. 74 Davin, 1. P., Les groupes parlemantaires, in: Pouvoirs, Nr. 34, 1985, S. 23; Barthelemy, 1., Essai sur le travail parlementaire Cet le systeme des commissions), Paris 1934, S. 89. 75 Sliiz Amciiz, Grupos Parlamentarios, S. 60 tT. 72

73

H. Die Entwicklung der Fraktionen in Spanien

37

Ausschüsse, insbesondere auch der ständigen Ausschüsse, wobei für die Gründung einer Fraktion die Mindeststärke von 10 Abgeordneten vorgeschrieben war. Artikel 12 Abs. 2 forderte schließlich für alle Fraktionen zwingend eine innere Organisation. Die endgültige Geschäftsordnung (RC) vom November 1934 brachte einige Veränderungen und erweiterte Handlungsmöglichkeiten für die Fraktionen. Es gestand den Fraktionen vollkommene Autonomie bei der internen Organisation zu. Lediglich die Fraktionsführung mußte beim Präsidium bekannt sein (Art. 12 Abs. 2 RC). Sobald ein Abgeordneter die Fraktion verließ, verlor er auch seinen Sitz im Ausschuß, in den er von seiner Partei entsandt worden war (Art. 12 Abs. 4RC). Wichtigste Neuerung war, daß grupos de trabajo gebildet werden konnten, die wirtschaftliche, kulturelle oder sonstige Fragen untersuchten und von den Kommissionen dann gehört werden konnten, wenn sie entsprechende Probleme diskutierten. Die Geschäftsordnung von 1934 institutionalisierte also unter obiger Bezeichnung auch eine Art "pressure group", selbst wenn diese nicht als solche angesehen wurde und sie auch keine dahingehenden Rechte hatte 76 • Darüber hinaus gab es noch weitere Neuerungen. Die Sprache wurde insofern erheblich verbessert, als mehr technische Begriffe verwendet wurden. Das RC von 1934 spricht ausschließlich von grupo und fraccion, während das RP von 1931 noch partido, agrupacion und sector synonym verwendete. Hingegen fiel beispielsweise das Erfordernis weg, eine persönliche Erklärung abzugeben, um in eine Fraktion zu gelangen, was die provisorische Geschäftsordnung von 1931 noch forderte. Ebenso fehlte jeglicher Hinweis auf die Mindeststärke einer Fraktion. Die Geschäftsordnung schwieg sich weiterhin über die Konferenz der Fraktionsführer aus, die seit den Cortes Constituyentes existierte. Der Parlamentspräsident rief in regelmäßigen Abständen die Führer der minorias zusammenruft, um mit ihnen die Parlamentsarbeit zu planen, insbesondere um über die Einberufung von Ausschüssen zu entscheiden oder die Tagesordnung festzulegen. Damit war man anderen europäischen Vorbildern, insbesondere dem deutschen Seniorenkonvent oder der französischen Conference des Presidents gefolgt, selbst wenn man sich in letzter Konsequenz nicht zu einer geschäftsordnungsrechtlichen Normierung durchringen konnte 77 •

76

77

Torres del Moral, Grupos Parlamentarios, S. 29. Saiz Amaiz, Grupos Parlamentarios, S. 69.

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B. Die historische Entwicklung der Parlamentsfraktionen

Mit der Anerkennung der Fraktionen in der Verfassung von 1931 und in den Reglements der Cortes war endgültig die Fraktion als wichtigste Institution im parlamentarischen Leben anerkannt worden: als 6rganos electorales für die Ausschüsse und die Diputaci6n Permanente und als 6rganos de discusi6n in den Plenumsdebatten78.

4. Cortes Organicas und Grupos Parlamentarios Während des spanischen Bürgerkriegs und in der Franco-Zeit gab es die Cortes organicas , in denen die regionale Herkunft eine Rolle spielte. Man sprach von grupos sindicales, locales, oder deI Movimiento. Diese hatte jedoch weder die Rechte, noch die Funktionen, die das bisherige Parlamentsrecht den Fraktionen zugestanden hatte 79 . Mit dem Ende der Franquismus begann eine neue politische Epoche, die mit der Ley para la Reforma Politica im Jahre 1977 eingeläutet wurde. Am Ende des verfassungsgebenden Prozesses stand eine ausführliche Regelung der Fraktionen 80 , die in den folgenden Kapiteln behandelt werden soll.

III. Historischer Rechtsvergleich Die historische Entwicklung der Fraktionen seit Beginn des 19. Jahrhunderts weist in beiden Ländern Parallelen, aber auch Unterschiedlichkeiten auf. In Deutschland verlief die Entwicklung im allgemeinen kontinuierlicher als in Spanien, das beginnend mit der Verfassung von Cadiz bis heute eine ganze Reihe von Verfassungen 81 erlebte, die fast alle keinen langen Bestand hatten. Dies lag daran, daß die spanischen Verfassungen allesamt keine Verfassungen des Ausgleichs waren, sondern Ausdruck der gerade dominierenden geistesgeschichtlichen Strömung. Das ganze 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges war geprägt vom Kampf der "bei den Spanien", auf der einen Seite das an der Kultur des 78 Herrero, v., Sobre el nuevo Reglamento de las Cortes, in: RDPub, Nr. 40 f, 1935, S. 113. ebenso Contreras, M., Apuntes sobre el grupo pariamentario socialista en las Cortes de la H. Repliblica, in: Estudios sobre la historia de Espafta, Madrid 1981, S. 202. 79 Torres dei Moral, Grupos ParJamentarios, S. 30. 80 Torres dei Moral, ebenda. 81 Dies waren allein im 19. Jahrhundert sechs Verfassungen, nämlich die von 1812, 1834, 1837, 1845, 1869 und 1876.

III. Historischer Rechtsvergleich

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Goldenen Zeitalters (1492-1598) orientierte Spanien, auf der anderen Seite die im Laufe des 18. Jahrhunderts aus Frankreich eingeströmten Ideen der Aufklärung, die in der Folgezeit einen Großteil des spanischen Bürgertums und Adels erfaßt hatten. Anders als in protestantisch geprägten Ländern, die leichter diese Zeitströmungen assimilierten, wurde in Spanien die Auseinandersetzung zwischen traditionellem und neuem Denken erbittert geführt 82 . Sanchez Agesta beschreibt diesen Antagonismus als einerseits Evolution und Transformation überkommener Prinzipien und Einrichtungen, andererseits revolutionären Bruch mit allem Hergebrachten, das durch "exotische Prinzipien" ersetzt werden sollte83 . Im spanischen Bürgerkrieg entlud sich schließlich dieser Konflikt der zwei Spanien auf äußerst blutige Weise. Deutschland hingegen litt nicht an dieser "brudermörderischen Selbstkritik"84. In Spanien fanden die Fraktionen schon relativ früh eine indirekte Erwähnung in der Geschäftsordnung, nämlich im Jahre 1838. In Deutschland hingegen weigerte man sich lange die in der Parlamentspraxis seit Anbeginn existierenden parlamentarischen Gruppen oder Fraktionen als Arbeitseinheiten auch nur indirekt anzuerkennen. Dies läßt sich begründen mit der in Deutschland sehr stark ausgeprägten altliberalen Vorstellung vom Honoratiorenparlament mit je nach Sachfrage wechselnden Mehrheiten. Fraktionen galten demnach als "Beweis unfertiger staatlicher Erziehung"85 bzw. als negative Erscheinungen, die dem liberalen Dogma des freien Mandates widersprachen86 • Das Parlament sollte vielmehr der Ort sein, an dem die durch Wahl ermittelten besten Vertreter des Volkes zusammenkommen, um in freier Rede und Gegenrede "unter vernünftigen Männern" die richtige Lösung zu finden 87 . Obwohl diese Auffassung schon im Jahre 1848 angesichts der politischen Realitäten überholt war88 , blieb den Fraktionen in Deutschland noch über Jahrzehnte hinweg die Anerkennung versagt. In Spanien hingegen hegte man keine solchen "liberalen" Vorbehalte gegenüber den Fraktionen, nicht umsonst hatte man sie schon im Jahre 1838 zumindest indirekt anerkannt. Daß die endgültige Anerkennung und Regelung der Fraktionen in Spanien bis zur zweiten Republik auf sich warten ließ, lag nicht daran, daß Nohlen, S. 1229. Sanchez Agesta, Historia dei constitucionalismo espailol, S. 45 f. 84 Vgl. An6s Perez E., Itinerario hist6rico de 1a Espaila contemporanea 1808-1936, Barcelona 1940, S. 160. 85 So Robert v. Mohl, zitiert nach Boldt, W, Die Anfänge des Parteiwesens. Fraktionen, politische Vereine und Parteien in der Revolution von 1848, Paderborn 1971, S. 25. 86 Sh. die Widergabe der zeitgenössischen Fraktionskritik bei Kramer, S. 226 ff, 230. 87 Tormin, Geschichte der Deutschen Parteien seit 1848, S. 27, 47. 88 Tormin, ebenda, S. 27. 82

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B. Die historische Entwicklung der Parlaments fraktionen

die Zeit dafür nicht schon früher reif gewesen wäre, so z. B. im Sexenio Democnitico, wo die Vereinigungsfreiheit schon als Grundrecht in der Verfassung geregelt war. Vielmehr lag es an den ständigen Kämpfen der bei den widerstrebenden politischen Hauptrichtungen, die eine kontinuierliche Entwicklung des Parlamentsrechtes verhinderten. So wechselten in der demokratischen Phase von 1871 bis 1873 bei den vier damals stattfindenden Wahlen ständig die Mehrheiten in den Cortes vom einen zum anderen Extrem89 . Daß Spanien in der 11. Republik dann bei der Anerkennung der Fraktionen doch noch weiter ging als Deutschland, zeigt die Erwähnung der Fraktionen in der Verfassung von 1931, während die Weimarer Reichsverfassung sich jeglicher Regelung enthielt, angesichts der nur negativen Erwähnung der Parteien wohl ein beredtes Schweigen hinsichtlich der Fraktionen. Erst das Grundgesetz anerkannte schließlich die Fraktionen als Arbeitseinheiten des Parlamentes. Hinsichtlich des Verhältnisses von Fraktionen und Parteien läßt sich ähnliches feststellen. Zunächst gab es innerhalb des Parlamentes Arbeitseinheiten in Form von parlamentarischen Gruppierungen, Fracciones oder sogar Fraktionen, die zur besseren Durchsetzung ihrer parlamentarischen Ziele außerparlamentarische Organisationen gründeten. Diese Organisationen entwickelten sich schnell zu festgeformten Parteien, die ihrerseits Einfluß auf die Parlamentsfraktionen nahmen. Es stellte sich sowohl in Deutschland90 als auch in Spanien eine Umkehrung der Richtung der Beeinflussung ein, nämlich von den Parteien zu den Fraktionen.

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90

S.85.

Nohlen, S. 1243. Bergsträsser, Parteien - Fraktionen - Regierung, in: Zeitschrift für Politik 1955,

C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen Deutschlands und Spaniens I. Bildung und Auflösung der Fraktionen 1. Die Fraktionsbildung Über die Bildung der Fraktionen ist sowohl in den Verfassungen als auch in den Geschäftsordnungen nicht viel geregelt. Im einzelnen soll die Bildung der Fraktionen nach folgenden Kriterien untersucht werden: • freiwilliger oder obligatorischer Zusammenschluß von Abgeordneten, • die Bindung von Fraktionen an Parteien bzw. politische Organisationen, • die Fraktionsmindeststärke und • die formalen Voraussetzungen der Fraktionsbildung.

a) Freiwilliger Zusammenschluß oder obligatorische Zugehörigkeit von Abgeordneten zu Fraktionen aa) Die Regelung in Deutschland: Freiwilliger Zusammenschluß von Abgeordneten zu Fraktionen (1) Freiwilliger Zusammenschluß zu Fraktionen

In Deutschland ist der Entschluß, eine Fraktion zu bilden, ein freiwilliger Akt der Handelnden, d. h. der Abgeordneten. Dies ist seit 1.1.95 erstmalig positiv geregelt in § 45 Abs. I AbgG, in dem es heißt, daß Mitglieder des Bundestages sich zu Fraktionen zusammenschließen können I. Daran ändert auch die Tatsache Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (sog. Fraktionsgesetz) vom 11.3.1994 (BGB! I, 526).

42

C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

nichts, daß normalerweise in der Parlamentspraxis sich fast alle Abgeordneten einer Partei nach ihrer Wahl ins Parlament zu einer gemeinsamen Fraktion zusammenschließen. Die Freiwilligkeit der Fraktionsbildung beruht auch auf dem aus Art. 38 Abs. 1, S. 2 GG herrührenden Recht der Abgeordneten, Gruppen zu bilden bzw. sich an ihrer Bildung zu beteiligen2 • Auch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, Fraktionen seien "notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens"3, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Das BVerfG wollte damit vielmehr nur die faktische Notwendigkeit der Fraktionen im Parlamentsbetrieb klarstellen. Eine Fraktionsbildungspflicht hingegen könnte nur durch einen Rechtssatz sanktioniert werden, den es in Deutschland nicht gibt. Die im Verfassungsleben existentielle Notwendigkeit von Fraktionen ist also rein faktisch, jedoch mangels Rechtssatz nicht rechtlich zwingend. Es gilt in Deutschland das Prinzip der Gründungsfreiheit von Fraktionen.

(2) Fraktionen als Zusammenschluß von Abgeordneten des Bundestages Die Fraktionsmitgliedschaft ist darüber hinaus an den Abgeordnetenstatus gebunden. Nichtparlamentsmitglieder können keine Fraktion bilden4 . Die Vollmitgliedschaft im Bundestag erwirbt ein von seiner Partei aufgestellter und bei den Wahlen gewählter Kandidat dadurch, daß er gern. § 45 BWG die Annahme seiner Wahl erklärt. Weiterer formaler Voraussetzungen, um Mitglied des Bundestages zu werden, bedarf es nicht. Eine Doppelmitgliedschaft in zwei Fraktionen ist nicht möglich. Im Bundestag ist dies nicht ausdrücklich geregelt, jedoch gewohnheitsrechtlich anerkannt 5. Der Verlust der Mitgliedschaft im Bundestag tritt nach Maßgabe des § 46 BWG ein, d.h. bei Ungültigkeit des Erwerbs der Mitgliedschaft (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 BWG), bei Neufeststellung des Wahlergebnisses (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 BWG), bei

2 Abmeier, K., Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach dem Grundgesetz, Berlin 1984, S. 192. 3 St. Rspr., zuletzt BVerfGE 70, 324 (350); ebenso BayVerfGH, BayVBI. 1976,431, 434. 4 Vgl. Linck, J., Zur Mitgliedschaft von Personen ohne Abgeordnetenmandat in Parlamentsfraktionen, ZParili (1980), S. 511,514. 5 Ausdrücklich ist letzteres in den Geschäftsordnungen der Landtage von Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, sowie in der der Bremischen Bürgerschaft geregelt; vgl. hierzu § 6 Abs. I S. 3 GO-BayLT; § 2 Abs. 2 GO-NdsLT; § 21 Abs. 3 GOSIHLT; § 7 Abs. 1 S. 2 GO-Brem Bgsch.

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

43

Wegfall einer Voraussetzung der jederzeitigen Wählbarkeit eines Abgeordneten (§ 46 Abs. I Nr. 3 BWG) und bei Verzicht. (§ 46 Abs. I Nr. 4 BWG). Besonders hervorzuheben ist § 46 Abs. I Nr. 5, Abs. 4 BWG, wonach der Abgeordnete bei Verbot seiner Partei sein Mandat verliert. Diese Regelung durchbricht den Grundsatz, daß Abgeordnete einen von den Parteien und Fraktionen unabhängigen Status i. S. v. Art 38 Abs. I S. 2 GG genießen. Auch die Gäste der Bundestagsfraktionen sind Mitglieder des Parlamentes6 • Anders verhält es sich lediglich mit den Hospitanten, die normalerweise nicht den Abgeordnetenstatus besitzen7 . Gern. § 10 Abs. 3 GO-BT ist die Aufnahme von Gästen in das ausschließliche Ermessen der Fraktionen gestellt. Gäste sind grundsätzlich fraktions- oder parteilose Abgeordnete. Bei der Feststellung der Fraktionsstärke zählen sie nicht mit und verändern somit auch nicht die Reihenfolge der Fraktion i. S. v. § 11 GO-BT. Eine von § 13 GO-BT abweichende Regelung trifft hingegen § 10 Abs. 3 GO-BT; d.h. obwohl die Gäste zwar nicht die Fraktionsstärke beeinflussen, müssen sie bei der Bemessung der Stellenanteile im Ältestenrat und in den Ausschüssen berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung der Gäste in den Ausschüssen kommt aus der parlamentarischen Erkenntnis, daß Gäste ohne einen entsprechenden Status im wesentlichen aktionsunfähig und somit kaum in der Lage sein würden, außerhalb des Plenums ihr Amt voll auszufüllen. Die Nichtberücksichtigung der sog. Wilden 8 würde schließlich zu untragbaren Ergebnissen führen. So könnte z. B. bei der Bemessung der Stellenanteile nicht mehr von der Zahl der Mitglieder des Bundestages ausgegangen werden, sondern man müßte nach Abzug der Gäste die in den Fraktionen organisierten Mitglieder des Bundestages mit 100% ansetzen und dann die Zuteilung vornehmen9 . Zahl und Namen der Gäste sind dem Bundestagspräsidenten schriftlich mitzuteilen (§ 10 Abs. 2 GO-BT).

6 Ritzel, H. G.lBücker, l, Handbuch für die parlamentarische Praxis mit Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Frankfurt 1970, § 10 Anm. III. 7 Vgl. § 1 Abs. Ilit. b)bb) GO-FDP. 8 Vgl. Ritzel, H.G.lKoch, H., Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, Kommentar, Frankfurt 1952, § 10 Anm. 6. 9 RitzellBücker, § 10 Anm. III c.

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

bb) Die Regelung in Spanien: Obligatorische Zugehörigkeit von Abgeordneten zu Fraktionen (1) Obligatorische Bildung der Fraktionen Im Gegensatz zum deutschen System ist die Bildung von Fraktionen nicht freiwillig, sondern obligatorisch für alle Abgeordneten des Kongresses. Dahinter stehen Überlegungen, daß das Parlament nur mit Fraktionen gut funktionieren kann und deswegen für individuelles Handeln von Abgeordneten kein Platz mehr ist. Vielfach wurden und werden sog. Wilde, also fraktionsunabhängige Abgeordnete als "aparlamentarisch"lo angesehen, zumindest war man der Meinung, daß "freie" Abgeordnete nicht mehr der legislativen Dynamik des Parlamentes gerecht werden könne 11• Mit diesem Konzept, das besonders in den Verfassungsdiskussionen der Jahre 1977/78 eine bedeutende Rolle spielte, wollte man in der nachfranquistischen Ära die Profilierung von Einzelpersönlichkeiten verhindern, die dem Entstehen und der Entwicklung des Parteiensystems hinderlich sein konnten 12. Insofern muß sich jeder Abgeordneter in Spanien einer Fraktion anschließen. Dieses Prinzip konkretisiert sich in der Existenz eines Grupo Mixto, dem automatisch alle Parlamentarier zugeordnet werden, die individuell unabhängig von einer bestimmten Fraktion bleiben wollen bzw. einer politischen Kraft angehören, die nicht die geschäftsordnungsrechtlich vorgeschriebene Mindeststärke zur Gründung einer Fraktion erreicht hat (Art. 25 Abs. 1 ReD). Die obligatoriedad l3 der Zugehörigkeit zu einer Fraktion ist in zwei weiteren Vorschriften geregelt: zum einen in Art. 26 ReD, wonach Abgeordnete, die erst nach der konstituierenden Sitzung des Kongresses die Abgeordneteneigenschaft erwerben, sich einer bereits bestehenden Fraktion anzuschließen haben oder im gegenteiligen Fall dem Grupo Mixto zugeordnet werden; zum anderen in Art. 27 Abs. 2 ReD, wonach Abgeordnete einer Fraktion, die während der Legislaturperiode unter Fraktionsmindeststärke sinkt, automatisch dem Grupo Mixto zugeteilt werden. Fraktionslose Abgeordnete oder Abgeordnetengruppen außerhalb von Fraktionen gibt es in Spanien also nicht.

10 So der Europaabgeordnete Luster, zitiert in Giudi, G., I grupi parIamentari dei Parlamento europeo, Rimini 1983, S. 105. 11 Saiz Arnaiz, Grupos Parlamentarios, S. 118. 12 Saiz Arnaiz, S. 124. 13 SMz Arnaiz, S. 118 tf.

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

45

(2) Der Abgeordnetenstatus als Voraussetzung der Fraktionsbildung Auch in Spanien ist der Abgeordnetenstatus Grundvoraussetzung für die Fraktionsmitgliedschaft l4 . Die Abgeordneteneigenschaft bestimmt sich nach Art. 20 Abs. I ReD, wonach der gewählte Abgeordnete zu dessen Erwerb bestimmte formale Voraussetzungen erfüllen muß, d. h. • die Überreichung eines Beglaubigungsschreibens (Art. 20 Abs. 1 Nr. I ReD), • die Mitteilung von Daten hinsichtlich seines Berufes und der öffentlichen Ämter, die er bekleidet, um Unvereinbarkeiten mit dem Abgeordnetenstatus zu vermeiden (Art. 20 Abs. I Nr.2 ReD) • sowie gern. Art. 20 Abs. I Nr. 3 ReD der Eid auf die Verfassung. So konnten zu Beginn der dritten Legislaturperiode die Abgeordneten von Herri Battasuna (HB) keine Fraktion gründen, obwohl sie die Fraktionsmindeststärke erreicht hatten, da sie den verlangten Eid auf die Verfassung nicht leisteten l5 . Es reicht also nicht, lediglich gewählt zu sein, sondern es bedarf weiterhin der Erfüllung aller formalen Voraussetzungen des Art 20 Abs. 1 ReD. Hat der Abgeordnete drei Plenarsitzungen lang die in Art. 20 ReD geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt, so verliert er folgende Vorrechte, die einem Abgeordneten gern. Art. 20 Abs. 2 ReD zustehen: • die Möglichkeit bei Plenarsitzungen und Sitzungen der Ausschüsse anwesend zu sein (Art. 6 Abs. 1 ReD), • Zugang zu Informationen der öffentlichen Verwaltung (Art. 7 Abs. 1 ReD), • die Zuwendung von Geldmitteln, um ihre Abgeordnetenfunktionen erfüllen zu können (Art. 8 Abs. 1 ReD) und • die Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung (Art. 11 ReD). Wer seine Abgeordnetenrechte verliert, dem muß konsequenterweise auch von Anfang an die Fraktionsmitgliedschaft verweigert werden bzw. er verliert diese nachträglich, falls er schon Mitglied einer Fraktion war l6 . Saiz Arnaiz, S. 129. EI Pais vom 4. September 1986. 16 Sh. Saiz Arnaiz, S. 131 Fn. 82: In der Parlamentspraxis wurde tatsächlich denjenigen Abgeordneten die Mitgliedschaft in jeder Fraktion verweigert, die nicht die Bedingungen des Art. 20 Abs. 1 ReD nicht erfiiIlt hatten. Dies betraf die Abgeordneten von RB, die in der zweiten Legislaturperiode überhaupt keiner Fraktion zugeordnetet wurden, 14

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46

C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

Weitere Gründe das Abgeordnetenmandat zu verlieren sind in Art. 22 ReD aufgeführt 17 : • eine rechtskräftige Entscheidung, die die Wahl oder Proklamation des Abgeordneten annulliert; • der Tod oder die Arbeitsunfähigkeit (incapacitaci6n) des Abgeordneten; • das Erlöschen des Mandates, sei es daß die Legislaturperiode endet, sei es daß die Kammer aufgelöst wird 18 und • der Verzicht des Abgeordneten auf sein Mandat. Darüber hinaus gibt es Mitglieder des Kongresses, die zwar nicht Vollmitglieder der Fraktion sind, dieser sich aber als diputados asociados anschließen können. In Art. 24 Abs. 3 und 4 ReD ist der Status der Assoziierten geregelt. Es gibt zwei Formen von Assoziierung. Zunächst die gern. Art 24 Abs. 4 ReD, die vor der Gründung einer Fraktion stattfindet. Diese Assoziierten werden bei der Berechnung der Fraktionsmindeststärke gern. Art. 23 Abs. I ReD mitgezählt 19 und können einer Gruppe von Abgeordneten helfen, die Fraktionsmindeststärke des Art. 23 Abs. 1 ReD zu erreichen. Die zweite Form der Assoziierung erfolgt erst nach der Konstituierung der Fraktion und bedarf der Genehmigung des Fraktionssprechers (Art. 24 Abs. 3 ReD). Die Assoziierten zählen auch für die Festlegung der Abgeordneten, die jede Fraktion entsprechend ihrer Stärke in Ausschüssen oder in die Diputaci6n Permanente schickt (Art. 24 Abs. 4 ReD), unabhängig davon, wann sie in die Fraktion gekommen sind. Insofern haben sich Abgeordnete und Assoziierte in ihrer Stellung sehr einander genähert. Die Assoziierten können sich nur während des zeitlichen Limits von fünf Tagen nach der konstituierenden Sitzung des Parlamentes einer Fraktion anschließen. Gern. Art. 24 Abs. 3 ReD geschieht die Assoziierung durch individuelle Interessenbekundung, die vom Fraktionssprecher angenommen werden kann und dann an das Parlamentspräsidium weitergeleitet wird. Nach dieser Frist können neue Abgeordnete nur entsprechend Art. 26 ReD in eine Fraktion gelangen, d. h. nur als Mitglieder, nicht jedoch als Assoziierte. in der Dritten waren sie zwar in der Liste des Grupo Mixto geführt, allerdings zählten sie nicht bei der Mitgliederzahl des Grupo Mixto mit. 17 Vgl. Saiz Amaiz, S. 134. 18 Unabhängig davon, ob der Abgeordnete im Ständigen Ausschuß noch weiterhin seine Mitgliedsrechte ausübt, sh. Art. 22 Nr. 3 a. E. ReD. 19 Art. 19 Abs. 1 der GO der französischen Nationalversammlung verbietet hingegen, daß apparentes bei der Berechnung der Fraktionsmindeststärke berücksichtigt werden.

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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In der Parlamentspraxis hat sich die Figur des Assoziierten als unpassend erwiesen, kein einziger Abgeordneter ist entsprechend dem Verfahren von Art 24 Abs. 3 ReD nachträglich Assoziierter geworden. Für nachträglich hinzukommende Abgeordnete reicht Art. 26 ReD vollkommen aus. In der Praxis hat sich auch gezeigt, daß es de facto keinen Unterschied zwischen Mitgliedern und Assoziierten gibt. Der Status des Assoziierten wird daher möglicherweise aus dem ReD verschwinden2o •

cc) Rechtsvergleich Der wichtigste Unterschied zwischen dem deutschen und dem spanischen System ist, daß in Spanien alle Abgeordneten einer Fraktion sich anzuschließen haben, was durch die automatische Eingliederung von nichtfraktionsangehörigen Abgeordneten sichergestellt wird. In Deutschland hingegen ist die Mitgliedschaft in einer Fraktion freiwillig. Die starke Betonung des freien Mandats hatte wohl einen Grund in der in Deutschland immer noch latent vorhandenen altliberalen Vorstellung, das Parlament sei der Ort, an dem die durch Auswahl ermittelten Vertreter des Volkes zusammenkommen, um in freier Debatte die richtigen Lösungen zu finden 21 • Selbst wenn in der Parlamentspraxis seit langem die Fraktionen als praktische Notwendigkeit anerkannt werden, wirken die Ideen der Anfange des deutschen Parlamentarismus bis heute nach22 •

b) Die Fraktionsmindeststärke

aa) Vorbemerkungen In den meisten europäischen Geschäftsordnungen wird als Voraussetzung für die Gründung von Fraktionen das Vorhandensein einer Mindestzahl von Abgeordneten verlangt. In einigen jungen Staaten verzichtete man zunächst noch auf die Festlegung der Fraktionsmindeststärke, um deren Entstehen zu erleichtern, da man von Fraktionen als politisch notwendigen Institutionen überzeugt

20 21 22

Saiz Amaiz, S. 129 Fn. 80 a.E. Tormin, S. 27,47. Schönberger, S. 12 f.

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

war23 • Meistens gab man die Nichtregelung der Fraktionsmindeststärke aber bald zugunsten ihrer Regelung auf. Nur ganz wenige Geschäftsordnungen kennen auch heute noch die Möglichkeit einer Ein-Mann-Fraktion, so beispielsweise die Geschäftsordnungen von Holland, Argentinien und Norwegen 24 . Abgesehen von diesen Ausnahmen verlangen die meisten Geschäftsordnungen mehrere, also mindestens zwei Abgeordnete zur Bildung einer Fraktion 25 . Einige parlamentarische Geschäftsordnungen sehen fiir den Fall, daß eine Abgeordnetengruppe diese Mindestzahl nicht erreicht, gewisse zusätzliche und begleitende Bedingungen vor, die im Falle ihres Vorliegens doch noch die Gründung einer Fraktion ermöglichen. Solche Bedingungen liegen beispielsweise vor, wenn die Fraktion eine Partei vertritt, die im ganzen Land vertreten ist, und auch am Wahlkampf teilgenommen hat26 oder wenn eine Partei bei den Wahlen einen gewissen Stimmenanteil errungen hat27 • Damit kann die Gründung von Fraktionen bei Nichterreichen der Fraktionsmindeststärke erleichtert werden. In einigen Geschäftsordnungen sind auch Abgeordnetengruppen zugelassen, die zwischen den Fraktionen und den einzelnen Abgeordneten anzusiedeln sind 28 . Eine Abgeordnetengruppe entsteht entweder, weil sie die Fraktionsmindeststärke nicht erreicht hat oder andere Voraussetzungen zur Erreichung des Fraktionsstatus nicht erfiillen kann. Diesen aufgezeigten Regelungsmöglichkeiten liegen im wesentlichen zwei Modelle zugrunde: beim einen steht der Schutz der Funktionsfahigkeit und die

23 Virga, P., Il partito neIl' ordinamento giuridico, Mailand 1948, S. 22: hier werden insbesondere Griechenland des Jahres 1927, die Tschechoslovakei des Jahres 1920 und Frankreich des Jahres 1932 genannt, wo man keine Fraktionsmindeststärke festlegte. 24 Art. 11 Abs. 1 der Geschäftsordnung der unteren holländischen Kammer; Art. 55 der Geschäftsordnung der Deputiertenkammer; in der Geschäftsordnung des holländischen Storting ist überhaupt keine Voraussetzung für die Gründung einer Fraktion vorgesehen; so in: Parliaments of the World, Inter-Parliamentary Union, London 1986, Bd. 1, S.589-621. 25 Eine komplette Zusammenstellung der Fraktionsmindeststärken findet sich in der Untersuchung der Interparlamentarischen Union, a.a.O., Bd. 1, S. 589, 621, in der die Verfassung der Fraktionen von über 80 Ländern beschrieben ist. 26 Art. 14 Abs. 2 GO der Abgeordnetenkammer und Art. 14 Abs. 5 GO des Senates in Italien. 27 Art. 23 Abs. 1 RCD; sh. unten bei C. I. I. c) cc). 28 Abgeordnetengruppen sind hier nicht i.S.v. Grupos parlamentarios bzw. grupi parlamentari zu verstehen.

1. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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Effektivität des Parlamentes im Vordergrund, beim anderen hingegen das repräsentative Prinzip und der Pluralismus innerhalb der Legislative29 . Das erste Konzept, auch funktionalistisches Modell genannt 30 wird dadurch verwirklicht, daß eine relativ hohe Fraktionsmindeststärke festgelegt wird, die auch nicht ausnahmsweise z.B. bei Erfüllung zusätzlicher Bedingungen unterschritten werden kann. Die zweite Option, das repräsentative Modell, hingegen legt eine relativ niedrige Mindestzahl fest. Dieses Modell will möglichst alle Strömungen im Parlament berücksichtigen. In der spanischen Literatur spricht man in diesem Zusammenhang von "opci6n garantista,,31 . Eine gemischte Fraktion, in der sich alle Parlamentarier zusammenfinden, die keine Fraktion bilden könne bzw. wollen, kann die Folgen des funktionalistischen Modells mildern, wenngleich häufig auf eine gemischte Fraktion verzichtet wird, so daß es unterhalb der Fraktionsmindeststärke nur Fraktionslose oder Abgeordnetengruppen gibt. Auch beim repräsentativen Modell ist eine gemischte Fraktion möglich, innerhalb der die "übriggebliebenen" Abgeordneten parlamentarische Rechte ausüben können. Inwieweit Deutschland und Spanien den verschiedenen Modellen gefolgt sind, soll nachfolgend untersucht werden.

29 Vgl. A. Sliiz Arnaiz, S. 101 f.; Di Muccio, P., I gruppi parlarnentari al Senato della Repubblica, in: Scritti sul Parlamento, Rom 1978, S. 66 ff.; Santschy, A., Le droit parlementaire en Suisse et en Allemagne, Neuchätel1982, S. 161; Alba Navarro, M., La creacion de grupos parlamentarios durante la legislatura, in: RDP Nr. 14, 1982, S. 81; Giudi, S. 65 f. 30 Saiz Arnaiz, S. 102. 31 Saiz Arnaiz, ebenda.

4 Winkler

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

bb) Die Regelung in Deutschland Deutschland ist im wesentlichen dem funktionalistischen Modell gefolgt 32 . Die Geschäftsordnung des Bundestages legt in § 10 Abs. 1 S. 1 die Fraktionsmindeststärke auf 5 % der Mitglieder des Bundestages fest 33 • In diesem Zusammenhang gilt es die Zulässigkeit dieses konkreten Quorums zu untersuchen. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist die Bevorzugung einer Fraktion gegenüber fraktionslosen Abgeordneten oder einer parlamentarischen Abgeordnetengruppe 34 , deren Abgeordnetenzahl unter der festgelegten Fraktionsmindeststärke bleibt. Die Rechtfertigung der Mindeststärke von 5 % ergibt sich aus der Effizienz parlamentarischer Tätigkeit, die nur gewahrt werden kann, wenn die Zersplitterung des Parlamentes in zu kleine, mit eigenen Rechten ausgestattete Einheiten verhindert wird 35 • Die Festlegung von bestimmten Quoren aus Effizienzgründen liegt dabei im weiten Ermessen des mit Geschäftsordnungsautonomie ausgestatteten Bundestages36 • Die Funktionsfähigkeit des Parlamentes gilt als anerkannter Rechtfertigungsgrund37 • Grundsätzlich ist es zulässig aus Funktionalitätsgesichtspunkten Quoren festzulegen. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie ergeben sich aus dem Gleichheitsgrundsatz und dem in ihm verbürgten Willkürverbot sowie aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit, soweit er sich in Form des Minder32 In fast allen parlamentarischen Ländergeschäftsordnungen Deutschlands ist eine Mindestzahl von Abgeordneten festgelegt, die erforderlich ist, um den Fraktionsstatus erlangen zu können. Die jeweils maßgeblichen Quoren werden entweder in den Geschäftsordnungen zahlenmäßig festgelegt, sei es durch Angabe einer absoluten Zahl, sei es durch einen bestimmten Prozentanteil der Parlamentsmitglieder, oder aber durch Parlamentsbeschluß bestimmt. Selbst in den Bundesländern, wo es keine Regelung der Fraktionsmindeststärke gibt, können Fraktionen nur von den Parteien gebildet werden, die die 5 %-Hürde überwunden haben. 33 Die anderen parlamentarischen Geschäftsordnungen in den deutschen Ländern legen die Fraktionsmindeststärke manchmal in absoluten Zahlen fest, manchmal wird die Festlegung dieser Zahl auch einem Parlamentsbeschluß überlassen (sh. § 9 Abs. I S. 2 GO-HbgBgsch, § 2 Abs. 2 S. 1 GO-HessLT). 34 Kassing, R., Das Recht der Abgeordnetengruppe, Berlin 1988, S. 27 ff. 35 Fröhlinger, M., Die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke im Gemeinderat. Ein Beitrag zum parlamentarischen Minderheitenschutz, DVBl82, 685. 36 Schmidt, R., Zum Verfahren über den Fraktionsstatus der F. D. P. in Bayern, in: Um Recht und Freiheit, FS für Friedrich August Frh. v.d.Heydte, hrsg. v. Kipp/Mayer/Steinkamm, Bd. 2, Berlin 1977, S. 1183. 37 BayVerfGHE 29, 94.

1. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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heitenschutzes auf die Tätigkeit im Parlament auswirkt 38 . Solange die Festlegung der Mindestzahl sich an sachbezogenen Kriterien orientiert, z.B. an der Funktionsfähigkeit des Parlaments, ist das aufgestellte Quorum verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden39 . Gerechtfertigt sind die Quoren solange, als es keine Abgeordnetenzahl unter der gewählten gibt, die genauso geeignet wäre, die Effektivität des Parlaments zu gewährleisten. Dabei gibt es allerdings keine objektive Grenze rur Effektivität, letztlich bleibt die Festlegung des Quorums in der Geschäftsordnungsautonomie des Parlamentes begründet. Verletzt wären die Grenzen erst dann, wenn das Quorum als politisches Kampfmittel gegen parlamentarische Minderheiten eingesetzt würde4o, beispielsweise dann, wenn das Quorum während der Legislaturperiode angehoben würde und eine Fraktion dadurch ihren Fraktionsstatus verlöre41 • Eine Erhöhung der Fraktionsmindeststärke über 5% hinaus ist nur dann gerechtfertigt, wenn es dem Schutz der parlamentarischen Funktionsfähigkeit dient. Dies wäre wohl nur in den Fällen besonders kleiner Parlamente möglich, wo eine über der 5%-Hürde liegende absolute Zahl von Abgeordneten, also Fraktionsmindeststärke vertretbar wäre, um eine realistische Beschickung aller wichtigen Ausschüsse durch die Fraktion zu gewährleisten42 . In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob nicht bereits die wahlrechtlichen Sperrklauseln die Fraktionsmindeststärke entbehrlich machen, da in beiden Fällen der Schutzzweck der gleiche ist, nämlich der Schutz vor allzu großer Zersplitterung des Parlamentes, die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, sowie die Fähigkeit, eine Regierung mehrheitsfähig zu machen und zu halten 43 . Die Kongruenz der beiden Schutzziele44 macht jedoch die geschäftsordnungsrechtlich geregelten Mindeststärken nicht überflüssig, da der ausschließliche Bezug auf die wahlrechtlichen Sperrklauseln keine eindeutige oder auch ermittelbare zahlenmäßige Grenze rur Fraktionsbildung gibt. Fraktionen, deren Parteien bei den Ebenda S. 85. Ebenda S. 94. 40 Schmidt, in: FS v.d. Heydte, Bd. 2, S. 1188. 41 Link, Fraktionsstatus als geschäftsordnungsmäßige Voraussetzung fiir die Ausübung parlamentarischer Rechte, DöV 1975,693; vgl. auch VGH Kassel, NVwZ 1984, 54; Fröhlinger, DVBI 1982, 686. 42 Schönberger, S. 50. 43 Vgl. BVerfG DöV 57, 477 f.; Rinck, H.-J., Herkunft und Entfaltung der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl, in: FS Wolfgang Zeidler, hrsg. v. W. FürstIR. HerzoglD.C. Umbach, Bd. 2, Berlin 1987, S. 1119, 1130; Seifert, K.-H., Bundeswahlrecht, Kommentar: Wahlrechtsarten des GG, BWG, BWO und wahlrechtliche Nebengesetze, 3. Aufl., München 1976, § 6 BWG, Rn. 25. 44 Vgl. dazu Arndt, H.-W.lSchweitzer, M., ZPar17 (1976), 80; Schmidt, w., Chancengleichheit der Fraktionen unter dem GG, Der Staat 9 (1970),495. 38

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

Wahlen zwar die wahlrechtliche Sperrklausel überschritten haben,jedoch infolge von Abspaltungen oder Austritten zahlenmäßig kleiner geworden sind, würden bei fehlender geschäftsordnungsrechtlicher Regelung der Fraktionsmindeststärke den Fraktionsstatus nicht verlieren, da sie ursprünglich die wahlrechtliche Sperrklausel überschritten hatten. Ergebnis wäre, daß Abgeordnetengruppierungen unter 5% der Mitglieder des Bundestages als Fraktionen anerkannt bleiben müßten. Die wahlrechtliche 5%-Sperrklausel allein reicht also nicht aus, wenn man von der funktionalistischen Prämisse des deutschen Rechts ausgeht, sie bedarf vielmehr der geschäftsordnungsrechtlichen Konkretisierung durch die Festlegung der Fraktionsmindeststärke in absoluten Zahlen. Sie ist also nicht nur zulässig, sondern aus Rechtsgründen geboten, immer vorausgesetzt, man folgt dem funktionalistischen Grundmodell Deutschlands45 .

cc) Die Regelung in Spanien Bis zur endgültigen Verabschiedung des RCD im Jahre 1982 wurde die Frage der Fraktionsmindestzahl auf unterschiedliche Weise beantwortet. Im ersten Entwurf der Geschäftsordnung vom Oktober 1977 führten eindeutig politische Gründe dazu, die Fraktionsmindeststärke mit 15 Abgeordneten im Vergleich zur heute gültigen Regelung relativ hoch zu veranschlagen. Dies hatten insbesondere die beiden großen Parteien durchgesetzt, die beim damals bevorstehenden Prozeß der Ausarbeitung einer neuen Verfassung eine Zersplitterung des Parlamentes in kleine Fraktionen vermeiden wollten. Insofern folgte man dem funktionalistischen Modell. Die baskischen und katalanischen Nationalisten konnten sich daher nur gemeinsam in einer Fraktion zusammenschließen, kleinere Abgeordnetengruppen fanden lediglich im Grupo Mixto Platz. Wiederum politisch motiviert war die Änderung des Art. 20 Abs. 1 RPC im Mai 1979. Die Fraktion der UCD, die im politischen Zentrum anzusiedeln war, billigte die Herabsetzung der Mindestzahl auf 5 Abgeordnete, so daß auch die sechs andalusischen Sozialisten eine eigene Fraktion bilden konnten. Im Gegenzug wählten eben diese sozialistischen Abgeordneten einen UCD-Repräsentanten zum Regierungschefl 6 . Schließlich verabschiedete der Kongreß im Jahre 1982 (RCD) eine neue Regelung, die bis heute gilt und zwei Möglichkeiten für die Bildung von Fraktionen vorsieht. Grundsätzlich gilt die Grenze von 15 Abgeordneten. Ausnahmsweise 45 46

Schönberger, S. 47. Sh. EI Pais vom 3. und 4. Mai 1979.

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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reichen aber auch fünf Abgeordnete, wenn die Partei(en), der bzw. denen sie angehören, 15 % der Stimmen in den Wahlkreisen gewonnen haben, in denen sie Kandidaten präsentiert haben47 , oder 5 % der Stimmen landesweit. In diesen Ausnahmefällen kann ohne Anfrage und ohne weitere Zulassung seitens eines Parlamentsorganes eine Fraktion gegründet werden. Spanien ist damit 1982 dem repräsentativen Modell gefolgt, wonach möglichst alle Parteien und Organisationen im Parlament vertreten sein sollen.

dd) Rechtsvergleich Die Fraktionsmindeststärke von 15 Abgeordneten ergibt bei einer Gesamtabgeordnetenzahl des spanischen Kongresses von 350 einen Anteil von ca. 4,3 % der Gesamtmitgliederzahl. Somit liegt schon die Fraktionsmindeststärke des Art. 23 Abs. I S. I ReD niedriger als diejenige des § 10 Abs. 1 GO-BT. Gern. Art. 23 Abs. 1 S. 2 ReD können auch schon fünf Abgeordnete zur Bildung einer Fraktion ausreichen, wenn die oben erwähnten Zusatzkriterien erfüllt sind. Fünf Abgeordnete bedeuten 1,4 % der Gesamtabgeordnetenzahl des Kongresses, ein Quorum, das weit unter der deutschen Regelung des § 10 GO-BT liegt. Darüber hinaus liegt dieses Quorum von 1,4 % auch weit unter der wahlrechtlichen 5%-Klausel. Dies ist dann der Fall, wenn sich nur ein Teil der für eine Partei gewählten Abgeordneten zu einer Fraktionsbildung entschließt oder die Fraktion infolge von Abspaltungen während der Legislaturperiode kleiner wird. Eine Fraktion im spanischen Kongreß kann also erheblich kleiner als die Anzahl der bei der letzten Wahl abgegebenen Stimmen für die dazugehörige Partei sein. Gerade dies sollte in Deutschland mit Einführung der geschäftsordnungsmäßigen Fraktionsmindeststärke, die an die wahlrechtliche Sperrklausel angeglichen wurde, verhindert werden. Deutschland hat also das funktionalistische Modell konsequent verwirklicht, Spanien hingegen hat den Weg der Repräsentation möglichst aller Parteien und Gruppierungen im Parlament gewählt.

47 15 % der Stimmen brauchen nicht in jedem der einzelnen Wahlkreise gewonnen werden, vielmehr reicht es, daß in der Gesamtheit der entsprechenden Wahlkreise dieser Prozentsatz überschritten wird; vgl. Saiz Arnaiz. Grupos Parlamentarios, S. 111, Fn. 51.

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

c) Die Bindung der Fraktion an eine Partei: Der requisito ideo/6gico

aa) Die geschäftsordnungsrechtlichen Regelungsmodelle Die Parteien, die sich in ihrer historischen Entwicklung langsam aus den Parlamentsfraktionen herausentwickelt haben48 sind heute aus dem politischen Entscheidungsprozeß nicht mehr wegzudenken. In der modernen Demokratie haben sich sowohl Parteien als auch Fraktionen als Notwendigkeiten des Verfassungslebens etabliert. Dabei sind beide Institutionen zu einer fast unzertrennlichen, in der Regel stark aufeinanderbezogenen Einheit geworden49 . Im wesentlichen gibt es vier Regelungsmodelle, um das Verhältnis Fraktion Partei 50 juristisch zu fassen 51 :

(1) Geschäftsordnungen ohne Verknüpfung von Partei und Fraktion Abgeordnete, die sich zu einer Fraktion zusammenschließen wollen, brauchen nach diesem Modell nicht ausschließlich einer Partei angehören. Es reicht der Wille von Abgeordneten verschiedener Parteien bzw. politischer Organisationen, eine Fraktion zu bilden, sowie das Erreichen der Fraktionsmindeststärke52 • In der Praxis heißt dies, daß Abgeordnete von verschiedenen Parteien sich in einer Fraktion zusammenschließen.

(2) Abgeschwächte Verknüpfung53 Von den Mitgliedern einer Fraktion wird lediglich eine politische "Affinität" verlangt, die sich in einer gemeinsamen politischen Erklärung54 derjenigen Parlamentarier äußert, die eine Fraktion bilden wollen 55 • 48 Vgl. Rehrn, H., Deutschlands politische Parteien, Grundriß, Jena 1922, S. 25; Duverger, S. 1. 49 Saiz-Amaiz, S. 135. 50 MohrhotT, F., Trattato di diritto e procedura parlamentare, Rom 1948, S. 34 f. 51 Saiz Amaiz, S. 135 tT. 52 Dies ist die Regelung in den Geschäftsordnungen der belgischen Abgeordnetenkammer (Art. 9 Abs. 5) und des schweizerischen Nationalrates (Art. 13 Abs. 1). 53 Saiz Amaiz, S. 136 f. ("vinculaci6n atenuada"). 54 Zur Form der betretTenden politischen Erklärungen sh. für Frankreich, Masc\et, lC., Le röle du depute, Paris 1979, S. 88 f.; für das Europaparlament, Giudi, G., Il Parla-

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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(3) Bindung der Fraktion an eine Partei Bei diesem Regelungsmodell haben die Fraktionen den Charakter eines politischen Kollektivs mit enger Anbindung an eine politische Partei, man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Parallelismus von Wahlmoment und parlamentarischem Moment56 •

(4) Mischform aus dem ersten und dem dritten Modell Dieses Modell fordert nur dann die Homogenität von geplanter Fraktion mit einer Partei, wenn zunächst die Fraktionsmindeststärke nicht erreicht worden ist. Hier muß bei der Gründung zunächst nur die geschäftsordnungsmäßig festgelegte Fraktionsmindeststärke erreicht sein; falls eine Parlamentariergruppe dieses Minimum nicht erreicht, kann sie dennoch eine Fraktion bilden, wenn sie nur eine bereits bestehende außerparlamentarische politische Kraft oder eine Partei repräsentiert57 .

mento Europeo, Assemblea di gruppi (considerazioni critiche e di diritto comparato alla luce dei nuovo regolamento parlamentare, in: Diritto comunitario e degli scambi internazionali 1981, Nr. 3, S. 582-584; und Cavero G6mez, M., EI sistema de grupos en el ParIamento Europeo, in: RCG, Nr. 9, 1986, S. 161 f. S5 SO geregelt beispielsweise in der Geschäftsordnung der Französischen Nationalversammlung (Art. 19 Abs. 2) oder des Europaparlamentes (Art. 26 Abs. 2). 56 Alba Navarro, S. 83; die griechische Abgeordnetenkammer (Art. 18 Abs. 2), die zweite holländische Kammer (Art. 11 Abs. 1) und der portugiesischen Republiksversammlung (Art. 7 Abs. I) haben in ihre Geschäftsordnungen dieses Modell aufgenommen. Am weitesten ist § 19 Abs. 1 GO-BT gegangen, wonach Fraktionen nur aus Abgeordneten einer Partei gebildet werden können. 57 Dieses Modell ist beispielsweise in Italien und Spanien verwirklicht. Die Geschäftsordnungen der italienischen Parlamentskammern fordern als Grundvoraussetzung filr die Gründung einer Fraktion eine Mindestzahl von Abgeordneten. Im Falle des Nichterreichens dieser Zahl ist der Bezug zu einer politische Partei erforderlich, sh. Manzella, S. 32. Art. 14 Abs. 2 der GO der italienischen Abgeornetenkammer läßt die Gründung einer Fraktion durch eine politische Partei oder eine sonstige politische Organisation zu, wenn die "geplante" Fraktion "im Inneren der Kammer eine politische Realität außerhalb" widerspigelt, vgl. dazu Cocco, F., La costituzione di gruppi parlamentari, in: DD 1977, S. 801; dazu auch Capurso, M., Sui nuovi regolamenti pari amentari, in: RP 1971, S. 578; Cuomo, G., Unita e omogenita nel governo parlamentare, Neapel 1957, S. 88).

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen bb) Die Regelung in Deutschland: Deckungsgleichheit von Partei und Parlamentsfraktion (Politische Homogenität)

Die Geschäftsordnung des Bundestages regelt, daß Fraktionen entweder aus Abgeordneten derselben Partei oder aus Mitgliedern von Parteien, die in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen, gebildet werden können (Art. 10 Abs. I S. I GO-BT). Die 2. Alternative von Art. 10 Abs. 1 S. 1 GO-BT wurde während der 5. Wahlperiode als Sonderregelung58 aufgenommen und enthält ein Zugeständnis an die Fraktion (eigentlich Fraktionsgemeinschaft) der CDU/CSU. Bis dahin konnten Fraktionen nur von Mitgliedern derselben Partei gebildet werden. Ausnahmen, also auch die Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU, bedurften der Zustimmung des Bundestages. Die Anknüpfung an die Zugehörigkeit zur sei ben Partei bzw. zu ideell gleichgerichteten Parteien soll verhindern, daß sich Abgeordnete verschiedener, gegensätzlicher politischer Richtungen, Z.B. radikale Gruppen unterschiedlicher politischer Provenienz, die isoliert jeweils keine Fraktion bilden könnten, zu Fraktionsgemeinschaften zusammenzuschließen, um damit in den Genuß der mit dem Fraktionsstatus verbundenen Vorteile zu gelangen 59 , ohne aber den Willen zu gemeinsamer politischer Arbeit zu haben. Ein solch heterogener Zusammenschluß widerspräche elementar der deutschrechtlichen Vorstellung der organischen und "politischen Arbeitsgliederung" des Parlaments nach Fraktionen6o • Das Kriterium der gemeinsamen Parteizugehörigkeit rur die Bildung von Fraktionen verfolgt also ausschließlich den Schutzzweck, mißbräuchliche Fraktionsbildungen zu verhindern. Von § 10 Abs. 1 GO-BT abweichende Zusammenschlüsse bedürfen der Zustimmung des Bundestages gern. § 10 Abs. 1 S. 2 GOBT, wodurch sich das Parlament vor möglichem Mißbrauch des Fraktionsstatus schützen kann. Über das Mißbrauchsverbot hinausgehende Verbote der Fraktionsbildung wären nicht zu rechtfertigen 61 • Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es im deutschen Recht keine vollkommene Übereinstimmung von Fraktion und Partei gibt. Zwar geht das deutsche 58 Achterberg, Parlamentsrecht, S. 279; Troßmann, H., Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, Kommentar zur Geschäftsordnung, München 1977, GO-BT, § 10 Rn. I. 59 Ritzel/Bücker, § 10 Anm. I. 2; Troßmann, Parlamentsrecht, § 10 GO-BT, Rn. 5 und 9. 60 Stern, K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., München 1984, S. 1023 f; der deutschrechtliche Ansatz wird aber dadurch abgeschwächt, daß es keine Zwangsmitgliedschaft in Fraktionen gibt. 61 Troßmann, Parlamentsrecht, § 10 GO-BT, Rn. 4.

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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Recht diesbezüglich im internationalen Vergleich sehr weit, da Fraktionen nur von Mitgliedern derselben Partei bzw. ideell gleichgerichteter Parteien gebildet werden können. Andererseits ist es auch möglich, daß Partei mitglieder sich nicht "ihrer" Fraktion anschließen, sondern fraktionslos bleiben bzw. werden. Im Falle des Austritts aus der Fraktion behält der Abgeordnete sein Abgeordnetenmandat. In der Praxis wird freilich ein Abgeordneter, der aus seiner Fraktion austritt, auch aus seiner Partei austreten oder aus ihr ausgeschlossen werden. Im deutschen Parlamentsrecht gibt es zwar keine völlige, aber doch eine weitgehende Identität von Fraktion und Partei 62 .

cc) Der requisito ideologico in der Geschäftsordnung des spanischen Kongresses 63 Während der Beratungen zur endgültigen Geschäftsordnung des Kongresses von 1982 (RCD)64 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen insbesondere über die Frage, inwieweit mehrere sozialistische Fraktionen bestehen können65 . Besonders die Mehrheitsfraktion der UCD wollte dies mit dem Argument verhindern, daß sich im Parlament lediglich der Wille der Wähler widerzuspiegeln habe und deswegen Parteien mit gleichen Zielen im Parlament nicht anders als gemeinsam, also in einer Fraktion auftreten können 66 . Diese Auffassung setzte sich schließlich bei der Regelung der endgültigen Geschäftsordnung von 1982 durch. Art. 23 Abs. 1 RCD als Norm, die den Grundsatz regelt, hat zwei Komponenten: zum einen wird die Mindestzahl für die Bildung einer Fraktion auf 15 Abgeordnete festgelegt, zum anderen, falls diese Mindestzahl nicht erreicht werden kann, können sich Abgeordnete einer oder mehrerer politischer Kräfte zu einer Fraktion zusammenschließen, falls diese Parteien nicht weniger als 5 Sitze (escanos ) errungen haben und 15 % der Stimmen in den Wahlkreisen, in denen sie Kandidaten aufgestellt haben oder 5 % der in ganz Spanien abgegebenen Stimmen. Diese Regelung entspricht damit dem vierten Modell. Saiz Arnaiz, Grupos Parlamentarios, S. 137 f. Saiz Arnaiz, ebenda, S. 134 ff. 64 Art. 20 der provisorischen Geschäftsordnung von 1977 (RCP) enthielt die Regelung, daß politische Parteien mit mindestens mnf Abgeordneten Fraktionen im Parlament bilden können. Die Bildung einer Fraktion war also an "politische Formationen" bzw. "Wahlbündnisse" gebunden. Diese Regelung entsprach insofern dem dritten Modell der Bindung der Fraktion an eine Partei. 65 Das waren in der ersten Legislaturperiode katalanische Sozialisten, baskische Sozialisten und sog. "Socialista de Congresso"; vgl. dazu Saiz Arnaiz, S. 143 f. 66 Saiz Arnaiz, Grupos Parlamentarios, S. 145. 62

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

Art. 23 Abs. 2 RCD begrenzt die Möglichkeiten der Fraktionsbildung. Abgeordnete, die derselben Partei angehören, können gern. Art. 23 Abs. 2 S. I RCD 67 keinen "Grupo Parlamentario separado" bilden. Damit sollte die künstliche Vermehrung von Fraktionen, die derselben Partei angehören, unterbunden werden 68 . Dasselbe gilt für die Abgeordneten, deren Parteien zur Zeit der Wahl und davor nicht im politischen Wettstreit standen (Art. 23 Abs. 2 S. 269 ). Damit wurde das Verbot der Bildung eines "Grupo Parlamentario separado" noch ausgeweitet: (I) auf politische Kräfte, die nur an einer einzigen Wahl zusammen teilnehmen, um eine Koalition einzugehen, (2) auf Abgeordnete einer politischen Kraft, die aus den Reihen einer anderen Partei gewählt wurden, weil ihre eigene Partei bei einer Wahl nicht angetreten ist. Im ersten Fall müssen alle Abgeordneten der Wahlkoalition sich zu einer einzigen Fraktion zusammenschließen; im zweiten Fall haben sich die Abgeordneten derjenigen Fraktion anzuschließen, auf deren Parteiliste sie gewählt wurden, sie können keine eigene Fraktion gründen. Davon ungerührt bleibt das Recht eines jeden Abgeordneten, sich einer anderen Fraktion oder dem Grupo Mixto anzuschließen. Eingeschränkt ist also nur die Möglichkeit der Fraktionsgründung, nicht j edoch die Möglichkeit sich bereits bestehenden anzuschließen. Fraglich bleibt, ob Art. 23 Abs. 2 S. 2 RCD sich auch auf den Fall bezieht, daß zwei Parteien bei Wahlen sich territorial, also bei den Wahlen in den Wahlbezirken nicht überschneiden, ideell jedoch gleich ausgerichtet sind7o • Ein solcher Fall trat im Jahre 1986 auf, als die CiD (Convergc!mcia i Dni6) nur in Katalonien und die PRD (Partido Reformista Democnitico) im restlichen Spanien auftrat. Dieselbe Frage entzündete sich am Auftreten sozialistischer Parteien in den autonomen Regionen Katalonien und Baskenland oder an der Fraktion der baskischen Nationalpartei PNY. In der Literatur ist dieser Fragenkomplex sehr umstritten und unterschiedlich beantwortet worden.

67 Der Text des Art. 23 Abs. 2 S. 1 RCD lautet: "En ninglin caso pueden constituir Grupo Parlamentario separado Diputados que pertenezcan a un mismo partido.". 68 Sole Tura, J.lAparicio Perez, M. A., Las Cortes Generales en el sistema constitucional, Madrid 1984, S. 144. 69 Der Wortlaut des Art. 23 Abs. 2 S. 2 RCD: "Tampoco podnin formar Grupo Parlamentario separado los Diputados que, al tiempo de las elecciones, pertenecieran a formaciones politicas que no se hayan enfrentado ante el electorado." 70 Zur Problemstellung vgl. Säiz Amäiz, Grupos Parlamentarios, S. 149 ff.

I. Bildung und Auflösung der Fraktionen

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Sole Tura interpretiert Art. 23 Abs. 2 ReD sehr restriktiv 71 , nämlich dahingehend, daß politische Parteien, die territorial nicht miteinander konkurrieren, aber "ideologisch" ähnlich ausgerichtet sind und eine rechtliche oder tatsächliche Koalition bilden, gezwungen sind, eine gemeinsame Fraktion zu bilden. Das hätte das Ende der Fraktion der Katalanischen Regionalpartei eiU bedeutet, sie hätte sich mit anderen Regionalparteien z.B. dem PNV oder dem PRD zu einer Fraktion zusammenschließen müssen. Nach Ansicht von Saiz Arnaiz hingegen ist eine Koalition nicht nach tatsächlichen, sondern ausschließlich nach rechtlichen Gesichtspunkten zu bestimmen 72 • Einziges gültiges Kriterium ist eine Koalitionserklärung vor dem Wahlausschuß. Alle anderen tatsächlichen Kriterien wie gemeinsame Organe oder gemeinsame Kandidaten reichen für eine Bestimmung als Koalition nicht aus. Dies hieße, daß nur vor dem Wahlausschuß erklärte Bündnisse oder Koalitionen unter den Geltungsbereich des Art. 23 Abs. 2 S. 2 ReD fielen und sich deswegen in einer Fraktion zu organisieren hätten. Keiner dieser beiden Extremansichten ist der Vorzug zu geben. M. E. bedarf es vielmehr einer Abstufung sowohl nach tatsächlichen, als auch nach rechtlichen Gesichtspunkten. Ausgangspunkt ist dabei der Regelungsgrundsatz des Art. 23 Abs. I ReD, wonach es grundsätzlich möglich ist auch aus Abgeordneten mehrerer Parteien eine Fraktion zu bilden, es umgekehrt jedoch nicht erlaubt ist, daß Abgeordnete einer Partei mehrere Fraktionen bilden. Hiervon ausgehend ist auch Art. 23 Abs. 2 S. 2 ReD zu interpretieren, wenn es um die Frage geht, wie Fraktionsbildung zu behandeln ist, wenn zwei Parteien bei Wahlen sich territorial, d. h. hinsichtlich der Wahlkreise nicht überschneiden. Zunächst gilt das Verbot der Gründung eines Grupo separado für territoriale, sich in den Wahlkreisen nicht überschneidende Parteien, wenn sie ein Wahlbündnis vor einem Wahlausschuß erklärt haben. Schwieriger wird es bei Parteien, die diese Erklärung nicht abgegeben haben, was der Normalfall ist, so bei eiU, PNV und PRD sowie den verschiedenen territorialen sozialistischen Parteien. Um eine interessengerechte Differenzierung vornehmen zu können, muß man zwischen Regionalparteien und Territorialparteien unterscheiden. Soweit sich eine Partei ausschließlich als Regionalpartei versteht, d. h. bei der weniger die allgemeinpolitisch-ideelle Ausrichtung, als vielmehr der Regionalcharakter im Vordergrund steht, darf ihr die Gründung einer eigenen Fraktion im Kongreß nicht 71 72

Sole Tura, EI probable final de la Minoria Catalana, EI Pais v. 5.6.1986 Säiz Amäiz, Grupos Parlamentarios, S. 150.

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C. Die Parlamentsfraktionen in den heute gültigen Verfassungsordnungen

versagt werden. Als Interpretationsstütze dient dabei die spanische Verfassung, die den autonomen Regionen eine nicht unbedeutende, wenn auch den deutschen Ländern noch nicht vergleichbare Stellung einräumt. Die Autonomie der Nationalitäten und der Regionen innerhalb Spaniens muß sich deshalb auch innerhalb des Parlamentes widerspiegeln können. Dies gilt insbesondere fur die baskische und katalanische Regionalpartei PNV und CiU. Es würde zu absurden Ergebnissen fuhren, könnten diese beiden Parteien, deren primäres Erkennungsmerkmal ihr Regionalcharakter und die Vertretung der Interessen ihrer Länder ist, nur eine gemeinsame Fraktion im Kongreß bilden73. Versteht sich hingegen eine Partei in einer Region als politisch identisch zu einer Partei im restlichen Staatsgebiet und wollen beide Parteien nach der Wahl eng zusammenarbeiten, so können diese beiden Parteien nur eine gemeinsame Fraktion bilden. Dies gilt insbesondere fur sozialistische Parteien, da bei diesen allgemeinpolitische bzw. ideelle und nicht regionale Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Bei allen Parteien also, die sich primär als Regionalparteien verstehen muß die Gründung einer eigenen Fraktion möglich sein. Soweit solche Regionalparteien mit politisch ähnlich ausgerichteten Parteien, die im restlichen Staatsgebiet auftreten, zusammenarbeiten (so der Fall bei CiU und PRD), ändert dies nichts an ihrem Charakter als Regionalpartei, solange die regionale Ausrichtung im Vordergrund steht. Regionalparteien darf es nicht zum Nachteil gereichen, daß sie einem bestimmten politischen Spektrum zugeordnet werden können, z. B. dem konservativen Flügel, und deswegen politisch ähnlich ausgerichtete Parteien des restlichen Staatsgebiets in dieser Region nicht mehr zu Wahlen antreten. Die Unterscheidung zwischen Territorial- oder Regionalpartei erfolgt dabei hauptsächlich nach tatsächlichen Gesichtspunkten. Daß dies im Einzelfall Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Regionalpartei und territoriale Ableger einer Partei, d. h. Territorialpartei geben kann, läßt sich hierbei nicht ganz vermeiden. Ohne diese Differenzierung könnte es jedoch zu unbilligen Ergebnissen kommen. Insbesondere der Vorschlag von S