Die Musealisierung der Gegenwart: Von Grenzen und Chancen des Sammelns in kulturhistorischen Museen [1. Aufl.] 9783839424940

Kulturhistorische Museen sind im 21. Jahrhundert mehr denn je gefordert, die Besucherinnen und Besucher in ihrem unmitte

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Die Musealisierung der Gegenwart: Von Grenzen und Chancen des Sammelns in kulturhistorischen Museen [1. Aufl.]
 9783839424940

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Von Grenzen und Chancen des Sammelns von Gegenwart in kulturhistorischen Museen im 21. Jahrhundert. Eine Einführung
PROGRAMMATIK UND THEORETISCHE ANSÄTZE DES SAMMELNS
Museum 2.0, Museum 3.0, Europäische Ethnologie 0.0? Das Sammeln gegenwärtiger Alltagskultur als Aufgabe angewandter Wissenschaft
From display cabinets to engine rooms. An essay about collecting present-day culture in the city museum
Post the museum! Anmerkungen zur Migrationsdebatte und Museumspraxis
SAMMLUNGSSTRATEGIEN IM 21. JAHRHUNDERT IN DER PRAXIS
AIDS Memorial Quilts From mourning and activism to heritage objects
Referenzobjekte der Jetztzeit. 2000 – 2010. Ein Projekt des Deutschen Hygiene-Museums zum Sammeln der Gegenwart
Bungalow und Wohncontainer. Neues Bauen im LVR-Freilichtmuseum Kommern am Rande der Gegenwart
Das soll Gegenwart sein? Zur Musealisierung der 1960er und 1970er Jahre in Freilichtmuseen
Objektlos, aber nicht gegenstandslos. Die Präsentation von Gegenwart in der Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums – Kulturen der Welt
Stills of our liquid times. An essay towards collecting today’s intangible cultural heritage
Summaries
Autorinnen und Autoren

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Sophie Elpers, Anna Palm (Hg.) Die Musealisierung der Gegenwart

Edition Museum | Band 3

Sophie Elpers, Anna Palm (Hg.)

Die Musealisierung der Gegenwart Von Grenzen und Chancen des Sammelns in kulturhistorischen Museen

Gefördert mit Mitteln des Landschaftsverbandes Rheinland und der Bonner Gesellschaft für Volkskunde und Kulturwissenschaften e. V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: kallejipp / photocase.de Konzeption & Redaktion: Sophie Elpers und Anna Palm Satz & Layout: EDV Service Bonn, Stephan Eickschen Übersetzungen: Susan Ring, Berlin Englisches Lektorat: Philipp Pletsch Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2494-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2494-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 Von Grenzen und Chancen des Sammelns von Gegenwart in kulturhistorischen Museen im 21. Jahrhundert Eine Einführung Sophie Elpers und Anna Palm | 9

P ROGRAMMATIK UND THEORETISCHE A NSÄTZE DES S AMMELNS Museum 2.0, Museum 3.0, Europäische Ethnologie 0.0? Das Sammeln gegenwär tiger Alltagskultur als Aufgabe angewandter Wissenschaft Markus Walz | 31

From display cabinets to engine rooms An essay about collecting present-day culture in the city museum Stijn Reijnders, Gerard Rooijakkers and Hélène Verreyke | 51

Post the museum! Anmerkungen zur Migrationsdebatte und Museumspraxis Natalie Bayer | 63

S AMMLUNGSSTRATEGIEN IM 21. J AHRHUNDERT IN DER P RAXIS AIDS Memorial Quilts From mourning and activism to heritage objects Léontine Meijer-van Mensch and Annemarie de Wildt | 87

Referenzobjekte der Jetztzeit. 2000 – 2010 Ein Projekt des Deutschen Hygiene-Museums zum Sammeln der Gegenwar t Sandra Mühlenberend und Susanne Roeßiger | 107

Bungalow und Wohncontainer Neues Bauen im LVR-Freilichtmuseum Kommern am Rande der Gegenwar t Carsten Vorwig | 123

Das soll Gegenwart sein? Zur Musealisierung der 1960er und 1970er Jahre in Freilichtmuseen Julia Pedak | 147

Objektlos, aber nicht gegenstandslos Die Präsentation von Gegenwar t in der Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums – Kulturen der Welt Clara Himmelheber | 165

Stills of our liquid times An essay towards collecting today’s intangible cultural heritage Hester Dibbits and Marlous Willemsen | 177

Summaries | 199 Autorinnen und Autoren | 209

Vorwort

Die Musealisierung der Gegenwart nimmt in der aktuellen theoretischen Museumsdebatte sowie in der praktischen Museumsarbeit eine gewichtige Rolle ein. Der vorliegende Band widmet sich diesem Thema und legt dabei den Fokus auf das museale Sammeln der Gegenwart, den Auf bau neuer und die Weiterentwicklung bestehender Sammlungen. Die Idee zu diesem Buchprojekt entstand während der 7. Jahrestagung der Bonner Gesellschaft für Volkskunde und Kulturwissenschaften e. V. (BGVK) mit dem Titel „Das soll in die Ausstellung?!“ Musealisierung der Gegenwart. Von Grenzen und Chancen des Sammelns in kulturhistorischen Museen, die im Oktober 2012 im Siebengebirgsmuseum, Königswinter, und im Haus der Geschichte, Bonn, stattfand. So basiert die Mehrzahl der Artikel dann auch auf Vorträgen dieser Tagung. Sie werden ergänzt durch Beiträge von Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden, von wo aus viele engagierte Initiativen zum Sammeln der Gegenwart ausgehen. Die Herausgeberinnen sind der BGVK dankbar, dass sie die Publikation mitfinanziert und darüber hinaus auch mit Rat und Tat unterstützt hat. Insbesondere gilt der Dank dem ehemaligen Vorsitzenden Stephan Eickschen, der fachkundig Satz und Layout dieses Bandes übernommen hat. Ohne die finanzielle Förderung des Landschaftsverbands Rheinland wäre die Publikation nicht möglich gewesen – so möchten wir uns herzlich beim LVR und namentlich bei Herrn Dr. Norbert Kühn für die Unterstützung bedanken. Dem transcript Verlag danken wir für die Aufnahme der Publikation in die neue Reihe Edition Museum und für die gute Betreuung. Philipp Pletsch und Susan Ring danken wir für das englische Lektorat und die Übersetzungen der Zusammenfassungen der Artikel ins Englische.

Nicht zuletzt möchten wir den Autorinnen und Autoren dieser Publikation für die gute Zusammenarbeit danken. Wir sind überzeugt davon, dass ihre Beiträge zu weiteren fruchtbaren Diskussionen anregen werden. Sophie Elpers und Anna Palm

Von Grenzen und Chancen des Sammelns von Gegenwart in kulturhistorischen Museen im 21. Jahrhundert Eine Einführung Sophie Elpers und Anna Palm Museumskuratoren mit Einkaufswagen in Supermärkten auf eilender Stöberexpedition; Wissenschaftler, die als Trendwatchers Aufträge für Museen ausführen; verwirrte Freilichtmuseumsbesucher, die rätseln, ob sie in die aktuelle Wärterwohnung eingedrungen sind oder sich tatsächlich in einem Ausstellungsobjekt befinden; der erstaunte Ausruf „Das soll ins Museum – ach so?“ und das freudige Erkennen „Ach ja – das habe ich auch!“; die Logos der nationalen Inventare des immateriellen Kulturerbes auf Museumsplakaten – all jene Bilder gehören zur „Musealiserung der Gegenwart“, deren theoretische wie praktische Fragenkomplexe in dieser Publikation zentral stehen. Thematisiert wird die Entwicklung, dass sich kulturhistorische Museen in ihren Sammlungs- und Ausstellungsstrategien stets mehr gegenwärtigen kulturellen und sozialen Realitäten zuwenden, wobei der Schwerpunkt des Bandes auf dem Sammeln liegt und den Fragen nachgegangen wird: Wie ist Gegenwart zu verstehen? Was bedeutet sie im und für das Museum? Wer sind die Sammelnden, wie und was genau wird gesammelt? Wo liegen Chancen und wo Grenzen?

G EGENWART Auf die Frage, was Gegenwart ist und wo sie beginnt, finden sich bei einem Streifzug durch kulturhistorische Museen verschiedene Antworten. Sie basieren zumeist auf dem historischen Ansatz, dass bestimmte poli-

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tische, ökonomische, soziale oder kulturelle Ereignisse und Phänomene aus dem sogenannten Vergangenen dermaßen relevant sind für das Jetzt, in das sie hineinreichen und eingreifen, dass sie zur Gegenwart gezählt werden. Ebenso maßgeblichen Einfluss haben Zukunftsentwürfe auf die Gegenwart. Jede Gegenwart, so argumentiert der Historiker Koselleck, ist damit von sich aus diachron.1 So wird Gegenwart von vielen Museen als eine noch andauernde und in die Zukunft hin offene Epoche interpretiert und konstruiert, über deren Beginn bestimmte Vorstellungen bestehen. Je nach thematischer Ausrichtung der Museen – und damit unter unterschiedlichen Blickwinkeln und Bedeutungszuschreibungen – wird der Anfang der Gegenwart in die 1950er Jahre (Stichwörter: Arbeitsmigration, Nachkriegszeit, Entstehung neuer Siedlungsformen), die 1960er Jahre (Stichwörter: Ära J.F. Kennedy, Massenkonsum der Telefone, Automobile und TV-Apparate2), die 1970er Jahre (Stichwort: Ölkrise, Ökologiebewegung3), in das Ende der 1980er und den Beginn der 1990er Jahre (Stichwort: Fall des Eisernen Vorhangs) oder in den Ausgang des 20. und den Beginn des 21. Jahrhunderts (Stichwörter: Digitale Revolution oder nine eleven) gelegt. Darüber hinaus wird die Musealierung selbst als Vorgang zwischen Gegenwart und Vergangenheit thematisiert. Dinge verlassen im Moment der Musealisierung ihren ursprünglichen Kontext – werden sie damit nicht auch aus der Gegenwart enthoben? Aber: ist nicht im Grunde vieles, das sich in Museen als Institutionen der Gegenwart befindet, auch ein Stück der Gegenwart, weil es durch den gegenwärtigen Blick der Kuratorinnen und Kuratoren sowie der Besucherinnen und Besucher geprägt und aus deren Gegenwart heraus interpretiert wird? Im vorliegenden Band beschäftigen sich vor allem die beiden Beiträge über Freilichtmuseeen mit den Aspekten der zeitlichen Begrenzung von Gegenwart. Der Museumstyp Freilichtmuseum, der sich mit Wohnund Siedlungsgeschichte im weitesten Sinn befasst, hat sich bis vor kur1 | K OSELLECK 2006, S. 21f. 2 | B ÖRGER 2010, S. 111. Hier spielt auch der Aspekt eine Rolle, dass der Anteil der 45-60-Jährigen der deutschen Bevölkerung am größten ist, was bezogen auf eine gemeinsame Gegenwart in Generationen gerechnet die 1960er Jahre miteinschließt; vgl. URL: www.destatis.de/bevoelkerungspyramide/ (Stand: 19.05.2013). 3 | B LOCH R AVN 2010, S. 116.

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zem meist ausschließlich mit der Vergangenheit der Alltagskultur bis in das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert beschäftigt. Bei der aktuellen Hinwendung zur Gegenwart kann aus sammlungsspezifischen Gründen – handelt es sich doch zu einem großen Teil um das Sammeln von Gebäuden – häufig nicht die gleiche Zeitnähe zum unmittelbaren Jetzt eingehalten werden wie bei anderen kulturhistorischen Museen. Das mag Einfluss darauf haben, dass insbesondere im Zusammenhang mit diesem Museumstyp Grenzen und Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit diskutiert werden. Carsten Vorwig bietet zunächst einen allgemeinen Überblick über die Aufnahme „historischer Gegenwart“ und „jüngster Vergangenheit“ in Sammlungen und Sonderausstellungen verschiedener Freilichtmuseen. Anschließend gibt er Einblicke in die Konzeption – und damit Sammlung – einer neuen Baugruppe zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im LVR-Freilichtmuseum Kommern und thematisiert Chancen, Herausforderungen sowie Grenzen im laufenden Sammlungsprozess. Julia Pedak dahingegen bewertet nachträglich die Selektion von Dingen an der Grenze zur Vergangenheit: In ihrer vorliegenden Analyse der dreiteiligen Sonderausstellung Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land, einem Gemeinschaftsprojekt der Freilichtmuseen in Fladungen, Bad Windsheim und Cloppenburg, liegt ihr kritischer Blick auf „Zeit-Gebilden“, die aus dem Jetzt heraus mithilfe von Objekten konstruiert werden. Die Gegenwart ist freilich komplexer als das Setzen von einfachen thematischen Zäsuren in der Zeit impliziert – sie ist geprägt durch zeitliche Verschränkungen, Ausdehungen und Verkürzungen. Gegenwart lässt sich nur zusammen mit Vergangenheit und Zukunft, zwischen denen sie liegt, denken. In der Gegenwart sind die Erfahrung aus der Vergangenheit und die Erwartung an die Zukunft enthalten; die Grenzen zwischen den Zeitabschnitten sind durchlässig und fließend.4 Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt Gegenwart als einen Stabilitätszeitraum, innerhalb dessen eine Gesellschaft eine „gemeinsame Gegenwart“ teilt, die aus einer Form des kollektiven Bewusstseins besteht, bedingt durch Faktoren wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Gegenwart ist die Periode des Gültigen, sie bietet eine relative Orientierungs-, Bewertungs-, Plan-

4 | Vgl. K OSELLECK 2006, S. 21f.; PAULISCH 2011 zitiert Sten Rentzhog; S TEPATH 2006, S. 47 und N OWOTNY 1995, S. 59.

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barkeits- und Erwartungssicherheit.5 In seiner Studie zur Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne stellt Rosa eine Schrumpfung der Gegenwart, einhergehend mit sozialer Beschleunigung, fest. Die Gegenwart werde immer kleiner und begrenzter, weil die Verfallsrate der Verlässlichkeit von Erfahrung und Erwartung größer werde.6 Anders formuliert: die Zahl der Jahre nimmt ab, die man zurückgehen muss, um eine im Hinblick auf heutige Lebenssichten veraltete Welt anzutreffen. Zugleich nimmt auch die Zahl der Jahre ab, in die man vorausblicken kann. Veränderungen erfolgen nicht mehr nur bei Generationswechsel, sondern in intergenerationalem Tempo.7 Die Zeiterfahrung der Gegenwart ist, nach Rosa, häufig bestimmt durch die „Steigerung der Zahl an Handlungsund Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit“.8 Die Episoden würden aber weder miteinander noch mit der eigenen Identität verknüpft, was zu Erlebnisreichtum, aber Erfahrungsarmut führe und letztendlich dem Gefühl, die Zeit laufe davon. Dies, zusammen mit Phänomenen wie Globalisierung, Transnationalisierung, Migration, Multikulturalisierung und Individualisierung, bewirkt Identitätskrisen und Unsicherheiten: die „Wiederentdeckung“ des Nationalen, Regionalen und Lokalen, von Heimat und Herkunft als haltgebende Elemente und damit einhergehend die Aufregungen um den Schutz materiellen und immateriellen Kulturerbes sind einige der Folgen.9 Das Bedürfnis und die Notwendigkeit, „die Gegenwart und die verschiedenen Standpunkte der Gegenwartsakteure zu klären [...] und Gegenwart über vermeintliche Gräben hinweg zu diskutieren“, wachsen.10 Kurt Imhof spricht in diesem Zusammenhang von einem „erhöhten Bedarf an Selbstverständigungsdiskursen“.11 Zugleich erlangt der Rückgriff auf Geschichte besondere Bedeutung: Die Beschäftigung mit der Vergan5 | Vgl. R OSA 2013, S. 23; siehe auch H ANDSCHIN u. a. 2012, S. 35; H ÄCHLER 2012, S. 140. 6 | Vgl. R OSA 2005, S. 133. 7 | Vgl. R OSA 2013, S. 25; siehe auch L ÜBBE 1998, S. 263f. 8 | R OSA 2013, S. 26f.; siehe auch R OSA 2005, S. 470. 9 | R OSA 2013, S. 25; I MHOF 2012, S. 62; zur Wiederentdeckung des Nationalen beispielsweise G ÖTZ 2011a und 2011b; R OODENBURG 2012; zur Bedeutung von Heimat etwa S EIFERT 2010; zum Kulturerbe TAUSCHEK 2013; D IBBITS u. a. 2009. 10 | H ANDSCHIN u. a. 2012, S. 35. 11 | Imhof 2012, S. 66.

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genheit macht den „Stress des Fortschritts“ aushaltbar und kompensiert die Zukunft.12 Zusammenfassend kann man, in den Worten Imhofs, von einem Bedarf an „vergangenheitsinformierter Gegenwartsvergegenwärtigung“ sprechen.13 Mit der Verkürzung der Gegenwart steigt der Zeitdruck, der auf ihr lastet. „Die [...] vorgezeichnete Zukunft rückt bedrohlich nahe an die Gegenwart heran“, so formuliert es die Soziologin Helga Nowotny.14 Sie spricht aber auch zugleich von einer „erstreckten“ Gegenwart als Gestaltungszeitraum, der die Zeitkategorie der direkten Zukunft ersetzt. In diesem Zeitraum müssen Lösungen für jetzige Probleme, aber auch für jetzt erkennbar anstehende gefunden werden – es herrscht ein Druck der Gestaltungsnotwendigkeit, aber zugleich existieren auch Gestaltungsmöglichkeiten.15

G EGENWART UND M USEUM Anknüpfend an die Diagnosen zur Beschaffenheit der Gegenwart können kulturhistorische Museen einen Beitrag leisten.16 Indem sie sich in ihren Sammlungs- und Ausstellungskonzepten Gegenwartsthemen öffnen, können sie Gegenwart in ihrem geschichtlichen Kontext wahrnehmbar machen und den Gegenwartsakteuren – ob es sich um Besucher handelt oder ob sie partizipierend in Sammeln und Ausstellen eingebunden sind – Raum für (Selbst-)Erfahrungen und (Selbst-)Reflektion bieten. Darüber hinaus können Museen Raum für sozialen und kulturellen Austausch zu Gegenwartsfragen schaffen. Dies postuliert etwa auch James Clifford im Rahmen der New Museology: Mit seinem Konzept Museums as Contact Zones fordert er dazu auf, Museen Begegnungsorte sein zu lassen.17 „Museumslaien“, Individuen und Gruppen, in einem Partizipationsprozess beim Sammeln und Ausstellen zu involvieren, kann in diesem Sinne als Sozialarbeit der Museen begriffen werden. Es können soziale Kohäsion 12 | Vgl. I MHOF 2012, S. 62, 65; siehe auch H ÖRZ 2013; L ÜBBE 1982, S. 18. 13 | I MHOF 2012, S. 49. 14 | N OWOTNY 1995, S. 51. 15 | Vgl. N OWOTNY 1995, S. 53, 60; siehe auch S TEPATH 2006, S. 55. 16 | Vgl. H ÄCHLER 2012, S. 140. 17 | C LIFFORD 1997.

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und Inklusion geschaffen werden und zugleich Bildungsarbeit geleistet und die Identifikation der Partizipierenden mit Museen gefördert sowie ihr Alltagswissen für museale Zwecke gesammelt werden.18 Insbesondere Stadt- und Regionalmuseen sind in dem Bereich aktiv, wobei partizipatives Sammeln und Ausstellen gerne auch mit weiteren sozialen Aktivitäten, wie dem Organisieren und Halten von Workshops zu akuten Themen, verbunden werden.19 Museen können sozial- und entwicklungspolitische Felder betreten, indem sie auf dringliche Probleme, Prozesse und Phänomene der Gesellschaft(en) reagieren und direkt wie indirekt Konzepte anbieten, wie Gegenwart und Zukunft auch außerhalb des Museums zu verstehen und zu gestalten sind.20 Sie können als orientierende Stabilitätsinstitutionen fungieren. Eine Voraussetztung dafür ist, dass zunächst aber das „Eigene“ hinterfragt und damit destabilisiert werden muss, was konfliktreich sein kann. Die vorliegenden Beiträge von Natalie Bayer sowie von Hester Dibbits und Marlous Willemsen setzen sich hiermit auseinander. Anhand der Themen Migration und Immaterielles Kulturerbe zeigen sie auf, wie das Sammeln und die Darstellung von Gegenwartsthemen orientierend, destabilisierend und zugleich stabilisierend wirken können. Dass dies aufgrund fehlender Reflexion auf gewählte Blickregime häufig jedoch auch nicht gelingt, ist dem Artikel von Bayer zu entnehmen, in dem die Migrationsmusealisierung zentral steht. Bayer fordert dazu auf, die Darstellung von safe stories, die auch von Stijn Reijnders, Gerard Rooijakkers und Hélène Verreyke in diesem Band abgelehnt werden, zu verlassen und in stärkerem Maße von einer ambivalenten, konfliktreichen und unklassifizierbaren Gegenwart auszugehen und ethnologisch-anthropologische Forschungen zu Transnationalität stärker in die museale Arbeit einzubeziehen. Die Methodik des Amsterdamer Projekts, das Dibbits und Willemsen vorstellen, schließt sich hier an. Es handelt sich dabei um

18 | Vgl. G ESSER u. a. 2012; M EIJER - VAN M ENSCH/TIETMEYER 2013; S IMON 2010; Neulich im Museumscafé 2011. Vgl. außerdem B ÖRGER 2010, S. 113 sowie K ORFF 2005, S. 6, die diesen Aspekt im Rahmen der Migrationsmusealisierung genauer diskutieren. 19 | Vgl. H OITSMA 2010 über das Rotterdamer Projekt ROFFA; Palm 2012; A NTOŠ/ DE W ILDT 2013, 46. 20 | Vgl. etwa F INCH 2012; K ORFF 2000, S. 167-178 sowie K ORFF 2005, S. 12.

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ein Laboratorium, das ausgehend von der super-diversity 21 der Gesellschaft immaterielles Kulturerbe zeigt, thematisiert, problematisiert und letztendlich sammelt. Sammeln wird dabei als fascettenreicher emotionaler Akt der Aushandlung von Bedeutungen unter unterschiedlichen partizipierenden Akteuren verstanden.

M USEUM UND G EGENWART Warum ist die Gegenwart so interessant für Museen? Und wie kommt sie in deren Sammlungen? Die Öffnung der Museen für Gegenwartsthemen erfolgte schrittweise und ist ein bis heute fortlaufender Prozess. Historisch betrachtet ist die Öffnung an vier markante Entwicklungsschritte der Institution Museum gebunden: Demokratisierung, Kontextualisierung, Kommerzialisierung und Besucherorientierung. Die Demokratisierung der Museen ist eine Entwicklung der späten 1960er und 1970er Jahre, die Museen auch für ein nicht bildungsbürgerliches Publikum attraktiver machen sollte. Zentral beschäftigt die theoretische wie praktische Museologie seitdem die Überwindung einer primär „hochkulturellen“ oder auf „exotische“ Kultur ausgelegten Sammel- und Ausstellungstätigkeit durch eine schrittweise Öffnung für gesellschaftliche und alltagskulturelle Themen der Gegenwart. Unter dem Leitbegriff der New Museology wurden und werden auch Aspekte der musealen Repräsentation und des „Museumsexpertentums“ hinterfragt sowie die Rolle des Museums als Institution der Gesellschaft und für die Gesellschaft neu verhandelt.22 Das Museum soll einem breiten Publikum eine offene Arena – etwa zum kulturellen Austausch – bieten sowie seine gesellschaftliche Rolle als Museum sammlungs- wie ausstellungstheoretisch hinterfragen. Alltagskultur breiter Bevölkerungsgruppen bot und bietet sich hier als ideale Brücke zum gesellschaftlichen Leben an, was die Museen aber auch sammlungstheoretisch wie -praktisch vor neue Herausforderungen stellt. Als bedeutendes Beispiel dieser Öffnung für aktuelle 21 | Mit super-diversity bezeichnet der Kulturanthropologe Steve Vertovec eine komplexe mehrdimensionale Diversifizierung der Gesellschaft, die es unmöglich macht, klare Identitätszuordnungen vorzunehmen. Vgl. V ERTOVEC 2007. 22 | Exemplarisch: R OSS 2004, S. 85. Ross bezieht sich hier u. a. auf H OP PER -G REENHILL 1992.

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gesellschaftliche Themenfelder gilt das schwedische Projekt Samdok, das 1977 gegründet wurde und vielfach in der Diskussion über das Musealisieren von Gegenwart rezipiert wird.23 Als Netzwerk kulturhistorischer Museen in Schweden – unabhängig davon, ob regional, lokal oder national oder themenspezifisch ausgerichtet – setze Samdok es sich zum Ziel, aktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse in die museale Arbeit zu integrieren und systematisch Gegenwart zu sammeln. 24 Ausgangspunkt des Sammelns waren hier nicht die Objekte – wie etwa in den Sammlungen des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts –, sondern konkrete Lebenswelten, die es in die museale Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit zu integrieren galt. Ethnologisch-anthropologische Feldforschung bildet seither einen, wenn nicht den wichtigsten Zugang zu den betreffenden Themen. Eine zweite Entwicklung hin zur Gegenwartsorientierung der Museen ist die Kontextualisierung. Seit den 1990er Jahren spielt die „biographische Methode“ in der Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit eine zunehmende Rolle.25 Objekte – zuvor in der musealen Präsentation primär dekontextualisiert – werden nun zusammen mit Funktionskontexten und Bedeutungszuschreibungen, zusammen mit dem Dinggebrauch und mit den Biographien ihrer ehemaligen Besitzerinnen und Besitzer präsentiert. Die Sammlungen der Dinge und ihre Dokumentation werden ergänzt durch Interview-, Foto-, Ton- oder Videomaterial über die jeweilige Mensch-Ding-Beziehung. Dieses Material wird zumeist in der Gegenwart mithilfe von Zeitzeugen generiert, wodurch die Gegenwart selbst ins Museum gelangt. Ebenso gelangt durch die Feldforschungsmaterialien allmählich auch immaterielles Kulturerbe in die Museen. Die dritte Entwicklung, die zur Aufnahme von Gegenwartsthemen in die museale Arbeit beigetragen hat, liegt im Museumsboom der 1980er und 1990er Jahre, in Budgetkürzungen und in der daraus folgenden zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung der Museen im Konkurrenzkampf mit und als Teil der Kulturindustrie begründet. Mehr

23 | Exemplarisch: K ISTEMAKER /TIETMEYER 2010; PAULISCH 2011. Die COMCOL, insbesondere die Working Group Contemporary Collecting gibt an, ihren Ursprung im Samdok-Projekt zu haben, vgl. K OK 2011. 24 | Vgl. A XELSSON 2011. 25 | K ISTEMAKER /TIETMEYER 2010, S. 6.

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denn je sind Museen von Besucherzahlen abhängig.26 Gegenwartsthemen, die für breite Bevölkerungsgruppen relevant sind, ermöglichen durch ihre Aktualität und thematische Breite, neue Zielgruppen und grundsätzlich mehr Museumsbesucherinnen und -besucher anzusprechen und sie zu unterhalten. In diesem Zusammenhang steht auch die vierte Entwicklung, die Besucherorientierung. Auf bauend auf den bereits thematisierten Entwicklungen werden seit den 1990er Jahren vermehrt Besucherinnen und Besucher in die museologische Arbeit mit einbezogen, was sich zunächst in der Durchführung von Besucherbefragungen zeigt. Ziel ist es, passgenauer auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Besuchergruppen einzugehen und ihre Gegenwart in die museologische Arbeit zu integrieren, nicht zuletzt durch partizipative Sammlungsstrategien. Bei der Vermittlung historischer Themen ist es seither ein gewünschter Ansatz vieler Museen, die Erfahrungswelt der Besucherinnen und Besucher einzubeziehen: Ihre eigenen Erfahrungen sollen als Anknüpfungs- und Referenzpunkte in Beziehung zu den ausgestellten historischen Objekten gesetzt werden. Wie solche Anknüpfungs- und Referenzpunkte geschaffen werden können, zeigt Clara Himmelheber in diesem Band am Beispiel der neuen Dauerausstellung des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums – Kulturen der Welt. Der Bezug zur Gegenwart und eigenen Lebenswelt der Besucherinnen und Besucher wird hier einerseits durch eine Neugliederung des alten Sammlungsbestandes mit Objekten, die primär aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert stammen, zu Themen, die kultur- und zeitübergreifend – wie etwa Wohnen, Religion, Kleidung – präsent sind, hergestellt. Andererseits werden durch gezielten und vielfältigen Medieneinsatz zusätzlich unmittelbare Bezüge zur Gegenwart aufgezeigt. Die Besucherinnen und Besucher werden so zu Reflexionsprozessen über Gegenwart und Geschichte angeregt. Gleichzeitig ist es dem Museum ein Anliegen, über den Einbezug der (ganz persönlichen) Gegenwart der Besucherinnen und Besucher deren eigene Kultur mit der dargestellten außereuropäischen und damit „fremden“ Kultur in einen Dialog zu bringen.

26 | Vgl. I MHOF 2012, S. 63, 66.

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S AMMELN UND G EGENWART Museum und Sammeln sind nahezu untrennbar miteinander verknüpft. Das systematische Sammeln von materiellen und immateriellen Zeugnissen von Gesellschaften bildet die Grundlage von Forschungs- und Ausstellungspraxis. Was bedeutet dies für das Sammeln von Gegenwart? Was ist sammlungswürdig und was nicht? Im Zusammenhang mit dem angezogenen Veränderungstempo der Gegenwart und damit, dass die Anzahl der Jahre abnimmt, die vergangen sein müssen, um eine veraltete Welt anzutreffen, verkürzt sich auch die Verfallsrate der (Alltags-) Dinge. Hat dies Auswirkungen auf museale Sammeltätigkeiten? Bedeutet es, dass sich auch das Sammlungstempo ändert? Müssen Museen als Trendwachters fungieren, weil die Dinge, die heute noch Alltag sind, morgen schon vergessen sein können? Immerhin haben Museen mit ihren Sammlungen von Kulturerbe auch die Funktion eines kollektiven Erinnerungsspeichers. Mehr noch: Der Wunsch, einen kollektiven Erinnerungsspeicher aufzubauen, ist selbst der Ursprung vieler Sammlungen. So interpretiert etwa die Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin Renate Flagmeier das Sammeln als „Schutz vor der Prozesshaftigkeit der Existenz und Unkontrollierbarkeit der Welt.“27 Hierbei bezieht sie sich auf den französischen Philosophen und Historiker Krzysztof Pomian, der ein Anwachsen privater wie öffentlicher Sammeltätigkeit seit dem 19. Jahrhundert als eine Reaktion auf den beschleunigten Wandel und die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Industrialisierung diagnostiziert.28 Diese kompensatorische Funktion des (privaten wie öffentlichen) Sammelns ist auch heute noch omnipräsent und lässt sich, wie Flagmeier es formuliert, „auf den gewachsenen Bedarf zurückzuführen, sich seiner Erinnerung zu versichern und dem ständig wachsenden Überfluss und immer schneller werdenden Verschwinden von Objekten in unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen.“29

Dabei stehen die Sammlungsobjekte im Kontext der Erinnerungsarbeit nicht nur für sich selbst – sie sollen insbesondere bestimmte Werte und 27 | F LAGMEIER 2012, S. 193. 28 | P OMIAN 1988, 1994. Siehe auch DE J ONG 2007. 29 | F LAGMEIER 2011, S. 193.

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Normen, Prozesse und Phänomene der betreffenden Zeit repräsentieren. In Ausstellungskontexten haben sie überdies eine Funktion als „Kommunikationswerkzeuge zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.“30 Sie müssen sich, aus dem ursprünglichen Gebrauchskontext herausgenommen, nicht nur als Materialisierungen der Erinnerung, sondern auch als Zeigewerke eignen, die ein Publikum zu „beeinflussen, anregen, bilden oder unterhalten“ vermögen.31 Denn durch die museale Inszenierung werden die Dinge oftmals in einer verfremdeten Perspektive präsentiert; es handelt sich meist nicht um reale Dingensembles, sondern um künstlich geschaffene Anordnungen, die den Betrachterinnen und Betrachtern allgemeinere Sinnkonstruktionen vermitteln sollen.32 Die Funktionalität der Dinge als Zeichen und Bedeutungsträger in der Erinnerungs- und Vermittlungsarbeit im Museum bündelt Pomian im Begriff „Semiophoren“, mit dem er Museumsobjekte beschreibt. Hieran sind besondere Anforderungen an das Sammeln, also die Auswahl der Dinge, geknüpft und bezogen auf das Musealisieren von Gegenwart ergeben sich noch einmal spezifischere Diskussionsfelder. Das Sammeln von Gegenwart wirft zunächst die Frage nach dem Was auf: Was soll eigentlich gesammelt werden? Dinge des alltäglichen Gebrauchs geraten aufgrund ihrer kurzen Verfallsraten schnell unter „Konservierungsschutz“33 aus Angst, dass sie verloren gehen können. Aufgrund begrenzter Finanzbugets im Kultursektor, aufgrund von Kapazitätsproblemen in den Depots, vor allem aber auch aufgrund inhaltlicher Kriterien, ist im Grunde immer eine thematische Begrenzung notwendig. Doch welche Themen können als sammlungswürdig klassifiziert werden? Der Zugang, um einen thematisch sinnvollen Auf bau von neuen Sammlungen und/oder die thematisch sinnvolle Erweiterung bestehender Sammlungen um materielle und immaterielle Kultur unserer Jetztzeit zu ermöglichen, ist die kontinuierliche Beobachtung und Analyse der Gegenwart im Bewusstsein ihrer Dynamik. Bei der Auswahl der Sammlungsobjekte, die hierauf beruht, muss außerdem berücksichtigt werden, dass sich die Dinge im Ausstellungskontext als Zeigewerke zur Wissensvermittlung eignen müssen. Mit solchen und ähnlichen Heraus30 | K ORFF 2002b, S. 143. 31 | K RAMER 2001, S. 662. 32 | Vgl. K ORFF 2002a, S. 283. 33 | N OWOTNY 1995, S. 73.

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forderungen beschäftigen sich das International Committee for Collecting (COMCOL), ein Ausschuss des International Council of Museums (ICOM), der 2010 gegründet wurde, und insbesondere dessen Arbeitsgruppe Contemporary Collecting. Ziel dieser Arbeitgruppe ist es, das Sammeln von Gegenwart zu fördern sowie dessen Praxis, Theorie und ethische Aspekte in einem Netzwerk von Museumsexpertinnen und -experten zu diskutieren, um dabei Fragen nach Strategien, Zuständigkeiten, Methoden und Themen des musealen Sammelns von Gegenwart in den Blick zu nehmen.34 Auch im jüngst erschienenen ICOM Code of Ethics for Museums ist museales Sammeln ein zentraler Punkt: Im Code sind übergreifende Leitlinien zur systematischen Pflege und zum Auf bau von Museumssammlungen zusammengetragen. „2.1 Collections Policy The governing body for each museum should adopt and publish a written collections policy that addresses the acquisition, care and use of collections. The policy should clarify the position of any material that will not be catalogued, conserved, or exhibited. […] 2.8 Working Collections The collections policy may include special considerations for certain types of working collections where the emphasis is on preserving cultural, scientific, or technical process rather than the object, or where objects or specimens are assembled for regular handling and teaching purposes.“35

Die hier zitierten Paragraphen aus dem zweiten Kapitel des Code of Ethics zeigen dreierlei: Erstens sind die Museumsleitungen dazu gehalten ihre Sammeltätigkeit in einer „collection policy“ genauer zu spezifizieren. Warum, wie und was soll systematisch gesammelt und bewahrt werden und wie sollen die Sammlungen gepflegt werden? Museales Sammeln wird somit methodisch hinterfragt.36 Die hier aufgeworfene Forderung nach Transparenz museologischer Arbeit lässt sich in Bezug setzen zu den offenen Depots zahlreicher Museen oder der gezielten Thematisierung musealen Sammelns in eigenen Abteilungen von Dauer- und Wech-

34 | Vgl. URL: http://network.icom.museum/comcol/who-we-are/working-groups (Stand: 08.12.2013) sowie K OK 2011. 35 | ICOM Code of Ethics for Museums (2013), S. 3-4. 36 | Vgl. exemplarisch VAN M ENSCH 2010, S. 5.

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selausstellungen37, um den Besucherinnen und Besuchern einerseits Verständnis für die Institution Museum und für museales Sammeln zu vermitteln und sich andererseits selbst als Museum in der eigenen gegenwärtigen Sammeltätigkeit zu hinterfragen. Wie eine solche „collecting policy“ konkret aussehen und umgesetzt werden kann, zeigt der vorliegende Beitrag von Sandra Mühlenberend und Susanne Roeßiger. Die Autorinnen stellen das Sammlungsprojekt Referenzobjekte der Jetztzeit. 2000-2010 des Deutschen Hygiene-Museums Dresden vor und geben Einblick in eine aktive thematische Sammlungsstrategie, die an den Themen der „alten“ Sammlung ansetzt und diese sinnvoll und systematisch mit Gegenwartsobjekten zu ergänzen sucht. Dies erfolgt auf Basis von Diagnosen der gegenwärtigen Gesellschaft durch eine kontinuierliche Medienanalyse der Museumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Eng verbunden mit der Betrachtung von Sammlungsmethoden ist zweitens der übergeordnete Zweck der Sammlung, der auf die Erinnerungs- und Ausstellungsarbeit von Museen Bezug nimmt. So ist die Dokumentation solcher Ereignisse, die gesellschaftlich und alltagskulturell (später: historisch) bedeutend sind, also gegenwärtig „Geschichte schreiben“, ein wichtiges Kriterium für die Objektauswahl und Sammeltätigkeit von kulturhistorischen Museen. Dass das Sammeln solcher „geschichtsträchtiger“, aber noch deutlich in der Gegenwart verorteter Objekte ethische Fragen und, einhergehend damit, äußerst emotionale Reaktionen hervorrufen kann, hat der niederländische Museologe Peter van Mensch 2010 in seinem Essay Against all norms and values anschaulich aufgezeigt.38 Er beschreibt, wie das Stadtmuseum Apeldoorn und das Historische Museum Rotterdam sich bemühten, zwei die niederländische gegenwärtige Gesellschaft prägende Ereignisse zu dokumentieren, indem sie die Pistole des tödlichen Attentats auf den rechten Politiker Pim Fortuyn (2002) und das Autowrack des missglückten Attentats auf die Königliche Familie, bei dem acht Todesopfer zu beklagen waren (2009), für ihre Sammlungen erwarben. Die Aufnahme in die Museumssamm-

37 | Verwiesen sei hier exemplarisch auf das Königliche Museum für Zentralafrika in Tervuren, das Museum der Weltkulturen in Frankfurt, das Openluchtmuseum in Arnhem und das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt. 38 | VAN M ENSCH 2010.

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lungen stieß auf öffentliche Proteste, die sie als unethisch stigmatisierten und somit implizit auch die museale Autorität in Frage stellten. In diesem Band beschäftigen sich Reijnders, Rooijakkers und Verreyke in ihrem Essay über Sammlungsstrategien von Stadtmuseen mit der Frage, welche Beschaffenheiten und Kriterien sammlungswürdige Objekte der Gegenwart erfüllen sollen und müssen. Sie plädieren dafür, dass nur Objekte mit individueller – insbesondere auch konfliktreicher – Geschichte, die sich in individuellen Gebrauchsspuren manifestiert, gesammelt werden, sowie für Bürgerpartizipation beim Sammeln. Dass Museen auch Wege finden können, Gegenwart in ihre Ausstellungen und Sammlungen zu integrieren, ohne neue Objekte zu erwerben, und zwar durch den Einsatz von Medien, wird im bereits genannten Beitrag von Himmelheber veranschaulicht. Der dritte Aspekt der oben zitierten Passagen aus dem Code of Ethics bezieht sich auf die Frage, wie mit immateriellem Kulturerbe und solchen Objekten umgegangen werden soll, die kulturelle und technische Prozesse veranschaulichen. Bayer, Reijnders, Rooijakkers und Verreyke sowie Dibbits und Willems stellen diesbezüglich die positiven Effekte der Einbindung von „Museumslaien“ in die gegenwartsbezogene Ausstellungsund Sammeltätigkeit heraus.

D IE A K TEURINNEN UND A K TEURE DES S AMMELNS Die Ansprüche, die an Museen gestellt werden, und die Aufgaben, die sie sich selber stellen, sind vielschichtig, teilweise auch widersprüchlich. Sie sollen Identität stiften, Plattformen für Kommunikation bieten, soziale und Experimentierräume sein, unterhalten und Erlebnisse schaffen, Bildungsorte, Erinnerungsspeicher sowie wissenschaftliche Institutionen sein und Transparenz der eigenen Institution herstellen. Von ihnen wird verlangt, zu stabilisieren und zugleich zu destabilisieren und das „Eigene“ zu hinterfragen.39 Diese Vieldimensionalität wirft die Frage auf, wer die Expertinnen und Experten sind, die die Ansprüche und Aufgaben bewältigen können, und welche Kompetenzen sie genau haben sollen. Insbesondere beim Sammeln und Ausstellen von Themen der Gegenwart treten unterschiedliche Akteure auf: von Kulturwissenschaftlern bis zu 39 | Vgl. G ORGUS 2012, S. 116; vgl. H EUMAN -G URIAN 2006, S. 14-18.

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partizipierenden Bürgern – Individuen und Communitys – als Alltagsexperten, von Museumspädagogen bis zu Eventmanagern und Inszenatoren sowie Künstlern. Das kann zur Folge haben, dass frühere Autoritäten hinterfragt werden und dass sich die tradierten Rollen und Aufgaben von Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in der Wissensproduktion mehr oder weniger tiefgreifend ändern, etwa in Richtung von „collaborators“ und „brokers“40, die zwischen Museum und verstärkt einbezogenem Publikum sowie zwischen Publikum und Museum vermitteln. Zwischen den Expertinnen und Experten kann es zu Interessenskonflikten und Konkurrenzen über Ziele, Blickregime und Deutungsmächte kommen, aber auch zu neuen Netzwerken und fruchtbarer Zusammenarbeit unter geteilter oder zentraler Verantwortlichkeit. Insbesondere die Einbeziehung von nicht professionellen Gegenwartsakteuren, deren Entwicklungsprozess mit dem Begriff participate turn beschrieben wird, ist aktuell ein vielbeachtetes und vieldiskutiertes Thema.41 Antoš und de Wildt unterscheiden bei der Bürgerbeteiling zwischen Prozess und Produkt. Während für „educators“ der Prozess im Mittelpunkt steht, liegen die Interessen der Museumskuratorinnen- und -kuratoren mehr beim Produkt.42 Abgesehen davon, dass es hierbei etwa zu Zielkonflikten kommen kann, können Museen im Rahmen des partizipativen Sammelns mit Eigentumsfragen, die ausgehandelt werden müssen, konfrontiert werden, wie Léontine Meijer-van Mensch und Annemarie de Wildt in ihrem vorliegenden Artikel zu der eventuellen Aufnahme eines AIDS Memorial Quilts in das Amsterdam Museum darlegen. Die geplante Musealiserung des Quilts, der sich noch im Eigentum der Erinnerungsgemeinschaft, die ihn hergestellt hat, befindet, erweckt bei dieser die Sorge, dass eine Verfremdung stattfinden kann. Meijer-van Mensch und de Wildt schlagen aus diesem Grund eine Form des „shared ownership“ vor. Während das Thema der Expertinnen und Experten in nahezu jedem Aufsatz dieses Bandes reflektiert wird, und zwar anhand der konkreten Sammlungspraxis, nähert sich Markus Walz der Problematik der unterschiedlichen Expertinnen und Experten in seinem Artikel theoretisch. Er zeichnet ein Bild von fünf Konkurrenzfeldern, in denen verschiedene

40 | P ROCTOR 2010, S. 35. 41 | Vgl. G ESSER u. a. 2011; M EIJER - VAN M ENSCH/TIETMEYER 2013. 42 | A NTOŠ/W ILDT 2013, 53.

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Motivationsfaktoren wirken, insbesondere auch „sammlungsfremde“ – negative Signale für eine wissenschaftliche Sammlungsarbeit, so Walz. Mit Waltz’ Beitrag über die Akteurinnen und Akteure steigt dieser Band in die theoretische Diskussion zum Thema Sammeln von Gegenwart ein, die den ersten Teil der Publikation bildet. Der theoretische Teil umfasst ebenso den Beitrag von Reijnders, Rooijakkers und Verreyke zu Sammlungsstrategien von Stadtmuseen, Museen, die im Besonderen eine Hinwendung zur Gegenwart zeigen, sowie den Beitrag von Bayer zur Musealisierung von Migration, einem der zentralen Themen der Gegenwart. Der sich anschließende zweite Teil knüpft mit Aufsätzen aus der und über die konkrete Sammelpraxis kulturhistorischer Museen an die theoretischen Positionen an. Zunächst behandeln Meijer-van Mensch und de Wildt ein Beispiel aus der Praxis des Amsterdamer Stadtmuseums in Zusammenarbeit mit der Reinwardt Akademie für Museologie sowie Mühlenberend und Roeßiger ein Projekt des Deutschen Hygiene Museums Dresden. Damit werden zwei unterschiedliche Sammlungsstrategien thematisiert – die eine mit partizipativen Strukturen, die andere ausschließlich basierend auf der Expertise der Kuratorinnen und Kuratoren. Vorwig und Pedak richten sodann den Blick auf freilichtmuseale Sammelpraxen, insbesondere der Museen in Kommern, Fladungen, Bad Windsheim und Cloppenburg. Mit dem Beitrag von Himmelheber zum Kölner Rautenstrauch Joest-Museum – Kulturen der Welt wird der Fokus auf Strategien gelegt, bei denen man sich zwar für die Aufnahme von Gegenwart entschieden hat, jedoch gegen das Sammeln von Objekten. Zum Schluss der Publikation werden die „klassischen“ Museen und das Sammeln materieller Kultur verlassen: Der Essay von Dibbits und Willemsen stellt das Sammeln immateriellen Kulturerbes durch die Amsterdamer Kulturorganisation Imagine IC in den Mittelpunkt. Mit dem Sammeln immateriellen Kulturerbes werden Museen auch im Zusammenhang mit den nationalen Ratifizierungen des UNESCO-Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes zunehmend konfrontiert. Der vorliegende Band vereint Beiträge aus der deutschen wie niederländischen Museumstheorie und praktischen Sammeltätigkeit, sodass das Thema binational umrissen wird. Durch die Vielfalt an Perspektiven möchte der Band die verschiedenen Akteurinnen und Akteure des Feldes anregen, sich vertiefend mit den Grenzen und Chancen des Sammelns von Gegenwart in kulturhistorischen Museen auseinanderzusetzen.

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L ITER ATUR Zvjezdana Antoš; Annemarie de Wildt: The museum goes shopping. Collecting entrepreneurs – a comparison between city and ethnographic museums. In: Léontine Meijer-van Mensch; Elisatbeth Tietmeyer (Hg.): Participative Strategies in Collecting the Present. Erschienen als Berliner Blätter 63 (2013), S. 45-55. Bodil Axelsson: Samdok – Documenting and Networking the Nation as it Evolves. In: Martin Fredriksson (Hg.): Current Issues in European Cultural Studies (Papers from the Conference “Current Issues in European Cultural Studies”, June 15-17, Norrköping, Sweden 2011). Linköping 2011, S. 175-182. Thomas Bloch Ravn: Our way of collecting the (almost) contemporary. In: Quotidian. Dutch Journal for the Study of Everyday Life 2 (2010), S. 115-120. Jacques Börger: The Contemporary, the City and the City-museum. In: Quotidian. Dutch Journal for the Study of Everyday Life 2 (2010), S. 111-114. James Clifford: Museums as Contact Zones. In: Ders. (Hg.): Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century. Cambridge 1997, S. 188-219. Hester Dibbits; Sophie Elpers; Peter Jan Margry; Albert van der Zeijden: Immaterieel erfgoed en volkscultuur. Almanak bij een actueel debat. Amsterdam 2009. Matthias Dreyer; Rolf Wiese (Hg.): Das offene Museum. Rolle und Chancen von Museen in der Bürgergesellschaft. Ehestorf 2010. Julie Finch: Die Zukunft ausstellen. M Shed – ein Museum über Zukunft und Vergangenheit. In: Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011, S. 46-51. Renate Flagmeier: Partizipativ sammeln – (wie) geht das im Museum? In: Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011, S. 192-202. Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und

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User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011. Nina Gorgus: Eigentlich kein Museum: das Écomusée in Frankreich. Ein Rückblick oder auch ein Ausblick auf das partizipative Museum? In: Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011, S. 109-118. Irene Götz (a): Zur Konjunktur des Nationalen als polyvalenter Vergemeinschaftungsstrategie. Plädoyer für die Wiederentdeckung eines Forschungsfeldes der Europäischen Ethnologie. In: Zeitschrift für Volkskunde 107, 2 (2011), S. 129-154. Irene Götz (b): Deutsche Identitäten. Die Wiederentdeckung des Nationalen nach 1989. Köln/Weimar/Wien 2011. Beat Hächler: Gegenwartsräume. Ansätze einer sozialen Szenografie im Museum. In: Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011, S. 136-145. Martin Handschin; Sibylle Lichtensteiger; Detlef Vögeli: Gegenwart als Kernthema und Partizipation als Selbstverständnis: das Stapferhaus Lenzburg. In: Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011, 33-40. Elaine Heuman-Gurian: Civilizing the Museum. London/New York 2006. Sjouk Hoitsma (Hg.): Roffa 5314. Stijl van Zuid. Rotterdam 2010. Eilean Hooper-Greenhill: Museums and the Shaping of Knowledge. London 1992. Peter F. N. Hörz: Fluchtweg „Volkskultur“? Oder: Weshalb es Sinn macht, den Gedanken der „Kompensation“ nicht ad acta zu legen. In: Sabine Eggmann; Karoline Oehme-Jüngling (Hg.): Doing society. „Volkskultur“ als gesellschaftliche Selbstverständigung. Basel 2013, S. 79-97. ICOM Code of Ethics for Museums (2013), URL: http://network.icom. museum/f ileadmin/user_upload/minisites/comcol/pdf/code_ ethics2013_eng.pdf (Stand: 17.11.13).

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Kurt Imhof: Die Musealisierung des Aktuellen: eine Kritik. In: Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2011, S. 61-67. Ad de Jong: Die Dirigenten der Erinnerung. Musealisierung und Nationalisierung der Volkskultur in den Niederlanden 1815-1940 (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, 110). Münster 2007. Renée E. Kistemaker; Elisabeth Tietmeyer: Collecting the present – historical and etnographical approaches: the case of entrepreneurs. In: COMCOL newsletter 11 (2010), S. 5-9. Arjen Kok: COMCOL Working Group on Contemporary Collecting. In: COMCOL newsletter 16 (2011), S. 17. Gottfried Korff (a): 13. Dinge. Form, Funktion, Bedeutung. In: Ders.: Museumsdinge deponieren – exponieren. Köln u. a. 2002, S. 283-297. Gottfried Korff (b): Zur Eigenart der Museumsdinge. In: Ders.: Museumsdinge deponieren – exponieren. Köln u. a. 2002, S. 140-145. Gottfried Korff: Fragen zur Migrationsmusealisierung. Versuch einer Einleitung. In: Henrike Hampe (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. Münster 2005, S. 5-15. Reinhart Koselleck: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Frankfurt a. M. 2006. Dieter Kramer: Museumswesen. In: Rolf W. Brednich (Hg.): Grundriß der Volkskunde, 3. Aufl. Berlin 2001, S. 661-685. Hermann Lübbe: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen. Leeds 1982. Hermann Lübbe: „Gegenwartsschrumpfung“. In: Klaus Backhaus; Holger Bonus (Hg.): Die Beschleunigungsfalle oder der Triumph der Schildkröte. 3. erweiterte Ausgabe. Stuttgart 1998, S. 129-164. Léontine Meijer-van Mensch; Elisatbeth Tietmeyer (Hg.): Participative Strategies in Collecting the Present. Erschienen als Berliner Blätter 63 (2013). Peter van Mensch: “Against all norms and values”: Dilemmas of collecting controversial contemporary objects. In: COMCOL newsletter 11(2010), S. 3-5. Neulich im Museumscafé. Eine Gesprächsrunde über Museen und Alltagskultur mit Diana Dressel, Udo Gößwald, Joachim Kallinich,

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Leonore Scholze-Irrlitz und Elisabeth Tietmeyer. In: Friedrich von Bose; Kerstin Peohls; Franka Schneider; Annett Schulze (Hg.): Museum x. Zur Neuvermessung eines mehrdimensionalen Raumes. Erschienen als Berliner Blätter 57 (2011), S. 98-110. Helga Nowotny: Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls. 2. Auflage. Frankfurt a. M. 1995. Anna Palm: „Buurtwinkels“ – ein niederländisches Ausstellungsprojekt im Kontext von Migrationsmusealisierung und ethnologischer Aufgabe. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 39 (2011/12) [erschienen 2013], S. 163-184. Svante Paulisch: Post-conference reflections: “The present” as a field of research. What could COMCOL learn from Samdok? In: COMCOL newsletter 16 (2011), S. 12-14. Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Berlin 1988. Krzysztof Pomian: Sammlungen – eine historische Typologie. In: Andreas Grote (Hg.): Macrocosmos in microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800. Opladen 1994, S. 107-128. Nancy Proctor: Digital: museum as platform, curator as champion, in the age of social media. In: Curator 53 (2010), S. 35-43. Herman Roodenburg: De “Nederlandsheid” van Nederland. Een nieuw project aan het Meertens Instituut. In: Volkskunde. Tijdschrift voor de studie van het dagelijks leven 113, 2 (2012), S. 203-212. Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeistrukturen in der Moderne. Frankfurt a. M. 2005. Hartmut Rosa: Beschleunigung und Entfremdung. Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit. Frankfurt a. M. 2013. Max Ross: Interpreting the new museology. In: Museum and Society 2, 2 (2004), S. 84-103. Manfred Seifert (Hg.): Zwischen Emotion und Kalkül. „Heimat“ als Argument im Prozess der Moderne. Leipzig 2010. Nina Simon: The participatory museum. Santa Cruz 2010. Katrin Stepath: Gegenwartskonzepte. Eine philosophisch-literaturwissenschaftliche Analyse temporaler Konzepte. Würzburg 2006. Markus Tauschek: Kulturerbe. Eine Einführung. Berlin 2013. Steve Vertovec: Super-Diversity and Its Implications. In: Ethic and Racial Studies 30, 6 (2007), S. 1024-1054.

Programmatik und theoretische Ansätze des Sammelns

Museum 2.0, Museum 3.0, Europäische Ethnologie 0.0? Das Sammeln gegenwärtiger Alltagskultur als Aufgabe angewandter Wissenschaft Markus Walz

A USGANGSL AGE : HER AUSFORDERNDE V IELFALT DER E RWERBSOP TIONEN In der Gegenwart ist jedes Sammelverhalten möglich, nahezu jedes Desiderat erhältlich, jede Kontextinformation recherchierbar. Die Mengenbewältigung ist allerdings ein Problem – im Gegensatz zu den letzten auf dem legalen Kunstmarkt beschaff baren Antiken. Nützliche Praxistipps sind rar. Der „Curator for contemporary life“ am walisischen Nationalmuseum in Cardiff berichtet von einer Wechselausstellung zu Punkrock und Einladungen an unterschiedliche Communitys zu jeweils einer Intervention in der Dauerausstellung walisischer Tracht – beides ohne Niederschlag in der Sammlung, weil die punkigen Dinge aus einer Privatsammlung kamen und die kommentierenden Präsentationen nur fotografisch festgehalten sind.1 Ähnlich punktuelle Beispiele berichtet das Münchner Stadtmuseum: schwarze Lederkleidung als Geschenk eines Fetischclub-Mitglieds und das Badezimmer einer 1978 gegründeten alternativen Wohngemeinschaft; konzeptuell denkt die Direktorin einerseits an sich einzelnen Themen nur befristet widmendes Sammeln, anderseits erwartet sie, dass Musealien „zumindest ansatzweise auf ihre mehrdimensionalen Aussagemöglichkeiten befragt und damit thematisch erschlossen 1 | Vgl. R HYS 2011, S. 42, 81.

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werden“.2 Das Rheinische Industriemuseum argumentiert umgekehrt für ein thematisch gebundenes, punktuell fluides Sammlungskonzept, für „die Mischung aus strukturierenden, sehr festgelegten Kriterien, bei uns sind es die Leitfragen und die definierten Sammlungsbereiche sowie einige Traditionslinien, einerseits und einem offenen, neugierigen, teilnehmenden Konzept auf der anderen Seite“.3 Ein anderes Rezept empfiehlt Gegenwartsmaterial sammelnde Privatleute als Bezugsquelle, weil sie mehr Zeit und Energie, auch einen Sinn für Ausgefallenes haben und so die Sicht auf breitere Dingwelten, zugleich auf zeittypische Interessen eröffnen.4 Einigkeit besteht nur in der Ablehnung des sogenannten Rettungsgedankens aus dem 19. Jahrhundert. In der angelsächsischen Literatur kursiert allerdings eine junge Verwandte dieses Vollständigkeitsstrebens, die Auftrennung des Sammelns in Akquise und Akzession (Synonyme: primäre und sekundäre Selektion, Erwerb und Museifizierung5): Möglicherweise Relevantes wird ohne detaillierte Prüfung erworben, um daraus in späteren Jahren treffsicherer auszuwählen, erst dann der Sammlung zuzuführen oder zu entsorgen. Der Preis dafür sind große Materialmengen, die mit dokumentarischen Rohdaten versehen und verantwortlich eingelagert werden müssen. Plausible Ideen zur Reduktion der Sammlungsmenge liefern Bergbau- und Landwirtschaftsmuseen, die beide von buchstäblich handlichen Geräten zu Automaten mit Ausmaßen jenseits jedes Gebäudevolumens voranschreiten und auf „Re-Repräsentationen“ der Großgeräte ausweichen (Anschauungs- und Funktionsmodelle, Multimediadokumentationen), wobei die Großgeräte allenfalls durch symbolische Einzelteile in die Sammlung eingehen. Den gleichen Ansatz belegen Versandhauskataloge anstatt zahlloser Gebrauchsgüter. Diese pragmatischen Verfahren verändern den Darstellungsbezug – eine herausgehobene Katalogpräsentation sagt viel über den erwünschten Warenabsatz, vielleicht auch über ermittelte Marktchancen, aber nur wenig über die lebenspraktische Relevanz. Die systematische Herleitung der Sammlungsbreite und -tiefe, analog zum bibliothekarischen Conspectus-Verfahren, aus den Erfordernissen 2 | F EHLE 2012, S. 51. 3 | G OT TFRIED 2003, S. 19, 21. 4 | Vgl. R HYS 2011, S. 41; vgl. außerdem C ONNAH 1999, S. 10. 5 | Vgl. M ENSCH 1992, Kap. 18 [keine Seitenzählung].

Museum 2.0, Museum 3.0, Europäische Ethnologie 0.0?

und Möglichkeiten6 setzt eine bekannte Struktur des Sammelgebiets mit ermittelbarer Maximaltiefe voraus; das ist bei klassifikatorischen Sammlungen (Stühle, Schmetterlinge als Beispiele) problemlos, während sich thematische Konzepte durch wechselnde kulturelle Praxen und darin fließende Dingbezüge einer zeitalterunabhängigen Festlegung zu sammelnder Dinggattungen und deren Variantenmenge entziehen.

B EST P R ACTICE : S AMDOK Das schwedische Dauerprojekt Samdok ist wohl das meistzitierte Beispiel für Gegenwartssammlung. Dieses Netzwerk aus (heute) achtzig Museen unterschiedlicher Größe, einigen Forschungsinstituten und Archiven 7 besteht seit 1977; der Name leitet sich aus den schwedischen Wörtern für Gegenwart, samtid, oder Zusammenarbeit, samarbete, und Dokumentation her. Samdok ist ein dezentrales Forschungs- und Sammelprojekt: Mitgliedsmuseen entscheiden sich zur Mitarbeit in einer oder mehreren Arbeitsgruppen, die ihrerseits Arbeitsprogramme entwickeln und auf regelmäßigen Treffen koordinieren. Trotz der höheren Effizienz durch Arbeitsteiligkeit zieht auch Samdok die Kritik an, sich der Illusion von Vollständigkeit hinzugeben und Sammlungslücken zu lassen. 8 Die Bevorzugung der Feldforschung beweist die Nähe zur Europäischen Ethnologie; häufig werden Projekte aus der Frühzeit von Samdok zitiert, die durch regelmäßige Wiederholungen von Forschungs- und Sammelkampagnen vergleichbare Dingreihen zusammenbrachten.9 Schon im ersten Programm von Samdok (1981) sind aber die Menschen (und nicht etwa die Dinge) Ausgangspunkt aller Fragen, kulturelle Praxen (Erwerbstätigkeiten, häusliches Leben) geben die erste Gliederung der Arbeitsgruppen her.10 Multiperspektivität ist Programm, beispielsweise in der Arbeitsgruppe Gesellschaft und Politik anlässlich der Hochzeit von Kronprinzessin Victoria und Daniel Westling 2010: Interviews, Feldforschung, Fotodokumentationen in mehreren Städten, aber auch in 6 | Vgl. WALZ 2007, S. 27f. 7 | Vgl. F ÄGERBORG 2011, S. 123f. 8 | Vgl. PAULISCH 2008, S. 63. 9 | Vgl. S JÖLIN 2003, S. 11f., 14. 10 | Vgl. PAULISCH 2008, S. 55 f.

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Privathaushalten und Seniorenheimen, teilnehmende Beobachtung einer antiroyalistischen Dinnerparty, ein Internetaufruf zu Tagebüchern dieses denkwürdigen Tages – und wie nebenbei noch eine Sammlung Ereignis-Souvenirs.11 In einigen Arbeitsgruppen stand das Sammeln von Musealien nie im Fokus, um 2000 scheint generell die „Ausrichtung auf die materielle Kultur und das Sammeln von Gegenständen in den Hintergrund zu geraten“.12 Ein internationales Projekt skandinavischer und estnischer Museen nutzt das Thema Brot in den nordischen Ländern für eine Multimediaproduktion, nicht etwa als Sammelanlass.13

F R AGESTELLUNG Offensichtlich gilt Nixdorffs Beobachtung von 1980 unverändert, dass Gegenwartssammlungen entweder formtypologische Entwicklungsreihen sind oder aber von sozialen, wirtschaftlichen, politischen Aspekten ausgehen und Dingen neben Medien allenfalls eine gleichwertige Rolle zukommt.14 Da überörtliche Koordination, Restriktion und Protektion – trotz aller Anläufe zu Museumsentwicklungsplänen – fehlen, interessieren im vorliegenden Beitrag die Rahmenbedingungen für eine wissenschaftlich begründete Gegenwartssammlung im deutschen Museumswesen. Da offensichtlich neben der Europäischen Ethnologie andere Akteurinnen und Akteure Sammlungsentscheide für die Repräsentation der Gegenwart treffen, werden nachfolgend fünf Konkurrenzfelder gesichtet, um die Handlungsbeschränkungen und Handlungsfreiräume für Museumsarbeit als angewandte Wissenschaft zu erkunden: Wer soll und will Sachkultur der Gegenwart auf ihre Relevanz als künftige Sachzeugen der Gegenwartskultur prüfen und dann das Signifikante auswählen?

11 | Vgl. F ÄGERBORG 2011, S. 127. 12 | Vgl. S JÖLIN 2003, S. 12, 16. 13 | Vgl. F ÄGERBORG 2011, S. 129. 14 | Vgl. N IXDORFF 1980, S. 116f.

Museum 2.0, Museum 3.0, Europäische Ethnologie 0.0?

A LTE K ONKURRENZ : K ENNERSCHAF T – K ÖNNERSCHAF T Die Volkskunde ist seit ihren Anfängen in außeruniversitären Vereinen gewöhnt, in einem unabgegrenzten Feld nicht nur neben verschiedenen Disziplinen – in der religiösen Volkskunde beispielsweise Theologie und Regionalgeschichte – zu arbeiten, sondern auch neben Personen ohne Qualifikation. Was als Zeitreihe erhofft war (aus dilettierenden volkskundlichen Vereinen erwächst eine professionelle jüngere Generation), verfestigte sich als Nebeneinander: Personen mit Enthusiasmus oder Lokalpatriotismus widmen sich Phänomenen, die die universitäre Wissenschaft entweder auch bearbeitet, für weniger relevant erachtet oder ganz unbearbeitet lässt. Das Etikett für Forschende ohne wissenschaftliche Qualifikation „Heimathirsch“15 verbalisiert die akademische Sicht auf Personen, die ihr Revier nicht als Forschungsfeld verstehen, sondern emotional aufladen; soziodemografisch erscheinen sie als lokale Bildungselite (allen voran Lehrkräfte) mit einer extremen Überproportionalität von Männern und, bei Heimat bemerkenswert, vielen nicht ortsbürtigen Personen.16 Anerkennung findet ihr Fleiß, unbekannte Phänomene und Details zutage zu fördern, deren Publikation als akademischer Steinbruch dienen kann. Analog dazu zeigen sich Lokalmuseen als zwei Hemisphären: Museen, in denen auf Zeitspendenbasis gearbeitet wird und die oft den Namen Heimatmuseum weiterführen, und solche mit entgeltlichem, akademisch qualifiziertem Personal, das entweder – wie in Berlin-Kreuzberg oder Berlin-Neukölln – den Traditionsnamen neu zu füllen versucht oder aber Ersatzbegriffe mit verdeckter akademischer Orientierung bevorzugt (die Kunstgeschichte mit Kulturgeschichtliches Museum, die Geschichtswissenschaft mit Historisches Zentrum oder Haus der Geschichte, während die Europäische Ethnologie einen namenlosen Bogen um alle Komposita mit Volk macht – zum Beispiel reLIgio als Neubezeichnung für Museum Heimathaus Münsterland). Diese Struktur schließt eine verdeckte Ungleichzeitigkeit ein, weil die Amateurinnen und Amateure oft unaktuelle Theorien und Methoden einsetzen; jüngere Gruppen, auch etliche Geschichtswerkstätten, neigen zur unkritischen Übernahme geläufiger Kategorien, typisch erscheinen 15 | J UNG 2010. 16 | Vgl. WALZ 2011/12, S. 254-266.

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Projekte des Musters Xdorf 1933–1945. Für die Gegenwartsrepräsentation sind Amateurmuseen insofern relevant, dass die meisten Ressourcen für Vergangenheiten verwendet werden: Die – verbreiteten, aber durchaus unbewussten – Echoeffekte zu Peßlers Musterkonzept für Heimatmuseen17 repräsentieren dessen erratisch zeitlos gesetzte lokale Kultur; beliebte Programme wie Omas Wäsche sind nur moderat in Epochen verortet. Beispielhaft heißt es über brandenburgische Lokal- und Regionalmuseen, dass sie Themen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg prinzipiell meiden; je näher die Ausstellungen an die Gegenwart heranrücken, desto mehr tritt politische Geschichte (statt Alltagskultur) als Hauptaspekt auf.18

U NGLEICHE K ONKURRENZ : E IGENTÜMERSCHAF T – E RFÜLLUNGSHILFE Museumsverantwortliche sind es gewohnt, dass die Rechts- und Unterhaltsträgerschaft kaum konzeptuelle Ansprüche artikuliert und ihren Willen, Museumsarbeit und deren Zweck allein zu bestimmen, klaglos akzeptiert. Dieses Vakuum füllen Fachkräfte und Museumsverbände mit Schlagwörtern ohne greif bare Wortbedeutung, die dennoch (oder gerade deswegen) auf breiten Konsens in Politik und Gesellschaft treffen. Die beliebtesten empty signifier sind sicherlich Kultur und Bildung, ferner Paraphrasen wie Museum für alle nach Hilmar Hoffmanns politischer Leitformel Kultur für alle 19 oder, parallel zur aktuellen Inklusionspolitik, die Propagierung der Museumsausstellung mit allen Sinnen20 (auch wenn es selten etwas zu Schmecken und zu Riechen gibt). Dieses eingeübte Laissez-Faire gerät gegenwärtig in mehrere neue Fahrwasser: Steigender Kostendruck legt Strukturvereinfachungen und die Nutzung von Synergien nahe; beispielsweise verschiebt die Verschmelzung von Stadtmuseum und Stadtarchiv zu einem Institut für 17 | Vgl. P E ß LER 1927. 18 | Vgl. S CHOLZE -I RRLITZ 2004, S. 10. 19 | H OFFMANN 1979. 20 | Als Beispiel dieser insbesondere in der Museumspädagogik beliebten Formulierung der Ausstellungstitel Das Alte Ägypten mit allen Sinnen. Eine Mitmachausstellung für die ganze Familie, Historisches Museum der Pfalz, Speyer, 2007/08.

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Stadtgeschichte das bisher disziplinär nicht oder mehrfach verortete Stadtmuseum (mit Anteilen aus Alltagskultur, Geschichte und Kunstgeschichte) in ein historiographisches Aufgabenfeld. Wachsende gesellschaftliche Ansprüche an die Regelschulen führen dazu, Leistungen verschiedener städtischer Einrichtungen, also auch der Museen, in die Konzepte der verlässlichen Schule oder Ganztagsschule einzubinden. Schwächer ausgeprägt, aber sinngleich sind gewollte Annäherungen an Volkshochschulen, Kindergärten oder Jugendfreizeitstätten. Solche neuen, lokal geprägten Zwecksetzungen kontrastieren mit einer deutlichen Uniformierungstendenz: Bei Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung neigen die kommunalen Spitzenverbände und die Innenministerien der Länder zu landeseinheitlichen Zielformulierungen. Baden-Württemberg verwendet für Museen insgesamt 114 Messwerte, davon betreffen neun Quantität oder Marktwert der Sammlungserweiterungen (viel und wertvoll scheint positiv zu sein); aus diesen 114 Werten werden acht herausgehoben, davon bezieht sich nur noch „Marktwert der Neuzugänge insgesamt“ auf Sammelaktivitäten.21 Sachsen begnügt sich mit fünf Messwerten, vier für Angebote der Museen, keiner für Aspekte des Sammelns.22 Auf protestierende Museumsfachleute wartet man vergebens, da diese Erfüllungshilfen der Museumseigentümerinnen durchaus nicht unwillig sind. Die deutsche Museumsstatistik zeigt, dass sich das Museumswesen gern an Besuchszahlen misst und hohe Besuchszahlen als Erfolge feiert; die Konzentration der Ergebniskontrollen auf die Kernaufgaben Ausstellen und Vermitteln bestärkt die Museumsleitungen darin, ergiebige Zielgruppen zur Leistungsabnahme zu mobilisieren. Die neue Aufmerksamkeit für Schulkooperationen erzeugt auch kein Leid, da der Schwerpunkt der Museumspädagogik häufig auf der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern liegt und so Bestätigung findet. Neuer Druck auf die

21 | B ADEN -W ÜRT TEMBERG 2006, S. 146-153. 22 | Kommunaler Produktplan für den Freistaat Sachsen. Gemeinschaftsprojekt des Sächsischen Staatsministeriums des Innern, des Sächsischen Städte- und Gemeindetages e. V., des Sächsischen Landkreistages sowie kommunaler Vertreter. Stand: 04.02.2009. URL: http://www.kommunale-verwaltung.sachsen. de/download/Kommunale_Verwaltung/Kommunaler_Produktplan.pdf (gesehen: 06.06.2013), S. 170.

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Museen führt deswegen zur Verfestigung der gewohnten Nachrangigkeit des Sammelns gegenüber dem Ausstellen.

N EUE K ONKURRENZ : K ULTURELLE G EMEINSCHAF T – K ULTURWISSENSCHAF T Wenig Aufmerksamkeit fand in Deutschland bisher die Formel von den „bestehenden Gemeinschaften“: Die Ethischen Richtlinien des International Council of Museums (ICOM) verlangen „Respekt vor den Gemeinschaften, denen die Museen dienen: Soweit Museumsaktivitäten eine bestehende Gemeinschaft oder ihr Erbe betreffen, sollen Erwerbungen nur auf der Grundlage gegenseitiger Information und Zustimmung erfolgen“.23 Diese Richtlinie stellt nonreaktive Forschungs- und Sammelmethoden infrage – befestigt mit der Apostrophierung als Demokratisierung24 der Museen. Übersetzt in die Europäische Ethnologie bedeutet dies, das Verstehen von Kulturphänomenen durch einen Aushandlungsprozess zu ersetzen, in welchem subjektive Vorstellungen fachliche Deutungen über die geforderte Zustimmung verdrängen können. Die Positionen trennt nur ein schmaler Grat angesichts der europäisch-ethnologischen Redewendung, dass die Beforschten die wesentliche Expertise bezüglich ihres eigenen Alltags besäßen. Es geht also nicht darum, Artikulationen der Angehörigen einer Kultur zu unterbinden, sondern um die zentrale Frage, ob diese Äußerungen mit der gewünschten Aussage identisch sind oder welche Aufgaben der Wissenschaft in der Herbeiführung, Analyse und Interpretation dieser Aussagen zukommen; anders gesagt, ob Soziokulturarbeit an die Stelle einer methodisch begründeten Feldforschungssammlung tritt. Diese Polarität hat sich in der museologischen Theorie bereits manifestiert als „alte“ und „neue“ Museologie. Analytisch ist letztere schwer zu greifen, da die Argumentationen zwischen einer flankierend-begleitenden Sozialarbeit und unternehmerischem Eigeninteresse oszillieren. So propagiert ein kenianischer Anthropologe, dass Museen in der betreffenden Community basiert und für diese relevant sein müssen; andererseits 23 | ICOM S CHWEIZ /ICOM D EUTSCHLAND/ICOM Ö STERREICH 2010, Ziffer 6.5. 24 | Vgl. H EIJNEN 2010, S. 21.

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schreibt er Museen politische Aufgaben zu, von Armutsbekämpfung bis Konfliktbewältigung, und erwartet, ganz der Museumsmarketer, „strategies to meet the community needs“.25 Knell entwirft ein Nebeneinander von disziplinär und identifikatorisch begründeten Museen. Erstere bleiben wissenschaftlich gesteuert, während die Identitätsproduktion von unten (oder innen?) kommen soll: „Collecting for this kind of museum must grow out of the community, it cannot be imposed.”26 Diese Bestimmung des Zielpublikums als Inhaltslieferant und -konsument widerspricht der postulierten Rolle von Museen als Agenturen des kulturellen Gedächtnisses, das über die Identität und Selbstidentifizierung der Angehörigen einer Kultur den „identifikatorischen Museen“ eng verwandt ist: Diese Rolle präsentiert sich entweder wissenschaftlich-analytisch (durch die Einreihung neben Gedenkstätten und Forschungsinstituten) oder hoheitlich-priesterlich (mit der Pflege von Ursprungsmythen, der Verehrung von Gottheiten).27 Beide Ausprägungen sprechen nicht für eine Freigabe der Kulturelle-Gedächtnis-Institutionen für die Deutungsmacht „von unten“. Hier müsste eine Grundsatzdiskussion anschließen über Spiegelungen oder reflexive Brechungen einer regionalen Identität, alternativ Orte, die Identitätsfaktoren unbearbeitet der Community zur gemeinsamen Aushandlung anbieten. Ferner wäre zu prüfen, ob nicht die altbekannte Gruppe der Kennerinnen und Kenner agiert, indem sie sich selbst Vertretungsbefugnis für eine kulturelle Gemeinschaft zuschreibt.

O FFENE K ONKURRENZ : E RBANSPRUCH UND E RBVERWALTUNG Eine andere Linie bietet der Modebegriff Kulturerbe. Die UNESCO folgt 1972 noch einem akademischen Verständnis von Denkmal, wenn sie zur Bestimmung als Kulturerbe geschichtliche, künstlerische (ästhetische) und wissenschaftliche Werte begründet sehen will;28 nach der Definiti25 | M HANDO N YANGILA 2006, S. 2, 6. 26 | K NELL 2004, S. 20. 27 | Vgl. A SSMANN 2009, S. 130; vgl. außerdem A SSMANN 2007, S. 52. 28 | Vgl. Art. 1 UNESCO Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt [dt. Übers. des Bundesgesetzblatts]. Paris, 16.11.1972. URL: http:// www.unesco.de/welterbe-konvention.html (gesehen: 06.06.2013).

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on des Europarates von 2005 entstammt Kulturerbe der Vergangenheit; (gegenwärtige) Menschen identifizieren es als Reflex und Ausdruck ihrer Werte, Glaubensvorstellungen, Kenntnisse und Traditionen.29 Lowenthal spießt diese Bestimmung heute wertgeschätzter Vergangenheit als „Heritage Fabrication“ auf; er sieht einen Unterschied zwischen Geschichte und Kulturerbe, weil Geschichte nach Wahrheit suche, während Kulturerbe auf Ignoranz und Irrtum gedeihe.30 Kulturerbe unterscheidet sich von „identifikatorischen Museen“, weil es ohne strikte In- und Exklusion auskommt: Der Kölner Dom ist Weltkulturerbe, ein Beleg europäischer Kultur, zumindest im 19. Jahrhundert ein Nationaldenkmal, aber zugleich Fetisch kölscher Heimatgefühle. Dieser freien Kombinatorik entspricht der 2005 vom Europarat neu proklamierte Terminus Heritage Community für „Menschen, die spezielle Aspekte des Kulturerbes wertschätzen und diese, im Rahmen öffentlichen Handelns, erhalten und künftigen Generationen überliefern wollen“.31 Hier erhalten wiederum Gemeinschaften zumindest eine Art Vetorecht, teils auch Setzungsberechtigung und damit ranghöheres Recht zugesprochen; Sondergut dieses Konzepts ist die individuelle Gestaltungsfreiheit: Am Anfang steht nicht die (unterstellte) stabile Existenz einer kulturellen Gemeinschaft und deren Identifikationsbedarf, sondern eine wertgeschätzte Menge Kulturgüter, die Enthusiasmierte gewissermaßen adoptieren. Der vernetzten Gesellschaft fällt es leicht, Gleichgesinnte zu finden und zu mobilisieren. Die „Museum-2.0“-Verfechterin Simon veröffentlichte zuerst eine Vision vom Museum als gleichberechtigt genutzte Plattform: „Wir im Museum“ – das bedeutet mehrheitlich Amateurinnen und Amateure – kreieren Inhalte und teilen sie untereinander.32 Ungesagt steht dahinter, dass Inhalte, die niemand annehmen mag, verschwinden, geliebte Inhalte aber unvermittelt verstanden (möglicherweise immer wieder adaptiert) werden. In einer Folgepublikation räumt Simon ein, 29 | Vgl. Art. 2a Council of Europe framework convention on the value of cultural heritage for society. Faro, 27.10.2005. URL: http://conventions.coe.int/Treaty/ EN/Treaties/Html/199.htm (gesehen: 06.06.2013). 30 | Vgl. L OWENTHAL 1998, S. XVII, 121. 31 | Art. 2b Council of Europe framework convention on the value of cultural heritage for society. Faro, 27.10.2005. URL: http://conventions.coe.int/Treaty/EN/ Treaties/Html/199.htm (gesehen: 06.06.2013). 32 | Vgl. S IMON 2007.

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dass sich nicht alle Projekte für so weit reichende Partizipation eignen, und dass ihr Anliegen nicht uniforme Entwicklung zu „Maximalpartizipation“, sondern eher die Einbindung unterschiedlicher Partizipationsgelegenheiten ist.33 Nicht alle Internet-Benutzerinnen und -Benutzer wollen Inhalte generieren: „There are some people who are drawn to create, but many more prefer to participate in other ways by critiquing, organizing, and spectating social content. This isn’t just a question of making creative tools as easy to use as possible.“34 Nimmt man die größte Gruppe, die passiv Konsumierenden (im analogen Modell Museumsgäste, die eine von Fachleuten erarbeitete Ausstellung besichtigen) heraus, tritt an die Stelle einer sehr kleinen Fachelite ein undefiniertes Informationsoligarchat. Social Media gestatten Wirtschaftsunternehmen und Lobby-Organisationen, sich über vorgeschobene, scheinbar interessierte Bürgerinnen und Bürger (Astroturfing) zu Wort zu melden. Die Verwechslung lautstarker Wahrnehmbarkeit mit Wahrheit ist nicht neu; neu sind die gewaltigen Nachrichtenflüsse, die mitteilungszwanghafte Menschen oder Kommunikationsprofis hochschaukeln können. Hier schließt Flemings Befürchtung einer „Great Museum Conspiracy“ an, die die auf ein breites Publikum gerichtete öffentliche Aufgabe zur Erfüllung begrenzter Interessen reduzieren will: „These interests include donors, private collectors, corporate interests, funding bodies, trustees, scholars, academics, intellectuals, artists, architects, journalists, critics, volunteers and politicians.”35 Solche Instrumentalisierungen mag man bei kommerziell oder ideologisch unverwertbaren Institutionen für wenig wahrscheinlich halten;36 doch prinzipiell bleiben Zielkonflikte zwischen Interessengruppen und dem treuhänderischen Selbstverständnis, Dinge künftigen Generationen zu überliefern. Die Mitwirkung in einer Gruppe ist stets ein soziales Ereignis und Gelegenheit, eigene gesellschaftliche Positionen auszuhandeln. Partizipation erscheint als ein individuelles „Mittel zur Herstellung von Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstinszenierung“.37 Anderer-

33 | Vgl. S IMON 2010, S. 27, 188. 34 | Ebd., S. 9. 35 | Vgl. F LEMING 2002, S. 217. 36 | Vgl. G REISINGER 2010, S. 45. 37 | S CHWANENFLÜGEL /WALTHER 2012, S. 277.

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seits verschweigen Museumsfachleute gern, dass sie Partizipationsgelegenheiten auch aus institutionellem Eigennutz offerieren: „Es gilt nicht nur, für anstehende Arbeiten, Ausstellungen, Projekte usw. passende MitarbeiterInnen zu finden, sondern es lohnt sich auch zu überlegen, welche Personen mit speziellen Kompetenzen es in der näheren Umgebung gibt und auf welche Weise eine Zusammenarbeit in Frage käme. Bei der Auswahl von Partnern, Mitarbeitenden usw. ist es von Vorteil, wenn möglich Personen anzupeilen, die neben einer fachlichen Qualifikation auch über einen guten Ruf und einen grossen Bekanntenkreis verfügen. Wenn allseits beliebte Persönlichkeiten sich zum Kulturbetrieb bekennen und ihn unterstützen, hat dies für die restliche Bevölkerung Vorbildcharakter.“38

Social Media lassen sich, ganz unsozial, auf die Funktion als neuer Verbreitungskanal für die PR-Botschaften der Institution Museum reduzieren, wenn man die unkontrollierte Verbreitung (hoffentlich) positiver Mitteilungen von Museumsexternen als digitale Mundwerbung einschließt.39

E RBE TENE K ONKURRENZ : G EISTESWISSENSCHAF T – G ESTALTUNG Museen mit hauptberuflichem Personal entscheiden sich bei Gegenwartsthemen zunehmend dafür, an die Stelle wissenschaftlich gewonnener Aussagen künstlerische Positionen treten zu lassen. Hierfür schlage ich die Bezeichnung „Verkunstung des Museums“ vor in Anlehnung an die „doppelte Bewegung moderner Kunst, die sowohl eine Entkunstung oder eine Entästhetisierung der Kunst wie eine Verkunstung oder Ästhetisierung des Alltäglichen betreibt“.40 Einige Nicht-Kunstmuseen mögen bei besonders sensiblen Themen eine inhaltliche Engführung vermeiden wollen und greifen deswegen nach bildender Kunst; die bisherige Literatur sieht eine aktive Ausdehnung künstlerischer Praxen bis hin zum ganzheitlichen Kunstwerk aus Sammeln, Arrangieren, Präsentieren und Beschriften von Dingen, wofür 38 | R ÜT TIMANN -S TOREMYR 2005, S. 25. 39 | Vgl. G REISINGER 2010. 40 | R ÖTZER 1991, S. 21.

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die Bezeichnungen „curator/creator“ und „artist-curator“ vorgeschlagen sind.41 In dieselbe Richtung weist die 1977 einsetzende Entwicklung des Typs Musée Sentimental als künstlerische Projektarbeit und die Auffassung der Ausstellungsplanung als künstlerische Strategie, etwa bei dem gefeierten Kurator Harald Szeemann. Wissenschaftliche Disziplinen haben keinen Exklusivzugriff auf bestimmte Konzepte und Methoden; das gilt insbesondere für Disziplinen mit „weichen“ Konzepten und Vorgehensweisen, welche wesentlich der Untersuchungsverlauf (anstelle eines kanonisierten Instrumentariums) bestimmt. Beispielsweise rechnet teilnehmende Beobachtung zu den ethnologischen und sozialwissenschaftlichen Methoden, zur journalistischen und schriftstellerischen Recherche, wird aber auch als Mittel bildender Kunst beansprucht. Ein Vorrecht lässt sich nicht reklamieren – es überrascht die Feststellung, dass eine Methodenlehre der ethnologischen Feldforschungssammlung, jenseits abstrakter Formeln für Ergebniserwartungen, noch aussteht.42 Hahn blickt auf „eine leere Mitte der [ethnologischen] Zugänge zu materieller Kultur“ und diskutiert ein Kunstprojekt von Daniel Spoerri als methodische Anregung.43 Die künstlerische Konkurrenz wiegt doppelt schwer, weil die Auswahlsituation (Formgebung oder Erkenntnis) auch eine Quellenrivalität provoziert: Europäische Ethnologinnen und Ethnologen werden methodisch sehr viel mehr gefordert, wenn sie „biografisches Sammeln“ betreiben wollen, die verfügbaren Zeitzeugen aber zuvor bereits unter künstlerischer Anleitung symbolische Gegenstände ihres Lebens zusammengestellt haben. Als viel beachtetes Musterbeispiel der Verkunstung sei Die Bibliothek der Alten erwähnt: Seit 2004 steht in der Dauerausstellung des Historischen Museums Frankfurt am Main ein archivartiges Environment der Künstlerin Sigrid Sigurdson. Bis zum Jahr 2105 werden insgesamt 150 Frankfurterinnen und Frankfurter gebeten, Dinge oder Dokumente, die ihr individuelles Frankfurt-Bild widerspiegeln, jeweils in ein vorgegebenes, zu besichtigendes Behältnis zu füllen. Diese Sammlung persönlicher Zeitkapseln können heutige Museumsgäste und nachfolgende Ge-

41 | Vgl. P UTNAM 2001, S. 132. 42 | Vgl. N OACK [erscheint 2014]. 43 | H AHN 2010, S. 10f.

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nerationen – Museumsgäste oder Fachleute – nach deren Möglichkeiten analysieren und interpretieren.

Z USAMMENFASSUNG : S AMMELN – (NOCH) EIN A UFGABENFELD ANGE WANDTER W ISSENSCHAF T Im Überblick der fünf gesichteten Konkurrenzfelder fällt auf, dass in ihnen sehr verschiedene, sammlungsfremde Motivationsfaktoren wirken: Heimatliebe, Effizienzsteigerung, kollektiver Anspruch auf Selbstbeschreibung oder Tradierung von Lieblingsdingen (mit darunter liegenden weiteren Motiven), künstlerische Kreativität. Der Handlungsfreiraum der Museumsfachleute schrumpft durch Selbstbeschränkung (Verkunstung) oder durch Entscheidungsansprüche diffuser Heritage Communitys, er stagniert in der akademischen Hemisphäre neben den von Amateurinnen und Amateuren geleiteten Museen oder er wird eingehegt in seinem jenseits der „identifikatorischen Museen“ zugewiesenen Reservat, wobei das Konzept der Kulturelle-Gedächtnis-Institutionen dieses Gehege ablehnt und das dominierende Feld für sich selbst beansprucht. Hinsichtlich des museumsinternen Engagements für das Sammeln senden alle fünf Konkurrenzfelder dieselben negativen Signale: Entweder liegen die Akzente ohnehin nicht auf dem Sammeln oder die Sammlungsaktivitäten der Museumsfachleute bleiben aus. Argumentationen mit „bestehenden Gemeinschaften“ wie auch Ansprüche auf ein Kulturerbe ersetzen beide die fachlich Urteilsfähigen durch die Deutungswilligen und verleihen damit der hergebrachten Parallelität von Fach- und Amateurmuseen eine vereinheitlichende Dynamik. Anstelle von Instrumenten zur Auswahlsichtung großer Mengen potenziellen Sammelguts der Gegenwart finden sich multiplizierte Beitragsgelegenheiten. Die Modediskussion über „Museum 2.0“ schiebt es den Mitwirkungswilligen auch zu, die Museumsinhalte zu strukturieren, zu ergänzen, zu erschließen – vom schlichten Liken für Facebook über freie Schlagwortvergabe (social tagging) bis zur Interpretation durch jeden Interpretationswilligen (user generated content). Folglich liefern die untersuchten Tendenzen keine Problemlösungen: Die Deutungswilligen stellen nicht die Summe aller Personen, die kulturelle Bedeutungen setzen, dar, vielmehr ein (neues) Deutungsoligarchat. Aber selbst wenn diese Identität gegeben wäre, führen polyphone Entscheidungen zu größeren

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Sammlungen und vervielfältigten Meinungen, ohne dass sich notwendig ein schlüssiger und zutreffender Gesamteindruck der Gegenwartskultur ergibt.

A USBLICK : SCHWINDENDE A UTORITÄT, EIN NEUARTIGES B ERUFSFELD UND EINE ABGELÖSTE THEORE TISCHE D ISKUSSION Museen genießen seit vielen Jahrzehnten als unpersönliche Subjekte eine hohe Autorität: Sie zeigen Bildungstrophäen her, memorieren das kulturelle Gedächtnis, popularisieren wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine öffentliche Einladung, sich an Sammlungsaktivitäten des Museums (zu einem individuell geläufigen) Phänomen zu beteiligen, kann Verständnis für die Museumsarbeit wecken wollen, Forschung durch freihändiges Entscheiden der zu beforschenden Gruppe ersetzen oder eine Feldforschungssammlung mit subjektiv ausgewählten Dingen gewissermaßen kommentieren, kann genauso gut ein partizipatives Kunstwerk sein. Viele Laien wird es überfordern, Anliegen solcher Projekte und damit verbundene Deutungsansprüche zu erkennen. Sobald dem Publikum aufgeht, dass in gleichartig Scheinendem verdeckte Differenzen stecken, wird der als autoritativ angenommene Charakter der Museen schwinden. Die Geschichtswissenschaft hat Beiträge aus individueller Erinnerung ausführlich diskutiert, da unschätzbares Detailwissen neben Verformungen tritt – Erinnerungsvergoldungen, notorisch faktenferne Erinnerungen (Tiefflieger über Dresden 44), aber auch Umdeutungen durch erwünschte historiografische Kategorien (Opa war kein Nazi 45) mögen als Beispiele genügen. Internetportale für Mitteilungswillige bergen eine neue fachliche Brisanz: „In diesem Kontext ist der Historiker keine relevante Instanz mehr, die die Aussagen von Zeitgenossen evaluiert, einordnet und vermittelt. Der Zeitzeuge wird auch nicht wie in audiovisuellen Massenmedien aufgerufen, um historische Deutungen

44 | S CHNATZ 2000. 45 | W ELZER /M OLLER /TSCHUGGNALL 2002.

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zu fundieren, zu illustrieren oder zu plausibilisieren, sondern er schreibt sich gewissermaßen selbst in die Geschichte ein.“46

Diesem Nullpunkt fachwissenschaftlicher Beitragserwartung entsprechen zukünftige, neue Aufgaben der Museumsfachleute: Abgesehen von spezialisierten Fähigkeiten für die Dokumentation und Konservierung-Restaurierung mag es um ein – mit „collection based expertise“ unterfüttertes – Mentorat für die agierende Community gehen.47 Die wachsende Menge unverbunden nebeneinander stehender Informationen bedarf keines wissenschaftlich-analytischen Blicks mehr, denn die im „Museum 3.0“ agierende Information Brokerage mag eine neue Deutungsmacht sein: So wie Bibliotheken eine neue bibliothekarische Aufgabe der Strukturierung und Erschließung heterogener Daten erwarten, werden Museumsdokumentationskräfte intern und extern entstehende Daten zu allen Musealien auf bereiten und nachfrageorientiert anbieten. Fachliche Beurteilung reduziert sich dabei auf die Prüfung rechtlicher Zulässigkeit, ethischer und politischer Erwünschtheit. Von der Soziomuseologie abgesehen, verläuft der museologische Diskurs exakt entgegengesetzt: Elaborierte Kriterienkataloge sollen Museen vom intuitiv-erfahrungsgestützten Sammeln zum intersubjektiv nachprüfbaren, dokumentierten Erwerbsentscheid führen; das älteste Bewertungsmodell48 kommt just aus der Europäischen Ethnologie. In der Archäologie sind Amateurinnen und Amateure für das Erkennen von Fundsituationen, das Sammeln von Dingen und Daten unverzichtbar, die Analyse und theoretische Modellierung der Funde und Befunde soll aber den akademischen Fachkräften zustehen.49 Eine international rezipierte Anleitung für Erwerbsentscheide trägt eine idealtypische Handlungskette vor, die genauso in einer Einführung zur Hermeneutik stehen könnte: analysing, researching, comparing, understanding, summarising.50 Das Anspruchsniveau wird diskret angehoben mit der Empfehlung, mehrere Personen in Erwerbsentscheide einzubeziehen – zwischen „alter“ und „neuer“ Museologie schwebend, ist an kenntnisreiche sowie interessierte 46 | M EYER 2009, S. 203. 47 | Vgl. H EIJNEN 2010, S. 23. 48 | Vgl. R USSO 1980, S. 65-109. 49 | Vgl. J UNG 2010, S. 22. 50 | Vgl. R USSELL /W INKWORTH 2009, S. 10.

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Museumsexterne gedacht.51 Die Netzwerk-Idee von Samdok wäre hierzu der konsequente Folgeschritt. Die Europäische Ethnologie hat sich, wenn auch vielleicht unbewusst, anders aufgestellt. Ihre Hemisphäre des Museumswesens verfolgt (in unterschiedlicher Intensität) Fachdiskurse, während die andere meint, dass Überlieferung stets an Örtlichkeiten hafte, und deswegen unkritisch an solchen als konzeptuelle Ausgangspunkte festhält. 52 Die beschriebene Tendenz, in der jüngsten Vergangenheit eher Bezüge zur Ereignisgeschichte als zur Alltagskultur zu nehmen, bietet auch Gelegenheit, sich vor den Verantwortlichen „auf die allgemein anerkannte Leitdisziplin“ (Geschichtswissenschaft) anstatt „auf ein zerklüftetes Partikularfach“ (Europäische Ethnologie) zu berufen.53 Repräsentationen von Kultur sind bei den Studierenden der Europäischen Ethnologie ein beliebtes Forschungsthema. Der Name des neuen Forschungsfelds „Museumsanalyse“54 ist gefunden, derweil fachwissenschaftlich geleitete Museen Nachwuchs suchen, der Fachkenntnisse hat und willens ist, solche Repräsentationen nicht zu erforschen, sondern selbst zu erschaffen und zu verantworten.

L ITER ATUR Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 4. Aufl. München 2009. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 6. Aufl. München 2007. Baden-Württemberg, Innenministerium (Hg.): Kommunaler Produktplan Baden-Württemberg. Stuttgart 2006. Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Bielefeld 2010. Lucy Connah: Anticipating the future. Contemporary collecting policies in Museums. Reinwardt Academie Amsterdam 1999 [unveröff. Master Thesis]. 51 | Vgl. Ebd., S. 12f. 52 | Vgl. WALZ 2011/12. 53 | D ENEKE 1995, S. 9. 54 | B AUR 2010.

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From display cabinets to engine rooms An essay about collecting present-day culture in the city museum Stijn Reijnders, Gerard Rooijakkers and Hélène Verreyke

I NTRODUCTION It’s undeniable: collecting the contemporary is hot. More and more ethnographic museums and city museums in the Western world look beyond their walls and go out into the street searching for contemporariness. What’s motivating them? At the basis of this development appears to be a more fundamental shift in the social role and significance of museums – a shift that started in the 1970s and is still far from complete. The classic function of the museum, as a temple and patron of cultural heritage, is no longer an apt label to most museum professionals. There is a call for change, both from within the ranks of museums as well as on the level of governmental policies. The museum as such needs to transform from a closed and elite institution into an open venue aimed at a broader audience. Limiting a collection to the highlights of art and culture as landmarks of a national history does no longer suffice. At the same time, our notion of cultural heritage itself has been widened to include other domains of culture, such as intangible heritage, digital heritage or popular heritage. Traditionally, the museum took upon itself the task to categorize and explain the world. This purpose is now a point of discussion. In the present postmodern era not only are the traditional museological categories called into question, but also the process of categorization itself. Museums

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realise there is no such thing as an “objective” exhibition and that they do not represent but rather construct cultures. The linear timeframe of their exhibitions construct the myth of progress. Moreover exhibitions focusing on a specific place or social group actively construct the myth of a homogeneous identity. A curator used to be able to call upon the status of objective professional, but nowadays he is well aware that his or her vision is in the end also no more than a relative and subjective interpretation of reality. As possible counterbalance to this prejudice it has been tried to involve the visitor in the process of interpreting reality. Thus promoting the visitor to co-curator, as a form of “cooperative documentation” or “co-ownership”. These different and not always interrelated developments have led to a growing attention to contemporary culture: to objects and stories originating from the scene and recent history of living audiences. The great stories about heroes from the past have to give up an increasing amount of space to stories about and of “ordinary people” in the here and now. Presently, in 2014, this museological revolution is far from over; the transformation towards an open and audience-centred institution started more than 30 years ago and who knows when it will be complete. Many museums face certain obstacles and issues on this journey. In this article we would like to focus on four of these issues, seen from the perspective of cultural science.1

TODAY OR TOMORROW ? First of all, museums of culture with an explicit interest in contemporary culture are now faced with the question: Where do the beginning and the end of the “contemporary” lie and how to collect it? If everything “ordinary” is interesting, then pretty much everything is interesting. Collecting what is contemporary and putting it on display is in that sense a never-ending activity. Even when the audience is involved in the collecting process choices will nevertheless be inevitable. In the long run choices will have to be made as to what of “the Now” will be collected and exhibited and what not. As stated earlier, purely “objective” or “neutral” collecting is a myth. 1 | Part of this article has been published before in Quotidian. Dutch Journal for the Study of Everyday Life 2 (2010), pp. 104-110.

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Seen from our own perspective as cultural scientists, one of the most important criteria would be whether there exists an interesting or remarkable history of use, by means of which an object can be placed in a broader sociocultural context. When collecting objects of everyday life the focus should not be so much on the objects themselves, but rather on the way in which these objects have been used and how this usage has affected the objects. In other words, the focus should be on the changing significance to various people or social groups that objects may have had throughout the course of history. Here, to quote the words of Dutch ethnologist Gerard Rooijakkers, one should focus on the “cultural biography” of an object.2 For example: we could go to a Marks & Spencer outlet today, buy up their complete shelf stock, transfer it from shop to museum and put it on display as a prime example of contemporary material culture. Something not entirely unlike this has been done by the LVR-Freilichtmuseum Kommern, which bought up a complete IKEA inventory for this purpose. Nevertheless, this type of initiative is – at least from the stance of a cultural scientist – rather useless. The Marks & Spencer or IKEA inventory might be of interest to a design museum, for example to show trends in industrial production, but what an ethnographic museum or city museum ought to focus on, in our view, are used items from Marks & Spencer or IKEA. Items which have collected tiny teenage doodles, half-removed superhero stickers, food scraps in the deepest crannies or secret notes in hidden nooks. In other words, collecting too hastily and too instantaneously is of no use. It is better to let a few years pass and let the passage of time and generations leave their “fingerprints” on an object, rendering it more interesting. Ideally, these little “scars of time” are accompanied by stories from their users, illustrating the role and significance of these objects within the context of everyday life. What is the use of museumifying the Now when its objects do not provide any information about their owners or even about people in general? Therefore it seems better to outsource collecting and storage of contemporary objects to the people in general and to second hand shops, dump stores and similar companies in particular. Without the addition of time the object is not yet of any museological value and is better left to mature.

2 | R OOIJAKKERS 1999.

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W AYS TO COLLECT A second question that begs for an answer is how: if we decide to collect contemporary culture, which methodologies should be adopted and how do these methodologies affect our collections? There are different options, leading to different results. In order to illustrate this, we would shortly like to compare two recent participatory projects from Museum Rotterdam. In 2000 Museum Rotterdam initiated Roffa 5314,3 a community project where they targeted one particular neighbourhood in the south of Rotterdam, an area with the postal code 5314. The people who live in this area identify very much with the neighbourhood and with the postal code, which is visible everywhere, in tags and graffiti on the wall and even on their bodies in the form of tattoos. Being self-reflective, the museum went into the neighbourhood and in collaboration with the young people, they documented their culture, as modern-day reflexive anthropologists, putting the clothes of these young people on display in the museum, as a piece of contemporary local heritage. In this case, it is clear that the museum professional is the outsider, looking with fascination towards a group that is not familiar to him. While this methodology was reflecting on the role of the anthropologist, who looks at different cultures, it also resulted in a meticulous documentation of a piece of contemporary culture, and brought this young group of people into the museum. A different route was taken with the project Every Woman, another participatory collecting project from Museum Rotterdam that focused on the everyday life of seven women from the same, troubled neighbourhood in Rotterdam. During this project, the participants were given a great deal of authority on how the end-result would be presented. The group of women decided to make a glossy magazine in which they were the cover story, presenting their living circumstances, motivations, strengths and survival strategies. They decided on the content and the title of the magazine (Every Woman),4 which was at the same time used as a stepping stone for 3 | WALGENBACH/H OITSMA /V ILDER 2010. See the official webpage of the Museum Rotterdam, URL: www.historischmuseumrotterdam.nl (date: 09.09.2013). The expo was held in Het gemaal, a community centre in the south of Rotterdam. 4 | See the official webpage of the digital magazine Every Woman URL: http://www. historischmuseumrotterdam.nl/online/publicaties/magazines/ (date: 09.09. 2013).

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a collection strategy. Objects, photos, illustrations and stories where appointed as heritage of the group. This way, the women became co-creators of a museological presentation and co-curators of their contemporary heritage. The magazine was then festively presented in the neighbourhood and the objects were also put on display in the neighbourhood community centre. Looking at the representation of these women on the cover of the magazine, the effect of co-creation becomes immediately visible. The cover is an artistic representation of the woman having breakfast. In a classic display in the museum, the accent would probably lie on the harsh living conditions, while the women chose to be represented with glamour in their own glossy magazine. Instead of documenting the community like an ethnographer or a historian, the representation is mediated, by the urban curator, the community members and also the artists creating the exhibition and display. As a result of co-creation and the involvement of an artist, the element of artistic representation of contemporary culture enters the equation. Rather than letting a historian reconstruct society as accurate as possible thirty years from now, people are deciding how they want to be represented here and now. In cases like these, the authority is handed over to both the community and the artist. The process of working with the community is more important than portraying or documenting reality. It is clear that when history museums initiate community participation, and dare to hand over some of the authority in the decision process of such a project, it also changes how the museum works. It brings a dynamic into the history museum and challenges the institution to think about its function.

B RIDGING DIFFERENCES ? Another question that museum professionals are faced with, relates to the tension between becoming inclusive and staying critical at the same time. In practice, many initiatives for collecting the Now lead to a disproportionate amount of attention to migrant groups, while ignoring the everyday life of a host of other groups, for instance today’s nouveaux riches. This fixation on migrant cultures results often in a blissful celebration of cultural diversity in which not a single critical note is heard. The attention to immigrant cultures in history museums and museums of ethnography

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usually amounts to a display of the life of migrants as a beautiful, modern and dynamic mix of cultural influences and traditions. Exhibitions on migrant cultures thus usually take the form of safe stories, which have undergone a politically correct treatment to make any raw bits of reality more palatable. As a rule controversial subjects are avoided. The same problem arises with exhibitions based on forms of non-critical “cooperative documentation”. Ask people for something to be exhibited and they will provide the objects and stories they want to put on display: items they are proud of or which have a personal nostalgic value. This quickly leads to a one-dimensional and hardly unexpected type of story, with no flipsides, no critical comments and no underlying, deeper story. Strolling through such exhibitions you can’t help but wonder: Whatever happened to the clashes between individuals, cultures and social groups? Are those not integral parts of modern life in European cities? Culture is as much about community and sharing as it is about conflict, power struggles and clashes. This “conflict value” of cultures is nowadays often underdeveloped in museums of cultural history and ethnography and the result is a missed opportunity for curators and organisers of exhibitions. All this is connected to the social task museums take upon themselves. When reasoning from the ideal of social inclusion the natural response is to only present positive, safe stories, but is that indeed the sole and proper solution? Or should museums take a further step back and dare to address issues such as social problems and clashes, aimed at finding solutions by means of discourse, controversy and growing awareness? We’d like to illustrate this by using a subject that has been popular recently in several city museums, such as the Amsterdam Museum and the Liverpool City Museum: Entrepreneurs behind small and medium-sized businesses in Europe, especially from migrant families. This type of theme means we should beware of uncritical celebration of the entrepreneurship of these migrants and glorifying the cultural mix exemplified by what they produce. Rather, we should also look at the problems these entrepreneurs are confronted with, at the way in which they have to mediate between various groups and have to stifle potential conflict. Small entrepreneurs are often the cultural brokers between different groups of the population. The same used to apply to the classic corner shop; often literally on the corner between different neighbourhoods with different social profiles. There, traditionally the shopkeeper had to navigate his way between different social classes, whereas he or she is now often confronted

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with various ethnic groups which have greatly divergent cultural patterns and expectations. By looking at entrepreneurs in this fashion, as cultural brokers, we not only learn something about the person in question, but also about the cultural scenes they belong to and the codes pertaining to these different scenes. This duality of on the one hand bridging communities, and on the other hand giving voice to communities, touches upon the question of the role of the museum. The forum function of the museum implies that you have to give voice to different communities and show varied, sometimes clashing, opinions. This might sometimes spiral into controversy and throw the museum into the vanguard of public debate, a position many museum professionals try to avoid. Moreover, it does not concur with the role of the museum as a safe haven, where communities are invited to take an active role and are asked to give their heritage in care.

W HO IS INTERESTED IN THE ORDINARY ? The fourth issue we would like to discuss is the perceived lack of interest from intended audiences. Put simply the question arises: Who wants exhibitions about contemporary culture in which “ordinary people” play the central role? The number of visitors these types of exhibitions draw in always lags far behind the initial expectations. A cynic might say that the group on exhibit is the only one at the exhibit. Or worse still: often not even that group turns up. When reaching out to the audience is one of the underlying motives of taking on contemporary culture, then this issue certainly is a particularly pressing and painful one. What can be the reason behind this disinterest? Modernism is based on the idea that there is such a thing as a community – togetherness, an organic society seen as a unity by the individuals within it. But to what extent is this still applicable nowadays? What could be posed with similar conviction is that our society consists purely of separate splinter groups which ignore each other completely and only have eyes for the needs of the own group. The sociologist Maffesoli calls this “the time of the tribes”. According to him the Era of Collectivism and the subsequent Era of Individualism are over. Everyone has retreated into small “tribes”, or if you wish:

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into small group cultures.5 Seen from this perspective it is not surprising that there is hardly an audience for exhibits on contemporary everyday culture of a specific group. Because, well, why would people be interested in objects and stories of a different tribe? To pull these people in they need to be offered more – they need to feel involved. To them it is a matter of recognition, identification, purpose. First of all, we must take into account that the end result of these participative projects, in the form of an exhibition, website or booklet, is not the main goal. The process of working with communities, of handing over some of the authority in the selection and collecting process of objects, and of bringing people into the museum, creates layers of meaning, however, these layers of meaning are rarely put on display in the museum. Often, the collected object or end-result is shown in a branch museum on location, or hidden away in a foyer. Museums must be aware that much of the work of participative projects remains elusive to outsiders. If you want policy makers to continue to support such initiatives, it is crucial to also document and promote the process. Rather than trying to lure a broad audience to small community exhibitions, a better strategy might be to incorporate objects from participatory projects into the broader meta-themed exhibitions, with a focus that might awaken interest by a wide audience. And that’s where the bottleneck seems to be: how can we – museums of ethnography or cultural history – document and exhibit the Now in such a way that a broad target group is addressed, intrigued and made to feel involved, at least involved enough to look beyond the boundaries of the own tribe, visit the exhibition and have that visit be meaningful or worthwhile to themselves? All this in line with the original objective of the museum. To try and find an answer to this question, we ought to search for a greater story; a story which is not restricted to one specific group, but one that offers relevance to various social groups. A story that combines grand narratives (or a discussion thereof) with more intimate and personal perspectives, and shows how these public and personal realms are always intertwined. A story which not only celebrates the aspects of diversity and familiarity we are at ease with, but one which also provides room for tension, conflict and confrontation, and where the museum is careful not

5 | M AFFESOLI 1996.

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to be judgemental or patronising. Good drama needs conflict, and so do good exhibitions. Take for example the context of city museums. City museums interested in exhibiting contemporary city life ought to search for a greater story about the essence of the city. This quest starts with the question: What constitutes a city in the first place? What makes a city more than the sum of its streets, squares, buildings and space between? These are only physical objects in their own right, which do not have all that much in common when compared to similar objects outside the city limits. Despite this absence of a clear-cut physical identity, the city is nevertheless experienced as an organic and real unity by inhabitants and tourists alike. The city exists, but only in the heads of the people. In Places of the Imagination. Media, Tourism, Culture Reijnders writes about the phenomenon of geographical imagination.6 Every human being carries with him a mental map of the world. We have a coherent mental picture of many cities, regions and countries, often without having been there at all. This image of other cities is on the one hand personal, but nevertheless also a shared collective process: culture gives us certain visual icons and stories, on the basis of which we construct an image of Paris or London and based on which we feel connected to certain cities or regions. As the Chinese-American geographer Yi-Fu Tuan writes, we humans are topophiles: we want to link our identity to specific places and we want to belong somewhere; have a home, and surrogate homes. We want to be part of a community – or to be more precise: to be part of an imagined community.7 As Gerard Delanty 8 wrote more than ten years ago, in the age of the world wide web, we have more opportunities than ever to enter a community which can give us a sense of purpose and identity. The Italian author Italo Calvino wrote a novel about invisible cities: imaginary cities each of us carry with us. According to Calvino it is not possible to get to know a city properly by looking at a map or its architecture. The real essence of a city lies hidden in immaterial aspects: in the hopes, dreams, fantasies and fears which are present in the city or which have been projected upon

6 | R EIJNDERS 2011. 7 | TUAN 1974. 8 | D ELANT Y 2003.

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it throughout time.9 Other authors and philosophers have written in the same fashion about “the city of the mind” or “the mental map of a city”. The challenge museums face consists of bringing to life this (what one could call) imagined city, including its hopes as well as its nightmares, and to offer visitors the opportunity of a guided tour of their own imagination. This quest consists of two parts. Firstly, there is the way in which the city has been depicted throughout time: the representations of the city in art, literature and contemporary forms of popular culture, i.d. the narratives that are carved out in the streets, houses and squares. Secondly, there is the representation of the city on a personal and experimental level: the process by which individuals and groups perceive and have perceived their own urban environment, based on sensory impressions and spatial imagination. It is precisely this combination of personal experience, creative reflections, popular mediations and architectural visions which can truly bring the imagined city to life. Of course this combination should not be confined to the walls of the museum. The point of departure ought to be the city itself: present day Liverpool, Amsterdam, Berlin or Barcelona, where the museum spans the city like an octopus with tentacles branching in all directions and (albeit not necessarily) with the actual museum-building acting as the main body of this octopus. Collecting should be partly replaced by marking on location. Not until then can objects and stories be experienced in their proper setting without the alienation intrinsic to all types of museumification.

C ONCLUSION To conclude, the fundamental transformation towards an open and audience-centred institution is still far from complete. Many museums still face certain obstacles and issues on this journey. In this article we have touched upon the main issues museum professionals struggle with when collecting the contemporary. Firstly, finding relevant selection criteria for collecting and exhibiting the present. Secondly, being aware that the chosen methodology has a clear impact on the result. Thirdly, the struggle of trying to reconcile the forum function of the museum with the wish to

9 | C ALVINO 1974.

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be a safe haven for people, with the dangers of limiting oneself to “safe stories” and fourthly, the difficulties of reaching out to a larger audience. Underlying these issues is the quest for a greater, overarching story: a story of the city which will help us to overcome the before mentioned difficulties. One possible solution that we have put forward today is the concept of the imagined city: the way in which mental and mediated representations of the city intertwine with the lived experience of people from diverse social groups. By bringing to attention this imagined city – making it possible to be read in the real world, with the internal processes of imagination of the visitor as a guiding principle – the museums do not only document our times, but also submerge ourselves in the deeper layers of contemporary culture. This does however require a fundamental shift, a shift from collecting inwards to marking in situ. Only then can we engage the symbolic machinery – the collective imagination at work. That ought to be our objective: turn museums into the engine rooms of our imagined city, and not merely the display cabinet of times gone by.

B IBLIOGR APHY Italo Calvino: Invisible cities. New York 1974. Gerard Delanty: Community. London 2003. Michel Maffesoli: The time of tribes. The decline of individualism in mass society. London 1996. Stijn Reijnders: Places of the imagination. Media, tourism, culture. Farnham 2011. Gerard Rooijakkers: Het leven van alledag benoemen. Cultureel erfgoed tussen ondernemerschap en nieuwe technologie. In: Boekman-cahier. Kwartaalschrift voor kunst, onderzoek en beleid 11 (1999), pp. 275-290. Yi-Fu Tuan: Topophilia. A study of environmental perception, attitudes, and values. Englewood Cliffs 1974. Hans Walgenbach; Sjouk Hoitsma; Kenny de Vilder: Roffa 5314. Rotterdam 2010.

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Post the museum! Anmerkungen zur Migrationsdebatte und Museumspraxis Natalie Bayer Die Suche nach der Migrationsgeschichte in deutschen Stadt- und Geschichtsmuseen gestaltet sich meistens als wenig ergiebig und frustrierend. Wenn Migrationsaspekte überhaupt vorkommen, dann sind sie fast ausschließlich nur punktuell und als Geschichten von migrantischen „Anderen“ in gesonderten Displays inszeniert. In der Dauerausstellung Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen des Deutschen Historischen Museums, das in direkter Nähe zur Berliner Museumsinsel liegt, ist die Einwanderungsgeschichte im Themenabschnitt 1949-1994 mit einem Handbuch für die Beratung rückkehrender Ausländer. Herkunftsland Jugoslawien (Saarbrücken, 1984-1986) und mit einer abgeschieden platzierten Vitrine unter dem Titel Gastarbeiter abgehandelt: Hinter einer Glasscheibe sind eine historische Zugsitzbank und zwei Koffer auf einer Ablage und unter den Sitzen zu sehen; daneben sind Dokumente wie Arbeitspapiere und Informationsblätter für migrantische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen arrangiert. Mit dieser Objekterzählung und den spärlichen Begleittexten wird die Migration als eine Reise von Fremden inszeniert, die in einem Zwischenstadium zwischen hier und dort platziert sind, jedoch nie ankommen oder dazugehören. In solch einer Geschichtsausbuchstabierung wirkt die Migration als historisch singuläres Phänomen mit abwesenden Protagonisten und Protagonistinnen. Dies kontrastiert gerade auch im Kontext Berlins ein Spektrum unterschiedlicher neuerer Repräsentationen, die Blickverschiebungen für eine Gesellschaft in ständiger Veränderung ermöglichen wollen, wie etwa die Ausstellung Route der Migration in vier unterschiedlichen roten Containern (Berliner Stadtraum, 2011) oder das Theater Ballhaus Naunynstraße, das sich als postmigrantisches Theater versteht. Damit verweist es

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einerseits auf einen gesellschaftlichen Zustand, der schon immer durch und durch von heterogenen transkulturellen und translokalen Prozessen jenseits nationalstaatlicher Logiken geprägt ist.1 Andererseits verweist der Begriff „Postmigration“ auch auf eine post-identitäre Gesellschaftsidee jenseits national-ethnischer Herkunftszuweisungen und dichotomisierender Gegenüberstellungen. Von der postmigrantischen Gesellschaft auszugehen bedeutet folglich, die Migration als selbstverständlichen und untrennbaren Bestandteil der gesellschaftlichen Gegenwart und Geschichte zu verstehen; folglich gilt es, die Metanarrative, Perspektiven, Institutionen und Orte des nationalen Selbstverständnisses auf den Kopf zu stellen und neu zu formulieren und damit auch das Museum sozusagen zu postmigrantisieren.

W ELCHE G EGENWART ? Seit etwa Ende der 2000er Jahre kommt die Einwanderungsgeschichte zwar in den deutschen Museen immer stärker an, ihre Sichtbarkeit und deren Effekte sind jedoch äußerst heterogen. Hierbei ist eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure, Zugänge, Interessen, Politiken und Deutungen gleichzeitig und häufig mit einer gewissen Hektik beteiligt. Die mitunter virulent geführten musealen Migrationsdebatten werden häufig an eine Diskussion zu längst anstehenden Transformationsprozessen einer Kulturinstitution gekoppelt, die in ihrer heutigen Verfasstheit in Zusammenhang mit nationalen Imaginationen und kolonialen Projekten zu sehen ist.2 Diese Debatten besonders aus wissenschaftlichen und institutionskritischen Positionen richten sich auf eine postmoderne Reformulierung des Museums mit einer stärkeren Orientierung an der Gegenwart und einer Öffnung für bis dato marginalisierte Positionen. Doch kaum eines der Häuser scheint sich konsequent am postmigrantischen Gesellschaftszustand auszurichten mit dementsprechend grundlegenden perspektivischen, strukturellen und konkreten Transformationen.

1 | Vgl. YILDIZ 2010. 2 | Vgl. dazu die Ausführungen von dem Museumstheoretiker Tony Bennett zu der Genese und den Kontexten des „Exhibitionary Complex“ im 19. Jahrhundert: B ENNET T 1995.

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Welche Evidenzen und blinden Flecken werden bei den deutschen Musealisierungsprozessen der Migration mit eingeschrieben; welche Narrative werden dabei unter welchen Bedingungen un-/möglich? Was bedeutet das museale Sammeln, Bearbeiten und Ausstellen der Migration für die beteiligten schauenden, dargestellten und „sprechenden“ Subjektpositionen? In was für ein Verhältnis werden die Gegenstände „Migration“ und „Gegenwart“ gesetzt und was kann dies für die Institution Museum bedeuten?

N EUES THEMA M IGR ATION ?! Die museale Aufmerksamkeit für Migration erweist sich gerade hinsichtlich ihres Datums als behäbig und gegenwartsfern. So hat die Mehrheit der Geschichts- und Stadtmuseen in Deutschland jahrzehntelang die historische Anwesenheit der Migration sowie die Realität einer zutiefst migrantisch geprägten Gesellschaft komplett ausgeblendet. Des Weiteren haben weder migrationswissenschaftliche Erkenntnisse noch Sammel- und Ausstellungsprojekte aus migrantischen, aktivistischen und wissenschaftlichen Kontexten größere Spuren im Museumsfeld hinterlassen. Auch vereinzelte kulturpolitische Empfehlungen aus den späten 1990er Jahren, die sich jedoch vor allem auf das Heranziehen eines neuen migrantischen Publikums beschränkten, führten zunächst bei den Museen zu keinen größeren Debatten.3 Besonders auffallend ist jedoch, dass bei den zeitgenössischen Museumsdebatten bereits laufende Sammelprojekte von migrantischen Initiativen und Individuen erst einmal ausgeklammert wurden. So verweist das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. in Köln (DOMiD) bereits seit rund zwanzig Jahren auf die Leerstelle Migration im kollektiven Gedächtnis und hinsichtlich der migrantischen Zeitzeugenschaft auf die Dringlichkeit, Migrationsgeschichten in Form von Objekten und Erzählungen zu sammeln. Trotz und aufgrund einer breiten kulturinstitutionellen Nicht-Beachtung begann DOMiD daher als eine migrantische Initiative, die Geschichte der Migration zu sammeln und zu vermitteln sowie eigene Positionen zur Erinnerungskultur in Publikationen und Tagungen zu präsentieren. Hierbei arbeitet der Verein daran, das hegemonia3 | Vgl. E RYILMAZ 2004.

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le Geschichtsbewusstsein unter anderem durch ein nationales Migrationsmuseum zu erweitern.4 Im Gegensatz zu anderen Ländern bleibt das deutsche kulturpolitische Bekenntnis zu solch einer Umsetzung bis dato aus, obwohl es Anfang der 2000er Jahre auf Landes- und kommunaler Ebene in Nordrhein-Westfalen dazu einen konkreteren politischen Willen gab. Auch das Netzwerk Migration in Europa e.V. arbeitete mit und parallel zu DOMiD ab etwa Mitte der 2000er Jahre an einer kulturpolitischen Verankerung des Themas für die Geschichts- und Gedächtnisarbeit. Bei der 2009 gegründeten Arbeitsgruppe Stadt – Museum – Migration versammelte das Netzwerk zuletzt insbesondere Museumspraktiker und -praktikerinnen und setze eine Website um, die eine dezentrale Online-Sammlung mit Objekten zur Migrationsgeschichte aus einigen Museumsdepots abbildet.5 Obwohl die Debatten zur Musealisierung der Migration somit bereits in den 1990er Jahren maßgeblich von einer migrantischen Position initiiert wurden, wird dies gegenwärtig meist übersehen. Auf eine breite museumsinstitutionelle Agenda kam die Migration nämlich erst in Zusammenhang mit der 2005 lancierten deutschen staatlichen Integrationspolitik im Zuge des Zuwanderungsgesetzes. 2007 veröffentlichte die Bundesregierung den Nationalen Integrationsplan, der Leitlinien und Strategien zur Integrationsaktivierung von Migranten und Migrantinnen formuliert.6 Hierbei betonen die Verfasser und Verfasserinnen vielfach Kultur als relevantes Handlungsfeld und adressieren Kultureinrichtungen mit einem eigenen Kapitel für eine „interkulturelle Öffnung im Selbstverständnis, in den inhaltlichen Programmen, in den Gremien und beim Personal“.7 Erste Überlegungen und Schritte unternahm der Deutsche Museumsbund, Dachverband aller etwa 6.300 Museen in Deutschland, erst im Anschluss daran und auf Anregung des Bundesministeriums für Kultur und Medien: So gründete sich 2010 der Arbeitskreis Migration des Deutschen Museumsbundes, welcher sich seit 2011 mit der Erstellung des 4 | Vgl. ebd. 5 | Website „Meine Stadt – Meine Geschichte. Migrationsgeschichte(n) sammeln und zeigen. URL: http://www.migrationsgeschichte.de (Stand: 01.07.2013). 6 | Siehe dazu eine kritische Kommentierung im kommenden Abschnitt. 7 | Presse- und Informationsamt der Bundesregierung; Die Beauftrage der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.): Der Nationale Integrationsplan. Neue Wege – Neue Chancen. Berlin 2007, S. 132-133.

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Leitfadens Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichungen für die Museumsarbeit 8 beschäftigt und regelmäßige Treffen für seine Mitglieder organisiert. Des Weiteren koordiniert der Verband seit 2012 die Projekte Kulturelle Vielfalt im Museum: Sammeln, Ausstellen und Vermitteln und Alle Welt: Im Museum; das erste wird vom Bundesministerium für Kultur und Medien, das letztgenannte vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert.9 Außerdem richtete der Verband 2012 seine Jahrestagung in Stuttgart unter dem Titel Alle Welt im Museum? Museen in der pluralen Gesellschaft aus. Im Vortrags- und Diskussionsprogramm wurden insbesondere Beiträge zu kulturpolitischen, ausstellungs-, vermittlungs- und sammlungsbezogenen Aspekten zusammengestellt, in denen sich eine Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Diskussionsausgangspunkte manifestierte und neben wohlgemeinten Ansätzen sowohl paternalistische Ansätze als auch ein rassistischer „Denkanstoß“ mit biologistischen Verhaltenserklärungen nicht fehlten.10 In diesem diskursiven Gefüge erscheint Migration ständig als ein „neues“ Thema. Bei vielen Veranstaltungen der Jahrestagung 2012 vom Deutschen Museumsbund, die eine museale Bearbeitung der Migration in den Fokus rücken wollte, diskutierten Podiumsgäste und das Publikum dabei immer wieder über eine Erneuerung der musealen Praxis, wie die Veranstaltungstitel Sammeln neu denken?, Lokal – Global: Neue Themen und Bezüge als Herausforderung? oder auch Das Publikum von heute und morgen demonstrieren.11 Einige Museumspraktiker und -praktikerinnen betrachten Migration jedoch lediglich als ein Hype-Thema, das ähnlich wie die musealen Gender-Debatten nach einigen Jahren wieder in Vergessenheit geraten würde und somit keine umfassenderen Veränderungsmaßnahmen notwendig seien. Indessen wird dabei kaum reflektiert, mit welchen Kontexten die Produktion eines „neuen“ Themas 8 | Mittlerweile liegt eine zweite Fassung des Leitfadens vor. URL: http://www. museumsbund.de/f ileadmin/ak _migration/Dokumente/2013_04-29_Leit faden-Migration_DMB_V201.pdf (Stand: 01.07.2013). 9 | Vgl. URL: http://www.museumsbund.de/de/projekte/museum_und_migra tion/ (Stand: 01.07.2013). 10 | Siehe eine kritische Position dazu bei: B AYER /TERKESSIDIS 2012. 11 | Vgl. Programm der Jahrestagung 2012 des Deutschen Museumsbundes. URL: http://www.museumsbund.de/fileadmin/geschaef ts/termine/eigene/2012_ DMB_Jahrestagung/Programm_JT_2012.pdf (Stand: 01.07.2013).

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zusammenhängt; ferner wird auch nicht hinterfragt, welche Themenbereiche aus diesem Komplex gerade durch Museen ausgeblendet werden und somit Diskurse über die Migration und ihre Akteure mitbestimmen.

B LICKREGIME Das Nachkriegsdeutschland bearbeitete zwischen den 1950er bis 1970er Jahren Einwanderungsprozesse insbesondere aus nationalökonomischen und sozialstaatlichen Interessen und nahm Migranten und Migrantinnen vor allem als temporäre Ressourcen für Arbeitsmarktengpässe wahr. Eine strukturelle Eingliederung von Menschen, die bis dahin in erster Linie als günstige Arbeitskräfte wahrgenommen wurden, blieb dabei komplett aus, obwohl die Migration in der Zwischenzeit faktisch für viele schon längst zu einem dauerhaften Projekt geworden war. In diesem, oftmals noch immer andauernden Blickregime manifestiert sich ein methodologischer Nationalismus, mit dem sich die Nation als handelnde Konstante zentriert und naturalisiert.12 Aus dieser Perspektive erscheint Migration stets als eine Ausnahme, Abweichung und Differenz zum vermeintlich nationalen „Wir“. Dementsprechend stellen öffentliche Sprecher und Sprecherinnen aus Politik und Medien die Migration meist mit Sujets wie „Parallelgesellschaft“ oder „Armutseinwanderung“ vor allem als Problem, Bedrohung und „überflutende“ Gefährdung für den Staat dar;13 ferner werden ihre Protagonisten und Protagonistinnen dabei vor allem als passive Opfer von „Schleppern“ oder „patriachalen Strukturen“,14 potenzielle „kriminelle“ Täter, als differente zu integrierende oder aber exotische multikulturelle „Fremde“ mit goutierbaren Besonderheiten als Abwechslung zum rational wirkenden Alltag sichtbar.15 Die Migration rutschte unterdessen auch aus dem Blick des öffentlich geförderten kulturellen Sektors und kam lediglich auf der Agenda von niedriger angesetzten Förderprogrammen der Sparte Soziokultur vor. Die migrantische Kulturproduktion wurde in der Folge vor allem auf alterna-

12 | Vgl. G LICK S CHILLER /W IMMER 2002. 13 | Vgl. H ESS/E NGL 2009, S. 12. 14 | Vgl. H ESS 2011, S. 44. 15 | Vgl. ebd., S. 49-51.

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tive Off-Bühnen verwiesen und seit den 1990er Jahren für plakative Multikulti-Events im städtischen Veranstaltungskalender immer beliebter. Erst seit 1998 wird in der offiziellen Repräsentation Deutschland als ein Einwanderungsland benannt mit einer Neujustierung der Zuwanderungsbedingungen seit 2005. Im Grunde genommen wurde eine breitere migrationsinkludierende Debatte erst ab einem Zeitpunkt möglich, als ihre Protagonisten und Protagonistinnen in ihrer Präsenz und ihren Effekten nicht mehr zu leugnen waren. Schließlich führte sogar das Statistische Bundesamt 2005 die Kategorie „Bevölkerung mit Migrationshintergrund“16 ein. Demnach zeigen die aktuellen Zahlen, dass rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung einen solchen „Migrationshintergrund“ aufweist. Die statistischen Daten von deutschen Großstädten – etwa Stuttgart, Nürnberg und München – beziffern den Anteil der Bevölkerung mit „Migrationshintergrund“ zwischen etwa 35-45 Prozent, wobei der Anteil bei Kindern und Jugendlichen mit häufig 60 Prozent deutlich höher liegt. Auch wenn der Zensus ein wirkmächtiges nationales Wissen produziert und dabei erneute Unterscheidungsklassifizierungen normalisiert, zeigen die Zahlen auf, dass die Migration kein Sonderfall oder Minderheitsphänomen, sondern Bestandteil der Bevölkerung und die postmigrantische Gesellschaft längst Realität ist. Auch offizielle Sprecher und Sprecherinnen reden mittlerweile von der migrantischen Zugehörigkeit zu Deutschland.17 Dreh- und Angel16 | Das Statistische Bundesamt definiert diese Kategorie: „Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind, alle in Deutschland geborenen Ausländer/-innen und alle in Deutschland mit deutscher Staatsangehörigkeit Geborene mit zumindest einem zugezogenen oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. Der Migrationsstatus einer Person wird somit sowohl aus ihren persönlichen Merkmalen zu Zuzug, Einbürgerung und Staatsangehörigkeit wie auch aus den entsprechenden Merkmalen der Eltern abgeleitet“. URL: https:// www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Migration Integration/Migrationshintergrund/Aktuell.html (Stand: 01.07.2013). 17 | Siehe etwa bei der Rede des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff zum Tag der deutschen Einheit, 03.10.2010: Christian Wulff: Vielfalt schätzen – Zusammenhalt fördern. Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. URL: ht tp://w w w.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulf f/ Reden/2010/10/20101003_Rede.html (Stand: 01.07.13).

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punkt der Migrationsdebatten bildet jedoch fast ausschließlich der Themenkomplex „Integration“, der von staatlicher Seite aus mit einem Bündel an Maßnahmen und Strategien bearbeitet wird, wie dem Deutschen Integrationsgipfel, Integrationsbeauftragten auf unterschiedlichen Ebenen, Integrationskursen mit Leistungsabfrage und Publikationen wie der Nationale Aktionsplan Integration (2012). In die Perspektive des kulturhistorischen Museums, das seit dem 19. Jahrhundert als Teil nationaler Disziplinierungstechnologien nationale Kontinuität und Selbstvergewisserung erzeugen soll,18 rückte die Migration erst in Zusammenhang mit der national politischen Integrationsagenda ins museale Blickfeld, wie im Abschnitt Neues Thema Migration?! dargelegt ist. Auf die Fallstricke des Integrationsimperatives ist an verschiedenen Stellen hingewiesen worden.19 Festzuhalten ist, dass das Integrationsparadigma repetitiv eine national-kulturelle Normalität behauptet, an der sich Migranten und Migrantinnen justieren und mittels Sprach- und Kulturorientierungskursen eingliedern sollen. Die Vorstellung von einer kulturell homogenen, fortschrittsorientierten „Leitkultur“-Nation normalisiert und naturalisiert sich somit unweigerlich. Im Umkehrschluss wirkt die Migration dabei wie ein defizitärer Ausnahmezustand und eine „andersartige“ Abweichung, die es durch staatliche Zugriffe zu beheben gelte.

D IE M ATERIALISIERUNG DER M IGR ATION IM M USEUM Im musealen Zusammenhang ist die Sichtbarkeit der Migration von einer gleichzeitigen Ein- und Ausgliederung geprägt. So hat die Migration zwar mittlerweile einen Platz im Veranstaltungs- und Sonderausstellungsprogramm erhalten. Im Metanarrativ und im musealen Regelbetrieb wird sie jedoch selten inklusiv, sondern, wie eingangs skizziert, meist nur punktuell bearbeitet. Die Nachkriegsmigration wird dabei vor allem als sogenannte „Gastarbeits“-Migration zwischen 1955-1973 festgeschrieben, die im musealen Kontext als ein staatlich lenkbares Projekt, als Folge von 18 | Bennett datiert die Genese des modernen Museums in Zusammenhang mit der Durchsetzung der nationalen Idee und Transformation zur Bürgergesellschaft. Siehe B ENNET T 1995. 19 | Siehe u. a. H ESS/B INDER /M OSER 2009.

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vorwiegend ökonomischen „Push-Pull-Faktoren“ und mit einem klaren Start- und Endpunkt inszeniert wird. Damit stellt das museale Narrativ eine Gegenüberstellung von ungleichen Handlungsfähigkeiten her, welche durch das Sammeln und besonders das Ausstellen ständig performativ wiederholt werden und somit bis in die Gegenwart wirken.20 Sämtliche Migrationsgeschichten und -motive jenseits des „Gastarbeiter“-Narrativs werden ausgeblendet und damit unerzählbar. Individuelle Projekte und Motive der Migration werden entsprechend der musealen Ordnung homogenisiert und damit entindividualisiert. Personen, denen voraussichtlich auch noch etliche Generationen später ein sogenannter Migrationshintergrund angehaftet wird, werden somit stets in den „Wartesaal der Geschichte“21 in Aberkennung ihrer Geschichtsfähigkeit und Zeitgenossenschaft gesteckt.22 Dabei greifen die Museen meistens auf die immer gleichen Narrative und Materialisierungen zurück, die insbesondere die Formalia und Regulierungen sowie die Reise und Kontaktpflege zum Herkunftsland zentrieren. Dementsprechend hat sich in den Museumssammlungen ein regelrechter Kanon von „Migrationsobjekten“ etabliert: Fotografien oder vergrößerte Reproduktionen, welche den Abschied, die Bahnreise sowie Alltagssituationen im Wohnheim und am Arbeitsplatz dokumentieren sollen; historische Formulare und Hinweissblätter in den Sprachen der quantitativ größten Einwanderungs-„Gruppen“; vor allem aber auch Ausweis-, Arbeitsdokumente und Koffer dürfen scheinbar in dieser Verdinglichungspraxis nicht fehlen.23 Obwohl Geschichts- und Stadtmuseen sich häufig dem Sammeln von Alltagsgeschichte verschreiben, folgt die museale Sammellogik aber auch einer Ökonomie, mittels ungewöhnlicher, „fremdartiger“ Objekte Neugier und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dies resultiert meist darin, sich für die Museumssammlungen auf folkloristische, ungewöhnlich aussehende Dinge von Migranten und Migrantinnen aus den Bereichen Musik, Kleidung, Essen und Religion 24 zu konzentrieren. Auf diese Weise knüpfen Museumspraktiker und -prak20 | Siehe dazu B AYER 2013. 21 | C HAKBRATARY 2000 zit. nach von O STEN 2007, S. 175 22 | Vgl. B OJADŽIJEV 2009. 23 | Vgl. B AYER 2012. 24 | Z.B. Miniatur-Ganesha-Tempel in der Dauerausstellung 99 x Neukölln (Museum Neukölln, Berlin); Wandteppich im Ausstellungsbereich Fremde – Gäste –

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tikerinnen unweigerlich an einer kolonialen Rationalität an, „Spektakel des Anderen“25 im plakativen und schablonenartigen Modus zu inszenieren und Differenzen materiell hervorzubringen. Wenngleich der heutigen Museumspraxis nicht mehr eine rassistisch-biologistische Ordnung zugrunde liegt, werden jedoch mit solch einer Objektlogik ständig kulturelle Unterschiede zwischen der vermeintlich deutschen Mehrheitsgesellschaft und den imaginierten migrantischen „Anderen“ behauptet und dementsprechend markiert.26 So betonen etwa viele Museumspraktiker und -praktikerinnen in zahlreichen Gesprächen und Tagungsbeiträgen die Notwendigkeit, im Sinne von „authentischen“ Kulturzeugnissen originale Objekte zu sammeln und auszustellen, da sie eine anschauliche, sinnliche Vermittlungsqualität besitzen würden. Im Zuge der musealen Migrationsdebatten beklagen die gleichen Positionen einen Mangel an sogenannten „selbst-sprechenden“ Migrationsobjekten, die sich von Objekten ohne „Migrationshintergrund“ nicht deutlich genug unterscheiden. An diesem Punkt offenbart sich ein essentialistisches Kulturverständnis, das von klar unterscheidbaren „Kulturen“ ausgeht, Personen ethno-kulturell festlegt und somit migrantisch markierte Individuen aus dem Rahmen der eingebildeten nationalen „Normalität“ ausgliedert. Auch wenn die Objektnarrationen zwar häufig auf den Erzählungen von Einzelpersonen fundieren, wählen die Sammelnden diese gleichwohl als vermeintlich typische Stellvertretende ethno-kultureller Gruppen aus; dabei passen sie diese in die musealen Klassifikationsprinzipien einer Ordnungslogik ein, die mit der Sammlung von Daten zur geografischen und kulturellen „Andersheit“ sicht- und erzählbare Differenzen etabliert. Bereits die Debatten zur Repräsentationskrise in den 1970er Jahren haben auf die problematischen Konstruktionen beim Erforschen von „anderen Kulturen“ verwiesen.27 Insbesondere Vertreter und Vertreterinnen ethnologischer Disziplinen legten dar, dass gerade das Beschreiben und Analysieren von Kultur der Imagination und Konstruktion von „AndersGastarbeiter von Bochum – das Fremde und das Eigene (Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte, 2011). 25 | Siehe auch H ALL 1997. 26 | Besonders in den Debatten zur Neuausrichtung der Museumsvermittlung und -pädagogik werden diese Unterscheidungen refixiert und attestieren demgemäß sog. „Nicht-Besuchern mit Migrationshintergrund“ Wissens- und Kulturdefizite. 27 | Siehe FABIAN 1993.

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artigkeit“ und „Fremdheit“ dient und damit an koloniale Hierarchisierungspraktiken anknüpft, die sich mithilfe von darwinistischen Rassentheorien legitimierten. Kultur wurde und wird hierbei deckungsgleich mit Raum und „Nation“ beziehungsweise „Ethnie“ betrachtet und als statische, kohärente Verhaltensstruktur und als tradiertes Wesensmerkmal von territorialer Gruppenzugehörigkeit begriffen. Folglich wirkt die kulturelle Markierung von Menschen homogenisierend und entindividualisierend. „Kultur“ ersetzt somit im Grunde das Konzept „Rasse“ und naturalisiert die Idee ethno-nationaler Grenzen und „kultureller Differenzen“.28 Anstatt also mit der Realität unklassifizierbarer kultureller Praktiken von Individuen umzugehen, tendiert das Museum in seiner Sammelpraxis von vermeintlich authentischen, „selbst-sprechenden“ Dingen zur Reduktion, Homogenisierung und Festschreibung von Kultur. Demgegenüber verweisen gerade neuere kulturwissenschaftliche Zugänge auf die Dynamiken, Prozessualität, Fragmentierung und kontextuellen Bedeutungszuschreibungen von Kultur, die sich ständig verschiebt und in immer unterschiedliche Kontexte mit Veränderungen übersetzt wird; im Zuge dessen kann Kultur durchaus Widersprüchliches bedeuten und sie ist immer in jeweiligen Konstellationen und ungleichheitsproduzierenden Verhältnissen situiert. Die Wahl von Museumsobjekten nach kulturalisierenden Gesichtspunkten, ihre Dekontextualisierung beim Sammeln und Inventarisieren, ihre auratische Anordnung in Ausstellungsdisplays und die spärliche Kommentierung schaffen ein folgenreiches museales Blickregime: Die Konzentration auf objektbasierte Narrationen und die ständige Wiederholung des Markierungslabels „Migration“ reproduzieren dabei „Poetics and Politics“29 zur Gegenüberstellung einer imaginierten nationalen „Mehrheitsgruppe“ und einem ebenso fiktiven migrantischen „Anderen“. Gerade die materiellen Ästhetiken und die Dokumentationsfunktion der vermeintlichen „Migrationsobjekte“ schaffen das Bild eines vermeintlich „vormodernen“ Südosteuropas mit schlecht ausgebildeten – männlichen – Arbeitskräften; damit wird auf einen kolonialen Bilderfundus zurückgegriffen, um nicht nur „den Rest der Welt als unterentwickelt zu deklas-

28 | Siehe A BU -L UGHOD 1991. 29 | K ARP/L AVINE 1991.

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sieren, sondern auch die Vorstellung eines universellen, aufgeklärten und superioren bürgerlichen Subjekts des Nordens [zu] etablieren“30. Die musealen „Gesten des Zeigens“31 schaffen somit nicht nur Sichtbarkeiten und zugleich eine Reihe an blinden Flecken; sie stellen vor allem auch Beziehungen und Verhältnissetzungen zwischen den Ausgestellten, den Ausstellenden und den Schauenden her. Das rezipierende Subjekt wird dabei implizit als Mitglied einer bürgerlichen Öffentlichkeit und Bestandteil der hegemonialen Sprecherposition der westeuropäischen Moderne mit entsprechendem nationalen Wissen aufgerufen.32 Indem das Museum diese Sprecherposition jedoch verschleiert, wirkt dies perspektivisch auf die ausgestellten „anderen“ Subjekte, die zur Abgrenzungsfolie der Sprecherposition werden, um sich im Negativbezug darauf als „normal“ zu entwerfen.

V ERSCHIEBUNGEN DER S ICHTBARKEIT UND A NACHRONISMEN Seit Ende der 1990er Jahre werden immer häufiger migrantische Akteurinnen und Akteure besonders in den Feldern Film, Literatur und Musik als Vertreter und Vertreterinnen einer neuen Generation deutscher Kulturschaffender gefeiert – jedoch zumeist als Bindestrich-Deutsche33 und mit Verweis auf eine nicht-deutsche Herkunft. Gleichwohl wurden ab diesem Zeitpunkt migrantische Kulturproduktionen sichtbar, die nicht mehr nur Themen wie „Migrationsprobleme“, „Identitätszerrissenheit“ und „Heimatverwurzelungen“, sondern beispielsweise Urbanitätsaspekte, historische Stoffe oder Beziehungsgeschichten zentrieren. Zur Beschreibung dieser Kulturerzeugnisse werden oft euphemische Konzepte wie „hybride“ oder auch „Crossover“-Kulturen herangezogen, um transnationale Bezüge und Praktiken jenseits nationaler Logiken und die Normalität eines globalen kulturellen Austausches zu beschreiben. Gerade das Kunstfeld lanciert unter diesen Labels Kunstproduktionen, um „Neuheiten“ und Aufmerksamkeiten aber vor allem für diejenigen zu erzeugen, die im Gefüge des Kunstfeldes Definitions- und Deutungs30 | VON O STEN 2007, S. 175. 31 | M UT TENTHALER /WONISCH 2007. 32 | Vgl. B ENNET T 1995, S. 76. 33 | Vgl. Ç AGLAR 1997.

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macht besitzen. Aspekte von ungleichen Zugängen zu Ressourcen und Machtausübung werden dabei jedoch in der Regel ausgeblendet. Wie in den vorherigen Abschnitten beschrieben, folgt das Museumsfeld in seiner Geschwindigkeit dem nationalen Blickregime mit seiner Zentrierung des Integrationsparadigmas. So zögern einige Museen nicht, ihre Räume und Materialien für Orientierungskurse zur Vermittlung von „deutschen“ Rechtsordnungen, Werte, Kultur und Geschichte als Integrationsmaßnahme anzubieten, ohne die Perspektiven und Normalitätskonstruktionen der eigenen Institution kritisch offenzulegen. In den aktuellen Prozessen des Deutschen Museumsbundes, wie im zweiten Abschnitt dieses Beitrages skizziert, erscheint Migration vor allem als Ressource für neue Zielpublika oder als neue Schlagwortkategorie in der Relektüre und Ergänzung von Museumssammlungen. Beide Ansätze gehen nach wie vor vom Zustand einer stabilen deutsch-nationalen Leitkultur aus, zu der die Migration bestenfalls als Erweiterung hinzugefügt wird. Es erscheint vielmehr, dass längst fällige institutionelle Veränderungen für mehr Gegenwartsbezug, wie sie seit Ende der 1960er Jahre besonders von der sogenannten New Museology formuliert werden,34 nur in portionierten, überschaubaren Häppchen bearbeitet werden. Mittlerweile ist zwar vielerorts die Einsicht eingetreten, dass das Sammeln und Vermitteln von Migrationsgeschichte nicht aus der klassischen Institutionspraxis mit ihren Personalbeständen geleistet werden kann. Daher führen einige Museumspraktiker und -praktikerinnen Sammelprojekte zur Akquirierung sogenannter „Migrationsobjekte“ oft unter dem Schlagwort „Partizipation“ durch. Die Strukturen, Sammelstrategien und Zielbestimmungen einer solch formulierten Arbeitsweise definiert in der Regel das Museum aber eigentlich weiterhin selbst. So stellt denn auch die Institution museale Professionalität der Alltagsexpertise der Partizipierenden gegenüber und ordnet sich selbst in die überlegenere Position als „professionell“ ein.35 Im Grunde klammert sich der Museumsapparat somit vom eigenen Ruf nach Erneuerungen aus. Diese würde nämlich eine Institution vor34 | Siehe dazu TE H EESEN 2012, S. 143-188. 35 | Siehe hierzu Deutscher Museumsbund e. V.: Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichungen für die Museumsarbeit. 2. Diskussionsentwurf. April 2013. URL: http://www.museumsbund.de/fileadmin/ak_migration/Dokumente/ 2013_04-29_Leitfaden-Migration_DMB_V201.pdf (Stand: 01.07.13), S. 20.

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sehen, die sich mit den Lebenswirklichkeiten aller Bevölkerungsteile auseinandersetzt und mittels struktureller Veränderungen gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten schafft. Des Weiteren würde sich das Museum dabei als ideologischen Apparat situieren, der nationale „Normalität“ herstellt, verbreitet und naturalisiert. Aber ein Blick auf einen Großteil der Stadt- und Nationalmuseen, wie beispielsweise das Deutsche Historische Museum oder Bayerische Nationalmuseum, und Aussagen von Museumspraktikern und -praktikerinnen lassen die Folgerung zu, dass die Arbeitsweisen, Personalbestände, Strukturen und Metanarrative nach wie vor gängige national-bürgerliche Selbstrepräsentationen hegemonialisieren und deren blinde Flecken und Leerstellen ausblenden. Nur sehr wenige Geschichts- und Stadtmuseen in Deutschland gehen beispielsweise mit der Sachlage um, dass meistens der quantitativ größte Teil der Objektbestände aus der Gründungszeit, vielfach im 19. und frühen 20. Jahrhundert, stammt, wobei sich der Sammlungszeitraum häufig nur bis etwa in die 1960er Jahre erstreckt. Ebenso selten betreiben sie eine transparente Forschung zur Genese und zu den sozio-politischen Kontexten der eigenen Bestände oder gar eine selbstkritische Analyse über deren Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft des Museumsmachens. Einige wenige Stadt- und Bezirksmuseen schlagen allerdings bereits andere konzeptionelle Wege ein. Diese richten ihr Augenmerk verstärkt auf die Gegenwart als Ausgangspunkt für die museale Praxis und zur inhaltlichen Ausrichtung.36 Hierbei rückt die Migration mit ihren Effekten auf die Stadtentwicklung in den Blick wie beispielsweise bei der Konzeption des Stadtmuseums Stuttgart.37 Dieses stellt sich die Leitfrage, wodurch Stuttgart seine gegenwärtige Gestalt erhalten hat und wie die zukünftige Stadt geprägt sein könnte. Das Museum will sich dabei insbesondere der Migration mit einem eigenen Sammlungsbereich und als integralem Bestandteil der Dauerausstellung und Vermittlungsarbeit widmen. Das Berliner Friedrichshain-Kreuzberg-Museum setzt sich bereits seit den 1990er Jahren mit Migration auseinander; es versteht sich als 36 | Siehe z.B. historisches museum frankfurt: Vom Lernort zum Reflexionsraum. Das Leitbild des historischen museums frankfurt. http://www.historisches-mu seum.frankfurt.de/index.php?article_id=28&clang=0 (Stand: 01.07.2013). 37 | Siehe Konzept des Stadtmuseums Stuttgarts. URL: http://www.stadt museum-stuttgart.de/stadtmuseum-stuttgart-konzept.html (Stand: 01.09. 2013).

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Ort für seine Nachbarschaft, die grundlegend von Migration geprägt ist. Deutlich wird dies in den Arbeitsweisen und Narrativen der Ausstellung Ortsgespräche. Stadt – Migration – Geschichte: vom Halleschen zum Frankfurter Tor38. Die Ausstellung geht auf größere und kleinere Transformationsprozesse des Stadtteils sowie die vielen unterschiedlichen Sichtweisen auf den Bezirk ein. Ausgangspunkt dazu bildete eine Auflistung von Orten, an denen Migration besonders sichtbar wird. Zur Darstellung der heterogenen Bezirksgeschichte wurden Erzählungen und Erinnerungen unterschiedlichster Individuen zusammengetragen. In einem begehbaren Stadtplan mit Audioguide werden die subjektiven Geschichtsperspektiven zu konkreten Plätzen und Straßen in den Vordergrund gerückt an Stelle kulturalisierender Herkunftsfestschreibungen der Sprechenden. Die Erzählenden bestimmen selbst, welche Details ihrer Biografien für die Rezeption zugänglich werden. Solch ein Verständnis für Akteurinnen und Akteure und Geschichte hängt sicherlich auch mit den Produktionsprozessen der Ausstellung zusammen: Die Ausstellungsmacherinnen haben nicht nur Erzählungen im Sinne einer multiperspektivischen Geschichtsschreibung „von unten“ gesammelt, die in der „klassischen“ Museumspraxis meist ausgeblendet sind, sondern sie involvierten die Positionen der Bezirksbewohner und -bewohnerinnen mit einem offen gegründeten Ausstellungsbeirat, um Inhalte und Methoden zu diskutieren und Repräsentationsfragen zu entscheiden. Die Ausstellung des Friedrichshain-Kreuzberg Museums nähert sich somit den zuvor skizzierten Forderungen für eine neue museologische Praxis, die Akteurinnen und Akteure als Beteiligte ins Narrativ involviert. Damit ist eine Rekonstruktion von Stadtgeschichte möglich, nach der Migranten und Migrantinnen als Raumpioniere vormals dezentralisierter Räume in Erscheinung treten.39 Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Stadtmuseen werden hier Raumaneignungskämpfe nicht zugunsten von harmonisierenden Geschichtsbildern übergangen, sondern als historischer Bestandteil von Urbanisierungsprozessen dargestellt.

38 | Friedrichshain-Kreuzberg Museum, Berlin, 29.01.2012 – 31.12.2013. URL: http://www.kreuzbergmuseum.de/index.php?id=267#c393 (Stand: 06.08. 2013). 39 | Vgl. YILDIZ /M ATAUSCH 2009.

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B OUNCING I MAGES : B LICK VER ÄNDERUNGEN UND E RNEUERUNGEN Bei der musealen Fokussierung auf nur eine bestimmte Stadt oder einen bestimmten Stadtteil fallen jedoch meist De- und Reterritorialisierungsprozesse, die sich im Zusammenhang von beispielsweise transnationalen Praktiken fortwährend jenseits staatlicher Ordnungslogiken vollziehen, aus dem Blick. In den hegemonialen Blick rücken migrantische Raumproduktionen außerdem häufig erst deutlich später und im Zuge von Gentrifizierungsprozessen, die jedoch meist mit einer Dezentrierung der migrantischen Perspektive einhergehen.40 Eine Reihe neuerer Ausstellungsprojekte, die an der Schnittstelle von Wissenschaft, Kunst und Aktivismus entstanden sind,41 setzen an diesen (Un-)Sichtbarkeitsdispositiven des nationalen Blickregimes an und entwerfen Gegenbilder und -narrative dazu. Dabei werden Migranten und Migrantinnen als handelnde Subjekte des Geschichtsverlaufes und die Migration als Bestandteil und Antriebskraft gesellschaftlicher Prozesse begriffen. 42 So zeigten die beiden Forschungs- und Ausstellungsprojekte Crossing Munich (München, 2009) und Movements of Migration (Göttingen, 2013) das Zusammenwirken von Stadt- und Migrationsgeschichte auf. Anknüpfend an den Ergebnissen einer neueren, so genannten kritischen Migrationsforschung gingen diese Projekte von den vielschichtigen Lebensrealitäten der Migration aus und zeigten ihre untrennbaren Wirkungen auf die Geschichte und Gegenwart in der Stadt auf. Diese wird als ein umkämpfter diskursiver Raum in ständigem Wandel durch Konflikte und Politiken, Repräsentationen und soziale Praktiken einer Vielzahl unterschiedlichster Einzelpersonen, Institutionen und Dinge aufgefasst. So zielten beide Projekte auf eine Relektüre der Stadtgeschichte aus Perspektive der Migration: Die Projekt40 | Siehe beispielsweise die Ausstellungsinstallation westendz zu dem Münchner Stadtteil Westend bei Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration. URL: http://www.crossingmunich.org/westend.html (Stand: 01.02.13). 41 | Zum Beispiel die Forschungs-/Ausstellungsprojekte Projekt Migration (Köln, 2005-2006); Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration (München, 2009); Viel Glück! Migration heute. Perspektiven aus Wien, Belgrad, Zagreb und Istanbul (Wien, 2010); Movements of Migration. Neue Perspektiven auf Migration in Göttingen (Göttingen, 2013). 42 | K ÖLNISCHER K UNST VEREIN u. a. 2005; B AYER /E NGL /H ESS/M OSER 2009.

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beteiligten sammelten Geschichten, Medienberichte und Fotografien zu größeren und kleineren Selbsteingliederungsprojekten und Kämpfen der Migration, die sich gegen Ausschlüsse von Rechten und gegen strukturelle, institutionelle und alltägliche Rassismen wehrten. Dabei wurde aber auch die längst praktizierte Normalität des Mit- und Nebeneinanders im postmigrantischen urbanen Alltag mit ihren Uneindeutigkeiten, Überschneidungen und Bezügen jenseits nationaler Grenzen vermittelbar. Bei diesen Zugängen ging es also darum, die Migration mit ihren Heterogenisierungs-, Dislokalisierungs- und Diskontinuierungseffekten als zentrale Kraft gesellschaftlicher Veränderungen erzählbar zu machen auf Basis einer Sammlung an Erzählungen, Privat- und Archivfotografien sowie Gegenständen der Interviewten und Kunstobjekten, die für die Ausstellungen eigens entstanden. Dabei vermieden und konterkarierten die Projektbeteiligten Klassifizierungskategorien nach nationalen Gesichtspunkten, wie sie gängigerweise im Museumsalltag zugewiesen werden. Um diese Perspektiven forschend und materiell umzusetzen, gingen die Projektbeteiligten von einem Gesellschafts- und Stadt-Begriff aus im Sinne von ständigen Veränderungen und unvorhersehbaren Prozessen, denen eine gängige museale Repräsentation mit Objekten nur sehr schwer gerecht werden kann – wie im Abschnitt Die Materialisierung der Migration im Museum dieses Beitrages dargelegt wurde. So neigen objektbasierte Narrationen mit vermeintlich authentischen historischen „Zeugnissen“ dazu, Bedeutungen zu reduzieren und zu homogenisieren sowie Themenkomplexe auf eine eingeschränkte Sichtweise festzuschreiben. Des Weiteren kann mit der faktischen Leerstelle Migration im verdinglichten „kollektiven Gedächtnis“ der Museen und Archive nur sehr schwer eine „klassische“ objektbasierte Ausstellung realisiert werden, die neue Narrative entwerfen will. Daher folgten die Ausstellungsmacher und -macherinnen von Crossing Munich und Movements of Migration einer Strategie, die Forschungsergebnisse und kulturwissenschaftliche Zugänge mit den Methoden und Strategien der Kunst zu verbinden. Die Projektbeteiligten bearbeiteten in Kollaboration mit Künstlerinnen und Künstlern das ethnographische, archivalische und visuell anthropologische Forschungsmaterial zu multimedialen Installationen, die zur Vertiefung und Weiterrecherche einluden; es ging darum, gängige Bilder und Erzählungen der Migration kritisch hinterfragbar zu machen sowie neue Betrachtungsweise und Sprecher- beziehungsweise Sprecherinnenpositionen zu ermöglichen. Beispielsweise die Installation Gegen Windmühlen bei Movements

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of Migration (Göttingen, 2013) zeigte die individuellen und strukturellen Bedeutungen von dem Konstrukt nationalstaatlicher Zugehörigkeit auf:43 Eine Wand wurde mit einem Videoscreen, Familien- und Passfotos, Benachrichtigungsschreiben von Behörden sowie einer Kollage und einem Gemälde zu der Figur Don Quijote behangen, welches der Hauptprotagonist des Filmes zum Versinnbildlichen seines eigenen Lebens gemalt hat; des Weiteren ist die an eine Wohnzimmerwand erinnernde Installation mit zwei Regalbrettern ergänzt, auf der neben vier Privatgegenständen – unter anderem eine ineinander schachtelbare Matrjoschka-Puppe und ein bemalter Wandteller – und ein Album arrangiert sind, welches keine privaten Erinnerungsfotos, sondern Informationen und erklärende Texte enthält. Nicht die Einzelelemente des Ausstellungsdisplays, sondern die Erzählperspektive und kritische Kontextualisierung zum strukturellen Ausschluss bei Staatenlosigkeit bildeten dabei die Erzählmatrix.

E FFEK TE DER M IGR ATION IM M USEUMSBE TRIEB Diese Forschungs-/Ausstellungsprojekte knüpfen für ihre Wissensproduktion an einer Perspektive an, die vom Protagonismus und von den gesellschaftsbewegenden Effekten der Migration ausgeht. Denn migrantische Positionen fordern schon längst eine Anerkennung der postmigrantischen Gesellschaftsrealität ein und eine dementsprechende Reorganisierung bisheriger Strukturen, Arbeitsweisen und Perspektiven im Museumsbetrieb.44 Gegenstandsbereiche wie Geschichte, Gesellschaft, Stadt oder auch Kultur schlittern dabei im Grunde aus ihren nur scheinbar festen Gefügen und Rahmen. Vielmehr treten die Spannungen, Bruchstellen und Restaurierungsversuche einer nur noch behaupteten nationalen „Mehrheitsgesellschaft“ hervor. Die Migration durchkreuzt und unterbricht die normalisierenden Logiken des Nationalen und entschleiert sie in ihrem Konstruktionscharakter und gegenüberstellenden Kategorisierungen, insbesondere wenn die Grenzmarkierung in ein ver43 | Vgl. Wiebke Unger; Luise Marbach: Gegen Windmühlen. Über die Bedeutung von Pass und Staatsangehörigkeit im Alltag eines Göttinger Ehepaares. URL: http://www.movements-of-migration.org/cms/wissensarchiv-posts/gegen-wind muehlen (Stand: 01.07.2013). 44 | Siehe B AYER /TERKESSIDIS 2012, S. 54.

Post the museum!

meintlich nationales „Wir“ und „die Anderen“ zum Beispiel bei den zweiten und dritten Generationen nicht mehr entlang von Staatsbürgerschaft, kulturellen Bezügen und Alltagserfahrungen klassifizierbar ist. Gerade für eine Institution wie das Museum hätte eine Anerkennung der Migration und ihrer Zeitgenossenschaft weit mehr Folgen als eine lediglich thematische Ergänzung der Sammlungs-, Ausstellungs- und Vermittlungspraxis. So würde eine kritische Selbstbefragung auch die Risse des musealen sicheren, „normalen“ Wissens offenlegen und in der Konsequenz das nationale Container-Denken und homogenisierende Identitätszuordnungen zutiefst in Frage stellen.45 Und dennoch verstehen sich Museen nach wie vor meist als Kohärenz stiftende Orte mit dem Auftrag, kontinuierlich materielle Zeugnisse von einer vermeintlich kollektiven Kultur zu sammeln und fixieren.46 Gesellschaft als eine ständige Bewegung mit heterogenen, aktiv handelnden Beteiligten zu denken, würde für die Institution Museum eine konsequente selbstkritische Positionierung und Veränderungen der eigenen Praxis bedeuten. Diese sollte an der Komplexität und Ambivalenz der Gegenwart ansetzen und sich den mitunter konfliktreichen Debatten und Aushandlungsprozessen mit denjenigen stellen, die das Museum eigentlich inkludieren will. Das Museum könnte eine sich immer wieder erneuernde Institution werden und dabei Fragen und visionäre Vorschläge formulieren, in welcher Gesellschaft wir gegenwärtig leben und zukünftig als Kollektiv leben wollen und wie, womit, wozu, von wem und für wen dies vermittelt werden könnte.

L ITER ATUR Lila Abu-Lughod: Writing against culture. In: Richard G. Fox (Hg.): Recapturing Anthropology. Working in the Present. Santa Fe 1991, S. 137-162. Natalie Bayer: Migration und die museale Wissenskammer. Von Evidenzen, blinden Flecken und Verhältnissetzungen. In: Erol Yildiz; Marc

45 | Siehe auch TERKESSIDIS 2013. 46 | Deutscher Museumsbund e.V./ICOM-Deutschland (Hg.): Standards für Museen. Kassel/Berlin 2006, S. 15.

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Natalie Bayer

Hill (Hg.): Nach der Migration. Postmigrantische Perspektiven jenseits der Parallelgesellschaft. Bielefeld 2013 [im Druck]. Natalie Bayer: Migration und museale Erinnerungsarbeit. Ansätze und Schieflagen. In: kulturen. Forschen in Niedersachsens Museen 1/2012, S. 33-41. Natalie Bayer; Mark Terkessidis: Zombie Attak! Ein Plädoyer für mehr Phantasie in der Debatte über Museum und Migration. In: kulturpolitische Mitteilungen. Zeitschrift für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft 139/IV (2012), S. 52-54. Natalie Bayer; Andrea Engl; Sabine Hess; Johannes Moser (Hg.): Crossing Munich. Texte zur Migration aus Kunst, Wissenschaft und Aktivismus (Katalog zu der Ausstellung Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration, 10.07. – 15.09.2009, Rathausgalerie München). München 2009. Tony Bennett: The Exhibitionary Complex. In: Ders.: The Birth of the Museum. History, Theory, Politics. London u. a. 1995, S. 59-88. Manuela Bojadžijev: Geschichte der Migration neu schreiben. Erkundungen und Entdeckungen jenseits der Grenzen nationaler Geschichtsschreibung. In: Natalie Bayer; Andrea Engl; Sabine Hess; Johannes Moser (Hg.): Crossing Munich. Beiträge zur Migration aus Kunst, Wissenschaft und Aktivismus. München 2009, S. 102-105. Ayşe Çağlar: Hyphenated Identities and the limits of ‘Culture’: Some methodological Queries. In: Tariq Modood; Pnina Werbner (Hg.): The Politics of Multiculturalism in the New Europe. Racism, Identity, Community. London 1997, S. 169-185. Aytaç Eryılmaz: Deutschland braucht ein Migrationsmuseum, Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik. In: Jan Motte; Rainer Ohliger (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik. Essen 2004, S. 305-319. Johannes Fabian: Präsenz und Repräsentation. Die Anderen und das anthropologische Schreiben. In: Eberhard Berg; Martin Fuchs (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt a.M. 1993, S. 335-364. Nina Glick Schiller; Andreas Wimmer: Methodological Nationalism and Beyond: Nation-State Building, Migration and the Social Sciences. In: Global Networks. A journal of transnational affairs 2/4 (2002), S. 301-334.

Post the museum!

Stuart Hall: The spectacle of the ‘other’. In: Ders. (Hg.): Representation: Cultural representations and signifying practices. London/Thousand Oaks/New Delhi 1997, S. 223-279. Anke te Heesen: Theorien des Museums zur Einführung. Hamburg 2012. Sabine Hess; Jana Binder; Johannes Moser (Hg.): No integration. Kulturwissenschaftliche Beiträge zu Fragen von Migration und Integration in Europa. Bielefeld 2009. Ivan Karp; Steven Lavine (Hg.): Exhibiting Cultures. The Poetics and Politics of Museum Display. Washington/London 1991. Kölnischer Kunstverein u. a. (Hg.): Projekt Migration (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Kölner Kunstverein). Köln 2005. Roswitha Muttenthaler; Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld 2007. Marion von Osten: Eine Bewegung der Zukunft. Die Bedeutung des Blickregimes der Migration für die Produktion der Ausstellung Projekt Migration. In: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld 2007, S. 169-187. Mark Terkessidis: Nationale Turbulenzen. Unromantische Betrachtungen über postmigrantische Urbanität und Kunstproduktion. In: Susanne Gaensheimer (Hg.): La Biennale di Venezia 2013. Deutscher Pavillon. Ai Weiwei, Romuald Karmakar, Santu Mofokeng, Dayanita Singh. Berlin 2013 [im Druck]. Erol Yildiz: Die Öffnung der Orte zur Welt und postmigrantische Lebensentwürfe. In: SWS Rundschau: Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft 3/2010, S. 318-339. Erol Yildiz; Birgit Matausch (Hg.): Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource. Basel 2009.

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Sammlungsstrategien im 21. Jahrhundert in der Praxis

AIDS Memorial Quilts From mourning and activism to heritage objects Léontine Meijer-van Mensch and Annemarie de Wildt In 2012 the NAMEN Project Netherlands approached the Amsterdam Museum in search of an appropriate destination for the Dutch AIDS Memorial Quilt that has been created since the 1980s to remember the people who died of AIDS. Offering the 29 quilt blocks to museums is a crucial step in a musealisation process transforming these memorial objects from expressions of mourning and activism to collectively recognised heritage. This musealisation process has already happened in other countries (Australia, New Zealand and Sweden). According to the authors, Léontine Meijer-van Mensch, lecturer at the Reinwardt Academie (Faculty for Cultural Heritage and Museology, Amsterdam School of the Arts) and Annemarie de Wildt, curator of the Amsterdam Museum, the transition of the quilt collections is an interesting example of contemporary and participative collecting. A one month research project, within the framework of the International Master Program of the Reinwardt Academie was set up, together with the Amsterdam Museum. The international master students looked into the implications of the request, talked with the present keepers, with the people who created the Dutch AIDS Memorial Quilt and with a variety of institutions in the Netherlands and abroad.1

1 | This article is for a large part based on the outcomes of student research. Therefore the authors would like to thank all the Reinwardt master students, who participated in the workshop on participatory collecting. We also thank Jörn Wolters and Stefan Silvestri, present keepers of the collection, and all the people who shared their knowledge and feelings about the Quilt.

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Figure 1: Master students and keepers and carers of the Dutch quilt collection after a meeting at the Reinwardt Academy, 2013 (collection Amsterdam Museum).

D OCUMENTING THE PRESENT Basically, there are two types of collecting: retrospective and contemporary. With retrospective collecting, a selection is made of usually individual objects that show a long history of de- and recontextualisation. In this process the physical connection with the context of creation and the first context of use is lost. At the same time the process has resulted in some sort of “intellectual distance” which may be considered as helpful in assessing the significance of the object as heritage. Contemporary collecting involves a selection directly from the context of creation or the first context of use.2 Since there is no “incubation period” different strategies have to be adopted in value assessment. Such strategies can be clustered along two lines: the anthropological perspective of a non-involved outsider (usually a professional expert), or self-documentation via participatory collecting 2 | F ÄGERBORG/U NGE 2008; M ENSCH/M EIJER - VAN M ENSCH 2011, p. 21.

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(usually by the “source community” involved). It can be argued that the term contemporary collecting is rather referring to the collecting of objects only and therefore perhaps less suitable for catching the complex, multi-layered present day society. A more suitable term, offering more possibilities for collecting other evidence, such as biographical data and intangible heritage, could be “documenting the present”. Documenting the present provides not only more openness for making use of more diverse categories of evidence, the term also refers to the documentation of the collection process itself. In current museology and heritage studies, the musealisation process is considered to be an intrinsic part of heritage value: “the discursive construction of heritage is itself part of the cultural and social practices that are heritage”, wrote Laurajane Smith, summarized by her as “all heritage is intangible”.3 In recent years the practice of documenting the present has been strongly in the focus of attention, as if it is only since recent years that museums are practising it. There is a certain irony in this, since natural history museums, art museums, ethnographical museums, and science and technology museums, have since their origins been documenting the present in a variety of ways. Only relatively recently, cultural history museums have become active in documenting the present. This goes hand in hand with a more ethnographic profile of this type of museums. In the student research project, three important trends in collection development needed to be taken into account: the concept of dynamic collections, the concept of documenting the present, and the concept of participative strategies in museums. From a museological perspective it is important to “improve” collections, therefore a museum should aim at collection development. Each institution has to find its specific balance between the historicity of its collection that is the historically grown integrity of its formation, and the requirements of the present-day societal mission. Such a balance demands an integrated approach to acquisition policy, but also to de-accessioning (including restitution and repatriation), conservation, restoration, and information management. The students involved in the project needed to reflect upon the question “what collection for what purpose?”, which includes questions such as “who decides?” and, there-

3 | S MITH 2006.

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fore, “who is allowed to participate in the decision-making process?”.4 In their collection policies, (cultural history) museums all over the world show a tendency to pay more attention to documenting the present, and in doing so to involve communities other than the community of professional experts.5 In contemporary museology these issues are addressed by many authors using concepts such as participative collecting, community-led collecting, co-creation, co-curatorship, and social curatorship.6 The aim of the current student research projects was to study how such concepts work in everyday museum practice, acknowledging the need to keep above mentioned balance between tradition and renewal. During the process, the group was given input through theory and various case studies, especially using best practices. The students were asked to approach their research into the possible acquisition of the Dutch Quilt within the broader concept of collection development. That was why they needed to consider questions such as: “what does the existing collection consist of?”, “when and how did it develop?”, “how is the collection described?”, “what is the system/order?”, “who are the current custodians?”, “do the present owners have legal ownership?”, and “how does the community itself, relatives, friends feel about the collection, its importance and possible musealisation?”. These kinds of questions ask for a new view on acquisition and conservation. In this context the concept of shared ownership offers a useful frame. Shared ownerships mean that museums and the (source) community have a shared responsibility towards a specific object, or collection. In the context of participatory and contemporary collecting, this shared responsibility should be extended into a shared responsibility between different organizations (not only museums) and different interest groups, working together in networks of heritage communities.7 These networks of participatory “meaning making” imply a

4 | The core question and the questions that are derived from it, follow from the current discourse on collecting and collection development. See, for example, W ILKINSON 2005. 5 | M EIJER - VAN M ENSCH/TIETMEYER 2013. 6 | A CKERMANN et al. 2013; G ESSER et al. 2012; S IMON 2010. 7 | The concept of heritage community is introduced in the Council of Europe’s Framework Convention on the Value of Cultural Heritage for Society (2005). For a discussion of the concept, see THEROND/TRIGONE 2009.

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shared responsibility and therefore require a re-definition of professional roles and expertise. The notions of shared ownership and the contemporary museological understanding and usage of the concept of guardianship are related. In her essay on “new museum ethics” Janet Marstine identifies guardianship as a core value of museums in the 21st century. 8 She uses the concept to question the legal and intellectual ownership of collections. About guardianship, the International Council of Museums Code of Ethics for Museums (2004) states: “Museums that maintain collections hold them in trust for the benefit of society and its development. [...] Inherent in this public trust is the notion of stewardship, which includes rightful ownership, permanence, documentation, accessibility and responsible disposal.”9

To Marstine, this not only includes access as core value, but should also be connected with the concept of temporality of ownership: “Guardianship prioritizes repatriation as a human right and emphasizes the strengthening relationships that the return of cultural ‘property’ inspires.”10

H ISTORY OF THE AIDS M EMORIAL Q UILT11 Memorial quilts are a powerful visual reminder of the history of the AIDS epidemic and the development of this disease. They compose the largest existing community (folk) art project in the world. The NAMES Project was originated in November 1985 by long-time San Francisco gay rights activist Cleve Jones. He had helped organise the annual candlelight march to commemorate the murder (in 1978) of politician Harvey Milk and Mayor George Moscone, who both contributed to making San Francisco a gay friendly city. In 1985 Jones learned that over 1,000 San Franciscans, most8 | M ARSTINE 2011. 9 | ICOM Code of Ethics for Museums (2004), Principle 2. 10 | M ARSTINE 2011, p. 19. 11 | This history of the AIDS Memorial Quilt is mainly taken from the website of the NAMES Project Foundation, see URL: http://www.aidsquilt.org/about/ the-aids-memorial-quilt (date: 30.08.2013).

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ly gay men, had been lost to AIDS. That year the marchers carried placards with the names of friends and loved ones who had died of the mysterious new disease. At the end of the march the placards were taped to the walls of the San Francisco Federal Building, creating a patchwork quilt with the names of the victims. Comparable but more sustainable mementos made of cloth were created in 1987. In order to make a bigger impact, Jones decided that the panels, each naming one of the victims, would measure 3 by 6 inches (90 by 180 centimetres), that is the size of a human grave. Eight individual panels – name flags – were stitched together in such a way that square quilt blocks of 3.8 by 3.8 metres were formed. “Blocks” is quilting language for the square patterns and units that make up a specific variety of quilts. Altogether they formed one big patchwork blanket, also known as the AIDS Memorial Quilt, or simply the Quilt. In 1987 the first largescale international AIDS quilts presentation took place in Washington, DC. Nearly 2,000 panels were displayed on the Mall. Parts of the Quilt also travelled to other cities, like Jacksonville, Florida. Everywhere they made a huge impression: “It looks like a cemetery, with people walking around the tombstones.”12 In the USA there are now more than 45,000 panels containing 94,000 names.13 The website of the AIDS Memorial Quilt (United States of America) describes the project’s aim as “a tool to fight prejudice, raise awareness and funding, as a means to link hands with the global community in the fight against AIDS, and as an effective tool in HIV/AIDS prevention education.”14 Initially it was a tool for activism as well as an expression of anger and grief. Awareness and mourning are the quintessence of the quilts.15 Anthropologist Mary Beth Krouse writes that the AIDS quilts can be considered as gifts in various ways: as a gift from the San Francisco gay community to the nation and eventually the world and, for the individual panel makers, as a gift to lost loved ones.16 The makers themselves give the 12 | H OLLERAN 1992, p. 3. 13 | URL: http://www.aidsmemorial.nl/page=site.namen_project (date: 30.08. 2013). 14 | URL: http://www.aidsquilt.org/about/programs (date: 30.08.2013). 15 | Manon Hees; Machteld Jurriaans; Eva de Swaan; Henning Thiele: Aids Memorial Quilts. Results of the search for alternative destinations. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 3. 16 | K ROUSE 1999, pp. 241-256.

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name “flag” to the NAMES Project, symbolically letting go of their beloved. The Quilt thus has a capacity to embody and represent the people who have died, thereby almost trying to transcend in mortality by giving material presence. This presence is strengthened by the ritual of pronouncing the names of the deceased. Krouse quotes one of the staff members of the American NAMES Project: “The panels were, like, talking to me. [...] It’s a collection of souls.”17

AIDS AND QUILTS IN THE N E THERL ANDS In 1982 the first AIDS patient in the Netherlands died. Three patients were registered in January 1983, 66 in July 1985. From 1982-2000, 6,000 people were diagnosed with AIDS; more than 50 percent of them died. In 1995 AIDS was the number-one cause of death among men between the age of 30 and 45 in the Netherlands. One-third of drug users using needles were infected. These first years were filled with fear and uncertainty, especially among the gay community in Amsterdam. There were a lot of misunderstandings about AIDS and HIV. These were spread through lack of knowledge about the disease, fear of the unknown and even intentionally by people with certain political or religious views. The public was afraid and ignorant. Diana, the former Princess of Wales, touching an AIDS patient without wearing rubber gloves at the opening of the first specialist clinic in Britain in 1987, made a huge (media) impression. Dutchman Gart Zeebregts, who was involved as a volunteer of the NAMES Project, was deeply impressed by the power of the Memorial Quilt as it was unfurled on the Washington Mall in 1987. As their International Outreach Coordinator he wanted the project to become better known in Europe. That year Zeebregts travelled through Europe to get people involved and to assist in the founding of NAMES Projects. “35,000 deaths may not mean much to you, but 35,000 quilt panels will make you realise the human suffering represented by these cold statistics”, he was quoted in the Dutch Gay Krant (newspaper).18 He calls the Quilt a living monument, saying: “[I]n a 1000 years you can still touch the name flags. 17 | Ibidem, p. 246. 18 | Arjen Broekhuizen: Names-Project ook in Nederland van start. In: De Gay Krant, 30.07.1988, p. 23.

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They will not be forgotten.”19 The Gay Krant has often put the spotlight on this initiative. However, not all Dutch gay activists were equally in favour of the NAMES Project. During a session with the keepers of the Dutch Quilt and staff of the Amsterdam Museum, gay activist Frits Visser explained to the students that some Dutch gays in the 1980s thought the initiative was typically American and that the Dutch situation demanded other ways of drawing attention to the disease.20 Nevertheless, the first Dutch name flags were produced in 1988, and on December 1st, the first world AIDS Day, eight name flags were displayed on Dam square in Amsterdam. In 1992 the eighth World AIDS Conference took place in Amsterdam. On this occasion a big international quilt exhibition was organised in the Beurs van Berlage building, a conference venue in the centre of Amsterdam. Within five years, interest in a Dutch version of the Quilt project had grown quickly. In 1993 the NAMEN Project Netherlands Foundation was established. 21 It has been the organiser and owner of the Dutch Quilt ever since. Some panels were made by partners of the deceased, others by groups of friends and/or family. Quilting in a group has its advantages. The participants receive technical support and advice on creating and designing a name flag. Moreover, they can share their stories. Working together on a quilt panel is in itself a way of grief work. The German language has a beautiful word for it: Trauerarbeit, a way to get over pain and sorrow. Some may start to work on a panel only after years of hesitation; for others the sorrow may still be painfully fresh. Some quilting groups continue to get together years after the creation of the name flag.22 In the first few years of the 21st century, the prospects for HIV-positive people have improved. HIV/AIDS has become a chronic rather than an acutely fatal disease. As a consequence, activity around the Quilt has diminished. Since 2003 ShivA (Spiritualiteit, HIV & AIDS), an expertise 19 | Ibidem, p. 23. 20 | Manon Hees; Machteld Jurriaans; Eva de Swaan; Henning Thiele: Aids Memorial Quilts. Results of the search for alternative destinations. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 2. 21 | Stichting NAMEN project Nederland. The history of this foundation is mainly derived from their website, URL: http://www.aidsmemorial.nl (date: 30.08.2013). 22 | URL: http://www.aidsmemorial.nl/page=site.naamvlaggroepen (date: 30. 08. 2013).

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centre for spirituality around HIV and AIDS, has organised the yearly AIDS Memorial Day, including the exhibition of parts of the Dutch Quilt. Inga Mielitz, ShivA coordinator, encourages quilting groups as a way to commemorate family and friends that died of AIDS. The Dutch Memorial now consists of 29,5 quilt blocks. The most recent panel in the collection of the Dutch NAMEN Projects was made in 2009.

Figure 2: International quilt exhibition during the 1992 8th International AIDS Conference in Beurs van Berlage, Amsterdam (collection NAMEN Project).

AIDS QUILTS AS HERITAGE Every year on AIDS Memorial Day and World AIDS Day a selection of the Dutch Quilt is shown. The way they are presented – inside and hanging from a wall instead of in the public space and spread out flatly on a surface – already hints at the fact that they are in the process of becoming heritage. The Display Application Form of the American NAMES Project states that venues and organisations can only apply for exhibiting one or more of the 5,914 quilt blocks if they hang them inside and monitor them sufficiently.

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Thus, worldwide the quilts have moved away from the malls and other public spaces into museums, community centres, churches and universities. The United States of America have the largest collection, still owned and used by the source community, that is the community of makers. Currently, there are hundreds of quilt displays annually throughout the country. The NAMES Project works with faith and youth groups, with colleges and universities, and with organisations to reach the highest at-risk populations. The whole collection is exhibited virtually on the website, but quilts are also regularly shown in places as diverse as the Durango Public Library, the Hilton Hotel, the First United Methodist Church, art museums, colleges and high schools. Each quilt is still in the hands of the community, although the community may have collected funds to hire a textile conservator and may work with universities in making audio stories about the people behind the names on the panels. In Australia and New Zealand organisations taking care of the national or regional quilts have approached museums to take them into the collection.23 In 2012 the New Zealand AIDS Memorial Quilt Project donated 60 blocks to the Te Papa National Museum of New Zealand. It took four years after the initial request to finalise the donation. The Quilt Project Sydney (QPS) approached the Powerhouse Museum in Sydney. In 2005 and in 2011 the 97 blocks and the archives of the QPS were formally acquired. The QPS raised the funds for the conservation and acquisition. In both cases the entire collection was handed over to the museum. The Newcastle Museum (Australia) acquired a part of the local AIDS quilt collection. In all cases the transition process took time because the communities had to accept the idea that the quilt blocks could no longer be displayed in the old way (in churches on the floor, out on the grass of the local Mall), and that the full legal title would have to be transferred to the museum. The communities decided to keep them a few years longer and during this period they documented and photographed the quilts. In the Te Papa Museum the donation was celebrated with two ceremonies, a farewell ceremony in a church, and a welcoming ceremony in the museum. The acquisition is regarded as a symbol of awareness in remaining vigilant to23 | The description of the Australian and New Zealand case studies is derived from: Lori Buckley; Valeria Gasparotti; Nielke Kapteijns: An International View of Accessioning and Displaying AIDS Memorial Quilts. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013.

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wards the disease. Three sets of criteria were relevant to the museum: the historical significance (the impact of AIDS/HIV on New Zealand); their place within craft (quilting); the community focus and the ability of the quilt blocks to act as sites of mourning. They are considered as items that reflect aspects of everyday life in New Zealand (illness, death, mourning and handicraft). For the Powerhouse Museum the visual diversity of the panels captures the character and individuality of the people who died. In a broader sense, the Powerhouse looks at the Quilt as a symbol of changing attitudes to safe sex, blood transfusion, gay culture and death in western societies in the late twentieth century. The volunteers from the gay community work on the quilt blocks at the Museum’s off-site storage and collection care facility, where they record information about the people remembered on the quilt blocks and about the friends and families who made the panel. Donors consider the acquisition of the Quilt by the museums as a relief and an honour. But not only the concerns of the communities made the acquisition process a lengthy one. For the Powerhouse Museum and the Te Papa Museum, the size and handling of the objects were major concerns. The quilts were vacuumed and photographed. As storing them flat was not possible, the conservators rolled or folded them in such a way that distinct creases would not be made. Powerhouse removed some bulky objects. Te Papa even defined a de-accessioning policy if materials on some of the quilt blocks would degrade and would need to be removed from the collection. For the Powerhouse museum privacy issues were another concern. The community’s concerns about the visibility of the quilts turned out not to be unreasonable, if we compare New Zealand and Australia with the United States. Te Papa and the Newcastle Museum only exhibited a few quilt blocks on AIDS Memorial Day; Powerhouse only included one or two quilt blocks in two exhibitions24 apart from showing them on Memorial Days. So, compared to the American Memorial Quilt organisation, the museums in Australia and New Zealand seem to be less eager for their quilt blocks to travel around the country. Requests have to be made six months in advance, and there are strict requirements concerning light conditions, appropriate temperature and humidity. The American NAMES Project has less strict requirements and a very user-friendly online application form that ends with the statement: “We are available, ready and willing to 24 | One exhibition on the 1980s and one on the history of AIDS.

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help.” Because of the reluctance of the Powerhouse museum to exhibit the quilt blocks in inappropriate conditions, Gordon Wilson from the AIDS Memorial Quilt Project in Victoria advises: “I would seriously consider giving any NAMES Project Quilts that you have to a museum, without previous agreement, to be able to take them out as necessary and put on show.”25 In all New Zealand museums, family and friends can make an appointment to see “their” panel. At Te Papa it is still being discussed if family members and friends should be required to wear gloves when touching the panel of their beloved. In this case the strict professional conduct of the keepers of the collection does not take into account the emotions embedded in an object. It illustrates the diversity of responsibilities involved in museum work, responsibilities that often conflict.26 Traditional preservation ethics mainly focus on the physical integrity of the object. Participatory projects, where the museum collaborates with contemporary communities, require a different perspective, giving more attention to the interests of the people behind the object. Online visibility has (almost) been secured. Newcastle is still working on its online database; Powerhouse and Te Papa have made the information on the people represented on the quilts available to the public via an online database.27 The Quilt Project Sydney has raised enough funds for the museum to begin an oral history project to collect stories about the 800+ individuals represented in quilts in the museum collection. Microsoft has helped the American NAMES Project make the 5,914 quilt blocks available online. The NAMEN Project Netherlands has created a remarkable website with photos of all the quilt blocks, and information on the people commemorated in the panels.28 In other countries, however, quilts as well as the digital information about the people represented have been lost. For example, the custodian of the UK AIDS Memorial Quilt, the 25 | Lori Buckley; Valeria Gasparotti; Nielke Kapteijns: An International View of Accessioning and Displaying AIDS Memorial Quilts. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, section 2.6. 26 | About conflicting responsibilities, see M EIJER - VAN M ENSCH 2011. 27 | Online collection of the AIDS Quilt in Powerhouse Museum: URL: http:// www.powerhousemuseum.com/collection/database/collection=Australian_ AIDS_Memorial_Quilt online collection of the AIDS Quilt in Te Papa Museum: URL: http://collections.tepapa.govt.nz/theme.aspx?irn=3641 (date: 30.08.2013). 28 | URL: http://www.aidsmemorial.nl/page=site.quilt (date: 30.08.2013).

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George House Trust in Manchester, did not respond to requests from the Reinwardt students and even the website seems to have been lost.

D UTCH Q UILT IN THE (A MSTERDAM) MUSEUM ? In the days of budget cuts museums have become more and more cautious about accepting objects as gifts. Storage space is costly and the costs of conservation can be substantial. Another very relevant consideration is: how often will objects come out of the storage room and be visible, in-or outside the museum?

Figure 3: Unfolding ceremony Dutch Quilt Tour, Den Burg (Texel), 2000 (collection NAMEN Project).

In the context of the research project, one group of students has looked into the conservation aspects of the Dutch quilts. The quilts are now stored in a warehouse in Amsterdam-Noord (North). In the past they have suffered some water damage in another, suboptimal, storage space. However, the physical condition of the quilts collection is satisfactory. Two carers, Tonny Biesterveld and Els Janssens, have lovingly repaired damaged decorative parts of the quilts and mended loose stitches. The quilts are checked and repaired if necessary and since glue is not very durable, items that had

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been glued together have been sewn or are in the process of being sewn.29 However, the caretakers lack expertise in washing the quilts, the working area in the current storage space is not sufficient, and suitable utensils for the conservation processes are not available. From a conservationist point of view the quilts are difficult heritage. The materials most used are various sorts of fabric (cotton, silk, synthetic material). For the biographical story on the name flags diverse materials were used: (fake) pearls, quartz crystals, rhinestones, sequins, feathers, buttons and plastic flowers. To some name flags the makers have added clothes, hats and even flip-flops and other personal items such as stuffed animals, photographs, cremation ashes, and merit badges. The makers were just as creative with the techniques as with the material. They used patchwork, appliqué, embroidery, fabric painting, needlepoint, screen printing and oil painting, to name just a few.30 The students examined the condition of three quilts in more detail. All three had various problems such as decolourisation, loosening of needle work, missing decorative parts, and all had accumulated quite some dust. In general, all quilts bear traces of use, but this of course is part of their story. After all, they have been on display, as was their original purpose. The quilt blocks were preferably to be exhibited spread out on the ground in a park, or in another large open area. Touching the quilts, the folding and unfolding, was all part of the memorial ritual. As the Dutch Quilt was offered to the Amsterdam Museum, the research on the most suitable permanent home for the collection concentrated on the Amsterdam city museum. Why Amsterdam? AIDS manifested itself in the Netherlands mainly in Amsterdam; about 50 percent of the patients lived in Amsterdam.31 The disease had a substantial impact on Amsterdam’s city life. Because of the liberal local atmosphere, Amsterdam had a relatively large gay community during the late 1970s and 80s. Many Amsterdam gays originally came from other places in the Netherlands or 29 | Anneke Groen; Reya Hildebrant; Nilmini Neththasinghe: Aids Memorial Quilts project. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, pp. 3-4. 30 | Anneke Groen; Reya Hildebrant; Nilmini Neththasinghe: Aids Memorial Quilts project. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 6. 31 | Marleen Dietz; Jacobine Wieringa: The Names project. An overview of the historical context of the development of AIDS. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 6.

AIDS Memorial Quilts

abroad. Sexual freedom was at its high point in the 1970s and 80s. The outbreak of AIDS led to a temporary stop of the sexual revolution of the 1960s and the 70s, as sex became emotionally charged and frightening. Also for drug users Amsterdam was an el dorado. Up to the early 1980s, there were lots of heroïn cafés on the Zeedijk, in the old city centre. The strong Amsterdam connection is reflected by the fact that almost three-quarters of the quilts have name flags with some relation to Amsterdam.32 Some quilts contain references to the city of Amsterdam: an embroidered map of the canals area, the Westertoren (famous church tower) or the three Andreas crosses (the Amsterdam coat of arms). Although HIV/AIDS is not a disease that limits itself to a specific part of the population, especially in the early years, AIDS was a disease that manifested itself within the (male) gay community first. Almost everybody in the community knew someone, or was related to someone, infected with HIV. Apart from being a (new) home for many gays and an attractive city for people in search of drugs, Amsterdam thus plays a major role in the search for effective medication against AIDS (for example the Amsterdam Medical Centre), in fundraising activities (the annual Amsterdam AIDS Dinner), and in creating AIDS awareness (for example the GGD33, the City Health institution). The Schorer Foundation has set up a buddy care system. Various organizations set up extensive information campaigns creating AIDS awareness, and promoting safe sex, needle exchange and heroin substitution – important tools in limiting the impact of the epidemic. Although there are many connections to Amsterdam, the Quilt is not unique to Amsterdam. On the contrary: this is global rather than local heritage. The Amsterdam Museum has a wide and varied collection of objects. For various reasons the quilts would fit into the collection. The museum hosted a very successful exhibition on the history of gays and lesbians in 1989 and there are some “gay related” objects in the collection such as a replica (with original objects) of café Het Mandje, one of the early gay meeting places. The gallery Amsterdam DNA shows the rings and tells the story of the first gay couple officially married in Amsterdam, since Amsterdam was the first city in the world where gay marriage was acknowl-

32 | Anneke Groen; Reya Hildebrant; Nilmini Neththasinghe: Aids Memorial Quilts project. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 4. 33 | GGD stands for Geneeskundige en Gezondheidsdienst Amsterdam.

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edged. Another association is the story of epidemics. Earlier diseases such as the plague also have left some traces in the collection. Artistic value is another possible criterion for adding objects to the collection. Craftsmanship is apparent in some of the quilts, but they were not made as works of art. The emotional and symbolic story is more important than the artistic value. What is their “wall power” and what would be their impact on the visitors? They do carry the possibility of telling the history of AIDS as well as personal stories of the victims. The large size of the quilts makes an impression, but creates a challenge for presentation, especially in a building that lacks big spaces such as the Amsterdam Museum. Possibilities to exhibit the quilts within the Amsterdam Museum are limited. Visibility therefore depends greatly on the willingness of other institutions and organisations to provide venues as well as to pay the costs for transportation and insurance. The museum might need to adjust its high standards for exhibition venues (climate control, low light and security) in order for this to be feasible. Another solution would be to divide the quilt blocks among various institutions. Experience over the past years has shown that, when quilts were shown on occasions other than the AIDS memorial events, no more than one or two were exhibited, for instance at the exhibition about death in the Tropenmuseum or about quilting in the Fries Museum.34 The students investigated other institutions where an exhibition would be conceivable. For years various people have been trying to establish a “homo museum” in Amsterdam, which would be the obvious choice of place to show (some of) the quilts. There is, however, little progress with the project. Funeral museum Tot Zover (Amsterdam) collects objects and works of art around burying rituals and commemoration. This museum is not interested in the quilts, as they do not consider the quilts to be an authentic Dutch tradition. Tot Zover acknowledges their personal and emotional value, but does not believe them to have an artistic value. For the Textile Museum (Tilburg) the fact that the quilts are not artistic creations is again a reason for not accepting them into the collection. For the International Institute of Social History (Amsterdam) the quilts are too far from their focus (labour history) and their size is prohibitive. This institute does house the archives of the IHLIA (international gay/lesbian library, archive, informa34 | See URL: http://www.aidsmemorial.nl/page=site.presentaties (date: 30. 08. 2013).

AIDS Memorial Quilts

tion and documentation centre) but these mostly consist of documents and audio-visual material. The Amsterdam GGD (Municipal Health Services) is not interested in having its own collection, but might in principle be interested in showing the quilts, as a loan from for instance the Amsterdam Museum collection, and only as part of an awareness campaign. However, as the students learned from a GGD representative, a big AIDS awareness campaign is not likely to happen at the moment, as Chlamydia and Syphilis presently are considered to be sexually transmitted diseases that more urgently require attention. The Amsterdam Museum has decided to accept two quilt blocks in the collection and will discuss with the carers which are the most suitable. The museum might decide on more flexible requirements in order to make showing these objects easier. Accepting the entire collection would be a too heavy burden on storage capacity and budget, as well as the fact that some quilt blocks have a very weak connection to Amsterdam. The reasons for acquiring them are the impact of AIDS on the city, the capacity of the Quilt to tell about the individual victims, and the way it was used to make the disease visible. The museum would like to work with the people of the NAMEN Project to add intangible heritage to the collection by interviewing the makers of the name flags. Around World AIDS day 2013 one quilt block will be shown in the museum and the museum intends to continue to do this in years to come. So far the only other museum that has shown enthusiasm about including (some) quilt blocks in the collection is the Nederlands Openluchtmuseum (Netherlands Open-Air Museum) in Arnhem, where they would fit into their collection of commemorative quilts.

TOWARDS A DYNAMIC COLLECTION The carers of the collection would understandably prefer that the entire Quilt stays together. The panels are very relevant to the people that had direct contact with them, such as the makers or the people that knew those who died.35 All still have a strong emotional link to the Quilt. For them it 35 | Gart Zeebregts, cited in: Marte Barendregt; Ruoxi Zhang; Priscilla Jaramillo; Alexandra Gorshkova: AIDS Memorial Quilts Project: emotional side. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 5.

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is important that it becomes heritage. Some of the people who were consulted felt that there was no one place where the quilt blocks belonged and they said that it was not necessary to keep the entire physical collection if the website and the stories were safeguarded.36 Everyone agrees on making sure the digital documentation is well kept. The carers have already made a very good and informative website. This is a feasible solution to capture the information on people, appearence and condition. Even if the Quilt is only partly kept in (a) museum collection(s), the overall connection to the entire collection of quilt blocks could be in digital format, in this respect the whole collection would be part of a Dutch national quilt collection. These approaches would fit very well in the concepts of a heritage community, consisting out of communities and institutions, having a shared ownership and a shared authority. And what would happen if the collection of quilt blocks will not (entirely) become part of a museum collection? The students suggested that it could be used in campaigns until it disintegrated or that it could even be taken apart and the separate name flags returned to friends and family. This option would mean that the flags return to their primary context, return to a community of interest, where the flags might not have a collectively defined heritage value, but will stay important objects full of meaning and relevance. Maybe even of more importance than the quilt blocks would have, when they would become part of a much more static museum collection. Recent developments in the theory, practice and ethics of collecting advocate a stronger emphasis on the idea of a shared responsibility towards heritage and perceives the concept of “dynamic collection” as a new way of thinking about a sustainable future of preserving heritage.37 In this light, the quilt blocks could be “saved” for future generations and stay relevant, although they will not be part of a museum collection. When the contemporary owners try to become more active in heritage and other communities and networks, they can hopefully generate awareness and a (re)new(ed) relevance of the Quilt as an important cultural artefact, and who knows, the blocks very well might become part of a museum collection in the future, via retrospective collecting. 36 | Manon Hees; Machteld Jurriaans; Eva de Swaan; Henning Thiele: Aids Memorial Quilts. Results of the search for alternative destinations. Research report Reinwardt Academie. Amsterdam 2013, p. 6. 37 | W ILKINSON 2005.

AIDS Memorial Quilts

In a reflection on participatory strategies in documenting the present, the Quilt provides interesting museological dilemmas. In the Netherlands the quilt blocks are still owned by the source community, but their significance for this community is changing. This results into an ambivalent situation. At the one hand the source community has increased difficulties in finding continuous support within the community for the preservation and presentation of the quilts, while at the other hand there is a fear that handing over the care to professional organisations, such as museums, will eventually alienate the objects from the community that created them. The challenge is to find a balance between the active (and activist) use of the quilt blocks as envisioned by the creators, and the procedures that are part of professional museum work, selection being part of this. Participatory strategies in documenting the present can only bring sustainable solutions when they go beyond the process of selection. The article shows that participation should extend to other functions as well: documentation, conservation, restoration, presentation, not in the least because the significance of the Quilt lies in the stories it represents. However, museums will never be able to fully adopt the original agenda of the creators. So, in the end successful participation should include a form of shared ownership, respecting the specific interests of the different stakeholders.

B IBLIOGR APHY Felix Ackermann; Anna Boroffka; Gregor Lersch (eds.): Partizipative Erinnerungsräume. Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen. Bielefeld 2013. Eva Fägerborg; Elin von Unge (eds.): Connecting Collecting. Stockholm 2008. Susanne Gesser; Martin Handschin; Angela Jannelli; Sibylle Lichtensteiger (eds.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld 2012. Andrew Holleran: The Quilt. In: Christopher Street 18 (1992) 18, p. 3. Mary Beth Krouse: Gift giving, identity, and transformation: the AIDS Memorial Quilt. In: Journal of Gay, Lesbian, and Bisexual Identity 4 (1999), pp. 241-256.

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Janet Marstine: The contingent nature of the new museum ethics. In: Janet Marstine (ed.): The Routledge Companion to Museum Ethics. Redefining Ethics for the Twenty-First-Century Museum. Abingdon 2011, pp. 3-25. Léontine Meijer-van Mensch: New challenges, new priorities: analyzing ethical dilemmas from a stakeholder’s perspective in the Netherlands. In: Museum Management and Curatorship 26 (2011), pp. 113-128. Léontine Meijer-van Mensch; Elisabeth Tietmeyer (eds.): Participative strategies in collecting the present. Berliner Blätter 63 (2013). Peter van Mensch; Léontine Meijer-van Mensch: New trends in museology. Celje 2011. Nina Simon: The participatory museum. Santa Cruz 2010. Laurajane Smith: Uses of heritage. Abingdon 2006. Daniel Therond; Anna Trigone (eds.): Heritage and beyond. Strasbourg 2009. Helen Wilkinson: Collections for the Future. London 2005.

Referenzobjekte der Jetztzeit. 2000 – 2010 Ein Projekt des Deutschen Hygiene-Museums zum Sammeln der Gegenwart 1 Sandra Mühlenberend und Susanne Roeßiger

S AMMELN AM D EUTSCHEN H YGIENE -M USEUM Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden versteht sich als ein öffentliches Forum für Fragen, die sich aus den kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Umwälzungen unserer Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts ergeben. Die Frage „Wie wollen wir leben?“ kann hierbei als Kurzformel dienen. Folgerichtig und ganz entschieden geht das Haus in seinem Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm mit einer gewissen programmatischen Hybris um. Seit der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten, 1990, liegt „die Stärke des Museums darin, dass es aktuelle Debatten aufgreift, sie zugleich aber historisiert und dadurch zentrale Konflikte und Ambivalenzen moderner Gesellschaften aufscheinen lässt. Der wissenschaftsgeschichtliche Zugang demonstriert auch für Laien ‚die historische Gemachtheit jeder Erkenntnis‘ und die Gestaltbarkeit von Gesellschaft“. 2 1 | Projektentwicklung und -leitung: Sandra Mühlenberend; Mitarbeit: Sylke Schäfer, Marion Thalheim. Siehe auch URL: http://www.dhmd.de/index. php?id=2070 (Stand: 19.06.2013). 2 | K ÖNIG 2007. Seit 1990 hat sich das Deutsche Hygiene-Museum mit am bi tionier ten Wechselausstellungen einen internationalen Ruf erworben, bei spiels weise Darwin und Darwinismus (1994), Die Pille (1996), Der Neue Mensch (1999),

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Zweifellos ist es für Ausstellungsmacherinnen und Ausstellungsmacher eine reizvolle Herausforderung, immer wieder neue Themen zu fokussieren, sie spezifisch für das Medium Ausstellung umzusetzen und dafür auch die in den Depots der Museen lagernden Objekte temporär auszuwählen. Aber für eine Sammlung im Sinne eines Speicherortes für das kulturelle Gedächtnis der Menschen3 gelten andere Parameter. Hier geht es um die Entscheidung für einen dauerhaften Verbleib von Objekten im Museum. Dementsprechend sind im Sammlungskonzept des Deutschen Hygiene-Museums sowohl in thematischer als auch geografischer und zeitlicher Hinsicht Begrenzungen ausgewiesen. Insbesondere in Korrespondenz mit der Dauerausstellung, die sich mit dem Themenkomplex Körper und Gesundheit beschäftigt, widmet sich das Museum beim Sammeln dem Thema Körpergeschichte und grundsätzlichen Fragen zu kulturellen Codierungen des menschlichen Körpers. Im weitläufigen Material konzentriert sich das Museum dabei auf zwei Sammlungsschwerpunkte: Im Bereich Körperwissen werden Artefakte gesundheitlicher Aufklärungskampagnen wie etwa Plakate gesammelt. Auslöser für den Start von Kampagnen sind Krankheiten, Seuchen oder gar eine Epidemie mit einer entsprechend verbreiteten Panik. So dokumentieren diese Kampagnen die Vermittlung von Wissen und Botschaften für die Allgemeinbevölkerung in Krisenzeiten und transportieren Leitbilder für ein richtiges Verhalten in diesen Zeiten. Verfügbares Körperwissen wird für die breite Öffentlichkeit gefiltert und propagiert. Im Bereich Körperpraktiken werden profane und oft unspektakuläre Dinge des Alltagslebens gesammelt. Diese Objekte verweisen auf die zahlreichen Bemühungen einzelner Individuen, den Körper zu pflegen und zu optimieren, und spiegeln ein kaleidoskopartiges Selbstbild der Gesellschaft. In beiden Sammlungsschwerpunkten wird die Entwicklung in Deutschland ab 1900 verfolgt, dem Beginn der (Sozial-)Hygienebewegung, die auf die Angst der Bewohner moderner Großstädte vor Seuchen bezüglich der Verschmutzung der Städte und der verunreinigten Abwässer reagierte. Besonders Dresden entwickelte ein Bewusstsein für Der (im)perfekte Mensch, (2000), Kraftwerk Religion (2010) und jüngst Reichtum (2013). 3 | Vgl. A SSMANN 1999.

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ein gesundes Leben in der Stadt. Es wurde zu einem Zentrum der „Lebensreform“, und hier wurden die ersten Hygiene-Ausstellungen organisiert, deren Förderer von Beginn an der Dresdener Fabrikant Karl August Lingner war, der Hersteller des Mundwassers Odol. Lingner verband seine Unternehmensinteressen mit dem Anspruch der „hygienischen Volksbelehrung“ und nutzte dafür besonders das neue Medium Wissenschaftsausstellung. Die erste Internationale Hygiene-Ausstellung von 1911 mit fünfeinhalb Millionen Besuchern stärkte bei Lingner den Wunsch nach einem dauerhaften Museum, das jedoch erst 1930, nach Lingners Tod (1916) und der Inflation, die vorerst das Gründungskapital vernichtete, errichtet werden konnte.4 Ein umfangreicher Bestand der Sammlung existiert aus diesen Jahrzehnten, es handelt sich vorrangig um Artefakte aus der hauseigenen Lehrmittelproduktion. Ebenso sind Bestände zur nationalsozialistischen Rassenhygiene vertreten wie auch ein aufschlussreicher Bestand zur gesundheitlichen Propaganda der DDR. Anfang der 1990er Jahre wurden diese Objekte zu einer Sammlung zusammengetragen – durch Auflösung verschiedener Abteilungen des Museums wie Lehrmittelwerkstätten und Museumspädagogik sowie durch Übernahmen aus Bibliothek und Archiv. Ab hier beginnt die eigentliche Sammlungsgeschichte des Deutschen Hygiene-Museums: das systematische und konservatorische Bewahren der Objekte und das Sammeln selbst.5

D IE P ROJEK TIDEE Mit Blick auf die junge Sammlungsgeschichte6 des Deutschen Hygiene-Museums stellt sich die Frage, inwieweit das in den letzten 20 Jahren erreichte Portfolio der Sammlung das dem in gleicher Zeit entwickelten Profil des Museums entspricht: „Im Mittelpunkt steht der Mensch, sein Körper, sein soziales und kulturelles Umfeld.“ 7 In dieser breiten Aufstellung lassen sich selbstredend die Sammlungsschwerpunk4 | Vgl. K ÖNIG 2007. 5 | Ausführlich zur Findungsphase und Festlegung des Sammlungskonzeptes vgl. THAUT 2012. 6 | Ebd. 7 | Vgl. VOGEL 1999, S. 83.

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te verorten, wenngleich das Museum als Ausstellungsort vor allen Gegenwartsthemen fokussiert und die Sammlungsabteilung hingegen historische Sachzeugen, die sich aus dem Altbestand der hundertjährigen Geschichte des Museums und aus Neuerwerbungen zusammensetzen, betreut. Für die Optimierung der Korrespondenz zwischen dem „Heute“ und „Gestern“ entwickelte die Sammlungsabteilung des Deutschen Hygiene-Museums 2009 ein Pilotprojekt, das die Frage nach Konzepten zum Sammeln und zur Dokumentation der Gegenwart stellt. Ausschlaggebend für die Entwicklung des in 2009 mit einer Laufzeit von zwei Jahren gestarteten Pilotprojektes waren zwei Fragenkomplexe: Zum einen wurden Fragen gestellt, die sich auf das Sammlungskonzept des Museums bezogen und eng mit einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zu möglichen Sammlungsstrategien im 21. Jahrhundert verbunden waren. Sind die beiden Sammlungsschwerpunkte, Körperwissen und Körperpraktiken, als Orientierungsmarken auch noch im 21. Jahrhundert akzeptabel? Ist eine Konzentration auf kleinere Wirklichkeitsausschnitte innerhalb der Sammlungsthemen denkbar? Können etwa wohlüberlegte, aber dennoch radikale Selektionen anhand von Tiefenbohrungen und Momentaufnahmen in bestimmten zeitlichen Intervallen überzeugen? Können mit dem Sammeln von Ikonen und Leitobjekten wichtige Strömungen und Phänomene in bestimmten Zeiträumen gebündelt werden? Zum anderen wurde das Sammeln und Dokumentieren der Gegenwart debattiert: Ist ein aktives und gezieltes Sammeln von Gegenwart im Museumsalltag, der eher vom passiven Sammeln, das heißt dem Prüfen und Entscheiden von Erwerbsangeboten geprägt ist, realisierbar? Inwieweit können brandaktuelle gesellschaftliche Debatten und Umbrüche „dingfest“ gemacht werden? Welche Vor- oder Nachteile zeigen sich beim aktuell-perspektivischen Sammeln im Vergleich mit dem retrospektiven Sammeln? Zweifellos bieten retrospektiv gesammelte Objekte eine Vielzahl von Gebrauchs- und Lebensgeschichten an. Jedoch spricht gegen das Sammeln von historischen Objekten das reale Risiko, dass die begehrten Objekte nicht mehr zur Verfügung stehen. Allerdings ist man beim Sammeln in der Gegenwart mit der Forderung nach einer historisch relevanten Auswahl konfrontiert. Es gilt doch der Grundsatz, dass die Überlieferungswürdigkeit nicht von einer ihre Moden genießenden Gegenwart entschieden werden sollte. Letztlich wurde deutlich, dass die Aufgabe der Überlieferung schwierig ist und einfache Lösungen beziehungsweise

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Antworten nicht zur Verfügung standen. Diese Erkenntnis war der Treibstoff für die Initiierung des Pilotprojektes.

D IE P ROJEK TENT WICKLUNG „Sammeln heißt immer Akzente setzen und Entscheidungen fällen, mit der Harpune statt mit dem Schlepptau fischen.“8 In diesem Sinne war das Projekt, das den Titel Referenzobjekte der Jetztzeit bekam, angelegt. Es orientierte sich übergeordnet an einem doppelten Kontext: der kulturellen Herkunft des Objektes als aussagekräftiges Zeitzeichen und dem inhaltlichen Bezugsfeld innerhalb der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums. Die Sammlung stellte sich die Aufgabe, innerhalb von zwei Jahren Objekte zu recherchieren, die als Leit-/Schlüsselobjekte Alltag beziehungsweise das gesellschaftliche Leben im Zeitraum von 2000 bis 2010 spiegeln. Hierbei orientierte sich das Projekt an den beiden Hauptschwerpunkten der Sammlung, öffentlich propagiertes Körperwissen und Körperpraktiken im Alltag. Innerhalb dieser Themen wurden markante Objekte gesucht und versammelt, die als dingliche Spuren die Gegenwart repräsentieren. Bei der Auswahl der Themen und Objekte kam eine sorgsame Wirklichkeitswahrnehmung der Mitarbeiterinnen zum Zuge, die auf eigenen persönlichen Interessen und der Vielfältigkeit der ihnen anvertrauten Sammlungskonvolute basiert und durch eine ständige Beobachtung dessen, was in Gesellschaft, Natur und Forschung vor sich geht, geschult ist. Aufgrund der Aktualität der Themen und der aus ihnen heraus entwickelten Objekte konnte kaum auf wissenschaftliches Material zurückgegriffen werden. Ganz im Gegenteil: die Themen- und Objektauswahl basierte auf eigenen theoretischen Imaginationen, die über Alltagsbeobachtungen, jahrelanges querfeldein Lesen und ständige Lektüre von Tageszeitungen und Fachjournalen stimuliert und inhaltlich angereichert sind. Diese gepaart mit dem Wissen, das über die jahrelange Inventarisierung und Pflege der Sammlungsobjekte entstand, erleichterten das For-

8 | B RÄNDLE 2009, S. 201.

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mulieren und Finden der Themen und Objektreferenzen, die bestimmten Auswahlkriterien folgten.9

A. Auswahlkriterien für die Themen: • • • • • •

große gesellschaftliche Relevanz Brennpunkt für mehrere Disziplinen markant für aktuelle Alltagspraktiken interdisziplinär sammlungskompatibel Objektpotenzial

B. Auswahlkriterien für die Referenzobjekte: • • • • • • • • •

im Zuge der gesellschaftlichen Debatten neu entstandenes Objekt neues Objekt, das Debatten anstößt anschaulich ästhetisch im Sinne einer Ästhetisierung der Alltagswelt neue Technologie Objektbiografie (Gebrauchsspuren) attraktiv für Ausstellungen bezahlbar sammlungskompatibel

Mit dieser Handreichung konnten im „Taifun des Ereignisses“, entgegen bisheriger Sammlungsmethoden, die den rückwärtsgewandten Blick anwenden, in der Fülle der noch vorhandenen medialen Veräußerungen Objekte geordert werden, die voraussichtlich in späterer Betrachtung des Ereignisses nicht mehr habhaft beziehungsweise schwer zu beschaffen sind. Obgleich natürlich angemerkt werden muss, dass nicht alle vorgeschlagenen Objekte dem späteren Sammlungsblick standhalten werden, das heißt, wenn es darum geht, die Spuren der Ereignisse zu verdichten. In diesem Sinne kann es nur von Vorteil sein, Leitobjekte eines Phänomens zu definieren, beziehungsweise einer bestimmten Körperdiskussion diverse additive Exponate zur Seite zu stellen, die darüber hinaus gerade im Bereich der Alltagskultur mehrseitige Körperspuren zulassen. 9 | Die Auswahlkriterien wurden von der Projektgruppe erarbeitet, wobei Markus Walz’ Handlungsleitlinien für die Auswahl von Musealien in Teilen ebenfalls die von uns definierten Kriterien darstellen. Vgl. WALZ 2009, S. 159-171.

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D IE THEMENSCHWERPUNK TE Die Arbeitsgruppe Referenzobjekte der Jetztzeit filterte aus den aktuellen Debatten aufgrund der großen gesellschaftlichen Relevanz folgende Hauptthemen heraus: Lebensabend und Lebensbeginn. Bezogen auf die demografische Entwicklung und damit einhergehenden Veränderungen im Alltag wurden diese beiden Themen in weitere Themengruppen (Brennpunkte) untergliedert. Für Lebensabend kristallisierten sich folgende Schwerpunkte heraus: Sexy, potent und aufgeklärt; Fit mit Handicap und Spaß dabei; Alt, krank und pflegebedürftig sowie Letzte Dinge. Im Spiegel der Objekte sollte Folgendes sichtbar werden: Einerseits führen Senioren ein aktives Leben und sind sportlich. Sie reisen, konsumieren, sie pflegen ihren Körper und haben sich mit der Prämisse der kompetitiven Schönheit gleichermaßen auseinanderzusetzen wie jüngere Menschen. Andererseits gehen mit den verbesserten, lebensverlängerten Bedingungen auch nicht zu übersehende Folgeerscheinungen einher, die die Verlängerung des Lebens für den Betroffenen wie für Angehörige zum Teil unerträglich machen. Sind die einen aktiv, sportlich und geistig fit, dämmern andere, zum Beispiel befallen von Demenz beziehungsweise Alzheimer, über Jahre dahin. Bewusst hat die Arbeitsgruppe die Objekte in dieser Rubrik in dieses Spannungsfeld integriert, um mehrere Debatten wie Körperpflege, Sterbehilfe oder Sexualität, Wellness und Sport als weitere Diskussionsebenen einzuführen.10 So wie darüber beraten wird, wie und wann man selbstbestimmt sein Leben beenden kann, so wird andernorts diskutiert, wann Leben beginnt und wie man es künstlich hervorbringen kann.11 So stellen sich ethische Fragen in Bezug auf den Umgang mit menschlichen Embryonen in vitro heute vor allem im Zusammenhang mit der Reproduktionsmedizin, der Präimplantationsdiagnostik und der Stammzellforschung. Auf dem Weg des Embryos, der ihn zum Menschsein führt, werden seit geraumer Zeit verschiedene Stationen definiert, die beobachtet, vermessen und dokumentiert werden. Bevor es jedoch überhaupt zu jenen Kontrollen kommt, müssen wiederum andere Hürden genommen werden: die Entscheidung für oder gegen ein Kind. Im Hinblick auf eine sich veränderte Gesell10 | Vgl. Enquête-Kommission 2002; diverse Zukunftsszenarien u. a.: K RÖNERT 2004. 11 | Vgl. S TOCK 2012.

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schaft mit mehr „alten“ und weniger „jungen Menschen“, mit weniger Partnern und mehr „Singles“, mit einem Kind statt mehreren Kindern ist hieraus die entstehende Verschiebung zu einem konzentrierten elterlichen Bewusstsein auf Geburt, Kindheit und Kindsumgebung zu verstehen. Heute wird sich überwiegend bewusst für ein Kind entschieden; es wird kalkuliert und organisiert: Manipulationsversuche hinsichtlich erster Bildungsmaßnahmen schon im Mutterleib, eine sanfte Geburt und ausgefeilte Sicherheitsmaßnahmen rund ums Kind. Darüber hinaus dehnt die Arbeitsgruppe den Begriff Lebensbeginn über die ersten Monate eines Kindes aus, quasi bis in die Kindergartenzeit hinein – dort, wo der Nachwuchs erste selbstständige Schritte unternimmt, beziehungsweise das Leben ohne Eltern beginnt. Für Lebensbeginn wurden folgende Unterthemen erarbeitet: Pro und Contra Kinder, Geburt, Frühkindlicher Alltag und Kindheit. Des Weiteren konzentrierte die Arbeitsgruppe aussagekräftige Objekte eines hoch aktuellen Massenphänomens, das zaghaft angefangen in den 1990er Jahren nun alle Gesellschaftsschichten durchdringt: ein ausgesprochen umfangreicher Körperkult vor dem Hintergrund ausgereifter medizinischer Technologien mit dem ewigen Wunsch nach Korrektur und Verbesserung des menschlichen Körpers. Der Körper wird hierbei sowohl als veränderbar (Schönheitsoperationen) als auch bespielbar angesehen – mit implantierten Zeichen, Schmuck und Fakes. In diesem Fall war es ebenso notwendig, Unterthemen wie Körperschmuck und Körpertuning einzuführen. Der Mensch ist über mehrere Methoden identifizierbar und seine Merkmale können für unterschiedliche Anliegen geordert und gespeichert werden. Anhand diverser Raster können Gruppen gebildet und für die Gemeinschaft relevante Aussagen getroffen werden. „Der Gläserne Mensch“, als Modell und Metapher entwickelt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist heute „gelebte Wirklichkeit“.12 Diese gibt Anlass, nach weiteren Speicherorten zu fragen. Wo und wie werden wir registriert? Die Themengruppe Körperdaten bündelte demgemäß derzeitige Debatten um Bodyscan13 und genetischen Fingerabdruck 14, wenngleich hier schon an-

12 | Vgl. B ANSE 2009. 13 | S TRATE 2010. 14 | Vgl. S CHEWE 2006.

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gemerkt werden kann, dass letzten Endes nur ein Objekt – das Fingerabdruckset für Kinder – in die Sammlung aufgenommen werden konnte. Als das internationale Medienereignis 2009 schlechthin15 und in Zusammenhang mit dem Sammlungsschwerpunkt zu aktuellen wie historischen gesundheitlichen Aufklärungskampagnen stellte die Arbeitsgruppe Artefakte rund um die Schweinegrippe, den H1N1-Erreger, vor. Für diese konkrete Körperattacke, die weltweit unterschiedlichste Verteidigungen, Hilfsmaßnahmen, aber auch Polemiken ausgelöst hat, konnten für das Projekt aussagekräftige Objekte gebündelt werden, die nach dem Ende der Grippe so nicht mehr für die Sammlung zu ordern gewesen wären. Hierzu gehört der Impfstoff ebenso wie ein spezieller Schutzanzug für das Gesundheitspersonal, Auf klärungsbroschüren, ein spezielles Fieberthermometer, das an Flughäfen eingesetzt wurde, das Medikament Tamiflu und künstlerische Plakatarbeiten. Für die Themen Lebensbeginn, Lebensabend und Körperkult wurde zusätzlich als Entree ein übergeordnetes Leitobjekt vorgestellt, das die aus der Differenzierung entstandenen Unterthemen mit repräsentiert. Es sind Objekte, die den Bedeutungszusammenhang von Ursache und Wirkung, von Debatte und Objekt am markantesten für das jeweilige Hauptthema spiegeln. In diesem Zusammenhang wurden auch für die Unterthemen Leitobjekte eingeführt, die die jeweilige Rubrik inhaltlich dominant auf den Punkt bringen, wie in den Tabellen deutlich wird.

15 | Vgl. M OORSTEDT 2010.

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Test Geschlechtsbestimmung Leitobjekt

Übergeordnetes Leitobjekt

Lebensbeginn:

Vermessungsbilder

Entnahmeset Nabelschnurblut

Pro und Contra Kinder Geburt

Babyphone

Frühkindlicher Alltag

Sächsischer Bildungsplan

Kindheit

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angefragt und in Verhandlung: VWAltersanzug (2009) Leitobjekt

Übergeordnetes Leitobjekt

Lebensabend: Sexy, potent und aufgeklärt

Nordic-Walking-Stöcke Werbeplakat „Helden der Liebe“

Fit mit Handykap und Spaß dabei

Letzte Dinge

Therapieroboter „Paro“ Patientenverfügung

Alt, krank und pflegebedürftig

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Körperkult: Übergeordnetes Leitobjekt

Körperschmuck

Körpertuning

Ganzkörperrasierer Leitobjekt

Farbige Kontaktlinsen Zahnbleichmittel Insgesamt hat die Arbeitsgruppe innerhalb der zwei Jahre 69 Objekte inhaltlich begründet, geordert und inventarisiert, darunter 43 Schenkungen und 26 Ankäufe.16 Der Spannungsbogen reicht von einem Prenatal Gender Prediction Test, der den Wunsch nach frühzeitiger Geschlechtserkennung bedient, bis hin zu Plakaten aus der Kampagne Helden der Liebe, die 2009 für ein Potenzmittel bundesweit warben und erstmals im öffentlichen Raum ältere Paare, fotografiert von Herlinde Koelbl, in zärtlichen Gesten und in Andeutung von Nacktheit zeigen. Extensions wurden ebenso ausgewählt wie Testikularimplantate und ein Fingerabdruckset. Im Pilotprojekt stieß die Arbeitsgruppe auf Objekte, die nicht unbedingt etwas mit den ausgewählten Themen zu tun hatten, jedoch mit den großen Sammlungsthemen. Hierfür wurde die Rubrik Fundstücke eingeführt.

16 | Alle im Rahmen des Pilotprojektes erworbenen Objekte können online recherchiert werden: Konvolut: Referenzobjekte der Jetztzeit, URL: http://www. dhmd.de/emuseum/eMuseumPlus (Stand: 01.01.2013).

Referenzobjekte der Jet zt zeit. 2000 – 2010

E RKENNTNISGE WINN Grundsätzlich hat das Projekt die Sammlungsarbeit befördert. Es sind vor allen die Diskussionen um Themen und Objekte, die den Blick auf die Sammlung schärfen und bewusst machen, dass Gestalt bildendes Arbeiten möglich ist. Dies bedeutet eine tiefere Auseinandersetzung mit den großen Themenschwerpunkten der Sammlung im Allgemeinen und eine emotionale Verbundenheit mit den Objekten im Einzelnen, die nicht unerheblich ist für das eigene Abspeichern und Abrufen. Aktives Sammeln bedeutet aber auch Mehrarbeit und bedarf der Konzentration und Kontinuität, die im Alltagsgeschäft der Sammlung selten gegeben sind. Zwar lief das Projekt über zwei Jahre, doch waren gerade die Bereiche Objektdiskussion und Objektbeschaffung von zähen Momenten geprägt, die durch Abteilungsprioritäten entstanden. Die „offene“ und so noch nicht erprobte Aufgabe führte auch dazu, dass mehrere Themen formuliert worden sind und die ursprünglich angestrebte Objektanzahl von 100 immense Recherchezeit beanspruchte. Für die Themen und Objektanzahl war die Er- und Bearbeitungszeit über zwei Jahre grundsätzlich notwendig, letztlich für einige Objektbeschaffungen nicht ausreichend. Die Objekte waren an unterschiedlichen Orten verstreut und mussten über verschiedene Quellen zusammengetragen werden. In vielen Fällen war es notwendig, den festen Arbeitsplatz zu verlassen, um sich zum Objekt hinzubewegen. Hier erfuhren die Projektmitarbeiterinnen sehr viel über die ursprüngliche Umgebung und tatsächliche Nutzung des Objektes, die ansonsten kaum eruiert werden können. Mit größerem Zeitaufwand konnte vor Ort die Objektbiografie recherchiert und als weitere Information dokumentiert werden. In diesem Zusammenhang formierte sich ein Netzwerk für eventuell weitere Objektübernahmen, das eine stetige Aktualisierung der Sammlungsgruppen unterstützt. Nicht unerheblich ist, dass persönliche Kontakte und das damit verbundene Werben für die Sammlung die Erwerbungskosten erheblich minimieren. Fast zweidrittel der Objekte sind Schenkungen. Ein noch zu klärender Diskussionspunkt wurde offensichtlich: das Speichern neuer Medien. Einige für das Projekt wichtige „Objekte“ lagen nicht mehr analog, sondern nur noch in digitaler Form vor. Weniger problematisch waren Plakate oder Handzettel, die man entweder beim jeweiligen Online-Dienst bestellen oder selbst ausdrucken konnte. Eher handelte es sich um Filmmaterial zu bestimmten Themen, die auf You-

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tube oder anderen Filmdatenbanken angeboten werden. Überhaupt ist die Entmaterialisierung des Körpers ein Thema für Sammlungsstrategien. Wie sammelt man Erkenntnisse beispielsweise aus dem Bereich der Biowissenschaften, die kaum noch über das sinnlich erfahrbare Präparat vermittelt werden? Diese Diskussionen stehen noch aus und werden sicherlich auch mit den innovativen Ausstellungskonzepten des Deutschen Hygiene-Museums noch weiter in den Fokus gerückt. Letztlich war das Pilotprojekt Ideen gebend für das aktive Sammeln am Deutschen Hygiene-Museum. Seit 2011 wird für jedes Jahr ein Thema formuliert und hierzu werden dann maximal drei Objekte recherchiert und gesammelt. Verhältnismäßig wenig, könnte man meinen, doch die Entscheidungen für die Themen Brustkrebsbehandlung für 2011 und Beschneidung17 für 2012 bedienen den Wunsch, schon vorhandene Sammlungsgruppen wie im ersten Fall zu aktualisieren beziehungsweise wie im zweiten Fall eine Sammlungsgruppe durch ein aktuelles Ereignis zu eröffnen. Gesichert ist, dass die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums zukünftig noch zielgerichteter ihre Sammlungsschwerpunkte fixiert, ausbaut und selbstbestimmt gestaltet. Die bewusste Auswahl der Objekte und der kontinuierliche Auf bau eines stets an der Gegenwart orientierten Sammlungsbestandes sowie das ständige Reflektieren und Bearbeiten dieser Bestände löst zwar nicht das bisher retrospektiv geführte Verwahren/Sammeln ab, eher trägt es dazu bei, die Sammlung zu schärfen und aus ihr heraus prospektive Impulse für Ausstellungen und Forschungen zu geben. Damit erweitern sich auch die Aufgaben respektive das Selbstverständnis der Sammlungsmitarbeiter, die neben der klassischen Sammlungsarbeit, wie wissenschaftliche Inventarisierung, Leihverkehr und konservatorische Betreuung, zu kompetenten Sammlungsscouts in aktuellen Körperdiskursen werden.

17 | Die Beschneidung von Minderjährigen führte 2012 innerhalb der deutschen Gesellschaft zu einer breiten öffentlichen Debatte über Legitimität und Legalität. Eine Regelung per Gesetz wurde im Dezember 2012 im Bundestag beschlossen und vom Bundesrat gebilligt. Vgl. Pressemitteilung des Bundesrates: URL: http://www.bundesrat.de/cln_236/nn_6906/DE/presse/pm/2012/202-2012. html?__nnn=true (Stand 14.12.2012).

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L ITER ATUR Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Gerhard Banse: Der gläserne Mensch. RFID in der Diskussion. In: LIFIS ONLINE, URL: www.leibniz-institut.de/archiv/banse_06_01_09.de (Stand: 06.01.2009), S. 1-16. Christian Brändle: Every Thing Design. In: Every Thing Design. Die Sammlung des Museum für Gestaltung Zürich. Zürich 2009, S. 198205. Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages: Demographischer Wandel. Schlussbericht vom 28. März 2002, URL: http://dipbt. bundestag.de/dip21/btd/14/088/1408800.pdf (Stand: 19.06.2013). Susanne König: Bilder vom Menschen – Geschichte und Gegenwart. Die Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 4/1+2 (2007), URL: http://www. zeithistorische-forschungen.de/16126041-Koenig-2-2007 (Stand: 19. 06.2013). Steffen Kröhnert; Nienke van Olst; Reiner Klingholz: Deutschland 2020. Die demografische Zukunft der Nation. Berlin 2004. Tobias Moorstedt: Medienvirus Schweinegrippe. Erreger und Erregte, URL: http://www.sueddeutsche.de/kultur/medienvirus-schweinegrip pe-erreger-und-erregte-1.137647 (Stand: 17.05.2010). Elisabeth Niejahr: Alt sind nur die anderen. So werden wir leben, lieben und arbeiten. Frankfurt a. M. 2004. Pressemitteilung des Bundesrates, URL: http://www.bundesrat.de/cln_ 236/nn_6906/DE/presse/pm/2012/202-2012.html?_ _nnn=true (Stand 14.12.2012). Christoph S. Schewe: Quo vadis genetischer Fingerabdruck? In: Juristische Rundschau 2006, S. 181-188. Günter Stock u. a. (Hg.): Zukunft mit Kindern, Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Frankfurt a. M. 2012. Gregor Strate; Sebastian Luig: Aktueller Begriff: Körperscanner. In: Deutscher Bundestag (Hg.): Analysen und Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste. Der Aktuelle Begriff Nr. 22/10 vom 25. März

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2010. Als PDF unter URL: http://www.bundestag.de/dokumente/ analysen/2010/koerperscanner.pdf (Stand: 19.06.2013). Lioba Thaut: Klassifikation, Kontigenz und Wissensproduktion. Sammeln am Deutschen Hygiene-Museum Dresden 1990 bis 2010 (Studien zur Materiellen Kultur Reprints, 2). Oldenburg 2012. Markus Walz: Der Begriff „Kulturerbe“ als Handlungsrichtlinie für die Auswahl und Bewahrung von Musealien. In: Monika Kania-Schütz (Hg.): In die Jahre gekommen. Chancen und Potenziale kulturhistorischer Museen. Münster 2009, S. 159-171.

Die Rechte der Abbildungen liegen beim Deutschen Hygiene-Museum.

Bungalow und Wohncontainer Neues Bauen im LVR-Freilichtmuseum Kommern am Rande der Gegenwart Carsten Vorwig „Aus dem steten Erleben, daß das, was man als Zeugnis jüngster Vergangenheit zeigen möchte, gerade überall fortgeworfen ist, bemühen sich volkskundliche, kulturhistorische und historische Museen seit einigen Jahrzehnten um eine mehr oder minder repräsentative Sammlung der sogenannten Gegenwartskultur.“1

Mit diesem Satz weist Hinrich Siuts auf ein schon fast traditionelles fachimmanentes Problem der musealen Volkskunde hin, die doch stets in dem Bemühen verhaftet ist, bedrohtes oder schon fast vergangenes Kulturgut zu retten und für die Nachwelt zu bewahren. Das war schon bei der Gründung der Freilichtmuseen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert so und ist es vielfach auch bis heute.2 Ein systematisches Sammeln von Gegenwartskultur, wie im Skandinavien der 1970er Jahre, wo es konzeptionell und strukturell gut durchdachte Konzepte gab, findet sich in deutschen Freilichtmuseen nur in zaghaften Ansätzen. 1984 postulierte Josef Schepers auf der Tagung des Verbandes Europäischer Freilichtmuseen, das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert in den Blick zu nehmen.3 Diese Prämisse und zeitliche Grenze galt bis vor wenigen Jahren für die meisten Freilichtmuseen als verbindliche Regel. Da scheint es kaum verwunderlich, dass auch die Be1 | S IUTS 2000, S. 188. Meinen Beitrag möchte ich Hinrich Siuts zum 80. Geburtstag widmen, vorgetragen am Tage seines Festaktes, aber an anderem Ort. 2 | Aus der Fülle an Literatur sei hier verwiesen auf Z IPPELIUS 1974; B RAMSEN 1971; B JÖRNSTAD 1994; B AUMEIER 1996 und G SCHWEND 1998. 3 | Vgl. S CHEPERS 1984, S. 202f.

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völkerung zunächst sehr befremdlich darauf reagiert, wenn Objekte der jüngsten Vergangenheit zum Objekt musealer Begierde werden. Der Besitzer eines alten Hauses hatte sich im LVR-Freilichtmuseum Kommern des Landschaftsverbandes Rheinland gemeldet, um alte Dachpfannen anzubieten. Diese waren zwar schon sehr marode und nicht mehr zu gebrauchen, die Fahrt des Museumsmitarbeiters dorthin hatte sich dennoch gelohnt, denn vor einem der alten Fenster hingen noch Vorhänge mit großen Mustern in orange, gelb und dunkelbraun. Auf das euphorische „die hätte ich gerne“ des Museumswissenschaftlers folgte vom Hausbesitzer ein fassungsloses „Dene Driss. Watt soll datt dann…?“ Sein Gesichtsausdruck führte allzu deutlich vor Augen, dass die Museen in ihrer Öffentlichkeitswahrnehmung noch nicht in der Sammlungs-„Gegenwart“ angekommen sind. Vorhänge aus den 1970er Jahren – für viele Museumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mental bereits sammlungswürdig – sind für die Menschen im Rheinland scheinbar noch nicht wirklich museumsreif. Aber sind die Museen sammlungstheoretisch und -inhaltlich wirklich schon in der gegenwärtigen Zeitgeschichte angekommen? Wie spiegelt sich Gegenwart in den verschiedenen Ausstellungskonzeptionen wider? Gegenwart, definiert als „Zeit[punkt] zwischen Vergangenheit und Zukunft; Zeit, in der man gerade lebt; Jetztzeit“4 wird in Freilichtmuseen nur in Ausnahmefällen als fundamentaler Bestandteil von Ausstellungskonzeptionen anzutreffen sein, da es sich im strengen Sinne der Definition bereits beim Sammeln um Objekte der Vergangenheit handelt, sobald diese – aus ihrem Originalzusammenhang gerissen – die Schwelle des Museums überschritten haben. Somit bietet es sich an, wenn wir in Bezug auf Ausstellungen und Sammlungen von Objekten der geschichtlichen Gegenwart und jüngsten Vergangenheit sprechen, wenn es um sogenannte gegenwartsbezogene Themen geht. Der Terminus Zeitgeschichte ist definitorisch zu weit gefasst und in unserem Zusammenhang als Einschränkung auf die geschichtliche Gegenwart und jüngste Vergangenheit nicht hilfreich. Zeitgeschichte umschreibt vielmehr die Epoche der Späten Neuzeit, die von noch lebenden Zeitzeugen bewusst miterlebt wurde.5 Zunehmend wird diese Definition 4 | Siehe URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Gegenwart (Stand: 28.10. 2013). 5 | Vgl. R OTHFELS 1953, S. 1-8.

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eingeschränkt auf die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 6 In unserem Zusammenhang soll in diesem Beitrag zwar auch die Zeitgeschichte nicht unbeachtet gelassen werden, im Fokus aber sollen vor allem die geschichtliche Gegenwart und jüngste Vergangenheit stehen.

G ESCHICHTLICHE G EGENWART IN DEN S AMMLUNGEN DER F REILICHTMUSEEN : G EBÄUDE Ein kurzer Blick in die freilichtmuseale Szene 7 soll die Frage ansatzweise beantworten, ob sich geschichtliche Gegenwart überhaupt und wie sich jüngste Vergangenheit im Einzelnen in den Sammlungs- und Ausstellungskonzeptionen der Freilichtmuseen widerspiegeln. Es finden sich zahlreiche Projekte, die sich zunächst einmal nur der zeitgeschichtlichen Vergangenheit des 20. Jahrhunderts widmen: Das Freilichtmuseum Glentleiten verfügt über ein Gebäude des frühen 20. Jahrhunderts in seiner Dauerausstellung. Die freitragende Halle aus den 1920er Jahren war ursprünglich als Sägewerk errichtet worden. Die Lamellenkonstruktion verdeutlicht die innovativen Versuche der industriellen Fertigbauweise, zu neuen baulichen Lösungen zu gelangen. Des Weiteren präsentiert der museale Sammlungsbestand ein Blockhaus, das in zwei Zeitschnitten gezeigt wird: einerseits im Erbauungszustand aus einem Zeitschnitt von 1621, andererseits im letzten Nutzungszustand als Ferienhaus zwischen 1970 und 1990.8 Im Freilichtmuseum am Kiekeberg findet sich seit einigen Jahren eine Nissenhütte als Exponat aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.9 Nissenhütten wurden in der Nachkriegszeit als Notunterkünfte genutzt. Daneben findet sich ein weiteres Gebäude aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: ein Milchpilz. Solche Trinkhallen oder Kioske in Fliegenpilzform, kurz Milchpilze genannt, waren in den frühen 1950er Jahren vor allem auf Sportplätzen, in Parks,

6 | Vgl. S ABROW 2012 und B ÖSCH/DANYEL 2012. 7 | Die folgenden Beispiele sind frei gewählt und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 8 | Vgl. K REILINGER 2000, S. 222f.; K ANIA -S CHÜTZ 2006, S. 99f. 9 | Siehe dazu auch K LEINFELD 2007.

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Schwimmbädern und Stadtzentren zu finden.10 Im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim gehört mittlerweile ein Stahlhaus aus den späteren 1940er Jahren zum Bestand architektonischer Exponate. Zwischen 1946 und 1948 versuchte die Firma MAN ihre Rüstungsproduktion auf zivile Nutzung umzustellen, um die vorhandenen Rohmaterialien sinnvoll weiter nutzen zu können. Ein Versuch war dabei der Hausbau, der sich langfristig jedoch nicht durchsetzte.11 Auch das LWL-Freilichtmuseum Detmold des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe widmet sich dem 20. Jahrhundert. Eine Tankstelle aus dem Siegener Raum wurde vor kurzem in das Freilichtgelände transloziert. Nach ihrer Restaurierung wird die erstmals 1951 errichtete Tankstelle in der Baugruppe Siegerland wieder aufgestellt und präsentiert.12 Andere Freilichtmuseen widmen sich ebenfalls mit einzelnen Gebäuden dem 20. Jahrhundert und damit der jüngeren, aber nicht jüngsten Vergangenheit. Vielfach dominieren dabei sogar eher die frühen Zeitschnitte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

G ESCHICHTLICHE G EGENWART IN DEN S AMMLUNGEN DER F REILICHTMUSEEN : A USSTELLUNGEN Zeitgleich befassen sich temporäre Ausstellungen mit den Themen der jüngeren Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine große Verbundausstellung der Freilicht- und Freilandmuseen in Cloppenburg, Fladungen und Bad Windsheim beschäftigte sich 2012 mit der Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land. An den drei Standorten wurden unterschiedliche Themen dieser Zeit in den Fokus genommen.13 Bereits zur Jahrtausendwende hat sich das LWL-Freilichtmuseum Detmold mit der Ausstellung Zimmerwelten der damaligen Gegenwart angenommen.14 Die Übernahme komplett eingerichteter Kinder- und Jugendzimmer im Zeitschnitt 1999/2000 in den Sammlungsbestand des Museums gilt neben den skandinavischen Sammlungsmodellen der 10 | Siehe URL: http://www.kiekeberg-museum.de/so-ist-es-bei-uns/historische gebaeude/nachkriegszeit/milchpilz.html (Stand: 21.10.2012). 11 | M AY 2012, S. 38. 12 | Vgl. A PEL /E GGERT/M ICHELS 2013. 13 | Siehe dazu den Beitrag von Julia P EDAK in diesem Band. 14 | Vgl. C ARSTENSEN/D ÜLLO/R ICHARTZ-S ASSE 2000.

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1970er Jahre15 noch immer als wegweisend für das Sammeln von Gegenwartskultur. Das Zimmer der damals achtjährigen Katharina umfasste 2.200 Objekte, das des sechzehnjährigen Celal dagegen nur gut 550. Anhand der Objektmengen wird deutlich, welche Herausforderungen ein Sammeln der gegenwärtigen Alltagsphänomene mit sich bringt. Durch eine historisch generierte Selektion, die der Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte währende Prozess der Abwägung zwischen Auf bewahren oder Wegschmeißen der Objekte durch ihre Besitzer mit sich brachte, hatte beim bisherigen Sammeln von Objekten vergangener Zeiten wie von selbst eine Reduktion der Objektmengen zur Folge. In der Regel entscheidet die Benutzbarkeit eines Objektes, ob es diesen Selektionsprozess übersteht. War ein Ding kaputt oder nicht mehr zu gebrauchen, wurde es umgearbeitet oder fortgeworfen. Gesammelt wurden in den Museen somit nur die Überreste der noch erhaltenen und damit „wertvoll“, weil selten gewordenen Objektbestände. Dieser Selektionsprozess, der zuvor durch die Eigentümer und Benutzer der Dinge durchgeführt wurde, obliegt für das Sammeln der Gegenwart nun den Museumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Fluch und Segen gleichermaßen: Während beim Sammeln von Objekten vergangener Jahrhunderte stets die Unvollständigkeit bedauert wird, sind beim Sammeln gegenwärtiger Gebäude und Wohnungseinrichtungen die Bestände annähernd vollständig. Gleichzeitig aber drohen die Museen in der Masse an Objekten zu ertrinken. Das LWL-Freilichtmuseum Detmold hat sich 1999/2000 auf das Sammeln einzelner, weniger Kinder- und Jugendzimmer beschränkt. Alle Möbel, Bilder, Kleidungsstücke bis hin zu den Überraschungseier-Sammelfiguren im Setzkasten wurden dokumentiert und sind heute ein Bestandteil der Detmolder Museumssammlung. Neben der Ausstellung Landleben in den 50ern. Wirtschaftswunderjahre auf dem Bauernhof greift das Freilichtmuseum am Kiekeberg in seinem Agrarium – einer Indoor-Dauerausstellung – Themen rund um die historische Landwirtschaft auf und führt sie bis in die Gegenwart. Beispielsweise wird gezeigt, wie Lebensmittel früher und heute hergestellt werden. Im Mittelpunkt stehen die Verarbeitungswege „vom Acker in die

15 | G ÖRAN 1980. Weitere Literaturhinweise bei S IUTS 2000, S. 188. Zur aktuelleren Situation des SAMDOK-Projektes siehe K JERSTRÖM S JÖLIN 2003.

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Tütensuppe, vom Euter bis zum Joghurt“.16 Auch hier wurde die Selektion zu sammelnder Objekte gegenwärtiger Alltagsphänomene von den Museumswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern durchgeführt. Einzelne Aspekte der Ausstellung wurden in einen Entwicklungszusammenhang gestellt und bis in die Gegenwart des Jahres 2012 weitergeführt. Hierzu wurden gezielt Objekte beziehungsweise Teilobjekte gesammelt, wie die Fahrerkabine eines gegenwärtigen Mähdreschers. Ähnlich wie beim Sammlungskonzept der Ausstellung Zimmerwelten im LWL-Freilichtmuseum Detmold, bei dem der Fokus auf der Gesamtheit an Dingen aus einer bestimmten Provenienz und der Zeitschnitt auf der Gegenwart beziehungsweise museal auf der jüngsten Vergangenheit lag, ging auch das Nederlands Openluchtmuseum in Arnhem vor. Erstmalig präsentierte es ein transloziertes Gebäude als Originalexponat mit gesamtem originalem Inventar der jüngsten Vergangenheit aus dem beginnenden 21. Jahrhundert. 2004 wurde die Hofanlage des 16. Jahrhunderts in das Museum versetzt.17 Gezeigt werden die Gebäude im Zustand 2002 mit der Originalmöblierung aus dieser Zeit. Nach dem Ende der landwirtschaftlichen Nutzung wurden die Gebäude zu Wohnhäusern umfunktioniert und teilweise vermietet. Die Möblierung der letzten Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Jahr 2002 bietet hier ein sehr authentisches Bild des frühen 21. Jahrhunderts auf einem umgenutzten und den modernen Wohnbedürfnissen angepassten Bauernhof des 16. Jahrhunderts. Auch hier zeigt sich beim ursprünglich auf die geschichtliche Gegenwart ausgerichteten Sammlungskonzept die alleinige Darstellungsmöglichkeit einer vergangenen Situation. Inzwischen lassen einige Details – beispielsweise die Objektivationen der schnelllebigen Medien – der inzwischen fast 10 Jahre alten Ausstellung bereits ihre historische Dimension deutlich werden.

16 | Siehe dazu URL: http://www.kiekeberg-museum.de/agrarium.html (Stand: 21.10.2012). Vgl. auch J UNKER 2012. 17 | Siehe dazu URL: http://www.openluchtmuseum.nl/ontdek-het-museum/ museale-gebouwen/woonboerderij-hoogmade-zh/ (Stand: 16.09.2013).

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G ESCHICHTLICHE G EGENWART IM LVR-F REILICHTMUSEUM K OMMERN : DIE NEUE B AUGRUPPE Was kann und will nun das LVR-Freilichtmuseum Kommern zu dem Themenbereich Geschichtliche Gegenwart und jüngere Vergangenheit beitragen? Das Freilichtmuseum widmet sich seit einigen Jahren verstärkt dem 20. und 21. Jahrhundert und damit der jüngeren und jüngsten Vergangenheit. Mit einer neuen Baugruppe soll diese Zeitepoche dokumentiert und den Museumsbesucherinnen und -besuchern das Leben im Rheinland der zeitgeschichtlichen Vergangenheit, aber auch der geschichtlichen Gegenwart vermittelt werden. Am Anfang dieses Unterfangens stand die grundsätzliche Frage nach der Konzeption. Ein sich allmählich in vielen Freilichtmuseen durchsetzendes Prinzip ist, die vorhandenen Baugruppen um Gebäude in einem jüngeren Zeitschnitt zu erweitern. Die vier historischen hauslandschaftsbezogenen Baugruppen in Kommern sind in ihrer Konzeption sehr homogen. Es werden Siedlungsbilder nachgezeichnet, die die regionalen Besonderheiten sowohl im Hausbau als auch in alltäglichen Arbeits- und Lebensweisen in Eifel, Niederrhein, Westerwald und im Bergischen Land berücksichtigen. Die zeitliche Ausrichtung ist bedingt durch die bisher unausgesprochen als opportun empfundene Sammlungsstrategie auf den Zeitraum vom ausgehenden 15. bis in das 19. Jahrhundert eingeschränkt. Und das aus gutem Grund. Konrad Bedal sagte einmal für Franken, dass das Mittelalter erst nach dem Zweiten Weltkrieg endete.18 Das war in den ländlichen Regionen des Rheinlandes grundsätzlich nicht viel anders. Der Bruch im 20. Jahrhundert ist so eklatant, dass eine Ausweitung der bisherigen musealen Konzeption auch gleichzeitig ihr Ende bedeuten würde. Schon Josef Schepers, Gründungsdirektor des Freilichtmuseums in Detmold wandte sich 1984 gegen eine Ausweitung der freilichtmusealen Baugruppen auf jüngere Zeitschnitte: „Die sprengende Wirkung von Bauten und Bauteilen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts innerhalb älterer Baugruppen wird zu einer erdrückenden, wenn sie in ihrem Volumen auch noch überdimensioniert sind. […] Freilichtmuseen haben meines Erachtens nicht so sehr die Aufgabe, das zerstörte Schöne zu zeigen, son-

18 | Zitiert nach M AY 2011, S. 11.

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dern eine Ahnung vom unverletzten Schönen wachzuhalten in einer Zeit, die sich einstweilen mit Surrogaten des Schönen begnügt.“19

Dieser Argumentation kann man folgen oder auch nicht. Es sind hier doch eher die ästhetischen Gründe, die im Mittelpunkt stehen. Eine solche Argumentation lässt sich schnell entkräften, indem man Veränderung und Wandel, die wesentliche alltägliche Kulturphänomene darstellen, zum Prinzip der Konzeptionierung erklärt. Innerhalb der Baugruppe könnte so anhand einer Hofanlage gezeigt werden, wie sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen des 20. Jahrhunderts kulturell, aber vor allem baulich niederschlugen. Diese Form der Erweiterung der vorhandenen Baugruppen – wie sie in vielen Freilichtmuseen vorgenommen wird – bietet aber nur begrenzt die Möglichkeit einer breiteren Darstellung des historischen Alltagslebens im 20. und 21. Jahrhundert. Eine Verstädterung der Dörfer, wie sie vielfach im 20. Jahrhundert vonstattenging, lässt sich hier nur sehr bedingt zeigen. Zudem müssten Siedlungslücken in der historischen Bebauung mit Bauten des 19. bis 21. Jahrhunderts geschlossen werden. Letztlich würde hierdurch die Aussagekraft der Baugruppe zum Leben und Bauen im 15. bis 19. Jahrhundert aber verloren gehen. Somit wagt das LVR-Freilichtmuseum Kommern einen tiefgreifenden und umfassenderen Schritt: Es soll eine komplett neue Baugruppe in einem jüngeren Zeitschnitt entstehen. So können verschiedenste Facetten der Alltagskultur im Rheinland gezeigt werden, die funktional, kulturhistorisch und vor allem siedlungsgeographisch aufeinander abgestimmt sind.

G RUNDL AGENFORSCHUNG UND K ONZEP TION DER NEUEN B AUGRUPPE Für die Erstellung einer solchen neuen Baugruppe bedurfte es daher zunächst einmal umfangreicherer Grundlagenforschung zum Siedlungsbild und zur Gewerbe- und Alltagsstruktur. Wie sahen Dörfer im Rheinland nach dem Zweiten Weltkrieg aus? Wie wirkten sich Faktoren wie Verstädterung auf das Siedlungsbild aus? In einem mehrjährigen internen Projekt dokumentierten Mitarbeiter des Freilichtmuseums his19 | S CHEPERS 1984, S. 202f.

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torische Kleinstadt- und Dorf kerne sowie deren gesamte Siedlungstopographie. Zusammen mit den zum Teil sehr umfangreichen Denkmaltopographien20 konnten so charakteristische Siedlungsmuster festgemacht werden. Ein besonders augenfälliges und allein von der Lage her sehr markantes Merkmal der Dorfkerne war der Marktplatz. In einer Vielzahl rheinischer Orte vergrößert sich die Durchgangsstraße zu einer platzartigen Erweiterung, während die Straße auf der anderen Seite des Platzes weiterführt. An solchen Plätzen lagen in der Regel Geschäfte unterschiedlichster Art. Es fanden sich hier zum Beispiel Lebensmittelgeschäfte, die in den 1950er/60er Jahren oft schon als Teilselbstbedienungsläden funktionierten.21 Die typische Differenzierung der Produktpalette zeigte sich in dieser Zeit durch Obst und Gemüse auf der einen, Butter, Eier und Käse auf der anderen Seite, Kolonialwaren, Bäcker, Metzger und anderes mehr. An diesen Plätzen fanden sich aber auch Dienstleistungsgeschäfte wie Frisörsalons oder Gastwirtschaften. In den 1960er/70er Jahren kamen Radio- und Fernsehgeschäfte, Bankfilialen oder Haushaltswarenläden hinzu. Die Gesellschaft veränderte sich zunehmend; Konsumgewohnheiten änderten sich. In den Hinterhöfen verbargen sich stillgelegte Werkstätten als Folge des großen „Handwerkersterbens“ des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Innerorts bestimmten die technischen Innovationen wie Telefonzellen, Eiserne Schutzmänner, wie man die Notrufsäulen nannte, und Bushaltestellen für den öffentlichen Personennahverkehr sowie das obligatorische Kriegerdenkmal das Ortsbild. Parkplätze und Parkuhren folgten dem ständig steigenden Individualverkehr auch in den ländlichen Regionen. Im Anschluss an die Bebauung des Marktplatzes erschließen weitere Straßen die Wohn-, Gewerbe- und teilweise landwirtschaftlich strukturierte Bebauung. Folgt man der Durchgangsstraße finden sich im Ortsrandbereich infrastrukturelle Bauten wie Trafotürme, Tankstellen oder Wasserbunker. Ein typisches siedlungsgeographisches Element der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Neubaugebiete außerhalb der historischen Ortskerne. Fast jedes Dorf, jede Kleinstadt, jede Stadt musste nach dem Krieg für die Vielzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen neuen 20 | Vgl. B ENDERMACHER 1971; B USCHMANN/JAN ß EN -S CHNABEL 1996 und B ÜT TE /EVERZ / P ESCH 1995. 21 | Siehe dazu auch L ÜTZENKIRCHEN 2010.

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Wohnraum in Massen schaffen. Wurden zunächst improvisierte Unterkünfte als Baracken auf freien Plätzen und Brachflächen errichtet, folgte alsbald eine stadtplanerische Ausweisung von strukturiert geplanten Neubaugebieten für dauerhaftes Wohnen. Diese Strukturen sollen bei Planung und Auf bau der neuen Baugruppe Marktplatz Rheinland im Freilichtmuseum Kommern Berücksichtigung finden. Eine Durchgangsstraße mit sich erweiterndem Marktplatz wird das Kernstück der Baugruppe bilden. An diesem Platz werden Gebäude verschiedensten Alters und unterschiedlichster Funktion stehen: Wohnhäuser, Geschäftshäuser, Handwerksbetriebe. Auch ein „Neubaugebiet“ der späten 1950er bis 1970er Jahre wird am Rande des „alten Ortskerns“ liegen. Hier finden sich mit Bungalow und Fertighaus völlig neue Bautypen, die im ländlichen Hausbau Einzug halten.

S AMMLUNGSSTR ATEGIE UND M ARKE TING FÜR DIE NEUE B AUGRUPPE Sammlungsstrategisch bedeutet eine konzeptionell neue Ausrichtung immer auch eine große Herausforderung. Das öffentliche Bild der Freilichtmuseen ist bisher noch überwiegend geprägt von den Darstellungen der vorhandenen Baugruppen in den Zeitschnitten des 15. bis 19. Jahrhunderts. Eine Ausweitung des Darstellungszeitraums auf das 20. und 21. Jahrhundert bedarf gerade im Bereich der öffentlichen Wahrnehmung grundlegender marketingstrategischer Maßnahmen, um die neue Ausrichtung bekannt zu machen. Nur so ist gewährleistet, dass die für Freilichtmuseen wichtigen Hinweise auf interessante Objekte und Inventarbestände aus der Bevölkerung auch für die jüngeren Zeitschnitte weitergegeben werden. Nur wenn bekannt ist, dass ein Freilichtmuseum bestimmte Gebäude oder Objekte sammeln möchte, werden auch entsprechende Dinge angeboten. Weiterhin entscheidend ist aber auch eine Festlegung auf eine Sammlungsstrategie: Welche Gebäudetypen sollen gezeigt werden? Welche Altersstruktur ist grundlegend für welchen Teil der Siedlung? Welche Einrichtungsensembles werden benötigt? Was soll überhaupt gezeigt werden? Nur so können eine Art Bauprogramm und eine Sammlungsstrategie erstellt werden, die auch über die Medien in gezielten Suchaktionen publik gemacht werden können.

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Ohne ein solches Sammlungskonzept können die Freilichtmuseen in die Position einer Entsorgungsstation zufällig angebotener Dinge rutschen.22 Das Museum sollte sich die Rolle des aktiven Sammlers nicht aus den Händen nehmen lassen. Gerade die gezielten Aufrufe und Suchaktionen haben neben dem Sammlungserfolg des konkret Gesuchten gleichzeitig auch eine positive Außenwirkung bis hin zum Werbeeffekt. Auf diese Weise konnte das LVR-Freilichtmuseum Kommern bereits einige spezielle Bauten wie Nissenhütte oder Fertighaus finden und in den Sammlungsbestand überführen. Nach der inhaltlichen und siedlungsstrukturellen Konzeption muss als Grundlage für die Sammlungsstrategie also die marketingstrategische Ausrichtung folgen. Wie soll beispielsweise eine solche neue Baugruppe heißen? Die vier bestehenden Baugruppen im Freilichtmuseum Kommern wurden nach ihrer Region benannt, deren Bau-, Wirtschaftsund Alltagsstruktur sie abbilden. Da die Gebäude der neuen Baugruppe aus dem gesamten Rheinland stammen werden, kam eine Teilregion als Bezeichnung nicht in Frage. Der letztendlich gewählte Name Marktplatz Rheinland ist einerseits der Herkunft ihrer Gebäude und andererseits den ortsüblichen Straßenbezeichnungen geschuldet: Auffallend viele Orte im Rheinland haben die Bezeichnung Marktplatz in der Liste ihrer Straßennamen. Oft wird dieser noch kombiniert mit dem Ortsnamen, wie etwa bei Marktplatz Borschemich, Marktplatz Pesch, Marktplatz Immerath. Da nicht ein einzelner Ort als Grundlage für die museale Baugruppe dient und die Gebäude aus dem gesamten rheinischen Einzugsgebiet stammen, lag die Bezeichnung Marktplatz Rheinland auf der Hand.

I NHALTLICHE K ONZEP TION DER NEUEN B AUGRUPPE Notunterkünfte und Geschäftshäuser In der neuen musealen Baugruppe werden sich die Besucherinnen und Besucher unregelmäßig chronologisch der Gegenwart nähern. Das bedeutet, dass sich die Baugruppe nicht streng chronologisch auf baut. Die Gebäude werden in unterschiedlichen Zeitschnitten gezeigt. In der Regel resultiert der jeweilige Zeitschnitt der Ausstellungseinheit Gebäude aus 22 | Vgl. O VERDICK 2007, S. 53.

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der individuellen Hausgeschichte und dem überlieferten originalen Bestand der Sammlungseinheit Gebäude. Räumlich steht am Beginn der Baugruppe eine Inszenierung zum vergangenen Krieg: Reste eines gesprengten originalen Bunkers aus nationalsozialistischer Zeit dokumentieren die ehemaligen Verteidigungszonen hinter dem Westwall und zeigen insitu Reste einer Flakstellung. Unmittelbar daneben werden zwei Nissenhütten stehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg prägten diese halbrunden Wellblechhütten das Ortsbild vieler deutscher Städte, aber auch ländlicher Gemeinden. Sie dienten als Notunterkunft für Vertriebene und Flüchtlinge, aber auch für die ausgebombte Stadtbevölkerung. Anhand von Gewährspersonen aus dem Ruhrgebiet, einem Vorort von Köln, Euskirchen und Mechernich werden die improvisierten Lebensverhältnisse dieser Notzeit rekonstruiert.23 Zusammen mit einem Behelfsheim von 1944 zeigen die beiden Nissenhütten den Ausschnitt eines Barackenlagers an der Zugangsstraße zur neuen Baugruppe. Im eigentlichen Ortskern der Baugruppe stehen die Gebäude nicht nach ihrem Zeitschnitt sortiert nebeneinander, sondern nach Funktionszusammenhängen, vorgegeben von historischen Siedlungsstrukturen. Innerhalb des „historischen“ Ortskerns finden sich Gebäude unterschiedlichen Alters. Die architektonischen Körper zeigen die „gewachsenen“ Strukturen der Wohn- und Geschäftshäuser zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert. Dagegen legen die Inneneinrichtungen einen wesentlich engeren Fokus auf die zeitgeschichtliche Vergangenheit bis hin zur geschichtlichen Gegenwart. Ein Obst- und Gemüseladen aus dem Raum Köln wird wie am Originalstandort in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert eingerichtet. Die Ladeneinbauten aber wurden 1966 von der Firma Otto Kind aus Kotthausen im Bergischen Land hergestellt und eingebaut.24 Ein italienisches Eiscafé aus dem Raum Bonn wird in einem Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert gezeigt. Die Ladeneinrichtung stammt aus den frühen 1960er Jahren. Beide Beispiele spiegeln die typische Situation der unterschiedlichen Zeitschnitte wider, in denen Gebäude über Generationen hinweg genutzt werden. Ladeneinrichtungen, aber auch Wohnungs-

23 | Vgl. VORWIG 2009. 24 | Siehe dazu auch L ÜTZENKIRCHEN 2010, S. 233, 438.

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ausstattungen werden je nach Wirtschaftslage oder persönlichen Bedürfnissen verändert oder auch erneuert.

Flachdachbungalow Dominierten auf dem Land bis in das 19. Jahrhundert vielfach traditionelle Fachwerkbauten, so setzen sich im 20. Jahrhundert zunehmend neue Bau- und Hausformen durch. In den Wirtschaftswunderjahren findet dann der Flachdachbungalow seinen Weg auch in die ländlichen Regionen des Rheinlandes. Die neuen Baukörper „ohne“ Dach wirken zunächst wie Fremdkörper.

Abbildung 1: Der Flachdachbungalow von 1959 als erstes Gebäude der neuen Baugruppe (Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, 2013).

Der Flachdachbungalow von 1959 ist als erstes Gebäude der neuen Baugruppe im Museum eröffnet worden. Er ist konzeptionell Teil der geplanten „Siedlungserweiterung“ der Nachkriegszeit innerhalb der neuen Baugruppe. Als Insitu-Bau musste er nicht transloziert werden. Noch vor der Eröffnung des Freilichtmuseums in Kommern wurde er als Teil eines Gastronomiekomplexes am Rande des Museums errichtet. Der Grundriss des Bungalows zeigt sehr typisch für die Bauzeit einen unwinklig abknickenden Flügel, in dem sich die Garage befindet. Die L-Form ist gerade

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in der Zeit der 1950er bis 1970er Jahre ein beliebter Grundriss bei Bungalowbauten. Die Räume sind insgesamt relativ klein bemessen. Auch die Fenster wirken im Vergleich zu den Entwürfen namhafter Architekten eher bescheiden. Von breiten Glasfronten und aufgelöster Architektur, die die umgebende Landschaft einbinden, kann hier nicht die Rede sein. Die Gartenzwerge im Vorgarten zeugen eher von Beschaulichkeit. Abbildung 2: Esszimmer aus Schleiden aus den 1950er Jahren (Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, 2013).

Da keine originale Möblierung des Bungalows mehr vorhanden war, sind vergleichbare zeittypische Möblierungsensembles ausgestellt. Diese sind aber raumweise in sich geschlossen und haben dieselbe Provenienz. Entsprechende grundlegende Recherchen brachten verschiedene Lebensläufe von Gewährspersonen hervor, die als Grundlage für die „Bestückung“ genommen werden konnten. Eine Gewährsperson stellte dem Freilichtmuseum die komplette Möblierung von Wohnzimmer und Küche zur

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Verfügung, so dass die gesamte Möblierung des Bungalows an dessen Familie ausgerichtet werden konnte. Die Grundzüge des Lebenslaufs waren sehr typisch für die Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit: Kriegsversehrtheit, Flucht, Ansiedlung im Rheinland, zunächst Angestelltenverhältnis, anschließend Selbstständigkeit, langsam und allmählich steigender Wohlstand, Möbelkauf, Autokauf, Hausbau. Eine bedeutende strukturelle Gemeinsamkeit bei allen Gewährspersonen war das generell zu beobachtende Phänomen, dass mit dem Neubau eines Hauses nicht eine komplette Neumöblierung der Räume einherging. Um dieses zu verdeutlichen, zeigt das Möblierungskonzept in dem Bungalow von 1959: Schlafzimmermöbel von 1928, Esszimmermöbel aus den frühen 1950er Jahren, Wohnzimmermöbel von 1965 und Küchenmöbel von 1973. Einzig das Badezimmer stammt aus der Zeit des Hausbaus selbst, da hier bautechnisch bedingt die Errichtung der Erstausstattung stets mit dem Baujahr zusammenfällt. Zum Ausstattungskonzept der einzelnen Räume gehören neben den Möbeln selbstverständlich auch die vielen Kleinigkeiten, die den Charakter eines Raumes ausmachen, wie zum Beispiel das Stickbild des Hundes an der Wand, die Vase auf dem Tisch, der Aschenbecher mit Zigarre, die Ziergläser im Schrank. Alle diese Objekte stammen aus der gleichen Provenienz wie die Möbel und stellen eine einheitliche Gesamtheit dar, die somit lebensgeschichtlich belegbar eine typische Alltagssituation widerspiegeln.

Fertighaus aus dem Quelle-Katalog Noch aufsehenerregender als das „Haus ohne Dach“ war die Tatsache, dass man in den 1960er Jahren Häuser aus dem Versandhauskatalog bestellen konnte. Die Firma Quelle vertrieb ab 1962 neben Textilien als klassisches Kataloggeschäft auch Häuser. Fertighäuser wurden schnell zu einer typischen Bauweise im modernen Wohnbausektor der 1960er/70er Jahre. Der architektonische Entwurf dieses standardisierten Fertighauses war angelehnt an Entwürfe bekannter zeitgenössischer Stararchitekten. Allerdings waren diese in Form und Ausführung sehr vereinfacht und preislich verschlankt. In Kommern wird in der neuen Baugruppe auch ein Fertighaus der Firma Quelle aus dem Jahr 1965 stehen. Es handelt sich um den Quelle-Fertighaustyp 100/F. Das Fertighaus besteht aus einem massiven Keller und einem Erdgeschoss. Der Keller nimmt dabei die gesamte Hauslänge, aber nur circa zweidrittel der Breite des darüber

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liegenden Wohnteils ein. Der Wohnteil ragt also in der Breite an beiden Seiten über den Keller hinaus und ist komplett mit einem Flachdach bedacht.

Abbildung 3: Quelle-Fertighaus von 1965 (Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, 2013).

Nur geringfügige bauliche Veränderungen lassen den Blick frei auf den Erbauungszustand, geben aber auch Einblicke in die persönlichen Vorlieben der Eigentümer und Bewohner. Diese Veränderungen, aber auch der Urzustand sollen bei der Präsentation des Gebäudes im LVR-Freilichtmuseum Kommern im Vordergrund stehen, denn sie zeigen anschaulich die Geschichte des Hauses und der darin lebenden Menschen. Zeittypisch waren auch die Verkaufsstrategien der Firma Quelle. Sie bot vielfältige Formen von Darlehen an: Für Spätheimkehrer, „die nach dem 31.12.1946 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurden“, für „Junge Ehepaare […], die nicht länger als 5 Jahre verheiratet sind“, oder als Beihilfe für Landarbeiter.25 Bei der Beschäftigung mit Bauten der jüngeren Vergangenheit wird auf die Museen ein zusätzliches konservatorisches Problem zukommen: 25 | Quelle-Fertighaus-Fibel 1963, S. 101.

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Die Verwendung zeittypischer Baustoffe, die heute als Schadstoffe eingestuft werden. Die Konstruktionsart der Quelle-Fertighäuser beispielsweise sah in den 1960er Jahren die Verwendung von asbesthaltigen Materialien vor. Hier müssen angepasste Vorgehensweisen gewählt werden.

Gasthaus und Biergarten Neben den Wohnhäusern bilden die Gewerbe- und Geschäftshäuser die charakteristischen Bauten rund um die Marktplätze. Das Herzstück einer jeden kleinstädtischen und dörflichen Gemeinschaft war bis in die 1970er Jahre das Gasthaus. Ein solches dörfliches Gasthaus konnte 2010 in das Freilichtmuseum nach Kommern transloziert werden. Die Gaststätte Watteler aus Eschweiler über Feld ist inzwischen eröffnet und fester Bestandteil der neuen Baugruppe. Bei diesem Bau- und Ausstellungsprojekt ist es gelungen, nahezu alle Ausstellungsstücke aus derselben Provenienz zu übernehmen. Sowohl das Gebäude, als auch die Einrichtung bis hin zum Bierdeckel und Knobelbecher stammen von einer Familie. In der Regel müssen bei den Inneneinrichtungen der freilichtmusealen Gebäude zahlreiche Gegenstände aus anderer Herkunft ergänzt werden, da die Originalstücke im Laufe der Zeit verschwunden sind. Nicht so in diesem Fall. Die historische Gastwirtschaft Watteler aus Eschweiler über Feld besticht durch ihre annähernde Vollständigkeit mit Theke, Schränken, Tischen, Stühlen und dem kompletten beweglichen Inventar (wie Geschirr, Bilder und anderes mehr). Viele der in der Zeit nach der Schließung der Gaststätte aus dem Haus verschwundenen Objekte konnten zudem noch nachträglich wieder zusammengetragen werden. Die Wirtin forderte viele der zuvor verschenkten Objekte aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis mit dem Hinweis auf die Nutzung im Museum zurück, was bei allen Beteiligten auf Verständnis stieß. Bei der Gaststätte handelt es sich um ein Gebäude aus Feldbrandstein, der Kernbau stammt aus der Zeit um 1900. Er wurde nach erheblichen Kriegsschäden 1946 wieder auf- und in den späteren Jahren immer wieder umgebaut. Das Gasthaus ist mit Schankraum, zwei kleinen angebauten Sälen, einem kleinen Metzgerei-Laden sowie Nebenräumen und Wohnräumen im ersten Obergeschoss ausgestattet. Teile des Gebäudes wurden „ganzteilig“ versetzt, wie der Hausflur mit originalen Wandkacheln aus den 1950er Jahren und die komplette Toilettenanlage von 1974. Dieser WC-Trakt bildet auch die letzte große Umbauphase in der Gast-

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stätte. Somit liegt auch der museale Präsentationszeitschnitt in der Mitte der 1970er Jahre.

Abbildung 4: Gaststätte Watteler aus Eschweiler über Feld mit Opel Admiral, wie ihn die Familie in den 1970er Jahren fuhr. Notrufsäule im Vordergrund (Foto: LVRFreilichtmuseum Kommern, 2013).

Am Beispiel der Gaststätte Watteler zeigt sich deutlich die Besonderheit neuer Quellengruppen der Zeitgeschichte und geschichtlichen Gegenwart: Fotografien sind zur Massenquelle geworden. Erstmals kann bei einem musealisierten Gebäude im LVR-Freilichtmuseum Kommern die Geschichte seiner Bewohner in der Breite bildlich dargestellt werden. Hierdurch ergeben sich ganz andere Vermittlungsmöglichkeiten, da die Sehgewohnheiten der Besucher eine bildliche Darstellung, besser noch in bewegten Bildern einfordern. Für Historiker erweist sich das „Quellenproblem“ der Zeitgeschichte bisweilen gar als „Zumutung“26. Die Fülle an Quellen liegt noch nicht in den Archiven. „Der Zeithistoriker muss selbst aus der Flut auswählen und kann nicht wie bei anderen geschichtlichen Epochen auf den Selek26 | THIE ß EN 2011, S. 5-6.

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tions- und Erschließungsleistungen der Archive auf bauen.“27 Weiterhin spielt bei der Zeitgeschichte eine andere bedeutende Quellengattung eine essentielle, um nicht zu sagen die definitorisch wesentliche Rolle: die Zeitzeugen. Entsprechend hatten beim Gaststättenprojekt in Kommern die Wirtin, Mitglieder der Familie und zahlreiche Gäste wesentlichen Anteil an der Erschließung der Geschichte des Hauses sowie seiner Bewohner und Gäste.

Übergangswohnheim für Asylbewerber Für die jüngste Vergangenheit – und damit kommen wir wirklich zum gegenwärtigen Sammeln – wurde 2013 ein Übergangswohnheim für Asylbewerber als sogenannter Asylcontainer gesichert. Die Containeranlage wurde 1991 von einer Dürener Firma in der Gemeinde Titz aufgestellt. Die große Zahl der Asylbewerber – vornehmlich Flüchtlinge aus dem Balkan-Krieg – sorgte Anfang der 1990er Jahre in vielen Städten und Gemeinden im Rheinland dafür, dass zusätzliche Übergangswohnheime geschaffen werden mussten. Die Containeranlage ist bis 2012 noch bewohnt gewesen, wurde in diesem Jahr aber geschlossen. Als wichtiger Teil der jüngeren Migrationsgeschichte wurden nun das Gebäude des Asylcontainers und seine letzten Bewohner in einem Kooperationsprojekt zwischen dem LVR-Freilichtmuseum Kommern und dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland dokumentiert. Ziel war eine umfangreiche lebensgeschichtliche Dokumentation für die Ausstellung im Freilichtmuseum. Auch hier stammten – wie bei der Gaststätte Watteler – Gebäude und Einrichtung aus demselben lebensgeschichtlichen Zusammenhang. Einer der Bewohner des Containers stellte dem Freilichtmuseum seine komplette Einrichtung zur Verfügung. Diese wird im Museum zusammen mit seiner filmisch dokumentierten Migrationsgeschichte gezeigt. Der museale Präsentationszeitschnitt wird dabei zweigeteilt auf dem Errichtungsjahr 1991 mit der originalen Möblierung und einer Vollbelegung von vier Personen pro Container und dem Jahr 2012 mit „Einzelzimmerbelegung“ liegen. Nach einer Verschärfung des Asylrechts waren die Belegungszahlen zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich gesunken. In einer begleitenden Ausstellung werden in der Containeranlage sowohl die his27 | Ebd.

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torische Entwicklung der jüngeren Migrationsgeschichte im Rheinland als auch die Situation der Asylsuchenden im Wohncontainer vor Ort dargestellt. Abbildung 5: Translozierung der Wohncontainer für Asylsuchende von 1991 aus TitzOpherten in das LVR-Freilichtmuseum Kommern (Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, 2013).

Zahlreiche Ausstellungen 28 befassten sich in den letzten Jahren mit dem Thema Migration; auch in den europäischen Nachbarländern.29 Auch das LVR-Freilichtmuseum Kommern widmete 2010 diesem Themenkomplex bereits eine Sonderausstellung.30 Die Beschäftigung mit Migration ist geradezu ein Modethema geworden, wird damit aber auch seiner Bedeu28 | Vgl. THOMAS -Z IEGLER 2011/2012. 29 | Siehe beispielsweise bei PALM 2011/2012. 30 | Ausstellung im LVR-Freilichtmuseum Kommern: Verbunden – Leben im (Rh)ein wanderungsland. Die Ausstellung stellte anhand von Interviews rheinische

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tung gerecht.31 In diesem Fall – und streng genommen nur in diesem Fall – sprechen wir über das Sammeln von Objekten der geschichtlichen Gegenwart, die damit aber, sobald sie im Museum angekommen sind, auch schon wieder zur – wenn auch jüngsten – Vergangenheit gehören. Das Charakteristische des Sammelns im Freilichtmuseum ist die enge Verbindung von Sammlungs- und Ausstellungseinheit Gebäude, die neben den architektonischen Dingen auch den überlieferten originalen Bestand an Ausstattungsgegenständen sowie die individuellen Geschichten ihrer Nutzer beinhalten. Gerade diese Geschichten sind beim Sammeln und Ausstellen von Objekten und Phänomenen der geschichtlichen Gegenwart und jüngsten Vergangenheit von besonderem Interesse. Hier liegt ein traditionelles und somit originäres Forschungsfeld der Volkskunde und Europäischen Ethnologie. Zeitzeugen bieten einen direkten Zugang zur individuellen Zeitgeschichte, sind aber zugleich Filter ihrer eigenen subjektiven Wahrnehmungen. Entsprechende Quellenkritik vorausgesetzt und kombiniert mit anderen Quellengruppen als Korrektiv stellen Zeitzeugen die wichtigsten Quellen der Zeitgeschichte und geschichtlichen Gegenwart dar. Entsprechend stehen auch die Geschichten der ehemaligen Bewohner und Nutzer bei Ausstellungseinheiten wie Bungalow und Wohncontainer in der neuen Baugruppe Marktplatz Rheinland im Mittelpunkt.

L ITER ATUR Gefion Apel; Alexander Eggert; Hubertus Michels: Eine Tankstelle fürs Museum. FREILICHTbroschüre 2013. Detmold 2013. Stefan Baumeier: Idee und Realisation. Zur Geschichte des Westfälischen Freilichtmuseums. In: Stefan Baumeier; Jan Carstensen (Hg.): Westfälisches Freilichtmuseum Detmold. Geschichte – Konzepte – Entwicklungen. (Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 14), Detmold 1996, S. 7-68.

Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern vor, die über ihre Motive für das Verlassen ihres Heimatlandes Auskunft geben. 31 | Siehe auch K ORFF 2005.

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Justinus Bendermacher: Dorfformen im Rheinland. Auszüge aus den Kurzinventaren rheinischer Dörfer 1948-1969. Köln 1971. Arne Björnstad: Skansen 1891-1991. Ideen und Resultate. In: Helmut Eberhart; Volker Hänsel; Burkhard Pöttler (Hg.): Bewährtes bewahren – Neues gestalten. Festschrift für Viktor Herbert Pöttler. Trautenfels 1994, S. 89-108. Frank Bösch; Jürgen Danyel (Hg.): Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden. Göttingen 2012. Bo Bramsen: Den gamle By i Århus. Kobstadmuseets historie, topografi og liv i hverdag og fest skildret af Bo Bramsen. Århus 1971. Rolf Bütte; Holger Everz; Franz Pesch (Red.): Historische Stadt- und Ortskerne in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1995. Walter Buschmann; Elke Janßen-Schnabel (Red.): Denkmalbereiche im Rheinland. (Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege, 49). Köln 1996. Jan Carstensen; Thomas Düllo; Claudia Richartz-Sasse (Hg.): Zimmerwelten. Wie junge Menschen heute wohnen (Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 19). Essen 2000. Axel Dossmann; Jan Wenzel; Kai Wenzel: Architektur auf Zeit. Baracken, Pavillons, Container (metroZones, 7). Berlin 2006. Rosander Göran (Hg.): Today for tomorrow: Museum documentation of contemporary society in Sweden by acquisition of Objects. Stockholm 1980. Max Gschwend: Freilichtmuseen. Werden und Wesen. In: Jahrbuch Schweizerisches Freilichtmuseum Ballenberg, Bd. 2 (1998), S. 33-55. Joachim Hähnel: Das Rheinische Freilichtmuseum. Planung und Aufbau. In: 25 Jahre Rheinisches Freilichtmuseum Kommern (Führer und Schriften des Rheinischen Freilichtmuseums und Landesmuseums für Volkskunde in Kommern, 25). Köln 1983, S. 25-77. Hans Walter Hütter: „Unsere Geschichte“ im Museum. Im Blickpunkt: Wirtschaftswunder und Globalisierung. In: Museumstag. Leute wie die Zeit vergeht… Vom Umgang mit der Zeit- und Alltagsgeschichte. 16. Bayerischer Museumstag. München 2012, S. 24-26. Marion Junker: Das Agrarium. Moderne Land- und Ernährungswirtschaft im Museum. In: Museum heute. Fakten – Tendenzen – Hilfen 42 (2012), S. 35-38.

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Monika Kania-Schütz: Zur Präsentation von „Architektur-Exponaten“. In: Georg Waldemer (Red.): Freilichtmuseen. Geschichte – Konzepte – Positionen. (MuseumsBausteine, 11). München 2006, S. 91-103. Martin Kleinfeld: Nissenhütten – Das Leben in der „halben Tonne“. In: Kreiskalender 2007. Jahrbuch für den Landkreis Harburg, S. 79-84. Gottfried Korff: Fragen zur Migrationsmusealisierung. Versuch einer Einleitung. In: Henrike Hampe (Hg.): Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis. Münster 2005, S. 5-15. Kilian Kreilinger: Der „Ehrliche Weg“: Optimierung der Didaktik oder Überforderung des Besuchers? Zur Präsentation der drei jüngsten Architekturexponate im Freilichtmuseum des Bezirks Oberbayern an der Glentleiten. In: Jan Carstensen; Joachim Kleinmanns (Hg.): Freilichtmuseum und Sachkultur. Festschrift für Stefan Baumeier zum 60. Geburtstag. Münster 2000, S. 217-227. Eva Kjerström Sjölin: Fokus Gegenwart. Die aktuelle Diskussion und Praxis der Dokumentation schwedischer Museen. In: Jan Carstensen (Hg.): Die Dinge umgehen? Sammeln und Forschen in kulturhistorischen Museen (Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmuseum für Volkskunde, 23). Münster 2003, S. 11-16. Heike Lützenkirchen: Lebensmittelhändler im Bergischen Land. Vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Münster 2010. Herbert May: Stahl statt Fachwerk, Bauernschrank statt Schrankwand. Neue Sammlungsschwerpunkte in Freilichtmuseen. In: Museumstag. Leute wie die Zeit vergeht… Vom Umgang mit der Zeit- und Alltagsgeschichte. 16. Bayerischer Museumstag. München 2012, S. 37-40. Herbert May: Als das Mittelalter auf dem Land in den 1960er Jahren zu Ende ging – der Abschied vom alten Dorf und das neue Bauen in der „Umbruchzeit“. In: Ders.; Michaela Eigmüller (Hg.): Umbruchzeit. Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land. Siedlung, Architektur, Wohnen. Bad Windsheim 2011, S. 11-36. Thomas Overdick: Sammeln mit Konzept. Ein Leitfaden zur Erstellung von Sammlungskonzepten. Mit dem Sammlungskonzept des Freilichtmuseums am Kiekeberg (Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg, 56). Ehestorf 2007. Anna Palm: „Buurtwinkels“ – Ein niederländisches Ausstellungsprojekt im Kontext von Migrationsmusealisierung und ethnologischer Auf-

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gabe. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 39 (2011/2012), S. 163184. Quelle-Fertighaus-Fibel. Vom glücklichen Wohnen. Fürth [1963]. Martin Sabrow: Die Zeit der Zeitgeschichte (Überarbeitete Fassung der Antrittsvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin, 30. Juni 2010). Göttingen 2012. Josef Schepers: Die Darstellung des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts im Freilichtmuseum. In: Verband Europäischer Freilichtmuseen (Hg.). Tagungsbericht Hagen/Detmold 1984. Hagen 1984, S. 202-203. Hinrich Siuts: Überlegungen zur schwierigen Aufgabe der Aktualität im Museum. In: Jan Carstensen; Joachim Kleinmanns (Hg.): Freilichtmuseum und Sachkultur. Festschrift für Stefan Baumeier zum 60. Geburtstag. Münster 2000, S. 187-192. Malte Thießen: Zeitgeschichte als Zumutung und Zugabe. Praxis, Probleme und Potenziale einer besonderen Epoche (Oldenburger Universitätsreden, 199). Oldenburg 2011. Sabine Thomas-Ziegler: Migration im Museum. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 39 (2011/2012), S. 223-240. Carsten Vorwig: Nichts hält länger als ein Provisorium. Notunterkünfte und Behelfsheime in Kriegs- und Nachkriegszeit. In: Sophie Elpers; Edeltraut Klueting; Thomas Spohn (Hg.): Landwirtschaftliches Bauen im Nordwesten zwischen 1920 und 1950. Münster 2009, S. 55-68. Georg Waldemer: Einleitung. Notizen zur Geschichte der Freilichtmuseen. In: Ders. (Red.): Freilichtmuseen. Geschichte – Konzepte – Positionen (MuseumsBausteine, 11). München 2006, S. 9-24. Adelhart Zippelius: Handbuch der europäischen Freilichtmuseen (Führer und Schriften des Rheinischen Freilichtmuseums und Landesmuseums für Volkskunde in Kommern, 7). Köln 1974.

Das soll Gegenwart sein? Zur Musealisierung der 1960er und 1970er Jahre in Freilichtmuseen 1 Julia Pedak

A NKUNF T IN DER G EGENWART Die Sammlungen kulturhistorischer Museen beinhalten Dinge, welche der Vergangenheit angehören, dies scheint auf den ersten Blick eindeutig zu sein. „Ab dem Zeitpunkt ihres Eintritts ins Altersheim der Dinge verlangsamt sich ihr natürlicher Alterungsprozess durch künstliche Maßnahmen und möglichst optimale Bedingungen, die sie in der freien Wildbahn des bewegten kulturellen Lebens kaum fänden.“2 Jedoch werden Museen zunehmend differenzierter wahrgenommen und nicht nur als Ort für anderweitig nicht zu erhaltende Gegenstände, die an vergangene Zeiten erinnern. So verweist Gottfried Korff darauf, dass Museen „nicht mehr nur als Orte der schönen Künste und als Einrichtung des Bewahrens und Begehrens, des Bewertens und des Zeigens, sondern auch als allgemeine Metaphern für unser gegenwärtiges Verhältnis zur Zeit und zum Wissen, zu den Bildern und zu den Dingen“3 zu verstehen sind. In 1 | Der Beitrag basiert auf Ergebnissen der Masterarbeit „Zeit-Gebilde. Zur Musealisierung von Alltagskultur der 1960er und 1970er Jahre am Beispiel der Ausstellung ‚Umbruchzeit‘“, welche die Autorin im September 2012 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn eingereicht hat und bisher unveröffentlicht ist. 2 | K REISSL 2008, S. 31. 3 | K ORFF 2007, S. X.

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Anlehnung an Korffs These vom Museum als Speicher und Generator4 ließe sich hier auch vom „Museum als Indikator und Generator“5 sprechen. In beiden Begriffspaaren zeigt sich eine Doppelfunktion, welche auch das Verhältnis zu Zeit widerspiegelt. So ist das Museum als Speicher ein Ort des Bewahrens, ein Ort der Vergangenheit, als Indikator zeigt das Museum hingegen aktuelle gesellschaftliche Tendenzen und hat damit Gegenwartsbezug. Schließlich bleibt noch die Ausrichtung auf Zukünftiges, dessen Produktion in der Eigenschaft als Generator angelegt ist. Diese Überlegungen werfen die Fragen auf, wie mit Dingen und Zeit im Museum umgegangen wird und vor allem, wer oder was hinter dem Generator steht. Was ist erinnerungswürdig und darf ins Museum aufgenommen werden? Was bekommen Besucherinnen und Besucher letztendlich zu sehen? Und welche Bilder von welchen Epochen sollen gezeigt werden, wie werden sie verstanden? Am Beispiel der Ausstellung Umbruchzeit, einem Gemeinschaftsprojekt von drei Freilichtmuseen in Fladungen, Bad Windsheim und Cloppenburg, soll hier der Umgang dieses speziellen Museumstyps mit der Gegenwart verdeutlicht werden. Dabei gilt es zu klären, wie die Einteilung von Zeitabschnitten sowie deren Bewertung das Sammeln und Ausstellen beeinflussen. Ab wann können wir von Gegenwart sprechen, sind ihre Sammlung und Exposition in Freilichtmuseen überhaupt möglich?

„U MBRUCHZEIT “ IN F REILICHTMUSEEN ? Die Sonderausstellung Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land war vom Herbst 2011 bis zum Winter 2012 mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktthemen zeitgleich an drei Orten zu sehen: im Fränkischen Freilichtmuseum Fladungen Der letzte Gaul – der erste Porsche, im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim Siedlung – Architektur – Wohnen und im Niedersächsischen Freilichtmuseum – Museumsdorf Cloppenburg Popmusik und Pillenknick.6

4 | Vgl. K ORFF 2000, S. 167-178. 5 | P IEPER 2010, S. 199. 6 | Vgl. Internetauftritt der Verbundausstellung Umbruchzeit unter URL: http:// umbruchzeit.de/ (Stand 29.03.2013).

Das soll Gegenwar t sein?

Allein die Kooperation der drei Museen in diesem Projekt ist schon bemerkenswert. Anstelle von Konkurrenzdenken, was insbesondere bei den beiden Fränkischen Freilandmuseen anzunehmen wäre, finden Vernetzung und Austausch statt, welche zu der vom Cloppenburger Museumsdirektor geforderten Positionierung und Profilierung der Freilichtmuseen beitragen dürften.7 Darüber hinaus ist es die Thematik, welche in diesem Kontext Aufsehen erregt. Die 1960er und 1970er Jahre in Freilichtmuseen? Allgemein erwarten Besucherinnen und Besucher hier Häuser aus Zeiten, die mindestens 100 Jahre zurückliegen. So kennen sie es aus früheren Besuchen in Freilichtmuseen und dies entspricht auch der Definition des Verbandes Europäischer Freilichtmuseen, nach dieser Institutionen „mit der ‚ganzheitlichen‘ Darstellungsweise […] ein historisch zutreffendes Bild von den örtlichen und funktionalen Beziehungen der Museumsobjekte zueinander und zu ihrem jeweiligen natürlichen und kulturellen Milieu an[streben].“8

Die nun musealisierten Zeiten haben Besucherinnen und Besucher wie Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zum Großteil selbst erlebt. Die Entscheidung für eine Ausstellung zu diesem Zeitraum mag hierin mit begründet sein. Die Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellungen, die in den 1960er und 1970er Jahren ihre Jugend erlebt haben, blicken heute positiv auf diese Zeit zurück und erinnern sich gerne daran, wie sie in Gesprächen deutlich machten.9 Die Ausstellungsarbeit bot ihnen eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit und ihrer eigenen Identität, wie dies auch für die meisten in dieser Zeit sozialisierten Besucherinnen und Besucher anzunehmen ist. Außerdem gaben die Museen an, bereits zum Thema der 1950er Jahre gearbeitet zu haben, weshalb sie sich nun den darauffolgenden Dekaden widmen wollten.

7 | Vgl. M EINERS 2012. 8 | AEOM 2013. 9 | Für die Analyse wurden die Ausstellungsräume mit Exponaten und Medien sowie deren räumliche Bezüge zueinander und die Begleitbände untersucht. Außerdem erfolgten informelle Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern während und nach dem Aufbau.

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Was war an den drei Ausstellungsorten vorzufinden? In Ausstellungen werden Geschichten erzählt und Botschaften übermittelt. Neben Faktenwissen werden auch immer Wertungen gegeben, sei es durch die Themen- und Objektauswahl oder durch die Art und Weise, wie sie musealisiert werden. Um die Konstruktion der durch die Ausstellung geschaffenen Bedeutungen zu analysieren, wurden die Ausstellungsräume eingehend analysiert. Die Objektauswahl, die räumliche Anordnung und die Präsentations- und Vermittlungsformen, aber auch die Kataloge, als Verlängerung der Ausstellung über ihre Räumlichkeiten hinaus, zeigten die intendierten Botschaften, wie sie in den Begleitbänden angekündigt wurden, und die nicht-intendierten, welche die Kuratorinnen und Kuratoren ebenso schufen. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die jeweiligen Ausstellungsorte gegeben. Fladungen zeigte den Einfluss der Motorisierung auf das Arbeitsleben und die Freizeitgestaltung der Jugendlichen auf dem Land. Die hier in den 1960er und 1970er Jahren weitestgehend unhinterfragte klassische Rollenverteilung, welche Frauen in den Bereich Haus und Hof verwies und Männer auswärtig in Werkstatt oder Fabrik, blieb auch in der Ausstellung unkritisiert. Die Bereiche von Mann und Frau wurden räumlich durch die Aufteilung an gegenüberliegenden Wänden in Gegensatz und Separation gesetzt. Die entsprechenden Exponate, Einbauküche und Reparaturladen, erhielten somit die Konnotation „weiblich“ beziehungsweise „männlich“. Die Landjugend wurde dagegen im Auf bruch zu neuen Freiheiten durch Diskobesuche, eigene Jugendzimmer und das erste Moped gezeigt, wobei hier allerdings keine Differenzierung verschiedener Jugendgruppen erfolgte, die Veränderung also pauschal für die gesamte Generation angenommen wurde. Problematische Themen wie Drogenkonsum wurden zwar aufgegriffen, jedoch durch ihre Positionierung in der Ausstellung stark zurückgedrängt, sodass sie kaum wahrnehmbar waren. Es entstand so ein überwiegend positives Bild der Zeit, das heutige Vorstellungen zu damaligen Gegebenheiten eher bestätigte als hinterfragte. Die Besucherinnen und Besucher wurden so mit vorgefertigten Meinungen über die dargestellte Epoche konfrontiert, nicht aber zur eigenständigen kritischen Auseinandersetzung aufgefordert. „A curator used to be able to call upon the status of objective professional.”10 Diese Kuratoren-Autorität wird von den meisten Besucherinnen und Besuchern anerkannt, sie ver10 | R EIJNDERS 2010, S. 105.

Das soll Gegenwar t sein?

lassen sich auf die Richtigkeit des Gezeigten. Umso wichtiger wäre hier ein vorsichtiger, kritischer Umgang mit den eigenen Wertungen gewesen beziehungsweise diese transparent zu machen.

Abbildung 1: Das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim zeigte die Inszenierung einer Glasbausteinwand, die aus abgerissenen Fachwerkhäusern erwächst. Sie soll den Umbruch in der Architektur der 1960er und 1970er Jahre verdeutlichen (Foto: J. Pedak, 24.09.2011).

Im Bad Windsheimer Museum, welches sich den Themen Architektur, neue Baustoffe und verändertes Wohnen zuwandte, wurde der in den 1960er und 1970er Jahren erfolgte Abriss historischer Bausubstanz kritisch betrachtet. Die Gründe für den Abriss wurden zwar dargestellt, aber – aus Sicht des Freilandmuseums verständlich – auch bedauert. Zentral in der Ausstellung war eine Inszenierung von Bautrümmern historischer Gebäude, aus denen eine Glasbausteinwand emporwuchs (Abb. 1). Auf in der Nähe hängenden Bannern waren Zitate von Zeitzeugen zu lesen: „Auf das Alte ist nicht aufgepasst worden. Da hat es geheißen: ‚das alte Gelump‘.“, „Wenn jemand in den 60ern umgebaut hat, dann haben die Leute gesagt: ‚Ja, warum baut ihr denn um, reißt doch weg und baut ein Neues‘.“, „In jedem Fall wollten die Leute was Neues, einfach was ande-

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res.“ Durch die Positionierung in der Raummitte und die Verbindung mit den Zitaten verwies der Trümmerhaufen auf die ambivalente Haltung des Museums gegenüber den baulichen Veränderungen. Im Vergleich zum ersten Freilandmuseum wurden die 1960er und 1970er Jahre sowie die eigene Museumsarbeit durchaus kritisch reflektiert, indem in einem Bereichstext zum Beispiel darauf hingewiesen wurde, dass die Entstehung der Freilandmuseen in Bayern auf den Abriss historischer Häuser zurückzuführen ist. Ein Anflug von nostalgischer Wehmut über den Verlust der alten Zeit blieb jedoch als Gesamteindruck bestehen. Es fanden sich für diese Museumsgattung charakteristische Zimmerinszenierungen und ein ästhetisch-buntes, aber ungeordnetes Sammelsurium verschiedenster zeitgemäßer Baustoffe, inklusive Asbest. Cloppenburg schließlich wendete sich den Bereichen Lebensstil und Popkultur zu. Es bot zudem von den drei Ausstellungsorten die größte Interaktionsmöglichkeit, Besucherinnen und Besucher konnten sich auf einem Laufsteg in Kleidung der Zeit präsentieren und per Selbstauslöser ein Foto von sich direkt aus dem Museum online stellen. Mit damaligen emotional aufgeladenen Themen wie dem Terrorismus der Roten Armee Fraktion, Sexualität und Aufklärung oder Gegenwartskunst ging das Museum weitestgehend objektiv um, starke Wertungen oder Marginalisierungen von Themen wie in den beiden anderen Museen fanden sich nicht. Zudem wurden Besucherinnen und Besucher durch die Interaktionsmöglichkeiten zu einer stärkeren Bezugnahme und eigenen Auseinandersetzung mit der Thematik angeregt. Dieser kurze Themenüberblick verdeutlicht die Vielfalt, welche durch die Dreiteilung der Ausstellung erzielt wurde. Insgesamt lässt ein Vergleich aber auch eine überwiegend positive Darstellung der musealisierten Zeit erkennen, die durch wenig Kritik oder Hinterfragung gebrochen wurde. Dies mag auf die Generationszugehörigkeit der Kuratorinnen und Kuratoren zurückzuführen sein, die überwiegend in den 1960er und 1970er Jahren sozialisiert wurden, heute durch eine solche Ausstellung auf ihre Jugend zurückblicken und sie entsprechend darstellen. „There is no such thing as an ‚objective‘ exhibition and […] [museums] do not represent but rather construct cultures.“11 Die Kuratorinnen und Kuratoren bringen ihre Haltung gegenüber der dargestellten Zeit bewusst oder

11 | Ebd., S. 104.

Das soll Gegenwar t sein?

unbewusst in die Ausstellung mit ein und kreieren so das Bild der Zeit, das Besucherinnen und Besuchern gezeigt wird. Die Art der Ausstellung lässt Rückschlüsse auf die Intention der Kuratorinnen und Kuratoren sowie Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zu, zum Beispiel Informationen über eine Epoche zu vermitteln, aber eventuell auch, ein angenehmes Zeitbild zu entwerfen und die Besucherinnen und Besucher damit zu erfreuen. Vor und parallel zur Ausstellungsgestaltung verlaufen die Beschaffung der Exponate und die gleichzeitige Erweiterung der eigenen Sammlung. Die Museen erhalten verstärkt Angebote von Privatpersonen, die Objekten aus den 1960er und 1970er Jahren abgeben möchten, da deren „Rentenalter“ nun beginnt. Für die endgültige Entsorgung sind die Gegenstände zu sehr mit Erinnerungen verknüpft, behalten wollen oder können die Besitzerinnen und Besitzer sie aber nicht mehr. Museen erscheinen hier als die Lösung zur Unterbringung der Erinnerungsstücke. Für Ausstellungen der hier beschriebenen Art wird allerdings auch gezielt nach diesen Objekten gesucht, wobei die Vorlieben und Erinnerungen der Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter an die betreffende Zeit eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, da sie zum Teil Objekte aus ihrem eigenen Besitz zur Verfügung stellten, wie zum Beispiel Möbel, Kleider, Haushaltsgeräte oder Fotografien. Ausstellungen wie Umbruchzeit beeinflussen somit auch das Sammlungsverhalten der Museen. Neben Haushaltsund technischen Geräten werden Kleidung, Hygieneartikel und Medien aller Art gesammelt. Den Querschnitt durch die damalige Alltagskultur vervollständigen gesammelte Hausbestandteile wie Türen, Fenster, Putze oder Dachziegel als Objekte des Wohnens und Bauens sowie ganze Häuser. Aus eigener Perspektive nähern sich die Freilichtmuseen nun der Gegenwart an und wollen „die ‚neueste‘ Zeit“ musealisieren, aber „so richtig offensiv werben die Freilichtmuseen mit ihrer Industriekultur oder ihren Bauten aus der Zeit nach 1945 nicht“.12 Dies mag daran liegen, dass die Musealisierung der Gegenwart zum einen die Besucherinnen und Besucher irritieren könnte, die bisherige historische Themen erwarten, zum anderen aber auch daran, dass die Kategorie „Gegenwart“ nicht unproblematisch ist, wie dem Folgenden zu entnehmen ist.

12 | M AY 2011, S. 3 und 5 [Org. ohne Seitenzählung].

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Z EIT -G EBILDE Zeit ist keine objektiv messbare Größe und nur indirekt durch Veränderungen in ihr wahrnehmbar, die Festlegung von Zeiteinheiten ist damit zugleich eine Interpretation der Zeit.13 „Jede Kultur, jede Epoche bildet ihre eigene Periodisierung, organisiert die Vergangenheit auf eine Art und Weise, die immerfort die Bedürfnisse und Probleme der Gegenwart reflektiert.“14 Im Kontext kulturhistorischer Museen spielt die Einteilung der Zeit eben daher eine wichtige Rolle, weil hier Vergangenheit erzählt wird, aber aus der Gegenwart heraus, womit diese immer mit thematisiert ist. Beide beziehen sich aufeinander. Somit sind kulturhistorische Museen Orte, an denen Vergangenheit – in der Gegenwart aktualisiert – erinnert wird. Durch Erinnern wird aber erst die eigene oder kollektive Identität konstituiert.15 Zeit ist daher als Konstrukt zu verstehen, als ein Gebilde, über dessen Einteilung und Bewertung das Selbstverständnis der jeweils über sie Urteilenden ablesbar wird. Für die als Beispiel genannte Ausstellung bedeutet dies, dass die Musealisierung der zwei Jahrzehnte gegenwärtige gesellschaftliche Selbstbilder aufzeigen kann und auch den aktuellen Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Es bleibt zu fragen, warum gerade die 1960er und 1970er Jahre gewählt wurden und woran die Begrenzungen festzumachen sind. Nach der von Joachim Ritter aufgestellten Kompensationstheorie ist die moderne Gesellschaft mit ihrer weltweiten Standardisierung aller Lebensbereiche durch „Abstraktheit und Geschichtslosigkeit“ geprägt, die wiederum kompensiert werden müssen.16 Herman Lübbe führt diese Theorie fort und bezieht sie auf das Museum, wo er sie in dem Museumsboom des 20. Jahrhunderts bestätigt sieht: „Durch die progressive Musealisierung kompensieren wir die belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes.“17 Dagegen weist Thomas Thiemeyer allerdings darauf hin, dass sich gegen die rückwärtsgewandte und auf Bewahrung ausgerichtete Kompensationstheorie einwenden lässt, dass Museen „seit jeher zukunftsgerichtet“ 13 | Vgl. M OHRMANN 1987, S. 103. 14 | L ÖFGREN 1987, S. 91. 15 | Vgl. F RIESE 1999/2000, S. 17ff. 16 | R IT TER 1974, S. 131. 17 | L ÜBBE 1982, S. 18.

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seien.18 Beide Positionen sind für das Sammeln wichtig. Zum einen wird das, was verschwindet, im Museum bewahrt, konserviert und zum anderen für jetzige sowie spätere Generationen zugänglich gemacht. Gleichzeitig werden Objekte aus der Vergangenheit und das zukünftige Publikum im Blick behalten. Aber auch die Sammlung von Gegenwart ist zukunftsgerichtet, da sie für spätere Zeiten angelegt wird und gemäß der Kompensationstheorie konserviert, was dann verschwunden sein könnte.

A LS WÄRE ES GESTERN GE WESEN … Bevor überhaupt Gegenwart gesammelt und dann ausgestellt werden kann, muss zunächst geklärt sein, welcher Zeitraum konkret gemeint ist. Können Museen überhaupt Gegenwart aufnehmen oder widerspricht dies nicht der Institution selbst? Im Moment der Aufnahme eines Objektes in eine Sammlung wird es seinem ursprünglichen Kontext entrissen und in einen neuen, den musealen gebracht. Verlässt es damit die Gegenwart, aus der es stammt, oder ist es weiterhin gegenwärtiger Repräsentant derselben? Diese Frage erübrigt sich, wenn man den Gegenwartsbegriff nicht nur auf das tatsächlich in diesem Augenblick Bestehende beschränkt, sondern ihn weiter fasst. Bereits in den 1960er Jahren kam die Debatte auf, wie Gegenwartskunst im Museum zu behandeln sei und ab wann ein Kunstwerk zur Gegenwart zähle: „Das Kriterium für Gegenwärtigkeit der musealisierten Kunst war […] nicht die Synchronität von Produktion und Musealisierung, sondern die Zugehörigkeit zur Gegenwart, die als neue, eigene Epoche verstanden wurde, gleich, ob ein Werk sechs, sieben oder 20 Jahre alt war.“19

Ein solcher „weiter“ Gegenwartsbegriff, der eine ganze Epoche umfasst, lässt damit auch Gegenstände, unabhängig ob Kunst oder Alltagsgegenstand, für die Musealisierung in Frage kommen, welche vor einigen Jahren zwar noch in Gebrauch waren, jetzt aber eventuell schon wieder aus der Mode gekommen oder überholt sind. Die Ausstellung Umbruchzeit thematisiert eine Zeit, die nun aber bereits 50 Jahre zurückliegt. Ist es 18 | Vgl. THIEMEYER 2011, S. 3. 19 | I TO 2002, S. 177.

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noch legitim, wenn wir hier von der Musealisierung der Gegenwart sprechen? Jaques Börger plädiert dafür: „I hope we can agree that present-day history starts in the sixties and maybe we can take the year 1960 as a clear starting point; the year the young John F. Kennedy was elected president of the United States and the whole western world felt that something new was coming up.“ 20

Dass die 1960er Jahre durch politischen und wirtschaftlichen Wandel einen starken Kontrast zum bisherigen 20. Jahrhundert bilden, ist durchaus nachvollziehbar. Jedoch sind mittlerweile weitere Einschnitte erkennbar, an denen dieser und der Beginn einer neuen Epoche abzulesen wären. Beispiele hierfür wären der Wandel in den Medien hin zur Informationsgesellschaft, der durch Digitalisierung und die Verbreitung des Internets unsere heutige Zeit prägt. Auch konkrete Ereignisse wie das Ende des Kalten Krieges oder die Anschläge auf das World Trade Center ließen sich als weitere Zeitmarken heranziehen. Ob wir uns noch in der seit den 1960er Jahren andauernden Epoche befinden oder schon in einer neuen angekommen sind, bleibt also zu diskutieren und ist wahrscheinlich erst mit einem weiteren zeitlichen Abstand zur aktuellen Gegenwart festzumachen. Denn Epochen werden nachträglich definiert, nicht aus sich selbst heraus. Den Freilichtmuseen kommt die Auffassung der noch andauernden Epoche in jedem Fall entgegen, da sie aus ihrer Sicht mit der Musealisierung der 1960er und 1970er Jahre in der Gegenwart angekommen sind. Allerdings gilt dies zunächst für Sonderausstellungen. Wie sieht es aber in den Dauerausstellungen aus?

„B IN ICH DENN SCHON EIN F OSSIL?“ Diese Frage war in einem Besucherbuch in Schloss Waldenbuch zu lesen, welches Hans-Ullrich Roller ausgewertet hat,21 und verweist auf die Erwartungshaltung mancher Museumsbesucherinnen und -besucher: Hier finden wir etwas Altes, etwas Ausgestorbenes. Gelten also Gegenwart und Freilichtmuseum der öffentlichen Meinung nach als nicht kompatibel? 20 | B ÖRGER 2010, S. 111. 21 | R OLLER 2002.

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Im Gegensatz zu anderen Museumstypen sammeln Freilichtmuseen unter anderem ganze Häuser, meist mit entsprechender Einrichtung. Mit wenigen Ausnahmen werden translozierte Häuser auf dem Museumsgelände in aufgebautem Zustand untergebracht, sodass sie automatisch Exponat sind. Die Größe dieser Objekte und ihre aufwändige Handhabung schränken die Sammlungstätigkeit bedeutend ein, jede Neuanschaffung muss weitaus sorgfältiger überlegt werden, als es bei handlicheren Sammlungsstücken der Fall wäre. Zudem werden Gebäude erst erworben, wenn sie nicht mehr genutzt werden und zum Beispiel ein Abriss bevorstehen würde. Das International Council of Museums betont: „Freilichtmuseen sind keine Reservate für anderweitig nicht erhaltungsfähige historische Bauwerke.“22 Trotzdem werden eben häufig solche in die Museen aufgenommen, wenn auch nicht alle beliebigen, denen das Ende bevorsteht. Für die Sammlung der Gegenwart bedeutet dies nun aber, dass auch hier nur Häuser in Frage kommen, welche nicht mehr genutzt werden. Dies verhindert wiederum in den meisten Fällen die zeitnahe Musealisierung. Gebäude, denen aktuell eine Sanierung beziehungsweise der Abriss bevorsteht, stammen in etwa aus der Zeit der 1960er und 1970er Jahre, weshalb Bauhistorikerinnen und -historiker und Museen nun ein gesteigertes Interesse an ihnen haben.23 Da nach obiger Definition der Beginn der Gegenwart hier zu setzen ist, fallen auch diese Gebäude unter die Kategorie Sammlung/Ausstellung der Gegenwart. Doch werden solche oder sogar noch jüngere Gebäude überhaupt schon in Freilichtmuseen gezeigt? Für deutsche Freilichtmuseen kann festgestellt werden, dass sie sich der jüngeren Vergangenheit, den Dekaden des 20. Jahrhunderts, verstärkt annähern. So entsteht momentan im LVR-Freilichtmuseum Kommern des Landschaftsverbandes Rheinland der Markplatz Rheinland mit Tankstelle, Eisdiele und Gasthof aus den 1960er Jahren,24 das LWL-Freilichtmuseum Detmold des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zeigt

22 | Die Neufassung der ICOM-Deklaration von 1982. In: WALDEMER 2006 (dort zitiert nach A HRENS 1984), S. 182. 23 | Vgl. M AY/E IGMÜLLER 2011, S. 9. 24 | LVR-Freilichtmuseum Kommern: Markplatz Rheinland. URL: http://www. kommern.lvr.de/freilichtmuseum/hinter_kulissen/forschung.htm (Stand 25.03. 2013).

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ebenfalls eine Tankstelle aus dieser Zeit,25 im Volkskunde-und Freilichtmuseum Roscheider Hof in Konz können Besucherinnen und Besucher durch eine Ladengasse des 20. Jahrhunderts26 flanieren. Bad Windsheim eröffnete außerdem zeitgleich mit der Sonderausstellung Umbruchzeit mit einem Fertighaus aus Stahl ein Gebäude, das 1949 erbaut und Anfang des 21. Jahrhunderts transloziert wurde (Abb. 2). Bis zu diesem Zeitpunkt wurde es zwar noch als Wochenendhaus genutzt, die im Museum gezeigte Einrichtung entspricht aber der seiner letzten festen Bewohnerinnen und Bewohnern und stammt aus den 1950er und 1960er Jahren.

Abbildung 2: Das jüngste Haus des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim ist ein Fertighaus aus Stahl von 1949, mit seiner Einrichtung aus den 1950er und 1960er Jahren (Foto: J. Pedak, 16.09.2011).

25 | LWL-Freilichtmuseum Detmold: Tankstelle. URL: http://www.lwl.org/LWL/ Kultur/LWL-Freilichtmuseum-Detmold/wir-ueber-uns/sammlung for schung / historischesbauen/tankstelle (Stand 25.03.2013). 26 | Volkskunde-und Freilichtmuseum Roscheider Hof, Konz: Ladengasse des 20. Jahrhunderts. URL: http://www.roscheiderhof.de/sammlung/handwerk20.html (Stand 25.03.2013).

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In anderen europäischen Freilichtmuseen ist dies schon geschehen: Im dänischen Gamle By in Aarhus wird eine ganze Stadt gezeigt,27 im Nederlands Openluchtmuseum in Arnhem ist neuerdings Migration aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts umfangreich musealisiert und sind Einrichtungen des 21. Jahrhunderts im Wohnbauernhof Hoogmade zu sehen,28 im norwegischen Freilichtmuseum Maihaugen wird ein Fertighaus aus dem Jahr 2001 gezeigt.29 Diese Entwicklung zur Musealisierung von jüngeren Zeitabschnitten und aktuellen gesellschaftlichen Fragen ist nun auch verstärkt in den deutschen Freilichtmuseen zu beobachten. Allerdings gehen die Museen noch nicht sehr offensiv mit ihren Neuerungen um. Ein Grund dafür könnte die Angst vor ausbleibenden Besucherinnen und Besuchern sein, die es vielleicht noch nicht gewöhnt sind, mit Freilichtmuseen auch modernere Themen zu verbinden. Wie Besucherinnen und Besucher auf die Präsentation von Gegenwart in Freilichtmuseen reagieren, müsste noch stärker erforscht werden. Die Auswertung von Besucherbüchern, wie sie Roller vorgenommen hat, geben hier zum Beispiel Aufschluss.30 Die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher reichten hier von nostalgischer Freude über das Wiedererkennen von Objekten aus der eigenen Vergangenheit bis hin zur ablehnenden Haltung gegenüber der schnellen Musealisierung. Letzteres lässt auf eine Meinung schließen, nach der nur historische Themen und Gegenstände in ein Museum gehören, weshalb die Musealisierung von Gegenwart und jüngster Vergangenheit auf Unverständnis stößt oder sogar als anmaßend aufgefasst wird. Die Betreffenden bekommen das Gefühl, schon so alt zu sein, dass sie als „Fossil“ ausgestellt werden, was ihrer Selbstwahrnehmung widerspricht.31 Hier käme es auf eine sensible Präsentation der Gegenwart an, um eine Balance zwischen Neuem und Irritierendem sowie Vertrautem und Sicherheit bietendem zu finden. Die hier genannte Studie wurde nicht in einem Freilichtmuseum durchgeführt. Sie wäre mit zielgruppengerichteten Untersuchungen zu erweitern, die Erwar27 | Den Gamle By: Homepage. URL: http://www.dengamleby.dk/the-old-town/ (Stand 10.07.2012). 28 | Vgl. G IJSBERS 2010. 29 | Maihaugen: Framtidshus. URL: http://www.maihaugen.no/no/Maihaugen/ Friluftsmuseet/Boligfeltet/Framtidshuset-2001/ (Stand 10.07.2012). 30 | Vgl. R OLLER 2002. 31 | Vgl. ebd.

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tungshaltung und Reaktion der Besucherinnen und Besucher je nach Museumstyp erheben. Da die Konkurrenz unter den Museen sowie zu anderen Freizeitangeboten jedoch beschleunigt zunimmt, sind auch die Freilichtmuseen in der Situation, sich dieser Entwicklung von Attraktivitätssteigerung anpassen zu müssen, um Besucherzahlen und Sponsorenerwartungen zu erfüllen.32 Allerdings erwarten Besucherinnen und Besucher, wie gezeigt, eher historische Themen in Freilichtmuseen und könnten durch zu moderne Themen abgeschreckt werden. Wenn die übrigen kulturhistorischen Museen, vor allem Stadtmuseen, sich Themen wie Migration, Europa und der Gegenwart zuwenden und das Publikum verstärkt einbeziehen, und wenn andere europäische Freilichtmuseen ebenfalls in dieser Richtung arbeiten, kann dies in Zukunft auch für die deutschen Freilichtmuseen erwartet werden, da sie diesem Trend in der Museumsszene nicht nachstehen möchten. Momentan musealisieren sie die 1960er und 1970er Jahre, was als eine Art Kompromiss aufgefasst werden kann, da es sich zwar um Gegenwart, aber nicht um die allerjüngste handelt. Die folgenden Dekaden stünden dann als nächste „Neuheit“ auf der Agenda. Ob dies in Sonderausstellungen wie Umbruchzeit geschieht oder durch die Aufnahme und Ausstellung von Gebäuden dieser Zeiträume bleibt hier noch abzuwarten und wird wohl wie bisher je nach Museum unterschiedlich umgesetzt werden.

R E TRO ADÉ! Wenn sich die deutschen Freilichtmuseen der Gegenwart in ihren Sonderaber auch in den Dauerausstellungen annähern, folgen sie damit dem Trend der Gegenwartsmusealisierung, erreichen bezüglich ihrer Häuser in den Dauerausstellungen jedoch nicht die gleiche zeitnahe Präsentation, wie sie in anderen kulturhistorischen Museen erfolgt. Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sie sich bei der Ausstellung von Gegenwart eher auf Sonderausstellungen beschränken. Zudem sind jährlich wechselnde Ausstellungen immer wieder entsprechend der veränderten Gegenwart ausrichtbar, die Dauerausstellungen mit einer Laufzeit von mehreren Jahren können ohne ständige Überarbeitung nicht Schritt halten. 32 | Vgl. K IRCHBERG 2011, S. 16.

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Letztlich bleibt aber in jedem dieser Fälle zu fragen, mit welcher Intention die Sammlungs- und Ausstellungsarbeit erfolgt. Allein die thematische Annäherung an die Gegenwart, entsprechende Objekte sowie moderne Präsentations- und Vermittlungsformen mit dem Einsatz von neuester Technik sind nicht ausreichend. Entscheidend für die Wirkung einer Ausstellung ist vielmehr die Botschaft, die vermittelt werden soll, aber auch alles, was nicht intendiert ist. Wenn vergangene Dekaden wie in der Ausstellung Umbruchzeit musealisiert werden, geschieht dies immer aus der Gegenwartssituation heraus. Gegenwart wird somit auf das gezeigte Vergangenheitsbild projiziert und kreiert es erst. Nimmt man hier die 1960er und 1970er Jahre, die aus heutiger Perspektive musealisiert wurden, zeigt sich ein überwiegend positives Bild der Zeit: Wirtschaftswunder, geringe Arbeitslosigkeit, Wohlstand und Themen wie Freiheit und Individualismus treten deutlich hervor. Es sind Themen, die heute nach wie vor für die Gesellschaft relevant sind, zum Beispiel in der Debatte um Europäisierung und Migration oder die Wirtschaftskrise. Es sind auch Wünsche, die an die Gestaltung der eigenen Gegenwart und Zukunft herangetragen werden. Die Gegenwart wird außerdem durch den spezifisch gegenwärtigen Blick auf die Vergangenheit erkennbar. Die Frage, wann die Musealisierung der Gegenwart und auch ihre Sammlung beginnen, erübrigt sich damit ein Stück weit. Denn jedes Sammlungsstück präsentiert zum einen die Gegenwart, aus der es stammt, und wird zugleich durch den unmittelbar gegenwärtigen Blick geprägt und aktualisiert, wir sind und bleiben gegenwärtig.

L ITER ATUR AEOM: Freilichtmuseen. Definition. URL: http://www.aeom.org/de/ ?Freilichtmuseen:Definition (Stand 20.05.2013). Claus Ahrens (Hg.): 25 Jahre ICOM-Deklaration über Freilichtmuseen: Tagungsbericht Ungarn, 1982. Szentendre 1984, S. 91-102. Jacques Börger: The contemporary, the city and the city-museum. In: Quotidian 2 (2010), S. 111-114. URL: http://www.quotidian.nl/cgi/t/ text/get-pdf?c=quotidian;idno=0201a07 (Stand 16.03.2013).

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Die Neufassung der ICOM-Deklaration von 1982. In: Georg Waldemer (Hg.): Freilichtmuseen. Geschichte – Konzepte – Positionen. Freiburg i.Br. 2006, S. 179-190. Heidrun Friese: Zeit, Erinnerung und Kultur. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 33 (1999/2000), S. 15-24. Pieter-Matthijs Gijsbers: Balance between old and new. In: Quotidian 2 (2010), S. 121-124. URL: http://www.quotidian.nl/cgi/t/text/get-pdf ?c=quotidian;idno=0201a09 (Stand 20.03.2012). Takuro Ito: Das Museum und die Gegenwart. Musealisierung und Musealisierungs-Debatte in Deutschland im 20. Jahrhundert (phil. Diss., Köln 2002). Köln 2002. Volker Kirchberg: Gesellschaftliche Funktionen von Museen zwischen Assimilation und Akkommodation. In: Museumskunde 76/2 (2011), S. 16-24. Gottfried Korff: 13 Anmerkungen zur aktuellen Situation des Museums als Einleitung zur zweiten Auflage. In: Ders.: Museumsdinge. Deponieren – exponieren. Hg. v. Martin Eberspächer; Gudrun Marlene König; Bernhard Tschofen. 2., ergänzte Auflage. Köln/Weimar/ Wien 2007, S. IX-XXIV. Gottfried Korff: Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museums (2000). In: Ders.: Museumsdinge. Deponieren – exponieren. Hg. v. Martin Eberspächer; Gudrun Marlene König; Bernhard Tschofen. 2., ergänzte Auflage. Köln/Weimar/Wien 2007, S. 167-178. Eva Kreissl: Das Observatorium der Vergänglichkeit. Gedanken zu Dimensionen der Zeit im Museum. In: Kuckuck 1/08 (2008), S. 31-34. Orvar Löfgren: Periodisierung als Forschungsproblem. In: Günter Wiegelmann (Hg.): Wandel der Alltagskultur seit dem Mittelalter. Phasen – Epochen – Zäsuren (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 55). Münster 1987, S. 91-101. Hermann Lübbe: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen. Leeds 1982. Herbert May: Stahl statt Fachwerk, Bauernschrank statt Schrankwand – Neue Sammlungsschwerpunkte in Freilichtmuseen (Überarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten am 21. Juli 2011 auf dem Bayerischen Museumstag in Würzburg) [Ms. Unveröffentlicht]. Herbert May; Michaela Eigmüller: Zur Einführung. In: Dies. (Hg.): Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land, Bd. 2.

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Objektlos, aber nicht gegenstandslos Die Präsentation von Gegenwart in der Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums – Kulturen der Welt Clara Himmelheber „… to be continually faced with objects which we cannot assimilate is one of the key problems of the modern age.“1

Das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum wurde 1901 gegründet, 1906 wurde das ursprüngliche Museumsgebäude eröffnet. Heute ist das Rautenstrauch-Joest-Museum das einzige städtische ethnologische Museum in Nordrhein-Westfalen und aus einer ursprünglich rund 3.500 Objekte umfassenden Privatsammlung des Weltreisenden Wilhelm Joest ist inzwischen eine rund 65.000 Objekte aus Ozeanien, Afrika, Asien und Amerika umfassende Museumssammlung entstanden. Zudem besitzt das Museum rund 100.000 historische Fotografien und eine rund 40.000 Fachbücher umfassende Bibliothek.2 Im Oktober 2010 eröffnete der Neubau des Rautenstrauch-Joest-Museums mit der neu konzipierten Dauerausstellung Der Mensch in seinen Welten. Diese zeigt durch ihren kulturvergleichenden Ansatz,3 dass es für Themen und Problemstellungen, die Menschen weltweit beschäftigen, 1 | M ILLER 1994, S. 396. 2 | E NGELHARD 2010. 3 | Es gab einige Gründe, die in ethnologischen Museen übliche regionale Gliederung von Dauerausstellungen zugunsten einer thematischen Gliederung aufzugeben: Zum einen ist es unmöglich, eine Region oder gar einen ganzen Kontinent in seiner Vielfalt in einem Raum auszustellen, ganz davon abgesehen, dass aufgrund des Sammlungsschwerpunkts nicht nur ein unvollständiges, sondern auch noch

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unterschiedliche, aber gleichberechtigte Lösungsansätze gibt. Die Einbeziehung der Gegenwart von Kulturen weltweit und der eigenen Kultur4 war für die Kuratorinnen und Kuratoren ein wichtiger Aspekt des Kulturvergleichs, da der Einbezug dieser beiden Aspekte in die vergleichende Betrachtung den Besucherinnen und Besuchern eine Verbindung zur eigenen Lebensrealität erleichtert – ein Ansatz, den das Museum schon seit den 1980er Jahren unter seiner damaligen Direktorin Gisela Völger in einigen kulturvergleichenden Ausstellungen wie Männerbünde – Männerbande: Zur Rolle des Mannes im Kulturvergleich (1990) oder Sie und Er – Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich (1997) verfolgt hat. Die Einbeziehung der Gegenwart und der eigenen Gesellschaft in die neue Ausstellung stellte das Team aus Kuratorinnen und Kuratoren jedoch vor zwei Herausforderungen: Eine Dauerausstellung soll idealerweise die Sammlung des Hauses präsentieren und kann auch nur bedingt auf Leihgaben zurückgreifen – das Rautenstrauch-Joest-Museum besitzt jedoch wie viele andere europäische ethnologische Museen keine nennenswerte Sammlung europäischer Objekte5 und der Schwerpunkt seiner Sammlungen außereuropäischer Objekte liegt im kolonialen 19., beziehungsweise frühen 20. Jahrhundert, der Blütezeit ethnografischen Sammelns. Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen dem historischen Schwerpunkt der Museumssammlung und dem expliziten Anspruch, auch Gegenwartsbezüge und die „eigene“, europäische Gesellschaft in der Ausstellung erfahrbar zu machen, bewältigen, welche Möglichkeiten gibt es, beide Aspekte in die Ausstellung zu integrieren? „Imagine we decide to establish a museum of contemporary material culture in order to preserve for posterity the artefacts of today. A comprehensive collecting policy is intended. It will not be very long before the farcical nature of this scheme ein veraltetes Bild gegeben würde, zum anderen ist es heute im Zeitalter der Globalisierung allgemein schwierig, von klar abgetrennten Kontinenten zu sprechen. 4 | Laut einer Besucherbefragung von 2011 kommen rund 75 Prozent der Besucherinnen und Besucher des Rautenstrauch-Joest-Museums aus Köln und der näheren Umgebung. 5 | Rund 300 vorhandene Objekte; ein Großteil der ehemals vorhandenen Europasammlung wurde in den 1930er Jahren mit dem Berliner Museum für Völkerkunde gegen außereuropäische Objekte getauscht.

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becomes apparent. Some things, such as houses and ships, are too big, some things, such as candy floss and daisy chains, too ephemeral. Is a softwood plantation a natural or an artefactual form? Do we start with industrially produced goods and, if so, do we include every brand of car door mirrors and shampoo, and if a company proclaims a change in the product is this a new artefact or not? What about self-made artefacts, those that children have made at school, or that individuals have knitted on the bus? Clearly we cannot create such a museum“. 6

Wie Miller schon 1994 feststellte, erweist sich der Vorsatz, im Rahmen der Konzeption der neuen Dauerausstellung Gegenwart zu sammeln, als äußerst schwierig. Man müsste die Sammlung ständig erneuern, um aktuell zu bleiben, und zugleich für stetig wachsende Lagerungsfläche für die jeweils ausgetauschten Objekte sorgen. Zudem wären ständige, umfangreiche Neuanschaffungen auf Dauer zu teuer, mit erheblichem Zeitaufwand verbunden und dadurch wenig flexibel. Um den Aspekt der Gegenwart dennoch in die Ausstellung integrieren zu können, beschlossen die Kuratorinnen und Kuratoren nach einigen Diskussionen, dieser Herausforderung vor allem medial, das heißt mit Fotos, Filmen und Computer-/Medienstationen7 und nur in geringem Maß durch Ankauf neuer Objekte zu begegnen.8 Der folgende Artikel will anhand ausgesuchter 6 | M ILLER 1994, S. 396. 7 | Medien wurden in der Ausstellung nicht nur zur Darstellung von Gegenwart, sondern generell zur visuellen Kontextualisierung, Verlebendigung und interaktiven Besucheransprache eingesetzt. Zum allgemeinen Einsatz von Medien in der neuen Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums siehe K AEBELMANN 2012. 8 | Zwei weitere wichtige Säulen des Gegenwartsbezugs im Rauten strauch-JoestMuseum werden hier nicht weiter verfolgt: Sonderausstellungen und das Veranstaltungsprogramm. Sonderausstellungen dienen im Rautenstrauch-Joest-Museum dazu, einzelne, in der Dauerausstellung nur angerissene Themen zu vertiefen, wie das Thema Urbanität in Afrika durch Afropolis (2010/11) oder wirtschaftliche Abhängigkeiten bei Albert Watson: 14 Days in Benin (2013). Das Veranstaltungsprogramm bietet die Möglichkeit, schneller und flexibler als in Ausstellungen auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, etwa mit politische Diskussionen zu aktuellen Themen wie der Occupybewegung mit Teilnehmern aus Ägypten, Israel, Spanien, Deutschland (2012) als Beispiel für eine globale Bewegung, deren Ursprung auf dem afrikanischen Kontinent lag oder Podiumsdiskussionen zu aktuellen Konflik-

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Beispiele die Präsentation von Gegenwart in der neuen Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums vorstellen. Unter dem Titel Der Mensch in seinen Welten gliedert sich die Ausstellung in zwei große Bereiche. Die Abteilungen im ersten Bereich Die Welt erfassen stellen bewusst den Umgang unserer Gesellschaft mit anderen Gesellschaften in den Vordergrund, um die Besucherinnen und Besucher für ihre eigenen Positionen zu sensibilisieren. Themen sind hier Reisende der vergangenen Jahrhunderte ebenso wie Klischees und ein kritisches Hinterfragen eigener Sammlungspolitik und Ausstellungsgestaltung. Der zweite große Bereich befasst sich unter dem Obertitel Die Welt gestalten mit Themen, die Menschen weltweit bewegen, wie zum Beispiel Wohnen, Kleidung, Tod, Religion und Ritual.

B LICKPUNK TE Durch die gesamte Ausstellung ziehen sich szenografisch in das jeweilige Raumbild eingepasste Computerterminals – so genannte Blickpunkte –, die das Thema der jeweiligen Abteilung auf Europa bezogen, aktuell und kritisch behandeln. Durchgängiges, wiedererkennbares Merkmal aller Blickpunkte ist die rote Einrahmung der Monitore, die ansonsten je nach Thema der Abteilung etwa als rote Schublade im Globalisierungstisch bei Wohnen oder Einbau in einen Spiegel in der Abteilung Kleidung & Schmuck gestaltet sein können. In der Abteilung Wohnen befasst sich der Blickpunkt unter anderem mit der Frage, wie Obdachlose in Köln wohnen. Studierende der Universität Köln haben einen Fotografen, der selbst in einem Obdachlosenheim wohnt, gewinnen können, seine Fotografien von sich und seinen Mitbewohnern zur Verfügung zu stellen (Innensicht) und diese den Fotos eines Fotografen gegenübergestellt, der das Heim aus der Sicht eines Außenstehenden dokumentiert. Ergänzt werden die Fotos durch Sequenzen aus Interviews mit den porträtierten Obdachlosen. Der Blickpunkt in der Abteilung Der Körper als Bühne: Kleidung & Schmuck behandelt unter anderem Themen wie Schönheitsoperationen ten etwa in Nordmali (2013) und Syrien (2013). Auch im festen Rahmenprogramm des Museums spielen gegenwärtige Strömungen eine Rolle, bei den monatlichen Thementagen, einer Lesungsreihe afrikanischer Autorinnen und Autoren oder einer Reihe zu zeitgenössischem Tanz.

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oder den Wandel von Schönheitsidealen in Europa von der Urgeschichte (Venus von Willendorf) bis in die Gegenwart. In Der inszenierte Abschied: Tod und Jenseits stellt der Blickpunkt unterschiedliche Bestattungsformen und drei unkonventionelle deutsche Bestatter vor. Die Abteilung Vielfalt des Glaubens: Religionen befasst sich in ihrem Blickpunkt mit Glaubensgemeinschaften in Köln.9 In zwei Seminaren beschäftigten sich Studierende mit 37 in Köln praktizierenden Glaubensgemeinschaften. Wie die Beispiele zeigen, sind die Themen der Blickpunkte sehr subjektiv ausgewählt. Sie sind nicht enzyklopädisch angelegt und erheben keinerlei Anspruch auf Repräsentativität oder Vollständigkeit. Vielmehr wurden sie in zahlreichen Gesprächen der Kuratorinnen und Kuratoren mit Studierenden entwickelt und ihre Inhalte sollen flexibel zu aktualisieren, zu ergänzen oder auszutauschen sein. Im Folgenden werden einzelne, herausragende Beispiele der Visualisierung von Gegenwart näher vorgestellt.

K LISCHEECONTAINER Die Abteilung Der verstellte Blick: Vorurteile behandelt Vorurteile der Weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber Afrikanerinnen, Afrikanern, Schwarzen Deutschen und dem afrikanischen Kontinent. Über eine Rampe betreten die Besucherinnen und Besucher den Innenraum eines metallummantelten Containers, der wie ein Fremdkörper im Ausstellungssaal wirkt. Im Innenraum sind Klischeebilder an die Wand projiziert, wie sie sich in der deutschen Alltagskultur, in Werbung, Filmen und als Alltagsgegenstände, finden. Auf der Außenwand des Containers befinden sich Vitrinen mit vergleichbaren Darstellungen aus der Kolonialzeit, die auf die kolonialen Wurzeln der heutigen Klischees verweisen. Innen lassen sich Klappen öffnen, die mit Hilfe einer semitransparenten Spiegelprojektion (Pepper’s Ghost) die Besucherinnen und Besucher mit Gegenbildern zu den präsentierten Vorurteilen konfrontieren – sie können im wahrsten Sinne des Wortes „hinter das Klischee blicken“10. 9 | Der Blickpunkt wurde bewusst neben einem zeitgenössischen Altar zu Ehren der Göttin Durga aus dem Besitz der Kölner Hindugemeinde positioniert, da die Glaubensgemeinschaften in Köln ein Thema des Blickpunkts sind. 10 | Dieses Wortspiel, das nicht im Englischen funktioniert, verdeutlicht, wie sprachbezogen räumliche Umsetzungen sein können.

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In diese Abteilung sind die meisten Bilder und Filme eingeflossen. Medien wurden hier bewusst eingesetzt, zum einen, da es sich um „Bilder in unseren Köpfen“ und um die Darstellung gegenwärtiger Stereotype handelt, zum anderen, da eine wichtige Zielgruppe dieser Abteilung Jugendliche sind, deren Interesse an der Thematik durch den medialen Aspekt geweckt werden soll. Dies scheint zu funktionieren, da laut einer Studie von Matthias Hamann die Besucher diese Abteilung jünger als die durchschnittlichen Besucher waren.11

Abbildung 1: Blick in die Abteilung Der verstellte Blick: Vorurteile (Foto: ATELIER BRÜCKNER / Fotograf: Nikolai Wolff).

11 | Matthias H AMANN: Wer geht ins Museum und warum? Motive und Motivationen der Menschen, die zu uns kommen. Vortrag anlässlich eines internen Workshops des Rautenstrauch-Joest-Museums am 16.10.2012.

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Abbildung 2: Globalisierungstisch in der Abteilung Lebensräume − Lebensformen: Wohnen (Foto: ATELIER BRÜCKNER / Fotograf: Nikolai Wolff).

G LOBALISIERUNGSTISCH Jede Abteilung beginnt mit einer „europäischen Szene“, um die Besucherinnen und Besucher mit Bekanntem zu empfangen und ihnen so den Einstieg zu erleichtern. In der Abteilung Wohnen bildet ein stark abstrahierter historischer europäischer Salon diesen Einstieg, von dem aus man in vier mehr oder weniger historische Wohnbereiche unterschiedlicher Kulturen gelangt. Ein zentral im Salon positionierter Globalisierungstisch löst die Forderung von Claire Harris und Michael O’Hanlon ein, dass ethnologische Museen der beispiellosen Bewegung von Menschen und Produkten im 21. Jahrhundert Rechnung tragen sollten, 12 und ergänzt diese Forderung noch um einen weiteren Punkt: Eine auf dem Tisch angebrachte Weltkarte visualisiert nicht nur die Bewegung von Menschen und Objekten, sondern auch die globale Verbreitung von Ideen und veranschaulicht so die weltweiten Ströme und Vernetzungen in einer globalisierten Welt.13 Zum Aktivieren der Projektionen können 12 | H ARRIS/O’H ANLON 2013, S. 12. 13 | Vgl. M ODEST 2012, S. 81.

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die Besucherinnen und Besucher Schubladen im Tisch öffnen, in denen Objekte als Icons zu bestimmten Themen14 unter als Touchscreens dienenden Glasscheiben liegen. So können etwa globale Vernetzungen von Partnerstädten, der weltumspannende Produktionsweg eines T-Shirts oder die Migration von Menschen nach Deutschland nachvollzogen werden – zum Beispiel der Weg eines malischen Germanistik-Stipendiaten über die DDR in den 1970er Jahren bis nach Köln, wo er heute am Institut für Afrikanistik lehrt.

P ROLOG /E PILOG Den Anfangs- und Endpunkt der Dauerausstellung bildet ein Prolog, beziehungsweise Epilog mit Begrüßungen respektive Verabschiedungen in Form einer wandfüllenden, im Loop ablaufenden Projektion. Während die Besucherinnen und Besucher zu Beginn der Ausstellung von Menschen aus ganz unterschiedlichen Regionen der Welt in deren Muttersprache und mit typischer Gestik begrüßt werden, verabschieden am Ende die gleichen Personen die Besucherinnen und Besucher wieder, diesmal in ihrer Muttersprache und auf Deutsch. Nun erfährt man, dass sie alle Kölnerinnen und Kölner sind – Repräsentantinnen und Repräsentanten der kulturellen Vielfalt der Stadt. Neben diesem fokussierten, ins Auge springenden medialen Aufgebot zeigen die folgenden Beispiele einen subtileren, eher hintergründigen Einsatz von Medien beziehungsweise die Nutzung von Hands-on-Exponaten zur Darstellung von Gegenwart.

K LEINE M ONITOREN In nahezu allen Abteilungen werden Fotos und Filme – häufig in kleinen Monitoren – zur Darstellung der Gegenwart eingesetzt. So finden sich etwa in der Abteilung Lebensräume − Lebensformen: Wohnen neben Szenen mit Großobjekten – einem Tipi, einem türkischen Empfangsraum, einem Zelt der Tuareg und einem Teil eines Männerhauses der Asmat – kurze Interviewfilme, die den Wandel verdeutlichen, den diese Wohnformen bis 14 | Solche Icons sind unter anderem ein T-Shirt für globale Produktionswege bei der Herstellung eines T-Shirts und Pässe für das Thema Migration.

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heute durchlaufen haben, und das heutige Leben der Menschen in den jeweiligen Regionen zeigen: eine Türkin, die den ausgestellten Salon nur aus dem Lokalmuseum von Kayseri kennt, ein Blackfoot,15 der als Mitglied der Revivalbewegung junge Blackfoot wieder lehrt, wie man ein Tipi auf baut, ein Tuareg, für den Zelten eher eine Freizeitbeschäftigung ist, der aber auch erzählt, dass 30 Prozent der Tuareg in Zelten leben, und ein älterer Asmat, der befürchtet, dass die Jugend immer weniger Interesse für die von ihm geschätzte Tradition des Männerhauses auf bringen wird. In der Abteilung Vielfalt des Glaubens: Religionen sind die Medien zurückgenommen. Sie verbergen sich hier im wahrsten Sinne des Wortes „im Hintergrund“ – die Besucherinnen und Besucher können durch Schlitze in der Wand eine Vielzahl von Fotos und Filmen zu rezenten hinduistischen und buddhistischen Ritualen entdecken.

H ANDS -O N Ein Problem von Präsentationen in ethnologischen Museen ist, dass oftmals das als „typisch“ gezeigt wird, was Kulturen voneinander unterscheidet. Da die Kuratorinnen und Kuratoren die Gefahr sahen, dass Besucherinnen und Besucher in der Abteilung Wohnen trotz der oben erwähnten Interviewfilme zu heutigen Wohnformen denken könnten, es handle sich bei den präsentierten Wohnformen um die bis heute einzige und übliche Wohnform in den jeweiligen Regionen, wurde im Rahmen eines Studierendenprojektes der Universität Köln ein Fotoalbum gestaltet, das als klassisches Hands-on Beispiele davon zeigt, wie deutsche Wohnkultur im Ausland ausgestellt wird. Der Anblick von deutschen Fachwerkhäusern, Burgen und Schlössern in Freilichtmuseen und Freizeitparks im europäischen Ausland, in den USA und Japan, soll verdeutlichen, dass in Museen meist nur als „typisch“ empfundene Wohnformen einer Kultur präsentiert werden.

15 | Clifford Crane Bear ist Museumskurator und Co-Kurator der Abteilung Plains: Zusammenleben der Generationen.

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G R AFIK & T YPO Für jede Abteilung wurde eine eigene Typo bestimmt, in der die Hauptüberschriften gestaltet sind. So wurde für die Abteilung Der Körper als Bühne: Kleidung & Schmuck die Typo einer bekannten Luxusmode-Firma gewählt, und in der Abteilung Wohnen griff die Grafikerin auf die häufig in Wohnmagazinen verwendete englische Schreibschrift zurück. Diese unterschwellig mit Mode beziehungsweise Wohnen assoziierten grafischen Elemente funktionieren, da sie den Besucherinnen und Besuchern aus ihrem eigenen gegenwärtigen Alltag bekannt sind. Gegenwart wird so als Brücke genutzt, einerseits um die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher zu erreichen und andererseits um unterbewusst einen Bezug zur eigenen Gegenwart herzustellen.

F A ZIT Wo und wie zeigt sich ein Gegenwartsbezug in der neuen Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums Der Mensch in seinen Welten? Zum einen natürlich in der Themenauswahl und in den behandelten Fragestellungen, denn wie G.B. Dahl and Ronald Stade schon vor über einem Jahrzehnt feststellten, sind Ausstellungen immer schon allein durch die Auswahl der Themen zeitgebunden.16 Im Ausstellungsparcours vermitteln vor allem die eingesetzten Medien, wie zum Beispiel die in fast allen Abteilungen installierten Blickpunkte, gegenwartsbezogene Aspekte. Unterschwellig wird Gegenwart auch durch die gewählten grafischen Gestaltungselemente visualisiert. Die Medien sind der Szenografie der jeweiligen Abteilung angepasst. Teils sind sie zentrale Gestaltungselemente wie in der Abteilung Vorurteile, wo sie „die Bilder in den Köpfen“ der Weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland entlarven, teils sind sie dezent zurückgenommen, wie in der Abteilung Vielfalt des Glaubens: Religionen, wo sie die Exponate durch Bilder und Filme hinter einer Wandblende visuell kontextualisieren. Ein Vorteil von Medien ist, dass die Software in der Regel flexibler aktualisiert und kostengünstiger ausgetauscht werden kann als Objekte. Zudem las-

16 | DAHL /S TADE 2002, S. 161.

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sen sie im Gegensatz zu Ausstellungsobjekten Interaktivität zu, was sie nicht nur für die junge Generation attraktiv macht. Die Medien in der neuen Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums werden vor allem in den Bereichen genutzt, für die dem Museum keine Objekte zur Verfügung stehen. Das mindert auch die Gefahr, die Exponate als wichtigste „Botschafter“ eines Museums medial zu überlagern und zu Statisten in Nebenrollen zu degradieren. Klug eingesetzt vermögen Medien, die vorwiegend historische Museumssammlung in einen Gegenwartsbezug zu stellen und so dem Anspruch ethnologischer Ausstellungen nach mehr Aktualität und weniger „ethnografischem Präsens“ gerecht zu werden. Sie integrieren Gegenwart und Beispiele aus der eigenen Kultur, vertiefen Information und erweitern Perspektiven und bilden so eine Ergänzung zur ausgestellten Sammlung, ohne in Konkurrenz zu ihr zu treten. Neben rund 2.000 Exponaten sind rund 2.500 Fotografien und Abbildungen und Material aus rund 50 Filmen in die 3.600 Quadratmeter umfassende Dauerausstellung eingeflossen.17 Der Einsatz von Medien scheint erfolgreich zu sein: Bei einer Besucherbefragung im Jahr 2011 wurden auf die offene Frage, was besonders gut an der Ausstellung gefällt, häufig die verschiedenen Medienstationen genannt – interessanterweise auch vom älteren Publikum.18 Auch der Museumspreis des Europarates, der 2012 an das Museum verliehen wurde, hob in seiner Begründung besonders medial umgesetzte Themen wie den Klischeecontainer und den Globalisierungstisch in der Abteilung Wohnen hervor. Die Verwendung von Medien zur Darstellung von Gegenwart im Museum kann und soll jedoch nicht zum allgemein gültigen Prinzip erhoben werden. Im Falle des Rautenstrauch-Joest-Museums hat sich ihr Einsatz angesichts der Sammlungslage und des Vermittlungsanspruchs bewährt, denn durch die Medien ist im Rautenstrauch-Joest-Museum die Gegenwart in der Ausstellung zwar objekt-, aber keinesfalls gegenstandslos.19

17 | K AEBELMANN 2012, S. 14. 18 | K LEMENT/O RZEL /K RAUSS 2011. 19 | Mein herzlicher Dank gilt meinem Kollegen, Dr. Burkhard Fenner, der nicht nur den wundervollen Titel dieses Artikels kreiert, sondern mir mit seinen kritischen Anmerkungen sehr beim Verfassen desselben geholfen hat.

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L ITER ATUR G.B. Dahl; Ronald Stade: Anthropology, Museums and Contemporary Cultural Processes: An Introduction. In: Ethnos 65/2 (2000), S. 157171. Jutta Engelhard: Das neue Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt. In: Klaus Schneider; Jutta Engelhard (Hg.): Der Mensch in seinen Welten. Das neue Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt. Ausstellungskatalog. Köln 2010, S. 10-15. Matthias Hamann: Wer geht ins Museum und warum? Motive und Motivationen der Menschen, die zu uns kommen. Vortrag anlässlich eines internen Workshops des Rautenstrauch-Joest Museums am 16.10.2012 [unveröffentlichtes Manuskript]. Claire Harris; Michael O’Hanlon: The future of the ethnographic museum. In: Anthropology Today 29/feb. (2013), S. 8-12. Iris Kaebelmann: Installation, Interaktion und Information: Neue Medien im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt. In: Museumskunde 77/1 (2012), S. 14-18. Tibor Klement; S. Orzel; C. Krauss: Besucherbefragung Rautenstrauch-Joest-Museum. 2011. Köln 2011 [unveröffentlichtes Manuskript]. Daniel Miller: Artefacts and the meaning of things. In: Tim Ingold (Hg.): Companion Encyclopedia of Anthropology. London/New York 1994, S. 396-419. Wayne Modest: Ethnografische Museen. Spannungslinien. In: Bettina Habsburg-Lothringen (Hg.): Dauerausstellungen: Schlaglichter auf ein Format. Bielefeld 2012.

Stills of our liquid times An essay towards collecting today’s intangible cultural heritage Hester Dibbits and Marlous Willemsen In this essay we want to introduce a new programme that we have just embarked on. It seeks to develop intangible cultural heritage methodology and is introduced in this publication as it aims to also offer handles for museal collecting strategies. The programme investigates the development of the heritage field – in particular that of intangible cultural heritage, and including cultural-historical museums – as a shared public space in which contemporary formations are present and represented towards collecting present-day social repertoires. A laboratory in which we may have to let go of items that are disappearing or losing their use or relevance, and in which collecting is a multifaceted act of negotiating meanings and prompting mutual understanding.

M IXOPHILIA “We” are changing. Since the 1990s, ever more people have moved to and within Europe, and they are more and more different from each other.1 They come from many different places, and have as many reasons for their migration as they have expectations of the places they go to, and (virtual) ways to keep in touch with the rest of the world. Our daily lives imply living with difference and searching for sameness. At work and at school, in the underground and in the park, individuals constantly negotiate their

1 | V ERTOVEC 2007.

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common modes of interaction 2 – if they have not entrenched. They have to find new common points of reference, since institutions that seemed secure forever are losing their capacities to serve us as such. Times are changing so quickly that new social forms cannot even solidify anymore. Our times have become “liquid”, as Zygmunt Bauman puts it.3 In liquid times, he recognizes the coinciding tendencies of mixophobia and mixophilia: “‘Mixophobia’ manifests itself in the drive towards islands of similarity and sameness amidst the sea of variety and difference. […] The attraction of a ‘community of sameness’ is that of an insurance policy against the risks with which the daily life in a poly-vocal world is fraught.”4

But the more people socialize with others “like them”, in venues ranging from gated communities to ethnic sports clubs, “the more they are likely to unlearn the art of negotiating shared meanings and an agreeable modus convivendi.”5 In this context we are in dire need of shared space. Especially in cities, where opportunities self-perpetually attract ever new strangers and thus repel others or make them withdraw, we should create open, inviting and hospitable public spaces as laboratories of mixophilia to prompt mutual understanding. How could the heritage field (heritage institutions, museums, but also individuals with their traditions and ritual repertoires) shape such mix-longing public spaces? The Amsterdam Southeast-based organization Imagine IC (see text box) and the Research Group of the Reinwardt Academy for Cultural Heritage intend to explore this question in a series of events entitled Immaterieel erfgoed met prik.6 The title translates as Intangible Cultural Heritage with Pop and connotes an inciting look on intangible cultural heritage. In this article the project will be called Pop. Pop was initiated by Imagine IC as a follow-up to an earlier series that investigated new theory and methodology for participatory heritage 2 | W ESSENDORF 2010. 3 | B AUMAN 2007. 4 | B AUMAN 2007, pp. 87-88. 5 | Ibidem. 6 | Within the Research Group, Immaterieel erfgoed met prik is part of the research programme of Hester Dibbits.

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Imagine IC Imagine IC “pioneers the heritage of contemporary living together”. It is based in Amsterdam Southeast, a 1960s metropolitan extension. Upon the Surinamese independence in 1975, considerable numbers of people of Surinamese background came to inhabit the area. Until today, it has daily received new people from all over the world. In the house that Imagine IC shares with the local branch of the Amsterdam public library, young people from the neighbourhood and the city challenge concepts of who “we” are. The Imagine IC network explores the modes and codes of the urban young. Imagine IC is co-financed by the city of Amsterdam, which requires the institution to contribute to the intangible heritage debate in the Netherlands (which is urgent, given the ratification of the UNESCO convention) from the perspective of youngsters in the big city. Their social fabric consists of situational communities that are (both in the real world and online) composed of people from everywhere. The young, especially in urban environments, are expert inventors of the social grammars that such communities require. Imagine IC seeks to raise awareness of the significance of today’s lifestyles as a sneak preview of tomorrow’s society, and to innovate the concept and corpus of “our” heritage. The network creates digital productions of image and sound. The online collection is embedded in the collections of the Amsterdam City Archives and the Netherlands Institute for Sound and Vision. The exhibitions, as well as the education and knowledge programmes, reflect on communities and heritage in a changing world. The 2013-2014 winter exhibition is called Panna’s and Akka’s. It presents the skills of street soccer players; the scenes and sounds of the squares they share with each other and everybody else in the city. See more: http://www.imagineic.nl

practice.7 It started with Echt Nederlands (Really Dutch) in 2010, in which Dutchness was discussed as an ongoing act of negotiation. 8 Subsequently, 7 | Immaterieel erfgoed met prik is co-funded by the Mondriaan Fund. The earlier series was supported by the DOEN Foundation and the Mondriaan Fund. 8 | Key speaker was Prof. Dr. Frank Lechner of Emory University, who drew from his then recent book The Netherlands. Globalization and National Identity.

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the theory of “super-diversity”9 was explored in relation to its meaning for the arrangement of the “negotiating table”. The Netherlands receives an ever-increasing number of new arrivals. They differ from each other to an ever-increasing extent. Will they all join in the talks? And if they must, how will this take shape?

P OP In the programme Pop Imagine IC and the Reinwardt Academy Research Group wish to investigate the shaping of mix-longing public spaces by means of a programme that itself aims to be such a space. The programme will consist of a series of five public meetings in which items from the wide repertoire of present-day society are to be annotated by a super-diverse company of actors, of practitioners and carriers, in the cities and in the country, of various ages, heritage thinkers and heritage workers, policy advisers, and students from heritage disciplines and related fields, like the social sciences and the humanities.10 The items to be put before them, will be concrete, rather than tactile. They will, for instance, be traditions of commemoration, sounds of the city and party practices. The selection is inspired by current programmes of museums and the cultural heritage field of which Imagine IC and the Reinwardt Academy are themselves part of. The organizers of Pop bring them together and the programme can thus be considered as a collecting activity. But it is not this collection that is the aim of Pop. The items, or rather cases, picked by Pop’s organizers are merely a starting point towards a next collection: of current and new meanings, associations and emotions that are attached to, embedded in and sparked off by the chosen items, and by their annotation. Pop thus departs from a broad notion of collecting. It is 9 | V ERTOVEC 2007. 10 | The cost of participation in the events will be 10 euros (5 euros for students and freelancers). Pop meetings and reports will be brought to the attention of these persons by newsletters. Pop counts on networks, such as those around the cases, or: items, that are programmed; and those attracted by the (international) speakers who add to the search for meanings. Pop also organizes additional (dinner) events with these speakers. The company, as well as the media to which attention the programme is brought, will also be actors in the process.

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not considered as one single activity, with a beginning and an end, resulting in a set collection of items. It is thought to be a process of identifying and addressing items, or cultural repertoires. What is more, Pop considers collecting as part of a more extensive process consisting of a range of activities, like programming, presenting, annotating, questioning, managing, documenting, constructing and transforming, but also forgetting, abandoning, leaving unnamed and erasing. In the context of the present publication, we may then wonder which methodologies are to be applied in this activity, what the outcome would be and to what extent this collection – understood as (part of) a process in which a multitude of actors is involved11 – could serve as a source of inspiration for cultural-historical museums. The actual trajectory that has been mapped out by Imagine IC and the Reinwardt Academy Research Group, must be understood in the context of the emergence or definition process of intangible heritage practice in the Netherlands. In 2012 the Dutch Minister of Culture ratified the UNESCO Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage. In the same year, the city of Amsterdam, a main funder of Imagine IC, requested this small archive/museum of present-day urban youth cultures to make a metropolitan contribution to the Dutch national debate on what intangible cultural heritage is and how it is being dealt with.

I NTANGIBLE CULTUR AL HERITAGE PR ACTICE In the Netherlands, the definition and methodology of intangible cultural heritage as yet rests strongly on the UNESCO convention. In this, the “community” plays a strong part as a signifier of practices. Pop asks: what is a community these days and what can be expected of it in terms of intangible heritage methodology? The Dutch national inventory of intangible cultural heritage counts on active communities to enter the practices they consider important. The inventory has recently been supplemented

11 | For a similar, process- and network-oriented view on collecting, see M ENSCH/M EIJER - VAN M ENSCH 2011 and M EIJER - VAN M ENSCH/TIETMEYER 2013.

VAN

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with the crafts of Staphorster stipwerk12 and Frisian woodcarving.13 The entries were published by VIE14 and annotated by the remarks that they are part of a long tradition of high-quality Dutch craftwork, and that they are on the verge of extinction. Skills like DJing or street soccer freestyling, both also of great international renown, do not at present run the risk of vanishing and have not been brought to the inventory. Surely they do “have” communities? Do these not really care about their practice? Or do they not care about the list? Pop presumes that our communal daily life determines the definition of intangible cultural heritage, rather than the reverse. If the practice of intangible cultural heritage does not fit us all, it must be made to fit. We propose Pop as a series of five experimental collecting trips in our liquid times. Where will we go? To Amsterdam squares where one person might hear the church bells, while another notices the impact of the ball kicked against the gates of the street soccer cage. To the dinner table, where one person is eating so-called forgotten vegetables, which she grew on the roof of her flat, while someone else is having Surinamese heri heri to commemorate the Dutch slavery past. Such destinations will be virtual as we envisage the series to be meetings at the premises of Imagine IC. At every meeting, two collective performances will be presented and annotated; practices that can raise and make us understand fundamental issues about present-day communities. Pop collects, but does not have a new collection of items as its main objective. It rather aims to provide handles for making significant heritage choices. Such choices face not only policy makers and heritage professionals, but also the performers of the daily life that is their focus. As joint collectors, we can try and reflect “society”. Or hold a mirror up to it. We can try to capture the spirit of the times for future generations. Or wish to inspire or turn around their future. We could collect practices because 12 | Staphorst is a small town towards the northeast of the Netherlands; its stipwerk is a craft by which cloth is decorated with painted-on dots. Friesland is a northern region (province). 13 | URL: http://www.volkscultuur.nl/nieuws_5.html and URL: http://www.volks cultuur.nl/nationale-inventaris_40.html (date: 11.10.2013). 14 | VIE is the Dutch Centre for Folklore and Intangible Cultural Heritage. This institution was appointed by the Dutch government to coordinate and boost the activities to be developed for the implementation of the convention.

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they are widely shared, or to make them shareable. Pop intends to be an exercise of collecting by programming, or, more precisely, collecting by annotating. Each time, the programme will stop the time around living repertoires (i.e. create stills) by providing them with meanings at that particular moment, together with the group of shareholders present.

A MUSE AL CHALLENGE The practice of institutional heritage came up at a time when the world looked very different from now. Pop departs from the conviction that both heritage institutions and our strategies require constant challenge in order to retain significance in society. As is shown by several publications from recent years, and also by the contributions in this volume, many cultural-historical, ethnographic and ethnological museums are aware of the need to reinvent themselves.15 People, goods and information are moving around the world with unprecedented speed, which leads to a changing society, to feelings of uncertainty and a desire to hold on to something. The enduring task of museums lies in their addressing of the people who are “here”, their feelings and their longings. Museums reinvent themselves by creating space in the permanent exhibition area for the history of the museum, or to amplify on the origins of particular collections to ever-changing audiences. One example would be the Netherlands Open Air Museum (Arnhem), which explains in the new permanent exhibition space of regional dress how “their” collection of traditional Surinamese dress was once considered a mismatch in the collection, donated to another museum on permanent loan, and recovered only recently. Other institutions pay visits to big city areas to collect heritage of newcomers. They dynamize their collections by regarding (or having regarded) with new eyes collection pieces which already are in their possession. And they call into question traditional oppositions such as popular/elite, high/low culture, Western/non-Western, self/other, local/ global, for instance by resorting to notions like super-diversity or transnational relations, or by departing from lifestyle groups (“the post-modern”, the “post-materialists”) instead of groups formed on the basis of socio-eco-

15 | For the Netherlands, see for instance O DDING 2011.

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nomic background, age or ethnicity when drawing up their policies on collection building and marketing. Some historical, ethnographic and folk museums opt for strictly thematic presentations, aimed at a more diverse audience. Not only the Netherlands Open Air Museum, but also the Bokrijk Museum – the largest open-air museum of Belgium – and the Westphalian Open-Air Museum Detmold provide examples of such an approach.16 They focus on universal practices or on traditional anthropological themes such as celebration and commemoration, death and burial, connected with practices or rituals. Quite a few urban and regional museums choose to focus on the identity of the city or region where their premises are located, responding to processes of localization and regionalization, which, in their turn, can be regarded as responses to processes of globalization. Following this approach, the new Frisian museum presents “the” story of Friesland and the Amsterdam Museum discloses the “DNA” of the capital.17 This approach implies that choices to acquire objects are always guided by the question whether the object fits the profile of what has been designated or acknowledged as “typical”. A trend seen in practically all museums is the attempt to stimulate all the senses and emotions of the visitors. This is reflected in a shift from object-related presentations to experience, and accompanied by a new interest in intangible cultural heritage. Festivals, rituals, crafts, stories and songs: they all count. Folk museums, but also associations sometimes have long traditions of collecting and performing folk culture through fieldwork, living history, re-enactments and first-person interpretations. This is an approved method to deal with nostalgia for an imagined past (the invention of tradition18). At the same time, this approach might cause feelings of discomfort, for to what extent do such presentations contribute to critical reflections on oversimplified world views, with all too clear-cut images of group cultures? Should museums try to satisfy the quest for nostalgia with experiences that appeal to all five senses, or should they take a more critical stance?

16 | See K ANIA -S CHÜTZ 2009. 17 | URL: http://www.friesmuseum.nl/museum/collection?language=en and URL: http://amsterdammuseum.nl/en/amsterdam-dna-0 (date: 10.10.2013). 18 | H OBSBAWM/R ANGER 1992.

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N E W COMMUNITIES An example in this context would be the small-scale exhibition Van Huis Uit (lit. “from the home”; fig. “by origin”), which was shown in 2007 at Imagine IC as a continuation of a research project into twentieth-century migrant interiors.19 One of the displays on show at this exhibition was an installation made by the British sociologist and theatre maker Michael McMillan in collaboration with designer Remco Swart, presenting a living room of a fictitious migrant family of mixed origin, full of colourful souvenirs and homely sounds. At the opening, the room was blessed by means of an initiation rite performed by a Winti20 priestess, which made for some liveliness, but which was not annotated in detail at the time.21 To what extent does such a ritual contribute to the formation of shared space, instead of just being an addition to the fun at that particular moment? The aforementioned question has been gaining urgency in the Netherlands since the signing of the UNESCO Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage, which forced museums to reflect on the role they should play at its implementation. The UNESCO convention was drawn up out of concern for the fact that all over the world, traditions, rituals and craft skills might disappear as a result of globalization processes. Countries that fall under the convention are not only obliged to build an inventory of the “various elements of the intangible cultural heritage present in [their territories], with the participation of communities,

19 | The research project started in 2003 as a collaborative project of the Meertens Institute (Royal Academy of Arts and Sciences) and the Institute for the Social Sciences (University of Amsterdam). It was co-funded by the Dutch Organisation for Scientific Research. The aim of the project was to gain a better insight into the relationship between material culture and the construction of social-cultural identities, especially migrant and ethnic identities. The empirical research question was how migrants and their descendants, while furnishing their dwellings, deal with their migration background and the cultural repertoires from their countries of origin. 20 | Winti is an Afro-Surinamese religion. 21 | M C M ILLAN 2009. See also D IBBITS 2008, which discusses the choices that were made during the making of the exhibition Van Huis Uit regarding the representation of different migrant groups. Cf. WALLE 2013.

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groups and relevant non-governmental organizations”.22 The State parties must also “take the necessary measures to ensure the safeguarding of the intangible cultural heritage present in [their territories].”23 But what exactly does “safeguarding” mean? Which task lies ahead for cultural-historical museums? And what does this imply for the practice of collecting? Both before and after the signing of the convention, there has been fervent debate in the Netherlands, like in other countries. Why would one arrange for traditions and rituals to be safeguarded, by the authorities or otherwise? Is it at all possible to collect practices, repertoires of action? And if one would and could, which ones should be selected? This last question is not insignificant, considering that recommendations for the inventory are to be made bottom-up, by a (representative of a) community. Is the idea of a society made up of several communities with spokespersons who lobby for “the collective” and their supposed “cultural property” not out of date? These are the types of questions that have been put to the fore and explored at an academic level by various European ethnologists and social anthropologists.24

O UTSPOKEN UNSPOKEN Pop wants to face these challenges together with the museums. It will take as its focal points a series of topicalities from the museum world in 22 | UNESCO Convention 2003, Article 11. 23 | Ibidem. 24 | See e.g. H AFSTEIN 2007, who argues that intangible heritage “objectifies the practices and expressions of human communities”, and in this way “makes community itself subject to conservation in the face of its purportedly steady decline in the modern world” (p. 93). Cf. M AGUET 2011. An introduction to the debate about the Convention in the Netherlands can be found in D IBBITS/E LPERS/M ARGRY/ VAN DER Z EIJDEN 2011. For a critical analysis of the idea of communities as given homogeneous entities, existing of people with shared backgrounds, ideas and needs, see Stengs 2012. The Cultural Property Research Group of the university Göttingen (URL: http://cultural-property.uni-goettingen.de/, date: 10.10.2013) investigates the construction of cultural property and “shared heritage” within the context of cultural, economic, juridical and societal discourses. See e.g. B ENDIX / E GGERT/P ESELMANN 2013.

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Amsterdam and in the Netherlands. For the trial episode of 20th June 2013 the widely programmed commemoration of the 150th anniversary of the abolition of slavery by the Netherlands was chosen. Cultural activist Mercedes Zandwijken presented her “new tradition” of the Keti Koti Tables (grafted on the Jewish Seider table). Invitees “from black and white communities” are to share a fixed menu of dishes and customs of the descendants of enslaved people, while having a moderated conversation about their shared slavery past.25 In addition, Pop programmed jazz singer Denise Jannah, who had given a performance at the unveiling of the Dutch slavery monument in the Amsterdam Oosterpark in 2002. Before an audience of 85 people interested in the slavery past, either for personal or professional reasons, she answered, by singing, Pop’s question which songs reminded her of that past. What did we collect on 20th June 2013? We enjoyed and discussed the currently successful Keti Koti Table as a tradition that intends to share old stories with new people, and wants to create new ones in the process. We listened to well-known and lesser-known songs about life at the plantations. A key observation inspired by these items, or cases, was: which stories did we not hear?26 We collected the insight that messages hidden in songs or knowledge embedded in stories of the descendants of enslaved people are not always heartily shared with “just anyone”. They feel pursued by a sustained urgency to keep things among themselves and by the conviction that traditions will change fundamentally once they become public knowledge or get canonized. Given this reluctance to share, cultural practices and their communities remain exclusive. This information also handed us the question whether this could be the very reason why new traditions, which might be suitable for sharing with “others”, like the Keti Koti Table, are being invented. 25 | See also URL: http://www.ketikotitafel.nl (date: 11.10.2013). Keti koti means: breaking the chains. 26 | We would like to thank Markus Balkenhol (Meertens Institute), who will soon defend his PhD thesis at the University of Amsterdam, carrying the provisional title Memory Work: Trauma, Truth and Slavery in the Netherlands. In every episode, Pop will invite a panel of two commentators of the practices presented. They will try to activate the participating audience into further annotation. Markus Balkenhol was a commentator on 20 June, next to Hester Dibbits, who is the permanent commentator in each event of the Pop series.

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What could these insights mean for a collecting methodology for the commemoration of the slavery past? Would it have to content itself with an invented pars pro toto? Would this entail the public space we are looking for? For every episode, Pop will invite a keynote speaker, or keynote “questioner”, from (far) outside the field of Dutch heritage. On 20th June 2013, literary scientist Saidiya Hartman27 presented her search for the untold, sometimes even unspeakable stories of enslaved people themselves; stories that are absent from the archives of traders and slave owners. Hartman explores the role of imagination in order to complete the story that has been written so far.28 In doing so, she attaches importance to our awareness of our motives and objectives. Commemoration does not suffice as long as there is still a world to gain for the descendants of slaves.

E MOTION NE T WORKS The stories the heirs of enslaved people could tell us, and would be willing to share with us, must not be collected for the sake of a poly-vocal story per se, as art for art’s sake. They should serve as a starting point to explain, and especially improve their place in society. This was also Mercedes Zandwijken’s concern. Hartman and Zandwijken share the same indignation toward the slavery past and its contemporary consequences, as well as the same ambition to make it socially fertile. They are both part of an emotion community around (the commemoration of) the slavery past. This is a community with wide-ranging emotions. It also includes, e.g., those of a participant in a Keti Koti Table29, who felt irritated by the emotions of pain and guilt that dominated the event, and drew the attention of the audience to the difficulties the owners must have suffered controlling the slaves in the tropical heat or at mid-sea. These are the sort of diverse emotion communities Pop will keep researching in the next episodes. Attention will be given to explicit and strong emotions that are part of the practices that Pop 27 | Saidiya Hartman is a full professor at Columbia University, New York. Her publications include Scenes of Subjection (1997) and Lose Your Mother (2007). 28 | Venus in Two Acts. In: Small Axe, 26.06.2008. 29 | Organized by Keti Koti Table at 5 June 2013 in the Amsterdam City Archives. A similar contribution was made at 20 June at Imagine IC, by one of the participants in the Pop event.

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puts before its groups of stakeholders. But also the more moderate meanings as well as implicit feelings count, as much as those that are evoked and stirred up by the passions of others. On 28 September 2013, De Volkskrant, one of the leading national newspapers in the Netherlands, published a full-page article on the noise from street soccer squares in the city of Nijmegen (mid-east Netherlands). The council had barred one square with concrete blocks to keep out street soccer players, or rather the noise they made and that of their ball. The outraged residents form part of an emotion network around a current metropolitan sound, namely that of the skill of street soccer. Many others love that same sound. Pop examined sounds and sound networks in November 2013, in collaboration with the Amsterdam Museum, which recently opened an installation with the sound of Dam Square in 1875, 1935 and today. At the gathering, there was a presentation of two city sounds: the ringing of the church bells (carillon) – partly because the Dutch Car illon Society is preparing a “nomination” for the national inventory of intangible cultural heritage – and the sound of street soccer, which has been registered, studied 30 and exhibited in Imagine IC’s project Panna’s and Akka’s.31 Rocky (Roxanne) Hehakaija and Edje (Edward) van Gils are street soccer players. They are inventors of impressive tricks – and of the latest trends and codes of the city squares. In these squares, it does not matter who you are, but what you can do. Playing soccer like billiards, for example, in the street soccer cages of the city. The sound of it is in the street artists’ bodies, as it were. Just like bell-ringing, street soccer is a skill with a sonic effect that might either annoy one or make one feel at home. Within the framework of their joint implementation of the UNESCO convention, VIE and the Dutch Cultural Participation Fund (FCP)32 highlighted the motif of the “craft” (from the UNESCO convention) in 2013-2014. In a 30 | H ALFMAN 2013. 31 | URL: http://www.imagineic.nl/cases/pannas-en-akkas (date: 11.10.2013). The street soccer soundscapes will be part of Imagine IC’s formal collection. URL: http://www.imagineic.nl/collectie (date: 11.10.2013). 32 | VIE: see note 14. FCP: “Fonds voor Cultuurparticipatie”, fund distributing government funds towards cultural participation. Appointed by the Dutch government to partner with VIE towards the implementation of the UNESCO Convention for the Safeguarding of the Intangible Cultural Heritage.

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defining sense, they attached a material result to this craft. Pop questions this definition by using street soccer and bell-ringing to put on the agenda skills with a non-material effect. Within the scope of Pop, intangible cultural heritage is to be conceived as a repertoire entrenching itself in the body (= embodied knowledge), to be then passed on in practice, or, as ethnologist Barbara Kirshenblatt-Gimblett puts it so aptly, by just doing it.33 Figure 1: Edward van Gils showing off his iconic skill (Photo: Guus Dubbelman © Photographer and Imagine IC. From: Imagine IC collection and part of Panna’s and Akka’s exhibition).

33 | K IRSHENBLAT T-G IMBLET T 2004.

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Figure 2: Edward van Gils and Rocky Hehakaija (right) at the opening of Panna’s and Akka’s, 19 September 2013 (Photo: Jeremy Paesch © Imagine IC).

Figure 3: The audience at the opening – and of the Intangible Cultural Heritage series. In the Intangible Heritage series, the role of the audiences as participants in the process of “collecting”, of annotating intangible cultural heritage, of creating new meanings, is important (Photo: Jeremy Paesch © Imagine IC).

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Figure 4: Guests at the opening of Panna’s and Akka’s in the exhibition (Photo: Jeremy Paesch © Imagine IC).

F REE REIN In Pop, intangible cultural heritage is something you do, so that it can become part of a network. In other words, something that is not just done by you, but by other people, too. But is intangible cultural heritage also something that is done to you, and to other people like you? In spring 2014, there will be an small exhibition about religion in the city on the library floor of the Imagine IC house. It will be prepared during the annual project week of high school students from Amsterdam Southeast. In this expo, students will talk about how they were affected by certain pieces from the Biblical Museum of Amsterdam. What did these items “do” to them? The Biblical Museum and the Amsterdam Museum took the joint initiative to choose believing in the city as the theme for Amsterdam heritage institutions in the spring of 2014. Imagine IC will elaborate this theme in the Southeast area. Here, belief is a very topical subject, which does not stay “behind the front door”, as they say. Like in some other parts of the city, belief is gaining in presence in the public domain. But how exactly is it experienced and shared? Believing is seen as “typically intangible”, but is it as intangible as believed to be?

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In June 2014, Pop will examine the relationship between intangible cultural heritage and materiality. The definition of intangible cultural heritage includes matter (see the UNESCO treaty), but how does the one relate to the other? Is matter the result of intangible cultural heritage (like with crafts)? Attribute? Carrier? Religious objects in museums tell recognizable stories. Face veils and minarets evoke many responses. In Pop, this will be discussed with Birgit Meyer34. Her research project Icons of Religion studies religious images in the big, super-diverse city and the stories they tell: the stories of believers themselves and those of the perceptions of others. Together with museums, Pop wonders what would happen if religious objects and images were no longer shown (just) for their art-historical or cultural-historical significance, but would instead be stripped of this shock absorber to give free rein to current religious feelings. Might old Dutch Bibles, for instance, appeal to new believers? Or what repertoires of emotions and practices do contemporary belief networks contribute to the religious heritage of the city?

L IVE AND LE T DIE How could networks such as these be involved in collecting activities? Or how could the famous party scenes of Amsterdam, e.g., be tempted into having their practice established as heritage or as part of a museum collection? In the dance scenes of the city, the community only exists on the floor, but these fluid “formations”35 too embody rituals, skills and much more that can be understood as intangible cultural heritage. How could we possibly honour this when situational communities are not easily enticed into making bottom-up proposals to a national inventory? Which is not surprising, by the way, since people are bound to have totally different things on their mind at parties like Sensation or Latin Village.36 Could all of us together come to some sort of acknowledgement of the urgency to collect? And what could be the nature of such an urgency and the collection process as long as dance culture is still alive and kicking? Does the 34 | H OUTMAN/M EYER 2013. 35 | M EYER 2009. 36 | Megafestations of contemporary party cultures in Amsterdam. See also URL: http://www.sensation.com (date: 11.10.2013).

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dance network not generate a collection of its own in its current repertoire? And if so, could we record this by means of (continuous) annotation? In addition to the question how to involve contemporary networks and how we should do more with those than acknowledge their repertoires, Pop would like to raise the issue in how far collecting activities should be focused on “safeguarding” anything at all, even in a dynamic sense. In a Third Text article from 2000, the Indian thinker and cultural activist Rustom Bharucha opposes the tendency to store everything in museums. He challenges the heritage world to consider a radical “politics of erasure”. 37 In her book Intangible Heritage and the Museum (2012), Marilena Alivizatou calls this a highly valuable initiative. According to Alivizatou, the creative potential of destruction and renewal can be considered in relation not only to physical objects and sites, but also to intangible culture. Is it true, Alivizatou wonders, that modern processes of economic and technological development should only be looked at as a threat to heritage as process? As the notion of pure and authentic traditions should be questioned, and synthesis and renewal are to be considered as a key part of cultural vitality, globalization can be considered as an opportunity for cross-cultural innovation and fertilization. She concludes: “[Yet] the creative potential of destruction and transformation emerges as a possible alternative framework for negotiating ideas of identity and contemporary engagements with the past.”38 In the international museal practice she researched, however, this approach appears to have been adopted or otherwise addressed to a very limited extent only. While Bharucha raises the question if the museum should be erased, Pop intends to investigate, in June 2015, what the result would be if we were to elaborate the idea of erasure and transformation with respect to the collecting of intangible cultural heritage.39 One of the results might be an initial idea for a collaborative museological project which focuses on an investigation of cultural practices that have died out or have been erased (do we regret?), or that some of us would rather not safeguard for various

37 | B HARUCHA 2000. 38 | A LIVIZATOU 2012, p. 47. 39 | See also K NELL 2007, p. 22: “Loss is pervasive, an inevitable product of change, and change is implicit in consumption.”

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reasons, its racist or discriminatory character being maybe one of them.40 The heritage sector seems to have become convinced of the fact that intangible cultural heritage is dynamic. But in how far should or can we try to actively influence this process? As to this aspect, Pop will trace parallels with de-accessioning practices and policies of museums, but also with the “natural course of decay and evanescence” of living entities.41 It will lead us into the ongoing debate about the dominant role of professionals, institutions, policy makers and other actors in the field of heritage. If we have the opportunity to act as agents of change, what should we do and what should we not do? In 2015, Artis Royal Zoo (Amsterdam) will open the doors of the refurbished “Groote Museum” (large museum) of biodiversity. This will also be the year in which the so-called millennium targets must have been met. One of the objectives was a more sustainable environment. This makes for a nice reason to use 2015 as the year in which to direct Pop at a domain of intangible heritage that has hitherto received very little attention, namely the domain of the “knowledge and practices that are connected with nature and the universe” (UNESCO), as well as with the networks they represent. At a global level, numerous initiatives are taken to preserve animals from extinction. What is more, lost vegetables are grown into being. They were thought to be forgotten, but apparently this was not the case. While nature receives new space in urban wastelands, and beehives are installed on roofs, the city’s residents can see Winti specialists or animal shamans to discuss their problems. For a moment, it appeared as if we had bidden farewell to nature, but even in the city – or precisely there? – nature is thought by many to be trendy again. Which repertoires do they add to the collections of our time? Which emotions do they attach to objects that might already have been housed in the collections of museums? Or are their points of reference elsewhere? Are repertoires possibly their own archives? Just like the culture of forgotten vegetables, whose reflection is 40 | Cf. the discussion about Black Pete in the Netherlands. Another topic that might be discussed more in depth is the issue of safeguarding traditions and cultural practices which are discriminatory in term of gender (UNESCO seems to have put this issue on the agenda. URL: http://www.unesco.org/culture/ich/index. php?lg=en&pg=00585 (date: 25.10.2013). 41 | L OWENTHAL 1985, p. 405, as quoted by A LIVIZATOU 2012, pp. 189-190.

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recalled by emotion networks; like the traditions of commemoration of a slavery past in which old and new shareholders retell stories that seemed forgotten, and satisfy new needs. Does “intangible heritage” organize its own storage? And does it sideline museums in the process, or, conversely, does it rely on them?

A COLLECTION PROCESS AS A SHARED PUBLIC SPACE Pop is a process that has only just started. It so far mainly consists of questions. The focal point of the project will be the creation of public spaces in which we can get to know and understand people we do not know yet. To that end, Pop will gather, present and annotate intangible heritage items from contemporary society, in collaboration with museums and further stakeholders. Pop # 1, about traditions of commemoration of the Dutch slavery past, teaches that people are not always willing to share their most meaningful practices with “everybody”, and that the public space might then resort to substitute practices, sometimes using newly invented intangible cultural heritage. Pop regards collecting as a process, and consequently continues its search for ever more insights that transcend the individual cases and could as such offer handles for collecting practices of cultural-historical museums. It is a quest – a collecting programme – set up as a series of public meetings with and on emotion networks around concrete intangible heritage cases. These networks include cultural heritage professionals. The results will be laid down in reports to be published online on the Imagine IC website and in other places. Their usability in museal collecting strategies and their effectiveness as an ingredient in the recipes that museums are creating in order to face the challenges of our liquid times, will be on the test. You are kindly invited to participate in the process.

B IBLIOGR APHY Marilena Alivizatou: Intangible Heritage and the Museum. New Perspectives on Cultural Preservation. California 2012. Rustom Bharucha: Beyond the Box. Problematising the ‘New Asian Museum’. In: Third Text 14, Issue 52 (2000), pp. 11-19.

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Zygmunt Bauman: Liquid Times. Living in an Age of Uncertainty. Cambridge 2007. Regina Bendix; Aditya Eggert; Arnika Peselmann: Heritage Regimes and the State (Göttingen Studies in Cultural Property, 6). Göttingen 2013 (2nd. rev. ed.). Hester Dibbits: Exhibiting Migrant Cultures. Paper for the 9th SIEF Congress “Transcending ‘European Heritages’: Liberating the Ethnological Imagination”, University of Ulster, Londonderry, June 2008. Hester Dibbits; Sophie Elpers; Peter Jan Margry; Albert van der Zeijden: Volkscultuur en Immaterieel Erfgoed. Almanak bij een actueel debat. Amsterdam 2011. Valdimar Tr. Hafstein: Claiming Culture: Intangible Heritage Inc., Folklore ©, Traditional Knowledge™. In: Dorothee Hemme; Markus Tauschek and Regina Bendix (eds.): Prädikat “Heritage”. Berlin 2007, pp. 75-100. Jordi Halfman: Sounds of Street Soccer (master thesis University of Amsterdam). Amsterdam 2013. Eric Hobsbawm; Terence Ranger (eds.): The Invention of Tradition. London/Oxford 1992. Dick Houtman; Birgit Meyer (eds.): Things: Religion and the Question of Materiality. Fordham 2013. Monika Kania-Schütz (ed.): In die Jahre gekommen? Chancen und Potenziale kulturhistorischer Museen. Münster et al. 2009. Barbara Kirshenblatt-Gimblett: Intangible Heritage as Metacultural Production. In: Museum International 56, 1-2 (2004), pp. 52-65. Simon J. Knell (ed.): Museums in the Material World. Abingdon 2007. David Lowenthal: The Past is a Foreign Country. Cambridge 1985. Frédéric Maguet: L’image des communautés dans l’espace public. In: Chiara Bortolotto (ed.): Le patrimoine culturel immatériel. Enjeux d’une nouvelle catégorie. Ethnologie de la France, cahier 26. Paris 2011. Michael McMillan: Van Huis Uit. The Living Room of Migrants in The Netherlands. In: Ibidem: The Front Room. Migrant Aesthetics in the Home. London 2009, pp. 110-129. Léontine Meijer-van Mensch; Elisabeth Tietmeyer (eds.): Participative Strategies in Collecting the Present. Berliner Blätter 63 (2013). Peter van Mensch; Léontine Meijer-van Mensch: New Trends in Museology. Celje 2011.

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Birgit Meyer (ed.): Aesthetic Formations. Media, Religion, and the Senses. New York 2009. Arnoud Odding: Het disruptieve museum. The Hague 2011. Irene Stengs: Inleiding. Nieuwe Nederlandsheid in feest en ritueel. In: Irene Stengs (ed.): Nieuw in Nederland. Feesten en rituelen in verandering. Amsterdam 2012, pp. 9-25. Steven Vertovec: Super-Diversity and Its Implications. In: Ethnic and Racial Studies 30, 6 (2007), pp. 1024-1054. Thomas Michael Walle: Participation and othering in documenting the present. In: Léontine Meijer-van Mensch; Elisabeth Tietmeyer (eds.): Participative Strategies in Collecting the Present. Berliner Blätter 63 (2013), pp. 83-94. Susanne Wessendorf: Commonplace Diversity. Social Interactions in a Super-Diverse Context (= MMG Working Paper 10-11). Göttingen 2010.

Summaries On limits and prospects of collecting the present in cultural histor y museums in the 21st centur y. An introduction Sophie Elpers and Anna Palm The article offers an introduction to the limits and prospects of collecting the present. First of all the article looks into what the term “contemporary” means in a historical and sociological perspective. The contemporary or the present is often interpreted as an open-ended period in Museology. The present is characterised by complex temporal entanglements, extensions and contractions. Due to ever increasing accelerations in the speed of societal and technological change people long for a sense of stability, security and belonging. Museums can contribute to satisfy this urge by creating opportunities for self-awareness and (self)reflection as well as offering directly or indirectly ways to interpret contemporary and future societal challenges. The opening-up of museums to contemporary topics has happened incrementally and is an ongoing process which is rooted in democratisation, contextualisation, commercialisation and a focus on visitors. By doing that, aspects of representation, the methodology of collecting and the role of expert knowledge of museum professionals have been called into question. The role of museums as institutions of society and for society is being renegotiated. Bearing in mind the dynamics of the present, collections can be renewed and thematically extended to cover contemporary material and immaterial cultural heritage through continual observation and analysis of present-day culture. Collectible objects need to be meaningful representations of their period and fitting artifacts for exhibitions always considering that museums act as a reservoir of memory and institution of knowledge.

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In collecting the present the role of museum experts is being renegotiated and former authorities are called into question. Conflicts of interest between museum experts over aims and interpretations can arise but equally there can be prospects and opportunities for new professional networks and cooperation.

Museum 2.0, Museum 3.0, Cultural Anthropolog y 0.0? Collecting of contemporar y cultural assets as a task of applied humanities Markus Walz Nowadays, contemporary collecting belongs to the most discussed topics in the museum debate, although (or is it because?) its principles are still unclear. Most of the contributions present examples of individual museum practices without pointing out who should assess the relevance of contemporary cultural assets as future material evidences. Since the beginnings of the German cultural anthropology, the research field of everyday culture is shared between this discipline and persons with enthusiasm or local patriotism, who reveal a lot of unknown details, but who also tend to continue with non-actual theories and categories uncritically. Several new tendencies in museology focus on different communities within society; Simon Knell contrasts “disciplinary museums” with “identity making museums”, where the collection “must grow out of the community”. However, nobody asks if articulations of society group members might be identical with a reflective analysis of cultural phenomena. The actual tendencies to participation (museum 2.0) include similar problems, because the great majority of museum visitors is consumptive: Behind the declared “crowd” acts an undefined, rather small group with unclear interests (collectors, opinion leaders, hidden corporate communicators etc.). On the other hand, the opinion is spreading that museum work can be an artistic activity which produces no longer academic knowledge but rather pieces of art. Negative signals for academics: They are replaced by enthusiasts and self-declared interpreters. Polyphonic representations of cultures need a navigation aid through the ever-growing amount of data (information brokerage within the museum 3.0), but these service providers do not check

Summaries

the academic correctness of information but only its legal and ethical admissibility. This discrete farewell to academic interests in museum work corresponds to the actual penchant of German cultural anthropology for other topics than applied humanities in museum work. In contrast, however, the museological theory of collecting establishes more academic reasoning within the significance assessment of cultural assets.

From display cabinets to engine rooms. An essay about collecting present-day culture in the city museum Stijn Reijnders, Gerard Rooijakkers and Hélène Verreyke This chapter focuses on a series of issues museum professionals struggle with when collecting the contemporary. First of all, museums are faced with the question: Where do the beginning and end of the “contemporary” lie and how to collect it? The authors argue that one of the most important criteria would be whether there is an interesting or remarkable history of use, by means of which an object can be placed in a broader sociocultural context. Therefore, they suggest to “outsource” collecting and storage of contemporary objects to the people and focus only on the almost-contemporary. A second question that museum professionals are faced with, relates to the tension between becoming inclusive and staying critical at the same time. Many initiatives for collecting the Now lead to exhibitions that take the form of safe stories. As a rule controversial subjects are avoided. However, culture is as much about community and sharing as it is about conflict, power struggles and clashes. This “conflict value” of cultures is nowadays often underdeveloped in museums of culture. Thirdly, this chapter draws attention to the question of the difficulties of reaching out to a larger audience. The number of visitors that these types of exhibitions draw always lags far behind the initial expectations. The authors argue that museums ought to search for a greater story; a story which is not just restricted to one specific group, but has relevance to various social groups. One possible solution that they put forward is the concept of the imagined city.

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Post the museum! Some remarks on the migration debate and museum practice Natalie Bayer During the last few years migration has formed the subject of museum debate and museum practice more and more frequently. Different protagonists and positions are involved in this process with at times contradictory approaches and complex interests. Despite various attempts to follow approaches of the so-called New Museology, the concepts of collecting and exhibiting migration reveal in many instances a range of disturbing slants and blind spots. Often the way the subject is treated corresponds with political agendas and the established national view. Under headings like Migrationsgeschichte(n) sammeln und ausstellen (Collecting and exhibiting migration stories) and Objekte erzählen Migrationsgeschichten (Objects tell migration stories), objects tend to become the focus of museum practices. Hereby the concepts are based on the search for authenticity, but they create cultural assumptions with homogenising effects. Implicitly, migration is held up against the imagined modern nation and thus subjected to an unequal form of comparison. At the same time, some museums follow a different route by linking the subject areas of city and migration and by focussing on aspects of their mutual dependence. Furthermore, collection and exhibition practices based on scientific, artistic and activist positions and from a perspective of migration were already established decades before any museum debate on migration started. These practices offer a different, reflective representation of migration well beyond the established national view and restoration efforts. Such approaches reveal the discrepancies in the assumed notions of national “normality”; they throw into question fundamentally the premises behind museum practices of generating, producing and representing knowledge. In order to update museum practices, therefore, it is necessary to work on the basis of an ambivalent and unclassifiable present era, in which representation is a continually contested field.

Summaries

AIDS Memorial Quilts. From mourning and activism to heritage objects Léontine Meijer-van Mensch and Annemarie de Wildt In 2012 the NAMEN Project Netherlands approached the Amsterdam Museum in search of an appropriate destination for the Dutch AIDS Memorial Quilt that has been created since the 1980s to remember the people who died of AIDS. Offering the collection of quilts to a museum is a crucial step in a musealisation process transforming these objects from expressions of mourning and activism to collectively recognised heritage. Should and when yes, how should the Amsterdam Museum collect these quilts? A one month research project, within the framework of the International Master Program of the Reinwardt Academie (Faculty for Cultural Heritage and Museology, Amsterdam School of the Arts) was set up, together with the Amsterdam Museum. The students looked into the implications of the request, talked with the present keepers, with the people who created the quilt blocks, and with a variety of institutions in the Netherlands and abroad. The Quilt provides some interesting museological dilemmas. The quilt blocks are still owned by the source community, but their significance for this community is changing. This results into an ambivalent situation. At the one hand the source community has increased difficulties in finding continuous support within the community for the preservation and presentation of the Quilt, while at the other hand there is a fear that handing over the care to professional organisations, such as museums, will eventually alienate the quilt blocks from the community that created them. Documenting the present via participatory strategies needs therefore a form of shared ownership, respecting the specific interests of the different stakeholders.

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Representative objects of the here and now. 2000-2010. A Deutsches Hygiene-Museum project to build a current collection Sandra Mühlenberend and Susanne Roeßiger Swine flu (H1N1) was the international media event of 2009. The specific threat to human life triggered all kinds of defence mechanisms, remedial measures and disputes worldwide. A host of different campaigns and products supported and accompanied the battle to contain the spread of the pandemic. Rapid reactions to the threat ranged from vaccinations, homemade protective clothing, airport thermometers and Tamiflu for prophylactic treatment of the pandemic, to poster competitions and bizarre soft toys of the virus. Unlike past collection methods that applied a retrospective view, the collection of the Deutsches Hygiene-Museum in Dresden at that time experimented with a pilot project of actively collecting objects of the present, which meant it was able to order certain objects in the “heat of the moment” as the event unfolded. Quick action played an important role in this, since a great deal of the product range soon disappeared once the pandemic abated. The project Referenzobjekte der Jetztzeit. 2000-2010 (Representative objects of the here and now. 2000-2010) involved a two-year “track and trace” of topical social events as part of the main focus of the Deutsches Hygiene-Museum collection – public body awareness campaigns and health practices in everyday life – culminating in a collection of typical objects. Under headings like Beginning of Life and Sunset Years, Body Cult and Body Facts & Figures, objects were able to be identified and used to reflect demographic change, new models of childhood, as well as technological approaches to fitness and protection measures. The article explains the aim of the project, the methods used, the themes selected and the results.

Summaries

Bungalow and housing container. New buildings in the LVRFreilichtmuseum Kommern (Rhineland open-air museum) on the fringes of the present Carsten Vorwig This article explores the question of whether the collection theory and content of open-air museums have reached the present era. For the purposes of this question, the definition of the present here is confined solely to the historical present or recent past. That being the case, what follows is a brief look at the open-air museum scene and a selection of museum projects from the recent past. However, the main focus of the article is on the plans of the LVR-Freilichtmuseum Kommern (Rhineland open-air museum) for a new exhibition unit featuring authentic buildings arranged in time slots of recent years and the recent past. Conceptual considerations and basic research into the nature of settlements in the Rhineland region will be presented here. The new module will receive a central marketplace as a characteristic element of settlement. Buildings of different ages will be positioned next to each other around this square to depict the village and small-town structure of the kind of settlements that have evolved in the Rhineland region. A typical new housing area featuring buildings from the 1950s to 1970s will be situated on the fringes of the town. Strategic collection considerations and targeted marketing measures form the basis of the implementation plan. The name of the new module Marktplatz Rheinland (Rhineland Marketplace) denotes the origins of the buildings and also the typical street names of the area. A strikingly large number of towns in the Rhineland region have the word Marketplace or Market Square in their list of street names. Individual buildings of the new module have already been erected and opened to the public while others are at the concrete planning stage or on the wish list of the ongoing building programme. A flat-roofed bungalow from 1959, a prefabricated house from 1965, a guesthouse in the 1974 time slot and a 1991 asylum-seeker container in the 2012 time slot are presented here.

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Is that supposed to be the present? The practice of making the 1960s and ‘70s the subject of open-air museums Julia Pedak There is a trend in German open-air museums for the present to infiltrate its collections and exhibitions. This type of museum, where visitors are accustomed to seeing a showcase of historic themes and artefacts, is now increasingly focusing on the 20th century. Three open-air museums which focus on the present in the joint exhibition project Umbruchzeit – Die 1960er und 1970er Jahre auf dem Land (A time of new beginnings – rural life in the 1960s and 1970s), are examined here as examples of this trend. But from what point onwards can we refer to the present? Some would say the 1960s are already a thing of the past. The first priority, therefore, is to clarify the question of how periods of time and eras are classified. At what point does the present start, and can it ever be the subject of a museum? After all, as soon as objects become the subject of a museum, they lose their original context and refer back to past realities. As well as the timeframe question, any depiction of an era is by nature a human construct. The present day inevitably colours our view of the past, since current values and preferences are projected onto it. Time markers or symbols of the present age that also help define it are particularly prevalent in museums that act as “memory banks” or “identity foundries”. The exhibitions examined here are examples of the none-too-easy task of defining exactly what constitutes the present. They illustrate how images of the past and present are generated and conveyed and also where exhibition content and the collection practices of museums fit into the puzzle. After all, there is inevitably a blurring of past and present in the museum world, since any museum is a storehouse of the past, an indicator of current processes and a generator for the future.

Summaries

Absence of objects does not mean absence of subject. Presenting the present and European culture in the permanent exhibition of the Rautenstrauch-Joest Museum – Cultures of the World Clara Himmelheber The new permanent exhibition of the Rautenstrauch-Joest Museum in Cologne was designed by the curatorial team to promote mutual understanding, appreciation and tolerance among people of different cultures, including those living in the vicinity. The comparative cultural approach of the exhibition emphasises the equality and validity of all cultures, while providing impulses for thought and stimulating dialogue. The inclusion of our own European culture in this comparative approach helps us to become aware of our own perspective. The focus of the museum’s collection is on non-European objects of the 19th and early 20th century. This proved a challenge for the curators as the inclusion of present-day cultures worldwide and of our own European culture was seen as a key element of conveying cultural values. In order to incorporate them in the exhibition, a decision was made to work with different media, i.e. counterbalance the collection’s deficits by using photographs, films and computer-based media stations instead of new acquisitions. Contemporary media add an upto-date dimension to the predominantly historic museum collection and thus address the desire of anthropological exhibitions for more currency and less “ethnographic presence”. They provide in-depth information and broaden the perspectives rather than competing with the artefacts. However, the use of media to portray the present in museums may and indeed should not be extolled as a universally applicable principle. In the case of the Rautenstrauch-Joest Museum, the use of various media was a worthwhile tool, due to the nature of the collection and the communicative aspirations of the museum. It is thanks to such media that the present – despite the absence of objects – is by no means an absent subject.

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Stills of our liquid times. An essay towards collecting today’s intangible cultural heritage Hester Dibbits and Marlous Willemsen The authors introduce a new programme, Intangible Cultural Heritage With Pop, that they have just embarked on. It seeks to develop intangible cultural heritage methodology and is introduced in this publication as it aims to also offer handles for museal collecting strategies. The programme investigates the development of the heritage field – in particular that of intangible cultural heritage, and including cultural-historical museums – as a shared public space in which contemporary formations are present and represented towards collecting present-day social repertoires. A laboratory in which we may have to let go of items that are disappearing or losing their use or relevance, and in which collecting is a multifaceted act of negotiating meanings and prompting mutual understanding. Attention is given to explicit and strong emotions that are part of the practices that Pop puts before its groups of stakeholders. But also the more moderate meanings as well as implicit feelings count, as much as those that are evoked and stirred up by the passions of others. The programme consists of a series of five public meetings in which items from the wide repertoire of present-day society are to be annotated by a super-diverse audience: traditions of commemoration, sounds of the city, party practices and other items that can raise and help us to understand fundamental issues about present-day formations. The programme can be considered as a collecting activity in the sense that it brings the cases together. But the selected items are merely a starting point towards a next collection: of current and new meanings, associations and emotions that are attached to, embedded in and sparked off by the chosen items, and by their annotation. Pop aims to be an exercise of collecting by continuous annotating.

Autorinnen und Autoren

Natalie Bayer (1976) hat 2009 ihr Studium der Volkskunde/Europäischen Ethnologie, Kunstgeschichte und Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolviert. Als Wissenschaftlerin, Kuratorin und Beraterin zu migrationsbezogenen Themen ist sie u. a. für die Ausstellung Crossing Munich. Orte, Bilder und Debatten der Migration (München, 2009), das Stadtmuseum Kauf beuren, das Münchner Stadtmuseum und die Ausstellung Movements of Migration (Göttingen, 2013) tätig. Sie ist Mitglied des Göttinger Forschungslabors Kritische Grenzregimeund Migrationsforschung. Derzeit promoviert sie an der Georg-August-Universität Göttingen zu Migration on Display. Eine wissensanthropologische Studie zur Musealisierung der Migration in kulturhistorischen Museen. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Migrations-, Repräsentations- und Museumsforschung. Kontakt: [email protected] BGVK e. V. Die Bonner Gesellschaft für Volkskunde und Kulturwissenschaften e. V./Bonn Society of Cultural Studies ist eine gemeinnützige Vereinigung zur Förderung der Bildung in kulturwissenschaftlichen Themenfeldern. Sie wurde im Jahr 2005 als Forum gegründet, um Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Freunden und Förderern der Fächer Volkskunde, Kulturanthropologie, Europäischen Ethnologie, Kulturgeschichte und (Empirischen) Kulturwissenschaft einen Dialog zu ermöglichen und auch der Öffentlichkeit ein Ansprechpartner bei kulturwissenschaftlichen Fragestellungen zu sein. Die BGVK organisiert Exkursionen und Tagungen und unterstützt die Herausgabe von Publikationen. Seit ihrer Gründung hat sie acht Jahrestagungen organisiert, unter anderem zu den Themen gegenwärtige Brauchkomplexe,

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Natur-Kultur, Kriegserinnerungen, Alltagsbilder-Bilderalltag, European Heritage und Musealisierung der Gegenwart. Website: www.bgvk.de, Kontakt: [email protected] Hester Dibbits (1965) ist Professorin (Fachhochschule) für Kulturerbe und Direktorin des internationalen Masterprogramms Museologie der Reinwardt Akademie in Amsterdam. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Europäische Ethnologie am Meertens Institut (Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaften) in Amsterdam, wo sie zuvor arbeitete, erhielt sie Fördermittel der Niederländischen Organisation für wissenschaftliche Forschung (NWO) für ihr Sonderforschungsproject Migration and Material Culture: The Domestic Interiors of Migrants and their Descendants (2003-2007). In diesem Projekt wurden die Zusammenhänge zwischen materiellen Kulturpraktiken und Gefühlen von Zugehörigkeit untersucht. Die Forschungsergebnisse dienten als Inspiration für die Kunstinstallation Van Huis Uit (Von Haus aus) mit Michael McMillan als Kurator, die zum ersten Mal im Jahr 2007 bei Imagine IC exponiert wurde. Zwischen 2010 und 2011 arbeitete Dibbits als Leiterin des Kuratorenteams am Niederländischen Freilichtmuseum in Arnhem. Kontakt: [email protected] Sophie Elpers (1978) studierte Europäische Ethnologie, Kunstgeschichte und Niederländische Philologie in Bonn, Köln und Amsterdam und ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Amsterdamer Meertens Institut (Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaften). Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Historische Bauernhausforschung am Niederländischen Freilichtmuseum in Arnhem tätig. In ihrer Dissertation behandelte sie den Wiederauf bau von Bauernhöfen in den Niederlanden nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihr derzeitiges Forschungsprojekt befasst sich mit der Wiederentdeckung des „Nationalen“ im 21. Jahrhundert. Sie ist u. a. Mitglied des Gremiums zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes in den Niederlanden und Vorstandsmitglied der Bonner Gesellschaft für Volkskunde und Kulturwissenschaften e. V. Kontakt: [email protected] Clara Himmelheber (1970) ist seit 2001 wissenschaftliche Referentin für den Themenbereich Afrika am Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen

Autorinnen und Autoren

der Welt in Köln. Hier war sie u. a. Co-Kuratorin der neuen Dauerausstellung Der Mensch in seinen Welten (2010) und der Sonderausstellungen Eine Frage des Glaubens: Religiöse Vielfalt in Köln (2005/06) sowie Namibia – Deutschland: Eine geteilte Geschichte: Widerstand – Gewalt – Erinnerung (2004). Außerdem ist sie Lehrbeauftragte an der Universität zu Köln und der Cologne Business School im Bereich Museumsethnologie. Ihre Forschungsschwerpunkte sind östliches und südliches Afrika, zu denen sie auch vielfach publiziert hat. Kontakt: [email protected] Léontine Meijer-van Mensch (1972) ist Dozentin für Heritage-Theorie und Berufsethik an der Reinwardt Akademie in Amsterdam und Direktorin der kürzlich gegründeten Firma MMC Mensch Museological Consulting (Amsterdam-Berlin). Sie ist in verschiedenen (internationalen) Museumsorganisationen Vorstandsmitglied, wie etwa Vorstandsvorsitzende der COMCOL, des ICOM International Committee for Collecting, und Vorstandsmitglied der Celje School of Museology (Slowenien). Momentan forscht sie zur Museologie als Wissenschaft in Zentraleuropa und insbesondere in der DDR. Kontakt: [email protected] Sandra Mühlenberend (1970) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Psychologie an der Universität Kassel und der Universität Urbino. 2004 promovierte sie mit der Arbeit Surrogate der Natur – Natur der Surrogate. Die historische anatomische Lehrsammlung der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Sie arbeitete u. a. als wissenschaftliche Referentin am Industriemuseum Chemnitz und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin sowie als Lehrbeauftragte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Zwischen 2004 und 2008 war sie Gründerin und Redakteurin des Kunstmagazins hub zur kunst; von 2008 bis 2013 gehörte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Team der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden und leitete u. a. das Pilotprojekt Referenzobjekte der Jetztzeit. Derzeit gehört sie zum wissenschaftlichen Ausstellungsteam der 2014 im Museum Leuven stattfindenden Jubiläumsausstellung zu Vesalius. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Kunst und Anatomie, Körpergeschichte, Institutions- und Sammlungsgeschichte. Kontakt: [email protected]

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Anna Palm (1983) studierte in Bonn Kulturanthropologie/Volkskunde, Städtebau und Kunstgeschichte. Seit 2011 ist sie Doktorandin am Mainzer Institut für Theater-, Film- und empirische Kulturwissenschaft mit dem Promotionsprojekt „Gesund essen – gesund leben?!“ Populäre Formen gesunder Ernährung in kulturanthropologischer Perspektive. Von 2008 bis 2012 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Mentorin in der Abteilung Kulturanthropologie der Universität Bonn tätig. Seit Ende 2011 ist sie Referentin in einem BMBF-Projekt an der Fachhochschule Aachen. Sie ist u. a. Mitglied der Mainzer AG Machtfelder erforschen. Arbeitsgruppe zur politischen Anthropologie und Anthropologie der Politik. Zur Zeit ist sie Vorsitzende der Bonner Gesellschaft für Volkskunde und Kulturwissenschaften e. V. 2012 war sie maßgeblich an der Organisation der Tagung zur Musealisierung der Gegenwart beteiligt. Kontakt: [email protected] Julia Pedak (1987) studierte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft und Medienkommunikation. Neben Museumspraktika arbeitete sie an verschiedenen wissenschaftlichen Projekten zu Themen der Brauch- und Nahrungsforschung sowie der Museumspädagogik und war Redaktionsmitglied der Zeitschrift KulTour. 2013 schloss sie den Master of Arts in Germanistik mit dem Profil Kulturanthropologie/Volkskunde mit der Arbeit Zeit-Gebilde. Zur Musealisierung von Alltagkultur der 1960er und 1970er Jahre am Beispiel der Ausstellung „Umbruchzeit“ ab. Derzeit ist sie wissenschaftliche Volontärin bei der Planungs- und Gestaltungsagentur ConCultura GmbH in Bonn. Kontakt: [email protected] Stijn Reijnders (1976) ist Associate Professor für Kulturerbe an der Erasmus-Universität Rotterdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Beziehungen zwischen Medien, Kultur und Tourismus. 2011 erschien seine jüngste Publikation mit dem Titel Places of the Imagination. Media, Tourism, Culture im Ashgate-Verlag. Sein neuestes Forschungsprojekt, das von der Niederländischen Organisation für wissenschaftliche Forschung (NWO) gefördert wird, analysiert und vergleicht Literatur-, Filmund Musiktourismus in Europa. Kontakt: [email protected]

Autorinnen und Autoren

Gerard Rooijakkers (1962) ist ehemaliger Professor für Niederländische Ethnologie an der Universität von Amsterdam und Vorstandsmitglied des Niederländischen Kulturrats, der die Regierung in den Bereichen Kunst, Kultur und Medien berät. Seine Dissertation, 1994 erschienen, behandelt die Geschichte der Alltagskultur im Süden der Niederlande. Er publizierte außerdem vielfach zu religiöser Alltagskultur, visueller Kultur, Ritualen, materieller Kultur und (neuer) Museologie. Rooijakkers ist Direktor des Verlagshauses Veerhuis. Kontakt: [email protected] Susanne Roeßiger (1961) studierte Kultur- und Kunstwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin und erlangte 1988 den Abschluss als Dipl. Kulturwissenschaftlerin. Seit 1991 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Hygiene-Museum und Leiterin der Abteilung Sammlung. Sie war an verschiedenen Forschungsprojekten und Fachgremien beteiligt, u. a. leitete sie zwischen 2008 und 2010 das KUR-Projekt Wachsmoulagen. Wertvolles Kunsthandwerk vom Aussterben bedroht. Seit August 2013 hat sie die Leitung des Teilprojektes Schnittstelle Mensch. Artefakte zur Prothetik im Deutschen Hygiene-Museum im BMBF-Programm Die Sprache der Objekte. Roeßiger ist Mitautorin der vom Deutschen Museumsbund 2013 herausgegebenen Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen. Ihre Forschungs- und Interessengebiete sind Körpergeschichte, Sachkulturforschung sowie Institutionsgeschichte des Deutschen Hygiene-Museums. Kontakt: [email protected] Hélène Verreyke (1979) studierte Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Gent, Belgien. Sie schrieb ihre Dissertation über spätrömische Töpferkunst im Potenza Tal, Italien. Als Postdoc an der Erasmus-Universität Rotterdam forschte sie im Rahmen des Projekts Community Museums Past and Present zu Partizipation und Repräsentation in Geschichtsmuseen in den Niederlanden und in Belgien. Heute ist sie Ausstellungsleiterin am M – Museum Leuven, Belgien. Kontakt: [email protected] Carsten Vorwig (1968) studierte Volkskunde/Europäische Ethnologie und Geschichte in Münster, 1998 erfolgte die Promotion im Fach Volkskunde/Europäische Ethnologie. Seit 2003 ist er wissenschaftlicher Referent

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am LVR-Freilichtmuseum Kommern – Rheinisches Landesmuseum für Volkskunde. Seine Forschungsschwerpunkte und Veröffentlichungen liegen im Bereich der Bau- und Hausforschung (Pfarrhäuser, Gasthäuser, Gewerkenhäuser u. a. m.) und der Sachkulturforschung sowie in anderen Bereichen der historischen Alltagskultur des 18. bis 20. Jahrhunderts. Kontakt: [email protected] Markus Walz ist Volkskundler (Studium an der Universität Bonn) mit geschichtswissenschaftlichem Promotionsstudium (Universität Osnabrück). Nach einem wissenschaftlichen Volontariat am Landesmuseum Koblenz war er Referent für Volkskunde/Gebietsreferent für Ostwestfalen und Lippe am LWL-Museumsamt für Westfalen, Münster; aktuell hat er die Professur für Theoretische und Historische Museologie inne an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fakultät Medien. Im Zusammenhang mit dem Lehrgebiet publiziert er insbesondere zu Aspekten der musealen Sammlungstheorie, zu Theorie und Praxen der Kulturrepräsentation sowie zur Museumsgeschichte; er ist Herausgeber mehrerer Monografien zur Museumspraxis und Museumspädagogik. Kontakt: walz@f bm.htwk-leipzig.de Annemarie de Wildt (1956) ist Kuratorin am Amsterdam Museum. Sie studierte Geschichte an der Freien Universität Amsterdam und hat vor ihrer Kuratorentätigkeit als Ausstellungsmanagerin, Kulturberaterin und TV-Produzentin gearbeitet. Seit 1995 kuratiert sie für das Amsterdam (Historische) Museum verschiedenste Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen, in denen sie häufig Aspekte von Hoch- und Popularkultur kontrastiert und diese mit „Geschichten aus dem Leben“ verbindet. Sie war an mehreren partizipativen Ausstellungs-, Sammlungs- und Website-Projekten, die verschiedene Gruppen der Amsterdamer Bevölkerung einbezogen, beteiligt. Kontakt: [email protected] Marlous Willemsen (1969) ist Direktorin der Organisation Imagine Identity & Culture (Imagine IC) in Amsterdam Südost. 2009 nahm sie dort ihre Arbeit als kommissarische Leiterin auf und entwickelte – gemeinsam mit einem neuen Team und in einem neuen Gebäude – ein neues Leitbild für diese auf partizipatives Sammeln angelegte Kulturerbe-Institution, die 1999 in einem kulturell sehr vielfältigen Stadtteil Amsterdams

Autorinnen und Autoren

gegründet worden war. Nach ihrem Studium der Arabistik an der Universität Utrecht war sie Projektmanagerin am Weltmuseum Rotterdam, Programmmanagerin der Prinz Claus Stiftung für Kultur und Entwicklung sowie stellvertretende Direktorin am International Institute for the Study of Islam in the Modern World (ISIM), das an der Universität Leiden angesiedelt war. Kontakt: [email protected]

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Edition Museum Felix Ackermann, Anna Boroffka, Gregor H. Lersch (Hg.) Partizipative Erinnerungsräume Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen 2013, 378 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2361-1

Monika Kaiser Neubesetzungen des Kunst-Raumes Feministische Kunstausstellungen und ihre Räume, 1972-1987 2013, 298 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-2408-3

Katerina Kroucheva, Barbara Schaff (Hg.) Kafkas Gabel Überlegungen zum Ausstellen von Literatur 2013, 328 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2258-4

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Edition Museum Nadine Pippel Museen kultureller Vielfalt Diskussion und Repräsentation französischer Identität seit 1980 2013, 274 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,99 €, ISBN 978-3-8376-2549-3

Ulli Seegers Ethik im Kunstmarkt Werte und Sorgfaltspflichten zwischen Diskretion und Transparenz Juli 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2625-4

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